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  • Porträt der Woche: Bernhard Flessenkemper (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 08.03.1994

    Auf den ersten Blick hat er eine typisch sozialdemokratische Parteikarriere gemacht: Als Jugendlicher schloß er sich den "Falken" an und bekam so Kontakt zur SPD, mit 18 Mitglied, dann Arbeit im Ortsverein, Ratsmandat und schließlich 1990 die Wahl in den Landtag als Abgeordneter für den Wahlkreis Düsseldorf III. Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Denn kurz nach seinem Eintritt in die SPD 1968 mußte der heute 44 jährige sein politisches Engagement für einige Zeit erheblich zurückfahren. Neben dem Studium war da auch noch eine Familie zu versorgen. Der gelernte Großhandelskaufmann hatte die Fachhochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt und studierte Betriebswirtschaft.
    Die Diplomarbeit brachte ihn dann wieder zu seinen politischen Wurzeln zurück. Es ging um "social marketing", um die Frage, ob und wie betriebswirtschaftliche Instrumente auch in den sogenannten "non-profit Organisationen" eingesetzt werden können, bei Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch z.B. beim Organisationsaufbau und der Personalplanung. Als Beispiel nahm Bernhard Flessenkemper die Arbeiterwohlfahrt. Das war kein Zufall, er hatte dort seinen Zivildienst absolviert und kannte daher den Alltag dieser Organisation nicht nur aus der Perspektive der Studierstube. Die Idee, nach dem Examen bei der AWO beruflich "einzusteigen", ließ sich aber nicht realisieren. Stattdessen heuerte Bernhard Flessenkemper in einer Marketingagentur an, wurde dort bald Abteilungsleiter und packte die Chance, sich selbständig zu machen, 1984 beim Schopf.
    Neben seiner erfolgreichen beruflichen Entwicklung fand er auch wieder Zeit, sich stärker in der Partei zu engagieren. Als Bezirksvertreter bereits kommunalpolitisch erprobt, kandidierte er 1985 für den Düsseldorfer Stadtrat. Doch als er 1990 in den Landtag einzog, gab er das Ratsmandat ganz bewußt auf: Anders als Landtagskollegen, die im Doppelmandat eine sinnvolle Verbindung von Kommunal- und Landespolitik sehen, wollte er sich auf die Landtagsarbeit konzentrieren.
    Und da widmet er sich vor allem der Umweltpolitik und den Themen Jugend und Familie. Das Engagement und die Hartnäckigkeit des Parlamentsneulings — er hat auch nichts dagegen, wenn man ihn ehrgeizig nennt — all dies scheint sich herumgesprochen zu haben. Im vergangenen Herbst wählte ihn die Fraktion zum stellvertretenden umweltpolitischen Sprecher. Dabei riskiert Flessenkemper, manchmal auch den eigenen Genossen auf die Nerven zu gehen. Denn was ihm nach wie vor viel zu oft fehlt, ist, wie er sagt, eine "professionelle" Herangehensweise an politische Probleme, eine konkrete Analyse der Durchsetzbarkeit, eine Aufstellung von Ablauf- und Zeitplänen und die effektive Kontrolle, welche Maßnahmen wie gegriffen haben. Bei solchen Kriterien läßt sich der Betriebswirt nicht verleugnen.
    Aber Flessenkemper will nicht als purer Technokrat gelten. Im Gegenteil: Die Angewohnheit in der Politik, jede Menge Papier zu produzieren und mit Allgemeinplätzen zu füllen, sei ein Grund für die vorhandene Politikverdrossenheit. Viele Dinge seien mittlerweile so komplex, daß sie nicht mehr kurzfristig zu managen seien. Deshalb sei es notwendig, auch nach außen Zwischenschritte deutlich zu machen, die zeigten, daß sich etwas bewegt und daß Politik handlungsfähig ist. Außerdem müsse die immer noch starke Vorliebe vieler Politiker eingeschränkt werden, bei einem bestimmten Problem zunächst einmal alle Eventualitäten zu erfassen und zu diskutieren, um dann eine Lösung zu finden, die für alle und zu jeder Zeit paßt. Oft sei es sinnvoller, einfach zu beginnen, Wege und Lösungsmöglichkeiten zu erproben, statt auf die Patentlösung zu warten.
    Als aktuelles Beispiel fällt ihm da die große Anfrage der SPD zur Rolle des Autos in der Stadt ein, an der er als Umweltpolitiker mitgearbeitet hat. Natürlich sei es sinnvoll, dieses Thema theoretisch aufzuarbeiten. Aber gleichzeitig hätte er sich gewünscht, konkreter darüber zu diskutieren, in welchen Kommunen schon etwas getan wird, wo es dabei hakt, welche Vorschriften sich in der Praxis bewährt haben oder auch nicht, wo welche Modellversuche möglich und sinnvoll sein könnten usw. usw. Umweltpolitisch ist Gerhard Flessenkemper übrigens nicht nur im Landtag engagiert. Bei der Bürgerinitiative gegen den geplanten Container-Bahnhof in Düsseldorf-Eller arbeitet er ebenfalls seit Jahren mit.
    Bei soviel Politik bleibt dem Familienvater für richtige Hobbys kaum noch Zeit. Trotzdem hat er den Schritt in den Landtag bisher nicht bereut. Eins habe er allerdings noch nicht richtig im Griff, sagt er: Die Flut von Papier effektiv zu bewältigen, die sich jeden Tag auf seinem Schreibtisch sammle. An der konkreten Lösung für dieses Problem wird er noch weitertüfteln müssen, schließlich will er im kommenden Jahr erneut für das Landesparlament kandidieren.
    Ralf Kapschack
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI940548

  • Porträt der Woche: Reinhard Wilmbusse (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 18.01.1994

    An den Fraktionssitzungen könne er aber nicht teilnehmen, hatte er seinen Genossen gesagt, denn zur gleichen Zeit würde der Kirchenchor proben, und da müsse er eben hin. Das war 1969, Reinhard Wilmbusse war gerade in den Stadtrat von Lemgo gewählt worden, zwei Jahre später war er bereits Bürgermeister, und vom Kirchenchor war keine Rede mehr.
    Zur Kommunalpolitik kam der gelernte Rechtspfleger eher zufällig. 1965, am Tag der für die SPD verlorenen Bundestagswahl, trat er in die Sozialdemokratische Partei ein. Der Bedarf an gesellschaftlichen Reformen sei so groß gewesen, meint er, daß er sich einfach engagieren mußte. Vier Jahre später ließ er sich von den Genossen überreden, für den Stadtrat zu kandidieren. Es wurde jemand gesucht, der sich mit dem Baurecht auskannte. Mit der ausdrücklichen Zusicherung, nur zu den Sitzungen des Bauausschusses erscheinen zu müssen, ließ sich Wilmbusse wählen.
    Das Ergebnis ist bekannt. Der Lemgoer gehört mittlerweile zu den profiliertesten Kommunalpolitikern in Nordrhein-Westfalen. 1975 kandidierte er erstmals für den Landtag, inzwischen hatte er eingesehen, daß nicht nur der Kirchenchor, sondern auch sein Beruf als Rechtspfleger unter der zeitlichen Beanspruchung durch die Kommunalpolitik litt: Er machte die Politik zu seinem Beruf.
    Aber die ersten Jahre in Düsseldorf verliefen anders als er sich das gedacht hatte. Er hätte sich gern vor allem mit der Kommunalpolitik beschäftigt, doch daraus wurde nichts. Er kam in den Ausschuß für Kommunalpolitik, doch die Fraktion wollte den Parlamentsneuling gleich zum justizpolitischen Sprecher machen. Und da der Justizausschuß und der für Kommunalpolitik gleichzeitig tagten, entschied sich Wilmbusse schweren Herzens zunächst für die Rechtspolitik.
    Nach der Landtagswahl 1980 wurde er dann aber doch der Mann für Kommunalpolitik in der SPD-Fraktion und ist es bis heute.
    Fast alle Entscheidungen des Landtags hätten mehr oder weniger direkte Auswirkungen auf die Kommune, sagt Reinhard Wilmbusse, das mache die Verknüpfung der Arbeit in Düsseldorf mit dem Amt des Bürgermeisters seiner Heimatstadt so reizvoll.
    Und als Bürgermeister habe er auch seine Meinung zur gegenwärtigen Kommunalverfassung verändert, meint er rückblickend. Anfang der 70er, als sich die nordrhein-westfälische SPD zum ersten Mal mit der Abschaffung der kommunalen Doppelspitze befaßte, war er noch auf der Seite der Gegner. Mitte der 80er aber hätte er sich schon den Befürwortern angeschlossen. Als der Landesparteitag im Dezember 1991 in Hagen gegen die Abschaffung der Doppelspitze und die "Urwahl" des Bürgermeisters entschied, gehörte Reinhard Wilmbusse neben Innenminister Herbert Schnoor zu den Verlierern.
    Die kommunale Doppelspitze entspreche nicht den Erfordernissen der täglichen Praxis, sagt Wilmbusse, deshalb mußte sie trotz des zunächst anderslautenden Parteibeschlusses über kurz oder lang kommen:
    Denn die rein ehrenamtliche Tätigkeit des Bürgermeisters sei eine Fiktion, wenn man es ernst mit der Aufgabe in seiner Stadt meine. Außerdem sei auch der Kommunalwahlkampf in den vergangenen Jahren immer mehr personenorientiert geführt worden. Die Spitzenkandidaten für das Amt des Bürgermeisters seien herausgestellt worden, ohne daß dies mit ihrer tatsächlichen Kompetenz übereinstimme. Bürgermeister und Ratsmitglieder seien bei der Kontrolle der Verwaltung zudem oft überfordert. Wer das "Sagen "habe in einer Kommune, der solle auch "den Bukkel hinhalten", solle sich dem Votum der Bevölkerung stellen. Insofern sind die Forderungen nach einer Urwahl des Bürgermeisters für Wilmbusse auch Forderungen nach einer Demokratisierung der Kommunalpolitik. Den Hauptkritikpunkt an der Urwahl in der eigenen Partei, die Befürchtung, daß sich die vom Volk gewählten Stadtoberhäupter zu "Sonnenkönigen" entwickeln könnten, möchte er durch eine Kopplung der Wahlzeit von Bürgermeister und Stadtparlament entkräften.
    Daß sich die SPD nach einigem Hin und Her auf einem neuen Landesparteitag im Januar nun doch für die Abschaffung der Doppelspitze und für die Urwahl entschied, erfüllt den Ostwestfalen mit einiger Genugtuung. Sicherlich habe dabei auch die Drohung der Opposition mit einem Volksbegehren eine Rolle gespielt, sagt Reinhard Wilmbusse. Schließlich wisse man nie, wie ein solches Volksbegehren ausgehe, deshalb solle man als Partei lieber selbst das Heft in der Hand halten.
    Bedauerlich findet er, daß bei der öffentlichen Diskussion über Doppelspitze und Urwahl andere, für ihn ebenso wichtige Aspekte der neuen Kommunalverfassung weitgehend unter den Tisch fallen, etwa die Möglichkeit des Bürgerantrags und -entscheids in den Kommunen und die neuen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung der Städte.
    Diese neuen Rahmenbedingungen kann Reinhard Wilmbusse nach der nächsten Kommunalwahl ausprobieren. Denn für den Rat in Lemgo und für das Amt des Bürgermeisters wird er noch einmal antreten, ein letztes Mal. In Düsseldorf sei allerdings für ihn 1995 Schluß, sagt der 61 jährige. Teilweise bis zu 24 Stunden pro Woche im Zug von Lemgo an den Rhein, das sei doch allmählich etwas anstrengend. Und auf ähnliche Zusagen wie zu Beginn seiner politischen Karriere (s.o.) würde sich in Düsseldorf wohl niemand einlassen.
    Ralf Kapschack
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche' ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI940157

  • Porträt der Woche: Wolfgang Clement (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 22 - 21.12.1993

    Die Urteile schwanken. Den einen gilt Wolfgang Clement als arrogant, supraehrgeizig, verbissen, karrierebewußt und überaus fleißig, ein "Workaholic" mit Symptomen, wie sie Drogensüchtigen eigen. Andere halten den Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei für einen kompetenten Antreiber, überlegenen, ideenreichen Planer und Administrator, loyalen Kompagnon seines Regierungschefs Johannes Rau, einen stets zugänglichen Nothelfer ohne Eigennutz. Und vor allem für einen charmanten Partner. Clements öffentliches Bild schillert. Aus der alten Bergbaustadt Bochum gebürtig: Ein Kumpel ist er — und doch wieder nicht.
    Wolfgang Clement wurde am 7. Juli 1940 geboren, ist katholisch, glücklich verheiratet und Vater von fünf Töchtern. Abitur 1960 am renommierten Graf-Engelbert- Gymnasium. Jurastudium, Semestervolontariat bei der Westfälischen Rundschau, wissenschaftlicher Assistent in Marburg, dann Redakteur und bis 1981 Stellvertretender Chefredakteur der Westfälischen Rundschau. Bis ihn Willy Brandt als Sprecher der SPD nach Bonn holte.
    Das, und zuletzt stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD, blieb er bis zum November 1986. Damals schmiß er hin, als die SPD in Hamburg eine schwere Niederlage erlitten hatte. Clement signalisierte damit, daß der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Johannes Rau, dem er sich seit Jahren eng verbunden fühlt und für den er früher auch schon mal beim Abfassen von Regierungserklärungen befaßt war, keine Siegchancen habe. Es folgte ein Um- und Rückstieg in den Journalismus, zur Hamburger Morgenpost, deren Ruf Clement in knapp zwei Jahren Tätigkeit als Chefredakteur bundesweit zu mehren wußte, freilich mit mäßigem Erfolg in der Auflage.
    Im Januar 1989 holte ihn Rau zurück in die Politik und machte ihn in Düsseldorf zum Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei. Clement, Kenner der nordrhein-westfälischen Polit-Szene, reüssierte rasch. Die FDP lobte ihn als willkommenen Quereinsteiger. Und auch die CDU mochte ihm ihren Respekt nicht verweigern. Zumal Clement, der Jogger, im langen Einheits- Verhandlungsmarathon mit dem Bonner Unions-Fraktionschef Schäuble 1990 die Interessen von NRW und der Länder erfolgreich vertrat.
    Der Respekt, den sich der Sozi Clement dabei selbst bei dem damals noch übermächtigen Helmut Kohl erworben hatte, aber auch die Distanz, zu der Clement trotz allen Lobes nüchtern fähig ist, spiegelt eine ebenso ironische wie wahre Anekdote wider: Kohl, beeindruckt von seiner Verhandlungsführung und Beharrlichkeit, lud ihn ein, wenn er mal einen Job suche, zu ihm zu kommen. Darauf Clement: "Noch so ein Angebot, und ich bin kaputt."
    Dazu ist es nicht gekommen. Clement ist seit der Landtagswahl 1990 Minister. Und gilt als einer der Rau-Kronprinzen. Vor allem aus eigenem Verdienst. Der rastlose Rau-Freund hat wesentlich dafür gesorgt, daß der Hochtemperatur-Reaktor von Hamm-Uentrop stillgelegt wurde — NRW vorn beim Ausstieg aus der Atomkraft. Clement war es auch, der den Aufstieg von NRW zu einer der ersten Adressen auf dem Welt-Medienatlas auslöste.
    Und er organisierte, diesmal im Widerstreit mit seinem einstigen Einheits-Zwilling Schäuble, sehr subtil, ohne den Vorwurf zu riskieren, ein opponierender vaterlandsloser Geselle zu sein, den Bonner Widerstand gegen die Berliner Hauptstadt-Allmachtsvisionen und -ambitionen. Sein Engagement für das darbende Rumänien, die Rückkehr von Sinti und Roma nach Makedonien, für Hilfe in Osteuropa insgesamt hat ihm viel Lob (auch nicht wenig Kritik) eingetragen. Die westrumänische Stadt Timisoara hat ihn zum Ehrenbürger ernannt.
    "Sein bester Mann" (Kohl vor seiner Absage an den von ihm ursprünglich selbst gewünschten Präsidentschaftskandidaten Rau) mischt längst auch kräftig innerparteilich mit. Schon früh hat er erkannt, daß es weniger auf die derzeit machtlose SPD-Fraktion im Bundestag ankomme, vielmehr sei die SPD-Macht im Bundesrat eine "politische Mehrheit", mithin ein "wesentlicher Bestandteil der Politik in der Bundesrepublik". Das sei die "beste Chance, um auch in Bonn wieder an die Macht zu kommen". Das war 1991, nach dem Sieg Scharpings in Rheinland- Pfalz — ein vorausschauendes Urteil.
    Inzwischen hat sich die Lage für die Sozialdemokraten verbessert. Johannes Rau könnte davon am 23. Mai 1994 profitieren, wenn der nächste Bundespräsident gewählt wird. Und einer, der wiederum dabei gewinnen könnte, wäre Wolfgang Clement. Denn seit dem 6. Oktober 1993 gehört er dem Landtag an und erfüllt damit wie der mögliche Rivale Klaus Matthiesen, Raus Umweltminister, die Verfassungsvorschrift, daß Regierungschef in NRW nur sein kann, wer dem Parlament angehört.
    Bernd Kleffner
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI932250

  • Porträt der Woche: Siegfried Jankowski (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 19 - 16.11.1993

    Er ist ein Vollblutpolitiker, wie er im Buche steht. Und dennoch: "Man muß wissen, wann man aufhören muß." Seit 25 Jahren hat Siegfried Jankowski sein Leben der Politik verschrieben. An seinem 65. Geburtstag sagte er im vergangenen Jahr, daß er auf keinen Fall ein "Vorzeige-Greis" werden will. Aus dieser Äußerung zog er dann wenig später die Konsequenzen. Ohne Koketterie oder Verbitterung erklärte der Leichlinger Landtagsabgeordnete der SPD: "Bis 1995 will ich alle Ämter aufgeben und meine Arbeit als Politiker beenden." Weder für die Kommunalwahl 1994 noch für die Landtagswahl 1995 will er wieder zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für die Ratsausschüsse und die Arbeit in der Partei.
    Damit entsteht nicht nur auf kommunaler Ebene eine große Lücke, denn die SPD in Leichlingen muß erst einmal einen neuen Spitzenkandidaten für das Amt des Bürgermeisters und den Wahlkreis Jankowskis finden, der stets als Hochburg der Sozialdemokraten galt.
    "Ich werde weder im Streit noch aus Resignation gehen", betont der gelernte Chemie-Laborant, der 30 Jahre lang Betriebsrats-Vorsitzender bei der Dynamit Nobel AG und als erster Angestellter in eine solche Funktion gewählt worden war. Ausgelöst wurde sein Entschluß vielmehr durch ein Schlüsselerlebnis vor eineinhalb Jahren, denn zu diesem Zeitpunkt entdeckte der 66jährige eine neue Leidenschaft: Das Segeln. In all den Jahren hatte Siegfried Jankowski nie Zeit für seine Familie, geschweige denn für Hobbys. Das will er künftig nun nachholen.
    "Auf meinem ersten Segeltörn habe ich erst einmal begriffen, wie wichtig die Gemeinschaft ist, daß man losgelöst von Problemen in Gesprächen viel Kraft schöpfen kann", erzählt er und macht keinen Hehl daraus, daß ihn die Entwicklung in der Politik schon vor diesem Hintergrund sehr traurig stimmt. "Heute ist eine andere Generation dort am Zuge, die nicht mehr das Gespräch über die Parteien hinweg sucht. Man ist zu stromlinienförmig. Ich vermisse zunehmend das menschliche Miteinander und eine Nähe zur Bürgerschaft." Siegfried Jankowski ist ein Abgeordneter zum Anfassen. Rund um die Uhr nimmt er auch in seiner Heimatstadt Leichlingen am Geschehen teil, ist für den Bürger immer präsent.
    Mit der Begründung "im Land kann ich mehr bewegen", lehnte er es vor acht Jahren auch ab, in den Bundestag zu wechseln. Nicht nur kritisieren, sondern besser machen, lautete die Devise Jankowskis, der seit 1984 erster stellvertretender Bürgermeister der Stadt Leichlingen ist. Sie ebnete im übrigen auch den Weg in die Politik. Als er abends in fröhlicher Runde vor über 30 Jahren ein Ratsmitglied bzw. dessen Arbeit kritisierte, ließ dieses sich nicht lange bitten und legte Jankowski getreu nach diesem Motto sofort eine Beitrittserklärung auf den Tisch. 1960 wurde Jankowski Mitglied bei der SPD, bereits sieben Jahre später saß er im Leichlinger Stadtrat. Als er 1980 dann in den Landtag kam, war er sieben Jahre lang noch zusätzlich bei Dynamit Nobel beschäftigt. "Es stellte sich aber eine gewisse Unzufriedenheit ein", erinnert er sich rückblikkend. Der Fulltimejob eines Abgeordneten mit drei Ausschüssen und die Tätigkeit in der freien Wirtschaft — auf Dauer war dies aus zeitlichen Gründen nicht mehr miteinander zu vereinbaren. Siegfried Jankowski entschied sich ein weiteres Mal für die Politik.
    Bis 1984 war der passionierte Tennis- und Skatspieler zudem SPD-Fraktionsvorsitzender in Leichlingen, von 1975 bis 1979 Mitglied des Kreistages im Rheinisch-Bergischen Kreis. Trotz einer Fülle von Ämtern — "von einer 40-Stunden-Woche habe ich nur geträumt" — stand der Bürger für ihn stets im Vordergrund. Hilfesuchende waren und sind in seinen Bürgersprechstunden stets gut beraten. Sie wissen, daß dort ein Politiker Fachwissen und vor allem Zeit für sie hat.
    "Heute prägen vornehmlich Profilneurosen die Politik", beklagt Siegfried Jankowski. Der Mensch stehe hilflos vor "arroganten Behörden" und "verbeamteten Parlamenten". Von dieser Kritik nimmt er keine politische Ebene aus — auch die kommunale nicht. "Die meisten Politiker wissen gar nicht mehr, was in den Menschen vor sich geht." Deshalb müßte sich auch niemand über eine gewisse Parteien- und Politikverdrossenheit in der Bevölkerung wundern. Doch so ganz wird sich der Träger des Bundesverdienstkreuzes — es wurde ihm 1991 verliehen — trotz aller privaten Pläne nicht aus dem öffentlichen Geschehen zurückziehen können. "Ganz ohne Politik geht es vermutlich nicht", gesteht Siegfried Jankowski. Viele Parteifreunde und Leichlinger traten bereits kurz nach Bekanntwerden seines Entschlusses an ihn heran. "Vielleicht werde ich deshalb später so etwas wie ein Beraterbüro einrichten."
    Im übrigen will er zusammen mit seiner Frau dann die Freizeit auch für Fernreisen nutzen.
    Andrea C. Stockhausen

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI931940

  • Porträt der Woche: Erika Rothstein (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 16 - 12.10.1993

    Als Erika Rothstein 1976 in die SPD eintrat, war sie schon über 40. Doch politisiert war sie schon lange, schon ihre beiden Großväter waren im damals noch in Einzelgemeinden zersplitterten Solingen Stadträte für die SPD. Das Engagement für die Arbeitnehmer, Unterprivilegierten und die sogenannten "kleinen Leute" zieht sich durch die Biographie der Solinger Bürgermeisterin und SPD-Landtagsabgeordneten. In die aktive Politik geriet sie jedoch eher durch "Zufall".
    Die SPD-Abgeordnete, 1935 in Haan geboren, ist ausgebildete Industriekauffrau. Bis zu ihrem Einzug in den Landtag vor drei Jahren hatte sie 33 Jahre lang in einem großen Solinger Stahlhandelsunternehmen gearbeitet. Schon bald engagierte sie sich in der DAG und im Betriebsrat, bis sie die Belegschaft zur Betriebsratsvorsitzenden wählte. Politischen Ehrgeiz hatte sie nie. Gewerkschaftsfreunde überredeten sie 1976, in die SPD einzutreten, Parteifreunde überredeten sie 1979, für den Stadtrat zu kandidieren, und Ratsfreunde überraschten sie schließlich damit, daß sie 1984 Bürgermeisterin werden und 1990 sogar für den Landtag kandidieren sollte. Doch war sie einmal überredet und gewählt, ging sie die jeweils neue Aufgabe mit Spaß und Einsatz an. In ihrer politischen Arbeit fühlt sie sich oft als Sozialarbeiterin. Für die häufig überfüllten Sprechstunden mit den "ganz normalen Leuten" nimmt sie sich viel Zeit. Da werde ihr immer wieder deutlich, daß "verdammt viele Leute Hilfe brauchen". Und ohne lange bürokratische Wege versucht das "soziale Gewissen von Solingen", wie sie Parteifreunde gerne nennen, direkt zu helfen. Wenn sich zum Beispiel ein Ausländer bei ihr über die schlechte Behandlung von selten der Stadt beschwert, dann staucht sie auch schon mal den betreffenden Mitarbeiter auf dem Ausländeramt zusammen. Seit 1984 ist Erika Rothstein im Ausländerbeirat von Solingen, zu ihren Freunden gehören Angehörige vieler Nationalitäten.
    So ist es kaum verwunderlich, daß sie in ihrer ersten Rede im Landtag für ein Bleiberecht der Roma in Nordrhein-Westfalen plädierte. Durch die Kontakte, die sie als Abgeordnete schnell zu den Spitzenbeamten der Düsseldorfer Ministerien aufbaute, konnte sie das fehlende Geld für einen Vorschulunterricht für ausländische Kinder lockermachen, der ausgerechnet in der Zeit des mörderischen Brandanschlags in Solingen beinahe wegen fehlender 45 000 Mark nicht zustande gekommen wäre. Freimütig bekennt sie sich dazu, als Solinger Abgeordnete im Landtag auch für ihre Stadt Lobbyarbeit zu betreiben. Das schließt auch so manchen Konflikt ein: So klagte sie gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz, das ihrer Meinung nach Städte von der Größe Solingens benachteilige. Gleichzeitig stimmte sie im Landtag dafür; denn die Klage habe nur einen Teil des gesamten Gesetzes berührt. Im übrigen könne ohne Fraktionsdisziplin keine Politik durchgesetzt werden.
    In Gewissensfragen läßt sich die Abgeordnete allerdings nicht in die Mehrheitsvorgaben einbinden. Die Grundgesetzänderung des Asylrechts beispielsweise hielt sie für völlig falsch; bei der entsprechenden Landtagssitzung blieb sie der Abstimmung fern. Als Parteilinke schreibt sie den Genossen gerne ins Stammbuch, daß die "Lebensleistung der SPD im Einsatz für die Benachteiligten, Unterdrückten, Entrechteten und Ausgepreßten" liege. In den 80er Jahren engagierte sie sich in der Friedensbewegung; den Ostermarschierern stellte sie in Solingen eine Turnhalle für die Übernachtung zur Verfügung; atomare Bunkerplätze lehnte sie ab, sie könnten als "Kriegsvorbereitung" mißverstanden werden.
    In der Landtagsfraktion und in den Ausschüssen hält sich Erika Rothstein bisher zurück. Ein Fachgebiet, in dem sie sich als Expertin ausweisen könnte, hat sie noch nicht gefunden. Vielmehr sammelt sie Informationen, hört zu und läßt sich beraten. Ihr erwachsener Sohn Mathias zählt zu den engsten Beratern; er drängt unter anderem darauf, daß das "linke Gewissen" seiner Mutter unter dem Anpassungsdruck der realen Politik keinen Schaden nimmt. Mit ihm ging sie in den letzten Jahren auch gerne auf exotische Urlaubsreisen. In ihrer knappen Freizeit zu Hause liest sie bevorzugt Horror-Romane.
    Vom realen Streß mancher Plenar- und Fraktionssitzung hat sich Erika Rothstein bisher nicht abschrecken lassen. In ihren Augen verhindert das Doppelmandat als Bürgermeisterin und Abgeordnete, sich von den eigenen Wählern zu entfernen, ein Phänomen, daß sie bei manchen Kollegen beobachte. Daß "die Erika nicht Gefahr läuft, Berufspolitikerin zu werden" wird bei den Genossen in Solingen als positive Eigenschaft hervorgehoben. Insofern dürfte auch einer Kandidatur für 1995 nichts im Wege stehen.
    Richard Hofer

    ID: LI931650

  • Porträt der Woche: Dietrich Kessel (SPD).
    Porträt
    S. 31 in Ausgabe 13 - 14.09.1993

    Eigentlich sei es reiner Zufall gewesen, daß er ausgerechnet in Witten gelandet sei, sagt Dietrich Kessel rückblickend. Als er 1969 als Assistent von Frankfurt mit seinem damaligen Chef nach Bochum gegangen sei, habe er schlicht eine Wohnung gesucht. Und da sei ihm über die Uni eine »Landesbediensteten-Wohnung" in Witten angeboten worden, die anscheinend kein Mensch haben wollte. Die Wohnung lag in günstiger Entfernung zum neuen Arbeitsplatz, also habe er zugegriffen.
    Und in der Ruhrstadt sei er eigentlich auch erst wirklich aktiv in der SPD geworden, obwohl er bereits 1965 eingetreten war. Sein politisches Interesse sei vor allem durch das soziale Engagement seines Großvaters und seines Vaters geprägt worden, meint Dietrich Kessel. Vater und Großvater, beide als Pfarrer im Südhessischen tätig, waren wohl auch SPD-Wähler, aber selbst nie Mitglied bei den Sozialdemokraten.
    Der Sohn jedenfalls war nicht mehr nur Mitglied, er machte auch Parteikarriere in seiner neuen Heimat. Dietrich Kessel wurde Vorsitzender der Wittener Jusos und war an der Bildung des neuen Unterbezirks Ennepe-Ruhr/Witten beteiligt. Diese Neuorganisation wurde mit der Eingliederung Wittens in den Ennepe-Ruhr- Kreis 1975 notwendig.
    Seit damals gehört Dietrich Kessel dem Vorstand dieses Unterbezirks an, fünf Jahre lang ist er mittlerweile Vorsitzender. Um etwas "zu bewegen" stieg er in die Kommunalpolitik ein und ging nach der kommunalen Neugliederung gleich in den Kreistag nach Schwelm.
    Vor drei Jahren entschied er sich schließlich für "Politik als Beruf. Mit 62,3 Prozent holte er den Landtagswahlkreis Ennepe- Ruhr III (Witten). Die personelle Verbindung zwischen Kommunal- und Landespolitik sei sinnvoll, sagt Dietrich Kessel. Als konkretes Beispiel nennt er die Strukturkonferenzen des Landes, auf denen Entwicklungskonzepte für die einzelnen Regionen erarbeitet werden sollen. Der Ennepe- Ruhr-Kreis ist mit dem einen Teil der Region "Mittleres Ruhrgebiet", mit dem anderen der "Märkischen Region" zugeordnet. Gerade hier habe es sich als notwendig herausgestellt, daß er im Kreistag, wo die Dinge zusammengeknüpft werden müßten, auch die eigenen Kenntnisse aus der Landespolitik einbringe.
    Seine Hauptinteressen sind neben der Kommunalpolitik die Themen Wissenschaft und Forschung. Kein Wunder, schließlich arbeitete Kessel insgesamt 16 Jahre als Angestellter im Rektorat der Uni Bochum. Als Mitglied des Wissenschaftsausschusses im Landtag bot ihm diese Kontinuität von beruflicher und politischer Arbeit gute Voraussetzungen. Gute Voraussetzungen, um auch als Neuling in der Fraktion richtig "zu landen". Verständlicherweise stoße man als "Neuer" immer auf Abgeordnete, die sich in Jahren vorher etwas aufgebaut hätten und nun um ihren Einfluß bangen würden.
    Als einer der Wissenschaftspolitiker seiner Fraktion hat Dietrich Kessel jedenfalls das Gefühl, einige Entscheidungen maßgeblich beeinflußt zu haben. Und da hat er auch die Erfahrung gemacht, daß die Mehrheitsfraktion durchaus nicht alles schluckt, was die Landesregierung vorschlägt. Bei der Novellierung der Hochschulgesetze etwa seien die Beschlüsse des zuständigen Arbeitskreises und schließlich auch der gesamten Fraktion erheblich über die Pläne des Wissenschaftsministeriums hinausgegangen.
    Aber er teilt natürlich auch die Erfahrungen anderer Abgeordneter, die sich bisweilen als Ein-Mann-Betrieb der Ministerialbürokratie deutlich unterlegen fühlen. Auf der anderen Seite werden aus dem Wahlkreis ganz konkrete Probleme, Wünsche und Forderungen an ihn herangetragen. Und es gibt bei vielen Leuten "die Vorstellung, der Abgeordnete muß nur mit dem Finger schnalzen und dann läuft es". Nicht wenige Leute seien erstaunt, daß der Abgeordnete wie alle anderen an Recht und Gesetz gebunden sei. In einer solchen Erwartungshaltung sieht Kessel auch einen Grund für die aktuelle Politikverdrossenheit. Die Politiker selbst hätten allerdings einen erheblichen Anteil daran, denn viele hätten in der Vergangenheit den Eindruck vermittelt, sie könnten im Grunde alle Probleme lösen.
    "Ich werde mit bemühen, ob ich eine Lösung in ihrem Sinne hinkriege, muß ich offen lassen. Eine Lösung versprechen, daß mache ich nicht, hat Dietrich Kessel für sich als Maxime beim Umgang mit seinen Wählern festgelegt. Daß ihm eine solch realistische Einstellung nicht nur Freunde beschert, nimmt er in Kauf.
    Ralf Kapschack
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI931383

  • Porträt der Woche: Donata Reinecke (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 02.06.1993

