Müßte man für die bald 60jährige Ingeborg Friebe einen Wappenspruch aussuchen, böte sich an: Den Menschen nah und hilfsbereit. Im Rat der rheinischen Stadt Monheim geht das geflügelte Wort vom "friebeln" um, wenn jemand aus schierer Hilfsbereitschaft einem anderen, auch wenn er politischer Gegner ist, aus der Patsche hilft. Bürgermeisterin Friebe ist zum erstenmal als "friebelnde" Ingeborg aufgefallen, als sie den ersten, noch ungeübten Ratsmitgliedern der Grünen vor einigen Jahren den einen oder anderen Geschäftsordnungs-Tip gab.
"Bürgermeisterin zu sein", sagt Frau Friebe, "das ist mir sehr wichtig", und weiter: "Monheim gebe ich nicht auf, ich muß den Menschen nah sein, mit ihnen reden." Als Parteifreunde sie im Vorjahr fragten, ob sie Präsidentin des Landtags werden wolle, hat sie zunächst gezögert, sich auch mit dem gerade pensionierten Ehemann beraten. Wenn das bedeutet hätte, das Bürgermeisteramt in Monheim aufzugeben, hätte sie Nein gesagt, wäre Vizepräsidentin geblieben ("Das ist ja auch schön"). Sie erzählt, daß es damals vier gewesen seien, die in den Startlöchern gesessen hätten, um Denzers Nachfolge anzutreten. Vielleicht hat sie wiederum wie schon vor der erstmaligen Landtagskandidatur 1975 die Mitbewerber im stillen eingeschätzt, um sich hernach zu sagen: Was die können, kannst du auch. Ingeborg Friebe ist nie spürbar vorgeprescht, wenn es um neue politische Aufgaben ging. Erst hat sie ein bißchen gezögert, doch wenn die Chance sich konkret bot, dann hat sie auch zugepackt und für sich gekämpft. Wieviel Ehrgeiz verbirgt sich dahinter? Im Gespräch weicht sie aus, sagt nur, ein wenig Ehrgeiz müsse jeder Politiker haben. Wahrscheinlich hat es sie stets gereizt, es als Mädel aus einfachen Verhältnissen und ohne akademische Ehren zu etwas zu bringen. Stolz schwingt mit, wenn sie berichtet, sie sei im früheren Rhein-Wupperkreis 1972 der erste weibliche Unterbezirksvorsitzende der SPD in NRW gewesen. Noch zufriedener allerdings erzählt sie von dem Monheimer Karnevalswagen, der sie den decken am Straßenrand als "Mutter Courage" vorstellte. Dahinter steckte eine kommunale Rettungsaktion, über die in Monheim noch heute manchmal gesprochen wird. 1975 war die Stadt dem großen Nachbarn Düsseldorf zugeschlagen worden. Ingeborg Friebe, gerade im Landtag, erinnert sich heute: "Da habe ich gewirbelt." Das Engagement der Braunschweigerin, die 1966 mit der Familie an den Rhein gezogen war, zahlte sich aus: Im Sommer 1976 gewann Monheim seine Selbständigkeit zurück. So etwas vergessen Bürger nicht, wenig später wurde die SPD-Politikerin Friebe (seit 1969 Ratsfrau) Bürgermeisterin. Auch Politiker anderer Couleur, sagt sie, hätten ihr damals den Einsatz für Monheims Eigenständigkeit gedankt. Aus der Zeit rühren parteiübergreifende Freundschaften. Wie hält es die Sozialdemokratin mit "Stallgeruch" überhaupt mit den Vertretern "der anderen Feldpostnummer"? Spontan erwähnt Frau Friebe Vizepräsident Klose von der CDU, mit dem sie seit langem eine Duzfreundschaft pflege. Zu Hause jedoch schätzt sie mehr die eine politische Wellenlänge. Ihren Mann, den früheren Bundesgeschäftsführer der DGB-Kulturorganisation Arbeit und Leben, hat sie für die SPD geworben. Die beiden Söhne, Jens (37) und Jochen (33) sind zwar nicht in der Partei, aber beide in der Gewerkschaft. "Gewerkschaft" die gehört zu ihrem Leben. Rechtsschutzsekretärin wollte sie werden, wurde aber nicht fertig mit der Ausbildung, weil sie heiratete und Kinder bekam. 15 Jahre lang war sie Hausfrau und Mutter, hat sich dabei nach eigenem Bekunden nie als Frau zweiter Klasse gefühlt. Als die Söhne zum Gymnasium gingen und erst nachmittags um drei nach Hause kamen, da so Frau Friebe "fiel mit daheim die Decke auf den Kopf". Ihre Energie verlangte nach einer Arbeit außer Haus. Sie nahm eine Stelle als Schulsekretärin in Monheim an. Schnell verwischt sie den Eindruck, da habe jemand nur an der Schreibmaschine gesessen und getippt, was andere diktierten. Oft sei sie bei Lehrerberatungen dabeigewesen, habe auch schon mal vor der Klasse gestanden, bis der Herr Lehrer eintraf, und weiter: "Wenn das Kollegium einen Ausflug machte, war ich immer dabei." Die unausgesprochene Botschaft solcher Erzählungen lautet: Ingeborg Friebe hat sich nicht ducken lassen. Es folgt ein Satz wie ein Glaubensbekenntnis: "Man muß immer das Beste aus seiner Lage machen."
