Vereinbarung über die Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen – vertreten durch die Präsidentin des Landtages – und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen – vertreten durch die Ministerpräsidentin – schließen folgende Vereinbarung über die Unterrichtung des Landtages durch die Landesregierung:

I. Vorhaben der Landesrechtsetzung

1. Das federführende Ministerium unterrichtet den Landtag über Gesetzentwürfe der Landesregierung, sobald sie den kommunalen Spitzenverbänden, sonstigen Verbänden, Organisationen oder Körperschaften nach Abschluss der Ressortabstimmung zur Anhörung zugeleitet werden. Die Einbeziehung von Körperschaften außerhalb der Landesregierung in die Vorarbeiten zur Erstellung des Referentenentwurfs, vergleichbar der des eigenen nachgeordneten Bereichs, stellt noch keine Anhörung in diesem Sinne dar.

2. Dies gilt entsprechend für die Entwürfe von Rechtsverordnungen, die der Zustimmung des Landtags bedürfen.

3. Die Landesregierung unterrichtet den Landtag unverzüglich über die Existenz und den Inhalt von Ermächtigungen im Sinne von Art. 80 Abs. 4 GG, die zukünftig erteilt, inhaltlich verändert oder aufgehoben werden.

4. Die Landesregierung teilt dem Landtag möglichst frühzeitig ihre Absicht mit, aufgrund einer Ermächtigung im Sinne von Art. 80 Abs. 4 GG eine Rechtsverordnung zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben oder einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen und informiert den Landtag über den wesentlichen Inhalt der angestrebten Regelung.

5. Die Landesregierung geht davon aus, dass die zur Verfügung gestellten Entwürfe nicht zum Gegenstand von Initiativen aus der Mitte des Landtags oder von Beratungen im Landtag gemacht werden.

II. Beabsichtigte Staatsverträge und Verwaltungsabkommen

1. Beabsichtigt die Landesregierung, einen Staatsvertrag abzuschließen, so unterrichtet sie den Landtag hierüber unverzüglich, nachdem das Verfahren im Interministeriellen Ausschuss für Verfassungsfragen abgeschlossen ist, spätestens jedoch vier Wochen vor Unterzeichnung des Staatsvertrags. Die Unterrichtung erfolgt schriftlich durch das federführende Ministerium; sie enthält den voraussichtlichen Text des Staatsvertrages und stellt seinen wesentlichen Gegenstand und seine wesentliche Begründung dar.

2. Der Landtag informiert die Landesregierung unverzüglich, wenn sich auf Grund der Unterrichtung Einwände ergeben, die zu einer Verweigerung der Zustimmung (Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung) führen könnten. Ist dem Landtag eine Befassung bis zur Unterzeichnung des Vertrages nicht möglich, so wird die Landesregierung hiervon sowie über die weitere Terminplanung unterrichtet. Die Landesregierung bemüht sich, die Terminplanung des Landtags zu berücksichtigen.

3. Die Regelungen in Ziffer II.1 und 2 gelten entsprechend für Verwaltungsabkommen.

4. Für die beabsichtigte Kündigung eines Staatsvertrages oder eines Verwaltungsabkommens gelten die Bestimmungen in Ziffer II.1 und 2 entsprechend.

III. Angelegenheiten der Landesplanung

Das federführende Ministerium unterrichtet den Landtag frühzeitig über Vorhaben der Landesplanung, die für die Entwicklung des Staatsgebietes oder größerer Teile desselben von erheblicher Bedeutung sind.

IV. Bundesratsangelegenheiten

1. Die Landesregierung übermittelt dem Landtag fortlaufend zur frühzeitigen Unterrichtung über die im Bundesrat zur Beratung anstehenden Vorhaben jeweils umgehend
a) die Tagesordnung jeder Plenarsitzung des Bundesrates sowie
b) die vom Sekretariat des Bundesrates zu jeder Bundesratsplenarsitzung erstellte Erläuterung zur Tagesordnung.

Zusätzlich werden dem Landtag unmittelbar die Termine der Sitzungen der Fachausschüsse des Bundesrates und deren Tagesordnungen mitgeteilt. Die Landesregierung unterrichtet den Landtag über Vorhaben einer Verfassungsänderung, die die Verlagerung von Kompetenzen im Verhältnis von Bund und Ländern zum Gegenstand hat.