    Schon in jungen Jahren hat sich Donata Reinecke ein Prinzip zu eigen gemacht — nicht von anderen etwas zu erwarten, bevor man nicht selbst Hand angelegt hat. Und diese Richtschnur zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der SPD- Landtagsabgeordneten aus Köln, im beruflichen ebenso wie im politischen Bereich. Und die gebürtige Westpreußin, Jahrgang 1944, wollte schon früh sich selbst und ihrer Umgebung bestätigen, daß auch Frauen in der Gesellschaft "etwas werden können". Denn eigentlich sei sie, so räumt die Studienrätin ein, "so eine der typischen Töchter, die eigentlich ein Sohn sein wollten".
    Bereits in dar Kindheit wurde Donata Reinecke mit den Problemen eines Elternhauses konfrontiert, wo beide Partner berufstätig sind. Nach dem erfolgreichen Abschluß der Schneiderlehre erreichte sie über den zweiten Bildungsweg die Fachhochschulreife und studierte an der Ingenieurschule in Mönchengladbach. "Ich war in meinem Studiengang die einzige Frau." Nach bestandenem Examen als Textilingenieurin besuchte sie zwei Jahre später die Kölner Universität, die sie mit dem ersten und zweiten Staatsexamen beendete. Die Studienfächer: Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik. Seit 1980 unterrichtete die Pädagogin an einer Berufsbildenden Schule in Köln.
    Sie, die nach eigener Einschätzung "die Frage der Gerechtigkeit immer deutlich wahrgenommen hat", trat 1972 in die SPD ein. Der Anlaß waren für Donata Reinecke die "unehrenhaften Auseinandersetzungen" um den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Doch auch dessen Eintreten für soziale Gerechtigkeit und die Bildungspolitik der SPD waren Gründe für den Parteieintritt. Nach dem Prinzip, erst einmal selbst Hand anzulegen, zählte sie zu den Mitbegründern einer Kölner Bürgerinitiative für .Brandt/Scheel" und engagierte sich im Bundestagswahlkampf. Als andere ihr Wahlkampfkonzept noch entwarfen, warben wir schon um Stimmen."
    In der Partei auch weiterhin aktiv, wurde die Kölnerin 1980 in den Stadtrat gewählt, wo sie sich im Finanz- und Umweltausschuß engagierte. Sie ließ sich bewußt in die beiden Gremien berufen, "weil die Frauen von ihren männlichen Kollegen gern für den Kultur- und Schulbereich gewonnen werden". Eine "Knochenarbeit", wie sie heute resümiert. Denn die Mutter einer Tochter mußte als sogenannte Alleinerziehende viele Jahre Haushalt und Beruf, Partei- und Ratsarbeit aufeinander abstimmen. In ihren Worten klingt aber auch ein wenig Stolz heraus, wenn sie sagt, "irgendwie wollte ich jungen Frauen beweisen, daß es trotzdem klappt". Die "sinnvolle parlamentarische Lehrzeit" endete 1989, weil nach einem Unvereinbarkeitsbeschluß der Kölner SPD ein Doppelmandat nicht zulässig ist. Bei der letzten Landtagswahl 1990 in das Düsseldorfer Landesparlament gewählt, gehört die Sozialdemokratin dem Wissenschafts- und Umweltausschuß sowie dem Ausschuß für Haushaltskontrolle an. Im Umweltausschuß bemüht sie sich, Kompromisse zwischen Ökologie und Ökonomie zu finden. "Was nützt das beste Klima, wenn die Leute ihr Brot nicht verdienen." Die Hochschulen sieht sie als Stätten, die am geeignetsten sind, um Antworten auf Probleme und gesellschaftliche Veränderungen zu geben. So setzt sich die Kölnerin für eine Hochschulstrukturreform unter enger Beteiligung der Professoren ein. "Man muß mit ihnen reden."
    Wer Donata Reinecke als zielstrebige "Karriere frau" einstufen wollte, würde ihr nicht gerecht. Für die Sozialdemokratin steht die Politik nicht im Mittelpunkt — "und sie darf vor allem nicht die Lebensfreude verderben". So reist sie gern, hört häufig Musik und liest viel, vor allem Belletristik. Ich habe immer ein Buch in der Handtasche." Und wenn man sie fragt, was sie am meisten schätzt, kommt sogleich die Antwort: Aufrichtigkeit und Menschlichkeit. " Übrigens, alljährlich tanzt die Kölnerin in den Mai — "auch das gehört zur Menschlichkeit in der Politik".
    Jochen Jurettko
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

    ID: LI931049

  • Porträt der Woche: Vera Dedanwala (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 27.04.1993

    "Ich wollte mich politisch engagieren, um nicht mehr ohnmächtig dazustehen." Nach einem Schlüsselerlebnis faßte Vera Dedanwala 1971 den Entschluß, Mitglied der SPD zu werden. Fortan verfolgte sie zielstrebig eine politische Karriere bis hin zum Landtagsmandat im Jahr 1990.
    Gegen ihren eigenen Willen und den vieler Eltern war die damals einzige Hauptschulrektorin in Wuppertal zwangsversetzt worden. Notgedrungen mußte sie ihren Sessel in einer katholischen Schule räumen. Von diesem Zeitpunkt beschloß sie, nun die politischen Geschicke selbst mitzubestimmen. Elf Jahre lang engagierte sich die 49jährige als Ratsfrau in ihrer Heimatstadt Wuppertal. Zuerst war sie in Bezirksvertretungen tätig, dann war sie unter anderem Vorsitzende des Schulausschusses und stellvertretende Vorsitzende des Jugendwohlfahrtsausschusses. Elf Jahre lang war Vera Dedanwala aktiv in der Kommunalpolitik beschäftigt. Dann erkannte sie, welche Fesseln den Kommunen durch die Gesetzgebung des Landes angelegt werden. Die Vorstellung, auf der nächsthöheren Ebene etwas bewegen zu können, faszinierte die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern derart, daß sie für den Landtag kandidierte.
    Ich habe aber nie den Bezug zur Kommunalpolitik verloren", sagt die Pädagogin, die ihren zweiten Beruf anfangs als Hobby betrieben hat. "Wer in die Politik geht, sollte zuvor einen anderen Beruf ausgeübt haben", meint sie. Das gewährleiste eine gewisse Unabhängigkeit — auch bei der Meinungsbildung und -äußerung. "Notfalls kann man in den alten Bereich zurückgehen."
    So kann auch Vera Dedanwala auf dem politischen Parkett selbstbewußt ihre eigene Linie vertreten. Beispielsweise stand sie im Gegensatz zu manchen Parteikollegen den Petersberger Asylbeschlüssen positiv gegenüber. Das Ziel der gebürtigen Radevormwalderin in der Politik: "Bewußt konkrete Situationen verbessern."
    "Wenn ich zum Beispiel über die Belange einer Berufsgruppe zu entscheiden habe, muß ich auch wissen, wie deren Alltag aussieht", beschreibt Vera Dedanwala ihre Vorstellung von politischer Arbeit. Die aktive Abgeordnete ist unter anderem Mitglied im Innenausschuß und im Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Landtag. Vor diesem Hintergrund verschaffte sich die Politikerin während der Diskussion über die Pflegeversicherung beispielsweise selbst ein Bild vor Ort und arbeitete 14 Tage als Hilfskraft im Pflegeschichtdienst in einem Krankenhaus. Als es um das Kienbaum-Gutachten für die Polizei in Nordrhein-Westfalen ging, schob sie Dienst bei einer Polizeistation. Und zuletzt blickte sie hinter die Kulissen eines Sozialamtes, um die Probleme bei Asylfragen zu durchleuchten. Demnächst will sie in einem Waisenhaus arbeiten, um zu sehen, "wie die Wirklichkeit aussieht".
    Einen engen Kontakt pflegt Vera Dedanwala deshalb auch zu den Betrieben in ihrem Wahlkreis Wuppertal IV. Zur Debatte über eine allgemeine Politik- und Parteienverdrossenheit meint die stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende der SPD Wuppertal: "Ich glaube, es wird im Moment einfach lieber über die Politik geschimpft. Wir brauchen aber wieder das aktive Mitwirken der Bürger im Staat." Die Bevölkerung sei in ihrer Eigen Verantwortung gefragt. Dieses Stück Selbstverantwortung in vielen Lebensbereichen könne der Staat dem Einzelnen nicht abnehmen. Allerdings trage die Diskussion über verschiedene Untersuchungsausschüsse gegen Minister nicht zur Akzeptanz von Politik bei. Selbstverständlich müssen nach Ansicht von Vera Dedanwala mögliche Unregelmäßigkeiten in der Politik geklärt werden, "aber auf sachlicher Ebene". Das Thema Politik bestimmt auch im Privatleben der Abgeordneten, für die ein Achtstundentag ein Fremdwort ist, viele Gespräche mit den beiden Töchtern. Diese sind ebenfalls Mitglieder der SPD, "sehen dies durchaus aber auch kritisch".
    Wichtig ist auch für Vera Dedanwala, daß die Grundlinie innerhalb einer Partei stimmt, "dann kann man sie akzeptieren". Die Frauen im Landtag sind ihrer Meinung nach durch alle Parteien hinweg sehr tüchtig, engagieren sich auf einer breiten Ebene in allen Bereichen. Fehlt der SPD- Abgeordneten ein Thema, das im "Tagesgeschäft" vielleicht zu kurz kommt? "Die soziale Absicherung im Alter ist vielleicht ein Thema, mit dem man sich einmal konkreter beschäftigen müßte." Eine Problematik, die Vera Dedanwala ebenfalls durch ihre Arbeit nicht fremd ist. Denn nach wie vor ist sie noch Bürgerschaftsvertreterin im Klinikausschuß der Stadt Wuppertal. Darüber hinaus ist die Lehrerin für Geschichte und Mathematik Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Sozialdemokraten im Bildungsbereich. Ihre Erfolgserlebnisse in der Politik? "Solche, die man greifen kann. Das ist das Wichtigste."
    Andrea C. Stockhausen
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI930761

  • Porträt der Woche: Ludgerus Hovest (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 4 - 09.03.1993

    Sie sind ihm nicht "in den Schoß gefallen" — die Ämter in der Partei und die Mandate im Parlament hat Ludgerus Hovest meistens erst nach demokratischem Wettbewerb mit Konkurrenten erhalten. Dieses meist erfolgreiche Durchsetzen gegenüber den Mitkandidaten dürfte zum Selbstbewußtsein des heute 42jährigen Sozialdemokraten zweifellos beigetragen haben. Es ermöglicht dem Weseler Landtagsabgeordneten auch, politische Fragen undogmatisch einzuschätzen und zu beurteilen.
    In Münster geboren, absolvierte Ludgerus Hovest eine Lehre als Chemielaborant an der dortigen Universität. Anschließend folgten der Besuch der Chemotechniker- Fachschule in Mülheim und eine mehrjährige Berufstätigkeit in einem Bielefelder mittelständischen Unternehmen. Schon während der Lehre knüpfte er Kontakte zu den Gewerkschaften, später engagierte er sich als Betriebsrat für die Belange der Arbeitnehmer. Mit den Gewerkschaften schon früh verbunden, bedurfte es dann 1973 auch keiner großen Überlegungen, das Angebot der IG Chemie-Papier- Keramik zu bejahen und deren Gewerkschaftssekretär zu werden. Nach seinem Einzug in das Düsseldorfer Landesparlament vor fast acht Jahren mußte er allerdings seine Tätigkeit einschränken.
    Bereits mit zwanzig Jahren trat Ludgerus Hovest der SPD bei, wohl beeinflußt durch die damaligen "68er"-Ereignisse, wie er sich heute erinnert. Er engagierte sich zunächst bei den Jungsozialisten, wurde Orts- und später Unterbezirksvorsitzender. Nach einer beruflichen Zwischenstation in Bayern (.da war es schwer, als Preuße politisch mitzuarbeiten") wurde der heutige Weseler SPD-Stadtverbandsvorsitzende 1984 in das Kommunalparlament der niederrheinischen Stadt gewählt. Als Stadtverordneter setzte er sich erfolgreich für den Erhalt des im Zusammenhang mit der damaligen Kommunalreform bedrohten Jugendamtes in Wesel ein, und auch an der Errichtung der lange umstrittenen Gesamtschule hatte er einen großen Anteil. Seit 1989 Fraktionsvorsitzender, ist die Wirtschaftsförderung nach wie vor ein Schwerpunkt seines kommunalen Wirkens. Der Gewerkschaftssekretär sieht realistisch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zahlreiche gleiche Interessen: .Die Gewerkschaften müssen daran interessiert sein, daß die Wirtschaft floriert, dann geht es auch ihnen gut."
    Der Einzug in den Landtag 1985 schaffte der Sozialdemokrat entgegen allen Prognosen. Der Wahlkreis 63, Wesel II, galt als eine CDU-Domäne und wurde vom früheren Bürgermeister Detert repräsentiert. "Der Andrang meiner Parteifreunde, gegen ihn zu kandidieren, war verständlicherweise nicht groß." Und als Ludgerus Hovest in die "Wahlkampf-Arena" stieg, glaubte er nicht, sie als "Sieger" zu verlassen — "das war für mich mehr eine langfristige Zielplanung". Um so größer war am Wahlabend die Überraschung. Fünf Jahre später, 1990, wurde er mit deutlichem vorsprung wiedergewählt.
    Inzwischen gehört der Abgeordnete dem Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Umweltausschuß an. Sein Hauptanliegen ist es jedoch, beide Mandate, das des Stadtverordneten und das des Wahlkreis-Landtagsabgeordneten, so zu nutzen, daß für die Gemeinden und deren Bewohner "was rumkommt". So sieht sich der Weseler insbesondere als Mittler und Fürsprecher des heimischen Raums bei den Ministerien und Landesbehörden, ob es um die Modernisierung eines Krankenhauses oder die Förderung von Städtebaumaßnahmen geht. Die "Profilierung" am Rednerpult des Plenarsaals ist für ihn nicht erstrebenswert.
    Ungeachtet dessen gibt es für den Abgeordneten in beiden Landtagsausschüssen wichtige Betätigungsbereiche als Gewerkschaftler. So wirbt er bei der anstehenden Novellierung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes insbesondere für klarere Regelungen beim Anspruch auf einen Bildungsurlaub auch der Arbeitnehmer in kleineren Betrieben. Derzeit müssen diese Arbeitnehmer nach seiner Einschätzung viel persönlichen Mut haben, solchen Urlaub zu beantragen. Im Umweltausschuß zählt er zu den Verfechtern des Einklangs zwischen Ökologie und Ökonomie. Die Gesetze sollten praktikabel sein und dürften im Ergebnis nicht zur Folge haben, daß "wir schließlich unsere Betriebe dichtmachen müssen".
    Der Weseler gehört zu jenen wenigen Parlamentariern, für die die Politik "nicht alles ist". So hat sich der Tennisspieler und Briefmarkensammler Ludgerus Hovest nach seinen Worten "viel Freiräume" erhalten für Familie und Hobby: "Ich sag' auch mal einen Termin ab." Anderen Parlamentariern sollte der Niederrheiner ein Beispiel sein.
    Jochen Jurettko
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI930461

  • Porträt der Woche: Herbert Heidtmann (SPD).
    Porträt
    S. 31 in Ausgabe 3 - 16.02.1993

    Karrierepläne in Hinblick auf einen Ministerposten oder auch "nur" einen Vorsitz in einem der Fachausschüsse hatte Herbert Heidtmann nie. Für den 65jährigen ist klar, daß er mit Ende der Legislaturperiode nicht erneut für den Landtag kandidieren will. So habe er sich beim allgemeinen Postengeschacher Unabhängigkeit bewahrt und sich auf seine sachliche Arbeit in Schul- und Landwirtschaftsbereich konzentrieren können.
    1928 im Kreis Oberberg geboren, 30 Jahre Kommunalpolitik im Kreis Oberberg, Landtagsabgeordneter für den Kreis Oberberg: Das zeigt Beständigkeit und Heimatverbundenheit. Auch Solidarität und Treue, Pflichtbewußtsein und Ordnung zählen zu den Lebensprinzipien des SPD-Abgeordneten. Sie leiten sich ab aus dem Elternhaus und auch aus der Zeit, in der er aufwuchs.
    Unter der "Last der frühen Geburt" hat Herbert Heidtmann nach eigenen Angaben lange gelitten. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe er von den ungeheuerlichen Nazi-Verbrechen erfahren. Daraufhin beschäftigte er sich intensiv mit der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus.
    Nach dem Germanistik- und Geographiestudium in Köln wurde Heidtmann 1958 Gymnasiallehrer in Bergneustadt und 1969 Leiter des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums in Wiehl. "Der Name Bonhoeffer war und ist für mich Programm", betont der ehemalige Oberstudiendirektor. Dessen persönliches Engagement aus einem christlichen Weltbild heraus und der bedingungslose Widerstand gegen das Unrecht faszinieren den Politiker Heidtmann. Für den Lehrer Heidtmann war es persönliches Anliegen, seine Schüler "für die Demokratie zu begeistern".
    Zum politischen Idol wurde für den SPD- Abgeordneten Willy Brandt. .Da öffnete sich etwas in die Zukunft hinein", erinnert sich Heidtmann im Rückblick auf Brandts Kanzlerjahre mit leuchtenden Augen. Jene Euphorie und Politiklust seien bereits während der Schmidt-Ära auf Sach fragen verengt worden. Unter solchen strategischen Zwängen leide die SPD bis heute.
    Zur aktiven Politik kam Heidtmann Anfang der 60er Jahre, als er die Leitung der Volkshochschule in Bergneustadt übernahm. Angeregt durch beruflich bedingte Kontakte mit Kommunalpolitikern trat er 1963 in die SPD ein und ging ein Jahr später in den Stadtrat. Eine 20jährige kommunalpolitische Karriere in Bergneustadt über den Ortsvereinsvorstand, Fraktionsvorsitz im Rat bis hin zum Bürgermeister verhalfen ihm dazu, daß er nach einer Kampfabstimmung gegen einen innerparteilichen Mitkonkurrenten 1985 über das Direktmandat im Wahlkreis Oberberg-Süd in den Landtag einzog. Das gute Wahlergebnis betrachtet er im nachhinein als .Wiedergutmachung der Bevölkerung", die ihn 1984 als Bürgermeister nicht wiedergewählt hatte.
    Im Schulausschuß wurde der Abgeordnete schnell damit konfrontiert, daß die Zeit für große Reformen wegen der knappen Finanzen bereits der Vergangenheit angehörte. "Im Grunde wird nur noch an Bestehendem festgehalten", stellt Heidtmann heute ohne Illusion fest. Die Gesamtschule hält der einstige Gymnasialleiter für die "Schule der Republik": Sie sei "die der Demokratie angemessenste Schulform". Generell würden die "ideologiebefrachteten Debatten" über die gesamte Schulreform aber mehr frustrieren als konstruktive Lösungen versprechen. An der Kritik des Kultusministeriums will er sich nicht beteiligen. Loyalität und Treue zur Partei und Fraktion gehören für Herbert Heidtmann zu den Grundprinzipien seiner politischen Arbeit.
    Neben der Schule hat sich der Abgeordnete auch der Sorgen der Bauern angenommen. Um auch im Landwirtschaftsausschuß selbsterlebte Erfahrungen einbringen zu können, arbeitete er auch schon einmal auf einem Bauernhof als "Knecht". Das Bauernsterben, wie es der Bergneustädter auch in seinem Wahlkreis beobachtet, würde auch Kulturlandschaft zerstören. Ein enges Verhältnis zur Natur macht Heidtmann indes zum Gegner von Massentierhaltung sowie von übermäßigem Chemieeinsatz oder auch gentechnologischen Versuchen in der Landwirtschaft.
    Als engagierter Befürworter regenerativer Energien sieht er sich in vielen programmatischen Fragen den Grünen nahe; an ihnen kritisiert er allerdings, daß sie "immer alles sofort durchsetzen wollen". Unter Kollegen gilt Heidtmann generell eher als abwägend und vorsichtig, aber auch als freundlich und meistens gut gelaunt.
    Generell zeigt sich der SPD-Abgeordnete in seiner Einstellung zu den Oppositionsparteien als typisches Mitglied einer langjährigen Mehrheitsfraktion. "Die Opposition hat inhaltlich nichts zu bieten; sie hat keine Konzepte, mit denen man etwas anfangen könne" ist für Heidtmann das Resümee seiner bisherigen Landtagsarbeit. Die laufenden Untersuchungsausschüsse seien reine "Schmutzkampagnen", die politisch "nichts bringen" würden.
    Persönlich engagiert sich Heidtmann im Düsseldorfer Parlament ganz besonders für die Integration behinderter Kinder in den normalen Schulbetrieb. Ein entsprechender Antrag aus dem Juli 1991 trägt im wesentlichen seine Handschrift. Mit Stolz verweist er darauf, daß sich seitdem die Situation behinderter Kinder im Lande verbessert hat. Schon allein deswegen habe sich für ihn die Arbeit im Landtag gelohnt.
    Richard Hofer

    ID: LI930381

  • Porträt der Woche: Jürgen Jentsch (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 15.12.1992

    Er zählt zu jener Generation, deren Kindheit die Kriegs- und Nachkriegszeit entscheidend beeinflußt und geprägt haben: Schon als Vierjähriger verlor Jürgen Jentsch seinen Vater an der Front, als Achtjähriger wurden er und seine Mutter von den Polen aus dem heimatlichen Stettin vertrieben. Über Notunterkünfte in Schleswig kamen sie schließlich nach Gütersloh, wo der heutige Parlamentarier die Schlosserlehre absolvierte. 25 Jahre lang war dann Jürgen Jentsch in seinem Beruf tätig, bis ihn 1980 die Gewerkschaft zum Sekretär für den großräumigen DGB- Bezirk Paderborn berief. Schon als Handwerker war das damalige Betriebsratsmitglied übrigens der IG Metall beigetreten; später bekleidete er zahlreiche Ehrenämter im DGB, so gehörte er u.a. dem Bundeshandwerksausschuß der Gewerkschaften an.
    Der frühe Eintritt in die Gewerkschaftsbewegung und seine politische Heimat, die SPD, sind keine Zufälle. Sein Großvater, der den im Krieg gefallenen Vater "ersetzte", war Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Neben seiner vielfältigen Gewerkschaftsarbeit widmet sich Jürgen Jentsch bis heute noch insbesondere Jugendproblemen. Nachdem er 1975 in den Gütersloher Stadtrat gewählt worden war, engagierte sich der Sozialdemokrat für die sogenannten freien Jugendgruppen. Als heutiger Landesvorsitzender der "Aktion Jugendschutz e.V.", der vor allem beratend und informativ wirkt, wird er mit vielen Problemen konfrontiert. Als aktuelle sind die zunehmenden Gewaltdarstellungen in den elektronischen Medien und der teilweise noch tabuisierte sexuelle Mißbrauch von Kindern zu nennen. Schließlich rückt die Gewalt in den Schulen in die öffentliche Aufmerksamkeit.
    Der Sozialdemokrat kam 1985 sozusagen "über Nacht", wie er sich heute erinnert, in den Düsseldorfer Landtag. Als Kandidat des Wahlkreises 103, Gütersloh II, hatten weder er noch seine Familie und Parteifreunde damit gerechnet, die jahrzehntelange Domäne der CDU für Sozialdemokraten zu erobern. "Meiner Familie und mir brachte die Wahlnacht die größte Überraschung." Fünf Jahre später, 1990, fiel der Wahlkreis wieder der SPD zu. Heute gehört Jürgen Jentsch dem Ausschuß für Innere Verwaltung, Ausschuß für Kinder, Jugend und Familie sowie als stellvertretendes Mitglied dem Umweltausschuß an. Im letzteren Parlamentsgremium gilt er als engagierter Verfechter alternativer Energien. So bedauert er es, daß der Staat deren Entwicklung in der Vergangenheit kaum gefördert, sondern vernachlässigt habe. Noch als seine Partei der Kernenergie eher wohlwollend gegenüberstand, war er bereits ein entschiedener Gegner des Atomstroms. Der Partei voraus war der Sozialdemokrat auch in einem anderen Bereich. In einer Zeit, wo der Individualverkehr noch den absoluten Vorrang hatte, machte sich Jürgen Jentsch bereits für den öffentlichen Personennahverkehr stark.
    So mag es auch nicht mehr überraschen, daß der Gütersloher sich als einer der ersten "männlichen" Parlamentarier für die Gleichberechtigung einsetzte und dem Landtagsausschuß für Frauenpolitik seit seiner Gründung angehört. Heute zählt er zu den wenigen Männern in diesem Gremium und wird von den Kolleginnen längst akzeptiert. "Wir haben ein sehr partnerschaftliches Verhältnis." Der Mitinitiator des Frauenförderungsgesetzes ist zuversichtlich, daß es die verfassungsrechtliche Hürde in Karlsruhe nehmen wird. Während sich die Gleichberechtigung in den öffentlichen Verwaltungen allmählich durchsetze, gebe es noch große Schwierigkeiten in den Privatunternehmen und auch im gesellschaftlichen Bereich, urteilt der Abgeordnete. Die Zugehörigkeit zum Ausschuß ist für ihn im übrigen auch ein persönlicher Gewinn. "Man bekommt eine aufgeschlossenere Denkweise und sieht schärfer die mannigfaltigen Benachteiligungen des anderen Geschlechts."
    Mit der parlamentarischen Tätigkeit im Landtag und Stadtrat ist das Wirken des Gütersloher Abgeordneten jedoch noch nicht erschöpft. So ist Jürgen Jentsch Kreisvorsitzender des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der Arbeiterwohlfahrt, ist Unterbezirkschef der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, und er gehört schließlich dem Hauptausschuß des Deutschen Jugendherbergswerkes an. In all diesen Gremien versucht er praxisorientierte Anregungen zu geben und etwas zu bewegen. Kein Wunder, daß für den heute 53jährigen frühere Hobbys, wie Briefmarken und Schmalfilm, "ruhen müssen". Die notwendige Entspannung holt er sich zu Hause, bei Ehefrau Elisabeth und Sohn Sören.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI922134

  • Porträt der Woche: Reinhold Trinius (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 19 - 17.11.1992

    Reinhold Trinius ist keiner von denen, die mit dem verletzenden Wort schnell bei der Hand sind. Er wirkt eher bedächtig denn als temperamentvolk Aber bei "erkennbarer Ungerechtigkeit" und bei "Verstoß gegen die Fairneß-Regeln", da rastet er schon mal aus. Das war zuletzt der Fall, als der Düsseldorfer Landtag über den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß debattierte, dem Trinius angehört.
    Da hatte der 58jährige Sozialdemokrat, gelernter Studienrat mit den Fächern Geschichte und Deutsch, die Opposition, deren Angriffe auf die Landesregierung er für "unanständig" hält, mit einer nordrheinwestfälischen Variante der berühmten Rede des Marc Anton aus Shakespeares "Cäsar" attackiert und ironisch ihre Wortführer als "ehrenwerte Männer" bezeichnet, um dann vom "Fangschuß" zu reden, den Brutus und seine Komplizen Cäsar beigebracht hätten. Diese eher feine, aber nicht näher erläuterte Anspielung auf den CDU-Abgeordneten und Hobbyjäger Schauerte, der im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuß davon gesprochen hatte, nun werde er Finanzminister Schleußer den "Fangschuß" geben, geriet CDU und F.D.P. nur zur Belustigung. Schließlich wurde, wie überliefert ist, Cäsar erdolcht. Die in den Augen von Trinius mit dem Wort "Fangschuß" ausgedrückte "ungeheuerliche Menschenverachtung" verkehrte sich damit in Schenkelklopfen über einen wohl ungebildeten, tölpelhaften Menschen.
    Daß Trinius eher das Gegenteil ist, ficht niemand an. Der gebürtige Sachsen- Anhaltiner studierte nach seiner Flucht 1953 aus der damaligen DDR in Münster und Tübingen, engagierte sich früh in der evangelischen Kirche, für die er nach dem Examen in der außerschulischen Bildung tätig war. Und er blieb immer ein Grenzgänger, einer, der die Spaltung Deutschlands am eigenen Leib erlebt hatte, aber nicht hinnehmen wollte.
    Am besten sah er seine Vorstellungen in der SPD aufgehoben, der Trinius 1961 beitrat. Dafür waren vor allem Persönlichkeiten wie Kurt Schumacher, Ernst Reuter und Willy Brandt Vorbild. Ihre deutschlandpolitischen Reden seien für ihn prägend, sagt er. Er selbst, von Ost nach West gewandert, glaubte bis zum Mauerbau, daß die Spaltung bald vorbei sei. Die Jahrzehnte später erst mögliche Deutsche Einheit war denn auch für ihn ein tiefes, bewegendes Ereignis.
    Freunde haben ihn bewegen wollen, in seine alte Heimat zurückzukehren. Aber er hat sich anders entschieden, vor allem weil er seinen Platz als Politiker hier gefunden hat — eine Rolle, die ihn in den Stand setzt, an der Verbesserung der Verhältnisse in Ostdeutschland an entscheidender Stelle mitzuwirken. Im Landtag gehört Reinhold Trinius dem Haushalts- und Finanzausschuß an, einem der wichtigsten parlamentarischen Gremien. In der SPD- Fraktion ist er einer der stellvertretenden Vorsitzenden.
    Erste politische Erfahrungen sammelte Trinius als Kommunalpolitiker im Ostwestfälischen. Dorthin, ins heutige Porte Westfalica, war er nach seinem Studium verschlagen worden. Lange Jahre gehörte er dem Gemeinderat an, ehe er sich ganz seiner Arbeit in Düsseldorf widmete. Dorthin wird er seit 1970 regelmäßig mit klaren Mehrheiten gewählt. Trinius ist Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, von amnesty international, des Vorstands der Evangelischen Pflegeanstalt Wittekindshof und von Haus Neuland.
    Der Kettenraucher filterloser Zigaretten, verheiratet, Vater von drei Kindern, wirbt unter dem Aspekt der Stabilisierung Ostdeutschlands dafür, die jungen, noch nicht gefestigten Demokratien in Osteuropa massiv zu unterstützen. "Wir brauchen einen Marshallplan für Osteuropa", verlangt er. Entscheidende Aufgabe der Politik heute müsse es sein, daß die Wirtschaft dort erfolgreich und sozial, aber nicht in Form eines Beutezuges Fuß fassen könne, "sonst werden die jungen Demokratien brüchig".
    Was die Finanzen in Deutschland und speziell in NRW angeht, müsse entschieden gespart werden, sagt der Experte Trinius. Aber Sparen allein reiche wohl nicht, wenn allein NRW im nächsten Jahr mit einem Minus von vier Milliarden Mark rechnen müsse. Wenn die Einnahmeseite nicht verbessert werde, "gefährden wir die Demokratie von unten her", befürchtet er. Mithin brauchten die Länder eigene Einnahmequellen, also so etwas wie Ländersteuern. Und nötig sei auch ein Haushaltssicherungsgesetz bei Bund und Ländern. Trinius ist entschlossen, auch 1995 wieder für den Landtag zu kandidieren. Um sich dafür fitzuhalten, liest er viel und wandert. Vor allem im Harz, der wie er selbst die deutsche Teilung und ihre Aufhebung symbolisiert.
    Bernd Kleffner

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921957

  • Porträt der Woche: Horst Radtke (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 16 - 06.10.1992

    Der Gesprächspartner spürt Horst Radtkes Engagement, wenn dieser — fern jeden Eiferertums — Sätze spricht wie diese: "Ich bin ein fürchterlicher Gegner von Altenheimen, von 'normalen' Altenheimen. Denn dort werden dem Menschen die alltäglichen Funktionen abgenommen, das Essenkochen, das Putzen, das Waschen. Diese Tätigkeiten werden im Altenheim ersetzt und mit Sozialhilfe bezahlt — ein völliger Wahnsinn."
    Beim Thema Altenpolitik wird deutlich, daß der SPD-Landtagsabgeordnete Radtke (50) ein sozialpolitischer Profi ist: 1969 hat er bei der Arbeiterwohlfahrt in seiner Geburtsstadt Essen als Sozialarbeiter begonnen, bereits fünf Jahre später wurde er deren Geschäftsführer. Heute hat die AWo Essen in über 80 Einrichtungen 830 hauptamtliche und 2500 ehrenamtliche Mitarbeiter. Er war bereits Vorsitzender des Sozialausschusses des Rates der Stadt Essen gewesen, als er 1985 erstmals in den Landtag gewählt wurde. Auch hier bringt er seine sozialpolitischen Erfahrungen ein, als Mitglied der Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie für Kinder, Jugend und Familie.
    Wenn keine Altenheime mehr, was dann? Radtke erläutert seine Vorstellungen an Essener Beispielen: Das Land sollte vordringlich den Bau von Altenwohnungen fördern, alte Menschen würden dann aus ihren größeren Wohnungen ausziehen. Für die Altenwohnungen sei ein Betreuungskonzept erforderlich: Neben dem flächendeckenden Netz von Sozialstationen gehörten dazu ambulante Dienste wie Rollende Küche. Fußpflegestationen, Altenbegegnungsangebote und soziale Hilfsdienste. Nicht ohne Selbstbewußtsein berichtet er von diesem in Essen verwirklichten AWo-Projekt »Betreutes Wohnen für Senioren", das er als beispielhaft bezeichnet: Der alte Mensch wohnt in einem Appartement, in das er seine Möbel mitbringen kann, nur die Küche ist eingerichtet. Die AWo gewährt acht Pflegetage pro Jahr und sorgt für das Putzen der Fenster. Für jeden Bewohner obligatorisch ist ein Notruf, der schnelle Hilfe garantiert. Zusätzlich zahlen muß der Bewohner für alle weiteren Leistungen.
    Aus Radtkes Sicht sollten alle herkömmlichen Altenheime durch solche Wohnformen ersetzt werden. Die Essener AWo strebe an, alle Altenheimplätze in Pflegeplätze umzuwandeln. Hier sei der Bedarf sehr groß. So verfüge die AWo in Essen nur über 750 Heim- und Pflegeplätze, es gebe aber 1600 wartende auf Pflegeplätze. Ohne jegliches Pathos stellt er fest, "daß ich mit dafür gesorgt habe, daß Alten heimbetten in NRW nicht mehr gefördert werden". Der Bedarf an Pflegeplätzen werde weiter steigen, denn die Menschen werden "immer älter, immer kränker, immer pflegebedürftiger". Nüchtern stellt er fest: "Schon jetzt sind 60 Prozent der Heimbewohner bei der AWo Essen geistig verwirrt." Für verwirrte Senioren fordert er ein besonderes Konzept zur Unterbringung, denn heute wohnten sie noch "mit allen Gefährdungen" in Heimen. Zur Zeit baue die AWo in Essen ein Modellhaus für die Unterbringung von Schwerstverwirrten. Schon während seiner Ausbildung zum technischen Zeichner entdeckte Radtke sein Interesse an sozialer Arbeit, nachdem er erste Erfahrungen etwa bei den Falken oder als Erzieher in einem Kinderheim gesammelt hatte. Er nahm eine zweite Ausbildung in Angriff, die er schließlich mit dem "Diplom-Sozialarbeiter" abschloß. Er war Gründer des "Vereins für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten". Durch intensive Sozialarbeit trug er dazu bei, daß in Essen im Laufe der Jahre die meisten Obdachlosen-Unterkünfte geschlossen werden konnten: Die Zahl der Obdachlosen ging von 12000 auf 900 zurück.
    "Ich bin kein Ideologe, sondern immer ein Pragmatiker gewesen", stellt Radtke, der seit 30 Jahren Sozialdemokrat ist, lapidar fest. So hält er es auch nicht für "unbedingt schlimm", daß die Arbeit im Landtag seine berufliche Tätigkeit ergänzt: "Das wollte ich auch so. Ich glaube schon, daß die praktischen Erfahrungen aus jahrelanger Sozialarbeit mir in der Arbeit hier helfen." Dies gelte nicht nur für die Altenpolitik. So hat er sich für mehr Hilfskräfte in den Kindergärten eingesetzt und hält in der Drogenpolitik Methadon dann für unverzichtbar, wenn Menschen sonst ohne Perspektive sind. Gleichzeitig benötige Nordrheinwestfalen aber dringend erheblich mehr Therapieplätze. Horst Radtke, Vater eines erwachsenen Sohnes, ist als Briefmarkensammler Mitglied eines entsprechenden Vereins, reist gerne und hält seine Eindrücke auf Video fest.
    Ludger Audick

