Zu scharfen Gegensätzen zwischen der SPD und der CDU in der Beurteilung des weiteren Ausbaus der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen kam es in der Plenarsitzung am Mittwoch, 5. Mai. Die dreistündige, zeitweise lebhafte Debatte ging auf einen Antrag der CDU-Fraktion (Drs. 9/377) und eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung (9/1642) zurück. Im Vordergrund der Aussprache standen außerdem die Anmeldungen der Landesregierung zum 11./12. Rahmenplan nach dem Hochschulbauförderungsgesetz (Vorlage 9/617 und Drs. 9/1643). Wissenschaftsminister Schwier teilte dem Parlament eingangs mit, daß in Nordrhein-Westfalen zur Zeit rund 355000 Studenten ihr Studium absolvieren. Diese Zahl werde, wie im Bundesgebiet insgesamt, in den kommenden Jahren zunächst weiter steigen. Die Opposition übte harte Kritik an der Landesregierung, weil sie "keine Antworten auf die wirklich drängenden Fragen" in der gegenwärtigen Hochschulpolitik geben könne. Die Sprecher der SPD-Fraktion wiesen die Oppositionsangriffe zurück und warfen der CDU Konzeptionslosigkeit vor. - Hier Auszüge aus der Debatte:
Wissenschaftsminister Hans Schwier (SPD) gab zu Beginn der Debatte bekannt, der Planungsausschuß für den Hochschulbau habe Ende März den 11./ 12. Rahmenplan rückwirkend zum 1. Januar 1982 beschlossen. Von dem angemeldeten Neubauprogramm der Länder mit einem Gesamtaufwand von rund zwölf Milliarden DM seien vom Wissenschaftsrat nur Vorhaben mit rund 4,5 Milliarden DM, etwa 38 Prozent, empfohlen worden. Von diesem Volumen habe der Planungsausschuß nur Projekte mit einem Aufwand von drei Milliarden zu den von den Ländern vorgesehenen Terminen zum Baubeginn freigegeben.
Über den Baubeginn der restlichen Vorhaben mit einem Volumen von 1,5 Milliarden solle später entschieden werden, erläuterte der Minister. Von den neuen Bauvorhaben Nordrhein-Westfalens mit rund 1,37 Milliarden DM habe der Planungsausschuß Vorhaben mit rund 600 Millionen DM empfohlen. "Der hohe Empfehlungsgrad des Wissenschaftsrats" zeige, "wie eingehend unser Land bereits vor der Anmeldung sein Ausbauprogramm überprüft hatte", betonte Schwier.
"Eine vorausschauendere Hochschulbaupolitik kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen", unterstrich der Wissenschaftsminister. In den letzten zehn Jahren, von 1971 bis 1981, sei die Zahl der Stellen im Geschäftsbereich des Ministers für Wissenschaft und Forschung um 56,5 Prozent oder fast 19400 auf 53600 gestiegen. "Damit wurden in den vergangenen zehn Jahren die Voraussetzungen für Forschung, Lehre und Krankenversorgung in Nordrhein-Westfalen grundlegend verbessert."
Der Minister gab im weiteren Verlauf seiner Rede zu bedenken, wie man auf veränderte Verhältnisse reagiere, wenn sich die finanziellen Eckdaten verschöben. Er, Schwier, habe sich dafür entschieden, nüchtern festzustellen, was bisher erreicht worden sei, und die vorhandenen Möglichkeiten so zu verteilen, daß dem "weiteren Bedarf Rechnung getragen werden kann". Seine Vorstellungen zur Konzentration und Neuordnung von Studienangeboten, Studiengängen an den Hochschulen des Landes habe er den Hochschulen zur Diskussion und Stellungnahme vorgelegt. Wörtlich erklärte der Minister: "Kernpunkt dieses Vorhabens ist die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen auch bei sich verengendem finanziellen Rahmen."
