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  • Porträt der Woche: Justizminister Dr. Rolf Krumslek (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 07.11.1989

    Bei einer Meinungsumfrage nach dem Bekanntheitsgrad der einzelnen Minister in der Regierung des Johannes Rau würde Rolf Krumsiek vermutlich nur einen der hinteren Ränge belegen. Doch das spricht nicht unbedingt gegen den nordrheinwestfälischen Justizminister. Denn wie könnte sich ein Landesjustizminister angesichts der Zuständigkeit des Bundes für die Straf- und Zivilgesetzgebung beim breiten Publikum anders einen Namen machen als durch aus dem Gefängnis flüchtende Verbrecher, überfüllte Haftanstalten und ähnlich unerfreuliche Dinge? So gesehen ist die mutmaßliche Unbekanntheit des Justizministers eher ein Kompliment für Rolf Krumsiek.
    Sein derzeitiger politischer Job kommt dem Naturell des stets ruhig und, wenn man so will, würdevoll daherkommenden Justizministers sehr entgegen. Daß er einmal eine Treppe emporhastet, eine Tür zuknallt oder im politischen Meinungskampf von der sicheren Mitte abweichende Vorstellungen entwickelt, ist schier unvorstellbar. In der Kabinettsrunde des Ministerpräsidenten und in der sozialdemokratischen Landtagsfraktion gehört Rolf Krumsiek folgerichtig zu den stillen Zeitgenossen. Die Gelegenheiten, bei denen er sich in diesen beiden Entscheidungsgremien der nordrhein-westfälischen Landespolitik außerhalb seines engeren Zuständigkeitsbereichs einmal zu Wort meldet, kann man, wie aus Kabinett und Fraktion übereinstimmend berichtet wird, an den Fingern einer Hand abzählen. Was Krumsiek vorher als Wissenschaftsminister und Chef der Staatskanzlei als Manko angerechnet wurde — dieser Mangel an erkennbarem sozialdemokratischen Profil, an programmatischen Entwürfen oder politischer Emotionalität — all dies gerät dem Juristen in seinem Amtszimmer am Düsseldorfer Martin-Luther- Platz zum Vorteil: Da sitzt einer, der seine Arbeit erledigt, still, unspektakulär und so effektiv, wie dies die bejammernswerte Personalsituation im Justizbereich nur eben ermöglicht.
    Der Justizminister selbst wird solche Beschreibung seiner Person und seiner Arbeitsweise nicht als strafwürdige Majestätsbeleidigung aufnehmen. Ist doch sein Ressort und dessen jeweiliger Amtsinhaber in der Sicht des Rolf Krumsiek am ungeeignetsten, auf Landesebene parteipolitisches Profil zu entwickeln. Schuld und Sühne und Gerechtigkeit sind unparteilich, sollten es zumindest sein, argumentiert der Justizminister. Daß er politischen Einfluß nehmen könnte auf die Staatsanwaltschaften, die ihm im Gegensatz zu den Richtern unterstellt sind, ist für Rolf Krumsiek deshalb eine abenteuerliche Vorstellung. Und als vor Jahresfrist auch in Nordrhein-Westfalen mit großer Erregung die Frage diskutiert wurde, ob und zu welchen Bedingungen und unter welchen Voraussetzungen die Gefangenen der Rote-Armee-Fraktion aus ihrer isolierten Haft entlassen und zu größeren Gruppen zusammengelegt werden könnten, war es der Justizminister Rolf Krumsiek, der strengstens darauf achtete, daß die RAF-Gefangenen keine Privilegien erhielten, die anderen Häftlingen verweigert werden. Die zunächst wütenden Attacken der Düsseldorfer Oppositionsparteien gegen die Zusammenlegung von vier Frauen in Köln verliefen sich denn auch schnell im Sande des politischen Alltagsgeschäfts, als CDU und F.D.P. merkten, daß sie diesem Justizminister in dieser Sache nichts ans Zeug flicken konnten. Heute ist das Thema RAF und die Situation der Gefangenen aus diesem Kreis in den nordrhein-westfälischen Gefängnissen überhaupt kein Thema mehr. Rolf Krumsiek kann das für sich als Erfolg verbuchen.
    Still und ruhig im Hintergrund zu wirken hatte der heutige Justizminister spätestens in den Jahren von 1971 bis 1980 gelernt, als er in Wuppertal als Oberstadtdirektor sein Geld verdiente. Der Oberbürgermeister Johannes Rau hatte kurz vorher das Wuppertaler Rathaus geräumt. Der jeweilige Oberbürgermeister steht nach der völlig antiquierten nordrheinwestfälischen Kommunalverfassung zwar im Licht der Öffentlichkeit. Die tatsächliche Macht im Rathaus aber hat der Oberstadtdirektor. Dennoch nach außen hin so im zweiten Glied stehen zu müssen, ist für manchen Oberstadtdirektor mit ausgeprägtem Geltungsbedürfnis ein schweres Los. Krumsiek litt, wenn man ihm glauben darf, nicht darunter. Im Gegenteil: An seine Wuppertaler Zeit erinnert er sich oft und gern. Der Mann hat sogar so etwas wie Humor. Gern erzählt der Justizminister, daß er das einzige Kabinettsmitglied in der Regierung Rau sei, der einen richtigen, einen echten Jagdschein besitze — wobei die Zuhörer dann, wenn sie denn wollen, schlußfolgern können, daß manch andere Regierungsmitglieder in der Sicht des Rolf Krumsiek manchmal so reden oder so handeln, als hätten sie den berühmtberüchtigten anderen, den unechten Jagdschein".
    Nun ja, ein Scherz... Als er noch Minister für Wissenschaft und Forschung war, gehörte Rolf Krumsiek nicht dem Düsseldorfer Landtag an. Seit dem Mai 1985 ist das anders. Da gewann er den Wahlkreis Münden-Lübbecke mit 49,1 Prozent der Stimmen, ein Erfolg, der dem Selbstwertgefühl des 1962 in die SPD eingetretenen Juristen guttat. Da oben im Westfälischen stapft Krumsiek, wann immer er es ermöglichen kann, mit der Flinte durch Wald und Wiese, um seiner Jagdleidenschaft zu frönen. Selten genug kommt das vor. Wenn er nach getaner Arbeit im Ministerium das Haus verläßt, um noch irgendwelche Vorträge zu halten, Diskussionsrunden zu schmücken oder einfach zu repräsentieren, wie das heutzutage zu dem Los eines Ministers zählt, pflegt er sich von seinen engsten Mitarbeiterinnen mit dem Satz zu verabschieden, daß er jetzt noch "für den flächendeckenden Sozialismus kämpfen" müsse. Deutlicher kann man Distanz nicht artikulieren. Aber dem Amt bekommt das nicht schlecht.
    Reinhard Voss

    ID: LI891844

  • Porträt der Woche: Karlheinz Bräuer (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 13 - 29.08.1989

    Hart in der Sache, aber konziliant im Ton, das ist Karlheinz Bräuer. Diese Haltung kennzeichnet den Sozialdemokraten sowohl bei Tarifverhandlungen wie auch in der Parteiarbeit. Sie hat dem Gewerkschafter der IG-Metall bei den Arbeitgebern den Ruf eines zwar unbequemen, aber fairen Gesprächspartners eingebracht. Die Parteifreunde loben seine Zähigkeit, seine Geduld und seine stete Präsenz; die Fraktion schätzt Bräuers soziales Engagement und seine enormen Fachkenntnisse auf diesem Gebiet.
    Im nordrhein-westfälischen Landtag gehört Karlheinz Bräuer eher zu den stillen Arbeitern, die selten im Plenum das Wort ergreifen. Doch hinter den Kulissen ist sein Einfluß unübersehbar. Als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales weiß der SPD- Mann aus Lohmar sehr genau, wo die Gewichtung der Sozialpolitik in den kommenden Jahren liegen muß, wenn das Land in diesem Bereich erfolgreich sein will.
    Dazu gehört beispielsweise die sach- und fachgerechte Fortschreibung des Krankenhausbedarfsplanes. Der SPD-Politiker: "Darüber wird es ein heftiges Ringen und brisante Auseinandersetzungen geben. Es wird darauf ankommen, daß wir in Nordrhein-Westfalen ein bedarfsgerechtes Netz von Krankenhäusern erhalten." Nachhaltig warnt der Sozialpolitiker davor, sich einfach mit prozentualen Streichungen zufriedenzugeben. Vielmehr dürften erst nach gründlicher Analyse der jeweiligen Versorgungsgebiete Streichungen beschlossen werden. In diesem Zusammenhang erinnert Bräuer: "Einer der schmerzlichsten Punkte meiner Tätigkeit als Landtagsabgeordneter war die Tatsache, daß die Schließung des Krankenhauses in Worringen nicht zu verhindern war. Nachdem in Dormagen ein ganz modernes Krankenhaus in Betrieb genommen worden ist, gab es keine andere Lösung. Eis war trotzdem ein schwerwiegender Einschnitt." Immer müßten Sozialpolitiker das Ziel im Auge behalten, daß die flächendeckende Grundversorgung und eine ausreichende Spezialversorgung der Bevölkerung mit Krankenhausbetten gewährleistet sei.
    Im Augenblick bereiten dem Ausschußvorsitzenden vor allem die AIDS-Problematik, die Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und die Rauschgiftkriminalität besondere Sorgen. "Hier muß noch viel getan werden", meint Bräuer und fügt sogleich hinzu, daß auch die Aussiedlerfrage und das Thema Asylanten auf seiner täglichen Tagesordnung stehen.
    In den letzten Jahren hat sich der Sozialpolitiker ganz auf die Arbeit des Ausschusses konzentriert, ansonsten verzettelt man sich und damit wäre dann niemandem gedient", erklärt er seine Selbstbeschränkung.
    Als Karlheinz Bräuer 1975 zum ersten Mal in den NRW-Landtag gewählt wurde, arbeitete er zusätzlich noch im Verkehrsausschuß mit. Zu einem Gutteil ist es seinem Engagement zu verdanken, daß der Verkehrsverbund Rhein/Sieg und die erste S-Bahn-Strecke im Kölner Norden geschaffen wurden. Nach seiner Wiederwahl 1980 setzte sich der SPD-Abgeordnete entschieden für die Neuordnung der Arbeitsgerichtsbarkeit in NRW ein.
    Bei allen seinen politischen Aktivitäten ist Bräuer immer ein Streiter für die Interessen der Arbeitnehmer gewesen, und das, obwohl es dem Mann mit dem sensiblen sozialen Engagement keineswegs an der Wiege gesungen worden ist, daß er einmal Gewerkschaftsfunktionär würde. Der heute 65jährige kommt aus einer durch und durch gutbürgerlichen Kaufmannsfamilie aus Breslau, wo er am 20. Oktober 1924 geboren wurde. Doch die Geschichte ließ dem Schlesier keine Zeit für bürgerliche Idylle. Die jüdische Großmutter litt im KZ in Theresienstadt, und er selber wurde "mit dem Kriegsabitur aus der Oberrealschule herausgeholt", genau an seinem 18. Geburtstag zur Wehrmacht eingezogen und nach Rußland an die Ostfront abkommandiert. Während der sowjetischen Kriegsgefangenschaft verlor er wegen der grausigen Kälte vier Finger seiner rechten Hand.
    1947 wurde er freigelassen und kam zunächst zur Rehabilitation nach Marburg. In einer nordhessischen Textilfabrik fand Bräuer dann als Pförtner Arbeit, brachte es schnell zum Werkmeister, wurde Betriebsratsvorsitzender und kam so 1949 zum DGB. Als Gewerkschaftsstipendiat besuchte er von 1953 bis 1955 die Akademie für Wirtschaft und Politik in Hamburg, wo er seinen graduierten Betriebswirt machte. Im gleichen Jahr trat er in die SPD ein.
    Danach war er erst einmal arbeitslos, da sein alter Betrieb ihm eine Stellung im unteren Management anbot, die mit aktiver Gewerkschaftstätigkeit unvereinbar war. Bräuer verzichtete. Als die IG Metall dann in Köln einen Fachsekretär suchte, meldete er sich und wurde genommen. 1956 siedelte der SPD- Mann in die Domstadt über, wo er bis zu seiner Pensionierung im letzten Jahr zunächst als Bezirkssekretär, dann ab 1967 als Bezirksleiter beruflich tätig war. 1968 wurde er in den DGB- Landesbezirksvorstand NRW gewählt. In der Parteiarbeit konzentrierte er sich von Anfang an auf die Arbeitsgemeinschaft für Betriebsgruppen und Gewerkschaftsarbeit, der späteren Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), deren Chef er bereits 1956 im Mittelrhein wurde. 1977 zog er in den Landesvorstand ein, seit 1983 ist er Landesvorsitzender. Jetzt wollte er jedoch für dieses Amt nicht wieder kandidieren. Bräuers Begründung: "Auf diesen Posten gehört ein Berufstätiger."
    So allmählich zieht sich Karlheinz Bräuer, den seine Frau und seine zwei Kinder über lange Jahre nur morgens früh oder abends spät zu sehen bekamen, ins Privatleben zurück, auch wenn auf den Vollblutpolitiker noch immer genügend Aufgaben warten. Immerhin wird er sich vom kommenden Sommer an endlich einmal etwas mehr um den Garten kümmern können. Auch sein Hobby, das Reisen mit dem Wohnmobil und der Videokamera, kann er bald ausgiebiger pflegen. All das wird ihm den Abschied vom aktiven Abgeordnetendasein erleichtern... und dann ist da auch noch Mäxchen, der Kater, der sich über mehr Aufmerksamkeit freut.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI891343

  • Porträt der Woche: Dr. Dieter Haak (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 06.06.1989

    Eine "Dame", erzählt Dieter Haak, habe ihn in Hagen "bedrängt". Es sei eine junge Lehrerin gewesen. Aber so weit ist es in der nordrhein-westfälischen SPD trotz aller Appelle und Bittbriefe des Landesvorsitzenden Johannes Rau noch nicht gekommen, daß irgendeine "Dame" einen ehemaligen parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion, einen ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, einen Minister für Bundesangelegenheiten und Justizminister so einfach aus einem sicheren SPD-Landtagswahlkreis kegelt. Mit 111 gegen 48 Stimmen behauptete sich Dieter Haak im Hagener Wahlkreis 120 gegen die ihn bedrängende Genossin. Und deshalb kann es jetzt schon als sicher gelten, daß der umtriebige Rechtsanwalt bis 1995 auch noch Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag sein wird. Schließlich hatte Haak diesen Wahlkreis 1985 mit satten 54,1 Prozent gewonnen. Daß ihn, den nach eigenen Schätzungen zwischen 15000 und 20000 Frauen und Männer in Hagen einfach "Dieter" nennen, die Wähler in einem Jahr durchfallen lassen könnten, kann sich Haak nicht einmal im Traum vorstellen. Schließlich habe er sich, und er lächelt dabei recht zufrieden, "nach besten Kräften bemüht", ein guter Abgeordneter zu sein. Daß er einer Frau den Weg ins Düsseldorfer Parlament verlegte, will Dieter Haak nicht als prinzipielle Gegnerschaft zu politischen Frauen verstanden wissen.
    Schließlich soll nach dem Willen der Hagener SPD — und da habe er ja wohl ein Wörtchen mitzureden — eine Frau nach Kommunalwahl im Oktober Oberbürgermeisterin werden. Sein Sieg über die junge Lehrerin stehe auf einem ganz anderen Blatt. Es komme eben immer "auf den Einzelfall" an. Jeder Wahlkreis sei ein Wahlkreis für sich und eine Quotenregelung könne es da nun einmal nicht geben. Bedauern ist aus dieser Feststellung des alten und neuen Hagener Abgeordneten nicht herauszuhören.
    Warum ein Mann, schon jenseits der 50, der Vorsitzender der Mehrheitsfraktion, der Minister war, der jetzt eine "sehr gut gehende" Rechtsanwaltskanzlei betreibt, sich danach drängte, darum kämpfte, noch einmal fünf Jahre lang einfacher Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag zu werden? Haak verkneift sich den bequemen Ausweg in eine Phraseologie so nach der Melodie: "Dem Volke dienen, die Partei ruft, die Sache ist so wichtig, ohne mich läuft nichts" oder was es sonst noch für Ausreden gibt, mit denen die Politiker ihren Ehrgeiz zu bemänteln versuchen. Der ehemalige Justizminister, der 1985 seinen Hut nehmen mußte, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ins Zwielicht geratenen Anwaltskanzlei zu einer Belastung der Regierung Rau zu werden drohte, ist da ganz ehrlich: Noch komme er einfach aus seinem "Lebensrhythmus" nicht heraus, er brauche einfach noch die 60- bis 80-Stunden-Woche als Anwalt und Abgeordneter, bekennt Dieter Haak freimütig.
    Einen Teil dieser Stunden arbeitet Dieter Haak heute in seinem kleinen, schmucklosen Büro im fünften Stock des neuen Landtags am Ende eines langen Flurs, weitab von jenem Teil des Gebäudes, in dem die starken Leute der SPD-Fraktion bestimmen, wo es langgeht in der Landespolitik. Ob ihn der Sturz aus dem Ministeramt, der verlorene Einfluß heute noch schmerzen? Der Hagener Angeordnete weist diese Vermutung zurück. Sicher, damals habe er keinen Grund gehabt, fröhlich über seinen Abschied aus dem Justizministerium zu sein. Haak: "Es gab da plötzlich einen Stillstand im Leben. Ich habe über vieles nachgedacht". Über was er nachgedacht hat, will Haak nicht in der Öffentlichkeit breittreten. Nur das Ergebnis gibt erpreis: "Es war ein Stück Befreiung. Ich entdeckte, daß es noch viele andere positive Dinge außerhalb der hauptamtlichen Politik gibt". Tatsächlich gehört der Mann aus Hagen nicht zu jenem Typ Abgeordneter, der unter einer Last vermeintlicher Verantwortung niedergedrückt oder zu stolzer Größe aufgerichtet durch den Landtag hetzt. Haak hält es da mehr mit der Ruhe und dem gemütlichen Plausch am Rande. Das liegt sicher auch daran, daß er diese zehnte Wahlperiode des Düsseldorfer Landtags für "die langweiligste" betrachtet — zumindest seit er dem Parlament angehört, und das sind nun fast 20 Jahre. Der beruhigenden absoluten Mehrheit der SPD-Fraktion gibt Haak — selbstverständlich — nicht die Schuld an dieser Langeweile. Schuld habe daran die CDU, die so passiv"sei. Etwas wehmütig erinnert sich der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzender jener Zeiten, da die sozialliberale Koalition mit einer hauchdünnen Mehrheit reagierte, als der verstorbene Heinrich Köppler "uns in Spannung gehalten hat". Damals sei noch jeder Abgeordnete eine wichtige Größe im Meinungskampf der Fraktionen gewesen, erinnert sich Haak. Und man hört ihm unschwer an, daß er diesen Zeiten nachtrauert.
    Reinhard Voss

    ID: LI891039

  • Porträt der Woche: Hermann Jansen (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 18.04.1989

    Die Verwandten seines Vaters kämpften gegen die Franzosen — er war in Mönchengladbach geboren, die Angehörigen seiner Mutter zogen gegen die Deutschen ins Feld — sie war im Elsaß zur Welt gekommen. Und sein Bruder fiel vor Stalingrad. Schlüsselerlebnisse des heute 57jährigen Hermann Jansen, des SPD- Landtagsabgeordneten aus Rheydt. Sie führten dazu, daß der Niederrheiner schon in jungen Jahren zu einem entschiedenen Gegner der damals umstrittenen Wiederbewaffnung wurde, sich später in der Friedensbewegung und der Initiative "Kampf gegen den Atomtod" engagierte und auch an mehreren Ostermärschen teilnahm.
    Der gelernte Maler und Anstreicher trat auch schon früh in die Gewerkschaft ein, die IG Metall, wurde dann 1971 Betriebsratsvorsitzender eines Unternehmens der Textilmaschinenbranche und vertrat in dieser Eigenschaft fast 13 Jahre lang die Interessen der dort Beschäftigten. Gleichzeitig gehörte Hermann Jansen dem Vertrauensleute-Ausschuß im Bundesvorstand der Gewerkschaft an. 1983 berief man ihn zum Gewerkschaftssekretär der IG Metall in Mönchengladbach.
    Der Eintritt in die SPD 1963 begründete er mit der Notwendigkeit, daß möglichst viele Bürger über die Parteien an der Gestaltung des Staates mit teilnehmen sollten. Als aktiver Gewerkschaftler schloß sich der Niederrheiner dann der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AFA) der Partei an, und er ist heute im Landeswie Bezirksvorstand tätig. Zum Aktionsfeld des stellvertretenden SPD-Unterbezirksvorsitzenden zählen auch die Arbeiterwohlfahrt und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), wo er Vorsitzender der Vertreterversammlung ist.
    Seinem Anliegen, "Politik für die Menschen" zu machen und dabei jede Kritik ernst zu nehmen ("Große Reden interessieren mich nicht"), blieb der Sozialdemokrat auch als Mitglied des Mönchengladbacher Stadtrates von 1969 bis 1984 treu. Bei der kommenden Kommunalwahl im Herbst will er wieder für das Stadtparlament kandidieren, weil er während seiner Tätigkeit im Düsseldorfer Landtag festgestellt hat, daß Landes- und Kommunalpolitik sich gegenseitig ergänzen.
    Als ihn Freunde vor der letzten Landtagswahl 1985 dazu ermunterten, für den Landtag zu kandidieren, schien der Einzug in das Landesparlament eher unwahrscheinlich zu sein — der Wahlkreis 54, Mönchengladbach I, war seit jeher eine Domäne der Christdemokraten. Ungeachtet dessen, mit deutlichem Vorsprung, holte der Sozialdemokrat diesen Wahlkreis erstmals für seine Partei. Das Vertrauen seiner Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sei wahlentscheidend gewesen, meint der Gewerkschaftler heute.
    Die Fraktion berief Hermann Jansen in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales ("Mein Wunschausschuß"), den Ausschuß für Haushaltskontrolle und in den Petitionsausschuß. Wie andere Kollegen auch schätzt Hermann Jansen die Tätigkeit im Petitionsausschuß, wo der Abgeordnete die Möglichkeit habe, dem einzelnen ratsuchenden Bürger zu helfen — selbst wenn dies oft nervenaufreibend sei.
    Von den Mönchengladbachern Wählern ins Landesparlament geschickt, sieht sich der Sozialdemokrat auch als Anwalt ihrer Interessen. Nicht ohne gewissen Stolz verweist er darauf, daß sein Bemühen um Landesmittel für die staatliche Gewerbeschule, die Maria-Lenzen-Schule, ebenso erfolgreich war wie für das Elisabeth-Krankenhaus in Rheydt. Er habe die Schließung der Kinderklinik Neuwerk verhindern können und über die Stiftung Wohlfahrtspflege sei den örtlichen caritativen Organisationen geholfen worden, berichtet Jansen. Sein Wunsch ist es, auch in der nächsten Legislaturperiode 1990 wieder "dabei zu sein".
    Neben seinen gewerkschaftlichen und politischen Aktivitäten ist der Parlamentarier, verheiratet und Vater von drei Söhnen, ein begeisterter Schwimmer, und auch das Turnen gehört zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. In Anbetracht des randvollen Terminkalenders bleibt derzeit allerdings die wenige Freizeit fast ausschließlich für die Familie reserviert. "Sie ist heute mein einziges Hobby." Ein Kompliment für Ehefrau und Kinder.
    Jochen Jurettko

    ID: LI890746

  • Porträt der Woche: Dr. Peter Heinemann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 5 - 14.03.1989

