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  • Porträt der Woche: Norbert Römer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 07.03.2007

    Aha, ein Junge aus dem Revier! Wer Norbert Römer kennenlernt und sich mit ihm in ein Gespräch vertieft, merkt schnell, dass der gebürtige Herner, der in Castrop-Rauxel zu Hause ist, die Wesensmerkmale des praktischen Menschenschlags zwischen Duisburg und Dortmund ausstrahlt: Bodenhaftung wahrend, Redebrimborium meidend, auf Traditionen achtend, theoretischen Moden fern, menschlichen Sorgen nahe stehend. Römer, Jahrgang 1947, der bei der Unterhaltung so offen, freundlich und adrett wirkt wie ein Handelsvertreter, dem man gerne mehr abkauft als man wirklich braucht, sagt mit einem Schmunzeln im Gesicht über sich und seine Herkunft, er habe keine andere Chance gehabt, als Sozialdemokrat zu werden.
    Ihn kennzeichnet ein klassischer SPD-Lebenslauf: Großvater und Vater Bergmänner, engagiert in SPD und Gewerkschaft, verankert im wertkonservativen Ruhrpott-Leben unter und über Tage. Vater und Mutter betrieben eine Nebenerwerbs-Gaststätte, die auch das örtliche SPD-Vereinslokal war. Der Vater war so klug, seinem Sohn Norbert und dessen jüngerem Bruder vom Bergmanns-Beruf abzuraten. Norbert Römer schlug ab 1961 die Verwaltungslaufbahn ein. 1968 trat er in die Partei ein, die bekannten Genossen und kernigen Gewerkschafter Adolf Schmidt und Horst Niggemeier waren für ihn politisch-gewerkschaftliche Bezugspersönlichkeiten.
    "Die SPD", sagt SPD-Fraktionsvize Römer, der Ende 2006 nach vielen Jahren sein Arbeitsverhältnis zur IG BCE gelöst hat, "muss immer ganz nah an den Menschen sein." Sie müsse in die schwierigen Wohnviertel gehen, dorthin, wo man als Sozialdemokrat womöglich kritisiert und beschimpft werde. Die CSU in Bayern ist dem Sozialdemokraten von altem Schrot und Korn in ihrer Volksnähe durchaus ein Vorbild. So sehr sich Römer als Sozialdemokrat ohne Wenn und Aber bezeichnet, so sehr widerstrebt es ihm, politisch Andersdenkende als Feinde zu betrachten: Gegner - das ja, aber nach dem politischen Streit müsse man in geselliger Runde zusammen ein Bier trinken können.
    Diejenigen, die den Ruhrpott-Mann kritisch sehen, bemängeln sein scheinbar nicht enden wollendes Gefecht für Kohlebergbau, Pütt und Grubenlampen-Romantik. Der mit einer Katholikin verheiratete, praktizierende Protestant, der behauptet, sich gut hineinversetzen zu können in Politiker mit explizit christlichem Gedankengut, berichtet von schwierigen Versammlungen mit bedrängten Kumpeln: "Wenn Sie Betriebsversammlungen erleben, bei denen auch die Ehefrauen der Bergleute zugegen sind, deren Pütt stillgelegt wird, dann müssen Sie die Menschen schon überzeugen, warum es dennoch eine Zukunft gibt." Norbert Römer will damit ausdrücken: Ein Politiker an Rhein und Ruhr, ein Sozialdemokrat zumal, muss dem Volk aufs Maul schauen, nicht nach dem Mund reden. Ecken und Kanten zeigen: Ja, aber immer auch versuchen, Interessen-Ausgleich zu schaffen und die Menschen zusammen zu führen. So ähnlich hätte das auch Johannes Rau formulieren können. Norbert Römer ist kein Parteimensch, der alles gutheißt, was sein Verein produziert. Er will sich den Blick für die Unzulänglichkeiten der eigenen Truppe bewahren.
    Dem schlanken Mann sieht man nicht an, dass das Kochen eine seiner privaten Leidenschaften ist. Daheim steht er, wenn immer es geht, am Herd. Man kann ihm eine Riesenfreude mit Büchern über regionale Küche machen. Auch beim Zubereiten von Leckereien mag Römer keinen Schnickschnack. Dazu passt, dass er sich besonders auf Eintopfgerichte versteht. Weiteres aus dem Privathaus Römer: wenn Sport, dann ein bisschen Nordic Walking, Winterfrische auf Sylt, sommers Richtung Süden, bevorzugt Toskana und Südtirol.
    Autor: Reinhold Michels

    ID: LIN02928

  • Porträt der Woche: Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 07.02.2007

    Ihr Name drängt sich für Wortspiele geradezu auf. "Mit Kraft aus dem Tal der Tränen", "Volle Kraft voraus zur Macht", titelten die Regionalzeitungen am Tag nach der Wahl Hannelore Krafts, der 45-jährigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, zur neuen Landesvorsitzenden der Sozialdemokraten und zur Spitzenkandidatin und Herausforderin von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bei der Landtagswahl 2010.
    Hinter den kraftvollen Überschriften steckt nicht nur die Lust am Wortspiel, dahinter steht auch ein Stück Respekt für die Art und Weise, wie die aus Mülheim stammende Bankkauffrau und Unternehmensberaterin auf dem Sonderparteitag in der traditionsreichen Bochumer Jahrhunderthalle auftrat. Wie sie ihren nach wie vor unter dem Machtverlust leidenden Genossen so etwas wie Hoffnung am Horizont aufzeigte und immerhin 95,6 Prozent der Delegierten davon überzeugen konnte, dass sie die Richtige ist, um in gut drei Jahren die NRW-SPD wieder dorthin zurück zu bringen, wo sie am 22. Mai 2005 nach 39 Jahren an der Regierung ihre Sachen packen musste: in die Chefetage der Staatskanzlei.
    Die politische Senkrechtstarterin aus dem Ruhrgebiet ist die Einzige, der ein Erfolg dieses schier aussichtslosen Unterfangens zugetraut wird. Unkompliziert, offen und direkt, wie die Menschen aus der einstigen Kohle- und Stahlregion nun einmal sind, geht sie ihre neue Aufgabe an und es klingt glaubwürdig, wenn sie sagt, dass sie gerne zu den Leuten geht, ihnen zuhört und mit ihnen redet. Dass man ihr ihre Herkunft auch heute noch an der Sprache anhört, dürfte zumindest zwischen Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Dortmund kein Nachteil sein.
    Die ersten anderthalb Jahre als Oppositionsführerin im Landtag waren keine einfache Zeit für Hannelore Kraft. Denn vor allem bei den einflussreichen Traditionsbataillonen der Ruhr-SPD war das Kind einer klassischen Arbeitnehmerfamilie - Vater Straßenbahner, Mutter Verkäuferin - eine unbekannte Größe und wurde mit Argwohn beobachtet. In die SPD war sie erst 1994 eingetreten, Unterbezirksvorstand, Landtagskandidatur und Berufung zur Ministerin, erst für Berlin und Brüssel, dann für Hochschule und Wissenschaft, folgten Schlag auf Schlag. Weil der Neuanfang der SPD nach der verheerenden Niederlage auch mit einem neuen Gesicht symbolisiert werden sollte, fiel die Wahl auf sie. Und als Jochen Dieckmann Ende des Jahres entnervt von anhaltendem Gemäkel an seiner Arbeit seinen Rückzug ankündigte, war es zwangsläufig, dass ihr angeboten wurde, zusätzlich zum Fraktionsvorsitz auch den Parteivorsitz und damit die Rolle der Herausforderin zu übernehmen.

    Soziale Gerechtigkeit

    "Wenn sozial gerecht links ist, dann bin ich links", beschrieb sie in einem Interview ihren politischen Standort in der SPD. Soziale Gerechtigkeit, gleiche Chancen für alle und Hilfe für diejenigen, die es aus eigener Kraft in unserer modernen Leistungsgesellschaft nicht schaffen, das sind nicht nur die Gründe, warum sie in die Politik gewechselt ist, das sind auch die Ziele und Ideale, deren Verwirklichung sie durch Politik näher zu kommen hofft. Deshalb setzt sie sich vehement für eine neue Schulstruktur ein, in der Kinder länger gemeinsam lernen und die es zulässt, dass die Schüler auch nach der sechsten Klasse problemlos von einer Schulform zur anderen wechseln können. Deshalb hält sie die Einführung von Studiengebühren für einen der größten Fehler der neuen Landesregierung, denn sie selbst hätte nicht studieren können, wenn damals bereits den Studenten und deren Eltern zusätzliche Lasten auferlegt worden wären. Und wenn sie es aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit für geboten hält, dann legt sie sich auch mit Rüttgers rotem Vorgänger, dem jetzigen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück an, wenn der die Unternehmen für ihre Begriffe über Gebühr steuerlich entlasten will.
    Die Blonde aus Mülheim hat sich in der Politik schon einiges zugetraut.
    Bei den Landtagswahlen 2010 wird man sehen, was die Wähler in NRW ihr zutrauen.
    Peter Jansen

    ID: LIN02852

  • Porträt der Woche: Professor Dr. Rainer Bovermann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 13 - 06.12.2006

    Rainer Bovermann ist Professor für politische Wissenschaften und gleichzeitig praktizierender Politiker im Düsseldorfer Landtag. "Ich bin ein Grenzgänger zwischen diesen beiden Welten", schmunzelt der 49-jährige Hattinger. Und er hält diese beiden Welten strikt getrennt. Von Montag bis Donnerstag ist er vorwiegend Landtagsabgeordneter, sitzt in Arbeitskreisen, Ausschüssen, in der SPD-Fraktion, im Plenum, leitet die Enquetekommission "Chancen für Kinder" und kümmert sich um seinen Wahlkreis in Hattingen an der Ruhr. Freitags steht er vor Studenten der Universität Bochum und hält weiterhin Lehrveranstaltungen zu seinen Spezialthemen Kommunalpolitik, Föderalismus und Parteienforschung.
    In der Theorie ist für ihn die Unterscheidung zwischen politischer Wissenschaft und praktischer Politik klar: Geht es den Wissenschaftlern in erster Linie um Erkenntnis, will der Politiker Macht gewinnen, um Dinge zu verändern.
    Dabei sieht Bovermann durchaus die Notwendigkeit, dass der eine Bereich vom anderen lernt. "Es wäre schon gut, wenn man ein bisschen Analyse und Gründlichkeit in das praktische, stark vom Tagesgeschehen geprägte Politikleben mitnehmen könnte." Auf der anderen Seite sieht der Politikwissenschaftler aus der Erfahrung von anderthalb Jahren im Landtag manche Probleme neu und anders: "Über die Professionalisierung des Abgeordnetenberufs denke ich heute anders. Jetzt erlebe ich selbst, was es bedeutet, Abgeordneter zu sein, welche Ansprüche an einen Parlamentarier gestellt werden und wie aufwändig es ist, allen Erwartungen gerecht zu werden." Da fällt sein Urteil anders aus als vom Katheder des Professors, empirische Erhebungen sind kein Ersatz für praktische Erfahrungen im Alltag.
    Grenzgänger
    Auch über die Vertraulichkeit von Ausschusssitzungen hat der Professor andere Ansichten als der Abgeordnete. Als Wissenschaftler plädiert Bovermann grundsätzlich für Offenheit und Öffentlichkeit, als Ausschussmitglied hat er die Erfahrung gemacht, dass oft sehr viel sachlicher und nüchterner zwischen Koalition und Opposition diskutiert werden kann, wenn die Türen geschlossen bleiben.
    Wirklich geplant hat Bovermann den Grenzübertritt von der Welt der politischen Wissenschaft in den politischen Alltag. Er stammt aus einer klassischen Arbeiterfamilie in Dortmund-Scharnhorst, wo es selbstverständlich war, "am Samstag die Fahne von Borussia Dortmund rauszuhängen und am Sonntag SPD zu wählen." Nach dem Abitur wollte Bovermann ursprünglich Lehrer werden, doch als ihm die Universität eine Stelle anbot, blieb er als Hochschulassistent. In die SPD war er am Ende seines Studiums eingetreten. Als der damalige Landtagspräsident und Hattinger SPD-Abgeordnete Ulrich Schmidt erklärte, er wolle nicht mehr kandidieren und einem Jüngeren Platz machen, entschied er sich, von der theoretischen in die praktische Politik zu wechseln.
    Der Vorsitz in der Enquetekommission ist nahezu auf Bovermann zugeschnitten. In dem Gremium findet die übliche Konfrontation zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen nicht statt, stattdessen wird gemeinsam mit Wissenschaftlern überlegt, wie die Chancen der Kinder in unserem Land verbessert werden können, wie man die Gruppen erreicht, die man als bildungsferne Schichten bezeichnet, wie die Kompetenzen zwischen Land und Kommunen verteilt und wie die finanziellen Mittel optimal eingesetzt werden. "Am Ende sollen Vorschläge an die Landespolitik insgesamt stehen", so die Hoffnung und Zielsetzung Bovermanns. Er bringt für die Arbeit in der Kommission auch die nötige eigene Erfahrung mit: Sein Sohn ist 13 Jahre alt und mit ihm durchlebt er alle Entwicklungsphasen eines jungen Menschen.
    Peter Jansen

    ID: LIN02555

  • Porträt der Woche: Günter Garbrecht (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 10 - 27.09.2006

    Zwischen Bielefeld und Düsseldorf kennt Günter Garbrecht mittlerweile jeden Busch an der Böschung und nahezu jeden Schaffner im Zug. Mindestens drei Mal in der Woche pendelt der SPD-Abgeordnete zwischen seinem Heimatort und der Landeshauptstadt, nimmt im Landtag an Fraktions- und Plenarsitzungen teil, sitzt dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales vor, eilt zurück an den Teutoburger Wald, wo er zur Ratssitzung muss, zum Treffen der kommunalen Beschäftigungsgesellschaft Rege, deren Aufsichtsrat er vorsteht oder zur Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsagentur, wo er als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung agiert. Zurück in Düsseldorf geht es in den Innenausschuss, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, oder in gleicher Funktion zur Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der Landes-SPD.
    Doch Garbrecht ist das Gegenteil des Politikers, der nur nach Pöstchen schielt und sich mit der Vielzahl seiner Ämter und Funktionen brüstet. Was er macht, das macht er auch richtig, dafür sorgt schon seine markante Stimme, mit der er mühelos jeden Ausfall von Mikrofonen in Sitzungssälen beliebiger Größe überspielen kann. Dabei ist es kein Zufall, dass Garbrecht sich vorwiegend da engagiert, wo es um die Sorgen und Probleme von Menschen am Rande unserer Gesellschaft geht, um Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger, um Drogenabhängige und Pflegebedürftige. "Ich bin davon getrieben, Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft abzubauen oder wenigstens zu bekämpfen". Garbrecht stammt nicht nur aus einer SPD-Familie und ist deshalb überzeugt, dass diesen Randgruppen am ehesten durch sozialdemokratische Politik zu einem selbst bestimmten und menschenwürdigen Leben verholfen werden kann. Er hat selbst einiges von den Tiefen durchlebt und durchlitten, mit denen er sich heute als Politiker beschäftigt.
    Kämpfernatur
    Sein erster engerer Kontakt mit dem Bielefelder SPD-Büro galt nicht der Abgabe des Aufnahmeantrags. Zusammen mit seinen damaligen Kollegen aus der IG Metall besetzte er in den wilden Jahren der Studentenbewegung die Geschäftsstelle, um gegen die von der damaligen Großen Koalition in Berlin beschlossenen Notstandsgesetze zu protestieren. Garbrecht hatte damals gerade eine Lehre als Werkzeugmacher abgeschlossen, engagierte sich als Jugendvertreter in der Gewerkschaft und war organisiert in der Sozialistischen Jugend "Die Falken". Weil ihm der politische Kampf damals wichtiger war als geregelte Arbeit, verlor er zwischenzeitlich immer wieder mal seinen Job, schlug sich als Arbeitsloser oder mit Gelegenheitsarbeiten durch. Einen gut bezahlten Arbeitsplatz bei Miele verlor er, weil er damals im Rahmen der Aktion "Roter Punkt" an einem dreiwöchigen Streik gegen Preiserhöhungen bei Bussen und Bahn mitwirkte, der den Personennahverkehr in Ostwestfalen weitgehend stilllegte.
    1972 trat Garbrecht zur Unterstützung der Ostpolitik Willy Brandts in die SPD ein. Nach einer Entziehungskur Anfang der 80er Jahre und einem zwischenzeitlichen Studium an der Hochschule für Politik und Wirtschaft in Hamburg, ging er in seinem erlernten Beruf zu einem mittelständischen Betrieb in Bielefeld, der Komponenten für die Automobilindustrie herstellt. Über die Bezirksvertretung gelangte er 1989 in den Stadtrat und hatte es nicht leicht, die Arbeit als Schichtleiter mit dem kommunalpolitischen Engagement zu verknüpfen. Zur Landtagskandidatur entschloss sich Garbrecht im Jahr 2000, "damit auch mal einer ins Parlament kommt, der selbst am Schraubstock gestanden hat und nicht nur Gewerkschaftssekretäre".
    Zum Abschalten und Entspannen geht Garbrecht mindestens einmal in der Woche in die Sauna. "Wenn Du 20 Minuten bei 100 Grad geschwitzt hast, dann denkst Du nicht mehr an Politik." Und wenn am Wochenende einmal keine Termine, keine Sitzungen und keine Kongresse auf dem Kalender stehen, dann geht er in Bielefeld auf den Markt, kauft ein und kocht abends für seine Freunde.
    Peter Jansen

    ID: LIN02352

  • Porträt der Woche: Anke Brunn (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 21.06.2006

    Die Entscheidung war bewusst. Als Anke Brunn gefragt wurde, in welchem Landtagsausschuss sie mitarbeiten wolle, wurde ihr rasch klar, dass sie nicht für ihr früheres ministerielles Feld plädieren würde. "Also habe ich mich für Haushalt und Finanzen interessiert", erklärt die Kölner Sozialdemokratin heute, bevor sie hinzufügt, "da ist im Moment viel Dampf drin". Danach hält sie einen kleinen Vortrag über die vielen Kürzungen der neuen Regierung, sie umtreibt die Sorge, dass das Land in einigen Jahren anders aussehen wird als heute - positiv ist das nicht gemeint. Überall spürt sie zu viel marktradikalen Liberalismus, übrigens auch auf ihrem alten Politikfeld, an den Hochschulen. Sie ist bis heute gegen Studiengebühren: "Dann starten die jungen Menschen mit enormen Belastungen und vielen Schulden ins Berufsleben, genau dann, wenn sie eine Familien gründen und Kinder haben wollen." Mit einem Begriff wie dem Hochschulfreiheitsgesetz kann die ehemalige Wissenschaftsministerin des Landes wenig anfangen. "Das ist die Verabschiedung der Politik", fürchtet Anke Brunn, sie sieht die Gefahr, dass man von einem Extrem ins Gegenteil verfällt, "der Staat muss nicht alles regeln, aber er darf sich auch nicht aus der Verantwortung stehlen und Bildung ist zunächst einmal eine staatliche Aufgabe".
    Dabei hatte sie selbst als Ministerin auf diesem Feld erste weitreichende Reformen angestoßen. Johannes Rau hatte die Sozialdemokratin aus Köln 1985 nach dem Gewinn der zweiten absoluten Mehrheit zur Wissenschaftsministerin berufen, sie sollte das Amt 13 Jahre lang behalten. In diese Zeit fallen wichtige Veränderungen. Trotz heftiger Proteste aus der Szene hat sie den Hochschulstrukturplan 2001 auf den Weg gebracht. Wenig attraktive Studiengänge wurden damals geschlossen, die frei werdenden Kapazitäten auf neue Forschungsfelder gelenkt - unter dem Strich wurden 20 Prozent aller Stellen umgeschichtet. Schon 1990 legte Anke Brunn den ersten Grundstein für die größere Selbstständigkeit der Hochschulen. Neben dem "Aktionsprogramm Qualität der Lehre" setzte sie die Initiative "Hochschulen und Finanzautonomie" durch, mit denen sich die Universitäten grundlegend veränderten. "Wir wollen mehr Selbstverwaltung und mehr Professionalität, auch durch Globalhaushalte", gab Brunn damals als Richtung vor - für sie war das die richtige Mischung zwischen Freiheit und notwendiger ministerieller Kontrolle. In einem hat sie sich freilich in alle den Jahren nicht verändert: Schon damals stritt sie energisch gegen Studiengebühren.
    Nach dem Wechsel von Johannes Rau zu Wolfgang Clement schied sie 1998 aus dem Ministeramt aus. Obwohl sie die vom neuen Ministerpräsidenten Clement durchgesetzte Zusammenlegung des Kultus- und des Wissenschaftsministeriums für falsch hielt, ging sie mit ihrer Meinung damals nicht an die Öffentlichkeit. Sie beschränkte sich auf ihr direkt gewonnenes Kölner Mandat. Als sich die SPD in ihrer politischen Heimatstadt durch Finanz- und Korruptionsskandale an den Rand des Abgrunds brachte, sprang Anke Brunn als Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl im September des Jahres 2000 ein. Der Überraschungssieger des Urnengangs 1999, der Christdemokrat Harry Blum, war plötzlich verstorben und die SPD suchte jemanden mit ausreichendem Profil, um die Macht wieder zurückzugewinnen. Da Anke Brunn neben ihrer Düsseldorfer Ministerzeit 1981 im Berliner Senat von Hans Jochen Vogel erste Erfahrungen als Senatorin gesammelt hatte, versuchte sie das weibliche Element nun auch in die Stadtpolitik einzuführen. Die Prioritäten lagen für sie klar. "Unter anderem selbstkritisch sein und mehr auf Lösungen als auf den Gegner schauen", gab sie im Wahlkampf als ihre Parole aus. Sie kämpfte vehement gegen hemmungslose Privatisierungen. "Die Stadt darf ihr Tafelsilber nicht verkaufen", wiederholte sie immerzu und schaffte am Ende einen Achtungserfolg für die durch Skandale gebeutelte Kölner SPD - sie holte im entscheidenden Wahlgang immerhin 47,7 Prozent. Seither hält sie sich eher im Hintergrund und zieht die Fäden bei der Erneuerung der Partei. Mit Jochen Ott und Martin Börschel hat die Kölner SPD zwei viel beachtete Talente an die Partei- und Fraktionsspitze befördert. "Darauf bin ich stolz", gibt Anke Brunn unumwunden zu und wünscht der Gesamtpartei ähnlichen Mut bei der personellen Erneuerung.
    Jürgen Zurheide

    ID: LIN02270

  • Porträt der Woche: Marc Jan Eumann (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 7 - 31.05.2006

    Wenn Marc Jan Eumann Touristen zeigen will, was gelungener Strukturwandel in einer Großstadt wie Köln bedeutet, dann geht er mit ihnen in Mülheim, dem Stadtteil, in dem aufgewachsen ist und heute noch lebt, in die Schanzenstraße. Auf dem riesigen Fabrikgelände arbeiteten noch in den 60-er und 70-er Jahren bis zu 15.000 Menschen bei Felten&Guillaume und produzierten Überseekabel für die weltweite Kommunikation. In die alten Hallen ist eine andere Art von Kommunikationsindustrie eingezogen: Harald Schmidt, Anke Engelke und Stefan Raab produzieren hier ihre Sendungen. Werbestudios, TV-Produktionsfirmen und Unternehmen der Kommunikationstechnologie haben gut 5.000 moderne Arbeitsplätze geschaffen.
    Eumann ist zwar vor 40 Jahren in Hamburg geboren, aber mittlerweile Kölner durch und durch, obwohl man ihm das nicht anhört und er auch gestehen muss, dass er lieber Riesling aus der Pfalz als Kölsch trinkt.
    In Köln-Mülheim ist er zur Schule gegangen, hat eine Schülerzeitung gegründet und sich als Klassen- und Schulsprecher engagiert. Der Weg zu den Jungsozialisten war da nicht weit: "Ich war immer links von der Mitte, Menschenrechte, Ökologie, die Rechte von Minderheiten waren damals die Themen, die uns umtrieben." Als Student der Geschichte und des Völkerrechts in Bonn entschied er sich, in die SPD einzutreten und machte gleich mit im Bundestagswahlkampf 1986/87, als der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau vergeblich nach einer eigenen Mehrheit für sich als Bundeskanzler strebte.
    Seinen Traumberuf verfehlte Eumann knapp. Als Student hatte er häufig für Radio und Zeitungen gearbeitet und Journalist wäre er auch gerne geworden. Aber der damalige Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger war schneller. Nach der Kommunalwahl 1989 fragte er den frisch gebackenen Magister, ob er nicht für ihn Reden schreiben wollte, als Referent für publizistische Aktivitäten im Büro des Oberbürgermeisters. Eumann sagte Ja, und so wurde er, was er sich als Juso und Student nie hatte vorstellen können: Angestellter im Öffentlichen Dienst.
    Zwei Jahre hielt es den noch immer jungen Redenschreiber im Kölner Rathaus, dann bewarb er sich auf ein Stellenangebot des NRW-Arbeitsministeriums als Referent für politische Analysen und Kommunikation. Sein größtes Einstellungshindernis war seine rheinische Herkunft, denn der damalige Ressortchef, der knorrige Westfale Hermann Heinemann aus Dortmund, stand den Rheinländern äußerst misstrauisch gegenüber.
    1993 wurde der damals 27-Jährige erstmals in den Vorstand der Kölner SPD gewählt, heute, mit 40 Jahren ist er bereits das dienstälteste Mitglied im Führungsgremium der noch vor wenigen Jahren von Skandalen erschütterten Partei in der Domstadt. Ein Jahr später setzte Eumann zum nächsten Karrieresprung an: Der Landtagswahlkreis im rechtsrheinischen Köln war frei und obwohl nach dem internen Proporz eigentlich ein rechter Sozialdemokrat in dem traditionell roten Wahlkreis hätte aufgestellt werden müssen, trat der Linke Eumann an und gewann. Seit elf Jahren sitzt er jetzt im Düsseldorfer Landtag und weil bei der letzten Wahl Leverkusen an die CDU fiel, muss er sich jetzt auch um die Genossen in der Chemiestadt kümmern.
    In der SPD-Landtagsfraktion wurde er zunächst zum medienpolitischen Sprecher bestimmt, seit 2000 auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. In der Opposition ist er jetzt zuständig für alles, was mit Wirtschaft, Wissenschaft, Innovation, Kultur und Medien zu tun hat.
    Wenn es schon mit dem Traumberuf Journalist nicht geklappt hat, so hat Eumann wenigstens seinen politischen Traum verwirklicht: Er ist frei gewählter Abgeordneter. Einen Wechsel in den Bundestag oder ins Europaparlament kann er sich nicht vorstellen, er will Beruf und Familie vereinbaren und das sind seine Frau und seine drei Töchter. Als an ihn die Frage gerichtet wurde, ob er eventuell für ein Mandat in Berlin zur Verfügung stehe, gab ihm seine Frau klipp und klar zu verstehen: "Wenn du geschiedener Bundestagsabgeordneter sein willst, dann geh." Eumann blieb.
    Peter Jansen

    ID: LIN02189

  • Porträt der Woche: Carina Gödecke (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 01.02.2006

    Es gab eine Zeit im Leben von Carina Gödecke, da hat ihr die Bildungspolitik der eigenen Partei einen Strich durch ihre Zukunftspläne gemacht. Als gerade fertig studierte Lehrerin für Chemie und Pädagogik fand sie 1986 keine Anstellung - ihre Fächerkombination war nicht gefragt. Doch das ist längst wieder gut gemacht: Carina Gödecke bekleidet seit Mai 2000 als parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion einen wichtigen Posten im Politikgefüge des Landtags.
    Und was macht eine parlamentarische Geschäftsführerin? "Alles", sagt Carina Gödecke, und zählt auf: Sie bereitet die Tagesordnungen für Fraktion und Vorstand vor, sie ist Dienstvorgesetzte der Mitarbeiter und für die Fraktionsfinanzen zuständig, sie kommuniziert mit den anderen Fraktionen, berät mit ihnen die Tagesordnung der Plenarsitzungen. "Der Job bietet eine Menge Einflussmöglichkeiten. Ich bin in alle thematischen und strategischen Überlegungen eingebunden." Viel Arbeit in der zweiten Reihe. Für sie sei das kein Problem, sagt die 47-Jährige. "Man muss unauffällig und uneitel im Hintergrund arbeiten können. Das kann ich. Die erste Reihe habe ich, wenn ich als Landtagsabgeordnete in meinem Wahlkreis in Bochum bin."
    Dort ist Carina Gödecke auch aufgewachsen. "Ich stamme aus einer durch und durch sozialdemokratischen Familie." Der Vater hat Anfang der 60er-Jahre das Opel-Werk mit aufgebaut. Beide Eltern saßen im Rat der Stadt, der Vater drei, die Mutter zehn Jahre lang. Politische Besprechungen fanden oft im Wohnzimmer der Gödeckes statt. Und wenn die Ratsfrau und Mutter mal keine Zeit zum Kochen hatte, gingen Carina und ihr Bruder nach der Schule in die Rathauskantine und blieben auch zu der einen oder anderen Sitzung da. Mit 14 wurde Carina Gödecke Ortskassiererin der Partei. "Wenn Geld gefehlt hätte, hätte mein Vater was drauflegen müssen", lacht sie heute. Alle drei Monate besuchte sie die Sozialdemokraten im Stadtteil Laer und sammelte die Mitgliedsbeiträge ein - mindestens 2,50 DM im Monat waren dann fällig. "Da konnte man auch sehen, wer keine Lust hatte zu bezahlen, oder wer kein Geld hatte ...", erinnert sich die Landtagsabgeordnete.

