Aufgrund von Wartungsarbeiten kann es in Teilen zu einem eingeschränkten Angebot oder zu veralteten Informationen kommen.

Suche in der Landtag-Intern-Datenbank

Hilfe

Suche

Mit diesem Suchfeld werden alle Wörter des Titels und des Artikels durchsucht, außerdem alle bei dem Artikel zusätzlich erfassten Angaben.

Trunkierung:
* am Ende eines Suchwortes ersetzt ein oder mehrere Zeichen.

Suchwortverknüpfungen:

–"und-Verknüpfung"
Mehrere hintereinander eingegebene Suchworte werden automatisch mit "und" verknüpft, d.h. alle Suchworte müssen in einem Artikel vorkommen.
–"oder-Verknüpfung"
Die Eingabe von "or" zwischen den Suchworten bewirkt eine "oder-Verknüpfung", d.h. es muss nur eines der Suchworte in einem Artikel vorkommen.
–"Phrasen-Suche"
Suchworte, die mit Anführungszeichen oder Hochkommata verbunden werden, werden nur dann gefunden, wenn sie in der vorgegebenen Reihenfolge in einem Artikel vorkommen.

Suchfeldverknüpfungen
Wenn Suchworte in mehreren Suchfeldern eingegeben werden, werden die Sucheinträge mit "und" verknüpft.

Autor

Beim Schreiben in das Feld "Autor" öffnet sich automatisch eine Vorschlagsliste, aus der durch Anklicken ausgewählt werden kann. Autoren sind Abgeordnete und Fraktionen. Journalisten sind nicht als Autoren, sondern über das Feld "Suche" recherchierbar. Mit dem Fraktionsnamen lassen sich nur die Beiträge des Feldes "Aus den Fraktionen" recherchieren.

Wenn kein Autor aus der Vorschlagsliste ausgewählt wird, bestehen folgende Verknüpfungsmöglichkeiten:

– "und-Verknüpfung"
Mehrere hintereinander eingegebene Namen werden automatisch mit "und" verknüpft, d.h. alle angegebenen Personen müssen Autoren eines gemeinsamen Artikels sein.
– "oder-Verknüpfung"
Die Eingabe von "or" zwischen mehreren Namen bewirkt eine "oder-Verknüpfung", d.h. nur eine der angegebenen Personen muss Autor eines Artikels sein.

Trunkierung
* am Ende eines Suchwortes ersetzt einen oder mehrere Buchstaben.

Suchfeldverknüpfungen
Wenn Suchworte in mehreren Suchfeldern eingegeben werden, werden die Sucheinträge mit "und" verknüpft.

Rubrik

In diesem Feld können Sie aus einer Liste die gewünschte Rubrik auswählen.
Rubriken sind über längere Zeiträume wiederkehrende Artikelformen, z.B. "Porträt" oder "Titelthema / Schwerpunkt".

Suchfeldverknüpfungen
Wenn Suchwörter in mehreren Suchfeldern eingegeben werden, werden die Sucheinträge mit "und" verknüpft.

Thema

In diesem Feld können Sie aus einer Liste von Themenbereichen auswählen.
Eine Suche mit "Themen" empfiehlt sich, wenn die freie Suchworteingabe zu viele oder gar keine Treffer ergibt.

Suchfeldverknüpfungen
Wenn Suchworte in mehreren Suchfeldern eingegeben werden, werden die Sucheinträge mit "und" verknüpft.

Lädt
Wählen Sie Suchergebnisse aus, die Sie gebündelt anzeigen oder ausdrucken lassen wollen.
  • HPV-Impfungen in der Schule?
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 7-8 in Ausgabe 1 - 30.01.2024

    17. Januar 2024 - Humane Papillomaviren, kurz: HPV, befallen Haut und Schleimhäute. Meist heilen die Infektionen problemlos ab - allerdings können sie später auch zu Krebserkrankungen führen. Da die Viren überwiegend sexuell übertragen werden, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) Schutzimpfungen vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Die Impfungen könnten auf freiwilliger Basis in Schulen erfolgen, regt die FDP-Fraktion in einem Antrag an. Sachverständige haben sich dazu in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales geäußert.
    Durch Impfungen könne die Zahl der Krebserkrankungen im Zusammenhang mit HPV deutlich gesenkt werden, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag (Drs. 18/5426). Allerdings seien in Deutschland im Jahr 2020 nur 51 Prozent der Mädchen und 17 Prozent der Jungen im Alter von 15 Jahren gegen HPV geimpft gewesen. Das von der Weltgesundheitsorganisation gesteckte Ziel, bis 2030 eine Impfquote von 90 Prozent bei 15-jährigen Mädchen zu erreichen, werde bislang deutlich verfehlt. Die Landesregierung solle deshalb an Schulen ein landesweit koordiniertes Programm freiwilliger Impfungen einführen und gemeinsam mit Ärztinnen, Ärzten und Krankenkassen über die Impfungen informieren.

    "Impfquoten zu niedrig"

    In einem Punkt waren sich die Sachverständigen einig: Die Impfquoten seien zu niedrig. "Fast alle sexuell aktiven Menschen infizieren sich mit HPV", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Ärztekammer Westfalen-Lippe für den Ausschuss. Häufig passiere das bei den ersten sexuellen Kontakten. Die meisten Infektionen seien innerhalb von zwei Jahren nicht mehr nachweisbar. Bei 10 Prozent der Betroffenen jedoch bestehe die Infektion länger und könne zu Krebsvorstufen und Krebserkrankungen führen.
    In Deutschland erkrankten jährlich rund 6.250 Frauen und etwa 1.600 Männer an Krebs durch HPV, so die Kammer weiter. Den größten Anteil habe dabei der Gebärmutterhalskrebs. In Ländern mit hoher Impfbeteiligung seien eine Abnahme der Krebsvorstufen am Gebärmutterhals und eine Verringerung der Krebsdiagnosen festgestellt worden. Informationskampagnen an Schulen seien deshalb wichtig. Die Impfungen aber sollten aus personellen und organisatorischen Gründen in Arztpraxen erfolgen. Zudem bestehe in der Regel "ein jahrelang gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen den Kinderärztinnen und -ärzten sowie Eltern und Kindern vor Ort".
    Ähnlich argumentiert die Ärztekammer Nordrhein: "Die eindeutige Empfehlung durch die Ärztin/den Arzt ist der wichtigste Faktor für die Akzeptanz einer Impfung." Flächendeckenden Schulimpfungen stehe man "eher skeptisch" gegenüber. Die Kammer empfiehlt stattdessen weitere Aufklärungskampagnen. Längst nicht alle Eltern wüssten, dass es Schutzimpfungen gegen bestimmte Krebserkrankungen gebe. Informationsveranstaltungen an Schulen könnten vom Öffentlichen Gesundheitsdienst sowie von ehrenamtlich aktiven Ärztinnen und Ärzten unterstützt werden.
    Der Kreis Steinfurt rät ebenfalls von Impfungen in Schulen ab. Die Anforderungen an Schulen seien bereits jetzt vielfältig. Ein Impfprogramm würde "einen weiteren Belastungsfaktor für das System darstellen". Gleichwohl teile man das im FDP-Antrag genannte Ziel uneingeschränkt - die Aufklärung über HPV müsse verstärkt werden. Möglich sei dies im Biologie- und Sexualkundeunterricht der allgemeinbildenden Schulen.
    Das Deutsche Krebsforschungszentrum dagegen hält die Einführung freiwilliger Impfungen in Schulen für sinnvoll. "Die niedrigen HPV-Impfraten in NRW und in Deutschland zeigen, dass neue Strategien notwendig sind, um die Impfraten zu erhöhen", heißt es in der Stellungnahme. Jugendliche würden bisher nicht im gewollten Maße erreicht. Ein Grund sei, dass sie seltener Arztpraxen aufsuchten. In Schulen dagegen könnten flächendeckend alle Kinder und Jugendlichen angesprochen, informiert und zu einer freiwilligen Impfung eingeladen werden. Dies könne das bestehende Impfangebot in den Praxen ergänzen.

    "Politische Weichenstellungen"

    Der Berufsverband der Frauenärzte unterstützte den Antrag ebenfalls. Er empfahl ein "organisiertes, schulbasiertes HPV-Impfprogramm unter Einbeziehung von Impfärztinnen und -ärzten aus den Strukturen der ambulanten Versorgung". Neben dem Engagement von Ärztinnen und Ärzten seien auch politische Weichenstellungen erforderlich. Die Zahl der HPV-Impfungen sei deutlich zurückgegangen, besonders die Erstimpfungen bei Jungen.
    Regionale Initiativen zeigten eindrucksvoll die Effektivität von Schulimpfprogrammen, heißt es in der Stellungnahme von "preventa". Die Stiftung mit Sitz in Mannheim konzentriert sich eigenen Angaben zufolge auf die "Ausrottung" der durch HPV ausgelösten Tumore. In der Metropolregion Rhein-Neckar sei die anfänglich niedrige Impfquote von 22 Prozent seit 2015 durch ein freiwilliges Impfprogramm an Schulen in den beteiligten Klassen auf etwa 80 Prozent gesteigert worden. Freiwillige Schulimpfungen seien eine "notwendige und sinnvolle Ergänzung bestehender Versorgungsstrukturen".
    zab

    Zusatzinformationen:
    Stichwort HPV
    Humane Papillomaviren (HPV) treten bei Frauen und Männern auf. Die Viren werden überwiegend sexuell übertragen. Infektionen mit Hochrisiko-HPV-Typen können zu bösartigen Tumoren führen, Infektionen mit Niedrigrisiko-HPV-Typen zu Genitalwarzen.
    Als effektivste Maßnahme gegen HPV-Infektionen gelten vorbeugende Schutzimpfungen.
    Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit 2007 für Mädchen und seit Juni 2018 auch für Jungen die Impfung gegen HPV im Alter von 9 bis 14 Jahren. Für eine komplette Grundimmunisierung sind in diesem im Alter zwei Impfungen erforderlich. Bei älteren Jugendlichen sind es drei Impfungen.
    (Quelle: Robert Koch-Institut)

    Systematik: 5210 Gesundheitsschutz

    ID: LI240107

  • Bachelor aus Bulgarien, Ausbildung in Afghanistan.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 13-14 in Ausgabe 8 - 19.12.2023

    8. November 2023 - In vielen Berufen mangelt es an Personal, auch in Nordrhein-Westfalen. Ohne genügend Fach- und Arbeitskräfte komme ein attraktiver Wirtschaftsstandort jedoch nicht aus, argumentieren CDU und Grüne in einem Antrag. Sie wollen daher die Potenziale von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besser ausschöpfen und ebenso Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen. Zur Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse befragten der Arbeits- und der Integrationsausschuss Sachverständige aus Behörden und Praxis.
    In ihrem Antrag "Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse beschleunigen - Potenziale nutzen, Engstellen beseitigen, Karrieren ermöglichen" (Drs. 18/4559) fordern CDU und Grüne die Landesregierung zu Sofortmaßnahmen auf. Sie solle u. a. für einen niedrigschwelligen und mehrsprachigen Zugang zur Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung sorgen und den Prozess der Berufsanerkennung unbürokratischer und attraktiver gestalten. Denkbar sei auch eine Erfassung der beruflichen Potenziale von Geflüchteten in Unterbringungseinrichtungen des Landes. In einem mitberatenen Entschließungsantrag (Drs. 18/4670) fordert die SPD-Fraktion u. a., Ausländerbehörden zu "Willkommensbehörden" umzubauen.
    Die Sachverständigen begrüßten das Ziel, im Ausland erworbene Berufsabschlüsse schneller anzuerkennen. Zentral sei, das inländische Fachkräftepotenzial der bereits hier lebenden Menschen zu aktivieren, erklärte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Der Antrag falle in Teilen aber hinter die Fachkräftestrategie des Landes zurück. Er enthalte Prüfaufträge und Bestandsaufnahmen, obwohl im Strategiepapier des Landes bereits Vorhaben zur Umsetzung formuliert seien. Ohne zusätzliches Geld gehe es nicht. Zudem warnte der DGB: "Einwanderung darf nicht dazu dienen, gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge zu unterlaufen."
    Lägen alle erforderlichen Dokumente vor, dauere ein Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen zwei bis vier Wochen, erläuterten die Handwerkskammern Düsseldorf und Köln in ihrer gemeinsamen Stellungnahme. Wegen einer Regelungslücke zähle die Dauer aber bereits ab einem Zeitpunkt, an dem wichtige Unterlagen noch fehlten, nämlich Angaben zu den Ausbildungsinhalten im Ausland. Diese seien teils schwer zu beschaffen und teuer zu übersetzen. Die Übersetzungskosten schreckten viele Menschen ab, ein Anerkennungsverfahren anzustoßen.

    Nachqualifizierung

    Laut Stellungnahme der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Nordrhein-Westfalen ergeben nur knapp die Hälfte aller Anerkennungsverfahren eine Gleichwertigkeit der Qualifikation. Eine Nachqualifizierung koste Zeit und Geld, gaben die Kammern zu bedenken und brachten den alternativen Erwerb von Berufserfahrung ins Spiel. An einem schnelleren Einstieg in den Beruf hätten häufig sowohl die Fachkräfte als auch die Betriebe ein Interesse. Die Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit begrüßte die Vorschläge im Antrag. "Gesetzliche Arbeitsverbote für Geflüchtete limitieren allerdings für die Dauer des Aufenthalts in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente", heißt es in ihrer Stellungnahme. Eingesetzt würden jedoch Online-Anwendungen, um eigene Ziele, Potenziale und Kompetenzen zu identifizieren. Die Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung verfüge inzwischen über ein mehrsprachiges Beratungsangebot, um im Ausland lebende Interessierte anzusprechen. Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland bot in ihrer Stellungnahme Unterstützung an: Sie verfüge über "eine Expertise in der beruflichen Qualifikation, beruflichen Eingliederung und konkreten Vermittlung in Beschäftigung, die für den Personenkreis der Geflüchteten und Zugezogenen aus dem Ausland nicht genutzt wird". Auch Partnerinnen und Partner wie Berufsförderungswerke und Berufliche Trainingszentren könne man einbinden.
    Der Antrag habe vor allem industrielle Berufe im Blick, bemerkte die Freie Wohlfahrtspflege NRW. Pflege- und Erziehungsberufe spielten kaum eine Rolle. Zum einen aber stelle die Sozialwirtschaft selbst einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Zum anderen sorge das Personal in Pflege- und Betreuungsberufen dafür, dass die Arbeitskräfte dem Markt überhaupt zur Verfügung stünden und nicht wegen Betreuungsaufgaben ausfielen. Der Verband forderte ein Gesamtkonzept, das eine differenzierte Beratung beinhalte und Faktoren wie Wohnen, Spracherwerb und Kinderbetreuung berücksichtige.

    Kulturwechsel

    Ausdrücklich zu begrüßen sei der im SPD-Antrag geforderte Kulturwechsel, heißt es in der Stellungnahme der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender. Denn Deutschland tue "gerade alles dafür, um für Einwandernde unattraktiv zu werden". Vorschläge zu "Verschärfungen, Abschottung und Abschiebungen" seien kontraproduktiv: "Die Asylsuchenden von heute sind die Fachkräfte von morgen." Der Verband forderte u. a. einen "Spurwechsel": Wessen Asylantrag abgelehnt werde, müsse in einen "Aufenthalt für die Arbeit" wechseln können. Dies schaffe Sicherheit nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Betriebe.
    Aus der Praxis berichteten Vertreter der Educaro Deutschland GmbH, einer Agentur, die seit 2018 auf die Migration von Pflegekräften nach Deutschland spezialisiert ist. Der gesamte Anerkennungsprozess gehöre auf den Prüfstand gestellt - idealerweise unter Mitwirkung aller beteiligten Stellen. Zudem seien mehr Personal für die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung, eine weitere Digitalisierung und verbindliche Zeitvorgaben geboten. Unverständliche Formulare, uneinheitliches Vorgehen, hohe Kosten und eine Gesamtdauer des Anerkennungsprozesses von bis zu einem Jahr führten zu Frustration und Absprung von Kandidatinnen und Kandidaten, aber auch von Kliniken und Pflegeeinrichtungen.
    sow

    Zusatzinformation:
    Alle Stellungnahmen zur Anhörung finden Sie unter dem QR-Code auf der Originalseite

    Systematik: 2450 Arbeitsbedingungen; 5070 Ausländer/Vertriebene/Aus- und Übersiedler

    ID: LI230815

  • Schmitz Marco (CDU); Teschlade Lena (SPD); Rauer Benjamin (Grüne); Schneider Susanne (FDP); Dr. Vincentz Martin (AfD)
    Standpunkte: Ausländische Berufs- und Bildungsabschlüsse.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 14-15 in Ausgabe 8 - 19.12.2023

    Die Anerkennung von Bildungs-und Berufsabschlüssen ...

    Marco Schmitz (CDU) ... muss beschleunigt werden, um die Integration von internationalen Fachkräften zu fördern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Derzeitige Verfahren sind oft langwierig und komplex, was zu Frustration und Verzögerungen führt. Effizientere Strukturen, die den Prozess transparenter gestalten und Ressourcen für eine beschleunigte Bearbeitung bereitstellen, sind notwendig.
    Lena Teschlade (SPD) ... ermöglicht qualifizierte Arbeitsmigration und dient der Sicherstellung von Qualitätsstandards. Hierzu ist eine ressourcenorientierte Prüfung der individuellen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt sinnvoll, die eine gute personelle und bürokratische Infrastruktur voraussetzt.
    Benjamin Rauer (Grüne) ... muss auf allen Ebenen noch deutlich einfacher, schneller und digitaler gehen. Dazu gehört auch, die zuständigen Stellen so auszugestalten, dass sie niedrigschwellig und mehr-sprachig über die einzelnen Schritte für die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens informieren. Wir wollen unnötige bürokratische Hürden abbauen.
    Susanne Schneider (FDP) ... benötigt immer noch zu viel Zeit. Prüfungsverfahren, die sich über Monate ziehen, frustrieren die Betroffenen und sind in Zeiten des Fachkräftemangels nicht hinnehmbar. Selbst bei Gesundheitsberufen können die Verfahren trotz aller Beschleunigungsmaßnahmen über ein halbes Jahr dauern. Ver-mehrte Teilanerkennungen können ein Mittel sein, Menschen einen ersten Einstieg in Arbeit zu ermöglichen.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist ein notwendiges Verfahren zur Aufrechterhaltung der qualitativ hohen Standards deutscher Bildungs- und Berufsabschlüsse.

    Einwanderung ...

    Marco Schmitz (CDU) ... ist eine der drei Säulen, mit der der Fachkräftemangel in unserem Land behoben werden kann. Neben der Ausbildung von Jugendlichen und der Hebung inländischer Potentiale müssen bedarfsorientiert auch Menschen angeworben werden. Hierfür ist eine breite gesellschaftliche Willkommenskultur notwendig, um als Land für qualifizierte Zuwanderer attraktiv zu sein.
    Lena Teschlade (SPD) ... ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Viele Menschen, die zu uns kommen, sind gut qualifiziert. Damit die Menschen hier gerne arbeiten und leben, brauchen wir eine echte Willkommenskultur und weniger Hürden, zum Beispiel im Bereich der Berufsanerkennung.
    Benjamin Rauer (Grüne) ... von Fach- und Arbeitskräften ist nötig, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Daher braucht es auch bei der Berufsanerkennung eine Willkommenskultur. Damit Menschen in ihren erlernten Berufen schnell bei uns arbeiten können, wollen wir die Anerkennung ausländischer Abschlüsse beschleunigen. Wenn sich Verfahren als zu kompliziert und langwierig erweisen, wandern Fachkräfte in andere Länder ab.
    Susanne Schneider (FDP) ... ist ein wichtiges Instrument, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, unsere Sozialsysteme zu stabilisieren und so den Wohlstand in unserem Land zu sichern. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz des Bundes war ein überfälliger Schritt, um die Einwanderung neu zu ordnen. Wir brauchen mehr reguläre und weniger irreguläre Migration. Mit unbürokratischen Verfahren können wir besser um Talente für unseren Arbeitsmarkt werben.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... kann unter bestimmten Voraussetzungen dem Fachkräftemangel entgegenwirken, wenn der Fokus stärker auf gut ausgebildeten Migranten liegt.
    (siehe Fortsetzung)

    ID: LI230816

  • Schmitz Marco (CDU); Teschlade Lena (SPD); Rauer Benjamin (Grüne); Schneider Susanne (FDP); Dr. Vincentz Martin (AfD)
    Standpunkte: Ausländische Berufs- und Bildungsabschlüsse (Fortsetzung).
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 14-15 in Ausgabe 8 - 19.12.2023

    Geflüchtete ...

    Marco Schmitz (CDU) ... sollten möglichst schnell die Möglichkeit bekommen, eine Arbeitsstelle in Deutschland anzunehmen. Dabei müssen wir auch Teil- und Nachqualifizierungen der Ausbildung ermöglichen. Eine schnellere Anerkennung von Abschlüssen ist nicht nur ein Beitrag zur Chancengleichheit, sondern auch ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Nordrhein-Westfalens im globalen Arbeitsmarkt.
    Lena Teschlade (SPD) ... brauchen einen zügigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Arbeit ist ein wichtiger Faktor zur Integration. Zudem trägt die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, sowohl zum individuellen als auch zum Gemeinwohl bei.
    Benjamin Rauer (Grüne) ... suchen bei uns Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung und haben ein Recht auf ein individuelles Asylverfahren. Sie bringen vielfältige Berufserfahrungen und Bildungskompetenzen mit - diese Potenziale für den Arbeitsmarkt möchten wir heben. Wir setzen uns daher für eine möglichst frühzeitige Beratung zum Arbeitsmarkt und Anerkennungsverfahren bereits in den Unterbringungseinrichtungen des Landes ein.
    Susanne Schneider (FDP) ... mit Bleibeperspektive sollen schneller und leichter eine Arbeit aufnehmen dürfen als bisher. Die beste Integration ist eine Integration in den Arbeitsmarkt. Deshalb brauchen wir einen verstärkten Fokus auf einen Berufseinstieg. Die Gesetzeslage sieht ggf. auch eine Vermittlung in Arbeitsplätze mit geringeren Qualifikationsanforderungen vor - dies müssen die Jobcenter konsequent anwenden.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... können durch die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und der damit einhergehenden Integration in die Gesellschaft erlangen.

    Unternehmen ...

    Marco Schmitz (CDU) ... profitieren von einer schnelleren Anerkennung von Berufsabschlüssen: Das ermöglicht ihnen eine schnellere Integration hochqualifizierter internationaler Fachkräfte. Neben der Linderung des Fachkräftemangels steigert dies die Vielfalt, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, die entscheidend sind für den Erfolg in einer globalisierten Wirtschaft.
    Lena Teschlade (SPD) ... benötigen vereinfachte bürokratische Prozesse, um ausländische Arbeitskräfte anstellen zu können. Die Motivation und Bereitschaft, passende Arbeitskräfte auch unter Geflüchteten und Menschen mit Migrationsgeschichte sowie im Ausland zu finden, ist hoch und darf nicht durch bürokratische Engstellen ausgebremst werden.
    Benjamin Rauer (Grüne) ... brauchen dringend mehr Arbeitskräfte, und zwar in fast allen Branchen. Aktuell können die Unternehmen in Deutschland rund 1,73 Millionen offene Stellen nicht besetzen. Diese Lücke auf dem Arbeitsmarkt, die in den nächsten Jahren durch den demografischen Wandel noch größer wird, muss auch durch Zuwanderung geschlossen werden, da sind sich Politik, Wirtschaft und Fachleute einig.
    Susanne Schneider (FDP) ... suchen händeringend qualifizierte Arbeitskräfte. Viele Ausbildungen im Ausland sind häufig eher praxisorientiert. Um die fachlichen Standards und die hohe Ausbildungsqualität der deutschen Berufsbilder zu sichern, müssen theoretische Kenntnisse bei Bedarf nachgeholt werden. Solche Nachqualifizierungen sollten aber möglichst innerbetrieblich erfolgen, sofern der jeweilige Betrieb dazu in der Lage ist.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... profitieren von der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen, da sie sich hier an den nationalen Standards orientieren können.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230817

  • Ringen um die Finanzen.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 9-10 in Ausgabe 7 - 31.10.2023

    19. Oktober 2023 - Die Fachausschüsse des Landtags beraten derzeit über den Entwurf der Landesregierung für den Haushalt 2024. Für Dezember ist die Verabschiedung geplant. In einer Anhörung des federführenden Haushalts- und Finanzausschusses äußerten sich nun Sachverständige zu den finanzpolitischen Plänen der Landesregierung.
    Der Haushaltsentwurf der schwarz-grünen Landesregierung (Drs. 18/5000) sieht Ausgaben in Höhe von rund 101,9 Milliarden Euro und damit 7,2 Milliarden Euro mehr als im laufenden Jahr vor. Es ist keine Aufnahme neuer Schulden vorgesehen.
    Die Landesregierung rechnet mit Steuereinnahmen in Höhe von 77,7 Milliarden Euro im Vergleich zu 74,4 Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Personalausgaben betragen 34,5 Milliarden Euro (32,1). Die Summe der Investitionen steigt von 9,9 auf 10,8 Milliarden Euro. Schwerpunkte bei den Investitionen sind laut Landesregierung Bildung, Klimaschutz und die Energiewende.
    Zu der mehrstündigen Anhörung waren Vertreterinnen und Vertreter von mehr als 50 Verbänden, Vereinen und anderen Organisationen eingeladen worden - darunter Gewerkschaften, Bildungs- sowie Umwelt- und Naturschutzverbände, Interessenvertretungen aus der Justiz, dem Justizvollzug, der Wohlfahrt, von Polizei und weiteren gesellschaftlichen Gruppen. Alle eingegangenen Stellungnahmen und ein Video der Anhörung finden Sie im Internet unter www.landtag.nrw.de.

    Schulden und Zinsbelastung

    Der Landesrechnungshof begrüßte die Entscheidung der Landesregierung, ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommen zu wollen. "Vor allem wegen des Rekordschuldenstandes des Landes von über 160 Milliarden Euro und der durch den Schuldenstand hervorgerufenen Zinsbelastung ist die strikte Beachtung des Regel-Ausnahmeprinzips der Schuldenbremse unumgänglich." Als "im Grundsatz begrüßenswerte Schritte" erkenne der Landesrechnungshof auch u. a. die erfolgte Bildung von Ausgabenschwerpunkten und einzelne Prioritätensetzungen an. Dennoch bezweifle man, "ob die Aufstellung eines soliden, nachhaltigen und generationengerechten Haushalts in der erforderlichen Stringenz" gelungen sei. So sei die Finanzierung der Priorisierungen "nicht durchgängig durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle" belegt.
    Die Städte, Gemeinden und Kreise verwiesen auf ihre finanzpolitisch schwierige Situation. Sie müssten "kurz- und mittelfristig eine nie dagewesene Kumulation gleichzeitig auftretender Herausforderungen bewältigen", heißt es in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen. Den Spitzenverbänden sei bewusst, dass sich auch das Land in einer schwierigen Haushaltslage befinde. Viele Herausforderungen, vor denen die Kommunen stünden, gälten "in ähnlicher und zum Teil gesteigerter Form für den Landeshaushalt". Die Verbände mahnen zugleich, dass das Ziel der Schwarzen Null "nicht auf dem Rücken der Kommunen erreicht werden" dürfe. Trotz schwieriger Ausgangslage steige das Haushaltsvolumen um ca. 7,6 Prozent, die Mittel zugunsten der Kommunen würden aber nur um 0,3 Prozent angehoben. "Dieses Missverhältnis ist durch eine Anhebung der Mittel für die Kommunen anzupassen."
    Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen wies ebenfalls auf die schwierige allgemeine Lage hin und nannte u. a. sinkende Steuereinnahmen aufgrund der schwächelnden Wirtschaft bei zugleich zahlreichen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund werde positiv gesehen, dass die Landesregierung 2024 "im Kernhaushalt keine neuen Schulden" aufnehmen wolle, nicht bei den Investitionen spare und zusätzlich in die Tilgung der aufgenommenen Sonderschulden aus den vergangenen Jahren einsteigen wolle. Begrüßt würden auch die Einsparbemühungen. Der Steuerzahlerbund kritisiert auf der anderen Seite u. a. den Anstieg der Personalausgaben und den Stellenzuwachs. Er fordert einen Subventionsbericht, um Einsparungen zu identifizieren, sowie eine schnellere Tilgung der Schulden aus den Sondervermögen, um ein weiteres Anwachsen der Zinskosten zu verhindern.

    Schuldenbremse

    Das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sieht "deutlich reduzierte Handlungsspielräume" im Landeshaushalt aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage. Durch die Rückkehr zur Schuldenbremse sei es erforderlich, mit der Tilgung der in den vergangenen Jahren aufgenommenen Kredite zu beginnen. Für die Mittel aus dem coronabedingten NRW-Rettungsschirm sei ein Tilgungszeitraum von 50 Jahren vorgesehen, "was insgesamt wenig ambitioniert" erscheine. Allerdings werde für 2024 mit einer Rückzahlung von 3 Milliarden Euro ein "deutliches Signal" gesetzt, dass die Rückzahlung konjunkturgerecht erfolgen solle.
    Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht enge finanzpolitische Spielräume. Die Schuldenbremse zwänge die Haushaltspolitik "in den kommenden Jahren in ein enges Korsett". Dies gehe zulasten wichtiger Aufgaben. "Es stellt sich offenkundig die Frage, wie diese vielfältigen Herausforderungen gleichzeitig finanziert werden sollen, ohne auf zusätzliche Kredite zurückzugreifen", heißt es in der Stellungnahme. Das IW bringt daher eine "wohlbedachte Öffnung der Schuldenbremse" ins Spiel. Sie würde wichtige Spielräume eröffnen, ohne nachhaltig Staatsfinanzen zu gefährden. Das Institut schlägt die Möglichkeit für eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 0,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. "Für NRW würde dies im Jahr 2024 einen zusätzlichen Haushaltsspielraum von knapp 1,4 Milliarden Euro bedeuten, der im Zeitverlauf kontinuierlich steigen dürfte."
    wib

    Systematik: 1220 Landesregierung; 8300 Öffentlicher Haushalt

    ID: LI230704

  • Lehne Olaf (CDU); Baer Alexander (SPD); Rock Simon (Grüne); Witzel Ralf (FDP); Dr. Beucker Hartmut (AfD)
    Standpunkte: Haushaltsentwurf 2024.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 7 - 31.10.2023

    Der Haushalt 2024 ...

    Olaf Lehne (CDU) ... wird unter schwierigen Rahmenbedingungen beraten. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wirken fort, die hierdurch ausgelöste Energie- und Konjunkturkrise belastet die Wirtschaft und insbesondere die energieintensive Industrie in unserem Land. Das wirkt sich auch auf die Einnahmen des Landes aus und macht Einsparungen erforderlich.
    Alexander Baer (SPD) ... ist unkreativ und lässt nicht erkennen, wie die Landesregierung die Probleme des Landes angehen will. Vielmehr wird in vielen wichtigen Bereichen wie dem Sport sogar der Rotstift angesetzt. Die Demonstration mit mehr als 20.000 Beteiligten am 19. Oktober vor dem Landtag hat deutlich gemacht, dass es um die Zukunft der sozialen Infrastruktur geht.
    Simon Rock (Grüne) ... ist geprägt von den Krisen unserer Zeit und deshalb ein Sparhaushalt. Trotz steigendem Haushaltsvolumen ist nicht alles finanzierbar, was politisch wünschenswert ist. Insbesondere die Inflation, die schwierige wirtschaftliche Situation sowie der Anstieg gesetzlich vorgeschriebener Ausgaben stellen uns vor große Schwierigkeiten.
    Ralf Witzel (FDP) ... ist trotz historischer Rekordeinnahmen strukturell nicht ausgeglichen, da seine Finanzierung auf Sondereffekte und Taschenspielertricks setzt: Ausgabenreste aus früheren Jahren werden ins neue Jahr umgebucht, die NRW.BANK ausgeplündert, der Pensionsfonds angezapft statt befüllt und Zehntausende offene Stellen nicht besetzt. Notwendige Impulse für Wohlstand, Wachstum und Zukunftsinvestitionen fehlen.
    Dr. Hartmut Beucker (AfD) ... ist ein Zahlenwerk des Scheiterns. Er ist auf Kante genäht. Die schwarz-grüne Koalition muss an die eiserne Reserve des Pensionsfonds gehen, um den Ausgleich sicherzustellen. Die Zinsausgaben steigen dank hoher Altschulden. Die desaströse Ampelpolitik mit ihrer Industriefeindlichkeit kommt in NRW im Haushalt an.

    Priorisierungen ...

    Olaf Lehne (CDU) ... sind bei diesen Rahmenbedingungen unumgänglich. Wir setzen einen Schwerpunkt bei Schule und Bildung, bei Kindern, Jugend und Familien. Allein für die Bildung geben wir insgesamt rund 38 Milliarden Euro aus - mehr als ein Drittel aller Ausgaben. Auch die Stärkung der Inneren Sicherheit mit 3.000 neuen Kommissaranwärtern bleibt Eckpfeiler unseres Handelns.
    Alexander Baer (SPD) ... sind in diesem Entwurf nicht zu erkennen. Zwar rühmt sich die Landesregierung damit, dass Bildung und Innere Sicherheit einen Schwerpunkt bilden, davon ist im Haushalt selbst aber nichts zu erkennen. Vielmehr wird beispielsweise bei der Ausrüstung der Polizei sogar gespart. Auch im Schulbereich werden die drängenden Probleme nicht angegangen.
    Simon Rock (Grüne) ... sind dringend notwendig. Wir haben deshalb als schwarzgrüne Koalition einen Schwerpunkt auf Zukunftsausgaben wie Bildung und Klimaschutz gelegt. So investieren wir auch in diesen finanziell sehr herausfordernden Zeiten in unsere Zukunft sowie in die unserer Kinder und treiben dabei den Ausbau der Erneuerbaren Energien voran.
    Ralf Witzel (FDP) ... finden leider nicht sinnvoll statt. Dreistellige Millionenbeträge werden für ein Dickicht an zweifelhaften bürokratischen Förderprogrammen oder den grünen Transformationsfonds verschleudert. Statt dieser staatlichen Verhaltens- und Wirtschaftslenkung würden marktwirtschaftliche Impulse mehr Wachstum (und in der Folge Einnahmen) generieren. Bei dieser Mangelverwaltung fehlen Mut und Kraft für neue Ideen.
    Dr. Hartmut Beucker (AfD) Der Rechtsstaat muss handlungsfähig bleiben. Darüber hinaus ist endlich mit einer Aufgabenkritik zu beginnen und der Beschäftigten-Überhang in den Ministerien abzubauen. Die Kosten für die Versorgung von Migranten müssen auf ein Mindestmaß reduziert werden.
    (siehe Fortsetzung)

    ID: LI230711

  • Lehne Olaf (CDU); Baer Alexander (SPD); Rock Simon (Grüne); Witzel Ralf (FDP); Dr. Beucker Hartmut (AfD)
    Standpunkte: Haushaltsentwurf 2024 (Fortsetzung).
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 7 - 31.10.2023

    Die Schuldenbremse ...

    Olaf Lehne (CDU) ... ist das Fundament unserer nachhaltigen, soliden und generationengerechten Haushaltspolitik. Für den Haushalt 2024 bedeutet das, dass wir keine neuen Kredite aufnehmen werden. Denn klar ist: In Zeiten steigender Zinsen gibt es Schulden nicht mehr zum Nulltarif. Die Schulden von heute engen die Handlungsspielräume von morgen ein.
    Alexander Baer (SPD) ... darf dringend benötigte Investitionen nicht verhindern. Der DGB hat in einer Studie aufgezeigt, wo diese Bedarfe sind und wie sie trotz Schuldenbremse behoben werden können. Mit der NRW.Bank und anderen Landesbeteiligungen verfügt das Land über ausreichend Möglichkeiten, um die Infrastruktur trotz Schuldenbremse zu ertüchtigen. Dazu fehlt Schwarz- Grün aber offensichtlich der Mut.
    Simon Rock (Grüne) ... im Grundgesetz braucht dringend ein Update, damit sinnvolle Zukunftsinvestitionen nicht an der Finanzierung scheitern.
    Ralf Witzel (FDP) ... ist von zentraler Bedeutung für solide und nachhaltige Finanzen im Sinne der jungen Generation und das Standortvertrauen der Wirtschaft. Leider wird sie aber von den Grünen abgelehnt und der CDU nur formal eingehalten. Fragwürdige Einmalerlöse verdecken die strukturelle Unterfinanzierung dieses Haushalts. Bereits 2023 hat eine wohl unzulässige Kreditaufnahme das Neuverschuldungsverbot durchbrochen.
    Dr. Hartmut Beucker (AfD) ... ist notwendig und muss beachtet werden. Sie muss endlich in der Landesverfassung verankert werden. Ökonomisch mögen gewisse Spielräume bei der Verschuldung geboten sein, Politiker vergessen aber leider immer, in guten Zeiten die Verschuldung zurückzuführen. Die Schuldenbremse ist das einzige wirksame Mittel dagegen.

    Herausforderungen ...

    Olaf Lehne (CDU) ... gehen wir mit Entschlossenheit und einem klaren Kompass an. Es hilft aber nicht, wenn einem aus Berlin immer weitere Steine in den Weg gelegt werden. Die Entlastungsmaßnahmen des Bundes engen unsere Spielräume im Umfang von 4 Milliarden Euro pro Jahr ein. Gleichzeitig fehlen konkrete und verlässliche Zusagen der Ampel beispielsweise bei der Flüchtlingsfinanzierung oder den kommunalen Altschulden.

    Alexander Baer (SPD) ... müssen aktiv angegangen und gelöst werden. Dafür bietet der Landeshaushalt die Grundlage. Nach über einem Jahr lässt die Landesregierung immer noch nicht erkennen, wie sie die enormen Herausforderungen meistern will. Das haben auch alle Sachverständigen in der Anhörung deutlich gemacht. Der stete Fingerzeig nach Berlin reicht nicht, jetzt sind Mut und aktives Anpacken gefragt.
    Simon Rock (Grüne) ... bleiben groß, werden wir aber gemeinsam meistern. In schwierigen Zeiten müssen alle demokratischen Parteien an gemeinsamen Lösungen arbeiten, um den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes die bestmöglichen Leistungen und Lebensbedingungen bieten zu können.
    Ralf Witzel (FDP) ... werden sogar da nicht in Angriff genommen, wo CDU und Grüne dies versprochen haben, wie bei verbesserten Kommunalfinanzen. In Zeiten von Rekordinflation fehlen Entlastungen für Bürger und Betriebe. Chancen für eine wachstumsfördernde und vermögensbildende niedrigere Grunderwerbsteuer für Wohneigentum wurden ebenso verspielt wie für eine faire aufkommensneutrale Grundsteuer und maßvolle Kommunalabgaben.
    Dr. Hartmut Beucker (AfD) ... sind der immer stärker werdende Zufluss an Migranten nach Nordrhein-Westfalen, die marode Infrastruktur, die Verschuldung der Kommunen, die steigenden Zinsen und der hohe Altschuldenberg. Außerdem ist es fraglich, ob die aktuelle Besoldung der Beamten den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230726

  • Wenn die Seele Hilfe braucht.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9-10 in Ausgabe 6 - 26.09.2023

    13. September 2023 - Die SPD-Fraktion beklagt "Defizite in der psychotherapeutischen Versorgung" im Land. Viele Menschen litten nach Corona noch immer unter den Folgen von Einsamkeit und seelischen Erkrankungen, heißt es in einem Antrag (Drs. 18/3666). In einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales äußerten sich Sachverständige dazu.
    Unterversorgt seien ländliche Regionen, aber auch Stadtteile mit vielen Arbeitslosen, einem hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten, Geflüchteten sowie Menschen in prekären Verhältnissen. Die Lebensbedingungen dort führten zu einem erhöhten Risiko seelischer Erkrankungen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine könne die Situation weiter verschärfen. Expertenschätzungen zufolge werde ein Drittel der geflüchteten Menschen aus der Ukraine eine seelische Erkrankung entwickeln. "Diesen Menschen muss ein Anspruch auf Sprachmittlung in der Psychotherapie gewährleistet werden", so die Fraktion.
    Eine der SPD-Forderungen: Die Landesregierung solle sich gemeinsam mit dem Bund für eine Reform der psychotherapeutischen Bedarfsplanung einsetzen.
    Die Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen sieht das in ihrer schriftlichen Stellungnahme für den Ausschuss ähnlich. Psychische Erkrankungen erzeugten "sehr viel individuelles Leid und belasten das soziale Umfeld aller Betroffenen". Die Kammer führt zudem den volkswirtschaftlichen Schaden durch psychische Erkrankungen an: "Sie machen mittlerweile fast die Hälfte aller Zugänge in die Erwerbsminderung aus und waren 2022 die dritthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland."
    Die Versorgung der Bevölkerung sei vor allem in strukturschwachen Regionen nicht gewährleistet, so die Kammer. Sie führt dies u. a. auf "Webfehler" der Bedarfsplanungs-Richtlinie zurück, die Anfang der 1990er-Jahre eingeführt wurde. Von Anfang an seien zu wenig niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten eingeplant worden. Der Bedarf werde "bis heute gravierend unterschätzt". Betroffen seien in Nordrhein-Westfalen besonders stark Menschen auf dem Land. "Es ist nicht hinzunehmen, dass ihnen weite Wege zur Psychotherapie mit langen Wartezeiten auf Behandlungsplätze zugemutet werden, insbesondere wenn es um die Behandlungen von Kindern geht."
    Benachteiligt würden aber auch Betroffene im Ruhrgebiet. Seit der Reform der Bedarfsplanung von 2017 seien dort etwa 85 neue Zulassungsmöglichkeiten genehmigt worden. Erforderlich wären aber rund 300 gewesen, schreibt die Kammer.
    Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Nordrhein sowie Westfalen-Lippe beurteilen die Lage anders. "Die aktuelle psychotherapeutische Versorgungssituation in Nordrhein ist nach den Kriterien der Bedarfsplanungs-Richtlinie grundsätzlich als gut zu bewerten", schreibt die KV Nordrhein. In ihrem Zuständigkeitsbereich lägen die Versorgungsgrade aktuell zwischen 108 und 247 Prozent. Um das Angebot "trotz der bestehenden rechnerischen Überversorgung" weiter auszubauen, setze man auf das Instrument "Sonderbedarf". Aktuell arbeiteten in der Region Nordrhein mehr als 270 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rahmen des Sonderbedarfs. Sie seien "zusätzlich im System und ebenfalls an der Sicherstellung der Versorgung beteiligt".

    "Bedarf nicht quantifizierbar"

    Es sei fraglich, ob der im SPD-Antrag geschilderte erhöhte Versorgungsbedarf durch die Corona-Pandemie, Armut oder die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine "tatsächlich langfristig und nachhaltig ist", schreibt die KV Westfalen-Lippe. Der Bedarf sei "nicht quantifizierbar". Dies sei für eine regionale Anpassung der Bedarfsplanung aber erforderlich. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, habe "nach mehrmaliger Prüfung ausdrücklich davon Abstand genommen, soziostrukturelle Aspekte ('Armut') in die Bedarfsplanung einfließen zu lassen". Begründung: Die kleinräumige Datenlage sei schlecht, ein Zusammenhang von Armut und Krankheit bisher nicht belegt.
    Auch veränderte gesellschaftliche Strukturen trügen dazu bei, dass mehr Menschen ambulante Psychotherapien in Anspruch nähmen, heißt es in der Stellungnahme der Techniker Krankenkasse (TK): "Medial getriggerte Schönheitsideale führen zu Essstörungen und Mobbing in Netzwerken sogar zu Suizidgedanken." Auch die Definition, welche seelische Abweichung als eine "krankheitswertige psychische Störung" gelte, habe sich verändert: "Wir müssen uns beispielsweise heutzutage auch mit Themen wie Medien- und Onlinesucht auseinandersetzen."
    Die steigende Nachfrage nach Psychotherapie und die ungleich verteilten Therapeutenkapazitäten seien durch bisherige Anpassungen der Bedarfsplanungen und Reformen der Psychotherapie-Richtlinie noch nicht zufriedenstellend kompensiert worden, so die TK. Gleichwohl sei in den vergangenen Jahren im Land viel unternommen worden, um das psychotherapeutische Versorgungsangebot zu verbessern. Dies führe planerisch dazu, dass es keine unterversorgten Regionen gebe. Ansätze zur effizienteren Nutzung der Kapazitäten sieht die Krankenkasse u. a. in Videosprechstunden und Gruppentherapien. Die Techniker Krankenkasse weist - wie auch die KV Westfalen-Lippe - darauf hin, dass kein Anspruch auf Dolmetscherinnen oder Dolmetscher bestehe.