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921646

  • Porträt der Woche: Lothar Niggeloh (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 22.09.1992

    "Lothar, halt dich raus aus der Politik!" Diesen nachdrücklichen Rat seines Großvaters hat er schließlich doch nicht beachtet, aber bis heute hat er es nicht bereut. Erst mit 40 Jahren unterschrieb Lothar Niggeloh einen Aufnahmeantrag der SPD und gab dem jahrelangen Drängeln der Gevelsberger Genossen nach. Gern hätten sie den gelernten Maschinenschlosser und aktiven Gewerkschafter schon früher in ihren Reihen gesehen. Das soziale Engagement gehört in der Familie Niggeloh quasi zur Erbmasse, immerhin waren vor Lothar bereits der Großvater und der Vater Betriebsratsvorsitzende. Von ihnen fühlt sich der Sozialdemokrat wesentlich geprägt, als seine politischen Vorbilder nennt er Willy Brandt und Herbert Wehner. Daß sich der Vater von drei Kindern parteipolitisch engagierte, um die "Interessen der kleinen Leute" zu vertreten, lag trotz der obengenannten Warnung nahe. Trotzdem hätte er es sich nicht träumen lassen, zehn Jahre nach diesem Schritt bereits im Landtag zu sitzen. Ganz zufällig war es aber wohl doch nicht: Kurz nach dem Parteieintritt übernahm er schon Vorstandsfunktionen und wurde nach der Kommunalwahl 1984 Ratsmitglied in Gevelsberg. Gegen drei Mitkonkurrenten konnte er sich dann bei der parteiinternen Auswahl für die Landtagswahl 1990 durchsetzen und vertritt nun zum ersten Mal den Wahlkreis 151 (Ennepe-Ruhr I) im Landesparlament.
    Die Umstellung von der Kommunal- auf die Landespolitik fiel dem Neuling nicht ganz leicht. "Es dauert, bis man den Durchblick hat", resümiert er die ersten zwei Jahre. Konkrete Ergebnisse ließen in der Regel länger auf sich warten als bei Auseinandersetzungen im Betrieb. Doch mittlerweile und dank der Hilfe erfahrener Hasen aus der Fraktion, findet sich der Gevelsberger zurecht.
    Gern wäre er in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales gegangen, um seine Kenntnisse und Erfahrungen einzubringen — doch da waren die SPD-Plätze schon "besetzt". Auch dies eine neue Erfahrung für einen der letzten "Malocher" in der SPD-Fraktion, die den direkten Weg aus dem Betrieb ins Parlament gefunden haben.
    Nun ist er Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuß und im Ausschuß "Mensch und Technik". Besonders die Arbeit im zweiten macht ihm Spaß, immerhin ist dies ein "Querschnittsausschuß", dessen Aufgaben in viele Politikbereiche hineinreichen. Das ist nicht immer ganz problemlos, und auch die Akzeptanz bei den Mitgliedern anderer Ausschüsse könnte noch besser sein.
    Dabei hat dieser in deutschen Landesparlamenten bislang einzigartige Ausschuß auch für Lothar Niggeloh eine Perspektive, die für die gesellschaftliche Entwicklung der Zukunft entscheidend sei. "Die Gestaltung der Technik muß sich nach den Bedürfnissen der Menschen orientieren", sagt der Praktiker aus Gevelsberg, sonst sinke die Akzeptanz bei den Arbeitnehmern. Und deshalb mache diese Art von Technikentwicklung und -einsatz auch ökonomisch Sinn. Vordringlich sei z.B. eine rasche Verbesserung des Arbeitsschutzes mit Hilfe neuer Technik. Einige Nachbarländer sähen mit ihren Standards da wesentlich besser aus als die Bundesrepublik.
    Für den Gewerkschafter ist die Auseinandersetzung mit konkreten sozialen Problemen der einzige Weg, um eine "Verfestigung der Rechtsradikalen in der politischen Landschaft" zu vermeiden. Bei diesem Thema ist er empfindlich, verständlicherweise: sein Großvater hat im KZ gesessen. So war es für ihn keine Frage, daß er bei der Demonstration gegen eine Veranstaltung der DVU in Schwelm vor einiger Zeit in der ersten Reihe marschierte.
    Als einen Grund für den Zuwachs der Rechtsextremen sieht Niggeloh den Umgang der Parteien miteinander. Auch im Düsseldorfer Landtag ziele der Stil der Auseinandersetzung oft unter die Gürtellinie. Die Bevölkerung quittiere diese Entwicklung mit zunehmender Abkehr von den etablierten Parteien. Die Alternative sei nicht ein "Schmusekurs" der großen Parteien, sondern eine klare, aber faire Darstellung der eigenen Positionen und der Unterschiede zu den anderen. Und mit Hinweis auf die Debatte über eine Modernisierung der SPD meint Niggeloh, vor allem die SPD dürfe nie vergessen, "wo sie herkomme". Wer angesichts einer Zwei- Drittel-Gesellschaft davon rede, die soziale Frage sei gelöst, der berinde sich nach dem Scheitern des "realen Sozialismus" zwar voll im Trend, mit der Wirklichkeit habe das aber wenig zu tun.
    Ralf Kapschack

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921535

  • Porträt der Woche: Gabriela Gorcitza (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 14 - 15.09.1992

    Sie sieht sich nicht als Frauenrechtlerin, und sie ist erst recht keine "Emanze", mit natürlichem Charme und viel Engagement setzte sich Gabriele Gorcitza schon immer für die Schwächeren in der Gesellschaft ein, für die, "die sich nicht wehren können", und sie bricht auch eine Lanze für "ihr" Geschlecht. Denn Frauen gehen nach ihrer Einschätzung alle Politikbereiche "praktischer" an, "sie sagen in drei Sätzen, worauf es ankommt, während Männer dafür ein ganzes Referat benötigen". Als Grund für diesen auffälligen Unterschied nennt die SPD-Landtagsabgeordnete den Zwang der meisten Frauen zum "Organisieren". Viele seien berufstätig, hätten Kinder und einen Haushalt. Die Mutter des 14jährigen Boris spricht aus Erfahrung. Die gebürtige Hernerin, Jahrgang 1952, absolvierte nach Besuch des Gymnasiums die kaufmännische Lehre im Baubereich und wurde später Betriebswirtin. Schon während der Schulzeit, dann auch in den Ausbildungsjahren, engagierte sie sich als Jugendsprecherin der IG Metall für jene, die der Hilfe ihrer Mitmenschen bedürfen. Aus einem liberalen Elternhaus stammend, kam sie vor allem aufgrund ihrer Gewerkschaftstätigkeit in die Nähe zur Sozialdemokratie. Allerdings trat Gabriele Gorcitza der Partei erst 1976 bei, weil, wie sie feststellte, "man als Wähler allein nicht viel ändern kann". Inzwischen ist sie schon seit acht Jahren Vorsitzende des Ortsvereins Herne Alt und gehört auch dem Führungsgremium des mitgliederstarken Unterbezirkes an.
    Mit der Wahl 1984 in den Stadtrat erwarb die Sozialdemokratin ihre kommunalpolitischen Erfahrungen. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit waren der Umweltschutz und die Jugendhilfe. Als sie dann 1990 als direkt gewählte Kandidatin im Wahlkreis Herne I mit 64,6 Prozent der Stimmen in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog, verzichtete sie auf die weitere Ausübung des kommunalen Mandates. Auf Anhieb in den SPD-Fraktionsvorstand berufen, engagiert sie sich heute im Ausschuß für Umweltschutz und Raumordnung sowie im Petitionsausschuß. Die Hernerin beschäftigt vor allem die Abfallproblematik, die alle Bürger fordere, zur Reduzierung des Mülls beizutragen. Dabei stellt sie nicht zuletzt bei ihrem Sohn fest, daß die Jugendlichen auf diesem Gebiet meistens aufgeklärter seien als die Erwachsenen. "Sie denken bereits an die Zukunft unserer Erde." Zu dieser Einstellung trage nach ihren Feststellungen die Schule bei, wo im Unterricht oft darüber geredet werde, "wie man im Alltag praktischen Umweltschutz betreiben kann".
    Der Landtagsabgeordneten, die in ihrem Wahlkreis regelmäßig Bürgerstunden abhält, ist die Zugehörigkeit zum Petitionsausschuß nicht nur ein "persönlicher Gewinn". Die Möglichkeit, Menschen in diesem Parlamentsgremium direkt helfen zu können, ist für sie um so bedeutsamer, weil man auf diesem Wege auch zum Abbau der allgemeinen Parteienverdrossenheit beitragen könne. "Die Leute merken dann schnell, daß man nicht .abgehobene', sondern praktische Politik macht." So ist die Parlamentarierin auch eine rege Besucherin von Vereinen und Organisationen, denen sie erläutert, "was in Düsseldorf beschlossen wird".
    Wie für die meisten "Neulinge" bedeutete auch für Gabriele Gorcitza der Wechsel von der "überschaubaren" Herner Ratszur 121 Mitglieder zählenden Landtagsfraktion eine große Umstellung. Und dann ist noch das Düsseldorfer Mammut-Parlamentsgebäude, das ohnehin das gegenseitige Kennenlernen erschwert. "Wenn man da drinnen sitzt, fühlt man sich 'abgenabelt' von zu Hause", meinte die Abgeordnete.
    Die neue parlamentarische Herausforderung drängt private Neigungen derzeit in den Hintergrund, doch würde es dem aufgeschlossenen Wesen der Parlamentarierin nicht entsprechen, sich nur noch auf die Politik zu konzentrieren. Konnte die Hernerin schon ihren "Traumberuf" nicht realisieren — Archäologin zu werden —, so liest sie heute mit großer Wißbegierde die entsprechende Fachliteratur und besucht archäologische Museen. Dort und auch in Kunstausstellungen könnte sie sich tagelang aufhalten. Eine Frau, die nicht nur Sprosse um Sprosse auf der Karriereleiter nach oben strebt. Auch dieser Wesenszug macht die Abgeordnete sympathisch.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921476

  • Porträt der Woche: Gisela Meyer-Schiffer (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 12 - 30.06.1992

    Nein, als "Quotenfrau" fühle sie sich nicht, meint die junge Abgeordnete aus Duisburg. Aber sicherlich seien ihr die Diskussion in der SPD und der Quotenbeschluß zugute gekommen, als sie sich im dritten Wahlgang überraschend gegen die männliche Konkurrenz bei der Nominierung für die Landtagswahl 1990 durchsetzen konnte.
    Das sozialdemokratische Elternhaus hat das politische Engagement von Gisela Meyer-Schiffer wesentlich beeinflußt. Mit 16 trat sie bereits in die SPD ein, engagierte sich bei den Jungsozialisten, im Ortsverein und bei den SPD-Frauen. Heute ist sie Vorsitzende der Duisburger AsF und stellvertretende Unterbezirksvorsitzende der SPD. Mitte dreißig und fast zwanzig Jahre Parteiarbeit, da kennt man den Laden und auch seine wunden Punkte. So macht sich die gelernte Historikerin Gedanken darüber, ob Politik noch richtig "angeboten "wird, wie man vor allem junge Leute für die Mitarbeit in einer Partei gewinnen kann, um die drohende Überalterung der SPD in den Griff zu bekommen. Die Idee, etwa bei Wahlen Listenplätze für junge Leute vorzuhalten, hält sie zumindest für überlegenswert. Untersuchungen belegten, daß junge Leute wieder verstärkt Interesse an der Kommunalpolitik hätten. Daraus müsse die Partei Konsequenzen ziehen und zum Beispiel Mandate auch denen anbieten, die nicht schon 25 Jahre dabei seien. Parteiveranstaltungen müßten dringend den Charakter des "Rituals nur für Eingeweihte" verlieren, um auch "normale Bürger" neugierig auf Politik zu machen. ,Wir müssen auf die Leute zugehen, denn sie kommen nicht mehr zu uns."
    Entscheidend sind für sie Offenheit und, wo nötig, auch das Eingeständnis eigener Schwächen und Fehler. "Es ist schlimm, wenn wir so tun, als hätten wir für alles fertige Konzepte."
    Die Erfahrung, daß diese Einstellung angreifbar macht, mußte sie auch im Parlament rasch machen. Vertrauliche Gespräche mit Kollegen aus anderen Fraktionen blieben nicht vertraulich und wurden für die parteipolitische Auseinandersetzung ausgenutzt.
    Trotzdem würde sie den Schritt in den Landtag wieder tun. Anfangs habe sie wie viele Neulinge ein Ohnmachtsgefühl gegenüber den Ministerien gehabt, gegenüber den absoluten Fachleuten aus dem Regierungsapparat. Der Rat von Kollegen, sich thematisch zu konzentrieren, habe geholfen. Haushalts- und Finanzpolitik und die Schulpolitik sind jetzt ihre Schwerpunkte.
    Ihre erste Rede im Parlament hielt sie dann auch zu einem schulpolitischen Thema. Das ganze Wochenende habe sie sich darauf vorbereitet, doch in der kurzen Redezeit konnte sie nur wenig von dem sagen, was sie eigentlich zu sagen hatte. Und sie erinnert sich daran, daß Herbert Reul sie mit einem Zwischenruf fast aus dem Konzept gebracht hätte. Mittlerweile nutze sie selbst dieses Instrument der parlamentarischen Debatte, und sie hat Spaß daran. Freude macht ihr die Arbeit im Landesparlament vor allem dann, wenn in Entscheidungen der Arbeitskreise und der Fraktion kommunale Interessen berücksichtigt werden. Die enge Verbundenheit mit der Kommunalpolitik ist für Gisela Meyer-Schiffer nach wie vor ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer politischen Arbeit. Als Mitglied des Duisburger Schulausschusses etwa weiß sie unmittelbar, wie sich landespolitische Entscheidungen vor Ort auswirken.
    Die Situation vor Ort, in Duisburg, war für sie auch ein Grund, sich für das Ausländerwahlrecht einzusetzen. "Der Umgang mit den ausländischen Mitbürgern gebietet einfach dieses Recht." Das hat der jungen Sozialdemokratin selbst in der eigenen Partei nicht nur Freunde gemacht. Die Erfahrung, daß in großen Veranstaltungen kaum jemand bereit ist, sich für ausländische Mitbürger stark zu machen, hat sie ernüchtert. Trotzdem ist sie von ihrem Weg überzeugt. Die kritische Grundeinstellung verdanke sie ihrem Vater, den die Nazis als Kommunalbeamten aus dem Dienst jagten, und dessen Familie fast vollständig im KZ Buchenwald umgekommen sei. Er habe ihr die Demokratie als unschätzbaren Wert und die Vorsicht vor allzu leichter Zustimmung zu offiziellen Leitbildern beigebracht.
    Ihren Mann hat Gisela Meyer-Schiffer übrigens, wie könnte es anders sein, bei der politischen Arbeit kennengelernt. Kinder sind nicht da, doch mit diesem Thema sei sie noch nicht fertig, meint sie augenzwinkernd. Eine schwierige Entscheidung — denn ein Leben ohne Politik könne sie sich nicht vorstellen. Das nimmt man ihr ohne Zögern ab.
    Ralf Kapschack

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921268

  • Porträt der Woche: Walter Grevener (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 8 - 05.05.1992

    Im Grundsatz würde sich Walter Grevener am wohlsten fühlen, wenn jeder Haushalt — auch der öffentliche — ohne Kredite auskäme. Und daher ist der SPD-Landtagsabgeordnete aus dem rheinischen Velbert "höchst unzufrieden" über die weiter wachsende Schuldenlast des Bundes, der Länder und Kommunen. Sie sei nach seiner Einschätzung unverantwortlich. "Der private Haushalt verhält sich im allgemeinen anders, er gibt nicht mehr aus, als er hat."
    In diesem Zusammenhang bedauert es der Sozialdemokrat, daß die NRW-Landesregierung mit ihrem Vorstoß im Finanzausschuß des Bundesrates keinen Erfolg hatte, die Obergrenze für Kredite einzugrenzen. Da der Bund und die anderen Länder zu dieser Eingrenzung nicht bereit gewesen seien, müsse Nordrhein-Westfalen notgedrungen in diesem apolitischen Konzert das gleiche Instrument" spielen, wolle es sich nicht selbst zur Erfüllung seiner öffentlichen Dienstleistungen die Finanzierungsmöglichkeit über den Kreditmarkt nehmen.
    Der langjährige Dozent am Studieninstitut für kommunale Verwaltung und an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung mit Schwerpunkt Haushalts- und Finanzrecht ist ein Experte im Finanzbereich —und auch ein "Mann der Praxis". Im sauerländischen Letmathe 1930 geboren und in Hohenlimburg aufgewachsen, absolvierte Walter Grevener nach Besuch der Volks-, Berufs- und Verwaltungsschule die Verwaltungsakademie mit dem Abschluß Kommunal-Diplom. Als späterer Kämmerer und Stadtdirektor von Langenberg im Rheinland (mit 35 Jahren!) war er stets darauf bedacht, daß nur volkswirtschaftlich vertretbare Kredite aufgenommen wurden. "Dort, wo künftig auch laufende Einnahmen zu erwarten sind."
    Als 1975 im Rahmen der kommunalen Neugliederung die Stadt Langenberg ihre Selbständigkeit und der Sozialdemokrat seinen Wirkungsbereich als Stadtdirektor verlor, verstärkte er seine Dozententätigkeit. Doch schon wenige Jahre später, 1979, nahm Walter Grevener wieder am kommunalen Geschehen aktiv teil: Er wurde in den Rat der Stadt Velbert gewählt. Seit der letzten Kommunalwahl 1989 ist er auch Vorsitzender der SPD- Ratsfraktion. Bereits zweimal holte der Velberter den Landtagswahlkreis Mettmann IV mit weit über fünfzig Prozent der Wählerstimmen für seine Partei. In der laufenden Legislaturperiode berief ihn die Fraktion in den Ausschuß für Haushaltskontrolle, den Kommunalpolitischen Ausschuß sowie den Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz.
    Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen schätzt auch Walter Grevener im Kommunalpolitischen Ausschuß die Möglichkeiten eines engen Kontaktes mit den Städten und Gemeinden. Sein Anliegen ist es, die Gesetzesfesseln der Kommunen zu lockern. Sie müßten einen stärkeren eigenen Gestaltungsspielraum haben. So erinnert der Kommunalexperte daran, daß die Gemeinden sich beispielsweise schon für die Kindergärten engagiert hätten, als es noch kein Kindertagesstättengesetz gegeben habe. "Wir brauchen keine totale Gleichheit der Kommunen, beispielsweise im kulturellen Bereich."
    Für Walter Grevener, dessen Vater auch Sozialdemokrat war und dem bei einem politischen Strafverfahren die Einweisung in ein Konzentrationslager drohte, war es eine Selbstverständlichkeit, in frühen Jahren auch dieser Partei beizutreten. Seitdem engagiert er sich in zahlreichen Funktionen, so im Vorstand des Ortsvereins und Unterbezirks für die Partei. In diesen Ämtern wie auch als Stadtverordneter und Landtagsabgeordneter sucht der Sozialdemokrat den Kontakt zum Bürger. In der politischen Alltagsroutine dürfe man den "Einzelfall" nicht vergessen. "Ein Bürger, der in Not ist und Hilfe braucht, kann von einem Abgeordneten erwarten, daß er auch Samstag oder Sonntag für ihn da ist." Mit einem gewissen Stolz erwähnt der Velberter seine drei Söhne, die nach dem Studium alle in der Wirtschaft ein berufliches Betätigungsfeld fanden. Früher aktiver Feldhandballspieler, findet Walter Grevener heute beim Tennis einen Ausgleich zum Polit-Streß. Bei seinen zahlreichen privaten Reisen interessieren ihn besonders die Kulturen anderer Länder. Zweifellos zählt der Sozialdemokrat zu jenen Parlamentariern, die mit einer Portion gesundem Selbstbewußtsein sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

    ID: LI920838

  • Porträt der Woche: Birgit Fischer (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 18.02.1992

    Wenn eine Frau Routinearbeit macht, die zu leisten bislang Männern vorbehalten schien, dann wird das meistens mit öffentlichem Erstaunen registriert und mit Verblüffung kommentiert. Birgit Fischer ist eine dieser Frauen, denen es gelungen ist, in eine Männerdomäne einzubrechen. Aber das natürlich (!), nicht ohne männliche Hilfe. Den "Job" (Fischer) der Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion hätte sie schwerlich bekommen, wenn sie nicht von Fraktionschef Friedhelm Farthmann vorgeschlagen worden wäre.
    Die 38jährige, erst seit Mai 1990 Landtagsabgeordnete und nun unverhofft nach dem bei seiner fälligen Wiederwahl gescheiterten Gerhard Wendzinski, die einzige Frau in deutschen Parlamenten in einem solchen Amt, sieht sich prompt einer Fülle kritischer Fragen ausgesetzt: Ob denn überhaupt eine Frau eine solche Funktion, die Härte verlange, wahrnehmen könne; ob sie einen Apparat von 35 hauptamtlichen Mitarbeitern, der den 121 Abgeordneten zuarbeitet, dirigieren und motivieren könne; ob sie denn im notwendigen Zusammenspiel mit den anderen Fraktionsgeschäftsführern nicht untergebuttert werde; ob sie denn genügend Autorität habe, die SPD-Abgeordneten, deren Abstimmungsdisziplin Farthmann Sorgen macht, in die Pflicht zu nehmen? Die Frau aus Bochum, wo sie bis zu ihrer Wahl in den Landtag Gleichstellungsbeauftragte war, formuliert selbst dieses Problem, ist aber selbstbewußt genug, die Herausforderung anzunehmen. .Bei einer Frau denkt jeder: Schafft sie das? Aber ich hätte es nicht gemacht, wenn ich mir das nicht zutraute." .Organisieren", sagt die gelernte Diplompädagogin über sich selbst, könne sie .gut".
    Seit dem 10. Dezember 1991 ist Birgit Fischer im Amt. Damals folgten 72 von 113 anwesenden SPD-Abgeordneten dem Fachmann-Vorschlag. 30 stimmten gegen sie, elf enthielten sich ihrer Stimme. Von Mitarbeitern erhielt sie zur Begrüßung ein provokantes Geschenk: einen großen Hampelmann, die Geschäftsordnung des Düsseldorfer Landesparlaments in der Hand. Das hat sie, wie die nicht gerade große Zustimmung ihrer Fraktionskollegen, als Aufforderung begriffen, nicht als Spott. Denn eine fremdgesteuerte, fremdbewegte, marionettenhafte Polit-Managerin will sie nicht sein. Sie versteht sich nicht nur als Organisatorin, sondern will auch politisch-inhaltlich Einfluß nehmen.
    Das könnte ein bißchen zuviel sein. Denn Birgit Fischer weiß auch, daß sie ein .konfliktreiches Amt" hat. Da werden Versuche, sich selbst zu profilieren, von anderen nicht gerne gesehen. Und doch reizt sie das. Denn als diskussionsfreudige Linke in der SPD hat sie längst ausgemacht, daß .zuviel auf Konsens hinausläuft". Obwohl doch, aus ihrer Sicht, für die Politikfähigkeit ihrer Partei eine .interne Streitkultur nützlich" sei.
    Eine Frau mit Machtgelüsten? Noch scheint sie diese Frage sozusagen von außen anzugehen. Sich noch nicht bewußt, daß sie spätestens seit dem Tag ihrer Wahl mit dabei ist, Macht auszuüben. Sie fragt sich, wie sie an den Schaltstellen, auf die sie nun Zugriff hat, handeln könne — und möchte doch immer noch eher analysieren, "wie die politischen Entscheidungsprozesse ablaufen", an denen sie selbst nun intensiv beteiligt ist. Diese Neugier brachte Birgit Fischer 1981 zu den Sozialdemokraten. Damals, sie war Fachbereichsleiterin für Gesellschaft, Politik, Kultur und berufliche Bildung an der Volkshochschule im sauerländischen Werdohl, forderten sie die .Formation und Verkrustungen" heraus, in denen sich ihr die örtlichen politischen Strukturen darstellten. So erscheint der Parteieintritt wie der Versuch, einem anziehenden, anheimelnden Geheimnis auf die Spur zu kommen. Dieselbe distanzierte Nähe hat sie heute zu ihrem neuen Amt.
    Natürlich weiß sie, daß der größte Teil ihrer Arbeit öffentlich unsichtbar bleibt, weil er Organisatorisches betrifft. Und andersherum gilt, daß eine hinter den Kulissen reibungslos gemanagte Fraktion in ihrer "Außenwirkung" (Fischer) gut ankommt. Und das ist es, worum es auch geht. Denn davon profitieren beide.
    Einem Polit-Profi wie Friedhelm Farthmann ging es aber nicht nur darum, als er sie nominierte und durchsetzte. Der Fraktionschef, dem manche despektierlichen Sprüche über Frauen im allgemeinen und in der (SPD-) Politik im besonderen nachgesagt werden, machte mit der Fischer-Wahl nicht nur den (erfolgreichen?) Versuch, sich von seinem Ruf zu befreien. Der 61 jährige Farthmann, wegen seiner robust vorgetragenen Forderung, einige Minister im Kabinett Rau müßten durch jüngere ersetzt werden, konnte zugleich demonstrieren, daß er es mit dem Generationswechsel ernst meint. Die Analytikerin Birgit Fischer, mit einem Betriebswirt verheiratet, Mutter eines achtjährigen Sohnes, weiß um ihre doppelte Symbolbedeutung. Noch sagt sie, ihr sei .klar, daß ich in diesem Job Gefahr laufe, mich zwischen sämtliche Stühle zu setzen". Und sie weiß auch, daß sie .viel Gespür und Diplomatie" brauchen wird, um die allerorts aufgestellten Fettnäpfchen zu umlaufen. Aber sie könnte auch eine neue Perspektive der politischen Kultur eröffnen.
    Bernd Kleffner

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche"ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920366

  • Porträt der Woche: Günter Weber (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 28.01.1992

    Er ist ein Sozialdemokrat mit Tradition und Bodenhaftung, den das Ruhrgebietsmilieu und die Nachkriegsjahre geprägt haben — Günter Weber aus Mülheim an der Ruhr. Sein Großvater war Bergmann, sein Vater und er selbst wuchsen auf in der Bergarbeitersiedlung "Mausegattstraße" im Ortsteil Heißen. Und zur Tradition dieser Arbeiterfamilie gehörte es auch, sich politisch zu engagieren. So schloß sich Günter Weber, Jahrgang 1935, zunächst den "Falken" an und trat dann als 21 jähriger der SPD bei. Daß er einmal Bürgermeister seiner Heimatstadt werden und auch in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen würde, als damaliger Schlosserlehrling hätte er diesen späteren Lebensweg nicht für möglich gehalten.
    Sein gewinnendes offenes Wesen wie sein Gespür für die Sorgen der Mitbürger dürften dem auch heute noch tätigen Sachbearbeiter in der Entwicklungsabteilung bei Siemens/KWU Turbo-Generatoren-Fertigung diesen erfolgreichen Weg in Beruf und Politik geebnet haben. Als er 1964 mit 29 Jahren erstmals in den Rat gewählt wurde, war er damals der "Benjamin" unter den Parlamentskollegen, und als Günter Weber 1990 aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Partei von Kommunal- und Landtagsmandat aus dem Mülheimer Stadtrat schied, war er nach neuneinhalb Jahren der bislang am längsten amtierende Bürgermeister von Mülheim. Übrigens, Bürgernähe praktizierte der Sozialdemokrat neben dem Ratsamt auch eine Zeitlang als Bezirksvertreter und -Vorsteher. Und es entspricht den gemeinsamen Interessen im Hause Weber, daß sich um diesen Bereich heute seine Frau kümmert.
    Die Stadtentwicklung, und hier insbesondere der öffentliche Nahverkehr, war sein kommunalpolitisches Hauptbetätigungsfeld. Als Vorsitzender der U-Bahn-Kommission und Mülheimer Vertreter im Aufsichtsrat der Stadtbahn-Gesellschaft war der notorische Fußgänger ein engagierter Anwalt der Interessen der Bürger, die nicht zum Heer der Autofahrer zählen und deswegen ein leistungsfähiges Netz des öffentlichen Personennahverkehrs zu schätzen wissen. Für seine erfolgreiche Tätigkeit in den kommunalen Gremien wurde der Mülheimer mit dem Ehrenring seiner Heimatstadt ausgezeichnet.
    Auch heute, als Mitglied des Verkehrsausschusses und des Ausschusses "Mensch und Technik", engagiert er siec im Düsseldorfer Landtag für dieses Anliegen. "Wir müssen das Zulaufen der Städte mit Autos in den Griff bekommen", betont der Abgeordnete. Allerdings hält er nicht viel von generellen Lösungen für die Städte. Was beispielsweise für Düsseldorf richtig sei, müsse noch lange nicht für Mülheim beispielhaft sein. Der "Nicht-Führerschein- Besitzer" (!) plädiert für mehr Fußgängerzonen, Geh- und Fahrradwege. Seinem auf Ausgleich bedachten Wesen würde es jedoch widersprechen, das Auto zu "verdammen". Das Kraftfahrzeug sei vor allem in den Außenbezirken der Städte und in den ländlichen Regionen ein notwendiges Fortbewegungsmittel. "Wir müssen die Mobilität erhalten, aber zu viel Mobilität macht sie wieder kaputt."
    Nach fast 26jähriger Ratstätigkeit wechselte der Sozialdemokrat 1990 in den nordrhein-westfälischen Landtag, um auch die »grauen Zellen" wieder zu aktivieren. "Irgendwann hat man nämlich das Gefühl, es wiederholt sich alles, es wird zu Routine." Doch seine tiefe Verwurzelung mit der Heimatstadt und seinen Mitbürgern ist geblieben. Und wenn Günter Weber seine Bürgerstunden abhält, sind es vor allem kommunale Fragen, die an ihn herangetragen werden. Viele Alltagsprobleme lernt er ohnehin in eigener Berührung kennen, wenn er durch die Stadt radelt und auf die Menschen zugeht. Im Landtag hat sich der kontaktfreudige Abgeordnete schnell heimisch gefühlt, und er pflegt auch Verbindungen zu Parlamentariern der anderen Fraktionen. Was dem Mülheimer allerdings nicht gefällt, ist der nach seiner Einschätzung oft "rüde Ton" bei den parlamentarischen Auseinandersetzungen.
    Von geselliger Natur und kunstbeflissen, gehört Günter Weber einer Weinbruderschaft an und ist ein oft gesehener Besucher von Konzerten und Opern sowie ein eifriger Sammler von Bildern heimischer Künstler. Im Urlaub zieht es ihn insbesondere in die nordischen Länder. Für den Sozialdemokraten ist die Politik eben nicht einziger Lebensinhalt. Und das ist gut so. Jochen Jurettko (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist der Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920227

  • Porträt der Woche: Professor Dr. Friedheim Farthmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 21 - 20.12.1991