Das wird sie in der Kindheit so noch nicht für sich formuliert haben, als sie und ihr Bruder die Mutter zu Verhören der Gestapo begleitet haben. Mutter und Großmutter waren überzeugte Sozialdemokratinnen, der Vater, ein Kommunist, wurde von den Nazis ermordet. Die beiden Kinder gingen mit der Mutter zu den Verhören, weil das Schreien, besonders das des Bruders, die hartgesottenen Nazi-Schergen etwas glimpflicher mit der Mutter umgehen ließ.
Eine Frau, die von unten kommt, der nichts in die Wiege gelegt wurde, kann wenig anfangen mit Jungakademikern, die glauben, ihr Hochschulabschluß ziehe ein politisches Mandat geradezu zwangsläufig nach sich.
Denen schildert sie den eigenen politischen Lebenslauf und daß man sich ein solches Mandat erarbeiten müsse. Ingeborg Friebe hat selbstverständlich Plakate geklebt für die Partei, hat sich als Neuling im Landtag erst einmal hinten angestellt und zugehört. Wer zu Beginn seiner parlamentarischen Karriere glaube, er sollte zu jedem Thema etwas mitteilen, der werde doch nicht ernst genommen. Man meint, Herbert Wehner sprechen zu hören, der junge Abgeordnete auch auf die Hinterbänke zu verweisen pflegte. Im Petitionsausschuß und im Ausschuß für Arbeit und Soziales hat Ingeborg Friebe erste Landtags-Erfahrungen gesammelt und sich, wie sie bemerkt, mit viel Energie an die Arbeit gemacht.
Man zögert, eine Frau "Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn" zu nennen falsch wäre es bei der Landtagspräsidentin nicht. Hat sie Vorbilder in der SPD? Es fallen die Namen von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Man müßte sich aus beiden einen "backen". An Schmidt imponiert ihr die analytische Schärfe, an Brandt und vielleicht auch Johannes Rau das Nachdenklich-Abwägende. Mit Oskar Lafontaine verbindet sie wenig. Bei einem Zwiegespräch auf einem Parteitag sei ihr Lafontaines Arroganz unangenehm aufgefallen. Ihr Urteil: "So etwas ist nicht sozialdemokratisch." Sie sei weder Verehrerin von Oskar, noch funke man auf der selben Wellenlänge: "Aber gewählt habe ich ihn am 2. Dezember aus Solidarität." Und was ist mit Björn Engholm? "Vielleicht", so Frau Friebe, "brauchen wir in der SPD an der Spitze einen, der für Ehrlichkeit und Nachdenklichkeit steht, ich werde ihn Ende Mai in Bremen jedenfalls wählen." Zur Frauen-Quote ihrer Partei hat sie ein eher distanziertes Verhältnis. Sie sei unter anderem auch deshalb lange gegen die Quote gewesen, weil sie keine Probleme gehabt habe, als Frau in Politik und Arbeitswelt anerkannt zu werden. Dennoch habe sie auf dem Bundesparteitag in Münster aus Solidarität mit ihren Geschlechtsgenossinnen für die Quotierung gestimmt, nachdem ihr Frauen von ihren ganz anderen, und zwar schlechten Erfahrungen mit der Gleichberechtigung berichtet hätten.
Auch das ist typisch für Frau Friebe: Sie prüft und bildet sich ihr Urteil gerne, nachdem sie auch die andere Seite gehört hat. Dahinter verbergen sich Vorsicht und Skepsis, genährt aus manchen Erfahrungen: "Man wird ja auch belogen, ich habe mir Distanz angeeignet."
Eine dicke Haut hat sie jedoch durch das lange politische Leben nicht bekommen. Es gibt Bürgerbriefe, die sie zu Tränen rühren. Zu ihren Lieblingstugenden zählt sie Gerechtigkeit, Zähigkeit sowie das Vermögen, zuhören zu können. Was für sie das größte Unglück wäre? Sie überlegt kurz, sagt dann: "Krieg und überhaupt das Leid von Menschen." Den Begriff "Heiliger Krieg" hält sie für völlig absurd, beim Stichwort "Gerechter Krieg" sagt sie, sie habe ja Hitler miterlebt und sich in den Tagen vor und während des Golfkrieges oft gefragt, ob nicht auch dem deutschen oder jüdischen Volk und anderen vom Zweiten Weltkrieg Betroffenen viel Leid erspart geblieben wäre, wenn Hitler frühzeitig bekämpft worden wäre.
Zurück zum Menschen Ingeborg Friebe und ihrem Wunsch, die Politik allgemein etwas zu vermenschlichen. Als JohannesRau nach der Wahl im Mai 1990 im Landtag wiedergewählt worden war, schaute die Präsidentin auf die Tribüne, wo Christina Rau und die drei Kinder saßen. Ihre damalige Mahnung an Johannes Rau, sich etwas mehr Zeit für die Familie zu nehmen, sei ihr aus dem Herzen gekommen. Wenn sie Freizeit hat, geht sie gerne mit dem Ehemann in die Sauna. Eine richtige Leseratte sei sie im übrigen, und bei Fernsehkrimis ist es ein beliebtes Spiel im Hause Friebe, "die Krimi-Nuß vorab zu knacken".
Wenn dereinst Schluß ist mit der Politik, möchte sie mit ihrem Mann auf Weltreise gehen, man hat sich schon vorsorglich einen Sparkassenbrief zugelegt. Fernweh ist Ingeborg Friebe nicht fremd. Sie liebt besonders Afrika, vor allem Senegal mit seinen fröhlichen, toleranten Menschen und den abwechslungsreichen Landschaften. Über Weihnachten und Silvester geht es wieder dorthin. Ingeborg Friebe, Landtagspräsidentin und Bürgermeisterin
ID: LI910621