    "22 Wochen Warten"

    Betroffene warteten durchschnittlich 22 Wochen auf einen Psychotherapieplatz, heißt es in einer Stellungnahme der Patientenvertretung "Deutsche DepressionsLiga". Für sie und ihre Angehörigen bedeute die Wartezeit Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation. Das Warten sei "kräftezehrend und manchmal sogar lebensgefährlich". Um auf das Thema aufmerksam zu machen, habe man die Aktion "#22WochenWarten" gestartet und sich mit einer Petition an die Bundesregierung gewandt.
    Der Verein hat seiner Stellungnahme Berichte von Betroffenen beigefügt. Ein Beispiel: "Ich war viel zu krank, um mich selber um einen Platz zu kümmern. Wir wohnen in einer kleinen Stadt, und da gibt es wenig Möglichkeiten. Mein Mann hat dann telefoniert. Eine Therapeutin in der Nähe war telefonisch erreichbar. Ich kam auf die Liste, 9 Monate Wartezeit! (...) Die Klinik war dann meine einzige Möglichkeit. Dort habe ich eine Ärztin kennengelernt, die eine Praxis aufmachen wollte. Wartezeit 7 Monate!"
    zab

    Zusatzinformation:
    Alle schriftlich eingegangenen Stellungnahmen finden Sie unter www.landtag.nrw.de.

    ID: LI230609

  • Schmitz Marco (CDU); Bakum Rodion (SPD); Klocke Arndt (Grüne); Schneider Susanne (FDP); Dr. Vincentz Martin (AfD)
    Standpunkte: Psychotherapeutische Versorgung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 6 - 26.09.2023

    Die psychotherapeutische Versorgung ...

    Marco Schmitz (CDU) ... spielt für uns eine entscheidende Rolle in der modernen Gesundheitsversorgung. Sie ermöglicht Menschen, ihre psychische Gesundheit zu erhalten, zu verbessern und psychische Erkrankungen zu behandeln. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Gesundheitsversorgung und trägt zur Schaffung einer gesünderen Gesellschaft bei.
    Rodion Bakum (SPD) ... kann mit mehr Kassensitzen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verbessert werden. Hierfür muss die sogenannte Bedarfsplanungs-Richtlinie der realen Nachfrage angepasst werden. Insbesondere das Ruhrgebiet und ländliche Regionen sind unterversorgt.
    Arndt Klocke (Grüne) ... ist ein wichtiger Aspekt ganzheitlicher Gesundheitsversorgung und muss verbessert werden. Die Landesregierung arbeitet zum Beispiel daran, eine Regelung umzusetzen, die es künftig möglich macht, in Regionen mit erhöhtem Bedarf, in denen aber nominell ausreichend Arztsitze vorhanden sind, zusätzliche Sitze einzurichten. Diese sollten besonders für Psychotherapeutinnen und -therapeuten genutzt werden.
    Susanne Schneider (FPD) ... ist ein wichtiger Baustein in unserem Gesundheitswesen. Psychische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für Lebensqualität und soziale Teilhabe. Das Angebot an Therapieplätzen ist angesichts zunehmender Bedarfe aber nicht ausreichend. Deshalb brauchen wir klare Vorgaben für die Bedarfsplanung, um die Versorgung vor allem in ländlichen Regionen und im Ruhrgebiet zu verbessern.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... bedarf einer patientenorientierten Umstrukturierung zur Sicherstellung einer bedarfsorientieren flächendeckenden Versorgung.

    Betroffene ...

    Marco Schmitz (CDU) ... brauchen einen sicheren Raum, in dem sie ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen reflektieren können. Dies fördert das Verständnis der eigenen Psyche und unterstützt bei der Bewältigung von Depressionen, Angststörungen, Traumata und Suchterkrankungen. Durch psychotherapeutische Interventionen können sie effektive Bewältigungsstrategien erlernen und ihre Lebensqualität verbessern.
    Rodion Bakum (SPD) ... benötigen schnell Hilfe, damit seelische Erkrankungen nicht stärker werden und auf Dauer bleiben. Fast jede bzw. jeder Zweite in unserem Land leidet im Laufe des Lebens an einer seelischen Erkrankung. Alle anderen sind als Angehörige betroffen. Seelische Gesundheit geht uns alle an!
    Arndt Klocke (Grüne) ... haben sehr individuelle Bedürfnisse, für die wir unterschiedliche Angebote brauchen. So muss darüber diskutiert werden, ob bei den Terminservicestellen Kontingente für bestimmte Gruppen wie beispielsweise schwer Erkrankte vorgehalten werden und mit welchen Maßnahmen chronisch Erkrankte besser unterstützt werden können.
    Susanne Schneider (FPD) ... sind laut einer repräsentativen Studie des Robert Koch-Instituts rund 30 Prozent der Menschen in Deutschland. Immer mehr Menschen leiden an Depressionen, Burn-out oder anderen psychischen Erkrankungen. Es wird daher Zeit, dass niemand mehr stigmatisiert wird, wenn er sich psychotherapeutische Hilfe sucht. Und die Therapieplatzsuche darf nicht dem Herumirren in einem Labyrinth ähneln.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... fühlen sich im Stich gelassen und dürfen über die aktuell sehr langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz nicht mit ihren Sorgen und Nöten alleine gelassen werden.

    Die Wartezeiten ...

    Marco Schmitz (CDU) ... auf einen Therapieplatz sind viel zu lang und müssen auf verschiedenen Ebenen angegangen werden. Die Sicherstellung eines angemessenen Zugangs zur psychischen Gesundheitsversorgung ist von entscheidender Bedeutung, um Menschen in Not angemessen zu unterstützen und psychische Gesundheitsprobleme effektiv behandeln zu können.
    Rodion Bakum (SPD) ... von durchschnittlich 142 Tagen zwischen Erstgespräch und Psychotherapie sind quälend. Die Lösungen sind bekannt: mehr Studienplätze, mehr Kassensitze, mehr Terminvermittlungen, mehr Gruppenpsychotherapie, mehr digitale Angebote.
    Arndt Klocke (Grüne) ... sind zu lang. Das birgt die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen verschlechtert und chronisch werden könnte. Deshalb brauchen wir auf Bundesebene die Reform der psychotherapeutischen Bedarfsplanung und möglicherweise eine Überarbeitung der Vorgaben für die Terminservicestellen.
    Susanne Schneider (FPD) ... sind so nicht hinnehmbar und müssen dringend reduziert werden. Bereits 2019 warteten rund 40 Prozent der Patientinnen und Patienten mindestens drei bis neun Monate auf einen Therapieplatz. Das bedeutet für Betroffene und Angehörige häufig Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation. Ziel sollte es daher sein, dass niemand länger als zwei Wochen auf einen Therapieplatz warten sollte.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... sind unzumutbar lang und tragen so oft zu einer nachhaltigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit auch einer schlechteren Prognose bei.
    (siehe Fortsetzung)

    ID: LI230610

  • Schmitz Marco (CDU); Bakum Rodion (SPD); Klocke Arndt (Grüne); Schneider Susanne (FDP); Dr. Vincentz Martin (AfD)
    Standpunkte: Psychotherapeutische Versorgung (Fortsetzung).
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 6 - 26.09.2023

    Die Auswirkungen von Corona ...

    Marco Schmitz (CDU) ... waren erheblich, auf die Psychotherapie und die psychische Gesundheit weltweit. Sie führten zu einer Zunahme von Angststörungen, Depressionen, Isolation und anderen psychischen Gesundheitsproblemen. Die Menschen haben versucht, mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen, entsprechend ist die Nachfrage nach psychotherapeutischer Versorgung gestiegen.
    Rodion Bakum (SPD) ... werden uns über Jahre beschäftigen. Die Angst vor Erkrankung und Tod sowie die Reduktion von sozialen Kontakten haben seelische Belastungen und Erkrankungen bei vielen von uns verstärkt. Wir benötigen mehr Hilfsangebote und Aufklärung für die seelische Gesundheit, damit aus der Virus- Pandemie keine soziale Pandemie wird.
    Arndt Klocke (Grüne) ... haben sich vor allem bei Kindern und Jugendlichen als erhöhte Belastungen gezeigt. Gerade für sie sind Präventionsangebote wichtig, um psychische Erkrankungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb fördert die Landesregierung niedrigschwellige gruppentherapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche, die präventiven Charakter haben.
    Susanne Schneider (FPD) ... sind immer noch spürbar. Die Pandemie hat mit den psychischen Belastungen in Folge der Schutzmaßnahmen die seelische Gesundheit vieler Menschen verschlechtert und damit die Versorgungslage verschärft. Ängste, Sorgen und depressive Symptome haben vor allem bei jungen Menschen zugenommen. Die während der Pandemie eingeführten Videosprechstunden sollen als ergänzendes Angebot fortgesetzt werden.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ...zeigen sich nachhaltig in der psychischen Gesundheit der Bevölkerung. "Social distancing", Ausgangssperren und Panikmache haben zu einer drastischen Verschlechterung der allgemeinen psychischen Gesundheit und zu explodierenden Fallzahlen geführt.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230623

  • Sexualisierte Gewalt und Kirche.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 17-18 in Ausgabe 5 - 29.08.2023

    10. August 2023 - Wie können Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld geschützt werden? Was haben die Kirchen bereits unternommen? Wie kann die Aufarbeitung beschleunigt und optimiert werden? Um diese und weitere Fragen ging es in einer Sachverständigenanhörung der Kinderschutzkommission.
    Sexualisierte Gewalt komme "in allen Milieus, in allen Entwicklungsstufen und in allen Lebensabschnitten vor", heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen für die Kommission. "Asymmetrische Machtbeziehungen" seien einer der wichtigsten begünstigenden Faktoren. Die Bistümer in Nordrhein-Westfalen hätten 2011 eine "einheitliche Präventionsordnung zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen vor sexueller Gewalt" erlassen. Sie gelte für alle Kirchengemeinden, kirchlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Alten-, Kranken- und Behindertenhilfe. Seit 2022 benenne sie zusätzliche Aufgaben für die Leitungsverantwortlichen, die diözesanen Fachstellen, alle Einrichtungen sowie alle Ehren- und Hauptamtlichen. Vorgeschrieben seien u. a. Schulungen und Schutzkonzepte.
    Alle fünf Bistümer hätten eigene, weisungsungebundene Interventionsstellen eingerichtet. Sie seien zuständig für die Bearbeitung von (Verdachts-)Fällen einschließlich des kirchlichen Voruntersuchungsverfahrens, die Aufarbeitung von Altfällen und die "Umsetzung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids". Übergeordnetes Ziel sei es, "die Interessen und den Schutz der Betroffenen vor die Interessen der kirchlichen Organisation zu stellen".
    Die "Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen" spricht in ihrer Stellungnahme ebenfalls die "vorliegenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse" an. Reformvorschläge würden allerdings "immer wieder durch einige Bistümer und/oder durch Stellungnahmen aus Rom blockiert". Der "kirchlichen Sexualmoral als begünstigendem Faktor" könne neben Reformen u. a. durch einen größeren Fokus auf die Sexuelle Bildung entgegengewirkt werden. Es sei wichtig, "eine Sprachfähigkeit über Sexualität herzustellen". Erst wenn Angst und Scham einem offenen sprachlichen Umgang mit dem Thema wichen, könnten auch "übergriffige Situationen" angesprochen werden.

    "Wahrnehmbare Anstrengungen"

    Die katholische Kirche habe in den vergangenen zehn Jahren "wahrnehmbar Anstrengungen unternommen", um Maßnahmen zur Prävention von Gewalt und Missbrauch zu entwickeln, so Simon Friede, Interventionsbeauftragter im Bistum Essen, in seiner Stellungnahme. Ein wichtiger Aspekt sei dabei die Etablierung von Ansprechpersonen: "Sie agieren weisungsunabhängig von den kirchlichen Hierarchien und sind damit in der Lage, neutral und objektiv zu handeln." Dieser Prozess sei aber noch nicht abgeschlossen: "Die Kirche wird stets sicherstellen müssen, dass diese unabhängigen Instanzen über ausreichende Ressourcen, Vollmachten und Expertise verfügen, um ihre Aufgaben effektiv zu erfüllen." Es sei wichtig, staatliche und kirchliche unabhängige Kontroll- und Aufsichtsmechanismen einzurichten, um die Umsetzung der Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu überwachen. Prävention, Intervention und Aufarbeitung dürften "niemals allein in der Verantwortung betreffender Institutionen liegen". Der Interventionsbeauftragte wies - wie andere Sachverständige ebenfalls - auf die Einbindung Betroffener hin. Erst deren Einbeziehung könne "ein Verständnis dafür ermöglichen, wie sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen möglich ist, wann Prävention wie hätte wirken können und wie eine wirksame Aufarbeitung zu gestalten ist". Erst ihre Einbeziehung in den Aufarbeitungsprozess schaffe "Raum für Heilung und Versöhnung". Zwar stünden derzeit die Kirchen im Mittelpunkt der Debatte, "aber gerade, wenn es um Kinder und Jugendliche geht, gibt es eine staatliche Mitverantwortung", schreibt die "Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs" (Berlin) in ihrer Stellungnahme. Die Kommission wurde 2016 aufgrund eines Bundestagsbeschlusses einberufen. Die Sicherung der Kinderrechte sei eine staatliche Pflichtaufgabe und könne nicht delegiert werden. Diese Aufgabe gelte es auch gegenüber kirchlichen Institutionen konsequent wahrzunehmen. Der Staat müsse klare und einklagbare Regeln schaffen, die die notwendige Unabhängigkeit von Aufarbeitung sichere. Nordrhein-Westfalen brauche ein Landesgesetz zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und zur konsequenten Entwicklung von Schutzkonzepten und Präventionsmaßnahmen. Einzurichten seien u. a. das "Amt eines unabhängigen Missbrauchsbeauftragten", ein Betroffenenbeirat und eine unabhängige Aufarbeitungskommission mit Fachleuten aus Rechtswissenschaften, Pädagogik, Psychologie/Psychotherapie, Soziologie und Medizin.

    Fortbildungspflicht

    In den drei evangelischen Landeskirchen auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens sowie für das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe seien 2020/2021 Kirchengesetze zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet worden, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Evangelischen Büros NRW. Es handle sich um "flächendeckende und verbindliche Vorgaben". Dazu gehörten u. a. die Vorlage erweiterter Führungszeugnisse für alle beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden, konsequenter Tätigkeitsausschluss bei strafrechtlicher Verurteilung sowie Schutz- und Schulungskonzepte. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien "kirchengesetzlich zur Teilnahme an Fortbildungen zum Thema ‚Schutz vor sexualisierter Gewalt‘ verpflichtet". Kirchenleitungen, Kreissynodal- und Verbandsvorstände, Presbyterien und Einrichtungsleitungen seien verpflichtet, für Fortbildungsangebote zu sorgen - und auch dafür, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilnähmen.
    Obwohl bereits wichtige Maßnahmen ergriffen worden seien, blieben weitere Anstrengungen erforderlich, schreibt die Fachstelle "Aktiv gegen sexualisierte Gewalt" der Diakonie Deutschland in ihrer Stellungnahme. Das Signal, dass es bei Fragen der Prävention und Intervention im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt "dauerhafter und kontinuierlicher Anstrengungen" bedürfe, sei noch nicht bei allen Leitenden der kirchlichen und diakonischen Einrichtungen angekommen.
    zab

    Zusatzinformation:
    Alle eingegangenen schriftlichen Stellungnahmen finden Sie unter www.landtag.nrw.de.

    Systematik: 5030 Kinder/Jugendliche; 5020 Sexualität; 7300 Religionsgemeinschaften

    ID: LI230505

  • Quik, Charlotte (CDU); Dr. Maelzer, Dennis (SPD); Creuzmann, Norika (Grüne); Hafke, Marcel (FDP); Prof. Dr. Zerbin, Daniel (AfD)
    Standpunkte: Gewalt im kirchlichen Raum.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 18-19 in Ausgabe 5 - 29.08.2023

    Sexualisierte Gewalt im kirchlichen Umfeld ...

    Charlotte Quik (CDU) ... muss weiter schonungslos und transparent aufgearbeitet werden. Kinder und Jugendliche vor Missbrauch zu schützen, ist darüber hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Seitens der Kirchen wurden in den vergangenen Jahren deutliche Anstrengungen unternommen, um Maßnahmen zur Prävention von Gewalt und Missbrauch zu entwickeln.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Problems. Überall dort, wo mit Kindern gearbeitet wird oder Kinder Zeit verbringen, kann es zu sexualisierter Gewalt kommen. Im kirchlichen Raum gibt es aber Faktoren, die begünstigend wirken können: moralische Grundsätze, die das Gespräch über Sexualität zum Tabu machen, oder asymmetrische Machtverhältnisse. Diese gilt es offenzulegen und dafür zu sensibilisieren.
    Norika Creuzmann (Grüne) ... wurde in der Vergangenheit immer wieder öffentlich und macht uns betroffen. Gerade dort, wo christliche Werte und seelsorgerische Arbeit im Vordergrund stehen sollten, gerade dort, wo Kinder und Jugendliche Schutz genießen sollten, wurden Verbrechen verübt - ob in Gemeinde, Heim, Internat oder Schule. Und obwohl Taten zum Teil anerkannt werden, funktioniert die Aufarbeitung nicht immer gut.
    Marcel Hafke (FDP) ... zeigt, dass Kinder und Jugendliche überall der Gefahr der sexualisierten Gewalt ausgesetzt sind. Die Kirchen dürfen die Augen davor nicht verschließen. Sie müssen sich dem Problem stellen. Seit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle ist viel passiert, jedoch nicht genug. Nach wie vor gibt es keine flächendeckenden Schutzkonzepte. Das muss sich ändern.
    Prof. Dr. Daniel Zerbin (AfD) ... ist ein abscheulicher Missbrauch von bestehenden Macht-und Abhängigkeitsbeziehungen und widerspricht zutiefst dem, was Kirche sein sollte: ein geschützter Raum und Zufluchtsort für alle Personen. Leider sind insbesondere in der Vergangenheit Missbrauchsfälle viel zu oft vertuscht und Opfer stigmatisiert worden. Deshalb muss neben der Aufarbeitung vor allem die Prävention oberste Priorität sein.

    Betroffene ...

    Charlotte Quik (CDU) ... lässt das Erlebte oft ein Leben lang nicht mehr los. Umso entscheidender ist es, dass ihnen geglaubt wird und sie in den institutionellen Aufarbeitungsprozess einbezogen werden. Nur so können Schlüsse daraus gezogen werden, wie sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen möglich wird und im Anschluss angemessene Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, Missbrauch zu verhindern.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... müssen die Chance haben, ihre Erfahrungen und ihr Wissen zur Verfügung zu stellen und vor allem nutzbar zu machen. Nur so können wir lernen. Aufarbeitung von Missbrauch und die Erarbeitung von Präventionskonzepten sind ohne den Blickwinkel Betroffener undenkbar. Um die Betroffenenperspektive starkzumachen, wollen wir einen Betroffenenrat für Nordrhein-Westfalen.
    Norika Creuzmann, (Grüne) ... und ihre Perspektiven müssen bei der Aufarbeitung und Prävention berücksichtigt werden. Menschen, die Missbrauch im kirchlichen Umfeld erleben mussten, haben ein Recht darauf, dass die Gewalt, die ihnen zugefügt wurde, aufgearbeitet wird, sie in den Aufarbeitungsprozess einbezogen werden und die Täterinnen und Täter nicht weiterhin gedeckt, sondern bestraft werden.
    Marcel Hafke (FDP) ... müssen in der Politik und in der Gesellschaft Gehör finden. Die Erfahrungen von Betroffenen können helfen, Kinder und Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Gleichzeitig muss ihr Leid anerkannt und es muss sichergestellt werden, dass sie die Hilfe und Unterstützung erhalten, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen.
    Prof. Dr. Daniel Zerbin (AfD) ... müssen in sämtliche Prozesse der Prävention, Intervention und Aufarbeitung stets eingebunden werden und die Möglichkeit bekommen, ihre Erfahrungen und Sichtweisen aktiv einbringen zu können. Hierbei ist die Einrichtung eines Betroffenenrates für Opfer sexuellen Missbrauchs, den wir als AfD-Fraktion bereits in der Vergangenheit gefordert haben, unerlässlich.

    Präventionskonzepte ...

    Charlotte Quik (CDU) ... und Interventionsstrategien müssen kontinuierlich überprüft und verbessert werden, damit Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswirklichkeit geschützt sind. Gleichzeitig müssen sie bei der Präventionsarbeit beteiligt werden. Jedes Präventionskonzept muss darauf abzielen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche sich sicher und unterstützt fühlen.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... können nur wirken, wenn sie gelebt werden und nicht als Aktenordner im Schrank verstauben. Das ist insgesamt eine Haltungsfrage und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der alle gemeinsam arbeiten müssen. Es gibt hier einige gute Beispiele, auch im kirchlichen Raum, die wir immer wieder hervorheben müssen, damit Prävention im Gespräch bleibt.
    Norika Creuzmann, (Grüne) ... braucht es überall, wo Kinder und Jugendliche ein- und ausgehen. Ein wichtiger Schritt für Institutionen und Einrichtungen sind Schutzkonzepte, die auf einer Potenzial- und Risikoanalyse beruhen. So kann sexuelle Gewalt idealerweise verhindert werden. Bei Missbrauchsverdacht oder -fällen können Ehrenamtliche sowie Beschäftigte Handlungssicherheit erlangen und Betroffene besser unterstützt werden.
    Marcel Hafke (FDP) ... sind eine Grundvoraussetzung, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Diese müssen fachlichen Standards entsprechen und auch in der Praxis gelebt werden. Wirksame Präventionskonzepte müssen langfristig in allen Institutionen etabliert werden, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten. Institutionen dürfen mit dieser Aufgabe aber nicht alleine gelassen werden.
    Prof. Dr. Daniel Zerbin (AfD) ... sind zentrale Bausteine, wenn es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen geht. Dafür ist es notwendig, dass diese auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt und fortwährend auf ihre Qualität hin überprüft werden. Allerdings wird selbst das beste Schutzkonzept keinem Kind helfen, wenn es nicht zur Anwendung kommt. Deshalb gilt es, unabhängige Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu etablieren.

    Die Aufarbeitung ...

    Charlotte Quik (CDU) ... muss weiter konsequent und lückenlos fortgesetzt werden, damit verlorengegangenes Vertrauen in die Kirche neu aufgebaut werden kann. Eine wirksame Aufarbeitung muss sich vor allem an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren. Ebenso wichtig ist es, dass die Institution und ihre Verantwortlichen ihr eigenes Versagen und das Leid der Betroffenen anerkennen.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... muss nachhaltig und vor allem unabhängig erfolgen. Opfer und Öffentlichkeit sind mit dem bisherigen Aufarbeitungsprozess der Kirchen häufig nicht zufrieden. Der Staat muss deshalb jetzt die Verantwortung übernehmen und dafür Sorge tragen, dass Aufarbeitung nach einheitlichen Standards erfolgt. Eine unabhängige Kommission auf gesetzlicher Grundlage wäre hier der Weg.
    Norika Creuzmann, (Grüne) ... ist überfällig und die Institutionen übernehmen so Verantwortung gegenüber den Betroffenen. Gleichzeitig ist sie wichtig, damit nicht nur Täterinnen und Täter identifiziert werden, sondern auch Fehler von Verantwortlichen und blinde Flecken. Das ermöglicht, Maßnahmen und Mechanismen einzurichten, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen und zu verhindern, dass sich Unrecht wiederholt.
    Marcel Hafke (FDP) ... ist enorm wichtig: Denn der Blick in die Vergangenheit bringt uns Wissen für die Zukunft. Sie muss daher konsequent durchgeführt werden. Sie muss unabhängig und transparent sein und darf nicht dem Schutz von Institutionen untergeordnet werden. Wir müssen eine Fehlerkultur entwickeln und aus gemachten Fehlern die Lehren ziehen.
    Prof. Dr. Daniel Zerbin (AfD) ... ist zu allererst ein individueller Prozess. In welcher Art und Weise diese gestaltet werden soll, muss jede betroffene Person für sich selbst entscheiden können. Wir als Land NRW haben allerdings die Pflicht, einen rechtlichen Rahmen mit notwendigen Standards festzulegen, auf dessen Grundlage Aufarbeitung stattzufinden hat. Der Einbezug der Betroffenenperspektive ist hier unentbehrlich.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230514

  • Drogensucht mit Todesfolge.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 9-10 in Ausgabe 4 - 20.06.2023

    7. Juni 2023 - Die Zahl der Drogentoten steigt. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat dazu das zuständige Ministerium und im Nachgang in einer öffentlichen Anhörung Sachverständige zum Stand, zu Ursachen und Perspektiven befragt.
    Das Ministerium betrachte den Anstieg mit großer Sorge, hatte Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) schriftlich erklärt (Vorlage 18/858). Die Zahl der Drogentoten sei zwischen 2020 und 2021 um mehr als 70 Prozent angestiegen. "Krisenhafte Ereignisse" wie die Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine belasteten die Bürgerinnen und Bürger. Suchtmittel versprächen einigen Menschen "vermeintliche Hilfe", um schwierige Lebenssituationen zu bewältigen.
    Daten aus einer Telefonbefragung in der Therapieforschung hätten ergeben, dass der Konsum illegaler Drogen von 2018 bis 2021 gestiegen sei. Cannabis sei dabei die am häufigsten konsumierte Substanz, auch der Crack-Konsum sei gestiegen. Insgesamt verfüge das Land über "gute und flächendeckende Strukturen der Suchtprävention und -beratung", erklärte der Minister. Das Land fördere finanziell die Geschäftsstelle Suchtkooperation NRW und die einzelnen Landesfachstellen.
    "Viele der dokumentierten Todesfälle sind auf konsumbedingte Gesundheitsschäden bei Langzeitkonsumierenden zurückzuführen", erklärte Markus Wirtz, Leiter der Drogenhilfe Köln, in seiner schriftlichen Stellungnahme. Um die Zahl zu senken, nannte er zahlreiche Maßnahmen, denen ein niedrigschwelliger Zugang zu Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen gemeinsam ist. Obdachlose Suchtkranke bräuchten etwa Krankenwohnungen, damit sie im Krankheitsfall angemessen behandelt werden könnten. In Krankenhäusern könnten sie nicht bleiben. Nicht ausreichend ausgeheilte Krankheiten hätten nicht selten bedrohliche Langzeitfolgen.

    "Drug Checking"

    Weiterhin forderte Wirtz für die Substitutionstherapie, also die Behandlung mit Ersatzstoffen, eine langfristige Absicherung von Behandlungsangeboten. Diese seien in ihrer Existenz bedroht. Für wichtig hielt er auch eine gesicherte Weiterbehandlung nach der Substitutionstherapie, die häufig nicht hinreichend organisiert sei. Als weitere Bausteine, um der Todesrate zu begegnen, nannte Wirtz die Überprüfung von Rauschmitteln auf Verunreinigung - sogenanntes Drug Checking - sowie niedrigschwellige Zugänge zu Entgiftungsbehandlungen. Derzeit seien diese mit aufwendigen Antragsverfahren und langen Wartezeiten verbunden. Die Träger der Suchthilfe könnten all diese Maßnahmen grundsätzlich umsetzen - es mangele aber an "rechtskreisübergreifend abgestimmten Verfahren" und an der Finanzierung.
    Es sei dringend nötig, die Hilfen für schwerstdrogenabhängige Menschen auszubauen, befand auch Dr. Anne Pauly, Leiterin der Geschäftsstelle der Suchtkooperation NRW, in ihrer Stellungnahme. Diese Gruppe habe im Jahr 2022 mit fast 70 Prozent die höchste Todesrate zu beklagen gehabt. Dafür gebe es mehrere Gründe - aber die Corona-Pandemie könne als "sehr bedeutsam für den Anstieg der Drogentoten" gelten. Während Drogen auch während der Pandemie verfügbar gewesen seien, hätten niedrigschwellige Hilfeangebote der Überlebenshilfe wie Drogenkonsumräume, Notschlafstellen, Essensangebote oder Aufenthaltsmöglichkeiten teilweise oder ganz schließen müssen. Auch die Verfügbarkeit von Rauschmitteln spiele eine Rolle: Seit etwa 2017 werde der Schwarzmarkt mit Kokain überschwemmt und führe zu einer zunehmenden Verelendung der Klientel.
    Als Forderungen formulierte Pauly ebenfalls "Drug-Checking", außerdem den Einsatz des Notfallmedikaments Naloxon auch in Haft und bei Substitution sowie eine Krankenversicherung für alle bzw. eine bessere Versorgung auch ohne Krankenversicherung. Für Crack- Abhängige im ländlichen Raum sei u. a. eine bessere Betreuung wichtig, etwa durch "Konsumhaltestellen".
    "Am Beispiel der Drogenkonsumräume wird deutlich, wie relevant die Beteiligung von Suchthilfe, kommunalen Ordnungspartnerschaften und Stadtplanung für den Erfolg niedrigschwelliger Suchthilfe auf der einen und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung auf der anderen Seite sind", heißt es in der Stellungnahme der Suchtkooperation NRW weiter. Hier träfen die Ziele der Überlebenshilfe, der Gesundheitsförderung und der psychosozialen Unterstützung auf ordnungspolitische Aspekte: Während die Zielgruppe einen geschützten Raum habe, würden sichtbarer Drogenkonsum und Szeneansammlungen in der Öffentlichkeit vermindert. Zwölf solcher Räume gebe es in Nordrhein-Westfalen.

    "Passgenaue Maßnahmen"

    Im Juni 2023 nehme eine "Arbeitsgemeinschaft Drogentodesfälle" der Freien Wohlfahrtsverbände unter Beteiligung des Ministeriums und der Geschäftsstelle der Suchtkooperation NRW ihre Arbeit auf, um die Datenbasis zu erweitern und passgenaue Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Todesfälle abzuleiten, erläuterte Pauly.
    Miriam Mauss von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bedauerte in ihrer Stellungnahme, dass seit 2013 immer weniger niedergelassene Haus- und Fachärztinnen und -ärzte Substitutionsbehandlungen durchführten. Aktuell täten dies nur 285, obwohl 350 eine entsprechende Genehmigung hätten. In den vergangenen drei Jahren sei deren Zahl um 6 Prozent gesunken. Neben diesen Ärztinnen und Ärzten gebe es vier Diamorphin-Ambulanzen in Nordrhein-Westfalen: in Köln, Bonn, Wuppertal und Düsseldorf.
    Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein bemühe sich um Anreize für einen niedrigschwelligen Einstieg. So erhielten Ärztinnen und Ärzte beispielsweise 1.000 bis zu 5.000 Euro, wenn sie ein Substitutionsangebot in einem Mangel-Gebiet schafften. Auch werde das Thema bei den Veranstaltungen "Start-up in die Niederlassung" platziert, Praxiseindrücke und Netzwerktreffen würden organisiert. "Offensichtlich ist, dass diese Maßnahmen zwar wirksam, aber noch nicht ausreichend sind", heißt es in der Stellungnahme.
    sow

    Systematik: 5250 Rauschmittel

    ID: LI230404

  • Schmitz, Marco (CDU); Bakum, Rodion (SPD); Sonne, Dennis (Grüne); Schneider, Susanne (FDP); Dr. Vincentz, Martin (AfD)
    Standpunkte: Drogensucht mit Todesfolge.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 4 - 20.06.2023

    Die gestiegene Zahl der Drogentoten ...

    Marco Schmitz (CDU) ... macht mich betroffen. Jeder Drogentote ist einer zu viel. Die steigende Zahl dürfte sich insbesondere durch die Todesfälle von Langzeitkonsumierenden erklären. Der jahrelange Missbrauch von Rauschmitteln in jeder Form führt zu irreparablen Gesundheitsschäden. Hierdurch zeigt sich, dass Präventionsarbeit zur Verhinderung von Langzeitkonsum bzw. Drogenkonsum generell das Mittel der Wahl ist.
    Rodion Bakum (SPD) ... ist besorgniserregend und es kann uns alle betreffen. Mehr als jeder 5. Mensch in Deutschland leidet unter einer Suchterkrankung. Was oft vergessen wird: Die größten Gesundheitsgefahren stellen legale Suchtmittel dar - Alkohol, Nikotin, Arzneimittel.
    Dennis Sonne (Grüne) ... macht uns betroffen und verdeutlicht, dass eine der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen unseres Landes dringend auf ein ganzheitliches Hilfesystem angewiesen ist. Die Landesregierung unterstützt deshalb den fachlichen Austausch und notwendige Anpassungen der Hilfesysteme. Wir wollen die verschiedenen Zielgruppen wie zum Beispiel schwerstabhängige Menschen besser erreichen.
    Susanne Schneider (FDP) ... in Nordrhein-Westfalen ist besorgniserregend, weil damit der höchste Stand seit 30 Jahren erreicht wird. Gemessen am Bevölkerungsanteil liegt die Zahl der Drogentoten in NRW inzwischen fast um das Doppelte über dem bundesweiten Niveau. Die Zahl der Suizide bei Suchtkranken ist um 24 Fälle auf 42 gestiegen. All das macht den Handlungsbedarf deutlich: Jeder Drogentote ist einer zu viel.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist eine besorgniserregende Entwicklung. Ein Anstieg der Drogentoten um 73 % in NRW, während der Anstieg im Bund bei "nur" 44 % liegt, muss jetzt wachrütteln: Hier läuft etwas schief. Es braucht verstärkte Grenzkontrollen, härtere Strafen für Dealer, Ursachenforschung und ein passgenaues medizinisches Angebot, das die Betroffenen nachhaltig unterstützt und, wo immer möglich, von ihrer Sucht heilt.

    Die Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen ...

    Marco Schmitz (CDU) ... verfolgt mit den bestehenden Drogenkonsumräumen Ziele der Überlebenshilfe, der Gesundheitsförderung und -prophylaxe und der Schadensminimierung für Drogenkranke. Die Corona-Pandemie hat die Verfügbarkeit dieser niederschwelligen Angebote eingeschränkt. Eine adäquate Versorgung war hier zeitweise nicht möglich. Das ist ein weiterer Faktor für die gestiegene Zahl der Drogentoten.
    Rodion Bakum (SPD) ... leistet wichtige Arbeit bei der Aufklärung, Prävention und zur Steigerung der Überlebenschance von Langzeitkonsumenten. Daher muss die Suchthilfe in NRW gestärkt werden und eine strukturelle Förderung von Verhaltens- und Verhältnisprävention in allen Lebensbereichen gesichert werden.
    Dennis Sonne (Grüne) ... verfügt über gute Strukturen der Prävention und Beratung. Angebote wie die Drogenkonsumräume, in denen Menschen mit Suchterkrankung ihre Drogen unter hygienischen Bedingungen konsumieren und Hilfe erhalten, sind ein wichtiger Beitrag. Sie sollen ausgebaut werden. Drug-Checking (das Überprüfen der Inhaltsstoffe) erleichtern wir. Wir wissen aber auch um Herausforderungen, u. a. durch den Fachkräftemangel.
    Susanne Schneider (FDP) ... leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Prävention und Unterstützung Betroffener. Daher muss die Suchthilfe auch finanziell vernünftig ausgestattet werden. Ein wichtiges Instrument zur Prävention von Todesfällen kann der Ausbau von Drogenkonsumräumen sein. Durch schnelle Hilfe kann in vielen Fällen der Drogentod verhindert werden.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist wichtig für Menschen mit Drogenabhängigkeit. NRW hat diverse Programme implementiert, um Betroffenen Hilfe anzubieten. Bei derart alarmierenden Zahlen muss aber auch hier geschaut werden: Wo können wir besser werden? Kürzere Wartezeiten bei der Therapieplatzvermittlung, mehr niedrigschwellige Angebote und die kontinuierliche Finanzierung der Hilfsstrukturen sind hierbei essenziell.

    Ärztinnen und Ärzte ...

    Marco Schmitz (CDU) ... sind sehr wichtige Personen für die Präventionsarbeit und die Behandlung der Drogenkonsumenten. Ziel der ärztlichen Behandlung ist in der Regel nicht die Suchtmittelfreiheit. Ziel ist Teilhabe und Überleben der Betroffenen. Das gelingt nur durch gut vernetzte Strukturen und strukturelle Präventionsarbeit. Für die CDU-Fraktion hat vor allem der Jugend- und der Gesundheitsschutz Priorität.
    Rodion Bakum (SPD) ... sind gemeinsam mit weiteren Fachkräften wie Pflegenden und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern unersetzbar für die Versorgung von Menschen mit Suchterkrankung und -gefährdung in NRW. Die Strukturen der Suchthilfe müssen finanziell abgesichert sein, damit die Fachkräfte für eine nachhaltige Präventionsarbeit sorgen können.
    Dennis Sonne (Grüne) ... spielen eine wichtige Rolle bei der Substitutionsbehandlung opiatabhängiger Menschen. Sie dient der gesundheitlichen und sozialen Stabilisierung und sollte am besten mit einer psychosozialen Begleitung einhergehen. Da der Bedarf wächst, haben die Kassenärztlichen Vereinigungen Maßnahmen wie Hospitationen in Suchtpraxen ergriffen, um mehr Ärztinnen und Ärzte zur Substitutionsbegleitung zu motivieren.
    Susanne Schneider (FDP) ... sind immer noch mit zu viel Bürokratie konfrontiert, wenn sie an Substitutionsprogrammen teilnehmen wollen. Das ist gerade jetzt besonders kontraproduktiv, da immer mehr Substitutionsärztinnen und -ärzte in den Ruhestand gehen. Zu wenige neue Ärztinnen und Ärzte, die Substitutionsbehandlung in ihren Praxen anbieten, bedeuten bei steigenden Patientenzahlen eine Verschärfung der Versorgungslage.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... spielen eine entscheidende Rolle, da sie über das Fachwissen verfügen, um Suchtkranke zu unterstützen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Psychologen, Sozialarbeitern, Suchtberatern und anderen Gesundheitsexperten ist essenziell, um Versorgung und Unterstützung für drogengefährdete Personen zu gewährleisten. Dies zukünftig besser zu koordinieren, ist Aufgabe unserer Landesregierung.

    Betroffene ...

    Marco Schmitz (CDU) ... finden in NRW bedarfsgerechte niederschwellige Angebote vor, die grundsätzlich Aufgabe der kommunalen Suchthilfeplanung sind. Es findet ein regelmäßiger Austausch mit dem zuständigen Ministerium statt. Zusätzlich erhalten die Kommunen Landesmittel in Form von fachbezogenen Pauschalen. Hiervon können auch Angebote zur psychosozialen Betreuung von substituierten drogenabhängigen Menschen finanziert werden.
    Rodion Bakum (SPD) ... können wir alle sein - persönlich oder als Angehörige. Wir brauchen niedrigschwellige Unterstützungs- und Aufklärungsangebote, damit wir einen offenen Austausch über die Wirkungen und Folgen von legalem und illegalem Suchtmittelkonsum in unserer Gesellschaft erreichen - als beste Grundlage für die Präventionsarbeit.
    Dennis Sonne (Grüne) ... leiden unter starker psychischer und physischer Abhängigkeit und Verelendung, zum Beispiel durch Wohnungslosigkeit. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Betroffenen und damit der Bedarf an altersgerechter Versorgung. Wir werden deshalb entsprechende Projekte für wohnungslose suchtkranke Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf fördern und das selbstbestimmte Wohnen ermöglichen.
    Susanne Schneider (FDP) ... haben mit einer schwerwiegenden Krankheit zu kämpfen. Sie sind mit dem entsprechenden Respekt zu behandeln und benötigen Unterstützung, um einen Weg aus ihrer Sucht zu finden. Die derzeitige Wartezeit auf Therapieplätze ist deutlich zu lang. Neben der Suchterkrankung muss bei Betroffenen auch die gesamte Lebenssituation berücksichtigt werden, wenn Hilfen wirklich erfolgreich sein sollen.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... müssen durch die Kombination von medizinischer Behandlung, psychosozialer Unterstützung, Prävention und sozialer Integration in eine Lage versetzt werden, die ihnen die Kraft gibt, den Drogen und dem Rauschgiftmilieu dauerhaft zu entsagen.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230411

  • Funk, Fernsehen und Finanzen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11-12 in Ausgabe 3 - 31.05.2023

    20. April 2023 - Braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) eine Schlankheitskur? Und falls ja: An welchen Stellen muss er abspecken? Um diese Fragen ging es in einer Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Kultur und Medien. Anlass war ein Antrag der FDP-Fraktion.
    Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehsender über Rundfunkbeiträge sei ein "Dauerbrennerthema", schreibt die FDP-Fraktion in ihrem Antrag ("Für einen starken, aber schlanken öffentlich-rechtlichen Rundfunk - Nordrhein-Westfalen muss ein Aktivposten bei der dringenden Modernisierung und Reform der Landesrundfunkanstalten sein"; Drs. 18/2565). Die Fraktion fordert eine Reihe von Änderungen, um die Beiträge stabil zu halten. Durch "Konsolidierungsmaßnahmen" solle sogar eine Halbierung der Gebühren bis zum Jahr 2027 angestrebt werden.
    So müssten sich die Sender primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung, Dokumentationen und Angebote konzentrieren, die rein kommerzielle Veranstalter nicht als Schwerpunkte hätten. Die Landesregierung solle sich bei künftigen Verhandlungen über Staatsverträge u. a. für eine "deutliche Reduzierung der Anzahl öffentlich-rechtlicher Fernseh- und Hörfunkkanäle" sowie eine "Fusion von Anstalten" einsetzen. Zudem seien "unnötige Doppelstrukturen" in der Verwaltung zu vermeiden.
    Viele der genannten Forderungen seien bereits "Gegenstand von Reformbemühungen", heißt es in einer Stellungnahme des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster. Im 3. Medienänderungsstaatsvertrag stehe beispielsweise, "dass die öffentlich-rechtlichen Angebote der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen haben". Unterhaltung sei Teil des Auftrags, wenn sie einem öffentlich-rechtlichen Profil entspreche. Die Anzahl der Sender sei ebenfalls Thema. So seien "nur noch ARD, die dritten Fernsehprogramme, das ZDF sowie 3sat und ARTE verpflichtend als Fernsehprogramme zu veranstalten".
    Der Antrag füge sich als ein Baustein in die Reformdebatte ein und sollte berücksichtigt werden, befindet der "Digitalpublisher und Zeitungsverleger Verband NRW". Die Forderung nach "Schärfung und Fokussierung auf den Kernbereich" sei nachvollziehbar und berechtigt. Der Verband weist auf "umfangreiche Nachrichtenangebote" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet hin: "Eine öffentlich-rechtliche digitale 'Gratispresse' wäre eine Gefahr für die Pressevielfalt in Deutschland, da sie die Refinanzierung privatwirtschaftlich getragener Angebote (...) erheblich erschweren würde."
    Ähnlich argumentiert "Vaunet - Verband Privater Medien". Bei einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssten auch die Anliegen privater Medienanbieter "umfassend berücksichtigt" werden. Der Verband spricht sich u. a. für eine "deutliche Reduzierung von Werbung und Sponsoring in den Angeboten der Rundfunkanstalten" aus. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich auf seine Kernaufgaben fokussieren. Zur Beitragsstabilität könne "maßgeblich eine konsequente Weiterverfolgung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beitragen".