    Kämpferin

    Mit 16 trat Carina Gödecke in die SPD ein. Nach dem Studium arbeitete sie für den damaligen Landtagsabgeordneten und späteren Bochumer Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber, später als pädagogische Referentin beim Heinz- Kühn-Bildungswerk in Dortmund. Von ihren 31 Jahren als Parteimitglied hat Carina Gödecke 20 Jahre in klassischen Funktionen verbracht - in der Bochumer SPD wie im Rat der Stadt. Als 1994 mitten im Kommunalwahlkampf plötzlich das Landtagsmandat von Ernst-Otto Stüber frei wurde, setzte Carina Gödecke sich durch. "Keiner der Männer, die noch in Frage kamen, war so gut wie ich. Das hat den Ausschlag gegeben." Sie sagt das, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie sagt auch: "Ich bin eine Kämpferin, auch wenn man mir das nicht ansieht. Und ich bin sehr ehrgeizig, aber nicht unangenehm ehrgeizig."
    Seit den von der SPD verlorenen Landtagswahlen 2005 bildet Carina Gödecke nun mit der Vorsitzenden Hannelore Kraft das Führungsgespann der Fraktion. Dürfen Frauen das jetzt, weil die Männer nicht soviel Interesse haben an der Opposition? Carina Gödecke weist so einen Gedanken entschieden zurück. "Wir sind keine Platzhalter." Und noch ein Vorurteil kann sie widerlegen: "Es ist nicht so, dass Opposition depressiv macht." Auch privat hat sich für die Bochumerin in den letzten Monaten einiges verändert. Nach einer Trennung gibt es nun einen neuen Lebenspartner. Außerdem will sich die Abgeordnete mehr Zeit für Privates nehmen und etwa ihren Garten neu gestalten. Carina Gödecke macht den Eindruck, als ginge sie bei all diesen Neuanfängen mit Freude ans Werk.
    Autorin: Beate Becker

    ID: LIN01361

  • Porträt der Woche: Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 09.11.2005

    Ihre Karriere in der Politik verlief mit geradezu atemberaubendem Tempo. Erst 1994, vor elf Jahren, ist Hannelore Kraft in die SPD eingetreten. Ein Jahr später war sie bereits im SPD-Vorstand ihrer Heimatstadt Mülheim, im Jahr 2000 kandidierte sie erfolgreich für den Landtag. 2001 berief sie der damalige Ministerpräsident Wolfgang Clement zur Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, ein Jahr später machte sie Clement-Nachfolger Peer Steinbrück zur Wissenschafts- und Forschungsministerin des Landes. Seit Anfang Juni ist die 45-jährige Diplom-Volkswirtin und Mutter eines zwölfjährigen Sohnes Oppositionsführerin und Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und viele trauen ihr zu, dass sie in fünf Jahren von ihrer Partei als Kandidatin für das Amt des Ministerpräsidenten in den Wahlkampf geschickt wird.
    Chancengleichheit
    In die Politik gegangen ist die resolute Blonde mit dem unüberhörbaren Ruhrgebietsakzent, weil sie sich über eine Reihe von Kleinigkeiten in der Mülheimer Kommunalpolitik geärgert hatte. Konkreter Anlass war die Niederlage der Mülheimer SPD bei den Kommunalwahlen 1994. Denn SPD-nah war Hannelore Kraft schon immer. Sie ist in einem Arbeiterhaushalt aufgewachsen. Ohne die Unterstützung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) hätte sie niemals studieren können. Deshalb ist für sie auch heute Chancengleichheit für alle, unabhängig von Herkunft und Portemonnaie der Eltern, eines der wichtigsten Themen in der Politik, deshalb kämpft sie nach wie vor leidenschaftlich gegen Studiengebühren.
    Ausschlaggebend für ihre rasche Karriere als Politikerin waren neben einer gehörigen Portion Glück und Zufällen auch eine Reihe von Qualifikationen, die in den meisten Parteien nicht allzu häufig anzutreffen sind. Hannelore Kraft versteht etwas von Wirtschaft, sie kennt sich aus in Europa, sie war gewohnt im Team zu arbeiten und hatte auch keine Scheu, vor vielen Menschen zu sprechen. In ihrem ersten Einsatz als Wahlkämpferin spürte sie, dass ihr die Gespräche an den Info-Ständen und den Haustüren Spaß machen. "Ich finde Menschen spannend, ich kann zuhören." Nach der Niederlage der SPD am 22. Mai ist ihr der Abschied von der Macht nicht schwer gefallen. Ein paar Tage lang durfte sie sogar hoffen, sich wieder mehr um die Familie kümmern zu können. Doch dann fiel in ihrer Abwesenheit die Entscheidung, eine junge, unverbrauchte Politikerin solle die Führung der Landtagsfraktion übernehmen. Ganz unvorbereitet traf sie der Wunsch der Landes-SPD allerdings nicht, denn intern war ihr Name schon häufiger gefallen.
    An ihre Rolle als Oppositionsführerin in Düsseldorf geht sie mit der ihr eigenen pragmatischen Grundeinstellung. Vorschläge der neuen Mehrheit, die sie für richtig hält, werden unterstützt, anderes wird abgelehnt und politisch bekämpft. Für Fundamentalopposition ist sie nicht zu haben, schon aus dem Grund, weil CDU und FDP in vielen Punkten die Politik der alten rot-grünen Mehrheit fortsetzen. Das heißt aber nicht, dass sie der neuen Regierung eine Art Schonfrist einräumt. In ihren ersten Auftritten als Speerspitze der Opposition präsentierte sich Hannelore Kraft so bissig und kratzbürstig, wie sie bislang kaum einer erlebt hatte. Über die immer wieder aufflackernden Gerüchte, sie solle 2010 als Spitzenkandidatin der SPD antreten und als erste Frau das größte Bundesland regieren, macht sie sich keine großen Gedanken, dazu ist sie viel zu pragmatisch. "Jetzt will ich vernünftige Oppositionsarbeit machen und alles Weitere werden wir sehen." "Schau’n mer mal", hätte Franz Beckenbauer dazu gesagt.
    Peter Jansen

    ID: LIN01208

  • Porträt der Woche: Edgar Moron (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 01.09.2005

    Irgendwann lässt Edgar Moron einen Satz fallen, den man vor Monaten im Wahlkampf noch als Hochverrat aufgefasst hätte: "Rot- Grün ist kein Erfolgsmodell in Nordrhein-Westfalen gewesen." Er sagt das nicht verbittert, nicht gallig, sondern analytisch. Aus ihm spricht der Diplom-Politologe. Seit dem historischen Machtwechsel mit der Landtagswahl am 22. Mai muss er kaum noch Kompromissformeln bemühen. Ein Grünen-Freund ist er beileibe nie gewesen. Der 64-Jährige ist überzeugt, dass sich alte Koalitionstraditionen allmählich auflösen und Raum für neue Konstellationen schaffen würden.
    Der Erftstädter hat sich im neuen Büro einigermaßen eingelebt. Es ist nicht einmal hundert Meter vom alten entfernt. Tatsächlich liegen Dimensionen dazwischen. Denn der ehemalige SPD-Fraktionschef wurde im Juni zum 1. Vizepräsidenten des Landtags gewählt und verabschiedete sich vom Gestalten der Politik an vorderster Stelle.
    Im Büro hängt eine Ikone der SPD. Herbert Wehner und seine Pfeife wurden so kunstvoll verfremdet, dass der streitbare SPD-Fraktionschef im Bundestag verzerrt erscheint wie hinter gesplittertem Glas. Das schwarz-weiße Gemälde besitzt seit dem 22.Mai unweigerlich einen neuen Symbolgehalt. Man fühlt sich an einen Bildersturm erinnert. Moron, ein Bewunderer Wehners, erlebt selbst eine Legendenzertrümmerung nach der Landtagswahl in NRW. Die SPD wurde nach 39 Jahren in die Opposition verbannt. "Politisch ist es eine Niederlage. Persönlich ist es aber nicht der Tiefpunkt meiner Existenz", sagt Moron. Bis zum Februar hatte Moron geglaubt, die politische Stimmung könne sich drehen. Danach blieb nur noch bange Hoffnung. Es fallen ihm viele Gründe für den Niedergang ein: die schlecht verkaufte Reformpolitik, Rekordarbeitslosigkeit, die "Schizophrenie" des Menschen, der Reformen bejahe, aber nicht davon betroffen sein wolle. Morons Fazit: "Gegen den Mainstream können sie nichts ausrichten."
    Moron hat den Übergang in die Opposition einmal bereits in Bonn miterlebt. Von 1973 an war er 18 Jahre innenpolitischer Referent in der SPD-Bundestagsfraktion. In den Düsseldorfer Landtag trat er 1990 ein, wurde Parlamentarischer Geschäftsführer, dann im Jahre 2000 Fraktionschef, der sich stets als "Schutzschild" der Landesregierung verstanden hatte.
    "Cocktailtermin"
    Er selbst müsse nun mehr repräsentieren, habe viele "Cocktailtermine", sagt der Mann mit dem ergrauten Schnurrbart. In den nächsten Wochen und Monaten will er sich aus dem "operativen politischen Geschäft heraushalten". Das neue Amt verlange stärkere Zurückhaltung. Außerdem soll seine Nachfolgerin Hannelore Kraft Raum haben, sich als Fraktionschefin zu profilieren. Moron hätte für eine begrenzte Zeit als Vorsitzender weitergemacht. Dies schien unmittelbar nach der Wahlniederlage realistisch. Doch eine umfassende personelle Erneuerung wurde drängender, auch weil sich SPD-Landeschef Harald Schartau sträubte. "Die NRW-SPD braucht jetzt einen Neuanfang, wir können damit bei uns in der Landtagsfraktion beginnen", erklärte er am 24. Mai vor der Fraktion und gab ein weit reichendes Signal.
    Das Lebenstempo des gebürtigen Oberschlesiers hat sich abrupt verlangsamt. Selbst als arbeitsamer Charakter sieht er darin Vorzüge. Die vergangenen Jahre seien eine "gewaltige psychische Anstrengung" gewesen. Enge Mitarbeiter loben ihn als fairen, zuverlässigen Chef. Zuweilen wurde auch Kritik von Genossen aus dem Hinterhalt geäußert. Die Fraktionsführung konnte ein undankbarer Job sein. Doch nun hat Moron Muße für einen langen Rückblick. Er liest Biografisches von Willy Brandt und frönt vernachlässigten Hobbies wie etwa Bergsteigen, Trekkingtouren, Doppelkopf. Und eines hat er ebenfalls im Hinterkopf: Irgendwann wird er im Plenum wieder ans Rednerpult treten und sich in die Tagespolitik einmischen. Für die kommenden fünf Jahre in der Opposition macht er sich allerdings wenige Illusionen.
    Gestalten sei auf Regierungsseite schon schwierig genug, sagt er. Und in der Opposition? "So gut wie unmöglich." Immerhin sieht Moron die bedeutende Chance für die SPD in NRW, "sich politisch frei zu machen und wieder provokant zu sein".
    Kristian Frigelj

    ID: LIN01055

  • "Viel erreicht. Schnitt jetzt".
    Landtagspräsident (SPD) nimmt nach 35 Jahren Politik seinen Abschied.
    Porträt;

    S. 23 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Landtagspräsident Ulrich Schmidt (63) wird nicht mehr dem neuen Landtag angehören. Es war seine eigene, persönliche Entscheidung. Niemand hat ihn dazu gedrängt. Aber wer mit ihm spricht, wie "Landtag intern" ein paar Tage vor der NRW-Wahl, der merkt: Leicht fällt ihm der Abschied aus der aktiven Politik nicht. So will er erst einmal Urlaub machen, Bücher lesen und darüber nachdenken, wie er seine politischen Erfahrungen und Verbindungen zum Nutzen der Menschen auch nach seinem Abschied in die Waagschale werfen kann.
    Ulrich Schmidt weiß aus der Erfahrung von 35 Jahren Politik (davon 30 im Landtag), dass man im politischen Leben am besten den Zeitpunkt selbst bestimmt, an dem man ausscheidet: "Es ist genug", meint er. "Ich habe eine Menge erreicht. Erst Ratsmitglied in Wetter, dann 20 Jahre Bürgermeister. Fünf Jahre Vizepräsident des Landtags. Zehn Jahre Präsident. Schnitt jetzt."
    Mit Empfehlungen an den neuen Landtag hält er sich zurück. Aber er hofft, dass die dann verringerte Zahl von Abgeordneten den Elan aufbringt, die parlamentarischen Abläufe weiter zu straffen und etwa die Zahl der Ausschüsse deutlich zurückzufahren. Zur Erklärung: Einige Minister der Landesregierung müssten derzeit vier oder fünf Landtagsausschüssen Rede und Antwort stehen. Schmidt: "Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Minister müssen regieren. Sie müssen ins Land gehen, mit den Leuten sprechen, damit sie wissen, was los ist."

    Bürokratie

    An dieses Prinzip politischer Arbeit hat sich Schmidt gehalten. Auch als Präsident, darauf legt er Wert, sei er immer noch Abgeordneter gewesen - mit offenen Ohren für die anderen Abgeordneten und für die Bürgerinnen und Bürger im heimischen Wahlkreis. Die hätten mit ihren Anliegen oft sein Wahlkreisbüro gestürmt. Dabei habe er, Schmidt, manchmal selber Schwierigkeiten gehabt, die Wege und Irrwege der Bürokratie nachzuvollziehen, in denen sich "der kleine Mann" hoffnungslos verfangen hatte: Wie soll der nämlich verstehen, dass er mit seinem Anliegen vom örtlichen Amt an den Regierungspräsidenten verwiesen wird - und wieder zurück? "Das reibt auf, das frustriert die Leute." Darum Schmidts Forderung: "Wir müssen so weit kommen, dass der staatliche Aufbau auf einer Seite DIN A 4 verständlich dargestellt werden kann." Also von der Verflechtung zur Entflechtung, zur Verlagerung von Zuständigkeiten auf die Ebene, die sie am besten und so bürgernah wie möglich erledigen kann.
    Am 8. Juni nimmt Ulrich Schmidt seine letzte Amtshandlung vor. Dann wird er die Mitglieder des neuen Landtags zur konstituierenden Sitzung begrüßen. Danach leitet er die Wahl seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin. Er stellt das Wahlergebnis fest und teilt es dem Plenum und der Öffentlichkeit mit. Anschließend wird er seinem Nachfolger, seiner Nachfolgerin alles Gute und Glückauf wünschen.
    Der alte Bergmannsgruß geht ihm leicht von den Lippen. Schmidt hat einst beim Montanriesen Hoesch gearbeitet. Das moderne Hoesch-Stahlwerk in Dortmund ist nicht mehr: Abgebaut und nach China verfrachtet. So etwas hat Schmidt, der seinen Wahlkreis am Rande des Reviers hat, häufiger erlebt. Man nenne es "Strukturwandel" und vergesse, dass Menschen davon betroffen sind, meint der Präsident nachdenklich.
    "Ich habe die Diskussion um Münteferings "Heuschrecken" mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und begleitet", sagt er und gibt ein Beispiel. Vor kurzem habe er erlebt, wie in Hattingen 350 Männer und Frauen mitsamt ihren Kindern demonstriert und dagegen protestiert haben, dass die Produktion nach China verlagert werden soll - alle Arbeitsplätze weg. Kone-Rolltreppen würden, so die Begründung der finnischen Unternehmensleitung, im Boomland China gebraucht, nicht so sehr im alten Europa. "Das verstehen die Leute nicht", erläutert Schmidt. Die hätten eher das Gefühl, sie würden ausgepresst: Das Know-how wird nach Asien mitgenommen, der Laden in Hattingen dicht gemacht. Dabei sei die Firma, ergänzt der Landtagspräsident, mit Mitteln des Landes gefördert worden und schreibe schwarze Zahlen.

    Globalisierung

    Nur eine notwendige Folge der Globalisierung? "Die Leute sehen das mit Angst", stellt der Politiker Schmidt fest. Den Kontakt zur Wirklichkeit hat er nicht verloren - auch als Präsident nicht, von dem man denkt, dass er über allem Streit schwebt und souverän die Geschäftsordnung eines Landtags zu handhaben weiß.
    JK

    Bildunterschrift:
    Ein nachdenklicher Präsident: Ulrich Schmidt blickt auf zehn Amtsjahre an der Spitze des Landtags zurück.

    ID: LIN00633

  • Porträt der Woche: Manfred Hemmer (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 3 - 16.03.2005

    Manfred Hemmer gehört zu den vertrauenswürdigen Menschen, denen man getrost einen Gebrauchtwagen abkaufen könnte. So jemand wie Hemmer, der im Mai dieses Jahres mit 68 nach einem Vierteljahrhundert aus dem Landtag ausscheiden wird, hat Freunde über Parteigrenzen hinweg. Und er formuliert die dazu passende Maxime: "Wenn der politisch Andersdenkende nicht auch dein persönlicher Freund sein könnte, dann stimmt was nicht in der Politik."
    Wenn der Sozialdemokrat vom alten Schlag im Frühjahr das Bundesverdienstkreuz erhält, ist das in Hamm, seinem Geburtsort und Lebensmittelpunkt, keine SPD-interne Angelegenheit. Für den CDU-Oberbürgermeister war klar, dass der feierliche Akt in großem Rahmen und im ersten Haus am Platz stattfinden soll. Hamm und Hemmer - das ist eine Paarung fürs Leben. Hemmer wurde 1964 in den Rat seiner Stadt gewählt, er wirkte dort 26 Jahre lang. Großes Reden ist nicht seine Leidenschaft, dickes Selbstlob nach 40 Jahren politischen Wirkens ebenso wenig. Immerhin sagt Hemmer, er habe sich stets für die Belange seiner Stadt eingesetzt, als Ratsmann, SPD-Stadtchef, Schützenbruder, Karnevals-Ehrensenator und Mitglied weiterer Vereine und schließlich im Landtag, wo er seit 1995 den Vorsitz im Verkehrsausschuss innehat.
    Die Bundesverdienstkreuz-Verleihurkunde ist noch von Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnet. Das macht die stolze Sache für Hemmer noch schöner. Denn Johannes Rau und Manfred Hemmer - das ist mehr als politische Freundschaft, da ist in Jahrzehnten ein reißfestes menschliches Band entstanden. Hemmers politisches Idol war Willy Brandt. 1972 saß er, der SPD-Lokalmatador, neben dem Wahlkämpfer Brandt im Wagen. "Sternstunden meines politischen Lebens" nennt Hemmer das 72er Ereignis. Es blieb nicht bei nur einer Sternstunde: Der Sozialdemokrat, der 1960 in die Partei eingetreten war, dessen Eltern SPD-Mitglieder waren, erinnert sich: "Helmut Schmidt, Klaus Schütz, Fritz Erler, Herbert Wehner und Carlo Schmid ... alle großen Leute der damaligen SPD habe ich in Hamm persönlich kennen gelernt."
    Freundschaften
    Manfred Hemmer, den seine Freunde "Manni" nennen, scheidet ohne Verdruss, aber mit ein bisschen Wehmut aus dem Parlament. Er wird die dort gewachsenen Freundschaften vermissen. Auch zu "politisch Andersdenkenden", er verzichtet mit Bedacht auf das Wort "Gegner". Über Heinz Hardt von der CDU beispielsweise, einen anderen alten parlamentarischen Fahrensmann, redet Hemmer Gutes: "Wenn Hardt was sagt, steht er zu seinem Wort, er lässt dich nicht ins Messer laufen, ich schätze ihn sehr." Aus Hemmers Mund klingt das nicht berechnend, nicht altersmilde, vielmehr echt und unverdorben.
    Wenn einer mit insgesamt 41 Jahren Politik-Erfahrung tschüs sagt, darf eine Bilanz nicht fehlen: Die Politik sei hektischer, komplizierter geworden. In den Achtzigern habe man mehr bewegen können, auch weil mehr Geld zur Verfügung gestanden habe. Natürlich bekümmert ihn das gesunkene Ansehen von Politikern. Warum das so gekommen sei? "Wir diskutieren zu viel, das Rumgehampel und Rumgeeiere muss aufhören."
    Verkehrspolitisch, nicht aber sozialpolitisch, wäre Hemmer die FDP als Regierungspartnerin lieber als die Grünen es sind. Der Hammer Altmeister stöhnt laut auf, wenn er an Fledermäuse oder anderes Getier, wenn er überhaupt an Zeitverzögerungen denkt, die wieder einmal ein wirtschaftlich notwendiges Projekt verzögern.
    Hemmer, der eine erwachsene Tochter hat, will nach der letzten Verkehrsausschuss-Sitzung am 7. April (ihm zu Ehren in Hamm) und nach dem Mandats-Ende im Mai häuslicher werden. Der Pensionärs-Plan sieht in etwa so aus: Erst mal entspannen, mit der Ehefrau nach Norderney fahren, anschließend darüber nachdenken, wie man sich nützlich machen könnte. Ein Stubenhocker wird der gelernte Tischler und Technische Zeichner sowie Personalratschef beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe nicht werden.
    Reinhold Michels

    ID: LIN00233

  • Porträt der Woche: Karin Jung (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 15 - 22.12.2004

    Schon bei ihrer ersten Kandidatur 1995 für den Landtag wusste Karin Jung genau, warum sie in das NRW-Parlament einziehen wollte: "Mir ging es darum, die Schulen so zu verändern, dass sie wirkliche Chancengleichheit bieten", sagt die SPD-Abgeordnete, die selber 25 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet hat. Zusammen mit anderen Sozialdemokraten hat sich Karin Jung seit Anfang der 90-er Jahre für die Offene Ganztagsgrundschule engagiert.
    Mit dieser kleinen, aber klaren Nummer sei sie 1995 angetreten und das Ziel sei jetzt erreicht, meint die SPD-Abgeordnete: "Zwar gibt es die Ganztagsgrundschulen noch nicht flächendeckend, aber inhaltlich ist das Thema akzeptiert und auch praktisch ist es auf den Weg gebracht."
    Ganz so einfach wie sich Karin Jung vor zehn Jahren ihre Lobby-Arbeit für Schüler vorgestellt hatte, lief das in der Abgeordnetenwirklichkeit dann aber nicht. Nach ihrer erfolgreichen Wahl wurden ihr zunächst der Innen- und der Rechtsausschuss als Arbeitsfelder zugewiesen. Ihr Ziel verlor sie allerdings nicht aus den Augen. Als sich nach einem Jahr die Möglichkeit bot, in den Ausschuss für Schule und Weiterbildung zu wechseln, hat sie die Chance wahrgenommen. In unzähligen Ausschusssitzungen und Arbeitskreisen hat sie sich seither für die Betreuung der Schüler am Nachmittag eingesetzt. Ihr schulpolitisches Engagement führte dazu, dass es nach ihrer Wiederwahl 2000 keinerlei Probleme gab, als ordentliches Mitglied ihre Arbeit im Schulausschuss fortzusetzen. Heute freut sie der politische Erfolg.
    Dabei war es keineswegs ihr Ziel gewesen, Berufspolitikerin zu werden. Am 3. September 1942 in Berlin geboren, hatte Karin Jung dort das Abitur gemacht und auch in Berlin Germanistik und Geschichte studiert. Nach dem 1. Staatsexamen ging sie mit ihrem Mann Volker Jung nach Düsseldorf und arbeitete nach dem 2. Staatsexamen am Hildener Helmholtz Gymnasium als Lehrerin. Parteipolitisch hatte sie sich bereits mit 18 Jahren bei der SPD engagiert und gehörte zum linken Flügel.
    Engagement
    Von 1979 bis 1995 war Karin Jung als Stadtverordnete im Rat der Stadt Düsseldorf. Dort beschäftigte sie sich bereits intensiv mit Schul- und Sozialfragen. Als die Partei sie bat, für den Landtag zu kandidieren, war sie zunächst überrascht, sagte dann aber zu, schließlich hatte sie ein Ziel. "Bei meiner Kandidatur habe ich gesagt, dass ich nicht die Front der Lehrer im Landtag verstärken wollte, die ideologische Grabenkämpfe ausfechten, sondern mich um eine Verbesserung der Kinder kümmern wollte - und das hat offenbar Wirkung gezeigt", erinnert sich Karin Jung heute. Neben dem Schulausschuss arbeitet sie in der laufenden Legislaturperiode auch im Europa- und Eine-Welt-Ausschuss mit. Eine Tätigkeit, die zeitaufwendig ist, aber der früheren Juso-Frau inhaltlich Freude macht.
    Da Karin Jung ihren Wahlkreis in Düsseldorf hat, entfallen für sie weite Fahrten, außerdem kann sie ihr Büro im Parlament als Wahlkreisbüro nutzen. Zwar hat sie auch einen Raum in der Parteizentrale, aber die meiste Arbeit läuft im Landtag zusammen, wobei sie einräumt, dass sie im Gegensatz zu den Kollegen, die einen Wahlkreis auf dem Land haben, weniger häufig von den Bürgern angesprochen wird.
    Ganz sachte bestellt Karin Jung jetzt schon ihr Feld. Im Schulausschuss ist ihr Anliegen "auf die Schiene" gesetzt. Als Sprecherin Im Europa- und Eine-Welt-Ausschuss arbeitet sie ihren möglichen Nachfolger ein. Für sie war immer klar: Nach zehn Jahren ist Schluss. Sie wird nicht mehr kandidieren. Ob sie an die Schule zurückkehrt, hat sie noch nicht entschieden. Karin Jung: "Einerseits reizt mich das, andererseits würde ich auch gern einmal außerhalb der Schul- oder Parlamentsferien Urlaub machen." Und da steht die Provence als Lieblingsreisegebiet ganz oben auf der Liste.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN00970

  • Porträt der Woche: Ralf Jäger (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 06.10.2004

    1982. Regierungswechsel in Bonn. Ralf Jäger hört die Regierungserklärung des neuen CDU-Bundeskanzlers. Helmut Kohl ruft zur "geistig-moralischen Wende" in der Bundesrepublik auf. Für den 20-Jährigen Duisburger ein Grund, spontan zum Telefon zu greifen und der SPD beizutreten. Denn: "Ich fand die Moral in Deutschland völlig in Ordnung! Gegen solches Ansinnen wollte ich was unternehmen. Aber dann hat es doch noch 16 Jahre gedauert, bis sich wieder was geändert hat," lacht der junge Abgeordnete heute.
    Dass er sich die Sozialdemokraten für sein politisches Engagement aussuchte, sei für ihn von Anfang an klar gewesen. "Mein Vater ist früh verstorben und ich war das einzige von vier Kindern, das aufs Gymnasium gehen konnte. Ich habe damals von der sozialliberalen Bildungspolitik profitiert." Die Förderung von Menschen mit geringen Chancen qua Herkunft ist Ralf Jägers Thema geblieben.
    In seinem Wahlkreis Duisburg-Meiderich leben viele von ihnen, Sozialhilfeempfänger, viele Migranten, viele arme Familien. Traditionell wählt man hier sozialdemokratisch. Und so schaffte es der Neuling bei den letzten Landtagswahlen auch, mit 60,4 Prozent den Stimmenrekord für die SPD im Land zu holen. Kein anderes Fraktionsmitglied der SPD kann ihm da das Wasser reichen. Ralf Jäger scheint das fast ein bisschen unangenehm zu sein. Schnell verweist er auf die miserable Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent.
    Jäger war 14 Jahre lang Fachreferent bei der Techniker Krankenkasse, bevor er in den Landtag einzog. Auch hier legt er einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Gesundheitspolitik: Er ist Sprecher der Enquetekommission "Zukunft der Pflege" und Mitglied im Ausschuss "Arbeit, Gesundheit, Soziales". Dazu kommt ein neues Amt: Jäger ist seit wenigen Monaten kommunalpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er bringt eine mehrjährige Erfahrung aus dem Duisburger Stadtrat mit. "Kommunalpolitik hat mich einfach immer interessiert." Im Alter von 27 Jahren nahm er zum ersten Mal für die SPD im Rat der Stadt Duisburg Platz, einige Jahre später wurde er dort stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
    Kommunalpolitik
    Neben seinem Landtagsmandat engagiert sich Jäger als ehrenamtlicher Aufsichtsratsvorsitzender einer Beschäftigungsgesellschaft in seinem Wahlkreis. Menschen mit wenig Chancen wieder in Arbeit zu bringen, das ist das Ziel. Und dazu gehört, Hilfe anzubieten - aber auch Engagement des Hilfesuchenden einzufordern. "So muss jeder, der Sozialhilfe beantragt, ein Beratungsgespräch wahrnehmen, in dem seine individuelle Situation begutachtet und Hilfestellungen angeboten werden. Denn das Ziel ist, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen. "Aber wer den Termin sausen lässt, der bekommt erst mal keine Sozialhilfe. Fördern und fordern, das ist das richtige Prinzip."
    Trotz der umstrittenen Hartz IV-Gesetze: Reformen im Sozial- und Arbeitssystem hält Jäger für unumgänglich, und auch die generelle Richtung seiner Partei hält er für richtig. Aber er ärgert sich über die schlechten Umfrageergebnisse seiner Partei. Die seien auch hausgemacht: "Weil sie zum Teil auf groben handwerklichen Fehlern basieren." Und die haben die Parteifreunde in Berlin zu verantworten. Im Wahlkreis erlebt Jäger die große Enttäuschung seiner Stammwähler hautnah. Da führt er Gespräche, die ihn oft ratlos zurücklassen. Etwa wenn DGB-Rentner trotz langer Erklärungen beim Abschied dann doch sagen, dass sie diese Politik von "ihrer" SPD nicht erwartet hätten.
    Als Ausgleich zur Politik liebt Ralf Jäger das Fußballspielen und den 10.000-Meter- Lauf. Er lebt als alleinerziehender Vater zusammen mit seiner elfjährigen Tochter Dana. Und wie findet die den Beruf ihres Vaters? Ist sie stolz? "Nö, Dana findet meinem Beruf eher peinlich", erzählt Ralf Jäger und lacht.
    Beate Becker

    ID: LIN00781

  • Porträt der Woche: Helga Schwarz-Schumann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 8 - 30.06.2004

    Den kennst du doch", grübelte Helga Schwarz-Schumann für einen Moment, als sie im Fernsehen den neuen Bundesbank-Präsidenten sah. Dann fiel der Groschen: "Klar, der Axel Weber von der Uni in Siegen, Ende der Siebziger, er Volkswirtschaft, ich Betriebswirtschaft."
    Kein gerader Weg
    Helga Schwarz-Schumann, die 49-jährige Sozialdemokratin aus Siegen, trat nicht auf dem geraden Weg - Gymnasium, Abi, Studium - ins Akademikerleben. Die Siegenerin wurde nach der Mittleren Reife zunächst zur Technischen Zeichnerin ausgebildet. In einem Betrieb engagierte sie sich als Jugendvertreterin. Es folgte der mühsame Parcours der besonders Strebsamen mit Köpfchen: Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, von 1975 bis 1980 Betriebswirtschaftslehre. Zu 228 war man bei Studienbeginn, zum Schluss blieben davon noch 18 übrig. Im dritten Semester, bei der Prüfung in Recht, fielen 90 Prozent der Studiosi durch.
    In die Gewerkschaft trat Helga Schwarz-Schumann schon als 17-Jährige ein. Zur SPD fand sie erst 17 Jahre später - 1988. "Ich wuchs in einem christlich geprägten Elternhaus auf, da herrschte die Meinung vor: Sozis taugen nichts." Außerdem lehnte sie die Sicherheitspolitik (Stichwort: Nato-Doppelbeschluss) des damaligen Bundeskanzlers Schmidt von der SPD ab. Kurz hat sie Ende der Achtziger mit den Grünen geliebäugelt, sich aber dann doch für die SPD entschieden, auch wegen der größeren Gewerkschaftsferne der Grünen. Gustav Heinemann mit seiner christlich-friedenspolitischen Prägung hat sie mehr beeindruckt als Willy Brandt.
    Helga Schwarz-Schumann ist eine freundlich auftretende Frau, aufgeschlossen und sympathisch im Gespräch, nie verengt auf landespolitische, gar siegerländische Themen. In den Bundestag gewählt zu werden, hat sie nie gereizt, das Europaparlament hätte schon eine Verlockung sein können. "Europa", sagt das Mitglied des Europaausschusses des Landtages, "betrifft die Menschen viel mehr als sie wissen". Die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" bezeichnet die Abgeordnete vorsichtig als eine Vision, welche vielleicht eine folgende Generation verwirklichen werde.
    Helga Schwarz-Schumann, die mit einem Rechtsanwalt verheiratet ist, zwei erwachsene Töchter (die Jüngere ist Juso) hat, gerne auf der kanarischen Insel La Gomera urlaubt, ist viel in der Welt herumgekommen. Sie kann sich vorstellen, den Lebensabend in Südafrika zu verbringen.