    Im Handbuch des Landtags gehören seine biographischen Angaben zu den kürzesten. Ganze neun Zeilen sind sie lang, nüchtern und frei von jeder Eitelkeit. Zitat: "Dr. Heinemann (Essen), Peter, Rechtsanwalt und Notar. Geboren am 2. März 1936 in Essen; verheiratet, drei Kinder. Abitur 1955, Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Heidelberg, Berlin und Bonn, erstes Staatsexamen 1960, zweites Staatsexamen 1964. Studium der politischen Wissenschaften in Paris 1964/65. Rechtsanwalt seit 1965, Notar seit 1973. Mitglied der SPD seit 1961. Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde Essen- Heisingen. Mitglied des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung. Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen seit 29. Mai 1980"
    Die knappen Angaben spiegeln den Mann wider, seine Sprödigkeit und auch seine nervöse Distanziertheit. Heinemann hat sich nicht in das Parlament gedrängt, mußte von seinen Parteifreunden vielmehr angeschoben werden. Er ahnte, daß er das Mandat nur schwer würde vereinbaren können mit seinem Beruf. Er ist der Senior einer Kanzlei, in der schon sein Vater, der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, und der langjährige Düsseldorfer Finanzminister Diether Posser praktizierten und die heute elf Anwälte zählt. Peter Heinemann hängt mit einer stillen, unauffälligen Leidenschaft an seinem Beruf, in dem er international geachtet ist, nicht zuletzt, nachdem er 1979/80 den Iran im Vermögensstreit (nach dem Teheraner Geiseldrama) mit den USA vertrat.
    Dieser "Fulltimejob" und das Abgeordnetenmandat liegen in permanentem Widerstreit. Und die Erfahrungen mit seinen parlamentarischen Kollegen haben ihn nicht davon überzeugen können, daß es für ihn besser sei, sich ganz der Politik zu widmen. "Der parlamentarische Betrieb ist ein riesiger Leerlauf", urteilt er bündig. Und: "Es werden Leute angezogen, die ihre Neurosen pflegen wollen." Und: .Vielen Politikern täte Selbsterkenntnis gut. Mancher würde erschrecken." Peter Heinemann, die Augen hinter der Goldrandbrille stets in Bewegung, kann rigoros sein — auch mit sich selbst.
    Ja, sagt er nicht ohne Zögern, er sei religiös, das aber sei ein hoher moralischer Anspruch. Und der Begriff "fehlbar" folgt auf dem Fuß. Für Macht hat er keinen Instinkt; sie vermittelt ihm auch nicht Lust, ein Umstand, der ihn nicht bedrückt, wohl aber seine Grenzen aufzeigt. Zuletzt in Essen, wo er nach 13 Monaten als Vorsitzender des SPD-Unterbezirks zurücktrat. Es sei sein "Fehler" gewesen, sich keiner der rivalisierenden Gruppen angeschlossen zu haben. So sei er vor einem denkwürdigen Bündnis der Parteilinken und -rechten. — Heinemann nennt das mit einem unerwarteten Anflug von verletzender Maßlosigkeit "Hitler-Stalin-Pakt" — gescheitert.
    "Wenn Hinterhalt und Intrige die vorrangigen Sicherungsinstrumente von Macht sind, dann bin ich nicht dabei", sagt er. Hier sei die Frage nach eigenen Wertvorstellungen gestellt. Und er setze andere Prioritäten. Im übrigen habe der Machtkampf in Essen, der bundesweit Schlagzeilen machte, eine lange Vorgeschichte, deren wahre Dimension ihm nicht klar gewesen sei. Jetzt freilich wisse er, daß er den Unterbezirksvorsitz in einer "Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung" übernommen habe. Es sei "keine Enttäuschung, aber eine notwendige und heilsame Lehre" gewesen. Gelernt hat er, daß man in der Politik schneller zugreifen müsse, wobei Ziele und Mittel in einer Art Wechselwirkung miteinander korrespondieren müßten. Heinemanns sehr protestantische Skrupelhaftigkeit gegenüber der Macht ist, falls so etwas für politische Grundüberzeugungen gilt, das Erbe seines Vaters. Der ist für ihn "Vorbild", ihm möchte er als "aufgeklärter liberaler Republikaner mit starkem sozialem Engagement" folgen. Und doch räumt Sohn Peter ein, daß der Vater eine "Vorgabe" sei, "die belastet". Darüber habe er aber erst in letzter Zeit, als Politiker, nachgedacht, gesteht er. In seinen hohen und höchsten Ämtern habe der Vater auch "wenig Zeit für die Familie" gehabt, ein Umstand, "der durch nichts gerechtfertigt" sei. Aber, schränkt Peter Heinemann ein, "das ist kein Vorwurf, es ist eine Feststellung."
    Er nehme sich jedenfalls Zeit für "Lebensqualität", versichert er. Sie sei für ihn und seine Familie "lebensnotwendig". Also reist er gerne, wandert, liest. Und denkt über die Ganzheitlichkeit des Menschen nach, der nicht "einmal Schurke, dann Menschenfreund" sei. Ihm schwebt die Fortsetzung der Aufklärung mit den Mitteln der Psychologie vor, um den Menschen von dem "Schrott, mit dem er lebt", zu befreien. Die innere Überzeugung, nicht die Konvention müsse die Leitlinie des Handelns für jedermann sein. Und der Porträtist darf den verständnisvollen Satz notieren: "Außen- und Innenansicht eines Menschen können schon einmal auseinanderklaffen."
    Bernd Kleffner

    ID: LI890549

  • Porträt der Woche: Dr. Christoph Zöpel (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 31.01.1989

    Auch nach 24stündiger Bedenkzeit tut sich Christoph Zöpel schwer mit der geforderten Selbsteinschätzung. Gern möchte er kneifen. Er gibt zu bedenken, daß eine Selbstcharakteristik schwierig sei und nie objektiv sein könne. Er schränkt ein, daß seine privaten Vorlieben und Laster, Stärken und Schwächen Privatangelegenheiten seien, die er öffentlich nicht zu erörtern gedenke, die deshalb aus der Selbsteinschätzung ausgeblendet bleiben müßten. Als das zugestanden ist, beschreibt sich Christoph Zöpel mit einem einzigen kurzen Satz, den er sich nach eigenem Bekunden nach längerem Überlegen genau zurechtgelegt hat: .Ich bin ein leidenschaftlicher Intellektueller, der in die Politik geraten ist."
    Als Chronist ist man versucht, "bumm" anzulügen oder "peng" oder andere Geräuschworte, um ein Ausrufungszeichen hörbar zu machen. Daß es irgendeinen Abgeordneten — von Frauen und Ministern ganz zu schweigen — im nordrhein-westfälischen Landtag geben könnte, der sich selbst so charakterisiert, ist schier unvorstellbar. Zöpel selbst sagt es etwas zurückhaltender: Die "große Mehrheit" der Kolleginnen und Kollegen im Landtag schätze sich so wohl nicht ein. Im späteren Verlauf des Gespräches hat Christoph Zöpel noch so einen wie ein Trompetenstoß gellenden Satz auf Lager. Gefragt nach seiner beruflichen Zukunft nach dem für 1990 angekündigten Abschied aus der Landesregierung, meint der Minister zunächst, daß er noch keine konkreten Vorstellungen habe und setzt dann trocken hinzu:
    "Ich brauche kein Mitglied dieser Landesregierung für eine erfolgreiche Fortsetzung meines weiteren Lebens". Dieser Satz muß Johannes Rau in den Ohren dröhnen, der ein paar Tage zuvor vor den Mitgliedern der nordrhein-westfälischen Landespressekonferenz gönnerhaft angekündigt hatte, er werde sich darum kümmern, daß Christoph Zöpel in den nächsten Deutschen Bundestag komme.
    Wer so selbstbewußt unerbetene Hilfsangebote seines Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden zurückweist, leidet nicht an einem unterentwickelten Selbstwertgefühl. Möglicherweise liegt es — auch — an diesem strotzenden Selbstbewußtsein, daß in der Landesregierung kein Klagen und Wehgeschrei ertönte, als der Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Ende vergangenen Jahres andeutete, daß er von der Mitarbeit in dieser Landesregierung nun die Faxen dicke habe und 1990 nicht mehr für eine weitere Regierung Rau zur Verfügung stehe.
    Dabei hütet sich Zöpel wohlweislich, auch nur in einem Nebensatz am von Rau selbst mit großem Eifer polierten Bild des über allem Parteihader schwebenden Landesvater zu kratzen. Bei diesem Thema hat Zöpel zwar ein eigenartiges ironisches Lächeln um Mund- und Augenwinkeln. Doch wer immer diese Mimik als Spitze gegen Johannes Rau interpretiert, tut dies auf eigene Gefahr und kann sich nicht auf Zöpel berufen. Wütendes Gebell gegen diese Landesregierung, mit dem sich der ehemalige Landwirtschaftsminister Hans-Otto Bäumer in Jahresabstand aus Velbert vernehmen läßt, ist — je nach politischer Interessenlage — von Zöpel nicht zu erhoffen oder zu befürchten. Mag sein, daß er denkt: »Das lohnt nicht." Wer ihm solches unterstellt, erntet leise, aber nachdrückliche Zurückweisung.
    Mit seinen nun schon zehn Ministerjahren ist der 45jährige Diplom-Ökonom der dienstälteste und zugleich lebensjüngste Minister in der Regierung Rau. Neben dem Regierungschef selbst ist er das einzige Kabinettsmitglied, das seine erste Ministerurkunde noch von Heinz Kühn erhalten hat. Daß er vor zehn Jahren der jüngste Minister war und noch heute der jüngste Minister ist, spricht nach Zöpels Worten nicht für die "dringend erforderliche Verjüngung" auf allen Partei- und Regierungsebenen. Diese Kritik trifft Zöpel allerdings auch selbst. Denn schließlich ist der Noch-Minister mit Bonner Ambitionen seit 1977 auch stellvertretender Vorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD, die sich auf dem jüngsten SPD-Bundesparteitag in Münster einmal mehr dadurch auszeichnete, daß sie die meisten Delegierten stellte und am wenigsten zur inhaltlichen Debatte beitrug. Dennoch fühlt sich Zöpel gerade in diesem Landesverband pudelwohl. Im Westdeutschen Rundfunk begründete er dies mit dem Satz: Ich möchte mit keiner Regionalorganisation der SPD tauschen, wo man noch mehr Gedanken vielleicht wild äußern könnte, aber wo man nachher keine Wahlen gewinnt."
    Als Kurt Biedenkopf als Ordinarius an der Ruhr-Universität in Bochum lehrte, arbeitete Zöpel dort als wissenschaftlicher Assistent. In klugen Gedanken stehen sich der ehemalige Ordinarius und der ehemalige Assistent heute kaum noch nach, wenn sie über die Notwendigkeiten einer hochindustriellen Massengesellschaft im Europa des Jahres 2000 nachsinnen. Im Gegensatz zu Biedenkopf aber äußert Zöpel seine Ideen und Vorstellungen nicht ,wild". Auch deshalb ist es vorstellbar, daß dieser Mann — trotz seines im Zeitalter der von den elektronischen Massenmedien beherrschten Parteiendemokratie eher als nachteilig zu wertenden Kühlschrank-Charmes — seine eigentliche politische Karriere nach dem Ausscheiden aus der Düsseldorfer Landesregierung noch vor sich hat.
    Reinhard Voss

    ID: LI890253

  • Porträt der Woche: Gunther Sieg (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 17.01.1989

    Er will nicht einer der Akteure auf der Düsseldorfer Parlamentsbühne sein, und er sucht im allgemeinen auch nicht den rhetorischen Disput mit dem politischen Widersacher: der SPD-Landtagsabgeordnete, Rechtsanwalt Gunther Sieg aus dem münsterländischen Tecklenburg sieht sein Haupttätigkeitsfeld "vor Ort", an der Basis. Und dort fühlt er sich auch am wohlsten. Der gebürtige Münsteraner, Jahrgang 1936, der Mitte der 60er Jahre insbesondere wegen der Brandtschen "Öffnungspolitik" gegenüber den östlichen Staaten in die SPD eintrat, begann seine politische Tätigkeit denn auch zunächst in der Kommune, dann im Kreis.
    Zunächst Mitglied des Rates der heute knapp 9000 Einwohner zählenden Stadt Tecklenburg, später, von 1979 bis 1984, ihr "erster Bürger". Als Abgeordneter des damaligen Kreistages Tecklenburg gehörte Gunther Sieg zu den "Betroffenen" der Gebietsreform der 70er Jahre, und er sieht heute die sogenannte Großkreis-Lösung, den Kreis Steinfurt mit seinen fast 380000 Bewohnern, dessen Kreisparlament er ebenfalls zugehörte, nur als die zweitbeste Lösung an.
    Während das Tecklenburger Land als Ausläufer des Teuteburger Waldes von Landwirtschaft und Fremdenverkehr geprägt wird, dominiert um Lengerich die Maschinenindustrie, und schließlich ist im Kreis Steinfurt auch das nördlichste Kohlerevier der Bundesrepublik mit der Preussag-Zeche in Ibbenbüren. Ein vielschichtiger Kreis also, dessen unterschiedliche Interessen der Bevölkerung in Einklang gebracht werden müssen.
    Für den im Wahlkreis 97 (Steinfurt III) 1985 zum zweiten Mal direkt gewählten Sozialdemokraten steht gegenwärtig die langfristige Sicherung der Ibbenbürer Zeche, die niederflüchtige Kohle fördert und deren Einsatz in Spezialkraftwerken teurer ist als das Verbrennen von "normaler" Kohle, im Vordergrund seines politischen Engagements. Andernfalls wäre eine Stillegung für fast 5 000 Kumpel sowie für weitere rund 10000 Menschen, die indirekt von der Zeche abhängen, eine wirtschaftliche Katastrophe. Der SPD-Abgeordnete hält auch eine Stärkung der mittleren und kleineren landwirtschaftlichen Betriebe für dringend erforderlich, um gegenüber der mächtigen Konkurrenz der "Agrarfabriken" bestehen zu können. Für eine "Überlebenschance" hält er es auch, wenn Landwirte als Landschaftspfleger tätig werden. Zudem seien sie für den Staat kostengünstiger als eine staatliche Verwaltung. Am Beispiel des Feuchtwiesen-Programms, das bei den Landwirten "gut angekommen" sei, zeige sich, daß Naturschutz und Landwirtschaft keine gegenseitigen Berührungsängste zu haben brauchten. Als Mitglied der beiden Landtagsausschüsse für Umweltschutz und Raumordnung sowie für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz sucht Gunther Sieg Verbündete für seine Vorstellungen und Anliegen.
    Bis vor seiner Wahl 1980 in den Landtag war Gunther Sieg als Justitiar beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe tätig. Seitdem widmet er sich als Anwalt vor allem dem Verwaltungsrecht. Noch heute schätzt er die Arbeit im Tecklenburger Stadtrat, und auch als stellvertretender Vorsitzender des Freilichttheaters Tecklenburg e.V. gibt er dieser Einrichtung viele Impulse.
    Bei der nächsten Wahl 1990 möchte der Sozialdemokrat wieder für den Landtag kandidieren — und natürlich erfolgreich. Im Zeichen einer wachsenden Konfrontation auch zwischen den Parteien im Düsseldorfer Landesparlament sind jene Abgeordneten besonders gefragt, für die Sachlichkeit und Fairneß zu den Grundregeln parlamentarischer Arbeit zählen. Der Münsterländer Gunther Sieg ist einer von ihnen.
    Jochen Jurettko

    ID: LI890137

  • Porträt der Woche: Hans Vorpeil (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 13.12.1988

    Das Aachener Revier — genauer: das "Wurmrevier"— will er nicht mehr verlassen: Wenn die Zeche "Emil Mayrisch" 1992 wegen der geologischen Gegebenheiten ihre Förderung einstellen muß, wird der 51jährige Hans Vorpeil dort seine Arbeit verlieren. Er wird nicht wie viele von der Schließung betroffene Bergleute ins Ruhrgebiet wechseln, sondern in seinem Geburtsort Alsdorf bleiben. Danach muß er sich — eher notgedrungen — ausschließlich auf die Arbeit als SPD-Landtagsabgeordneter und als Ratsmitglied in Alsdorf beschränken. Vorpeil hat keine Zweifel, den für die SPD sicheren Wahlkreis Aachen II auch 1990 halten zu können.
    Die absehbare Berufsaufgabe bedauert Vorpeil außerordentlich. Denn als er 1985 zum ersten Mal in den Landtag gewählt wurde, hatte er großen Wert darauf gelegt, seine berufliche Tätigkeit beim Eschweiler Bergwerksverein fortsetzen zu können. Denn gerade dadurch — das habe er inzwischen bestätigt gefunden — habe er viele Kontakte aufrechterhalten können. Seine Arbeit in Düsseldorf sieht er so: "Für mich ist wichtig, was zu Hause stattfindet, in Düsseldorf will ich nicht Karriere machen." Bürgerbüro und Bürgersprechstunden seien für ihn von Bedeutung, um den Einsatz für die heimische Region zu ermöglichen; dazu zählt er auch, kleinen Unternehmen der Region in der Landeshauptstadt "Türen zu öffnen, damit Arbeitsplätze erhalten werden".
    Gerade dies sei in den Bergbaustädten des sogenannten "Wurmreviers" angesichts des schrumpfenden Bergbaus besonders wichtig. Schließlich habe die Bergbau-Monostruktur über 150 Jahre lang keinen Platz gelassen für die Entwicklung anderer Industrien. Neben der Sicherung vorhandener sei die Schaffung neuer Arbeitsplätze dringend notwendig, etwa mit Hilfe der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung oder der Zukunftsinitiative Montanregionen. Neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze seien vordringlich für junge Leute erforderlich, damit sie der Region nicht den Rücken kehrten. Dasselbe sei für möglichst viele Bergleute anzustreben, damit sie ihre Heimat nicht verlassen müßten.
    Vorpeil ist mit dem Bergbau eng verbunden. Er arbeitete beim Eschweiler Bergwerksverein als Schlosser, elf Jahre untertage als Maschinensteiger und schließlich als Betriebsleiter. Heute leitet er die EBV-Personalabteilung allgemeine Dienste". Den Ausschuß für Grubensicherheit des Landtags hält er nach wie vor für unverzichtbar im Interesse der Gesundheit der Bergleute wie auch der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Diesem Ausschuß gehört er seit 1985 ebenso an wie dem Wirtschaftsausschuß. Dort befaßt er sich vor allem mit Energie- und Strukturpolitik, bedauert aber die "begrenzten Kompetenzen" des Landes in diesem Bereich. Die unumgängliche Umstrukturierung des Wurmreviers, die nicht so schnell vonstatten geht, daß eine Abwanderung von Bergleuten zu vermeiden wäre, veranlaßt Vorpeil zu der lapidaren Feststellung: "Die Stimmung ist nicht gut." Und weiter wörtlich: "Es ist menschlich hart, wenn Familien, die seit Generationen dort ansässig waren, demnächst fortziehen müssen."
    Hans Vorpeil ist zwar in einem sozialdemokratischen Umfeld aufgewachsen, aber erst im Alter von 35 Jahren der Partei beigetreten. Der konkrete Anlaß sei das konstruktive Mißtrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willi Brandt gewesen. Heute ist er Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Aisdorf- Mitte und des SPD-Stadtverbands Alsdorf sowie Mitglied im Unterbezirksvorstand des Kreises Aachen.
    In der Freizeit wandert Vorpeil gerne in den Bergen. Diese Vorliebe teilt er mit vielen Bergleuten. Dafür hat er diese Erklärung: "Wer viele Jahre zur Arbeit nach unten fährt, den treibt es offenbar in der Freizeit nach oben."
    Ludger Audick

    ID: LI882045

  • Porträt der Woche: Hans Frey (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 29.11.1988

    Sich selbst beschreibt er als einen Jinken Politiker mit Bodenhaftung". Und selbst gegen die Charakterisierung Jinker Ideologe" hätte er nichts einzuwenden, wenn man übersetzen würde. Aber Hans Frey weiß selbstverständlich, daß Worte wie Ideologie und Ideologe heutzutage gerade von rechts als Kampfbegriffe genutzt werden, mit denen diffamiert werden soll. Dabei ist es für den "gelernten" Studienrat aus Gelsenkirchen nach fast zwanzig Jahren Politik auf den verschiedensten Ebenen längst "eine Tatsache, daß die, die den Verdacht der Ideologie gegen ihre politischen Gegner ausstreuen, ausschließlich eine an Ideologien ausgerichtete Politik machen". Dies gelte ganz besonders in der Bildungspolitik.
    Hans Frey weiß da genau, wovon er spricht. Seit er 1985 — damals begann seine zweite Legislaturperiode im Düsseldorfer Landtag — Vorsitzender des Ausschusses für Schule und Weiterbildung wurde, hat der 39jährige Politiker ungezählte Male erlebt, daß Sachentscheidungen der SPD-Mehrheit in der Bildungspolitik von deren Widersachern stereotyp mit dem Stempel Ideologie"geziert wurden. Beeindrucken konnte ihn das bisher noch nicht. Gerade in dieser Aufgabe müsse man "ein bißchen dickhäutig" werden, meint Hans Frey gelassen. Dickhäutigkeit hat aber bei Hans Frey mit Dickfelligkeit gar nichts zu tun. Gerade auf dem Felde der Bildungspolitik könnte ein dickfelliger Politiker an herausgehobener Stelle nicht lange überleben. In der Schulpolitik fühlt sich jeder Mann und jede Frau als Experte, weil sie alle schon einmal in der Schule waren, weiß Frey aus leidvoller Erfahrung. In ungezählten Versammlungen hat der Ausschußvorsitzende, der gegenüber Eltern und Lehrern die SPD- Schulpolitik vertreten muß, nach eigenem Bekunden aber immer wieder erfahren, daß "unsere Position rüberkommt, wenn erst einmal die Hektik und Dramatik der Beschwerdeführer aus der Diskussion herausgenommen sind". Und Beschwerden haben sie alle — über zu viele Unterrichtsstunden klagen die Lehrer, über zu wenig Unterricht die Eltern, über zu große Klassen und zu wenig Geld Eltern und Lehrer gemeinsam. Hans Frey spricht in diesem Zusammenhang gern von der "Quadratur des Kreises", die auch er nicht leisten könne. In seiner Sicht der Dinge betreibt die Bundesregierung in Bonn seit Jahren eine Politik, die den Staat zugunsten des privaten Konsums immer ärmer macht. Von diesem so willentlich arm gemachten Staat verlangen die Menschen aber immer mehr Leistungen — auch und gerade in der Bildungspolitik. "Wir können aber kein Geld drucken", sagt Frey ganz trocken. Unzufrieden ist er dennoch nicht mit dem derzeitigen Zwischenergebnis sozialdemokratischer Bildungspolitik im Lande. Daß die Gesamtschule als Regelschule im Gesetz verankert wurde, daß es in Nordrhein-Westfalen ein Weiterbildungsgesetz gibt, das den Interessen der Arbeitnehmer entgegenkommt, verbucht Hans Frey als "Strukturreformen" im Bildungsbereich, "die sich sehen lassen können".
    Solche Strukturreformen sind nicht jede Woche möglich. Der bildungspolitische Alltag wird mehr vom Klein-Klein geprägt. Das natürliche Spannungsverhältnis zwischen den Bildungspolitikern im Kultusministerium und den Bildungspolitikern in der SPD-Landtagsfraktion beschreibt Hans Frey in diesen alltäglichen Auseinandersetzungen als einen Schwebezustand Jn kritischer Solidarität". Grundsätzlich ziehe man zwar an einem Strang. Aber daß es unterschiedliche Interessen gibt, die manchmal zu Reibereien führen, versucht der Ausschußvorsitzende gar nicht zu bestreiten. Die Ursachen für solche Spannungen zwischen Fraktion und Ministerium erklärt Hans Frey salopp mit der Bemerkung, daß "wir die Dinge nach vorn bringen wollen und unsere Kontrollfunktion der Regierung ernst nehmen". Daß es dabei gelegentlich krache, gehöre zum politischen Geschäft in einer Mehrheitsfraktion.
    Hans Frey, der seinen Wahlkreis in Gelsenkirchen 1985 mit satten 66,7 Prozent der Stimmen gewann, will auch in den nächsten Jahren in der Landespolitik bleiben. Auf die Frage, ob er 1990 wieder kandidieren werde, antwortet er: "Ich kann mich wohl der Verantwortung nicht entziehen" und persifliert dabei in Stimme und Mimik jenen bierernsten Politikertyp, dessen genaues Gegenteil dieser Sozialdemokrat aus Gelsenkirchen darstellt. Hans Frey nämlich sieht man den ehemaligen Unterbezirksvorsitzenden der Jungsozialisten heute noch an. Er selbst ist es auch, der seine Vergangenheit in der SPD-Nachwuchsorganisation im Gespräch erwähnt — nicht ohne die belustigt grienende Feststellung, daß er bei den Jusos als "Rechter" gegolten habe. Die Klagen mancher Abgeordneter über das schlechte Klima zwischen den Kolleginnen und Kollegen kann Hans Frey nicht teilen. In den acht Jahren, in denen er dem Parlament angehöre, seien Arbeitsstil und Umgangsformen zwar "immer professioneller" geworden. Es gebe auch Verhärtungen, die man einfach zur Kenntnis nehmen und die Konsequenzen daraus ziehen müsse. Hans Frey will darüber nicht klagen: "Die Leute haben verschiedene Interessen. Der Ort, wo diese Interessen aufeinanderstoßen, kann keine Kuschelecke sein." In der Gelsenkirchener SPD, in der sich Hans Frey behaupten muß, um 1990 Landtagsabgeordneter zu bleiben, herrschen oft rauhere Sitten — erzählen Leute, die die Szene rund um den Schalker Markt kennen. Und deshalb kommt es nicht von ungefähr, daß Hans Frey feststellt, daß er das Klima im Landtag "durchaus ertragen"könne. Etwas mehr Begeisterung in der Stimme wäre bei dieser Schilderung schon vorstellbar...
    Reinhard Voss

