Ein umfangreicher Katalog von 15 Fragen war Geschäftsgrundlage für eine öffentliche Anhörung, die am 28. April gemeinsam vom Ausschuß für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Vorsitzender Helmut Brömmelhaus, CDU) und vom Wirtschaftsausschuß (Vorsitzender Hilmar Selle, SPD) durchgeführt wurde. Eingeladen waren Vertreter der Arbeitsverwaltung, der Gewerkschaften, der öffentlichen und privaten Arbeitgeber, der Wissenschaft und der Weiterbildungseinrichtungen. Anlaß für diese ganztägige Anhörung war der Antrag der CDU-Fraktion zur Arbeitsmarktpolitik in Nordrhein-Westfalen (Drs. 9/960).
Rudolf Neumann, Präsident des Landesarbeitsamts Nordrhein-Westfalen, sagte erst für die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts einen schrittweisen Rückgang bei der Nachfrage nach Ausbildungsstellen voraus. Bis dahin werde sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage erweitern. Zur Illustration der gegenwärtigen Lage nannte Neumann zwei Zahlen: Ende März sei die Zahl der Ausbildungsstellen knapp sechs Prozent geringer gewesen als vor einem Jahr; dagegen sei die Zahl der Bewerber im gleichen Zeitraum um fast 20 Prozent gestiegen. Der Präsident lobte zwar die deutsche Berufsberatung ("Im internationalen Vergleich nimmt sie eine hohe Stellung ein"), es gebe auch keinen Mangel an Organisation und Ideen, was fehle sei das Personal. Neumann erwähnte in diesem Zusammenhang, daß in den nordrhein-westfälischen Arbeitsämtern 157 Stellen von der Beratung in den Leistungsbereich umgeschichtet worden seien. Der Präsident beklagte, daß die Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz "Eingrenzungen" gebracht habe; das behindere die Bemühungen zum Abbau des Facharbeitermangels und schränke Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein, die billiger seien als Lohnersatzleistungen.
Der Sprecher des Landkreistags, Klein, sah die in seiner Organisation zusammengeschlossenen 31 Kreise mit rund 30000 Beschäftigten und 1700 Ausbildungsplätzen nur am Rande berührt. Zwar gebe es eine kommunale Wirtschaftsförderung Klein forderte eine bessere Abstimmung mit der staatlichen Regionalpolitik -, die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei allerdings nicht zentrale Aufgabe der Kommunen; zumal angesichts der Lage der öffentlichen Kassen und der fortschreitenden Automatisierung der Bürotätigkeit eher von einem rückläufigen Angebot an Arbeitsplätzen auszugehen sei. Klein: "Die Kreise haben nur geringe Möglichkeiten zur Arbeitsförderung, sie nehmen aber all ihre Möglichkeiten wahr." Der Sprecher forderte das Land zu einem fruchtbaren Dialog zur Förderung bestimmter Regionen auf; dort herrsche oft Resignation, die nur durch eine aktive Informations- und Förderungspolitik abzubauen sei.
Johannes Hintzen, Hauptreferent beim Städtetag Nordrhein-Westfalen, bezweifelte ebenfalls, ob seine Organisation einen großen Beitrag für mehr Arbeitsplätze leisten könnte. Er erinnerte an die Notwendigkeit, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren; dies geschehe gerade in einer konjunkturell relativ schlechten Phase mit zunehmender Arbeitslosigkeit. Die Städte hätten nur geringe Möglichkeiten, aus eigener Kraft die beschäftigungspolitisch unerwünschten Effekte ihrer Haushalte zu vermindern; die Verschuldungsspielräume seien weitgehend erschöpft und Rücklagen stünden in immer geringerem Maße zur Verfügung.