    "Gesamtangebot für alle"

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe die Aufgabe, "ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten", so WDR-Intendant Tom Buhrow in seiner schriftlichen Stellungnahme für den Ausschuss. Mit dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag hätten die Länder bekräftigt, dass "auch Unterhaltung gleichgewichtiger Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Auftrags ist". Der WDR zeige in seinen Unterhaltungsangeboten "gesellschaftlich relevante Themen" und fördere so den "gesamtgesellschaftlichen Diskurs". Gleichwohl hätten Information, Bildung und Kultur im Programmangebot nach wie vor große Bedeutung. Die ARD habe bereits 2016 "ein umfangreiches Reformpaket aufgesetzt". Ziel sei die "größtmögliche inhaltliche Wertschöpfung bei gleichzeitig größtmöglicher Effizienz".
    Laut WDR-Personalrat wolle die FDP beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk "die Axt anlegen". Dabei dränge sich die Frage auf, ob sie nur Stimmen bei möglichen Wählerinnen und Wählern fangen wolle, "denen gemeinnütziger Rundfunk ein Dorn im Auge ist", und "noch mehr Macht und Einfluss" für Verlage wolle.
    Der FDP-Antrag sei sehr stark auf die "traditionellen Hörfunk- und Fernsehangebote" fokussiert, so Prof. Dr. Christoph Bieber vom Forschungsinstitut "CAIS" (Center for Advanced Internet Studies, Bochum). Digitale, nicht-lineare Angebote würden nicht berücksichtigt. Es spreche nichts dagegen, "gegen unnötige Doppelstrukturen, komplizierte Verwaltungswege oder teure (lineare) Medieninhalte vorzugehen - undifferenzierte Vorschläge zu Fusionierung, Streichung und Zentralisierung weisen jedoch nicht den richtigen Weg zu einer effizienten Modernisierung öffentlich-rechtlicher Medienangebote".

    "Wirtschaftliche Bedeutung"

    Der Film- und Medienverband NRW hebt in seiner Stellungnahme u. a. die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Nordrhein-Westfalen hervor. Die Sender müssten "ein Vollprogramm in allen Genres anbieten", um im publizistischen Wettbewerb mit Privatsendern zu bestehen. Dem FDP-Vorschlag zufolge würde es Sendungen wie "heute-show" (ZDF), "Mitternachtsspitzen" (WDR/ARD), "Charité" (ARD), "Ku'damm" (ZDF) oder "Aktenzeichen XY" (ZDF) künftig nicht mehr geben.
    Man begrüße die Debatte zur Weiterentwicklung und Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, schreibt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) NRW. Ein "konsequenter Veränderungsprozess" sei notwendig. Wie der Film- und Medienverband sieht auch der DJV bei einer Umsetzung der Forderungen "geradezu dramatische Auswirkungen" auf den Medienstandort Nordrhein-Westfalen: "Die Zahl der direkt und indirekt vom ÖRR abhängigen Arbeitsplätze würde erheblich sinken." Eine politische Vorgabe zur Höhe des Rundfunkbeitrags möge "auf den ersten Blick populär erscheinen, ist am Ende aber doch schlicht populistisch".
    zab

    Zusatzinformation:
    Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
    Hörfunk und Fernsehen wurden in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten organisiert. Sie waren damit staatsunabhängig, jedoch keine privatwirtschaftlichen Organisationen. Hintergrund: Hörfunk und Fernsehen sollten nicht wie im Nationalsozialismus zentral gesteuert werden, sondern unabhängig und kritisch berichten.
    Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten unterliegen keiner behördlichen Fachkontrolle, sie sind mit Selbstverwaltungsbefugnissen ausgestattet. Ihre Aufgabe ist die Grundversorgung mit Radio- und Fernsehprogrammen. Diese Aufgabe ist ihnen gesetzlich zugewiesen. Die Anstalten finanzieren sich überwiegend aus Rundfunkbeiträgen. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

    Systematik: 7720 Rundfunk/Fernsehen

    ID: LI230311

  • Stullich, Andrea (CDU); Blumenthal, Ina (SPD); Marenholtz, Anja von (Grüne); Witzel, Ralf (FDP); Tritschler, Sven W. (AfD)
    Standpunkte: "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 3 - 31.05.2023

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ...

    Andrea Stullich (CDU) ... muss sich mit der Gesellschaft weiterentwickeln und ein Gesamtangebot für alle machen, um relevant zu bleiben. Wir wollen moderne Anstalten mit klarem Profil und hoher Verlässlichkeit, die sich gut ergänzen. Denn gerade in Zeiten von Fake News und wachsender populistischer Strömungen braucht es ein starkes duales Mediensystem und dafür auch in Zukunft einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
    Ina Blumenthal (SPD) ... ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Er ist eine unverzichtbare Informationsquelle für die Gesellschaft und hält die Menschen durch die Berichterstattung sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene auf dem Laufenden. Daher setzen wir uns auch in Zukunft für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein.
    Anja von Marenholtz (Grüne) ... ist eine wichtige Säule der unabhängigen Berichterstattung und stellt eine zuverlässige Informationsquelle für die Bürgerinnen und Bürger dar. Gerade in Zeiten von Desinformation, Hass und Hetze zeigt sich umso mehr, wie wichtig unabhängiger Journalismus ist. Auch der ÖRR leistet einen wichtigen Beitrag gegen Fake News und Verschwörungsmythen.
    Ralf Witzel (FPD) ... hat die Aufgabe der Grundversorgung vor allem mit Bildung, neutraler Information und Kultur unabhängig von Quote und Kommerz. Dieser Auftrag ist gerade in Zeiten von Fake News wichtig und durch eine Fokussierung zu stärken. Der ÖRR trägt mit privaten Anbietern zur Vielfaltssicherung bei. Nur journalistischer Mehrwert rechtfertigt Pflichtbeiträge, nicht Parallelangebote und seichtes Entertainment.
    Sven W. Tritschler (AfD) ... ist in seiner jetzigen Form ein Relikt aus den 1950er- Jahren. Unsere Fraktion, die hier schon lange durchgreifende Reformen fordert, freut sich, dass nun auch die FDP - nachdem sie nicht mehr regiert - bereit ist, an einem Umbau der öffentlich-rechtlichen Anstalten mitzuwirken. Der Auftrag der Bürger ist klar: In allen Umfragen wird mit großer Mehrheit zumindest ein Rückbau von ARD und Co. gefordert.

    Eine Reform ...

    Andrea Stullich (CDU) ... muss ein ehrlicher Neuanfang sein und zügig vorangehen. Es geht vor allem darum, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ziel muss ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein, der für sein vielfältiges Programm sparsam wirtschaftet, transparent in seinen Entscheidungen ist, über eine funktionierende Aufsicht verfügt, die senderübergreifende Zusammenarbeit stärkt und Strukturen verschlankt.
    Ina Blumenthal (SPD) ... ist nötig und muss das Profil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärken, gerade in Zeiten der geänderten Mediennutzung. Auch Demokratisierungsprozesse und eine gerechte Bezahlung aller Mitarbeitenden muss Teil davon sein.
    Anja von Marenholtz (Grüne) ... der Rundfunkanstalten ist notwendig. Wir unterstützen daher die Bemühungen der Rundfunkanstalten und regen Einsparpotenziale an. Zusätzlich muss der ÖRR diverser werden, wenn er auch weiter einen breiten Teil der Bevölkerung erreichen möchte. Ein vielfältig besetzter Rundfunkrat könnte ein Anfang sein, der sich in den Anstalten selbst fortsetzen sollte.
    Ralf Witzel (FPD) ... ist unverzichtbar, eilbedürftig und Voraussetzung für gesellschaftliche Akzeptanz. Rund 80 Programme, 800 soziale Netzwerke, eine Expansion presseähnlicher Onlineangebote ohne Sendungsbezug und XXL-Mediatheken sind inakzeptabel und eine unfaire Konkurrenz zu Anbietern, die ihre Erlöse täglich selbst hart im Markt erwirtschaften müssen. Die Privilegien des ÖRR dürfen Medienvielfalt nicht verdrängen.
    Sven W. Tritschler (AfD) ... der Anstalten ist überfällig. Das musste inzwischen sogar WDR-Chef Buhrow zugeben. Die AfD-Fraktion NRW hat gemeinsam mit sieben weiteren Landtagsfraktionen schon 2019 das "GRUNDFUNK"-Konzept auf den Weg gebracht und damit gezeigt, wie es gehen kann: Abschaffung des Rundfunkbeitrags, Verkleinerung der Anstalten, Fokussierung auf Nachrichten-, Kultur-, Bildungs- und Regionalprogramme.

    Das Programm ...

    Andrea Stullich (CDU) ... muss zum Profil der Sender passen und Angebote machen, die Privatsender so nicht leisten können. Es muss unterschiedliche Meinungen und Perspektiven journalistisch vielfältig darstellen und die verschiedenen Lebenswelten der Menschen in Stadt und Land glaubwürdig abbilden. Denn die Menschen erwarten zu Recht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auf höchstem Niveau informiert und unterhalten zu werden.
    Ina Blumenthal (SPD) ... liefert gut recherchierte Nachrichten, niveauvolle Unterhaltung, werbefreie Kinderprogramme und Bildung in fast allen gesellschaftlichen Bereichen.
    Anja von Marenholtz (Grüne) ... erfüllt in seiner Form den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Neben dem Informationsprogramm strahlen die Sendeanstalten auch Kultur- und Unterhaltungssendungen aus. Damit schaffen sie einerseits Aufmerksamkeit für die Nachrichtensendungen und bilden gesellschaftlich relevante und kritische Themen auch in fiktiver Form ab.
    Ralf Witzel (FPD) ... hat an Qualität und Ausgewogenheit verloren und unterscheidet sich immer weniger vom privaten Angebot, vor allem bei Unterhaltung, die längst die Hauptsendezeit im ÖRR dominiert. Teurer Rechteerwerb sollte seltener werden. Wir wollen eine gründliche Strukturreform. Unser Ziel ist ein starker, moderner und schlanker ÖRR, der sich primär auf Angebote konzentriert, die private Wettbewerber nicht liefern.
    Sven W. Tritschler (AfD) ... muss auf das Wesentliche beschränkt werden. Und das sind die Dinge, die private Anbieter nicht leisten können: Regionales, Information, Kultur, etc. Wir dürfen die Bürger aber nicht mit einer Zwangsabgabe nötigen, Kapitän Silbereisens Traumschiff zu bezahlen oder FIFA und UEFA Milliarden für Sportrechte überweisen: Das können und sollen Private machen und diejenigen bezahlen, die es sehen wollen.

    Rundfunkbeiträge ...

    Andrea Stullich (CDU) ... sichern Vielfalt und die Unabhängigkeit der Sender. Sie müssen stabil bleiben, denn sie sind ein Privileg, mit dem die Sender sehr sorgsam umgehen müssen. Sie müssen damit effizient wirtschaften und den Menschen einen erkennbaren Mehrwert für ihr Geld liefern. Guter, kritischer Journalismus und unabhängige Medien müssen uns etwas wert sein, aber Verschwendung und Maßlosigkeit haben dort keinen Platz.
    Ina Blumenthal (SPD) ... sorgen dafür, dass die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom Staat gewährleistet wird.
    Anja von Marenholtz (Grüne) ... sollten unserer Ansicht nach möglichst stabil gehalten werden. Die Finanzierung des ÖRR ist verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Sie leitet sich direkt aus der Rundfunkfreiheit ab, die im Grundgesetz festgelegt ist. Rundfunkbeiträge stehen aber auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Akzeptanz des ÖRR, auf die dieser angewiesen ist. Das darf nicht vergessen werden.
    Ralf Witzel (FPD) ... sind konjunkturunabhängig, für alle verpflichtend und daher das zentrale Privileg des weltweit teuersten ÖRR. Jährlich 8,5 Mrd. Euro sind entschieden zu viel. Wir wollen den Pflichtbeitrag perspektivisch halbieren. Ein Pflichtbeitrag, der auch ohne Nutzung anfällt, bedingt höchste Anforderungen an Transparenz und Kontrolle der Mittelverwendung. Für eine Beitragssenkung ist der ÖRR-Auftrag zu beschränken.
    Sven W. Tritschler (AfD) ... hießen früher "Rundfunkgebühren", aber das ist nur Kosmetik: In Wahrheit ist es eine Quasi-Steuer, die jeder zahlen muss, ob er das Programm nun konsumiert oder nicht. Das gefällt natürlich den Kollegen im Landtag, die unübersehbaren Einfluss auf das Programm nehmen. Den Bürgern aber gefällt es immer weniger: Nach aktuellen Umfragen sind nur elf Prozent mit der Höhe des Beitrags einverstanden.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230312

  • Windenergie und Abstände.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 15-16 in Ausgabe 2 - 04.04.2023

    8. Februar / 8. März 2023 - 1.000 Meter: Das ist der in Nordrhein-Westfalen gesetzlich vorgeschriebene Mindestabstand zwischen neuen Windenergieanlagen und Wohngebieten. Fürs sogenannte Repowering - damit ist der Ersatz älterer Anlagen oder Teilen davon durch moderne und leistungsfähigere gemeint - hat die Landesregierung die pauschale Abstandsregel inzwischen gestrichen. Bis 2025 sollen die Mindestabstände dann stufenweise ganz abgeschafft werden. Der SPD-Fraktion geht das nicht schnell genug.
    In einer gemeinsamen Anhörung der Ausschüsse für Bauen, Wohnen und Digitalisierung sowie für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie haben sich Sachverständige zum Thema geäußert. Grundlage waren Gesetzentwürfe von SPD (Drs. 18/1870) sowie CDU und Grünen (Drs. 18/2140), außerdem ein Antrag der regierungstragenden Fraktionen (Drs. 18/2141). Den Gesetzentwurf von CDU und Grünen hat das Plenum am 8. März 2023 mit den Stimmen der antragstellenden Fraktionen verabschiedet. Der Gesetzentwurf der SPD wurde in namentlicher Abstimmung abgelehnt.
    Die SPD-Fraktion sieht in pauschalen Mindestabständen von 1.000 Metern ein "wesentliches Hindernis" für den Ausbau der Windkraft. Zwar habe die Landesregierung eine stufenweise Abschaffung angekündigt, "wobei unverzüglich die vorgegebenen Abstände beim Repowering von Anlagen gestrichen werden sollten". Auch könne es sich nur um einen ersten Schritt handeln. Die Fraktion will den entsprechenden Paragrafen im Gesetz komplett streichen.
    Im Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und Grünen heißt es: "Die Abstandsregeln für Repowering abzuschaffen, kann zu einer beschleunigten Erhöhung der Stromproduktion aus Windenergie führen und ist somit ein wichtiger Schritt, um den Ausbau erneuerbarer Stromproduktion in Nordrhein-Westfalen kurzfristig zu beschleunigen." Nordrhein-Westfalen habe sich vorgenommen, die Windenergie in den nächsten Jahren stark auszubauen, heißt es im Antrag von CDU und Grünen. Ziel seien "1.000 zusätzliche Windenergieanlagen in den nächsten fünf Jahren". Um die Akzeptanz vor Ort zu erhöhen, solle die Landesregierung Leitfäden für eine regionale Beteiligung entwickeln. Gemeinsam mit der NRW.Bank solle sie zudem einen Fonds auflegen, der gezielt Windenergieprojekte von Bürgerinnen und Bürgern bei der Projektentwicklung durch Risikokapital unterstütze.

    "Unterschiedliche Ansichten"

    Man begrüße die "Initiativen aus dem Parlament zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände für die Ausschüsse. Beim Repowering bestünden unter den Verbänden jedoch unterschiedliche Ansichten. Städtetag und Landkreistag hätten sich bereits 2021 "grundsätzlich ablehnend" zur Einführung einer Mindestabstandsregelung geäußert. Städte- und Gemeindebund dagegen wollten an der 1.000-Meter-Abstandsregel fürs Repowering festhalten, bis die Windenergiegebiete in den Regionalplänen ausgewiesen seien.
    Positiv äußerte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die Gesetzentwürfe seien ein "klares Bekenntnis" zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Allerdings hätte man sich - wie im Gesetzentwurf der SPD vorgesehen - eine vollständige Streichung der Abstandsregeln gewünscht. Im Übrigen halte man "die geltenden immissionsschutzrechtlichen Regelungen für ausreichend, den Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Einwirkungen zu garantieren".
    Die erforderliche Beschleunigung des Windenergieausbaus müsse im Einklang mit den Zielen des Natur- und Artenschutzes erfolgen, schreibt der Naturschutzbund in seiner Stellungnahme. Die Abschaffung der 1.000-Meter-Regel sei dringend erforderlich, "da diese Regelung einem naturverträglichen Ausbau der Windenergie entgegensteht". Man unterstütze den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, er sei "in seiner Wirkung weitgehender".
    Der Verein "Vernunftkraft NRW" sieht das anders. Im "Rahmen der Vorsorge" nach Paragraf 5 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes müsse ein Mindestabstand von 1.000 Metern bestehen bleiben. Dies gelte auch fürs Repowering. Die Ausbauziele seien "selbst bei einem Abstand von 1.400 Metern nicht gefährdet". Einen "zum Teil dramatischen Immobilienwertverlust" zum Nachteil der Anwohnerinnen und Anwohner fürchtet der Verein "Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit" bei Abständen unter 1.000 Metern von künftigen Großanlagen zur Wohnbebauung. Zudem seien "keine sachlichen Gründe erkennbar, die durch die Absenkung des Abstandes bei Repowering sicher zu einer signifikant höheren Stromproduktion führen werden".
    Der Verband kommunaler Unternehmen unterstütze die regierungstragenden Fraktionen in ihrem Ziel, die Windenergie schnell und massiv auszubauen. Das aus dem Antrag und Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen bestehende Paket zur Beschleunigung des Windkraft- Ausbaus erscheine "geeignet, den Ausbau der Windenergie im Land entscheidend zu vereinfachen". Kritisch sehe man, "dass die Abschaffung der 1.000-Meter-Abstandsregelung für Windräder im Außenbereich erst deutlich später erfolgen soll". Für eine Beschleunigung des Windkraftausbaus sei es zentral, die Akzeptanz der Menschen vor Ort zu gewinnen.

    "Wichtiges Signal"

    "Dass nun zwei konkurrierende Gesetzentwürfe vorliegen, die sich mit der Abschaffung des 1.000-Meter-Abstands beschäftigen, ist ein gutes und wichtiges politisches Signal", so der Landesverband Erneuerbare Energien NRW. Der Mindestabstand habe den Ausbau der Windenergie in NRW behindert. Man unterstütze den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, weil er weiter gehe als der von CDU und Grünen.
    Die sofortige Abschaffung der 1.000-Meter-Abstandsregelung, wie im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorgesehen, "hätte für die Beschleunigung des Ausbaus kurzfristig möglicherweise den größeren Effekt", schreibt das "Center for Wind Power Drives" der RWTH Aachen. Allerdings entstehe ein "erhöhtes Akzeptanzrisiko, da die Kommunen in Ermangelung rechtssicherer Flächennutzungspläne kaum noch mitgestalten können". Der Entwurf von CDU und Grünen sehe den Wegfall der Abstandsregelung lediglich innerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete sowie für bestehende Flächennutzungspläne und Repowering-Projekte vor: "Auch wenn das Vorgehen konservativer erscheint, wird es aus unserer Sicht den Ausbau wirksamer beschleunigen. Den Grund dafür sehen wir in der Fortführung des mit dem neuen Wind-an-Land-Gesetz eingeschlagenen Weges, der die planerische Gestaltung für die Ausweisung der Windenergiegebiete in die Hände der Länder, Kreise und Kommunen gibt."
    zab

    Systematik: 2130 Alternative Energien; 2300 Technologie

    ID: LI230215

  • Ritter, John (CDU); Stinka, André (SPD); Röls, Michael (Grüne); Freimuth, Angela (FDP); Loose, Christian (AfD)
    Standpunkte: "Windenergie und Abstände".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 16-17 in Ausgabe 2 - 04.04.2023

    Windenergie ...

    John Ritter (CDU) ... hat in NRW erhebliches Potenzial. Sollen die Menschen und die Unternehmen unabhängiger von fossilen Energieträgern und Emissionen von Treibhausgasen vermieden werden, muss es mehr als bisher erschlossen werden. Dabei ist NRW auf einem guten Weg: Bei der letzten Ausschreibung der Bundesnetzagentur für Windenergieanlagen an Land entfielen die größten Zuschlags-Volumina auf Gebote für Standorte in Nordrhein-Westfalen.
    Andre Stinka (SPD) ... ist Freiheitsenergie und Rückgrat der Erneuerbaren. 12 GW Leistung soll der Wind uns 2030 bringen, aktuell sind es keine 7. Nur 68 Anlagen kamen 2022 netto hinzu, 200 müssten es jährlich sein. Sonst verpasst Schwarz-Grün das Ausbauziel 1.000 Windräder bis 2027. Die Landesregierung muss Verfahren beschleunigen und Hürden abbauen - für Klimaschutz und für günstige Preise für Menschen und Wirtschaft.
    Michael Röls (Grüne) ... ist neben Photovoltaik das zentrale Element der Energiewende im Stromsektor, um NRW und Deutschland auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. In den vergangenen Jahren ist der Windenergieausbau zu schleppend vorangekommen. Daher machen wir jetzt Tempo: Schon bis 2025 wollen wir 1,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie nutzen und damit die Flächenziele des Bundes sieben Jahre vor der Frist erreichen.
    Angela Freimuth (FDP) ... ist ein wichtiger Baustein im Energiemix, um günstige und klimafreundliche Energie für Betriebe und Haushalte zur Verfügung zu stellen und unabhängiger von Energieimporten zu werden. Für die bestmögliche Nutzung der aus Wind produzierten Energie müssen wir Energienetze und -speicher ausbauen, damit auch in Zeiten von Windflauten gesicherte Leistung aus der Windkraft zur Verfügung steht.
    Christian Loose (AfD) ... wird nie eine zuverlässige, preiswerte und grundlastfähige Energieversorgung sein. Diese Art der Stromerzeugung ist vom Wetter und damit vom Zufall abhängig. Durch Voranschreiten der "Energiewende" sind die Strompreise massiv gestiegen. Es besteht zudem die Notwendigkeit, zu jeder Windindustrieanlage ein Back-up-Kraftwerk bereitzuhalten, das bei fehlendem Wind den Strom liefert.

    Abstände ...

    John Ritter (CDU) ... zwischen Windrad und Wohnbebauung spielen nach wie vor eine Rolle. Wir haben beschlossen, für das Repowering nicht an der pauschalen Distanz von 1.000 Metern festzuhalten. Auch der starre Vorsorgeabstand, der bisher im Landesentwicklungsplan in Höhe von 1.500 m vorgesehen ist, soll nicht länger Bestand haben. Es bleibt die differenzierte Prüfung der Einzelfälle, welche Abstände konkret nötig sind, um eine bedrängende Wirkung zu vermeiden.
    Andre Stinka (SPD) ... zur Wohnbebauung sind nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz gewährleistet. Pauschale Abstände wie die 1.000-Meter-Regel sind ein Ausbauhemmnis für die grüne Zukunft. Die Grünen sperren sich mit der CDU gegen die Entfesselung der Windkraft. Die SPD hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Streichung der Abstände vorsieht. Das unterstützen Experten aus Wirtschaft, Energiebranche und Naturschutz.
    Michael Röls (Grüne) ... zu Windenergieanlagen sollten aufs Notwendigste reduziert werden. Das würde Kommunen sowie Betreiberinnen und Betreibern mehr Flexibilität geben. Der Wegfall des pauschalen Mindestabstands beim Repowering sowie in Windenergiegebieten ist ein erster wichtiger Schritt neben der Ausweitung der verfügbaren Flächen für mehr grünen und günstigen Strom in NRW.
    Angela Freimuth (FDP) ... von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung, Wald und Naturschutzgebieten sind für die Akzeptanz der Anlagen bei Anwohnern und für den Schutz der Umwelt von zentraler Bedeutung. Der Flächenbedarf für die Windenergie muss mit dem Naturschutz und dem Bedarf an und der Entwicklung von Siedlungs- und Gewerbeflächen vereinbart werden.
    Christian Loose (AfD) ... zwischen Windindustrieanlagen und jedweden Siedlungsgebieten sollten mindestens das 10-fache der Höhe der Anlage betragen. Nur so lassen sich die Belästigungen und Gefährdungen der Anwohner durch Schlagschatten, Schalldruck und Lärm sowie von herabfallenden Teilen im Falle einer Havarie oder von Funkenflug im Brandfall zumindest reduzieren.

    Regionale Akzeptanz ...

    John Ritter (CDU) ... kann auch erreicht werden, wenn die zur Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen nötigen Anlagen gleichmäßig über die Regionen verteilt werden und die damit verbundene Wertschöpfung zumindest teilweise vor Ort verbleibt. Der weite Rahmen, so wie er jetzt als Grundlage für die Änderung des Landesentwicklungsplans skizziert ist, lässt ausreichend Raum für die Vorstellungen der Träger der nachfolgenden Planungen insbesondere durch die Städte und Gemeinden.
    Andre Stinka (SPD) ... ist wichtig, um Klimaneutralität in NRW zu erreichen. Alle Regionen müssen dazu beitragen, wie es möglich und sinnvoll ist - beim Ausbau der Windkraft, der Solarenergie, der Netze. Für das gemeinsame Ziel sollten Regionen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Akzeptanzfragen sind nicht neu, sondern betrafen schon Energieträger von der Kohle bis zur Kernkraft oder Industrie in Ballungsräumen.
    Michael Röls (Grüne) ... ist bereits heute sehr hoch. Diese wollen wir erhalten und fördern, denn die Energiewende muss vor Ort gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern angegangen werden. Dafür braucht es gute Beteiligungsmöglichkeiten sowie frühzeitige und transparente Kommunikation. Ein weiterer akzeptanzsteigernder Aspekt ist eine gerechte Verteilung der Windenergieanlagen in den unterschiedlichen Regionen.
    Angela Freimuth (FDP) ... ist ein Beschleuniger für den Ausbau der Windenergie. Die regionale Akzeptanz für Windenergie steigt, wenn Regionen und Kommunen eigenständig entscheiden können, wie und wo die benötigten Flächen für Windenergieanlagen geschaffen werden. Klar ist, alle müssen nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag hierzu leisten.
    Christian Loose (AfD) ... lässt sich auch über Bürgerbeteiligungsgesellschaften nicht kaufen. Die Bürger werden leider erst über die Zeit erkennen, dass den größten Gewinn an der Anlage der Projektierer gemacht hat, der sich mit einem schnellen Verkauf der Anlage dem erheblichen, finanziellen Risiko des späteren Rückbaus entzieht. Die Bürger der Gemeinde werden hingegen mit Brosamen abgespeist.

    Anwohnerinnen und Anwohner ...

    John Ritter (CDU) ... können der Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen in ihrem Umfeld mehr abgewinnen, wenn sie an den dabei erzielten Erlösen beteiligt werden. Die regierungstragenden Fraktionen suchen nach Wegen, inwieweit und wie die Betreiber der entsprechenden Anlagen dazu in die Pflicht genommen werden können.
    Andre Stinka (SPD) ... sollen flächendeckend vom Ausbau der Windkraft profitieren können, damit im Portemonnaie sichtbar wird: Klimaschutz lohnt sich schon heute! Es braucht nicht nur verpflichtende Angebote zur finanziellen Beteiligung an Windkraftanlagen der Nachbarschaft, sondern auch Modelle für vergünstigte Strompreise für Anwohnerinnen und Anwohner. Denn nicht jede und jeder hat Rücklagen für Investitionen.
    Michael Röls (Grüne) ... sollen von der Windenergie vor Ort profitieren. Daher möchten wir Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger durch ein Bürgerenergiegesetz unmittelbar finanziell am Erlös der Anlagen beteiligen. Diese Möglichkeit wollen wir stärken, denn sie ist ein weiterer Anreiz, Windenergieprojekte zu planen und umzusetzen.
    Angela Freimuth (FDP) ... sind offen und aufgeschlossen für Windenergieanlagen in ihrer Umgebung, wenn ihre Sorgen ernst genommen werden und sie bei den Planungen mitgenommen werden. Der Nutzen klimafreundlicher und günstiger Windenergie wird allen vor Ort deutlicher, wenn Gemeinden und Bürgerinnen und Bürger auch finanziell von den Windenergieprojekten profitieren können.
    Christian Loose (AfD) ... sollten jede Gelegenheit nutzen, sich sorgfältig und umfassend über die Gefahren für ihre Gesundheit und ihren Wohnwert durch nur wenige hundert Meter entfernte, aber bis zu 250 Meter hohe Windindustrieanlagen zu informieren. Die Betreiber von Windindustrieanlagen sollten zur Entschädigung der Anwohner gesetzlich verpflichtet werden.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230216

  • Zurück in den Kreislauf.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9-10 in Ausgabe 1 - 02.02.2023

    18. Januar 2023 - Verpackungen und ausgediente Gegenstände bestehen oft aus mehreren Schichten von Kunststoff, Glas oder Papier. Da ist professionelles Recycling gefragt, um Rohstoffe aufzubereiten. Die FDP-Fraktion will chemische Recyclingverfahren stärken - ein Vorschlag, mit dem sich Sachverständige beschäftigt haben.
    Im vergangenen Jahr seien nur 8,6 Prozent der verwendeten Rohstoffe recycelt worden, schreibt die FDP-Fraktion in einem Antrag (Drs. 18/1662), der der Anhörung zugrunde lag. Mehr als 90 Prozent der ausgedienten Materialien würden dem Wirtschaftskreislauf nicht wieder zugeführt. Das gehe aus dem sogenannten Circularity Gap Report für das Jahr 2022 hervor. Gebrauchte Materialien mittels chemischer Verfahren wieder aufzubereiten, berge "erhebliches wirtschaftliches Potenzial" vor allem für die Bau- und Abfallwirtschaft sowie für die Kunststoffindustrie.
    Aktuell werde in der Kreislaufwirtschaft vornehmlich "werkstoffliches Recycling" angewandt, in Fachkreisen auch "mechanisches Recycling" genannt, schreibt die Fraktion. Abfälle werden dabei nach Kunststoffart sortiert, gewaschen, eingeschmolzen und zu sogenannten Rezyklaten aufbereitet, die als Ausgangsstoff für neue Produkte verwendet werden. Die Verunreinigung von Kunststoffen durch Glas, Metalle, Fasern, Papier, Verbundmaterialien und Additive erschwere allerdings das werkstoffliche Recycling, so die FDP-Fraktion.
    Beim chemischen Recycling wiederum werde ein Produkt in seine chemischen Grundbausteine zerlegt. Es stehe anschließend - frei von Schadstoffen - wieder zur Verfügung, um neue Produkte zu fertigen. Das chemische solle das werkstoffliche Recycling nicht ersetzen, sondern ergänzen und Lücken schließen, schlägt die Fraktion vor. Es sollten Modellregionen für die "zirkuläre Wirtschaft" aufgebaut werden, um Nordrhein-Westfalen zum "Kreislaufwirtschaftsland Nr. 1" zu machen. Die Landesregierung solle zudem u. a. die Einrichtung von Reallaboren und Demonstrationsanlagen für die Forschung, Entwicklung und kommerzielle Erprobung von chemischem Recycling vorantreiben.

    "Noch nicht marktfähig"

    Der Verband der Kunststoffindustrie "kunststoffland NRW" begrüßte die im Antrag formulierten Vorschläge. Bisherige Verfahren sollten um chemisches Recycling ergänzt werden. Die Zeit dränge, da derzeit zahlreiche Projekte initiiert würden. Zwar seien auch mithilfe des mechanischen Recyclings Fortschritte erzielt worden. Dieses Verfahren stoße bei schwer zu recycelnden Kunststoffen oder häufigen Recyclingdurchläufen aber an seine Grenzen. Chemisches Recycling dagegen eigne sich vor allem für verunreinigte und gemischte Kunststoffe.
    Positiv bewertete den Antrag auch der Landesverband Nordrhein der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Es sei zu begrüßen, chemisches Recycling "als einen wesentlichen Bestandteil der Kreislaufwirtschaft" und "Grundvoraussetzung für eine gelingende Kreislaufwirtschaft" ins Spiel zu bringen. Mechanisches Recycling könne die Qualität der aufbereiteten Stoffe negativ beeinflussen und zu Verunreinigungen führen. "Chemisches Recycling kann hier ein ergänzendes Verfahren sein, um die Qualität zu verbessern." Allerdings werde es aktuell selten angewandt. Das hänge u. a. damit zusammen, dass chemisches Recycling "noch nicht marktfähig" und meist "energieintensiv" sei. Weitere Forschung sowie Subventionen für Unternehmen seien nötig.
    Laut Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ist die "fundamentale Umgestaltung der Wertschöpfungskette Kunststoff" wichtig, um der "Wegwerfgesellschaft" etwas entgegenzusetzen. Einen wichtigen Baustein könne das chemische Recycling bilden, wobei der Begriff unterschiedliche Technologien umfasse, bei denen zu differenzieren sei. Es bestehe "Handlungsdruck", weil besonders in den Niederlanden mit Hochdruck in ähnliche Strukturen investiert werde. Chemisches Recycling wiederum dürfe nicht zum Alibi für die Verpackungsindustrie werden. Die Recyclingfähigkeit von Kunststoffverpackungen und die Langlebigkeit von Produkten seien weiter zu erhöhen.
    Das chemische Recycling erfahre aktuell großes Interesse in Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft, bemerkten der Verband der Chemischen Industrie sowie der Verband der Kunststofferzeuger "Plastics Europe". Es sei eine "aussichtsreiche Lösung, um eine breite Palette von kunststoffhaltigen Abfällen zu recyclen, die bisher nicht recycelt werden konnten", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. Chemisches Recycling leiste in Kombination mit mechanischen Verfahren einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der Klima- und Kreislaufziele des "Green Deal" der Europäischen Union. Auch die Bundesregierung habe sich zum Ziel gesetzt, die Kreislaufwirtschaft zu stärken, und greife das chemische Recycling im Koalitionsvertrag auf.

    Vorteile herkömmlicher Verfahren

    Kritisch äußerte sich der Bundesverband Sekundärstoffe und Entsorgung. Unter dem Begriff "Chemisches Recycling" seien unterschiedliche Verfahren zusammengefasst. Daher sei es schwierig, "generelle beziehungsweise vereinheitlichende Aussagen zum chemischen Recycling zu treffen". Ein Vorteil des werkstofflichen Recyclings wiederum sei, dass die chemische Struktur von Kunststoffen erhalten bleibe. Daher sei es "ökologisch so vorteilhaft". Es ermögliche Mehrfachnutzungen von Rohstoffen und verbrauche weniger Energie als das chemische Recycling.
    Prof. Dr. Peter Georg Quicker von der RWTH Aachen fügte an, Produkte sollten von vornherein so gestaltet und gefertigt sein, dass mithilfe bewährter mechanischer Verfahren mehrere Recyclingdurchläufe möglich seien. Ließen sich Stoffe auf diese Weise nicht recyclen, könne das chemische Recycling eine Alternative sein. Im Auftrag des Bundes führe er aktuell eine Studie zu Techniken und Potenzialen des chemischen Recyclings durch. Bevor Gesetzänderungen auf den Weg gebracht werden, sollten die Ergebnisse der Studie abgewartet werden. Sie würden gegen Ende des Jahres veröffentlicht.
    Eingeladen zur Anhörung hatten in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschuss für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie der Ausschuss für Umwelt, Natur- und Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Forsten und ländliche Räume.
    tob

    Systematik: 2300 Technologie; 6100 Umwelt; 6200 Abfall

    ID: LI230111

  • Dr. Untrieser, Christian (CDU); Stinka, André (SPD); Matzoll, Jan (Grüne); Brockes, Dietmar (FDP); Loose, Christian (AfD)
    Standpunkte: Beiträge zum Thema chemisches Recycling.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 1 - 02.02.2023

    Mechanisches Recycling ...

    Dr. Christian Untrieser (CDU) ... ist ein wesentlicher Baustein, um Kohlenstoffkreisläufe zu schließen und aus Kunststoffabfällen Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist zentral für unser Industrieland, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und die Klimaziele erreichen zu können.
    Andre Stinka (SPD) ... ist geübte Praxis und ein wichtiger Grundstein für die Kreislaufwirtschaft, die wir anstreben. Sammlung, Sortierung und Prozesse gilt es weiter zu optimieren. Doch auch das Produktdesign muss stärker auf mechanisches Recycling ausgerichtet werden.
    Jan Matzoll (Grüne) ... ist die erste Wahl, um Kunststoffe im Kreislauf zu halten, Abfall zu reduzieren und ressourceneffiziente Langlebigkeit zu garantieren. Das heutige mechanische Recycling hat bereits eine hohe Effizienz. Doch bei jedem Einschmelzen und Weiterverarbeiten verkürzen sich die Polymerketten, d. h. der Kunststoff wird poröser und kann nicht mehr mechanisch recycelt werden.
    Dietmar Brockes (FDP) ... sollte primär angewendet werden und ist innerhalb der Abfallhierarchie vor dem chemischen Recycling anzuwenden. Kunststoffe, die bisher nicht weiter mechanisch recycelt werden können oder stark verunreinigt sind, werden zumeist verbrannt.
    Christian Loose (AfD) ... ist ein wichtiger Teil unser aller Bestrebungen, angefallene Reststoffe als das zu behandeln, was sie sind: wertvolle Rohstoffe, die zur Entlastung unserer Umwelt einer neuerlichen Verwendung zugeführt werden.

    Chemisches Recycling ...

    Dr. Christian Untrieser (CDU) ... hat das Potenzial, das mechanische Recycling sinnvoll zu ergänzen. Die Qualität der Kunststoffabfälle - etwa bei Verbundstoffen - setzen dem mechanischen Recycling Grenzen. Chemisches Recycling kann hier ansetzen und helfen, die Recyclingziele zu erreichen. Es besteht allerdings noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf, dem es mit Demonstrationsvorhaben in NRW zu begegnen gilt.
    Andre Stinka (SPD) ... müssen wir ausbauen, um mehrmals mechanisch recyceltem Material die Eigenschaften wiederzugeben, die den Kunststoff ausmachen. Das Ziel: Statt den Rohstoff irgendwann nur noch verbrennen zu können, wollen wir ihn endlos nutzen. Das nennt man zirkuläre Nutzung. Sie hilft beim Umwelt- und Klimaschutz. Die beiden Formen des Recyclings sollten dabei ergänzend zur Anwendung kommen.
    Jan Matzoll (Grüne) ... kann eine wichtige Ergänzung für das Recyceln von Kunststoffen sein, wenn mechanisches Recyceln an Grenzen stößt. Ob und wie das der Fall ist, muss die Forschung noch zeigen. Gleichzeitig darf bei einer Kreislaufwirtschaft der Zukunft nicht vergessen werden, dass z. B. sparsamer Ressourceneinsatz, nachhaltige Materialien und Abfallvermeidung ökologisch und ökonomisch sinnvoller sind als komplexe Recyclingverfahren.
    Dietmar Brockes (FDP) ... setzt da an, wo das mechanische Recycling an seine Grenzen stößt. Lücken in der Kreislaufwirtschaft können damit geschlossen werden. Zum einen werden Schadstoffe aus den Kunststoffen separiert, zum anderen erhält man dadurch einen neuwertigen Grundstoff. Wichtig ist, dass die Technologie auch in NRW genutzt wird. Dafür muss chemisches Recycling technologisch auf die Recyclingquoten angerechnet werden können.
    Christian Loose (AfD) ... kann grundsätzlich eine sinnvolle Ergänzung des mechanischen Recyclings sein. Allerdings sind die Verwertungsverluste bei diesem Verfahren besonders hoch, und es wären enorme Subventionen nötig, sodass diese Methodik aus ökologischer und ökonomischer Sicht nicht in der Breite angewendet werden sollte.

    Modellregionen ...

    Dr. Christian Untrieser (CDU) ... für Kreislaufwirtschaft und chemisches Recycling sind für NRW eine industriepolitische Chance im Wettlauf um Investitionen. Es geht darum, dass in Deutschland die richtigen regulatorischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähig aufgestellte Kunststoffindustrie gesetzt werden. Dazu zählen auch Reallabore, um die Technologien gemeinsam mit der Industrie praxisnah voranzubringen.
    Andre Stinka (SPD) ... können probieren, was schon alles geht. Müllvermeidung, Recycling und zirkuläre Nutzung halten Rohstoffe im regionalen Kreislauf, statt sie zu verbrennen. NRW und das Rheinische Revier sind dafür geschaffen, Vorreiter bei der Kreislaufwirtschaft zu werden. Das Land muss das koordinierend fördern und passende Regeln schaffen, um kreislaufoptimierte Prozesse großflächig in die Anwendung zu bringen.
    Jan Matzoll (Grüne) ... können aufzeigen, was schon heute technisch möglich ist, um Kreisläufe zu schließen und Rohstoffe sowie Energie einzusparen. Wenn der Weg der Gewinnung, Verarbeitung und Verwertung von Stoffen lückenlos dokumentiert wird, Aufbereitung vor Ort stattfindet und diese Materialien dann ortsnah in den Kreislauf zurückgeführt werden, können wir den Rohstoffbedarf, die Belastung der Verkehrswege sowie den Energieverbrauch reduzieren.
    Dietmar Brockes (FDP) ... sowie Reallabore und Pilotanlagen sind wichtig, um die Forschung, Entwicklung und die Marktreife des chemischen Recyclings voranzubringen. Die Entwicklungsbedingungen für die Technologie sind mit den vielen spezialisierten Industrie- und Chemieunternehmen in NRW fast nirgendwo besser.
    Christian Loose (AfD) ... können eine sinnvolle Umgebung zur Erprobung komplexer, neuer Verfahren und Anwendungen sein. Sie sind aber im Regelfall aus Steuermitteln hoch subventioniert und sollten deshalb nur über einen zu Beginn des Modellversuchs eindeutig begrenzten zeitlichen Rahmen gefördert werden.
    Müllvermeidung ...

    Dr. Christian Untrieser (CDU) ... kann einen Beitrag leisten, allerdings wird sich Abfall auf absehbare Zeit nicht ganz vermeiden lassen. Es geht vielmehr darum, die Abfälle als Wertstoff zu sehen. Darum ist die Entwicklung von smarten Produktdesigns entscheidend, durch die unterschiedlichste Kunststoffe einfacher zu recyceln sind und eine Gewinnung von Sekundärrohstoffen besser möglich ist.
    Andre Stinka (SPD) ... bleibt oberstes Gebot. In einer richtigen Kreislaufwirtschaft sind Reststoffe gleich Wertstoffe. Langlebigkeit und Beschaffenheit des Produkts sind entscheidend. Dazu können wir Verantwortlichkeiten in der Wegwerfgesellschaft neu organisieren. Beispiel: Der Hersteller bleibt verantwortlicher Eigentümer des Geräts, der Verbraucher nutzt es gegen Geld. Das Recht auf Reparatur ist ein erster Schritt.
    Jan Matzoll (Grüne) ... ist die Grundlage für das Gelingen der Kreislaufwirtschaft. Das Motto heißt: Reduce, Reuse, Recycle. Wir müssen die Gesamtmenge an Abfall reduzieren. Und da fängt es bereits beim Produktdesign und der Reparaturmöglichkeit an. Was also noch zu reparieren ist und somit weiterhin seiner Bestimmung nach genutzt werden kann, sollte "reused" - weiter genutzt - werden. Erst an dritter Stelle kommt das Recycling.
    Dietmar Brockes (FDP) ... oder besser gesagt Ressourcenschonung muss immer oberste Priorität haben. Das schont die Umwelt und spart Energie. Und das ist wiederum gut für Umwelt und Klima. Ziel muss es sein, den Ressourcenverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren und die Recyclingquote beim Rest zu maximieren.
    Christian Loose (AfD) ... funktioniert wohl in kaum einem Land der Erde besser als in Deutschland.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI230112

  • Corona und die Psyche junger Menschen.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 11-12 in Ausgabe 10 - 27.12.2022

    15. November 2022 - "Mehr als zwei Jahre Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen haben bei allen Beteiligten des Bildungssystems ihre Spuren hinterlassen", heißt es in einem Antrag der SPD-Fraktion. Besonders gravierend seien die Folgen für die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zu diesem Ergebnis sei die sogenannte COPSY-Längsschnittstudie gekommen. In einer gemeinsamen Anhörung der Ausschüsse für Schule und Bildung, für Familie, Kinder und Jugend sowie für Arbeit, Gesundheit und Soziales haben sich Sachverständige zum Thema geäußert.
    Die Fraktion fordert in ihrem Antrag ("Wissenschaftlich belegte Folgen der Pandemie ernst nehmen: psychosoziale Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Familien im Bildungsbereich stärken!"; Drs. 18/628) u. a. den Ausbau und die dauerhafte Finanzierung der Schulsozialarbeit. Der Einsatz von Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern sowie von Schulpsychologinnen und -psychologen müsse an allen Schulen über einen "festen Schlüssel" ermöglicht werden. Zudem sollten Gesundheitsfachkräfte an den Schulen eingestellt und entsprechende Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer entwickelt werden. Erforderlich seien darüber hinaus "umfassende Präventions- und Heilungsstrategien, die auch kulturelle und sportliche Betätigung umfassen".