    ID: LI881943

  • Porträt der Woche: Reinhard Grätz (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 15.11.1988

    Am auffälligsten an Reinhard Grätz ist seine Unauffälligkeit. Doch die spröde, fast schüchterne, gleichwohl selbstsichere Zurückhaltung, die leise, bedächtige Art zu reden, das Grau seiner öffentlichen Auftritte, sein rissiger Charme, der kaum ein Lächeln kennt — all das kann nicht über den ausgeprägtesten Zug des 48jährigen Sozialdemokraten hinwegtäuschen: Er ist ehrgeizig und weiß Macht zu schätzen. Und genießt sie bisweilen.
    Grätz, in Schlesien geboren, auf dem platten Land im Niedersächsischen auf gewachsen, Kriegswaise. Die Erfahrungen einer entwurzelten Existenz, die dörfliche Enge, der nicht zu erfüllende Wunsch, nach der Volksschule die Realschule zu besuchen, — und wohl auch das Vorbild der beiden Großväter ließen ihn seine politische Heimat in der SPD finden. Einen Tag vor seinem 17. Geburtstag trat er in die Partei ein.
    Da war er beruflich schon fortgeschritten. Grätz lernte Ofensetzer und Fliesenleger, brachte es darin zu Höchstleistungen: Er wurde Bundesbester im Berufswettkampf dar Handwerksjugend. Nach Abandkursen und mittlerer Reife Studium an der Ingenieurschule für Keramik. Seit 1964 arbeitete Grätz, inzwischen in Wuppertal heimisch, an einem Forschungsinstitut, zuletzt als Abteilungsleiter.
    Seine politische Karriere hinkte hinterher. Eher zufällig wurde er Juso-Chef in Wuppertal und merkte schon bald, als Jinker Realist", daß es feinen Zweck hat, verbal dauernd mit dem linken Bein aufzustampfen". Man müsse seine Ideen vielmehr "im Hinterkopf haben und Stück für Stück zu verwirklichen suchen". Seit 1970 im Landtag, hält er sich an diesen Grundsatz. Die Frustrationen der frühen Parlamentsjahre kompensierte Reinhard Grätz mit einem großen Wurf, dem Weiterbildungsgesetz, als dessen Vater er sich fühlen darf. Inzwischen ist das schon Landesgeschichte.
    In Partei und Landtagsfraktion machte Grätz still und beharrlich seinen Weg. Er gehört dem Landesvorstand an, war stellvertretender Fraktionschef und übt derzeit als Parlamentarischer Geschäftsführer ein Schlüsselamt aus. Und längst hat er sich als Rundfunkpolitiker profiliert. Die Stendener Medientage der SPD hat er zu einer wichtigen Einrichtung gemacht. Im Vorsitz des Rundfunkrats des Westdeutschen Rundfunks arbeitet er diskret und wirkungsvoll. Als der Kölner Sender Anfang 1988 wegen der Affäre Höfer ins Gerede gekommen war, sorgte er für den jähen Sturz des Fernsehstars, den seine NS-Vergangenheit eingeholt hatte, vom Tresen des Internationalen Frühschoppens.
    Manche, denen der Aufstieg des Reinhard Grätz ein Rätsel ist, sehen die Lösung in der Person des Parteichefs und Ministerpräsidenten. Der fördere seinen Wuppertaler Freund nach Kräften und habe ihm auch das Geschäftsführeramt verschafft. Letzteres mag Grätz nicht bestreuen, alles andere aber nennt er "Legende". "Fast jede Funktion bekam ich ohne ihn", sagt Grätz nicht ohne Stolz. Zwar sei das Vertrauensverhältnis "senr gut", aber ein Protege" des Regierungschefs sei er beileibe nicht. Vielmehr sei ihm "diese intensive Nähe zu Rau" eigentlich unangenehm, meint er heute. Hinter einem solchen Selbstbefreiungsschlag mag auch Enttäuschung stecken. Reinhard Grätz wäre gerne Kultusminister geworden, aber Rau entschied sich nicht für ihn, sondern für Hans Schwier.
    Freilich: Wie Rau ist auch Reinhard Grätz ein engagierter evangelischer Christ. Aber auch hier betont der 48jährige den Unterschied. Er komme "aus einem ganz anderen Stall" als Rau und habe eine ganz andere Motivation, nicht jene pietisch-bergische, aus deren Umfeld der Regierungschef stammt. Stets, auch im religiösen Bekenntnis, hat er sich als "Proletarierjunge" gefühlt. Das "hochmütig Bürgerliche" ist ihm fremd geblieben.
    Über seine politische Zukunft gibt Reinhard Grätz, verheiratet, Vater einer Tochter, nur in groben Zügen Auskunft. Natürlich will er wieder für den Landtag kandidieren. Und wenig spricht dagegen, daß er dies auch wieder in dem Wahlkreis tut, den er 1985 mit 54,9 Prozent direkt gewann. Aber Grätz läßt auch andere Ambitionen durchschimmern. Ihn fasziniert die Medienpolitik in zunehmendem Maße — "nicht nur als Episode" eines Politikerlebens. Hier hat er als "Nischenriecher" (Grätz über Grätz) ein Feld entdeckt, das nicht nur Intentionen, sondern auch Intendanten kennt.
    Bernd Kleffner

    ID: LI881834

  • Porträt der Woche: Erich Kröhan (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 17 - 08.11.1988

    Der Typus des Politikers, den der 1924 in Berlin geborene gelernte Maschinenschlosser Erich Kröhan repräsentiert, stirbt aus. Das fürchten nicht wenige, die mit eher gemischten Gefühlen die (noch gar nicht abgeschlossene) Entwicklung der 125 Jahre alten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von der Partei der Arbeiterbewegung zur von Angehörigen des öffentlichen Dienstes dominierten "Volkspartei" registriert haben wollen. Diese Furcht ist gewiß nicht ganz unberechtigt. Denn Leute, einerlei ob Frau oder Mann, die keine Hochschul- oder zumindest Fachhochschulreife nachweisen können, haben es heute ungleich schwerer, in der SPD "Karriere"zu machen, als in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Feststellung trifft zwar nicht nur für die Sozialdemokratie zu, für die SPD vielleicht aber doch mehr als für die "bürgerlichen" Parteien, die sich immer noch gern mit einer Frau oder Mann aus dem Arbeiterstand schmücken. Doch festzuhalten gilt, das politische Naturtalent — so etwas gibt es tatsächlich und nicht nur in der politischen Fama — wird sich auch heute durchsetzen, und selbst ohne Starthilfe durch akademische Würden. Die Frage ist eher, ob ein politisch talentierter Arbeiter überhaupt noch Lust hat, zur Ochsentour anzutreten. Denn, Talent und Berufserfahrung, guter Wille und die Bereitschaft, für den Nächsten einzustehen, nützen wenig, wenn die Zeit für ausgedehnte parteiinterne Diskussionen fehlt und wenn Wendigkeit und rhetorische Begabung beim Parteivolk höher im Kurs stehen als Inhalte von Politik und die Festigkeit im Prinzipiellen: In den demokratischen Parteien hat allerdings der Nachdenkprozeß darüber begonnen, wie man mangelnde Attraktivität bei der Jugend, kritische Distanz beim Bürger, Glaubwürdigkeit schlechthin, überwinden, wieder herstellen kann. Der Entrüstungssturm, den Spenden- und Selbstbedienungspraxis an den Staatskassen entfacht hatten, hat dazu gezwungen. Aber die Diskussion geht heute schon viel weiter. Spiegelt die Mitgliedschaft noch das Wählerpotential wider, können sich große Gruppen der Gesellschaft vertreten fühlen? Solche Fragen werden gestellt. In der SPD kam als erstes Produkt des Prozesses die Quotenfrau heraus. Wieder eine Verengung, sagen einige, endlich der richtige Weg zur Mehrheit, jubeln andere.
    Zurück zu Erich Kröhan, der nicht nur Maschinenschlosser lernte, sondern den Beruf auch ausübte, sich zum Technischen Angestellten hochrackerte und seit 1966 einen Mülheimer Wahlkreis im Landesparlament vertritt. Er gehört mit seinem Beruf zu einer verschwindend kleinen Minderheit im Landtag. Aber er gehört auch zu den angesehensten Parlamentariern. Vielleicht gerade deshalb, weil er nie versucht hat, dem hinterherzulaufen, was gerade als "modern" und besonders erfolgversprechend galt, sondern weil er immer an dem festgehalten hat, was er als notwendig für die Menschen im Land, was er als richtig für die Entwicklung des Gemeinwesens erkannt hatte. Stur und uneinsichtig war er aber nie, er hörte die Argumente anderer an, prüfte sie genau und entschied erst danach. Heraus kam dann meist etwas, was viele mittragen konnten. Dabei ist er immer ein Mann mit Grundsätzen geblieben, wenngleich seine Politik viele pragmatische Züge trägt, was ja beileibe kein Nachteil und allenfalls den ideologischen Utopisten ein Greuel ist. Fast selbstverständlich, daß ein Mann wie Kröhan sich dem Handfesten zuwendet, ohne lange zu fragen, ob man damit leicht den Lorbeer pflücken kann. So ist er Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Landtag, dem so Teures wie der öffentliche Nahverkehr, so Umstrittenes wie Autobahn- und Straßenbau und so in Verruf Gekommenes wie der Luftverkehr anvertraut ist. "Betonköppe", so weiß Erich Kröhan, sind sie von "Parteifreunden" geschimpft worden, oder, wenn das noch nicht reichte, "rechte Betonköppe".
    Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Die Leute, die auf dem Flughafen Düsseldorf stundenlang festsitzen, weil ein Jet in die Wiese gerollt ist, die auf dem Weg zur Arbeit mit ihrem Auto im Stau stehen oder die am Abend lange und manchmal vergeblich auf einen Bus warten, sind Wähler, vielleicht sogar die Mehrheit. Die Erkenntnis beginnt zu dämmern, daß jede einseitige Ausrichtung von Politik längerfristig zum Scheitern verurteilt ist. Staatliches Handeln muß stets das allgemeine Wohl im Auge behalten. Dem Menschen zu dienen, das ist für Kröhan Sinn aller Politik. So überprüft er in regelmäßigen Bürgersprechstunden daheim in seinem Wahlkreis das, was er im Landtag tut, an der Elle der Wählermeinung. "Ohne diese Rückkopplung", so bekennt er, "könnte ich nicht arbeiten." Er leistet seit Jahrzehnten das, was man moderne Basisarbeit nennt. Die Menschen kennen ihn, sie wissen, er hört zu, er hilft, wo er kann. Er ist einer von ihnen geblieben. Und er ist kein "Fachidiot", der nur Straßen betoniert; er macht sich Gedanken darüber, ob der Mensch die Erde so beanspruchen darf, wie er es tut. Nur, er hat kein Patentrezept. Vielleicht weil er ehrlich gegen sich selbst ist und die immerwährende Unzulänglichkeit menschlichen Handelns stärker empfindet. Aber das ist beinahe Privates. Privates geht niemand etwas an, sagt Kröhan. Und deshalb gibt auch sein Lebenslauf im Landtagshandbuch darüber keine Auskunft. Schwere Schicksalsschläge hat er erlitten. Das ist vielleicht der Grund, warum er sich immer dem Mitmenschen zuwendet, ganz privat und in der sozialdemokratischen Politik gleichermaßen.
    Karl Lohaus

    ID: LI881743

  • Porträt der Woche: Professor Dr. Friedhelm Farthmann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 14 - 27.09.1988

    Zu den Feiglingen im Lande zählt er nicht. Und auch nicht zu jenen Politikern, die nur eine große Lippe riskieren, wenn sie die Mehrheit hinter sich wissen. Daß Friedhelm Farthmann vielmehr auch bereit ist, sich um Amt und Würde zu reden, wenn er denn meint, daß ein offenes Wort geboten ist, bewies der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion unlängst auf dem SPD-Bundesparteitag in Münster, als er als einer der ganz wenigen männlichen Delegierten gegen die zu diesem Zeitpunkt schon unvermeidbare Quotenregelung im SPD- Parteistatut agitierte. Das hätte ihn in der Halle Münsterland leicht seinen Sitz im SPD-Parteivorstand kosten können. Doch Farthmann wäre nicht Farthmann, wenn er in dieser für ihn wichtigen Frage geschwiegen oder gar geheuchelt hätte, wie dies in Münster so viele Männer taten, die die eine Faust — unter dem Tisch, wohlgemerkt — ballten und die andere Hand brav für mehr Frauenmacht in der SPD hoben. Die Frauen aber zeigten angesichts ihres Triumphs in Münster Großmut: Nicht Farthmann, sondern Peter Glotz und Hans Apel wurden aus dem Vorstand herausgekegelt. Wenn sich die SPD-Spitze demnächst einmal mit Querelen wegen der Quotenregelung herumplagen muß, kann der SPD-Fraktionsvorsitzende aus dem Düsseldorfer Landtag sich als einziges Vorstandsmitglied genüßlich zurücklehnen und hörbar brummein: "Ich bin schon immer dagegen gewesen."
    Die Frauen und Friedhelm Farthmann — das ist ohnehin ein dornenreicher Abschnitt auf dem politischen Lebensweg des promovierten Rechts- und Staatswissenschaftlers, dessen parteipolitische Karriere 1958 mit dem Eintritt in die SPD begann, die ihn bald in zahlreiche Führungsgremien erst der nordrhein-westfälischen und dann der Bundes-SPD führte, in den Bundestag, in die Düsseldorfer Landesregierung, 1980 in den Landtag und 1985 an die Spitze der mit absoluter Mehrheit die Regierung Rau nur an einem sehr langen Zügel kontrollierende SPD-Fraktion brachte. In seiner Zeit als Arbeits- und Sozialminister war ausgerechnet Farthmann Frauenbeauftragter der Landesregierung. Das Verhältnis zur Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) ist seitdem von gegenseitiger herzlicher Abneigung geprägt. Unvergessen ist auch jener Streit mit WDR und "Spiegel", die Farthmann mit abstrusen frauen feindlichen Geschmacklosigkeiten zitierten, die nur deshalb hier unwiederholt sein sollen, um neue Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Denn Friedhelm Farthmann fühlte sich damals mißverstanden, falsch zitiert. Dem bullerigen SPD-Fraktionsvorsitzenden geschieht das im Umgang mit Journalisten häufiger. Sein Verhältnis zur Landespressekonferenz ist denn auch eher distanzierter Art. Aber in Zeiten einer immer wilder wuchernden Mediendemokratie, in der immer mehr Politiker die Journalisten für ihre Ziele einzuspannen versuchen (und zu viele Journalisten sich zu willig einspannen lassen) spricht so eine Journalisten-Beziehung à la Farthmann nicht unbedingt gegen den SPD-Fraktionsvorsitzenden. Was die Medien über ihn zu Papier bringen oder in den Äther ausstrahlen, ist dem selbstbewußten SPD- Politiker ohnehin fast schnuppe. Laß die Hunde nur bellen, wenn die Karawane nur in der Spur bleibt und dem Leitkamel folgt, ist in puncto Presse die — unausgesprochene und dennoch deutlich zur Schau getragene — Maxime des Friedhelm Farthmann.
    Und seitdem er die Fraktion führt, bleibt sie in der vorgegebenen Spur. Johannes Rau hat da wenig Grund zur Klage. Die einstige Sorge des Ministerpräsidenten, daß die Fraktion mit Farthmann an der Spitze ein zu starkes Gegengewicht zum Kabinett bilden könnte, hat sich dank Farthmanns Loyalität dem Regierungschef gegenüber ins Nichts verflüchtigt. Selten genug, daß es einmal hinter verschlossenen Türen rappelt — in der Öffentlichkeit und im Plenum des Landtags brauchen sich Rau und seine Minister über mangelnden Flankenschutz von seiten Farthmanns und der Fraktion nicht zu beklagen. Angesichts leergefegter Kassen bestimmt das Mögliche und schon längst nicht mehr das Wünschenswerte das Maß aller Entscheidungen. Zehn Jahre Kabinettszugehörigkeit haben Farthmann da auch die Grenzen eines Fraktionsvorsitzenden deutlich werden lassen — oder genauer: er selbst hat sie auch Fraktionsvorsitzenden deutlich gemacht. Für ihn gilt, was für die Vorgänger gelten mußte: Nur kein Keil zwischen Kabinett und Fraktion. So ist er ein Manager der Macht geworden, der im Gegensatz zu seiner Ministerzeit lieber hinter als vor den Kulissen agiert: Selbstbewußt, machtbewußt, grob mit dem politischen Gegner, wenn es denn der von ihm als richtig angesehenen Sache dient, ein Politiker auch, der an den engen Grenzen seiner politischen Möglichkeiten in einem Landesparlament leidet. Ein Politiker, der sagt, was er denkt und tut, was er sagt. Und das ist schon viel in dieser Zeit in diesem Land.
    Reinhard Voss

    ID: LI881441

  • Porträt der Woche: Norbert Burger (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 13.09.1988

    Wenn im Düsseldorfer Landtag der Name Norbert Burger fällt, heißt es zumeist im gleichen Atemzug auch "Burger-Kommission". Der Kölner Oberbürgermeister hat sich in seiner zweieinhalbjährigen Abgeordnetenzeit weniger mit tagespolitischen Beiträgen hervorgetan, er wirkt eher hinter den Kulissen, und da hat sein Name bei Kollegen, vor allem aber in der Ministerialbürokratie, einen guten Klang.
    Mit der vom Hauptausschuß eingesetzten und von Norbert Burger geleiteten und maßgeblich bestimmten "Kommission zur Effizienzsteigerung der Landesverwaltung" hat der SPD-Mann die Ministerien ganz schön unter Druck gesetzt. Bis zum Jahresende muß die Landesregierung dem Hauptausschuß über die Umsetzung der von der Kommission erarbeiteten Vorschläge Bericht erstatten. Da Burger als Jurist und Verwaltungsfachmann weiß, wo angesetzt werden muß, wenn die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Verwaltung gesteigert werden sollen, herrscht in einigen Ressorts "extreme Hektik", wie ein Insider zu berichten weiß. Drei Untergruppen sind gebildet, um bis Jahresfrist die Verwaltung gründlich nach mehr Effizienz zu durchforsten. Burger ist sich bewußt, daß der mit seinem Namen verknüpfte und im März dieses Jahres verabschiedete Bericht "etwas Aufregung unter Personalräten" verursacht hat, und ihm ist auch klar, daß es sich um "einen ziemlich umfangreichen Auftrag" handelt, dennoch bleibt der Sozialdemokrat klar bei seiner Linie: " Wir werden prüfen, ob das, was die drei im Landtag vertretenen Parteien einstimmig beschlossen haben, auch wirklich umgesetzt wird."
    Neben dieser Sisyphusarbeit sind Burgers Themenganz die eines Mannes, der in der Kommunalpolitik groß geworden ist: Wahlrecht für Ausländer, Reform der Gemeindeordnung; für den Landesorden hat ersieh eingesetzt, der private Lokalfunk ist sein Steckenpferd, vor allem aber beschäftigt ihn die Sozialpolitik.
    Das soziale Engagement war wohl auch ausschlaggebend dafür, daß Burger in die Politik gegangen ist. Sein Elternhaus — der Vater Bauunternehmer und Architekt, die Mutter Hausfrau — war weder politisch noch religiös besonders ausgerichtet. Als der Vater nach einer Erkrankung erwerbsunfähig wurde, übernahm die Mutter das Geldverdienen. Burger erinnert sich: " Prägend war meine Mutter, die in der Sozialverwaltung eine Anstellung gefunden hatte. Da habe ich schon als Kind mitbekommen, wie Leute zu uns nach Hause kamen, um geholfen zu bekommen." Trotz finanzieller Schwierigkeiten konnte Norbert Burger, der am 24. November 1932 in Köln geboren und im Arbeiterviertel Ehrenfeld aufgewachsen ist, das Abitur machen und Jura studieren.
    Die soziale Arbeit seiner Mutter, das pazifistische Ideengut, das er in einem Quäkernachbarschaftsheim mitbekam, und der europäische Zeitgeist der 50er Jahre brachten dem jungen Kölner den Gedanken der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) näher. Für sie machte er Wahlkampf, ohne allerdings wie Johannes Rau und Diether Posser der GVP beizutreten. Allmählich dann hatte der Jurastudent doch den Wunsch, nicht nur dabei zu sein, er wollte politisch etwas verandern und wünschte sich, daß die CDU als Regierungspartei abgelöst würde und die anderen "auch einmal drankämen". So trat er am 1. Juli 1957 in die SPD ein, übrigens nur wenige Tage später als Rau von der GVP zur Sozialdemokratie überwechselte. Mit der für ihn typischen Selbstironie meint er heute: " Das einzige, was sich bei der Bundestagswahl 1957 veränderte, war, daß die CDU zum ersten Mal die absolute Mehrheit bekam."
    Aber er hatte eine Entscheidung getroffen und seine politische Karriere verlief seither kontinuierlich nach oben. Von 1958 bis 1968 war er Vorstandsmitglied in den Kölner Ortsvereinen Ehrenfeld und Sülz. Seit 1968 ist er Mitglied des Unterbezirksvorstandes, zwischenzeitlich war er Ortsvereinsvorsitzender und wiederholt Delegierter auf Unterbezirks-, Landes- und Bundesparteitagen. 1975 wurde er in den Rat der Stadt Köln gewählt. Seit dem 28. Oktober 1980 ist er Oberbürgermeister, und seit 1985 vertritt er die Domstadt im Landtag.
    Beruflich folgte nach dem Jurastudium eine Tätigkeit als Repetitor. Von 1963 bis 1973 war er Beamter der Stadt Köln, wechselte anschließend als stellvertretender Chef in das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung über und war anschließend sechs Jahre lang Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
    Privat ist Norbert Burger verheiratet und hat drei Kinder. Für viel Privates — etwa mit dem Schlauchbötchen in Jugoslawien oder Spanien auf dem Wasser zu schippern oder in Krimis oder Geschichtsbüchern zu schmökern — bleibt mit dem Doppelmandat als Oberbürgermeister der Fast-Milionenstadt und Landtagsabgeordneter nicht viel Zeit übrig, auch wenn Burger seine Ausschußarbeit allein auf den Hauptausschuß beschränkt hat.
    1990 möchte der SPD-Politiker wieder in den NRW-Landtag einziehen, weil es als OB einer so großen Stadt schon wichtig sei, im Landesparlament präsent zu sein. Allerdings weiß Burger auch realistisch: "Man muß nicht glauben, daß ich alles, was für Köln gut ist, auch im Landtag durchsetzen kann. Da treffen sehr viel widerstreitende Interessen aufeinander." Immerhin könne man doch das eine oder andere durchbringen. Mit dieser Doppelmitgliedschaft wird es, falls die Kommunalreform in den 90er Jahren Gestalt annimmt, allerdings Schluß sein.
    Burger selber ist ein eifriger Verfechter dieser Reform, die er für dringend notwendig hält. "Es geht gar nicht in erster Linie darum, die sogenannte Doppelspitze zu beseitigen. Es gehe vielmehr um das Verhältnis von Rat und Verwaltung. Burger: "Der Rat darf nicht als Neben- oder Doppelregierung agieren." Nach Überzeugung des Kommunalpolitikers Burger wäre eine Magistratsverfassung "etwas anders, aber ähnlich, wie sie in Hessen praktiziert wird", eine saubere Lösung für NRW. Damit dieses Ziel erreicht wird, arbeitet Kölns erster Mann, der von sich sagt, daß ihm seine Oberbürgermeistertätigkeit "zu Zweiviertel bis Zweidrittel Spaß macht", in einer weiteren Kommission.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI881236