    International

    Ihr politisch-wirtschaftliches Interesse zielt auf frappierende Entwicklungen in Indien und China: "Indien wird hier völlig unterschätzt, es ist faszinierend zu sehen, was sich dort technologisch tut." Zu China: "Jedes Jahr werden dort 600.000 Ingenieure fertig"; sie wiederholt die Zahl, um ihren Gesprächspartner gehörig mitstaunen zu lassen.
    Helga Schwarz-Schumanns Düsseldorfer Büro wirkt karg: ein Landschaftsbild aus dem Parlamentsfundus an der Wand, nichts Grünes auf dem Fensterbord. Eine Packung Gauloises am Tag empfindet sie als ihr persönliches Laster. Früher war die fröhliche Raucherin sehr sportaktiv: Handballerin in der Regionalliga bis zum Meniskusschaden, Tennisspielerin bis zur chronischen Schultergelenksentzündung. Heute joggt sie zwei Mal pro Woche, und beim Abfahrtski darf die Piste schon schön steil sein.
    Reinhold Michels

    ID: LIN00602

  • Porträt der Woche: Wilfried Kramps (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 7 - 16.06.2004

    Wilfried Kramps hat eine aufwändige Inventur vor sich. Wenn die Landtagswahl im Mai 2005 vorüber ist, dann will er sich erst einmal ein halbes Jahr Zeit nehmen. Er wird zurückgelegte Papiere hervorkramen, vergessene Notizen finden, Gedanken ordnen, Wichtiges von Unwichtigem trennen. Kurzum, Wilfried Kramps wird die vergangenen zwanzig Jahre aufarbeiten. "Ich werde sehen, was ich für das weitere Leben mitnehmen kann und was nicht", sagt er. Das klingt weder traurig noch froh, sondern neutral. Sein Gesichtsausdruck verändert sich nicht: ein freundlicher Blick hinter der Brille und meist ein Schmunzeln unterm Schnurrbart. Hinterhertrauern ist seine Sache nicht. Der 64-Jährige ist einer von vielen Landtagsabgeordneten, die nicht mehr zur Wahl antreten. Vier Mal hat der Hagener kandidiert, vier Mal ist er direkt in den Landtag gelangt. Eine Erfolgsserie, die dank einer traditionell übermächtigen SPD im Ruhrgebiet nicht selten war.
    Wilfried Kramps hat eine Menge miterlebt: die Sozialdemokraten 1985 auf dem Zenit ihrer Macht, als sie mit Ministerpräsident Johannes Rau 52,1 Prozent erreichten, und den unaufhaltsamen Rückgang danach. Er hat zu spüren bekommen, wie Politik sich verändert. Man dürfe nicht bedauern, dass alles so gekommen sei. "Es gibt Erklärungen für die Entwicklung", sagt Wilfried Kramps. "Reformen bedeuteten früher, dass es besser wurde, dass man mehr bekam. Heute bedeuten Reformen Einschnitte." Die Leute seien darauf "nicht richtig vorbereitet worden, weder von Kohl noch von Schröder". Eine Alternative zum eingeschlagenen Kurs sieht er nicht. Die SPD müsse das "durchstehen".
    1972 - welch ein Kontrast für Sozialdemokraten. "Eine dolle Zeit", sagt Wilfried Kramps. Tausende Menschen drängten in die SPD, inspiriert von Willy Brandt. "Da herrschte richtige Aufbruchstimmung." Wilfried Kramps gehörte da schon zwölf Jahre der Partei an. Der politische Weg des gebürtigen Witteners war vorgeprägt: Sein Vater schuftete im Bergbau und war Betriebsratschef, sein Onkel Ewald Sprave war SPD-Bürgermeister von Dortmund. Er habe sich früh für gesellschaftspolitische Fragen interessiert, sagt Wilfried Kramps. Nach seiner Lehre zum Industriekaufmann besuchte der Speditionsangestellte einen Fortbildungslehrgang der SPD. Er gehörte Anfang der 60-er Jahre zu den "Wehner-Zöglingen", die für Funktionärsposten geschult wurden. Herbert Wehner unterwies den Nachwuchs zeitweise in Organisations- und Machtpolitik, "ein prägender Mann", sagt Wilfried Kramps. Ab 1965 war er zwanzig Jahre lang Parteisekretär und Geschäftsführer im Unterbezirk Hagen. Ratsmandat, SPD-Fraktionsführung und Vorsitz des Unterbezirks kamen hinzu.
    Nach seinem Einzug in den Landtag 1985 durfte er wie die anderen Abgeordneten aufschreiben, welchen Ausschüssen er angehörenmöchte. Ein Wunsch immerhin erfüllte sich: Er kam als ordentliches Mitglied in den Ausschuss für Städtebau und Wohnungswesen. Zudem wurde ihm der Petitionsausschuss zugewiesen. Diese Kombination hat er seitdem beibehalten. Im Petitionsausschuss ist er mittlerweile Sprecher der SPD-Fraktion.
    Zwanzig Jahre einer Regierungsfraktion anzugehören, das hält Wilfried Kramps für einen "Sonderfall" und fügt hinzu: "Die Demokratie lebt eigentlich vom Wandel." Die Frage, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihm am besten oder wenigsten gefallen habe, beantwortet er diplomatisch: Es habe "schwierigere und leichtere Momente" gegeben. Wilfried Kramps überlegt. "Besser arbeiten konnte man zur Zeit von Johannes Rau." Der größte politische Verdienst: der Strukturwandel im Ruhrgebiet. Als problematisch empfindet er es, dass die Politik schnelllebiger geworden sei, dies gehe zu Lasten der Genauigkeit.
    Wenn Wilfried Kramps Ende nächsten Jahres seine innere Inventur abgeschlossen hat, dann will er neue "Projekte" angehen. Der Vater von vier erwachsenen Kindern würde gern "hilfsbedürftigen Wesen" zur Seite stehen, ganz gleich, ob es Senioren oder Kinder sind. Das ureigene Anliegen des Petitionsausschusses lässt Wilfried Kramps nicht mehr los.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN00550

  • Porträt der Woche: Karl-Heinz Haseloh (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 10.03.2004

    "Ich hätte für Albert Einstein gestimmt." Hätte sich Karl-Heinz Haseloh zur Fernsehsendung "Deutschlands Beste. Wer ist der größte Deutsche?" festlegen müssen, wäre ihm neben Einstein auch Willy Brandt in den Sinn gekommen. Brandts famous last words, die wie in Marmor geschlagen wirken, kann Haseloh auswendig: "Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer. Besinnt euch auf eure Kraft und darauf, dass jede Zeit ihre Antwort braucht und dass man auf der Höhe der Zeit zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll."
    Der Abgeordnete aus Minden-Lübbecke, der 2000 erstmals in den Landtag gewählt wurde, denkt auch an andere Goldene Worte, etwa die eines 90-jährigen Parteifreundes: "Es ist eine Ehre, für die SPD ein Mandat innezuhaben." "Das sehe ich genauso", sagt der 1946 geborene Diplom-Sozialwirt, der mit einer Katholikin verheiratet ist, den jedoch ein reißfestes Band mit seiner evangelischen Kirche verbindet. Mütterlicherseits gab es eine sozialdemokratische Vorprägung, tiefer noch als die war wohl die Prägung durch ein pietistisch gesinntes Elternhaus. Sofort fragt man an der Stelle nach Haselohs Urteil über Johannes Rau. Rau zählt zu den christlich grundierten Demokraten, die Haseloh besonders schätzt. Er nennt außerdem Erhard Eppler, Gustav Heinemann,Heinrich Albertz.
    Der Politiker mit langjähriger Berufserfahrung als Arbeitnehmer in der Industrie, Betriebsrat und Kirchenreferent in Westfalen legt Wert auf die geistig-ethische Unterfütterung politischen Tuns. Haseloh besucht regelmäßig evangelische Kirchentage. Theorie und Pragma- tismus möchte er zusammenführen. Versöhnen statt spalten? Haseloh schaut zurück auf seinen Werdegang: "In der kirchlichen Jugendarbeit und als Betriebsrat müssen Sie Interessen vertreten, gleichzeitig sind Sie zum Dialog verpflichtet." Er betrachtet sich als einen Transportarbeiter, der dafür sorgt, dass kirchliche und politische Welt sich gegenseitig beliefern und bereichern.

    Sozialethik

    Nostalgie schwingt mit, wenn Haseloh an Brandt und den politischen Aufbruch der späten sechziger und frühen siebziger Jahre denkt. Brandt habe es verstanden, sich bei Arbeitnehmern verständlich zu machen, ihnen Orientierung zu geben. "Beim Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt 1973 war bei uns im Betrieb jedes Radio an." Heute stünden Fragen nach Wohlstandserhalt und sicheren Arbeitsplätzen im Vordergrund. Dennoch brauche die Politik neben Problemlösungs- Kompetenz eine gewisse Sozialethik. Christliche Denker, Sozialethiker wie Oswald von Nell-Breuning oder Friedhelm Hengsbach, sind für Haseloh Menschen mit politischem Scharfblick. Obwohl Haseloh im Gegensatz zu seiner Frau kein Bücherwurm ist, will er Heiner Geißlers Abhandlung "Was würde Jesus heute sagen?" auf jeden Fall lesen.
    Mit der CDU hat der SPD-Mann stets einen Konservatismus verbunden, der ihm fremd blieb - Geißler jedoch, "da hört man hin". Der Parlamentarier, dessen zwei Brüder in der Mission beziehungsweise im Pflegebereich tätig, und darüber hinaus auch in der SPD sind, macht im Gespräch einen temperamentvollen Eindruck. Manchmal spricht er hastig. Man spürt den immerwährenden Leistungswillen eines Aufsteigers, der nach Volksschule und Lehre über den zweiten Bildungsweg und mit gewerkschaftlicher Förderung vorwärts gekommen ist. Haseloh ist bescheiden genug, zu bestimmten politischen Großproblemen - der Embryonenforschung beispielsweise - nichts zu sagen: "Das ist nicht meine Baustelle, da fehlt mir grundlegende Kenntnis."
    Zwanzig Jahre lang war er kommunalpolitisch aktiv. Das ist vorbei. Haseloh tanzt politisch auf einer Hochzeit. "Kommunalpolitische Erfahrungen sind wichtig für einen Landespolitiker, aber man muss nicht mehrere Hüte aufhaben.”
    Der Abgeordnete, der dort zu Hause ist, wo die norddeutsche Tiefebene anfängt, radelt gerne. Spazieren gehen und Schwimmen kommen in Mußestunden hinzu. Bis zum 25. Lebensjahr hat Haseloh Handball gespielt, heute verfolgt er die Spiele des TUS Nettelstedt- Lübbecke. Im Urlaub geht die Familie an die See, bevorzugt nach Wyk auf Föhr: "Wir haben, angefangen bei Texel, alle Nordseeinseln getestet, und uns dann für Föhr entschieden."
    Reinhold Michels

    ID: LIN00290

  • Porträt der Woche: Hans-Willi Körfges (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 17 - 23.12.2003

    Hans-Willi Körfges erzählt gerade von seiner Stehplatz-Dauerkarte und dass er stets "gut kostümiert" ins Stadion von Borussia Mönchengladbach geht. "Wir machen uns da von allen menschlichen Belastungen frei", sagt der passionierte Schlachtenbummler. Er habe seit seinem neunten Lebensjahr kaum ein Heimspiel verpasst. Der 49-Jährige lächelt, als er das erzählt, und zieht an seiner Pfeife. Dänischer Tabak, seine Lieblingssorte, glimmt auf. Dann kommt die Geschichte von den 80 Pfeifen, die er zu Hause hortet und der Reihe nach schmaucht. Jeden Abend, wenn er seine Gedanken in einer stillen Stunde ordnet, überlegt er sich, welches Exemplar er anderntags benutzen wird.
    Sobald der Mönchengladbacher eine ausgefallene Vorliebe ausgeplaudert hat, verrät er schon die nächste. Spätestens nach einer Stunde im launigen Gespräch drängt sich einem die Vermutung auf, dass es vielleicht gerade jene Eigenarten sind, die ihn vital halten. Außerdem wären da noch Rotwein und ein gewöhnungsbedürftiges Leibgericht, das er gern zubereitet: weiße Bohnen in angesäuerter Buttermilch.
    Hans-Willi Körfges spricht über sich wie über einen sehr guten Freund: Er kann seine Stärken einschätzen ("teamfähig, zielstrebig, fleißig"), aber auch seine Schwächen: "aufbrausend, launisch, zynisch", hat er auf seine Homepage eintragen lassen."Ich habe nicht nur edle Tugenden", sagt er und ist bei einem generellen Problem seiner Kaste angelangt. Es gebe eine "falsche Wahrnehmung von Politikern", die dies zum Teil auch selbst beförderten. "Wir sind keine besseren Menschen", sagt Hans-Willi Körfges. Dennoch legt der Rechtsanwalt hohe Maßstäbe an. Auf seiner Homepage ist sein Abgeordnetengehalt aufgelistet. Sein Sekretariat in der Kanzlei hat er angewiesen, bei jedem Anrufer das Anliegen zu erfragen. Juristische Belange werden durchgestellt, politische erst notiert. Er ruft dann zurück, möglichst nicht vom Büro aus. Es ist im Kleinen sein Beitrag zur Gewaltenteilung. "Ich hoffe, dass mir das immer gelingt. Die Gefahr ist groß, dass man die verschiedenen Lebensbereiche miteinander vermengt."
    Ochsentour
    Ohnehin ist es für ihn schwierig, der sich ausdehnenden politischen Dimension in seinem Leben Einhalt zu gebieten. Der langjährige Kommunalpolitiker, der die klassische Ochsentour Haushalts- und Finanzausschuss absolvierte, und beteuert, dass seine Karriere eine "Aneinanderreihung von Zufälligkeiten" gewesen sei, sitzt inzwischen in vier Ausschüssen des Landtags. Zunächst waren es der Rechts- und der Agrarausschuss, dann der Haupt- und Finanzausschuss, um den er sich bemüht hatte, weil dort viel bewegt wird. Und nun der Untersuchungsausschuss. Dabei ist er erst nach der Wahl im Mai 2000 - mit der hauchdünnen Mehrheit von 119 Stimmen im Wahlkreis - in den Landtag eingezogen. Bei der Frage, wie ein Parlamentsdebütant so rasch Fuß fasst, verweist Hans-Willi Körfges nicht auf seine politische Kompetenz. Stattdessen sagt er: "Wenn ich da bin, bin ich relativ raumfüllend." Er halte mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, deshalb falle er auf.
    Um dem Stress zeitweise zu entrinnen, muss das Mitglied des SPD-Landesvorstandes zuweilen zu einer List greifen. Am Wochenende kann es passieren, dass er nicht zu erreichen ist, weil er einen wichtigen "Termin" wahrzunehmen hat. Was ungemein geschäftlich klingt, ist tatsächlich privat, aber nicht minder wichtig. Hans-Willi Körfges möchte sich zumindest einen Tag seiner Ehefrau und seinen drei Kindern widmen. Einen Teil seiner Freizeit verbringt er gern beim Werkeln am eigenen Haus, einem alten Backsteingebäude. Er wolle sich selbst beweisen, dass er auch als Jurist und Politiker anpacken könne, sagt Hans-Willi Körfges. Jüngst hat er eigenhändig Fliesen verlegt. Es ging nur mühsam voran, aber es ging. Der Fliesenboden sieht, wie er findet, ganz passabel aus.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN01446

  • Porträt der Woche: Jürgen Thulke (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 12 - 24.09.2003

    Jürgen Thulke trägt stets ein hübsches Souvenir für den Politikwandel in Deutschland bei sich. Wenn er eine Anekdote erzählen will, öffnet er seinen weinroten Aktenkoffer mit ausgeleiertem Verschluss, den er seit zwanzig Jahren trägt, und zieht eine schmale Broschüre hervor. Darauf steht "In Essen ist immer ein Bad im Bau", gedruckt von einer stolzen Stadtverwaltung. Sie stammt aus dem Jahre 1975, als Politik machen noch bedeutete, Geld großzügig auszugeben. Gern erzählt er dann auch vom damaligen "Amt für Entwicklungsplanung", in dem eifrig darüber nachgedacht wurde, wo sich etwas errichten ließe. "Damals wurden ständige neue Einrichtungen gebaut", sagt Jürgen Thulke. "Heute geht es darum, welche Einrichtung geschlossen werden muss."
    Der 64-Jährige ist einer jener altgedienten Landtagsabgeordneten, die den Wandel von der wohlhabenden zur verarmten Politik schmerzvoll miterlebt haben. Seit 38 Jahren ist er Mitglied der SPD, seit vier Legislaturperioden gehört er dem Düsseldorfer Landtag an. In zwei Jahren läuft das Mandat aus, und er wird nicht mehr antreten. "Ich hätte mir das glatt noch mal zugetraut", sagt Jürgen Thulke. Kernig sieht er aus, er ist hoch gewachsen, schlank und braun gebrannt vom Urlaub in Costa Rica. Keinerlei Anzeichen von Stress. Dennoch bezeichnet er sein Alter als "Oberkante" - seine persönliche äußerste Grenze, um die aktive Politikerlaufbahn zu beenden. Den Vorsitz im SPD-Ortsverein Essen-Frintrop hat er im Frühjahr nach 31 Jahren abgegeben. Die Mitglieder haben ihn zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
    Zeitenwechsel
    Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben durchaus ihre Spuren hinterlassen. Als Abgeordneter werde man ständig gefragt, aufgefordert, um etwas gebeten. Man sei "Ansprechpartner" und "Türöffner". Jürgen Thulke hat den NRW-Parlamentarier stets als Basispolitiker auf höherer Ebene verstanden. Er saß ohne Unterbrechung im Ausschuss für Kommunalpolitik. Der gebürtige Essener und langjährige Ratspolitiker kann viele Begebenheiten erzählen, wo er diesem oder jenem geholfen hat, wie er für die Belange anderer gefochten hat und sich dadurch selbst Einfluss gesichert hat. "Ich bin so etwas wie die personifizierte SPD in Essen gewesen", sagt er nicht ohne Stolz. Jürgen Thulke spricht oft in der Vergangenheitsform, leise Anzeichen eines Abschieds.
    Bei ihm ist herauszuhören, dass das politische Wirken immer komplizierter wird und auch das Image eines tatkräftigen Förderers sich angesichts leerer Kassen schwerlich aufrechterhalten lässt. Früher habe er abgleichen können, was er von dem Zugesagten auch gehalten habe. "Heute kann man nichts mehr versprechen. Man kann sich nicht mehr festlegen", sagt Jürgen Thulke. Ein pathetisches Lamento stimmt er aber nicht an. Dazu ist der Ingenieur der Nachrichtentechnik zu abgeklärt. Nüchtern blickt er auf seine Arbeit und auf eine versunkene Ära in den 80-er Jahren zurück, als kein Gedanke an eine Koalition mit den Grünen verschwendet wurde, weil die SPD noch allein herrschte. "Die absolute Mehrheit war schöner", sagt er.
    Bald kann er die absolute Freiheit genießen. Langeweile wird dabei bestimmt nicht aufkommen. Mit seiner Ehefrau Angelika will er entlegene Winkel der Erde erforschen. Die Reiselust ist bei ihnen daheim nicht zu übersehen. Dutzende von exotischen Masken hängen im Wohnzimmer, groteske Figuren bewachen die Treppe zum Obergeschoss. "Sri Lanka, Malaysia, Bali, Namibia, Kamerun", zählt Jürgen Thulke auf und würde gar nicht mehr aufhören - wenn da nicht eine weitere Leidenschaft wäre: ein kleines Gewächshaus, das innen zugewuchert ist und auf der großzügigen Terrasse im dritten Stockwerk steht. Hier kümmert er sich um tropische Farne und um seine Lieblingspflanze, die Orchidee. "Die ist unverwüstlich", schwärmt er. Orchideen würden sogar auf blankem Fels wachsen. Vielleicht erzählt er dieses biologische Kunststück als neue Anekdote, wenn es wieder einmal um die Gestaltungsfähigkeit von Politik geht.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN01731

  • Porträt der Woche: Klaus Strehl (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 06.06.2003

    Donnerwetter, ein selbstbewusster Raucher, betritt der Mann doch tatsächlich Zigarette qualmend einen engen Aufzug! So schoss es Klaus Strehls späterem Gesprächspartner durch den Kopf. Man war verabredet, kannte sich aber noch nicht bei der ersten Begegnung im Fahrstuhl. Ein knappes wechselseitiges "Guten Tag", dann stieg der Unbekannte aus. Wenig später folgte das verabredete Treffen in Strehls Parlamentarier-Büro. Die Begrüßung fällt freundlicher aus als vorher im Lift. Die Anonymität ist aufgehoben, der Gast erlebt einen angenehmen Gesprächspartner, mit dem sich anregend über große und lokale Politik, über Reisevorlieben, über Gott und die Welt plaudern lässt.
    Es war am Tag nach der Befreiung Bagdads. Strehl, ein Gegner des Irak-Krieges wie die meisten seiner Landsleute, räumt ein, dass ihn die Szenen mit jubelnden, glücklich von Saddams Joch befreiten Menschen ins Grübeln gebracht hätten: "Die Freude der Iraker war ja nicht gestellt. Da kommt man als zuvor strikter Kriegsgegner doch etwas ins Nachdenken über den englischen und amerikanischen Militäteinsatz."
    Strehl, der 1943 in Fulda geboren wurde (die Eltern waren kriegsbedingt aus Oberhausen evakuiert worden) und seit 50 Jahren in Bottrop lebt, kennt die Vereinigten Staaten von mehreren privaten Besuchen, die er mit seiner Frau unternommen hat. Das Ehepaar, seit 36 Jahren miteinander verheiratet, fuhr mit Mietwagen von den Neuengland-Staaten kreuz und quer über den Kontinent. Ein Abstecher galt der kanadischen Metropole Vancouver, in der Strehls Tochter ein Jahr lang ihre Ausbildung veredelte. Die Tochter ist heute Diplomkauffrau, Fachrichtung Statistik. Strehl, der ein bodenständiger Ruhrgebietsmensch ist und auch als junger Bursche nie ans Auswandern gedacht hat, schwärmt von Vancouver am Pazifik: "Schöner noch als San Francisco oder San Diego."

    Wurzeln im Kommunalen

    Auch politisch ist Strehl, der es als Raucher in den USA verdammt schwer gehabt hat, nie antiamerikanisch gewesen. Das deutsch-amerikanische Verhältnis müsse nach dem Ärger der Vergangenheit verbessert werden. Deutschland sei jedoch gegenüber den USA nicht zum Gehorsam verpflichtet. Er traut seinem Parteifreund und Kanzler zu, dass ihm die politische Klimaverbesserung mit Hilfe der pragmatischen Amis gelingt. Von Schröders Qualitäten ist Strehl überzeugt. 1966 trat er als Spross eines katholisch geprägten Elternhauses (sein Vater pendelte als Wähler von der CDU zur SPD und umgekehrt) in die SPD ein - wegen des Visionärs Willy Brandt und wegen des forschen Machers Helmut Schmidt.
    Politisch zu Hause ist Strehl in der Kommunalpolitik. Seit 1975 gehört er dem Rat der Stadt Bottrop an, seit zwölf Jahren führt er die SPD-Fraktion. Die Arbeit als Landtagsabgeordneter (seit 1985) empfindet der Sozialdemokrat, der sich nie zu den "68ern" zählte, als ideale Ergänzung kommunalpolitischer Tätigkeit. Die Verknüpfungen zwischen Kommunal- und Landespolitik bezeichnet er als exorbitant. Strehl ist einer jener handfesten politischen Akteure, denen allzu langes Quatschen nicht behagt, die lieber schnell nach Lösungen und Ergebnissen streben. Strehl hat es gerne, wenn etwas passiert. Spaß macht ihm der Vorsitz im Ausschuss für Umweltschutz und Raumordnung: "Das ist mehr Kür als Pflicht, Raumordnung - da ist noch action drin."
    Irgendwann während der Unterhaltung klingelt das Telefon. Strehl schnappt den Hörer, kommt fix zur Sache, ist knapp und bestimmt. Solch einem Politiker müsste ein Regierungsamt Freude machen. Lust zu regieren hätte er schon gehabt, das ist spürbar, jedoch auch sein Talent, nicht lange zurückzuschauen: tempi passati: "Ich bin jetzt 59", sagt der Stadtrat und Landesparlamentarier und deutet an, dass er politisch zufrieden ist mit dem, was ist.
    Geschichte ist Strehls Hobby, er verschlingt historische Lektüre, greift auch zu Belletristik. Abfahrtski gehört zu seinen sportlichen Aktivitäten, ausgiebiges Wandern zuhause und im Urlaub ebenso.
    Ein wichtiges privates Ziel ist angepeilt: Der Mann, der oft zur HB greift, will sich das Rauchen abgewöhnen.
    Reinhold Michels

    ID: LIN01911

  • Porträt der Woche: Inge Howe (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 7 - 28.05.2003

    In dem grauweißen Abgeordnetenzimmer fällt das farbenfrohe Bild an der Wand sofort auf - das Geschenk einer Petitentin an Inge Howe. Kein anderes Kunstwerk mag die Abgeordnete daneben hängen. Und wenn sie die Geschichte der Künstlerin erzählt, steigen Tränen der Rührung auf - aber nur ganz kurz.Nach tragischen Schicksalsschlägen hatte die aidskranke Malerin Hilfe beim Petitionsausschuss gesucht - und landete bei Inge Howe. Sie wollte sich in ihrem Beruf als Erzieherin gestörter Jugendlicher selbständig machen, weil öffentliche Träger sie nicht anstellen wollten."Wir konnten der Frau formal nicht helfen, aber sie hat mich so beeindruckt, dass ich nicht locker gelassen habe und einen Besuch des Ausschusses bei ihr organisiert habe. Das allein brachte dann doch einiges ins Rollen, und heute ist ihr Problem gelöst."
    Inge Howe ist der Kontakt mit Menschen und auch das Helfen ein echtes Bedürfnis - und beides zieht sich wie ein roter Faden durch ihre politische und berufliche Biografie. Die beginnt mit einer Ausbildung als Krankenschwester in Minden. Zügig nimmt Inge Howe die Karrierestufen, wird Stationsleiterin, später stellvertretende Klinik-Pflegedienstleiterin. Die Sorgen der Mitarbeiter, aber auch selbst erlebte und als ungerecht empfundene Entscheidungen "von oben" führen sie in die Gewerkschaftsarbeit und den Personalrat. 1989 wird sie die erste freigestellte Personalrätin des großen Mindener Klinikums. Sie erfährt: "Man kann nur etwas verändern, wenn man politisch Einfluss nimmt. Und das geht am Besten, wenn man in die Politik geht." So wird Inge Howe 1990 Mitglied der SPD.