    "Gesundheit hat gelitten"

    Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen habe in der Pandemie gelitten, befand der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in einer schriftlichen Stellungnahme für die Ausschüsse: "Studien, die das belegen und gemessen haben, können wir durch unseren Praxisalltag jeden Tag bestätigt sehen." Viele Kinder litten "nach wie vor an den Belastungen, Ängsten und auch den Folgen verpasster Bildung, verpasster Förderung und somit verpasster, zum Teil unwiederbringlicher Entwicklung". Es gebe jüngere Kinder, die einen Großteil ihres bisherigen Lebens unter Pandemiebedingungen verbracht hätten: "Verpasstes kann aber nun nicht nachgeholt werden, da Angebote fehlen oder überlaufen sind."
    Im Antrag der SPD-Fraktion werde "deutlich formuliert, welche negativen Auswirkungen die Corona-Pandemie vor allem auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gehabt hat", bestätigte der Verband Bildung und Erziehung. Zudem werde "eindringlich darauf hingewiesen, dass es erheblicher Anstrengungen und Investitionen in die schulischen Rahmenbedingungen und damit auch in das soziale und emotionale Lernen bedarf, um die Resilienz der Kinder und Jugendlichen zu stärken". Eine langfristige finanzielle Sicherung sowie ein Ausbau der Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen seien dringend erforderlich. An jeder Schule müsse es mindestens eine entsprechende Stelle geben, die nicht auf Lehrerposten anzurechnen sei. Schule sei aber mehr als Unterricht, Bildung und Wissensvermittlung. Deshalb sei es richtig, "das Augenmerk auch auf kulturelle und sportliche Betätigung zu richten".
    "Ausgelöst durch die Krisen der jüngsten Vergangenheit zeigen sich in der Schule vermehrt Probleme wie Lernschwierigkeiten, Mobbing, psychische Auffälligkeiten bis hin zu Gewalttätigkeit", schrieb die Landeselternkonferenz NRW in ihrer Stellungnahme. Daher unterstütze man "die Forderung, die Richtlinien anzupassen und Schulsozialarbeit auszuweiten". Alle Schulen müssten nach einem festen Schlüssel ausgestattet werden. Die Landeselternkonferenz berichtete von "unzähligen Hilferufen von Eltern". Sie hätten "von Existenzängsten, Gesundheitssorgen, Schulängsten, Versagensängsten, Ansteckungsängsten, Schlafstörungen, Verlustängsten bis hin zu Suizidgedanken" gesprochen.
    "Der Antrag greift ein sehr schwerwiegendes fortdauerndes Problem auf, das in erster Linie auf die rigiden Coronamaßnahmen der Landesregierung zurückzuführen ist", so der frühere Oberstudiendirektor Helmut Seifen (Gronau) in seiner Stellungnahme. Schülerinnen und Schüler seien "konfrontiert mit einer außerhalb und innerhalb der Schule geschürten Panikmache" gewesen. Der Antrag der SPD-Fraktion berücksichtige "diese tiefgreifende Erschütterung des kindlichen und jugendlichen Urvertrauens in die Stabilität des eigenen sozialen Netzes in keiner Weise". Forderungen nach Verstärkung der Schulsozialarbeit "haben also höchstens die Aufgabe, die Schmerzen zu lindern, welche die Freiheitseinschränkungen im Rahmen der sogenannten Pandemiebekämpfung verursachen".
    Das Gesundheitsamt Dortmund sah "großen Handlungsbedarf für den Ausbau von Präventionsangeboten zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schulen". Es sei jedoch ebenfalls erforderlich, psychosoziale Beratungsstrukturen für Schülerinnen und Schüler sowie ihre Familien vor Ort auszubauen. "Daher haben wir bereits die personelle Aufstockung des psychosozialen Teams in unserem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst stark vorangetrieben", hieß es in der Stellungnahme. In den vergangenen Jahren sei die Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Dortmund erweitert worden und zähle mittlerweile 15 Schulpsychologinnen und -psychologen. Angesichts von insgesamt 85 weiterführenden Schulen in Dortmund könne jedoch "nicht von einer ausreichend guten Versorgungssituation ausgegangen werden".

    "Paradigmenwechsel"

    Die Schulsozialarbeit müsse weiter ausgebaut und dauerhaft abgesichert werden, so die Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit NRW. Bei der Finanzierung sei ein "Paradigmenwechsel" erforderlich: "Statt einer Finanzierung aufgrund von befristeten, ständig neuen Programmen und mit Blick auf besondere Problemlagen (Defizitorientierung/Stigmatisierung) benötigt es eine systematische und nachhaltige Institutionalisierung von Schulsozialarbeit durch den Ausbau und die Stärkung von bereits bestehenden gelingenden fachlichen Strukturen, welche das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit stärken."
    Die Landesschüler*innenvertretung NRW begrüßte "weite Teile" des Antrags: Die Probleme der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen müssten "dringend ernster genommen werden". Es sei "klar", dass es in den Schulen mehr Psychologinnen und Psychologen, mehr Sozialarbeiterinnen und -arbeiter geben müsse. Der im Antrag geforderte "Schlüssel" sei aber nicht klar definiert. Wichtig sei, dass er sich nicht ausschließlich an der Zahl der Schülerinnen und Schüler orientiere. Statistisch gebe es an Schulen mit vielen Schülerinnen und Schülern aus "sozioökonomisch schwächeren Haushalten" einen höheren Bedarf an Schulsozialarbeit.
    zab

    Systematik: 4200 Schulen; 5200 Gesundheit

    ID: LI221004

  • Schlottmann, Claudia (CDU); Engin, Dilek (SPD); Zingsheim-Zobel, Lena (Grüne); Gebauer, Yvonne (FDP); Clemens, Carlo (AfD)
    Standpunkte: "Psychosoziale Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 10 - 27.12.2022

    Kindheit und Jugend ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... prägen jeden Menschen das ganze Leben und sind nicht wiederholbar. In diesen frühen Phasen sammeln wir erste Erfahrungen und Erlebnisse, an die wir uns am besten gerne irgendwann zurückerinnern. Aus ihnen können wir lernen und uns weiterentwickeln.
    Dilek Engin (SPD) ... sind Lebensphasen, die den Grundstein für eine erfolgreiche Biographie legen. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, die die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken, ihnen Möglichkeiten bieten, bei Problemen auf eine breite Unterstützungsstruktur zurückgreifen zu können. Hier ist die Politik gefordert, diese Infrastruktur insbesondere an Schulen zu gewährleisten.
    Lena Zingsheim-Zobel (Grüne) ... prägen den Charakter und die Psyche für ein ganzes Leben. Durch Schuldruck, familiäre Konflikte oder andere Herausforderungen können Kinder und Jugendliche schon früh mit mentalen Belastungen konfrontiert sein. Um ihre mentale Gesundheit zu stärken, braucht es neben Beratungsangeboten auch Angebote der Selbstwirksamkeit und Beteiligung.
    Yvonne Gebauer (FDP) ... sind die prägendsten Lebensphasen. Sie sind die wichtigste Zeit für die Persönlichkeitsentwicklung und gleichzeitig die beste Zeit, Kompetenzen für das ganze Leben zu erwerben. Sie sind unwiederbringlich
    Carlo Clemens (AfD) ... müssen unbeschwert sein. Darauf haben Kinder ein Recht.

    Die Folgen der Pandemie ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... spüren auch und insbesondere unsere Jüngsten. Auf viele sonst ganz normale Dinge haben sie verzichten müssen. Die sozialen Kontakte und Erlebnisse, aber auch der klassische und strukturierte Alltag haben gefehlt. Hier wollen wir bestmöglich unterstützen, um Folgen abzufedern und auszugleichen.
    Dilek Engin (SPD) ... sind nicht zuletzt auch bei unseren Kindern und Jugendlichen zu beobachten. Es ist eine signifikante Zunahme an seelischen Erkrankungen zu verzeichnen. Jeder vierte junge Mensch unter 18 Jahren hat entsprechende Symptome, die seine Lebensqualität und Entwicklungschancen empfindlich beeinträchtigen. Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe müssen darauf reagieren können.
    Lena Zingsheim-Zobel (Grüne) ... betreffen Kinder und Jugendliche unterschiedlich stark. Der Anteil psychisch belasteter Kinder und Jugendlicher hat sich während der Pandemie verdoppelt (COPSY-Studie). Kinder, die vorher schon psychisch stark belastet waren, sowie Kinder aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen sind besonders betroffen. Gesundheitsschutz und soziale Teilhabe müssen zwingend zusammengedacht werden, um Kinder und Jugendliche zu schützen.
    Yvonne Gebauer (FDP) ... sind für Kinder und Jugendliche besonders gravierend. Viele sind weiterhin psychisch belastet. Sie leiden auch unter den Folgen verpasster Bildung und angemessener Förderung. Wichtige Phasen der Persönlichkeitsentwicklung wurden z. T. erheblich beeinträchtigt. Die Folgen werden uns noch lange begleiten. Diagnostik, Förder- und Behandlungsmaßnahmen müssen weiter gestärkt und ausgebaut werden.
    Carlo Clemens (AfD) ... sind nicht die Folgen der Pandemie. An jedem anderen Ort der Welt - mit Ausnahme von China - hat man Corona längst als saisonales Grippevirus akzeptiert und die Maßnahmen weitestgehend eingestellt. Das, was die etablierten Fraktionen "Folgen der Pandemie" nennen, sind in Wahrheit Folgen unsinniger Politik, vor denen die AfD von Beginn an gewarnt hat.

    Schulsozialarbeit ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... ist nicht mehr wegzudenken. Gerade in Krisenzeiten leistet sie einen unverzichtbaren Beitrag. Wir brauchen mehr sozial-pädagogische Fachkräfte an unseren Schulen. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Personal weiter aufstocken und mehr Kräfte für diesen wichtigen Bereich gewinnen. Das Handlungskonzept Unterrichtsversorgung unserer Schulministerin Dorothee Feller wird dabei einen wichtigen Beitrag leisten.
    Dilek Engin (SPD) ... stärkt ein gelingendes soziales Miteinander. Sie ist eine unverzichtbare Bereicherung des Schulalltags. Mit ihrem niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfsangebot sichert sie vielen jungen Menschen eine erfolgreiche Schullaufbahn. Daher muss die Schulsozialarbeit mit einem festen Schlüssel an allen Schulen etabliert und ihre Finanzierung auf Dauer sichergestellt werden.
    Lena Zingsheim-Zobel (Grüne) ... ist an allen Schulen wichtig. Sie erreicht auch Kinder und Jugendliche, deren Eltern keine Beratung aktiv aufsuchen, sie ist niedrigschwellig angelegt und entlastet Lehrkräfte. Anstelle des komplexen Finanzierungssystems wollen wir mit den Kommunen über klare Strukturen, einheitliche Bezahlung und Qualitätsanforderungen sprechen. Fortbildungsangebote wollen wir ausbauen und Schulsozialarbeit als festen Bestandteil von Schule etablieren.
    Yvonne Gebauer (FDP) ... ist eine wichtige Unterstützung in den Schulen, um Schülerinnen und Schüler niedrigschwellig zu erreichen und ihnen ggf. erforderliche Hilfeleistungen aufzuzeigen und anzubieten. Für eine ganzheitliche Unterstützung unserer Kinder und Jugendlichen müssen wir die bestehenden Angebote personell erweitern und noch besser verzahnen.
    Carlo Clemens (AfD) ... ist ein immer wichtiger werdender Bereich, in dem es ähnlich wie im Lehrerberuf dauerhaften Personalmangel gibt. Dieser lässt sich nicht ausschließlich mit "Schweigegeld" auffangen. Es braucht zuverlässige Arbeitsbedingungen und ein vernünftiges Arbeitsumfeld mit guter Ausstattung für Lehrer wie für Schulsozialarbeiter.

    Pandemiebedingte Schulschließungen ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... waren für viele eine Belastung, haben uns aber auch nochmal gezeigt, dass Schule mehr ist als Wissensvermittlung. Unterricht vor Ort in der Schule, gemeinsam mit Mitschülerinnen und Mitschülern und in direktem Kontakt mit der Lehrkraft, hat für uns oberste Priorität. Wir wollen weiter mit Maßnahmen, wie etwa mit dem Handlungskonzept Corona, alles dafür tun, um einen geregelten Schulalltag zu ermöglichen.
    Dilek Engin (SPD) ... sollten vermieden werden, aber dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Wir wissen, wie wichtig der Präsenzunterricht für den Lernerfolg unserer Kinder ist. Digitaler Unterricht kann ergänzen und in Extremlagen notwendig sein, aber unser Ziel ist ein regulärer Unterricht, der neben der Vermittlung von Lerninhalten auch das soziale Miteinander fördert.
    Lena Zingsheim-Zobel (Grüne) ... sind zu vermeiden. Denn Schule ist auch ein Ort der Begegnung. Dort wo Schulschließungen unumgänglich werden, sollte digitaler Unterricht stattfinden. Es ist besonders wichtig, dass Schülerinnen und Schüler nicht alleine gelassen werden und der Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern nicht abbricht. Für Kinder, die zu Hause keine guten Lernbedingungen haben, braucht es Study Halls.
    Yvonne Gebauer (FDP) ... dürfen nur das allerletzte Mittel sein! Die Auswirkungen auf die Gesundheit, Bildung und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen müssen bei allen Entscheidungen besonders stark ins Gewicht fallen.
    Carlo Clemens (AfD) ... sind grundfalsch. Sie führten zu in ihrem Ausmaß unbekannten psychischen Schäden und nicht aufzuholenden Lernrückständen bei jungen Menschen. Die AfD-Fraktion NRW hat sich von Beginn an klar gegen jede Form von Schulschließung positioniert. Bildungseinrichtungen müssen offenbleiben!

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI221012

  • Ziel: Mehr Schutz für Kinder.
    Sachverständige äußern sich zu Gesetzentwurf der Landesregierung.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 15-16 in Ausgabe 3 - 12.04.2022

    10. März 2022 - Die Landesregierung will mit einem neuen Gesetz den Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen stärken. Es wurde am 6. April 2022 einstimmig verabschiedet (Drs. 17/16232, Neudruck, Drs. 17/16997 und Drs. 17/17003). In einer gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend sowie der Kinderschutzkommission hatten sich zuvor Sachverständige dazu geäußert.
    Mit dem Gesetz ("Landeskinderschutzgesetz NRW und Änderung des Kinderbildungsgesetzes") werde "die staatliche Aufgabe und Rolle im Kinderschutz in seiner Eigenschaft als gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe präzisiert und qualitativ gestärkt", heißt es im Entwurf der Landesregierung. Es stelle Regelungen zur Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen klar und grenze die für den Schutz und die Entwicklung relevanten Handlungsfelder näher ein. Zentrale Themen seien
    - fachliche Standards "bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung einschließlich Qualitätsberatung und Qualitätsentwicklung",
    - die Zusammenarbeit der beteiligten Akteure in Netzwerkstrukturen sowie
    - Leitlinien für Kinderschutzkonzepte in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe.
    Das Gesetz soll zum 1. Mai 2022 in Kraft treten. Für das laufende Jahr werde mit Mehrkosten für den Landeshaushalt in Höhe von rund 53 Millionen Euro gerechnet. In den beiden Folgejahren seien es jeweils etwa 85 Millionen Euro.

    Netzwerke

    Die Landesjugendämter begrüßten den Gesetzentwurf, hieß es in einer Stellungnahme der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe. Er greife "zentrale (...) Entwicklungsbedarfe für eine Stärkung der Rechte und des Schutzes von Kindern und Jugendlichen auf und unterstreicht die Rechte und die Beteiligung von Kindern als wesentliche Orientierungspunkte für gelingenden Kinderschutz". Besonders hoben die Verbände den Auf- und Ausbau von Netzwerken hervor. Der Gesetzentwurf benenne "die zentralen tragenden Säulen im Kinderschutz" und lege ein "grundsätzlich überzeugendes Konzept" vor. Gleichwohl erfordere qualifizierter Kinderschutz "qualifizierte Fachkräfte in ausreichendem Umfang". Fast alle der im Entwurf benannten Arbeitsfelder seien derzeit von einem "eklatanten Fachkräftemangel" betroffen. Darauf wies auch die Gewerkschaft "Komba" in ihrer Stellungnahme hin. Das Landeskinderschutzgesetz NRW werde "eines der stärksten Kinderschutzgesetze bundesweit sein". Ein entscheidender Faktor fehle allerdings - "ausreichend vorhandenes qualifiziertes Personal".
    Es handle sich um ein "wegweisendes Landesgesetz, das wichtige Schritte geht, um den Schutz der Kinder auf Landesebene zu verbessern", schrieb die bei der Bundesregierung angesiedelte "Stelle des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs" (UBSKM). Man hoffe, "dass diese Initiative auch Impulse für andere Länder setzt".
    Der Betroffenenrat als beratendes Gremium beim UBSKM begrüßte den Entwurf ebenfalls. Besonders erfreulich sei, Kinderschutz "ab sofort und ausdrücklich mit der UN-Kinderrechtskonvention zu verknüpfen und den Status von Kindern und Jugendlichen als Rechtsträger*innen stärker als bisher hervorzuheben".
    Der Kinderschutzbund bezeichnete den Gesetzentwurf als "einen Einstieg, die rechtlichen Grundlagen und die Praxis des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen zu verbessern und zu stärken". Zwar gebe er "zentrale und wichtige Hinweise zur Konkretisierung von Standards und Verfahrensweisen des Kinderschutzes, die durchaus geeignet sind, die Qualität der sozialpädagogischen Arbeit vor Ort zu erhöhen". Es seien jedoch Ergänzungen erforderlich. So sollte der Gesetzentwurf u. a. um Anforderungen an freie Träger ergänzt werden.
    Der Gesetzentwurf sei neben bereits umgesetzten Maßnahmen des Landes ein weiterer Schritt zur Einlösung des Rechts von Kindern und Jugendlichen auf Schutz vor (sexueller) Gewalt, hieß es in der Stellungnahme der Fachstelle "Zartbitter" (Köln). Der Entwurf skizziere "Rahmenbedingungen, die für die Sicherung des Kindeswohls und Verbesserung des Schutzes von Kindern durch Jugendhilfe dringend geboten sind". Er zeuge von Fachlichkeit und Engagement. Allerdings beschränke sich das Gesetz "zunächst auf den Kinderschutzauftrag der Jugendhilfe und ihrer Netzwerke". Andere für den Alltag von Kindern und Jugendlichen relevante gesellschaftliche Bereiche wie Schule und Gesundheitswesen würden lediglich gestreift oder seien gar nicht betroffen - etwa kommerzielle Freizeit-, Sport- und Nachhilfeangebote.

    "Eigenständige Rechtsträger"

    Der Gesetzentwurf stärke die Rechte von Kindern und Jugendlichen, befand das Evangelische Büro NRW in seiner Stellungnahme für die Ausschüsse. Zudem präzisiere er die Rolle des Jugendamts: "Insbesondere ist die konsequente Ausrichtung des Gesetzentwurfs an den Rechten der Kinder und die Sicht auf Kinder und Jugendliche als eigenständige Rechtsträger zu begrüßen." An einigen Stellen wünsche man sich aber "verbindlichere Formulierungen".
    Auch das Katholische Büro NRW äußerte sich zustimmend: "Defizite bei der Einschätzung und Vernetzung sowie fehlende Fachkompetenz bei Fällen von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen sind in NRW leider überdeutlich geworden." Die vorliegende Gesetzesinitiative basiere auf "vielfältigen Analysen und Empfehlungen aus Anhörungen und Beratungen u. a. im Landtag".
    Der Kinder- und Jugendrat NRW wertete den Schutz des Kindeswohls in seiner Stellungnahme als "höchstes und wichtigstes Ziel der Kinder- und Jugendpolitik". Wichtig sei, Jugendvertreterinnen und -vertreter einzubeziehen. Eine entsprechende Liste fehle jedoch. "Im Allgemeinen" trage man den Gesetzentwurf aber mit.
    Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände fürchtet zusätzliche Belastungen für Städte, Kreise und Gemeinden. Die kommunale Handlungsfähigkeit beim Kinderschutz müsse gesichert werden, "indem der Ausgleich weiterer Folgekosten des Gesetzes und insbesondere die automatische Berücksichtigung von Tarifkostensteigerungen geregelt wird". Dazu sei die Landesregierung bislang aber nicht bereit gewesen. Eine Überarbeitung der Kostenfolgeabschätzung sowie des vorgesehenen Belastungsausgleichs sei "zwingend erforderlich".
    zab

    Systematik: 5030 Kinder/Jugendliche; 5020 Sexualität

    ID: LI220303

  • Schulze Föcking, Christina (CDU); Dr. Maelzer, Dennis (SPD); Hafke, Marcel (FDP); Paul, Josefine (Grüne); Dworeck-Danielowski, Iris (AfD)
    Standpunkte: Kinderschutz.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 16-17 in Ausgabe 3 - 12.04.2022

    Kinderschutz ...

    Christina Schulze-Föcking (CDU) ... muss fest in unserer Gesellschaft verankert werden und als gemeinsame, übergreifende Aufgabe verstanden werden. Jeder, der mit Kindern arbeitet, muss ein Kinderschützer sein. Das Bewusstsein für tagtäglich stattfindenden Kindesmissbrauch zu schärfen, ist eine Grundvoraussetzung für wirksamen Kinderschutz. Dabei muss stets das Kind in den Mittel-punkt gestellt werden. Kinder brauchen Schutz.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb benötigen wir ein ressortübergreifendes Artikelgesetz. Kinderschutz ist immer untrennbar mit Kinderrechten verbunden.
    Marcel Hafke (FDP) ... muss stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein. Kinder haben das Recht, gewaltfrei und in Geborgenheit aufzuwachsen. Statistiken und schreckliche Missbrauchsfälle haben jedoch deutlich gemacht, dass immer noch eine viel zu große Zahl an Kindern Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch ausgesetzt ist. Wir wollen eine Kultur der Aufmerksamkeit schaffen, damit Kinder und Jugendliche besser geschützt werden.
    Josefine Paul (Grüne) ... ist auf die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten angewiesen. Kinder und Jugendliche müssen vor verschiedenen Gewaltformen geschützt werden. Auch das Wissen um Täterstrategien ist wichtig. Dazu müssen staatliche Institutionen (Polizei, Justiz, Jugendämter etc.) in die Lage versetzt werden, den Kinderschutz wahrnehmen zu können. Kinderschutz ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... ist in gleichem Maße staatliche wie gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Aufgabe der Behörden ist nicht nur die Umsetzung der Kinderschutzkonzepte, sondern auch die Einbindung der vielen Ehrenamtler, die im Kinder- und Jugendbereich tätig sind. Für sie sollten Basiskurse und Fortbildungen ebenso Standard sein wie ein erweitertes Polizeiliches Führungszeugnis.

    Jugendämter ...

    Christina Schulze-Föcking (CDU) ... haben die Pflicht, bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung einzugreifen. Um diesem Schutzauftrag angemessen nachkommen zu können, brauchen sie flächendeckend einheitliche fachliche Standards für den Umgang mit Gefährdungen. Wir wollen mit dem Gesetz die 186 Jugendämter in NRW bei der Abwehr von Kindeswohlgefährdungen unterstützen und deren Arbeit qualitativ weiter ausbauen.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... brauchen einheitliche Standards. Zur Unterstützung der Kommunen und zur Sicherung der Standards brauchen wir aber auch Kinderschutzbedarfspläne.
    Marcel Hafke (FDP) ... werden durch das Landeskinderschutzgesetz in ihrer Arbeit unterstützt und gestärkt. Fachliche Mindeststandards werden die Rahmenbedingungen für die wichtige Arbeit der Jugendämter nachhaltig verbessern, Arbeitsprozesse weiter professionalisieren und den Fachkräften zusätzliche Handlungssicherheit für ihre verantwortungsvolle Aufgabe im Bereich des Kinderschutzes geben.
    Josefine Paul (Grüne) ... übernehmen eine zentrale und verantwortungsvolle Aufgabe beim Kinderschutz. Sie haben die staatliche Aufgabe, unsere Kinder und Jugendliche zu schützen und zu unterstützen. Dafür müssen sie personell gut ausgestattet sein. Es braucht aber auch klare Standards zu Verfahren, Qualitätsentwicklung und Einarbeitung.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... sind nun mit dem Qualitätsentwicklungsverfahren und der Qualitätsberatung deutlich besser aufgestellt. Sie dürfen nicht in die Lage eines Bittstellers kommen, wenn sie andere Akteure darum bitten, an der Netzwerkarbeit teilzunehmen, nur weil gesetzliche Regelungen fehlen. Bei den Empfehlungen wäre es wünschenswert, dass die Jugendämter auch auf die Expertise der freien Träger zurückgreifen.

    Fachkräfte ...

    Christina Schulze-Föcking (CDU) ... müssen bei ihrer täglichen Arbeit in Form von einheitlichen und verbindlichen Verfahren, wie sie mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung umgehen und schnell wirksam helfen können, unterstützt werden. Wir wollen ihnen zur Seite stehen. Entscheidend ist dabei unter anderem auch die Vermittlung des notwendigen Know-how, z. B. von Täterstrategien und Reaktionsmustern von Opfern.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... brauchen Sicherheit in ihren Entscheidungen. Dafür benötigen sie eine feste Einarbeitung und ein Mehraugenprinzip, denn man sieht meist nur, was man kennt.
    Marcel Hafke (FDP) ... in Jugendämtern und in den Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen erhalten durch das Kinderschutzgesetz mehr Handlungssicherheit und Orientierung. Qualitätsberatung und -entwicklungsverfahren werden die gute Arbeit der Jugendämter weiter stärken. Qualifizierung und Netzwerkarbeit werden für den Kinderschutz sensibilisieren, die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren verbessern und Meldewege transparenter machen.
    Josefine Paul (Grüne) ... sind das Fundament für wirksamen Kinderschutz. Der Fachkräftemangel ist aber in allen Sozial- und Erziehungsberufen bereits spürbar. Gute Arbeitsbedingungen sind zentral zur Gewinnung und Haltung von Fachkräften. Dazu gehört die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Diese Bedingungen sollten aber für alle Bereiche, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten, ob Kita, Schule, OGS oder Jugendzentrum, gelten.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... sind oft überlastet und damit überfordert, in vielen Jugendämtern herrscht hohe Fluktuation. Daher müssen nicht nur die Fallzahlen angepasst, sondern dringend in die Aus-und Weiterbildung investiert werden. Neben einer fundierten Ausbildung empfiehlt sich auch ein Einarbeitungsprogramm im ASD, um Fachkräfte durch Training-on-the-Job zu ertüchtigen, Kindeswohlgefährdung frühzeitig zu erkennen.

    Netzwerke ...

    Christina Schulze-Föcking (CDU) ... sind essentiell für einen effektiven Kinderschutz vor Ort. Nur wenn alle beteiligten Akteure, vom Jugendamt, den freien Trägern über die Ärzteschaft bis hin zur Polizei, miteinander statt nebeneinander arbeiten, können sie voneinander lernen und damit entscheidend zu einem wirksamen Kinderschutz beitragen. Daher braucht es einen flächendeckenden Ausbau von interdisziplinären Netzwerken im Kinderschutz.
    Dr. Dennis Maelzer (SPD) ... sind zentral, müssen aber für alle verbindlich sein und vor allem die Betroffenen zu Beteiligten machen und sie mit einbeziehen. Das kann auch durch die Interessensvertretungen, die Jugendverbände und Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit vor Ort passieren.
    Marcel Hafke (FDP) ... im Bereich Kinderschutz werden seit Jahren gefordert. Wir gehen nun bewusst über die Vorgaben des Bundesrechts hinaus und unterstreichen damit die bundesweite Vorreiterrolle NRWs. Die strukturelle Vernetzung der verschiedenen Akteu¬re aus Kinder- und Jugendhilfe, Schulen, Gesundheitswesen und Polizei werden Absprachen und Austausch bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung erleichtern und den Kinderschutz nachhaltig verbessern.
    Josefine Paul (Grüne) ... können einen wichtigen Beitrag für den Kinderschutz vor Ort leisten. Die Netzwerke sind interdisziplinär besetzte Vernetzungsstrukturen, die sowohl Kinderschutzfälle besprechen, aber auch den örtlichen Kinderschutz im Blick halten. Damit die Netzwerke wirksam arbeiten können, brauchen sie eine Koordinierung. Zudem braucht es Anreize zur verbindlichen Beteiligung.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... stellen ein wichtiges Instrument dar, um die Kompetenzen aller beteiligten Akteure bündeln und ihre Erfahrungen untereinander austauschen zu können. Erst daraus können effektiv Lehren gezogen und letztlich Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Wünschenswert ist auch eine Involvierung ehrenamtlicher Stellen und Vertretern von Kindern und Jugendlichen, deren Perspektive stets im Blick behalten werden muss.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI220314

  • Dunkle Ecken.
    Sachverständige beraten Forderungen nach mehr Sicherheit.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11-12 in Ausgabe 2 - 22.02.2022

    3. Februar 2022 - Verwahrlost, verschmutzt, düster, unheimlich - solche Orte rücken SPD und Grüne mit jeweils eigenen Anträgen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In und an Bahnhöfen, aber auch im sonstigen Ortsgebiet gebe es Angsträume, an denen sich Menschen nicht wohlfühlten. Was ist zu tun? In einer Anhörung des Innenausschusses haben externe Fachleute aus der Wissenschaft, vonseiten der Polizei und aus dem Bahn-Umfeld Vorschläge der Fraktionen beleuchtet.
    Während große Bahnhöfe oftmals Hotspots der Kriminalität seien, fielen kleinere Haltepunkte häufig durch Schmutz, Müll und dunkle Zugänge auf, problematisiert die SPD-Fraktion in ihrem Antrag "Angsträume beseitigen, Sicherheit erhöhen - die Verkehrswende braucht attraktive Bahnhöfe und Haltepunkte!" (Drs. 17/15462). Deshalb sollten u. a. an großen Bahnhöfen Waffenverbote herrschen und Sicherheitsakteure besser kooperieren. Mittlere und kleine Bahnhöfe sollten wieder eine Bahnhofsaufsicht - möglicherweise aus dem sozialen Arbeitsmarkt - erhalten, die für einen guten Zustand sorgen und Ansprechperson vor Ort sein könnte.
    Die Grünen verweisen in ihrem Antrag "Initiative zur Stärkung der Sicherheit in öffentlichen Räumen im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention" (Drs. 17/15631) auf Niedersachsen. Das dortige Landeskriminalamt (LKA) habe ein Kompetenzzentrum für Urbane Sicherheit gegründet, das u. a. die Kommunen in der Städtebauplanung beratend unterstütze. Öffentliche Plätze seien für alle da, somit müssten sich dort Menschen aller Geschlechter, aller Nationalitäten, jeden Alters und mit wie ohne Behinderung sicher fühlen können.
    Dr. Anke Schröder vom LKA Niedersachsen erläuterte in ihrer Stellungnahme für den Ausschuss, ein interdisziplinäres Team berücksichtige technisch-bauliche wie auch sozialräumliche Aspekte bei der Neubauplanung und bei bestehenden Gebäuden. Die Deutsche Polizeigewerkschaft NRW bezeichnete es in ihrer Stellungnahme als zielführend, auch in NRW ein solches Kompetenzzentrum einzurichten.
    Ein und derselbe Ansatz für alle Bahnhöfe mache wegen unterschiedlicher Ausgangslagen wenig Sinn, erklärte Prof. Dr. Bernhard Frevel von der Hochschule für Polizei und Verwaltung. Generell sei es für die Kriminalprävention aber wichtig, interdisziplinär und Ebenen übergreifend zusammenzuarbeiten, von der kommunalen Sozialarbeit über die zivilgesellschaftliche Wohlfahrtspflege und die Privatwirtschaft bis hin zur Polizeistreife.

    Waffenverbotszonen

    Zu den Einzelmaßnahmen gab es unterschiedliche Stimmen. Während die geladenen Polizeigewerkschaften Waffenverbotszonen begrüßten, erklärte Dr. Tim Lukas von der Bergischen Universität Wuppertal, sie könnten keine sozialen Ursachen beheben und seien daher nur als Ultima Ratio einzusetzen. Sichtbare Videokameras erhöhten das subjektive Sicherheitsgefühl kaum, eher suggerierten sie die offensichtliche Gefahr des Ortes, so Lukas weiter. Ob Videoüberwachung potenzielle Täterinnen und Täter abschrecke, sei aus wissenschaftlicher Sicht unklar. "Wenn die Bilder von Videokameras nicht permanent beobachtet werden", fügte Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei NRW hinzu, "und man vor allen Dingen nicht auch Personal hat, das sofort zur Gefahrenabwehr aktiv werden kann, verpufft der Effekt des Videokameraeinsatzes aus polizeilicher Sicht im Grunde genommen."
    Dunkle Ecken könnten zwar ausgeleuchtet und Wege einsehbar gestaltet werden, erklärte der Soziologe Lukas. Die Beleuchtung erhöhe auch das persönliche Sicherheitsempfinden. Jedoch bedeute dies schlicht eine Verlagerung des Brennpunkts auf andere Orte. Deshalb sei eine solche Maßnahme nur ein Puzzleteil in einem Gesamtkonzept, das die jeweils örtlich unterschiedlichen Problemlagen berücksichtigen müsse.
    Die vorgeschlagenen Bahnhofsaufsichten müssten qualifiziert und reflektiert sein, um als soziale Kontrollinstanz zu funktionieren, gab der Soziologe zu bedenken. Regelmäßige Streifen trügen auch an kleinen Haltepunkten am Abend dem Sicherheitsbedürfnis von Frauen und älteren Menschen Rechnung. Personalpräsenz hielten alle Sachverständigen für wichtig.
    Auch die Deutsche Bahn erklärte, von ihr befragte Reisende hielten dies für das Wichtigste, um sich sicherer zu fühlen, gefolgt von besserer Beleuchtung und Videoanlagen. Positive Erfahrungen mit einer Bahnhofsaufsicht als "Servicehelfer" und Ansprechperson habe man in einem Pilotprojekt in Wanne-Eickel gemacht, wo Langzeitarbeitslose diese Position übernähmen.

    Angsträume

    "Der Fahrgast muss sich in seiner gesamten Wegekette wohlfühlen", betonte Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn. Als eine der Ursachen für entstehende "Angsträume" benannte er in rechten Winkeln gebaute und damit nicht einsehbare Unterführungen zu Bahnsteigen.
    Zu Wort kam auch das Kompetenzcenter Sicherheit des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr. In der entsprechenden Stellungnahme wurden Waffenverbote und Videoüberwachung begrüßt - jedenfalls bei genügend Personal.
    Kontrollgänge, Videobeobachtung und Prävention allgemein seien personalintensiv, das klang in Stellungnahmen wiederholt an. Zum Thema Personalmangel als ein durchgängiges Problem stellte Manuel Ostermann von der Gewerkschaft der Polizei in Aussicht: "Durch gemeinsame Streifen von Bundespolizei, Polizei NRW und Ordnungsbehörden entstehen auch möglicherweise beim Personalverteilungsschlüssel neue Kapazitäten." Eine bessere Zusammenarbeit der für die Sicherheit relevanten Akteure hielten alle Sachverständigen für sinnvoll. Diese Idee sei allerdings nicht neu, merkte Prof. Dr. Daniel Zerbin, Kriminalitätswissenschaftler von der Northern Business School an. Die Idee möglicher Waffenverbotszonen bewertete er als ambivalent: Auch potenzielle Opfer könnten sich dann schlechter verteidigen.
    sow

    Systematik: 2640 Schienenverkehr; 1300 Innere Sicherheit

    ID: LI220211

  • Dr. Katzidis, Christos (CDU); Ganzke, Hartmut (SPD); Lürbke, Marc (FDP); Schäffer, Verena (Grüne); Wagner, Markus (AfD)
    Standpunkte: "Vorschläge für mehr Sicherheit".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 2 - 22.02.2022

    Ein Kompetenzzentrum für urbane Sicherheit ...

    Dr. Christos Katzidis (CDU) ... bedeutet zusätzliche Bürokratie ohne nachgewiesenen Mehrwert. Anwendungsorientierte Forschung zur Sicherheit im öffentlichen Raum kann und sollte von allen Bundesländern im Rahmen eines gemeinsamen Projektes an der Deutschen Hochschule der Polizei gemacht werden. Darüber hinaus könnte eine "regionale" Forschung für NRW an der Hochschule für Polizei des Landes NRW sinnvoll sein.
    Hartmut Ganzke (SPD) ... sollte man ernsthaft prüfen.
    Marc Lürbke (FDP) ... kann Ansätze liefern, um die Sicherheit zu erhöhen. Gefragt sind vor allem kurzfristige Lösungen: Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften sollten überall im Land ausgebaut werden. Alle Akteure von Kommunen, Land, Bund und der Deutschen Bahn müssen gleichermaßen konsequent ihre Hausaufgaben machen, um Angsträumen rund um Bus und Bahn konsequent den Riegel vorzuschieben.
    Verena Schäffer (Grüne) ... kann die kommunale Kriminalprävention stärken, landesweit das Wissen über Kriminalität und Kriminalprävention bündeln sowie Vernetzungs- und Koordinierungsarbeit übernehmen. Daneben bietet es sich an, dass dort wissenschaftliche Evaluationen und Untersuchungen durchgeführt werden, wie z. B. einen periodischen Sicherheitsbericht zu erstellen.
    Markus Wagner (AfD) ... ist zu begrüßen. Handlungsbedarf besteht hier insbesondere bei der Erstellung von konkreten Lagebildern für die Täter-Opfer-Relationen. Leider sind beispielsweise die Quoten von nichtdeutschen Tatverdächtigen bei Gewalt-, Drogen- und Eigentumsdelikten überproportional hoch. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen müssen hier, wo immer rechtlich möglich, durchgesetzt werden.

    Videoüberwachung ...

    Dr. Christos Katzidis (CDU) ... ist ein wichtiges Instrument zur Verbesserung des Sicherheitsempfindens der Bürgerinnen und Bürger. Gerade an neuralgischen öffentlichen Plätzen und Flächen, an zentralen Omnibusbahnhöfen und Bahnhöfen sollte eine Videobeobachtung Standard sein. Dabei sollte insbesondere auch künstliche Intelligenz genutzt werden. Hier gibt es noch Handlungsbedarf. Wir werden uns weiterhin dafür starkmachen.
    Hartmut Ganzke (SPD) ... kann einen Beitrag leisten, die Sicherheit im Umfeld von Bahnhöfen zu verbessern. Straftäter könnten noch vor Ort gestellt bzw. im Nachhinein durch die Videoauswertung einer Verfolgung zugeführt werden. Wichtig für eine Abschreckungswirkung ist, dass Kameras gut sichtbar angebracht werden. Zudem müssen die Kamerabilder permanent beobachtet werden, damit Sicherheitskräfte sofort eingreifen können.
    Marc Lürbke (FDP) ... ersetzt keine Einsatzkräfte vor Ort - im Gegenteil: Ohne ausreichend Personal, das in Gefahrsituationen auch sofort einschreiten und helfen kann, bergen Kameras zum Teil sogar gefährliche Scheinsicherheit. Ein echtes Sicherheitsplus stellt sich nur dann ein, wenn die Kameralinsen wie echte Augenpaare auch eine echte, reale Reaktion in Person von Sicherheitskräften zur Folge haben.
    Verena Schäffer (Grüne) ... als polizeiliche Videobeobachtung zur Gefahrenabwehr ist wirksam, wenn die Polizei sofort eingreifen kann. Kameras allein haben aber kaum abschreckende Wirkung auf Täterinnen und Täter und erhöhen auch nicht das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Wenn Videobeobachtung Kriminalität nur an andere Orte verdrängt, ist sie problematisch, denn sie greift immer in die Grundrechte unbeteiligter Bürgerinnen und Bürger ein.
    Markus Wagner (AfD) ... trägt an relevanten Orten dazu bei, das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen, und hat auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter. Darüber hinaus erleichtert sie die Strafverfolgung und Überführung von Tätern. Videoüberwachung allein verhindert keine Straftaten oder Attentate, aber sie ist wichtiger Bestandteil eines Maßnahmenbündels, das zu mehr Sicherheit führt.

    Waffenverbotszonen ...

    Dr. Christos Katzidis (CDU) ... können genauso wie Alkoholverbotszonen eine adäquate Ergänzung zu weiteren Maßnahmen sein, um in bestimmten stark frequentierten Bereichen, wie zum Beispiel Bahnhöfen, Einkaufszentren, Fußgängerzonen, Jahrmärkten etc., das Sicherheitsempfinden zu verbessern. Für die Durchsetzung muss in der Folge allerdings auch das notwendige Personal eingesetzt werden, damit es etwas bringt.
    Hartmut Ganzke (SPD) ... haben nicht nur eine wichtige Symbolwirkung, sondern geben der Polizei vor Ort auch bessere Möglichkeiten, um niedrigschwelliger als bisher zu kontrollieren, präventiv einzuschreiten und Verstöße zu sanktionieren. Somit kann gegen potentielle Gewalttäter mit Waffen besser vorgegangen werden. Grundsätzlich muss kein Mensch am Bahnhof mit Waffen herumlaufen, diese haben dort nichts verloren!
    Marc Lürbke (FDP) ... lösen alleine noch kein Problem. Für wirksame Kontrollen braucht es vor allem ausreichend Personal bei Polizei und Ordnungskräften, eine schnelle Justiz und drittens auch wieder mehr gesellschaftlichen Rückhalt für die gefährliche Arbeit der Polizei. Diese Punkte müssen zusammenkommen, dann kann eine Waffenverbotszone in bestimmten Bereichen auch ein effektives Mittel zur Eindämmung von Gewalt sein.
    Verena Schäffer (Grüne) ... sind kein Allheilmittel. Sie können Straftaten mit Waffen verringern, das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger vor Ort aber nicht erhöhen. Das zeigt eine Studie aus Leipzig. Waffenverbotszonen sollten nur eingebunden in ein Gesamtkonzept erfolgen, dazu gehören die Kooperation mit anderen Akteuren im Stadtteil und die Stärkung der Polizeiarbeit vor Ort.
    Markus Wagner (AfD) ... bieten der Polizei eine höhere Einschreitungskompetenz und sind - vor allem symbolpolitisch - ein Instrument, um Gewaltkriminalität zu reduzieren. Allerdings trifft diese Maßnahme potentielle Täter und gesetzestreue Bürger gleichermaßen. Der unbescholtene Passant, der ein Taschenmesser "am Mann hat", wird mit einem Gewalttäter gleichgesetzt, obwohl von ihm keine Gefahr ausgeht.

    Eine Bahnhofsaufsicht ...

