Kurzweilig ist es, sich mit Gisela Lehwald zu unterhalten. Die vereinbarte Gesprächszeit vergeht wie im Fluge. Noch eine interessante Information aus ihrem Leben, ein weiterer Gedanke die Unterredung mit dem fremden Gegenüber, welche die Abgeordnete zunächst vorsichtig tastend begonnen hatte, gewinnt schnell an Schwung und endet später, als es beide Seiten geplant hatten.
Die SPD-Politikerin vom Geburtsjahrgang 1950 ist noch jung im Landtag. Am 4. Januar 1999 war sie über die Liste nachgerückt. 1990 hatte Gisela Lehwald schon einmal für das Parlament kandidiert. "Aber Sie wissen ja, ich komme aus dem Kreis Olpe, einem rabenschwarzen Landstrich." Dort muss man als Sozialdemokrat gemeinhin auf die Zugkraft der Liste vertrauen. Und so hatte denn damals die junge Frau von Dezember 1994 bis Mai 1995 schon einmal als Nachrückerin Landtagsluft schnuppern können.
Sie wünscht sich, einmal eine volle Legislaturperiode arbeiten zu können. Ginge es nach ihrem Mann, der zwei Kinder mit in die Ehe gebracht hat, Antiquitäten restauriert und verkauft, wären die Lehwalds schon im Ausland in Australien zum Beispiel, wohin ein jüngerer Bruder der Lennestädterin ausgewandert ist.
Aber sie selbst hat noch zuviel Spaß an der Politik, als dass sie dem Wunsch des Angetrauten nach Auszug aus Deutschland nachgäbe. Und wenn überhaupt Auslandsleben, dann würde sie eher im europäischen Ausland siedeln. Gisela Lehwald nennt beispielsweise Frankreich oder Italien. Sie kennt sich aus in so manchen Ecken der Welt. Mit dem VW-Bus war man in Iran, in der Türkei. Auch Australien hat das Ehepaar Lehwald kennengelernt Nordamerika zu besuchen, hat sich die Alt-68erin, die einmal eine aufbegehrende Linke in der SPD war, vorgenommen. Sie sei offen, mögliche Vorurteile abzubauen. Gisela Lehwald wuchs nicht nur in einer konservativ geprägten Gegend Nordrhein-Westfalens auf, auch im Elternhaus biss das junge Mädchen in den Jahren seines politischen Erwachsenwerdens auf Granit. Vor allem beim Vater, der es nicht gerne sah, dass die Tochter gegen die gegebenen Verhältnisse aufbegehrte. Zu acht Geschwistern war man daheim in Meggen, darunter gab es fünf ältere Brüder. Die Männer im Hause genossen eine früher durchaus undiskutierte Vorzugsbehandlung, wenn es um Heimarbeiten rund um Tischdecken, Geschirrspülen et cetera ging. Die junge Gisela, vom politischen Aufbruch Ende der Sechziger stark infiziert und von Willy Brandts Visionen begeistert, lockte wider den väterlich-brüderlichen Stachel.
Und sie biss sich durch. Sie begann in Bochum ein beispielsweise mit Postaustragen finanziertes Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften. Später legte sie beide Examina fürs höhere Lehramt ab. Studienrätin wurde sie dennoch nie. Die Fächerkombination sei nicht ideal gewesen.
Gisela aus dem Olper Land war politisch ein wildes Mädel. Ja, man habe geglaubt, die Welt radikal verändern, selbstverständlich verbessern zu können. Die Examensarbeit handelte vom Nord-Süd-Konflikt am Beispiel Nicaraguas. Sie sagt es nicht so, aber man meint den Seufzer doch herauszuhören: Waren das noch bewegte politische Zeiten mit Idealen. Und heute? Natürlich fehle das Begeisternde dieser Jahre ein bisschen. Jetzt müsse politisch viel Kleinkram erledigt werden. Die Zwänge der Ökonomie, besonders im forteilenden Prozess der Globalisierung, nimmt die einst glühende Linke realistisch zur Kenntnis. Allerdings: Die Politik dürfe sich nicht alle Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand nehmen lassen. Käme es dazu, hätte sie keine Lust mehr, sich politisch zu engagieren. Zur Umweltbewegung, um die es längst leiser geworden ist, sagt sie: "Früher, da ging es noch um qualitatives Wachstum, heute heißt es nur Wachstum, Wachstum."
So einer wie Gisela Lehwald sind die GRÜNEN politisch sympathisch. Ihnen beizutreten, stand nicht zur Debatte, weil sie schon lange bei der SPD (seit 1970) war, als die GRÜNEN erste Gehversuche in der Politik machten.
Anfangs wurden Gisela Lehwald und ihre Juso-Mitaktivisten besonders auf den Dörfern des Kreises Olpe nicht nur wie Exoten betrachtet. Links und dann noch Frau. Das sei bis hin zu massiven Drohungen gegangen, erinnert sich Gisela Lehwald, die aufmüpfige Tochter eines Steigers und die Enkelin einer Frau, die schon 1915, als die Frauen noch kein Wahlrecht besaßen, zur SPD gegangen war.
Nachdem es mit der Anstellung als Lehrerin nicht geklappt hatte, verdiente sich die Assessorin ihr Leben mit Volkshochschulkursen in Deutsch, beispielsweise für Ausländer. Auch das Organisieren lernte die Olper Ratsfrau als Geschäftsführerin des mit 16000 Mitgliedern größten SPD-Unterbezirks Dortmund. In der Ruhrmetropole wurde sie, anders als in der vergleichsweise heilen Olper Welt, schnell mit sozialen Nöten konfrontiert. Am Tag der Kommunalwahlen, dem 12. September, fuhr ihr der Schock in die Glieder. In Dortmund sei die Partei bei der Stichwahl zwar mit einem blauen Auge davongekommen, aber ansonsten: "Ich hätte die Einbrüche so nicht für möglich gehalten."
Die Politikerin, die zugibt, zuhause keine regelmäßige Köchin zu sein, hat einmal mit dem Journalistenberuf geliebäugelt. Das rege Interesse an geistiger Nahrung befriedigt Frau Lehwald mit der Lektüre nicht nur politischer Bücher. Früher wurde sie sehr beeinflusst von Thomas Mann und Hermann Hesse. Gern liest sie Günter Grass.
Reinhold Michels
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