Nach der Vereidigung des Kabinetts trug Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) dem Landtag am 17. Juni seine Regierungserklärung vor. Er dankte seinem Amtsvorgänger Johannes Rau, der ebenso wie die ausgeschiedenen Kabinettsmitglieder auf seinem Abgeordnetensitz Platz genommen hatte, und den ehemaligen SPD-Ministerinnen und -Ministern Anke Brunn (Wissenschaft/Forschung), Franz-Josef Kniola (Innen), Ilse Ridder-Melchers (Gleichstellung von Frau und Mann), Dr. Axel Horstmann (Arbeit/Soziales) und Professor Dr. Manfred Dammeyer (Europa-/Bundesangelegenheiten) für ihre Leistung und wünschte sich eine gute Zusammenarbeit mit den Regierungsfraktionen, die die neue Landesregierung trügen. Die CDU-Fraktion bat er um konstruktive Kritik und Ansporn aus der Konkurrenz heraus.
Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) versprach, das Vertrauen zu rechtfertigen und den Auftrag für das Land NRW zu erfüllen. Unverändert sei der Koalitionsvertrag Grundlage der Regierungsarbeit. Die Regierungserklärung von Johannes Rau von 1995 gelte weiter. Die Lage der öffentlichen Finanzen bedinge schwierige und auch schmerzhafte Entscheidungen, die gemeinsam getroffen und verantwortet würden. Denn es sei ein Privileg, das Land in das 21. Jahrhundert zu führen. Die Menschen sollten durch erstklassige Antworten auf die neuen Herausforderungen überzeugt und dazu gewonnen werden, aktiv und zuversichtlich mildem Abverlangten umzugehen.
Bürger-Engagement
Clement warb um bürgerschaftliches Engagement, auf das es mehr denn je ankomme. Die Gemeinschaft müsse entlastet werden, wo der einzelne wirksamer helfen könne. Frauen und Männern, die sich im Sport, in Vereinen, in Gewerkschaften und Kirchen, in Initiativen und Parteien, in Kindergärten und Schulen, in Feuerwehren, Krankenhäusern, Altenheimen und Hilfsorganisationen engagierten, dankte Clement für ihren gelebten Gemeinsinn.
Beim Aufspüren zukunftsweisender Ideen und ihrer Verwirklichung wolle er sensibel sein, sagte Clement, und zeigen, daß Modernität und Gerechtigkeit zusammengehörten, auch in einer globalen Wirtschaft und mit europäischer Politik. "Wir wollen NRW zu einer vorbildlichen europäischen Region machen", fügte er hinzu, das sei eine Aufgabe, die begeistere und spannend sei, Kreativität, Können und Konsequenz fordere. Grenzen seien gefallen, Märkte wüchsen zusammen. Selbst vor der D-Mark machten Veränderungen nicht halt. Der Wandel verunsichere viele Menschen. Sie wüßten um neue Antworten, wollten aber keine radikalen Brüche. Der Wandel solle gestaltet werden, und im Land solle es auch morgen modern, gerecht und sozial zugehen. Ökonomische und ökologische Modernisierung und soziale Gerechtigkeit blieben weiter die Maxime seiner Politik. Unverwechselbare Werte seien zu erhalten. Aus alten Stärken neue Chancen zu gewinnen, darauf komme es an.
Mehr Reform fürs Geld
Die engen finanziellen Spielräume seien Folge schwacher Konjunktur und einer konzeptionslosen Bonner Politik. In diesem Jahr fehlten dem Land 20 Milliarden Mark. Vieles Wünschbare könne es sich nicht mehr leisten. Mehr Reformen fürs Geld müßten verwirklicht werden, statt auf mehr Geld für Reformen zu warten. Regierung und Verwaltung sollten auf ihre wichtigsten Aufgaben zurückgeführt werden. Aufgaben- und Finanzverantwortung sollten stärker zusammengebracht werden, sagte Clement und begründete im einzelnen den neuen Zuschnitt einiger Ressorts. Bildung, Wissenschaft und Forschung gehörten in eine Hand. Um die Stadt als Wirtschaftsraum und Lebensort zu stärken, würden Stadtentwicklung, Kultur und Sport um die Aufgabenfelder Arbeit und Soziales erweitert. Durch die in Deutschland einzigartige Zusammenlegung von Justiz und Innen bleibe die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewährleistet. Gleichstellungspolitik werde mit Verantwortung für Familien, Jugend und Gesundheit ausgestattet. Im Kindergartenbereich werde es keine Kürzungen geben. Die Europapolitik nehme er selbst mit der Staatskanzlei wahr.