  • Porträt der Woche: Hagen Müller (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 30.08.1988

    Daß sich ein frei gewählter Abgeordneter nicht als " Stimmvieh" seiner Parteiführung mißbrauchen läßt, das hat der Mendener SPD-Abgeordnete Hagen Müller erst unlängst deutlich gemacht. Als die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) die Fachhochschule in Hagen "mir nichts dir nichts" dichtmachen wollte, sagte der Sozialdemokrat Müller im Kreise einer Handvoll " Rebellen" mutig "nein". Trotz eines gewaltigen Drucks der "Bosse" willigte er erst ein, nachdem die Ministerin kräftig nachgebessert hatte und Hagen als Fachhochschulort erhalten blieb. "Mehr war nicht drin", weist der "Überzeugungstäter" die Kritik der " Opposition" zurück, die " Rebellen" hätten sich schließlich doch dem Fraktionszwang gebeugt. " Ohne die Korrektur wäre es bei der Ablehnung geblieben", macht Hagen Müller klar.
    Überhaupt ist der gelernte Postbeamte kein Jasager. Müller geht seinen Weg, hält überhaupt nichts von "Fensterreden" im Plenum. "Der politische Gegner ist kein Feind", fordert der Sauerländer eine "Perestrojka" des Umgangstons. Daß dies nicht unmöglich ist, beweisen seiner Ansicht nach die Landtagsausschüsse, in denen — abseits der Öffentlichkeit — die Parlamentarier "ganz anders miteinander umgehen".
    Erst spät — mit 27 Jahren -r hat es Hagen Müller in die Arme der Partei gezogen. Schon im selben Jahr wurde der Sozialdemokrat stellvertretender Vorsitzender der Jungsozialisten im heimischen Lendringsen, seit 1974 führt er den SPD-Ortsverein Lendringsen. Schon 1975 ging es die Karriereleiter weiter hinauf: Müller wurde Ratsherr in Menden und bereits 1979 stellvertretender SPD-Fraktionschef im Rat. Beim Einzug in den Düsseldorfer Landtag legte "Multifunktionär" Müller den stellvertretenden Fraktionsvorsitz im Mendener Rat nieder. "Man kann sich nicht verzetteln." Der lebensfrohe Politiker ahnte, daß man in den Gremien zu leicht den Kontakt zur Basis verliert., Und darauf legte der überzeugte Sozialpolitiker, der "bisher nie die Zeit gehabt hat zu heiraten", größten Wert. Konsequent lädt der heute 43jährige alle 14 Tage zur Bürgersprechstunde nach Neuenrade, Balvem, Menden oder Hemer ein. Da bleibt für Urlaub nicht viel Zeit, stets "drubbelt" es sich auf dem Terminkalender. "Ab und zu mal ein paar Tage raus, aber es ist immer was." Junggeselle Hagen Müller fühlt sich auch in heimischen Breiten sichtlich wohl. Und wenn es 1990 bei der nächsten Landtagswahl nichts wird mit dem Direktmandat? "Da würde mir schon was fehlen, auch wenn ich kein Berufspolitiker sein will", philosophiert Müller. Bei der letzten Wahl sprach die "Großwetterlage" für den SPD-Kandidaten, der auf Platz 51 der Reserveliste nur die Chance der Direktwahl hatte. Spätestens als der heutige Parteivorsitzende Jochen Vogel am 1. Mai 1985 in Menden von einem Meer von Menschen umjubelt wurde, war der Genösse überzeugt, "es zu packen".
    Bei aller Politik, seiner Post ist der Abgeordnete treu geblieben. Bis zu zwölf Stunden in der Woche arbeitet der Postler als freigestelltes Mitglied des Personalrates beim Postamt Iserlohn. Schließlich hatten ihn die Kollegen "mit den bei weitem meisten Stimmen" trotz seiner Parlamentstätigkeit erneut zum stellvertretenden Vorsitzenden des Personalrates gewählt. Da konnte Hagen Müller nicht ablehnen, er lud sich auch diese anstrengende Aufgabe auf. Aus seiner vehementen Abneigung gegen die Privatisierungspläne von Bundespostminister Schwarz-Schilling macht der Mendener keinen Hehl. " Wir steuern mit Pauken und Trompeten ins Defizit, die Zeche zahlt der Bürger", malt Müller schwarz.
    Einer Aufgabe hat sich der SPD-Abgeordnete, der mit dem Marler Bürgermeister Lothar Hentschel (SPD) sogar einen Schwager im Düsseldorfer Parlament begrüßen konnte, aber besonders verpflichtet. " Wir müssen die Jugendarbeitslosigkeit senken", kämpft das Mitglied des Jugend- und Familienausschusses. Schon deshalb kam kein anderer Ausschuß in Frage — Hagen Müller ist eben ein " Überzeugungstäter".
    Wilfried Goebels

    ID: LI881149

  • Porträt der Woche: Dr. Diether Posser (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 14.06.1988

    Mit Diether Posser hat ein Mann das Kabinett verlassen, der seit 1968 dem Land 20 Jahre lang als Minister für Bundesangelegenheiten, Justiz und Finanzen gedient hat. Posser ging aus freien Stücken, rechtzeitig vor seinem geplanten Ausscheiden angekündigt; keine Spur von Ärger oder Resignation war dabei. Die Motive, warum der Rechtsanwalt und Notar aus Essen den Rückweg ins Private angetreten hat, sind klar: Der 66jährige will die Jahre, die ihm noch bleiben, dafür nutzen, zu reisen und, vor allem, Bücher zu schreiben. Mit ihnen, so sieht es der Schreiber dieser Zeilen, wird der Versuch unternommen werden, ein Stück Lebenserfahrung, die profunden Kenntnisse darüber, warum die Dinge so kommen müßten, wie sie gekommen sind, weiterzugeben. Ob diejenigen, die Lehren daraus ziehen könnten, es tun werden, bleibt Hoffnung, mehr nicht. Aus der Geschichte lernen kann man nur insoweit, wie man die Fähigkeit entwickelt hat, Vergleichbares ebenso scharf zu erkennen wie Fehler, die zu Mißerfolgen geführt hatten. Die bloße Kopie das Vergangenen paßt nie auf dia 8egen wart. Daß der Abgang Possers für Regierungschef Johannes Rau ebenso wie für die Landespolitik allgemein ein Verlust ist, hat niemand bezweifelt, am allerwenigsten Rau selbst. Ihm hat der Freund seit den Zeiten der politischen Lehrjahre unter dem Mentor Gustav Heinemann und der Rivale um die Nachfolge Heinz Kühns als Ministerpräsident 1978 nicht nur stets loyal gedient, sondern ihn auch offen beraten und gestützt. Die Klugheit Possers, seine Fairneß auch im Umgang mit dem politischen Gegner, die menschliche Lauterkeit und Aufrichtigkeit haben dem engagierten evangelischen Christen Respekt und Achtung in allen politischen Lagern eingetragen. Feinde, das scheint gewiß, hat er sich nicht gemacht. Dabei war er in jeder verbalen Auseinandersetzung, die der forensisch begabte und mit einem fulminanten Gedächtnis ausgestattete Mann stets offen und fair führte, ein eher unbequemer Gegner. Das Besänftigen nach allen Seiten, das Glattbügeln von schroffen Gegensätzen, schien ihm immer so überflüssig wie der Versuch, Feuer und Wasser zu vereinen oder die als unmöglich bewiesene Quadratur des Kreises noch einmal anzugehen.
    Wenn die Erinnerung nicht trügt, ist es in all den vielen Jahren niemandem gelungen, Posser im Landtag mit Argumenten zu widerlegen. Das soll nicht heißen, daß der Ständpunkt des Ministers gebilligt worden wäre. Schließlich gehört es zur Pflicht einer jeden Opposition, ihr Argument, ihre Sicht der Dinge dagegen zu setzen. Aber wenn dann die Redeschlacht vorüber war, ist so mancher Parlamentarier aus dem anderen Lager gekommen und hat eingestanden, daß er es in der Sache auch nicht anders machen könnte. Denn die Macht des Faktischen, so weiß man, schert sich nicht im geringsten darum, ob die Staatsmacht in roten oder schwarzen Händen liegt oder ob blaugelbe Griffe dabei sind. Bleibt noch anzumerken, daß sie sich auch nicht durch irgendwelche Ideologien oder Wachträume verändern läßt. So richtig ärgerlich konnte Posser, der dem Landtag seit 1966 angehört und somit schon zur,alten Garde"zählt, nur werden, wenn ein Kontrahent die Fakten "zurechtbog". Dann ging es hart zur Sache, und der Unwahrheit mußte die Entschuldigung folgen. Daran führte, wie aus der ersten Hälfte der 70er Jahre erinnerlich, auch der Umweg über den Ältestenrat des Parlaments nicht vorbei. Zum Glück blieben solche Fälle die Ausnahme. Im allgemeinen, so kann man feststellen, war das nordrhein-westfälische Parlament Stätte des Austauschs von Argumenten und nicht von Beschimpfungen. Und nicht gerade selten fanden alle Lager zum Konsens, auch und gerade in wichtigen Fragen.
    Mit Ratschlägen an seine Freunde und an die Landespolitik hält sich Diether Posser zurück. Nur wenn es darum geht, ob die enormen finanziellen Leistungen des Landes für die Kohle und alle damit zusammenhängenden Probleme der Lastenverteilung noch einmal zum Streitpunkt gemacht werden sollten, plädiert er klar für die Auseinandersetzung in Karlsruhe. Und er ist voller Zuversicht. Denn er glaubt nicht nur schlicht an die Gerechtigkeit, sondern er kann Chancen kühl ausrechnen. Das hat der "Anwalt im Kalten Krieg", wie sein erstes Buch heißen soll, bewiesen, als er vor dem Verfassungsgericht eine Bestimmung des Strafrechts kippte, nach der bereits Kommunisten zu Strafhaft verurteilt waren. Ein in der Rechtsgeschichte bislang einmaliger Fall.
    Vor Mißdeutungen seines Handelns hat sich Posser nie gefürchtet, wenn es ihm geboten schien, so zu handeln, wie er es tat. Als der mitten im Kalten Krieg gestorbene prominente Kommunist Heinz Renner in Essen beigesetzt wurde, waren Gustav Heinemann und Posser am Grabe. Heinemann, weil er mit Renner gemeinsam in einer Landesregierung gesessen hatte, Posser, weil Renner sein Mandant gewesen war. Der Verfassungsschutz, der zu Recht davon ausging, daß die Beerdigung Mitglieder der verbotenen KPD und andere zusammenführen würde, fotografierte eifrig. Er packte die Kameras erst ein, als das vorletzte Kondolenzschreiben verlesen war: Konrad Adenauer war der Absender. Beispiele des persönlichen Mutes ließen sich für Posser, der aus dem Krieg als Leutnant der Reserve heimkehrte, noch viele finden. Daß er selbst Beispiel für andere werden möge, kann man nur wünschen und hoffen.
    Karl Lohaus

    Bildunterschrift:
    Dr. Diether Possr (SPD)

    ID: LI881040

  • Porträt der Woche: Heinz Schleußer (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 8 - 10.05.1988

    So mancher Kommentator der landespolitischen Szene hat noch seine Probleme bei dem Versuch, den Oberhausener Landtagsabgeordneten Heinz Schleußer zu porträtieren. Der neue Finanzminister selber ist ins kalte Wasser eines der zur Zeit schwierigsten Kabinettsressorts gesprungen und hat bereits die ersten Orientierungspunkte fixiert.
    So will er einen Prozeß beschleunigen, der der Westdeutschen Landesbank als Kreditanstalt eine größere Rolle bei der Wirtschaftsförderung im Lande beimißt. Die Vorstellungen der Landesbank böten dafür eine vernünftige Grundlage, kommentiert der in der letzten Woche vereidigte Minister, der Rahmenbedingungen dafür schaffen will, daß in Nordrhein-Westfalen mehr privates Kapital in den technischen Wandel investiert wird.
    Ein weiterer Fixpunkt: Schleußer akzeptiert, daß die Nettokreditermächtigung bedingt durch ZIM und die Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Land zur Modernisierung des Reviers aufgestockt werden muß. Er beklagt, daß durch die Steuerpolitik der Bundesregierung die Verschuldung des Landes zusätzlich negativ beeinflußt wird. Aber beinhart fügt er hinzu: "Noch fetter darf die Nettokreditermächtigung durch Hausgemachtes auf keinen Fall werden." Nach den ersten Chefgesprächen, an denen er als frisch ernannter Minister teilnahm, räumt er ein, daß dies nicht ganz einfach sein wird". Der Hobby-Segler Schleußer ist jedoch zuversichtlich,' daß er seinen auf Sparsamkeit getrimmten Kurs am Ende einbehalten kann.
    So wird es wohl auch kommen; denn schon als finanzpolitischer Steuermann der SPD-Landtagsfraktion hat er stets die große Mehrheit der Sozialdemokraten im Landtag — trotz vielfältiger Wünsche der Facharbeitskreise — auf die Sparlinie seines Vorgängers Posser eingeschworen. Hinter den Türen des Fraktionssaales war Heinz Schleußer alles andere als die "graue Maus", wie ein Journalist den 52jährigen jüngst beschrieb. "An den von ihm geführten Finanzern hat sich schon so mancher in unserer Fraktion die Zähne ausgebissen", heißt es respektvoll unter den Sozialdemokraten. Eine stets klar erkennbare und ehrliche Linie ist es auch, die Heinz Schleußer auf der kommunalpolitischen Bühne seiner Heimatstadt große Anerkennung einbrachte. Oberhausener Tageszeitungen berichteten bei seinem Abschied als Chef der Ratsfraktion, daß er eine der tragenden Säulen sozialdemokratischer Kommunalpolitik für Oberhausen gewesen sei. Die SPD werde jetzt sehen müssen, wie sie brisante Themen ohne Schleußer in trockene Tücher bekomme, kommentierte eine Lokalzeitung unter der Schlagzeile "Ein Lotse geht".
    Dem SPD-Bezirk Niederrhein bleibt der gelernte Schlosser und ehemalige 1. Bevollmächtigte der IG Metall als Lotse erhalten. Auch hier steckt er einen geradlinigen Kurs ab, wie zum Beispiel vor wenigen Wochen, als er nach einem Umlandgespräch des Bezirksvorstandes öffentlich für den Ausbau des Düsseldorfer Flughafens plädierte. "Dafür gab es aus meiner Partei nicht nur Beifall", berichtete Schleußer anschließend. Aber es sei unehrlich, wenn die Anliegergemeinden in Wirtschaftsförderungsbroschüren mit dem Flughafen in direkter Nachbarschaft werben, in Verhandlungen über den Ausbau aber Gegenposition bezögen.
    Einem Streit in der Sache ist Heinz Schleußer, der 1957 als Pfarrjugendführer von St. Antonius im Kloster Hardt der Oberhausener SPD beitrat, nie aus dem Weg gegangen. Als Finanzminister in Zeiten leerer Kassen, aber eines kostspieligen wirtschaftlichen Wandels, wird ihm seine Standhaftigkeit zugute kommen. Denn "eingeklemmt zwischen einem Schuldenberg von fast 100 Milliarden Mark auf der einen Seite und von mächtigen Lobbyisten von Kohle, Stahl und Revierstädten auf der anderen, soll ersparen und zugleich mehr ausgeben", schrieb eine Tageszeitung nach seiner Berufung ins Landeskabinett. So wird sich "allmählich zeigen, aus welchem politischen Holz er geschnitzt ist", vermutete dieselbe Tageszeitung.
    Hans-Peter Thelen

    ID: LI880856

  • Porträt der Woche: Marita Rauterkus (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 6 - 19.04.1988

    "Die Frauenförderung muß effektiver werden", betont Marita Rauterkus und weiß sich bei diesem Anspruch im Prinzip mit den Frauen aller Fraktionen im Düsseldorfer Landtag im Einklang. Vage Hoffnungen aus der Männerwelt, daß die Frauenförderung möglicherweise eine modische Zeiterscheinung sein könnte, die auch wieder einmal vorübergeht, macht die SPD-Abgeordnete zunichte: "Im Gegenteil, es wird weitergehen." Deshalb setzt sich die SPD-Frau auch nachdrücklich dafür ein, daß in Nordrhein-Westfalen ein besonders wirkungsvolles Frauenförderungsgesetz zustande kommt. "Sowohl in der Arbeitsgemeinschaftsozialdemokratischer Frauen (AsF) wie auch in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) hatten wir bereits Gespräche mit Mitarbeitern des Innenministeriums, denen wir die Vorstellungen, die uns besonders wichtig erscheinen, vorgetragen haben", erläutert Marita Rauferkus.
    Zur Verwirklichung das Gleichberechtigunsgebotes hält Frau Rauterkus ein Gesetz für erforderlich, wonach in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes bei gleicher Qualifikation — also Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung — unter Wahrung individueller Chancengleichheit Frauen solange bevorzugt eingestellt und befördert werden sollten, bis ein bestimmter Anteil Frauen in allen Positionen erreicht ist. Die Sozialdemokratin: "Dabei muß direkt im Gesetzestext ein Hebel eingebautsein, der sicherstellt, daß die Frauenförderung auch wirklich in die Praxis umgesetzt wird." Es dürfe nicht sein, daß zwar ein gutes Gesetz existiere, die im Personalbereich Verantwortlichen aber nicht danach handelten, meint Marita Rauterkus und fügt entschieden hinzu: "In solchen Fällen muß es die Möglichkeit von Sanktionen geben." So wie in der Frauenpolitik engagierte sich die heute 45jährige auch in der Rechts- und Kulturpolitik. Auch hier sind Ausgleich und Gerechtigkeit ihre Hauptanliegen. Als Beispiel für ihren Einsatz nennt Marita Rauterkus die Kölner Einrichtung der Waage, einem Verein, in dem Opfer und Täter einer Straftat zusammengeführt werden und versucht wird, über die Begegnung das Verhalten des Täterszu ändern. Hier hat die SPD-Landtagsabgeordnete beim Bundesjustizminister erreichen können, daß die Finanzmittel für das Projekt und seine wissenschaftliche Begleitung bis 1989 gesichert sind. "Die Bemühungen haben sich gelohnt", freut sich die SPD-Politikerin und sieht in diesem Fall einen Beweis dafür, daß man als Parlamentarier wirklich "etwas bewegen" kann.
    Seit 1985 ist Marita Rauterkus im nordrhein-westfälischen Landtag und möchte es nach der kommenden Landtagswahl 1990 auch bleiben. "Mein Ziel ist es, den Wahlkreis wieder direkt zu holen", sagt die SPD-Frau. Ihr Einsatz für die Politik ist erstaunlich, denn an der Wiege hat der heutigen Landtagsabgeordneten wohl niemand gesungen, daß sie einmal Politikerin werden würde. "Mein Elternhaus war unpolitisch", erinnert sich die am 28. Dezember 1942 im sauerländischen Althundem geborene SPD-Abgeordnete, die dort auch zur Schule ging, eine dreijährige Lehre als Großhandelskaufmann absolvierte und dann noch ein Jahr in diesem Betrieb arbeitete. Irgendwann danach hatte sie aber das Gefühl, daß sie für ein Jahr einmal "raus aus dem Sauerland" und in einer Großstadt leben müsse. Köln war das Ziel, da hier Verwandte wohnten. Nach einem Jahr in der Rheinmetropole war kein Gedanke mehr an die Rückkehr in die ländliche Heimat.
    Gleich in ihrem ersten Kölner Jahr, wo Marita Rauterkus zunächst wieder als kaufmännische Angestellte arbeitete, machte sie vom reichhaltigen politischen und kulturellen Angebot der Domstadt nachhaltig Gebrauch. Später wechselte sie als Sachbearbeiterin zu einem anderen Industrieunternehmen und wurde als Betriebsrätin und stellvertretende Vorsitzende aktiv. Wie sie sich erinnert, war sie zunächst in keiner Weise auf eine Partei fixiert. Es geschah fast von selber, daß sie inhaltlich immer mehr zur SPD tendierte. Den Aus schlag hat dann die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Ministerin Katharina Focke mit ihrem Wahlkampf 1969 gegeben. Marita Rauterkus: "Es hat mich fasziniert, wie diese Frau politisch und menschlich mit den Wahlbürgern umging." Ein Jahr später trat die Wahl-Kölnerin in die SPD ein.
    Danach ging es "Schrittchen für Schrittchen" auf der Erfolgsleiter der Partei aufwärts. Im Ortsverein Köln-Mitte übernahm sie verschiedene Funktionen, wurde Ersatzdelegierte und Delegierte auf Unterbezirksparteitagen, Beisitzerin bei den Jusos und war besonders aktiv in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, wo sie seit 1976 im Vorstand des Unterbezirks mitarbeitete und seit 1979 Vorsitzende ist. Bereits seit 1984 ist die Sozialdemokratin zudem stellvertretende AsF- Vorsitzende im Bezirk.
    Als die Landtagswahl 1985 nahte, schlugen die AsF-Frauen Marita Rauterkus für den Kölner Wahlkreis IV vor, der seit über zehn Jahren immer an die CDU gefallen war. Um diesen für die SPD recht aussichtslosen Wahlkreis riß sich bei den Sozialdemokraten niemand, doch Marita Rauterkus nahm die Herausforderung an. "Das war meine einzige Chance, ich wollte in das Parlament, und über die Liste war nichts zu machen." Also führten Frau Rauterkus, ihr Ortsverein und die AsF-Frauen einen "Wahlkampf ohne Handbremse", wie sie heute sagt. " Wir sind offensiv an die Arbeit gegangen und haben von Anfang an so Wahlkampf gemacht, als ob wir gewinnen könnten." Tatsächlich hat die Sozialdemokratin den Wahlkreis direkt gezogen. Seither pendelt Marita Rauterkus zwischen Köln und Düsseldorf und teilt ihre Arbeitszeit zwischen Frauen- und Rechtsausschuß und der Mitarbeit im Kulturausschuß.
    Wie es scheint, haben auch ihre privaten Hobbys noch ein wenig mit ihrem Politikerinnendasein zu tun. Der Bereich der Sozio-Kultur hat es Marita Rauterkus nämlich angetan. Dabei handelt es sich um Bürgerzentren oder Begegnungsstätten, wo sich jung und alt treffen und selber etwas gestalten, sei es Theater, Musik oder Spiel, ohne daß " von oben" dirigiert wird. Hier sieht die SPD-Politikerin ein großes Aufgabenfeld, denn die Genossen vor Ort wollen ihr da nicht so recht folgen. "Die Diskussion ist sehr schwierig", weiß sie aus Erfahrung. In der SPD glaubten immernoch sehr viele, was vom Staat oder von der Verwaltung komme, sei besser für die Menschen, bedauert die SPD- Frau. Um diesem Vorurteil zu begegnen, verbringt sie ein Gutteil ihrer Freizeit bei Gruppen, die vorführen, wie sozio-kulturelle Arbeit klappt. Sonstige Hobbys von Marita Rauterkus sind Theater, Lesen und Studienreisen.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI880639