    Die Sprache der Diplomaten, das Einpacken harter Sachen in Watte, das nichtssagende Geplauder oder das bewußt unscharfe Formulieren bei der Beschreibung durchaus ernstgemeinter und unverrückbarer Positionen sind seine Sache nicht: Friedhelm Farthmann sagt klar, verständlich für alle, die hören können und wollen, was er denkt und manchmal sogar, was er empfindet, wenn er von irgend etwas angerührt worden ist. Daß solches Verhalten nicht gerade ein Existenzbeweis für die stromlinienförmige, jede Ecke und Kante zudeckende Hülle des modernen Allerweltspolitikers ist, versteht sich von selbst. Aber so einer will er auch gar nicht sein. Dabei weiß er ganz genau, daß ihm die "Lust an provokativen Formulierungen", wie er selbst es nennt, schon "allzu oft Im Wege gestanden hat".
    Aber immer, wenn viele ihm schon prophezeiten, daß dieser oder jener Ausrutscher wohl das nahe Ende der Karriere bedeuten könnte, kam es doch ganz anders. Die Freunde, die Farthmann hat, sorgten dann mit ihrem Einfluß und ihrem Stimmverhalten dafür, daß es ganz anders kam, als die Unkenrufer vorausgesagt hatten. Jüngstes Beispiel: Farthmanns Wiederwahl zum Vorsitzenden der SPD-Mehrheitsfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, und dies für den Rest der Legislaturperiode bis 1995. Nicht nur die Wiederwahl allein war es, die überzeugte, sondern vor allem das Ergebnis. Nur ganze 13 Neinstimmen mußte der alte und neue Fraktionsvorsitzende hinnehmen. Wer also aus dem Schweigen der Fraktion anläßlich des Rau-Tadels für Farthmanns "Pensionärsliste" den voreiligen Schluß zog, jetzt hätten auch die Freunde in der Fraktion von ihm genug, muß sich revidieren.
    Daß Farthmann sich nicht schont und nicht schon vor jedem Satz, den er aussprechen will, überlegt, wie das wohl bei diesen oder jenen ankommen könnte, Ist ja nicht erst seit seinen jüngsten Interview-Äußerungen bekannt. Als in den 70er Jahren auf einem SPD-Landesparteitag in Münster der damalige Juso-Vorsitzende Wilhelm Vollmann den Ministerpräsidenten Heinz Kühn in rüdem Ton, den Sachverhalt souverän ignorierend, angriff, blieb die ganze SPD-Vorstandsriege auf dem Podium stumm. Keiner meldete sich zu Wort, offenbar wollte es niemand mit dem damals wesentlich stärker und einflußreicher als heute daherkommenden Parteinachwuchs verderben. Nach peinlichen Schweigeminuten meldete sich Farthmann, als Delegierter im Saal sitzend, zu Wort. Und dann bekam es Vollmann von dem empörten Farthmann knüppeldick. Was die Jusos über die Abfuhr für ihren Boß dachten, scherte Farthmann nicht Im geringsten. Eine Belohnung bekam der "Kumpel und Professor" (Kühn über Farthmann) von Kühn dafür nicht; er hat sie auch gar nicht erwartet. Als Farthmann unlängst mit seinen Interview-Äußerungen über eine Kabinettsumbildung Furore machte und den Vorwurf anhören mußte, er rede die Partei krank, kam das, was sein eigentliches Anliegen war, wie er versichert. In der Diskussion viel zu kurz. Ganz schuldlos daran war er zweifellos nicht; er hätte wissen müssen, daß Namen Nachrichten sind, die zu Spekulationen Anlaß geben und alles andere in den Hintergrund drängen können. Was ihn wirklich umtreibt, so sagt er, ist die Sorge, ob die SPD In allen Bereichen so gerüstet ist, daß sie 1995 in Nordrhein-Westfalen zum vierten Mal die absolute Mehrheit erringen kann. Im Programmatischen und In der Struktur der Partei sieht Farthmann Schwächen, die er abgestellt wissen möchte. Er selbst will als Fraktionsvorsitzender alles tun, daß er ein "ordentliches Erbe" hinterläßt, wenn 1995 ein anderer an seine Stelle treten sollte.
    Die "Zeit der großen Weichenstellungen" in der Politik ist vorbei, so sieht es Farthmann. Diese großen Weichenstellungen sind für Ihn die Entscheidung der Bundesrepublik für den Westen, die Marktwirtschaft und die Öffnung nach Osten. Diese "großflächige Politik" ist gestaltet. Jetzt stehen nicht die "qualitativen, sondern die quantitativen" Problemlösungen an. Dazu gehört Unpopuläres wie Emotionales. Das Unpopuläre ist mit materiellen Opfern für Landsleute und Nachbarn umschrieben, das Emotionale mit .Heimat in Europa'. Farthmann ist davon ebenso wie Rau überzeugt, daß gerade in einem immer mehr politische Gestalt annehmenden vereinten Europa die 'Region' als engere Heimat Bedeutung gewinnt. Mit ihr könnten sich die Menschen identifizieren, zu ihr hätten sie die gefühlsmäßige Bindung.
    Nach Farthmann hat die SPD weit und breit keinen besseren Mann als Rau, wenn es um die "Menschlichkeit in der Politik" geht. Wie kein anderer könne Rau die Wähler ansprechen, weil er auf ihre Akzeptanz für seine Politik Rücksicht nehme. Aber in der SPD sieht der Fraktionsvorsitzende Defizite. Ihre Struktur hindere die Partei oft daran, rechtzeitig zu erfahren, was die Bürger wirklich wollen. Meinungsumfragen seien ein nur unzureichender Ersatz für das direkte Gespräch. Diese Defizite müßten aufgearbeitet werden, und nicht nur in Vorwahlzeiten müsse man auf den Bürger unmittelbar zugehen, um neben "Gefiltertem und Hochgerechnetem" Klartext zu bekommen.
    Ist ein Mann, den solche Probleme neben der Alltagsarbeit als Fraktionschef beschäftigen, zufrieden mit dem, was er geworden ist? "Uneingeschränkt ja", lautet die Antwort. Nein, eine Karriere als Hochschullehrer hat den Honorarprofessor der Freien Universität Berlin nicht gereizt. Die Mutter, Gattin eines Lehrers in Farthmanns Geburtsort Bad Oeynhausen, habe gehofft, daß es "der Junge doch wenigstens zum Inspektor" brächte. Nun, es reichte zum Göttinger Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften, zum Universitätsassistenten in Heidelberg, Geschäftsführer des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zum Mitglied des Deutschen Bundestages, zum Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen und schließlich zum Fraktionsvorsitzenden im Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. "Voll zufrieden" ist der 61jährige mit dem, was er geworden Ist. Und nur noch eine Leidenschaft hat er neben der Politik, die Jagd. Ihr gehört die karge Freizeit.
    Karl Lohaus

    ID: LI912151

  • Porträt der Woche: Manfred Bruckschen (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 03.12.1991

    Der Mann ist eine Berühmtheit. Sein Name ist jenseits der Grenzen von Nordrhein-Westfalen geläufiger als der der meisten Minister im Kabinett Rau. Man kennt ihn weltweit. Im sowjetischen Fernsehen war er ebenso zu sehen wie auf den Mattscheiben in Frankreich oder in den USA: Und doch:. Manfred Bruckschen ist nur ein Hinterbankier im Düsseldorfer Landtag — wenn auch, wohl noch vor dem Dressurreiter Klimke, der bei der CDU nicht so recht aus dem Sattel kommt, der prominenteste.
    Den Ruhm hat er sich als Betriebsratsvorsitzender von Krupp in Duisburg-Rheinhausen erworben. Von seinen Kollegen bestärkt, manchmal auch gedrückt, hatte er hartnäckig und tapfer in der Sache, aber verbindlich in der Art, 1987/86 erfolgreich den Kampf der Rheinhausener Stahlkocher gegen die Stillegungspläne von Krupp'Chef Cromme organisiert, ohne ihn zu befehligen. So wurde der Name Bruckschen zu einem Synonym für gewerkschaftliche Gegenmacht gegen den blanken Marktkapitalismus.
    Der inzwischen 53jährige lebt von dieser Erinnerung, sie prägt sein politisches Bewußtsein. Und sie schmeichelt seinem Selbstbewußtsein. In jenen Kampftagen biederten sich ihm Deutschlands TV- und Pop-Lieblinge in Scharen an. Goetz George alias Kommissar Schimanski, der ihm am Tatort Duisburg manche fette Spende zukommen ließ, Katja Ebstein, der Ruhrbarde Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen, ARD-Moderator'Hans Joachim Friedrichs und viele andere. Sie alle hofierten ihn, manche schlössen mit ihm Freundschaft. Einer wie Bruckschen genießt das.
    Seine nahezu grenzenlose Popularität weiß er zu nutzen. "Ich kann anrufen, wen ich will,.die rufen alle zurück', sagt er stolz, Und derselbe Stolz ist herauszuhören, wenn er, nicht nur der Vollständigkeit seiner Erinnerungen halber, bemerkt, daß er im November 1997 länger als eine halbe Stunde auf einem Parteitag habe reden können /dürfen /wollen — vor den Delegierten der NRW-CDU, die In Duisburg tagten. Landeschef Norbert Blüm, der ihn geladen hatte, kam fast eine Stunde zu Spat. Ein solches Vorkommnis schildert der Sozialdemokrat und IG Metaller Manfred Bruckschen mit derselben unangestrengten Aufgeräumtheit wie seine Begegnungen mit führenden Politikern. Mit Kanzler Kohl etwa. Bruckschen ist davon überzeugt, daß die Kanzler- Runde über Hilfen für das Ruhrgebiet nie stattgefunden hätte, wenn es Rheinhausen nicht gegeben hatte. War nicht auch daran gedacht worden, ihn vor dem Bundestag reden zu lassen?
    Der Mann mit dem wohlgestutzten Vollbart und der großen Metallbrille, die ihm etwas Intellektuelles verleiht, was ganz und gar in Widerspruch zu seiner typischen Revier- Beredsamkeit steht, stammt aus einer sozialdemokratischen Familie. Seinen Vater warfen die Nazis ins KZ: Er hatte polnische und russische Zwangsarbeiter mit Essen versorgt. Sein Schwiegervater, auch ein "Roter", wurde 1935 von SS-Männern erschlagen. Das prägte und verlangte nach dem Krieg den demokratischen Neubeginn.
    Bruckschen trat 1955 als 17jähriger der SPD bei. Von 1956 bis 1963 war er Vorsitzender der Sozialistischen Jugend .Die Falken" in Rheinhausen, von 57 bis 77 Vorstandsmitglied der SPD im Ortsverein Rheinhausen, elf Jahre gehörte er dem Kreistag Moers an, zehn Jahre der Bezirksvertretung. 'Parallel dazu sein gewerkschaftliches Engagement: Nach Volksschule (1953) und Facharbeiterprüfung als Dreher (1956) zehn Jahre Krupp, seit 1966 Mitglied des Betriebsrates, seit 1984 als 1. Vorsitzender, jetzt 2. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates. Er trägt den Ehrenring der Stadt Duisburg.
    1987 — Bruckschen legt Wert darauf, daß es bereits im Februar war und nicht erst nach der Rheinhausen-Krise — meldete er seine Kandidatur für den Landtag an. Daß er sich schließlich gegen vier Mitbewerber durchsetzen konnte, hat natürlich mit dem Cromme-Coup und seinen Folgen zu tun. Jen würde lügen, wenn Ich behaupten wurde, der Arbeitskampf hat mir nicht geholfen", bekennt er ganz freimütig. Um gleich hinzufügen, daß sich .damals" viele um ihn rissen. Es habe sich »ganz gut gemacht für Politiker, sich mit dem Bruckschen fotografieren zu lassen", läßt er auf der Rechnung des gegenseitigen Nutzens quittieren.
    "Irgendwann ist der Arbeitskampf zu Ende", weiß Bruckschen. Dann müsse es auch ohne weitergehen. Und das heißt: .Ganz normal". Er mache seine Arbeit weiter. Er sitzt für die SPD im Wirtschaftsausschuß, in dem er Einfluß auf für das Land und die Region Duisburg wichtige Entscheidungen nehmen möchte. Da geht es immerhin um Kohle und Stahl. Weitergehende Ambitionen habe er nicht, sagt Bruckschen. Er wolle noch eine Legislaturperiode, also bis zum Jahr 2000, für seinen Duisburger Wahlkreis, den er 1990 mit über 57 Prozent der Stimmen holte, Im Landtag arbeiten. Und dann in den Ruhestand gehen. Solange aber will er auch noch als Betriebsrat und Gewerkschafter tätig sein. Und zwischendurch beim MSV Duisburg oder bei Schalke reinschauen, wenn er nicht auf dem Flugplatz ist, um seinem Hobby, der Segelfliegerei, zu frönen.
    Das ist aber Zukunftsmusik. Jetzt beschäftigt ihn, was Cromme — .Obwohl wir uns bekämpft haben bis aufs Messer, sind wir heute Freunde' — mit Krupp und Hoesch in Dortmund vorhat. Da steht die .Fusion im Raum". Die Betriebsräte von Krupp und Hoesch, versichert Bruckschen, werden sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.. Wir lassen da keinen Keil reintreiben", sagt er. Und erinnert daran, daß die vorhergegangenen Fusionen bei Krupp die Zahl der Arbeitsplätze um zwei Drittel auf 17000 verringert habe. Deshalb müsse in Sachen Krupp/Hoesch jetzt erst einmal ein Konzept auf den Tisch. Aber daß es ohne Arbeitsplatzverluste abgehen werde, glaubt auch der Optimist Bruckschen nicht.
    Bernd Kleffner

    (Das namentlich gekennzeichnete .Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI912068

  • Porträt der Woche: Hans-Dieter Moritz (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 19.11.1991

    Fine bürgernabe Politik mit Augenmaß zu machen, ist für Hans-Dieter Moritz der Leitfaden seines bislang fast drei Jahrzehnte langen Wirkens, ob in Gewerkschaft, Partei oder als Kommunalvertreter und Landtagsabgeordneter. Voraussetzung für ein solches Handeln ist für den Sozialdemokraten nicht nur der persönliche Kontakt zum Bürger, sind ferner die Verbindungen zu den örtlichen Vereinen und Verbänden. Zu dieser Bürgernähe gehört nach seiner Überzeugung auch, daß die Politiker sich erst vor Ort sachkundig machen, bevor sie im Parlament Entscheidungen treffen. So hat für den Neunkirchener die Landespolitik große Bedeutung, weil die im Düsseldorfer Parlament gefaßten Beschlüsse in der Regel erhebliche Auswirkungen auf die Kommunen und Kreise haben.
    Hans-Dieter Moritz, der aus einer Arbeiterfamilie stammt, wurde am 13. Januar 1940 im rheinland-pfälzischen Daaden geboren, berufsbedingt zogen seine Eltern bald nach dem siegerländischen Neunkirchen, wo er auch die Volksschule besuchte und später eine Bauschlosserlehre im Erzbergbau absolvierte, auf der Grube "Pfannenberger Einigkeit". Dort wählten die Lehrlinge den damals 16jährigen zu ihrem Jugendsprecher, anschließend übernahm er diese Aufgabe für den gesamten Konzern, die Erzbergbau Siegerland AG. Auf diesem Wege fand das heutige DGB- Kreisvorstandsmitglied schon in frühen Jahren Kontakt zur IG Bergbau und Energie, besuchte verschiedene Weiterbildungsseminare und Aufbaukurse und wurde anschließend Heimleiter der Gewerkschaft.
    Mit 21 Jahren trat der Neunkirchener der SPD bei, bereits zwei Jahre später wurde er Ortsvorsitzender — übrigens, bis zum heutigen Tage immer wiedergewählt. 1965 berief die Partei ihn auch zu ihrem Geschäftsführer in den Kreisen Olpe und Siegen-Wittgenstein. Mit dem Einzug in den Landtag 1985 mußte er sich von dieser hauptamtlichen Tätigkeit trennen. Wie viele seiner heutigen Parlamentskollegen ging Hans-Dieter Moritz zunächst aber durch die "kommunalpolitische Schule". Als 29jähriger wurde er in den Neunkirchener Gemeinderat gewählt, sogleich übernahm er den Vorsitz der dortigen SPD-Fraktion und wurde später stellvertretender Bürgermeister. Seit 1979 gehört der Sozialdemokrat auch dem Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein an, wo er dort die Fraktion führt.
    Sein Wirkungsbereich ist insbesondere die Verkehrspolitik. Erfolgreich setzte sich Hans-Dieter Moritz dafür ein, daß wichtige Ortsumgehungen in den Landesstraßenbedarfsplan aufgenommen wurden, und er engagiert sich heute im Kreistag für den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs. Dazu zählt für ihn ebenfalls der Ausbau der Ruhr-Sieg- sowie der Siegtal- Strecke der Bundesbahn. Das Schienenangebot müsse attraktiver werden, fordert der Politiker.
    Auch im Verkehrsausschuß des Landtages, dem er seit 1985 angehört, setzt sich der Siegerländer für den ÖPNV ein. So kann er es als ein persönliches Erfolgserlebnis werten, daß mit erheblichen Zuschüssen des Landes zum Jahresbeginn ein Pilotprojekt in der Region Siegen gestartet wurde, das Umwelt-Ticket. Dieses Programm, preisgünstige City-Karten von sechzig Mark für Einzelfahrgäste und von neunzig Mark für Familien, soll eine sinnvolle Ergänzung zum Individualverkehr bieten und damit ein "gesundes Miteinander" von privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen.
    Als Abgeordneter des waldreichsten Kreises in der Bundesrepublik gehört er auch dem Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz an. So initiierte der Sozialdemokrat 1989 eine Änderung des Landesforstgesetzes. Seitdem sind Kahlschläge auf mehr als drei Hektar zusammenhängender Waldflächen eines Besitzers innerhalb eines Jahres verboten. Die früheren teilweise massiven Abholzungen führten nicht nur zu nachhaltigen negativen Beeinträchtigungen der Ökologie und des Landschaftsbildes, auch die Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes für Mensch und Tier wurde gestört. Mit der damaligen Gesetzesnovelle habe man die große Mehrheit der Waldbesitzer, die vernünftig und verantwortungsbewußt handelt, nicht geschädigt, sondern geschützt, resümiert der Abgeordnete heute.
    Der große Aktionsradius des Vaters von zwei Jungen läßt in der knappen Freizeit kaum Raum für Hobbies. Das Hobby des SPD-Abgeordneten ist die Politik, die er engagiert und sachkundig betreibt.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911939

  • Porträt der Woche: Ernst Walsken (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 17 - 22.10.1991

    Wer das bisherige politische Wirken des Solinger Diplom-Verwaltungswirtes Ernst Walsken bilanziert, wird dem oft geäußerten öffentlichen Vorurteil, die Sozialdemokraten könnten "nicht mit Geld umgehen", widersprechen. Für den SPD-Landtagsabgeordneten war das Gebot zur strikten "Ausgabendisziplin" schon in der Vergangenheit keine Worthülse. Als neuer Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten — zusammen mit seinem Fraktionskollegen Bernhard Kasperek — dürfte er in diesem Bereich vor eine neue schwere Herausforderung gestellt werden. 1947 in Solingen geboren, besuchte Ernst Walsken nach der mittleren Reife die Höhere Handelsschule. Anschließend bei der Landesverwaltung tätig, wechselte er später zur SPD-Bundestagsfraktion und war dort einer der ersten Assistenten. Bereits mit 18 Jahren SPD-Mitglied, nahm er 1970 das Angebot des SPD-Bezirksverbandes Niederrhein an, dessen hauptamtlicher Geschäftsführer zu werden.
    Neben anderen ehrenamtlichen Funktionen in der Partei, war der Solinger auch zehn Jahre lang bis 1985 im Rat seiner Heimatstadt tätig. Die Wirtschaftsförderung war dabei der Schwerpunkt seines kommunalpolitischen Wirkens. Die SPD-Ratsfraktion wählte ihn zudem nach fünf Jahren zu ihrem Vorsitzenden. Mit den von ihm initiierten Forderungen an die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), .endlich etwas zu tun" für den Umweltschutz und auch aus der Kernenergie auszusteigen, machte die Stadt Solingen bundesweit Schlagzeilen.
    Mit knapp vierzig Jahren, wo es nach seinen Worten "sinnvoll ist, sieb einer anderen Aufgabe zuzuwenden", bewarb sich Ernst Walsken 1985 für ein Landtagsmandat. Mit absoluter Mehrheit holte er übrigens auch fünf Jahre später den Wahlkreis 38, Solingen I, für die Sozialdemokraten. Gleich nach seinem ersten Einzug in das Düsseldorfer Landesparlament wurde der Solinger von seiner Fraktion in den gewichtigen Haushalts- und Finanzausschuß berufen, in den "sehr exklusiven Kreis", wie er heute meint. Und nach Ernennung des damallgen SPD-Finanzexperten Heinz Schleußer zum Finanzminister im Mai 1988, übernahm er in seiner Fraktion Verantwortung für die Personaletats der Landesministerien. Die Spannungen zwischen den öffentlich Beschäftigten sowie deren Interessenverbänden und dem relativ engen finanziellen Handlungsspielraum des Landes waren vorprogrammiert.
    Unter dem Druck der gespannten Finanzlage drängt der Sozialdemokrat auf eine kritische Prüfung aller Landesaufgaben und erwartet von der im Finanzministerium eingesetzten Kommission "hilfreiche Erkenntnisse ". Man müsse sich von allen Aufgaben trennen, die nicht "originäre Landesaufgaben" seien, fordert Ernst Walsken. So sieht er nicht ein, daß beispielsweise die Polizei sich mit der Aufnahme von Verkehrsunfällen mit Sachschaden beschäftigt. Das sollten die Versicherungen übernehmen. Auch sollten die Sportvereine eigenständig die Verantwortung für die Ordnung in den Stadien tragen, und die Fluggastkontrolle sollte dem Staat nicht länger aufgebürdet werden. .Wenn wir nicht genügend Personal haben und zusätzliche Stellen nicht finanzieren können, sollten wir nicht so tun, als könnten wir uns alles leisten", betont der SPD-Parlamentarier folgerichtig.
    Auch als Mitglied eines weiteren Parlamentsgremiums, des Kulturausschusses, sieht er sich in seiner Verantwortung für den sparsamen Umgang mit Landesmitteln verpflichtet. Während viele seiner Kollegen vor allem Forderungen stellen, verlangt der Solinger, erst einmal stärker zu definieren, "was Landes- und was Kommunalaufgaben im Kulturbereich sind". Bei knapper Landeskasse könne man es sich nicht länger leisten, daß der Kulturetat als "verlängerter Finanzierungsarm" der Städte und Gemeinden angesehen wird. So plädiert er dafür, die Förderung der Bibliotheken und Musikschulen zwar generell nicht einzuschränken, sie aber stärker auf die "Landesinteressen" hin zu untersuchen. Nach seiner Auffassung sei es effektiver, wenn beispielsweise das Land alle paar Jahre eine neue Bücherei finanziert, nicht aber laufend geringe Unterhaltungskosten zahlt. "Das macht für die einzelnen Bibliotheken nicht viel aus, landesweit sind es aber mehrere Millionen Mark."
    Nicht zuletzt dieser verantwortungsbewußte wie kritische Umgang mit Geld dürfte SPD- Landeschef, Ministerpräsident Johannes Rau, bewogen haben, den Solinger Parteifreund als Landesgeschäftsführer zu berufen. Seine Marschroute verriet er bereits: "Sparen und trotzdem Politik vermitteln." Der Sozialdemokrat, verheiratet, hat über seinen Vater, der Maler ist, Zugang zu den bildenden Künsten erhalten. Eine inzwischen stattliche Sammlung von Bildern insbesondere junger Künstler bekundet seine Liebe zur Malerei. Auch greift er gern zu einem Buch, am liebsten zu historischen Werken oder modernen Romanen. Doch die Politik läßt nicht viel Zeit für entspannende Lektüre. "Das merke ich am schmerzlichsten", gesteht Ernst Walsken bedauernd.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911763

  • Porträt der Woche: Johannes Gorlas (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 16 - 08.10.1991

    Der familiäre Hintergrund hat Johannes Gorlas, der sich heute noch als einen Linken bezeichnet, den Eintritt in die SPD nicht leichtgemacht. 1957 wagte der damals 23jährige den Schritt, Vater und Mutter haben — so erinnert sich der Landtagsabgeordnete aus Essen heute — das aufs schärfste mißbilligt. Johannes Gorlas stammt aus einem, wie er sagt, "stockkatholischen" Elternhaus. Die ältere Schwester, die inzwischen verstorben ist, schlug politisch nicht so aus der Familien-Art, sie wurde CDU-Mitglied.
    Gorlas berichtet, wie der Pastor zu Hause von der Kanzel gewettert hat gegen die jungen "Heinemänner", die Gefolgsleute von Gustav Heinemann und dessen später mißglückten Versuch, mit der GVP zu reüssieren. Als Gorlas merkte, daß es mit der GVP in der deutschen Politik nichts mehr werden würde, ging er zu den Sozialdemokraten — mit linkskatholischen politischen Positionen, wie er hinzufügt.
    Auf die Frage, ob er sich damals eine Mitgliedschaft bei der CDU hätte vorstellen können, zögert er ein wenig, sagt dann klipp und klar: "Diese Frage hat sich für mich mit der Wiederaufrüstungspolitik erledigt." Für ihn sei die SPD nie die große "Vorzeigepartei" gewesen. Er verweist auf seiner Meinung nach kritikwürdige Punkte in der langen Geschichte der Partei. Daß man nach der Revolution 1918 auf die alte autoritäre Beamtenschaft gesetzt hat, das habe ihm nie gefallen. Gorlas hätte es lieber revolutionärer gehabt. Die Wende zur Demokratie war ihm, dem Linken, nicht radikal genug.
    In der Partei beschritt er die sogenannte Ochsentour: Es begann mit der üblichen Arbeit im Ortsverein, vom Unterkassierer an aufwärts." 1975 wurde Gorlas in den Landtag gewählt, als Umwelt- und Landwirtschaftsexperte hat er sich einen guten Ruf erworben. Die Zeiten, in denen er sich vielleicht politisch allzu wichtig nahm, seien vorbei, sagt er: "Besser, man hält sich für einen Hinterbänkler, als wenn man sich fälschlich für einen großen Mann hält, wie das einige tun." Hier spricht Gorlas die kurze, knappe Sprache des Ruhrgebietsmenschen, zu denen er sich zählt und zu denen er sich hingezogen fühlt. In Gelsenkirchen wurde er geboren, später ging's über die Stadtgrenze nach Essen. Der Vater war Bergmann und entschied: "Mein Sohn Johannes kommt niemals unter Tage." Der Sohn arbeitete sich beruflich hoch, wie es laut Johannes Gorlas typisch ist für viele sozialdemokratische Lebensläufe: Facharbeiter, Ingenieur, Gewerkschafts-Engagement und dann Politik als Full-Time-Job.
    Aus dem Laboranten wurde der Chemieingenieur, der irgendwann dann in der Politik gelandet ist. In Stadträten hat Gorlas nie gewirkt. Ob er Landtagsabgeordneter bzw. Parlamentarier mit Leib und Seele sei? Gorlas winkt ab: "Ist mir ein bißchen zu hoch gegriffen." Hat er jemals daran gedacht, ein Regierungsamt anzustreben ? Die Antwort: "Nie ernsthaft daran gedacht, und jetzt würde es mich auch gar nicht mehr reizen." Den DGB-Kreisvorsitz in Essen hat er aus Gesundheitsgründen niedergelegt. Da habe man, findet er, in einem bestimmten Bereich Alleinverantwortung getragen, seinen Kopf allein hinhalten müssen. Als Nur-Abgeordneter fühlt er sich ein wenig unwohl, man entscheide eigentlich sehr wenig selbst, alles müsse in Gremien abgestimmt werden.
    Gorlas charakterisiert sich selber als sehr aufgeregten Menschen. In der ersten Urlaubswoche kommt er zum Leidwesen der Familie nicht richtig zur Ruhe. Dann bastelt er, weil er nicht einfach die Seele baumeln lassen kann —jedenfalls nicht in den ersten Ferientagen. Politik sei eben doch so etwas wie eine Droge, der Streß, der Streß...
    Fast selbstverständlich, daß ein innerlich so aufgewühlter Mensch wie Johannes Gorlas die Frage nach Freizeitvergnügen trocken beantwortet: "Freizeit findet nicht viel statt." Bücher, ja, die lese er, vor allem Sachbücher, während die Tochter ihm Krimis besorge. Insgesamt jedoch gelte: Es häuften sich die Bücher, die ungelesen im Hause herumstünden.
    Früher war die Familie begeistert auf Ferientour mit dem Camper, bis der bei einem Sturm zu Bruch ging. Damals sind Vater, Mutter, Tochter und Sohn weit unterwegs gewesen, zum Lago Maggiore, nach Spanien, Frankreich oder nach Dänemark. Mittlerweile lockt mehr das Wandern im Sauerland: "Wir sind bodenständiger geworden, aber vielleicht kaufen wir uns noch einmal ein Campmobil."
    Reinhold Michels

    ID: LI911658

  • Porträt der Woche: Dr. Eugen Gerritz (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 14 - 10.09.1991

    Eugen Gerritz ist ein kultivierter Mensch. Archäologie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte hat der 56jährige Sozialdemokrat aus Krefeld in München und Freiburg studiert. Später ging er in die Politik, da war er bereits Studienassessor. Kaum in den Landtag gewählt, wurde der Krefelder Ratsherr kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Der Kulturpolitik blieb er seither besonders eng verbunden. Er regt sich furchtbar über seine schlimmste politische Niederlage im Parlament auf, als im Etat 1981 die Landesmittel für Bibliotheken um 75 Prozent reduziert wurden: "Daran erinnere ich mich mein Leben lang."
    Noch heute spricht er von einem "kulturpolitischen Verbrechen", das allerdings in den Folgejahren wettgemacht worden sei. Der Kulturhaushalt NRW sei Jahr um Jahr gestiegen, 1989 gar um 17,5 Prozent. Für die Neunziger Jahre rechnet Gerritz realistisch damit, daß große Wachstumsraten für die Kultur nicht mehr zu erwarten sind. Auch dies liege an der Entwicklung in Deutschland: "Wir im Westen haben bei der Erhaltung von Kultureinrichtungen im Osten Verantwortung zu tragen, und das heißt, verdammt noch mal, auch Geld rüberzuschicken."
    Seit 20 Jahren ist Gerritz Jahr für Jahr in die frühere DDR gereist und hat nicht nur Kontakt zu den Kulturschaffenden gepflegt. Etwas bedrückt ihn, wenn er jetzt, nach der Wende, dorthin fährt. Es sei erschütternd festzustellen, daß etwa im Osten Berlins keine einzige der alten großen Buchhandlungen mehr existiere. Es werde nur noch "Minderware" der alten Bundesrepublik verschoben — sozusagen Konsalik im Dutzend billiger.
    Wie ist ein junger Lehrer aus einer katholischen CDU-Familie seinerzeit zur SPD gekommen? Der gebürtige Bitburger, der in Xanten am Niederrhein aufgewachsen ist, erinnert sich: Nicht so sehr das Programm der SPD, vielmehr deren Geschichte habe ihn fasziniert. Eine so alte Partei, und dann keinerlei Dreck am Stecken, was Mitverantwortung für Krieg und ähnliches angehe: das habe ihm imponiert. Als Eugen Gerritz 1964 SPD- Mitglied wurde, traf das offenbar Vater und Mutter tief. Die Mutter erklärte dem Sohn, sie wolle von nun an täglich für ihn beten. Der Sohn ließ sich nicht umstimmen. Nein, er kann sich auch heute nicht vorstellen, in der CDU zu sein, obwohl er Freunde in dieser Partei hat. Noch weniger behagt dem Sozialdemokraten mit konservativen Zügen die F.D.P. Sie sei ihm zu oberflächlich, laufe mit der "zerfledderten Fahne, genannt Liberalismus" umher, ohne zu begreifen, daß ohne soziale Flankierung das Liberale zu Manchester-Liberalismus verkomme.
    Ähnlich präzise äußert sich Gerritz über die Katholische Kirche und deren Ansicht zum Paragraphen 218. Er sei zehn Jahre lang Katholikensprecher der Fraktion gewesen, aber sein Verhältnis zur Katholischen Kirche sei beim Thema §218 ein "eher bestürztes". Die Kirche begebe sich mit ihrer Bewegungslosigkeit jeder Autorität, meint er. Es mache Sinn, gegen Abtreibung zu sein, dann müsse man aber auch ein positives Verhältnis zur Empfängnisverhütung haben.
    Er glaube, daß niemand in Deutschland, der im zeugungs- und gebärfähigen Alter sei, hier der Kirche folge. Wenn sie in einer solch zentralen Frage ihr Glaubwürdigkeit verliere, dürfe sie sich nicht wundern, daß die Gotteshäuser immer leerer würden. Schon 1987 hat der Krefelder überraschend verkündet, er werde zum Ende dieser Legislaturperiode im Landtag aufhören. Was er dann macht, möchte er nicht verraten. Vielleicht ein Buch schreiben? Wer weiß, aber sicher nichts Politisches. Überhaupt: Politische Bücher liest er nicht, die Sprache mißfällt ihm.
    Zu Hause stehen 5000 bis 6000 Bücher. Ohne Bücher könne er nicht leben, gesteht der feinsinnige Mann, der bei der Frage nach "Hobbys" zusammenzuckt. Das Wort mag er nicht, "Freizeitbeschäftigung" behagt ihm mehr. Sohn und Tochter meinten, er sei ein glücklicher Mensch, weil berufliche und private Interessen übereinstimmen. Ein Leben also für die Kunst? Nicht ganz: Er gehe auch zum Fußball und fahre gerne Rad, bekennt der Abgeordnete. Doch schnell ist er wieder beim Thema Kunst. In der Musik könne er eigentlich auf alles verzichten, nur nicht auf Bach. Und für die Beatles findet er ein gutes Wort: "Ich habe 15 Jahre gebraucht, um zu begreifen, daß die Beatles zu den musikalischen Höhepunkten dieses Jahrhunderts gehören."
    Reinhold Michels
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911464

  • Porträt der Woche: Dr. Bernhard Kasperek (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 12 - 09.07.1991

    Er sei nicht "von oben angeflogen" und auch kein Seiteneinsteiger, wie Bernhard Kasperek nicht ohne ein gewisses Selbstwertgefühl resümiert. Nach teilweise harten Lehrjahren brachte es der heute 39jährige Sozialdemokrat zum Dr. Ing., zum Vorsitzenden des 21000 Mitglieder zählenden SPD-Unterbezirks Recklinghausen und Landtagsabgeordneten. Seine Stimme hat Gewicht in Partei und Regierungsfraktion.
    In der oberschlesischen Revierstadt Hindenburg geboren, wuchs Bernhard Kasperek im "anderen", im westlichen Kohlegebiet auf. Nach Besuch der Volksschule in Westerholt begann er als 14jähriger eine Schlosser- und Installateurlehre. Schon während der Ausbildungszeit besuchte er die Fachoberschule und setzte später sein Studium in Versorgungs-/Sicherheitstechnik an der Fachhochschule Münster sowie der Gesamthochschule Wuppertal fort. Während all dieser Jahre wurde gleichzeitig »praktisch" gearbeitet, um ein paar Mark dazuzuverdienen. So finanzierte er beispielsweise sein zweites Studium als selbständiger Handwerker.
    Nach der wissenschaftlichen Assistentenzeit an der Fernuniversität Hagen und der Gesamthochschule Wuppertal, wechselte der Sozialdemokrat für fast drei Jahre in den Bergbau, um sich der Sicherheitstechnik über und unter Tage zu widmen. arbeit menschlicher, sicherer und umweltverträglicher zu machen", lautete seine Devise, die er auch heute bei den Chemischen Werken Hüls AG zu realisieren versucht.
    Der Berufsweg führte den promovierten Ingenieur schon früh zu den Jungsozialisten und bereits als 19jährigen in die SPD. Die Partei wurde schnell auf ihr engagiertes Mitglied aufmerksam: 1975 wurde er in den Hertener Stadtrat gewählt und mit 22 Jahren gleichzeitig jüngster Kommunalvertreter in Nordrhein-Westfalen. Galt im Stadtparlament zunächst sein Interesse der Jugend- und Sozialpolitik, so rückten dann die Bereiche Wirtschaft und Umwelt in den Vordergrund der kommunalen Aktivitäten des späteren SPD-Fraktionsvorsitzenden. Er rief in dieser Problemregion die Initiative Emscher-Lippe ins Leben und organisierte öffentliche Gespräche zwischen seiner Partei sowie Vertretern der Wirtschaft und Gewerkschaften.
    Nach 16 kommunalpolitischen »Lehrjahren" kandidierte Bernhard Kasperek 1990 für die SPD im Wahlkreis 81 — mit den mehr als 14000 Bergleuten "Kohle-Wahlkreis" schlechthin, und verbuchte satte 55,8 Prozent. Mit den Problemen dieser Menschen eng verbunden, sieht er die Kohle auch künftig als gewichtige heimische Energiebasis und regionalen Wirtschaftsfaktor. Trotzdem verschließt er sich nicht der erforderlichen Umstrukturierung der Emscher-Lippe-Region, die aber nur schrittweise und sozialverträglich erfolgen dürfe. Als Landtagsabgeordneter sieht sich der Sozialdemokrat auch als Interessenvertreter dieses Raumes, wo er jetzt in Düsseldorf die bisherigen Schwerpunkte seiner Sachpolitik fortsetzen könne: Umwelt-, Wirtschafts-, Struktur- und Kohle/Energiepolitik.
    Für den Vorsitzenden des mit 21000 Mitgliedern zweitgrößten SPD-Unterbezirks sind Integration und Öffnung der Partei zwei Hauptanliegen. Der Mitverfasser des Modernisierungspapiers des SPD-Landesvorstandes ficht für eine SPD, die "offen, attraktiv, kompetent, handlungs- und mehrheitsorientiert, sozial- und ökologisch ist, mit zwei Worten: moderne Volkspartei". Sein Naturell hilft Bernhard Kasperek auch dabei, zwischen den Parteiflügeln auszugleichen. "In einer immer differenzierter werdenden Gesellschaft müssen wir zusammenhalten, um mehrheitsfähig zu bleiben."
    Vielseitig wie sein politisches Wirken sind auch die Interessen des "Privatmanns" Bernhard Kasperek: Sie reichen vom Kochen über moderne Malerei bis zum Bergwandern. Auch dabei zählt Ausdauer zu einer der Tugenden des Herteners.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911258