Wilfried Heimes (CDU) warf der Landesregierung vor, sie sei "unfähig geworden, Antworten auf die wirklich drängenden Fragen in der Hochschulpolitik unserer Tage zu geben". Die Landesregierung versuche nur noch, "sich über die Runden zu retten". Längst überfällig sei ein "Konzept für die Schwerpunkte von Fächern und Fächergruppen an den Hochschulen, um nach Gründungen und Auslaufen von Gründungsphasen und um nach den Anhebungen von Vorgängereinrichtungen zu neuen Hochschulen und um nach der Zusammenlegung von wissenschaftlichen Hochschulen und pädagogischen Hochschulen nun Korrekturen und Bereinigungen vorzunehmen", mahnte der CDU-Abgeordnete.
Als Kriterien "für eine Durchforstung unserer Hochschulenlandschaft" bezeichnete Heimes unter anderem die Steigerung der uneingeschränkten Qualität von Forschung und Lehre, ferner die vorsichtige Korrektur dort, wo die Studienplatzangebote als zu grob von den voraussehbaren Berufschancen der Absolventen abweichen. Besondere Bedeutung habe diese Korrektur für den Bereich der Lehramtsstudiengänge; denn sie seien einseitig auf den Staat als Abnehmer ausgerichtet. "Darum fällt dem Staat hier eine besondere Verantwortung und Fürsorge zu."
Die CDU-Fraktion habe seit Jahren die Vorlage eines Konzepts der Landesregierung für diese interne Strukturverbesserung der Hochschullandschaft gefordert, erinnerte der Unionsprecher. "Wir wären bereit gewesen, auch schwierige Probleme mit der Landesregierung gemeinsam zu tragen, und wir sind sicher, daß erhebliche Einsparungseffekte auch bei dieser Konzentration möglich gewesen wären." Dr. Heimes vertrat die Auffassung die Landesregierung habe sich jedoch "dickfällig gezeigt, jedenfalls nach außen sichtbar das Nichtstun und das Laufenlassen vorgezogen".
Ein Strukturkonzept der Landesregierung wäre notwendige Voraussetzung gewesen, erklärte, der CDU-Politiker weiter, "um jetzt in einer Zeit verwirtschafteter Finanzen auch bei Kürzungen noch ein Konzept erkennen zu lassen". Statt dessen habe die Landesregierung "vor sich hingewurstelt".
Franz-Josef Kniola (SPD) hielt der Opposition entgegen, die CDU verfahre mit ihrer Kritik "wie ein Staatsanwalt, der nach dem Motto vorgeht: Wir wissen noch nicht genau, was wir vorwerfen können, aber wir haben auf jeden Fall schon einmal den Angeklagten." Es sei die politische Zielrichtung der Opposition, Ministerpräsident Johannes Rau zum "Alleinverantwortlichen für alle die Dinge zu machen, die wir heute im Bereich der Hochschulen vorfinden". Nach seiner Auffassung, betonte der hochschulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, habe das Land Nordrhein-Westfalen aus der Entwicklung der Vergangenheit und aus den veränderten finanziellen Rahmenbedingungen die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Vorwürfe zurückgewiesen
Ausführlich setzte sich Kniola mit den Vorwürfen der CDU auseinander, die er mit vielen Details aus dem nordrheinwestfälischen Hochschulbereich energisch zurückwies. Dem CDU-Abgeordneten Dr. Heimes stellte er die Frage: "Wenn Sie solche pauschalen Vorwürfe erheben und auch noch sagen, daß Sie Jahr um Jahr vor den finanziellen Fehlentwicklungen gewarnt haben, dann muß ich Sie doch fragen können: Was haben Sie eigentlich hier bei den Haushaltsentschei- düngen gemacht?" Die Opposition habe doch mehr Geld verlangt, beispielsweise für den medizinischen Bereich sowie für Planungskosten.
Dr. Gerhard Rödding (CDU) machte den Wissenschaftsminister darauf aufmerksam, die CDU werfe ihm nicht vor, daß tiefe finanzielle Einschnitte und harte Abstriche gemacht werden müßten. Fatal sei jedoch, daß "einfach in Prozentzahlen gesprochen wird" und daß der Minister andererseits den Eindruck erwecke, "all das sei nur ein Anfang". Das vom Wissenschaftsminister vorgelegte Papier sei nämlich unvollständig. "Ich halte es für ein beachtliches Phänomen, daß Sie zwar bei Forschung und Lehre streichen, über die Verwaltung aber später sprechen wollen, wobei Sie doch genau wissen, daß sich die Kosten zugunsten der Verwaltung und zu Lasten von Lehre und Forschung bereits seit Jahren entwickelt haben", kritisierte Dr. Rödding.