    Dr. Christos Katzidis (CDU) ... kann das Sicherheitsempfinden an Bahnhöfen nicht so steigern wie eine durchgehende Polizeipräsenz. Zielführender wäre eine Intensivierung der Ordnungspartnerschaften zwischen Bundes- und Landespolizei sowie Ordnungsämtern und Bahnpersonal. Gemeinsame Dienststellen bzw. gemeinsame Streifen sollten Standard an jedem Bahnhof sein, dann wäre eine Wiederbelebung der Bahnaufsicht entbehrlich.
    Hartmut Ganzke (SPD) ... benötigen wir, um den Zustand der Verwahrlosung zu bekämpfen, der insbesondere an zu vielen kleinen und mittleren Bahnhöfen besteht. Eine erfolgreiche Verkehrswende gibt es nur mit Bahnhöfen, an denen sich die Menschen wohl und sicher fühlen.
    Marc Lürbke (FDP) ... kann ein Baustein in der Sicherheitsarchitektur sein, keinesfalls ist sie das Fundament. Zur Steigerung der Sicherheit hilft neben durchdachten baulichen Maßnahmen am Ende tatsächlich nur mehr Präsenz von sichtbarem, ansprechbarem und vor allem qualifiziertem Sicherheitspersonal in der Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen.
    Verena Schäffer (Grüne) ... eignet sich als erfolgreiche Präventionsmaßnahme, wenn sie entsprechend qualifiziert ist und vor Ort vorausschauend und professionell auftritt. Abhängig von der Lage kleinerer Bahnhöfe können dort anstelle einer Bahnhofsaufsicht andere Nutzungskonzepte wie Gastronomie, Vereine, soziale Angebote usw. ebenso für ein besseres Sicherheitsempfinden und mehr Sicherheit allgemein sorgen.
    Markus Wagner (AfD) ... sollte unbedingt an allen Bahnhöfen NRWs eingerichtet werden. Denn sie trägt maßgeblich dazu bei, dass der Sicherheitsfaktor spürbar steigt - mehr Personal führt zu mehr Sicherheit. Genau deswegen setzen wir uns daher auch für einen insgesamt stärkeren Personalaufwuchs bei der Polizei ein. Dieses Mehr an Polizei muss dann zwischen Bund und Land allerdings noch deutlich besser verzahnt werden.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI220212

  • Schutz vor Gewalt.
    Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt einer Anhörung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11-12 in Ausgabe 1 - 01.02.2022

    13. Januar 2022 - Die Landesregierung will den Gewaltschutz in Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie Werkstätten für Menschen mit Behinderung stärken. So sollen u. a. die Regelungen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen und Unterbringungen neu gefasst werden. Bei den Werkstätten ist zudem eine "kombinierte kommunale und staatliche Aufsicht nach dem Wohn- und Teilhabegesetz" vorgesehen. In einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales äußerten sich Sachverständige zur geplanten Gesetzesänderung.
    In ihrem Gesetzentwurf (Drs. 17/15188) bezieht sich die Landesregierung u. a. auf Vorkommnisse in der Diakonischen Stiftung Wittekindshof im Kreis Minden-Lübbecke. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Beschäftigte der Einrichtung wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung. Der Fall zeige, "dass zwingend Regelungsbedarf bei der Verbesserung des Gewaltschutzes besteht, besonders in Einrichtungen der Eingliederungshilfe", schreibt die Landesregierung. Auch wenn die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen sei, "lässt sich bereits jetzt feststellen, dass die bestehenden Regelungen des Wohn- und Teilhabegesetzes zur Anwendung von freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nicht eindeutig genug und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dazu oftmals nicht bekannt sind".
    "Die Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen ist nicht selten Ausdruck von Hilflosigkeit der Beteiligten", heißt es in der Stellungnahme der Expertenkommission "Herausforderndes Verhalten und Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe". Die Landesregierung hatte die Kommission nach Bekanntwerden der Ermittlungen bei der Diakonischen Stiftung Wittekindshof eingesetzt. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen kämen nur "als Ultima Ratio in Betracht, nachdem andere Interventionen versagt haben". Die Kommission habe sich an den Beratungen zur Gesetzesreform beteiligt und begrüße, "dass ihre Anregungen weitgehend aufgegriffen wurden".
    Mit dem Gesetzentwurf werde die "überfällige Angleichung der Schutzrechte und behördlichen Schutzpraxis zur Gewaltvermeidung und Konfliktlösung für Menschen mit Pflegebedürftigkeit und Behinderung erreicht", so Prof. Dr. Harry Fuchs, Honorarprofessor im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf.

    "Änderungen verfrüht"

    Skeptisch äußerten sich Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund sowie die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen- Lippe in einer gemeinsamen Stellungnahme für den Ausschuss. "Der Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Gewalt ist uns ein zentrales Anliegen", heißt es darin. Allerdings seien die vorgeschlagenen Änderungen verfrüht, "da die Ausschöpfung der in absehbarer Zeit zur Verfügung stehenden Ergebnisse und Evaluationen nicht abgewartet wurde". Der vorgelegte Entwurf sehe "nun ein undurchsichtiges Zusammenspiel verschiedener Prüfungsebenen und -behörden vor, das die Verantwortlichkeiten offenlässt und absehbar zu Reibungsverlusten führt". Zudem werde das Änderungsgesetz "zu einem tiefgreifenden Eingriff in die kommunale Handlungsfreiheit, dem Aufbau weiterer Bürokratie und der Verursachung beträchtlicher Kosten führen".
    Einen "deutlichen Bürokratiezuwachs" befürchtete auch die "Freie Wohlfahrtspflege NRW". Es werde ein "Personal- und Finanzierungsaufwand entstehen, der weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung ausreichend berücksichtigt wird". Positiv im Entwurf sei u. a. die Einrichtung einer zentralen Monitoring- und Beschwerdestelle.
    Der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW begrüßte den Gesetzentwurf - und hob ebenfalls die geplante Einrichtung der Stelle hervor. Erforderlich sei darüber hinaus ein weiterer konsequenter Umbau der Versorgungs- und Einrichtungsstruktur: "Ziel muss es sein, die Konzentration auf wenige zentrale Einrichtungen zu vermeiden und kleine sozialraumorientierte Angebote zu ermöglichen." Der Verband regte zudem flächendeckende "Konsulentendienste" für die Begleitung und Beratung von Personen an, "die in der Betreuung von Menschen mit herausforderndem Verhalten tätig sind".

    Fachpersonal

    Auch der Sozialverband VdK äußerte sich positiv zum Gesetzentwurf. "Immer noch viel zu häufig wird von Übergriffen, Misshandlungen und erniedrigenden Behandlungen in der Pflege und der Betreuung von Menschen mit Behinderungen berichtet, so dass man anhaltend von strukturellen Verletzungsrisiken ausgehen kann", heißt es in der Stellungnahme. Studien gingen davon aus, "dass es z. B. heute noch täglich etwa 340.000 Maßnahmen in deutschen Pflegeheimen gibt, die als freiheitsentziehende Maßnahmen zu qualifizieren sind". Staatliche Prüfungen müssten verbessert werden, allerdings bräuchten die Bezirksregierungen dafür ausreichend Fachpersonal.
    Auf einen "dramatischen Mangel an Pflegefachkräften" wies der Sozialverband Deutschland hin: "Da sich aber Qualität nur dann in Einrichtungen ‚hineinkontrollieren‘ lässt, wenn zugleich die erforderlichen Ressourcen für eine bedarfsgerechte und hochwertige Qualität, für attraktive Arbeits- und Entgeltbedingungen sowie das benötigte Personal auch zur Verfügung stehen, wird eine einseitige Stärkung von Überwachung und Kontrolle nicht zielführend sein."
    Die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte NRW hielt es für richtig, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung "von einer unabhängigen Behörde zum Thema Gewaltschutz überprüft werden". Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft vertreten die Interessen der Beschäftigten in den Einrichtungen, vergleichbar einem Betriebs- oder Personalrat. Sie fordern Schulungen zu den Themen Gewalt und Gewaltschutz für "alle Personen in einer Werkstatt". Das Gewaltschutzkonzept müsse den Beschäftigten in Leichter Sprache vorgestellt werden.
    zab

    Systematik: 5050 Behinderte; 5130 Soziale Einrichtunge

    ID: LI220109

  • Preuß, Peter (CDU); Neumann, Josef (SPD); Schneider, Susanne (FDP); Mostofizadeh, Mehrdad (Grüne); Dr. Vincentz, Martin (AfD)
    Standpunkte: Beiträge zum Thema Gewaltschutz.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 1 - 01.02.2022

    Menschen mit Behinderung ...

    Peter Preuß (CDU) ... sind nicht immer in der Lage, sich selbst zu schützen und werden daher leichter Opfer von Übergriffen und Gewalt. Die Neuregelungen im WTG dienen dazu, Gewalt jeglicher Ausprä¬gung zu verhindern. Die Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben muss für jeden Menschen jederzeit angstfrei möglich sein.
    Josef Neumann (SPD) ... haben das Recht auf ein Leben in Würde. Der Schutz vor Gewalt ist dabei oberstes Prinzip und ist jederzeit staatlich sicherzustellen. Daher muss der Schutz vor Gewalt in den Einrichtungen des Wohnens und in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung an erster Stelle stehen.
    Susanne Schneider (FDP) ... müssen vor jeglicher Form von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch geschützt werden. Deshalb will die NRW-Koalition aus FDP und CDU den Gewaltschutz verbessern und die Aufsicht in Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie Werkstätten stärken. Einrichtungen sollen künftig Konzepte zur Gewaltprävention erstellen, um dort alle Menschen besser zu schützen.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... haben ein deutlich höheres Risiko, Gewalt und anderen Übergriffen ausgesetzt zu sein. Dies gilt für Frauen und Mädchen ganz besonders und noch einmal mehr, wenn sie in stationären Einrichtungen leben. Der Gewaltschutz muss dringend verbessert werden. Grundsätzlich können kleinere Wohnformen im Gegensatz zu großen Einrichtungen das Gewaltrisiko durch die engere Anbindung an die Gesellschaft senken.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... haben den Anspruch, einen gleichwertigen Zugang zum alltäglichen Leben zu haben wie jeder andere Bürger. Diese grundsätzlich gerechtfertigte Forderung stellt - insbesondere im Rahmen der Wohngruppen und Heime, und je nach Art und Grad der Einschränkung - Politik und Gesellschaft vor große Herausforderungen, die im Dialog Stück für Stück gelöst werden müssen.

    Freiheitsbeschränkende Maßnahmen ...

    Peter Preuß (CDU) ... sind in der Vergangenheit zu oft und zu willkürlich und unkontrolliert angeordnet worden. Mit den Änderungen im WTG sollen unter anderem die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt und stärker betont werden. Freiheitsentziehende und freiheitbeschränkende Maßnahmen sind grundsätzlich zu vermeiden und auf den Einzelfall zu beschränken.
    Josef Neumann (SPD) ... bei Menschen mit Behinderung sind massive Eingriffe in die Grundrechte. Sie dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn Gefahren wirklich nicht anders abgewendet werden können. Im Gesetz muss daher rechtlich klar gestellt werden, wie diese Maßnahmen umgesetzt, dokumentiert und geprüft werden und wie Betroffene hierbei eingebunden werden.
    Susanne Schneider (FDP) ... dürfen immer nur letztes Mittel sein, um eine Selbstgefährdung oder eine Gefahr für andere Menschen zu verhindern. Die Anforderungen sind durch die UN-Behindertenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich erhöht worden. Wir sehen jetzt konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen vor. Dazu zählen Dokumentation und Berichterstattung.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... sind grundsätzlich zum Schutz der Grund- und Menschenrechte zu vermeiden. Im deutschen Recht sind sie nur in sehr engen Grenzen und als letztes Mittel in Krisensituationen erlaubt. Damit diese Grenzen nicht überschritten werden, muss im Sinne aller gehandelt werden. Nötig ist ausreichend Personal in den Einrichtungen, das besser geschult und begleitet wird, andere Betreuungssituationen und konsequente wie sensible Führung.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... stellen eine manchmal unumgängliche Notwendigkeit dar. Da sie tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, müssen sie aber in jedem Einzelfall sehr gut begründet werden. Um ihren Gebrauch auf das absolute Minimum zu beschränken, gilt es, in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen praktikable Lösungen zu finden. Ganz besonders wichtig ist es, etwaige missbräuchliche Anwendungen zu unterbinden.

    Behördliche Prüfungen ...

    Peter Preuß (CDU) ... sollen verbessert, vereinheitlicht und unabhängiger werden. Dazu werden die Aufgaben aller beteiligten Aufsichtsstellen präzisiert, mehr stichprobenartige Vor-Ort-Prüfungen durchgeführt und das Berichtswesen neu geregelt. Die bestehenden kommunalen Unterschiede bei den Prüfungen müssen beendet und Regelungen angeglichen werden. So wird sichergestellt, dass Menschen mit Behinderungen ihrer Arbeit frei von Gewalt und Belästigungen nachgehen können.
    Josef Neumann (SPD) ... sind notwendig, um den Schutz von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung sicherzustellen. Der Staat hat die Aufgabe, die Menschen in Einrichtungen umfassend vor Gewalt und Gängeleien zu bewahren. Ziel behördlicher Prüfungen muss daher immer sein, die Teilhabe der Menschen am gesellschaftlichen Leben allumfassend zu sichern.
    Susanne Schneider (FDP) ... sind in der Eingliederungshilfe genauso konsequent durchzuführen wie bei Pflegeheimen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Aufsichtsbehörden häufig auf den Bereich der Pflege konzentriert haben. Zudem fehlte bisher eine Rechtsgrundlage zur Prüfung der Werkstätten. Wir wollen mit einer stärkeren Einbeziehung der Landesaufsicht eine einheitliche Rechtsanwendung der örtlichen Behörden erreichen.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... sollten effektiv sein und nach einem landeseinheitlichen Konzept durchgeführt werden. Wichtig ist, dass es wissenschaftlich erarbeitet und begleitet wird. Dabei sollten auch Menschen mit Beeinträchtigungen einbezogen werden. Die Aufsichtsbehörden müssen besser für den Gewaltschutz qualifiziert werden. Entscheidend sind nicht nur die gesetzlichen Grundlagen, sondern es ist vor allem die Umsetzung vor Ort.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten. Allerdings muss eine sinnvolle Balance gefunden werden zwischen Praktikabilität, Ressourceneinsatz (der an anderer Stelle schmerzvoll fehlen kann) und einem tatsächlichen Nutzen für die potentiell betroffenen Personen.

    Eine zentrale Monitoring- und Beschwerdestelle ...

    Peter Preuß (CDU) ... wird zukünftig die Rechte von Menschen mit Behinderung schützen und ihnen als Ansprechpartner dienen. Bei Problemen und Beschwerden im Zusammenhang mit der Durchführung von freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen haben Betroffene eine Anlaufstelle, bei der sie um Hilfe bitten können. So stärken wir den Opferschutz!
    Josef Neumann (SPD) ... ist ein weiterer wichtiger Baustein, um Menschen mit Behinderung vor Gewalt zu schützen. Sie muss ausreichend ausgestattet sein, um Betroffene und Angehörige in Problemlagen zu beraten und Lösungen für die Beteiligten herbeizuführen.
    Susanne Schneider (FDP) ... ist ein wichtiges Instrument, um Probleme und Fehlverhalten frühzeitig zu erkennen und Beratung anbieten zu können. Wichtig sind dabei ein niedrigschwelliger Zugang über Informationen in barrierefreier Form bzw. in Leichter Sprache sowie unabhängige Ansprechpartner vor Ort wie die im Gesetz vorgesehenen Ombudspersonen.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... muss gut konzipiert sein, damit sich Betroffene selbst, aber auch Angehörige an sie wenden können, ohne Nachteile in der betreffenden Einrichtung befürchten zu müssen. So eine Stelle muss für die Betroffenen vertraut und einfach zugänglich sein. Gewalttaten und andere Übergriffe müssen erfasst werden, damit bessere Präventionsmaßnahmen getroffen werden können.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... kann ein Weg sein, aufgetretene Missstände frühestmöglich und effektiv aufzuklären und abzubauen. Voraussetzungen sind aber nicht nur eine umfassende Vernetzung, sondern vor allem auch eine adäquate personelle und materielle Ausstattung einer solchen Stelle.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI220110

  • Die Grenzen der Schweigepflicht.
    Anhörung zu Verbesserungen im Kinderschutz.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9-10 in Ausgabe 11 - 21.12.2021

    1. Dezember 2021 - Warum die vielen blauen Flecken? Wieso wirkt das Kind so eingeschüchtert? Wenn Ärztinnen und Ärzte einen Verdacht auf Kindesmisshandlung hegen, dürfen sie ohne Einwilligung der Eltern bislang keine Erkundigungen bei Kolleginnen und Kollegen einholen. Die Fraktionen von CDU und FDP wollen das ändern und haben dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den sich Sachverständige bei einer Anhörung ausgetauscht haben.
    Im Sinne des Kinderschutzes bedürfe es einer gesetzlichen Klarstellung, dass sich Ärztinnen und Ärzte bei hinreichendem Verdacht auf Kindesmisshandlung untereinander austauschen dürften, ohne dass sie eine "strafrechtliche Relevanz ihres Handelns" befürchten müssten, heißt es im Entwurf der Fraktionen (Drs. 17/14280). Erziehungsberechtigte, die Kinder misshandelten, wechselten häufiger den Arzt und betrieben "Doctor-Hopping".
    Bei der gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend befürworteten die meisten geladenen Sachverständigen den Gesetzentwurf, schlugen teils jedoch Ergänzungen vor. Laut Ärztekammer Nordrhein und Ärztekammer Westfalen-Lippe sind die in Aussicht gestellten Befugnisse wichtig für einen "fürsorglichen und effizienten Kinderschutz". Es sei zu begrüßen, dass mehr Rechtssicherheit für die Ärzteschaft geschaffen werde.
    Der Gesetzentwurf sei "ein Signal an weitere Bundesländer, sich diesem Vorgehen beispielhaft anzuschließen", so der Duisburger Verein RISKID in seiner Stellungnahme. Der Verein biete bereits eine ärztliche Austauschplattform an. Sie sei als Reaktion auf mehrere tragische Fälle entstanden, bei denen Eltern versucht hätten, die Misshandlungen ihrer Kinder durch häufigen Arztwechsel zu verschleiern.

    Fragen zum Datenschutz

    Bettina Gayk, Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein- Westfalen, bemerkte in ihrer Stellungnahme, dass Ärztinnen und Ärzte seit jeher die Möglichkeit hätten, das Jugendamt bei begründeten Anhaltspunkten für Kindeswohlgefährdungen einzuschalten. Im vorliegenden Gesetzentwurf fehle eine klare Definition, welcher Tatbestand genau vorliegen müsse, damit sich Ärztinnen und Ärzte untereinander austauschen dürften. Der Entwurf schaffe zudem keine Befugnisse zur Speicherung und Verarbeitung von Daten. Die Lücke müsse geschlossen werden, wobei Regelungen des Bundeskinderschutzgesetzes zu beachten seien.
    In der Erkennung und Versorgung von Fällen, bei denen das Kindeswohl gefährdet sei, stellten die "roten" Fälle nicht das Hauptproblem dar, da bei denen eindeutige Spuren zu erkennen seien, bemerkte Dr. Katharina Ketteler, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im St.-Clemens-Hospital in Geldern. Es erfolge in der Regel zeitnah eine Meldung beim Jugendamt. Das Hauptproblem seien vielmehr die "gelben" Fälle, bei denen einzelne Verletzungen keinen ausreichenden Rückschluss auf eine Kindeswohlgefährdung zuließen, aber ein "schlechtes Bauchgefühl" erzeugten. Das sei häufig der Fall. Die Fachärztin begrüßte die Gesetzesinitiative daher "ausdrücklich". Sie sei eine "große Chance, den Kinderschutz effektiver zu gestalten".
    Die Psychotherapeutenkammer NRW äußerte sich dagegen skeptisch. Es sei zu befürchten, dass die Begrenzung der Schweigepflicht zu einer "Beschädigung der Vertrauensbasis" von Behandelnden, Kindern und Eltern führe. Fraglich sei, ob über den Austausch von Befunden "frühzeitig und treffsicher" eine Kindesmisshandlung diagnostiziert werden könne. Bestätige sich ein begründeter Verdacht nicht, könne eine "ungerechtfertigte Beruhigung der Situation" die Folge sein. Entscheidend für die Verbesserung des Kinderschutzes sei, "dass den Jugendämtern ermöglicht wird, ihre Aufgaben auf dem erforderlichen Qualifikationsniveau zu erfüllen".

    Schweigepflicht ein "wichtiges Gut"

    Zuspruch für den Gesetzentwurf kam wiederum von der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmissbrauch. Deutlicher benannt werden müsse jedoch die "Schnittstelle zur Jugendhilfe", um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verbessern und mehr Fälle aufzudecken.
    Der Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW wies darauf hin, dass zwischen dem Recht jedes Kindes auf körperliche Unversehrtheit sowie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Kind und Erziehungsberechtigten abgewägt werden müsse. Die ärztliche Schweigepflicht sei ein "wichtiges Gut". Sie sei aber auch im Gesetzentwurf in Aussicht gestellten "interkollegialen Austausch hinreichend gewahrt".
    Der Gesetzentwurf sei hilfreich, um Ärztinnen und Ärzte zu ermutigen, sich in kritischen Fällen mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, hieß es in der Stellungnahme des "Kompetenzzentrums Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW". Solche Kontaktaufnahmen seien auch schon jetzt üblich, da eine "konkludente" Einwilligung der Sorgeberechtigten vorausgesetzt werde. Dabei werde unterstellt, dass Eltern eine möglichst optimale Behandlung ihres Kindes wünschten und daher Kontakte zu verschiedenen Einrichtungen und Personen nötig seien.
    tob

    Systematik: 5030 Kinder/Jugendliche

    ID: LI211112

  • Preuß, Peter (CDU); Neumann, Josef (SPD); Hafke, Marcel (FDP); Paul, Josefine (Grüne); Dr. Vincentz, Martin (AfD)
    Standpunkte: Beiträge zum Thema Kindeswohlgefährdung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 11 - 21.12.2021

    Das Kindeswohl ...

    Peter Preuß (CDU)... liegt naturgemäß den meisten Menschen am Herzen. Nordrhein-Westfalen hat in Artikel 6 seiner Verfassung den Schutz der Kinder sogar ausdrücklich verankert: "Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft." Diese gesellschaftliche Aufgabe muss immer wieder überprüft und bei Bedarf durch gesetzliche Regelungen untermauert werden.
    Josef Neumann (SPD) ... wird in der UN-Kinderrechtskonvention wie folgt hervorgehoben: Das Wohl des Kindes ist ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Deswegen müssen die Rechte von Kindern und Jugendlichen gestärkt und ihre Lebenssituation verbessert werden. Dazu brauchen wir in NRW ein eigenes Kinderschutzgesetz, das sich laufend weiterentwickelt.
    Marcel Hafke (FDP) ... gilt es unter allen Umständen zu schützen. Verdichten sich in Verdachtsmomenten beim Ärzteaustausch die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, kann frühzeitiger auf Gefährdungssituationen für Kinder und Jugendliche reagiert werden. So kann die Einleitung von Hilfsmaßnahmen Familien unterstützen. Der Gesetzentwurf ist damit ein weiterer wichtiger Baustein hin zu einem effizienten Kinderschutz.
    Josefine Paul (Grüne) ... muss geschützt und gefördert werden. Kinder und Jugendliche sind von unterschiedlichen Formen körperlicher, seelischer oder sexualisierter Gewalt betroffen. Kinderschutz und -rechte sind durch die schrecklichen Fälle von Lügde, Münster und Bergisch Gladbach in den Fokus der Politik gerückt. Das ist wichtig, denn wir brauchen ein enges Netz an Maßnahmen, das Kinder und Jugendliche bestmöglich schützt.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist der Grund und das Motiv für das Gesetzesvorhaben: Traurigerweise ist Gewalt in der Familie in den ersten Lebensjahren nach wie vor eine der Haupttodesursachen. Vor diesem Hintergrund erforderte es dringend einer Initiative, die es Ärzten ermöglicht, sich über Verdachtsfälle straffrei auszutauschen und so auch zu einer effektiven Prävention beizutragen.

    Die Schweigepflicht ...

    Peter Preuß (CDU) ... ist ein hohes Gut im Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Die Verletzung der Schweigepflicht ist ein Strafrechtstatbestand. Beim Verdacht einer Kindeswohlgefährdung kommen Ärzte in den Gewissenskonflikt zwischen dem Bruch der Schweigepflicht und dem Kindeswohl. Der Gesetzentwurf verschafft den Ärzten nun Rechtssicherheit. Ärzten muss ein Austausch in Verdachtsfällen möglich sein, damit "Doctor-hopping" erschwert wird.
    Josef Neumann (SPD) ... für Ärztinnen und Ärzte soll durch den vorliegenden Gesetzentwurf bei Verdacht auf Kindesmisshandlung aufgehoben werden. Das schafft Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten und fördert den kollegialen Austausch. Ziel ist die frühzeitige Vorbeugung und Erkennung von Kindesmisshandlung - ein wichtiger Baustein zur Gewaltprävention und zur Stärkung des Kindeswohls.
    Marcel Hafke (FDP) ... bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung zu lockern, gibt der Ärzteschaft Handlungs- und Rechtssicherheit. Denn häufig stellt sich bei der Betrachtung von Verletzungen die Frage, ob es sich um einen harmlosen Sturz oder um Anzeichen für Kindeswohlgefährdung handelt. Ein rechtssicherer Ärzteaustausch kann Diagnosen abklären und einen anfänglichen Verdacht bestätigen oder ausschließen.
    Josefine Paul (Grüne) ... soll sicherstellen, dass auch sensible Daten und Fragen in einem vertrauensvollen Verhältnis offenbart und passgenaue Hilfen im Sinne aller Beteiligten erarbeitet werden können. Bei Kinderschutzfragen ist es aber auch wichtig, dass Ärzt*innen sich rechtssicher bewegen können und fachliche Unterstützung wie z. B. beim Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen oder bei Jugendämtern finden.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist neben fachlicher Kompetenz und charakterlicher Integrität eine Grundvoraussetzung und damit Eckpfeiler für das Vertrauensverhältnis von Patienten zum Arzt. Umso schwerer wiegen alle Eingriffe, die eine wie auch immer geartete Lockerung vorsehen. Solche Entscheidungen bedürfen einer sehr behutsamen Abwägung, die die besondere Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht stets im Blick behält.

    Der Datenschutz ...

    Peter Preuß (CDU) ... darf nicht dazu führen, dass Möglichkeiten zum Schutz von Kindern gegen Vernachlässigung oder Misshandlung nicht genutzt werden und Straftaten Vorschub geleistet wird. Grundsätzlich muss der Gesetzgeber Instrumente finden, um Diagnosen und personenbezogene Daten zum wirksameren Kinderschutz interkollegial auszutauschen und auch zu speichern, um Kinder vor Übergriffen zu schützen.
    Josef Neumann (SPD) ... ist bei allen Bemühungen darum, das Kindeswohl zu stärken, zwingend im Interesse der Betroffenen einzuhalten. Auch wenn sich Kinderärztinnen und -ärzte künftig leichter austauschen können, um Kindeswohlgefährdungen zu erkennen, muss das künftige Gesetz sicherstellen, dass sie nicht von der Pflicht entbunden werden, die notwendigen datenschutzrechtlichen Anforderungen einzuhalten.
    Marcel Hafke (FDP) ... ist ein hohes Rechtsgut, das bei der konkreten Ausgestaltung des Ärzteaustausches angemessen berücksichtigt werden muss. Datenschutzrechtliche Anforderungen müssen deshalb mitbeachtet werden, damit der interkollegiale Ärzteaustausch zu einem rechtssicheren und wirksamen Werkzeug für einen besseren Kinderschutz werden kann.
    Josefine Paul (Grüne) ... schützt die engere persönliche Lebenssphäre aller Menschen. Er ist Teil ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit ein sehr hohes Gut. Es besteht noch oft großer Aufklärungsbedarf darüber, dass Datenschutz effektiven Kinderschutz nicht ausschließt. Daher müssen Fachkräfte in dem Bereich entsprechend fortgebildet werden, um sicher Entscheidungen treffen zu können.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... als logische Konsequenz der ärztlichen Schweigepflicht muss entsprechend ernst genommen werden. Umso bedenklicher, dass auch er dieser Tage nur allzu leichtfertig - oft angeblich im Sinne des Allgemeinwohls - beiseite geschoben wird. Doch gerade in Zeiten von "Big Data" ist der individuelle Schutz des Patienten eine immer wichtigere Aufgabe, sodass auch hier jede Lockerung großer Sorgfalt bedarf.

    Die Jugendämter ...

    Peter Preuß (CDU) ... werden eingeschaltet, wenn es sich nicht mehr um einen Verdachtsfall, sondern um eine erwiesene Kindeswohlgefährdung handelt. Schnelles und effizientes Handeln zum Wohle der Kinder ist hier zwingend erforderlich. Fälle wie in Lügde dürfen sich nicht wiederholen! Daher müssen die Jugendämter mit einer ausreichenden Anzahl an qualifiziertem Personal ausgestattet werden.
    Josef Neumann (SPD) ... nehmen eine Schlüsselrolle bei der Stärkung des Kindeswohls ein. Wenn das Wohl und die Entwicklung junger Menschen Schaden nehmen könnten, dann müssen die Jugendämter zum Schutz der Menschen entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages handeln. Deswegen brauchen wir für alle Jugendämter ausreichend und gut qualifiziertes Personal, damit sie ihren Pflichten nachkommen können.
    Marcel Hafke (FDP) ... haben das Wächteramt in der Kinder- und Jugendhilfe inne. Allerdings hat die Ärzteschaft eine Garantenpflicht zur Sicherung der Gesundheit. Gemeinsam tragen sie eine große Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Ärzteschaft bei Kindeswohlgefährdung ist dementsprechend Grundlage für einen effizienten Kinderschutz.
    Josefine Paul (Grüne) ... haben unter den vielen unterschiedlichen Aufgaben auch gesetzlich den Schutzauftrag für Kinder und Jugendliche. Verfahrensstandards und ein gutes Monitoring sind für die Qualitätssicherung wichtig. Vor allem aber brauchen wir gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie qualifizierte Konzepte für die Einarbeitung in diese verantwortungsvolle Arbeit.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... erfüllen für unsere Gesellschaft wichtige und sehr bedeutsame Aufgaben. Um diesen nachkommen zu können, müssen sie nicht nur materiell angemessen ausgestattet sein, sondern vor allem personell. Dazu gehört neben einer entsprechenden Wertschätzung und angemessener Entlohnung der Mitarbeiter auch deren permanente fachliche Weiterbildung.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI211127

  • Diskussion um Tempo 30.
    Limit innerhalb geschlossener Ortschaften Thema im Verkehrsausschuss.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 15 in Ausgabe 10 - 30.11.2021

    10. November 2021 - Die Grünen-Fraktion setzt sich in einem Antrag für ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften ein. Dies führe nicht nur zu deutlich weniger Unfällen sowie weniger Toten und Verletzten, sondern sorge auch für bessere Luft und weniger Lärm. Im Fachausschuss nahmen Sachverständige Stellung zum Thema.
    Die Landesregierung solle sich beim Bund dafür einsetzen, "Kommunen kurzfristig im Rahmen eines Modellversuchs flächendeckendes Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in ihrem Stadtgebiet zu ermöglichen", heißt es in dem Antrag ("Mehr Verkehrssicherheit, bessere Luft und weniger Lärm - Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften"; Drs. 17/14046).
    Der Verkehrsclub Deutschland unterstützte den Antrag. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften sei dringend notwendig, um Unfälle mit Personenschäden zu vermeiden, schreibt der Landesverband NRW in seiner Stellungnahme für den Ausschuss. Auch die Umweltbelastung gehe in der Regel zurück, insbesondere der Lärm.
    "Differenziert betrachten"
    Man begrüße den "Ansatz des vorliegenden Antrags", so der Auto Club Europa (ACE): "Ohne Frage kann ein Tempo von 30 km/h innerhalb von geschlossenen Ortschaften zu mehr Verkehrssicherheit beitragen. Denn hier ereignen sich etwa doppelt so viele Unfälle wie außerhalb." Dennoch sehe man die Lösung nicht in einer pauschalen innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h. Die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort sollten differenziert betrachtet werden: "Es wird auch innerörtlich stets Straßen geben, auf denen auch höhere Geschwindigkeiten annehmbar sind."
    Das sah die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände ähnlich. Es gehe "stets darum, aus den örtlichen Verhältnissen heraus die angemessene Geschwindigkeit festlegen zu können". Der Bund müsse daher "die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kommunen dort Tempo 30 km/h anordnen können, wo sie es für notwendig halten - auch auf Hauptverkehrsstraßen". Das bedeute aber auch, dass Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen möglich bleiben solle.
    Der Verband "Spedition und Logistik Nordrhein-Westfalen" lehnte eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 ab. Eine Luftverbesserung sei bestenfalls in Nuancen möglich, eine menschlich wahrnehmbare Lärmminderung nicht gegeben. Einen "Sicherheitsgewinn" bezweifelte der Verband ebenfalls: "Wenn überall 30-Zone ist, ist dieser wichtige Warnhinweis nicht mehr gegeben." Zudem würde die Attraktivität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) aufgrund längerer Fahrzeiten sinken, die Kosten für Verkehrsbetriebe dagegen steigen.
    Der Einzelhandelsverband Bonn Rhein-Sieg Euskirchen sprach sich ebenfalls gegen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften aus. Erforderlich sei ein Blick auf die "Gesamtheit der Mobilität" und deren Zukunft. "Zu versuchen, einzelne Schrauben von schon vorhandenen Systemen zu optimieren, (...) wird langfristig nicht zu einer nachhaltigen Mobilitätswende führen."
    Als "überlegenswert" bezeichnete der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV NRW) die Einführung von Tempo 30. Für den ÖPNV sei das generelle Tempolimit aber nachteilig: "Die Fahrzeit von Bussen und Straßenbahnen würde sich signifikant verlängern." Im Interesse der Fahrgäste sei es sinnvoll, dauerhaft ein "ÖPNV-Vorbehaltsnetz" mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu schaffen.
    Prof. Dr. Michael Schreckenberg (Universität Duisburg-Essen) schrieb in seiner Stellungnahme: "Der Ruf nach Tempo 30 wird immer dann laut, wenn es an intelligenten Alternativen mangelt und man sich die Mühe ersparen will, diese lokal angepasst zu erarbeiten. Eine pauschale Forderung wie im Antrag formuliert ist mit den pauschalen Argumenten nicht nachvollziehbar."
    Die Landesverkehrswacht empfahl Modellversuche vor Einführung einer neuen bundesweiten Regelgeschwindigkeit. Es gebe interessierte Städte und viele Ideen zur Umsetzung. Allerdings halte man die Festlegung auf Tempo 30 für verfrüht: "Hier sollte man, wie teils in Hessen, auch Tempo 40 akzeptieren."
    Eine der "interessierten Städte" ist Krefeld. Der Rat habe die Verwaltung aufgefordert, Tempo 30 in einem Pilotprojekt flächendeckend zu testen, so die Stadt in ihrer Stellungnahme. Auch das Krefelder Straßennetz sei ein "Flickenteppich von unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die den motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen das Leben schwermachen".
    zab
    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 16 und 17.

    Systematik: 2600 Verkehr

    ID: LI211004

  • Voussem, Klaus (CDU); Löcker, Carsten (SPD); Reuter, Ulrich (FDP); Klocke, Arndt (Grüne); Vogel, Nic (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Tempo 30 flächendeckend in geschlossenen Ortschaften".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 16-17 in Ausgabe 10 - 30.11.2021

    Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung ...

    Klaus Voussem (CDU) ... würde die Mobilität innerorts und auf den Hauptverkehrsachsen beeinträchtigen. Die Begrenzung der zulässigen Geschwindigkeit hätte nicht zwingend die Reduzierung von Unfällen zur Folge, jedoch Staus durch längere Fahrtzeiten. Das benötigte Mehr an Fahrzeugen im ÖPNV und Lieferverkehr verbraucht mehr Ressourcen, belastet die Umwelt und verlagert Verkehr in Wohngebiete.
    Carsten Löcker (SPD) ... ist nicht zielführend. Es braucht Flexibilität durch die Straßenverkehrsordnung, damit die Kommunen vor Ort je nach Situation die beste Lösung schaffen können.
    Ulrich Reuter (FDP) ... von Tempo 30 ist nicht zielführend. In Deutschland wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein bewährtes System mit Tempo 50, 30, 20 oder Schrittgeschwindigkeit entwickelt. Schon jetzt sind 80 bis 85 % innerstädtisch etwa in Wohngebieten mit Tempo 30 versehen. An Gefahrenpunkten wie Schulen, Altenheimen und Krankenhäusern gibt es die Möglichkeit für Tempo 30 auch an Hauptverkehrsachsen.
    Arndt Klocke (Grüne) ... von derzeit Tempo 50 auf Tempo 30 hätte viele Vorteile. Die meisten Kommunen haben in ihren Wohngebieten und damit in der Mehrzahl der Straßen bereits Tempo 30. Eine einheitliche Geschwindigkeit wäre für alle klarer und übersichtlicher, der Schilderwald würde deutlich gelichtet. Ausnahmen würde es - wie heute auch schon - geben, die jeweilige Kommune soll dann entscheiden, wo sie noch Tempo 50 oder mehr anordnen möchte.
    Nic Vogel (AfD) ... auf 30 km/h in Städten gibt es bereits dort, wo es die Verkehrssicherheit erfordert. Jede weitere Ausdehnung wäre rein ideologisch begründet. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass sich ein starres 30-km/h-Limit bei den Schadstoffemissionen eher negativ, im Hinblick auf Lärmbelastung und absehbar bei der Sicherheit kaum spürbar auswirken würde. Zudem müssen auch die wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten werden.

    Die Verkehrssicherheit ...

    Klaus Voussem (CDU) ... bedeutet die Vision Zero - Sicherheit für alle, die am Straßenverkehr teilnehmen. Die meisten Unfälle passieren an Kreuzungen oder Einmündungen mit Lichtsignalanlagen. Eine Verbesserung der Verkehrssicherheit könnte mit einer besseren Koordinierung von Ampeln oder der Beseitigung von Sichthindernissen und nicht durch die pauschale innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h erreicht werden.
    Carsten Löcker (SPD) ... beginnt mit der gegenseitigen Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Durch eine bedarfsgerechte Gestaltung besonderer Gefahrenpunkte kann sie weiter gesteigert werden. Zu den vielfältigen Maßnahmen gehören auch Geschwindigkeitsbeschränkungen.
    Ulrich Reuter (FDP) ... ist ein zentrales Ziel der FDP. Dabei ist die Vision Zero der richtige Maßstab. Die Wirkung für Tempo 30 für die Verkehrssicherheit innerorts ist jedoch umstritten. Statistisch gesehen, passieren die meisten Unfälle beim Abbiegen, Rückwärtsfahren mit deutlich geringerer Geschwindigkeit. Tempo 30 geht zulasten der Konzentration und erhöht damit die Gefahr von Unfällen.
    Arndt Klocke (Grüne) ... würde deutlich zunehmen, insbesondere für den Rad- und Fußverkehr. In Brüssel, wo seit einiger Zeit Tempo 30 im Stadtgebiet gilt, hat die Zahl der Unfälle mit Toten und Schwerverletzten um ein Viertel abgenommen. Auch die Zahl der Blechschäden ging deutlich zurück, da der Bremsweg bei Tempo 30 um einiges kürzer ist als bei Tempo 50. Radfahrende fühlen sich so deutlich sicherer, auch wenn sie ohne Radweg auf der Straße fahren müssen.
    Nic Vogel (AfD) ... würde durch Tempo 30 absehbar nicht verbessert. Zwar sind die Bremswege kürzer, und die kinetische Energie ist bei verminderter Aufprallgeschwindigkeit natürlich geringer, doch reduziert Tempo 30 die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer, was den positiven Effekt weitgehend neutralisieren kann. Wesentlich effektiver wären konsequente Überwachung und die Entschärfung bekannter Unfallschwerpunkte.

    Die Umweltbelastung ...

    Klaus Voussem (CDU) ... durch Schadstoff-Emission ist laut einer ADAC-Untersuchung bei Tempo 30 höher als bei gleichmäßiger Fahrt mit Tempo 50. Das durch die verlängerte Fahrzeit benötigte Mehr an Fahrzeugen beim ÖPNV und im Lieferverkehr führt zu einem höheren Ressourcenverbrauch und höherer Umweltbelastung. Optimal ist der Betrieb eines Fahrzeugs bei niedriger Drehzahl in einem hohen Gang.
    Carsten Löcker (SPD) ... zu senken, ist eine ganzheitliche Aufgabe. Dabei gilt dem Schutz von Wohnbereichen und sozialen Einrichtungen besondere Aufmerksamkeit. Im Rahmen der Verkehrswende braucht es einvernehmliche Lösungen vor Ort.
    Ulrich Reuter (FDP) ... wird durch Tempo 30 gesteigert statt vermindert. Die Ursache dafür ist, dass Verbrennungsmotoren bei dieser Geschwindigkeit nicht optimal laufen, die Emissionen liegen vergleichsweise höher und der Verbrauch steigt. Das ist insbesondere bei Lkw gravierend.
    Arndt Klocke (Grüne) ... würde bei einer Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 sinken, vor allem die Belastung durch Lärm. Eine andere Motoreinstellung könnte auch den Schadstoff- und CO2-Ausstoß bei niedrigeren Geschwindigkeiten reduzieren. Insgesamt steigt durch die Absenkung der Geschwindigkeit die Aufenthalts- und Wohnqualität in den Städten und Gemeinden, der Autoverkehr würde weniger dominant wahrgenommen.
    Nic Vogel (AfD) ... wird gerne als gewichtiges Argument für Tempo-30-Befürworter genommen. Doch ist die absolute Einsparung vergleichsweise geringfügig und wird zudem häufig durch ineffiziente Fahrweise zunichte gemacht. Dazu kommt, dass die meisten Autos bei Tempo 30 mehr Sprit verbrauchen und demzufolge auch mehr Schadstoffe emittieren als mit Tempo 50, wie u. a. eine aktuelle Studie der TU Dresden nachgewiesen hat.

    Kommunen ...