  • Porträt der Woche: Stefan Frechen (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 04.06.1991

    Einen seiner beiden parlamentarischen Tätigkeitsbereiche hat die SPD-Fraktion zum Schwerpunkt dieser Legislaturperiode erklärt — das andere Wirkungsfeld rückt in Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderungen und der deutschen Einheit zwangsläufig in den Vordergrund: Stefan Frechen, SPD-Abgeordneter aus Neukirchen-Seelscheid, ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und widmet sich außerdem der Haushalts- und Finanzpolitik.
    So hat das Mitglied des Fraktionsvorstandes das Fünf-Punkte-Programm und die Große Anfrage der Sozialdemokraten zur inneren Sicherheit maßgeblich mitinitiiert. Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1936, räumt denn auch ein, daß aufgrund der in der Vergangenheit drängenden Arbeistlosen- und Strukturprobleme andere Bereiche, wie die innere Sicherheit, finanziell zu kurz kamen. So müsse jetzt die Polizei auf allen Ebenen kontinuierlich und nachhaltig personell verstärkt sowie mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken ausgestattet werden. Auch die Unterbringungsverhältnisse der Polizeibeamten seien teilweise sehr schlecht.
    Die SPD-Fraktion habe sich bis 1995 zum Ziel gesetzt, die Polizei in Nordrhein-Westfalen so auszurüsten, auszubilden und personell zu verstärken, daß sie ihre Aufgaben effizient und bürgernah wahrnehmen könne. Die Bürger haben eine Anspruch darauf, daß der Staat sie wirksam vor Gewalt und Kriminalität schützt, betont ihr innenpolitischer Sprecher.
    Bei seinem zweiten Wirkungsbereich sieht Stefan Frechen aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen immer mehr Forderungen auf die öffentlichen Haushalte zukommen. Als Beispiele nennt er den Kindergarten-, Schul-, Hochschul- und den Umweltbereich. Die Haushalte von Land und Kommunen seien aber angesichts dieser Herausforderungen überfordert. Daher sei eine Neuverteilung der Gelder zwischen Bund, Ländern und Kommunen dringend erforderlich. Der Sozialdemokrat verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß der Bund sich kraft seiner Gesetzeskompetenz finanzieren kann — "er erhöht bei Bedarf die Steuern". Entsprechend ihres Aufgabenzuwachses müßten daher die Länder und Gemeinden an den Gesamteinnahmen des Staates stärker partizipieren.
    Der SPD-Abgeordnete wurde aufgrund seines beruflichen und kommunalpolitischen Werdeganges mit diesen Problemen schon in der Vergangenheit konfrontiert. Nach bestandenem Abitur studierte er Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Bonn, Köln und Paris. Nach dem Diplomexamen waren die Verwaltungen des Erftkreises und des Landschaftsverbandes Rheinland Etappen seines beruflichen Weges. In den 70er Jahren engagierte er sich beim Aufbau der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln und leitete später dieses Institut. Nach der Wahl in den Landtag 1985 mußte er entsprechend dem Abgeordnetengesetz seine Kölner Tätigkeiten aufgeben.
    Auch in der Kommunalpolitik engagierte sich der Rheinländer. Seit 1975 gehört er dem Kreistag Rhein/Sieg und seit 1979 dem Gemeinderat von Neunkirchen an. In beiden Parlamenten ist Stefan Frechen Fraktionsvorsitzender der SPD. Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik sind die Schwerpunkte seines kommunalen Wirkens.
    Relativ spät, mit 35 Jahren, trat er der SPD bei — und eher zufällig. Nach dem Wohnungswechsel nach Neunkirchen suchte der Vater von drei Kindern damals vergeblich nach Kindergartenplätzen. Daraufhin gründete er mit einer Anzahl weiterer Eltern eine alternative Kindertagesstätte. Unterstützung fanden die Eltern in ihrem erfolgreichen Bemühen bei der Evangelischen Kirche und dem SPD-Ortsverein. So wurden die ersten Kontakte zu den Sozialdemokraten geknüpft. Vor der Landtagswahl 1985 ermunterte die Partei Stefan Frechen im Wahlkreis Rhein-Sieg l zu kandidieren — einer Domäne der Christdemokraten. Überraschend gelang es ihm auf Anhieb, den Wahlkreis erstmals für die SPD zu holen; auch fünf Jahre später, 1990, setzte er sich gegenüber seinem CDU-Mitbewerber durch. Engagement gepaart mit großer Sachkompetenz brachten dem Sozialdemokraten einen vorderen Platz in den Reihen der Mehrheitsfraktion.
    Trotz vielfältiger Aktivitäten hat sich Stefan Frechen von der Politik nicht ganz ,vereinnahmen" lassen. So ist der Vater von inzwischen vier Kindern ein regelmäßiger Besucher von Konzerten und ein sachkundiger Gast vieler Ausstellungen insbesondere zeitgenössischer Kunst. Schließlich ist die Bretagne sein bevorzugtes Urlaubsziel.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911048

  • Den Menschen nah und bereit zur Hilfe.
    Landtagspräsidentin Ingeborg Friebe (SPD) begeht am 20. April ihren 60. Geburtstag.
    Porträt;

    S. 12-13 in Ausgabe 6 - 26.03.1991

    Müßte man für die bald 60jährige Ingeborg Friebe einen Wappenspruch aussuchen, böte sich an: Den Menschen nah und hilfsbereit. Im Rat der rheinischen Stadt Monheim geht das geflügelte Wort vom "friebeln" um, wenn jemand aus schierer Hilfsbereitschaft einem anderen, auch wenn er politischer Gegner ist, aus der Patsche hilft. Bürgermeisterin Friebe ist zum erstenmal als "friebelnde" Ingeborg aufgefallen, als sie den ersten, noch ungeübten Ratsmitgliedern der Grünen vor einigen Jahren den einen oder anderen Geschäftsordnungs-Tip gab.
    "Bürgermeisterin zu sein", sagt Frau Friebe, "das ist mir sehr wichtig", und weiter: "Monheim gebe ich nicht auf, ich muß den Menschen nah sein, mit ihnen reden." Als Parteifreunde sie im Vorjahr fragten, ob sie Präsidentin des Landtags werden wolle, hat sie zunächst gezögert, sich auch mit dem gerade pensionierten Ehemann beraten. Wenn das bedeutet hätte, das Bürgermeisteramt in Monheim aufzugeben, hätte sie Nein gesagt, wäre Vizepräsidentin geblieben ("Das ist ja auch schön"). Sie erzählt, daß es damals vier gewesen seien, die in den Startlöchern gesessen hätten, um Denzers Nachfolge anzutreten. Vielleicht hat sie wiederum — wie schon vor der erstmaligen Landtagskandidatur 1975 — die Mitbewerber im stillen eingeschätzt, um sich hernach zu sagen: Was die können, kannst du auch. Ingeborg Friebe ist nie spürbar vorgeprescht, wenn es um neue politische Aufgaben ging. Erst hat sie ein bißchen gezögert, doch wenn die Chance sich konkret bot, dann hat sie auch zugepackt und für sich gekämpft. Wieviel Ehrgeiz verbirgt sich dahinter? Im Gespräch weicht sie aus, sagt nur, ein wenig Ehrgeiz müsse jeder Politiker haben. Wahrscheinlich hat es sie stets gereizt, es als Mädel aus einfachen Verhältnissen und ohne akademische Ehren zu etwas zu bringen. Stolz schwingt mit, wenn sie berichtet, sie sei im früheren Rhein-Wupperkreis 1972 der erste weibliche Unterbezirksvorsitzende der SPD in NRW gewesen. Noch zufriedener allerdings erzählt sie von dem Monheimer Karnevalswagen, der sie den decken am Straßenrand als "Mutter Courage" vorstellte. Dahinter steckte eine kommunale Rettungsaktion, über die in Monheim noch heute manchmal gesprochen wird. 1975 war die Stadt dem großen Nachbarn Düsseldorf zugeschlagen worden. Ingeborg Friebe, gerade im Landtag, erinnert sich heute: "Da habe ich gewirbelt." Das Engagement der Braunschweigerin, die 1966 mit der Familie an den Rhein gezogen war, zahlte sich aus: Im Sommer 1976 gewann Monheim seine Selbständigkeit zurück. So etwas vergessen Bürger nicht, wenig später wurde die SPD-Politikerin Friebe (seit 1969 Ratsfrau) Bürgermeisterin. Auch Politiker anderer Couleur, sagt sie, hätten ihr damals den Einsatz für Monheims Eigenständigkeit gedankt. Aus der Zeit rühren parteiübergreifende Freundschaften. Wie hält es die Sozialdemokratin mit "Stallgeruch" überhaupt mit den Vertretern "der anderen Feldpostnummer"? Spontan erwähnt Frau Friebe Vizepräsident Klose von der CDU, mit dem sie seit langem eine Duzfreundschaft pflege. Zu Hause jedoch schätzt sie mehr die eine politische Wellenlänge. Ihren Mann, den früheren Bundesgeschäftsführer der DGB-Kulturorganisation Arbeit und Leben, hat sie für die SPD geworben. Die beiden Söhne, Jens (37) und Jochen (33) sind zwar nicht in der Partei, aber beide in der Gewerkschaft. "Gewerkschaft" — die gehört zu ihrem Leben. Rechtsschutzsekretärin wollte sie werden, wurde aber nicht fertig mit der Ausbildung, weil sie heiratete und Kinder bekam. 15 Jahre lang war sie Hausfrau und Mutter, hat sich dabei nach eigenem Bekunden nie als Frau zweiter Klasse gefühlt. Als die Söhne zum Gymnasium gingen und erst nachmittags um drei nach Hause kamen, da — so Frau Friebe — "fiel mit daheim die Decke auf den Kopf". Ihre Energie verlangte nach einer Arbeit außer Haus. Sie nahm eine Stelle als Schulsekretärin in Monheim an. Schnell verwischt sie den Eindruck, da habe jemand nur an der Schreibmaschine gesessen und getippt, was andere diktierten. Oft sei sie bei Lehrerberatungen dabeigewesen, habe auch schon mal vor der Klasse gestanden, bis der Herr Lehrer eintraf, und weiter: "Wenn das Kollegium einen Ausflug machte, war ich immer dabei." Die unausgesprochene Botschaft solcher Erzählungen lautet: Ingeborg Friebe hat sich nicht ducken lassen. Es folgt ein Satz wie ein Glaubensbekenntnis: "Man muß immer das Beste aus seiner Lage machen."
    Das wird sie in der Kindheit so noch nicht für sich formuliert haben, als sie und ihr Bruder die Mutter zu Verhören der Gestapo begleitet haben. Mutter und Großmutter waren überzeugte Sozialdemokratinnen, der Vater, ein Kommunist, wurde von den Nazis ermordet. Die beiden Kinder gingen mit der Mutter zu den Verhören, weil das Schreien, besonders das des Bruders, die hartgesottenen Nazi-Schergen etwas glimpflicher mit der Mutter umgehen ließ.
    Eine Frau, die von unten kommt, der nichts in die Wiege gelegt wurde, kann wenig anfangen mit Jungakademikern, die glauben, ihr Hochschulabschluß ziehe ein politisches Mandat geradezu zwangsläufig nach sich.
    Denen schildert sie den eigenen politischen Lebenslauf und daß man sich ein solches Mandat erarbeiten müsse. Ingeborg Friebe hat selbstverständlich Plakate geklebt für die Partei, hat sich als Neuling im Landtag erst einmal hinten angestellt und zugehört. Wer zu Beginn seiner parlamentarischen Karriere glaube, er sollte zu jedem Thema etwas mitteilen, der werde doch nicht ernst genommen. Man meint, Herbert Wehner sprechen zu hören, der junge Abgeordnete auch auf die Hinterbänke zu verweisen pflegte. Im Petitionsausschuß und im Ausschuß für Arbeit und Soziales hat Ingeborg Friebe erste Landtags-Erfahrungen gesammelt und sich, wie sie bemerkt, mit viel Energie an die Arbeit gemacht.
    Man zögert, eine Frau "Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn" zu nennen — falsch wäre es bei der Landtagspräsidentin nicht. Hat sie Vorbilder in der SPD? Es fallen die Namen von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Man müßte sich aus beiden einen "backen". An Schmidt imponiert ihr die analytische Schärfe, an Brandt und vielleicht auch Johannes Rau das Nachdenklich-Abwägende. Mit Oskar Lafontaine verbindet sie wenig. Bei einem Zwiegespräch auf einem Parteitag sei ihr Lafontaines Arroganz unangenehm aufgefallen. Ihr Urteil: "So etwas ist nicht sozialdemokratisch." Sie sei weder Verehrerin von Oskar, noch funke man auf der selben Wellenlänge: "Aber gewählt habe ich ihn am 2. Dezember — aus Solidarität." Und was ist mit Björn Engholm? "Vielleicht", so Frau Friebe, "brauchen wir in der SPD an der Spitze einen, der für Ehrlichkeit und Nachdenklichkeit steht, ich werde ihn Ende Mai in Bremen jedenfalls wählen." Zur Frauen-Quote ihrer Partei hat sie ein eher distanziertes Verhältnis. Sie sei unter anderem auch deshalb lange gegen die Quote gewesen, weil sie keine Probleme gehabt habe, als Frau in Politik und Arbeitswelt anerkannt zu werden. Dennoch habe sie auf dem Bundesparteitag in Münster aus Solidarität mit ihren Geschlechtsgenossinnen für die Quotierung gestimmt, nachdem ihr Frauen von ihren ganz anderen, und zwar schlechten Erfahrungen mit der Gleichberechtigung berichtet hätten.
    Auch das ist typisch für Frau Friebe: Sie prüft und bildet sich ihr Urteil gerne, nachdem sie auch die andere Seite gehört hat. Dahinter verbergen sich Vorsicht und Skepsis, genährt aus manchen Erfahrungen: "Man wird ja auch belogen, ich habe mir Distanz angeeignet."
    Eine dicke Haut hat sie jedoch durch das lange politische Leben nicht bekommen. Es gibt Bürgerbriefe, die sie zu Tränen rühren. Zu ihren Lieblingstugenden zählt sie Gerechtigkeit, Zähigkeit sowie das Vermögen, zuhören zu können. Was für sie das größte Unglück wäre? Sie überlegt kurz, sagt dann: "Krieg und überhaupt das Leid von Menschen." Den Begriff "Heiliger Krieg" hält sie für völlig absurd, beim Stichwort "Gerechter Krieg" sagt sie, sie habe ja Hitler miterlebt und sich in den Tagen vor und während des Golfkrieges oft gefragt, ob nicht auch dem deutschen oder jüdischen Volk und anderen vom Zweiten Weltkrieg Betroffenen viel Leid erspart geblieben wäre, wenn Hitler frühzeitig bekämpft worden wäre.
    Zurück zum Menschen Ingeborg Friebe und ihrem Wunsch, die Politik allgemein etwas zu vermenschlichen. Als JohannesRau nach der Wahl im Mai 1990 im Landtag wiedergewählt worden war, schaute die Präsidentin auf die Tribüne, wo Christina Rau und die drei Kinder saßen. Ihre damalige Mahnung an Johannes Rau, sich etwas mehr Zeit für die Familie zu nehmen, sei ihr aus dem Herzen gekommen. Wenn sie Freizeit hat, geht sie gerne mit dem Ehemann in die Sauna. Eine richtige Leseratte sei sie im übrigen, und bei Fernsehkrimis ist es ein beliebtes Spiel im Hause Friebe, "die Krimi-Nuß vorab zu knacken".
    Wenn dereinst Schluß ist mit der Politik, möchte sie mit ihrem Mann auf Weltreise gehen, man hat sich schon vorsorglich einen Sparkassenbrief zugelegt. Fernweh ist Ingeborg Friebe nicht fremd. Sie liebt besonders Afrika, vor allem Senegal mit seinen fröhlichen, toleranten Menschen und den abwechslungsreichen Landschaften. Über Weihnachten und Silvester geht es wieder dorthin. Ingeborg Friebe, Landtagspräsidentin und Bürgermeisterin

    ID: LI910621

  • Porträt der Woche: Marie-Luise Morawietz (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 26.03.1991

    Drei ehemalige Strafgefangene boten ihr Hilfe im Wahlkampf an, sie nahm sie dankbar an: Marie-Luise Morawietz errang 1990 erneut das Direktmandat Viersen I, das sie 1985 erstmals bekommen hatte. Damals war es überhaupt das erste Mal gewesen, daß ihre Partei, die SPD, im Kreis Viersen ein Direktmandat für den Landtag geholt hatte. Darauf ist sie noch heute stolz: den Erfolg verbucht sie — wohl zu Recht — auf dem Konto ihres persönlichen Einsatzes, die Partei komme da erst an zweiter Stelle.
    Natürlich hat sie die Wahl nicht wegen der Hilfe der ehemaligen Strafgefangenen gewonnen. Doch ein wenig Genugtuung schwingt in ihrer Stimme mit, als sie über die Hilfsangebote berichtet. Denn seit 1977 kümmert sie sich ehrenamtlich um die Probleme von Strafgefangenen während der Haftzeit und nach der Entlassung. Im Frauengefängnis Willich-Anrath ist sie Vorsitzende des Anstaltsbeirats. Nach einem ersten Gefängnisbesuch war ihr soziales Engagement geweckt: "Bis heute bin ich hängengeblieben". Über persönliche Hilfen will sie nicht erzählen, um so lieber berichtet sie darüber, daß sie für durchsichtige Fensterscheiben (statt Milchglas), für einen Aufzug und für eine große Bratpfanne im Gefängnis gesorgt hat. Mit Erfolg hat sie sich dafür eingesetzt, daß Jugendliche nicht mehr in Einzelhaft untergebracht werden. Im Laufe der Jahre hat sie sich sowohl bei den Bediensteten des Strafvollzugs als auch bei den Inhaftierten ein Vertrauenspolster erworben. Davon konnte sie profitieren, als es im Zuge der deutschen Einheit zu einer Amnestie für viele Gefangene in der ehemaligen DDR kam, die zu Meutereien und Unruhen auch in nordrhein-westfälischen Strafvollzugsanstalten führte. Frau Morawietz erinnert sich: "Mit leeren Händen bin ich nach Geldern gefahren, wo die Gefangenen ebenfalls eine Amnestie forderten." Sachlich habe sie die Gefangenen davon überzeugen können, daß es für rechtsstaatliche Urteile in NRW — im Gegensatz zur DDR — keine Amnestie geben könne. In Geldern brach keine offene Meuterei aus.
    Aufgrund solch vielfältiger Erfahrungen ist Marie-Luise Morawietz Sprecherin der Vollzugskommission des Rechtsausschusses des Landtags geworden. Neben der Gefangenenbetreuung ist sie auch in der Drogenberatung und in einer Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft in Viersen führend engagiert. Offen räumt sie ein, daß sie ihr Herz für Randgruppen entdeckt habe. Im Vergleich dazu bringe die Mitarbeit in Parteivorständen nichts. Manch ein Genösse habe ihr prophezeit, daß sie mit ihrem Einsatz für Randgruppen "raus aus dem politischen Geschäft" sei. Selbstbewußt stellt sie fest: "Mit meinen Erfolgen bei den Landtagswahlen habe ich das Gegenteil bewiesen."
    Erst als 40jährige —1972 nach Mitarbeit in einer örtlichen Bürgerinitiative — stieß die gelernte Industriekauffrau zur SPD. Sie baute im Kreis Viersen die SPD-Frauenarbeit auf und startete 1975 eine kommunalpolitische Karriere als Mitglied im Stadtrat und im Kreistag. Seit 1984 gehört sie dem SPD-Landesvorstand an.
    Als typische "Frauenpolitikerin" versteht sich Marie-Luise Morawietz nicht, obwohl sie seit Bildung des Frauenausschusses des Landtags dessen Vorsitzende ist. Stark beeinflußt zeigt sie sich von der ehemaligen Landesministerin Inge Donnepp, aus deren lebenslanger politischer Arbeit sie "sehr viel praktischen Nutzen" habe ziehen können. Im Anfang ist sie eine strikte Gegnerin der Frauenquote gewesen: "Ich glaubte, wir Frauen sind keine Minderheit oder eine Gruppe, die eine Schutzzone braucht." Die Quote habe sie damals immer als Rückschritt gesehen. Sie sei davon überzeugt gewesen, daß gleiche Bildung auch zur Gleichstellung im Beruf führen werde. Heute räumt sie ein: "Ich habe mich geirrt, ich gebe es zu." Wie ist sie dann doch zur Quoten-Befürworterin geworden? Noch nachträglich klingt aus ihrer Antwort die damalige Enttäuschung heraus: Bis Mitte der 80er Jahre hätten die Frauen in der SPD "sehr intensiv und vertrauensvoll" mit den Genossen in den Entscheidungsgremien zusammengearbeitet mit dem Ziel einer stärkeren Beteiligung der Frauen in der Partei: "Passiert ist nicht nur nichts, sondern sogar Rückschritte hatten wir zu verzeichnen." Theoretisch seien die Männer alle dafür gewesen, den Einfluß der Frauen zu stärken; doch wenn es konkret wurde, sei es in der Regel bei der Männer-Solidarität geblieben. Noch heute sei es für sie unfaßbar, daß noch 1990 alle sechs Dortmunder SPD-Mandate im Landtag von Männern gehalten wurden und keine einzige Frau als Direktkandidatin aufgestellt wurde.
    Als "Feministin" kann sich die Mutter von zwei Kindern allerdings bis heute nicht verstehen. Dazu sei sie wohl nicht radikal genug: "Auf die Barrikaden gehen, das müssen andere machen."
    Ludger Audick

    ID: LI910640

  • Porträt der Woche: Hans Schwier (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 12.03.1991

    "Junge, hast Du das auch gut überlegt?" Hans Schwier, seit 1980 Minister in den Kabinetten von Johannes Rau, hörte die besorgte Frage seiner Mutter vor nahezu 21 Jahren, als er im Alter von 44 Jahren als wohlbestallter Schulrat sich anschickte, ein Abgeordneten-Mandat im nordrhein-westfälischen Landtag anzustreben. Die Sorge der alten Dame war ja nicht ganz unbegründet; die Einkünfte aus Abgeordnetentätigkeit und die bescheidene Pension eines Schulrats im einstweiligen Ruhestand machten zusammen gerade so viel aus wie das Amtsgehalt. "Die Familie mußte nicht darben", erinnert Schwier sich heute. Die Tätigkeit als Landtagsabgeordneter erforderte auch 1970 schon die ganze Arbeitskraft, doch die finanzielle Entschädigung entsprach keineswegs dem, was später, nach dem Spruch der Verfassungsrichter über den .Full-time-Job" eines Abgeordneten, gezahlt wurde. Daß mit der Neuregelung der gesetzlichen Stellung der Abgeordneten, die ja nicht nur die Vergütung festlegte, sondern auch viele Beamte und gut verdienende Freiberufler vor die Frage Beruf oder Mandat stellte, eine gewisse Negativauslese verbunden war, findet den Widerspruch des Ministers Schwier nicht.
    Den Mut zu Unpopulärem hat Schwier auch bei vielen anderen Gelegenheiten bewiesen. Nie war übersteigertes Selbstbewußtsein der Antrieb dazu, sondern immer war sein Urteil, sein Handeln das Ergebnis einer vorurteilsfreien Prüfung des Sachverhalts. Freunde macht man sich damit nicht immer. So ist es auch kein Wunder, daß die Sprecher von Lehrergewerkschaft und Lehrerverbänden nur selten gut auf den Kultusminister zu sprechen sind. Und auch die Bildungspolitiker der eigenen Partei und der SPD-Fraktion im Parlament sind häufig gar nicht mit dem einverstanden, was der "Genösse im Ministeramt" tut oder unterläßt. Hier sollen Stichworte wie .flächendeckende" Einführung der Gesamtschule, freiwilliger Verzicht der Lehrer auf vier Prozent des Gehalts zugunsten arbeitsloser Pädagogen, stärkeres Gewicht auf Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule und der ministerielle Hinweis darauf, daß 75 Tage Schulferien und 30tägiger Lehrerurlaub "zwei ganz verschiedene Dinge "sind, genügen.
    Obwohl die Landesverfassung nach Ansicht von Schwier in Fragen der Gesamtschule gar nicht so eindeutig ist, wie die Gesamtschulgegner argumentieren, geht der Minister, sehr zum Ärger der SPD-Verfechter dieser Schulform, bei der Einrichtung von Gesamtschulen eher behutsam vor. Sein Argument ist ebenso eindeutig wie überzeugend: "Schule kann man vernünftigerweise nur im Konsens betreiben, mit 51 Prozent Zustimmung geht es nicht." Die Erfahrung, daß man nicht gegen die Auffassung von respektablen Minderheiten regieren soll, hat noch der Abgeordnete Hans Schwier gemacht. Das von ihm und anderen Sozialdemokraten favorisierte Modell einer "Kooperativen Schule" scheiterte im Frühjahr 1978 — entgegen vielen Erwartungen — in einem Volksbegehren. Die Lehre daraus hat der Minister beherzigt, obwohl der gelernte Schulmann 'noch heute die .Koop-Schule "für eine von der Sache und dem Interesse der Schulkinder her gebotenes Modell hält.
    Wenig Freude bei den Ideologen jeder Couleur dürfte auch die Maxime Schwiers auslösen, daß es nicht gestattet sei, Schulkinder für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Und damit gar nicht erst der Verdacht aufkomme, lediglich eine ganz bestimmte Richtung sei gemeint, fügt er hinzu: "Gleichgültig, für welche Zwecke." Was treibt einen Mann, der unlängst seinen 65. Geburtstag gefeiert hat (und seiner Familie aus diesem Anlaß ein Abendessen in einem rheinischen Sterne-Restaurant .schenkte"), zu solcher Mahnung? Will er nichts mehr werden? Gewiß richtig. Doch das ist es nicht. Viel näher kommt man sicher seinem Motiv für die Offenherzigkeit in durchaus umstrittenen Komplexen, wenn man seine nachdenkliche Frage bemüht, ob es denn genüge, Erfahrungen bestenfalls nur schriftlich zu fixieren, ob es nicht besser und wirkungsvoller sei, sich in direkter Rede an die nachfolgende Generation zu wenden? Es ist nicht die Furcht, sich mit dem, was man niedergeschrieben hat, ein für alle Mal festzulegen, sondern er möchte gehört werden, will ankommen.
    Für Opportunismus hat Schwier, der seit 41 Jahren der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und seit 39 Jahren der SPD angehört, nur milden Spott übrig. Er wählt dafür kein Beispiel aus der aktuellen Politik, sondern er bemüht die eigene Bibliothek. In ihr stehen auch Geschichtsbücher für die deutsche Schule, aus der Zeit des Großvaters, Schulmann wie der Enkel, des Vaters und der eigenen. Ein und derselbe Sachverhalt ist in ihnen unterschiedlich dargestellt. Jedesmal hatte der Autor die Staatsräson beachtet. Geschichtsschreibung ist ihrer Natur nach nicht nur die Sammlung und Echtheitsprüfung von Fakten, sondern immer auch ihre Zuordnung und Deutung. Und da sind die Freiräume weit oder auch die Gatter hoch.
    Wie kritisch der nordrhein-westfälische Kultusminister aktuelle deutsche und sozialdemokratische Politik sieht, macht er wiederum nur an einem scheinbar harmlosen Beispiel deutlich. Sein Sohn, der an der Georgetown-Universität in Washington studiert, bat den Vater dringend um Unterlagen, um die deutsche Haltung zum Golfkrieg und gegenüber Deutschlands Nato-Verbündeten erläutern und vertreten zu können. Der Vater halt mit Gedrucktem aus. Daß der Sohn darum bitten mußte, entlockte Schwier nur die besorgte Frage: .Ist das nicht schlimm?" Wie lange wird Hans Schwier noch Minister sein ? Das ist offen. Ganz selbstverständlich wäre es aber für ihn, wenn die Persönlichkeit, die im Landtagswahlkampf 1995 für die sozialdemokratische Kulturpolitik stehen soll, schon rechtzeitig im Ministeramt die nötige Erfahrung sammeln könnte. Wäre der Kultusminister, der 1983 auf Wunsch von Johannes Rau vom Wissenschaftsressort in das Kultusministerium wechselte, lieber Wissenschaftsminister geblieben? .Ja, Wissenschaftsminister wäre ich gern geblieben', bekennt Schwier. Er ist der bislang einzige Inhaber dieses Ressorts, für dessen Verbleib im Amt die Rektoren aller wissenschaftlichen Hochschulen öffentlich eingetreten sind. Das ist mehr als eine Auszeichnung.
    Karl Lohaus

    ID: LI910442

  • Porträt der Woche: Charlotte Kann (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 15.01.1991

    Wie kaum eine andere kennt Charlotte Kann den Duisburger Süden, und wie nur wenige ist sie in "ihrer" Partei verwurzelt. So wurde die Sozialdemokratin vor den letzten Landtagswahlen im Mai denn auch einstimmig in den Ortsverein als Kandidatin für den Wahlkreis 66 nominiert und holte ihn dann mit satten 63,2 Prozent für die SPD. Der Entschluß, dem Votum der Partei und später der Wähler zu folgen und die politische Arbeit nunmehr auf den nordrhein-westfälischen Landtag zu konzentrieren, fiel der gebürtigen Duisburgerin, Jahrgang 1937, nicht leicht. "Vor Ort kommt man mit den Bürgern schnell in Berührung und kann auch rascher für sie etwas tun."
    Nach Besuch der Hauptschule und Absolvieren einer Lehre als Verkäuferin, trat Charlotte Kann 1957 als hauptamtliche Mitarbeiterin in den SPD-Unterbezirk Duisburg ein. Dort war sie bis zur Mandatsübernahme im Mai dieses Jahres beschäftigt, zuletzt als Fachreferentin für Finanzen und zuständig für die Betreuung der 34 Ortsvereine sowie der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Nicht zuletzt durch ihr sozialdemokratisch geprägtes Elternhaus beeinflußt, trat die Duisburgerin bereits mit 19 Jahren in die SPD ein und arbeitete sich dort hoch", wie sie heute sagt. Seit zehn Jahren ist sie stellvertretende Vorsitzende des Ortsvereins Großenbaum-Rahm und auch seit längerem im Unterbezirksvorstand tätig.
    Den engen Kontakt zum Bürger knüpfte die Sozialdemokratin insbesondere nach ihrer Wahl in die Bezirksvertretung Duisburg Süd 1975. Zehn Jahre später wurde sie sogar Bezirksvorsteherin, als einzige Frau übrigens unter den sieben Duisburger Vorstehern. In Anbetracht des Schrumpfungsprozesses in der Stahlindustrie engagierte sie sich in diesem Gremium mit Erfolg vor allem für die Ansiedlung kleinerer Gewerbebetriebe. Aufgrund des Parteibeschlusses, der ein Doppelmandat untersagt, mußte sie nach dem Einzug in den Landtag den Bezirksvorsitz #schweren Herzens" abgeben. Den Kontakt zur Kommunalpolitik und zu den Bürgern will Charlotte Kann aber auch als Landesparlamentarierin weiter intensiv pflegen. So hält sie regelmäßig Bürgerstunden ab und sucht so oft wie möglich das Gespräch mit den örtlichen Vereinen. Die Landtagsfraktion berief den "parlamentarischen Neuling" in den Verkehrs-, den Sport- und in den Petitionsausschuß. Insbesondere das letzte Gremium ist zwar sehr arbeitsintensiv ("da muß man viele Hausaufgaben machen"), aber bereitet auch ebenso viel Freude. 28 Prozent aller Petitionen seien in der Vergangenheit positiv entschieden worden, "und da kann man allerhand für jene Bürger tun, die oft zu Unrecht behandelt wurden".
    Als Mitglied des Sportausschusses tritt sie dafür ein, daß im Streit zwischen den Interessen des Sports und den Lärmklagen der Anwohner von Sportstätten durch Rechtsverordnung zugunsten der Vereine entschieden wird. andernfalls müßte jede dritte Sportanlage geschlossen werden", gibt sie zu bedenken.
    Im Verkehrsausschuß — ihrem "Wunschausschuß", macht sich die Duisburgerin stark für ein größeres und flexibleres Angebot des öffentlichen Nahverkehrs insbesondere während der Berufszeiten. Auch ärgert sie sich schon seit langem über das "triste B;/d" der Bahnhöfe. Im Individualverkehr hält Charlotte Kann den Ausbau von Ortsumgehungen sowie die Anbindung der Strecke Düsseldorf/Duisburg an die A59/B288 für erforderlich. Entgegen den Vorstellungen ihres Parteifreundes, Verkehrsminister Franz-Josef Kniola, meint die Abgeordnete, daß Pläne von Städten für eine Untertunnelung von Verkehrswegen "nicht mit einem Federstrich weggestrichen werden können". Schließlich engagierte sie sich für den Ausbau des Duisburger Hafens zu einem Freihafen.
    Die ersten Monate in ihrem neuen Aufgabenbereich bewertet sie positiv. Fraktion und Landtagsverwaltung hätten ihr sehr geholfen, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. "Und wenn ich was nicht weiß, wird halt gefragt." Trotz zahlreicher Belastungen ist Charlotte Kann gern private Gastgeberin — und ihre Kochkünste sind bei Freunden geschätzt ...
    Jochen Jurettko

    ID: LI910140

  • Porträt der Woche: Bodo Hombach (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 18.12.1990