    Eigene Akzente

    Und wieder beginnt, was die Abgeordnete auch im Rückblick immer noch etwas zu verwundern scheint: ihr stetiger Aufstieg. Vom Ortsvereinsmitglied zum Sitz im Parteirat der Bundes-SPD braucht sie acht Jahre. Dabei ist Politik nicht alles im Leben von Inge Howe. 1998 beginnt die damals 46jährige - sie ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn - ein berufsbegleitendes Studium im Fach Pflegemanagement. Im Jahr 2000 wird sie zur Kandidatin für den Landtag nominiert. Sie schafft den Einzug und legt beim ohnehin traditionell guten SPD-Wahlergebnis in ihrem Wahlkreis noch ein wenig zu.
    Inge Howe empfindet sich als Quereinsteigerin und sieht ihre 30jährige Berufserfahrung als Fundament ihrer politischen Arbeit im Landtag. Und wie erlebt sie ihre Möglichkeiten, im großen Politikapparat Landtag tatsächlich eigene Akzente zu setzen? "Idealismus ist nicht umsetzbar, das ist mir schnell klargeworden. Aber in den Ausschüssen kann man eine ganze Menge einbringen und auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss nehmen." Neben dem Petitionsausschuss ist Inge Howe auch Mitglied im Frauenausschuss und dort mittlerweile Vorsitzende. Besonders stolz ist sie auf das neue Gewaltschutzgesetz, mit dem Frauen vor häuslicher Gewalt durch den Partner in Zukunft besser geschützt werden können. Das Gesetz ist nun verabschiedet, "doch wir müssen es noch vor Ort besser kommunizieren, zum Beispiel mit Runden Tischen". Ein weiteres großes Projekt: Gender Mainstreaming. Hinter dem Anglizismus verbirgt sich die alte Forderung nach der Gleichberechtigung der Geschlechter. Neu daran: Es wird nicht generell die Benachteiligung von Frauen vorausgesetzt - auch benachteiligte Männer werden als Opfer ernst genommen. Inge Howe sind solche Erfahrungen in ihrer Karriere weitgehend erspart geblieben. Im Gegenteil: "Ohne die Förderung durch meine männlichen Kollegen wäre ich nicht da, wo ich heute bin", sagt sie.
    Ihre gesundheitspolitischen Ambitionen vertritt die Einundfünfzigjährige in der "Enquete-Kommission für eine frauengerechte Gesundheitsversorgung in NRW". Gerne hätte die neue Abgeordnete auch im Gesundheitsausschuss Platz genommen, um ihr Leib- und Magenthema Gesundheitspolitik zu beackern. Doch das war in dieser Legislaturperiode nicht drin. Deshalb lauten ihre Pläne für die Zukunft: "Wieder das Mandat gewinnen - und dann einen Platz im Gesundheitsausschuss übernehmen."
    Beate Becker

    ID: LIN01994

  • Porträt der Woche: Dr. Axel Horstmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 6 - 14.05.2003

    Es ist ein besonderer Moment, als Axel Horstmann gewagt mit seinem Stuhl wippt. Eine Stunde hat er entspannt in seinem Büro gesessen, geplaudert und Tee getrunken. Doch als die Sprache auf den Metrorapid kommt, lehnt der groß gewachsene, kräftige Mann sich zurück und kippelt minutenlang auf den hinteren Stuhlbeinen. Der Minister signalisiert maximale Lässigkeit bei seinem heikelsten politischen Thema. Es ist ein Balanceakt, der den Betrachter zu Interpretationen verleitet. Als Metrorapid-Minister muss er gewissermaßen mit instabilen Lagen zurechtkommen, sei es in der rot-grünen Koalition oder bei Finanzierungsabsprachen mit dem Bund.
    Eigentlich umfasst sein Ministerium die Ressorts Verkehr, Energie und Landesplanung. Doch der Metrorapid ist ein Zuständigkeitsbereich, den er wie keinen anderen im Auge behalten muss. Es ist das ambitionierteste und umstrittenste Projekt der Landesregierung, beflügelt von Hoffnungen, aber auch befrachtet mit Skepsis. Axel Horstmann zeichnet einiges für diesen schwierigen Job aus, den er im November vergangenen Jahres übernommen hat: Der 48- Jährige ist ein eloquenter Stratege, er gilt als verlässlich und als harter Hund beim grünen Koalitionspartner. In der Landesregierung stieß man bei der Suche schnell auf den Herforder, auch weil er zu den wenigen ministrablen Abgeordneten in der SPD-Landtagsfraktion gehört.
    Der Mann mit dem Bart und der Brummstimme eines Seebären ist einer derjenigen, die inmitten sozialdemokratischer Übermacht politisch sozialisiert wurden. 1972 trat der Sohn eines Werkzeugmachers in die SPD ein, mitgerissen von der "Willy-Welle", die Bundeskanzler Brandt ausgelöst hatte. Er war im Rat seines ostwestfälischen Geburtsortes Enger aktiv und ab 1987 Kämmerer und Stadtdirektor von Detmold. In jener Zeit sei die Erkenntnis gereift, dass die politische Arbeit sich nicht mehr allein als Ehrenamt bewältigen lasse, sagt Axel Horstmann. Da war er bereits auf dem Weg zum Berufspolitiker.
    1995 errang der promovierte Wirtschaftswissenschaftler das erste Direktmandat für den Landtag. Seine Karriere wurde katapultartig beschleunigt, als ihm ein halbes Jahr später der Posten des Landesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales angetragen wurde. Axel Horstmann mühte sich, doch die Forensik-Problematik setzte ihm zu: die Proteste gegen den favorisierten Klinik-Standort Herten, dann der spektakuläre Ausbruch eines Sexualverbrechers. Axel Horstmann erklärte 1998 seinen Rücktritt. "Für so etwas muss man Verantwortung übernehmen. Das muss man in solch einer Kleidergröße wissen", sagt er.
    Seinem parteipolitischen Einfluss war jene Niederlage begrenzt abträglich. Er behielt als Vorsitzender der SPD-Region Ostwestfalen- Lippe eine wichtige Machtposition und wurde Fraktionsvize in der Landtagsfraktion. Er wurde zudem als Generalsekretär der neu geordneten Landes-SPD ins Gespräch gebracht, übernahm dann im vergangenen Jahr letztlich das Amt des Schatzmeisters. Zuweilen wird ihm nachgesagt, zu theorielastig zu sein. Solchen Eindrücken kann Axel Horstmann jedoch entgegenwirken, wenn er beispielsweise von seinem Motorrad schwärmt. Man kann ihn sich in Lederkombi gut vorstellen. Leider habe er im vergangenen Jahr mit der Yamaha gerade einmal 1.200 Kilometer geschafft. Das sei zu wenig, sagt der Minister. Selbst beim Joggen kommt er da übers Jahr betrachtet weiter. Etwa 30 Kilometer läuft er pro Woche, stets eine charmant formulierte Mahnung seiner Frau im Ohr: "Was hält eine Liebe aus? Höchstens hundert Kilo", hat sie ihm einmal gesagt. Das wirkt. Ohnehin legt der dreifache Vater großen Wert aufs Familienleben und gönnt sich Verschnaufpausen. "Ich nehme Urlaub sehr ernst", sagt der passionierte Segler und klingt ebenso fest entschlossen wie bei seiner Metrorapid- Mission.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN02044

  • Porträt der Woche: Manfred Böcker (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 05.03.2003

    Da sitzt ein Mensch aus dem Lipperland im Landtagsbüro seinem Gast gegenüber. Also kommt zunächst einmal die lippische Sparsamkeit (es muss ja nicht gleich Geiz heißen) zur Sprache. Manfred Böcker kennt die Geschichte vom Kupferdraht. Den, so heißt es, habe ein Lipper erfunden, nachdem er einen guten alten Pfennig solange zwischen den Fingern drehte, bis aus dem Rundstück ein Draht wurde. Manfred Böcker, der 1940 in Essen geboren wurde, in der Nähe von Detmold aufwuchs, erwähnt auch den begnadeten Merker und Geschichtenerzähler Johannes Rau. Von dem stamme folgende Anekdote über die NRW-Schotten: Als darüber verhandelt wurde, ob nun das Lipperland zu Niedersachsen oder zu Nordrhein- Westfalen komme und als nach einem Sitzungsmarathon die Düsseldorfer Delegation den lippischen Präsidenten bat, nun doch für eine Erfrischung zu sorgen, ließ der die Fenster öffnen.
    Ein starkes Gefühl der Eigenständigkeit bewegt die lippischen Menschen, die lange in einem Fürstentum und hernach im Freistaat Lippe zu Hause waren. Böcker erzählt schmunzelnd von den regelmäßigen Warnungen der Lipper an das Rest-Nordrhein-Westfalen: "Seid auf der Hut, wir können uns innerhalb von vier Wochen für selbstständig erklären, in Detmold stehen schließlich noch Parlaments- und Regierungsbauten".
    Böcker bezeichnet sich als ein Fossil des Parlaments. Seit 1980 ist er direkt gewählter Abgeordneter. Im Jahre 2000 verbesserte Böcker sein eigenes Wahlkreis-Ergebnis gegen den Trend. Er plädiert für eine gute Mischung zwischen jungen und älteren Parlamentariern: "Nur jung und dynamisch - das reicht nicht." Er, der "noch bis 2005 einen Vertrag" hat, spricht von persönlichem Unbehagen, wenn er die zunehmende Zahl von Politikern ohne berufliche Erfahrung beobachte: "Das ist nix."
    Bevor der Vater von zwei Söhnen als Lehrer in Augustdorf bei Detmold arbeitete, hatte er sich beruflich bei Fluggesellschaften in der Flugsicherung betätigt. Der Schichtdienst bei der Flugsicherung in Frankfurt und sein unruhiger Geist waren es, die ihn ein Studium beginnen ließen und die ihn mit der aktiven Politik in Berührung brachten. Als Arbeiterkind, das einst mit dem jungen Schröder dieselbe Schule besuchte, wählte Böcker die SPD. Es folgte die sprichwörtliche Ochsentour.

    Moderator

    Politik ist für ihn eine Sucht. Noch immer macht es Manfred Böcker Spaß, mit unterschiedlichsten Menschen zusammen zu kommen. Er moderiert gerne und ist zufrieden, wenn die Gesprächspartner nach einem Treffen mit ihm zufrieden nach Hause gehen.
    Das Unruhige in seinem Wesen verblüfft, weil der Abgeordnete viel Ruhe ausstrahlt. Einem Faulenzer-Urlaub kann er nichts abgewinnen. Wissbegierde, Bildungshunger scheinen ihn zu zwingen, jede geliebte Reise in die weite Welt als bewusste Erkenntniserweiterung zu betrachten. Israel kennt er besonders gut. Lateinamerika gehört für Böcker noch zu den weißen Flecken auf der Weltkarte. Als Diplomat wäre Böcker keine Fehlbesetzung. Sätze wie "In jeder Herausforderung liegt eine politische Chance" hat Böcker parat. Die Sozialdemokraten warnt er vor einem Rückfall in Sozialromantik. "Was wir brauchen ist ein besseres seismographisches Empfinden für neue weltweite Veränderungen und Entwicklungen." Als landespolitisches Problem der Zukunft sieht Böcker die Gefahr einer Jugendabwanderung aus den ländlichen Gebieten.
    Der Mann, der wie ein wandelnder Vermittlungsausschuss wirkt, kann auch hassen. Er hasse es, sagt Böcker, wenn Leute fremden Ländern kluge Ratschläge erteilten, in die sie noch nie einen Fuß gesetzt hätten.Der Abgeordnete aus Lipperland ist jemand, der sich immer noch kundig macht, dazu viel Fachliteratur liest, der als Lehrer den Schulausschuss mied, weil er sich lieber zehn Jahre lang im Wirtschaftsausschuss mit einer bislang unbekannten Materie anfreunden wollte. Manfred Böcker - ein Ruheloser aus einem ruhigen Landstrich.
    Reinhold Michels

    ID: LIN01932

  • Porträt der Woche: Wolfram Kuschke (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 1 - 29.01.2003

    Seine Amtsbeschreibung ist noch etwas lernbedürftig: Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Staatskanzlei. Mit der Kurzform "Chef der Staatskanzlei" kann Wolfram Kuschke sicher gut leben, irgendwie trifft das Allgemeine ja auch das ganz Spezielle dieses Amtes.
    Was der 52-Jährige macht, hat sich schon in den ersten Wochen seiner neuen Tätigkeit im Düsseldorfer Stadttor gezeigt: Einen ordentlichen, ordnenden, übergeordnet dienenden Job. Aber was ist dieser Wolfram Kuschke für ein Mensch?
    Wolfram Kuschke ist der Typ des stillen, effektiven Politik-Arbeiters.Mit einem kräftigen Schuss Vorarbeiter. Mehr Sein als Scheinen - keine schlechte Voraussetzung für die Leitungs- und Koordinierungsfunktion in der Staatskanzlei. Wo er ist, da ist Ordnung. Was nichts mit bürokratischem Selbstzweck, sondern mit zielgerichteter Organisation zu tun hat. Ministerpräsident Steinbrück wusste genau, warum er den gewieften Verwaltungs-Praktiker und strategisch denkenden SPD-Politiker in das Zentrum der Regierungsmacht geholt hat.
    Die Führung der großen Behörde Bezirksregierung sei eine gute Ausbildung für das neue Amt gewesen, sagt Kuschke. Das Landespersonalvertretungsgesetz habe er dabei nie als Kampfanzeige empfunden. Er sei ein Chef,mit dem man reden könne, sagen die Mitarbeiter. Dass ihn der Wechsel vom "schönsten Regierungsbezirk der Welt" zur auch recht angenehmen Stadttor-Aussicht nicht zwangsläufig von der geschätzten Basisnähe entfernt, gehört zu den Starterfahrungen des nach wie vor in Lünen wohnenden Ministers. Montags, wenn die Staus im WDR die Musik verdrängen, hört er bei der Zugfahrt nach Düsseldorf Volkes Stimme ohne Filter. Beim Kaffee zwischen Ruhr und Rhein klingt manches anders als die Aktenlage-Scheinwirklichkeit.
    Apropos Kaffee: 25 Jahre in Münster haben die Kuschkes geprägt.Mit Ehefrau Vera geht er gerne ins Cafe, wo beim Frühstück mit Freunden die Welt in Ordnung ist. Dass die Zeit für diese wichtigen kleinen Freuden des normalen Lebens knapper geworden sei, ist Zustandsbeschreibung, nicht Klage.

    THEORIE UND PRAXIS

    Politiker lernt man nicht, das wird man. Das solide Gerüst legte sich der im sauerländischen Menden geborene Wolfram Kuschke an der Uni Münster zu. Nach dem Studium von Geschichte und Politikwissenschaft war der Bildungsbereich sein Arbeits-Metier. Pädagogischer Mitarbeiter an der Heimvolkshochschule Haus Neuland in Bielefeld, wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Lehrbeauftragter an der Ruhr-Uni Bochum - das sind berufliche Stationen eines Werdegangs, der schon früh mit politischen Aktivitäten verbunden war.
    Kuschke war Moderator (man kann auch sagen Strippenzieher) der SPD-Parteireform in NRW. Basisverbundenheit und Sinn für das Machbare sind Qualitäten, die dem Ex-Regierungspräsidenten (von 1998 bis November 2002) in der Staatskanzlei zugute kommen sollten. Was im Kleinen für stille Anerkennung auch bei politischen Gegnern sorgte (heimatverbundener Einsatz, Suche nach Konsens), dürfte auch im Großen der Sache dienlich sein. Dass er mit Wolfram Kuschke einen loyalen, der eigenen Ruhmespflege unverdächtigen Leiter seiner Staats-Koordinierungsstelle gefunden hat, ist für Peer Steinbrück ein Stück Regierungs-Beruhigung.
    Erste Erfahrungen im Amt? "Gute. Noch lerne ich fast jeden Tag etwas Neues. Die Arbeit im Kabinett und mit meinem Team macht Spaß. Als Teamarbeiter ist das für mich wichtig". Und der Privatmensch Kuschke? Der hört gerne Musik ("Mit zunehmendem Alter mehr Jazz und Klassik, aber ich habe ein breites Spektrum") und genießt die wenige Lesezeit. Zuletzt auf dem Nachttisch: Die Brandt-Biografie von Merseburger und ein Krimi. Dass Tochter Julia (Jurastudentin, 24) jetzt ein Jahr an der Uni in Brüssel war, findet der Auch-Europaminister richtig gut.
    Urlaubsmäßig ist der Stier ein Wassermann: Es zieht ihn zur Nordsee, vor allem aber an den nahen Möhnesee. Am Sonntag wollen Kuschkes gerne segeln gehn. Sofern die Winde weh’n, oder besser: Sofern kein Termin einen Strich durch die lieb gewordene Sauerland-Rechnung macht. Wanderungen auf dem Rothaarsteig sind ihm eine Lust, auch gegen Frust.
    Bodo Zapp

    ID: LIN01891

  • Porträt der Woche: Wolfgang Gerhards (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 15 - 17.12.2002

    Wolfgang Gerhards ist aus der evangelischen Kirche ausgetreten. "Schon lange her", sagt er dazu lapidar. Und als Jura-Student in Bonn hat er Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den legendären Repetitor Paul Schneider gemieden und statt dessen bei "Alpmann" fürs Erste Staatsexamen (1975) gebüffelt. Als Student der Rechte in Bonn nicht zu Schneider ("Einzige Hochschule Deutschlands") in der Kaiserstraße 1 c zu gehen, glich der Haltung, Dosensuppen zu löffeln, obwohl ein reiches Büffet lockt. Ist der neue Justizminister am Tische von Peer Steinbrück womöglich vom Geist, der stets verneint? Für die Schneider-Abstinenz gibt er eine Erklärung: Der Schneider sei ihm zu konservativ gewesen. Als Student war Gerhards noch kein eingeschriebener Sozi, die SPD-Mitgliedschaft beantragte er 1985, als er bereits Verwaltungsrichter in Köln und Münster war.
    Wer dem vor 53 Jahren in Mülheim an der Ruhr geborenen Brühler zum ersten Mal begegnet, dem fällt die äußere Wuchtigkeit auf.Man erinnert sich an oppositionelle Kritik aus Gerhards Finanzminister- Jahren in Sachsen-Anhalt (1998 bis Frühjahr 2002), der Westimport gebärde sich als Finanz-Rambo.Wenn man mit dem neuen Landesjustizminister jedoch ins rechtspolitische Gespräch kommt, zeigt sich schnell, dass er zurückhaltend formuliert, wohl eher der liberalen Denkschule angehört, wonach sich der Rechtsstaat nicht schneidig zu präsentieren habe. Gerhards Satz, eine Legalisierung des Konsums von Haschisch dürfe nicht sein, weil der Staat Grenzen setzen müsse, zählt zu den seltenen Äußerungen, wo in dem Däubler-Gmelin- Zögling ein Stück Otto Schily ("Law and Order sind sozialdemokratische Werte") aufblitzt. Zur hin und wieder diskutierten Möglichkeit, der wachsenden Jugendkriminalität mit einer Herabsetzung des Strafmündigkeits-Alters von 14 auf zwölf Jahre zu begegnen,meint er: "Das halte ich für falsch, weil es die Probleme nur verschiebt."
    Selbstbewusstsein
    Fragt man den Justizminister, was der Staat gegen dreiste Klau-Kinder, welche in rheinischen Großstädten unterwegs sind, machen könne, entfährt Gerhards ein "Da ist der Staat ziemlich machtlos." Er weiß, dass das ziemlich desillusionierend klingt, indes: "Man kann allenfalls versuchen, an die Hintermänner der Klau- Kinder heranzukommen." Im Übrigen bestehe die einzige Möglichkeit darin, die sozialen Bedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern. Da stellt man sich den Minister vor, wie er einer soeben ihrer Handtasche beraubten alten Dame erklärt, die Politik könne ihr wenig helfen, um dann die Prognose zu riskieren: Solche Wahlkämpfer wie Richter Gerhards werden der Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr die um innere Sicherheit besorgten Menschen nicht in Scharen zuführen.
    Es gehört zu den sympathischen Zügen des Justizministers, dass er sich im ungewohnten Ressort an viele Themen erst herantastet, auch einmal sagt, da fehle ihm noch der Zugang. In solchen Gesprächs-Situation stellt sich aber schnell die Ahnung ein, dass der Mann, wenn er erst einmal rechtspolitisch fest im Sattel sitzt, die Zügel nicht aus den Händen geben werde.Mit einem selbstbewussten Chef wird man im Justizministerium zu rechnen haben, wenn Gerhards Eingewöhnungsphase vorüber ist.
    Der frühere Verwaltungsrichter hatte erstmals 1988 Kontakt mit der Bonner Politik - als Referent für öffentliches Recht bei Herta Däubler-Gmelin in der Bundestagsfraktion. Das dürfte nicht vergnügungssteuerpflichtig gewesen sein. Von 1991 bis 1994 war Gerhards Ministerpräsident Scharpings Mann in der Bonner Rheinland-Pfalz-Vertretung 1994 rief ihn aus Magdeburg Regierungschef Reinhard Höppner (SPD), der eine PDS-geduldete Landesregierung gebildet hatte. Chef der Staatskanzlei blieb Gerhards, den es zur Familie an den Rhein zog, nur ein Jahr lang. Nach drei Jahren (1995 bis 1998) an Münteferings Seite in der Bonner SPD - "Baracke" rief Höppner erneut, und Freund Gerhards übernahm das sachsen-anhaltinische Finanzressort - eine Mangelverwaltung der ganz besonderen Art.
    Der Junge des Ruhrgebiets, der sich als verheirateter Vater von drei Kindern im rheinischen Brühl pudelwohl fühlt, der sich als standhaft und robust bezeichnet, ist ein Hobby-Eisenbahner. Selbst in der Magdeburger Zweieinhalb-Zimmer- Wohnung hatte er sein Modell aufgebaut.
    Reinhold Michels

    ID: LIN00534

  • Porträt der Woche: Ute Schäfer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 14 - 11.12.2002

    Bei Ute Schäfer ist das Schlagzeilenfieber ausgebrochen. Seit drei Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem die 48-Jährige nicht in den Medien erscheint. Als neue Ministerin für Schule, Jugend und Kinder buhlt sie um Aufmerksamkeit und Akzeptanz. Angesichts dieses Arbeitseifers dürfte die Ostwestfälin sich in ihrem Büro, das im 13. Stockwerk eines düsteren, verlebten Hochhauses untergebracht ist, noch nicht richtig eingelebt haben. Wer sie nach ihrer Ernennung zur Ministerin im November besuchte und über die unwirtlichen Flure lief, der sah Kartons und Mobiliar dort stehen und spürte dass Veränderungen anstanden. Schließlich mussten Abteilungen des Wissenschaftsressorts ausziehen, das seit der Kabinettsumbildung zu einem eigenständigen Ministerium geworden ist, und Platz machen für Mitarbeiter der Ressorts Jugend und Kinder.
    Es war für Journalisten interessant zu beobachten, mit welcher Selbstverständlichkeit Schäfer offenbar in dieses Amt gefunden hatte. Auch wenn sie im Gespräch ihre Hände immer wieder zusammenpresste und ihre innere Anspannung verriet, hatte man nicht das Gefühl, dass ihr die Aufgabe nicht geheuer ist. Da saß einem keine verunsicherte Person im Büro der Ministerin gegenüber, sondern jemand, der die schweren Zügel in der Hand halten will. Dieses selbstbewusste Auftreten dürfte das allgemeine Erstaunen noch steigern, denn ihre Beförderung gehört ohnehin zu den ungewöhnlichsten in der Landespolitik der vergangenen Jahre.

    Kommunikativ

    Schließlich gehört sie dem Landtag erst seit zweieinhalb Jahren an und ist in dieser Zeit nicht sonderlich präsent gewesen, auch wenn sie sich in den Plenardebatten häufig als stellvertretende schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet hat. Die Scheinwerfer waren stets auf Bildungsministerin Gabriele Behler gerichtet. Dass sich der neue Ministerpräsident Peer Steinbrück für Schäfer entschied, stieß in der Fraktion keineswegs auf ungeteilte Freude. Schließlich hatten sich dort andere selbst Chancen ausgerechnet, nachdem Behler ihren Amtsverzicht angekündigt hatte. Steinbrück aber wollte Schäfer. Er traut ihr zu, dass mit ihrem hochkommunikativen Talent die verhärteten Fronten der Bildungspolitik aufweichen kann.
    Ungewöhnliche Volten gehören zu ihrer Biografie. 1982 Jahren trat sie in die SPD ein, als es der Partei schlecht ging. Helmut Kohl trat seine Herrschaft als Kanzler an, die Sozialdemokraten waren nur noch ein Häufchen Elend. Sie sei zur SPD gekommen, gerade weil sich damals viele von ihr abgewandt hätten, sagt Schäfer. Fast 20 Jahre hatte sie als Lehrerin gearbeitet, sie war Konrektorin an zwei Schulen, und dann wechselte sie 1996 das Metier. Schäfer übernahm für die nächsten vier Jahre die Geschäftsführung des inzwischen aufgelösten SPD-Bezirks Ostwestfalen-Lippe. "Ich bin niemand, der sagt: Dort, wo ich bin, muss ich für immer bleiben", sagt Schäfer. Sie hatte sich für die Politik entschieden und baute ihren Einfluss im Kreisverband Lage aus. Praktische Erfahrung sammelte sie in elf Jahren Ratsarbeit. Vor zwei Jahren wurde sie zur Vorsitzenden des Kreisverbandes gewählt. Der Höhepunkt dieser Polit-Karriere war präzise vorausgeplant: Sie sollte in zwei Jahren als SPD-Kandidatin für das Landratsamt des Kreises Lippe antreten. Doch statt der Verwaltung eines Kreishauses ist ihr nun ein riesiges Ministerium unterstellt. Es ist eine Herkulesaufgabe, nicht nur weil die Bildungspolitik für die rot-grüne Koalition als bedeutendster Bereich gilt. Der Ruf des Amtes ist ähnlich ramponiert wie die unansehnlichen Ministeriums-Hochhäuser. Schäfers Vorgängerin Behler vermochte es nicht, dieses Image aufzupolieren. Dies wird eine der wesentlichen Aufgaben Schäfers sein. Sie sagt, dass sie ein anderer Typ sei als Behler. Die Koalition verspricht sich von ihr ein freundlicheres, kooperativeres Verhalten. Einfach wird das nicht angesichts der Erwartungen, die nach den Ergebnissen von Pisa an die Bildungspolitik gestellt werden. "Ich habe den Mut dazu", lautet einer ihrer charakteristischen Sätze. Schäfer sagt auch immer wieder, dass sie diese Herausforderung ohne Angst annehmen werde. So spricht jemand, der sich nicht nur seiner Stärken bewusst ist, sondern auch um das hohe Risiko weiß, das die anstehenden Aufgaben mit sich bringen.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN02243

  • Porträt der Woche: Peer Steinbrück (SPD).
    Porträt;

    S. 19 in Ausgabe 12 - 13.11.2002

    Für die Kollegen in den Politik-Ressorts der Zeitungen ist Peer Steinbrück schon lange einer der besten Lieferanten für das "Zitat der Woche". Beispiel gefällig? Als Ministerpräsident müsse man "eine Mischung aus Tarzan, Einstein und Inge Meysel sein", spottete er über sich selbst, nachdem Vorstand und Präsidium der SPD ihn bei nur einer Enthaltung einstimmig als Kandidaten für die Wahl zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen hatten. Einen Tag nach seiner Nominierung titelte eine Boulevardzeitung neben seinem Konterfei: "Kennen Sie den?" Und in einer Umfrage antworteten acht Bürger: "Nein." Das sehe er völlig gelassen, antwortet er nun rückblickend auf die Frage, ob ihn das geärgert habe: "Dieser Hinweis ist mir oft in der Annahme gemacht worden, das würde mich wahnsinnig bekümmern oder aus der Bahn werfen. Das haut mich nicht um. Ich werde mich bekannt machen, aber ich werde dabei meinen eigenen Stil haben", sagt er dann selbstbewusst.

    Karriereplanung?

    Was ist nicht alles über ihn geschrieben worden in den hektischen Zeiten nach dem Clement-Abgang vor den Herbstferien? Steinbrücks Karriere sei "beängstigend gradlinig" verlaufen, er sei "hanseatisch-spröde" und "ein kühler Norddeutscher", ihm fehle "der Stallgeruch". Attribute, die gar nicht zu einem NRW-Ministerpräsidenten passen wollen. Das seien alles Bilder von Journalisten, die ihn nie wirklich kennen gelernt hätten, meint er. Die Wahl zum Ministerpräsidenten war der vorläufige Höhepunkt in der Karriere des gebürtigen Hamburgers mit dem trockenen Humor. Nach dem Abitur, den zwei Jahren bei der Bundeswehr und dem Studium der Volks- und Sozialwissenschaft in Kiel hat er indes noch keinen Gedanken an eine derartige Entwicklung verschwendet: "Die meisten Menschen glauben, dass Politiker eine feststehende Karriereplanung über Jahre oder Jahrzehnte haben. Das habe ich selten bestätigt bekommen." Irgendwann habe man nur noch wenig Einfluss auf den weiteren Lebensweg, "irgendwann wird man gefragt, ob man dieses oder jenes machen möchte", sagt er.
    Und Peer Steinbrück (55) ist wohl sehr oft gefragt worden, auch wenn sein Lebenslauf auf den ersten Blick verrät, dass er ein sehr zielstrebiger Karriere-Beamter gewesen sein muss: 1974 begann er seine berufliche Laufbahn im Bundesbauministerium, tingelte danach durch viele andere Ministerien und landete schließlich im Dezember 1986 als Büroleiter von Ministerpräsident Johannes Rau in Düsseldorf. Es folgten drei Jahre als Staatssekretär und fast zehn Jahre als Minister in Kiel und Düsseldorf. Aus solchen Lebensläufen wird dann gefolgert, dass ihm der "sozial-demokratische Stallgeruch" fehle, der Bezug zur Basis: "Himmel, ich bin seit 33 Jahren in der SPD. Der Punkt ist, dass ich nie aus Parteifunktionen heraus in Ämter gekommen bin."
    Und dann hat er noch ein schlagkräftiges Argument gegen die Mär vom fehlenden "Stallgeruch": sein Ergebnis im Wahlkreis 136, Unna Il, bei der Landtagswahl im Mai 2000. Satte 59,1 Prozent gab"s für den Hanseaten im Westfälischen. "Die Menschen in meinem Wahlkreis mussten sich nicht lange gewöhnen. Bei denen war es fast ein Kriterium, noch mal einen Fischkopp zu kriegen, weil mein Vorgänger einer war. Klaus Matthiesen ist dort fast auf Emotionen, auf Liebesgefühle gestoßen und hat dort 1995 über 60 Prozent geholt. In diesem Wahlkreis hatten wir als Norddeutsche nie Schwierigkeiten."
    Was dem 55-Jährigen eher Schwierigkeiten bereitet, ist die Tatsache, dass er in letzter Zeit kaum noch Gelegenheiten für ausgiebige Frühstücke mit der Familie zu Hause in Bonn-Bad Godesberg hat. Seine Frau arbeitet als Lehrerin, seine Töchter (24 und 26) studieren auswärts, und der Sohn (18) steht vor dem Abitur. "Wenn ich ein wenig Zeit gehabt hätte, dann hätte ich gerne mal Philip Roths "Der menschliche Makel" gelesen oder Peter Merseburgers Biografie von Willy Brandt", dessen Ostpolitik Steinbrück faszinierte.
    Doch die eigentlich für die Herbstferien geplante Lektüre muss verschoben werden, Peer Steinbrück wird einstweilen selbst für druckreife "Zitate der Woche" sorgen. Wie etwa seine Replik auf die Frage, ob denn ein Nordlicht in der Lage sein kann, Landesvater Nordrhein-Westfalens zu sein: "Ich glaube, dass früher die Szymaniaks, Juskowiaks, Szepans, auch die Burdenskis und die Tilkowskis oder wie immer sie heißen, nicht danach gefragt wurden, woher sie kommen, sondern, ob sie gut kicken können."
    Ralph Goldmann

    ID: LIN00269

  • Porträt der Woche: Dr. Bernhard Kasperek (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 11 - 16.10.2002

    Es ist eines dieser kleinen Alltagserlebnisse an einem Dienstagvormittag, kurz vor der Fraktionssitzung, bei dem Bernhard Kasperek einiges von sich preisgibt. Geschmeidigen Schrittes geht er durch die Gänge des SPD-Fraktionsbereiches. Als er an den Büros der Parlamentarischen Geschäftsführerin Carina Gödecke und von Fraktionschef Edgar Moron ankommt, greift er den Türrahmen, lehnt sich kurz herein und grüßt unüberhörbar ins Sekretariat. Selten begegnet man ihm ohne ein Lachen. Bernhard Kasperek ist ein Dynamiker. Einer, der motivierend wirkt und bemüht ist, beim Gegenüber freundlich in Erinnerung zu bleiben.
    Dieser Eindruck hat sich verstärkt, seitdem er vor längerer Zeit mehrere Pfunde abgenommen hat. Auf seiner persönlichen Homepage ist noch ein Mann mit bulliger Statur und strahlendem, pausbäckigem Gesicht zu sehen. Kasperek joggt mehrmals in der Woche und wandert gern in den Bergen. Sich selbst charakterisiert der 50-Jährige als "alten Naturliebhaber".
    Deshalb ist es wenig überraschend, dass Kasperek in der SPD-Fraktion umweltpolitischer Sprecher ist und sich bemüht, die SPD auf diesem Gebiet, auch gegen die GRÜNEN, zu profilieren. Dabei kommt er forsch im Plenum daher. Kasperek gehört zu den stärkeren Rednern. Er vermengt sachliche Informationen mit kontrollierter Polemik an die Adresse der Opposition.

