Von Peter Weigert
In entscheidenden Zeitabschnitten hat Dr. Franz Meyers die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen geprägt. Am 31. Juli 1998 feiert der Mönchengladbacher CDU- Politiker nun seinen 90. Geburtstag. Seinen anerkennenden Beinamen "Der fixe Franz" erhielt er als Innenminister der Jahre 1952 bis 1956, von 1958 bis Dezember 1966 war er Ministerpräsident.
Franz Meyers sorgte für die Ansiedlung der Opel-Werke in Bochum und die Gründung neuer Universitäten. Nach dem Beginn der Krise im Steinkohlenbergbau leitete er mit ersten Anpassungsmaßnahmen den Strukturwandel ein. Obwohl es in späteren Jahren nicht mehr zu einer Rückkehr in die Landespolitik kam, übernahm er 1969 erfolgreich die Tätigkeit eines Beauftragten (Kommissars) des NRW-Innenministers für die Neugliederung des Großraums Bonn und den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Freizeit als Dachorganisation von 35 Mitgliedsverbänden.
In wichtigen Weichenstellungen war die politische Arbeit von Dr. Franz Meyers nicht von persönlichen Plänen, sondern eher durch eine von Pflichterfüllung bestimmte Übernahme ihm angetragener Ämter bestimmt. Ursprünglich hatte er Verwaltungsjurist werden wollen. Weil dazu aber eine Mitgliedschaft in der NSDAP notwendig gewesen wäre, die er ablehnte, ließ er sich 1935 als Rechtsanwalt in Mönchengladbach nieder. Die Kriegsjahre erlebte er als Soldat und Hauptmann der Artillerie vorwiegend in Rußland. Nach der Heimkehr nahm er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Mönchengladbach wieder auf.
Die Wahl zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt im Februar 1952 erfolgte ohne vorherige Mitgliedschaft im Stadtrat. Meyers wurde Nachfolger im Amt seines plötzlich verstorbenen politischen Lehrmeisters, Rechtsanwalt Nonnenmühlen. Als 1950 direkt gewählter Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags war Meyers bereits Vorsitzender des Ausschusses für Gemeinde-, Amt- und Landkreisordnung geworden. Mit einem Telefonanruf an einem Wochenende im Mai 1952 erbat der damalige Ministerpräsident Karl Arnold dringend einen Besuch von Meyers in Düsseldorf. Überraschend eröffnete ihm der Regierungschef bei dem Gespräch, daß er ihn schon in der folgenden Woche als nordrhein-westfälischen Innenminister ernennen wollte. Die Reaktion ist typisch für den sonst stets schlagfertigen und ungezwungenen Franz Meyers: "Ich habe nach dieser Eröffnung erst einmal einen Cognac verlangt, dabei wollte ich vormittags gar nichts trinken."
Die erbetene Bedenkzeit begrenzte Arnold auf einen Tag. Meyers besprach die Entscheidung, wie bei ihm üblich, mit seiner Frau Dr. jur. Alberte Meyers, geborene Mertens. Kennengelernt hatten die Ehepartner sich beim Studium in Köln und 1937 geheiratet. Der neue Innenminister ließ die neuen Strukturgesetze für Kreise und Gemeinden im Landtag verabschieden, verkleinerte zunächst das eigene Ministerium, später auch die Zahl der Ministerialbeamten in anderen Bereichen der Landesregierung und setzte - gegen Widerstände in der eigenen Partei - die Vereinheitlichung der kommunalen Polizei und ihre Übernahme in der Zuständigkeit des Landes durch.
Der Vater von Franz Meyers war noch berittener Polizist in Mönchengladbach gewesen, aber für den Innenminister war die Zeit der kommunalen Polizeiorganisationen nach dem Zweiten Weltkriege endgültig vorbei. In der Öffentlichkeit machte ihn die Ausstattung der Autobahnpolizei mit schnellen Porsche-Sportwagen über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Der Schußwaffengebrauch eines Polizisten beim vermeintlichen Fluchtversuch eines als Autobahnräuber verdächtigten Fahrers gab Anlaß zur Kritik an "Pistolen-Franz" Meyers. Die Aufklärung der Umstände in diesem Fall und das Zusammenbrechen einer damals weitverbreiteten Psychose gegenüber vermuteten Autobahngangstern nahmen den Druck der Öffentlichkeit von ihm.
Der Sturz der Landesregierung durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen ihren Ministerpräsidenten Karl Arnold am 20. Februar 1956 wurde durch die FDP ausgelöst, die in Düsseldorf aus der Landesregierung mit CDU und Zentrum austrat und eine Koalition mit SPD und Zentrumsabgeordneten bildete. Begründet wurde dieser Schritt als Gegenmaßnahme zu einem von Konrad Adenauer in Bonn diskutierten "Grabenwahlgesetz" mit negativen Auswirkungen für die kleinere Partei. Zeitzeugen erklärten, Meyers sei das einzige Mitglied des Kabinetts von Ministerpräsident Arnold gewesen, das unter dem Abschied vom Amt nicht gelitten habe. Damals befragt, was er denn nun vorhabe, antwortete er knapp: "Wieder an die Macht kommen."