    Wer Bodo Hombach nur als Parlamentarier erlebt, kann sich kaum vorstellen, daß er ein überaus erfolgreicher Wahlkampfmanager ist. Und wenn es denn ein Widerspruch wäre: Beide Rollen hat der Landtagsabgeordnete und Landesgeschäftsführer der NRW-SPD in seinem Repertoire. Und das spielt er souverän aus.
    Im Landtag, in den er am 13. Mai 1990 in Mülheim direkt gewählt wurde, tritt er mit kühler Sachlichkeit und unterkühlter Rhetorik auf, fast schon ganz Staatsmann. Seine Jungfernrede — so heißt der erste Plenarauftritt eines neu gewählten Abgeordneten, gemeint ist freilich die rhetorische Selbstdefloration — war kein Medienereignis — es ging um den Abbau der alliierten Truppen in NRW — wohl aber ein Test auf seine Gebrauchsfähigkeit als Redner. Der Hüne Hombach, schwere 192 Zentimeter groß, bestand ihn unter den wohlmeinenden Blicken von Johannes Rau und Friedhelm Farthmann zu deren Zufriedenheit.
    Als Wahlkämpfer braucht der 38jährige nicht mehr zu beweisen, was er drauf hat. Seit 1981 Raus rechte Hand im SPD-Landesverband, hat er zwei Wahlkämpfe erfolgreich geführt. 1985 traf er mit der Identifikationskampagne "Wir in NRW" die Wählerstimmung so genau, daß Raus Sozialdemokraten erstmals in der Geschichte des Landes die absolute Mehrheit gewannen. Fünf Jahre später konnte er diesen Erfolg wiederholen. Nicht so zum Zuge, wie Hombach und sein inzwischen als Chef der Staatskanzlei amtierender Polit-Zwilling Wolfgang Clement es sich gedacht hatten, kam Rau als Kanzlerkandidat 1987. Die Bonner Baracke, grollt Hombach auch mehr als drei Jahre danach noch, verhinderte durch ihre Unfähigkeit ein besseres Ergebnis, als Rau es dann tatsächlich holte. Seither sind die Spannungen zwischen den Parteifreunden in Bonn und Düsseldorf unübersehbar.
    Raus Niederlage gegen Kohl, vor allem die Art, wie sie zustande gekommen war, hatte Hombach an einen Ausstieg aus der Parteiarbeit denken lassen. Daß er das öffentlich tat, auch Ambitionen auf Ämter etwa bei der Ruhrkohle oder der Westdeutschen Landesbank zu erkennen gab, stoppte ihn. In dieser Phase der Desorientierung agierte er unprofessionell. Und auch mit der Presse, empfindlich gegenüber Lenkungsversuchen, legte er sich da schon mal an.
    Hombach ist ein ebenso bodenständiger wie kosmopolitischer Mensch von hoher Aufnahmefähigkeit. Der gebürtige Mülheimer, der sich im Revier zu Hause und den Menschen nahe fühlt, sich auch völlig frei von ideologischen Fixierungen wähnt, ist — gemeinsam mit seinem Bonner CDU-Kollegen Radunski — einziges deutsches Mitglied im exklusiven Club einer bedeutenden US-Vereinigung von Werbeexperten. Und solche Mitteilungen macht er nicht ohne Stolz.
    Bodo Hombach stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach der Volksschule machte er eine Lehre als Fernmeldehandwerker bei der Post, dann über den zweiten Bildungsweg das Abitur, leistete Zivildienst, studierte Sozialarbeit, schloß mit der Graduierung ab. Dann ging er zum DGB und formulierte die Antwort der Gewerkschaften auf die Filzokratie-Vorwürfe Biedenkopfs. Später machte er noch das Diplom der Sozialwissenschaften. Einige Zeit war Hombach Pressesprecher der GEW-Landesvorsitzenden Ilse Brusis, heute Bauministerin im Kabinett Rau. Hombach sammelt akademische Auszeichnungen und ist gegenwärtig dabei, an der Fern-Universität in Hagen zum Doktor zu promovieren.
    Die wohl in seiner Biographie begründete manische Lust, es sich und der Welt zu zeigen, macht Hombach auch zu einem rastlosen Autor und Herausgeber. Über "Die SPD von innen" hat er Auskunft gegeben, Geschichte und Geschichten aus dem sich ökonomisch und ökologisch erneuernden alten Industrieland NRW unter dem bezeichnenden Titel "Der Lokomotive in voller Fahrt die Räder wechseln" herausgebracht. Für eine Essaysammlung des Philosophen und Publizisten Peter Sloterdijk ("Kritik der zynischen Vernunft") hat er zwei Arbeiten beigesteuert.
    Gleichwohl wirkt Hombachs beachtlicher Ehrgeiz nicht verkrampft. Verhalten und ein bißchen bärig-tapsig, wie einer, der sich geschmeichelt fühlt, wenn er für Würden und Ämter im Gespräch ist, reagiert er auf Fragen nach seinen Karrierevorstellungen. Das sei "kein aktuelles Thema", sagt er. Zunächst und ganz einfach fühle er sich als Abgeordneter. Und das sei er gerne. Mit seinen Wählern in Mülheim hält er intensiven Kontakt über regelmäßige Bürgersprechstunden.
    Indes meinen viele zu wissen, daß Bodo Hombach schon bald nicht mehr nur einfacher Abgeordneter sein werde. Es gilt ihnen als sicher, daß er bei der in der Mitte dieser Legislaturperiode von Regierungschef Rau erwarteten größeren Kabinettsumbildung in die Landesregierung eintreten und Arbeits- und Sozialminister Hermann Heinemann beerben wird, der dann sein Amt aufgeben möchte.
    Bernd Kleffner

    ID: LI902142

  • Porträt der Woche: Helga Gießelmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 19 - 27.11.1990

    Sie ist nach ihren eigenen Worten ein »Kind der Arbeiterbewegung" und fühlt sich ihr auch heute noch besonders verpflichtet — Helga Gießelmann, SPD- Landtagsabgeordnete aus Bielefeld. Und in der Tat, die 41 jährige Sozialdemokratin stand in ihrer Jugendzeit nicht auf der "Sonnenseite des Lebens". Der Weg bis zur Diplom-Soziologin führte über die kaufmännische Lehre in einem metallverarbeitenden Betrieb, über Abendkurse, Berufsaufbauschule und später über die Universität in Bielefeld. Bereits als Lehrling trat die gebürtige Ostwestfalin in die Industrie-Gewerkschaft Metall ein, kurz darauf auch in die Sozialistische Jugend, die "Falken". Schon früh festverwurzelt in der Gewerkschaftsbewegung, arbeitete sie später beispielsweise an einem Forschungsprojekt, das Kooperationsformen zwischen Hochschulen und Gewerkschaften zum Inhalt hatte.
    Geradlinig verlief Helga Gießelmanns "Karriere" in der SPD, der sie sich 1970 anschloß. Als damals 21 jährige engagierte sie sich zunächst bei den Jungsozialisten, später im Ortsverein und Unterbezirk, und wurde dessen stellvertretende Vorsitzende. Zugleich ist sie ostwestfälische Bezirksvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF).Als der frühere Landtagspräsident Karl-Josef Denzer vor der letzten Wahl im Mai dieses Jahres auf eine erneute Kandidatur für das Landesparlament verzichtete, bewarb sich Helga Gießelmann mit Erfolg zunächst in den Parteigremien, dann bei den Wählern um den Wahlkreis 105, Bielefeld l.
    Schon während ihrer früheren politischen Tätigkeit sah es die Sozialdemokratin als eine persönliche Herausforderung an, die Gewerkschaften mit den neuen Bürgerbewegungen, wie beispielsweise der Friedens- und ökologischen Initiativen, ins Gespräch zu bringen. Es gab in der Vergangenheit eine gewisse Abschottung" seitens der Arbeiterbewegung, stellt sie bedauernd fest. Sie ist aber überzeugt, daß zwischen ihnen gemeinsame Interessen existieren und auch die SPD auf diese Störungen ein größeres Augenmerk richten müsse. Als Abgeordnete sieht sie eine neue, eine parlamentarische Plattform für ihre Anliegen.
    Ihre Fraktion berief die "Neu"-Parlamentarierin auf Anhieb in zwei gewichtige Ausschüsse, den Haupt- und den Wirtschaftsausschuß. Für die engagierte Frauenrechtlerin ist es wichtig, daß Frauen in allen Parlamentsgremien mitarbeiten und auch deren Aspekte vertreten. Insbesondere in jenen sogenannten klassischen Gremien gebe es nach ihrer Ansicht "noch viel für die Frauen zu tun". Derzeit beschäftigt sich der Hauptausschuß mit den Chancen und Risiken des Truppenabzugs bzw. der -Verminderung für die einzelnen betroffenen Regionen Nordrhein-Westfalens, wobei die Sozialdemokratin die Federführung für ihre Fraktion übernommen hat. Für Helga Gießelmann, die sich viele Jahre in der Friedensbewegung engagierte, überwiegen eindeutig die Vorteils. So nennt sie es beispielsweise ein "schönes, erstrebenswertes Ziel", einen "Nationalpark Senne" zu schaffen. "Wir haben die einmalige Chance, dieses gegenwärtig noch militärisch genutzte Gebiet der Ökologie zuzuführen."
    Seit Mai erstmals im Landtag, benötigt auch die Bielefelderin eine gewisse "Eingewöhnungszeit". "Der Riesenbau erschlägt einen zunächst", resümiert sie und fügt gleich hinzu, daß sie bei ihren Kollegen sehr viel Hilfsbereitschaft erfahren habe. Zu ihrem künftigen Parlamentsstil meint die Abgeordnete, sie wolle sich jeweils auf ein bestimmtes Thema konzentrieren und sich mit ihm dann intensiv beschäftigen. Eine gehörige Portion Sachverstand bringt die Sozialdemokratin, die von 1985 bis zur Mandatsübernahme die Kommunale Gleichstellungsstelle in Herford führte, zweifellos ein. Gefragt nach ihrem Hobby, kommt schnell die Antwort — "dafür habe ich keine Zeit". Schließlich ist Helga Gießelmann Mutter von drei Kindern, und nicht nur diese Aufgabe nimmt sie sehr ernst.
    Jochen Jurettko

    ID: LI901958

  • Porträt der Woche: Günther Einert (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 13.11.1990

    "Ja, doch", sagt Günther Einert nach nur ganz kurzem Zögern auf die Frage, ob auch er eine gewisse Trauer darüber empfinde, daß seine schlesische Heimat nun endgültig verlorenes Land sei. Obschon er als Fünfjähriger bereits nach Görlitz kam, heute Grenzstadt an der Neiße, kann er Gefühle von Heimatvertriebenen, an die unlängst Landtagsvizepräsident Hans-Ulrich Klose in seiner Parlamentsrede zur deutschen Einheit erinnerte, nachempfinden. Aber Einert führt sofort den Gedanken weiter, spricht davon, daß seine drei Kinder, alle schon längst selbst erwachsen, in ganz anderen Kategorien denken und in europäischen Grenzen nicht mehr Trennendes sehen. "Das ist die positive Botschaft. Das Haus Europa bekommt gerade jetzt neue Attraktivität."
    Mit diesen wenigen Sätzen charakterisiert der Mann, der heute für die Wirtschaftspolitik des stärksten Bundeslandes die erste Verantwortung trägt, sich gewissermaßen selbst: Gefühle darf man haben und sich dazu bekennen, doch sich dem Gefühl ganz überlassen, das darf man nicht. Dieses nur scheinbar einfache Rezept läßt sich auch auf sozialdemokratische Politik übertragen. Nach ihm haben viele Sozialdemokraten in Vergangenheit und Gegenwart gehandelt: Stimmungen der Menschen aufnehmen, ihren Sorgen und Ängsten nachspüren, aber dann so entscheiden, wie die Vernunft gebietet und es Umsicht und Rücksicht auf die Interessen anderer erfordern.
    Günther Einert, mit einer kurzen Unterbrechung seit 1966 im Landtag und damit einer der erfahrensten Parlamentarier, legt es bei dem, was er tut und sagt, nicht unbedingt darauf an, überall Beifall einzuheimsen. Er sagt dem Kumpel, dem Stahlkocher, daß der Strukturwandel der Wirtschaft nie abgeschlossen ist und immer neue Herausforderungen bringt, und er mahnt ebenso die Verantwortung des Unternehmens und der Unternehmen für die Regionen und ihre Menschen an, in denen sie sich niedergelassen haben. Und Einert verschont auch Parteifreunde in anderen Landesregierungen nicht, wenn die Sache, um die es geht, dies erfordert. So forderte er erst unlängst in einer Debatte des Landtags die gesamtstaatliche Verantwortung Niedersachsens in der Frage der Endlagerung von atomarem Abfall ein. Gefallen hat dies dem Parteifreund Gerhard Schröder in Hannover nach dessen eigenem Bekenntnis ganz und gar nicht. Gleichwohl war es richtig und notwendig.
    Die Wirtschaftspolitik des Landes, die auch immer Strukturpolitik sein muß, ist für den Sozialdemokraten Einert eine Aufgabe, die den Ausgleich der Interessen ebenso suchen muß wie die Einbindung aller in die Verantwortung. Daß eine so schwierige Phase der Umstrukturierung wie im letzten Jahrzehnt ohne allzu große Verwerfungen bewältigt werden konnte, ist seiner Meinung nach ein Beweis dafür, daß größtmögliche Übereinstimmung gesucht und gefunden werden konnte. Die Rolle des Staates bei der Bewältigung der künftigen Herausforderungen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik sieht Einert, der seine wissenschaftliche Ausbildung zum Nationalökonomen in den USA und in Deutschland erst nach einer praktischen Lehr- und Arbeitszeit als Schlosser und Schweißer absolvierte, ganz nüchtern. Es kommt nach seiner Meinung weniger darauf an, daß der Staat mit finanziellen Anreizen lockt, sondern Unternehmen und Investoren müssen darauf setzen können, daß die Politik verläßlich ist, langfristige Perspektiven eröffnet.
    Für diese Art von Wirtschaftspolitik steht Einert. Und er tut das Seine, bei anderen dafür um Unterstützung zu werben. Daß die Kammern des Handwerks und der Industrie sich ihrer Verantwortung für den Erfolg von Politik stellen, freut ihn ganz offensichtlich. Und ausgesprochen lobend erinnert er an den ermordeten Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und den verstorbenen Veba-Vorstand Rudolf von Benningsen-Foerder, die maßgeblich dazu beigetragen hätten, daß der Initiativkreis Ruhrgebiet eine so große Signalwirkung entfalten konnte.
    Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister geht davon aus, daß er eine große Übereinstimmung für eine Wirtschaftspolitik, die den Interessen der Menschen und denen der Unternehmen gleichermaßen dient, auch künftig braucht. Denn neue Herausforderungen stehen vor der Tür. Die Elektronikbranche, jahrelang kraftstrotzend immer neue Umsatzrekorde meldend, fängt an, Arbeitsplätze abzubauen. Mit Subventionen ist dagegen nichts zu machen. "Keiner kann gegen den Markt ansubventionieren", weiß der Minister. Doch die Wege freischlagen für neue Produkte, das kann in ständiger, gemeinsamer Anstrengung sehr wohl gelingen, wenn alle sich ihrer Verantwortung stellen.
    Karl Lohaus

    ID: LI901845

  • Porträt der Woche: Hans Klaps (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 17 - 30.10.1990

    Das war ein Geburtstags-Vorabend für Hans Klaps: Am 13. Mai, dem Tag der Landtagswahl, schaffte der SPD-Mann vom Niederrhein als einziger sozialdemokratischer Wahlkämpfer, einen Wahlkreis von der CDU zu "holen".
    Noch 1985 war Klaps bei dem Versuch, den populären Landrat Manns Backes (CDU) im Wahlkreis Viersen (Land) aus dem Feld zu schlagen, knapp gescheitert. Jetzt konnte der erste Textilgewerkschafter im Landesparlament am Tag danach seinen Geburtstag besonders fröhlich feiern.
    Klaps ist 54 Jahre alt. Der gelernte Samtweber gehört zur großen Schar der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, die politische Bodenhaftung haben. Seit 1972 ist der im ländlichen Brüggen-Bracht lebende Abgeordnete freigestelltes Betriebsrats-Mitglied. Seine Bewährungsprobe als Arbeitnehmer-Vertreter bestand Klaps als Vorsitzender des Betriebsrates einer niederrheinischen Textilfirma, die in eine arge Krise geraten war.
    1968 trat er in die SPD ein — nicht, weil damals die große innenpolitische Politisierung stattfand, sondern — typisch für den Afa-Mann — weil er von Betriebsrats-Kollegen dazu animiert worden war.
    Man tritt Hans Klaps sicherlich nicht zu nahe, wenn man ihm eine gehörige Portion Skepsis gegenüber der akademischen 68er Bewegung und ihren Repräsentanten unterstellt. Zu den GRÜNEN hat er ein distanziertes Verhältnis. "Das sind ja meistens studierte Leute", sagt er, zwar nicht abschätzig, aber doch so, als wolle er andeuten, daß solche Leute eben wenig von der wirklichen Arbeitswelt verstünden. "Ich habe 15 Jahre Nachtschicht in einer Weberei gemacht, ich kenne das Arbeitsleben." Hans Klaps räumt ein, daß GRÜNE so manchen vernünftigen Vorschlag machen, fügt aber dann sofort hinzu: "Wenn die doch bloß ein bißchen gemäßigter wären." Und weiter: "Als Arbeitnehmer sage ich, wenn die Vorstellungen der GRÜNEN realisiert würden, gingen eine ganze Menge Arbeitsplätze einfach drauf." Es bedarf kaum des Hinweises, daß Klaps seine Probleme mit Parteifreund Oskar Lafontaine hat. Er selbst spricht deutlich von "Reserven", die er habe: "Ich bin kein Fan von Oskar, ich hätte Jochen Vogel noch einmal kandidieren lassen." Friedhelm Farthmann und Johannes Rau stehen dafür hoch im Kurs von Hans Klaps. Mit Farthmann verbindet ihn die Nähe zur Gewerkschaft und die Abneigung zur SPD-Frauenquote. Farthmann sei im übrigen auch der einzige Politiker gewesen, der bei ihm mal auf einer Betriebsversammlung gewesen sei. Ja, und daß Johannes Rau möglichst noch über das Jahr 1995 Ministerpräsident von NRW bleiben möge — das wünscht sich der neue Landesparlamentarier.
    Bei der Frage nach möglichen "Kronprinzen" fällt ihm nicht viel ein: "Da bin ich vorsichtig, über die Jahre hinweg kann sich vieles ergeben."
    Er selbst ist jemand, der das Geschehen im Landtag aus den hinteren Reihen verfolgt. Das leicht diffamierende Wort "Hinterbänkler" stört ihn nicht, wie erbetont. Es folgt dann ein Satz, der wie das politische Credo des Basis-Politikers Klaps klingt: "Für mich findet die wichtigste Arbeit im Wahlkreis statt, dort sind auch die Wähler, dort muß man sich einsetzen, denn die nächste Wahl kommt bestimmt."
    Das Landtags-Büro im 4. Stock wirkt noch sehr uneingerichtet knapp fünf Monate nach der Wahl. Die karge Atmosphäre scheint das Wohlbefinden des neuen Abgeordneten nicht zu beeinträchtigen. Er spricht von einem angenehmen Klima in der Fraktion, von hilfreichen Kollegen wie Marie-Luise Morawietz oder Landtags-Vize Schmidt, die ihm, dem Neuling, mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätten.
    Klaps arbeitet im Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz; im Umweltausschuß wurde er nur stellvertretendes Mitglied. "Leider", wie er bekräftigt. Der Privatmann Hans Klaps ist seit jeher dem Sport, vor allem dem Fußball, zugetan. Bis zum 46. Lebensjahr hat er aktiv gespielt, dann zwangen Probleme im rechten Knie zum Aufhören. Heute ist er Präsident der 1. Altherren im Brachter TSF. Den Sonntag hält er sich — wenn irgend möglich — frei. Der Tag gehört der Ehefrau. Die einzige Tochter ist erwachsen, bewohnt aber ein Haus in unmittelbarer Nähe der Eltern. Weiteres Hobby neben dem Fußball: Rausgehen mit dem Schäferhund.
    Reinhold Michels

    ID: LI901746

  • Porträt: John van Nes Ziegler (SPD).
    Porträt
    S. 13 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Mit dem rapiden Abschied des 64jährigen John van Nes Ziegler von der politischen Promenade verstärkt sich der Eindruck, daß die nachdrükkende Generation den Traditionsbruch pflegt, wie ihn Soziologen vornehmlich seit den 60er APO-Jahren in allen Gemeinschaften und Parteien konstatieren: Die Söhne stützen die Väter nicht!
    Es waren Sozialdemokraten jüngeren Datums, die Nes Ziegler den schon geebneten Weg vom Düsseldorfer Präsidentenamt zum Sitz des Europa-Parlaments in Straßburg verbauten. Ob die Verweigerer glaubten, es handele sich um eine Alters-Apanage durch die Parteiführung, ob sie meinten, der Kandidat sei schon zu alt — einerlei! Ein Politiker starken Geblüts, jenseits aller Ideologie und Technokratie, wurde abgeblockt, auf Leistung und Persönlichkeit keine Rücksicht genommen, auch nicht auf Autorität, die zusehends in der politischen Landschaft von Bund und Ländern nebst Kommunen versandet, weil zu viele Politik nur noch als Geschäft wie jedes andere begreifen, weil zu viele Politiker sich immer mehr nur als Manager verstehen. Gesichtslose und geschichtsarme Karrierejünglinge schieben sich in allen Organisationen nach vorn. Originale werden oft durch Abziehbilder ersetzt.
    Die Popularität des Parlamentarismus steht und fällt mit einem Repräsentanten. Ein Landtagspräsident hat wenig Macht und doch große Verantwortung. John van Nes Ziegler war sich bewußt, daß sein Amt dem Landtag gehört, der allzeit Schutz und Glanz nötig hat. — Kein Staat lebt ohne Symbol, van Nes Ziegler hat dies nach unrühmlichen Schwächeanfällen seiner Vorgänger gegen alle Widerstände praktiziert, als er Zug um Zug den wie ein Kollosseum anmutenden Neubau des Landtags durchsetzte.
    Durch und durch Pragmatiker, der nicht abends rechts einschläft, um morgens links aufzuwachen, ging er seinen bemerkenswert geraden Weg: 1946, nach Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg, schloß sich der 1921 in Köln geborene Patriziarsohn der SPD an. Zwei Jahre später stand der Jurastudent auf der ersten politischen Plattform, und dies als Vorsitzender des Sozialistischen Studentenbundes (SDS). Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer waren seine Chefs, Helmut Schmidt schlichtes Mitglied der sozialdemokratischen Akademiker-Quelle, die seinerzeit noch klares Wasser und Solidarität spendete. Van Nes Zieglers Blick zurück: "Sonst wären wir auch rausgeflogen..."
    1956 zog der junge Rechtsanwalt in den Kölner Stadtrat ein, um auf Anhieb Fraktionschef zu werden und es bis 1973 zu bleiben. Dann löste er Theo Burauen ab, dessen Oberbürgermeister-Kette der Kölner John, seine Hamburger Urverwandten nicht verleugnend, voller Stolz sieben Jahre trug. Nur ungern und nach selbstquälerischem Erforschen der weiteren Laufbahn machte er den Stuhl des großen Stadtvaters frei. Die Konsequenz einer bis dato schon erfolgreichen Vergangenheit holten den handfesten, zuweilen auch derben Politiker ein... Nach Heinz Kühns Wahlsieg 1966 in Nordrheinwestfalen war van Nes Ziegler zum Landtagspräsidenten gewählt worden, ab 1970 dann für die Dauer von zehn Jahren Landtagsvizepräsident gewesen, und so bewahrte das Haus am Schwanenspiegel würdige Kontinuität, indem es 1980 abermals dem ersten Kölner Repräsentanten wiederum das erste Präsidentenamt des Parlaments einstimmig übertrug.
    Gemessen an allen seinen Vorgängern ähnelte der Führungsstil des van Nes Ziegler dem des verstorbenen und fast schon vergessenen Wilhelm Johnen. Beide Politiker, obwohl in ganz verschiedenen Parteien zu Hause, handhabten Mehrheit im Sinne von Herrschen. Beide Männer ließen sich aber nicht von ihren Parteifreunden den Eintopf der Majorität aufzwingen. Im Falle des Nes Ziegler ging dies so weit, daß er gegen Druck vieler Sozialdemokraten zum Pressesprecher im Landtag den engsten Mitarbeiter des am 20. April 1980 plötzlich verstorbenen Heinrich Köppler berief, ohne jenen versierten Friedhelm Geraedts persönlich näher gekannt zu haben. Mit gleicher Umsicht setzte der Präsident seinen Kandidaten für die Nachfolge des Landtagsdirektors Brentrup durch. Diesmal lief die CDU vergeblich Sturm ...
    Erfrischend, wie er alten Kurialien zu Düsseldorf schon 1966 den Bart abnahm und zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode nicht im bis dato üblichen Bratenrock erschien ...
    Reformerisch, wie er etwa als plötzlich gerufener Kapellmeister sich in die fremde Partitur des Vorgängers stürzte, sie presto umkrempelte und sogleich zum großen Dirigenten wurde.
    Der arg konservativ ausgerichtete Landtag bis 1966 war stets zuerst die Arena der Regierung, die Opposition durfte Saaldienern ähnlich Eintrittskarten abreißen. Mehr Demokratie wagen, dies wurde jetzt erst zum Programm, die verstaubten Geschäftsordnungen mit ihren knebelnden Bedingungen zu Lasten der Regierungs-Kontrolleure korrigiert — so unter anderem das Recht des Oppositionsführers, gleich nach dem Ministerpräsidenten sprechen zu können: so die Pflicht, "aktuelle Stunden" jederzeit durchzusetzen, so die Notwendigkeit des "schnellen" Antrags, so Erleichterung für Abgeordnete, in der Fragestunde jeden einzelnen Minister zu stellen. Die vielen peinigenden Vorrechte der Regierungen Amelunxen, Arnold, Steinhoff und Meyers wurden abgeschafft.
    Ganz gewiß hat John van Nes Ziegler auch seiner Hinterlassenschaft manchen Gegner überantwortet, freilich konnte auch er nicht immer im Gewande Salomons den ganz gerechten Ausgleich zwischen den streitenden Parteien finden, aber: Auch den Journalisten wird er lange im Gedächtnis bleiben als robuste, eigenwillige, nicht biegbare Natur. Weder Praline-Journalisten, die es mit Süßigkeiten versuchten, noch Pressur-Kommentatoren gab er nach. Manche Medien-Nase stieß sich an diesem Politicus, der auch ein Stück Bad Godesberger SPD-Geschichte zwei Jahrzehtne lang durchdachte, auf daß Sozialdemokraten als Bewahrer der linken Volkspartei nicht ihre Mitte im Volk einbüßen, ohne die Heinz Kühn wie auch Johannes Rau die Führung in Nordrhein-Westfalen nie gewonnen hätten.
    Horst-Werner Hartelt
    (Erschienen am 7. Mai 1985)

    ID: LI90S126

  • Porträt: Karl Josef Denzer (SPD).
    Porträt
    S. 14 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Kein Landtagspräsident in der mehr als 40jährigen Geschichte Nordrhein-Westfalens war stets so umgeben und umringt von Freund und Gegner wie Karl Josef Denzer, der sich nach der Parlamentswahl im Mai aus der Landespolitik gänzlich zurückzieht und in seinen Bielefelder Garten heimkehrt.
    Den Gegnern hat er es meist nicht schwer gemacht, indem er ihnen spontan, impulsiv und ehrlich die höchstpersönliche Meinung geigte ... Da gab es kein Drumherumreden, da stand Denzer, fast Herbert Wehner gleich, laut, überdeutlich auf der Walstatt, auf daß den Rechtschaffenen, ob in Verwaltung oder im Landtag selbst, Hören und Sehen verging. Den eigenen Freunden wiederum machte es der "Jupp" auch nicht leicht, weil er gelegentlich erhoffte Zustimmung gar nicht erst abwartete, den Beschlüssen vorauseilte.
    Ein Mensch in seinem Widerspruch, ein Sozialdemokrat aus der Kurt-Schumacher- Ära, die Karl Josef Denzer in Bielefeld vor allem unter Emil Gross erlebte, dessen Bedeutung für die SPD und den gesamten Detmolder Regierungsbezirk gleichrangig neben der Statur Heinrich Drakes zu werten ist.
    Der Jungsozialist Denzer hat es damals erfahren: Die Geschlossenheit der Partei war oberster Grundsatz, Abweichler überrollte die Disziplin der Mehrheit, nicht das Programm, sondern die Person war alles. Es gab noch keinen linken Flügel, der Erzfeind waren die KPD und Nachfolger.
    Die Jusos galten damals als Avantgarde der alten SPD, nur so ist heute erklärbar, daß beispielsweise Denzers Juso-Mitstreiter Heinz Castrup zum persönlichen Referenten Erich Ollenhauers aufstieg, als dieser nach Schumachers Tod zum ersten Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gewählt wurde. Denzer ging den anderen Weg, schlug sich neben seinem Beruf als Verwaltungsfachmann durch die Kommunalpolitik, bis er 1970 in den Landtag gelangte.
    Der politischen Gesäß-Geographie zufolge, die inzwischen auch die SPD erfaßt hatte, galt der Abgeordnete aus Bielefeld als "Rechter"; zweifellos war er kein Linker im Sinne der APO, auch kein Freund der Ideologen. Die politische Praxis hatte ihn zum Pragmatiker gemacht, und dies im Geiste seiner Partei- Ahnen. Daß sich auch in Ostwestfalen-Lippe die SPD-Mehrzahl verjüngte, daß beispielsweise mit dem Aufbau der Bielefelder Universität auch eine gesellschaftliche Umschichtung der Partei einherging und nicht mehr die Metallarbeiter das Sagen hatten, dies bekümmerte freilich zuweilen einen "alten" Sozialdemokraten wie Denzer.
    Immerhin, die SPD Nordrhein-Westfalens wußte, was sie an ihm hatte: in der Landtagsfraktion rückte er auf, wurde als Etat-Sprecher Nachfolger von Friedel Neuber, den der Rheinische Sparkassenverband zum Präsidenten gewählt hatte. Beim Rücktritt des Finanzministers Professor Dr. Friedrich Halstenberg blieb tagelang die Frage in der Schwebe, ob Diether Posser oder Karl Josef Denzer das wichtigste Ressort der Landesregierung übernehmen sollte. Daß der damalige Ministerpräsident Heinz Kühn Posser den Vorzug gab, erwies sich alsbald für die Landtagsfraktion als Glücksfall, denn sie brauchte einen neuen Vorsitzenden. Dieter Haak übergab sein Amt an Denzer; die Fraktion, auch die Regierung, nun schon mit Ministerpräsident Johannes Rau, war glücklich mit ihm.
    In einer Zeit, da die SPD erstmals die absolute Mehrheit in den Landtag einbrachte und nur noch zwei Parteien im Parlament abstimmten, war die Führung der Majoritäts-Fraktion um so schwieriger, denn so viele Begehrlichkeiten in der siegreichen SPD mußten abgeschlagen werden, konnten nicht ausweichend wie entschuldigend mit Hinweisen auf Koalitionspartner leicht ins Abseits gedrängt werden. Dazu gehörte auch mancher Ansturm auf die Landeskasse, auch auf die Schulpolitik etc. Zudem mußte sich Karl Josef Denzer im Plenarsaal mit keinem Geringeren als Professor Kurt Biedenkopf herumschlagen, dessen Reden immer gefürchtet waren. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge nahm Fraktionschef Denzer Abschied von dem ihm auf den Leib geschriebenen Führungsamt. Die Partei bestand darauf, ihn zum Landtagspräsidenten zu wählen, es wurde keine leichte Zeit für ihn. 227 Abgeordnete, also 27 mehr, waren 1985 ins Parlament eingezogen, auch die dritte Partei, die F.D.P., war wieder da. Schwierige Gewöhnungsprozesse auf beiden Seiten kamen in Gang. Der Präsident, traditionsgemäß persona grata, wurde plötzlich angerempelt. Einzelne Abgeordnete verstiegen sich zu Gemeinheiten.
    Am schwierigsten indes vollzog sich der materielle und geistige Umzug vom Altbau am Schwanenspiegel in das überdimensionale neue Gebäude am Rhein. Der Landtagspräsident mußte für alles geradesteben, obschon er den Neubau nicht forciert hatte. Einzig und allein seine beiden Vorgänger im Amt, John van Nes Ziegler (SPD) und Wilhelm Lenz (CDU), haben das gewaltige Millionen-Projekt betrieben, wenngleich die ersten hochfliegenden Pläne Wilhelm Johnen ausgedacht hatte, jener legendäre "Herzog von Jülich". Dieser Christdemokrat wollte schon in den sechziger Jahren den Neubau, aber Oppositionsführer Heinz Kühn schlug ihm alles aus der Hand. Auch die F.D.P. mit Willy Weyer legte sich quer.
    Karl Josef Denzer hat alles auf sich genommen, entzog sich nicht der Geschichte und nicht der Verpflichtung, auch nicht der Moral. Erst unlängst würdigte er alle seine Amtsvorgänger, gab ein Beispiel, das leider seltener auf der Tagesordnung des Landtags steht — die Solidarität der Demokraten.
    Horst-Werner Hartelt
    (Erschienen am 2. Mai 1990)