  • Porträt der Woche: Ursula Kraus (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 01.03.1988

    Als Mitglied im Wirtschaftsausschuß möchte Ursula Kraus, daß die ersten Projekte der "Zukunftsinitiative Montanregionen" (ZIM) möglichst bald gefördert werden und der Bund sich doch noch aufrafft, zu dem geplanten Landesdrittel von 180 Millionen Mark seinen Anteil von Zweidritteln draufzulegen. Als Oberbürgermeisterin von Wuppertal wünscht sich die Kommunalpolitikerin Kraus, daß es trotz "rückläufiger Einnahmen in den kommenden Jahren" doch noch möglich sein wird, "vor Ort" Politik zu gestalten, und als sozialdemokratische Landtagsabgeordnete ist es das Ziel der engagierten Arbeitnehmervertreterin, ihre kommunal- und landespolitischen Aufgaben so zu verbinden, daß für beide Seiten viel Positives dabei heraus springt. Ursula Kraus: "Ich möchte Ansprechpartner für beide Seiten sein."
    Dabei hat die gelernte Industriekauffrau wohl selber am wenigsten damit gerechnet, daß sie die parteipolitische Karriereleiter so rasch hinaufklettern würde. Zwar hatte die heutige SPD-Landtagsabgeordnete schon von früher Jugend an — durch ihr sozialdemokratisch engagiertes Elternhaus — in der Partei mitgearbeitet, doch dabei an eine eigene Parteikarriere nicht gedacht.
    Am 2. August 1930 im saarländischen Neunkirchen geboren, ist Ursula Kraus dennoch eine richtige Wuppertalerin. Ihre Eltern stammten aus der Stadt von Friedrich Engels und zogen bereits 1935 wieder in die bergische Heimatstadt zurück. Ursula Kraus besuchte in Wuppertal das Gymnasium, ging 1949 mit der mittleren Reife ab und machte eine Lehre als Industriekauffrau. Gleichzeitig mit dem Beginn der Berufsausbildung trat sie in die Industriegewerkschaft Druck und Papier ein. Ursula Kraus erinnert sich: "Schon damals habe ich mir gedacht, für Arbeitnehmer kann es keine andere Politik geben." Daß auch die SPD die richtige Partei für sie sein würde, war zwar ebenfalls klar, doch Parteimitglied wurde die sozial engagierte Frau erst 1956.
    Da sie überzeugt war, daß eine Frau auf eigenen Beinen stehen müsse, verbrachte sie einige Zeit in Großbritannien, wo sie als Aupair-Mädchen ihre Sprachkenntnisse erweiterte. Im Beruf hatte sie Erfolg, und ihre Arbeit als Leiterin des Verkaufs-Innendienstes einer Druckerei machte ihr auch Freude. Ursula Kraus setzte sich zunehmend als Gewerkschafterin und Betriebsrätin ein und arbeitete im niederrheinischen Bezirksvorstand für Arbeitnehmerfragen mit. In der Partei engagierte sie sich in den folgenden Jahren in mehreren Vorstandsämtern auf Orts- und Bezirksebene. Heute erinnert sie sich: "Eigentlich habe ich nicht daran gedacht, einmal ein Mandat zu übernehmen." Als dann aber 1979 der Wuppertaler SPD-Unterbezirk an sie herantrat und ihr einen der vier Wahlkreise der Stadt antrug, hat die Sozialdemokratin erst einmal nachgedacht und schließlich doch angenommen. Frau Kraus: " Wenn man der Meinung ist, daß mehr Frauen in der Politik mitmachen sollen, darf man nicht,nein' sagen, wenn man selber gefragt wird."
    In ihrem Wahlkreis, in dem sie seit ihrer Kindheit lebt, der gerade neu zugeschnitten war und zur Hälfte aus dem alten Wahlkreis von Ministerpräsident Johannes Rau bestand, holte Ursula Kraus auf Anhieb 53 Prozent und sicherte damit auch den neuen Wahlkreis für ihre Partei.
    Im Landtag sammelte sie erste Erfahrungen im Wirtschaftsausschuß und im Petitionsausschuß, wobei ihr als parlamentarischem Neuling vor allem die Arbeit in letztgenanntem besonders bei der Einarbeitung in die Parlamentsmechanismen geholfen hat. Eine zusätzliche Bedeutung bekam ihre Landtagsarbeit, als sie vier Jahre nach ihrem Einzug in das Parlament quasi aus dem Stand als Spitzenkandidatin in den Wuppertaler Kommunalwahlkampf ging und Oberbürgermeisterin wurde. Die Verzahnung beider politischer Ebenen fasziniert die Sozialdemokratin besonders, und sie sieht sich selber heute als ein Bindeglied zwischen Kommune und Land. Freimütig gibt sie zu, daß sie sich, wo immer dies möglich ist, für ihre Wuppertaler— und da für jeden einzelnen Bürger — ins Zeug wirft.
    Das gilt um so mehr, als Ursula Kraus 1985 zum zweiten Mal in den Düsseldorfer Landtag eingezogen ist. Während der laufenden Legislaturperiode ist die Wuppertaler Oberbürgermeisterin nur noch im Wirtschaftsausschuß, allerdings noch als stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuß und im Ausschuß für Jugend und Familie. Schwerpunktmäßig hat sie in ihrer Heimatstadt die Modelle betreut, bei denen es um die Ausbildung von Mädchen in Männerberufen ging. Denn Ursula Kraus legt viel Wert auf eine gute Ausbildung für Mädchen. Frauen seien in der Regel stärker von Arbeitslosigkeit bedroht als Männer, sagt die SPD-Abgeordnete, und daher sei eine vernünftige Ausbildung die beste Chance gegenüber den männlichen Kollegen.
    Ihre Parteiarbeit hat Ursula Kraus konzentriert. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Wuppertal, Beisitzerin im Unterbezirksvorstand und seit 1984 Mitglied im Parteirat, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen. Fragt man die Sozialdemokratin nach ihren Freizeitaktivitäten, so ist die Wunschliste nach Betätigungen weitaus länger, als es angesichts der Arbeitsfülle die realen Möglichkeiten sind. Die ledige Sozialdemokratin verrät, daß sie gern und fast alles liest, was ihr zwischen die Finger kommt, daß sie gern wandert und mit dem Fahrrad fährt. Zum Kuchenbacken oder Kochen wie noch vor einigen Jahren kommt sie heute allerdings nur noch sehr selten.
    Gerlind Schaidt

    ID: LI880449

  • Porträt der Woche: Erich Heckelmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 09.02.1988

    Sich selbst ohne geheuchelte Bescheidenheit zu charakterisieren, ist keine einfache Sache. Erich Heckelmann steuert dieses Ziel über einen Umweg an. "Man muß kalkulierbar und berechenbar sein, wenn man politisch etwas bewegen und für die Menschen etwas erreichen will", sagt der 53jährige Sozialdemokrat, der sich vor ein paar Wochen seiner 85jährigen Mutter zuliebe den Bart abnehmen ließ. Und dann setzt er hinzu: "Das bin ich." Beim zweiten Anlauf zur Selbstbeschreibung zitiert Heckelmann die von ihm im Gespräch mehrfach erwähnte Mutter, die sich "krummgelegt" habe jahrzehntelang für ihn und seine drei Brüder. Mit großer Selbstverständlichkeit sagt der Neusser Abgeordnete deshalb auch, daß er seine Mutter "sehr verehrt". Die verehrte alte Dame also, erzählt Erich Heckelmann, habe bei der Erziehung ihrer Söhne immer an jenem Sprichwort herumgemäkelt, nach dem Bescheidenheit zwar eine Zier sei, daß man ohne sie aber weiter im Leben komme. Erich Heckelmann. "Meine Mutter meinte, hinter dem Wort ,Zier' müsse das Sprichwort aufhören. Ich denke, sie hatte nicht Unrecht."
    Erich Heckelmann gehört, wen könnte es wundern nach solchen Annäherungen an sein Selbstverständnis, zu den Stillen in der SPD-Landtagsfraktion, der er seit nun fast zehn Jahren angehört. Mit Unterbrechungen allerdings. Sich selbst nennt er mit einem Schuß Ironie in den Augenwinkeln den "Edelreservisten" der Fraktion, weil er 1978 und 1981 nur als Nachrücker in den Landtag gekommen war. 1978 hatte ihm der jetzige Kölner Regierungspräsident Antwerpes und 1981 die jetzige Wissenschaftsministerin Anke Brunn Platz im Plenum am Schwanenspiegel gemacht. 1985 dann hatte er den Wahlkreis im schwarzen Neuss direkt gewonnen. Erich Heckelmann sagt dies: "Ich habe den Wahlkreis gewonnen" so nicht. Er sagt vielmehr: "Der Wahlkreis fiel an uns", weil er die Bedeutung des einzelnen Kandidaten nicht überschätzt wissen will. Allenfalls "ein bißchen" komme es auf den Kandidaten an... Solche Bescheidenheit wirkt nur deshalb nicht penetrant, weil sie von einem ruhigen Selbstbewußtsein unterfüttert ist, das auf einem dreifachen Studium — Pädagogik, Musik und ein Fernstudium der evangelischen Theologie — einem erfolgreichen Berufsweg bis zum Schulrat und einem harmonischen Familienleben ruht, wofür, unter anderem, die beiden erwachsenen Kinder sprechen, die noch heute Jahr für Jahr mit den Eltern in den Skiurlaub fahren. In dieses Bild paßt schließlich auch Heckelmanns Hobby: Er ist begeisterter Segelflieger. "Das ist der schönste Sport, den es gibt", wird der sonst ruhige Mann plötzlich enthusiastisch, um dann gleich bedauernd hinzuzusetzen: "Leider habe ich zu dieser Fliegerei nur noch viel zu wenig Zeit."
    Im Schulausschuß des Landtags sitzt der gelernte Pädagoge nicht. Für seinen Geschmack gibt es in diesem Ausschuß auch ohne, ihn viel zu viele Lehrer. Der Acker, den er im Auftrag der Fraktion nun schon seit Jahren pflügt, ist womöglich noch freudloser als die Arbeit im Schulausschuß. Erich Heckelmann ist Europa- Beauftragter der SPD-Landtagsfraktion — eine logische Fortsetzung eines Engagements, mit dem er schon als Halbwüchsiger, damals noch in Rheinland-Pfalz, begonnen hatte. Das hindert den Schulrat a. D. allerdings nicht, eine sehr dezidierte Meinung zu den Auseinandersetzungen im Landtag über Fragen der Schulpolitik zu äußern. Kampfformeln wie "Schulkrieg" oder "Schulfriedensgesetz" sind dem Theologen ein Greuel. Das achte Gebot, mahnt er, müsse auch in der politischen Auseinandersetzung gelten. In diesem Gebot ist vom "falsch Zeugnis wider Deinen Nächsten" die Rede, das jeder Christ zu unterlassen habe. Die Wirklichkeit in den Schulen, der Alltag der Schüler und Lehrer und Eltern habe mit einem " Schulkrieg" überhaupt nichts zu tun. Dort sei dieses Wort auch überhaupt nicht zu hören, grollt Heckelmann, um dann nebenbei zu erzählen, daß die Parteien im heimischen Grevenbroich einstimmig die Schulen neu organisiert hätten.
    Den Diskussionsstil im Landtag beklagt Erich Heckelmann als gelegentliche "Hau-drauf- Methode", die sich, da ist er sich ganz sicher, auf lange Sicht gesehen nicht auszahlt. In dieser Einschätzung fühlt er sich besonders von den jungen Besuchergruppen bestärkt, die er mit Vorliebe als Gäste in den Landtag einlädt. "Die sind oft enttäuscht über den Stil unserer Plenardebatten. Die finden das in keiner Weise toll, wie wir Abgeordnete miteinander umgehen. Wie wir uns manchmal angiften ist nicht der Umgangston, den die junge Leute schätzen", wiederholt Erich Heckelmann seine Eindrücke aus den Gesprächen mit "seinen" Besuchergruppen. In dieser Beziehung sagt er ausdrücklich "wir", bezieht selbstkritisch die eigene Fraktion mit ein. Dabei hat die SPD-Fraktion in seiner Sicht überhaupt keinen Anlaß, so rüde Töne anzuschlagen. Er kann nämlich im Gegensatz zu manchem Beobachter der landespolitischen Szene außerhalb der Fraktion, die SPD keineswegs in einem Tief erkennen. Der Fraktionsvorsitzende Farthmann habe die Fraktion zu Beginn des neuen Jahres zwar "an die Krawatte gepackt". Aber doch nur, so Heckelmanns Sicht der Dinge, um sie zu noch besseren Leistungen anzuspornen. Als Hobby- Segelflieger zwischen Erde und Wolken drängt sich möglicherweise so ein Blick auf. Ob dieser Blick von oben der Realität am Boden gerecht wird, muß sich im nächsten Jahr zunächst bei der Kommunalwahl enteisen. Erich Heckelmann ist da durchaus guter Dinge: "Wenn wir in Neuss das Landtagswahlergebnis von 1985 wiederholen, könnten wir zum erstenmal den Landrat aus unseren Reihen wählen." Unter bloßes Gottvertrauen will der Theologe diese Vision nicht abgebucht sehen.
    Reinhard Voss

    ID: LI880349

  • Porträt der Woche: Richard Winkels (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 26.01.1988

    Richard Winkels ist von Beruf Politiker. Er ist seit langem Politiker, und er ist es gerne. Doch Richard Winkels hat sich noch eine zweite Lebensaufgabe auserkoren. Das ist der Sport, besser noch: der Sport als gesellschaftliche und damit politische Aufgabe. Damit schließt sich der Kreis: Politik und Sport. Der Westfale Winkels hat sich beiden verschrieben.
    Dabei besteht keine Gefahr, daß er sich verzetteln könnte wie beispielsweise ein Vereinsvorsitzender, der über seinem sportlichen Spitzenamt seine Geschäfte vernachlässigt. Nein, bei Winkels, dem SPD-Politiker, sind Sport und Politik eine Verbindung eingegangen, die in der Biologie Symbiose genannt wird: eine Verbindung zu beiderseitigem Nutzen. Richard Winkels, seit 1970 mit dreimaliger Unterbrechung Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, hat als anerkannter Vollblutpolitiker dem Sport im Parlament breit die Türen geöffnet. Der heute 67jährige machte den Sport, wenn man so will, parlamentarisch "hoffähig". Denn noch 1976 hat ein Journalist in einem ersten Porträt des Politikers Winkels für diese Zeitschrift mit Erstaunen festgehalten, daß im Plenum des Landtags zuvor noch nie über Sportpolitik debattiert worden sei. Das hat sich in den Jahren seitdem geändert. Sport ist entsprechend seiner zunehmenden Bedeutung in der Freizeitgesellschaft zu einem festen Bestandteil plenarer Auseinandersetzung geworden. Erst in der letzten Woche beriet der Landtag über die Zusammenhänge von Sport und Gesundheit. In der vergangenen Legislaturperiode konnte Winkels den Bedürfnissen und Anforderungen des Sports im politischen Raum kraft eines besonderen Amtes noch besonderen Nachdruck verleihen: Er war Vorsitzender des Sportausschusses. Zusätzlich hatte er ein weiteres hohes Amt, das des Vizepräsidenten des Landtags, inne. Das muß nicht unbedingt eine feste Querverbindung zum Sport herstellen. Aber es ist nie von Schaden, wenn ein Mann in einem Präsidentenamt sich um den Sport kümmert.
    Der Sport selbst hat sich inzwischen revanchiert, das bedeutet in diesem Falle keine Gefälligkeit, sondern Anerkennung der Fähigkeiten, der Kenntnisse, der Verdienste eines gestandenen Politikers, für den die herrlichste Nebensache der Welt eine Hauptsache im Sinne eines inneren Anliegens ist. Der Sport in Nordrhein- Westfalen hat dem Manne aus Warendorf im letzten Herbst sein Spitzenamt offeriert und Richard Winkels akzeptiert in einem Lebensalter, in dem es andere schon mal ruhiger angehen lassen. Winkels ist seit Oktober 1987 als Nachfolger des inzwischen verstorbenen F.D.P.-Politikers Willi Weyer Präsident des Landessportbundes. Die Wahl fand in Duisburg statt. Sie erfolgte einstimmig. Der Landessportbund hatte damit keinen Präsidenten auf seinen Schild gehoben, der erst einmal nach dem Motto verfuhr: Neue Besen kehren gut. Sport für alle, hieß vielmehr die Devise, und Winkels stellte wörtlich fest: "Auf neue Programme werden wir jedoch verzichten. Das bereits vorhandene verlangt erst einmal die Realisation, um die Vereine nicht zu überfordern.
    Da klingen die Erfahrungen des Politikers durch, der in einer Zeit knapper Kassen das Machbare nicht aus den Augen verlieren will. Für Utopien bieten sich die Zeiten nicht an, und der ehemalige Journalist Richard Winkels hat den Kopf ganz sicher nicht in den Wolken. Sportpolitik ist für ihn in den ausgehenden achtziger Jahren in erster Linie Freizeitpolitik. Er hat erkannt, daß sich der Sport in einer Phase des Umbruchs und der Umstrukturierung befindet. Er muß sich verstärkt Bevölkerungsteilen zuwenden, die rein zahlenmäßig an Bedeutung gewinnen, so den älteren Mitbürgern, während die Kinder weniger werden. Winkels verweist darauf, daß der Sport zu Neutralität verpflichtet sei. Das beinhalte indessen nicht, er müsse unpolitisch sein. Wo künftig die Schwergewichte eines gesellschaftlich ausgewogenen Sportangebots liegen sollen, ist eine immens politische Aufgabe. Richard Winkels sieht das so, und als Pragmatiker setzt er auf die Basis: im Sport und als sozialdemokratischer Abgeordneter auch in der Politik.
    Eckhard Hohlwein

    ID: LI880212

  • Porträt der Woche: Hans Kern (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 19.01.1988

    Er ist ein überzeugter Befürworter der Gesamtschule: Studiendirektor Hans Kern. Und weil der heute 54jährige Wipperfürther SPD-Landtagsabgeordnete selbst an einer solchen Schule zahlreiche Jahre bis zur Übernahme des Mandates 1985 unterrichtet hat — zuvor war er auch an Gymnasien tätig — ist seine Kritik an manchen Gesamtschulen um so glaubwürdiger. "Einige haben den Fehler gemacht, eine 'besondere Schule' sein zu wollen, und keine Angebotsschule für alle Kinder." Das Beispiel Kirspe zeige, daß eine Gesamtschule, die sich Leistung und Förderung gleichermaßen zum Ziel gesetzt habe, die Jugendlichen auf ihren späteren Lebensweg sehr erfolgreich vorbereiten könne. So hat sich Hans Kern als Leiter der gymnasialen Oberstufe bei den Abitur-Prüfungen an den Bundesländern orientiert, wo die Leistungsanforderungen besonders hoch sind. Auch seine vier Kinder haben übrigens eine Gesamtschule besucht.
    Die Schule, der Streit um die Konfessionsschule in den 60er Jahren, führte den Sohn streng katholischer Eltern auch zur Sozialdemokratie. Obwohl damals selbst im Pfarrgemeinderat aktiv tätig, zählte der gebürtige Wipperfürther zu den Verfechtern der Gemeinschaftsschule. Nach seinem Studium an der Universität Köln (Mathematik, Physik, Informatik) und den beiden Staatsexamen für das Lehreramt, waren es Theologen, die dem damaligen jungen Pädagogen "die Enge des bisher gelebten Katholizismus" nahmen. Nachhaltige Eindrücke hinterließ für ihn auch das Zweite Vatikanische Konzil mit der Öffnung der Kirche. So war der Sozialdemokrat sechs Jahre lang als sogenannter " Kirchenbeamter" beim Ursulinen-Gymnasium in Wipperfürth tätig. Diese Ordensgemeinschaft war es dann auch, die ihn zur Mitgestaltung der mit CDU-Unterstützung gegründeten Gesamtschule in Kirspe "ermunterte".
    Nach dem Eintritt in die SPD 1967 beriefen ihn Wähler und Partei bald darauf in die Kommunalparlamente, wo er sich insbesondere den sozialen und kulturellen Fragen widmete. Seit mehreren Jahren ist Hans Kern Fraktionsvorsitzender im Wipperfürther Stadtrat. Bei der letzten Landtagswahl 1985 holte der Sozialdemokrat erstmals den Wahlkreis 25, den Oberbergischen Kreis I, für seine Partei. Seitdem ist er Mitglied des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung, des Kultur- und des Petitionsausschusses.
    Freude hat der Landtagsabgeordnete vor allem an seiner Tätigkeit im Petitionsausschuß, " weil man dort dem einzelnen Bürger persönlich helfen kann und wie der Handwerkersieht, was man macht", meint er anspielend auf sein Vaterhaus, eine Handwerksfamilie mit elf Kindern. Im Ausschuß für Wissenschaft und Forschung gilt sein Augenmerk vor allem der Hochschulreform. In Anbetracht der begrenzten finanziellen Möglichkeiten und der demographischen Entwicklung könne man sich ein Überangebot an klassischer Ausbildung und ein Unterangebot an neuen, zukunftsweisenden Studiengängen nicht leisten. Zudem drohe die Gefahr, daß die Hochschulen dann die Studenten direkt in die Arbeitslosigkeit führten. Mit Genugtuung registriert das Mitglied des Kulturausschusses, daß im laufenden Haushaltsetat 1988 die Landesmittel für den kulturellen Bereich erstmals wieder aufgestockt wurden. Uneingeschränkt freut sich der SPD- Landtagsabgeordnete, daß er nach 27jähriger pädagogischer Tätigkeit nochmals in einem anderen Bereich, der Landespolitik, "gefordert" wird.
    Vielseitig wie sein beruflicher Werdegang ist auch die Gestaltung seiner Freizeit. Der Wipperfürther ist ebenso begeisterter Tänzer wie Bergwanderer, er spielt noch heute Fußball und besucht gern Konzerte. Seine Ehefrau, die in Russisch unterrichtet, weckte auch in ihm das Interesse an ausgedehnte Reisen in die Sowjetunion. Dieser große Radius von Aktivitäten hält Hans Kern auch fit für seine Aufgaben als Landtagsabgeordneter. Unter den zahlreichen "Neulingen" des Düsseldorfer Landesparlamentes zählt Hans Kern sicherlich zu den interessantesten und wahrscheinlich künftig auch gewichtigen Parlamentariern.
    Jochen Jurettko

    ID: LI880131

  • Porträt der Woche: Hans Jaax (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 08.12.1987