Bundeskanzler Konrad Adenauer bat Franz Meyers zu sich nach Bonn und fragte ihn, ob er in seine Anwaltspraxis nach Mönchengladbach zurückgehen oder in der Politik bleiben wolle. Auf eine Antwort im Sinne des zweiten Teils der Frage erwiderte Adenauer: "Dann machen Sie mir die Wahl, Herr Meyers." Es ging um die Bundestagswahl 1957, und der ehemalige Düsseldorfer Innenminister begann noch im März 1956 mit der Arbeit - in enger Abstimmung mit dem damaligen CDU-Bundesgeschäftsführer Dr. Bruno Heck, mit dem er ein einziges Arbeitszimmer in der damaligen Bonner CDU-Zentrale teilte. Aber es war die Idee von Meyers, die eigene Parteiorganisation erst einmal in Schwung zu versetzen.
Für rund 150 vorbereitende Reden vor Parteigremien legte er allein im Auto rund 100000 Kilometer zurück, Bahnfahrten und Flugzeugreisen nicht mitgezählt. Mit Heck war er sich einig, den kurzen Wahlkampf auf wenige Motive und Parolen zu konzentrieren. Das Hauptthema war: "Sicher ist sicher." Dafür sollten "Adenauer und die Mannschaft" sorgen, schließlich hieß es noch: "Keine Experimente".
Die Wahl am 15. September 1957 ergab eine absolute Mehrheit der CDU im Bundestag. Franz Meyers galt überall in Bonn als kommender Mann. Inzwischen schickte die CDU in Nordrhein-Westfalen sich an, die von den FDP-"Jungtürken" durch den Koalitionswechsel herbeigeführte Niederlage wettzumachen. Karl Arnold engagierte sich als Spitzenkandidat rückhaltlos im Wahlkampf, erlag aber am 29. Juni 1958 einem Herzinfarkt. Auch ohne ihren toten Spitzenkandidaten erreichte die CDU in Nordrhein-Westfalen bei der Landtagswahl am 6. Juli 1958 eine absolute Mehrheit.
Vier Kandidaten traten zur Wahl des Ministerpräsidenten in der CDU-Landtagsfraktion an. Der CDU-Landtagspräsident Josef Gockeln, die Vorsitzenden der noch getrennt organisierten CDU-Landesverbände Rheinland und Westfalen, Wilhelm Johnen und Josef Hermann Dufhues, sowie Franz Meyers, der sich aber zunächst wegen des Fehlens einer eigenen Hausmacht wenig Hoffnungen machte. Doch bei der geheimen Abstimmung lag Meyers mit 42 Stimmen deutlich an der Spitze vor Gockeln (22 Stimmen), Dufhues (21 Stimmen) und Johnen (13 Stimmen). Bei einem anschließenden Empfang blieb er aber nur kurze Zeit. Meyers fuhr zu Frau Arnold, damit sie von ihm und nicht einem anderen erfuhr, wer als Ministerpräsident Nachfolger ihres verstorbenen Mannes Karl Arnold werden sollte.
Der neue NRW-Ministerpräsident stellte ein Schwerpunktprogramm für Wohnungs-, Schul- und Krankenhausbau auf. Er kämpfte, nicht zuletzt in Bonn, für eine bessere Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern. 1959 setzte er zur Sicherung des Steinkohlebergbaus an der Ruhr einen Kohlezoll und 1960 die Heizölsteuer durch. Die daraus fließenden Mehreinnahmen wurden für die Ansiedlung neuer Industriebetriebe im Kohle- und Stahlrevier genutzt, in dem vor allem Frauenarbeitsplätze fehlten. Die Bemühungen der Landesregierung Meyers um die Einrichtung eines Ford-Zweigunternehmens in Ruhrgebiet scheitern, weil Bergbauunternehmen sogenannte Sperrparzellen ankaufen. Sie befürchten die Abwanderung von Arbeitskräften aus den Kohlezechen. Erst im zweiten Anlauf gelang es 1962, den Bau eines Opel-Werks in Bochum zu verwirklichen.
Sein zweites Landeskabinett bildete Meyers im Juli 1962 in einer Koalition mit der FDP. Deren Landesvorsitzender Willy Weyer wurde Innenminister, Gerhard Kienbaum Wirtschaftsminister. Mit der Berufung des 38jährigen Würzburger Hochschulprofessors Paul Mikat zum Kultusminister überraschte Meyers seine Partei und die Öffentlichkeit. Insgesamt führte er nun die jüngste Ministermannschaft in der Bundesrepublik. Nachdrücklich unterstützt von Meyers, trieb Mikat nicht nur die Gründung der Ruhr-Universität Bochum voran, sondern sorgte auch mit frischen Initiativen für die Schaffung neuer Universitäten in Dortmund und Bielefeld sowie den Ausbau bestehender Hochschulen in Aachen und Düsseldorf zu Universitäten, um neue Studienkapazitäten noch vor dem Anbranden der erwarteten Studentenflut zu schaffen.