Dr. Rehn, erster Beigeordneter beim nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebund, stellte für seine Organisation klar: Arbeitsmarktpolitik ist Sache des Staates, nicht aber der Gemeinden. Die Gemeinden hätten sich in der Vergangenheit mit besonderer Tatkraft der Aufgabe angenommen, durch Wirtschaftsförderung und Infrastrukturausstattung Voraussetzungen für eine möglichst günstige Beschäftigungslage vor Ort zu schaffen. Mit Nachdruck, so Rehn weiter, lehne er eine Aufblähung des Personalbestandes im öffentlichen Dienst aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ab; der öffentliche Dienst sei als Instrument dafür denkbar ungeeignet. Wie seine Kollegen von den anderen kommunalen Spitzenverbänden, überwog auch bei ihm die Skepsis gegenüber Arbeitszeitverkürzungen: Erhebliche finanzpolitische Bedenken gegen eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit und völlige Ablehnung, die wöchentliche Arbeitszeit zu verkürzen.
Für die Vereinigung der Industrie- und Handelskammern des Landes kritisierte Hauptgeschäftsführer Joachim Kreplin die mangelnde örtliche Mobilität von Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen: Sie seien oft mit ihren Eltern aufs Land gezogen und suchen dort eine Stelle, während in Ballungsräumen Plätze in Lehrwerkstätten leer blieben. In Kreplins Einschätzung der Folgen, die die Einführung der Mikroelektronik für die Beschäftigten haben wird, überwogen die positiven Gesichtspunkte: "Eine allmähliche Tendenz zur Höherqualifizierung in Richtung dispositive, planende und leitende Funktionen ist zu erwarten." Die befürchtete Dequalifizierung habe sich bisher generell nicht bestätigt. Der Sprecher unterstrich, wie notwendig der verstärkte Einsatz moderner Halbleitertechnologie für ein Exportland wie die Bundesrepublik sei; ihre schleppende Einführung habe zum Beispiel schon bei Kameras, Uhren und in der Unterhaltungselektronik zu Einbußen und Verlusten für die deutsche Wirtschaft geführt. Zur Zeit seien nur fünf Prozent der Produkte des deutschen Maschinenbaus mit Mikroelektronik ausgerüstet; Kreplin äußerte seine Überzeugung, daß es aus Konkurrenzgründen aber 95 Prozent sein müßten.
Klaus Schmitz, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim Landesbezirk Nordrhein-Westfalen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, bezifferte das Defizit an Ausbildungsplätzen, das der DGB für 1982 erwartet, auf 70000. Anhand weiterer Zahlen wies er die strukturellen Schwächen nach, die das Land im Vergleich zum Bund aufweise. Die Abgeordneten der beiden Fraktionen rief Schmitz zu einer großen beschäftigungspolitischen Koalition auf und wiederholte die DGB-Forderung nach einem gezielten, öffentlichen Investitionsprogramm. Mit ihm sollten der Ausbau der Fernwärme gefördert und zusätzliche Energiesparinvestitionen vorgenommen werden; das Programm umfasse ferner den sozialen Wohnungsbau, die Stadtsanierung, den öffentlichen Personennahverkehr und eine gezielte Technologiepolitik für Wirtschaftszweige mit Strukturproblemen. Zur Finanzierung des Programms schlug Schmitz unter anderem als "Frage der Solidarität" eine Ergänzungsabgabe vor, wobei allerdings investierte Gewinne von dieser Abgabe ausgenommen werden sollten, um die Investitionsbereitschaft nicht zu hemmen.