    Gewerkschaftliche Orientierung

    Man merkt dann schnell, dass Kasperek kein schlichter Abgeordneter ist. Er gehört zum inneren Zirkel der Fraktion, und dies ist auch seiner politischen Erfahrung zu schulden. Seit 31 Jahren gehört der gebürtige Oberschlesier der SPD an. Er ist ein Arbeiter, der ins Bildungsbürgertum hineinwuchs. Auch heute noch betont Kasperek seine "gewerkschaftliche Orientierung". Der gelernte Klempner und Installateur schlug den zweiten Bildungsweg ein. Er studierte anschließend Versorgungstechnik und danach Sicherheitstechnik bis zur Promotion. Seit 13 Jahren ist der Diplom-Ingenieur angestellt bei der Degussa AG.
    Kaspereks Politisierung hatte ihren Ursprung ebenfalls in den 60er-Jahren. Es war die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die den damaligen Studenten in Münster elektrisierte. In der Politik ging dann alles sehr schnell. Noch vor seinem Studienabschluss wurde Kasperek 1975 in den Rat der Stadt Herten gewählt. Er sei mit seinen 22 Jahren bundesweit das jüngste Ratsmitglied gewesen, erzählt Kasperek nicht ohne einen Anflug von Stolz.
    Bei seiner Zielstrebigkeit konnten auch einige spektakuläre Vorkommnisse nicht ausbleiben. Es glich einer kleinen Revolution, als Kasperek 1987 den ungekrönten Lokalfürsten Horst Niggemeier vom Vorsitz im Unterbezirk Recklinghausen, dem bundesweit zweitgrößten Sprengel der SPD, vertreiben konnte. 1989 wurde Kasperek Mitglied des Recklinghausener Kreistages; ein Jahr später besaß er ebenfalls ein Mandat im Landtag. Auf Zitterpartien musste er sich in der sozialdemokratischen Hochburg nie einlassen. In den vergangenen drei Legislaturperioden wurde er direkt gewählt.
    Ein wichtiges politisches Spielbein besaß Kasperek in der SPD-Landespartei. Er gehörte ab 1978 dem Landesvorstand an und war vier Jahre als ehrenamtlicher Landesgeschäftsführer tätig. Er habe intensiv mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau zusammengearbeitet, sagt Kasperek. In seinem Landtagsbüro hat er ein großes Porträt von Rau aufgehängt: "Er hat die nordrhein-westfälische SPD ebenso geprägt wie Willy Brandt die Bundes-SPD." In seiner Zeit als Landesgeschäftsführer habe er eng mit Rau zusammengearbeitet, sagt Kasperek.
    Seine gute Laune schwindet allerdings schlagartig, wenn man ihn auf die Ablösung Raus anspricht. An einem Montag hatte Rau seinen Abschied verkündet, nachdem er sich lange gegen diesen Schritt gesträubt hatte. Es war der 16. März 1998. Und ausgerechnet einen Tag zuvor war in einer Boulevardzeitung zu lesen, dass Bernhard Kasperek und der frühere Fraktionschef im Landtag, Friedhelm Farthmann, sich für einen Wechsel an der Regierungsspitze aussprachen. Kasperek sagt, dies sei eine "unglückliche Sache" gewesen, mehr möchte er dazu nicht sagen. Er schaut sehr ernst. Die SPD war damals ziemlich verärgert. Seither ist es ruhiger um ihn geworden. Seinen Vorsitz im Unterbezirk Recklinghausen hat ein anderer übernommen.
    Kaspereks Horizont endet nicht an Hertener oder nordrhein-westfälischen Grenzen. Es sind vielmehr die großen politischen Gefühle, die er noch spürt. Jene wie selbstverständlich geltenden Ideale von Gerechtigkeit, Freiheit oder Gleichheit. Kasperek mag die programmatische Arbeit und erzählt von seinen Konzepten, mit denen er die Öffentlichkeitsarbeit im Landesverband neu ausgerichtet habe. Kampagnen interessieren ihn. Und dann sagt er einen elementaren Satz: "Die Lust an Politik ist ungebrochen." Es ist ihm anzusehen.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN01196

  • Porträt der Woche: Rainer Schmeltzer (SPD).
    Porträt
    S. 22 in Ausgabe 9 - 09.07.2002

    Es ist die eine Frage, die immer wieder kommt, wenn Rainer Schmeltzer Schülergruppen im Landtag empfängt: "Was muss man denn studieren, wenn man Abgeordneter werden will?" Und dann beantwortet er diese Frage immer wieder mit seinem eigenen Lebenslauf: Mittlere Reife 1977, danach Ausbildung und Abschlüsse zum Wohnungswirt und Wohnungsfachwirt. Er arbeitet zwölf Jahre lang bei einer Dortmunder Wohnungsgesellschaft und dann - ab 1992 - als Gewerkschaftssekretär bei der ÖTV, erst in Berlin, dann in Unna. Bis er im Juni 2000 für die SPD im Wahlkreis 137 Unna III mit den Städten Lünen und Selm in den Landtag zieht. "Ich ernte dann immer weit geöffnete Münder, weil es immer noch das Bild gibt, dass man für ein Landtagsmandat eine akademische Ausbildung mitbringen muss", sagt der 41-Jährige.
    Schon als Jugendlicher schreibt er sich auf die Fahnen, dass er in die Politik gehen will. Die Eltern sind beide SPD-Mitglied. Kein Wunder, dass er mit 16 SPD-Mitglied und mit siebzehneinhalb Juso-Vorsitzender des Ortsverbandes seiner Heimat Lünen wird. An ein Landtags- oder gar Bundestagsmandat denkt er da noch nicht. Jetzt sagt er: "Wenn man Spaß daran hat, dann ist das auch ein Stück Leben."
    Als er von der Wohnungswirtschaft zur ÖTV nach Berlin wechselt, ist das für ihn "ein Schnitt in meinem Leben, ein Sprung ins kalte Wasser". Zwar kennt er die Gewerkschaftsarbeit aus seinem früheren Job - dort war er am Ende Betriebsratsvorsitzender. Doch seine eigentliche Aufgabe war, sich um die Probleme der Mieter zu kümmern und später im Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mitzuarbeiten.

    Gewerkschaftsarbeit

    Er nutzt also die Chance, die ihm die Gewerkschaft bietet und startet eine neue Karriere bei der ÖTV, für die er in einem Projekt Betriebsräte aus den neuen Bundesländern schulen soll, "nicht theoretisch, sondern ich sollte ihnen zeigen, wie es in der Praxis läuft. Dann wollte mich die ÖTV nicht mehr gehen lassen." Also wird er hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, leitet drei Jahre lang das Büro für Verkehr und sonstige Dienstleistungen für den Hauptvorstand in Berlin. Dann kehrt er zurück in die westfälische Heimat.
    Den Privatmann Rainer Schmeltzer gibt es fast nicht, für Dinge abseits der Partei- und Gewerkschaftsarbeit bleibt nicht viel Zeit. Seit er nach einem Unfall 1994 in seinen sportlichen Aktivitäten eingeschränkt ist, bleibt ihm nur noch Rad fahren und Schwimmen. "Wenn ich mal Zeit habe, dann verbringe ich diese Zeit mit meiner Lebensgefährtin. Und Sie werden es nicht glauben. Es ist so schön, in seiner Freizeit einfach mal zu gammeln und zu relaxen. Das macht schon Spaß", meint er, um gleich wieder auf sein nächstes großes - politisches - Ziel zu sprechen zu kommen: die Kommunalwahl 2004. "Ich peitsche die Wahl nach vorne auf Teufel komm raus. Die haben wir verloren. Da will ich wieder eine Mehrheit und einen sozialdemokratischen Bürgermeister." Und dafür muss er nah an den Menschen sein: "Bei mir landet alles, da kann man nicht sagen, da bin ich nicht für zuständig, gehen Sie zum Kollegen, sondern Sie müssen sich um alles kümmern."
    Und natürlich beschäftigt ihn auch die bevorstehende Bundestagswahl - gerade jetzt in Wahlkampfzeiten. Der sei früher ganz anders gewesen, erinnert er sich, jedenfalls zu der Zeit, als er begann sich für Politik zu interessieren. "Heute ist es zu einem Medienwahlkampf geworden", beklagt Schmeltzer. Heute müsse man die Leute mit neuen Dingen überraschen, "einer guten Internet-Seite beispielsweise und sie müssen Events starten, das war früher alles anders. Früher mussten sie laut sein und kämpfen." Und noch etwas habe sich geändert in den vergangenen 25 Jahren: Das Interesse der Jugend an politischen Themen habe spürbar nachgelassen, so Schmeltzer. Und so versucht er immer wieder, in Diskussionen mit den Freunden seines 16-jährigen Sohnes Überzeugungsarbeit zu leisten und die Jugendlichen für Politik zu begeistern. Bislang ist das nur bei seinem eigenen Sohn gelungen, auch wenn der Vater gar nicht allzu viel dafür tun musste. Der Sohnemann wollte nämlich schon mit 14 in die SPD eintreten. Und das war selbst Rainer Schmeltzer zu früh: "Ich habe ihn zu überzeugen versucht, dass ich das für etwas zu früh halte, ihm aber die Entscheidung überlassen." Marcel hat dann noch zwei Jahre gewartet mit der Mitgliedschaft. In dieser Hinsicht ist er also in jedem Falle ganz der Vater.
    Ralph Goldmann

    ID: LIN01979

  • Porträt der Woche: Bernhard von Grünberg (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 6 - 16.05.2002

    Er pflegt viele internationale Kontakte - nach Osteuropa ebenso wie zu zahlreichen so genannten Entwicklungsländern und zu UNO-Organisationen: Bernhard von Grünberg. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Bonn sieht seine Aufgabe in der Politik, "Praktisches zu tun", überall dort mitzuhelfen, wo Menschen in Not sind. Als "Flüchtlingskind" 1945 in Halle/Saale geboren - sein Vater war Rektor der Universität Königsberg, prägen die Erlebnisse der ersten Nachkriegsjahre bis heute den Juristen.
    Nach dem Studium der Betriebswissenschaft und Jura an den Universitäten Bochum, Genf und Bonn widmete sich der Anwalt vor allem dem damals neu eingeführten Mietrecht, hielt auch Sprechstunden für Ratsuchende ab. Sie sind inzwischen zu einer unentbehrlichen Einrichtung im Rathaus geworden. Der Beweis: Wöchentlich 30 bis 40 Mitbürger nehmen sie in Anspruch, heute insbesondere Sozialhilfeempfänger und Menschen ausländischer Herkunft. Seit 1984 ist Bernhard von Grünberg auch Geschäftsführer des Mietervereins für Bonn-Rhein-Sieg-Ahr, der inzwischen 22 000 Mitglieder zählt.
    Der SPD schloss sich der Jurist 1971 an und betätigte sich kommunalpolitisch zunächst als sachkundiger Bürger. Dem Rat der Stadt Bonn gehörte der Sozialdemokrat von 1975 bis 1999 an, wo er als Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Sozial- und Wohnungswesen auf Grund seiner Erfahrungen Akzente setzte. Zwischen 1984/99 war er auch Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland. Nach zwei vergeblichen Anläufen holte er bei der letzten Landtagswahl 2000 den Wahlkreis Bonn ll erstmals für die SPD.
    Die Fraktion berief den Bonner Abgeordneten in den Innen-, den Rechtsausschuss sowie in den Ausschuss für Europa- und Eine-Welt-Politik. Außerdem ist er Mitglied der Enquetekommission "Zukunft der Städte". Im Innenausschuss richtet sich das Augenmerk des Parlamentariers auf das Ausländerrecht, auf eine bessere Rechtsstellung und eine Integration der Zuwanderer. In diesem Zusammenhang engagiert er sich auch als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Stiftung der UNO-Flüchtlingshilfe für die Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen, wie jetzt in Afghanistan. Im Rechtsausschuss widmet sich Bernhard von Grünberg insbesondere dem Strafvollzug, besucht häufig die Gefängnisse und kümmert sich um Abschiebehäftlinge.
    Auch über den Europa- und Eine-Welt-Ausschuss pflegt der Abgeordnete zahlreiche internationale Kontakte und als stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft engagiert er sich für die Osterweiterung der EU. Zu den internationalen Aktivitäten des Bonners zählt auch die Pflege der Städtepartnerschaft mit Kaliningrad. Schließlich gehört er dem Fachbereich Süd der Heinrich-Böll-Stiftung an.
    Bernhard von Grünberg ist gern Abgeordneter, "weil man als Politiker ein sehr selbstbestimmtes Leben hat". Und auch sein persönlicher Werdegang gebietet es ihm, sich nicht in vermeintliche Hierarchien einzuordnen. So gehört er jener Gruppe junger Abgeordneter in der SPD-Fraktion an, die im Mai letzten Jahres gegen deren Vorstand aufbegehrten und eine Gesamtstrategie vermissten.
    Überhaupt müsse nach seiner Auffassung die Arbeit im Parlament wie in den Ausschüssen effektiver gestaltet werden. Und auch die "Streitkultur" im Düsseldorfer Landtag sollte "mehr sachbezogen und weniger polemisch" sein. Das würde die Stellung des Parlamentes gegenüber der sehr starken Position der Regierung aufwerten.
    Bei einem solchen großen Aktionsradius wird die Freizeit des Kunstliebhabers und -sammlers klein geschrieben. Und die wenigen Stunden genießt er im Kreise von Freunden.

    ID: LIN02435

  • Porträt der Woche: Cornelia Tausch (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 5 - 03.05.2002

    Wuppertal, die Stadt mag für viele im Lande nicht zu den Schönen und Aufregenden zählen. Cornelia Tausch jedoch, die aus Paderborn stammt und eine zugezogene Wuppertalerin ist, empfindet ihre Stadt, ihren Lebensmittelpunkt, als einen - so wörtlich - spannenden Ort. Die junge Frau Tausch würdigt die Kulturszene Wuppertals, die reiche Historie, was Industrie und Arbeitnehmerbewegung in der Kommune angeht. Die SPD-Abgeordnete war als studierte und diplomierte Paderborner Volkswirtin wissenschaftliche Assistentin in Wuppertal. Die Eltern leben noch in der Bischofsstadt.
    Als Cornelia Tausch wenige Tage vor Heiligabend 1999 auf dem Weg zu Vater und Mutter war, klingelte ihr Handy: "Hier ist Johannes Rau." Ein Anruf also vom Bundespräsidenten, dem immer noch prominentesten Wuppertaler. Da Cornelia Tausch im Mai 2000 in Raus Wahlkreis (der Zuschnitt war leicht verändert worden) kandidieren würde, lud das Staatsoberhaupt die überraschte Parteifreundin zu sich nach Hause ein. Rau schöpfte aus langer Erfahrung und profunder Wuppertal-Kenntnis, und Frau Tausch sog alles auf wie ein Schwamm.
    Flexibilität
    Nun sitzt die Sozialdemokratin, die nie mit Rau in einem Wuppertaler Gasthaus Skat gespielt hat, ihn auch eher beim Doppelkopf hätte herausfordern könnte, frisch und frohgemut im Landesparlament und freut sich darüber, dass sie den Sprung von der Wissenschaft in die aktive Politik gewagt hat. Ein Leben lang muss das nicht so bleiben. Flexibilität gehört allem Anschein nach zu ihren wichtigen Persönlichkeits-Merkmalen. Bezeichnend dafür ist der Studienaufenthalt an einer US-Uni in Minnesota vor elf Jahren sowie die ausgeprägte Reiselust, von der sie gepackt ist. Die 1966 geborene Frau ist ein hellwaches Kind ihrer Zeit. Sie benutzt ganz selbstverständlich diverse High-Tech-Hilfsmittel für Büroorganisation oder beruflich-private Terminplanung. Sie ist begierig, neue Länder und Menschen kennen zu lernen. Außerdem hält sie sich für eine Leseratte, wobei sie hierzu das Buch jedem Notebook-Text vorzieht. Krimis von Donna Leon oder Henning Mankell sind ihr besonders lieb. Cornelia Tausch sagt, sie sei eine eher faule Schülerin am katholischen Mädchengymnasium zu Paderborn gewesen. Letztlich habe aber immer alles gut geklappt. So spricht jemand, der offenkundig mit geistigen Gaben gut versorgt ist. Den Eltern war ehrenamtliches Engagement in der Pfarrgemeinde, der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung oder im Betriebsrat selbstverständlich. Als sich Tochter Cornelia in der studentischen Hochschularbeit betätigte, Asta-Vorsitzende in Paderborn wurde und später, 1988, in die SPD eintrat, war zu Hause niemand verwundert. Bei Tauschs tat man traditionell mehr, als allein den Pflichten des Tages zu gehorchen. Cornelia Tausch hat einen drei Jahre jüngeren Bruder, der Ingenieur ist. Ein Cousin von ihr macht bei der CDU mit, sie spricht von "der falschen Partei".
    Bevor sie sich für die SPD entschieden habe, seien auch die GRÜNEN, niemals jedoch FDP oder CDU in Frage gekommen. Frau Tausch bezeichnet sich zwar als Linke, was politische Ziele wie soziale Gerechtigkeit und Bildungschancen für alle betrifft. Unter links versteht sie nicht den Gesinnungsbeton vergangener Jahrzehnte. Sie umreißt ihr Verständnis einer ordentlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik so: Neues ermöglichen, Selbständigkeit stärken, die Menschen fordern, aber auch sozial absichern. Flexibilität sei wichtig, aber Flexibilität im Arbeitsleben ohne soziale Sicherheit verhindere eine vernünftige Entwicklung.
    So sehr sie die USA faszinieren, so wenig ist ihr je der Gedanken an einen Daueraufenthalt in der Neuen Welt gekommen. Sie ist zu sehr soziale Demokratin europäischen Schlages, als dass sie die sozialpolitisch lockeren Sitten auf der anderen Seite des Atlantiks gutheißen könnte. Als Volkswirtin, die einst mit dem Gedanken gespielt hat, Biologin zu werden, befürwortete sie die neue Währung Euro: "Ein spannendes Projekt". Der Euro mache die einzelnen Volkswirtschaften wenig angreifbar, zu schweigen von den Umtausch-Kosteneinsparungen.
    Bei der Frage nach Freizeitbetätigungen pflegen Vielbeschäftigte ihre Antwort mit "Wenn es die Zeit erlaubt" einzuleiten. Cornelia Tausch macht da keine Ausnahme. Also: Wenn es ihre Zeit gestattet, fährt sie gerne auf Inline-Skatern umher, bei Winterwetter auch in Hallen.
    Reinhold Michels

    ID: LIN02520

  • Porträt der Woche: Gerda Kieninger (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 05.03.2002

    Gerda Kieninger zählt zur Gattung der wackren Töchter praktischer Lebensführung. Den Menschenschlag findet man häufig im Ruhrgebiet. Von dort stammt die SPD-Abgeordnete, die in Castrop-Rauxel geboren wurde und heute ihren Lebensmittelpunkt und Wahlkreis in Dortmund hat. Wenn das Revier geschmäht wird, kann Frau Kieninger fuchsteufelswild werden. Dann setzt sie zum Lobpreis auf die Heimat an: "Hätten wir nach dem Krieg das Ruhrgebiet nicht gehabt, wäre die Republik nicht da, wo sie heute ist." Es folgt ein Hinweis auf Dortmund, wo schon viel Strukturwandel geschafft worden sei. Das Wegbrechen von Stahlindustrie und Bergbau sei tragisch gewesen, findet Gerda Kieninger und setzt mit Trotz und Stolz in der Stimme fort: "Aber Dortmund hat sich nicht in die Leidensrolle begeben, sondern angepackt."
    Anpacken - das ist das Stichwort und Verb, das einem beim Kennenlernen der gestandenen Frau einfällt. Technische Zeichnerin wäre sie gerne geworden, aber dazu wäre die mittlere Reife, also ein Realschulabschluss, günstig gewesen. Gerda Kieninger hat jedoch die Volksschule besucht, von der ersten bis zur achten Klasse. So war das früher oft bei den Töchtern und Söhnen einfacher Leute. Das Schulsystem war nicht durchlässig. Wer nach der 4. beziehungsweise 5. Klasse nicht zur Real- oder Oberschule wechselte, hatte den Volksschulweg zu Ende zu gehen.
    Die Erfahrung hat Gerda Kieninger politisiert. 1979 trat sie in die SPD ein, zum einen, weil sie stets den "Staatsmann Willy Brandt" verehrt hat, zum anderen, weil sie die Debatte über die neue Schulform Gesamtschule elektrisierte. Den damaligen bildungspolitischen Kampf hat sie mitgefochten, natürlich auf der Seite der SPD-Bildungsreformer, für die die Gesamtschule mit ihrer größeren Durchlässigkeit der Schullaufbahnen die Idealform einer Schule bedeutete.
    Gerda Kieninger, das Kind des Reviers, bekennt, bisher immer SPD gewählt zu haben. "Was", so fragt sie, "will man auch sonst als Spross eines sozialdemokratischen Eltern- und Großelternhauses machen?" Kieningers Tochter und Sohn sind beide in der SPD, die Mutter sagt, sie hätte sich nicht glücklich gefühlt, wenn sich die Kinder für CDU oder GRÜNE entschieden hätten. Die drei Buchstaben FDP nimmt sie erst gar nicht in den Mund. Als Katastrophe hätte sie es empfunden, wären die erwachsenen Kinder politisch nach Rechtsaußen gerutscht. Wer Gerda Kieninger begegnet, trifft auf einen weiblichen Traditionssozi, auf eine engagierte Frauenpolitikerin, die mit ihren emanzipatorischen Anliegen bei den Männern des Reviers nicht auf übermäßig viel Gegenliebe stößt. Die Kumpel oder deren Nachfahren, die malochen, samstags "auf Schalke" oder zum BVB gehen oder Tauben fliegen lassen, sehen es nämlich nach wie vor gerne, wenn Mutti zu Hause ist und in Küche und Keller auf Ordnung hält. Frau Kieninger ist jedoch alles andere als eine zornige Emanze. Sie möchte nicht, dass Frauen das tun sollen, was Männer machen. Sie will keinen Rollentausch, sondern nur volle Teilhabe des weiblichen Teils der Bevölkerung am gesellschaftlichen Leben sowie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Bei einer Ausschussreise nach Schweden war Frau Kieninger angetan von der Frauenerwerbsquote von 96 Prozent im Nordland. Daran sollte man sich in Deutschland orientieren, meint die Sozialdemokratin von altem Schrot und Korn.
    Kieninger kennt nicht nur politische Basisarbeit, sondern auch geschäftliche. Denn einst führte sie eine Trinkhalle. Man kann sich gut vorstellen, wie sie Zigaretten, Zeitungen und andere "Grundnahrungsmittel" über die Budentheke gereicht hat, denn sie wirkt handfest und erdnah, das Gegenstück zum Typus des rot-grünen Alt-68ers, der, von des Gedankens Blässe gezeichnet, dem Hinscheiden früherer politischer Ideale nachweint. Frau Kieninger verweist auf ihren Vornamen, der germanischen Ursprungs sei und "die Kämpferin" bedeute. Jammern über verpasste Bildungserlebnisse ist ihre Sache nicht. Sie hat ihr Leben genommen, wie es war und für sich das Beste daraus zu machen versucht. Es fällt auf, dass sie viel raucht. Dazu bemerkt sie ohne jedes Schuldgefühl gegenüber dem eigenen Körper: "Keiner ist ohne Laster, und die Summe aller Laster bleibt gleich."
    Reinhold Michels

    ID: LIN02729

  • Porträt der Woche: Carina Gödecke (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 21.12.2001

    Es sind die harmlosen Fragen, die Carina Gödecke in Verlegenheit bringen. Solche, die nichts mit dem Beruf, sondern mit dem Leben zu tun haben. "Welche Hobbys haben Sie?" Sie schaut überrascht, als habe sie ein längst vergessenes Wort wieder gehört. Dann lächelt sie und zieht an der Zigarette. "Lesen", erwidert sie. Doch diese Standardfloskel überzeugt sie selbst nicht. Dann sagt Carina Gödecke: "Ich habe keine Hobbys mehr." Schließlich fällt ihr eine Lieblingsbeschäftigung ein: "Schlichtweg nix tun, das ist Luxus." Das spärliche Privatleben beschränkt sich meist auf Ehemann Lothar. Freizeit kann sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion kaum noch leisten, weil sie in ständiger Bereitschaft ist.
    Müde wirkt die 43-Jährige trotzdem nicht. Die Augen hinter der randlosen Brille blicken einen aufmerksam an. Ihre Wachsamkeit hat sich die 43-Jährige mit eisenharter Disziplin antrainiert. "Ich bin die Erste, die kommt, und die Letzte, die geht", sagt Gödecke. Das bedeutet um sechs Uhr morgens aufstehen, gegen Mitternacht einschlafen, sparsam Urlaub nehmen. Das Angebot des heutigen Fraktionschefs Edgar Moron, die parlamentarische Geschäftsführung zu übernehmen, habe sie überrascht, sagt Gödecke. Als Moron im Untersuchungsausschuss zur Flugaffäre die Landesregierung gegen die Angriffe der Opposition verteidigte, fiel ihm Gödeckes engagierte Hilfe auf. Moron kannte die Aufgaben und Belastungen eines Parlamentarischen Geschäftsführers, schließlich hatte er zu jener Zeit das Amt noch selbst ausgeübt.
    Im März vergangenen Jahres, zwei Monate bevor Moron zum Fraktionsvorsitzenden ernannt wurde, begann Gödecke mit ihrer Arbeit. Sie muss sich mit den anderen Parlamentarischen Geschäftsführern beraten, als Mitglied des Ältestenrates zurrt sie die Tagesordnung fest und teilt Redezeiten für die Plenartage ein. Sie koordiniert zudem die Sitzungen in der 102-köpfigen SPD-Fraktion, setzt Themen fest und bemüht sich um eine "gute Atmosphäre". Gödecke betrachtet sich als "Managerin", die ein "mittelständisches Unternehmen" leitet. Immerhin stehen der Fraktion jährlich sechs Millionen Mark zur Verfügung. 40 Mitarbeiter werden hier beschäftigt.
    Eine entscheidende Aufgabe ist die Rückendeckung für den Fraktionschef. Nach Ansicht der Bochumerin reicht Loyalität allein für ihren Job nicht aus. "Man muss sich gegenseitig blind vertrauen können." Gödecke ist überdies für Moron die wichtigste Späherin. Sie beobachtet die anderen Fraktionen, behält das politische Geschehen im Auge und horcht in die eigenen Reihen hinein.
    Dort ist seit längerem Kritik zu hören über die Fraktionsführung, die auch in die Öffentlichkeit dringt. Am sichtbarsten wurde die Unzufriedenheit bei den Vorstandswahlen im November, als Moron nur 71,7 Prozent Jastimmen erhielt. "Das war nicht fair", sagt Gödecke, die mit 82,5 Prozent Zustimmung eines der besten Resultate erzielte. Insbesondere ärgert sie, dass acht Abgeordnete zur Abstimmung nicht erschienen waren. Die Außenwirkung war ihrer Meinung nach verheerend. Deshalb wird es eine ihrer zentralen Aufgabe sein, die Unzufriedenheit in der Fraktion abzubauen und die Kommunikation zu verbessern.
    Den Landtag bezeichnet sie zuweilen als "Kunstwelt, in der man sich verlieren kann". Deshalb wohnt Gödecke weiterhin in ihrem Wahlkreis in Bochum: den Bezug zum normalen Leben will sie nicht verlieren. Dort hat sie von klein auf die politische Kärrnerarbeit für die SPD kennen gelernt. Dass sie 1974 als 16-Jährige die Partei-Mitgliedschaft beantragte, war eine Selbstverständlichkeit. "Ich komme aus einer durch und durch sozialdemokratischen Familie", sagt Gödecke.
    Die gebürtige Hessin zog 1962 mit ihrer Familie nach Bochum, wegen Opel. Ihr Vater fing als Werksobermeister an und wurde Ratsmitglied in Bochum. Als die Firma ihm deswegen Druck machte, übernahm die Mutter, eine eingefleischte Gewerkschafterin, das Mandat. Tochter Carina trat 1989 für sechs Jahre die Nachfolge an. Zwischen 1986 und 1990 war sie Wahlkreis-Mitarbeiterin des früheren Bochumer Landtagsabgeordneten und amtierenden Oberbürgermeisters Ernst-Otto Stüber.
    Mit den Tücken der Politik machte die studierte Lehrerin unangenehme Erfahrungen, als sie sich um Stübers Landtagsmandat bewarb. Damals seien von männlichen Konkurrenten Sprüche gekommen wie "Da kann ja auch meine Putzfrau kandidieren", erinnert sich Gödecke. Zierlich ist die ÖTV-Gewerkschafterin, aber nicht zimperlich. Gödecke setzte sich schließlich durch und zog 1995 mit fast 60 Prozent in den Landtag ein.
    In ihrer Zeit als einfache Abgeordnete hat sie die Konzentration auf ein Thema schätzen gelernt. Das fehlt ihr jetzt. "Ich muss eine Generalistin sein", sagt Gödecke. Zunehmenden Gefallen findet sie zwar an der Haushaltspolitik, doch der Job als Parlamentarische Geschäftsführerin behält absoluten Vorrang. "Sachen, die man anfängt, muss man ordentlich machen", lautet einer ihrer Glaubenssätze. Und trotz ihres enormen Arbeitswillens besitzt Carina Gödecke eine Sicherung, um das gefürchtete Ausbrennen zu vermeiden: "Ich frage mich in kontinuierlichen Abständen: Was macht es mit mir?"
    Kristian Frigel

    ID: LIN02825

  • Porträt der Woche: Dr. Frank Freimuth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 17 - 11.12.2001

    Für Frank Freimuth muss Politik für die Menschen "fassbar" sein und das Mögliche machbar machen. Diesen zweifellos hoch gesteckten Anspruch versucht der SPD-Landtagsabgeordnete im Alltag zu realisieren - und vor allem in seinem Wahlkreis Wuppertal I. So ist er dort möglichst viele Stunden für die Bürger ansprechbar interessiert sich für alles, "was ihnen auf der Seele liegt".
    Diese Eigenschaft der "Zuwendung" dürfte beim heute 39-Jährigen in den Jahren gewachsen sein, wo er wissenschaftlicher Mitarbeiter des damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau war und dessen Bürgernähe er hautnah miterlebte. Zudem ist der gebürtige Wuppertaler SPD-Vorsitzender des Ortsvereins Ostenbaum, einem Stadtteil - so das Landesförderprogramm - "mit besonderem Erneuerungsbedarf". "Da gibt es Armut, hohe Arbeitslosigkeit und einen hohen Ausländeranteil." Der promovierte Philologe engagiert sich insbesondere für schwer erziehbare Jugendliche, will ihnen Perspektiven bieten.
    Nach seinem Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie an den Universitäten Köln, Bochum und Wuppertal sowie seiner siebenjährigen Rau-Tätigkeit wurde Frank Freimuth 1995 zum Dozenten in der Erwachsenenbildung des Bildungswerkes Stende berufen. Bis er dann fünf Jahre später, im Mai 2000, in den Landtag einzog, leitete er zahlreiche Seminare, Rhetorik- und Managementkurse. Der SPD schloss er sich als 21-Jähriger an, ist seit längerem Mitglied des Unterbezirksvorstandes Wuppertal und des Bezirksausschusses Niederrhein seiner Partei. Wie schon in der Vergangenheit auf regionaler Ebene bemüht sich der Wuppertaler auch als Landtagsabgeordneter um ein gutes Verhältnis zu den Kollegen der anderen Fraktionen. "Sachlichkeit und Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden sind mir wichtiger als das bloße rhetorische Draufschlagen."
    Die Fraktion gab ihm die Möglichkeit, in mehreren Sachbereichen mitzuarbeiten, die ihn auch ganz persönlich interessieren: Medien-, Bildungs- und Sportpolitik, Jugend und Familie.
    So ist es für den Abgeordneten eine entscheidende Frage, wie auf dem Weg in die Informationsgesellschaft möglichst viele Menschen die Chancen und Fähigkeiten erhalten, mit den neuen Medien umzugehen. Die Vermittlung von Medienkompetenz müsse bereits im frühen Kindesalter beginnen und dürfe aber auch die Senioren nicht ausschließen. Er begrüßt einen fraktionsübergreifenden Antrag aller Mitglieder des Medienausschusses, in dem die Landesregierung unter anderem aufgefordert wird, ein "ressortübergreifendes Leitprojekt für Medienkompetenz" durchzuführen. Die zahlreichen Aktivitäten im Bereich Medienkompetenz sollen danach in einer fortzuschreibenden Datenbank zusammengefasst und die bestehenden Landesprogramme evaluiert werden.
    Aber neben der Förderung der Medienkompetenz und deren Akzeptanzerhöhung müssten auch die Risiken der technischen Entwicklung minimiert werden. So müsse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden. - Als Mitglied des Sportausschusses macht sich der Wuppertaler insbesondere für die Nachwuchsförderung im Breitensport stark.
    Nach eigener Einschätzung ist der Parlamentarier ehrgeizig, und er möchte als Abgeordneter "mehr bewegen" als es derzeit als "Neuling" noch möglich sei. Dabei zitiert er Max Weber, dass "jetzt erst einmal geduldig harte Bretter durchbohrt" werden müssten. Von einer Sportart, die Frank Freimuth besonders schätzt, mag er dabei lernen - dem Langlauf. Eine andere Freizeitbeschäftigung ist das Tauchen - auch das ist für Politiker manchmal ratsam.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN02896

