Mit Fragen der Planungsverfahren, Struktur- und Energiesicherung sowie Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie befaßte sich eine zehnköpfige Parlamentarierkommission des Ausschusses für Landesplanung und Verwaltungsreform unter Leitung des Vorsitzenden Dr. Bernhard Worms (CDU) in Großbritannien und Irland. Zum Abschluß der einwöchigen Reise stellte Worms fest, in Nordrhein-Westfalen sei die Ordnung durch Planung nunmehr abgeschlossen und es gelte, die Entwicklung durch Planung zu betreiben. Wie die Reise gezeigt habe, sei es richtig gewesen, die Flexibilität bei Strukturplänen gesetzlich abzusichern. Dies gebe die Möglichkeit, veränderten volkswirtschaftlichen Daten zeitnah Rechnung zu tragen.
Reisestationen waren die schottische Hauptstadt Edinburgh, die Wiederaufbereitungsanlage Windscale, die Stadt Liverpool sowie die beiden Hauptstädte London und Dublin. An der Reise nahmen für die SPD-Fraktion Albert Klütsch, Bernd Feldhaus, Erich Kamp, Johannes Pflug und Ludwig W. Wördehoff teil. Teilnehmer der CDU-Fraktion waren neben dem Ausschußvorsitzenden Johannes Kaptain, Günter Hochgartz, Dr. Hans Horn und Dr. Hans-Jürgen Lichtenberg. Begleitet wurde die Reisegruppe von dem für den Landesentwicklungsbericht zuständigen Referenten der Staatskanzlei, Dr. Albert Harms, und dem Ausschußassistenten Harald Holler. Die Tagesordnung sah eine Information über die Landes- und Regionalplanung in beiden Ländern und Fragen der Standortvorsorge für flächenintensive Großbetriebe, Kraftwerke und Entsorgungseinrichtungen sowie eine Unterrichtung über die Lösung regionalplanerischer Aufgaben und Fragestellungen vor.
Strukturunterschiede
In Edinburgh konnte festgestellt werden, daß sich die Stadt-Umland-Beziehung in Schottland auf der Grundlage des Städteverbandsmodells weitgehend entschärft hat, weil die Gesamtheit aller Distrikte (vergleichbar mit Gemeinden) mit ihrer gesamten Steuerkraft für die Strukturplanung und ihre Verwirklichung aufzukommen hat. Dadurch gibt es kein Konkurrenzdenken mehr zwischen Metropole und Umland. Nachteilig gegenüber unserem System ist, daß sich die den Distrikten verbleibenden Aufgaben auf lokale Dienste, wie Wohnungsfragen, Umweltschutz und örtliche Planung, beschränken, was verfassungsrechtlich mit der kommunalen Selbstverwaltung nicht vereinbar wäre und im Zuge der in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Gebietsreform konsequent abgelehnt worden ist. Die Entscheidungen fallen nunmehr im County Council (vergleichbar mit dem Kreistag). Dennoch hatten die Mitglieder der Kommission den Eindruck, daß der County Council qualitativ eine stärkere und bessere Integrationskraft ausstrahlt, als es dem Bezirksplanungsrat bei uns möglich ist.
Die zum Teil hohe Arbeitslosigkeit im Bereich der Region Edinburgh wird nachhaltig dadurch bekämpft, daß mit Hilfe staatlicher und europäischer Unterstützung hochmoderne Industrien auf dem Gebiet der Elektronik, Chemikalien, Petrochemikalien sowie Präzisionstechnik aufgebaut werden. Obwohl der Maschinenbau immer noch Schottlands wichtigste Industrie darstellt, ist die Elektronikindustrie mit über 100 Firmen fast genauso bedeutend geworden. So beschäftigt eine bekannte Firma, die Mitte der vierziger Jahre mit 100 Beschäftigten anfing, inzwischen allein 6300 Mitarbeiter auf diesem Sektor. Als Begründung für den starken Ausbau der Elektronikindustrie führten die Gesprächspartner aus, man sei in Großbritannien viel zu lange konservativ gewesen. Inzwischen habe man die Erkenntnis gewonnen, daß nur dem die Zukunft gehöre, der die Herausforderungen im Bereich der neuen Technologien annehme und meistere.
Forschungspark bewährt
Interessant war auch die von der Heriot-Watt-Universität verfolgte Hinwendung zur Industrie. Diese neue technische Universität vor den Toren von Edinburgh hat feste Kontakte bereits geknüpft und gepflegt und es sich zum Ziel gesetzt, in weitere wichtige Bereiche der Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft vorzudringen. Im Augenblick befindet sich auf dem Gelände der Universität bereits der Forschungspark mit Instituten wie beispielsweise dem für Meerestechnik und dem europäischen Forschungszentrum einer führenden internationalen pharmazeutischen Gesellschaft. Die enge Zusammenarbeit der Universität mit ortsansässigen Betrieben für Elektrotechnik und Maschinenbaudesign und mit Brauereien wird ergänzt durch berufsorientierte Studiengänge im Wirtschaftsprüfungs- und im Bank- und Versicherungsfach. Der Erfolg des aus den Vereinigten Staaten stammenden Konzepts der Science Parks zeigt sich in der als gelungen bezeichneten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie. So wurden im letzten Finanzjahr 500 Aufträge für 270 Firmen entgegengenommen, an denen ein Drittel des akademischen Personals arbeitet.