Für die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft sprach Karl Eugen Becker. Zur Überwindung der Arbeitslosigkeit und Wiederherstellung der Vollbeschäftigung bedürfe es nach Ansicht seiner Gewerkschaft eines selektiv wirkenden Maßnahmenbündels. Es umfasse neben der unerläßlichen Verstärkung öffentlicher und privater Investitionen auch eine Stimulierung der Nachfrage. Die Wirtschaftspolitik müsse außerdem derzeit den Investitionen Vorrang gegenüber dem Konsum einräumen. Diese notwendige Investitionsförderung dürfe aber nicht zu einer einseitigen Begünstigung der Vermögensbildung in Unternehmerhand führen: "Die DAG fordert deshalb, die noch bestehenden steuerlichen Hemmnisse für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zu beseitigen." Die staatliche Investitionsförderung sollte ihr Hauptaugenmerk auf Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung, Wohnungs- und Städtebau, Verkehr, Umweltschutz und Technologieforschung richten. Zur Arbeitszeitverkürzung meinte der Referent, daß man trotz aller Unkenrufe nicht nur darüber reden, sondern auch verhandeln müsse. Er verlangte eine schrittweise Verlängerung des Jahresurlaubs auf acht Wochen und mittelfristig die 35-Stunden-Woche. Keine Gegenliebe fand das "Job sharing", weil es mit seinen Risiken nicht in unsere Sozialgesetzgebung hineinpasse.
Karlheinz Bastong von der Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände bezeichnete es als entscheidend für die Lösung der anstehenden Probleme, daß die Investitionen gesteigert werden. Die Voraussetzungen dafür müsse eine aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik schaffen. Die heutige beschäftigungspolitische Fehlentwicklung sei weniger ein konjunkturelles Problem, sondern vielmehr "das Ergebnis mehrjähriger Fehlentscheidungen und Versäumnisse in der Verteilungs- und Wirtschaftspolitik". Eine Absage erteilte Bastong den Bestrebungen nach Arbeitszeitverkürzungen; sie seien als arbeitsmarktpolitisches Instrument ungeeignet: "Alle Maßnahmen dieser Art, soweit sie unmittelbar oder mittelbar kostensteigernd wirken, stehen dem allgemeinen Erfordernis entgegen, durch Kostenerleichterung und Ertragsverbesserung das Arbeitslosenproblem zu überwinden."
Der Sprecher der Landesvereinigung der Fachverbände des Handwerks, Rütten, verwies auf die rückläufige Investitionsneigung des Handwerks, das bei etwas über einer Million Beschäftigten im vergangenen Jahr 1,5 Prozent seiner Arbeitsplätze verloren habe. Das sei aber Folge der allgemeinen Wirtschaftsschwäche und nicht einer Strukturwandlung im Handwerk. Vor dem Hintergrund des schon jetzt vorhandenen Mangels an Facharbeitern (Rütten: "Der Markt ist leergefegt.") prognostizierte der Verbandssprecher für die Mitte der achtziger Jahre, daß das Handwerk seinen Bedarf durch ein entsprechendes Angebot an Ausbildungsplätzen nicht mehr decken könne. Dabei werde die Einführung neuer Technologien tendenziell neue Arbeitsplätze im Handwerk zur Erstellung und Betreuung dieser Einrichtungen schaffen. Kritisch äußerte sich Rütten zur Verkürzung der Arbeitszeit und zur Einführung des Bildungsurlaubs.
Der Westdeutsche Handwerkskammertag erteilte dem Bildungsurlaub ebenfalls eine Absage durch seinen Sprecher, Geschäftsführer Klaus Schloesser. Er bezifferte den künftigen Facharbeitermangel mit 20000 im Jahr 1985, bis 1990 verdoppele sich diese Zahl. Um den nötigen Facharbeiternachwuchs heranzubilden, müsse das nordrhein-westfälische Handwerk jährlich 60000 Lehrlinge neu einstellen; das sei aber nur bis 1984 möglich, wenn es dem Handwerk nicht gelinge, danach seinen Anteil an den Auszubildenden auszuweiten. Der Geschäftsführer kritisierte bei der Arbeitsmarktpolitik die Fixierung auf die Großindustrie; dabei werde übersehen, daß gerade die kleineren und mittleren Betriebe zur Stabilisierung auf dem Arbeitsmarkt erheblich beitragen könnten. Die gegenwärtigen Probleme seien letztlich nur durch eine marktwirtschaftliche, auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Politik zu lösen. Walter Brückers vom Berufsförderungszentrum Essen unterstrich, daß sich die qualifizierte Umschulung als geeignetes Instrument erweise, die Chancen für eine berufliche Wiedereingliederung erheblich zu verbessern. Eine Langzeituntersuchung habe eine Wiedereingliederungsquote von 95 Prozent ergeben; 91 Prozent der Befragten seien im Umschulungsberuf tätig gewesen.