    Klaus Voussem (CDU) ... kennen innerörtliche Verhältnisse am besten. Seit 2001 können Kommunen gemäß § 45 StVO mit niedrigeren Voraussetzungen großflächig Tempo-30-Zonen und seit 2017 Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen leichter anordnen. Weite Teile des innerörtlichen Straßennetzes sind deshalb heute schon auf Tempo 30 limitiert. Autofahrer müssen abseits der Hauptverkehrsstraßen grundsätzlich mit Tempo- 30-Zonen rechnen.
    Carsten Löcker (SPD) ... sind das Herz unseres Staates. Sie müssen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben ausreichend von Bund und Ländern unterstützt werden. Das gilt auch für eine umfassende Verkehrswende.
    Ulrich Reuter (FDP) ... müssen eine weitgehend eigenständige Verantwortung dafür haben, wie der Verkehr in der Stadt organisiert wird. Intelligente Verkehrssteuerung (Smarte Ampeln), verständlich ausgewiesene Parkmöglichkeiten, attraktiver ÖPNV, gut ausgebaute Rad- oder Fußwege können mehr für Verkehrssicherheit, Entlastung der Anwohner sowie die Attraktivität der Stadt tun als pauschale Tempolimits.
    Arndt Klocke (Grüne) ... sollten selbst darüber entscheiden können, ob sie generell oder auf welchen Straßen sie Tempo 30 einführen wollen und wo sie Ausnahmen davon zulassen möchten. Die derzeit notwendigen langwierigen und bürokratischen Verfahren für die Absenkung der Geschwindigkeit auf bestimmten Straßen sind völlig aus der Zeit gefallen, eine Reform der Straßenverkehrsordnung ist diesbezüglich längst überfällig.
    Nic Vogel (AfD) ... werden häufig vom Zeitgeist getrieben: So wie früher der Autoverkehr einseitig bevorzugt wurde, wird es jetzt der Fuß- und Radverkehr. Will eine Mehrheit der Bürger diese zusätzliche Einschränkung mit Fahrzeitverlängerungen? Wir denken: Nein. Auf überlastete Verwaltungen kämen zusätzliche Aufgaben und hohe Umstellungskosten zu. Wir plädieren für intelligente Konzepte statt ideologisierten Aktionismus.
    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI211021

  • Gefahren im Netz.
    Sachverständige äußern sich zu sexualisierten Übergriffen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 7 in Ausgabe 9 - 12.10.2021

    16. September 2021 - Der Ausschuss für Gleichstellung und Frauen hat sich mit Gefahren befasst, die vor allem Mädchen und Frauen im Internet drohen. Anlass war ein Antrag der SPD-Fraktion. Sachverständige äußerten sich dazu.
    "Die Angst vor dem Kinderschänder, der Hornbrille trägt und kleine Mädchen oder Jungs auf dem Spielplatz mit Lollis anlockt, bevor er sie zu sich nach Hause entführt und missbraucht, ist allgegenwärtig und der wohlbekannte Albtraum für Eltern und Lehrer. Die Realität im 21. Jahrhundert hat sich verändert: Im Internet wird der besagte Spielplatz unendlich groß und die Menge an Kindern ist scheinbar unbegrenzt."
    Diese Einschätzung stammt von Chantal Grede, Referentin der "DigitalAkademie", einer Einrichtung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Grede war eine der Sachverständigen, die sich in der Anhörung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen zu einem Antrag der SPD-Fraktion geäußert haben ("Respekt und Empowerment für Mädchen und junge Frauen im Netz stärken - Cyber-Sexismus ein Ende setzen!"; Drs. 17/13068).
    Ziel sei es, so die SPD-Fraktion, Mädchen und junge Frauen besser vor Übergriffen im Internet zu schützen. "Durch die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundene Nutzung sozialer Medien werden neue Kanäle für Interaktionen geschaffen, die leider zunehmend für Gewalt gegen Mädchen und Frauen missbraucht werden", heißt es in dem Antrag. Beispiele seien Beschimpfungen, Beleidigungen, sexuelle Belästigung, persönliche Demütigung und das sogenannte Bodyshaming als Angriff auf das äußere Erscheinungsbild. Als Konsequenz zögen sich die Betroffenen häufig aus den digitalen Medien zurück. Die Fraktion fordert die Landesregierung u. a. auf, ein Konzept für eine zentrale Beratungsstelle für Opfer von digitaler Gewalt zu erarbeiten und "schnellstmöglich" eine Kampagne zur Sensibilisierung zu initiieren.
    "Mehr Respekt"
    Die im SPD-Antrag "schwerpunktmäßig angesprochene Notwendigkeit von mehr Respekt und Empowerment für Mädchen und Frauen im Internet" verdiene "breite politische Aufmerksamkeit", schreibt Chantal Grede von der Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer Stellungnahme. Um angemessene Lösungen zu finden, müssten die Phänomene "eindeutig voneinander abgegrenzt werden".
    Grede wies darauf hin, dass Kinder und Jugendliche "nicht nur Opfer, sondern immer öfter auch Täter" seien. Sie teilten Missbrauchsabbildungen im Internet - ohne daran zu denken, dass sie sich strafbar machen könnten: "Es fehlt schlichtweg die Vorstellungskraft darüber, dass sich hinter jedem im Netz abgebildeten missbrauchten Kind ein reales Kind verbirgt, das diesen Missbrauch erlebt hat." Sie erinnerte an die Verantwortung der Eltern: Sobald Kindern und Jugendlichen ein Zugang zum Internet durch Computer oder Smartphone geschaffen werde, müssten sie begleitet werden - "so, wie Schulwege gemeinsam abgefahren werden".
    Wichtig sei, erwachsene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Eltern zu schulen, sagte Dimitria Bouzikou von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS). Eltern sollten sich ihrer Vorbildrolle stets bewusst sein - auch bei der Smartphone-Nutzung, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft: "Posten Eltern schon von sehr jungen Kindern bedenkenlos Fotos (...), so stellt dies eine Verletzung des persönlichen Intimbereiches des Kindes dar." Das Kind könne "nicht einwilligen oder darüber entscheiden, ob es auf dem Töpfchen, in der Badewanne oder beim Zahnarzt gezeigt werden will". Problematisch sei zudem, "dass Kinder sich so an Grenzverletzungen gewöhnen". Das Fortbildungsangebot zur Prävention sexualisierter Gewalt im digitalen Raum sollte, so die AJS, für Lehrkräfte sowie Fachkräfte im erzieherischen Kinder- und Jugendschutz ausgebaut werden. "Sehr gute Erfahrungen" habe man bei sogenannten Peer-to-Peer-Angeboten gemacht. Dabei berieten ältere (ausgebildete) Schülerinnen und Schüler jüngere.
    "Nachhaltige Interventions- und Präventionsketten sind notwendig, um zu einer Sensibilisierung von Heranwachsenden und Fachkräften beizutragen", schreibt der Verein "femina vita, Mädchenhaus Herford" in seiner Stellungnahme. Auch Eltern müssten "niedrigschwellig und bedarfsorientiert Zugang zu Informationsveranstaltungen und Hilfenetzwerken bekommen". Eine "regionale Strukturförderung von Fachberatungsstellen" sei sehr wichtig, sagte Lena Westermann von "femina vita" im Ausschuss.
    Tijen Onaran, Gründerin des Diversity-Unternehmens "Global Digital Women", empfahl, Menschen einzubinden, die selbst im Netz sehr aktiv seien - etwa Youtuberinnen und Youtuber, Influencerinnen und Influencer. Über sie ließe sich die Zielgruppe der ganz jungen Menschen erreichen.
    zab
    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 8 und 9.

    Systematik: 7740 Informations- und Kommunikationstechnologien; 5040 Frauen

    ID: LI210909

  • Troles, Heike (CDU); Butschkau, Anja (SPD); Schneider, Susanne (FDP); Paul, Josefine (Grüne); Dworeck-Danielowski, Iris (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Sexualisierte Übergriffe im Internet".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 8-9 in Ausgabe 9 - 12.10.2021

    Das Internet ist für Kinder und Jugendliche ...

    Heike Troles (CDU) ... nicht mehr wegzudenken. Instagram, Facebook oder TikTok sind Apps, die zum Alltag gehören. Jedoch steigt mit der zunehmenden Digitalisierung auch die Gefahr für Cybermobbing, Cybersexismus und Cybergrooming. Daher setzen wir uns für eine Gesamtstrategie ein, um Schutz- und Hilfesysteme für Betroffene bedarfsorientiert anzubieten.
    Anja Butschkau (SPD) ... ein Ort, der nicht mehr aus ihren Leben wegzudenken ist. Für sie sind, verstärkt durch die Corona-Pandemie, die Grenzen zwischen realer und digitaler Welt fließend. Deshalb müssen Kinder im Internet begleitet werden, sodass ihnen ein sicherer und altersgerechter Umgang mit den digitalen Medien von Anfang an nähergebracht wird.
    Susanne Schneider (FDP) ... ein Chancenland. Dort können sie lernen, kreativ sein, Unterhaltung finden und Freundschaften pflegen. Kinder und Jugendliche wachsen heute mit dem Internet auf und verstehen es als unverzichtbaren Teil ihrer Lebenswelt. Wie im echten Leben lauern aber auch im Internet Gefahren. Deshalb muss von Anfang an ein selbstbestimmter und verantwortungsvoller Umgang mit dem Internet erlernt werden.
    Josefine Paul (Grüne) ... Teil ihrer Lebenswelt. Dort können sie sich ausprobieren, vernetzen, zusammen spielen und kommunizieren. Doch auch hier lauern Gefahren, denn überall, wo Kinder sind, sind auch Täter. Das Internet darf kein schutzloser Raum sein - Kinder und Jugendliche müssen auch hier besonders geschützt und begleitet werden.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... nicht nur eine Ergänzung zum realen Leben - insbesondere für Jugendliche sind beide Sphären mittlerweile untrennbar miteinander verschmolzen. Das birgt allerdings auch Gefahren. Deshalb sollten die Anbieter und Gestalter "digitaler Lebensräume" genauso verantwortlich handeln und genauso verantwortlich gemacht werden können, wie beispielsweise der Betreiber eines Freizeitparks.

    Eltern ...

    Heike Troles (CDU) ... haben oft keine umfassende Medienkompetenz. Wichtig ist es aber, genau diese zu stärken. Denn Eltern sollten ihre Kinder bei der Nutzung der neuen Medien begleiten können und Interesse an deren digitaler Lebenswelt zeigen. Das nahe Familienumfeld ist die erste Instanz für Kinder, wenn es darum geht zu lernen, Warnsignale oder Gefahren zu identifizieren.
    Anja Butschkau (SPD) ... müssen ein Verständnis für diese Welt ihrer Kinder entwickeln und brauchen bedarfsorientierte und niedrigschwellige Angebote, um in extremen Situationen aktiv Hilfe leisten zu können. Die Medienkompetenz der Eltern leistet also einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Kinder.
    Susanne Schneider (FDP) ... haben auch im Umgang mit dem Internet Verantwortung für ihre Kinder. Sie sollten sie interessiert begleiten und über Risiken aufklären. Elterliche Verbote sind in der virtuellen Welt genauso wenig wirkungsvoll wie in der analogen Welt. Sie machen verbotene Bereiche nur interessanter. Eltern brauchen aber auch Informationsangebote, um ihren Kindern ein umsichtiges Medienverhalten vermitteln zu können.
    Josefine Paul (Grüne) ... sind häufig selbst in der Situation, das Internet und seine Mechanismen noch besser verstehen zu lernen. Umso wichtiger sind Anlaufstellen zum Erwerb elterlicher Medienkompetenz und Beratung. Denn eine stetige Kommunikation innerhalb der Familie ist wichtig, um Kindern den sicheren Umgang mit dem Internet zu ermöglichen und mögliche Risiken zu minimieren.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... möchten ihre Kinder schützen. Dazu sollten sie sich vertrauensvoll mit ihren Kindern über deren Interessen austauschen. "Was spielt mein Kind online? Welche Plattformen kennt es und wo ist es selber aktiv?" Nur wenn die Eltern die Gefahren der Communitys kennen, können sie ihr Kind entsprechend schützen. Sie sollten zudem Vorbild sein, denn Kinder lernen Datensensibilität auch von ihren Eltern.

    Gefahren ...

    Heike Troles (CDU) ... im Netz sind real und dafür muss ein Bewusstsein entwickelt werden. Täter sind da, wo Kinder und Jugendliche sind. Wichtig ist das Zusammenspiel aller Player, um Lösungen zu entwickeln und Präventionsarbeit zu leisten. Neben Cybermobbing und Cybersexismus ist das sogenannte Cybergrooming eine besonders grausame Erscheinungsform. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.
    Anja Butschkau (SPD) ... birgt das Internet insbesondere für Mädchen und junge Frauen. Sie sind ganz besonders von sexualisierter Gewalt im Netz betroffen. Oberste Priorität hat, dass wir ein digitales Umfeld schaffen, in dem sich jede und jeder sicher bewegen kann, ohne Anfeindung und Gewaltdrohungen zu erleben. Daher müssen wir Respekt und Empowerment für Mädchen und junge Frauen im Netz stärken.
    Susanne Schneider (FDP) ... lauern im Internet und sind nicht immer leicht zu erkennen. Neben Falschinformationen und Cyber-Mobbing verbreitet sich derzeit zunehmend das sogenannte Cyber-Grooming. Erwachsene geben sich Kindern und Jugendlichen gegenüber als Gleichaltrige aus, um Vertrauen aufzubauen, sie zu manipulieren und schlimmstenfalls zu missbrauchen.
    Josefine Paul (Grüne) ... im Internet werden häufig unterschätzt. Kinder und Jugendliche müssen dafür früh sensibilisiert und Gewalt unter Gleichaltrigen im digitalen Raum stärker thematisiert werden. Insbesondere Frauen und Mädchen sind im Internet neuen Formen und einer neuen Variante struktureller Gewalt ausgesetzt. Dazu zählen bspw. Hatespeech, aber auch Cybergrooming - also das Anbahnen von sexuellen Kontakten. Hier braucht es ein umfassendes Schutzkonzept.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... im Internet sind für junge Menschen schwer abzuschätzen. Täter sind im Netz vorrangig dort anzutreffen, wo auch junge Menschen sind. Die Betreiber der Dienste und Plattformen geben in Bezug auf den Kinderschutz ein trauriges Bild ab. Vor diesem Hintergrund ist die Vermittlung von Medienkompetenz unerlässlich. Das sollte so selbstverständlich sein wie eine Radfahrprüfung. Es ist viel zu tun!

    Schutz ...

    Heike Troles (CDU) ... gibt es, wenn sich Kinder und Jugendliche der Gefahren bewusst sind, die im Internet lauern. Wichtig ist aber auch die digitale Solidarität. Wir dürfen nicht Zuschauer sein, sondern müssen uns aktiv gegen Beleidigungen, Pöbeleien, Hetze, Hass und Sexismus im Netz stellen. Die Regeln, die wir in der analogen Welt miteinander vereinbart haben, dürfen wir in der digitalen Welt nicht aufgeben.
    Anja Butschkau (SPD) ... müssen wir insbesondere den Frauen bieten, die bereits Opfer von sexualisierter Gewalt im Netz geworden sind. Denn wer solche traumatischen Erfahrungen durchlebt hat, darf durch eine Opferbeschuldigung auf keinen Fall ein zweites Mal zum Opfer werden. Schuld und Scham dürfen nicht länger als Machtinstrument gegen Mädchen und Frauen genutzt werden.
    Susanne Schneider (FDP) ... bietet insbesondere eine große Medienkompetenz. Die NRW-Koalition hat in den vergangenen Jahren die Angebote zur Stärkung der Medienkompetenz weiter ausgebaut. Aber auch bereits einfache Maßnahmen wie z. B. das Nutzen privater statt öffentlicher Accounts in den Sozialen Medien bieten Schutz. Zudem müssen Kinder und Jugendliche ernst genommen werden, wenn sie negative Erlebnisse ansprechen.
    Josefine Paul (Grüne) ... vor Gewalt ist auch im Internet unabdingbar - das Netz darf kein schutzloser Raum sein. Auch im Internet gilt die Istanbulkonvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Die Schutzstrukturen aus dem analogen Raum sowie Schutzräume und Hinwendungsstellen muss es auch im digitalen Raum geben. Es braucht hier institutionsübergreifende Ansätze, um ein Schutzkonzept zu entwickeln und konsequent durchzusetzen.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... vor den unterschiedlichen Formen der Gewalt im Netz kann nur dann effektiv greifen, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Die Anbieter müssen eine tatsächliche Altersverifikation umsetzen. Es ist die Aufgabe von Schulen und insbesondere der Eltern, Medienkompetenz zu vermitteln. Zu guter Letzt ist auch die Gesetzgebung und Strafverfolgung in die digitale Welt zu übertragen.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210910

  • Vom Tier zum Mensch zur Pandemie.
    Sachverständige diskutieren den Umgang mit Zoonosen.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 11 in Ausgabe 8 - 14.09.2021

    25. August 2021 - Seit anderthalb Jahren bestimmt die Corona-Pandemie das Leben der Menschen. Neben Verhaltensregeln, Hygienemaßnahmen, Impfstrategien und der Diskussion um Grundrechte beschäftigt den Landtag eine weitere Frage: Wie lassen sich solche Pandemien vermeiden? Der Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat dazu Sachverständige gehört.
    Zugrunde lag ein Antrag der Fraktionen von CDU und FDP mit dem Titel "Die Lehren aus den Ursachen der Coronavirus-Pandemie ziehen - Zoonosen erforschen, monitoren und vermeiden" (Drs. 17/13085). Zoonosen, das sind jene Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Die Krankheitserreger selbst seien u. a. Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten. Laut Weltgesundheitsorganisation belaufe sich die Zahl der Menschen, die jährlich an Zoonosen sterben, auf mehr als 2 Millionen, heißt es im Antrag. Tollwut, Vogelgrippe, Ebola, HIV, Tuberkulose, Pest und viele mehr - die Liste solcher bekannten und teils ausgerotteten Infektionskrankheiten ist lang. Auch Covid-19 steht im Verdacht, in diese Reihe zu gehören. CDU und FDP fordern in ihrem Antrag u. a., Früherkennungssysteme gegebenenfalls weiterzuentwickeln und Regelungen gegen illegalen Wildtierhandel, falls erforderlich, anzupassen.
    "Zoonose-Erreger können vielfach Ausgangspunkte für neue Epidemien oder Pandemien sein", erklärte Dr. Viola Hebeler vom Landesverband praktizierender Tierärzte Nordrhein. Anstecken könne man sich bei Wildtieren, über Teile von Tieren in Lebensmitteln oder Pelzen, auch im Kontakt mit Haus- und Heimtieren sowie über blutsaugende Insekten, die Erreger vom Tier auf den Menschen übertragen können.
    Darüber hinaus bewirke der Klimawandel, dass sich zuvor räumlich begrenzt auftretende Zoonosen weiter ausbreiteten, so Tierärztin Hebeler weiter. Die UN schätze den Mittelmeerraum als ein Gefahrenzentrum für Zoonosen ein. Auch internationale Transporte von erkrankten Tieren und davon stammenden Produkten sorgten für eine Verbreitung von Zoonosen. Viele von Wildtieren oder Insekten verbreitete Infektionskrankheiten träten zuerst bei Haustieren auf. Deshalb sei das Monitoring der Tierärztinnen und -ärzte so wichtig. Hebeler plädierte für eine Unterstützung dieser Berufsgruppe wie auch des öffentlichen Veterinärwesens, der tierärztlichen Forschungsinstitute, Bildungsstätten und Labore. So könne die Bekämpfung von Zoonosen bereits an ihrem Entstehungsort beginnen.
    Dr. Sandra Altherr von "Pro Wildlife" e. V. betonte, mehr als 70 Prozent der Zoonosen stammten von Wildtieren, und das betreffe auch den legalen Handel. Im internationalen Wildtierhandel träfen Tierarten aufeinander, die sich in der Natur nie begegnen würden, erklärte sie. Auch die hygienischen Bedingungen, das Stresslevel der Tiere und ein Lebensraum von abnehmender Artenvielfalt begünstigten die Ausbreitung der Krankheitserreger. Angesichts des Spektrums von mehr als 2.000 gehandelten Arten von Heimtieren vom Seidenäffchen über das Opossum bis zur Akazienratte, sei die Bandbreite möglicher Zoonosen nicht zu unterschätzen.

    Aufklärungskampagne

    Handel und Haltung exotischer Haustiere seien deutlich schneller und einfacher zu regulieren als andere relevante Faktoren, argumentierte Altherr. Selbst die legalen Einfuhren von Wildtieren in die EU und nach Deutschland seien größtenteils eine "Blackbox". Für Deutschland sprach sie von Hunderttausenden lebenden exotischen Tieren pro Jahr im legalen Handel. Die "Pro Wildlife"-Sprecherin hielt eine entsprechende Aufklärungskampagne über Privathaltung von Wildtieren für sinnvoll. Außerdem sprach sie sich für eine Positivliste für die Heimtierhaltung aus, für ein Importverbot für Wildtiere und für strikte Auflagen im Internethandel und in Tierbörsen.
    In seiner Stellungnahme für den DLR Projektträger beleuchtete Detlef Böcking die Situation in der Forschung. Die Zoonosenforschung benötige weiterhin Förderprogramme auf nationaler Ebene sowie - gerade der Standort NRW - Zugang zu "angemessenen Drittmitteln". Er begrüßte den Antrag der Fraktionen und insbesondere eine ganzheitliche Betrachtung von Zoonosen. Dieser sogenannte One-Health-Ansatz fordert, die Gesundheit von Menschen, Tieren wie auch der Umwelt gemeinsam zu betrachten. Einen solch verschränkten und interdisziplinären Blick, der im Antrag angesprochen wird, hielten auch Tierärztin Hebeler und Biologin Altherr für wichtig. Diese interdisziplinären Herangehensweisen seien in der Forschung noch entwicklungsfähig, erklärte Böcking für den DLR Projektträger. Er empfahl der Landesregierung, dafür zu sorgen, "dass aktuelle Forschungserkenntnisse schneller in Richtlinien und Prozesse der zuständigen kommunalen und Landesbehörden" einflössen - inklusive Information für die Bevölkerung.
    sow

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 12 und 13

    Systematik: 4400 Wissenschaft/Forschung; 6900 Tierkrankheiten; 5210 Gesundheitsschutz

    ID: LI210804

  • Winkelmann, Bianca (CDU); Börner, Frank (SPD); Diekhoff, Markus (FDP); Rüße, Norwich (Grüne); Dr. Blex, Christian (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Zoonosen".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 8 - 14.09.2021

    Zur Vermeidung von Zoonosen ist es am wichtigsten, ...

    Bianca Winkelmann (CDU) ... in Zukunft interdisziplinär in dem Bereich aufzuklären und Präventionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Damit sind wir mit unserer Initiative in Nordrhein-Westfalen schon auf dem richtigen Weg. Das Bewusstsein in der Bevölkerung für das Risiko der Zoonosen ist durch die Pandemie auf jeden Fall bereits größer geworden. Allerdings hat auch nicht jede Zoonose das Potential zur Pandemie.
    Frank Börner (SPD) ... Forschung, Prävention und Kontrolle auszubauen. Zoonosen sind eine reale Gefahr: Aktuelle Studien zeigen, dass es in Säugern und Vögeln eine Vielzahl an Viren gibt, die das Potential haben könnten, Menschen zu infizieren. Dazu bedarf es auf Landesebene einer Aufklärungskampagne. Wir müssen auch die Naturzerstörung stoppen, denn diese ermöglicht, dass Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden.
    Markus Diekhoff (FDP) ... die Bevölkerung zur Gefährlichkeit von Zoonosen zu sensibilisieren. Über Lebensmittel können für den Menschen gefährliche Erreger wie Salmonellen und Campylobacter zu erheblichen Erkrankungen führen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Bekämpfung von Schädlingen und Nagern, die Zoonosen übertragen können. Mit einem umfassenden Zoonose- Monitoring können Gefährdungen frühzeitig erkannt werden.
    Norwich Rüße (Grüne) ... die von ihnen ausgehende Gefahr für die menschliche Gesundheit ernst zu nehmen. Besonders der Handel mit Wildtieren begünstigt die Entstehung von Zoonosen. Deshalb müssen der illegale Handel stärker verfolgt und der legale Handel besser überwacht werden. Um Zoonosen zu vermeiden, müssen der Raubbau an der Natur gestoppt und die industrielle Haltung von Pelztieren, ein Brutherd zoonotischer Krankheiten, europaweit beendet werden.
    Dr. Christian Blex (AfD) ... auch das Armutsrisiko im Blick zu haben und gezielt zu bekämpfen: Ein Land mit starker Wirtschaft kann sich ein hervorragendes Bildungs- und Gesundheitssystem leisten, um Infektionskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zielgerichtet behandeln zu können. Weil Zoonosen oftmals auf den Verzehr von Wildtieren zurückzuführen sind, spielt auch die kulturelle Prägung eine wesentliche Rolle.

    Die Haltung von exotischen Haustieren ...

    Bianca Winkelmann (CDU) ... ist in Bezug auf Zoonosen nicht per se gefährlicher als die Haltung klassischer Haustiere oder Nutztiere. Tierhalterinnen und Tierhalter müssen sich im Klaren über die Risiken sein. Allerdings: Der Wildtierhandel gilt als großer Risikofaktor für die globale Verbreitung von Zoonosen. Als Land haben wir dabei wenig Handlungsspielraum, sicherlich sind aber Vorsicht, Aufklärung und Monitoring geboten.
    Frank Börner (SPD) ... muss stärker kontrolliert und geregelt werden. Gerade über die Transportwege verbreiten sich Zoonosen, da es hierbei vielfach zu Verstößen gegen den Natur- und Artenschutz sowie gegen Gesundheitsaspekte kommt. Daher müssen diese ebenso kontrolliert werden wie der Internethandel und Tierbörsen. Zudem fehlen Daten, unter welchen hygienischen Bedingungen exotische Haustiere privat gehalten werden.
    Markus Diekhoff (FDP) ... kann gefährlich werden, da gerade solche Tiere Zoonosen übertragen können. Privatleute, die exotische Haustiere halten, müssen ihre Verantwortung sehr ernst nehmen und über umfassendes Wissen verfügen. Die Einfuhrregelungen müssen angepasst werden, insbesondere der illegale Handel muss verhindert werden. Hierzu fordern wir entsprechende Regelungen vom Bund.
    Norwich Rüße (Grüne) ... muss vor dem Hintergrund von Zoonosen stärker in den Blick genommen werden. Der Besitz und Verkauf von Tieren, die in ihrem Heimatland illegal gefangen und exportiert wurden, muss unterbunden werden. Zugleich brauchen wir bessere Kontrollen des Tierhandels und klare Regeln, welche Tiere aus Tier-, Natur- und Artenschutzgründen sowie aus Gesundheits- und Sicherheitsaspekten privat gehalten werden dürfen.
    Dr. Christian Blex (AfD) ... trägt weniger zur Zoonose bei, als bislang vermutet. Sofern die Einfuhr von exotischen Tieren nicht über den legalen Tierhandel, sondern über illegale Wildtiermärkte erfolgt, muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgegangen werden. Doch es sind nicht nur große Exoten, sondern oft auch kleine heimische Krankheitsüberträger wie die heimische Stechmücke, die als Überträger fungieren.

    Die Früherkennungssysteme ...

    Bianca Winkelmann (CDU) ... arbeiten in Nordrhein-Westfalen für den Bereich der Lebensmittelkette schon sehr gut. Zur Reduzierung des Zoonoseeintrags gibt es einen Zoonoseplan. Außerdem unterstützt ein Beirat das Ministerium. Wir wollen prüfen, diesen Beirat thematisch auf Zoonosen im Allgemeinen auszuweiten und um Mitglieder aus der aktiven Forschung zu erweitern.
    Frank Börner (SPD) ... müssen stärker ausgebaut werden. Denn rund 75 Prozent aller neuartigen Infektionskrankheiten sind Zoonosen, mehr als 70 Prozent von diesen stammen von Wildtieren ab. Durch eine intensivere Forschung kann schon heute präventiv auf mögliche Zoonosen reagiert werden. Dies ist dringend notwendig, da die anstehende Klimaänderung ihre Ausbreitung absehbar verstärken wird.
    Markus Diekhoff (FDP) ... müssen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Neue, aber auch bekannte Zoonosen müssen schnellstmöglich erkannt werden, um Gefahren schlagkräftig abzuwenden. Ein ständiger Austausch der Bundesländer ist uns besonders wichtig. Unabdingbar ist auch die Weiterentwicklung auf europäischer und internationaler Ebene. Das Coronavirus hat gezeigt, dass Zoonosen keinen Halt vor Landesgrenzen machen.
    Norwich Rüße (Grüne) ... für Zoonose-Erreger in Wild- und Haustierpopulationen müssen weiterentwickelt werden, damit sie frühzeitig erkannt werden können, bevor sie zu Gesundheitsrisiken für Menschen werden. Diese Risikovorsorge sollte hohe Priorität im öffentlichen Gesundheits- und Tiergesundheitssektor haben. Um künftig besser vorbereitet zu sein, muss die Forschung zu Zoonosen insgesamt besser unterstützt werden.
    Dr. Christian Blex (AfD) ... sind ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Bekämpfung von Zoonosen. Doch sie alleine werden nicht reichen, weil sie niemals in der Lage sein werden, alle Gefahren einer Zoonose erkennen zu können. Entscheidend ist ein ausgewogenes Verhältnis von Investitionen in Früherkennungssysteme und der direkten, konkreten Bekämpfung der Zoonosen.

    Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes sollte ...

    Bianca Winkelmann (CDU) ... umfassende Erforschung von Zoonosen im Sinne des One-Health-Ansatzes stattfinden. Auch dabei steht Nordrhein-Westfalen mit dem Standort der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen schon gut da. Die Gesundheit der Umwelt ist eng mit der Gesundheit des Menschen verknüpft, alle betroffenen Behörden müssen deshalb eng und interdisziplinär zusammenarbeiten. Unser Ziel: Forschung weiter unterstützen.
    Frank Börner (SPD) ... der sogenannte One-Health-Ansatz stärker beachtet werden. Nur durch eine interdisziplinäre Kooperation kann Zoonosen begegnet werden. Mit einer fachübergreifenden Koordination von Human- und Veterinärmedizin sowie von Umwelt- und Sozialwissenschaften lassen sich nachhaltige Strategien entwickeln, die Prävention, Therapien sowie die Folgenabschätzung von Zoonosen zum Gegenstand haben.
    Markus Diekhoff (FDP) ... die Gesundheit des Menschen und die Gesundheit der Tiere gemeinsam betrachtet werden. Der One-Health-Ansatz belegt, dass die menschliche und tierische Gesundheit voneinander abhängig sind. Die Zusammenarbeit der verschiedenen medizinischen sowie umweltwissenschaftlichen Disziplinen nimmt eine Schlüsselfunktion in der Zoonose-Prävention ein, diese wollen wir weiter stärken und unterstützen.
    Norwich Rüße (Grüne) ... klar sein, dass Tierhaltung eine potentielle Quelle für gefährliche Krankheitserreger sein kann. Insofern müssen hier Gesundheits-, Natur- und Artenschutz zwingend zusammengedacht werden (One-Health-Ansatz). Unser Umgang mit Tieren und der Natur entscheidet mit darüber, wie groß die Gefahr von Infektionskrankheiten, die sich im Extremfall zu Pandemien ausweiten können, für Menschen wird.
    Dr. Christian Blex (AfD) ... die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften gefördert werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch mit einem ganzheitlichen Ansatz die globale Verbreitung von Krankheitserregern aufgrund der natürlichen Resistenzentwicklung in der Umwelt nie gestoppt werden kann.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210811

  • Löttgen, Bodo (CDU); Kutschaty, Thomas (SPD); Rasche, Christof (FDP); Paul, Josefine (Grüne); Schäffer, Verena (Grüne); Wagner, Markus (AfD)
    NRW - gestern, heute, morgen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 7 - 17.08.2021

    Leserinnen und Leser von Landtag Intern kennen die Rubrik "Standpunkte". Abgeordnete aller fünf Fraktionen beziehen dort Stellung zu einem Schwerpunktthema und ergänzen Satzanfänge. In der Jubiläumsausgabe sind die Fraktionsvorsitzenden an der Reihe. Ihre Beiträge beginnen mit den Worten "Vor 75 Jahren", "Heute" und "In 75 Jahren".

    Bodo Löttgen, Vorsitzender der CDU-Fraktion
    Vor 75 Jahren
    konnten die Verhältnisse, in denen sich der Landtag konstituierte, weder politisch noch sozial oder ökonomisch als normal bezeichnet werden. Die 200 von den Briten ernannten Abgeordneten haben sich - vermutlich trotz gehöriger Zweifel, ob das überhaupt Erfolg verspricht - der Aufgabe gestellt, aus den Trümmern der nationalsozialistischen Diktatur heraus einen deutschen Staat als Parlamentarische Demokratie zu entwickeln und zu etablieren. Eine der ermutigendsten Erfahrungen unserer Geschichte.
    Heute
    teilen wir eine wichtige Erfahrung als Ergebnis dieser 75 Jahre währenden Parlamentarischen Demokratie in unserem Land: das Glück, in Frieden und Freiheit zu leben. Nichts davon ist selbstverständlich, auch wenn die meisten von uns nie etwas anderes kennengelernt haben. Umso mehr ist gerade heute Wertschätzung gefragt für den Streit mit Regeln, die Bereitschaft, das Gegenüber zu achten, und den Kompromiss, der in demokratischen Verfahren zustandekommt, als Bedingung für tragfähige Mehrheitsentscheidungen.
    In 75 Jahren
    werden manche Träume wahr geworden und viele Vorhersagen geplatzt sein. Ich will mich daher auf das beschränken, was Antoine de Saint-Exupéry in seinem 1951 erschienenen Werk "Citadelle" schrieb: "Unsere Aufgabe ist es nicht, die Zukunft vorherzusehen, sondern sie zu ermöglichen." Es ist Hoffnung und Wunsch zugleich, dass dieses Ermöglichen auch weiterhin in einer repräsentativen, einer Parlamentarischen Demokratie im Landtag Nordrhein-Westfalen stattfindet.

    Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion
    Vor 75 Jahren
    hofften die Menschen auf eine bessere Zukunft. Damals traf die britische Militärregierung die Entscheidung, die Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln mit der Provinz Westfalen und dem nördlichen Teil der preußischen Rheinprovinz zusammenzuführen. Auf dieser grünen Wiese, ursprünglich ein Teil von Preußen, bauten die Briten ein stabiles, intaktes Haus - das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dafür gebührt ihnen die höchste Anerkennung. Sie haben die Hoffnungen der Menschen erfüllt und ein demokratisches Fundament geschaffen.
    Heute
    bröckelt die Fassade dieses Hauses Nordrhein- Westfalen. Die Gefahr von Rechts ist präsenter denn je - selbst im Parlament. Rassismus und rechte Straftaten sind ein landesweites Problem: Die Zahl der vom Verfassungsschutz NRW identifizierten Rechtsextremisten und Reichsbürger hat 2019 ihren Höchststand erreicht. Das ist erschreckend. Wir müssen dringend handeln. Deshalb hat die SPD-Fraktion im vergangenen Jahr einen Masterplan gegen Rechtsextremismus vorgelegt, der insgesamt 55 Maßnahmen aus nahezu allen Bereichen enthält.
    In 75Jahren
    haben wir die Risse im Putz des Hauses Nordrhein-Westfalen gekittet. Unsere Kinder und Enkel stehen wieder fest und sicher auf einem demokratischen Fundament, weil wir die Gefahr von Rechts effektiv angegangen sind. Auch Chancengleichheit ist dann keine Utopie mehr, sondern gelebte Wirklichkeit. Jedes Kind kann werden, was seinen Talenten, Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Und jeder Mensch in unserem Bundesland hat mehr Perspektiven auf Wohlstand und Lebensqualität.

    Christof Rasche, Vorsitzender der FDP-Fraktion
    Vor 75 Jahren
    lag Europa in Trümmern und die Menschen mussten wieder bei null anfangen. Nach den schrecklichen Kriegsjahren wurden aus Gegnern erst Helfer und später Freunde. Die britischen Alliierten schafften mit einer neuen Verwaltung Stabilität, Kontinuität und eine starke parlamentarische Demokratie. Die Operation Marriage war keine Liebesheirat. Aber das neue Land Nordrhein-Westfalen, das 1946 aus dem Nordteil der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen gegründet und ein Jahr später mit Lippe vervollständigt wurde, entwickelte sich zum Motor der deutschen Industrie und machte das Wirtschaftswunder mit Wohlstand für fast alle erst möglich.
    Heute
    zeichnet sich unser schönes Bundesland durch Vielfalt aus. Wir haben die Metropolregion Rhein-Ruhr und das ländliche Westfalen, wir lieben den rheinischen Karneval und die Schützenfeste in Westfalen und Lippe. Zuwanderer aus allen Teilen der Erde haben hier ihre Heimat gefunden. Man kann uns unterscheiden in Altbier-, Pils- und Kölschtrinker und jedes Fußballherz schlägt für einen anderen Verein. Bei allen Unterschieden vereint uns 18 Millionen Nordrhein-Westfalen die Verbundenheit zu unserem Bundesland. Die Corona-Pandemie hat unser Land vor eine der größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen seit der Gründung gestellt. Die Menschen haben dabei die Tugenden bewiesen, die unser Land so stark machen: Verantwortungsbewusstsein und Zusammenhalt. Ich bin zuversichtlich, dass wir gestärkt aus der Pandemie hervorgehen können.
    In 75 Jahren
    wird Nordrhein-Westfalen weiterhin bunt und weltoffen im Herzen von Europa strahlen. Die unterschiedlichsten Koalitionen werden im Landtag die Politik gestaltet haben. Unser Land wird das 150-jährige Bestehen feiern - hoffentlich wieder mit großem Fest.

    Josefine Paul und Verena Schäffer, Vorsitzende der Grünen-Fraktion
    Vor 75
    Jahren wurde mit der Vereinigung der Provinzen Rheinland und Westfalen der Grundstein für die demokratischen Strukturen unseres Landes gelegt. NRW blickt seitdem auf eine bewegte Geschichte zurück und hat als bevölkerungsstärkstes Land aus der Vielfalt eine Einheit gemacht. Dieses demokratische Versprechen von Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit müssen wir ganz besonders jetzt weiter verteidigen.
    Heute
    steht Nordrhein-Westfalen als industrieller Motor der Bundesrepublik vor enormen Herausforderungen. Unsere Industrie ist seit Jahrzehnten Garant für wirtschaftlichen Erfolg, sichere Beschäftigung und Innovation. Um die Klimakrise einzudämmen, international wettbewerbsfähig zu bleiben und gute Arbeitsplätze zu schaffen, müssen wir die Wirtschaft modernisieren: nachhaltig, umweltfreundlich, klimaschützend. Während der aktuellen Krise hat sich Nordrhein-Westfalen solidarisch und innovativ gezeigt. Mit diesem Potenzial und der Erfahrung unseres Landes und seiner Menschen bei Wandel und Veränderung wollen wir unseren Wohlstand und eine gute Zukunft sichern.
    In 75 Jahren
    leben wir in Nordrhein-Westfalen in einer vielfältigen, klimaneutralen und sozial gerechten Gesellschaft. Statt Kohle, Gas und Öl nutzen wir Sonnen- und Windenergie, statt fossiler Verbrennungsmotoren E-Autos, Bahn und Fahrrad und Carsharing. Ob Stadt oder Land, ob Bildung oder Wohnen: Unser Ziel sind gleiche Chancen für alle - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und Religion. In 75 Jahren bietet unser Land noch mehr Lebensqualität, den Schutz unserer Lebensgrundlagen und neue Arbeitsplätze.

    Markus Wagner, Vorsitzender der AfD-Fraktion
    Vor 75 Jahren
    übernahm dieses Land als Rechtsnachfolger des Freistaats Preußen ein großes Erbe. Bei seiner Gründung lag es fast zerstört und in Trümmern danieder; doch es wurde in atemberaubend kurzer Zeit wieder von Menschen aufgebaut, die zupacken konnten und an die Zukunft glaubten. Obwohl dieses Land vor allem durch das Ruhrgebiet als starker Motor der Wirtschaft, über Bonn als langjährige Bundeshauptstadt und durch diverse Kulturmetropolen geprägt war und somit beste Voraussetzungen bot, waren die jeweiligen Landesregierungen leider nicht ausreichend dazu in der Lage, Wohlstand flächendeckend zu etablieren und das Land zukunftsorientiert zu regieren.
    Heute
    müssen wir mit Sorge feststellen, dass NRW zu lange nicht mehr als Maßstab für Innovation und Zukunftsfähigkeit gilt. In zu vielen Bereichen stehen wir auf den hinteren Plätzen. Wir sehen uns mit einer Vielzahl großer Herausforderungen konfrontiert, ausgelöst durch Globalisierung, Migrationsdruck, den rasanten Entwicklungen in Technik, Arbeitsleben, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese gilt es durch eine ambitionierte und zielgerichtete Politik zu meistern, um so das Vertrauen der Bürger in die Vertreter der Politik wiederherzustellen und dem Land zu neuem Aufschwung zu verhelfen.
    In 75 Jahren
    werden wir hoffentlich auf sieben Jahrzehnte zurückblicken, die durch Mut gekennzeichnet waren und den Willen, dieses Land politisch und wirtschaftlich an die Spitze zu führen. Wir als Landespolitiker müssen bereits heute dafür sorgen, dass die Menschen in NRW auch am Ende dieses Jahrhunderts in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben dürfen. So liegt es in unserer Verantwortung, die Grundsteine für eine Zukunft zu legen, die NRW eine freudvolle und lebensbejahende Zukunft ermöglichen.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210707

  • Windkraft und Akzeptanz.
    Anhörung im Fachausschuss zu geplanter Gesetzesänderung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 6 - 06.07.2021

    31. Mai 2021 - Die Landesregierung plant Änderungen beim Baugesetzbuch. Konkret geht es um Mindestabstände von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung. 1.000 Meter sieht der Gesetzentwurf vor. Allerdings sollen Gemeinden mittels ihrer Bauleitplanung von der Regel abweichen und geringere Abstände zulassen können. Das Gesetz wurde am 1. Juli 2021 mit den Stimmen von CDU und FDP verabschiedet. Im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen hatten sich zuvor Sachverständige dazu geäußert.
    Die Leistungsfähigkeit und die Größe von Windenergieanlagen hätten sich seit Einführung des sogenannten Privilegierungstatbestandes zum 1. Januar 1997 grundlegend geändert, heißt es im Gesetzentwurf der Landesregierung (17/13426). Ende der 1990er-Jahre seien Anlagen mit einer Gesamthöhe von bis zu 100 Metern gängig gewesen, die Höhe der aktuellen Generation liege bei mehr als 200 Metern. Auch die Durchmesser der Rotoren seien deutlich größer geworden. Dies habe Auswirkungen auf die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung.
    Der Gesetzentwurf lasse den Kommunen "weitgehend Spielräume bei der bauleitplanerischen Steuerung von Windenergieanlagen", schreibt die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme für den Ausschuss. Würden aber neue Anlagen mit einem geringeren Abstand als 1.000 Meter geplant, sei dies auf der anderen Seite mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Nachteile sieht die Arbeitsgemeinschaft für das "Repowering" - also das Ersetzen alter Anlagenteile durch neue, um etwa einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen. In vielen Fällen dürften diese Anlagen nicht mehr am alten Standort privilegiert errichtet werden.

    Klimaschutz

    Der Gesetzentwurf trage "weder den Notwendigkeiten eines naturverträglichen Ausbaus der Windenergienutzung als Beitrag zum Klimaschutz Rechnung, noch dem Willen eines Großteils der Bevölkerung", heißt es in einer Stellungnahme des BUND. Zwar sei die ursprünglich vorgesehene Regelung, nach der ein 1.000-Meter-Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Wohnnutzungen ab einer Ansammlung von 10 Häusern gelten sollte, zurückgenommen worden: "Doch auch die jetzt vorgesehenen Festlegungen wären ein weiterer Rückschlag auf dem Weg zu einem klimaneutralen Nordrhein-Westfalen." Man lehne "pauschale Mindestabstandsregelungen" generell ab.
    Diese Haltung vertreten auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (bdew) sowie der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU). Gleichwohl sehe man "eine Weiterentwicklung des Referentenentwurfs" und begrüße einige Veränderungen sowie den Vorstoß, mehr Rechtssicherheit und Planungssicherheit für zukünftige Windprojekte zu schaffen, heißt es in der bdew- Stellungnahme. Positiv sei, "dass bestehende Flächennutzungspläne von den Abstandsregelungen ausgenommen werden sollen", so der VKU.
    Hubertus Nolte, Sprecher des Landesverbandes "Vernunftkraft NRW", sieht im Gesetzentwurf die "konsequente Umsetzung der Wahlversprechen und Absichtserklärung unserer Landesregierung". Die Menschen in Städten und Dörfern würden geschützt. Anders sei es bei Menschen in Außenbereichen: "Viele von ihnen wohnen inzwischen an oder inmitten von großen Windparks. Diese gleichen immer mehr riesigen Industrieflächen in damit technisch überprägten Landschaften." Mögliche Gesundheitsrisiken seien noch nicht genügend erforscht.
    Der Gesetzentwurf sei ein "wichtiger Schritt, um die Akzeptanz der Anwohner zurückzugewinnen", so der Rechtsanwalt Thomas Mock (Königswinter). Für Anwohner außerhalb geschlossener Ortschaften treffe dies allerdings nicht zu: "Sie bleiben einer erhöhten Rechtsunsicherheit ausgesetzt."
    Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW bezeichnet die geplanten Regelungen als "restriktiv". Sie erschwerten nicht nur den Zubau neuer und den Austausch alter Anlagen, sondern gefährdeten auch die nordrheinwestfälischen Klimaschutzziele. Zudem bestehe "kein empirischer Zusammenhang zwischen höheren Abständen und einer steigenden Akzeptanz für die Windenergie".
    In der Stellungnahme der Projektberatungsgesellschaft "Bäuerlicher BürgerWind" heißt es in diesem Zusammenhang: "Akzeptanz wird erwiesenermaßen nicht durch Abstände, sondern durch Teilhabe am Windenergieprojekt geschaffen." Arno Wied, Dezernent für Bauen und Umwelt im Kreis Siegen-Wittgenstein, schreibt, "dass die Entfernung zwischen Windenergieanlage und Wohnnutzung nur ein eher nachrangiger Aspekt ist, wenn es um die Frage geht, ob diese Nutzung akzeptiert werden kann".
    Rainer Busemann, Bürgermeister der Gemeinde Ense (Kreis Soest), hält einen 1.000-Meter-Mindestabstand bei Neuplanungen nicht für angebracht. Hätte diese Regelung bereits in der Vergangenheit gegolten, wären in Ense, so Busemann, nicht die aktuell 40 Windenergieanlagen entstanden, sondern lediglich drei. Die "dramatischste Entwicklung" sehe er jedoch beim Repowering. Würde es "unter die gleiche restriktive Abstandsregelung wie bei der Neuplanung" gestellt, würden die alten Anlagen an ihren Standorten bleiben. Damit sei niemandem geholfen.
    Zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 14 und 15.