  • Porträt der Woche: Stephan Gatter (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 13.11.2001

    Wenige Tage vor dem Berliner Mauerbau 1961 floh der damals knapp Sechsjährige mit seinen Eltern aus dem thüringischen Gotha nach Köln. Seitdem lebt der SPD-Abgeordnete Stephan Gatter in der Domstadt, hat dort sein Abitur gemacht, zeitweilig dort studiert, später das 1. Staatsexamen in Geschichte und Theologie für das Lehramt in der Sekundarstufe II absolviert und sich partei- wie kommunalpolitisch engagiert.
    Aus einem Elternhaus stammend, in dem politisch rege diskutiert wurde, war schon damals für den Gymnasiasten Stephan Gatter Willy Brandt ein Vorbild, und der noch "Wahlunmündige" gründete eine Schülerinitiative für den Sozialdemokraten. In die SPD trat er erst 1972, im Landtagswahlkampf, ein. Seit dieser Zeit - inzwischen sind es 26 Jahre - engagiert sich der Kölner im selben Ortsverein, wurde später in den Stadtbezirksvorstand Köln-Kalk und dann in den Kölner Unterbezirksvorstand der SPD gewählt. Mehr als 15 Jahre gehörte er der Bezirksvertretung Köln-Kalk an, davon längere Zeit als SPD-Fraktionsvorsitzender.
    Die ersten "Berührungen" mit der Landespolitik erhielt Stephan Gatter 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten und Kölner Oberbürgermeisters Norbert Burger, auch stand er zeitweise dem Abgeordneten Volkmar Schultz zur Seite. So kam es nicht überraschend, dass die Kölner Sozialdemokraten ihn bei der letzten Landtagswahl im Mai 2000 für das Düsseldorfer Parlament nominierten und er dann auch den Wahlkreis 21 (Köln VII) für seine Partei gewann.
    Die Landtagsfraktion berief den Kölner in den Ausschuss für Umweltschutz und Raumordnung sowie in den Hauptausschuss. Als Angestellter im Bereich Öffentlichkeitsarbeit einer je zur Hälfte privaten und kommunalen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft seit 1992 ist ersteres Parlamentsgremium sozusagen sein "Metier": Er hat für die damals teilweise umstrittene Kölner Müllverbrennungsanlage gefochten und hält nach wie vor den Bau jener Anlagen mit modernstem Standard in der Vergangenheit ökologisch für den "richtigen Weg". Als "ökologischen Unsinn" bewertet heute der 46-Jährige allerdings, dass nach der geltenden Gesetzeslage Plastikmaterial aus dem Müll aussortiert werden müsse und in den Zementwerken als Brennstoff verwertet werde. Hier sei der Gesetzgeber gefordert.
    Im Hauptausschuss plädiert der Sozialdemokrat für eine Erweiterung der Bürgerrechte, hält allerdings die Drohung der Freidemokraten mit einem Bürgerbegehren zur Verkleinerung des Landtages für "reinen Populismus": Das wäre so, als würde man die Bürger auf der Straße fragen, "wollt ihr weniger Steuern zahlen". Es sei ureigenste Aufgabe des Parlamentes über seine Größe zu entscheiden.
    Bei einer Bevölkerung von 18 Millionen hält der Abgeordnete die eigentliche Größe von 201 Parlamentariern nach dem Wahlgesetz für angemessen. Andernfalls wäre nach seiner Einschätzung eine Betreuung der Bürger durch die Abgeordneten sehr problematisch. Und schließlich sei der Düsseldorfer Landtag nach dem Stuttgarter das "zweitbilligste" Parlament eines Flächenlandes. Allerdings müsse man die so genannten Überhangmandate in den Griff bekommen mit dem Ziel, dass es künftig nur 150 Direktmandate und 51 Mandate über Listenplätze gebe.
    Neben der Politik sind Bücher die große Leidenschaft des Kölners. "Ich kann an keinem Antiquariat vorbeigehen, ohne ein Buch mitzunehmen." Inzwischen füllen seine Regale rund 3 000. Und dann gibt es noch die Nordsee und das Kochen. Beides lasse sich gut verbinden - nordische Küche mit viel Fisch. Guten Appetit!
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03011

  • Porträt der Woche: Elke Talhorst (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 19.06.2001

    Schon bei der Begrüßung offenbart Elke Talhorst eine für sie charakteristische Gemütsregung: Sie lacht gern. Allein ihre Augen verraten es, und noch mehr die Fältchen, die sie einrahmen. Wenn die 56-jährige auf ihr "fröhliches Grundnaturell" zu sprechen kommt, fällt ihr eine Anekdote aus dem Landtagswahlkampf 2000 ein: Ihr lachendes Konterfei auf den Plakaten in ihrem Wahlkreis 65 in Moers (Wesel IV) habe die Betrachter derart angesprochen, dass wildfremde Menschen auf der Straße gegrüßt hätten und sie sogar Telefonanrufe erhalten habe. Die SPD-Abgeordnete mag partout keine "Miesepeter" und versucht auf ihre Weise, Tristesse aufzuhellen. Sie unterstreicht ihr Strahlen an diesem Tag mit einem roten, eleganten Blazer, den sie zum Protest gegen den grauen, verregneten Tag angezogen hat. Elke Talhorst trägt ihre positive Grundeinstellung offen zur Schau.
    Als weitere persönliche Eigenschaft nennt sie eine angeborene "Gelassenheit". Diese hilft ihr, Polemik und Zuspitzungen in der Politik zu vermeiden. "Sachliche Schlagabtausche sind erfolgreicher", sagt sie. Deshalb beobachtet die Moerserin mit Sorge den Trend zur ehrabschneidenden Rhetorik in der Politik, die auf persönliche Verletzung anderer abzielt. Besonders sauer ist ihr im März die Bildungsdebatte im Landtag aufgestoßen. Talhorst selbst fühlt sich allein durch ihre finanzpolitischen Aufgaben zur Sachlichkeit verpflichtet. Das trockene Dickicht aus Fachtermini und Verwaltungsvorschriften gewährt ohnehin keinen Spielraum für verbale Mätzchen. Durch ihre disziplinierte Zurückhaltung gehört sie eher zu den unauffälligen Akteuren im Parlament. Ihr Stellenwert in der Fraktion ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Talhorst hat sich als eine der führenden Finanzpolitiker etabliert. Dass sie kürzlich den stellvertretenden Vorsitz im Haushalts- und Finanzausschuss - zusammen mit dem Hauptausschuss das bedeutsamste Gremium im Landtag - erhalten hat, spricht für sich. Seit ihrem Einzug in den Landtag 1995 gehört sie diesem Ausschuss als ordentliches Mitglied an. Sie sitzt im Hauptausschuss und seit der vergangenen Landtagswahl auch im Präsidium. Talhorst zählt sich selbst zu den "Haushältern" im Landtag, und für sie besteht die Finanzpolitik der nächsten Jahre aus einer zentralen Komponente: "Sinnvoll sparen".
    Ihre Zeit teilt sich die ausgebildete Industrie-Kauffrau und Sozialversicherungsfachangestellte ebenfalls sparsam ein, denn eines hat sie nach ihrem Debut im Landtag überrascht: die starke zeitliche Belastung als Landtagsabgeordnete, die in Düsseldorf und in ihrem Wahlkreis wirken muss. Talhorst hat eine wichtige Einstellung, um nicht vom Stress überwältigt zu werden: "Die Arbeit macht mir Freude." Seit 1979 sitzt die gebürtige Bochumerin im Rat der Stadt Moers. Bis vor einigen Jahren hatte sie eine Reihe von Ämtern im SPD-Unterbezirk Wesel inne und gehörte 16 Jahre dem Vorstand des Bezirks Niederrhein an. Vor ihrem Aufstieg in den Landtag war die ÖTV-Gewerkschafterin von 1989 bis 1994 Mitglied des Weseler Kreistages. Über ihre weitere politische Laufbahn nach dieser Legislaturperiode möchte sie nichts erzählen. "Da mache ich mir noch keine Gedanken", sagt Talhorst. Das müsse die Zeit mit sich bringen.
    Sie betont stets, dass Partei oder Fraktion auf sie zugekommen seien - sei es bei der Kandidatur für den Landtag oder bei der Besetzung der Ausschüsse. Talhorst ist keine, die drängeln will. Sie sei auch niemand, der sich schnell entscheide, sagt sie. Das war schon früher so. In die SPD ist sie als 26-jährige eingetreten, aber erst nachdem sie die politischen Angebote eingehend geprüft und sich letztlich für das Godesberger Programm entschieden hatte. Ihre Mitgliedschaft habe sie am 1. April 1972 "mit Herzblut" unterschrieben. Willy Brandt mit seinem Sinn für soziale Gerechtigkeit inspirierte sie maßgeblich zur politischen Mitgestaltung. Umso schockierter war sie, als Brandt nur wenige Wochen später zurücktreten musste: "Mir sind die Tränen nur so runtergelaufen."
    Elke Talhorst schätzt Offenheit. Sie spricht mit Stolz über ihren Ehemann und ihren erwachsenen Sohn, und darüber wie sie auch schwierige Lebenssituationen gemeistert habe. So bestritt sie früher den Unterhalt für die Familie, als ihr Mann noch Maschinenbau studierte. Ihre Erfahrungen haben sie gelehrt, dass sich auch große Hindernisse mit Selbstdisziplin und Engagement überwinden lassen, und dass arbeitsreiches Leben und Freizeit sich nicht gegenseitig ausschließen. "Ich brauche meine schöpferischen Pausen", sagt sie unumwunden. Sie gönnt sich dann die eine oder andere Zigarette, fährt Rad am Niederrhein, übt für das alljährliche Sportabzeichen oder liest Bücher. Talhorst erweist sich als eingefleischter Thriller-Fan. Insbesondere Graham Greene hat es ihr angetan. Eines seiner Bücher liest sie mittlerweile zum vierten Mal. In der deutschen Übersetzung heißt es "Der menschliche Faktor". Ein Titel, der zu Elke Talhorst passt.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN03385

  • Porträt der Woche: Edmund Feuster (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 22.05.2001

    "Nett kalle, jet donn - weniger reden, mehr anpacken." Dieser Wahlspruch gilt für den Niederrheiner Edmund Feuster im Beruf wie auch in der Politik. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Grevenbroich zählt nicht zu den vielen Theoretikern in Diskussionsforen, sondern ist entsprechend seines Naturells dort am liebsten, wo es um "handfeste" Sachpolitik mit nachvollziehbaren Entscheidungen geht. Und der Diplom-Betriebswirt mit langjähriger Berufserfahrung hält es im übrigen bei aller "Wertschätzung" für Lehrer und Beamte für notwendig, dass neben deren starken Repräsentanz im Parlament auch "Leute über Wirtschaft reden, die etwas von der Materie verstehen".
    Aus einer Arbeiterfamilie in Jüchen stammend, besuchte der heute 46-Jährige nach der Volks- die Realschule und absolvierte zunächst eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann. Nach kurzer Berufstätigkeit entschloss er sich, das Fachabitur nachzuholen und studierte anschließend an der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach Betriebswissenschaft. Als Diplom-Betriebswirt war Edmund Feuster dann seit 1979 in mehreren Positionen namhafter Unternehmen tätig. Auch nach seiner Wahl in den Landtag, im Mai letzten Jahres, wollte er sich nicht ganz vom Beruf verabschieden, er besitzt einen Beratervertrag mit einem Neusser Unternehmen.
    Politisch geprägt vom Elternhaus, faszinierte ihn schon in frühen Jahren Willy Brandt - "er stand für mich für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit". So trat der Grevenbroicher 1976 in die SPD ein. Die Mitgliedschaft sollte sozusagen ein "Stück Sympathiebeweis" sein, aber kein Engagement in der Partei werden. Doch als der Sozialdemokrat die erste Ortsvereinsversammlung besuchte und sich zu Wort meldete, "nahm das Unglück seinen Lauf", meint er heute scherzhaft. Und mit seiner politischen Betätigung wuchs auch der Wunsch, ein "Stück Einfluss" zu nehmen: Zunächst als Ortsvorsitzender, dann als Stadtverordneter in Grevenbroich, seit 1994 ist er Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion.
    Während seines kommunalpolitischen Wirkens konstatierte er zusehends den Einfluss der Landespolitik auf die Entwicklung der Gemeinden, ob in der Struktur-, in der Verkehrs- oder der Schulpolitik. Anlass genug, um sich auch stärker den landespolitischen Themen zu widmen. So kandidierte der Sozialdemokrat bei der letzten Landtagswahl im Wahlkreis 52 (Neuss III) für das Landesparlament und sicherte ihn erneut für seine Partei - wenn auch sehr knapp, mit 146 Stimmen Vorsprung.
    Das Mitglied des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen sowie des Verkehrsausschusses sieht insbesondere in diesen beiden Gremien ein enges Beziehungsgeflecht zwischen dem Land und den Kommunen, wo eben "handfeste" Themen behandelt und Beschlüsse gefasst werden, "die man dann vor Ort sieht". Der SPD-Abgeordnete möchte in diesen Ausschüssen und auch im Landesparlament insgesamt seine 20-jährigen kommunalpolitischen wie beruflichen Erfahrungen einbringen.
    Nach seiner Einschätzung dürften sich die Politiker nicht isolieren und nicht nur in elitären Zirkeln diskutieren - sie müssten ständig auf die Bürger zugehen und erfahren, wo ihnen der Schuh drückt. Das erfährt Edmund Feuster im Übrigen auch als Mitglied der verschiedensten Vereine, vom Sport- bis zum Schützenverein und Vorsitzenden des Männergesangvereins. "Ich bin auch ein Stück Vereinsmensch."
    Zur Entspannung liest der Abgeordnete gern bei einem guten Glas Rotwein moderne Klassiker, wie Böll, Lenz oder Hesse. Und während viele gern in ferne Länder streben, genießt er mit seiner Familie einige Tage an der Nord- oder Ostsee, um mal auszuspannen.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03432

  • Porträt der Woche: Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 8 - 08.05.2001

    Der Überraschungscoup von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement hat Hannelore Kraft mit einem Schlag bekannt gemacht. Doch Karrieresprünge sind für die 39-jährige Sozialdemokratin nichts Ungewöhnliches, seit sie sich in der Politik engagiert hat. Dass die neue Ministerin für Europa- und Bundesangelegenheiten politisches Gespür hat und weiß, wie man in diesem Metier die Fäden ziehen muss, hat sie bereits vor ihrer Berufung am Beispiel Metrorapid bewiesen.
    Falls die Schwebebahn nach Nordrhein-Westfalen kommt, wird sie in Mülheim halten. Ursprünglich sollte die Magnetbahn nur unter der Ruhrstadt durchrauschen. Dass der zusätzliche Stopp zumindest in die Machbarkeitsstudie aufgenommen wurde, kann sich die gerade frisch gekürte Ministerin und SPD-Landtagsabgeordnete Hannelore Kraft zusammen mit Parteifreunden als Verdienst anschreiben. "Wir waren sehr aktiv und haben es geschafft", freut sich die Sozialdemokratin, die erst seit dem 2. Juni 2000 ihre Heimatstadt Mülheim im Düsseldorfer Parlament vertritt. Der freundlich lächelnden, zierlichen, blonden Frau sind Energie und Zähigkeit ins Gesicht geschrieben. Die Diplom-Ökonomin weiß, was sie will und kann. "Da habe ich Ahnung von", sagt die Sozialdemokratin im Gespräch, wenn es um Neue Medien, Wirtschaft und Europa geht.
    Zur Politik kam Hannelore Kraft über ihre Mitarbeit in einer Elterninitiative. Damals ging es um die Neufassung des Gesetzes über Kindertagesstätten. Als Mutter eines kleinen Jungen engagierte sie sich und bezog Position. Hannelore Kraft sah sich die politischen Mechanismen genauer an, und schon sehr rasch gab es keinen Zweifel, dass ihr Platz bei der SPD war. Obwohl es ein wenig paradox klingt, war die für die SPD verlorene Kommunalwahl 1994 noch ein zusätzlicher Anreiz für ein politisches Engagement für die Mülheimerin. Hannelore Kraft sah die Chance, bei einem Neuanfang in der Partei etwas bewegen zu können. Damals habe sie zu sich selber gesagt: "Vielleicht können die dich gebrauchen" Im Oktober 1994 war die Niederlage. Im November darauf trat Hannelore Kraft in die SPD ein, und schon im Februar 1995 kandidierte sie erfolgreich für den Unterbezirksvorstand. Gleichzeitig wurde sie Mitglied der IG Metall. Seit 1999 ist die SPD-Frau auch Mitglied des Ortsvereinsvorstandes Mülheim-Stadtmitte.
    Sehr bald lockte Hannelore Kraft der Landtag in Düsseldorf. "Mich interessieren die Themen, die dort behandelt werden, besonders. Außerdem habe ich durch meine berufliche Erfahrung einen guten Einstieg in viele der dort behandelten Arbeitsbereiche." Nach ihrer Ausbildung als Bankkauffrau mit Kaufmannsgehilfenbrief, studierte die Mülheimerin von 1982 bis 1989 an der Universität-Gesamthochschule Duisburg Wirtschaftswissenschaften. Nach einem Auslandsstudium und mehreren Praktika in England, Frankreich und der Schweiz schloss sie ihr Studium als Diplomökonomin ab und begann 1989 als Beraterin und Projektleiterin beim Mülheimer Zentrum für Innovation und Technik (Zenit GmbH). Da Hannelore Kraft, die mit einem Elektromeister verheiratet ist und einen achtjährigen Sohn hat, meinte, sie könne ihre Familie schlecht nach Brüssel oder Straßburg verpflanzen, schien ihr der Düsseldorfer Landtag eine gute Alternative. "Ich habe zielstrebig dieses Ziel angesteuert", erklärt sie ganz selbstverständlich.
    Obwohl es im neu zugeschnittenen Wahlkreis 74 (Mülheim an der Ruhr II - Essen VII) vier Kandidaten gab, setzte sich Hannelore Kraft durch. "Bei der Listenaufstellung habe ich eine gute Rede gehalten und das Ding gewonnen - und dann auch den Wahlkreis", erinnert sich die 39-Jährige fröhlich. Im Landtag fühlt sich die SPD-Frau "sauwohl", wie sie zufrieden lachend sagt. "Es ist genau das. was ich kann, was ich will und wo ich mich einbringen möchte." Ihre Jungfernrede hat sie schon lange hinter sich. Dabei ging es um Europa und die deutsche Sprache in der EU.
    Ihr berufliches Engagement für Europa war denn wohl auch ausschlaggebend für ihre Berufung als Ministerin. Die Parlamentsarbeit, in die sich Hannelore Kraft mit soviel Engagement stürzte, wird nun wohl auf Sparflamme weitergeführt. Privat hat Hannelore Kraft entschieden, dass zunächst alles so bleibt, wie es ist. Hauptwohnsitz ist weiterhin Mülheim. In Berlin und Brüssel will sie sich nur jeweils eine kleine Bleibe suchen. Vor allem heißt es jetzt, sich möglichst rasch in die neue Aufgabe einzuarbeiten.
    Das gilt umso mehr, als Regierungschef Wolfgang Clement sie mit viel Vorschusslorbeer ausgezeichnet hat. "Es gibt nur wenige Leute, die mit so jungen Jahren derartig viele Qualifikationen aufweisen". erklärte der Regierungschef bei ihrer Vorstellung im Düsseldorfer Landtag. Die neue Ministerin selber meinte durchaus selbstbewusst, dass sie einige Kompetenz für die Arbeit in Brüssel mitbringe. Was die Bundesratsarbeit in Berlin angeht, vertraue sie darauf, sich zügig einzuarbeiten. "Die neue Aufgabe hat mich gereizt. Ich brauchte nicht fange darüber nachzudenken, ob ich das Amt annehme." Natürlich habe sie sich zuerst mit der Familie abgestimmt. Doch selbst ihr achtjähriger Sohn Jan habe großzügig zugestanden, ab und zu auf die Mutter zu verzichten: "Ich finde es gut, dass Mama Ministerin wird."
    Ihre Freizeit will Hannelore Kraft weiter für Familie und Freunde reservieren. Nach der aufwendigen Einarbeitungszeit in die Landtagsarbeit bleibt jetzt als Ministerin noch weniger Zeit als bisher für Hobbys wie Lesen, Tennis und ab und an mal einen Tanzkurs. Das Kochen war ohnehin mehr Sache ihres Mannes, und so wird es bleiben.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN03498

  • Porträt der Woche: Wolfgang Roth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 03.04.2001

    Der Mann ist ein Hüne. Früher, als Handballer in Verbandsliga- und Uni-Teams, wird Wolfgang Roth mit seiner kräftig-großen Gestalt der Schrecken jeder Verteidigung gewesen sein.
    Den Eindruck einer Sportskanone macht der 51-jährige SPD-Abgeordnete vom Niederrhein jedoch nicht, genauer: nicht mehr. Seit seinem Einzug in den Landtag im Frühjahr 2000 raucht Wolfgang Roth wieder Zigaretten. Aktiver Sport - das ist lange her. Roth sagt, es fehle ihm die Zeit dafür. Außerdem zwickt und zwackt es hier und dort. Er seufzt: "Die Bänder sind strapaziert, die Achillessehne ist lädiert." Wolfgang Roth ist kein gebürtiger Niederrheiner. Er stammt vom Vogelsberg in Hessen. Nach dem Studium in Marburg (Sport und Politik mit Abschluss Dipl.-Pädagoge) verließ er die Heimat, berufsbedingt. Beim Bildungswerk des Landessportbundes verband er politisch-pädagogisches mit sportlichem Interesse.
    Wolfgang Roth, der mit einer Hessin verheiratet ist, fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat Kamp-Lintfort. Zum Begriff "Heimat" hat er ein emotionsloses Verhältnis: "Heimat ist dort, wo ich gerade bin, wo meine Familie lebt und wo es freundschaftliche Beziehungen gibt." Jedoch, wenn das Ehepaar Roth ins Hessische reist, sagen die beiden: "Wir fahren nach Hause."
    Wolfgang Roth ist ein Familienmensch. Das bisschen Freizeit, das dem Kommunal- und Landespolitiker bleibt, verbringt er gerne mit Frau und Sohn. Der Junge ist 17 Jahre alt. Er fährt noch mit den Eltern in Urlaub - zum Skilaufen in die Dolomiten und in diesem Sommer mit einem Campingbus an die französische Atlantikküste. Natürlich reizt einen Homo politicus wie MdL Roth auch die Bundespolitik. Aber nach Berlin in den Bundestag zu gehen, das würde er eher von sich weisen, wissend um den dauernden Pendelstress und negative Auswirkungen auf das intakte Familienleben fürchtend.
    Ratsmitgliedschaft, SPD-Ortsvereinsvorsitz, Sprecheramt einer Elterninitiative zu Gunsten Behinderter in Kindergarten, Schule und Arbeitswelt - nicht einmal zum Lesen von Literatur kommt der Umtriebige, das Studium der Tageszeitung sowie fachbezogener Unterlagen scheint ihm zu genügen. Roth bezeichnet sich als einen Traditions-Sozialdemokraten. Das wird man in Kamp-Lintfort, wo noch Bergbau betrieben wird und die Orts-SPD stark von Industriearbeiterschaft geprägt ist, gerne hören. Auf die Frage, ob er, der Lehrersohn, einem jungen Mann, der Bergmann werden möchte, heute noch zuraten würde, zögert Roth einen Moment: "Das ist schwierig zu beantworten." Einerseits gebe es Perspektiven für den Bergbau, andererseits wisse man nicht, was in zehn, zwanzig Jahren sei, wie die Unternehmen dann entschieden und welche Schachtanlagen überhaupt noch offen seien. Fazit: "Ich würde den jungen Mann fragen, ob beruflich nicht doch noch etwas anderes in Frage käme."
    Wolfgang Roth plädiert dafür, den Strukturwandel in den Bergbauregionen zu fördern. Dazu zitiert er Johannes Rau: Aus dem Land von Kohle und Stahl müsse das Land mit Kohle und Stahl werden. Der Abgeordnete versteht sich als einen Politiker der handfesten Tüchtigkeit. Er will anpacken, anschieben, gestalten, Konzeptionen erarbeiten. Reines Theoretisieren ist ihm suspekt, purer Aktionismus indes ein Greuel: "Was man tut, muss gut durchdacht sein."
    Zur SPD fand Roth 1976, als Helmut Schmidt in Bonn Kanzler war. Roths Sympathien lagen damals bei Willy Brandt. Niemals ist ihm der Gedanke an einen Parteiwechsel gekommen, auch wenn er so etwas nicht per se für anrüchig hält. Roth ist ein offener, gesprächsbereiter Mann, der um Menschen mit anderen politischen Überzeugungen keinen Bogen macht. Der Landtags-Neuling fühlt sich gut eingesetzt und aufgenommen im Parlament. Wolfgang Roth ist einer von den Staatsbürgern, die ihre Pflicht für die Partei und das Gemeinwesen gerne tun und die auch privat nicht zur Leichtlebigkeit neigen. Roths gesunde Wurzeln liegen in einem hessischen Dorf, wo er im November 1949 geboren wurde und wo in der Nähe der Vater in der Zwergschule acht Volksschulklassen in einem Raum unterrichtet hatte. "Eine pädagogische Meisterleistung", so lobt Sohn Wolfgang seinen Alten Herrn.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03594

  • Porträt der Woche: Marlies Stotz (SPD).
    Porträt
    S. 31 in Ausgabe 1 - 23.01.2001

    Ein Säulendiagramm allein hätte Marlies Stotz nicht gereicht, um ihren Sieg zu belegen. Der rote und der schwarze Pfeiler standen am Abend des 14. Mai augenscheinlich auf derselben Höhe. Den optischen Gleichstand konnten nur Zahlen hinter dem Komma widerlegen: Mit dem mikroskopisch kleinen Vorsprung von 0,07 Prozent errang die Lippstädterin das Direktmandat für die SPD. Gerade einmal 43 Stimmen garantierten ihr den Einzug in den Landtag und zugleich einen historischen Platz in den Wahlstatistiken. Der Sieg war mühsam erkämpft, obwohl zuvor noch ein von der CDU dominierter Wahlbezirk aus ihrem Wahlkreis 141 (Soest II) ausgegliedert worden war. Dies symbolisierte aber auch den steinigen Weg, den die 41-Jährige zurücklegen musste. Sie sorgte im SPD-Unterbezirk Soest für Wirbel, weil sie bei der Kandidatenaufstellung ausgerechnet gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber Karl-Heinz Brülle antrat. Brülle, der selbst zwischen 1985 und 1995 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf gewesen war, unterlag der Debütantin in einer Kampfabstimmung. Stotz gilt als neue Hoffnungsträgerin, auch weil Brülle 1995 gegen seinen CDU-Kontrahenten verlor und die Lippstädter Sozialdemokraten fünf Jahre ohne Kontaktperson in Düsseldorf auskommen mussten.
    Eben über jenen Karl-Heinz Brülle fand Marlies Stotz 1985 zur Politik: Nach sechsjähriger Tätigkeit in einem Unternehmen bewarb sich die Großhandelskauffrau damals bei ihm um die ausgeschriebene Stelle als Wahlkreis-Mitarbeiterin. "Für einen CDU-Abgeordneten hätte ich nicht gearbeitet. Die SPD war immer meine Partei", sagt Stotz. Zwangsläufig musste sie sich nun mit den Feinheiten der Programmatik auseinandersetzen. "Ich habe mich in die Inhalte reingekniet, sonst hätte ich keine gute Arbeit machen können", sagt sie.
    Die Zeit an der Basis hat ihr Profil geprägt. Sobald man sie auf ihre Motivation im Landtag anspricht, verweist sie auf die Probleme vor Ort. "Ich möchte vor allem die Interessen unserer ländlichen Region gegenüber den Ballungszentren mehr in den Vordergrund schieben", sagt Stotz. Ihre Haltung ließe sich mit Bodenhaftung beschreiben. Das liegt daran, dass Stotz Politik von der Pike auf gelernt hat. Sie war Zuarbeiterin, Wahlkämpferin ("Plakate musste ich auch kleben") und kandidierte 1989, ein Jahr nachdem die Bundespartei in Münster die Frauenquote beschlossen hatte, für die Kommunalwahl. Stotz schaffte den Einzug in den Lippstädter Rat. Drei Jahre später schloss sie nebenbei ihre Fortbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin ab. Seit 1994 ist sie stellvertretende Bürgermeisterin. Zwischen 1995 und 2000 arbeitete sie für den Lippstädter SPD-Bundestagabgeordneten Eike Hovermann. Seit März dieses Jahres ist Stotz Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes und hat damit ihre Position an der Basis noch fester verankert. Im August wurde sie in den Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen gewählt.
    Seit ihrem Einzug in den Düsseldorfer Landtag ist das Arbeitspensum enorm gestiegen, dennoch klammert sie ihre Hobbies nicht aus: Stotz liebt ausgedehnte Radtouren, Ski fahren und Kochen mit Freunden. Sie selbst sagt, dass sie das alles nur schaffen könne, weil sie ledig sei. Die Erwartungen und Anforderungen seien mittlerweile sehr groß. Dennoch wirkt die 41-Jährige nicht so, als ob sie davon erdrückt wird. Ganz im Gegenteil strahlt sie im Gespräch Frische und Jugendlichkeit aus.
    In der SPD-Landtagsfraktion gehört Stotz eher zu den Unscheinbaren. Ihr Landtagsbüro ist noch kahl und unpersönlich. Es gleicht ein wenig ihrem politischen Profil, das sie sich in Düsseldorf erst erarbeiten muss. Als einen ihrer Schwerpunkte nennt sie die Kinder- und Jugendpolitik. Stotz will sich insbesondere für ein besseres Angebot bei der Ganztagsbetreuung an Schulen einsetzen. Stotz sitzt als stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie und als ordentliches Mitglied im Petitionsausschuss.
    Ihr Name wird bald absehbar häufiger in der Fraktion, aber auch im Landtag fallen. Denn sie ist mit einem der schwierigsten und unpopulärsten Probleme vertraut, die Parlament und Landesregierung lösen müssen: Es gilt neue Standorte für Forensiken zu benennen und diese notfalls auch gegen den Widerstand der Betroffenen zu verteidigen. Stotz' Geburts- und Heimatstadt ist seit Jahren untrennbar mit folgender Assoziationskette verbunden: Lippstadt - Eickelborn - Forensik. Stotz ist eine wichtige Zeugin für ihre Fraktion, denn sie kennt das Leben in der Nähe einer Forensik und kann trotzdem von einem normalen Alltag sprechen. "Es ist wirklich nicht so, dass man als Lippstädter den ganzen Tag daran denkt", sagt Marlies Stotz. Aber auch sie weiß, dass die Bewohner des Stadtteils Eickelborn viel intensiver mit der Klinik konfrontiert werden, zumal 1994 ein Sexualmord, verübt von einem Patienten, blankes Entsetzen auslöste. Stotz kann die Ängste in der Bevölkerung nachvollziehen und prognostiziert, dass es beim Neubau von Kliniken Widerstände geben wird. Deshalb möchte sie mithelfen, "Vertrauensarbeit" für die Bürger zu leisten. Stotz setzt sich vehement für eine schnelle Entlastung der Eickelborner Forensik ein, die von der Landesregierung auch angekündigt ist. Von der verlangt sie absolut fehlerfreies Handeln: "So etwas wie in Herten darf nicht noch einmal passieren."
    Kristian Frigelj

