Die Landesregierung hat durch Kultusminister Hans Schwier (SPD) vor dem Landtag noch einmal das gleichberechtigte Nebeneinander von Haupt-, Real- und Gesamtschule sowie Gymnasium betonen lassen. Bei der Debatte über die CDU-Anträge "Die Schule der Zukunft: eine Schule, die menschlich, leistungsfähig und ortsnah ist" und "Für den Erhalt unserer pluralen, zukunftsfähigen und wohnortnahen Schulen", den F.D.P.-Antrag "Statt Schulkampf um die Gesamtschule - Schulfrieden durch, fairen Wettbewerb' aller Schulformen" sowie den SPD-Antrag "Wahlfreiheit der Eltern zwischen Gesamtschule, Gymnasium, Hauptschule und Realschule sichert ein leistungsstarkes, wohnortnahes und zukunftsorientiertes Schulangebot" (Drs. 10/1114; Drs. 10/1392; Drs. 10/1382 und Drs. 10/1410) wurde eine Bestandsgarantie für Schulen vom Minister abgelehnt. Er wies allerdings darauf hin, daß seit 1980 auch 50 Schulen im Land neu gegründet worden seien. Für die CDU-Fraktion kritisierte der Abgeordnete Herbert Reul, die Landesregierung wolle der Hauptschule vor Ort "endgültig den Todesstoß" versetzen. Der F.D.P.-Oppositionspolitiker Rudolf Wickel hielt der SPD einen "manischen Blick auf die Gesamtschule" vor. Die SPD-Abgeordnete Brigitte Speth verhehlte nicht, daß sie die Gesamtschule für alle Kinder für die beste Schulform halte.
Brigitte Speth (SPD) erklärte, alle Anträge der Opposition verfolgten ein einziges Ziel: die Gesamtschule zu diffamieren. Daß man pädagogisch und strukturell die Gesamtschule für alle Kinder in diesem Land für die beste der vier Schulformen halte, sei wohl nicht tadelnswert. "Aber ich denke, es ist notwendig, daß auch die Opposition in diesem Land endlich zur Kenntnis nimmt, daß wir vier Schulformen nebeneinander stehen haben", sagte die Abgeordnete. Entscheidend sei das Anmeldeverhalten der Eltern. In einer zweiten These betonte sie, die Opposition wolle einzig und allein die Monopolstellung des Gymnasiums erhalten. Die derzeitigen KMK-Verhandlungen zeigten, daß die CDU/CSU sehr planvoll die Monopolstellung des Gymnasiums ausbaue. Im weiteren Verlauf betonte die Abgeordnete, wie wichtig die Reform der Sekundarstufe II für Sozialdemokraten sei. Die Integration allgemeiner und beruflicher Bildung sei ein Weg, um den neuen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Herbert Reul (CDU) meinte dagegen, die CDU-Fraktion habe niemals behauptet, sie würde für das Monopol des Gymnasiums eintreten. Es sei zu erwarten, daß mehr als ein Drittel aller Hauptschulen in ihrer Existenz bedroht seien, daß jede fünfte Realschule gefährdet sei und daß auch vielen Gymnasien das Aus drohen könne. An den Zahlen sei zu merken, wo das Hauptproblem liege und wer eigentlich die Betroffenen seien. Der Schülerrückgang verlange Antworten. Die sozialdemokratische Fraktion verschärfe den Konflikt noch durch Gesamtschulgründungen. Das gehe vorrangig auf Kosten von Hauptschulen. Die Folgen dieser Politik seien, daß Gesamtschulen gegründet würden, die lediglich Hauptschulen mit anderen Bezeichnungen seien. Hauptschullehrer würden als Manövriermasse für die Veränderung der Schulstruktur benutzt. Die CDU-Fraktion bekenne sich eindeutig zur kleinen schulischen Einheit.
Rudolf Wickel (F.D.P.) erinnerte daran, man sollte, weil gerade die SPD immer mehr inhaltlich die Gesamtschule anspreche, nicht vergessen, daß die Inhalte an für sich jetzt schon überholt seien. An die SPD-Fraktion gerichtet, sagte der Abgeordnete: "Was Sie einmal wollten, die Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit, ist doch in der Schulverfassung und in der Schule Wirklichkeit geworden, daß fast alle Abitur machen wollen und alle Schulformen, die das nicht anbieten können, dabei auf der Strecke bleiben." Wickel fragte, wie bei weiter sinkenden Schülerzahlen ortsnah qualifizierte Bildungsangebote zu erhalten seien, wie Elternrechte gesichert werden könnten und ob die Schulgesetze ausreichten, um die Rechte und Pflichten der Gemeinden eindeutig festzulegen.