2. Bringt die Landesregierung eine eigene Bundesratsinitiative ein, so leitet sie diese dem Landtag spätestens gleichzeitig mit der Übermittlung an den Bundesrat zu. Die Fristen des § 23 der Geschäftsordnung des Bundesrates sind zu berücksichtigen.

3. Die Landesregierung erstattet dem Hauptausschuss des Landtages jährlich, bei besonderem Bedarf ggf. zwei- bis dreimal jährlich oder auf Antrag einer Fraktion schriftlich oder mündlich Bericht über die für das Land bedeutsamen Bundesratsangelegenheiten.

V. Angelegenheiten der Europäischen Union

1. Die Landesregierung übersendet dem Landtag auf elektronischem Weg unverzüglich die ihr vom Bundesrat übermittelten Vorhaben der Europäischen Union. Die Unterrichtung erfolgt so rechtzeitig, dass dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme vor den Beratungen des Bundesrates verbleibt.

2. Offene Dokumente der Europäischen Union werden von der Landesregierung offen weitergegeben. Die Sicherheitseinstufung über eine besondere Vertraulichkeit wird vom Landtag beachtet.

3. Die Landesregierung unterrichtet zum frühestmöglichen Termin den Landtag in einem Berichtsbogen über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die für das Land von erheblicher Bedeutung sind und wesentliche Interessen des Landes berühren.

4. Der Berichtsbogen enthält Angaben über den Inhalt des Vorhabens und die Zuständigkeit der Europäischen Union und gibt eine erste Einschätzung über die Vereinbarung des Vorhabens mit dem Subsidiaritäts- und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die zu erwartenden Folgen des Vorhabens für das Land, insbesondere zu Kosten, Verwaltungsaufwand, Umsetzungsbedarf und Kommunalverträglichkeit. Die Landesregierung teilt den voraussichtlichen Termin der Behandlung des Vorhabens im Bundesrat mit.

5. Die Landesregierung leitet dem Landtag zum frühestmöglichen Zeitpunkt ferner den Berichtsbogen zu, den die Bundesregierung dem Bundesrat gemäß Ziffer II. Nr. 3 der Anlage (zu § 9) des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union übermittelt.

6. Die Landesregierung unterrichtet den Landtag unverzüglich schriftlich sowohl über beabsichtigte Vertragsänderungen im Rahmen von Regierungskonferenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch im Rahmen von im Vertrag von Lissabon geregelten Vertragsänderungsverfahren, die für die Interessen des Landes von erheblicher Bedeutung sind.

7. Die Landesregierung unterrichtet ferner über Vorschläge zum Erlass von Vorschriften gemäß Artikel 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Flexibilitätsklausel), die dem Bundesrat zur Zustimmung vorliegen oder bei denen der Bundesrat im Rahmen des Notbremsenmechanismus über ein Weisungsrecht verfügt.

8. Die Landesregierung legt zu Beginn eines jeden Jahres eine Bewertung des jeweiligen Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission für das laufende Jahr und die daraus abgeleiteten europapolitischen Prioritäten der Landesregierung vor.

9. Die Übermittlung des Berichtsbogens gemäß Abs. 3 und 4 erfolgt bei Entwürfen von Gesetzgebungsakten der Europäischen Union (Frühwarndokumente) spätestens drei Wochen nach Eingang des Frühwarndokuments bei der Landesregierung. Die Landesregierung informiert den Landtag frühestmöglich über die beabsichtigte Positionierung der Landesregierung zu Subsidiaritätsrügen und Subsidiaritätsklagen im Bundesrat.
Der Landtag sucht seinerseits vor einer Beschlussfassung hinsichtlich einer möglichen Subsidiaritätsrüge das Gespräch mit der Landesregierung.

VI. Zusammenarbeit mit dem Bund, den Ländern, anderen Staaten, den Regionen sowie zwischen- und überstaatlichen Einrichtungen

1. Die Landesregierung unterrichtet durch das jeweils federführende Ministerium den jeweils zuständigen Ausschuss des Landtags über landespolitisch erheblich bedeutsame Ergebnisse der Fachministerkonferenzen (einschl. der Europaministerkonferenz), soweit sie zur Veröffentlichung freigegeben sind. Gleiches gilt für die Staatskanzlei im Hinblick auf die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenzen.