Zubau pro Jahr: Ein KKW
In der Energiepolitik setzt Großbritannien auf Kernkraftwerke. Absicht der Regierung ist es, die britische Nuklearkapazität bis 1992 auf 15000 Megawatt aufzustocken. Von diesem Jahr an soll jedes Jahr eine neues Atomkraftwerk in Auftrag gegeben werden. Auf dem Gelände von Calder Hall, wo 1956 der erste Atomreaktor der Welt Energie in das öffentliche Netz einspeiste, geht der Ausbau von Windscale zu einer großen Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennelemente sowie als Zwischenlagerungsstätte seiner Vollendung entgegen. Die letzte Ausbaustufe dieses Atomkraftzentrums wird mit einem Kostenaufwand von ungefähr 1,6 Milliarden Mark bis 1990 abgeschlossen sein. Nach ursprünglich militärischer Nutzung Ende der vierziger Jahre wurde das Gelände 1952 seiner jetzigen Bestimmung zugeführt. Der in einem strukturschwachen Gebiet gelegene Standort hat große beschäftigungspolitische Bedeutung. Zur Zeit bietet er 6500 Personen Arbeit. Hinzu kommen noch 2000 Bauarbeiter.
Die Mitglieder der Kommission waren beeindruckt davon, mit welch relativer Unbekümmertheit über Pro und Kontra der Kernkraft die Standortentscheidung getroffen wurde und wie auf der anderen Seite durch eine Vielzahl von Kontrollen des Geländes und der Anlagen selbst sowie der Umgebung durch verschiedene Behörden notwendige Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Dies gilt unbeschadet der Kenntnis von den Grenzen, die jeder menschlichen Vorsorgeplanung gesetzt sind. Bei der Besichtigung der Anlage konnte ein sehr entspanntes Betriebsklima wahrgenommen werden, welches den Schluß zuläßt, daß auch eine Beschäftigung in Risikobereichen nicht zu einer untragbaren psychischen Belastung führen muß. Auch die Natur hatte sich auf die Kernkraft eingestellt: Das destillierte Wasser, in dem die mit Atommüll gefüllten Behälter aufbewahrt werden, diente zahlreichen Möwen als wohlwillkommenes Trinkwasser.
Station Liverpool
Die Herzlichkeit des Empfangs der Reisegruppe in Liverpool durch den Oberbürgermeister, den Stadtrat und den County Council war überwältigend. Beeindruckend war auch der Optimismus, mit dem man dort an die Lösung der schwierigen Probleme herangeht. Liverpool verlor in den letzten zehn Jahren 25 Prozent der Arbeitsplätze. Ohne die sogenannte stille Arbeitslosigkeit liegt die Arbeitslosenquote jetzt bei 17,1 Prozent gegenüber 2,5 Prozent 1966. In einer schonungslos offenen Stadtrundfahrt wurde die Kommission mit all den Fragen vertraut gemacht, die sich daraus ergeben, daß Liverpool als ehemalige zentrale Hafenstadt für ein Weltreich große Umstrukturierungsprobleme hat und im Städtebau vor nahezu unlösbaren Flächensanierungsaufgaben steht. Seit 1978 gewährt die Zentralregierung Nationalhilfe für die Stadt und die Region. Die drei Hauptprobleme, die man mit Energie, Geist und Initiative zu meistern beabsichtigt, liegen in der wirtschaftlichen Struktur, der Wohnungsversorgung und der großen Zahl an Brachflächen. Was die Wohnungsversorgung angeht, so befinden sich 40 Prozent aller Wohnungen in Stadteigentum. Stadt und Land bemühen sich, Privatinvestoren viele Anreize zu bieten, um sie zu veranlassen, neuen Wohnraum zu schaffen. Was schon in Edinburgh deutlich wurde, wurde auch in Liverpool immer wieder bestätigt: Hochhäuser sind in Großbritannien auf Dauer nicht zu vermieten. Die besten Marktchancen bestehen dort für eine zwei- bis dreigeschossige Reihen-Einfamilienhausbebauung.
Sowohl in Schottland als auch in England sind in den letzten zehn Jahren alle Regionen mit Gebietsentwicklungsplänen vollständig abgedeckt worden. Diese Pläne sind für alle Beteiligten Grundlage sämtlicher Entscheidungsplanungen, wobei jedoch Ausnahmen jederzeit möglich sind. Bedauert wurde, daß immer noch über die 1974 abgeschlossene Gebietsreform diskutiert wird.
