Der Pädagoge steht ihm gewissermaßen
ins Gesicht geschrieben.
Salzmann, Pestalozzi, Kerschensteiner,
die Montessori oder Wyneken,
eine Ahnenreihe für Fritz Holthoff.
Wäre er nicht 1915 (in Dortmund) geboren,
sondern um 1890 herum er
hätte beim Hohen Meissner nicht
gefehlt; man möchte einen Eid darauf
ablegen.
Unvorstellbar, ihn politisch anderswo
beheimatet zu sehen als in der
sozialdemokratischen Partei, die
schon 1906 die Einheitsschule forderte
und das "unbeschränkte Recht
jedes Kindes auf Bildung und Erziehung
nach Maßgabe seiner Fähigkeiten
und seines Bildungswillens
ohne Rücksicht auf Vermögen,
Stand, Glauben der Eltern".
Wenn Fritz Holthoff das Wort ergreift,
sei es im Landtag oder auch
nur vor der Presse, dann ist es
immer, als sei das millionenfache
Echo mithörbar, das diese SPD-Forderung
aus Wilhelms Zeiten bei
Lehrern und Eltern ausgelöst hat,
bis auf den heutigen Tag. Klapperdürre
Ausdrücke, etwa "Besoldungsgruppe"
oder "Tarife", erhalten bei
ihm unversehens die Weihe des Geschichtlichen.
Andere wiederum,
denen aufgestaute Emotionen innewohnen,
wie "Elternrecht" oder "Bekenntnisschule",
werden, ebenso
unversehens, entmythologisiert und
auf den rationalen Nenner gebracht.
Beschwörend sieht ihm dabei der
Eros pädagocicus über die Schulter.
Zynismen sind ihm fremd, wie dem
Teufel das Weihwasser.
Das Abitur hat Fritz Holthoff erst
spät ablegen können; 1937, als Externer,
vor den gestrengen Auguren
des Kultusministeriums in Berlin. Er
hat wohl am eigenen Geist und Leben
erfahren, welche Schwierigkeiten
das Drei-Klassen-Schulsystem
jungen Menschen bereiten konnte.
Und da sind, so steht zu vermuten,
auch die Wurzeln zu suchen, die ihn
später mit so unvergleichlichem Elan
darangehen ließen, das Volksschulwesen
zu erneuern. Es träfe nicht
den Kern dessen, was Holthoff als
Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen
geleistet hat, wollte
man seinen reformatorischen Impetus
unter das Rubrum der vielzitierten
(technokratischen) Anpassung
der Schule an "die Forderungen unserer
Zeit" bringen. Holthoff ging es
um mehr, um eine Sache der politischen
Ethik: Die von der Verfassung
garantierte staatsbürgerliche
Gleichheit vor dem Gesetz mußte für
den Schulpflichtigen (und angehenden
Staatsbürger) erst einmal wirksam
etabliert werden. Die Weichen
auf dieses Ziel hin energisch und
gegen viele Widerstände gestellt zu
haben, ist seine große Leistung.
Nur wer sich ins Gedächtnis zurückruft,
wie unerschütterlich gewisse
weltanschauliche Prävalenzen gerade
auf dem Gebiet des Schulwesens
in der Bundesrepublik bis in
die späteren sechziger Jahre zu sein
schienen, wird ermessen können,
was es bedeutete, die organisatorischen
Verkrustungen unseres
Schulsystems aufgebrochen und
neue, bessere Organisationsformen
an ihre Stelle gesetzt zu haben.
Sie haben Holthoffs Kräfte voll in
Anspruch genommen. Er ging zwar
auch die Hochschulfragen mit der
ihm eigenen Verve an. Aber beides
zusammen war von einem Mann
nicht zu leisten, ohne Schaden zu
nehmen, zumal nicht in den aufgeregten
letzten sechziger Jahren.
Im Sommer 1969 kam die Herzattacke.
Danach noch kurzfristig die
Rückkehr ins Kultusministerium, nun
ohne den Hochschulbereich. Dann,
ein Jahr später, der Rückfall und der
schwere Abschied vom Amt.
Für Holthoff, den Pädagogen von
Geblüt, hat sich inzwischen ein
neues Feld aufgetan, auch ein Jugendtraum
erfüllt: An der Gesamthochschule
Duisburg hat er nun den
Lehrstuhl für Bildungspolitik und
Schultheorie inne. Im Sommersemester
1973 will er ein Seminar
abhalten über den Einheitsschul-
Gedanken in deutschen Schulmodellen
von der Jahrhundertwende
bis heute.
Hans Schwab-Felisch
ID: LI730702