    ID: LIN04103

  • Porträt der Woche: Britta Altenkamp-Nowicki (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 05.12.2000

    Die Migrationspolitik entwickelt sich zum ganz besonderen Steckenpferd von Britta Altenkamp-Nowicki. "Wir müssen bei den ausländischen Mitbürgern die Bereitschaft wecken, dass sie sich im gesellschaftlichen Leben in ihren Wohnvierteln engagieren. Sie dürfen nicht nur passiv erleben, dass etwas für sie getan wird, sondern selber etwas tun", fordert die 36-jährige SPD-Landtagsabgeordnete. Da sie sich als langjähriges Ratsmitglied in Essen bereits mit diesem Themenkreis beschäftigt hat, ist sie jetzt als Vorsitzende des Ausschusses für Migrationsangelegenheiten voll in ihrem Element. Obwohl Britta Altenkamp-Nowicki erst seit dem 2. Juni 2000 im Düsseldorfer Landtag sitzt, klingt ihre Argumentation in der Migrantenfrage so, als ob sie schon ein alter Hase im Landtag wäre.
    Häufig sei es notwendig sowohl die Wohn- als auch die infrastrukturelle Situation zu verbessern, betont die Sozialdemokratin. Über Kindergärten, Schule und andere Einrichtungen müsse konkrete Integrationspolitik betrieben werden. Gleichzeitig sollten gesonderte Hilfen angeboten werden, etwa Förderunterricht und Freizeitangebote für Kinder und Mütter. Auch an der Stadtentwicklung sollten sie beteiligt sein und sich in Bürgerversammlungen einbringen. Gut sei auch, wenn sie in Vereine eintreten würden, sprudeln Ideen und Vorschläge aus der SPD-Frau heraus.
    Zusätzlich zum Migrationsausschuss ist Britta Altenkamp-Nowicki ordentliches Mitglied im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie, im Ausschuss für Frauenpolitik und Stellvertreterin im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge.
    Eingewöhnungsschwierigkeiten in das neue Landtagsleben hatte die Sozialdemokratin nicht. "Im Augenblick orientiere ich mich noch stark an meinen Ausschüssen", räumt sie ein, fügt aber gleich hinzu: "Die Neuen sind hier im Landtag von der SPD-Fraktion sehr offen empfangen worden". Britta Altenkamp-Nowicki hat sogar schon ihre Jungfernrede hinter sich. Achtmal verzeichnet das Protokoll des Landtags "Beifall bei der SPD" und einmal sogar "Sprachlosigkeit bei der CDU", als die SPD-Abgeordnete in der September-Sitzung kräftig für die JugendLeiterCard als Element zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements im Landtag focht. Sie selber fand ihren ersten Auftritt im Parlament zunächst zwar auch aufregend, stellte dann aber sehr rasch fest, dass so ein Auftritt mit der Situation im Rat der Stadt Essen doch vergleichbar ist und, so die SPD-Abgeordnete: "Da habe ich eigentlich in jeder Sitzung geredet".
    Überhaupt ist Britta Altenkamp-Nowicki in der Politik schon ziemlich lange im Geschäft. Über die Friedensbewegung kam die am 16. September 1964 in Essen geborene und aufgewachsene junge Frau Anfang der 80er Jahre zur SPD. In die Partei eingetreten ist sie 1984. Es folgten verschiedene Parteiämter unter anderem als Vorsitzende der Essener Jusos und als Mitglied im Vorstand der SPD Essen. Nicht zuletzt ist sie seit März 2000 im Landesvorstand der NRW-SPD. Wichtig für ihren beruflichen Werdegang war sicher, dass sie von 1991 bis 1999 im Wahlkreisbüro des damaligen Europaabgeordneten Detlev Samland arbeitete, den sie jetzt als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten im Landtag wieder getroffen hat.
    Folgerichtig zur parteipolitischen Karriere wurde Britta Altenkamp-Nowicki allmählich zum Polit-Profi. Seit 1994 im Rat der Stadt Essen, kandidierte sie auch 1999 wieder für das Kommunalparlament. Da hatte sie allerdings den Landtag als Ziel schon fest im Blick. Im Dezember 1999 wurde die SPD-Frau für den Landtag nominiert, im Mai ist sie direkt in das Landesparlament gewählt worden und findet die Arbeit durch und durch faszinierend. "Für mich ist die Landespolitik überaus spannend", gesteht die junge Abgeordnete. Vor allem der Seiten- und Ebenenwechsel ist für die Sozialdemokratin interessant. "Ich war Verbandsjugendliche, dann war ich Ratsfrau und jetzt bin ich auf der Seite derjenigen, die das Geld geben", freut sie sich über den Kompetenzzuwachs.
    Privat gehört das Tauchen für die verheiratete, aber kinderlose Britta Altenkamp-Nowicki zu ihren Lieblingshobbys. Allerdings liest sie auch gerne und nennt sich selbst einen Krimi-Vernichter. Ihr liebstes Reiseziel ist die Emilia Romagna, und deshalb hat es ihr die italienische Küche angetan. Für Gäste wird deshalb oft Pasta in verschiedenen Versionen auf den Tisch gebracht.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN04279

  • Porträt der Woche: Oda-Gerlind Gawlik (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 26.09.2000

    Schon wieder eine Alt-68erin, die das Leben gelehrt hat, Illusionen fahren zu lassen und stattdessen nach politischen Kompromissen zu suchen. Oda-Gerlind Gawlik ist vom Jahrgang 1948. 1966 begann sie ihr Jurastudium an der Ruhruniversiät Bochum. Kurt Biedenkopf war dort Gründungsrektor, und vor allem an der Freien Universität Berlin braute sich langsam etwas zusammen, was bald Studentenrevolte hieß und viele politisch Aufgeweckte und Aufbegehrende packte und mitriss. Oda-Gerlind Gawlik, geboren in Marl, machte bei den Jusos mit, und an der Uni Bochum gehörte sie zum linken SHB. Der linksradikale SDS war der jungen Frau schon damals nicht geheuer. Sie fühlte sich zwar als Linke, aber als eine von der gemäßigten Art. Aufrührerischen Reden vor nicht kontrollierbaren Menschenansammlungen hat sie stets misstraut, Gewalt als einem Mittel der politischen Auseinandersetzung immer widerstanden.
    Ein Tag im Vorherbst 2000. Die neue SPD-Abgeordnete aus Mülheim macht einen erschöpften Eindruck. Gerade musste sie sich im Plenum die Regierungserklärung von Parteifreund Wolfgang Clement anhören. Fast zweieinhalb Stunden hatte sich der Ministerpräsident Zeit genommen. Oda-Gerlind-Gawlik, die Clement und dessen nüchterne Art mag, nimmt auf dem Bürosessel Platz und sagt: "Mehr als zwei Stunden - da muss man schon ein begnadeter Redner sein, um jederzeit seine Zuhörer zu fesseln." Sie erinnert sich vage an einen Redeauftritt des legendären politischen Redners Willy Brandt vor dreißig Jahren in ihrer Ruhrgebiets-Heimat.
    Oda-Gerlind Gawlik erzählt, sie habe noch nie eine andere Partei als die SPD gewählt. Sie sagt aber auch, dass sie nicht hundertprozentig, wohl aber in den Grundsätzen, den "großen Linien" mit ihrer Partei übereinstimme. Nach dem 2. juristischen Staatsexamen wechselte die junge Assessorin zur Universität Gießen, wo sie wissenschaftliche Assistentin war. Der SPD kehrte sie damals, 1974, den Rücken. Sie war ungeduldig, der Parteiapparat schien ihr zu schwerfällig zu sein. 1982, als Helmut Kohl zu regieren begann, trat sie wieder in die SPD ein. Jetzt will sie sie nie wieder verlassen.
    Das Interesse an Politik hat der Großvater geweckt. Der war Bergmann im Ruhestand und kümmerte sich viel um seine Enkelin: "Seit ich ein kleines Mädchen war, hat mich der Großvater politisch wach gemacht." Oda-Gerlind, die Älteste von drei Geschwistern, ging bereits als Volksschulkind mit dem Opa in die Wahlkabine und lernte, dass es eine demokratische Pflicht sei, zu wählen und politisch mitzubestimmen.
    Viele Jahre später entschloss sie sich, aktiv Politik zu betreiben. Davor hatte es einen herben beruflichen Rückschlag gegeben. Seit 1987 hatte sie als Beigeordnete für Schule, Kultur, Weiterbildung und Sport in ihrer neuen Heimat Mülheim an der Ruhr gearbeitet. 1994 wurde sie Verwaltungschefin. Dann folgte die Kommunalwahl, und die SPD sackte in der Wählergunst der Mülheimer um zehn Prozentpunkte. Frau Gawlik räumt ein, dass sie den politischen Gegner verstanden habe, als der damals ihrer Stadtdirektor-Karriere nach einem Jahr ein Ende setzte. Persönlich getroffen fühlte sie sich dennoch. Nach einem halben Jahr des Überlegens folgte der Entschluss, eine Abgeordnetenlaufbahn in Düsseldorf anzustreben, was dann im Mai 2000 geschafft war.
    Frau Gawlik weiß, dass sie als Parlamentsneuling erst mal ihren Stellenwert ausloten muss. Nichts falle einem in den Schoß. Sie arbeite gerne und habe keine Scheu vor dem Bohren dicker Bretter, behauptet die Sozialdemokratin. Niederlagen will sie wegstecken: "Es ist kein Beinbruch, mal eine Abstimmung zu verlieren."
    Ihren Weg von einer schwungvollen Jungsozialistin und linken Studentin zu einer abwägenden Politikerin in der Mitte des Lebens umreißt Oda-Gerlin Gawlik mit dem Satz: "Es gibt keine Position, die man lupenrein vertreten kann. Eine der wichtigsten Dinge überhaupt ist es, nach tragfähigen Kompromissen zu suchen."
    Sie betont es nicht ausdrücklich, aber man glaubt aus ihren Sätzen doch eine gewisse Sorge über das Bild der SPD in der Öffentlichkeit herauszuhören: Das sei das Schwierige und für die Sozialdemokratie Entscheidende: Einerseits den wirtschaftlichen Zwängen Rechnung zu tragen und andererseits nicht das Ziel sozialer Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Dass ihr Herz immer noch links schlägt, verrät eine Bemerkung über den Aufbau Ost nach der Wende: "Ich fand es gut, dass die Einheit kam. Aber mit der Art und Weise, wie das geschah, hatte ich Probleme. Ich hatte den Eindruck, dass der Osten ein Stück freigegeben wird für den kapitalistischen Westen."
    Oda-Gerlind Gawlik greift während der anregenden Unterhaltung häufig zur Zigarettenschachtel. Sie hat bereits mehrfach versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, aber ohne Erfolg. Clement, der es geschafft hat, bewundert sie dafür. Zum Sporttreiben hat die Abgeordnete ein distanziertes Verhältnis. Ein bisschen Gymnastik, ein wenig radeln - das ist alles. Lebhaft wird sie, sobald die Rede ist von Reisen und kulturellen Interessen. Sie schwärmt vom Sommerurlaub im nordspanischen Galizien, sie erwähnt eines ihrer Lieblings-Reiseziele Mexiko. Und schließlich folgt ein fast feuriges Bekenntnis: "Ich liebe moderne Literatur, Kunst und Theater."
    Reinhold Michels

    ID: LIN03973

  • Porträt der Woche: Egar Moron (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 11 - 27.06.2000

    Über dieses Gespräch sind schon viele Zeilen geschrieben worden, obwohl es doch nichts zu berichten gab. Herbert Wehner schwieg zwei volle Stunden lang und sein Gast schwieg auch. Der SPD- Fraktionschef hatte Karl Wienand zu sich gebeten, der sollte sein Parlamentarischer Geschäftsführer werden. Nachdem sich die beiden zwei Stunden angeschwiegen hatten, war die Sache perfekt und seither ist diese Geschichte unzählige Male erzählt worden. Wer Edgar Moron gegenübersitzt, für den Herbert Wehner immer das politische Vorbild ist, kann sich kaum vorstellen, dass der Mann ähnlich vorgeht. Nein, Moron sagt, was er denkt und kommt schnörkellos zum Ziel. "Umweltpolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich nicht gegen Wachstum und Beschäftigung richtet", lautet einer seiner Kernsätze und den hat er auch gesagt, als es während der Koalitionsverhandlungen zwischen Roten und GRÜNEN schwierig war. Er hält diesen Satz für richtig, deshalb wiederholt er ihn und stört sich nicht daran, dass der eine oder andere in den eigenen Reihen den GRÜNEN mit mehr Verständnis begegnen wollte. "Nein", hat er denen genauso wie den GRÜNEN entgegengerufen, "wir können keine Kompromisse zu Lasten der Zukunftsfähigkeit des Landes machen."
    Edgar Moron hat eine klare Vorstellung von der Zukunft des Landes. " Wir müssen die Kräfte der Menschen entfesseln, bürokratische Hemmnisse abbauen", wiederholt er immer wieder. Obwohl solche Sätze Konjunktur haben, bringen sie Edgar Moron nicht in die Nähe jener liberalen Zeitgeist-Surfer, die manche Debatte beherrschen. Für ihn ist die Freiheit an sich nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung, um die Verhältnisse zu verändern. "Die sozialen Probleme werden steigen, die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiter öffnen", sagt Moron voraus, und noch während er das sagt, spürt man, dass er das nicht hinzunehmen bereit ist. Keine Frage, die soziale Gerechtigkeit ist für ihn keine Vorstellung aus alten Parteiprogrammen, sondern höchst aktuell: "Wenn ich höre, dass viele Kinder unter den Sozialhilfeempfängern sind, empört mich das." Was für ihn daraus folgt, sagt er klar: "Soziale Gerechtigkeit heißt zuallererst: Arbeit für alle."
    Dass junge Menschen arbeitslos sind, mag er nicht hinnehmen. "Da verspielen wir die Zukunftschancen, wir müssen Talente fördern. wo immer wir können." In solche Sätze lässt er einfließen, dass er nach dem Krieg im zerstörten Berlin aufwuchs: "Mein Vater ist im Krieg gefallen, ich habe erfahren, was Not und Armut ist." Damals hat er auch gelernt zu kämpfen und seine Ziele mit Ausdauer zu verfolgen, selbst wenn man sie nicht im ersten Anlauf erreicht. Von der Realschule wechselt er zum Aufbaugymnasium und schafft am Ende das Abitur: "Ich habe vom durchlässigen System in Berlin profitiert, das damals seiner Zeit voraus war." Wenn er heute über Grenzlinien zwischen den Schulen diskutiert, ist diese Erfahrung präsent.
    Sein Interesse an der Politik wird früh geweckt. "Wir hatten eine Schulleiterin, die selbst im KZ saß und viele politische Größen zu uns an die Schule holte", erzählt Moron, der damals Kurt Schumacher, Fritz Erler oder Carlo Schmidt begegnete. Er trat zwar noch nicht in die SPD ein, aber eine andere Partei kam kaum infrage. Nach dem Abitur studierte er in den aufgewühlten 60er-Jahren in Berlin politische Wissenschaften. "Ich habe alles miterlebt, die Anti-Schah-Demonstration. Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, aber ich war kein Aktivist." 1970 zieht er mit seiner Familie ins Rheinland und arbeitet am Kölner Ost-Kolleg in der Erwachsenenbildung, der SPD tritt er end lich bei: "Um für die Gerechtigkeit zu kämpfen." Damals hatte er noch mehr Zeit als heute für seine Leidenschaft jenseits der Politik: "Ich habe in Europa viele 4 000er-Berge bestiegen." Bis heute ist er Mitglied im Alpenverein. " Viel Freiheit-, findet er in den Bergen, aber nicht nur das, "man muss sich auf den richtigen Weg konzentrieren".
    Der Weg in die Politik beginnt 1973. Er wird gefragt, ob er für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion arbeiten will und nimmt das Angebot an. 1975 wählen ihn die Erftstädter in ihren Rat, 1990 in den Landtag. Als Klaus Matthiesen ausscheidet, wünscht er sich Edgar Moron als seinen Nachfolger im Amt des Fraktionsvorsitzenden, das Ergebnis ist bekannt. Dass Moron es ein zweites Mal versucht hat, war keine Frage. Er hat diese Eigenschaften schon in den 70er-Jahren an Herbert Wehner bewundert: "Wir müssen geradlinig, in manchen Fällen kompromisslos und vor allem ausdauernd sein.
    Jürgen Zurheide

    ID: LIN04524

  • Porträt der Woche: Präsident des Landtags.
    Ulrich Schmidt (SPD) will Neuregelung der Abgeordnetendiäten anpacken.
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 10 - 09.06.2000

    Gemessen daran, dass er als Landtagspräsident der ranghöchste Politiker des Landes ist, wenigstens dem Protokoll nach, wohnt Ulrich Schmidt fast schon bescheiden: In der oberen Etage eines zweistöckigen Stadthauses aus den zwanziger Jahren im Zentrum von Wetter an der Ruhr. Zur Miete wohnt er da, zusammen mit seiner Frau. Kinder haben die Schmidts nicht — für wen also Eigentum anschaffen? So könnten sie jederzeit woanders hinziehen, wenn es ihnen nicht mehr gefalle, sagt Ulrich Schmidt. Was wohl eher unwahrscheinlich ist, immerhin wohnen die beiden schon 25 Jahre in dem Haus.
    Viel zu verwurzelt ist Ulrich Schmidt in seinem Sprengel, um einfach seine Sachen zu packen. In Volmarstein, heute einer von vier Stadtteilen Wetters, ist er aufgewachsen. Dort trat er 1964 mit 22 Jahren der SPD bei, dort war er Juso-Vorsitzender, und dort ist er noch immer — seit 1969 — SPD-Ortsvereinsvorsitzender. Fast genauso lange, seit 1970, gehört er dem Rat der Stadt Wetter an: von 1975 bis 1995 war er gar ihr Bürgermeister. Ebenfalls seit 1975 vertritt er den Wahlkreis Ennepe-Ruhr II, zu dem Wetter gehört, im Landtag. Ein Leben voller Kontinuitäten also, dem sich nun eine weitere hinzugesellt: Auch in der neuen Legislaturperiode bekleidet der 58-Jährige das Amt des Landtagspräsidenten, das er schon von 1995 an innehatte.
    Dass seine Partei als stärkste Fraktion erneut ihn nominierte, hat weniger mit Gewohnheitsrecht als vielmehr mit Schmidts ausgleichender Art zu tun, die ihn für dieses Amt prädestiniert. Der Parlamentsbetrieb ist — darin ein Spiegel der Gesellschaft — sehr viel individualistischer geworden als etwa noch zu Zeiten des alten Ständehauses, wo die Abgeordneten einander ständig über den Weg liefen, schon weil nur wenige das Privileg eines eigenen Büros besaßen. Schmidt versteht sich daher auch als eine Art Mentor, an den sich die Abgeordneten mit ihren Problemen wenden können. Das gilt genauso für die 320 Bediensteten der Landtagsverwaltung, deren Chef der Präsident zugleich ist. In der Öffentlichkeit wird indes vor allem die repräsentative Rolle des Landtagspräsidenten wahrgenommen. Alljährlich empfängt er zahlreiche Besucherdelegationen aus aller Welt, darunter in den vergangenen Jahren zunehmend Politiker aus den jungen Demokratien Osteuropas und Afrikas, die sich im größten und wichtigsten deutschen Bundesland über Föderalismus informieren wollen. Dass er einmal eine solche staatstragende Funktion ausfüllen werde, sei ihm nicht in die Wiege gelegt worden, sagt Schmidt. Er ist 1942 geboren, seinen Vater, der in Stalingrad fiel, hat er nie gesehen. Die Mutter musste ihn und seinen Bruder allein großziehen. Gern hätte Schmidt Abitur gemacht und studiert, doch das war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Mit 14 begann er stattdessen eine kaufmännische Lehre bei Hoesch in Dortmund.
    Nach dem Ende der Ausbildung wurde er ein Opfer der ersten großen Stahlkrise: wie alle Lehrlinge wurde er nicht übernommen. Doch bot man ihm kurz darauf eine Stelle in der Betriebskrankenkasse an, wo er es bis zum Gruppenleiter und Referenten für Grundsatzfragen brachte. Angefangen hat er jedoch zunächst in der Schalterhalle. Wie der Lohn wurden auch das Kranken- oder das Sterbegeld damals noch bar ausbezahlt. In den Gesprächen am Schalter erfuhr Schmidt viel von den Sorgen und Nöten der kleinen Leute. Diese Zeit legte mit den Grundstein für Schmidts späteres Engagement als Sozialpolitiker. Sensibilisiert für die Probleme Schwacher und Benachteiligter hat ihn auch der Umgang mit den Körperbehinderten aus der Evangelischen Stiftung Volmarstein, mit denen er schon als Kind im Sandkasten gespielt habe.
    Heute gehört Schmidt dem Aufsichtsrat dieser Stiftung an — nur eine von vielen Aktivitäten, die Schmidts soziales Engagement belegen. So ist er beispielsweise Landesvorsitzender der Lebenshilfe e.V. und gehört dem Vorstand des Diakonischen Werks NRW an. Im Landtag prägte er 20 Jahre lang die Politik im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit. Zeitweilig saß er auch dem gleichnamigen SPD-Arbeitskreis vor.
    Dass im Zweifel jedoch wirtschaftliches Kalkül vor soziale Erwägungen geht, hat Schmidt schmerzhaft in seinem Wahlkreis erfahren müssen. Die Stilllegung der Hattinger Henrichshütte, für deren Erhalt "wir uns die Sohlen durchdemonstriert haben", oder der vergebliche Kampf um den Erhalt der Firma Mönninghoff und diverser Bergbauzulieferer machten die Grenzen politischer Einflussnahme deutlich. Als Schmidt Landtagsabgeordneter wurde, arbeiteten auf der Henrichshütte noch über 10000 Menschen. Zwar konnte er mithelfen, neue Unternehmen auf dem Areal anzusiedeln, wie er auch bei der Gründung der Privatuni Witten-Herdecke eine wichtige Rolle spielte. Einen Ersatz für die verloren gegangenen Massenarbeitsplätze der Montanindustrie indes können die neuen Jobs nicht bieten.
    Während vielerorts im Ruhrgebiet der Strukturwandel jedoch auch mit einem Verlust der Bindungskraft der SPD einhergeht, genießt sie in Schmidts Wahlkreis nahezu ungebrochenes Vertrauen. Bei der Wahl im Mai gewann Schmidt erneut das Direktmandat: mit 52,5 Prozent lag sein Ergebnis nur unwesentlich unter dem der vorherigen Wahl — sicher mit ein Beleg dafür, dass er, der sich selbst als "traditionalistischen Sozialdemokraten'' bezeichnet, auch als Landtagspräsident den Kontakt zu den Menschen vor Ort nicht verloren hat.
    In der neuen Legislaturperiode stellt sich Schmidt darauf ein, dass es im Landtagspräsidium nun etwas "bunter" zugehen wird. Mit dem Wiedereinzug der FDP hat er nicht nur einen Stellvertreter mehr als bisher — überdies tauschten CDU und GRÜNE die von ihnen gestellten Vizepräsidenten aus.
    Zu den Vorhaben, die Schmidt in der neuen Amtsperiode anpacken will, zählt eine Anhebung und Neuregelung der Abgeordnetendiäten — ein in der Öffentlichkeit eher unpopuläres Thema, nach Schmidts Ansicht aber unumgänglich. Die Bezüge der nordrhein-westfälischen Parlamentarier bewegten sich im bundesweiten Vergleich "im unteren Drittel". Damit seien gute Leute "nicht hinter dem Ofen hervorzulocken". Das Thema sei daher auch eine Frage der Qualität der parlamentarischen Arbeit. Sie zu verbessern, ist Schmidt ein wichtiges Anliegen. Die "ritualisierten Beschimpfungen" im Plenum zum Beispiel, die nichts mit argumentativen Schlagabtauschen zu tun hätten, möchte er gerne eindämmen.
    Ein gutes und selbstbewusstes Landesparlament ist für Schmidt kein Selbstzweck, sondern notwendig, um der Verlagerung von immer mehr Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund und die EU zu begegnen. Ganz abgesehen davon, dass der Landtag als "erste Gewalt im Land" seine Interessen auch wirkungsvoll gegenüber der Regierung zu vertreten habe.
    Roland Kirbach

    ID: LIN04541

  • Porträt der Woche: Hannelore Ludwig (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 6 - 28.03.2000

    Stand das letzte Jahr des abgelaufenen Jahrtausends mit zwei persönlichen Jubiläen — der Feier des 50. Geburtstags und der Ehrung anlässlich 25-jähriger Mitgliedschaft in der SPD — auch im Zeichen des Rückblicks und der Erinnerung, so schaut die SPD- Landtagsabgeordnete Hannelore Ludwig zu Beginn des Jahres 2000 entschlossen nach vorn. Fest hat sie ihr wichtigstes Ziel in diesem Jahr im Blick: den erneuten Einzug in den Landtag Nordrhein-Westfalen. Trotz der wenig versprechenden Platzierung auf der SPD-Landesliste, ist sie entschlossen zu kämpfen und den direkten Einzug in den Landtag zu schaffen. Ein schwieriges Unterfangen in einem so "schwarzen" Wahlbezirk wie dem Kreis Höxter in Ostwestfalen. "Es gelingt uns nur mühsam, die festgefahrenen konservativen Strukturen aufzubrechen", gibt Hannelore Ludwig zu. "Aber möglich ist es!" Davon ist die zierliche Persönlichkeit überzeugt, die ihren Mut schon so oft in scheinbar aussichtslosen Wahlkämpfen ihrer Heimatregion unter Beweis gestellt hat. Die Menschen sind offener geworden und schauen sich die Politiker und Politikerinnen, die ihre Interessen vertreten sollen, viel genauer an, ohne dabei nur auf die Partei färben zu achten", so Hannelore Ludwigs Erfahrung.
    Man traut es ihr zu, auch dieses Ziel zu erreichen. Denn wer sie kennt, weiß, dass die Sozialdemokratin ihre persönlichen Erfolge weitgehend ihrer eigenen Kraft und Bereitschaft sich einzusetzen, vieles zu unternehmen und auf sich zu nehmen und der Fähigkeit, sich selbst immer wieder neu zu motivieren, zu verdanken hat. Sei es beruflich als Lehrerin an der Realschule Warburg, politisch als engagierte Landes- und Kommunalpolitikerin wie auch privat als sportliche und vielseitig interessierte Persönlichkeit. Mit der gleichen Konsequenz, mit der Hannelore Ludwig ihrer politischen Überzeugung folgt, gestaltet sie auch ihr Privatleben. Auch wenn die Zeit durch die vielfältigen landespolitischen Aufgaben knapp geworden ist, sieht man sie oft im Warburger Waldschwimmbad in aller Herrgottsfrühe ihre Bahnen ziehen. 1 000 Meter gelten als das Minimum. So hält sich die jung gebliebene 50-Jährige fit, die es genießt, nach der sportlichen Leistung frisch und gestärkt in den neuen Tag zu starten.
    Wenn es die Zeit zulässt, liest sie sich quer durch die zeitgenössische Literatur. Auch auf der Fahrt in den Urlaub, wo es sie immer wieder nach Frankreich zieht, hat sie garantiert einen Koffer voller Bücher im Gepäck. Ihre romantische Ader lebt sie besonders gern beim Radeln durch die blühende Lavendellandschaft der Provence aus. Getrocknete Sträuße ihrer duftenden Lieblingsblumen erinnern sie zu Hause an den letzten Urlaub und wecken die Vorfreude auf den nächsten.
    In der Zwischenzeit fordert sie die politische Tätigkeit im Landtag, im Rat der Stadt Warburg und in der SPD, für deren Ziele sie sich aus Überzeugung einsetzt. Ungebrochen sind ihr Gerechtigkeitssinn und das Verantwortungsgefühl für die Schwachen in der Gesellschaft. Diese Eigenschaften haben sie einst zur SPD geführt und sind bis heute die Triebfeder ihres Handelns. "Wir leben nun einmal nicht in einer heilen Welt, aber es tut gut, dazu beizutragen, sie in Teilbereichen menschlicher zu gestalten", sagt Hannelore Ludwig.
    Offen und sensibel für Zwischentöne geht sie auf ihre Mitmenschen zu, hört ihnen zu und bemüht sich in Problemfällen Lösungen zu finden. Aber auch in Zeiten stärkster Anforderungen sucht sie stets den Ausgleich, der ihr zu einem klaren Kopf, zu Ruhe und Gelassenheit verhilft. Dann geht es auf zur Kanufahrt auf der Diemel, zur Radtour durch das Warburger Land oder zum Segelflugplatz, wo sie das Hobby von Ehemann Reinhard Ludwig teilt. Ein wichtiges Stück Lebensqualität bedeutet für Hannelore Ludwig besonders auch der Austausch mit der Familie und guten Freunden. Gern lädt sie sich Gäste ein, die die Hobbyköchin kulinarisch verwöhnt.
    Roswitha Hoffmann-Wittenburg

    ID: LIN04722

  • Porträt der Woche: Gisela Lehwald (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 01.02.2000