Auch Hans Diehl vom Berufsfortbildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes hob die wichtige Rolle beruflicher Weiterbildung hervor. Diehl forderte nicht nur eine breiter angelegte Weiterbildung, um die Mobilität zu erhöhen, sondern auch eine Neuordnung der beruflichen Erstausbildung. Aufbauend auf diesem neugeordneten System der Erstausbildung müßten Möglichkeiten zu einer kontinuierlichen Fortbildung geschaffen werden, die Arbeitnehmern es erlaube, sich auf die wechselnden Arbeitsplatzanforderungen einzustellen.
Lutz Reyher vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung war überzeugt, daß sich Nordrhein-Westfalen etwas ungünstiger als die übrigen Länder entwickeln werde; damit setze sich die bisherige Tendenz fort. Bis zur Mitte der achtziger Jahre, sagte Reyher, gehe von Industrierobotern keine quantitative Bedrohung für den Arbeitsmarkt aus: Derzeit gebe es 1000 solcher Anlagen vor allem im Automobilbau; für 1990 sei mit höchstens 10000 Industrierobotern zu rechnen. Auch der Einfluß der Mikroelektronik lasse keine dramatische Entwicklung erwarten. Der Einfluß der Mikrochips auf den Arbeitsmarkt werde "überproportional" wahrgenommen. Seine Konsequenz: "Mehr Bildung, mehr Fortbildung von Grundkenntnissen in Mikroelektronik auf allen Ausbildungsebenen." Die Chancen der Bundesrepublik erkannte Reyher in einer Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mit hohem Dienstleistungsanteil. Die Zahl der Arbeitsplätze für angelernte oder ungelernte Tätigkeiten werde abnehmen. Dem Staat wies der Wissenschaftler die Rolle eines Wegbereiters bei der Verkürzung der Arbeitszeit zu: Er könne zum Abbau gesetzlicher Hindernisse, zum Beispiel in der Frage der Teilrente, beitragen. Reyher zeigte sich überzeugt davon, daß die Finanzierung der Arbeitslosigkeit - die gesamtfiskalischen Kosten bezifferte er auf 24000 Mark pro Arbeitslosen und pro Jahr - nicht billiger sei als die Finanzierung von Alternativen zur staatlich verordneten Untätigkeit.
Professor Erich Staudt von der Universität Duisburg/Gesamthochschule hielt es für teuer und überflüssig, daß Menschen erst dann umqualifiziert würden, wenn sie ihre Arbeit verloren hätten; das müsse früher geschehen. Der Professor schätzte, daß etwa jeder zweite Arbeitnehmer damit zu rechnen habe, daß er durch die neuen Techniken betroffen werde; es sei allerdings offen, welche Qualität diese Betroffenheit annehme. Zur Arbeitszeitverkürzung meinte Staudt, daß sie bei einer gegenwärtigen Kapazitätsauslastung der nordrhein-westfälischen Unternehmen von 60 bis 75, höchstens aber 80 Prozent schon 40 Prozent ausmachen müsse, um überhaupt wirksam zu werden.
Bildunterschriften:
Vor einem ernsten Thema ist schon mal ein Späßchen erlaubt: Arbeitsminister Farthmann (rechts) im Gespräch mit den CDU-Ausschußmitgliedern Elsbeth Rickers und Peter Daners (links).
Sie trugen Stellungnahmen der Arbeitgeberseite vor: Joachim Kreplin von der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern, Karlheinz Bastong von der Landesvereinigung industrieller Arbeitgeber und der Sprecher der Fachvereinigung des Handwerks, Rütten (von links nach rechts)
Systematik: 2410 Arbeitsmarkt; 2420 Berufsausbildung
ID: LI821001