Kindergärten ohne Kürzung
Die kommunale Selbstverwaltung bleibe stark. Städte und Gemeinden würden zu regionaler Zusammenarbeit ermuntert. Nur wenn eine Aufgabe dort nicht wahrgenommen werden könne, stelle sich das Land. Originär staatliche Aufgaben seien einer Privatisierung nicht zugänglich. Wo es ausreichende Versorgung durch Private und funktionierenden Wettbewerb gebe, werde geprüft, ob die öffentliche Hand ganz verzichten könne. Alle Ressorts seien um Vorschläge für Privatisierung und Straffung gebeten worden. 22000 Stellen in der Landesverwaltung sollten sozialverträglich und beschleunigt eingespart werden, bestätigte der Ministerpräsident und kündigte an, die Ministerialzulage werde schrittweise abgebaut und persönliche Dienstaufwendungen gestrichen, insgesamt 16 Millionen Mark. Bei den Beihilfen würden ab 1999 Selbstbeteiligungen ab den mittleren Einkommen von 200 bis zu 1000 Mark pro Jahr bei den höchsten Gehältern eingeführt. Die Versorgung der Regierungsmitglieder wolle er offen und klar debattieren und bei den anderen Ministerpräsidenten für gleiche Maßstäbe werben.
Ministerialzulage wird abgebaut
Das Vermögen des Landes solle aktiviert, Immobilien sollten zentral und wirtschaftlich gemanagt und Beteiligungen zur Finanzierung von Sicherheit, Bildung und Gesundheit genutzt werden. Landesbauverwaltung und Liegenschaftsvermögen sollten zu einer flexibel arbeitenden Organisation zusammengefaßt werden. Durch Contracting auf breiter Basis solle das hohe Energiesparpotential an öffentlichen Gebäuden besser ausgeschöpft werden.
Vermögensmanagement
Von den zehn deutschen Großstädten mit geringster Kriminalität lägen acht in NRW, und von den zehn Städten mit höchsten Kriminalitätsraten liege keine einzige in NRW. Polizei und Strafverfolgungsbehörden sei für ihre erfolgreiche Arbeit zu danken. An schneller Strafverfolgung, zügigen Verfahren, wirksamer Vollstreckung und sozialen Diensten könnten alle Interessierten in Ordnungspartnerschaften mitarbeiten. Clements Feststellung, beim Maßregelvollzug müsse jetzt gehandelt werden, stimmte auch die Opposition zu. Therapie und Sicherheit korrespondierten miteinander. Wegen Platzmangels dürften Täter nicht freigelassen werden. Notfalls übergangsweise müsse in sicheren Gebäuden untergebracht werden. Arbeitsplätze zu schaffen, sei oberstes Ziel, an dem er sich messen lassen werde. Haushalten, die sich auf dem Markt nicht selbst mit angemessenem Wohnraum versorgen könnten, werde weiter geholfen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft sei zu sichern. Statt Neubau solle stärker auf Sanierung verlagert werden.
Sanierung vor Neubau
Von NRW sollten starke Impulse für die Märkte ausgehen: für Klima- und Umweltschutz, rationelle Energie, Medizin und Gesundheit, Mobilität, Kultur und multimediale Kommunikation. Die Gründungsoffensive "GO" sei zum Markenzeichen für den Aufbruch geworden. Nirgends falle die Bilanz der Bonner Regierung, die den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verloren gebe, magerer aus als beim Mittelstand. Die Arbeitsmarktpolitik des Landes könne die Versäumnisse des Bundes nicht ausgleichen, aber wirksame Beiträge durch flexiblen Mitteleinsatz leisten. NRW werde konstruktiv an der Reform der EU-Strukturfonds mitarbeiten und weiter Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bauen. Eines der schrecklichsten Probleme sei die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Mit "Jugend in Arbeit" sei es gemeinsam angegangen worden. Eine Ausbildung für alle sei die wichtigste Aufgabe und das beste Rezept gegen Rückzug, Resignation und Radikalisierung.
Lernkompetenz
Als Konsequenz aus Kritik seien im März Maßnahmen zur Qualität in den Schulen vorgelegt worden, die rasch und ohne Einschränkung umgesetzt würden. Bei Bildung und Erziehung sollten fachliche Kenntnisse und methodische Fertigkeiten gründlicher vermittelt werden. Schlüsselqualifikationen, Lern- und Medienkompetenz sollten vermittelt werden. Im Sinne der Denkschrift "Zukunft der Schule" sollten Offenheit, Neugier und Aufgeschlossenheit geweckt werden. Aber auch Werte seien zu vermitteln, Persönlichkeit zu bilden und demokratische Orientierung zu geben. Benachteiligte und lernschwächere Kinder und Jugendliche würden unterstützt. Schulen brauchten mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielräume. Das gelte erst recht für die Hochschulen. In einem einheitlichen Hochschulgesetz solle die Leitung und Organisation der Hochschulen effizienter, die Qualität von Lehre und Forschung gesteigert, das Studium internationaler ausgerichtet werden. Kürzere Studiengänge und differenzierte Abschlüsse sollten zu Berufen qualifizieren. "Wir sind bereit, neue Wege zu gehen", sagte Clement. Die Wissenschaftsministerin und den Wirtschaftsminister habe er um Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit der beiden Gebiete bis Ende September gebeten. Studierende sollten auch stärker auf den Weg in die Selbständigkeit vorbereitet werden.