    Er zählt zu jenen Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag, die das Bindeglied zwischen dem Land und den Gemeinden stärken: Der Sozialdemokrat Hans Jaax ist seit 1965 in der Kommunalpolitik aktiv tätig; zunächst sachkundiger Bürger in der SPD-Fraktion des Kreistages des Rhein-Sieg-Kreises, dann Mitglied des Kreisparlamentes und seit 1975 Bürgermeister der Stadt Troisdorf. Mit viel Engagement und Ausdauer bemühte er sich seitdem erfolgreich, das "räumliche Umfeld" der Bürger lebenswerter zu machen und Probleme bis zu ihrer Lösung durchzufechten.
    Zähigkeit und Zielstrebigkeit sind Eigenschaften, die der gebürtige Troisdorfer schon in jungen Jahren besaß. Nach der Realschule absolvierte er zunächst eine Lehre als Betriebsschlosser, anschließend besuchte er die staatliche Ingenieurschule Köln und schloß sie mit der Ingenieurprüfung erfolgreich ab. Nach diesem Studium folgte ein weiteres, das Pädagogik-Studium. Bis zum Einzug in den Landtag 1985 konnte der heute 54jährige als Studiendirektor an einer berufsbildenden Schule den Jugendlichen auch vieles aus seiner früheren handwerklichen Praxis mit auf ihren Berufsweg geben.
    In die Sozialdemokratische Partei trat Hans Jaax bereits 1964 ein. Sie berief ihn in mehrere Parteiämter und nominierte ihn für Kreistag und Stadtrat. Die Anerkennung der Leistungen des Troisdorf er Bürgermeisters auch bei seinen politischen Gegnern wurde nach der letzten Kommunalwahl 1984 besonders deutlich, als der Sozialdemokrat mit den Stimmen der CDU-Stadträte wiedergewählt wurde. "Die Stimmen der Grünen wollte ich nicht", erklärt Hans Jaax seine ablehnende Haltung gegenüber der Politik der Alternativen.
    In der Tat hat die Stadt Troisdorf unter ihrem "ersten Bürger" viele Aufgaben erfolgreich angepackt, beispielsweise das Problem des Abbaus vieler Arbeitsplätze in der Großindustrie, so bei der Dynamit Nobel AG. Man reagierte darauf mit der Ausweisung und dem Verkauf von neuen Gewerbeflächen. Zahlreiche mittelständische Unternehmen haben sich inzwischen angesiedelt und gut entwickelt. Aber auch Betriebe, die sich in der dichtbesiedelten Innenstadt nicht mehr erweitern konnten oder "zu laut" waren, wurden mit städtischer Unterstützung ausgelagert. So konnte auf dieser Weise auch der Ortskern saniert und damit praktischer Umweltschutz betrieben werden.
    Der Sozialdemokrat gab der Stadt auch kulturelle Impulse. So beherbergt sie inzwischen ein Museum für Kinderbuch- Illustrationen und vergibt seit 1980 alljährlich einen Preis für solche Illustrationen. Den Grundstock legte ein Industrieller, der seine Sammlung der Stadt schenkte.
    Nachdem der erste Versuch von Hans Jaax 1975 nur knapp gescheitert war, die bisherige CDU-Domäne, den Wahlkreis Rhein-Sieg IV, für die Sozialdemokraten zu gewinnen, schaffte er es bei der letzten Landtagswahl 1985 um so deutlicher. Die Fraktion berief den Troisdorf er dann in den Ausschuß für Schule und Weiterbildung sowie in den Verkehrsausschuß. Im Schulausschuß widmet sich Hans Jaax insbesondere den Problemen ausländischer Jugendlicher. Für den Sozialdemokraten ist es unverzichtbar, daß jene Heranwachsenden einen Schulabschluß erhalten. Er ist die Voraussetzung für eine gute Berufsausbildung. Diese Notwendigkeit besteht für den Landtagsabgeordneten unabhängig davon, ob die jungen Ausländer später in die Heimat ihrer Väter zurückkehren oder in der Bundesrepublik bleiben wollen. Nach zweieinhalbjähriger Tätigkeit im Schulausschuß bedauert es Hans Jaax, daß vor allem in diesem Parlamentsgremium die Konfrontation zwischen den Fraktionen im Vordergrund steht.
    Im Verkehrsausschuß beschäftigt sich der Troisdorfer vor allem mit Fragen der Verkehrssicherheit. Nach seiner Ansicht sollte ein generelles Tempolimit von 30 km/h in Wohngebieten eingeführt werden. Außerdem sollte die Automobil-Industrie sich bei ihrer Produktion stärker den "wahrnehmbaren Autofarben" zuwenden.
    Wie bei all' seinen Kollegen ist die Freizeit knapp, sie gehört dann der Familie, der Ehefrau und seinen beiden Töchtern.
    Jochen Jurettko

    ID: LI872039

  • Porträt der Woche: Gerd Wendzinski (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 01.12.1987

    Nein, stromlinienförmig, damit man sich möglichst widerstandsarm überall durchschlängeln kann, will er nicht sein. Gegen "auswechselbare Typen" hat er etwas. Ein Mann mit Ecken und Kanten, so die Selbsteinschätzung, sei er: Gerd Wendzinski, stellvertretender Vorsitzender der SPD- Fraktion seit 1978, Abgeordneter im Landtag seit 1970, zuletzt, im Mai 1985, Gewinner im Wahlkreis 132, Dortmund III. "Vielleicht", sinniert er im Gespräch, "habe ich gerade deswegen gute Freunde."
    Der Aufstieg des Gerd Wendzinski an die Führungsspitze der Mehrheitsfraktion des Parlaments am Kaiserteich in Düsseldorf war von ihm nicht systematisch vorgeplant, vielmehr ergab sich manches zufällig. Sein Weg in die SPD und dann seine "Karriere" in der Partei waren auch eher die Produkte des von anderen ein wenig gesteuerten Zufalls. Vom Elternhaus war der 1935 in Dortmund Geborene nicht "sozialistisch" vorgeprägt; wie sollte er auch, der Vater fiel schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Gerhard Wendzinski wuchs bei Großeltern auf einem Bauernhof in Norddeutschland heran. Die sozialistische Jugendorganisation "Die Falken" waren im bäuerlichen Milieu kein Thema. Der "Christliche Verein Junger Männer", auch bekannt unter dem Kürzel CVJM, wirkte da schon eher prägend, wie das noch heute bestehende Engagement Wendzinskis in der Evangelischen Kirche belegen kann. "Vielleicht von der Bergpredigt herkommend", so sagt er, Kurt Schumacher, den unvergessenen ersten Vorsitzenden der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg, zitierend, habe er die politische Heimat in der SPD gefunden.
    Daß er mit seinen Ansichten in diese Partei hineingehöre, darauf ist er nicht einmal selbst gekommen. Andere, die mit ihm an langen Abenden "über Gott und die Welt" diskutierten, hatten ihm sozialdemokratisch geprägte Meinungen attestiert. Wenn dem so ist, so sagte sich der damals 20jährige, dann gehe ich in die SPD. Und die SPD ist in den 32 Jahren, die Wendzinski ihr schon angehört, die Partei geblieben, mit deren Programm er, hierauf Carlo Schmid sich abstützend, "zu 60, 70 Prozent" übereinstimme.
    Die Diskussionen, die der SPD das Mitglied Gerd Wendzinski einbrachten, fanden im Anschluß an die Abendschule statt, auf der damals der junge Elektro-Installateur für Abitur und Hochschulreife büffelte. (Nach einem anstrengenden Berufstag, versteht sich.) Wer sich auskennt in den Schwierigkeiten, über den "Zweiten Bildungs weg" an das Ziel zu kommen, weiß, was es heißt, wenn einer es erreicht. Gerd Wendzinski hat es geschafft, er ist Physik-Ingenieur geworden aus eigener Kraft. Für den Karrierestart in der SPD sorgten Jusos, in deren Organisation er nie aktiv gewirkt hat. Sie nominierten ihn 1964 und setzten ihn auch durch als Kandidat der SPD für den Dortmunder Stadtrat. Sie fanden, so erinnerter sich heute, daß ein Physik-Ingenieur, der bei Hoesch werkt, für die SPD in der Stadt einiges bringen könne. Die Jusos haben wohl richtig getippt, denn zwei Jahre später kam schon der Vorsitz im SPD-Stadtbezirk Dortmund-Mengede auf Wendzinski zu, weil er durch seine Arbeit auf sich aufmerksam gemacht hatte. Der Rest war eigentlich Partei-Routine: Unterbezirksvorstand, Landesvorstand, Landtagsabgeordneter; hinzu kamen diverse Ehrenämter in der Kirche, in wissenschaftlichen Beiräten, Vorstandsmitglied der Rheinisch-Westfälischen Auslandsgesellschaft.
    Und dies alles noch neben dem Beruf als forschender Ingenieur bei Hoesch. Die Optimierung der Hochofenprozesse durch Steuerung aufgrund von Sensormeldungen aus dem Inneren waren mit sein, von Patenten gekröntes Werk. 1978, mit der Wahl in den Fraktionsvorstand, stand Wendzinski vor der Entscheidung: Beruf oder Politik. Obwohl Hoesch mit der Gehaltserhöhung winkte, fiel die Entscheidung für das Fraktionsamt in Düsseldorf. Warum:"Gestalten können in der Politik, wenn auch im kleinen Rahmen des Landesparlaments, heißt, die Gesellschaft beeinflussen, dem Menschen helfen zu können." Der idealistische Grundansatz des jungen Christen wird hier deutlich.
    Wie bei vielen Naturwissenschaftlern, so findet man auch bei Wendzinski manche Gedanken, die weit über das harte und einen langen Arbeitstag bescherende Alltagswirken in der Politik hinausgehen: Verantwortung für andere, in Armut lebende Menschen in der dritten Welt als Aufgabe und Chance für die eigene Zukunft der Industriegesellschaft. Nicht immer mehr Reichtum und Wohlstand für wenige, menschenwürdiges Dasein für alle. Schon die Selbsterhaltung der Industriegesellschaft erfordere hier ein Umdenken. Und, die politische Wirklichkeit aufgreifend, solche schwierigen Umdenk- und Umlenkprozesse könnten nur die Frucht eines Kompromisses zwischen den großen politischen Parteien in der Bundesrepublik sein. Einen bescheidenen Ansatz auf diesem Weg sieht Wendzinski in der Neubildung der "Kohlefraktion" aus SPD und CDU im Landtag.
    Karl Lohaus

    ID: LI871942

  • Porträt der Woche: Jürgen Büssow (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 17.11.1987

    Zu den politischen Alltagswahrheiten zählt der Satz, daß Wandelbarkeit Voraussetzung für Kontinuität sei. Was nichts mit opportunistischer Anpassung zu tun habe. Es soll vielmehr die Freiheit bezeichnet werden, auf aktuelle Herausforderungen unorthodox und geschmeidig zu reagieren. Der Großpolitiker läßt sich niemals einengen und bewahrt dennoch, wenn es geht, seine Integrität. Dies angesichts der Barschel-Affäre und der Verstrickung einer großen Volkspartei vorausgeschickt, erscheint ein Mann wie Jürgen Büssow als eine beachtenswerte Hoffnung der Landespolitik.
    Büssow ist freilich Sozialdemokrat und schon deshalb von Anfechtungen weitgehend frei, machtbesessen und skrupellos zu operieren. Der 41jährige zeigt nach heißspornigen Jahren vielmehr Nachdenklichkeit. Er darf zu den Dazulernern gerechnet werden.
    Noch sind manchen Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag die frühen Reden ihres Kollegen Büssow im Gedächtnis, der mit flotter Häme und garstigem Spott die konservative Opposition geißelte, aber auch die Landesregierung nicht schonte. Selbst der Christdemokrat Kurt Biedenkopf, der um seine Parlamentsauftritte die kühle Aura des gespannten Respekts zu verbreiten pflegte, mußte der flinken Düsseldorfer Zunge Tribut zollen. Unvergessen ist Büssows süffisante Anmerkung zu einer Biedenkopf- Zwischenfrage in einer Debatte am 18. März 1981, als er den Professor beschied, wer einmal zwei Semester studiert und Wissenschaftstheorie betrieben habe, kenne das Problem, "daß aus dem Sein nicht geschlossen werden kann, was sein soll".
    Für sich selbst hat Jürgen Büssow das Problem gelöst. Was sich aus seinem Lebenslauf ergibt: Geboren am 1. April 1946 in Godesberg, Volksschule, Lehre und Gesellenprüfung als Orthopädiemechaniker, "Bildungsreifeprüfung" im Jahr der Studentenrevolte (1968), Studium der Erziehungswissenschaften, Diplom- Pädagoge, zwei Jahre Studienleiter in einem Institut der Erwachsenenbildung, danach Referent der Hans-Böckler-Stiftung. Die politische Karriere: Mitglied der SPD seit 1964, Sozialistischer Hochschulbund, Jungsozialist, SPD-Parteirat, Mitglied des SPD-Unterbezirks Düsseldorf, SPD-Landesausschuß; Gewerkschafter bei der ÖTV- ein geradezu klassisches Exempel für die sich wandelnde Sozialdemokratie.
    Als Medienexperte seiner Partei hat er sich einen Namen gemacht, war dabei immer mit der Nase im Wind. Als es für die SPD insgesamt noch angezeigt erschien, keine privaten Rundfunkveranstalter auf Hörer und Seher loszulassen, stattdessen vielmehr unbeirrt am öffentlich-rechtlichen Rundfunk allein festzuhalten, war Büssow schon auf dem Wege in die andere Richtung. Widerstand gegen eine Entwicklung, die nicht aufhaltbar, gar zukunftsträchtig erschien, baute er ab. Das gelang ihm ebenso eindrucksvoll wie die Beseitigung seines öffentlichen Images, ein aggressiver Linker zu sein.
    Das zumal hatte Büssows parlamentarischen Auftritten bislang oft ihre Bedeutung genommen. Ins Ideologie-Klischee gepreßt, erzielte er wenig Wirkung. Inzwischen zählt er zu den wenigen Abgeordneten des Düsseldorfer Landtags, die von allen Seiten als Anwärter auf größere Aufgaben angesehen werden. Seine Debattenbeiträge vor allem werden ob ihrer Schlagfertigkeit und Brillanz selbst von denen geschätzt, denen Büssows Attakken gelten.
    Er habe sich entwickelt, sagen seine Parteifreunde. Und er selbst langt mit seiner flinken politischen Begabung längst weit über seinen medienpolitischen Fachbereich hinaus. Schon hält das Fraktionsvorstandsmitglied Jürgen Büssow auch Haushaltsreden. Ohnehin fühlt er sich im puren Streit der Experten "immer noch nicht ganz sozialisiert", wie er sich auszudrücken beliebt.
    Der 41jährige, verheiratet und Vater eines Kindes, sucht deshalb nicht umsonst den engen Kontakt der Politiker zum Wähler. Der Abgeordnete, hat er einmal gesagt, müsse "wirklich Transmissionsriemen der Bevölkerung" sein. Jenseits von Fraktionszwang, Regierungsverantwortung und Parteiräson müsse er seinen Standpunkt finden, "auch wenn es dem Parteiapparat weh tut". Den Wahlkreis Düsseldorf IV hat Jürgen Büssow 1985 mit knapp 55 Prozent und einem Vorsprung von mehr als 20 Prozentpunkten auf seinen CDU-Mitbewerber gewonnen. Das ist wohl ein Auftrag von Gewicht. Büssow ist noch eine ganze Menge zuzutrauen.
    Bernd Kleffner

    ID: LI871849

  • Porträt der Woche Martin Stevens (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 13.10.1987

    Er will nicht einer der Akteure auf der Düsseldorfer Parlamentsbühne sein, und er sucht auch nicht den rhetorischen Disput mit dem politischen Widersacher: der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Stevens aus Eschweiler sieht sein Haupttätigkeitsfeld "vor Ort", an der Basis. Und dort fühlt er sich auch am wohlsten. Unmittelbar nach seinem Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag im Mai 1985 hat er denn auch in seinem Wahlkreis, dem Kreis Aachen I, den er übrigens erstmals für die SPD geholt hat, ein Bürgerbüro eingerichtet. Inzwischen findet diese Einrichtung regen Zuspruch, " und es kommen die, die in großer Not sind". Verständnis für die Sorgen des "kleinen Mannes" brauchte der heute 58jährige Sozialdemokrat nicht erst zu erlernen. Als Sohn eines Arbeiters trat er nach Besuch der Volksschule eine Lehre an und wurde Modelltischler. Später machte der aktive Sportler aus seinem Hobby einen Beruf, ließ sich als Schwimmeister ausbilden und leitete dann die städtischen Bäder in Eschweiler.
    In die SPD trat Martin Stevens nach der Anstellung bei der Stadt ein, 1965, "weil man mir später nicht nachsagen sollte, ich hätte die Stelle durch die Partei bekommen". Danach betrauten ihn die Mitglieder mit mehreren Ämtern und Mandaten. So ist er seit 14 Jahren Vorsitzender des Ortsvereins Weisweiler, ist Vizechef des Unterbezirks Kreis Aachen, gehört dem Landesausschuß an und vertritt die örtlichen Parteifreunde auf Landes- und Bundesparteitagen. Der Gewerkschaft trat der Abgeordnete bereits 1955 bei, zwölf Jahre war er Personalratsvorsitzender der Stadtverwaltung Eschweiler und ist heute Kreisvorsitzender der ÖTV. In der Kommunalpolitik ist der Sozialdemokrat seit 1968 tätig. Er gehört seitdem dem Kreistag an und ist heute Vorsitzender seiner Fraktion. Als Präsidiumsmitglied des Westdeutschen Schwimm-Verbandes engagiert er sich auch im Kreistag für die Belange des Sports, wobei das Wünschenswerte immer stärker an den finanziellen Realitäten scheitert. Neben dem Sport widmet er sich im Kreisparlament der Jugendpolitik und leitet den Jugendwohlfahrtsausschuß.
    Nach seinem Einzug in den Düsseldorfer Landtag berief die SPD-Fraktion ihren "Neuling" in den Petitionsausschuß und in den Ausschuß für Land- und Forstwirtschaft. Nach zweieinhalb Jahren sieht sich Martin Stevens insbesondere im Petitionsausschuß gefordert, weil die Abgeordneten dort mit den vielfältigsten Problemen der Mitbürger konfrontiert werden. Und in diesem Gremium spüre gleichzeitig der Abgeordnete, daß er "etwas bewegen kann", bilanziert der Sozialdemokrat seine bisherige Tätigkeit.
    Als Abgeordneter der von großen Strukturproblemen betroffenen Wirtschaftsregion Aachen sorgt sich der Sozialdemokrat um die Zukunft dieses Raumes, und er plädiert für ein gemeinsames Handeln aller Kräfte über die Parteigrenzen hinweg. Er begrüßt in diesem Zusammenhang das sogenannte Aachen-Programm der Industrie- und Handelskammer, in dem auch Vorschläge des SPD- Unterbezirks ihren Niederschlag fanden. Die Region Aachen-Jülich könnte aufgrund ihrer guten Infrastruktur zu einem "Modellprojekt" für eine weitsichtige Strukturpolitik gemacht werden. Diese Chance sei um so größer, als alle Verantwortlichen "relativ früh" mit den Problemen der für 1994 geplanten Stillegung der Zeche Emil Mayrisch konfrontiert worden seien. Jetzt müßten die Konsequenzen gezogen werden, fordert der Abgeordnete. Dazu gehöre auch, daß die Gemeinden den Gebietsentwicklungsplan zügig umsetzten.
    Nach wie vor hält sich der Vater von vier Kindern mit Schwimmen fit und er läuft gern Ski. Ansonsten sei sein "Hobby" die Arbeit, wie er geradeherausantwortete.
    Jochen Jurettko

    ID: LI871541

  • Porträt der Woche: Gerd Müller (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 13 - 22.09.1987

    In wichtigen Grundfragen der nordrheinwestfälischen Wirtschaftspolitik zum Konsens zu gelangen, darin sieht der neue Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Landtags, Gerd Müller (46), eine seiner Hauptaufgaben. Noch heute zeigt der SPD-Abgeordnete Genugtuung darüber, daß es im Frühjahr gewissermaßen über Nacht gelungen ist, im Landtag wieder zu einer gemeinsamen "Stahlfraktion"zu kommen. Damals war er als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion wesentlich am Zustandekommen einer gemeinsamen Stahlentschließung beteiligt. Jetzt setzt er seine Hoffnung darauf, daß in den nächsten Wochen und Monaten ein ähnlicher Konsens in der Kohlepolitik erzielt wird. In den Fraktionen von SPD und CDU sieht er bereits Ansätze dazu.
    Der sozialdemokratische Wirtschaftspolitiker, der sein Studium in Bonn und Köln mit dem Examen zum Diplom-Kaufmann abschloß, räumt bereitwillig ein, daß Landeswirtschaftspolitik im wesentlichen appellatorischen Charakter besitze, weil die meisten Zuständigkeiten in Brüssel und Bonn lägen. Deshalb habe sich der Wirtschaftsausschuß auch nur selten mit Gesetzentwürfen zu befassen. Darauf komme es auch gar nicht an, denn: "Die Wirtschaft baut auf Stimmungen, Klima, Vertrauen, weniger auf direkte Handlungsanweisungen." Im Wirtschaftsausschuß glaubt er auch eine grundsätzliche Übereinstimmung festgestellt zu haben über das Ziel, Nordrhein-Westfalen ökonomisch und ökologisch zu erneuern; in seiner Einschätzung gibt es parteipolitische Unterschiede "nur in Nuancen" darüber, wie dieses Ziel zu erreichen ist.
    Als Müller 1980 erstmals in den Landtag gewählt wurde, brachte er berufliche Erfahrungen aus der Wirtschaft mit und wurde sogleich von seiner Fraktion in den Wirtschaftsausschuß entsandt. Zunächst hatte er bei Siemens in Essen und Düsseldorf in der Datenverarbeitung gearbeitet und war danach zur Siemens- Tochter KWU in seiner Heimatstadt Mülheim a. d. Ruhr gewechselt. Er habe immer "sehr gut damit leben können", versichert er, gleichzeitig Angestellter eines Unternehmens, das auch Kernkraftwerke baut, und Mitglied einer Partei (seit 1961) zu sein, die sich für den Ausstieg aus der Kernenergie entschieden hat. Mit seinem Arbeitgeber habe es deshalb nie Ärger gegeben, im Gegenteil: "Ich konnte vielfach moderierend tätig werden, häufig Gespräche vermitteln." Zum Jahresende allerdings will er sich beruflich verändern, er geht in die Wasserwirtschaft.
    Bevor Müller in die Landespolitik wechselte, war er in seiner Geburtsstadt Mülheim elf Jahre lang kommunalpolitisch aktiv, insbesondere in der Stadtplanung und in der Wirtschaftsförderung. Bereits mit 34 Jahren wurde er zum Bürgermeister gewählt. Seine damaligen Ambitionen, nach einigen Jahren im Landtag dort Oberbürgermeister zu werden, hat er mittlerweile aufgeben müssen: Nach dem plötzlichen Tod des damaligen Amtsinhabers wurde Eleonore Güllenstern in dieses Amt gewählt.
    Seit 1985 gehört Müller auch dem Kulturausschuß des Landtags an. Daß Wirtschafts- und Kulturpolitik Berührungspunkte haben, verdeutlicht er an diesem Beispiel: Im Etat des Wirtschaftsministers werden neuerdings jährlich fünf Millionen DM für die Film förderung bereitgestellt. Damit soll die Struktur der Filmwirtschaft in Nordrhein-Westfalen verbessert werden, wodurch auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Ebenso könnten diese Mittel dafür eingesetzt werden, auf dem Lande Kinos zu dörflichen und kleinstädtischen Begegnungsstätten auszubauen.
    Daß Müller, der mit einer Schauspielerin verheiratet ist, ein Beispiel aus der Filmkultur wählt, ist kein Zufall: Über viele Jahre leitete er in Mülheim den örtlichen Film-Club. Er verschweigt auch nicht seinen fast schon esoterischen Filmgeschmack; seine Vorliebe gilt engagiert gemachten Kunstfilmen, etwa denen des Regisseurs Werner Nekes, der "seine Filme wie Musik aufbaut, mathematisch genau". Besonders schätzt er klassische Musik. Sein Interesse an moderner Literatur könne er, so erzählt er bedauernd, aus Zeitmangel kaum noch befriedigen.
    Ludger Audick

    ID: LI871345

  • Porträt der Woche: Adolf Retz (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 10 - 30.06.1987