    Kurzweilig ist es, sich mit Gisela Lehwald zu unterhalten. Die vereinbarte Gesprächszeit vergeht wie im Fluge. Noch eine interessante Information aus ihrem Leben, ein weiterer Gedanke — die Unterredung mit dem fremden Gegenüber, welche die Abgeordnete zunächst vorsichtig tastend begonnen hatte, gewinnt schnell an Schwung und endet später, als es beide Seiten geplant hatten.
    Die SPD-Politikerin vom Geburtsjahrgang 1950 ist noch jung im Landtag. Am 4. Januar 1999 war sie über die Liste nachgerückt. 1990 hatte Gisela Lehwald schon einmal für das Parlament kandidiert. "Aber Sie wissen ja, ich komme aus dem Kreis Olpe, einem rabenschwarzen Landstrich." Dort muss man als Sozialdemokrat gemeinhin auf die Zugkraft der Liste vertrauen. Und so hatte denn damals die junge Frau von Dezember 1994 bis Mai 1995 schon einmal als Nachrückerin Landtagsluft schnuppern können.
    Sie wünscht sich, einmal eine volle Legislaturperiode arbeiten zu können. Ginge es nach ihrem Mann, der zwei Kinder mit in die Ehe gebracht hat, Antiquitäten restauriert und verkauft, wären die Lehwalds schon im Ausland — in Australien zum Beispiel, wohin ein jüngerer Bruder der Lennestädterin ausgewandert ist.
    Aber sie selbst hat noch zuviel Spaß an der Politik, als dass sie dem Wunsch des Angetrauten nach Auszug aus Deutschland nachgäbe. Und wenn überhaupt Auslandsleben, dann würde sie eher im europäischen Ausland siedeln. Gisela Lehwald nennt beispielsweise Frankreich oder Italien. Sie kennt sich aus in so manchen Ecken der Welt. Mit dem VW-Bus war man in Iran, in der Türkei. Auch Australien hat das Ehepaar Lehwald kennengelernt Nordamerika zu besuchen, hat sich die Alt-68erin, die einmal eine aufbegehrende Linke in der SPD war, vorgenommen. Sie sei offen, mögliche Vorurteile abzubauen. Gisela Lehwald wuchs nicht nur in einer konservativ geprägten Gegend Nordrhein-Westfalens auf, auch im Elternhaus biss das junge Mädchen in den Jahren seines politischen Erwachsenwerdens auf Granit. Vor allem beim Vater, der es nicht gerne sah, dass die Tochter gegen die gegebenen Verhältnisse aufbegehrte. Zu acht Geschwistern war man daheim in Meggen, darunter gab es fünf ältere Brüder. Die Männer im Hause genossen eine früher durchaus undiskutierte Vorzugsbehandlung, wenn es um Heimarbeiten rund um Tischdecken, Geschirrspülen et cetera ging. Die junge Gisela, vom politischen Aufbruch Ende der Sechziger stark infiziert und von Willy Brandts Visionen begeistert, lockte wider den väterlich-brüderlichen Stachel.
    Und sie biss sich durch. Sie begann in Bochum ein beispielsweise mit Postaustragen finanziertes Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften. Später legte sie beide Examina fürs höhere Lehramt ab. Studienrätin wurde sie dennoch nie. Die Fächerkombination sei nicht ideal gewesen.
    Gisela aus dem Olper Land war politisch ein wildes Mädel. Ja, man habe geglaubt, die Welt radikal verändern, selbstverständlich verbessern zu können. Die Examensarbeit handelte vom Nord-Süd-Konflikt am Beispiel Nicaraguas. Sie sagt es nicht so, aber man meint den Seufzer doch herauszuhören: Waren das noch bewegte politische Zeiten mit Idealen. Und heute? Natürlich fehle das Begeisternde dieser Jahre ein bisschen. Jetzt müsse politisch viel Kleinkram erledigt werden. Die Zwänge der Ökonomie, besonders im forteilenden Prozess der Globalisierung, nimmt die einst glühende Linke realistisch zur Kenntnis. Allerdings: Die Politik dürfe sich nicht alle Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand nehmen lassen. Käme es dazu, hätte sie keine Lust mehr, sich politisch zu engagieren. Zur Umweltbewegung, um die es längst leiser geworden ist, sagt sie: "Früher, da ging es noch um qualitatives Wachstum, heute heißt es nur Wachstum, Wachstum."
    So einer wie Gisela Lehwald sind die GRÜNEN politisch sympathisch. Ihnen beizutreten, stand nicht zur Debatte, weil sie schon lange bei der SPD (seit 1970) war, als die GRÜNEN erste Gehversuche in der Politik machten.
    Anfangs wurden Gisela Lehwald und ihre Juso-Mitaktivisten besonders auf den Dörfern des Kreises Olpe nicht nur wie Exoten betrachtet. Links und dann noch Frau. Das sei bis hin zu massiven Drohungen gegangen, erinnert sich Gisela Lehwald, die aufmüpfige Tochter eines Steigers und die Enkelin einer Frau, die schon 1915, als die Frauen noch kein Wahlrecht besaßen, zur SPD gegangen war.
    Nachdem es mit der Anstellung als Lehrerin nicht geklappt hatte, verdiente sich die Assessorin ihr Leben mit Volkshochschulkursen in Deutsch, beispielsweise für Ausländer. Auch das Organisieren lernte die Olper Ratsfrau — als Geschäftsführerin des mit 16000 Mitgliedern größten SPD-Unterbezirks Dortmund. In der Ruhrmetropole wurde sie, anders als in der vergleichsweise heilen Olper Welt, schnell mit sozialen Nöten konfrontiert. Am Tag der Kommunalwahlen, dem 12. September, fuhr ihr der Schock in die Glieder. In Dortmund sei die Partei bei der Stichwahl zwar mit einem blauen Auge davongekommen, aber ansonsten: "Ich hätte die Einbrüche so nicht für möglich gehalten."
    Die Politikerin, die zugibt, zuhause keine regelmäßige Köchin zu sein, hat einmal mit dem Journalistenberuf geliebäugelt. Das rege Interesse an geistiger Nahrung befriedigt Frau Lehwald mit der Lektüre nicht nur politischer Bücher. Früher wurde sie sehr beeinflusst von Thomas Mann und Hermann Hesse. Gern liest sie Günter Grass.
    Reinhold Michels

    ID: LIN04944

  • Porträt der Woche: Irene Möllenbeck (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 18.01.2000

    Die Politik im Tower, die Basis außer Sichtweite — von der Vorstellung ist die Sozialdemokratin Irene Möllenbeck weit entfernt. Nahe dran an den Menschen war sie bereits als junges Mädchen durch ihr Engagement in der Katholischen Jugendbewegung (KJG), denn da hieß es Klinken putzen bei den örtlichen Kommunalpolitikern. Leidige Erfahrung schon damals: Dass oft vieles zugesagt und nicht allzuviel gehalten wird.
    Irene Möllenbeck stammt aus Palzem bei Trier und kam als 14-Jährige mit den beiden Brüdern und ihren Eltern nach Emmerich, weil der Vater dort als Zöllner eine neue Aufgabe übernahm. Öffentlicher Dienst bedeutete Sicherheit, und deren Stellenwert wurde auch der Tochter vermittelt. Statt ihren Traumjob als Kunsterzieherin zu verwirklichen, ging Irene Möllenbeck, die mittlere Reife in der Tasche, zur Post. Nach vier Jahren Ausbildung bei der Oberpostdirektion in Düsseldorf kehrte sie 1971 an den Niederrhein zurück. Hier lernte sie ihren Mann kennen, heiratete und wurde schließlich Mutter einer Tochter.
    Damit kam die Politik ins Spiel, denn die junge Mutter wollte nach einer Erziehungspause wieder arbeiten und musste feststellen, dass es in den Kindergärten erstens nicht genug Plätze und zweitens keine passenden Öffnungszeiten gab. Fest entschlossen, das zu ändern, trat Irene Möllenbeck im Herbst 1979 im christdemokratisch regierten Emmerich in die SPD ein, um fortan aktiv mitzugestalten.
    Mit ihrem Hintergrund lag der Schwerpunkt Jugendpolitik auf der Hand. Das frisch gebackene Parteimitglied ging wieder Klinken putzen — diesmal bei den Jugendverbänden — und machte prompt eine weitere, "merkwürdige" Erfahrung: "Die waren ganz erstaunt, dass da auf einmal eine an der Basis erschien, ohne eingeladen zu sein." An den Bedürfnissen derer, die sie vertritt, ganz nahe orientiert zu sein, ist deshalb bis heute ihr Motto geblieben, egal ob als Ratsmitglied (seit 1987) oder als Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt (von 1992 bis 1994). Seit der verloren gegangenen Kommunalwahl im Jahre 1994 führt sie die SPD-Ratsfraktion als Vorsitzende. Im Mai 1995 kandidierte Irene Möllenbeck zum ersten Mal für den Landtag in Düsseldorf, in den sie im Januar 1998 nachrückte.
    Zu wenig Kindergartenplätze und unflexible Öffnungszeiten sind längst Schnee von gestern, doch Jugend, Schule, Kultur, Frauen die Eckpfeiler ihrer Politik geblieben. Über die Frauen kamen die Bereiche Stadtentwicklung und Wirtschaft, über den Landtag die Arbeit im Innen- und im Sportausschuss hinzu. Doch auf welchem Feld auch immer: Wenn sich die Sozialdemokratin reinkniet, dann mit Herz, Engagement und Durchsetzungsvermögen, wohl wissend, dass ihre Schmerzgrenze für Gelassenheit wie für Geduld eng gesteckt ist, ihr Temperament und Anspruch manchen überfordern. Die Fähigkeit, offen auf andere zuzugehen und zuhören zu können, macht sie zu einer gefragten und respektierten Ansprechpartnerin. Dass sie selbst vor unangenehmen Diskussionen keine Angst hat, wissen indes vor allem männliche Mitstreiter nicht immer zu schätzen.
    "Ich kann nicht jedes Problem zur Zufriedenheit aller lösen, aber ich bemühe mich darum", erklärt die Vollblutpolitikerin, die sich immer auch als Lernende sieht. Karriere stand für sie übrigens nie an vorderster Stelle: "Funktionen sind wichtig, um größere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, aber nicht um jeden Preis", sagt die 49-Jährige. Kraft tankt sie zu Hause mit ihrem Lebenspartner, beim Radfahren über den Deich nach Holland, beim Lesen und Reisen. Entspannen kann sie zudem mit Kunst und kulinarischen Genüssen. Ob selbst zubereitet oder nicht, ist dabei zweitrangig. "Hauptsache lecker".
    Gabriele Krafft

    ID: LIN04968

  • Porträt der Woche: Ulrike Apel-Haefs (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 21 - 15.12.1999

    Sie folgt vor allem ihren Neigungen, ob bei der Wahl ihres Berufes, ob im privaten Bereich oder in der Politik — und sie bewahrte sich bis heute ihre Unabhängigkeit, die ihr die Voraussetzung bietet, vorurteilsfrei und unbeeinflusst politisch zu agieren: Ulrike Apel-Haefs, im Juli dieses Jahres über die SPD-Landesliste für Bundespräsident Johannes Rau in den Landtag nachgerückt.
    Die gebürtige Thüringerin, Jahrgang 1952, die als Sechsjährige mit ihren Eltern aus der ehemaligen DDR nach Mönchengladbach-Rheydt floh, studierte nach dem Abitur Germanistik und Geschichte an der Universität Düsseldorf. "Ich hatte schon in der Schule großen Gefallen an Geschichte." Nach dem 1. Staatsexamen reizte es sie, als wissenschaftliche Mitarbeiterin am dortigen Historischen Institut für Neuzeit die Spuren der Geschichte zu erkunden. Heute unterstützt sie ihren Ehemann in seiner Arztpraxis.
    Zwar sympathisierte die Korschenbroicherin schon in jungen Jahren inhaltlich mit der SPD, doch zu einem Eintritt in die Partei konnte sie sich vorerst nicht entschließen. Erst Anfang der achtziger Jahre, als die damalige sozial-liberale Koalition in Bonn vor ihrem Ende stand, "hatte ich das Gefühl, sie unterstützen zu müssen". Doch sie, die was "bewegen" wollte, frustrierten zunächst die Interna eines Ortsverbandes.
    Als Ulrike Apel-Haefs dann ermuntert wurde, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Korschenbroich zu gründen, nahm sie das Angebot an, auch initiierte sie die Wiedergründung der AsF auf Unterbezirksebene und war deren stellvertretende Vorsitzende.
    Seit 1989 gehört die Sozialdemokratin dem Neusser Kreistag an, wo sie sich, ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechend, insbesondere für den kulturellen Bereich engagiert. Unter ihrer tatkräftigen Mitwirkung wurden beispielsweise mehrere Kultureinrichtungen erweitert und ihnen neue Impulse gegeben, so u.a. das Kulturzentrum Zons, Schloß Dyck und das Landwirtschaftsmuseum in Rommerskirchen- Sinnsteden.
    Eine neue Herausforderung sah Ulrike Apel-Haefs in dem Angebot ihrer Parteifreunde, für die Landtagswahl 1995 im Wahlkreis Neuss IV zu kandidieren. Zwar holten ihn wiederum die Christdemokraten, doch über die Landesliste kam die Korschenbroicherin jetzt doch noch ins Landesparlament. "Daran glaubte ich anfangs nicht."
    Besonders erfreut ist die Abgeordnete darüber, dass ihre Fraktion sie in den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung berief — ein Wunschgremium, wo sie ihre Erfahrungen einbringen kann. Die frühere wissenschaftliche Mitarbeiterin befürwortet entschieden eine größere Autonomie der Hochschulen, um sie fit zu machen für den Wettbewerb. Dazu zähle auch, dass sie sich ihrerseits stärker der Öffentlichkeit öffnen müssten. Nach ihrer Ansicht ist auch ein privates Engagement für die Universitäten erforderlich, "die Bereitschaft dazu besteht grundsätzlich". Die SPD-Landtagsabgeordnete ist natürlich auch am bundespolitischen Geschehen sehr interessiert. So habe sie dem Regierungswechsel im letzten Jahr "viel Optimismus" entgegengebracht. Besonders der Ansatz Schröders, die SPD vermehrt gesellschaftlichen Gruppierungen gegenüber zu öffnen, die bisher nicht zu den traditionellen Wählerschichten der Partei gehörten, habe sie schon lange Zeit für notwendig gehalten. Ihrer Überzeugung nach hat diese Öffnung auch maßgeblich zum SPD-Wahlerfolg beigetragen. Die SPD habe nach ihren Worten den gesellschaftspolitischen Auftrag, Rahmenbedingungen zu schaffen für neue und sichere Arbeitsplätze, für Bildung und Qualifizierung sowie den sozialpolitischen Auftrag, die Absicherung großer Lebensrisiken zu gewährleisten. Für diese Aufgaben müsse sie gerade diejenigen, die in unserer Gesellschaft leistungsfähig seien, im Konsens mit "ins Boot" holen. Gerade kleine und mittelständische Betriebe seien es, mit denen man die Weiterentwicklung des Strukturwandels besonders auch hier in NRW schaffen könne. Das heißt aber auch, so die SPD-Abgeordnete, deren Anliegen ernst zu nehmen, deren Leistung und Erfolg auch anzuerkennen, und sie nicht sofort unter dem Gesichtspunkt der zusätzlichen Mehrbelastung zu betrachten.
    Die Korschenbroicherin weiß, dass diese Ansicht in der SPD nicht unumstritten ist — "dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir nur so den gesamtgesellschaftlichen Konsens erreichen, der für die Bewältigung unserer Probleme erforderlich ist."
    Entspannung findet Ulrike Apel-Haefs beim Klavierspielen, wobei sie die Klassik besonders schätzt, und bei der Lektüre, insbesondere von Biografien. Und schließlich bieten gemeinsame Spaziergänge mit ihrem Ehemann Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Jochen Jurettko

    ID: LI992142

  • Porträt der Woche: Loke Mernizka (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 19 - 23.11.1999

    Wenn Loke Mernizka den Mund aufmacht, kommt es schon mal vor, dass er von Menschen, die ihn nicht kennen, gefragt wird, ob er denn Amerikaner sei. Darauf kommen sie, weil er das R wirklich außergewöhnlich stark rollt. Er nimmt das nicht krumm, sondern antwortet meist mit einem Bekenntnis zur Mundart seiner Heimat: "Ich liebe das Siegerländer Platt mit den gutturalen Lauten!"
    Dass er auch die deftigen kulinarischen Genüsse des Siegerlandes zu schätzen weiß, davon legt seine stattliche Leibesfülle Zeugnis ab. "Ich hab' halt immer gewusst, wo die besten Leberwürste und Blutwürste hängen", sagt er lachend — und überspielt damit, dass er als Kind wenig zu essen hatte. Ins Gedächtnis hat sich ihm tief eingegraben, wie seine Mutter nach dem Krieg immer wieder auf Hamsterfahrt ging, um für ihn und seine Schwester Nahrungsmittel zu beschaffen. Loke Mernizka, der seinen seltenen Vornamen einer dämonischen Sagengestalt der nordgermanischen Mythologie verdankt, wurde als Spross polnischer Einwanderer 1939 im Dorf Dillnhütten bei Siegen geboren. So wie der Vater, der 1944 fiel, und wie der Großvater wurde auch er, nachdem er mit 14 die Volksschule beendet hatte, Walzwerker in den Stahlwerken Südwestfalen, die später von Krupp übernommen wurden.
    Und damit begann auch schon seine politische Karriere. Der Halbwüchsige trat der IG Metall bei und schloss sich der Gewerkschaftsjugend-Gruppe an. Bald wurde er Vertrauensmann, später Vertrauensleute-Vorsitzender. An der Gewerkschaftsarbeit störte ihn aber nach einiger Zeit, "dass man an Grenzen stößt", sagt er, "man kann nicht entscheiden". So trat er mit 26 Jahren in die SPD ein und stieg rasch bei den Jusos auf. In der damals vor allem von Schülern und Studenten dominierten Jugendorganisation brachte er es als eine Art Vorzeigearbeiter bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden.
    Auch in der Mutterpartei erklomm er die Karriereleiter. Bald gehörte er dem Unterbezirksvorstand der SPD in Siegen-Wittgenstein an, wenig später dem Bezirksvorstand Westliches Westfalen. Er saß im Landesausschuss der NRW-SPD und im Parteirat. Und schon seit Juso-Zeiten engagierte er sich in der Kommunalpolitik, war von 1977 bis 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD im Siegener Rat. 1980 rückte er in den Landtag ein und ist dort heute stellvertretender SPD-Fraktionschef.
    Alle Ämter aufzuzählen, die Loke Mernizka im Lauf seines Politikerlebens oft zeitgleich innehatte, würde leicht in eine Litanei ausarten. "Ich konnte reden und ich hatte Ahnung", erklärt er selbst ohne falsche Bescheidenheit seinen Aufstieg — der ihm nie Selbstzweck war, sondern stets seinem Ziel diente, die Situation der Menschen zu verbessern.
    So ist er heute stolz darauf, im Landtag an einer Strukturpolitik mitgewirkt zu haben, deren Auswirkungen man sehen könne, in den Industrieregionen wie auf dem Land. Oder darauf, als Aufsichtsratsmitglied bei Krupp mitgeholfen zu haben, Arbeitsplätze zu erhalten. Derzeit erfüllt ihn seine Aufgabe im EU-Ausschuss der Regionen in Brüssel sowie als Vizepräsident der Vereinigung der Stahlregionen der EU. Mit den EU-Beitrittskandidaten wie Polen bespricht er, wie man den Strukturwandel am besten bewältigt.
    Bald soll mit diesem vielfältigen politischen Leben jedoch Schluss sein. Zur Landtagswahl im kommenden Mai kandidiert er nicht wieder. Kein einziges seiner Ämter will er behalten, einen Teil hat er bereits aufgegeben. "Man muss aufhören, wenn man es noch selbst entscheiden kann", sagt er, eine für Politiker eher seltene Einsicht. Ihn habe ein Erlebnis auf einem Parteitag Mitte der siebziger Jahre geprägt, erzählt er, als der legendäre Carlo Schmid mit damals beinahe 80 Jahren noch einmal für den Vorstand kandidierte und durchfiel.
    Loke Mernizka macht aber keinen Hehl daraus, dass ihm auch der Politikbetrieb mit der zunehmenden Individualisierung fremd geworden ist. Keiner nehme sich mehr Zeit für den anderen, statt beisammen zu sitzen, hockten die Kollegen nun oft bis spät abends einzeln in ihren Büros vor den Computern. "Es wird heute zu wenig diskutiert", bemängelt er.
    Besonders zu schaffen macht das einem geselligen Menschen wie ihm, der ganze Parteitage mit seiner Gesangskunst zu unterhalten pflegte. Er wäre gerne Sänger geworden, gesteht er. Über eine "gewaltige Tenorstimme" habe er einst verfügt. Inzwischen ist daraus zwar ein nicht mehr ganz so voluminöser Bariton geworden, doch um sich die Angst vor dem großen Loch nach einem erfüllten Arbeitsleben von der Seele zu singen, dazu reicht es allemal. "Singen hilft gegen Depressionen, es macht furchtlos", sagt er.
    Roland Kirbach

    ID: LI991957

  • Porträt der Woche: Brigitte Speth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 17 - 26.10.1999

    Ein Faible für die SPD hatte Brigitte Speth schon immer. Mit ihrem Eintritt in die Partei allerdings ließ sie sich Zeit, "das war ein langer Prozess", erinnert sich die 54-Jährige heute. Brigitte Speth war in der Studentenbewegung aktiv und hat 1972 in einer parteiunabhängigen Initiative mitgearbeitet und Willy Brandt unterstützt. Schon zu diesem Zeitpunkt spielte sie mit dem Gedanken, SPD-Mitglied zu werden, aber erst sieben Jahre später war es dann soweit: Die Sicherheits-und Friedenspolitik unter SPD-Kanzler Helmut Schmidt ging Brigitte Speth gegen den Strich, und sie beschloss, sich die Partei von innen anzusehen und aktiv mitzuarbeiten. Bereits ein Jahr später wurde sie stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Derendorf-Golzheim, seit 1993 ist sie stellvertretende Unterbezirksvorsitzende in Düsseldorf.
    Brigitte Speths politische Leidenschaft gilt der Bildungspolitik. Die Diplomphysikerin hat mehrere Jahre an Gymnasien in Alsdorf und Düsseldorf unterrichtet, bis sie 1978 als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Landesinstitut für Schule und Weiterbildung wechselte. Dort war sie zuständig für die Bereiche Gesamtschulen und Arbeit mit ausländischen Kindern: "Grundsatzarbeit — das habe ich schon immer unheimlich gerne gemacht." Brigitte Speth ist eine Verfechterin der Gesamtschule, sie selbst hat in Düsseldorf am Aufbau der Heinrich-Heine-Gesamtschule mitgearbeitet. Sind die Gesamtschulen reformbedürftig? Brigitte Speth gibt darauf eine diplomatische Antwort: "Alle Schulen sind reformbedürftig, das gilt auch für die Gesamtschulen, es gibt gute und schlechte." Reformvorstellungen in Sachen Bildung hat Brigitte Speth en masse. Eine stärkere Öffnung der Schulen zu ihrem Umfeld würde die SPD-Politikerin begrüßen. Die Schulen, fordert Brigitte Speth, müssten ihre eigenen Ergebnisse überprüfen, mehr Eigenverantwortung übernehmen. Allerdings: "Dabei ist die Rolle des Staates zu klären."
    Außerdem wünscht sich Brigitte Speth von den Kommunen eine stärkere Verantwortung für die Schulpolitik vor der eigenen Haustür, beispielsweise wenn es um die Profilbildung der gymnasialen Oberstufen in einer Stadt geht: "Das Angebot muss abgestimmt sein, wenn es mehrere Schulen in einer Stadt gibt." Auch bei der Organisation von mehr Ganztagsangeboten an allen Schulen sieht Brigitte Speth die Kommunen in der Pflicht. Kooperationsmodelle mit Kirchen, Sportvereinen, Trägern von Jugendarbeit, "das kann man nur in der Kommune organisieren, da wünsche ich mir eine Art Koordinierungsstelle in jeder Stadt."
    Brigitte Speth ist seit 1985 Landtagsabgeordnete, bei der Wahl 2000 will sie wieder kandidieren. Sie mag die Arbeit im Landtag wegen ihrer Vielfältigkeit. Inhaltlich und konzeptionell arbeiten, "das ist eine meiner Stärken". Doch es könnte eng werden für Brigitte Speth, denn sie vertritt den Wahlkreis VI in Düsseldorf, früher immer ein klassischer CDU-Wahlkreis. 1985 gelang es ihr erstmals, den Kreis für die SPD zu holen, doch bei der letzten Wahl fiel das Ergebnis knapp aus. Auf die Sozialdemokraten kommt in der nächsten Zeit eine Menge Arbeit zu, da ist sich Brigitte Speth sicher: Die Partei muss Kompetenz zeigen, wenn es um zentrale Themen wie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Wirtschafts- und Bildungspolitik geht, "das erwarten die Leute im Land von uns".
    Gut möglich also, dass die SPD- Politikerin in der nächsten Zeit kaum noch dazu kommen wird, ihre Hobbies zu pflegen. Brigitte Speth ist eine leidenschaftliche Fotografin. Am liebsten fotografiert sie Landschaften und Details wie zum Beispiel Türen, Fenster oder Kamine. Eine kleine Nichte hat Brigitte Speth gleich zu zwei Hobbies inspiriert: Sie schreibt Kindermärchen ("nur für den Hausgebrauch") und baut Puppenstuben. Außerdem ist Brigitte Speth gerne auf Reisen, am liebsten in Griechenland.
    Ulrike Coqui

    ID: LI991757

  • Porträt der Woche: Svenja Schulze (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 16 - 05.10.1999

    "Man kann mehr bewegen, als ich dachte", hat Svenja Schulze überrascht festgestellt. Als die frühere nordrhein-westfälische Juso-Landesvorsitzende vor gut zwei Jahren als Nachrückerin in den Düsseldorfer Landtag einzog, äußerte sie sich zunächst sehr zurückhaltend über ihre Wirkungsmöglichkeiten als Parlamentarierin. Zwar traute sich die SPD-Frau zu, "ein paar Akzente zu setzen", meinte aber auch ganz realistisch: "Ich glaube nicht, dass ich mal eben eine kleine Revolution in der Fraktion durchführen kann."
    Nach gut zwei Jahren Parlamentsdasein revidiert die heute 29-Jährige ihre Einschätzung: "Damals habe ich tatsächlich tiefgestapelt, schon allein, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Als Anfängerin und dazu noch als Nachrückerin kann man ja keine großen Forderungen stellen." Svenja Schulze kam als Nachfolgerin des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Stefan Frechen, der ins Finanzministerium wechselte, in das Landesparlament. Von ihm übernahm sie die Arbeit im Ausschuss für Innere Verwaltung. Außerdem wurde sie Mitglied im Rechtsausschuss und im Ausschuss für Migrationsangelegenheiten.
    Eine glückliche Kombination, wie Svenja Schulze heute urteilt. "Da greifen verschiedene Themenbereiche ineinander", sagt die Sozialdemokratin. Beispielsweise werden Polizeifragen, Jugendkriminalität, Opferschutz und Passfragen in jedem der drei Ausschüsse behandelt. "Wie in einem Netzwerk verknüpfen sich die Probleme. Dadurch wird die Arbeit interessant und teilweise richtig spannend", hat sie festgestellt und fügt hinzu: "Man erlebt mit, wie sich aus verschiedener Sicht politische Meinungen bilden und schließlich konkretes Handeln entwickelt." Neben dieser Sacharbeit sieht sich die 29-Jährige, die nicht nur jüngstes SPD-Fraktionsmitglied, sondern das Nesthäkchen im ganzen Düsseldorfer Landtag ist, in einer Art Scharnierfunktion. "Ich verstehe mich als Ansprechpartner für Jüngere", sagt sie und setzt hinzu: "Einerseits möchte ich die andere Sichtweise und andere Sozialisation der jüngeren Bürger in das Parlament tragen, andererseits nach außen verständlich machen, was wir im Parlament tun und auf diese Art von innen nach außen wirken." Aus ihrer Sicht klappt das ausgezeichnet. "Es gibt überraschend viel Jüngere, die sich gezielt an mich wenden. Da heißt es dann: Du bist zwar nicht meine Wahlkreisfrau, aber in meinem Alter. Kannst Du mal erklären oder kannst Du helfen?" Erst seitdem Svenja Schulze im Landtag ist, weiß sie, dass man als Abgeordnete tatsächlich in vielen Fällen helfen kann, zumindest und vor allem mit Fiat, wo man am besten bei dem einen oder anderen Problem ansetzt.
    Auch der frauenpolitische Bereich ist ein politischer Tummelplatz der jungen SPD-Abgeordneten. Auch hier sieht sie sich vor allem in einer Scharnierfunktion. Zum einen versucht sie, Frauenansichten in das Parlament zu tragen, zum anderen Frauen für Politik zu interessieren. Ihr besonderes Anliegen ist es, jüngere Frauen dazu zu bringen, dass sie bereit sind, Verantwortung in der Politik zu übernehmen.
    Wichtig findet sie es, dass junge Frauen politische Positionen anstreben und nicht freiwillig immer wieder zurückstecken. "Wir wollen in die erste Reihe", hämmert sie ihren jugendlichen Parteifreundinnen ein, wohl wissend, dass gerade viele von den ganz jungen Frauen bei den vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen keine Lust haben, in dar ersten Reihe zu stehen oder sich nicht sicher sind, ob sie genug Kraft haben, die herrschenden Strukturen aufzubrechen.
    Neben dem ureigenen Willen, politisch mitzugestalten, der Svenja Schulze beherrscht, war natürlich auch ein bisschen Unterstützung von den etablierten Parteifreunden bei der politischen Karriere der jungen SPD-Frau hilfreich. Bei Svenja Schulze war es Ministerpräsident Johannes Rau, der sich nachhaltig dafür einsetzte, dass die engagierte Juso-Dame bei der Landtagswahl 1995 auf die Reserveliste gehievt wurde.
    Svenja Schulze landete ziemlich weit vorne auf Platz sieben. Doch das reichte in NRW nicht für den sofortigen Einzug in den Landtag. Es dauerte immerhin noch zwei Jahre bis eines Abends bei ihr das Telefon klingelte und die damalige Parlamentarische Geschäftsführerin Birgit Fischer Svenja Schulze fragte. "Was machst Du gerade? Komm mal vorbei. Morgen hast Du Deine erste Fraktionssitzung."
    Da hatte die 1968 in Hattingen geborene Svenja Schulze gerade ein halbes Jahr ihr Studium der Germanistik und Politikwissenschaften mit der Magisterprüfung an der Bochumer Universität abgeschlossen und jobbte freiberuflich bei einer Werbeagentur im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Dass Politik zu ihren besonderen Interessen gehören würde, kristallisierte sich bei der SPD-Frau schon früh heraus. Bereits mit 14 oder 15 Jahren guckte sie sich bei den Parteien um. Über die Schülerinnenarbeit ist sie dann schon bald bei den Genossen gelandet.
    1988 wurde sie Mitglied in der SPD und bei der IG Metall. Im gleichen Jahr avancierte sie zur Landesschülersprecherin NRW. 1990/91 war Svenja Schulze Vorsitzende des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (ASTA) an der Ruhr-Universität Bochum, von 1993 bis 1997 Juso-Landesvorsitzende und seit 1996 ist sie Mitglied im SPD-Landesvorstand.
    Im kommenden Frühjahr möchte sie erneut für den Landtag kandidieren, denn die Arbeit macht ihr richtig Spaß. "Das "feedback" ist enorm und die Landespolitik konkreter als die politische Arbeit auf anderen Ebenen", sagt sie. Berlin — und damit die Bundespolitik reizt sie nicht. Dann schon eher die europäische Ebene. Aber bis dahin hat die SPD-Landtagsabgeordnete noch viel Zeit.
    Auf Svenja Schulzes Freizeitplan stehen neben Lesen und Reisen, mit dem Freund und Bekannten kochen und diskutieren. Svenja Schulze: "Besonders wichtig ist es mir, rauszugehen und mit Leuten zu klönen. Deshalb sind wir abends auch gern mal in einer Kneipe."
    Gerlind Schaidt

    ID: LI991675

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Die Fraktionen im Landtag NRW