Neue Medien
Alle Unternehmen bitte er um weitere Unterstützung, Schulen, Hochschulen und öffentliche Bibliotheken mit neuen Medien auszustatten. Einen intensiven öffentlichen Diskurs wünsche er sich, wie Kunst und Kultur in NRW weiter vorangebracht werden könnten. Das Land solle auch künftig attraktiv für kreative Köpfe sein. Kultur schaffe auch Arbeitsplätze. Die Mobilität von Menschen, Gütern und Dienstleistungen zu sichern, sei eine der wichtigsten Aufgaben. Gebot von Ökologie und Ökonomie sei die Vernetzung der Verkehrsmittel. Multimediale Netze seien das zentrale Nervensystem einer modernen Infrastruktur. Die erfolgreiche Landesinitiative "media NRW" werde mit aller Kraft fortgesetzt. NRW sei die bedeutendste Energieregion Europas. Nirgendwo sei soviel Know-how um den Faktor Energie konzentriert. Von der Solarfabrik Gelsenkirchen gehe das Signal aus, bei Chancen erneuerbarer Energie sei NRW die Nummer eins. Auf heimische Stein- und Braunkohle seien wir noch lange angewiesen. Vorsorgender Umweltschutz rechne sich betriebs- und volkswirtschaftlich, sei ökologisch ohne Alternative. Der Schritt zum produktionsintegrierten Umweltschutz sei vielfach bereits getan. Für den Mittelstand sei soeben die "Effizienzagentur NRW" gegründet worden. Für freiwillige, aber verbindliche Vereinbarungen zu einem Umweltpakt im Sinne der "Agenda 21" finde demnächst ein Gespräch mit allen gesellschaftlichen Gruppen statt. Bäuerliche Betriebe und die mittelständische Ernährungswirtschaft werde durch das Programm zur Regionalvermarktung gefördert. Transportwege würden verkürzt, und eine Verbindung zwischen Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz hergestellt. Ökologischer Landbau sei ein weiterer Schwerpunkt.
Energieland NRW
Toleranz gegenüber zwei Millionen Ausländern und Integration von Fremden sei in NRW seit vieler Jahren gelebte Wirklichkeit. Zu wirksamen Integrationschancen gehöre ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. NRW sei eine der stärksten Regionen in Europa. Brüssel und Amsterdam seien näher als manche deutsche Metropole. "Wir sind die Brücke nach Europa", sagte Clement und wies auf die Internationale Bauausstellung 1999 und die Weltausstellung Expo 2000 hin. NRW werde zeigen, wie eine der modernsten Industriegesellschaften Westeuropas den Übergang in die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts meistere. Dabei werde es; sich an Werten orientieren, die das Land geprägt hätten: gleichberechtigte Partnerschaft und Chancengleichheit, Weltoffenheit und Toleranz, die Fähigkeit, vielfältige Tatente und Potentiale zusammenzubringen und ein neues Selbstvertrauen.
Bildunterschriften:
Dank an Johannes Rau, die früheren Minister und für "gelobten Gemeinsinn" engagierter Bürgerinnen und Bürger in gemeinnützigen Einrichtungen stand am Anfang der Regierungserklärung von Ministerpräsident Wolfgang Clement.
Die Mitglieder der Landesregierung haben nach Artikel 53 der Landesverfassung bei ihrem Amtsantritt vor dem Landtag Ihren Amtseid abgelegt. Landtagspräsident Ulrich Schmidt (3. v. r.) gab die Eidesformel vor, die da lautet: "Ich schwöre, daß ich meine ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können unparteiisch verwalten, Verfassung und Gesetz wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe." Der Präsident schloß: " Wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand für die vor Ihnen liegenden verantwortungsvollen Aufgaben zum Wohle unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger im Lande Nordrhein-Westfalen." Zuvor hatte Ministerpräsident Wollgang Clement die von ihm am 9. Juni ernannten Mitglieder der Landesregierung vorgestellt: Finanzminister Heinz Schleußer (SPD, 5. v. l.), Minister für Inneres und Justiz Dr. Fritz Bohrens (SPD, 6.v.l.), Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr Bodo Hombach (SPD, l.), Ministerin für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport Ilse Brusis (SPD, r.), Ministerin für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung Gabriele Behler (SPD, 3.v.l.), Minister für Bauen und Wohnen Dr. Michael Vesper (GRÜNE, 4.v.l.), Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft Bärbel Höhn (GRÜNE, 2.v.r., verdeckt) und Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit Birgit Fischer (SPD, 4.v.r.). "Zu meinem Stellvertreter habe ich Herrn Minister Dr. Michael Vesper bestellt", schloß Clement, 2.v.l. im Bild die Abgeordnete Otti Hüls (CDU) vom Landtagspräsidium.
Systematik: 1220 Landesregierung
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