Kultusminister Hans Schwier (SPD) sagte: "Wir sind stolz auf die Vielfalt des Schulwesens in Nordrhein-Westfalen, in dem Hauptschule, Realschule, Gesamtschule und Gymnasium gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Das soll auch in Zukunft so bleiben." Die Landesregierung respektiere das Wahlverhalten der Eltern. Sie könne nicht den Bestand jeder einzelnen Schule garantieren. Nur die Anmeldung von Schülern entscheide auf Dauer über die Anzahl der Schulen einer bestimmten Schulform. Die Landesregierung habe ihre bildungspolitische Konzeption, die von den Begriffen "Elternwille" und "Vielfalt der Schullandschaft" bestimmt werde, immer deutlich und eindeutig vertreten. Sie habe sich ferner immer für den Erhalt von ortsnahen Schulen eingesetzt. Der Minister bestätigte, daß seit 1980 über 150 Schulen im Land geschlossen worden seien. Er erinnerte aber daran, daß es in NRW 7200 Schulen gebe, davon 6800 allgemeinbildende Schulen. Im übrigen würde er sich wünschen, daß sich der Landtag endlich einmal mit inhaltlichen Fragen des Schulsystems beschäftigen könne, anstatt längst bekannte Argumente über die Schulstruktur auszutauschen.
Heinz Hilgers (SPD) betonte: "Ich weiß und erlebe, daß es in allen Städten und Gemeinden dieses Landes trotz zurückgehender Schülerzahlen ein wohnortnahes Angebot an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien weiterhin gibt, wohnortnahe genug." Für eine einzige Schulform sei es ganz anders: für die Gesamtschule. Ganze Regionen hätten gar nicht die Chance, sich für die Gesamtschule zu entscheiden, weil sie gar nicht angeboten werde.
Paul Mohr (CDU) nannte die Erziehung zur Zukunftsverantwortung angesichts der Möglichkeiten und Risiken neuer Techniken notwendig. Sach- und Fachwissen breiteten sich vehement aus; "die Reflexion und Einordnung des Neuen mit seinen vielfältigen Auswirkungen auf das Leben jedes einzelnen braucht Zeit zum Bedenken, braucht Schulen, die dazu Freiraum und Ruhe lassen, und Lehrer, die dieser Aufgabe gewachsen sind", erklärte der Redner und fügte an: "Diese Aufgaben können gerade in kleineren Schuleinheiten hervorragend erfüllt werden." Den Schulpolitikern der Regierungsfraktion warf Mohr vor, sie rekrutierten "die Gesamtschule um jeden Preis auf dem Rücken der Hauptschulen". Dabei bediene man sich "administrativer Tricks, einseitig fest- und ausgelegter Gesetze und Verordnungen". Die kommunale Selbstverwaltung werde "vergessen, eingeschränkt oder widerwillig geduldet".
Joachim Schultz-Tornau (F.D.P.) stellte fest, die Hauptschule befinde sich in einer Existenzkrise. Man stimme überein, nicht jede Hauptschule in ihrem Bestand zu garantieren oder die einzügige Hauptschule zum Regelfall werden zu lassen. Aber wenn durch Schließungen die Wohnortnähe verlorengehe und Fachräume wieder in Klassenräume umgewidmet würden, "dann sinkt die Attraktivität dieser Schulform zusätzlich". Bevor eine Schule geschlossen werde, sollte man versuchen, "Schulen durch Stützungsmaßnahmen und durch Zusammenarbeit benachbarter Hauptschulen zu erhalten". Mit kommunaler Selbstverwaltung habe es nichts mehr zu tun, wenn die Gemeinden nur noch zu entscheiden hätten, ob sie die Schule A oder B schließen.
Dr. Manfred Dammeyer (SPD) bezeichnete die von der Opposition unterstützte Bürgeraktion Schule als einen "Schlag ins Wasser" und als Täuschung der Bürger, die ihre Unterschrift geleistet hätten, weil die CDU diese Bürgerpetition nicht einmal dem Petitionsausschuß vorgelegt habe. Ob der Opposition noch nicht aufgefallen sei, daß "schon längst die Schulform Gymnasium die Schulform Hauptschule von dem Platz eins an Stärke in unserem Land verdrängt hat"? Seit Jahren hätten sich Eltern für eine längere und bessere Schulausbildung entschieden; daraus müßten die Schulträger die Konsequenzen ziehen. Das von der F.D.P. reklamierte Gutachten sei veröffentlicht und diskutiert worden. Die SPD werde die Anträge der Opposition ablehnen und dem von ihr vorgelegten Antrag zustimmen, weil er "die richtige Orientierung für die Schulpolitik in unserem Lande" sei.
Herbert Reul (CDU) nannte die Bezeichnung der Bürgerpetition als "angebliche Bürgerbewegung" eine Frechheit: Im Gegensatz zur SPD habe die CDU sie entgegengenommen, betonte er. "Wenn ein Drittel der Hauptschulen und mehr bedroht ist, wenn jede fünfte Realschule bedroht ist, wenn viele Gymnasien in ihrem Bestand bedroht sind, dann muß man darüber reden." Die politische Ent-Scheidung sei gefordert, und für die CDU gelte nach wie vor: "Lieber kleine Schulen als keine Schulen."
Bildunterschriften:
Schulpolitik in der Kontroverse: v.l. Brigitte Speth (SPD), Herbert Reul (CDU), Rudolf Wickel (F.D.P.) und Kultusminister Hans Schwier (SPD).
Schulstrukturen: v.l. Heinz Hilgers (SPD), Paul Mohr (CDU), Joachim Schultz-Tornau (F.D.P.) und Dr. Manfred Dammeyer (SPD).
Systematik: 4200 Schulen
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