    ID: LI210612

  • Schrumpf, Fabian (CDU); Sundermann, Frank (SPD); Brockes, Dietmar (FDP); Brems, Wibke (Grüne); Beckamp, Roger (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Windenergie".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 14-15 in Ausgabe 6 - 06.07.2021

    Windenergie ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... ist für das Gelingen der Energiewende unerlässlich. Als Energieland Nummer eins übernimmt NRW sowohl beim Ausstieg aus der Kohleverstromung als auch beim Ausbau der Erneuerbaren eine verantwortungsvolle Rolle. Dabei ist es der NRW-Koalition ein wichtiges Anliegen, dass der Zielkonflikt zwischen Ausbau und Akzeptanz bestmöglich gelöst wird. Dafür schafft dieses Gesetz eine gute Grundlage.
    Frank Sundermann (SPD) ... ist neben der Photovoltaik das Zugpferd der Energiewende. Sie muss durch politisches Handeln gestärkt werden und braucht Planungssicherheit mit guten Rahmenbedingungen. So kann Klimaschutz Arbeitsplätze in NRW sichern. Die Landesregierung steht jedoch auf der Bremse. Die Beschäftigten in der Windkraftindustrie haben ein Ende des Blindflugs in der Energiepolitik von Schwarz-Gelb verdient.
    Dietmar Brockes (FDP)... ist Teil der Energiewende, die wir konsequent und akzeptanzgesichert umsetzen. Dank unseres Einsatzes wurden in 2020 in NRW Windenergieanlagen mit einer Leistung von rund 285 Megawatt in Betrieb genommen, wodurch unser Land mit weitem Abstand im Bundesvergleich den Spitzenplatz belegt. Die Windkraft leistet ihren Beitrag zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzplans.
    Wibke Brems (Grüne) ... ist neben der Photovoltaik die zentrale Säule unserer künftigen Energieversorgung. Ohne den beschleunigten Ausbau der Windenergie werden Deutschland und NRW die Klimaschutzziele nicht erreichen. Ausbauhemmnisse müssen deshalb konsequent abgebaut werden, ansonsten entgehen auch den in diesem Bereich tätigen Unternehmen und Stadtwerken und damit dem Land Investitionen in Milliardenhöhe.
    Roger Beckamp (AfD) ... ist mit hohen Erwartungen an die Energie- und Klimawende verbunden. In den letzten 20 Jahren vollzog sich eine massive Veränderung der Größenordnungen: Es handelt sich heute nicht mehr um - freundlich umschrieben - "Windmühlen", sondern um großindustrielle Windenergieanlagen, die mit der Konzentration in Windparks massive Veränderungen des Bildes wertvoller landschaftlicher Kulturräume bewirken.

    Abstände ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... tragen zur Akzeptanz und Rechtssicherheit bei. Uns nützen keine potenziellen Standorte für Windenergieanlagen, um die es jahrelange Auseinandersetzungen vor Gericht gibt. Wir wollen die Energiewende mit den Menschen im Land statt gegen sie gestalten. Deshalb muss Ausbau einerseits, aber auch der Schutz von Anwohnern und Natur andererseits ermöglicht werden.
    Frank Sundermann (SPD) ... zu Windkraftanlagen müssen planungsrechtlich individuell geregelt sein, da pauschale Abstände die Akzeptanz verringern. Das jahrelange Rumeiern bei den Abstandsregeln und die nun vorgelegte 1.000-Meter-Regelung zeigen, dass die Landesregierung den Ausbau der Windkraft eher verhindern als fördern will. Das erschwert den Bau neuer Anlagen und damit die Einhaltung der Klimaschutzziele.
    Dietmar Brockes (FDP) ... sind ein wichtiges Instrument, um die Akzeptanz der Anwohnerinnen und Anwohner zu erhalten. Die Windenergieanlagen sind mittlerweile mit über 200 Metern höher als der Kölner Dom. Ein größeres Maß an gefühlter Bedrängung, die Besorgnis um Gesundheitsgefährdung und die dauerhafte Beeinträchtigung der direkten Umgebung gefährden die grundsätzliche Akzeptanz der Bevölkerung.
    Wibke Brems (Grüne) ... zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung müssen projektspezifisch und auf Basis von Immissionsschutzgesetzen geregelt werden. Pauschale Abstandsvorgaben sind der falsche Weg. Sie reduzieren die Flächen, auf denen Windenergieanlagen gebaut werden können, deutlich. Einen positiven Effekt auf die Akzeptanz vor Ort haben sie dagegen nachweislich nicht. Dafür gibt es bessere Instrumente.
    Roger Beckamp (AfD) ... zu anderen Nutzungen sind erforderlich, um Natur, Landschaft und Infrastrukturen vor beeinträchtigenden Wirkungen zu schützen. Höchstrichterliche Urteile haben wichtige Vorgaben geschaffen, die die Beachtung von "harten" und "weichen" Tabubereichen für die Windenergienutzung als notwendige Restriktionen anerkennen. Der Ausschluss von Flächen und die Einhaltung von Abständen sind darum erforderlich.

    Repowering ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... bedeutet die bestmögliche Ausnutzung bestehender Standorte und mehr Erträge trotz einer deutlich geringeren Anzahl an Anlagen. Denn moderne Anlagen bringen heute deutlich mehr Leistung. Deshalb sollen Kommunen festlegen können, dass Anlagen bei Repowering auch zurückgebaut werden können. So entlasten wir unsere Bürger in Regionen, die schon viel zum Ausbau der Windenergie beitragen.
    Frank Sundermann (SPD) ... wird durch die Landesregierung massiv erschwert. Ohne die Erneuerung von Altanlagen ist die Energieversorgungsstrategie Nordrhein- Westfalens gefährdet. CDU und FDP verhindern so wesentliche Ausbaupotenziale. Sie ignorieren die Chancen einer regionalen Wertschöpfung und die Schaffung von Beschäftigung im ländlichen Raum.
    Dietmar Brockes (FDP) ... bedeutet, dass ältere Anlagen gegen moderne, leistungsfähigere Modelle ausgetauscht werden. So kann die Fläche bei reduzierter Anlagenzahl effizienter genutzt werden. Mit dem Gesetzentwurf sollen die Kommunen dort, wo die lokale Akzeptanz für Windenergieanlagen groß ist, über das bewährte Mittel der Bauleitplanung den Schutzabstand unterschreiten können.
    Wibke Brems (Grüne) ... der Ersatz alter Anlagen durch leistungsstärkere - ist ein Schlüssel, um die Windenergieleistung schnell zu steigern. Bestehende Standorte sind meist breit akzeptiert und in Bezug auf Arten- und Naturschutz wesentlich unproblematischer. Dass für diese Projekte die gleichen Anforderungen gelten wie für neue Projekte, ist absurd und macht die Landesregierung vollends unglaubwürdig.
    Roger Beckamp (AfD) ... bedeutet den Ersatz von Altanlagen durch neue und leistungsfähigere Anlagen. Da die ersten, damals noch kleinen Anlagen in vergleichsweise geringen Abständen zur Wohnbebauung entstanden, sind Konflikte mit den dort lebenden Menschen vorprogrammiert, wenn an deren Standorten nun größere Anlagen entstehen sollen. Auch hier müssen die berechtigten Interessen der Bewohner berücksichtigt werden.

    Anwohnerinnen und Anwohner ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... haben berechtigte Schutzinteressen. Die Energiewende und der Ausbau von Anlagen wird nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort gelingen. Das Gesetz ist im Ergebnis ein Beispiel für eine Politik, die zuhört, abwägt und ausgleicht. So schaffen wir einen Ausbau der Windenergie mit Tempo und Akzeptanz - mit Maß und Mitte und gemeinsam mit der Industrie und der Bevölkerung.
    Frank Sundermann (SPD) ... können und sollen durch klare und eindeutige Regeln vor den Beeinträchtigungen der Windkraft geschützt werden. Deshalb braucht es mehr Rechtssicherheit bei der räumlichen Steuerung der Windenergie und eine enge Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen. Die Landesregierung verweigert jedoch die Kooperation und schiebt die Rechtsunsicherheiten auf die Kommunen. Das bremst den Windkraftausbau.
    Dietmar Brockes (FDP)... werden mit dem Gesetzentwurf ganz wesentlich geschützt. Das wurde in der Anhörung von Bürgerinitiativen so bestätigt: Nach dem Gesetzentwurf der NRW-Koalition müssen neue Anlagen über einen Schutzabstand von 1.000 Metern zur Wohnbebauung verfügen. Dieser Abstand gilt zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen und innerhalb bebauter Ortsteile.
    Wibke Brems (Grüne) ... müssen bei der Planung von Beginn an transparent, offen und fair einbezogen werden. Sie müssen zudem von den Anlagen in ihrer Nähe profitieren - sei es über Zuschüsse an die Kommune, verbilligte Stromtarife, einen Anwohnerbonus oder die Möglichkeit, selbst in die Anlagen zu investieren. Windenergieprojekte könnten auf diese Weise vor Ort sehr breit akzeptiert werden.
    Roger Beckamp (AfD) ... haben ein Recht auf Schutz ihrer Gesundheit, ihrer Lebensqualität und ihres Eigentums vor Wertverlust. Der Forschungsstand zu den Auswirkungen der Windenergienutzung ist trotz des bereits erreichten hohen Ausbaustandes in Deutschland bedauerlicherweise völlig unzureichend geblieben. Hier besteht ein dringender Nachholbedarf, um eine angemessene Interessenabwägung gewährleisten zu können.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210613

  • Arm und reich.
    Anhörung im Fachausschuss zum "Sozialbericht NRW 2020".
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 9 in Ausgabe 5 - 26.05.2021

    5. Mai 2021 - Im Dezember 2018 erhielten nach Angaben der Landesregierung rund 2 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen sogenannte Mindestsicherungsleistungen. Dazu zählen u. a. Hartz IV und Leistungen zur Grundsicherung im Alter. Die Quote in NRW habe mit 11,3 Prozent über dem gesamtdeutschen Durchschnitt von 8,7 Prozent gelegen. Auf der anderen Seite verfügten 14,1 Prozent der Menschen über "Vermögensreichtum" (ab 146.620 Euro). Dabei sei nur der "gehobene Wohlstand" erfasst, die "erheblichen Summen der Top-Vermögenden" seien in den Analysen nicht enthalten.
    Die Zahlen gehen aus dem "Sozialbericht NRW 2020" der Landesregierung hervor. Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales haben sich Sachverständige zum "Armuts- und Reichtumsbericht" (Untertitel) geäußert.
    Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales erstelle den Bericht einmal pro Legislaturperiode, heißt es in einer Vorlage der Landesregierung (Drs. 17/4607, Kurzfassung; Drs. 17/4608, Langfassung): "Eine umfassende Datenbasis und die differenzierte Darstellung der sozialen Lage der Bevölkerung in Nordrhein- Westfalen sind notwendige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitsplätze schafft und erhält sowie soziale Ausgrenzung verhindert."
    Man lege den Bericht vor, "obwohl wir wissen, dass Corona und seine Folgen die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ganz Deutschland in vielerlei Hinsicht ändern werden". Einige Entwicklungen zeichneten sich bereits ab, für eine abschließende Beurteilung fehlten aber noch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese solle später im Rahmen der laufenden Sozialberichterstattung erfolgen. Schwerpunkt des Berichts sei diesmal das Thema Wohnraum.
    Die Arbeitsgemeinschaft "Freie Wohlfahrtspflege NRW" bezeichnet den Bericht in ihrer Stellungnahme für den Ausschuss als "das umfassende Datenwerk zur Darstellung der sozialen Lage in NRW". Allerdings könnten "weder Schlüsse aus den Zahlen noch Maßnahmen zur Veränderung abgeleitet werden". Erforderlich sei ein zusätzliches Kapitel im Sozialbericht mit dem Titel "Bewertung".
    Der "regelmäßigen, lebenslagenorientierten Armuts- und Reichtumsberichterstattung" komme als Bestandsaufnahme eine wichtige Rolle zu, schreibt der Sozialverband Deutschland. Sie trage dazu bei, "einer politischen Verdrängung von Armut und sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken, wie sie noch bis in die 1990er-Jahre hinein zu beobachten war". Die Hoffnung auf "substanzielle politische Orientierungen und Maßnahmen zum Abbau sozialer Ungleichheit und zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit" hätten sich jedoch nicht erfüllt. Die "maßgeblichen Gesetzgebungskompetenzen" lägen beim Bund. Mit "Bordmitteln" des Landes und der Kommunen sei wenig auszurichten.

    Folgen der Pandemie

    Man begrüße, "dass in der Sozialberichterstattung des Landes NRW auf das Ausmaß und die Entwicklung sozialer Ungleichheit eingegangen wird", schreibt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Zugleich greife die Sozialberichterstattung die Folgen der Pandemie auf, "mit der Perspektive, die Phänomene in naher Zukunft zu beleuchten". Dies müsse früher erfolgen. Schon jetzt zeige sich, "dass Corona zu einer Verschärfung der Ungleichheit geführt hat".
    Der Sozialverband VdK sieht das ähnlich. Bereits heute lasse sich sagen, "dass insbesondere einkommens- und sozialschwache Personengruppen von der Pandemie besonders hart betroffen sind". So sei "insbesondere das Risiko einer Corona-Infektion für arme Menschen und prekär Beschäftigte deutlich höher".
    Der Kinderschutzbund weist in seiner Stellungnahme auf das Thema Kinderarmut hin. 2019 habe die Armutsrisikoquote für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren bundesweit bei 20,5 Prozent gelegen. In Nordrhein-Westfalen seien es 25,2 Prozent gewesen. Die Dunkelziffer sei hoch. Durch die Corona-Pandemie werde sich das Ausmaß weiter verschärfen.
    Der Verband "Die Wohnungswirtschaft im Westen" widmet sich in seiner Stellungnahme der Situation auf dem Wohnungsmarkt. Er weist auf die "extrem dynamische Entwicklung der Baupreise" und die "hohe Konkurrenz um Bauland" hin und empfiehlt u. a. eine "Stärkung der gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft". Wohnungsunternehmen und -genossenschaften befänden sich in einem "starken Wettbewerb um Bauland und Ressourcen mit Projektentwicklern, Immobilienfonds etc., die in erster Linie hochpreisigen (Eigentums-)Wohnraum zum Weiterverkauf entwickeln und nicht als langfristige Partner in der Stadt- und Quartiersentwicklung zur Verfügung stehen".
    "unternehmer nrw", die Landesvereinigung der Unternehmensverbände, weist auf die Bedeutung von Bildung hin. Armut werde "vor allem dort sichtbar, wo das Bildungsniveau niedrig ist und/oder wo Arbeitslosigkeit vorliegt". Es sei daher eine "Schlüsselaufgabe der Landespolitik, die Bildungsqualität stetig zu verbessern".
    zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    Systematik: 5100 Soziales; 5120 Sozialleistungen

    ID: LI210504

  • Schmitz, Marco (CDU); Neumann, Josef (SPD); Lenzen, Stefan (FDP); Mostofizadeh, Mehrdad (Grüne); Dr. Vincentz, Martin (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Sozialbericht NRW 2020".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 5 - 26.05.2021

    Der Sozialbericht ...

    Marco Schmitz (CDU) ... ist ein wichtiges Instrument, um mit Daten und Fakten ein Lagebild unserer Bevölkerung in NRW zu bekommen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Menschen, die zu den sozial Schwächeren gehören. Auch wenn der aktuelle Sozialbericht tendenzielle Besserungen aufzeigt, bedarf es weiterer intensiver Anstrengungen. Dafür bietet der Bericht die richtige Grundlage.
    Josef Neumann (SPD) ... zeigt, dass in NRW jedes fünfte Kind in Familien lebt, in denen das Geld knapp ist und die Eltern Sozialleistungen beziehen. Deswegen brauchen wir eine Kindergrundsicherung. Auch die Einkommen sind ungleich verteilt, insbesondere bei den Frauen. Sie arbeiten deutlich häufiger für Niedriglöhne. Deswegen brauchen wir mehr Tarifverträge für faire Löhne und als Schutz gegen Altersarmut.
    Stefan Lenzen (FDP) ... ist mit seinen Daten zur sozialen Lage in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Stütze, um bestehende Problemstellungen zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Abhängig von Aktualität und Turnus der einbezogenen Statistiken stammen die Daten im Bericht in vielen Fällen aber aus dem Jahr 2018. Der Sozialbericht kann deshalb die aktuellen Entwicklungen in Folge der Pandemie nicht abbilden.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... zeigt, dass Armut in NRW auf hohem Niveau stagniert und mit einer landesweiten Strategie bekämpft werden muss. Die Kommunen müssen mit klarer finanzieller Hilfe bei den Corona-Lasten und einem seit Jahren überfälligen Altschuldenfonds vom Land unterstützt werden. Nur so kann die öffentliche und soziale Infrastruktur gestärkt und können Menschen in besonders benachteiligten Stadtteilen entlastet werden.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist nicht nur ein wichtiges Werkzeug, um den Erfolg staatlicher Sozialpolitik zu kommunizieren. Da eine effiziente Sozialpolitik weit mehr sein muss als die Umverteilung von Geldern, sind ein ständiges Monitoring und eine Anpassung an dynamische Prozesse erforderlich. Dafür bietet der Sozialbericht ebenso die Möglichkeit, wie Maßnahmen neu auszurichten, zu evaluieren oder zu verstärken.

    Armut ...

    Marco Schmitz (CDU) ... hat sich leider in NRW auf einem hohen Niveau stabilisiert. Fast jede beziehungsweise jeder Sechste ist von relativer Einkommensarmut betroffen. Das verfügbare Einkommen ist in NRW zwar in den vergangenen Jahren gestiegen, aber die Ungleichheit der Vermögensverteilung ist erheblich. Das hat deutliche Folgen für die Wohnverhältnisse, für Bildung, das Erwerbsleben, die Gesundheit etc. und muss von der Politik beachtet werden.
    Josef Neumann (SPD) ... muss konsequent bekämpft werden! Das bestätigt der Sozialbericht NRW eindrücklich. In vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es Ungerechtigkeiten, mit denen die Menschen tagtäglich konfrontiert sind. Besonders betroffen sind Kinder, ältere, alleinerziehende und langzeitarbeitslose Menschen. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit bleibt daher eine zentrale Aufgabe für die Politik in NRW.
    Stefan Lenzen (FDP) ... bedeutet eine schwierige Lebenssituation für die Betroffenen, die wir vermeiden und bekämpfen müssen. Die FDP-Fraktion setzt insbesondere auf Bildung - von der Kita über die Förderung von Schulen anhand sozialer Indizes, die Stärkung der dualen Ausbildung und Berufsberatung bis zum Abbau von Hürden beim Einstieg in Arbeit. Wir eröffnen Chancen, damit Menschen sich aus prekären Lebensverhältnissen herausarbeiten können.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... grenzt aus, macht krank und mindert Zukunftschancen. Das ist für Kinder besonders dramatisch. Auf Bundesebene muss deshalb eine Kindergrundsicherung eingeführt werden. Auf Landesebene brauchen wir mehr Investitionen in Bildung und bessere Teilhabechancen für Kinder.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist leider auch in unserem Land und trotz Milliardenausgaben weiter ein akutes und zunehmend drängendes Thema. Insbesondere die fehlenden Wohlstandszuwächse der unteren Mittelschicht und eine Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit müssen uns als Politik aufrütteln. Es braucht intelligente, tragfähige Konzepte und manchmal auch den Mut zum Tabubruch.

    Reichtum ...

    Marco Schmitz (CDU) ... ist ein Privileg, das mit Verantwortung verbunden ist. Und dieser müssen sich die Bürgerinnen und Bürger auch bewusst sein. Gerade in dieser Verantwortung darf man die Schwächeren in der Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Als Politik müssen wir nach wie vor das Versprechen geben, dass jeder Mensch die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch Bildung, Arbeit und Fleiß ermöglicht bekommt.
    Josef Neumann (SPD) ... ist ungleich verteilt. Es gibt immer mehr Reiche. Gleichzeitig wächst die Gruppe der Armen. Die Vermögensverteilung ist extrem ungerecht und hat in vielen Fällen nichts mehr mit der eigenen Leistung zu tun. Wir brauchen daher auch eine gerechte Steuerpolitik und eine Debatte über Umverteilung von Vermögen. Nur so kann die gesellschaftliche Schieflage zwischen Reich und Arm bekämpft werden.
    Stefan Lenzen (FDP) ... wird oft als politischer Kampfbegriff verwendet. Eine Neiddebatte über Begrifflichkeiten lehnt die FDP-Landtagsfraktion ab. Stattdessen wollen wir Aufstiegschancen für Menschen unabhängig von ihrer Herkunft verbessern. Dazu gehört es, Bildungschancen zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... ist im Sozialbericht aufgrund fehlender Daten beim Vermögensreichtum nur ungenau abgebildet. Klar ist aber, dass wir gerade zur Bewältigung der sozialen Folgen der Corona- Pandemie massive Investitionen benötigen. Daher brauchen wir eine bessere Erfassung von Vermögen und eine gerechtere Steuer- und Abgabenpolitik, zum Beispiel durch eine verfassungsfeste und faire Erbschaftssteuer.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... ist immer relativ und vielfach vor allem auch der Lohn von persönlichem Einsatz, Innovationsbereitschaft und Erfolg. Wichtig ist, dass bei hohem wirtschaftlichem Erfolg immer ein gewisser Mitnahmeeffekt im Sinne der sozialen Marktwirtschaft erhalten bleibt. Als Solidargemeinschaft dürfen wir nicht zulassen, dass Teile der Gesellschaft insgesamt abgehängt werden. Reichtum verpflichtet!

    Die Corona-Pandemie ...

    Marco Schmitz (CDU) ... hat die Situation für sozial schwächer gestellte Menschen noch erschwert. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt, der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen ist noch schwieriger geworden. Kurzarbeit und Jobverluste betreffen einen großen Teil der Bevölkerung. Auch Homeschooling und Kinderbetreuung sind vor allem für Familien aus sozial schwächeren Milieus eine große Herausforderung.
    Josef Neumann (SPD) ... trifft die Armen am stärksten. Studien belegen, dass Menschen in schlechter bezahlten Jobs stärker von Kurzarbeit bedroht sind. Minijobber verlieren häufiger ihre Arbeit. Wer schon vorher gemessen am Einkommen zu den unteren 20 Prozent der Gesellschaft gehörte, gerät überdurchschnittlich oft in finanzielle Notlagen. Wir brauchen daher eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Armut.
    Stefan Lenzen (FDP) ... bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern auch die wirtschaftliche Existenz von Menschen. Deshalb hat NRW zahlreiche Programme aufgelegt, um die Coronafolgen abzufedern, beispielsweise für Solo-Selbstständige, die durch das Bundesprogramm keine ausreichende Unterstützung erhalten haben. Wichtig ist, dass Schulabsolventen zügig Ausbildungsplätze finden, damit keine Brüche in den Erwerbsbiografien durch Corona entstehen.
    Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ... wird die Armut deutlich verschärfen. Sachverständige rechnen mit einem starken Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit, sodass die Unterstützung hier massiv ausgebaut werden muss. Gleichzeitig brauchen wir endlich bessere Arbeitsbedingungen, um der Erwerbsarmut entgegenzutreten. Dazu muss auch das Land eine Vorbildfunktion einnehmen und Aufträge nur noch an Unternehmen mit fairen Arbeitsbedingungen vergeben.
    Dr. Martin Vincentz (AfD) ... und insbesondere die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung führen zu bislang unüberschaubaren wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen. Hier sind wir als Politik gefragt, nicht nur auf hohe Effektivität zu achten, sondern aktiv und wachsam Härten abzufedern, um eine Verschärfung bestehender gesellschaftlicher Schieflagen abzumildern.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210512

  • Schule in Zeiten der Pandemie.
    Sachverständige äußern sich zu Gesetzentwurf der Landesregierung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 4 - 04.05.2021

    14. April 2021 - Die Corona-Pandemie stellt Kinder und Jugendliche, ihre Eltern, aber auch Lehrkräfte vor besondere Herausforderungen. Der reguläre Schulbetrieb ist beeinträchtigt, Präsenzunterricht nicht immer möglich. Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie Nachteile für Schülerinnen, Schüler und Lehramtsstudierende vermeiden will. Im Ausschuss für Schule und Bildung haben sich Sachverständige dazu geäußert.
    Während der Corona-Pandemie finde in der Schule "weiterhin kein üblicher Betrieb" statt, heißt es im Entwurf der Landesregierung für das Zweite Bildungssicherungsgesetz (Drs. 17/13092). Angesichts der dynamischen Entwicklung der Pandemie sei es notwendig, auf Entwicklungen reagieren und schnelle Entscheidungen herbeiführen zu können. Sie betreffen u. a. erweiterte Nachprüfungsmöglichkeiten, um die Versetzung in die nächste Klasse zu erleichtern. Freiwillige Wiederholungen des Schuljahrs sollten nicht auf die maximal zulässige Verweildauer an der jeweiligen Schule angerechnet werden. Die SPD-Fraktion hatte einen Änderungsantrag (Drs. 17/13188) eingebracht und darin u. a. gefordert, landeseinheitliche Prüfungen "durch eine durch die Lehrkräfte der Schule erstellte Prüfungsarbeit zu ersetzen, die stärker auf den tatsächlich erteilten Unterricht Bezug nehmen kann, als dies bei zentralen Prüfungen möglich ist".
    Distanzunterricht könne den Präsenzunterricht nicht ersetzen, schreibt die Landeselternkonferenz NRW in ihrer Stellungnahme für den Ausschuss und spricht sich gegen zentrale Prüfungen aus. Die Unterschiede zwischen den Schulen, Klassen, Lerngruppen und Familien seien "einfach zu groß, um von ‚fairen‘ Beurteilungen und Prüfungsbedingungen sprechen zu können". Die Konferenz empfiehlt, "statt einer Leistungsbewertung eine Leistungsstandbeschreibung abzugeben, die aber nicht automatisch versetzungsrelevant sein darf ".

    "Individuelle Ausgangslagen"

    Ähnlich äußert sich die Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen. Zeugnis- und Versetzungsnoten seien das Ergebnis eines einjährigen Lehr-, Lern- und Bewertungsprozesses: "Dieser Prozess ist im Hinblick auf die Unterschiede in den konkreten Situationen (...) in bisher nicht dagewesener Weise unterschiedlich verlaufen." Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) weist ebenfalls auf "heterogene und individuelle Ausgangslagen" hin. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schreibt in ihrer Stellungnahme: "Letztlich konsequent wäre es, in diesem Jahr die Prüfungen auszusetzen und den mittleren Schulabschluss und den Hauptschulabschluss auch in den Hauptfächern und dem Wahlpflichtfach ohne Prüfung zu vergeben." Man schließe sich der Auffassung der Landesregierung an, dass eine Leistungsbewertung sowie die Erteilung von Zeugnissen zum Schuljahresende möglich seien, so der Verband "Lehrer NRW". Die "Rückkehr zu landeseinheitlichen Aufgaben" sehe man dagegen kritisch.
    Die Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung der Gymnasien stimmt dem Gesetzentwurf der Landesregierung "in seinen zentralen Aspekten" zu. Allerdings kritisiert sie "die darin beschriebene Regelung, am Ende der Erprobungsstufe einen Schulformwechsel ‚weitestgehend‘ nur mit dem Einverständnis der Eltern zu ermöglichen". Man habe "immer wieder die leidvolle Erfahrung" gemacht, dass Eltern die Fachexpertise der Lehrerinnen und Lehrer pauschal infrage stellten, den Verbleib ihres Kindes auf dem Gymnasium dagegen grundsätzlich nicht.
    Der Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen bezeichnet das Festhalten am Zentralen Abschlussverfahren in der Sekundarstufe I als "richtige Entscheidung". Für nicht versetzte Schülerinnen und Schüler biete ein Wiederholungsjahr die Möglichkeit, entstandene Defizite aufzuarbeiten. Die Betroffenen benötigten intensive individuelle Förderung durch ausgebildete Lehrkräfte. Dafür seien zusätzliche Stellen an den Gymnasien erforderlich.
    Der Gesetzentwurf würde "für eine weitere Verschärfung der sozialen Ungleichheit und sozialen Ungerechtigkeit in den Schulen sorgen", schreibt die Landesschüler*innenvertretung NRW. Erforderlich sei "insbesondere eine weitreichende Anpassung der Abschlussprüfungen". Schülerinnen und Schüler von Abschlussklassen sollten in diesem Schuljahr zwischen Abschlussklausuren und Durchschnittsnoten wählen können. Bei der zehnten Klasse bedürfe es zusätzlich einer "Dezentralisierung der zentralen Abschlussprüfungen".
    Der Verband "unternehmer nrw" ist anderer Ansicht. In seiner Stellungnahme heißt es: "Zentrale Prüfungen sind aus unserer Sicht grundsätzlich ein wichtiges Element der Qualitätssicherung in der schulischen Bildung. Sie sichern die Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit von Abschlüssen." Es sollte "unbedingt der Eindruck eines Abschlusses ‚2. Klasse‘ vermieden werden".
    Der Landtag beschloss das Gesetz am 28. April 2021 in 2. Lesung mit den Stimmen von CDU und FDP.
    zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    Systematik: 4200 Schulen; 4100 Bildung

    ID: LI210409

  • Schlottmann, Claudia (CDU); Ott, Jochen (SPD); Müller-Rech, Franziska (FDP); Beer, Sigrid (Grüne); Seifen, Helmut (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Bildungssicherungsgesetz".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 4 - 04.05.2021

    Das Schuljahr 2020/2021 ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Ein normaler Schulbetrieb, wie ihn Lehrkräfte, Schülerschaft, Eltern und weitere Beteiligte kennen, war und ist leider nicht möglich. Mit dem Zweiten Bildungssicherungsgesetz reagiert die Landesregierung auf die besonderen Bedingungen des Schuljahres.
    Jochen Ott (SPD) ... war kein normales. Unterricht hat in unterschiedlichem Umfang und auf unterschiedliche Weise stattgefunden. Viele Inhalte konnten gar nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden. Die anstehenden Prüfungen bedeuten für viele Schüler*innen Stress, da sie die Sorge haben, nicht ausreichend gut vorbereitet zu sein oder aufgrund von möglichen Quarantänen nicht an den Prüfungen teilnehmen zu können.
    Franziska Müller-Rech (FDP) ... ist kein normales Schuljahr und für die Schüler:innen, Eltern, Lehrkräfte und alle weiteren Beteiligten eine besondere Herausforderung. Wir möchten uns bei allen für die außerordentlichen Bemühungen der vergangenen Monate bedanken! Durch das Zweite Bildungssicherungsgesetz werden die Bildungschancen der Schüler:innen gesichert und Klarheit für das Schuljahr 2020/21 geschaffen.
    Sigrid Beer (Grüne) ... hat die Bildungsungleichheit weiter verschärft. Nicht zuletzt durch Unterschiede in Quanti- und Qualität des Unterrichts, der digitalen und personellen Ausstattung. Dazu ein chaotisierender Kurs der Schulministerin und kommunikatives Versagen. Es braucht endlich ein Netzwerk aus Lehramtsstudierenden, Jugendarbeit und -hilfe sowie verlässliche Unterstützung von Kindern und Familien in schwierigen Lagen.
    Helmut Seifen (AfD) ... ist geprägt von Verantwortungslosigkeit gegenüber Schülern und Lehrkräften. In noch nie dagewesenem Maße hat man die Schüler ohne hinreichenden objektiven Grund isoliert und ihre Bildungsmöglichkeiten gravierend eingeschränkt. Der Schulbetrieb wird durch die Reparaturverordnungen nur scheinbar normal weitergeführt. Die Lerndefizite und die sozialpsychischen Schäden werden noch lange nachwirken.

    Abschlussprüfungen ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... sollen Bildungsabschlüsse sichern, die das Rüstzeug für einen erfolgreichen Start in eine Ausbildung oder ein Studium darstellen. Nach jahrelanger zielstrebiger Arbeit verdienen alle Schülerinnen und Schüler der Abschlussjahrgänge einen vollwertigen Abschluss, der anerkannt wird.
    Jochen Ott (SPD) ... sollten die unterschiedlichen Voraussetzungen berücksichtigen. Wir müssen den Prüflingen die Sorge nehmen, dass sie auf ihrem weiteren Lebensweg benachteiligt sind. Sie haben Enormes geleistet, Resilienz bewiesen und verdienen unsere Wertschätzung. Darum fordern wir in unserem Änderungsantrag, dass die ZP10 durch Klassenarbeiten ersetzt werden und Abiturient*innen einen Freiversuch erhalten.
    Franziska Müller-Rech (FDP) ... sind ein wichtiger Meilenstein im Leben von jungen Menschen. Wir sorgen dafür, dass die Prüfungen sicher und fair ablaufen. Wir haben viele Regularien angepasst, um die besondere Situation zu berücksichtigen. Das Wichtigste ist für uns, dass die Schüler:innen keine Nachteile für ihren weiteren Lebensweg erhalten und die Qualität der Abschlüsse von niemandem angezweifelt werden kann.
    Sigrid Beer (Grüne) ... müssen neu gedacht werden. Im Jahrgang 10 können sie wegen der völlig unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Bedingungen in den Schulen nicht zentral gestellt werden. Individuelle Lern- und Prüfungszeiträume sind nötig. Wer jetzt noch Lernzeit braucht, muss auch beim Abitur die Möglichkeit erhalten, die Prüfungen nach den Sommerferien abzulegen, um mehr Zeit zur Vorbereitung zu haben.
    Helmut Seifen (AfD) ... spielen für die berufliche Zukunft unserer Schüler eine wegweisende Rolle und müssen deshalb auch durchgeführt werden. Die Schüler dürfen nicht auch noch unter dem Verdikt leiden, ihren Abschluss prüfungslos erworben zu haben. Allerdings zeigt sich in dieser Situation, dass die Zentralität von Prüfungen nicht immer die beste Lösung ist.

    Versetzungen ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... können zum Ende des Schuljahres erfolgen. Versetzungsentscheidungen und somit die Vergabe von leistungsbezogenen Abschlüssen sind sinnvoll. Eine Versetzung ohne Leistungsbewertung würde zu Nachteilen bei den Schülerinnen und Schülern führen.
    Jochen Ott (SPD) ... sollten in diesem Schuljahr für alle Schüler*innen gelten. Schüler*innen, deren Versetzung als gefährdet gilt, sollte ein anrechnungsfreies freiwilliges Wiederholen ermöglicht werden. Die Lehrkräfte sollten den betroffenen Schüler*innen und ihren Eltern eine ausführliche Beratung anbieten und gemeinsam mit ihnen passgenaue, individuelle Förderangebote entwickeln.
    Franziska Müller-Rech (FDP) ... werden in diesem Jahr nicht "automatisch" stattfinden. Dank des enormen Einsatzes aller am Schulleben Beteiligten haben Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht gut funktioniert und es hat hochwertiger Unterricht stattgefunden. Die Lehrkräfte werden für jede/n Schüler:in individuell prüfen, ob die Lernstände ausreichend für eine Versetzung sind, um sie im neuen Schuljahr nicht zu überfordern.
    Sigrid Beer (Grüne) ... müssen die besonderen Bedingungen in diesem Schuljahr berücksichtigen. Deshalb muss eine freiwillige Wiederholung möglich sein und darf nicht auf die Höchstverweildauer in den Schulstufen, auch in der gymnasialen Oberstufe, angerechnet werden. Klassenarbeiten müssen ausgesetzt werden. Sie lassen sich zeitlich nicht mehr realisieren. Der damit verbundene Druck ist zudem für alle in der Schule überflüssig.
    Helmut Seifen (AfD) ... müssen auch in diesem Schuljahr ausgesprochen bzw. nicht ausgesprochen werden. Allerdings bedarf es dazu in diesem Schuljahr einer umfassenderen Beratung von Schülern und Eltern im weiten Vorfeld der Versetzungskonferenz. Bewährt haben sich Beratungskonferenzen der Fachlehrer einer Klasse nach dem ersten Quartal, in welcher der Beratungsbedarf der jeweiligen Schüler festgestellt wird.

    Am Ende der Erprobungsstufe ...

    Claudia Schlottmann (CDU) ... soll die Klassenkonferenz auf Basis der Leistungsbewertungen eine Aussage dazu treffen, ob eine Schülerin oder ein Schüler den Bildungsweg in der aktuellen Schulform weiterführen kann. Ob eine Wiederholung des Schuljahres erfolgt oder ein Schulformwechsel, wird nach Beratung durch die Schule von den Eltern entschieden.
    Jochen Ott (SPD) ... sollte im Rahmen eines ausführlichen Beratungsgesprächs ein wohlwollender Blick auf die Entwicklungen der Schüler*innen geworfen werden. Die Erprobungsstufe sollte auf das 7. Schuljahr verlängert werden, um den Druck von den Kindern zu nehmen. Dabei sollte diese eng mit einem passgenauen Förderangebot verzahnt werden. Ich plädiere, gerade in diesem Jahr, für eine neue Kultur des Behaltens.
    Franziska Müller-Rech (FDP) ... können in diesem Jahr die Eltern in Absprache mit der Schule entscheiden, ob ihr Kind weiter an der gewählten Schulform bleiben oder auf eine andere Schulform wechseln soll. Dadurch können die Situation aller Schüler:innen individuell gewürdigt und Entscheidungen über den weiteren Verlauf der Schullaufbahn gemeinsam getroffen werden.
    Sigrid Beer (Grüne) ... sollen die Kinder in der gewählten Schulform weiter beschult werden. Es kann nicht zu Abschulungen gerade in dieser Situation kommen. Alle Schulen haben die Verantwortung, "ihre" Kinder zu einem ersten Schulabschluss zu führen. Die Folgen der Pandemie mit Fördernotwendigkeiten werden noch lange Zeit spürbar sein. Es kann nicht sein, dass sich wieder einmal bevorzugt integrierte Schulen der Aufgabe stellen.
    Helmut Seifen (AfD) ... muss auch in diesem Schuljahr die Schullaufbahnentscheidung gemäß §13, Abs. 3 SchulG NRW getroffen werden können. Man sollte den Lehrkräften vertrauen, dass sie ihre Entscheidung gewissenhaft zum Wohle der Schüler treffen. Das Aussetzen dieser Schullaufbahnentscheidung kann die optimale Entwicklung betroffener Schüler stark beeinträchtigen.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210410

  • Wahlweise weiblich.
    Anhörung zu geschlechtergerechten Landeswahllisten.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 3 - 30.03.2021

    11. März 2021 - 27,1 Prozent beträgt der Frauenanteil im Landtag. Dass er nicht höher ist, sei nicht vornehmlich dem Wählerwillen geschuldet, vermuten die Fraktionen von SPD und Grünen, sondern männerdominierten Kandidatenlisten der Parteien. Das soll sich nach dem Willen der beiden Fraktionen ändern. Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes sieht eine paritätische Besetzung der Wahllisten mit Frauen und Männern vor. In einer Anhörung kamen Sachverständige zu unterschiedlichen Urteilen.
    Auch 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts seien Frauen in politischen Ämtern und Mandaten auf allen politischen Ebenen in Deutschland noch unterrepräsentiert, heißt es in dem Gesetzentwurf der beiden Fraktionen (Drs. 17/7753). Er sieht vor, dass Landeslisten für die Wahl von Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags "beginnend mit einem Mann oder einer Frau und dann in Folge immer im Wechsel von einer Frau und einem Mann oder umgekehrt" aufzustellen sind.
    Als "kaum mit der Landesverfassung vereinbar" bezeichnete Dr. Heike Merten von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Gesetzesvorhaben. In ihrer Stellungnahme erklärte die Juristin, das Staatsziel der Gleichberechtigung rechtfertige keine Beschränkung von Wahlrechtsgrundsätzen, der Parteienfreiheit und der Gleichbehandlung. Zudem betreffe der Gesetzentwurf nur die Landtagssitze, die über Listenplätze besetzt würden - in den Landtag zögen aber regulär mehr als 70 Prozent der Abgeordneten per Direktmandat ein.
    Mit der Einführung von paritätischen Wahlvorschlägen würde sich zudem das Demokratieverständnis wandeln, kritisierte Prof. Monika Polzin von der Wirtschaftsuniversität Wien. Das Prinzip, dass jede und jeder gewählte Abgeordnete das gesamte Volk repräsentiere, würde durch eine geschlechtsbezogene bzw. gruppenbezogene Repräsentation ersetzt. Ein solches Demokratieverständnis sei mit dem Kern des Demokratieprinzips unvereinbar.
    Der Privatdozent Dr. Ulrich Vosgerau bezeichnete es als "willkürlich", dass "nur eine einzige identitäre Gruppe (...) besonderen Zugriff " auf die Aufstellung von Wahllisten bekommen solle.