Weiter übte der Oppositionsabgeordnete scharfe Kritik an Minister Schwier, weil er offenbar der Auffassung sei, "Hochschulpolitik sei im wesentlichen Verteilung von Studenten". Rödding bemängelte, der Minister stelle nicht die Frage, ob die reduzierten Abteilungen und Fakultäten noch sinnvolle und optimale Größen hätten. Überdies sehe der Minister den Hochschullehrer "offenbar in erster Linie als einen Ausbilder von Studenten, was er sicherlich auch ist; aber ein hochschulpolitisches Strukturpapier, ohne daß von Forschung überhaupt in irgendeiner Form die Rede wäre, ist ein beachtenswertes Phänomen, das sicherlich in die Geschichte des noch nie Dagewesenen eingehen wird".
Johannes Pflug (SPD) erinnerte daran, die Diskussion um das Konzept zur Konzentration und Neuordnung von Studienangeboten und Studiengängen an den Hochschulen des Landes könne heute nur unter allgemeinpolitischen Gesichtspunkten geführt werden. Solange sich die Betroffenen dazu nicht in einer "für den Fachausschuß beratungswürdigen und beratungsfähigen Form geäußert" hätten und "solange unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen der Hochschulen der Ausschuß für Wissenschaft und Forschung keine Detailberatung geführt" habe, könne nur eine allgemeine Aussprache stattfinden.
Konzept verteidigt
In den bisherigen Beratungen habe die SPD-Fraktion betont, "daß wir keine linearen Kürzungsmaßstäbe, sondern gewichtete Kürzungsmaßstäbe haben wollen", unterstrich Pflug. In diesem Zusammenhang widersprach Pflug den Argumenten der Oppositionsabgeordneten, "das vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung vorgelegte Konzept sei nur unter finanzpolitischen und nicht unter hochschulpolitischen Kriterien zusammengekommen". Pflug weiter wörtlich: "Richtig ist, wie der Minister immer wieder betont hat, daß unter dem Druck veränderter finanzpolitischer Rahmenbedingungen im Interesse der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Forschung, Lehre, Studium und Krankenversorgung an den Hochschulen weitere lineare Kürzungen in Einzelbereichen nicht mehr zu vertreten seien." Die Konsequenzen daraus seien "Konzentration und Neuordnung von Studiengängen und Fachrichtungen an einzelnen Hochschulen".
Dietmar Katzy (CDU) fragte die Landesregierung, ob es bildungspolitisch und gesellschaftspolitisch zu verantworten sei, daß sie sich "angesichts der anrollenden Studentenlawine und angesichts der gigantischen, den Haushalt auf Jahre fixierenden Kosten lediglich auf die Registrierung bequemer Bildungswünsche" beschränke. Ferner wollte der CDU-Abgeordnete darüber informiert werden, ob es richtig sei, "daß die Landesregierung das Lenkungsproblem in der Hochschulpolitik völlig ausgeklammert hat und sich die im übrigen nur auf Deutschland beschränkte Automation von Abitur und Studium ungehemmt weiter entfalten läßt?"
Befunde ignoriert
Außerdem begehrte Katzy zu wissen, ob "die finanzielle Potenz des Landes angesichts vieler weiter dringlicher Fragen" ausreiche. Das Land Nordrhein-Westfalen stehe heute wieder vor Problemen, die nach seiner Meinung von der Landesregierung "nicht richtig angepackt worden" seien, sagte Katzy. Jetzt wolle sich der Wissenschaftsminister "durch Eingriffe in die Hochschulen ein Minimum an Beweglichkeit verschaffen". Jedoch setzten Ideologien falsche Grenzen; sie seien schlechte Ratgeber. Die Reden des Wissenschaftsministers und der SPD-Sprecher seien Beispiele dafür, "wie die tatsächlichen Befunde einer verfehlten Hochschulpolitik ignoriert werden können".