    ID: LI90S128

  • Porträt: Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Gratulationen und Glückwünsche nahm sie auffallend gelassen hin. So schnell läßt sich die Landtagspräsidentin nicht aus der Ruhe bringen, und dies ist gut so! Die vier Fraktionen werden ihr kaum etwas schenken. Ingeborg Friebe ist darauf eingerichtet.
    Was die Frau vom Jahrgang 1931 mitbringt, ist Lebensklugheit, erworben in der Familie und im Beruf, vor allem aber erlitten im Kindesalter. Den Vater haben die Nazis zum Tode verurteilt und umgebracht, weil er kommunistischer Widerstandskämpfer war. Die Mutter wurde bis zum letzten Kriegstag 1945 verfolgt, das hat die Tochter mit ihren beiden Brüdern in der Enge von Polizeidienststellen erfahren, dort wo SS und Gestapo kommandierten. Viele Jahre der Angst und der Not.
    Über den Weg der kaufmännischen Berufsschule gelangte das Mädchen an ihrem Geburtsort Braunschweig zum Deutschen Gewerkschaftsbund. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, mit dem sie in den 60er Jahren nach Monheim bei Düsseldorf zog. Die beruflichen Verpflichtungen machten den sonst gar nicht gewollten Umzug unumgänglich, denn Ehemann Horst wurde zum Bundesgeschäftsführer einer DGB-Organisation berufen.
    Frau Friebe entschied sich für die Familie, zog zwei Söhne groß und sagt heute noch: "Eines geht nur, entweder Mutter zu Hause oder frei von allem im Beruf!" 13 Jahre hat sie es so gehalten und war glücklich. Erst danach ging sie in ihren Beruf zurück, arbeitete als Schulsekretärin und kümmerte sich um die Politik im kleinen. Ganz unten fing Ingeborg Friebe an, Ortsvereinsvorstand und dann Kreisvorsitzende, schließlich gar als eine der ersten Frauen überhaupt die Chefin eines ganzen Unterbezirks, und dies gleich fünf Jahre an Rhein und Wupper. Alles ist glatt gelaufen, alles ohne Komplikationen, denn diese Funktionärin war nie kompliziert, immer offen und ehrlich, konnte gar dem bulligen Bezirksvorsitzenden Hans Otto Bäumer die Meinung geigen.
    Die SPD Willy Brandts hat sie geformt, obschon in ihren Jugenderinnerungen auch Niedersachsens Hinrich Wilhelm Kopf und Alfred Kübel eine Rolle spielen. Diese beiden Ministerpräsidenten und Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs schärften das Interesse an Landes- wie an Kommunalpolitik. Mit diesem Rüstzeug kam Ingeborg Friebe 1976 in das Bürgermeisteramt der Stadt Monheim und ein Jahr davor schon in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der Aufstieg vollzog sich lautlos und ohne Blaustrumpf. Die männlichen Parlamentskollegen freuten sich, nicht neben einer "Emanze" sitzen zu müssen. In den Ausschüssen Arbeit und Soziales nebst Gesundheit war sie schnell eine Fachfrau und im Gremium für Petitionen eine Hilfe für die Schwachen in der Gesellschaft. Wohltun ohne Glockengeläut, dies erwies sich als ihr Wochenprogramm, so hat sie überzeugt; so wählte sie der Landtag 1985 guten Gewissens zur Vizepräsidentin.
    Daß sie gar eines Tages den ersten Stuhl im Parlament einnehmen würde, wollte sie vor wenigen Monaten noch nicht glauben, zumal sie das sozialdemokratische Quoten-Diktat zugunsten von Frauen nicht als Weisheit letzter Schluß empfindet.
    Die erste Landtagspräsidentin in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen wird es nicht leicht haben. Man wird sie an Vorgängern messen, vor allem an der kompliziert gewordenen Tagesarbeit. Der Landtag startete in den Gründerjahren mit fünf Fraktionen, nämlich CDU, SPD, F.D.P., Zentrum und KPD. Ab 1954 aber fehlte schon die fünfte Gruppierung, und vier Jahre später hatte auch das Zentrum keinen parlamentarischen Bestand mehr. Von 1958 bis in den Mai 1990 setzte sich der Landtag mit einer Ausnahme zwischen 1980 und 1985 (der Wähler hatte der F.D.P. für diese Zeit kein Mandat gegeben) aus drei Fraktionen zusammen. Mit den überraschend eingezogenen Grünen stehen nun auf einmal wieder vier Parteien auf der Tagesordnung.
    Frau Friebe muß es richten, denn sie ist für alle da. Aber auch diese Tatsache nahm sie gelassen hin, schon in der Wahlnacht meinte sie, dies sei nun die vierte Dimension — "und mir ist nicht bange, solange wir immer Demokraten sind". Die Bürgermeisterin aus Monheim hat keine Angst vor der Zukunft, sie macht sich Mut und dem scheidenden Präsidenten Karl Josef Denzer wie auch der Landesverwaltung ein Kompliment: Das Hohe Haus sei viel besser als sein Ruf.
    Horst Werner Hartelt
    (Erschienen am 6. Juni 1990)

    ID: LI90S130

  • Porträt der Woche: Karl Böse (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 25.09.1990

    Zu der Zeit, als für dieses Porträt mit Karl Böse ein Gespräch geführt wurde, lag die SPD im offenen Streit mit sich und ihrem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine zum deutsch-deutschen Staatsvertrag und zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Karl Böse gibt sich vorsichtig. Er fühle sich ein bißchen zu weit entfernt vom Geschehen, um zu beurteilen, ob Lafontaine vielleicht die Vereinigung nicht wolle oder gar aus der Kanzlerkandidatur "rauswolle". Soviel gibt der Landtagsabgeordnete aus Dortmund jedoch preis: Er sei für die Einheit, auch nicht gegen die schnelle Einführung der D-Mark drüben. Nur müsse man alles politisch flankieren, weil das Leben mit der DM in der DDR doch viel teurer werde für die Leute. Eben sei er in Zwickau gewesen, dort, wo der Trabbi gebaut werde. Es sei nicht ausgeschlossen, daß mangels Absatzmöglichkeiten fast die Hälfte der 28000 Beschäftigten entlassen werden. Böses Fazit: "Wir dürfen die Einheit nicht an den Bürgern vorbei machen." Abseits der aktuellen Lagebeurteilung kommt eine politische Unterhaltung mit dem 50jährigen SPD-Politiker (der runde Geburtstag war am 25. Juli) schnell zu seinem Lieblingsthema — der Verkehrspolitik. NRW brauche in Zukunft noch erhebliche Investitionen auf diesem Gebiet. Als ein Beispiel nennt Böse die Rheinquerung bei Düsseldorf. Sie müsse kommen. Später gibt er zu bedenken, daß das Vorhaben möglicherweise daran scheitern könnte, daß der Bund das nötige Geld für Verkehrs-infrastruktur-Maßnahmen in der DDR verwendet.
    An diesem Morgen ist Böse mit dem Auto von Dortmund nach Düsseldorf zur Fraktionssitzung gekommen. Einen Lkw nach dem anderen habe er auf der rechten Spur gesehen, da frage man sich doch, ob nicht viele der dort transportierten Güter besser auf dem Schienenweg transportiert würden. Es sei Sache des Bundes, für mehr Bundesbahn-Investitionen zum Güter-Transport zu sorgen. Böse gehört zu den praktisch denkenden Politikern, die aus der alltäglichen Erfahrung heraus ihre Schlüsse zu ziehen suchen. Da fällt dem Abgeordneten z.B. auf, daß frühmorgens, im dichten Berufsverkehr, Arbeiter am Grünstreifen der Fahrbahn werkeln und dadurch einen Stau verursachen. Das könne doch wohl zu einer anderen Tageszeit gemacht werden, meint Böse, wohl wissend, daß dahinter die knifflige Arbeitszeit-Regelung von Arbeitnehmern betroffen wäre.
    Zur Magnetbahn Transrapid hat Böse, wie er sagt, eine vorurteilsfreie Einstellung. Das Argument, der Transrapid sei zu laut, läßt er nicht gelten, nachdem er auf der Versuchsstrecke im Emsland den mit 400 Stundenkilometer vorbeirasenden Zug keineswegs so laut empfunden hat wie einen weniger schnell fahrenden Intercity. Böse ist sich der Umweltschutz-Problematik des Transrapid-Projekts und jedes anderen verkehrspolitischen Großvorhabens bewußt. Zum ordentlichen Planverfahren gehöre eine Umweltverträglichkeits-Prüfung. Auch Bürgerbeteiligung sei notwendig, was nicht heiße, daß die Politik mit jeder kleinen Gruppe zum Konsens kommen müsse. Wenn das zur Pflicht würde, könne man Politik gleich an den Nagel hängen.
    Auch als früherer Hauptschulrektor, der 1980 in den Landtag kam, hat er Verständnis für den Elternwunsch, ihre Kinder etwas Besseres werden zu lassen, folglich nicht zur Hauptschule, sondern auf weiterführende Schulen zu schicken. In seinem Elternhaus hat Karl Böse das selbst erlebt. Sein Vater, ein Kesselschmied, habe ihn nach der 4. Volksschulklasse zum Gymnasium anmelden wollen. Nachdem der Hausmeister gemeint hatte, ein Arbeiterkind habe auf dem Gymnasium doch keine Chance, habe der Vater die Anmeldung zunächst wieder rückgängig gemacht. Erst nachdem der Volksschul-Klassenlehrer gedrängt habe, sei das Arbeiterkind Karl Böse nach der 5. Klasse auf die Oberschule gekommen. Heute plädiert der Sozialdemokrat für mehr Ganztagsbetrieb an allen Schulen des Landes. Das koste zwar Geld, aber — so Böse: "Wir sind doch ein reiches Land — insgesamt." Den schmunzelnden Hinweis auf den am Nebentisch sitzenden Landesfinanzminister Schleußer wehrt er ab. Man müsse eben die Lehrerverteilung besser organisieren und auch "eine Menge Pfründe" von Lehrern überdenken, zum Beispiel die Pflichtstundenzahl-Ermäßigung je nach Alter. Es sei auch fast unmöglich, Lehrer schnell dorthin zu versetzen, wo sie gebraucht würden; auch da müsse etwas geändert werden.
    Der Privatmann Karl Böse erzählt von seinem sechsjährigen Sohn, von seiner Zeit als aktiver Feldhandballer. Heute betreibe er nur noch Sport auf Sportabzeichen-Niveau: Laufen, Springen, Werfen.
    Reinhold Michels

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist ein Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI901533

  • Porträt der Woche: Ulrich Schmidt (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 28.08.1990

    Für seine neue Tätigkeit als Vizepräsident des Düsseldorfer Landtags bringt Ulrich Schmidt die besten Voraussetzungen mit. Schließlich weiß der 48jährige Sozialdemokrat, der persönlich Verletzendes selbst in der schärfsten Debatte verabscheut, seine Freunde im Landtag auch außerhalb der engen Fraktionsgrenzen seiner Partei. "Das muß möglich sein, auch wenn man in der Sache oft unterschiedliche Positionen einnimmt." Doch seine politische Heimat hat der Bürgermeister aus Wetter, für den das Wort "Genosse" noch etwas gilt, stets im Kreis der Sozialdemokratie gehabt, "Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Ich muß mich wohlfühlen können", weiß der allseits beliebte SPD-Politiker.
    Daß der gebürtige Wittener schon in jungen Jahren die Gemeinschaft in Gewerkschaft und Partei suchte, dürfte nicht zuletzt mit dem schrecklichen Schlüsselerlebnis zusammenhängen, daß sein Vater im Kriegsjahr 1942 fiel, als Ulrich Schmidt gerade geboren wurde. Ulrich Schmidt ist kein Pazifist geworden, aber die Parole "Nie wieder Krieg" hat ihn in seinem bisherigen Leben nicht losgelassen. Sohn und Mutter zog es immer wieder zum heimischen Kriegerdenkmal. Und bis heute hat Ulrich Schmidt es sich nicht nehmen lassen, dort jedes Jahr eine Rede gegen den Krieg zu halten.
    1964 trat der überzeugte Sozialpolitiker in die SPD ein. Obwohl vom kirchlichen Elternhaus her eigentlich kein geborener Sozialdemokrat, engagierte er sich und wurde bereits 1968 Ortsvereinsvorsitzender in Volmarstein. Er habe schon früh erkannt, daß kirchliche Arbeit allein in der Sozialpolitik nicht viel bewirken könne und sich in der Partei engagiert, erinnert sich Schmidt. Beruflich zog es den tatkräftigen Macher zur Betriebskrankenkasse von Hoesch, wo er es bis zum Gruppenleiter brachte. Berufspolitiker wollte das IG Metall-Mitglied damals noch nicht werden. Ulrich Schmidt stand stets auf der Seite der Arbeitnehmer. Beim Kampf um den Stahlstandort Hattingen hat der Abgeordnete manche Tag- und Nachtschicht vor den Werkstoren verbracht und den oftmals verzweifelten Menschen Mut gemacht.
    Über die Gemeinde Volmarstein gelangte Schmidt auch ins Kuratorium der Orthopädischen Anstalten. Berührungsängste mit den Behinderten waren dem jungen Mann fremd, schließlich hatte er schon im heimatlichen Sandkasten feste Freundschaften geschlossen. Zeitgleich mit seiner ersten Wahl in den Landtag wurde der "Sozialpolitiker durch und durch" auch Bürgermeister in der 30000-Einwohner- Gemeinde Wetter. Hier, wo die "Roten"seit Kriegsende regieren, bekam Ulrich Schmidt seinen letzten kommunalpolitischen Schliff. Noch heute ist der SPD-Politiker zutiefst der Überzeugung, daß sich Landtags- und Bundestagsabgeordnete zuerst die Sporen in der Kommunalpolitik verdienen müßten, statt sich "als Seiteneinsteiger auf dem Markt der Abgeordnetenmandate zu tummeln". Für absolut nicht ideal hält der bodenständige Politiker deshalb auch die immer häufiger anzutreffende Karriere: Abitur, Studium, Promotion, Mandat. Ein Greuel ist Schmidt die Lehrerlastigkeit in allen Fraktionen.
    Im Sozial- wie im Finanzausschuß hat der neue Vizepräsident stets Kompromisse gesucht, zwischen den Fraktionen, aber auch zwischen dem Wunsch und dem Machbaren. "Die Bilanz stimmt", resümiert Schmidt rückschauend. Auch als langjähriger Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Ennepe-Ruhr stand die Sozialpolitik im Vordergrund, so daß es nur ein kurzer Schritt war bis zum Vorsitzenden der Stiftung Wohlfahrtspflege. Hier streitet der Sozialdemokrat "überparteilich "dafür, daß die Stiftung vom Land das ihr zustehende Geld erhält. Eigentlich sollen die Überschüsse der Spielbanken in die Stiftung fließen. Dennoch hat das Land vor Jahren die Hälfte der Mittel zur Haushaltssanierung geschluckt und Alten und Behinderten diese Gelder entzogen. Ulrich Schmidt hat diesen Vorgang seiner Parteifreunde stets aus innerer Überzeugung heraus öffentlich kritisiert.
    Trotz der Belastung durch das neue Präsidentenamt will der verheiratete Wetteraner Bürgermeister seiner Heimatgemeinde treu bleiben. Wer Ulrich Schmidt kennt, der weiß, daß seine Mitbürger dies gern gehört haben werden.
    Wilfried Goebels

    ID: LI901329

  • Porträt der Woche: Ilse Ridder-Melchers (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 11 - 19.06.1990

    Die Frage, ob sie sich als Feministin verstehe, beantwortet Ilse Ridder-Melchers ungenau: Eine Radikalfeministin sei sie nicht. Doch man tut der bisherigen parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann und neuen Ministerin wohl auch kein Unrecht, wenn man festhält, daß sie nicht nur keine Radikalfeministin — was immer das sei —, sondern auch keine ganz gewöhnliche Feministin ist. Es ist auch schwer vorstellbar, daß Johannes Rau einer Feministin zu Staatssekretärs- oder gar Ministerin-Ehren verhilft. So weit ist die Frauenförderung hierzulande noch nicht gediehen, galt es lange Jahre doch als völlig natürlich, daß ein Mann den Frauenbeauftragten der Düsseldorfer Landesregierung mimte.
    Seit dem 2. Mai 1986 ist das Vergangenheit. An jenem Tag wurde die sozialdemokratische Politikerin aus dem westfälischen Coesfeld die erste parlamentarische Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann in Nordrhein-Westfalen. "Meine Aufgabe ist es, parteilich für Frauen zu sein", beschreibt Ridder-Melchers ihre nun schon vierjährige Tätigkeit in der neugeschaffenen Position. Und um noch einmal zu den Feministinnen zurückzukommen: Mit denen komme sie gut aus, glaubt sie feststellen zu können. In den Kreisen der autonomen Frauenbewegung werde anerkannt, daß sie — beispielsweise — für die finanzielle Förderung der Frauenhäuser nicht müde werde zu streiten, wohl wissend, daß die Forderungen auch auf diesem Gebiet nie völlig zur Zufriedenheit der Fordernden erfüllt werden können. Aber guter Wille und Engagement und so mancher kleine Erfolg werden der Staatssekretärin von den autonomen Frauen nicht abgesprochen. Und wer diese Szene etwas kennt, der weiß, daß dies nicht wenig ist.
    Ilse Ridder-Melchers hatte auch deshalb gute Aussichten, die erste Frauenministerin in Nordrhein-Westfalen zu werden. Sie selbst wies eine solche Möglichkeit zwar händehebend zurück, um den Ministerpräsidenten nicht zu verärgern, der es nicht gern hat, wenn über Kabinettsposten öffentlich geredet wird, ehe er sie verteilt hat. Doch Johannes Rau ist bei den Frauen im Wort. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach versprochen, den für eine sozialdemokratische Landesregierung bislang skandalös niedrigen Frauenanteil in seinem Kabinett nach der Landtagswahl zu erhöhen und — auch — ein Frauenministerium zu schaffen.
    An der bisherigen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann kam Rau dabei kaum vorbei. Und das um so weniger, weil vom Ministerpräsidenten kein einziges kritisches Wort über die bisherige Arbeit der Staatssekretärin bekannt geworden war. Ihr ruhiges Naturell, allen lauten und schrillen Tönen abhold, kam Rau dabei sehr entgegen. Dabei hätte Ilse Ridder-Melchers in der Vergangenheit oft genug Gelegenheit gehabt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Denn die Coesfelder Mutter von zwei Söhnen, die sich in die Kommunalpolitik stürzte, als die Kinder — wie es so schön heißt — aus dem Gröbsten heraus waren, ist seit 1982 auch Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Nordrhein-Westfalen. Und da war es schon bitter für sie, mit ansehen zu müssen, wie die sozialdemokratischen Männer im Vorfeld der Landtagswahl reihenweise sozialdemokratische Frauen bei den Landtagskandidaturen abblockten oder mit gänzlich aussichtslosen Wahlkreisen abspeisten. Das Ergebnis dieses männerbeherrschten Postenschachers entlarvte wieder einmal alle Sonntagsreden über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der SPD als Gerede: Als am Wahlsonntag alle Stimmen ausgezählt und alle Mandate verteilt waren, rangierten die Sozialdemokratinnen hinter den Grünen, hinter der F.D.P. und der CDU gemessen am prozentualen Frauenanteil in den Fraktionen auf dem beschämenden letzten Platz. Ridder-Melchers Hinweis, daß die Sozialdemokratinnen in absoluten Zahlen gezählt die größte Frauenmannschaft im Landtag stellen, kann da nur als billiger Trost gewertet werden. Und daß sich die Zahl der Frauen im neuen Landtag fast verdoppelt hat, eine Feststellung, auf die die Staatssekretärin besonderen Wert legt, ist eben zuallerletzt Verdienst der SPD. Ilse Ridder-Melchers zieht aus diesem für die SPD-Frauen deprimierenden Wahlergebnis die Schlußfolgerung, daß das Wahlrecht in Nordrhein-Westfalen geändert werden müsse. Die Entscheidung über die Kandidaturen dürfe nicht länger fast ausschließlich vor Ort gefällt werden, was dann zu solch Verhältnissen wie in Dortmund führte, wo in sechs Wahlkreisen sechs Männer nominiert wurden, sondern auf die Landesebene verlagert werden. Die Landeslisten müssen nach den Überlegungen der Ministerin mehr Gewicht bekommen, um Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichtigkeiten — unter denen nicht nur die Frauen leiden — auszugleichen. Aber ob es für solche Wahlrechtsänderungen im Landtag eine Mehrheit gibt, ist eher fraglich. Da bleibt wohl nur die Überzeugungsarbeit in der Partei. "Die Männer müssen es noch lernen", beschreibt Ilse Ridder-Melchers lapidar die schwere Aufgabe des Machtverzichts, der ja auch immer mit dem Verzicht auf Geld und andere Annehmlichkeiten verbunden ist.
    Die Ministerin selbst meint, daß sie in diesen vier Jahren in dem neuen Amt viel gelernt habe. Und in einem Anflug selten hervorgekehrten Selbstbewußtseins fügt sie hinzu: "Ich denke schon, ich war recht erfolgreich." Sie möchte diese Arbeit gern weitermachen, möchte auch gern noch einmal als Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen in Nordrhein-Westfalen wiedergewählt werden. Aber über beide Posten entscheidet nicht sie, entscheiden vielmehr Johannes Rau im ersten und die AsF-Frauen im zweiten Fall. So ist das nun mal in der Politik, die sich Ilse Ridder-Melchers als Beruf ausgesucht hat.
    Reinhard Voss

    ID: LI901131

  • Porträt der Woche: Die Präsidentin Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 10 - 06.06.1990

    Von Horst-Werner Hartelt
    Gratulationen und Glückwünsche nahm sie auffallend gelassen hin. So schnell läßt sich die Landtagspräsidentin nicht aus der Ruhe bringen, und dies ist gut so! Die vier Fraktionen werden ihr kaum etwas schenken. Ingeborg Friebe ist darauf eingerichtet.
    Was die Frau vom Jahrgang 1931 mitbringt, ist Lebensklugheit, erworben in der Familie und im Beruf, vor allem aber erlitten im Kindesalter. Den Vater haben die Nazis zum Tode verurteilt und umgebracht, weil er kommunistischer Widerstandskämpfer war. Die Mutter wurde bis zum letzten Kriegstag 1945 verfolgt, das hat die Tochter mit ihren beiden Brüdern in der Enge von Polizeidienststellen erfahren, dort wo SS und Gestapo kommandierten. Viele Jahre der Angst und der Not.
    Über den Weg der kaufmännischen Berufsschule gelangte das Mädchen an ihrem Geburtsort Braunschweig zum Deutschen Gewerkschaftsbund. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, mit dem sie in den 60er Jahren nach Monheim bei Düsseldorf zog. Die beruflichen Verpflichtungen machten den sonst gar nicht gewollten Umzug unumgänglich, denn Ehemann Horst wurde zum Bundesgeschäftsführer einer DGB-Organisation berufen.
    Frau Friebe entschied sich für die Familie, zog zwei Söhne groß und sagt heute noch: "Eines geht nur, entweder Mutter zu Hause oder frei von allem im Beruf!" 13 Jahre hat sie es so gehalten und war glücklich. Erst danach ging sie in ihren Beruf zurück, arbeitete als Schulsekretärin und kümmerte sich um die Politik im Kleinen. Ganz unten fing Ingeborg Friebe an, Ortsvereinsvorstand und dann Kreisvorsitzende, schließlich gar als eine der ersten Frauen überhaupt die Chefin eines ganzen Unterbezirks, und dies gleich fünf Jahre an Rhein und Wupper. Alles ist glatt gelaufen, alles ohne Komplikationen, denn diese Funktionärin war nie kompliziert, immer offen und ehrlich, konnte gar dem bulligen Bezirksversitzenden Hans Otto Bäumer die Meinung geigen.
    Die SPD Willy Brandts hat sie geformt, obschon in ihren Jugenderinnerungen auch Niedersachsens Hinrich Wilhelm Kopf und Alfred Kübel eine Rolle spielen. Diese beiden Ministerpräsidenten und Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs schärften das Interesse an Landes- wie an Kommunalpolitik. Mit diesem Rüstzeug kam Ingeborg Friebe 1976 in das Bürgermeisteramt der Stadt Monheim und ein Jahr davor schon in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der Aufstieg vollzog sich lautlos und ohne Blaustrumpf. Die männlichen Parlamentskollegen freuten sich, nicht neben einer "Emanze" sitzen zu müssen. In den Ausschüssen Arbeit und Soziales nebst Gesundheit war sie schnell eine Fachfrau und im Gremium für Petitionen eine Hilfe für die Schwachen in der Gesellschaft. Wohltun ohne Glockengeläut, dies erwies sich als ihr Wochenprogramm, so hat sie überzeugt; so wählte sie der Landtag 1985 guten Gewissens zur Vizepräsidentin.
    Daß sie gar eines Tages den ersten Stuhl im Parlament ein nehmen würde, wollte sie vor wenigen Monaten noch nicht glauben, zumal sie das sozialdemokratische Quoten-Diktat zugunsten von Frauen nicht als Weisheit letzter Schluß empfindet.
    Die erste Landtagspräsidentin in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen wird es nicht leicht haben. Man wird sie an Vorgängern messen, vor allem an der kompliziert gewordenen Tagesarbeit. Der Landtag startete in den Gründerjahren mit fünf Fraktionen, nämlich CDU, SPD, F.D.P., Zentrum und KPD. Ab 1954 aber fehlte schon die fünfte Gruppierung, und vier Jahre später hatte auch das Zentrum keinen parlamentarischen Bestand mehr. Von 1958 bis in den Mai 1990 setzte sich der Landtag mit einer Ausnahme zwischen 1980 und 1985 (der Wähler hatte der F.D.P. für diese Zeit kein Mandat gegeben) aus drei Fraktionen zusammen. Mit den überraschend eingezogenen Grünen stehen nun auf einmal wieder vier Parteien auf der Tagesordnung.
    Frau Friebe muß es richten, denn sie ist für alle da. Aber auch diese Tatsache nahm sie gelassen hin, schon in der Wahlnacht meinte sie, dies sei nun die vierte Dimension — "und mir ist nicht bange, solange wir immer Demokraten sind". Die Bürgermeisterin aus Monheim hat keine Angst vor der Zukunft, sie macht sich Mut und dem scheidenden Präsidenten Karl Josef Denzer wie auch der Landesverwaltung ein Kompliment: Das Hohe Haus sei viel besser als sein Ruf.

    ID: LI901024

  • Porträt der Woche: Im Strom der Zeit.
    Karl Josef Denzer (SPD) nimmt Abschied vom Landtag.
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 8 - 02.05.1990

    Kein Landtagsgräsident in der mehr als 40jährigen Geschichte Nordrhein-Westfalens war stets so umgeben und umringt von Freund und Gegner wie Karl Josef Denzer, der sich nach der Parlamentswahl im Mai aus der Landespolitik gänzlich zurückzieht und in seinen Bielefelder Garten heimkehrt.
    Den Gegnern hat er es meist nicht schwer gemacht, indem er ihnen spontan, impulsiv und ehrlich die höchstpersönliche Meinung geigte... Da gab es kein Drumherumreden, da stand Denzer, fast Herbert Wehner gleich, laut, überdeutlich auf der Walstatt, auf daß den Rechtschaffenen, ob in Verwaltung oder im Landtag selbst, Hören und Sehen verging. Den eigenen Freunden wiederum machte es der "Jupp" auch nicht leicht, weil er gelegentlich erhoffte Zustimmung gar nicht erst abwartete, den Beschlüssen vorauseilte. Ein Mensch in seinem Widerspruch, ein Sozialdemokrat aus der Kurt-Schumacher-Ära, die Karl Josef Denzer in Bielefeld vor allem unter Emil Gross erlebte, dessen Bedeutung für die SPD und den gesamten Detmolder Regierungsbezirk gleichrangig neben der Statur Heinrich Drakes zu werten ist. Der Jungsozialist Denzer hat es damals erfahren: Die Geschlossenheit der Partei war oberster Grundsatz, Abweichler überrollte die Disziplin der Mehrheit, nicht das Programm, sondern die Person war alles. Es gab noch keinen linken Flügel, der Erzfeind waren die KPD und Nachfolger.
    Die Jusos galten damals als Avantgarde der alten SPD, nur so ist heute erklärbar, daß beispielsweise Denzers Juso-Mitstreiter Heinz Castrup zum persönlichen Referenten Erich Ollenhauers aufstieg, als dieser nach Schumachers Tod zum ersten Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gewählt wurde. Denzer ging den anderen Weg, schlug sich neben seinem Beruf als Verwaltungsfachmann durch die Kommunalpolitik, bis er 1970 in den Landtag gelangte.
    Der politischen Gesäß-Geographie zufolge, die inzwischen auch die SPD erfaßt hatte, galt der Abgeordnete aus Bielefeld als "Rechter"; zweifellos war er kein Linker im Sinne der APO, auch kein Freund der Ideologen. Die politische Praxis hatte ihn zum Pragmatiker gemacht, und dies im Geiste seiner Partei-Ahnen. Daß sich auch in Ostwestfalen-Lippe die SPD-Mehrzahl verjüngte, daß beispielsweise mit dem Aufbau der Bielefelder Universität auch eine gesellschaftliche Umschichtung der Partei einherging und nicht mehr die Metallarbeiter das Sagen hatten, dies bekümmerte freilich zuweilen einen "alten" Sozialdemokraten wie Denzer.
    Immerhin, die SPD Nordrhein-Westfalens wußte, was sie an ihm hatte: in der Landtagsfraktion rückte er auf, wurde als Etat-Sprecher Nachfolger von Friede/Neuber, den der Rheinische Sparkassenverband zum Präsidenten gewählt hatte. Beim Rücktritt des Finanzministers Professor Dr. Friedrich Halstenberg blieb tagelang die Frage in der Schwebe, ob Diether Posser oder Karl Josef Denzer das wichtigste Ressort der Landesregierung übernehmen sollte. Daß der damalige Ministerpräsident Heinz Kühn Posser den Vorzug gab, erwies sich alsbald für die Landtagsfraktion als Glücksfall, denn sie brauchte einen neuen Vorsitzenden. Dieter Haak übergab sein Amt an Denzer; die Fraktion, auch die Regierung, nun schon mit Ministerpräsident Johannes Rau, war glücklich mit ihm.
    In einer Zeit, da die SPD erstmals die absolute Mehrheit in den Landtag einbrachte und nur noch zwei Parteien im Parlament abstimmten, war die Führung der Majoritäts-Fraktion um so schwieriger, denn so viele Begehrlichkeiten in der siegreichen SPD mußten abgeschlagen werden, konnten nicht ausweichend wie entschuldigend mit Hinweisen auf Koalitionspartner leicht ins Abseits gedrängt werden. Dazu gehörte auch mancher Ansturm auf die Landeskasse, auch auf die Schulpolitik etc. Zudem mußte sich Karl Josef Denzer im Plenarsaal mit keinem Geringeren als Professor Kurt Biedenkopf herumschlagen, dessen Reden immer gefürchtet waren.
    Mit einem weinenden und einem lachenden Auge nahm Fraktionschef Denzer Abschied von dem ihm auf den Leib geschriebenen Führungsamt. Die Partei bestand darauf, ihn zum Landtagspräsidenten zu wählen, es wurde keine leichte Zeit für ihn. 227 Abgeordnete, also 27 mehr, waren 1985 ins Parlament eingezogen, auch die dritte Partei, die F.D.P., war wieder da. Schwierige Gewöhnungsprozesse auf beiden Seiten kamen in Gang. Der Präsident, traditionsgemäß persona grate, wurde plötzlich angerempelt. Einzelne Abgeordnete verstiegen sich zu Gemeinheiten.
    Am schwierigsten indes vollzog sich der materielle und geistige Umzug vom Altbau am Schwanenspiegel in das überdimensionale neue Gebäude am Rhein. Der Landtagspräsident mußte für alles geradestehen, obschon er den Neubau nicht forciert hatte. Einzig und allein seine beiden Vorgänger im Amt, John van Nes Ziegler (SPD) und Wilhelm Lenz (CDU), haben das gewaltige Millionen-Projekt betrieben, wenngleich die ersten hochfliegenden Pläne Wilhelm Johnen ausgedacht hatte, jener legendäre "Herzog von Jülich". Dieser Christdemokrat wollte schon in den sechziger Jahren den Neubau, aber Oppositionsführer Heinz Kühn schlug ihm alles aus der Hand. Auch die F.D.P. mit Willy Weyer legte sich quer.
    Karl Josef Denzer hat alles auf sich genommen, entzog sich nicht der Geschichte und nicht der Verpflichtung, auch nicht der Moral. Erst unlängst würdigte er alle seine Amtsvorgänger, gab ein Beispiel, daß leider seltener auf der Tagesordnung des Landtags steht — die Solidarität der Demokraten.
    Von Horst-Werner Hartelt

    ID: LI900866

  • Porträt der Woche: Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 20.02.1990

    Sie sei "überall die Jüngste" gewesen, sagt Ingeborg Friebe über sich. Und meint damit, daß sie oft die Erste war. Oder doch ganz vorne mit dabei in dieser Republik. 1949, gerade 18 Jahre alt, war sie mit dabei, als in Niedersachsen der Landesverband der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) gegründet wurde; dessen Erste Vorsitzende wurde sie später. Und in Nordrhein-Westfalen, wohin es sie Mitte der 60er Jahre verschlug, war sie die erste Vorsitzende eines SPD-Unterbezirks (im Rhein-Wupper-Kreis). "Mutter Monheim" heißt sie bei ihren Parteifreunden, denen sie seit 1976 als Bürgermeisterin der gleichnamigen rheinischen Stadt Respekt abverlangt. Die Frau stammt aus altem Braunschweiger Proletarier-Adel. Die Großmutter, eine engagierte Sozialdemokratin, war Betriebsrätin in einer Blechwarenfabrik und kämpfte für die politische Gleichberechtigung der Frau. Ihr Vater ein Kommunist. Ingeborg Friebes kühle Art läßt nur ahnen, welche hitzigen Diskussionen da am heimischen Küchentisch geführt wurden. Aber sie wirken nach und korrespondieren mit den traumatischen Erfahrungen der Nazi-Gewaltherrschaft. Der Vater, mehrfach inhaftiert, wurde im KZ ermordet, die Mutter drangsaliert. "Wenn sie zur Gestapo mußte, hat sie uns, meine beiden Brüder und mich, mitgenommen", erinnert sie sich. "Sie wurde dann etwas weniger geschlagen."
    Eine höhere Schule durfte sie als Tochter eines Kommunisten nicht besuchen. Sie habe wohl eine "andere Jugend erlebt" als die meisten ihrer Altersgenossen, beschreibt sie die Folgen der Sippenhaft. Nach dem Krieg stand sie da, "hungrig nach Wissen". Und lernte in Abendkursen Englisch und Gesellschaftskunde; tags Arbeit in einer Puddingfabrik, später, von Freunden der Familie gefördert, als Telefonistin beim jungen DGB. Rechtsschutzsekretärin wollte sie werden. 1952, mit dieser beruflichen Ausbildung noch nicht ganz fertig, heiratete sie einen Kollegen von der Gewerkschaft, wurde Mutter von zwei Kindern und Hausfrau.
    1966 zieht Ingeborg Friebe mit ihrem Mann von Braunschweig nach Monheim um — und wird nach 13 Jahren wieder öffentlich aktiv. Zunächst in der Kommunalpolitik für die SPD, der sie sich, ihren Erfahrungen folgend, schon 1950 angeschlossen hat. Ein Jahr später (1967) gehört sie dem Kreisvorstand an, wird Mitglied des Parteirats (1970 bis 1975) und des Bezirksvorstands Niederrhein (1970 bis 1976). 1969 wird Ingeborg Friebe in den Rat der Stadt Monheim gewählt, sieben Jahre später ist sie Bürgermeisterin. Schon im Jahr davor ist sie in den Landtag gewählt worden. Parlamentarische Arbeit lernt sie im Petitionsausschuß, in den Ausschüssen für Arbeit, Gesundheit, Soziales und für Justiz. Bald danach, schon arriviert, sitzt sie für Anke Brunn, die als "Notopfer Berlin" an die Spree entsandt worden ist, im Fraktionsvorstand. Und 1985 wird sie 2. Vizepräsidentin des Landesparlaments.
    Ihre politische Karriere, sagt sie, verdanke sie nicht ihrem Geschlecht. Daran gibt es keinen Zweifel. Eine "Emanze" will sie nicht sein, und zu radikalen Feministinnen hat sie überhaupt kein Verhältnis. Ihre politische Philosophie ist sozusagen traditionell Sie sei überzeugt davon, daß die Frauen in der Politik "nur was mit den Männern zusammen " erreichen können oder gar nicht. Auf dem SPD-Parteitag in Münster, der die Vergabe von Parteiämtern und Mandaten an einen Geschlechterschlüssel bindet, mit dem den Frauen bessere Chancen eingeräumt werden sollen, hat sie zwar für die Quote gestimmt, sie aber nicht eigentlich ernstgenommen. Sie ist nicht überzeugt gewesen, "daß das der richtige Weg" sei, sagt sie und spricht damit ihrem Fraktionschef Friedhelm Farthmann aus dem Herzen, der in Münster gegen die Quotierung argumentiert und schließlich auch gestimmt hatte. Zu ihm hat sie ein "gutes und freundschaftliches Verhältnis", ebenso zu Ministerpräsident Johannes Rau.
    Ihr paradoxes Ja zur Quote versteht Ingeborg Friebe gewissermaßen als Strafe für die uneinsichtigen Männer, die die Frauen nicht aufkommen lassen wollen. "Sie haben sich das selbst eingebrockt", findet sie. Und "nur aus Solidarität mit den Frauen" habe sie dafür gestimmt. Im heimischen Monheim jedenfalls ist nach ihrer Auffassung eine Quote nicht nötig. Frei und ganz unbeschwert bewegt sie sich im verminten Gelände zwischen der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) und den Quotengegnern.
    Das könnte ihr zum Vorteil gereichen, wenn es im nächsten Landtag, der am 13. Mai gewählt wird, um das höchste Amt geht. Der Sessel des Landtagspräsidenten wird frei, weil sein gegenwärtiger Inhaber, der Bielefelder Sozialdemokrat Denzer, aus der Politik ausscheidet. Ingeborg Friebe ist als Nachfolgerin im Gespräch. Mit ihr habe aber "noch niemand gesprochen", sagt sie. Und sie selbst hat "auch noch mit niemand darüber geredet". Im übrigen ist sie .sehr gerne Bürgermeisterin". Wie und ob beide Ämter "zusamen gehen würden, weiß ich noch nicht".
    Daß sie das hohe Amt reizt, sie sich ihm auch gewachsen fühlt, will sie also nicht verhehlen. Und wenn etwas daraus würde, wäre sie wieder einmal "die Jüngste" — jedenfalls in NRW.
    Bernd Kleffner