Schnelleres Planungssystem
Ein abschließendes Gespräch im Umweltministerium in London über die Regionalplanung und Standortfragen machte deutlich, daß Planungen in Großbritannien vom Rechtssystem her einfacher und schneller abgewickelt werden können, als dies bei uns der Fall ist. So gibt es ein einheitliches Genehmigungsverfahren für Bauwerke, wobei es zunächst einmal keine Rolle spielt, ob es sich um ein kleines Haus oder um ein Kraftwerk handelt. Dies schließt nicht aus, daß bei größeren Vorhaben besondere Untersuchungen durchgeführt werden. Aber das Verfahren an sich ist gleich. Standortfragen werden grundsätzlich vor Ort entschieden. Einwendungen gegen Planungen werden im Rahmen einer öffentlichen Anhörung, geleitet durch einen von London eingesetzten "Inspektor", behandelt. Dieser Inspektor führt die Anhörung durch und legt dem Minister seinen Bericht mit Vorschlägen vor. Nach der Entscheidung durch den Minister sind weitere Einwendungen bzw. parlamentarische Einflußnahmen nicht mehr möglich. Die Gerichte werden selten eingeschaltet. Man kann sich auch dort nur darauf berufen, daß strenge Vorschriften nicht beachtet worden sind. Die Gerichte entscheiden nicht im politischen Sinne, so daß im Bereich der Planung und Bebauung ein Richterrecht nicht möglich ist.
Interessant war auch noch, daß seit Übernahme der Regierung durch die Konservativen eine großflächige Raumplanung nicht mehr stattfindet. Es bleiben die bestehenden Regionalpläne, die aber nicht mehr fortentwickelt werden. Sie besitzen auch keine Bindungskraft, sondern stellen eine Empfehlung an die regionalen Entwicklungsbehörden dar, ihre Planungen darauf abzustellen. Abgeschlossen wurde der Besuch in London durch eine Besichtigung des vor kurzem eingeweihten Barbican Centre, eines großen Theater-, Konzert-, Ausstellungs- und Wohnungskomplexes in der City.
Irische Gastfreundschaft
Die irische Hauptstadt Dublin gehörte mit zu den Höhepunkten der Reise. Nicht nur die sprichwörtlich irische Gastfreundschaft war beeindruckend, sondern die Kommission empfand es auch als beachtenswert, wie sich die Iren für unsere Sprache, Kultur und natürlich auch für die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland interessierten.
In Irland ergibt sich ein natürlicher Konflikt zwischen Erhaltung und Entwicklung. Die Hauptprobleme liegen im Bereich der Arbeitslosenzahlen, des Bevölkerungswachstums und der Handelsbilanz. Obgleich das Wachstum inzwischen stärker ist, ist es noch nicht ausreichend. So zielt die Wirtschaftspolitik Irlands darauf ab, ausreichende und zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Seit 1960 ist die Bevölkerung von 2,8 Millionen auf 3,4 Millionen im Jahre 1980 angewachsen. 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt, ein Drittel sogar unter 15 Jahre. Von daher ergibt sich ein für Deutschland völlig unbekanntes Problem: Irland kennt keine Stadtflucht, sondern die Jugend drängt nach Dublin, so daß diese Stadt heute mit etwa 1,2 Millionen Einwohnern die am stärksten wachsende Stadt der westlichen Welt ist. Bei einer Arbeitslosigkeit von elf Prozent bleibt für den Staat und die Stadt das zentrale politische Problem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Schaffen neuer Arbeitsplätze.
Politisch wichtig ist dabei die Tatsache, daß die beiden großen Parteien in dieser Aufgabe nahezu ideologiefrei und pragmatisch jede Chance zur Verbesserung der Situation ergreifen, ohne die Belange des Umweltschutzes zu vernachlässigen. So können neue Arbeitsplätze nur unter härtesten Auflagen zugunsten des Natur- und Landschaftsschutzes und unter Minimierung jedweder Immissionen geschaffen werden. Besondere Struktur- und Entwicklungsprobleme hat Irland mit den irischsprachigen Gebieten an der Westküste, die von Beschäftigungsmöglichkeiten, Infrastruktur und Ausbildungsplätzen her besonders benachteiligt sind. Zur Verbesserung der Situation in diesen Gebieten ist eine besondere Behörde eingerichtet worden.
Die von Irland in den letzten 20 Jahren verfolgte Industrieansiedlungspolitik hat zu Investitionen von nahezu 10 Milliarden Mark aus 26 Ländern geführt. Daran sind deutsche mittelständische Unternehmen mit nahezu 820 Millionen Mark beteiligt. Für Irland selbst hat dies dazu geführt, daß die Bevölkerung wieder wächst, ein höherer Lebensstandard erreicht sowie die Wirtschaftsstruktur verbessert werden konnte und auch regionale Entwicklungen mit ihren Auswirkungen zugunsten der Beschäftigungssituation möglich wurden. Es bleibt dennoch viel zu tun, um der steigenden Arbeitsplatznachfrage gerecht zu werden.
Bildunterschrift:
Auf dem Gelände der Wiederaufbereitungsanlage Windscale steht der Reaktor Calder Hall (Bild), der 1956 als erster Atomreaktor der Welt Energie in das öffentliche Netz einspeiste.
Systematik: 6400 Raumordnung; 2300 Technologie; 2120 Kernenergie
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