2. Unabhängig von Nr. 1 wird die Landesregierung den Landtag auch über sonstige Ereignisse im Rahmen der unter diesen Abschnitt fallenden Zusammenarbeit informieren, die für das Land von erheblicher landespolitischer Bedeutung sind.

3. Die Landesregierung unterrichtet über die Schwerpunkte ihrer internationalen Arbeit, die der Auslandsarbeit der Staatskanzlei und aller Ministerien zu Grunde liegen. Die Staatskanzlei unterrichtet zudem in regelmäßigen Abständen über den Abschluss von Partnerschaften und Vereinbarungen oder Erklärungen mit ausländischen Staaten oder Regionen.

VII. Vorlage schriftlicher Berichte an Ausschüsse

Gemäß dem Briefwechsel des Ministerpräsidenten mit der Präsidentin des Landtags vom 11. Dezember 2006 legt die Landesregierung dem jeweiligen Ausschuss grundsätzlich einen schriftlichen Bericht spätestens drei Tage vor der Ausschusssitzung vor, soweit dies durch den Ausschuss, vertreten durch die Vorsitzende oder den Vorsitzenden, spätestens 10 Tage vor der Ausschusssitzung erbeten wird.

VIII. Grenzen der Unterrichtung

Die Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung findet dort ihre Schranken, wo dies aus Rechtsgründen und/oder zwingenden Gründen der Vertraulichkeit von Verhandlungen geboten ist.

IX. Anwendung und Auslegung der Vereinbarung

1. Landtag und Landesregierung werden diese Vereinbarung im Geist interorganfreundlichen Verhaltens anwenden und auslegen.

2. Die Landesregierung wird bei der Auslegung der Vereinbarung das Interesse des Landtages berücksichtigen,
a) nach einer Unterrichtung auch von maßgeblichen Änderungen gegenüber dem übermittelten Sachstand zu erfahren;
b) auch dann Informationen zu erhalten, wenn Gegenstände von erheblicher landespolitischer Bedeutung über die vereinbarten Fallgruppen hinaus Belange des Landtages wesentlich berühren.

3. Eine Äußerung des Landtags zu einem Unterrichtungsgegenstand wird die Landesregierung gemäß dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue in ihre Beratungen einbeziehen.

4. Der Landtag wird bei der Auslegung der Vereinbarung berücksichtigen, dass der Landesregierung unter Berücksichtigung der tatsächlichen und verfahrensökonomischen Möglichkeiten ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Art und Weise sowie des Inhalts und Umfangs der Informationsgewährung zusteht. Insbesondere müssen alle Mitglieder der Landesregierung die Gelegenheit haben, vor einer Mitteilung an den Landtag über den Unterrichtungsgegenstand informiert zu werden.

5. Fragen oder Vorhalte von Mitgliedern des Landtages bezüglich der Anwendung und Auslegung dieser Vereinbarung werden auf Antrag einer Fraktion im Ältestenrat beraten. Sie sollen anschließend – falls erforderlich – im Einvernehmen zwischen Landtag und Landesregierung geklärt werden.

6. Bestehende individuelle Auskunfts- und Informationsansprüche der Abgeordneten des Landtags Nordrhein-Westfalen bleiben von den Regelungen dieser Vereinbarung unberührt.

7. Der Landtag und die Landesregierung werden – unbeschadet einer gemeinsamen Überprüfung bei entsprechendem Anlass – jeweils in der Mitte einer Legislaturperiode prüfen, ob auf Grund der konkreten Erfahrungen eine Veränderung dieser Vereinbarung erforderlich ist.

X. In-Kraft-Treten, Evaluierung, Kündigung

Diese veränderte Vereinbarung tritt am 15. Dezember 2012 in Kraft. Nach Ablauf von 4 Monaten überprüfen Landtag und Landesregierung die Regelungen der Ziffern V.3 und V.4. Die Vereinbarung kann zu Beginn einer jeden Legislaturperiode durch den Landtag oder die Landesregierung gekündigt werden.

Düsseldorf, den 13. Dezember 2012

 

Die Präsidentin des Landtags  
Nordrhein-Westfalen

gez. Carina Gödecke

Die Ministerpräsidentin des Landes
Nordrhein-Westfalen

gez. Hannelore Kraft

 

Die Fraktionen im Landtag NRW