Mit dem Ankauf einer Reihe von Werken des früher in Düsseldorf tätigen Malers Paul Klee legt Meyers den Grundstein zur Kunstsammlung des Landes, die ihm stets sehr am Herzen lag. Oft ist ihm ein barocker Hang zu repräsentativen Funktionen zugeschrieben worden, doch als "Landesvater" behielt er stets den Zusammenhalt des Bindestrich-Landes aus Rheinland und Westfalen im Blick. Gern hätte er auch einen eigenen Landesorden zur Würdigung besonderer Verdienste gestiftet, wie ihn andere Bundesländer schon besaßen. Aber die SPD und die Öffentlichkeit lehnten damals noch eine solche Unterstreichung des nordrhein-westfälischen Landesgefühls ab. Eine Neugliederung der Bundesländer, für die sich Meyers mehrfach und auch noch 1966 einsetzte, scheiterte an vielfältigen Widerständen. Anderen Politikern ging es in dieser Hinsicht nicht besser.
In der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1966 gab es einen ernsten Rückschlag für die CDU. Der ganz auf Ministerpräsident Meyers abgestimmte Wahlkampf konnte die Schwierigkeiten der Bundesregierung nach dem Wechsel von Bundeskanzler Adenauer zu Ludwig Erhard mit ihren Rückwirkungen auf die Wahler nicht ausgleichen. Die SPD überflügelte mit 99 Landtagssitzen die CDU (86 Sitze) und FDP (15 Sitze). Meyers erklärte sich noch in der Wahlnacht bereit, alle Konsequenzen aus dieser Wahlniederlage zu ziehen.
Die FDP in Düsseldorf drängte ebenso wie Bundeskanzler Erhard und die CDU darauf, die Koalition trotz der knappen Mehrheit von nur zwei Stimmen fortzusetzen. Meyers fügte sich. Seine gute Zusammenarbeit mit Willy Weyer setzte sich fort und führte in der nordrhein-westfälischen CDU/FDP-Koalition noch zu übereinstimmend eingeleiteten Reformen des Schulwesens. In Bonn verschärfte sich zur gleichen Zeit der Konflikt zwischen Erhard und der FDP, die im Oktober 1966 aus der Bundesregierung austrat. Verhandlungen über die Bildung einer Großen Koalition von CDU und SPD in Bonn fanden auch eine Parallele zwischen nordrhein-westfälischen CDU-Politikern und der SPD. Meyers legte fest, daß sich kein Mitglied seines Landeskabinetts an Verhandlungen mit der SPD beteiligen sollte. Am 27. November 1966 trafen sich Verhandlungskommissionen der SPD und CDU in Dortmund. Nach dem Ende der Gespräche bezeichnete der SPD-Fraktionschef Heinz Kühn den CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Wilhelm Lenz vor Fernsehkameras als "Kopilot" und ließ damit den Willen zur Bildung einer Großen Koalition erkennen.
Diese Schlüsselszene erlebte Franz Meyers verbittert am Fernsehen, ebenso sein FDP-Koalitionspartner und Innenminister Willy Weyer. In einem sofortigen Telefonanruf bei Meyers forderte Weyer, daß nun auch er mit der SPD verhandeln dürfe. Überraschend kam es nun innerhalb weniger Tage in Düsseldorf zu einem ersten "sozial-liberalen Bündnis" von SPD und FDP. Meyers bestand auf seiner Ablösung durch ein konstruktives Mißtrauensvotum, das am 8. Dezember 1966 in Düsseldorf erfolgte.
Die innerliche Trennung von der Parteiorganisation ergab sich 1967, als eine CDU-Landeskonferenz in Essen den westfälischen Landesvorsitzenden Josef Hermann Dufhues zum künftigen CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen bestimmte. Ein persönlicher Versuch des inzwischen schwer erkrankten Dufhues, Meyers 1968 wieder zur Übernahme der Spitzenkandidatur zu gewinnen, blieb ohne Erfolg.
Besonders schwer getroffen hat den ehemaligen Ministerpräsidenten der Tod seiner Frau, Dr. Alberte Meyers, im August 1982. Sie hatte ihm nicht nur in der Betreuung der Anwaltskanzlei in Mönchengladbach, sondern auch in öffentlichen Funktionen stets als engste Partnerin zur Seite gestanden. 1986 heiratete Meyers Frau Wilma Heinen. Gemeinsam mit ihr nahm er wieder in gewissem Umfang an gesellschaftlichen und öffentlichen Veranstaltungen teil.
Bildunterschrift:
Der ehemalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Franz Meyers (CDU).
ID: LI981135