    Für Adolf Retz war am Abend des 12. Mai 1985 die Überraschung groß: Erstmals hatten die Sozialdemokraten den Wahlkreis Düren I "geholt", und mit einem Stimmenzuwachs von 5,8 auf 49 Prozent hatte der Leiter eines Konstruktions- und Fertigungsbereichs der Kern forschungsanlage Jülich sogar für seine Partei die dritthöchste Steigerungsrate in ganz Nordrhein-Westfalen erzielen können. "Wir hatten damals einen sehr engagierten Wahlkampf geführt", resümiert der gebürtige Aachener heute.
    Engagement zeigte Adolf Retz auch in der Vergangenheit, im Beruf ebenso wie im Jülicher Stadtrat und in der Partei. Das Ergebnis: Zahlreiche Berufungen in die verschiedensten Gremien. Als der heute 45jährige Sozialdemokrat Mitte der Sechziger Jahre die staatliche Prüfung als Maschinenbautechniker und dazu noch die Meisterprüfung im Mechaniker-Handwerk absolviert hatte, wollte er nach seinem Eintritt in die SPD eigentlich nur "ein bißchen mithelfen". Doch schon bald darauf arbeitete er aktiv im Jülicher Ortsvorstand mit und ist seit 1980 Vorsitzender dieses mitgliederstärksten Ortsvereins im Unterbezirk Düren.
    Zahlreiche Aktivitäten entfaltete der Sozialdemokrat auch nach seinem Einzug in den Jülicher Stadtrat 1979, wo er sich seitdem besonders dem Planungs- und dem Schulbereich widmet. Engagement zeigt der ehrenamtliche Vorsitzende der Kreisverwaltung Düren der Gewerkschaft ÖTV auch auf gewerkschaftlichem Gebiet. Zwei Legislaturperioden war er zudem Mitglied des Betriebsrates der Kern forschungsanlage Jülich. Seine Kenntnisse des Arbeitsrechtes machte sich auch das Arbeitsgericht Aachen/ Düren zunutze und ernannte ihn zum ehrenamtlichen Richter.
    Nach der Wahl in den nordrhein-westfälischen Landtag berief die SPD-Fraktion ihr neues Mitglied in den Ausschuß für Wissenschaft und Forschung sowie in den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen. Zwei Parlamentsgremien also, in die Adolf Retz sowohl Fachwissen wie auch praktische Erfahrung einbringen kann.
    So sieht der frühere Mitarbeiter der TH Aachen in der beginnenden Diskussion über die künftige Struktur der nordrheinwestfälischen Hochschullandschaft auch die Chance, neue Wissenschafts- und Forschungsbereiche zu erschließen. "Was die Studenten heute nicht lernen, können sie morgen nicht in konkurrenzfähige Produkte umsetzen", mahnt Adolf Retz. Trotz gespannter Finanzlage müsse das Land in Forschung und Wissenschaft verstärkt investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Angesichts der Strukturprobleme bei Kohle und Stahl sei es unverzichtbar, durch neue Techniken - wie beispielsweise im Bereich der Informatik - auch neue Arbeitsplätze zu schaffen.
    Als langjähriger Kommunalpolitiker sieht der SPD-Landtagsabgeordnete im Städtebauausschuß vor allem seine Aufgabe darin, die Städte wieder "menschengerechter" zu machen. Politiker und Behörden hätten sich in der Vergangenheit um die aktuellen Probleme des Verkehrs gekümmert und dabei nicht bedacht, daß gleichzeitig den Bürgern die "Lebensräume" weggenommen worden seien. Stadtsanierung bedeutet für den Sozialdemokraten daher vor allem, wieder Freiräume zu schaffen, "wo man nicht über Autos klettern muß". Dieses Bemühen werde allerdings nach seiner Ansicht erschwert durch die Stillegungspläne der Bundesbahn. Sie habe ihr Streckennetz teilweise unattraktiv gemacht, rügt der Abgeordnete.
    Zum gelungenen Einstieg in die Landespolitik haben nach seiner Einschätzung der Rat und die Unterstützung vor allem der älteren Fraktionskollegen beigetragen. Hingegen bedauert der Sozialdemokrat den geringen Kontakt zu den beiden anderen Fraktionen CDU und F.D.P. Das liege wohl daran, daß so viele Neulinge im Parlament seien und sie sich erst einarbeiten müßten. Seit Übernahme des Landtagsmandats kann sich Adolf Retz nur noch selten seinen Hobbys widmen - der Fotografie, Malerei und dem Kochen, und auch seine Zeit für Frau und die drei Töchter ist rarer geworden.
    Jochen Jurettko

    ID: LI871044

  • Porträt der Woche: Dr. Herbert Schnoor (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 26.05.1987

    Zwischen Dollart und Jade ist die Geduld geboren: Das Meer, der Sturm, die Kälte, lange Winter, kurze Sommer. Ostfriesen müssen beharrlich sein - so wie Herbert Schnoor, der dort in Moordorf bei Aurich am 1. Juni 1927 als Sohn eines Lehrers zur Welt kam. Der Lebensweg schien vorgezeichnet, weil die Liebe zur Poetik und Poesie den Schüler einfing; er rezitiert heute noch aus dem Stegreif Morgenstern wie Lichtenstein, und Ernst Jüngers "Stahlgewitter" widerfuhr dem Leser und Fahnenjunker Schnoor 1945 an der Elbe. Hitler hatte den Sturmangriff der Armee Wenck befohlen, die Berlin und den Führerbunker vor den Russen retten sollte, aber die letzte deutsche Offensive mit den jüngsten Soldaten der Nation versank in Blut und Tränen. Aus dem Brückenkopf Barby bei Magdeburg kämpfte sich Schnoor wie sein Kommandeur durch den russischen Ring in die amerikanische Gefangenschaft. Später an die Franzosen ausgeliefert, arbeitete der Zwangsarbeiter in Lothringens Kohlegruben, bis ihm die Flucht gelang. Knapp 20jährig kehrte er heim, ging wieder zur Schule, um das Abitur abzulegen, das der Krieg bis dato verwehrt hatte. Germanistik und Philosophie wollte Herbert Schnoor studieren, doch die alten Prüfer in Göttingen befanden ihn dafür noch nicht reif. "Da ging ich zu den Juristen", lächelt heute verschmitzt Doktor jur., der 1958 in den niedersächsischen Landesdienst eintrat, als Hinrich Wilhelm Kopf in Hannover regierte. Über den Umweg Bonn, "das mir nicht gefiel", kam der junge Beamte 1964 nach Düsseldorf, übernahm unter Kultusminister Prof. Paul Mikat (CDU) das Referat Volksschulgruppe. Sankt Proporzius hatte es dem Oberregierungsrat Schnoor erleichtert, weil die Position unbedingt mit einem Protestanten möglichst ohne CDU-Gesangbuch besetzt werden mußte. So wollte es Mikat, der dann 1966 aus allen Wolken fiel: Heinz Kühn löste die Regierung Meyers ab, Fritz Holthoff übernahm das Kultusministerium und Herbert Schnoor wurde sein persönlicher Referent.
    Sozusagen von Natur aus war Schnoor den Sozialdemokraten verbunden, denn in Ostfriesland, ja gar in Moordorf, hat die SPD tiefe Wurzeln, wenngleich der junge Mann aus dem Norden sich mehr an Rheinländern wie Heinz Kühn parteipolitisch orientierte. Der Ministerpräsident förderte ihn vorahnend, entsandte den sportlich-hageren Juristen und passionierten Waldläufer ins Innenministerium, nun schon als Ministerialdirigent und Personalchef; manch Beamter bei Willi Weyer stutzte. Es war nur ein kurzes Gastspiel, denn der unaufhaltsame Aufstieg des Johannes Rau zum Wissenschaftsminister zog 1970 Herbert Schnoor mit; seine Beamten-Karriere hatte den Höhepunkt erreicht: Staatssekretär! In den folgenden fünf Jahren vollbrachten Rau und Schnoor ein Glanzstück sozialdemokratischer Regierungspolitik; das gigantisch zu nennende Hochschulprogramm, die Regionalisierung der Universitäten mit ihren Standortvorteilen für Studenten von Bielefeld bis Siegen! Ein Lebenswerk für sich...
    Damit nicht genug, weil als einzig möglicher Nachfolger für Professor Dr. Friedrich Halstenberg erkannt, berief Kühn den nun schon mit allen Wassern der Ministerialbürokratie gewaschenen Staatssekretär zu seinem Stabschef, zum Chef der Staatskanzlei. Jetzt war auch der Diplomat gefordert, der die Sensibilität eines Seismologen benötigt, denn es bahnte sich die Zeit des Übergangs von Heinz Kühn zu Johannes Rau an. Die Turbulenzen in der Regierungspartei durften die Regierungszentrale nicht erschüttern, ein Ostfriese im Sturm. Es hat alles geklappt, und die Freundschaft zu Kühn wie zu Rau, trotz manch' bitterer Stunde für alle drei, ist geblieben.
    Wer konnte prophezeien, daß dieser Herbert Schnoor aus der Exekutive alsbald auch in die Legislative vordringen würde? Der SPD-Landesparteitag wollte es 1980 verhindern, aber Rau und Hans Otto Bäumer setzten den persönlich spartanisch bescheidenen Spitzenbeamten als Landtagskandidaten durch, ebneten seinen Weg ins Ministeramt. - Zufall oder Schicksal, die FDP konnte sich nicht mehr halten, Burkhard Hirsch mußte nach der Wahl das Innenministerium räumen, Rau berief seinen Vertrauten Schnoor zum Nachfolger. Ein Glücksfall!
    Von der Parteien Gunst und Hass nie verwirrt, entwickelte sich der neue Innenminister und Landtagsabgeordnete zum geduldigen Apologeten einer flexiblen, liberalen Politik, wie sie auch bei Demonstrationen musterhaft praktiziert wird. - Sozialdemokraten, die der bewaffneten Macht in einer rechtsstaatlichen Demokratie vorstehen, haben es oft schwer. Die einen verlangen mehr Härte, die anderen mehr Nachsicht. Fern jeder Ideologie lenkt und leitet Schnoor Polizei und Verwaltung; Demokratie hat Vorfahrt, auch im Zweifelsfalle immer für die Freiheit.
    Horst-Werner Hartelt

    ID: LI870825

  • Porträt der Woche: Dr. Hans Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 24.02.1987

    Er bezeichnet sich nicht nur als "großer Freund" der USA, sondern er hat zur Verständigung zwischen jungen Deutschen und Amerikanern schon viel beigetragen: Der SPD-Landtagsabgeordnete und Studienrat Dr. Hans Kraft aus Ratingen vor den Toren der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Bis der promovierte Pädagoge das Landtagsmandat 1985 übernahm und vom Schuldienst beurlaubt wurde, hat er als Initiator einer Schul-Partnerschaft zwischen dem Ratinger Kopernikus-Gymnasium und einer High-School im US-Staat Minnesota vielen Jungen und Mädchen beider Länder einen halb- bis einjährigen Schulbesuch dies- und jenseits des Ozeans ermöglicht. Das Düsseldorfer Kultusministerium rechnet den Schülern inzwischen ihren Unterricht in den USA an, so daß sie "keinen einzigen Tag verlieren", berichtet Hans Kraft. Den Austauschschülern entstehen bis auf die Flugkosten keine weiteren finanziellen Belastungen, weil sie jeweils bei den Gasteltern wohnen. Ein zweifellos nachahmenswertes Beispiel privater Initiative, die übrigens in Ratingen immer größeren Zuspruch findet.
    Die ersten Kontakte zu den Vereinigten Staaten knüpfte der am 7. Mai 1947 in Ratingen geborene Hans Kraft schon vor seiner Lehrertätigkeit - als Industriekaufmann. Nach einer kaufmännischen Lehre schickte ihn ein Maschinenbau-Unternehmen zu dessen Generalvertretung nach Pittsburgh (1966/68). Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, entschloß sich der Ratinger zum zweiten Bildungsweg, erwarb die Hochschulreife und studierte Englisch, Philosophie und Hebräisch an mehreren Universitäten. Es folgten die erste und zweite Staatsprüfung für das Lehramt am Gymnasium sowie 1980 die Promotion in Philosophie und Anglistik.
    Die ersten Verbindungen zur Sozialdemokratie fand Kraft über die Arbeiterwohlfahrt, in der er noch heute mitarbeitet. Nach dem Eintritt in die SPD 1972 wurde er schon wenig später stellvertretender Ortsvereins vorsitzender und dann 1979 in den Rat der Stadt Ratingen und zum Vize-Chef der SPD-Fraktion gewählt. Seitdem widmet sich der Sozialdemokrat als Vorsitzender des Planungsausschusses insbesondere der schwierigen Aufgabe, die wirtschaftlich aufstrebende Stadt vor den Toren Düsseldorfs "lebenswerter" zu machen. Vehement setzt er sich beispielsweise für die Verkehrsberuhigung in der City ein und kämpft für mehr Grünflächen. Im Schulbereich ist er Verfechter eines vielfältigen Bildungsangebotes, in dem auch die Gesamtschule einen ihr gebührenden Platz haben müsse.
    Seine Parteifreunde ersuchten Hans Kraft vor den Landtagswahlen 1985, im Wahlkreis 42 Mettmann III zu kandidieren. Diesen sogenannten "Kipp"-Wahlkreis hatte der CDU-Kandidat 1980 lediglich mit einem Plus von 23 Stimmen geholt. Mit einem Vorsprung von 7000 Stimmen eroberte der Sozialdemokrat ihn vor zwei Jahren für seine Partei. Nach dem Einzug in das Landesparlament berief ihn die Fraktion in den Ausschuß für Wissenschaft und Forschung sowie in den Sportausschuß. Zwei Bereiche, wo sich der Pädagoge und aktive Freizeitsportler "zu Hause" fühlt.
    Angesichts der an sie gerichteten hohen Anforderungen bei gleichzeitiger öffentlicher Finanzknappheit sieht der Abgeordnete die Hochschulen vor gewaltigen Aufgaben stehen. "Die Bundesrepublik muß als Export-Land im Bereich der Zukunfts- Technologien Welt-Niveau haben." Da der Staat für diese wichtige Aufgabe aber nicht genügend Geld habe, müsse die sogenannte Drittmittel-Forschung forciert werden. In diesem Zusammenhang wünscht sich Hans Kraft auch "mehr Liberalität" bei seiner Partei in dieser Frage. "Wir müssen einerseits mehr, frisches Blut' an die Universitäten bekommen und zum anderen den Transfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft entscheidend verstärken, unbürokratischer werden." Die Industrie müsse ihre Kenntnisse in die Hochschulen tragen. "Da können wir von den Vereinigten Staaten noch einiges lernen."
    Seit knapp zwei Jahren im Düsseldorfer Landtag, bemüht sich Hans Kraft, sich auch auf anderen Gebieten der Landespolitik sachkundig zu machen. Bei dieser Fülle wäre es allerdings überheblich zu sagen, man wisse schon, wo die Glocken hingen, räumt der Sozialdemokrat realistisch ein. Daß er inzwischen aufgrund seiner Parlamentszugehörigkeit schon vielen Bürgern Im Wahlkreis helfen konnte, ist für ihn ein "besonders erfreuliches Resultat" der Abgeordneten-Tätigkeit.
    Der berufliche Werdegang des Ratingers ist nicht "typisch" für einen Politiker. Vielleicht ist daher auch sein politisches Handeln heute undogmatisch, unkonventionell. Das macht ihn für viele seiner Kollegen sympathisch, und es trägt zudem sicherlich zur Effektivität seiner Arbeit bei. Fragt man Hans Kraft nach seinen Hobbys, so zählt er eine Reihe von Sportarten auf: Waldlauf, Karate, Fußball und Abfahrtslauf.
    Jochen Jurettko

    ID: LI870344

  • Porträt der Woche: Wolfram Kuschke (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 03.02.1987

    Wie viele Zugewanderte ist Wolfram Kuschke (SPD) im Revier schnell heimisch geworden: "Es war recht einfach, sich mit den Menschen im Ruhrgebiet zu identifizieren." In Menden geboren, in Münster aufgewachsen, vor knapp zehn Jahren durch seine Frau nach Lünen gekommen, hat er rasch die Offenheit und Direktheit der Revierbewohner schätzengelernt. Seine eigene Anpassungsbereitschaft verhinderte auch einen Knick in der Parteikarriere infolge des Wechsels von Münster nach Lünen. Im SPD-Stadtverband Lünen setzte er sich 1985 bei der Vorentscheidung für die Direktkandidatur im Landtags Wahlkreis Unna II mit einer Stimme Mehrheit im zweiten Wahlgang gegen den Polizeigewerkschaftsfunktionär Klaus Steffenhagen durch. Seit Mai 1985 gehört der 36jährige dem Landtag an.
    Kirchliche Jugendarbeit, stellvertretender Landesschülersprecher waren die Anfänge; das gescheiterte Mißtrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt 1972 war für Wolfram Kuschke der Anstoß, Sozialdemokrat zu werden. Schon bald folgten in Münster und später im Kreis Unna Führungspositionen bei den Jungsozialisten sowie die Mitgliedschaft in lokalen SPD-Vorständen, seit 1985 ist er stellvertretender Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Unna.
    In der SPD der Revierstadt Lünen habe er als Akademiker zunächst Vorurteile überwinden müssen, räumt Kuschke heute ein. Indem er versucht habe, seine Kenntnisse auf verständliche Weise umzusetzen, sei ihm dies gelungen. Insbesondere durch sein Engagement in der Seniorenarbeit der Partei fand er Anerkennung, gleichzeitig wuchs sein Bekanntheitsgrad. In seiner politischen Arbeit konnte er von Ausbildung und beruflicher Tätigkeit profitieren: In Münster studierte er Geschichte und Politikwissenschaft, das Studium schloß er mit dem sozialwissenschaftlichen Magister ab. Danach war er in der Erwachsenenbildung tätig und ab 1981 zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und schließlich als Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum.
    Kuschkes erste Rede im Landtag galt dem Ruhrgebiet, als dessen "Anwalt" er sich mittlerweile versteht. In einer Aktuellen Stunde wandte er sich scharf gegen ein Ruhrgebiets-Papier des CDU-Abgeordneten Wilfried Heimes, das nach seiner Auffassung schwere Diffamierungen der Revierbewohner enthielt.
    Als Mitglied des Landtagsausschusses für Wissenschaft und Forschung fand Kuschke schnell sein Schwerpunktthema: die sozialverträgliche Technikgestaltung. Dem notwendigen Strukturwandel sei ein politischer Rahmen zu setzen, um so die Gefahren neuer Technologien für den Menschen einzugrenzen. Das geplante Landesinstitut "Arbeit und Technik" werde ein breites Aufgabenfeld vorfinden. Insbesondere im Bereich der Bio-Gen-Technologien seien noch viele Probleme zu lösen; dabei komme es vor allem darauf an, mögliche Manipulationen am Menschen zu verhindern.
    Auch wenn die meisten Zuständigkeiten in der Agrarpolitik nicht in Düsseldorf, sondern in Brüssel und Bonn liegen, sieht Kuschke auch im Landwirtschaftsausschuß ein sinnvolles Betätigungsfeld. Dort will er sich vor allem für mehr Verbraucherschutz einsetzen. Nach seiner Einschätzung gehört dazu auch die Haushaltsberatung in Sachen Umweltschutz, wozu er beispielsweise Aufklärung in den Bereichen Hausmüll, Waschmittel und Wasserverbrauch rechnet. Nicht ohne Befriedigung weist er darauf hin, daß in Lünen im November die erste Umweltberaterin eingestellt worden ist, weitere 15 sollen 1987 in weiteren NRW-Städten folgen.
    Wie viele Parlamentsneulinge hat auch Wolfram Kuschke noch einige Schwierigkeiten damit, neben der Parlamentstätigkeit ausreichend Zeit für die Wahlkreisarbeit zu finden. Nach gut anderthalb Jahren beurteilt er die Landtagsarbeit durchweg positiv, nach seiner Auffassung könnte sie jedoch ein wenig bevölkerungsnäher sein. Wie dies zu erreichen wäre, dafür kennt er allerdings keine Patentrezepte. Zu überlegen sei jedoch, ob die Landtagsausschüsse nicht öffentlich tagen sollten, um so mehr Durchsichtigkeit zu erzielen.
    Die achtjährige Tochter profitiert - obwohl sie nicht den Anstoß dazu gab - von einer Sammelleidenschaft des Vaters: Er hat schon viele Kinderbücher gesammelt, besondere Faszination üben auf ihn die mehrdimensionalen aus, in denen die Figuren ausklappbar sind.
    Ludger Audick

    ID: LI870143

  • Porträt der Woche: Karl Schultheis (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 16.12.1986

    Als "Neuling" im nordrhein-westfälischen Landtag wundert sich Karl Schultheis darüber, daß so wenig ältere Kollegen sich zur Mitarbeit im Petitionsausschuß bereit finden. Gewährt dieser Ausschuß doch einen umfangreichen Überblick über die Probleme und Sorgen der Mitbürger - und für den Parlamentarier dazu noch oft ein "Erfolgserlebnis", das er ansonsten im Parlamentsalltag kaum findet. Dieses Fazit zieht der Aachener SPD-Landtagsabgeordnete über seine bisherige Tätigkeit im Landesparlament und insbesondere in diesem Gremium. Den 33jährigen Pädagogen, der nach eigener Einschätzung "eher ein hartnäckiger Mensch" ist und "ohne Illusionen" sein Mandat übernommen hat, überrascht es dennoch, welche "Kraftanstrengung" bisweilen erforderlich ist, um sich als Abgeordneter gegen den "Koloß Exekutive", also die Ministerialbürokratie, durchzusetzen.
    Bereits unmittelbar bevor er 16 Jahre alt wurde, trat der gebürtige Aachener in die SPD ein - "so wie es bei uns in der Familie üblich war". Mehrere Jahre Vorsitzender im Ortsverein Richterich, gehört er heute dem Aachener Unterbezirksvorstand an. Der Wunsch, direkten Einfluß auf politische Entscheidungen auszuüben, veranlaßte ihn, sich 1985 um ein Mandat zu bemühen. Und auf Anhieb setzte sich der Sozialdemokrat auch gegenüber seinem christdemokratischen Konkurrenten durch. Er holte den bisherigen CDU-Wahlkreis Aachen II für seine Partei. Die Landtagsfraktion berief ihn in den Petitionsausschuß sowie in den Ausschuß für Wissenschaft und Forschung. Den SPD-Abgeordneten reizte jenes Tätigkeitsfeld einmal wegen seines eigenen Interesses und zum anderen aufgrund seiner Ausbildung.
    Nach dem Besuch des Bischöflichen Aufbau-Gymnasiums in der Heimatstadt und einer Highschool in Neuseeland sowie der Grundwehrdienstzeit studierte er an der RWTH Aachen, absolvierte die erste Staatsprüfung für das Lehramt am Gymnasium, der die Referendarausbildung und das zweite Staatsexamen folgten. Während der Studienzeit arbeitete Karl Schultheis aktiv in den Organen der Verfaßten Studentenschaften mit.
    Nach Überzeugung des SPD-Abgeordneten werden Wissenschaft und Forschung eine zunehmende Bedeutung für die künftige Entwicklung des industriestärksten wie bevölkerungsreichsten Bundeslandes haben. Die Fortschritte in der Technologie würden die Gesellschaft maßgeblich beeinflussen. Daher müsse es eine der Aufgaben auch der Politiker sein, diesen gravierenden technologischen Wandel der nächsten Jahre und Jahrzehnte auch in seiner "sozialen Dimension" zu beeinflussen. "Mir geht es darum, die Technik für den Menschen zu nutzen und nicht gegen ihn." In diesem Zusammenhang spricht sich Karl Schultheis dafür aus, in Anbetracht dieser technischen Veränderungen gerade die Geisteswissenschaften zu fördern. Der technologische Fortschritt brauche sie als "ethische Grundlagen". Beeinflusse er doch stark das Zusammenleben der Menschen, die Familien und andere kleine Lebenskreise.
    Der Aachener SPD-Abgeordnete erwartet von den Hochschuleinrichtungen seiner Heimatstadt, die im übrigen der größte Arbeitgeber und der bedeutendste Ausbilder in dieser Region seien, entscheidende Impulse für die ganze Wirtschaft in diesem Grenzgebiet. Sie könnten neue strukturelle Entwicklungen in Gang setzen, nachdem traditionelle Industriezweige immer mehr an Boden verlieren würden und sich auch ein "Ende" des Braunkohle-Bergbaus abzeichne. Als Aachener sieht sich Karl Schultheis insbesondere dazu aufgerufen, zu verhindern, "daß der Übergang zu neuen Strukturen von hoher Arbeitslosigkeit begleitet wird".
    Der Abgeordnete versteht sein Mandat auch als einen Auftrag, Kontakte mit dem Bürger zu suchen und "einfach zuzuhören". So erfreut sich sein Wahlkreisbüro, wo ersieh um jeden Problemfall persönlich kümmert, regen Zuspruchs. Aber auch auf vielen örtlichen Festen ist er zu sehen, "weil man dort oft besser diskutieren kann". Die langjährigen Erfahrungen als Mitglied der Arbeiterwohlfahrt dürften sicherlich zu seinem sozialen Engagement beigetragen haben
    Jochen Jurettko