    ID: LI900445

  • Porträt der Woche: Bodo Champignon (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 06.02.1990

    Wer regelmäßig das Vergnügen hat, mit den 227 Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags nun, sagen wir einmal, Umgang zu pflegen, weiß, daß es im "Hohen Haus" drei Gruppen von Volksvertretern gibt. Da arbeiten die wirklich Einflußreichen, die Aufgeblasenen und eine dritte Gruppe, die man als eine Art stille Arbeiter im Weinberg des Herrn charakterisieren könnte. Der Sozialdemokrat Bodo Champignon zählt sich nicht zu den mächtigen Kollegen, er will auch nicht zu jenen gezählt werden, die sich, so formuliert er es mit seinen Worten, "primadonnenhaft" in Fraktion, Öffentlichkeit und Plenarsaal spreizen. Der gebürtige Dortmunder und gelernte Industriekaufmann, Sproß einer alten hugenottischen Familie, beackert vielmehr seit nun schon zehn Jahren beharrlich und ohne Eitelkeit das breite Themenspektrum in den Ausschüssen für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Sport, bei dem man wenige Schlagzeilen ernten, aber so manchem Mann und so mancher Frau "draußen im Lande", wie es so schön heißt, helfen kann. Und mit sehr bescheidenem Ehrgeiz wird er es auch in den nächsten fünf Jahren tun. Denn selbstverständlich hat zwar der Wähler, hat die Wählerin das entscheidende Wort über die Zusammensetzung des nächsten Landtages. Aber daß Bodo Champignon seinen Wahlkreis in Dortmund verlieren könnte, glaubt nicht einmal der größte Optimist von der Opposition. Denn vor fünf Jahren gewann Champignon diesen Wahlkreis mit stolzen 66,6 Prozent der Stimmen. Seitdem hat er es mit den Sechsen. Es war eher Zufall, daß ihm im neuen Plenarsaal der Platz Nr. 66 zugewiesen wurde und zwangsläufig hat er deshalb auch den Garderobenhaken mit den beiden Sechsen.
    Solch sichere Wahlkreise wie der im Dortmunder Norden wecken gewöhnlich die Begehrlichkeit der Konkurrenz in der eigenen Partei. Bodo Champignon rechnet es sich als sein ganz persönliches Verdienst an, daß niemand in der Dortmunder SPD auch nur versucht hat, ihm seinen Wahlkreis abzujagen. "So ganz unzufrieden", meint er leise lächelnd, "scheinen die Genossinnen und Genossen mit meiner Arbeit in Düsseldorf also nicht gewesen zu sein." Dafür gibt es noch einen zusätzlichen Grund neben den, so Champignon, belegbaren und nachweisbaren Erfolgen im tagtäglichen Kleinkram in Düsseldorf und Dortmund: Der ehemalige Betriebsrat der Hoesch-Hüttenwerke ist der Aids-Beauftragte der SPD-Landtagsfraktion — wahrlich kein Job, um den es in der Fraktion heiße Ausscheidungskämpfe gegeben hätte. Bei dieser Aufgabe muß der Dortmunder Abgeordnete vielmehr ein Minderheitenthema beackern, von dem die Mehrheit in der Bevölkerung am liebsten nichts sehen und nichts hören möchte. Bodo Champignon erledigt auch diese Aufgabe sachlich und ohne öffentliches Getöse. An der Basis aber bringt das Punkte.
    Vor die Aufgabe gestellt, zu beschreiben, worin sich der Dortmunder Sozialdemokrat von manchem anderen Abgeordneten unterscheidet, muß seine Ehrlichkeit erwähnt werden. So gibt er freimütig zu, in seiner persönlichen Existenz heute von der Politik abhängig zu sein. Er hat zwar noch einen Schreibtisch bei Hoesch in Dortmund stehen. Aber Bodo Champignon nennt dieses Möbelstück, an dem er noch ein-, zweimal in der Woche sitzt, selbst ein Art "Rettungsanker", den er um Gottes willen hofft, nie gebrauchen zu müssen. Müßte er hauptamtlich und zum Broterwerb in seinen Beruf zurückkehren dann wäre er doch "der letzte Hansel, der in irgendeiner Abstellkammer irgendetwas ordnen müßte", skizziert der ehemalige stellvertretende Abteilungsleiter bei Hoesch seine heutigen Berufsaussichten angesichts des rasanten Wandels in diesem Konzern. Verurteilt also, bis zur Pensionierung als Berufspolitiker das Leben zu fristen, abhängig vom Wohl und Wehe der Partei? Bodo Champignon scheut sich nicht, diese Frage zu bejahen — er möchte dieses einfache Ja allerdings um den Zusatz ergänzt wissen, daß er diesen Zustand nicht als Verurteilung betrachtet. Er redet in diesem Zusammenhang auch nicht vom "Dienst für den Wähler", von "Pflicht" und "Last-auf-sich-nehmen für die Bürgerinnen und Bürger", wie dies manch eitlere Abgeordnete tun. Er sagt einfach, daß es ihm Spaß mache Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags zu sein.
    Und das ist ja nun mal wirklich ein ehrliches Wort. Mit 66,6 Prozent im Rücken scheut Bodo Champignon auch nicht vor einem offenen Wort über manche Turbulenzen in der eigenen Partei und Fraktion zurück. Was sich da einige Kolleginnen und Kollegen beispielswelse in dem Streit um die Plazierung des Fraktionsvorsitzenden Friedhelm Farthmann auf der Landesliste für die Entscheidung vom 13. Mai geleistet hätten, sei nur mit einem "Sonnenstich im Winter" zu erklären, meint der 49jährige Dortmunder in schöner Offenheit. Und zu dem Thema Frauen, die keinen einzigen der sechs Dortmunder Wahlkreise erhielten, sagt Bodo Champignon ganz trocken, daß es "Mandate auf silbernem Tablett" nun einmal nicht gebe. Die Ochsentour sei er gegangen und müsse jeder und jede gehen, die in Dortmund ein Landtagsmandat anstrebten. Extratouren für Frauen könne es da nicht geben. Champignon der Frauenfeind also ? Nee, in die Schublade will sich der Dortmunder nicht stecken lassen. Aber er sei nun einmal wie die meisten Dortmunder kein Jackenzieher und Speichellecker, sondern bevorzuge die Rede im Klartext. Und zum Klartextreden gehört schließlich für Bodo Champignon auch, daß er es nicht abstreitet, Lobbyist für Kohle und Stahl im Düsseldorfer Landtag zu sein. Der Dortmunder Abgeordnete sagt es noch drastischer: "Im Zweifelsfall immer für Hoesch." Da weiß man doch wenigstens, woran man ist mit diesem Mann.
    Reinhard Voss

    ID: LI900342

  • Porträt der Woche: Dr. Bernd Brunemeier (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 23.01.1990

    Er liest gern die Klassiker der deutschen Literatur, und wenn er als Beispiele zwei Namen nennt, sind es Gotthold Ephraim Lessing und Heinrich Heine. Das ist kein Zufall, beide haben eins gemeinsam: sie kämpften in ihren Werken für den Gebrauch der kritischen Vernunft und eine unvoreingenommene Toleranz zwischen den Menschen. Der Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete Bernd Brunemeier hat Germanistik studiert, und seine Promotion zum Dr. phil. erlangte er über die klassische deutsche Literatur. Bis zu seiner Wahl in den Düsseldorfer Landtag 1980 als Studienrat an einem Gütersloher Gymnasium tätig, bedauert er es heute, nur noch ein "bißchen Zeit" zu haben für sein Hobby, eben die Literatur.
    Der gebürtige Ostwestfale vom Jahrgang 1943 hatte nach dem Volksschulbesuch allerdings zunächst einen Handwerksberuf erlernt und war Werkzeugmacher geworden. Über den sogenannten zweiten Bildungsweg schaffte er dann die Mittlere Reife und innerhalb von nur zweieinhalb Jahren auch das Abitur. Obwohl Bernhard Brunemeier aus einem alten sozialdemokratischen Elternhaus stammt, war es nicht die "Tradition", die ihn 1970 in die SPD führte. Es war vielmehr die "demokratische Erneuerung, der allgemeine Aufbruch" unter Willy Brandt, erinnert er sich beute. Zudem interessierte ihn die örtliche Politik. So gehört das Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) seit 1973 der Bezirksvertretung Brackwede an, seit zehn Jahren ist er Vorsitzender der SPD-Fraktion.
    Als der Direktkandidat des Wahlkreises 107, Bielefeld III, 1980 in den Landtag rückte, berief ihn seine Fraktion in den Ausschuß für Schule und Weiterbildung. Dort gilt er seitdem als engagierter Befürworter einer vielfältigen, offenen Schullandschaft ebenso wie eines uneingeschränkten Elternrechts. Für ihn ist die große Leistungsfähigkeit des differenzierten Schulwesens in Nordrhein-Westfalen die Voraussetzung für die Erneuerung des Landes. Ohne eine "Bildungsoffensive" sei es nicht denkbar, die ökonomischen wie ökologischen Herausforderungen zu lösen. Die verschiedenen Schulformen seien Angebote an die Eltern, die selbst darüber entscheiden sollten, welcher schulische Weg für ihre Kinder der richtige sei.
    Vehement plädiert Bernhard Brunemeier in diesem Zusammenhang dafür, daß sich die Schulpolitik des Landes angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und gestiegenen beruflichen Anforderungen an die Jugendlichen stärker mit den Bildungsinhalten aller Schulen befassen müsse. Wir brauchen eine "Lernziel-Diskussion". Wenn die Jugendlichen die komplizierte Struktur in einer demokratischen Gesellschaft nicht mehr verstünden, drohe die Gefahr ihrer Verweigerung und Zuwendung vom Radikalismus. Auch müsse der Staat eine glaubwürdige Antwort darauf geben, wie er die bedrohten natürlichen Lebensgrundlagen erhalten wolle und könne. "Sonst verfluchen uns eines Tages die Kinder."
    Das Interesse des Ostwestfalen gilt denn auch der Umweltschutzpolitik. Nach seiner Ansicht müsse sich "mehr herumsprechen", daß die vom Land Nordrhein-Westfalen betriebene ökologische Erneuerung auch die "Wirtschaftsförderung von morgen" sei. Beide Bereiche, Umweltschutz und Wirtschaft, könne man heute nicht mehr voneinander trennen.
    Der SPD-Abgeordnete sieht sich den Bürgern seines Bielefelder Wahlkreises besonders verpflichtet. Dabei wird von Wählern wie Parlamentskollegen dessen Bemühen um Fairneß und Objektivität besonders geschätzt.
    Jochen Jurettko

    ID: LI900232

  • Porträt der Woche: Heinz Hilgers (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 16.01.1990

    Seit dem 19. Oktober 1989 ist Heinz Hilgers Bürgermeister seiner Stadt Dormagen. Die Hilgers-Sippe ist fest mit der rheinischen Kommune verwurzelt, bis 1760 lasse sich das zurückverfolgen, erzählt der 41jährige SPD-Landtagsabgeordnete. der seit 1985 im Düsseldorfer Parlament sitzt, jedoch bereits als 27jähriger im Rat seiner Vaterstadt tätig war. Bei der Bürgermeister-Wahl erhielt der bisherige SPD-Fraktionsvorsitzende im Rat auch die Stimmen der Zentrums-Vertreter.
    Beim Gespräch mit Heinz Hilgers fällt sofort die Verschmitztheit auf. Man erinnert sich an den Spruch: Der hat es faustdick hinter den Ohren. Hilgers ist ein Mann von rheinischem Gemüt. Er sei privat sehr kontaktfreudig, könne auf Anhieb 500 Witze erzählen oder eine Büttenrede halten. Auf die Frage, ob ihm Bierernst fremd sei, antwortet er prompt: "Bier nicht, aber Ernst."
    Manchmal, so erzählt Hilgers, komme ihm auch die Politik zu humorlos vor. Er nennt ein Beispiel aus jüngster Zeit:
    Auf die Attacke der nordrhein-westfälischen CDU, wonach die NRW-Staatskanzlei mittlerweile zu einem SPD-Politbüro verkomme, hätte er nicht so reagiert wie Wolfgang Clement (SPD), der Chef der Staatskanzlei. Er, Hilgers, hätte an Clemens Stelle am 11.11. als erster Sekretär des Politbüros die CDU zum Tag der offenen Tür eingeladen.
    Bei soviel Hang zum Jux tritt der politische Arbeiter Hilgers etwas in den Hintergrund. Der gelernte Verwaltungsfachmann, der es bis zum Jugendamtsleiter in Frechen gebracht hat, blickt zufrieden auf einen stetigen Aufstieg zurück. Ob er politische Vorbilder habe? "Nein", antwortet der Abgeordnete, "ich orientiere mich nicht an Vorbildern". Personen spielen seiner Meinung nach zwar eine wichtige Rolle in der Politik, aber eigentlich gehe es doch um Inhalte, oder?
    Um welche Inhalte kümmert sich der Politiker Heinz Hilgers am meisten?
    Beim Thema Jugend-, Familien- und Bildungspolitik engagiert er sich merklich. Ein wenig scheint ihn dabei zu stören, daß er als Mitglied im fast schon berüchtigten SPD-Arbeitskreis 13 auch von eigenen Parteifreunden als Linker betrachtet wird. Er stehe in der Mitte der Partei, sonst wäre er nicht Bürgermeister geworden, sagt Hilgers. Das Verhältnis zwischen Kultusminister Schwier (SPD) und dem AK 13-Vorsitzenden Dammeyer (SPD) hält Hilgers für "verhakt": "Und dann kommen noch einige aus der jeweiligen Umgebung der beiden und schüren Feuerchen."
    Auf die Seite des Kultusministeriums schlägt er sich nicht. Er bezweifelt, ob eine solche Bürokratie überhaupt in der Lage ist, im Schulbereich sozusagen ex cathedra über Personal- und Organisationsprobleme zu befinden. Vielleicht lasse sich das an Ort und Stelle viel besser regeln. Hilgers plädiert für die Kommunalisierung des Schulwesens.
    Beim Stichwort "Lehrer" grübelt Hilgers auch über Sinn und Unsinn des Berufsbeamtentums. Wieso liege eigentlich das Schwergewicht der Lehrer-Tätigkeit in der Ausübung hoheitlicher Gewalt? Der Lehrer sollte doch in erster Linie Pädagoge sein. Ja, räumt er ein, die Entscheidung darüber, ob ein Schüler versetzt werde, sei Verwaltungsakt und damit hoheitliche Tätigkeit; er frage sich aber manchmal, ob überhaupt der oder die Lehrer allein über Versetzung entscheiden sollten. Er fände es besser, wenn solche Entscheidungen nur gemeinsam mit Eltern und anderen Menschen getroffen würden, die mit dem jungen Menschen zu tun haben. Hilgers: "Lehrer sollten mehr Helfer und weniger Schiedsrichter sein."
    Der Privatmann Heinz Hilgers erzählt von seinen drei Kindern zwischen 18 und sechs Jahren, von seinen Jogging-Leistungen (20 Kilometer in 1:20) und von seiner Leidenschaft für die Handball-Künste des Bundesligisten TSV Bayer Dormagen.
    Reinhold Michels

    ID: LI900143

  • Porträt der Woche: Willi Pohlmann (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 22 - 19.12.1989

    Viermal hat er den Wahlkreis 128, Herne 1, für seine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, mit klaren Mehrheiten gewonnen, zum fünften Gang, der Landtagswahl am 13. Mai kommenden Jahres, wird er nicht mehr antreten: Willi Pohlmann. Den Entschluß zum Verzicht auf die Kandidatur zum Landesparlament hat er aus freien Stücken getroffen, niemand hat den 61jährigen drängen müssen, seinen Platz freizumachen. Drängen, so sagen Sozialdemokraten, die sich in ihrer Partei auskennen, hätte auch kaum Erfolg gebracht.
    Daß es so ist, wie diese altgedienten Genossen sagen, leuchtet ein: Niemand ist in Herne und im SPD-Unterbezirk Herne so bekannt und beliebt wie Willi Pohlmann. Diese Popularität hat den Mann in das Amt des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt und in den Vorsitz des SPD-Unterbezirks getragen. Um zu werden, was er geworden ist, hat er keine "Seilschaften" zusammenstellen und keine "Gegengeschäfte" verabreden müssen. Sein Sinn für das Machbare in der Politik, seine Menschlichkeit und Verläßlichkeit, sein Fleiß und sein Arbeitsstil haben dazu geführt, daß er immer von anderen gefragt worden ist, ob er dieses und jenes "denn machen wolle". Und ehe Pohlmann sich entschied, tat er nach eigenem Bekunden etwas, was heute geradezu verpönt ist: Er holte sich Rat von alten, erfahrenen und kenntnisreichen Parteifreunden. Das Beispiel Pohlmann zeigt, daß so etwas nicht von vornherein falsch ist, sondern vorzeigbare Ergebnisse bringt.
    Der Lebens- und Karriereweg Willi Pohlmanns ist bezeichnend für den heute altmodisch gewordenen Typ eines gestandenen Sozialdemokraten von der Ruhr. Als jüngstes von acht Kindern einer Bergmanns-Familie am 8. März 1928 in Herne geboren, verlor er früh den an Staublunge erkrankten Vater; ein 20 Jahre älterer Bruder, der sich vor den Nazis aus Herne "abgesetzt" hatte und erst nach Kriegsende zurückgekommen war, weckte in ihm das Interesse für die Politik. So ist der Eintritt des erst 18jährigen 1946 in SPD und Gewerkschaft fast zwangsläufig. Von einer "Karriere" bei der SPD-Jugendorganisation "Falken" oder in der Gewerkschaftsjugend träumte der junge Willi Pohlmann aber nicht. Ausgebildet als Stahlbauschlosser, wechselte er 1949 als Hauer-Lehrling in den "Pütt". Seiner Mutter, die das überhaupt nicht gern sah, mußte er versprechen: Ich komme da wieder raus. 1953, die Nachkriegsverhältnisse hatten sich auch an der Ruhr gebessert, war es so weit. Eine Bewerbung bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Herne war erfolgreich. Als ausgelernter Stahlbauschlosser erfüllte er die Einstellungsvoraussetzungen. Wenn andere in der Feuerwache Dauerskat droschen, büffelte Willi Pohlmann manche Stunde in Fernlehr- Büchern, um als Volksschüler die fehlenden Chemie-Kenntnisse zu erwerben. Kenntnisse in Chemie und in vielen anderen Disziplinen brauchte er, um Aufstiegsprüfungen zu bestehen. 1968 war er am Ziel und hatte die Prüfung für den "gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst" mit Erfolg hinter sich.
    Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits neun Jahre "Dienst" als stellvertretender Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Herne hinter ihm. Die weiteren Stationen sind schnell aufgezählt: 1970 erster Einzug in das Landesparlament, 1971 Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Herne, 1974 Vorsitzender des Unterbezirks Herne der SPD, 1975 und 1980 Wiederwahl in den Landtag, 1984 Oberbürgermeister von Herne, 1985 erneut Wahl in das Landesparlament, 1989 wieder OB. Und dieses Oberbürgermeisteramt will Pohlmann, wenn die Gesundheit mitspielt, voll ausfüllen. "Es macht mir Freude", so bekennt er, "dem Bürger unmittelbar helfen zu können bei der praktischen Lösung der Probleme." Im übrigen will der Mann, dem Arroganz und Eitelkeit so ganz fremd sind, mehr Zeit für die Familie haben, für Frau, Kinder und Enkelkinder. "Wenn man selbst aus einer großen Familie kommt, dann schätzt man die Geborgenheit, die nur eine intakte Familie vermitteln kann, ganz besonders." So ist es ganz selbstverständlich, daß an Fest- und Feiertagen das Haus Pohlmann für alle Familienmitglieder offen ist. "Mir würde etwas fehlen, wenn die nicht kämen."
    Für das Landesparlament ist Pohlmanns Ausscheiden sicherlich ein Verlust. Nicht nur, daß ein weiteres politisches Naturtalent fehlen wird; auch seine in langen Jahren gewachsene Erfahrung und der Durchblick werden vermißt werden. Schließlich gehörte der Sozialdemokrat aus dem Revier als Vorsitzender des Innenausschusses und als stellvertretendes Mitglied im Hauptausschuß zu den "Weichenstellern", geachtet auch wegen Fairneß und Verläßlichkeit. Sein Banknachbar im Plenum ist Diether Posser. "Solche Männer hinterlassen Lücken." Dieses Urteil stammt übrigens nicht von einem Sozial-, sondern von einem Christdemokraten.
    Karl Lohaus

    ID: LI892247

  • Porträt der Woche: Manfred Böcker (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 21 - 12.12.1989

    Schon als Jugendlicher war Manfred Bökker vielseitig interessiert und ein Schuß Neugierde kam hinzu. Dieses Wesensmerkmal des Lipper Sozialdemokraten aus Augustdorf bestimmt auch heute noch seine Tätigkeit, ob in der Politik und im kulturellen Bereich oder einfach im Kontakt mit den Mitbürgern. Seine Unvoreingenommenheit schätzen denn auch die Gesprächspartner aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und politischen Richtungen.
    Geboren in Essen und aufgewachsen im Lipper Land, interessierte den heute 49jährigen schon während der Gymnasialzeit die Fliegerei, insbesondere deren Technik. So meldete er sich nach dem Abitur freiwillig zur Bundesluftwaffe und wurde im Luftsicherheitsbereich ausgebildet. Einige Jahre später wechselte Manfred Böcker zu einer amerikanischen Fluggesellschaft auf dem Frankfurter Flughafen. Freunde animierten ihn eines Tages zum Lehrerstudium. Er absolvierte die Pädagogische Hochschule in Bielefeld, legte die beiden Staatsprüfungen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen ab. Zunächst war er dann als Lehrer, später bis zu seiner Wahl in den Landtag 1980 als Konrektor an der Hauptschule in Augustdorf tätig. Vielseitig interessiert, widmete sich der Pädagoge während dieser Zeit auch einem anderen Gebiet — dem Film. Mit ebenso viel Freude wie Erfolg drehte er Industrie- und Werbefilme.
    Dem Pädagogen und Filmemacher interessierte aber auch die Kommunalpolitik. 1969 in die SPD eingetreten, wurde er ein Jahr später in den Rat der Stadt Augustdorf gewählt. Die rund 8000 Einwohner zählende Gemeinde ist nicht nur die drittgrößte Garnisonsstadt in der Bundesrepublik, mit einem Anteil von 16 Prozent Aussiedlern dürfte sie mit zu den Orten zählen, die die meisten Neubürger aufnahmen. Zusätzliche Probleme für eine Gemeinde. Als SPD-Fraktionsvorsitzender setzte sich Manfred Böcker vor allem für eine Verbesserung der Infrastruktur ein, nutzt die Bundeswehr doch rund die Hälfte der Gemeindefläche als Übungsgelände.
    Als der Sozialdemokrat 1980 im Wahlkreis 115 Lippe III direkt in den Landtag gewählt wurde — wie übrigens auch fünf Jahre später —, schickte ihn seine Fraktion wunschgemäß in den damals neugegründeten Kulturausschuß, dessen stellvertretender Vorsitzender er heute ist. Als der kulturelle Bereich damals seine Eigenständigkeit innerhalb der Parlamentsgremien erhielt (Schule und Kultur waren bislang in einem Ausschuß zusammengefaßt), wurde die Notwendigkeit dieser Trennung von zahlreichen Abgeordneten angezweifelt. Inzwischen habe sich dieser Schritt als richtig erwiesen, zeige sich doch immer stärker, welche große Bedeutung die Kultur für die Infrastruktur einer Kommune habe, urteilt der Parlamentarier. Sie sei auch ein Stück Wirtschaftspolitik, denn bei der Auswahl von Standorten für Neuansiedlungen sei auch das kulturelle Angebot ein mitentscheidender Faktor für die Unternehmen. Daher müsse Kultur "ortsnah" sein.
    Für den SPD-Abgeordneten gibt es schon heute keine andere Region in der Bundesrepublik, die über eine solche kulturelle Vielfalt verfügt wie Nordrhein-Westfalen. Stark engagiert, sieht der Lipper jetzt zwei Aufgaben in den Vordergrund gerückt: Einmal müsse sich das Land verstärkt um die Landestheater kümmern, "die Kulturpolitik ins ganze Land bringen", und zum anderen müsse es die Filmförderung intensivieren. Impulse erwartet er von der Gründung der "Filmstiftung NRW" und der Schaffung weiterer Ausbildungseinrichtungen für künstlerische Berufe. Im übrigen gebe es keinen Einzeletat im Landeshaushalt, der eine solche Steigerungsrate zu verzeichnen habe wie der für Kultur. Die Politik habe nach seiner Einschätzung die Bedeutung der Kultur erkannt. Daher dürfe sie auch nicht eine "Unterabteilung" des Kultusministeriums sein, sondern sie müsse auch dort einen höheren Stellenwert erhalten.
    Schließlich gehört der Sozialdemokrat auch dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftsausschuß an. Auch in diesen Bereichen werden Manfred Böcker von seinen politischen Freunden wie Kontrahenten Sachkenntnis und Engagement bescheinigt. Bodenständig, sieht er sich insbesondere seiner Region und den dort lebenden Menschen verpflichtet. So ist es für ihn wichtiger, beispielsweise einer Rentnerin zu helfen, als durch Parlamentsreden zu versuchen, am "großen Rad der Landespolitik" zu drehen. Verheiratet und Vater von zwei Söhnen, ist Politik für ihn ein Hobby. Kein Beruf wie der des Abgeordneten biete so viele Möglichkeiten mit Menschen in Berührung zu kommen, ihnen zuzuhören. Dem mißt der Politiker Böcker hohen Stellenwert bei.
    Jochen Jurettko

    ID: LI892130

  • Porträt der Woche: Franz-Josef Kniola (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 21.11.1989

    Er sei ein "Parteisoldat", sagt Franz-Josef Kniola von sich selbst. Der 46jährige Dortmunder, Ostermarschierer und Kriegsdienstverweigerer, durch und durch Pazifist, gebraucht den eigentümlichen, halbmilitärischen Begriff ganz ohne Bedenken. Denn dieses charakterisierende Wort scheint ihm geeignet, sein Verhältnis zur SPD, der er seit 1963 angehört, und zu ihren Würdenträgern zu beschreiben. Mit "Unterwerfung" oder gar "Hörigkeit", mit Befehlsgehorsam habe das nichts zu tun. Aber: Illoyalitäten gebe es bei ihm nicht, sagt er. Dabei verfügt er als Beisitzer im Vorstand und als Vorsitzender des Arbeitskreises 19 — Wissenschaft und Forschung — der SPD-Landtagsfraktion selbst über Macht und Einfluß genug, um für sich öffentliche Auftritte zu rechtfertigen, die kontrovers zur Meinung "seiner"Ministerin Anke Brunn stehen könnten. Aber Konflikte, die zu Illoyalitäten verleiten könnten, trägt Kniola, der das exotische Hobby der Orchideenzucht pflegt, nicht auf dem offenen Markt der Meinungen aus. Ein Arbeitskreisvorsitzender müsse es verstehen, derlei intern zu regeln, beschreibt er seinen politischen Stil.
    Sein Bürgersinn scheint ob des Vergnügens, der Presse ein Schnippchen geschlagen zu haben, durchzugehen, wenn er aufreizend beiläufig darauf hinweist, wie er in der Hochschulpolitik "viele komplizierte, zum Teil unangenehme Entscheidungen" getroffen habe, "ohne daß sie vorher in der Zeitung gestanden haben". Soviel Selbstsicherheit macht es leicht, mildes Lob auch der Ministerin Anke Brunn zu gewähren. Sie habe einen schwierigen Start gehabt und müsse jetzt damit kämpfen, daß sich das schlechte öffentliche Anfangsurteil", ein Vorurteil also, nicht verfestige. Immerhin sei sie "sehr erfolgreich, auch im Kabinett". Das Urteil in der Hochschulöffentlichkeit über sie sei "etwas ungerecht". Er jedenfalls habe sich mit Frau Brunn zusammengerauft, sagt er. Was er auch schon mit anderen Wissenschaftsministern hatte tun müssen, ob sie nun Rau, Jochimsen, Schwier oder Krumsiek hießen. Sie alle haben ihn als ruhig-fairen, aber harten Widerpart kennengelernt. Kniola versichert, er stehe "hinter jedem Punkt", den die "Hochschulplanung 2001 "gesetzt hat wie zum Beispiel die Einstellung von Studiengängen an einzelnen Hochschulen oder die Verlagerung von Stellen. "Ich bin froh, daß wir das gemacht haben" bekennt er. Weil es falsch sei, seine Politik nur daran auszurichten, "Konflikte zu minimieren".
    Kniola, der aus einem bürgerlich-katholischen Elternhaus stammt und eine entsprechende Karriere — katholische Schule, Meßdiener, Pfadfinder — hinter sich hatte, als er Sozialdemokrat wurde, hat sein politisches Engagement als Teil seines familiären Ablösungsprozesses begriffen. Im Generationenkonflikt, vor allem mit dem Vater, der auch sein Lehrherr war, hat er sich freigekämpft. Das hat ihn scharfkantig, distanziert wirkend gemacht, auch wenn er es sich, mit einer rot geränderten Brille und einem dunklen Vollbart maskiert, nicht ansehen läßt. Er sei "kein Freund von glatten Wegen", sagt er. Er ecke "gerne" an. Jeder, der im Hochschulbereich tätig sei, wisse, "daß ich meinen Weg gehe und ein unbequemer Gesprächspartner bin". Das klingt, wie es gemeint ist — ein warnender Unterton schwingt unüberhörbar mit.
    Kniola hat sich durchgebissen. Auch im Beruf, den er im väterlichen Steinmetzbetrieb erlernte. Nach Realschule und Lehre, die er 1962 mit der Gesellenprüfung abschloß, studierte er an der Höheren Fachschule für Sozialarbeit in Dortmund. Nach dem zivilen Ersatzdienst wurde er zunächst Bildungs-, später Jugendsekretär beim SPD-Bezirk Westliches Westfalen. Später, nach der Wahl in den Landtag und seinem freiwilligen Ausscheiden als hauptamtlicher Parteifunktionär, hatte er einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Dortmund, bevor er, frei genug, 1977 nach dem Tod des Vaters den elterlichen Betrieb übernahm. In Abendkursen, zweieinhalb Jahre lang, bereitete sich Kniola auf die Meisterprüfung vor, die er, "zur eigenen Verblüffung", mit der Note "gut" bestand. Kniola ist verheiratet und hat vier Kinder.
    Seine politische Karriere hat der Mann aus Dortmund-Hombruch kühl geplant. "Zielbewußt" nennt er sich. Und deshalb hatte er auch schon bei seinem Parteieintritt ein Landtagsmandat im Blick. Das gewann er 1975 erstmals und seitdem ununterbrochen und wird es wohl auch 1990 holen. Nominiert ist er bereits, was für einen Sozialdemokraten in Dortmund so gut wie gewählt sein heißt. In der Düsseldorfer Landtagsfraktion hat sich Kniola nie als Hinterbänkler verstanden. Früh wurde er ihr Wissenschaftsexperte und hat die Arbeit der Fraktion "in ganz starkem Maße geprägt". Kniolas Selbstbewußtsein ist kräftig. Vor fünf Jahren war es noch sein "Herzenswunsch", Minister zu sein. Das ist jetzt vorbei. Er meldet andere Ansprüche an. In der Fraktion möchte er eine stärkere Rolle spielen und "auf Dauer nicht nur Beisitzer" im Vorstand sein. Die Rede geht, daß Kniola, der sich gern beim Skat entspannt, nach der Landtagswahl im Mai 1990 Parlamentarischer Geschäftsführer werden wird.
    Bernd Kleffner

    ID: LI891941

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Die Fraktionen im Landtag NRW