Reinhold Trinius (SPD) wies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1976 hin, nach dem die Hochschulen "zu öffnen seien für die Studiennachfrage der geburtenstarken Jahrgänge". In dem Urteil sei sogar die Rede davon, ob es nicht einen subjektiven Rechtsanspruch desjenigen geben könne, der studierfähig sei und das Recht zu studieren habe. Wenn CDU-Politiker erklärten, "der Anzug sei zu weit", dann müßten sie sich fragen lassen, was sie mit dieser Aussage eigentlich meinten. Tatsache sei doch, daß das Problem der zunehmenden Studentenzahlen gelöst werden müsse. "Der Anzug ist also bei weitem nicht zu weit, sondern alle Hochschulen unseres Landes spüren in welche Klemme sie da kommen."
Eindringlich unterstrich Trinius, die SPD gehe von der Öffnungspolitik nicht ab. Er bezeichnete es als "gefährliche Aussage", die Öffnungspolitik für verfehlt und gescheitert zu erklären. Im Gegenteil müsse man an dieser Öffnungspolitik um der Jugendlichen willen unbedingt festhalten.
Professor Dr. Kurt Biedenkopf (CDU) betonte, das Parlament befasse sich jetzt "mit einem Problem, das etwa sechs Milliarden DM pro Jahr im Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen ausmacht, das viele hunderttausend Studenten betrifft und das die Zukunft unseres Landes ganz maßgeblich beeinflussen wird". Der Oppositionsführer weiter wörtlich: "Denn die Zukunft dieses Landes wird ganz maßgeblich von der Qualität seiner Hochschulen abhängen." Wenn er die Debattenbeiträge der Mehrheitsfraktion und die Einführungsrede des Wissenschaftsministers betrachte und sich frage, was studentische Zuhörer, Assistenten und junge Wissenschaftler, die keine Aussicht mehr hätten habilitiert oder als Professor berufen zu werden, aus dieser Debatte hätten mitnehmen können, dann könne er nur sagen: "herzlich wenig", erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende.
"Flickschusterei"
Biedenkopf beanstandete, eine wesentliche Frage sei in den Reden der Vertreter des Regierungslagers überhaupt nicht angesprochen worden: Welche Konzeption und welche Strategie zur Bewältigung der Probleme liege eigentlich dem Papier vom 25. März über die Konzentration und Neugestaltung von Studiengängen zugrunde? "Die Frage ist doch eigentlich entscheidend; denn die Aufzählung auf 25 Seiten, so verdienstvoll sie ist, von Einzelkürzungen, Stellenstreichungen, Reduktionen von Lehrangeboten an den Universitäten gibt für sich doch keinen Sinn." Sie könne eigentlich nur die Konsequenz einer Strategie und einer Zielvorstellung sein, es sei denn, "es ist aus der Tagesnot der finanziellen Lage geborene Flickschusterei".
Wissenschaftsminister Hans Schwier (SPD) antwortete der Opposition, er führe zur Zeit mit den Hochschulen des Landes ein Gespräch "über eine Vorstellung für die nächsten Jahre, die sicherstellen soll, daß bei nicht mehr wachsenden finanziellen Möglichkeiten die Leistungsfähigkeit von Lehre und Forschung trotzdem erhalten bleibt".
Bildunterschriften:
Kontroverse Debatte im Plenum: (Von links nach rechts) Wissenschaftsminister Hans Schwier (SPD), Dr. Wilfried Heimes (CDU), Franz-Josef Kniola (SPD), Dr. Gerhard Rödding (CDU). Fotos: Tüsselmann
Unterschiedliche Meinungen zum künftigen Ausbau der Hochschulen: (Von links nach rechts) Johannes Pflug (SPD), Dietmar Katzy (CDU), Reinhold Trinius (SPD), Professor Dr. Kurt Biedenkopf (CDU). Fotos: Tüsselmann
Systematik: 4300 Hochschulen
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