    "Verstoß gegen Demokratieprinzip"

    Die Präsenz von Frauen in Bundestag und Landtag habe in den vergangenen 30 Jahren eine "kritische Masse" von 30 Prozent erreicht, argumentierte Johann Hahlen, Staatssekretär a. D. In seiner Stellungnahme kam auch er zu dem Schluss, dass der Gesetzentwurf gegen das Demokratieprinzip verstoße und die Wahlrechtsfreiheit sowie die Programmfreiheit und Chancengleichheit der Parteien verletze. All dies werde nicht durch das Gleichstellungsgebot im Grundgesetz gerechtfertigt.
    Das sah Dr. Christine Hohmann-Dennhardt, Richterin des Bundesverfassungsgerichts a. D., anders. Sie hält den Eingriff in die freie und gleiche Wahl von Abgeordneten und in das Parteienrecht für gerechtfertigt und verhältnismäßig. Zum Vorwurf, die Gesetzesinitiative laufe "der grundlegenden demokratischen Vorgabe einer Willensbildung ,von unten nach oben‘" zuwider, merkte die Richterin a. D. an, dass der Staat für ein gleiches und freies Wahlrecht sorgen müsse, aber "von oben nach unten" Bestimmungen dazu treffen könne. Dies habe er etwa mit der Entscheidung für ein gemischtes Wahlsystem aus personaler Direktwahl und Partei- Listenwahl und mit der Fünf-Prozent-Hürde getan. Auch diese Regelungen wirkten sich auf die Zusammensetzung der Parlamente aus - eine Paritätsregelung tue nichts anderes. Zudem seien Frauen keine Gruppe, sondern an allen Gruppen beteiligt. Sie repräsentierten ebenso wie Männer im Parlament das ganze Volk.
    Auch der Deutsche Juristinnenbund bewertete den Gesetzentwurf als sinnvoll und verfassungskonform. Der Eingriff ins passive Wahlrecht sei begrenzt, da sich jede und jeder auch für ein Direktmandat bewerben könne - diese Mandate unterlägen nicht der Paritätsregelung. Das Recht der Wählerschaft auf freie Wahl sei nicht tangiert, da sie auch bisher keinen Einfluss auf die Listenaufstellung gehabt habe. Und den Eingriff in das Recht der Parteienfreiheit rechtfertige das Gleichstellungsgebot. Der Juristinnenbund distanzierte sich aber von der Regelung im Gesetzentwurf, nach der eine Wahlliste ohne paritätische Besetzung der Geschlechter insgesamt zurückgewiesen werden solle. Stattdessen seien Ausnahme- und Übergangsregelungen denkbar, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
    Prof. Silke Ruth Laskowski von der Universität Kassel begrüßte den Gesetzentwurf ebenfalls. Sie vermisste jedoch eine Regelung für paritätisches Nachrücken ("Frau folgt Frau, Mann folgt Mann") und eine Regelung für paritätische Direktkandidaturen. Auch diese hielt die Juristin für verfassungsrechtlich zulässig und geboten. Gesetzliche Paritätsregelungen gebe es inzwischen in elf EU-Mitgliedsstaaten, bemerkte sie. Es gelte, die Verfassungsgüter Gleichstellungsgebot, Parteienfreiheit und die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl in Einklang zu bringen, bezog sich Laskowski auf einen Senatsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020.
    Auch der Frauenrat NRW, die Arbeiterwohlfahrt NRW und der Deutsche Gewerkschaftsbund NRW begrüßten den Gesetzentwurf. Letzterer betonte, es sei "eine Frage des politischen Willens, hier eine Lösung zu finden". sow

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    Systematik: 5040 Frauen; 1080 Wahlen

    ID: LI210309

  • Erwin, Angela (CDU); Butschkau, Anja (SPD); Freimuth, Angela (FDP); Paul, Josefine (Grüne); Dworeck-Danielowski, Iris (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Paritätsgesetz".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 3 - 30.03.2021

    Eine paritätische Besetzung von Kandidatenlisten ...

    Angela Erwin (CDU) ... halte ich für unvereinbar mit dem Grundgesetz und der Landesverfassung, da es in die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit eingreift sowie das Diskriminierungsverbot und das Demokratieprinzip verletzt. Zudem führen starre Regeln nicht zu lebendiger Vielfalt. Die Parteien sind hier im Interesse ihrer eigenen künftigen Entwicklung gefragt.
    Anja Butschkau (SPD) ... wäre ein erster wichtiger Schritt zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungsprozessen. Sie schützt Männer wie Frauen davor, benachteiligt zu werden. Seit über einhundert Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Dennoch gibt es immer noch ein strukturell bedingtes Ungleichgewicht, so dass die Einführung der Parität gerechtfertigt ist.
    Angela Freimuth (FDP) ... ist eine auch heute schon bestehende, rechtmäßige Möglichkeit, der Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten und politischen Vertretungen entgegenzuwirken. Sie wird aber nicht zu einer Geschlechterparität im Parlament führen, auch weil die Mehrheit der Sitze aus Wahlkreisen direkt gewählt werden. Darüber hinaus begegnet der Vorschlag auch massiven verfassungsrechtlichen Bedenken.
    Josefine Paul (Grüne) ... ist ein notwendiger Schritt für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am politischen Prozess. Nach Dekaden freiwilliger Absichtserklärungen besetzen Frauen nach über 100 Jahren der Einführung des Frauenwahlrechts noch immer lediglich ein Drittel der Sitze der Parlamente in Deutschland - das muss sich dringend ändern.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... wird heute von einigen Parteien praktiziert - wenn eine Partei sich selber diese Regel aufbürdet, soll es ihr gutes Recht sein. Als verpflichtende Voraussetzung aber würde die paritätische Listenbesetzung einen extremen Eingriff in die Wahlfreiheit bedeuten. Zudem wollen die meisten Frauen aufgrund ihrer Persönlichkeit und Qualifikation gewählt werden, nicht um eine Quote zu erfüllen.

    Bisherige Urteile zu Paritätsgesetzen ...

    Angela Erwin (CDU) ... bestärken mich in meiner rechtlichen Einschätzung. Ebenso wie die Mehrheit der Verfassungsrichter in Thüringen und Brandenburg sehe ich in den Paritätsgesetzen eine Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie des Rechts der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit.
    Anja Butschkau (SPD) ... können nicht per se auf Nordrhein-Westfalen übertragen werden, da sie sich auf die jeweilige Landesverfassung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Wahlprüfungsverfahren zur Bundestagswahl offengelassen, ob Paritätsgesetze verfassungskonform sind. Die staatlichen Organe (z. B. Landtage) seien eigenverantwortlich dafür zuständig, Gleichstellung von Frauen und Männern herzustellen.
    Angela Freimuth (FDP) ... haben die Gleichberechtigung von Frauen und Männern unterstrichen, aber gleichzeitig auch die Bedeutung der im Grundgesetz ebenfalls geschützten Wahlrechtsgrundsätze u. a. des Art. 38 herausgearbeitet. In die Wahlrechtsgrundsätze dürfe nur eingegriffen werden, wenn der Förderauftrag der Gleichberechtigung in keiner anderen Weise zu erfüllen wäre.
    Josefine Paul (Grüne) ... wurden zwar zurückgewiesen, jedoch berücksichtigen sie Art. 3 Abs. 2 des GG nicht ausreichend. Dieser besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und der Staat auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass dieser Gleichheitsgrundsatz mit der Wahlund Parteienfreiheit gleichgestellt ist. Ob ein Paritätsgesetz grundgesetzkonform wäre, ließen die Richter offen.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... machen deutlich, dass eine gesetzliche Vorgabe, wen eine Partei für die Wahl aufzustellen hat, mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Die passive Wahlrechtsgleichheit wäre eindeutig nicht mehr gegeben. So genau nehmen die Gleichstellungsideologen das allerdings nicht: Das übergeordnete Ziel, nämlich die quotierte Liste, ist ihnen wichtiger als die Grundpfeiler unserer demokratischen Prinzipien.

    Das Gleichstellungsgebot im Grundgesetz ...

    Angela Erwin (CDU) ... ist ein Förderauftrag. Er vermag aber nicht die Quotierung von Landeslisten zu rechtfertigen. Wir brauchen Lebendigkeit in unseren Parlamenten. Diese schaffen wir nicht, indem wir starre Regeln aufzwingen, sondern wir müssen um die unterschiedlichsten Menschen werben und sie für eine aktive Teilnahme an der politischen Gestaltung begeistern.
    Anja Butschkau (SPD) ... ist eine Errungenschaft, die die Mütter des Grundgesetzes trotz vieler Widerstände hart erkämpft haben. Dieses Recht muss immer wieder verteidigt und mit neuem Leben gefüllt werden, wie jetzt beim Paritätsgesetz. Gleichstellung, Wahl- und Parteienfreiheit sind drei gleichrangige Verfassungsgüter, die dabei abgewogen werden müssen. Die Gleichstellung darf dabei nicht zu kurz kommen.
    Angela Freimuth (FDP) ... stellt mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG klar, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Neben dem Schutz vor geschlechtsbezogener Benachteiligung wird eine Zielvorgabe für das Handeln des Staates formuliert, die aber durch Individualgrundrechte beschränkt wird.
    Josefine Paul (Grüne) ... verstehen wir als den dringlichen Auftrag an den Gesetzgeber, nicht nur formelle Gleichheit sicherzustellen, sondern die nach wie vor real existierenden Benachteiligungen von Frauen in der Politik endlich abzuschaffen. Wir als Grüne Fraktion NRW nehmen diesen politischen Auftrag sehr ernst, daher gilt es nun: Wir brauchen ein Paritätsgesetz - JETZT!
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... gibt es nicht! Artikel 3 Abs. 2 GG lautet: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Frauen und Männer haben das aktive und passive Wahlrecht, eine wichtige Errungenschaft mutiger und starker Frauen. Die Idee der Gleichstellung hat damit nichts zu tun.

    Ein Landesparlament mit höherem Frauenanteil ...

    Angela Erwin (CDU) ... ist erstrebenswert. Wir dürfen aber Parität nicht immer nur auf das Geschlecht beziehen. Wir brauchen nicht nur Männer wie Frauen im Parlament, sondern auch Jung und Alt, Menschen verschiedener Herkunft und aus vielen Berufsgruppen. Der Landtag sollte ein Spiegelbild der Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen sein - nicht nur in Bezug auf das Geschlecht.
    Anja Butschkau (SPD) ... wäre eine gerechtere Volksvertretung, die viel mehr der gesellschaftlichen Realität entspräche und Frauen einen größeren politischen Gestaltungsspielraum einräumt. Unsere Landesverfassung, die sich "die Männer und Frauen des Landes Nordrhein-Westfalen" gegeben haben, misst der Gleichberechtigung der Geschlechter eine hohe Bedeutung bei. Ein paritätisch besetzter Landtag käme diesem Auftrag nach.
    Angela Freimuth (FDP) ... ist mein persönlicher Wunsch und auch ein politisches Ziel. Ich würde mich sehr freuen, wenn mehr Frauen sich auch politisch engagieren und sich den Bürgerinnen und Bürgern zur Wahl stellen. Es macht Freude, politisch zu gestalten und unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln, auch mit tollen Kolleginnen parteiübergreifend. We can do it!
    Josefine Paul (Grüne) ... trägt nicht nur dazu bei, dass Frauen endlich den ihnen zustehenden Anspruch auf politische Teilhabe und Macht wahrnehmen können. Paritätsgesetze und mehr Frauen in Parlamenten weltweit zeigen gleichwohl: Mehr Diversität fördert die politische Debattenkultur, verbessert demokratische Entscheidungsprozesse und schafft repräsentative Politik für alle Bürger*innen.
    Iris Dworeck-Danielowski (AfD) ... scheint für viele erstrebenswert. Die Quote ist dafür aber ein ungeeignetes Instrument: Um mehr Frauen, die häufig gerne Verantwortung in der Familie übernehmen, zu gewinnen, muss der Politikbetrieb anders gestaltet werden. Der Weg zum Mandat führt immer erst durch die Partei und ist alles andere als familienfreundlich. Initiativen wie "Eltern-in-der-Politik" sind ein deutlich besserer Ansatz.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210325

  • Wer wie wo wohnt.
    Sachverständige äußern sich zu geplantem Wohnraumstärkungsgesetz.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 9 in Ausgabe 2 - 09.03.2021

    5. Februar 2021 - Zweckentfremdung von Wohnraum, "Problemimmobilien" in Städten, Mindestanforderungen an Unterkünfte für Leiharbeitskräfte - dies sind einige der Inhalte des geplanten "Wohnraumstärkungsgesetzes" der Landesregierung. Zum Entwurf äußerten sich Sachverständige im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen.
    Neben einem "Mehr an Wohnungsbau" sei auch der Schutz des bestehenden Wohnraums wichtig, schreibt die Landesregierung in ihrem Gesetzentwurf. Sie will Gemeinden in die Lage versetzen, "stärker präventiv gegen Problemimmobilien einzuschreiten und gezielter gegen die Verwahrlosung von Wohnraum vorzugehen". Außerdem geht es um die "Durchsetzung von Mindestanforderungen an die Unterbringung in Unterkünften" sowie um Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum.
    Grundlage der Anhörung waren der Entwurf "Gesetz zur Stärkung des Wohnungswesens in Nordrhein-Westfalen" (Drs. 17/12073), kurz "Wohnraumstärkungsgesetz", sowie ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP (Drs. 17/12305).
    Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände begrüßte den Gesetzentwurf. Ziel sei es, das Wohnungswesen insgesamt zu stärken. Dazu gehöre, "die kommunale Wohnungsaufsicht mit erweiterten Befugnissen und Instrumenten auszustatten". Allerdings müsse eine erweiterte Wohnungsaufsicht auch praxisgerecht umgesetzt werden: "Dies gilt sowohl für die personelle Ausstattung als auch für die anspruchsvolle Organisation technischer Verfahren." Zudem sei die geplante Aufgabenerweiterung "konnexitätsrelevant". Deshalb erwarte man eine Kostenfolgeabschätzung, um die potenziellen Mehrkosten zu ermitteln.
    "Insbesondere zu befürworten sind die erhöhten Handlungsspielräume gegenüber Missständen in Wohnungen und deren Verwahrlosung", schrieb die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen in ihrer Stellungnahme für die Anhörung. Größere Bestände von verwahrlostem Wohnraum in einzelnen Quartieren könnten ganze Viertel in Mitleidenschaft ziehen. Auch unterstütze man "die Vermeidung von prekären Wohnsituationen, wie z. B. von Werkvertragsnehmern, Leiharbeitern und Geflüchteten".
    Der Verband "Haus & Grund Rheinland Westfalen" sprach sich "für Maßnahmen zur Beseitigung von Problemimmobilien aus, um Quartiere nicht zu gefährden". Das Wohnraumstärkungsgesetz sei dafür aber wie das bisherige Wohnungsaufsichtsgesetz ungeeignet, da es sich mit den Wohnungen und nicht mit den Fassaden und Außenanlagen der Häuser befasse.
    Die Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen seien "stark differenziert", so der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen. In touristisch stark frequentierten Städten wie Köln, Bonn, Düsseldorf und Münster würden mittlerweile "mehrere tausend Wohnungen dauerhaft über Vermietungsportale angeboten". Eine Zweckentfremdung von Wohnraum könne problematisch sein, "wenn dadurch an angespannten Wohnungsmärkten dauerhaft oder in erheblichem Maße" Wohnraum entzogen werde. Probleme durch Zweckentfremdung lägen jedoch "bisher nur punktuell vor".
    In Köln spiele das "Problem der Wohnraumzweckentfremdung" eine herausragende Rolle, heißt es in der Stellungnahme der Stadt. Dass der Bekämpfung der Zweckentfremdung von Wohnraum Gesetzesrang eingeräumt werden solle, trage der "Bedeutung dieser zunehmenden Belastung des Wohnungsmarktes angemessen Rechnung". Gleichwohl vermisse man an einigen Stellen die "notwendige Konsequenz".

    "Bestandsaufnahme"

    Neue Regeln sollten nur eingeführt werden, wenn "negative Auswirkungen bestimmter Formen der Kurzzeitvermietung nachgewiesen worden sind", heißt es in der Stellungnahme der Online-Vermittlungsplattform "Airbnb". Sie regt eine "Bestandsaufnahme" nach der Pandemie als Voraussetzung für eine Gesetzesreform an. Kurzzeitvermietung trage zu einem "ausgewogenen und attraktiven Angebotsmix im Beherbergungs-Sektor bei".
    Der Deutsche Mieterbund hob hervor, "dass der Entwurf Lösungsansätze für den Umgang mit der ‚Sharing Economy‘ im Wohnungswesen und der Überlassung von Wohnraum zur Kurzzeitvermietung zur Verfügung stellt". Positiv sei auch, dass Mindeststandards für Unterkünfte etwa für Leiharbeiterinnen und -arbeiter festgelegt werden. Notwendig sei, Mindestanforderungen für alle Wohn- und Unterbringungsformen zu definieren - "beispielsweise auch für Unterkünfte für Wohnungslose und Flüchtlinge".
    Für den Deutschen Gewerkschaftsbund, Bezirk Nordrhein-Westfalen, ist das geplante Gesetz "ein längst überfälliger Schritt, um die Wohnsituation von Beschäftigten zu verbessern". Die Unterkunft spiele für alle "mobilen Beschäftigten" eine große Rolle. Leider müssten Gewerkschaften und Beratungsstellen seit Jahren feststellen, dass die Unterkünfte vielfach "menschenunwürdige Standards" hätten.
    zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    Systematik: 2830 Wohnungswesen

    ID: LI210204

  • Schrumpf, Fabian (CDU); Becker, Andreas (SPD); Paul, Stephen (FDP); Klocke, Arndt (Grüne); Beckamp, Roger (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Wohnraumstärkungsgesetz".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 2 - 09.03.2021

    Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... ist vielschichtig. Es gibt verschiedene wohnungswirtschaftliche Teilmärkte, in denen sich Angebot und Nachfrage nach Wohnraum unterschiedlich darstellen. Die Sicherstellung der Wohnungsversorgung ist eine zentrale Aufgabe unserer Wohnungspolitik. Insgesamt brauchen wir ein breites und vielfältiges Angebot an Wohnraum, weil nur das Mietpreise moderat hält.
    Andreas Becker (SPD) ... ist in den Städten und Ballungsräumen sehr angespannt. Die Folge ist verstärkter Mietpreisanstieg. Wir wollen mehr gutes und bezahlbares Wohnen durch mehr mietpreisgebundenen Wohnungsbau. Dabei kann eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft den kleineren Kommunen helfen. Verlängerte Mietpreisbindungen und Begrenzungen des Mietpreisanstiegs sollen das ergänzen.
    Stephen Paul (FDP) ... entspannt sich. Mit unseren Initiativen für leichteres Bauen und preisgünstiges Wohnen sind wichtige Weichen gestellt. Die jüngste Wohnungsmarktprognose zeigt, dass zwar der Bedarf an neuem Wohnraum bis 2040 weiter steigt, dass wir aber der wachsenden Nachfrage schon in wenigen Jahren gerecht werden.
    Arndt Klocke (Grüne) ... ist je nach Lage sehr unterschiedlich. Viele Städte und Ballungszentren in NRW kämpfen mit Wohnungsnot, knappen Flächen und hohen Mieten. In manchen Regionen in Nordrhein- Westfalen aber stellen Leerstand und verwahrloste Immobilien ein großes Problem dar. Deshalb ist es gut, wenn die Kommunen vor Ort genügend wirksame Instrumente haben, um die unterschiedlichen Probleme anzugehen.
    Roger Beckamp (AfD) ... ist vielfältig und von sehr unterschiedlichen Bedingungen geprägt. Angespannte Wohnungsmärkte in den Großstädten einerseits und ausgeglichene oder schwache Wohnungsmärkte in den ländlichen Räumen. Die Regelungen des Wohnraumstärkungsgesetzes betreffen dabei jedoch nur Randaspekte.

    "Problemimmobilien" ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... sind in unterschiedlicher Form ebenso in schrumpfenden wie wachsenden Märkten und boomenden Metropolregionen vorhanden. Mit dem Wohnraumstärkungsgesetz erhalten die Kommunen einen umfassenden "Werkzeugkoffer" an die Hand, um mit unterschiedlichen Erscheinungen bei der Verwahrlosung von Immobilien umgehen zu können. Darüber hinaus werden bestehende Regelungslücken geschlossen.
    Andreas Becker (SPD) ... sind für die Bewohner ein starker Einschnitt in das Grundrecht auf Wohnen. Wenn verantwortungslose Vermieter Instandhaltung vernachlässigen und Wohnraum verkommen lassen, muss der Staat über die kommunalen Ämter für Wohnungsaufsicht wirksam eingreifen können. Dazu braucht es eine rechtssichere gesetzliche Grundlage, um Missstände, die auch das ganze Wohnquartier belasten, abzustellen.
    Stephen Paul (FDP) ... zeichnen sich durch bauliche Verwahrlosung aus, stehen meistens leer oder werden überteuert vermietet. Gleichzeitig können sie sich negativ auf das Erscheinungsbild eines Stadtviertels oder eines Dorfes auswirken. Mit unserem neuen Wohnraumstärkungsgesetz geben wir den Kommunen Instrumente an die Hand, vor Ort einzugreifen. Wir stärken damit die kommunale Selbstverwaltung.
    Arndt Klocke (Grüne) ... sind oft von Vermietern verwahrloste und heruntergewirtschaftete Häuser. Doch auch hier gilt: Eigentum verpflichtet! Die Kommunen müssen dafür Sorge tragen, dass Bürgerinnen und Bürger menschenwürdig und ohne Gesundheitsgefahr wohnen können. Dafür brauchen die Kommunen entsprechend rechtliche Handhabe durch das Wohnungsaufsichtsgesetz und ausreichend Personal, um Verstöße aufzudecken und zu ahnden.
    Roger Beckamp (AfD) ... sind für die Mieter ein unzumutbarer Zustand und erfordern die Möglichkeiten für die Kommunen, um hier eingreifen zu können. Dort, wo solche Fälle auftreten, sind sie darüber hinaus ein negativer Faktor für das Erscheinungsbild eines Quartiers. Darum ist eine Erweiterung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten sicher hilfreich.

    Kurzzeitvermietungen ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... gehören zur "Sharing Economy". Die Zweckentfremdung von Wohnraum kann nun strenger beschränkt werden. Wer seine Wohnung kurzzeitig untervermieten will, muss dann eine ID-Nummer bei seiner Kommune beantragen. Auf den einschlägigen Online-Portalen muss diese Nummer angegeben werden. Die Dauer der Untervermietung in diesem Rahmen wird auf insgesamt 12 Wochen pro Jahr begrenzt.
    Andreas Becker (SPD) ..., gewerbsmäßig über Online-Portale zu touristischen Zwecken, sind in Städten mit Wohnraummangel ein Problem. Sie entziehen den Menschen bezahlbaren Wohnraum und treiben die Mieten hoch. Der Änderungsantrag von CDU und FDP führt zur Aushöhlung der wichtigen Schutzvorschriften für die Kommunen. Damit kann keine wirksame Bekämpfung dieser Zweckentfremdung von Wohnraum erfolgen.
    Stephen Paul (FDP) ... sind ein neues Gewerbe, das sich auf dem Markt etabliert. Wir beobachten diese Entwicklung genau. Gerade in lokal angespannten Wohnungsmärkten macht sich dieser Trend bemerkbar. Für uns Freie Demokraten ist wichtig, dass auch in Zukunft private Gastgeber ihre freien Wohnungen und Zimmer einfach, kostenlos und schnell vermieten können.
    Arndt Klocke (Grüne) ... sind in den Schwarmstädten ein großes Problem, da so dringend benötigter Wohnraum wegfällt. Das betrifft mehrere Tausend Wohnungen vor allem in urbanen Lagen. Wir begrüßen, dass die Landesregierung nun klare Regeln aufstellt. Die Kurzzeit-Vermietungsdauer von 12 Wochen halten wir aber für zu lange und würden diese, entsprechend der überwiegenden Meinungen in der Expertenanhörung, auf 8 Wochen verkürzen.
    Roger Beckamp (AfD) ... sind ein Trend zur preiswerten Gestaltung von Wochenendurlauben und zunehmend Dienstreisen. Für Wohnungsbesitzer bilden sie eine Möglichkeit, ein zusätzliches Einkommen zu generieren. Wohnraum geht m. E. dabei nicht verloren, da der Vermieter die Wohnung außerhalb der vermieteten Tage weiterhin selbst nutzt. Der Aufwand durch die neuen Regeln steht daher in keinem angemessenen Verhältnis zum Nutzen.

    Mindeststandards in Unterkünften ...

    Fabian Schrumpf (CDU) ... - z. B. von Arbeitern in der Fleischverarbeitung - waren bislang im alten WAG nicht geregelt. Diese Regelungslücke wird mit dem WohnStG geschlossen. Auch die Anforderungen an Gemeinschaftsunterkünfte werden nun klar festgelegt. Zudem soll es eine Anzeigepflicht geben, wenn eine bauliche Einrichtung als Unterkunft genutzt werden soll. Bei Verstößen drohen erhebliche Strafen.
    Andreas Becker (SPD) ... müssen gesetzlich klar geregelt werden. Sie schützen das Recht auf menschenwürdige Unterbringung. Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist hierzu ungeeignet, weil er mit falschen Begrifflichkeiten und unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet, die ein gezieltes Eingreifen für die Kommunen vor Ort bei Missständen schwierig machen. Hier muss dringend nachgebessert werden.
    Stephen Paul (FDP) ... sorgen landesweit für angemessenes Wohnen. Künftig müssen Vermieter die Unterkünfte anmelden und ein Nutzungskonzept vorlegen. Eine Kommune kann bei schweren Mängeln Reparaturen anordnen oder die Wohnung räumen lassen. Die Kosten für eine Alternativwohnung trägt der Vermieter.
    Arndt Klocke (Grüne) ... wären auch ohne die Corona-Ausbrüche in den Mitarbeiterunterkünften der Fleischindustrie längst notwendig gewesen. Jetzt gibt es dafür klare Regelungen, die wir begrüßen. Die Missstände müssen unbedingt behoben werden und alle Beschäftigten menschenwürdig und angemessen untergebracht sein.
    Roger Beckamp (AfD) ... sollten eine Selbstverständlichkeit sein, auch für Unternehmen, die diese für ihre Arbeitnehmer benötigen. Die beabsichtigten Handlungsoptionen für die Kommunen sind daher begrüßenswert. Phänomene im Zusammenhang mit schlecht bezahlten Leiharbeitern oder Sub- (Sub-)Unternehmern haben ihre Ursache bereits in diesen prekären Arbeitsverhältnissen, welche grundsätzlich auf den Prüfstand gehören.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210209

  • Sozialunternehmen im Blick.
    Sachverständige äußern sich zu Antrag der Grünen-Fraktion.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 1 - 02.02.2021

    14. Januar 2021 - Sozialunternehmen ("Social Entrepreneurs") wollen, vereinfacht ausgedrückt, die Welt ein wenig besser machen. Sie brächten "nicht nur technisch-digitale, sondern auch soziale Innovationen voran", heißt es in einem Antrag der Grünen-Fraktion. Die Landesregierung solle deshalb "eine Strategie zur nachhaltigen Förderung sozialer Innovationen und zur stärkeren Sichtbarkeit von Sozialunternehmen" entwickeln. Im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation haben sich Sachverständige zu dem Antrag geäußert.
    Sozialunternehmen seien relevante Akteure "bei der Gestaltung einer sozial und ökologisch lebenswerten Zukunft", schreibt die Fraktion in ihrem Antrag ("Technologische und soziale Innovationen zusammendenken - Social Entrepreneurship nachhaltig fördern und stärken"; Drs. 17/11178). Mit ihren Ideen und Ansätzen seien sie auf die "Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwerts ausgerichtet, greifen dabei auf unternehmerische Mittel zurück und tragen damit zur Lösung eines klar benannten gesellschaftlichen Problems bei". Die bestehenden Gründungs- und Innovationsprogramme des Landes sollten auf diese Unternehmen ausgeweitet werden.
    Der Verein "Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland" schreibt in seiner Stellungnahme für den Ausschuss von einer "Vielzahl gesellschaftlicher Herausforderungen". Beispiele seien "Klimawandel, Kinder- und Altersarmut, Digitalisierung, Reformstau im Bildungssystem, Integration geflüchteter Menschen oder demografischer Wandel". Statt diesen Herausforderungen "nachhaltig an deren Kernursache zu begegnen", werde den Symptomen oft "mit Werkzeugen aus dem vergangenen Jahrhundert begegnet". So würden "Potenziale verschenkt und selten grundlegende gesellschaftliche Verbesserungen herbeigeführt". Im Vordergrund des "Social Entrepreneurship" stehe das "Wirkungsmodell", das "Geschäftsmodell" sei lediglich Mittel zum Zweck. "Viel zu oft werden die Erfolgsaussichten sozialer Gründungen allerdings noch an rein finanziellen Maßstäben gemessen", kritisiert der Verein. In NRW habe man "bislang weitgehend die Chance verpasst, diesen wichtigen Trend in konkrete Maßnahmen umzusetzen". Dabei sei die "allgemeine Infrastruktur für innovative Gründungen in unserem Bundesland bereits auf einem sehr guten Weg". Auch stünde sozialen Gründerteams oft die Teilnahme am Gründerstipendium NRW offen, "was ein sehr guter Schritt ist". Zudem sei damit begonnen worden, Gründungsberaterinnen und -berater der nordrhein-westfälischen Startercenter zum Thema "Social Entrepreneurship" zu schulen. Bei den Beratungs- und Finanzierungsangeboten der landeseigenen NRW.Bank habe sich ebenfalls "viel in eine sinnvolle Richtung bewegt".
    Sozialunternehmen seien "wichtige Treiber für soziale Innovationen und Nachhaltigkeit", so die NRW.Bank in ihrer Stellungnahme. Sie spielten eine "wichtige Rolle bei der Bewältigung sozialer, ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen in Deutschland und auch in NRW". Durch die Verbindung unternehmerischer Ansätze mit gesellschaftlichen Anliegen entstünden soziale und ökologische Innovationen. Die NRW.Bank habe ihre Aktivitäten mit Blick auf soziales Unternehmertum in den vergangenen Jahren verstärkt. Man habe ausgewählte Förderprogramme grundsätzlich für sozial orientierte Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform geöffnet.

    Vernetzung

    Das Gründer- und Technologiezentrum Solingen verstehe sich als "Anlaufstelle für alle Gründerinnen und Gründer in NRW" und behandle bei der Beratung "grundsätzlich alle Startups gleich", heißt es in der Stellungnahme der Einrichtung. Sozialen Gründungen aus der Region verschaffe man bei Veranstaltungen ("Pitch-Events") eine Bühne, damit sie ihre Ideen vorstellen könnten. Dies habe "zu einer guten Vernetzung in die Unternehmerschaft und zu Investoren geführt". Die Forderung nach Bereitstellung von Fördermitteln und Programmen für soziale Startups unterstütze man.
    "Die bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten sind bereits für klassisch-gewinnorientierte Startups in NRW im nationalen und internationalen Vergleich schlecht aufgestellt", heißt es in der Stellungnahme von "icho systems", einem Hersteller von Medizinprodukten. Die Programme richteten sich von wenigen Ausnahmen abgesehen "vornehmlich an gewinnorientierte Gründungen". Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen sei "das richtige Netzwerk und der Kontakt zu Förderern, die zur Weiterentwicklung maßgeblich beitragen". Dieses Netzwerk sei in NRW weitestgehend vorhanden, jedoch gebe es nur wenige Spezialisten für soziales Unternehmertum. Andere Bundesländer seien "sehr viel weiter".
    zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    ID: LI210110

  • Braun, Florian (CDU); Kampmann, Christina (SPD); Matheisen, Rainer (FDP); Bolte-Richter, Matthi (Grüne); Loose, Christian (AfD)
    Standpunkte: Meinungen zum Thema "Sozialunternehmen".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 1 - 02.02.2021

    Sozialunternehmen ...

    Florian Braun (CDU) ... leisten vielfach einen wichtigen Beitrag für die Lösung gesellschaftlicher und sozialer Herausforderungen und stellen den Einsatz für das Gemeinwohl an erste Stelle. Social Entrepreneurs sind dabei Treiber und nehmen in unserer sozialen Marktwirtschaft eine Brückenfunktion zwischen solidarischer Gemeinnützigkeit, wegweisender Innovation und moderner Wirtschaftsvielfalt ein.
    Christina Kampmann (SPD) ... sind wichtige Vorreiter für sozial-ökologische Innovationen, die einen gesellschaftlichen Mehrwert jenseits von reiner Gewinnorientierung generieren und damit zur Lösung von Problemen wie dem Klimawandel und Armut wesentlich beitragen.
    Rainer Matheisen (FDP) ... leisten etwa durch den Einsatz technologischer Möglichkeiten einen wichtigen Beitrag für innovative Lösungen zur Bewältigung sozialer, ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Durch die Verbindung von unternehmerischen Ansätzen und gesellschaftlichen Anliegen entstehen nachhaltige Geschäftsmodelle etwa zur Erhöhung von Ressourceneffizienz oder zur Bekämpfung des Klimawandels.
    Matthi Bolte-Richter (Grüne) ... und Social Startups geben mit ihren sozialen Innovationen Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Wir wollen für sie die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich eine lebendige und dynamische Social Entrepreneurship-Szene in NRW entwickelt. Nur so können soziale und ökologische Geschäftsmodelle sowie Dienstleistungen ihr gesamtes Potenzial entfalten und in die Gesellschaft hineinwirken.
    Christian Loose (AfD) ... sind meist privat getragene Unternehmen, deren Unternehmenszweck die Verbesserung der Lebensumstände aller oder einer definierten Gruppe von Menschen ist. In ihrer Gesamtheit tragen sie zum sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. So z. B. Behindertenwerkstätten, die im Sinne einer auf beruflicher Anerkennung beruhenden Integration von Menschen mit Handicap wirken.

    Die Förderung dieser Unternehmen ...

    Florian Braun (CDU) ... ist sinnvoll. Auch NRW fördert Social Entrepreneurs z. B. mit dem Gründerstipendium. NRW, welches nicht zwischen einer gewinn- und gemeinwohlorientierten Ausrichtung des Startups unterscheidet. Aber nicht alle "klassischen" Förderinstrumente sind für die Anforderungen eines Sozialunternehmens ideal. Die NRW.Bank hat bereits reagiert und das Programm NRW.MicroCrowd aufgelegt. Weitere sollen folgen.
    Christina Kampmann (SPD) ... muss massiv verbessert und vereinfacht werden. Viel zu oft werden die Erfolgsaussichten sozialer Gründungen noch an rein finanziellen Maßstäben gemessen. Daher erhalten sie nicht die Förderungen, die ihrem gesellschaftlichen Mehrwert entsprechen. In NRW wurde bislang weitgehend die Chance verpasst, diesen wichtigen Trend durch passgenaue Fördermaßnahmen aufzugreifen.
    Rainer Matheisen (FDP) ... sollte innerhalb der bestehenden Strukturen aus Startercentern, DWNRW-Hubs und Social Impact Hubs erfolgen. Bereits heute stehen Sozialunternehmen zahlreiche Förderprogramme offen, wobei noch Verbesserungsbedarf bei der Sensibilisierung für deren Besonderheiten besteht. Weiterbildungsangebote zu Social Entrepreneurship sollten daher flächendeckend zur Verfügung stehen und weiter ausgebaut werden.
    Matthi Bolte-Richter (Grüne) ... und sozialer Innovationen ist nicht nur aus sozialer oder ökologischer Sicht sinnvoll. Mehrere Studien zeigen das große wirtschaftliche Potenzial. Mit guten Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurship leisten wir einen wichtigen Beitrag für einen zukunftsfesten Wirtschaftsstandort NRW.
    Christian Loose (AfD) ... ist grundsätzlich und in engem Rahmen notwendig und sinnvoll. Da aber soziales Unternehmertum (anders als Wohlfahrtseinrichtungen) grundsätzlich auch die Anwendung unternehmerischer Prinzipien erfordert, darf eine Förderung mit öffentlichen Geldern nur erfolgen, wenn andere Finanzierungsquellen nicht ausreichen und die Unternehmung ihren Nutzen für die Sozialgemeinschaft nachweisen kann.

    Netzwerke ...

    Florian Braun (CDU) ... wie die DWNRW-Hubs oder die STARTERCENTER. NRW schaffen ein positives Gründerklima für Social Enterprises. Gerade der Austausch von Erfahrungen, Ideen und Konzepten ist in der ersten Gründungphase genauso wichtig wie finanzielle Unterstützung. Deshalb hat das Land bereits in die Weiterbildung der Ansprechpartner investiert.
    Christina Kampmann (SPD) ... sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für erfolgreiche Gründungen. Bestehende Unterstützungsstrukturen müssen Sozialunternehmen daher noch stärker als Thema in die eigenen Strukturen mit aufnehmen. Ferner benötigen wir sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene eine strategische Koordination und klare Zuständigkeiten für dieses Querschnittsthema.
    Rainer Matheisen (FDP) ... bieten für junge Unternehmen Austauschmöglichkeiten sowohl mit anderen Startups als auch mit etablierten Unternehmen und sind für deren Unternehmensentwicklung von herausragender Bedeutung. Netzwerkmöglichkeiten werden unter anderem durch die Startercenter, die DWNRW-Hubs sowie die NRW-Bank daher durch zahlreiche Veranstaltungen bewusst gefördert.
    Matthi Bolte-Richter (Grüne) ... sind ein Erfolgsfaktor für das Unternehmensumfeld. Sozialunternehmen brauchen eine bessere Vernetzung mit Investoren, Banken, Business Angels oder Unternehmen. Die Beratungs- und Förderstrukturen müssen besser auf die Besonderheiten von Sozialunternehmen ausgerichtet werden. Dazu müssen relevante Akteure wie Verwaltung, Wohlfahrtsverbände, soziale Träger und Krankenkassen einbezogen werden.
    Christian Loose (AfD) ... von Sozialunternehmen untereinander sind für diese Betriebe ebenso wertvoll und notwendig wie ständige Verbindungen zur Privatwirtschaft und öffentliche Einrichtungen. Denn nur durch direkte Kommunikation und intensiven Austausch werden Synergien und letztlich gemeinsame Mehrwerte geschaffen. Zudem können Doppelversorgungen leichter ausgeschlossen und Finanzierungen effizienter verteilt werden.

    Die Gründerszene in Nordrhein-Westfalen ...

    Florian Braun (CDU) ... hat enormes soziales und wirtschaftliches Potential. Sie profitiert von einer dichten Hochschullandschaft und der Nähe zu Mittelstand und Industrie mit zahlreichen Weltmarktführern. Die Förderung von Gründerinnen und Gründern steht im Mittelpunkt der NRW-Koalition. Mut wird in NRW unterstützt.
    Christina Kampmann (SPD) ... ist vielfältig, kreativ und zukunftsorientiert. Wir wollen Social Entrepreneurship durch ein Sozialinnovator-Programm nach hessischem Vorbild noch passgenauer fördern.
    Rainer Matheisen (FDP) ... hat in den letzten Jahren bundesweit eine Spitzenposition eingenommen. Durch politische Initiativen wie das Gründerstipendium der NRW-Koalition und die Excellenz Start-up Center.NRW werden Gründungsinteressierte ermuntert sowie durch Beratung und Netzwerkmöglichkeiten unterstützt. Eine solche gründungs- und innovationsfreundliche Politik schafft die Basis, die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.
    Matthi Bolte-Richter (Grüne) ... hat sich positiv entwickelt, steht aber immer noch vor großen Herausforderungen. Die unter Rot-Grün eingerichteten Digitalhubs sind ein wesentlicher Grundstein. Dieses Netzwerk sollte mit Blick auf spezifische Gründungsbereiche, wie das Sozialunternehmertum oder Gründerinnen, weiterentwickelt werden, um das volle Potenzial dieser Bereiche entfalten zu können.
    Christian Loose (AfD) ... ist - wie auch in der Anhörung zu Social Entrepreneurship deutlich wurde - insgesamt gut aufgestellt und vielfältig. Neben eher technikorientierten Gründungen gibt es erfreulich viele soziale Startups. Die meisten von ihnen sind zwar in diversen Gründernetzwerken eingebettet, benötigen aber neben den bestehenden Förderungen eine noch bessere Vernetzung und praxisorientierte Beratung.

    Beiträge in alleiniger Verantwortung der Fraktionen

    ID: LI210112

  • Zum Stand der Inklusion.
    Anhörung zum "Teilhabebericht Nordrhein-Westfalen".
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 9 in Ausgabe 10 - 22.12.2020

    3. Dezember 2020 - Wie ist die Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen? Wie sieht es aus mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention? Um diese und andere Fragen geht es im "Teilhabebericht Nordrhein-Westfalen". Die Landesregierung hat ihn vorgelegt. Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales haben sich Sachverständige dazu geäußert.
    Themen des Berichts sind u. a. Bildung, Arbeit, Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Selbstbestimmung, Freizeit sowie politische und gesellschaftliche Partizipation. Ein weiteres Kapitel widmet sich den Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK) in Nordrhein-Westfalen.
    "Der Bericht wurde aus wissenschaftlicher Perspektive durch das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) in Kooperation mit der Universität Bielefeld erstellt", so die Landesregierung in ihrer Vorlage (17/3538). Eine "solch umfassende, auf empirischen Daten basierende Analyse" werde "in dieser Form und Güte für Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal veröffentlicht". Der Teilhabebericht solle keine fertigen Antworten liefern, sondern "einen wichtigen und immer wieder auch kritischen Beitrag zur Debatte".
    Grundlage der Anhörung waren zudem ein Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ("Teilhabe von Menschen mit Behinderungen neu und innovativ gestalten - Inklusion in Nordrhein-Westfalen weiter voranbringen!", Drs. 17/10632) sowie ein Entschließungsantrag der SPD ("Teilhabebericht NRW belegt: Die Landesregierung tut zu wenig, um ein inklusives NRW zu schaffen", Drs. 17/10736).
    Das Deutsche Institut für Menschenrechte lobte den Bericht. Erstmals würden "verfügbare Daten zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen in einem wichtigen Referenzdokument dargestellt". Damit lägen "gebündelte Erkenntnisse" für die künftige Inklusionspolitik des Landes vor. Positiv sei zudem die Ankündigung, den Aktionsplan "NRW inklusiv" auf Basis des Teilhabeberichts bis 2025 fortzuschreiben. Diese Abfolge könne eine "Vorbildfunktion für andere Bundesländer einnehmen". Das Institut begrüßte zudem die Anträge der Fraktionen von CDU und FDP sowie der SPD, mit denen der Teilhabebericht "in die parlamentarische Debatte eingebracht" werde. Allerdings lege der Bericht zahlreiche Datenlücken offen.
    Der Teilhabebericht stelle einen "bemerkenswerten Fortschritt in der Behindertenpolitik Nordrhein-Westfalens" dar, schreibt die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe in ihrer Stellungnahme für den Ausschuss. Erstmals werde, im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention, "ein ressortübergreifender Befund über die Situation von Menschen mit Behinderungen in NRW vorgelegt". Bei aller Pionierarbeit dürfe dies aber nur ein Zwischenschritt sein.
    "Grundsätzlich begrüßen wir, dass die Landesregierung diesen Bericht in Auftrag gegeben hat", heißt es in einer Stellungnahme der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen. Der Bericht umfasse wesentliche Lebensbereiche von Menschen mit Beeinträchtigungen. "Schmerzlich" sei, dass Daten zu Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung in einigen Bereichen fehlten. Diese "Erhebungs-Lücken" müssten geschlossen werden.

    Datenlage

    Ähnlich äußerte sich der Sozialverband VdK, der den Bericht und die Anträge der Fraktionen begrüßte. Allerdings benenne der Bericht "in fast allen untersuchten Lebensbereichen auch deutliche Mängel beim Datenmaterial, die aktuell eine umfassende Beurteilung des Standes der Inklusion erschweren". Zudem fehlten "Ausführungen zum Umsetzungsstand der Inklusion auf kommunaler Ebene".
    Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wies ebenfalls auf Mängel in der Datenlage hin. Der Teilhabebericht verdeutliche, "dass Land und Kommunen in NRW ihrer Verantwortung zur Erfassung von Daten zu den Lebensverhältnissen behinderter Menschen endlich umfassend nachkommen müssen". Dennoch gebe der Bericht "einige Belege dafür, dass das bisherige Handeln der Landesregierung nicht ausreicht, um die Vorgaben der UN-BRK in NRW endlich umzusetzen".
    Das "Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben" sieht im Bericht "eine gute Basis für Diskussionen in Politik und Gesellschaft über die Förderung der Inklusion in Nordrhein-Westfalen". Positiv hervorzuheben sei das "ehrliche Eingeständnis, dass die Aussagekraft dieses Berichts an einigen Stellen eingeschränkt bleibt, weil es an einer gesicherten und repräsentativ erhobenen Datenlage fehlt". Der Bericht gehe offen mit der in Teilbereichen unzureichenden Datenlage um. Er mache dadurch deutlich, "dass es in Zukunft entscheidend darauf ankommen wird, die Teilhabesituation von Menschen mit Beeinträchtigungen umfassender und kontinuierlicher wissenschaftlich zu analysieren".
    zab

    Zusatzinformation:
    Mehr zum Thema lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

    Systematik: 5050 Behinderte

    ID: LI201004

Lädt

Die Fraktionen im Landtag NRW