    ID: LI862037

  • Porträt der Woche: Brigitta Heemann (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 02.12.1986

    Brigitta Heemann wehrt sich lächelnd: "Ich bin doch nur eine kleine Abgeordnete", auf ihr Urteil komme es doch noch gar nicht an, meint die junge Abgeordnete und entzieht sich damit der Aufforderung, doch einmal ein Urteil abzugeben über die innere Verfassung des Düsseldorfer Landtags. Aber immerhin, soviel läßt sie sich entlocken: Da sie nicht nach Düsseldorf gekommen sei, um die Welt im Landtag zu verändern, habe sie auch keinen Grund zur Klage.
    Den hatte vor nun schon gut eineinhalb Jahren im heimischen Soest um so mehr die CDU. Denn der verheirateten Diplom- Finanzwirtin war im ersten Anlauf gelungen, was vor ihr eine ansehnliche Reihe männlicher Kandidaten nicht geschafft hatten: der CDU den als tiefschwarz geltenden Wahlkreis 140 zu entreißen. Elf Prozent hatte zuletzt der Vorsprung der CDU vor der SPD in Soest betragen. Als alle Stimmen am 12. Mai 1985 ausgezählt waren, hatte die SPD die Nase mit hauchdünnen 0,2 Prozent vom. Brigitta Heemann hütet sich wohlweislich, diesen Erfolg nur ihrer eigenen Kandidatur zuzuschreiben. Aber dieses und jenes Prozentpünktchen mag damals wohl auch deshalb bei der SPD hängengeblieben sein, weil die Partei hier zum ersten Mal eine Frau ins Rennen geschickt hatte. Und wenn es nach ihren Wünschen geht, so soll das auch noch die eine oder andere Legislaturperiode in Soest so bleiben, meint Brigitta Heemann ganz gelassen.
    Dabei ist sie gar keine gebürtige Soesterin. Für den Vater, einen Beamten im mittleren Dienst, war das Städtchen im Westfälischen nur eine von mehreren dienstlichen Durchgangsstationen. Als die Eltern aber Anfang der siebziger Jahre wieder umziehen müßten, blieb Brigitta Heemann, wie sie selbst sagt, "in Soest hängen". Der Liebe wegen, darf hinzugefügt werden. Damals wurde sie auch Sozialdemokratin, wegen ihres ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls, erklärt sie rückschauend. Schon in der Schule habe es sie gestört, daß manche Lehrer, selbst der Direktor des Gymnasiums, bei ihnen passend anmutender Gelegenheit doch schon mal die Bemerkung machten, als Tochter eines nur mittleren Beamten sollte sie gefälligst froh und zufrieden sein, dieses Gymnasium besuchen zu können. Eigentlich reiche doch für Kinder aus solchem Elternhaus auch die Mittlere Reife, habe sie sich anhören müssen.
    Brigitta Heemann reichte das nicht. Sie machte Abitur, eine kaufmännische Lehre, besuchte die Landesfinanzschule. Daß sie aufgrund dieses beruflichen Werdegangs nun als einzige Frau im Haushaltskontrollausschuß des Landtags sitzt, amüsiert sie eher, als daß es Ergebnis ihrer ureigensten Interessen gewesen wäre.
    Hinter ihrem Lächeln, der verbindlichen Art und einem Schuß Koketterie mit weiblicher Zartheit verbirgt die junge Abgeordnete einen nicht unbeträchtlichen politischen Ehrgeiz. Zwar behauptet sie noch, daß ihr das politische Tagesgeschäft oft schwerfalle, daß Nacken- und Tiefschläge sie schmerzten (wobei sie nicht verhehlt, daß solche Hiebe nicht nur von der Opposition kommen) - aber daß sie als Landtagsabgeordnete gerade im heimischen Wahlkreis "schon etwas ist", daß sie diesen Zustand genießen kann, seine Möglichkeiten ausschöpft, daß sie in diesem Zustand noch viele lange Jahre leben möchte, sagt Brigitta Heemann auch ganz schnörkellos und ohne falsche Bescheidenheit. Innerparteilich zählt sie sich eher zur Linken in der SPD, obwohl dies eher ein Gefühl aus dem Bauch heraus ist, auch weil es so schwer geworden ist, diese Linke inhaltlich zu definieren und abzugrenzen von anderen Strömungen innerhalb der Volkspartei SPD.
    Frauensolidarität im Landtag über die Parteigrenzen hinweg? Die letzten Illusionen zu diesem Thema sind der sozialdemokratischen Abgeordneten in der November-Sitzung des Parlaments vergangen, als es mal wieder um den Paragraphen 218 ging. Das Verhalten der CDU-Frauen in dieser Diskussion habe sie doch "sehr betroffen" gemacht, sagt Brigitta Heemann, ihr auch die Lust genommen, Bündnispartnerinnen bei der CDU zu suchen bei Themen, die ihr als Frau besonders wichtig sind, wobei sie alles aufzählt, was sich unter den Stichworten Gerechtigkeit und Hilfe für die Schwächeren in dieser Gesellschaft subsummieren läßt. Sie weiß, daß sie auch als Mitglied der Mehrheitsfraktion mit Kompromissen leben muß, aber sie will dabei keine Ruhe geben in ihrem Bemühen, sich um die Interessen derer zu kümmern, die "keine starke Lobby haben" - im Parlament oder anderswo. Sie versteht sich seit ihrem Abschied aus dem Finanzamt als Vollzeitpolitikerin. Ob das ihrem Mann in Soest gefalle? Da lächelt sie wieder: "Begeistert war der am Anfang nicht. Er hatte,na ja'zu meiner Kandidatur gesagt." Aber jetzt helfe er ihr nach Kräften. Und das, versichert Brigitta Heemann, sei keine der sonst bei diesem Thema üblichen Phrasen...
    Reinhard Voss

    ID: LI861932

  • Porträt der Woche: Anke Brunn (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 16 - 28.10.1986

    Daß Anke Brunn Ministerin, also Inhaberin staatlicher Macht sei, fällt einem kaum ein, wenn man ihr zum ersten Mal begegnet. Ihrer Erscheinung, ihrem Auftreten fehlt jede gouvemementale Attitüde. Sprödes Selbstbewußtsein, von einer dünnen, zerbrechlichen Stimme getragen, zeichnet sie aus. Alles Matronenhafte, mit dem Karrierefrauen, insbesondere in der SPD, früher oft kraftstrotzend dahergekommen sind, geht ihr gänzlich ab.
    Dabei ist Anke Brunn mit ihren gerade 44 Jahren längst eine Karrierefrau. Die Stationen ihres beruflichen und politischen Weges lesen sich wie eine einzige Erfolgsbilanz: Humanistisches Gymnasium, Abitur, Studium an den Universitäten in Hamburg, Paris und Köln, Diplomvolkswirtin. Bis 1975 wissenschaftliche Angestellte am Rechenzentrum der Uni Köln, danach nur noch Politikerin. 1981 wird sie Senatorin für Jugend, Familie und Sport im letzten Berliner SPD-Senat unter Jochen Vogel.
    Zu jener Berufung gehört eine Anekdote, die auch für später mancherlei erklärt. Vogel habe bei Johannes Rau nachgefragt, ob er niemanden für den vakanten Posten wisse. Rau sei sofort der Name der damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion eingefallen. Nachts um eins, so mag es gewesen sein, telefonierte er sie zu Hause aus dem Bett. Anke Brunn nahm an. Das " Notopfer Berlin" war ein kurzes Zwischenspiel, aber es bereichert die Biografie um Regierungserfahrung. Die Kölnerin aus dem Flecken Behlendorf im Kreis Lauenburg war damit zum Kreis der Macher gestoßen, auch wenn sie diesen Begriff als unangemessen für sich zurückweisen würde.
    Minutiös hat Anke Brunn für das Handbuch des Landtags auch ihre Parteikarriere zusammengestellt, ist sie doch einer der Schlüssel für ihre politische Laufbahn: Mitglied der SPD seit 1967, von 1973 bis 1981 Mitglied des Unterbezirksvorstandes, von 1973 bis 1981 und wieder ab 1983 Mitglied des Bezirksvorstandes Mittelrhein. Dazu Bezirksvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion, von 1981 bis 1983 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, stellvertretende Fraktionschefin. Mitglied der Enquete- Kommission des Bundestags "Jugendprotest im demokratischen Staat". Schließlich Gewerkschafterin, Landesvorsitzende des "Progressiven Eltern- und Erzieherverbandes" und, natürlich auch, Mitglied der Arbeiterwohlfahrt.
    Nachdem Anke Brunn wieder aus Berlin zurückgekehrt war, um eine administrative Erfahrung reicher, spielte sie im Personalkalkül Raus eine wichtige Rolle. Ihr war und da dominierten auch Überlegungen zur schmückenden Bereicherung der Landesregierung um eine Frau - schon lange vor der letzten Landtagswahl im Mai 1985 ein Sitz im Kabinett versprochen worden. Rau schwankte lediglich bei den Ressorts. Daß er Anke Brunn zur Wissenschaftsministerin machte, entspricht durchaus ihren Neigungen und Erfahrungen. Die Bildungspolitik war stets einer ihrer politischen Schwerpunkte.
    Anke Brunn, verheiratet und Mutter eines Sohnes, ist in der politischen Verkehrskunde von links zur Mitte gewandert. Das drückt sich auch in ihrer bewußt unbetonten Position gegenüber der Frauenbewegung aus. Obwohl engagiert, tut sie sich da nicht hervor. Sie gehört vielmehr zu jenem neuen Typ politischer Frauen, wie er in Rita Süssmuth, Ingrid Matthäus-Maier oder Antje Vollmer in Erscheinung tritt: Weitgehend unangepaßt ans männlich-dominierende Politiker-Ideal, scheinen sie ein bißchen außerhalb der maskulin gesetzten Normen und zugleich fern der provokanten Emanzenklischees zu stehen. Sie sind nicht die besseren Männer, wollen es auch nicht sein.
    Frau Brunns Regierungsamt gilt als besonders schwierig. Der Umgang mit Hochschulen, also Professoren, verlangt viel Fingerspitzengefühl, sollen nicht Überheblichkeit und Herablassung provoziert werden. Und mitunter wiegt auch die "Erblast" schwer. Wie z. B. ist das Verhältnis Staat Katholische Kirche für beide Seiten befriedigend zu lösen, wenn durch die erst vor wenigen Jahren vereinbarten Staatskirchenverträge, in Folge des sogenannten Preußen-Konkordats, die Hochschulen in ihrer Souveränität bei der Besetzung von Professorenstellen im Fachbereich Theologie beschnitten werden können? Frau Brunn will dafür sorgen, daß sie bei kirchlichem Widerspruch auf eine Berufung wenigstens den Grund erfährt - immerhin.
    Als Wissenschaftsministerin fällt ihr vor allem die schwierige Aufgabe zu, in Zeiten knappen Geldes und sinkender Studentenzahlen die Hochschullandschaft in NRW ohne Abbruch zu pflegen. Dabei setzt sie auf Kooperation. Hochschulschließungen will sie vermeiden. Die kleine Uni mit 6000 bis 7000 Studenten erscheint ihr als denkbar.
    Zunächst aber muß Anke Brunn das nordrhein-westfälische Gesetz über die wissenschaftlichen Hochschulen, kurz WissHG, an das geänderte Hochschulrahmengesetz des Bundes anpassen. Dabei steht für sie außer Zweifel, daß es eine Rückkehr zur alten Ordinarien-Universität nicht geben wird.
    Bernd Kleffner

    ID: LI861644

  • Porträt der Woche: Georg Aigner (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 16.09.1986

    Georg Aigner (52), Vater von zwei erwachsenen Söhnen, Diplom-Ingenieur, Geschäftsführer der Vestischen Straßenbahn- Gesellschaft, in Bochum bereits zum dritten Mal direkt in das Landesparlament gewählt, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion und deren verkehrspolitischer Sprecher, Mitglied der Gewerkschaft ÖTV, Unterbezirksvorsitzender seiner Partei in Bochum.
    Eine solche stichwortartige Aufzählung von persönlichen, beruflichen und politischen Daten sagt über den Mann nur wenig, über seine Persönlichkeit gar nichts. Um einen Mann, der die Politik zu einem Teil seiner Lebensaufgabe gemacht hat, vorstellen zu können, muß dieser bereit sein, sich im Gespräch zu öffnen, neue Einblicke gewähren, die Erkenntnisse jenseits dessen bringen, was man beobachten, nachlesen kann.
    Georg Aigner war dazu bereit. Zum ersten Mal 1977, als er gerade zwei Jahre dem Parlament angehörte, und jetzt wieder. Stand damals der berufliche und politische Lebensweg, der in das Parlamant gemündet hatte, im Vordergrund, so bewegte sich diesmal das Gespräch, das Ausloten und Abtasten in jenen Bereichen, in denen man Erfahrungen, Wandlungen, Reifeprozesse vermutet. Kurzum: so eine Art Bilanz nach mehr als zwölf Abgeordnetenjahren sollte es werden.
    Glaubhaft bleiben, so Georg Aigner vor neun Jahren, sei am wichtigsten für einen Politiker, die eigene Linie "sauber" durchhalten. Und heute? Im Grundsatz ist der Mann klarer geworden: "Bei aller Taktik nicht vorsätzlich die Unwahrheit sagen. Dann lieber schweigen." Ein feiner, doch wichtiger Unterschied; glaubhaft bleiben kann man im Zweifels fall auch dann noch, wenn man lügt, sofern andere den Sachverhalt nicht kennen.
    Zugeständnisse hingegen macht er nun, wenn es um die saubere eigene Linie geht. Er hat gelernt, daß eigene Vorstellungen nicht immer "lupenrein" durchzusetzen sind. Die Fähigkeit zum Kompromiß sei ausgeprägter geworden. Dabei meint er nicht jene landläufig als "faul" charakterisierten Vereinbarungen, sondern jene Kompromisse, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann, die als das Resultat des Austragens von Gegensätzen, des Ringens um die bestmögliche Lösung anzusehen sind. Sie müssen nicht, gemessen mit der Elle theoretischer Problembetrachtung, die besten sein, aber sie sind immer die am besten verträglichen, weil sie das größte Maß an Zustimmung finden. Will man in jedem Fall das absolut Beste, darf man die Demokratie nicht wollen.
    Und auch im Umgang mit Menschen, politischen Freunden und Gegnern, hat Aigner dazugelemt, wie er bekennt. Unter dem Begriff Lebenserfahrung ordnet er das ein. Habe er früher keine Ecke ausgelassen, an der man sich stoßen konnte, und dabei keine Rücksicht genommen, so will er heute Menschen nicht unnötig verletzen. Das heißt für ihn aber nicht Verzicht auf eigene Einsichten, auf das Ringen um die für richtig gehaltene Lösung. Doch unterliegt man schließlich in einer Auseinandersetzung, so hat man, bitteschön, die Pflicht, die Entscheidung der Mehrheit mitzutragen. Kompromißlos aber will und muß er sein, wenn es um Grundsätze, Grundwerte geht. In der alltäglichen Politik findet man die jedoch selten, wenngleich viele sie ständig im Munde führen.
    Im Parlamentsalltag geht es mehr um die profanen Dinge des Lebens; für Georg Aigner in erster Linie in der Fraktion um die politische Koordinierung und in der Sachpolitik um die Belange des Verkehrs. Dem "öffentlichen Personen-Nah-Verkehr" - das Sprachmonstrum wird durch die gebrauchte Abkürzung öPNV nicht besser - gehört seine Sympathie, obwohl er kein Feind des Autos ist. Aber er weiß auch, wenn die Leute in die Stadt mit der Bahn oder den Bussen statt mit dem eigenen Auto fahren sollen, geht es nicht mit Verboten oder Schikanen. Die Busse und Bahnen müssen schneller und bequemer sein und pünktlich fahren. Bis es soweit sein wird, bleibt noch viel zu tun, zu organisieren und zu bauen. Vielleicht 1995, so der erfahrene Praktiker, kann es soweit sein.
    Karl Lohaus

    ID: LI861337

  • Porträt der Woche: Witfried Kramps (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 10 - 10.06.1986

    Seine ersten Schritte in die Politik verdankt der SPD-Landtagsabgeordnete Wilfried Kramps einem Kommunisten. Der bewohnte das Parterre im Wittener Elternhaus und nutzte jede Gelegenheit, sich mit dem gewerkschaftstreuen Vater politisch zu reiben. Er habe bei diesen Wortduellen des Vaters mit dem Kommunisten manches gelernt, blickt der Parlamentarier zufrieden auf seine Jugendjahre zurück. Auch, daß man sich trotz politischer Gegensätze menschlich verstehen könne. Denn persönlich verstand sich Vater Kramps mit dem linken Mitbewohner gut.
    Der Hagener Wilfried Kramps ist ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat. Keiner aus der grauen Masse linker Hochschulabgänger. Kramps hat den langen Marsch über Volksschule und kaufmännische Lehre zurückgelegt. Aber die Politik hat ihn über die Jahre nicht losgelassen. Der Onkel wirkte als Bürgermeister in Dortmund, also zog es den damals 21jährigen 1961 an die Dortmunder Sozialakademie, wo er nach neun Monaten sein Diplom ablegte. 1960 in die Partei eingetreten, stieg Kramps bereits 1963 zum Vorsitzenden des SPD-Stadtverbandes Herdecke auf. Von 1965 bis 1985 verdiente der Politiker seine Brötchen als Geschäftsführer im SPD-Unterbezirk Hagen.
    Ein Parteimensch? Nach mehr als 20 Jahren Parteiarbeit sei ein Schritt zurück in den alten Beruf natürlich utopisch. Er hat seine Arbeit gemacht. "Manchmal war es schon zuviel. Ich habe meine Familie kaum noch gesehen", erinnert sich der frühere Parteisekretär. Als Abgeordneten-Kandidat habe er sich seiner Partei erst angeboten, als der damalige Amtsinhaber Nolzen seinen Rücktritt angekündigt habe. Denn "als Parteisekretär jemanden aus dem Sattel heben, das macht man nicht". Hagen ist eine sichere Bank der "Roten". 1985 holte Wilfried Kramps in seinem Wahlkreis 58,9 Prozent.
    Sich selbst ordnet der 45jährige als einen "praktischen Politiker mit Ideen" ein. Jeder müsse Utopien einbringen in die Politik, die Tagespolitik dürfe die Perspektive nicht verdrängen. Großes Vorbild des Hageners ist das Urgestein Herbert Wehner. Kramps hat den Alten kennengelernt. Heute bezeichnet sich Kramps als Fan von Jochen Vogel.
    Als Ratsmitglied und Landtagsabgeordneter sieht der Politiker im Düsseldorfer Landtag eine "Bühne für höhere Kommunalpolitik". Deshalb wäre es gut, wenn jeder Abgeordnete schon einmal im Rat seiner Gemeinde gearbeitet hätte. Die Umwidmung der Landtage in "Ersatz-Bundestage" lehnt der Sozialdemokrat entschieden ab. Der Ton im Landtag sei schärfer als in den Kömmunalparlamenten. Trotzdem hat Kramps mit den Hagener Abgeordneten Haak (SPD), Fischer (CDU) und Diegel (CDU) einen parteiübergreifenden "Bund" geschlossen. Die Abgeordneten sitzen in unterschiedlichen Ausschüssen und hocken sich regelmäßig bei Oberbürgermeister Loskand zusammen, um die drängenden Strukturfragen Hagens gemeinsam zu lösen.
    Der vierfache Vater hat seinen politischen Fahrplan abgesteckt. Höchstens drei Perioden will Kramps dem Düsseldorfer Landtag angehören. In den ersten fünf Jahren müsse man sich einarbeiten und sich gegen die "Platzhirsche" durchsetzen. Nach drei Amtszeiten sei man dann wieder zu sehr festgefügt. Ein großes Ziel? Wirtschaftsfragen interessierten ihn schon sehr. Vorsitzender eines Arbeitskreises, das wäre schon was.
    Im Wahlkampf hat der leidenschaftliche Sportfan vor Ort für furore gesorgt. Auf einer "Tour de Kramps" lernte der frische Kandidat per Fahrrad seinen gesamten Wahlkreis kennen, der sich wie ein Band um die Volme-Stadt zieht. Auch ein Jahr später steht der Drahtesel nicht rostig verwaist in der Garage. Wenn es die Zeit zuläßt, dann radelt der Abgeordnete mitsamt Familie und Hund ins Münsterland. Ansonsten besucht Wilfried Kramps Basketball-Spiele des SSV Hagen und Eishockey-Matches beim Iserlohner ECD. Seine Leidenschaft Jazz teilt im Familienrund niemand.
    Er möchte Ansprechpartner für seine Wählersein, setzt sich der Sozialdemokrat in die Pflicht. Ein Blick auf die Uhr. Die Zeit drängt. Eine Mutter hat angerufen und den Abgeordneten um einige Telefonnummern aus dem Düsseldorfer Branchenteil gebeten. Der Sohn sucht dringend eine Lehrstelle. Kein ungewöhnlicher Auftrag. Wilfried Kramps kümmert sich darum.
    Wilfried Goebels

    ID: LI861031

  • Porträt der Woche: Brigitte Speth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 03.06.1986

    Mit leiser Stimme, zögerlich und doch selbstverständlich sagt sie manchmal Sätze, die einem männlichen Abgeordneten nie über die Lippen kämen. Zum Beispiel: "Manchmal habe ich auch Angst vor meinen Wählern." Oder: "Weinende Menschen machen mich hilflos. So vielen kann ich nicht helfen. Es ist so hoffnungslos manchmal." Sie bekomme dann schon beim Telefonieren feuchte Hände...
    Die das sagt, hat sich vor Jahren schon als Physikstudentin bis zum Diplom durchgebissen, damals noch viele Semester als einziges weibliches Wesen unter männlichen Kommilitonen im Hörsaal. Und sie hatte im vergangenen Jahr den Düsseldorfer Wahlkreis 49 übernommen, den kein Mann haben wollte, weiter als uneinnehmbare CDU-Hochburg galt. Aber im Sog von Johannes Rau eroberte Brigitte Speth mit 46,5 Prozent die schwarze Hochburg, war am Wahlabend nach eigenem Bekunden selbst ein bißchen traurig und erschrocken, als sie plötzlich Landtagsabgeordnete war und ihre Arbeit als Organisationsleiterin der Düsseldorfer Gesamtschule aufgeben mußte. Viele Jugendliche hatten der beliebten Lehrerin vordem 12. Mai versichert, sie würden ihre Eltern beknien, Frau Speth auf keinen Fall zu wählen, damit sie bloß in der Schule bleiben müsse. Ein bißchen Wehmut schwingt schon mit, wenn Brigitte Speth sich daran erinnert...
    Aber mit Sanftmut, Bangigkeit und empfindsamem Herzen allein macht eine Frau in der Sozialdemokratischen Partei keine Karriere. Man(n) soll sich da nicht täuschen: Brigitte Speth, 1944 im Thüringischen geboren, hat eine Kämpfematur, ist, wenn sie sich recht erinnert, "immer eine Kämpferin gewesen", leise aber beharrlich, eher unauffällig, aber von solcher Glaubwürdigkeit, daß andere Frauen In der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen die neue Genossin - sie trat erst 1979 in die Partei ein - schon früh baten: "Sag das mal für uns", wenn sie sich von den Wortführerinnen in dieser Arbeitsgemeinschaftandie Wand geredet fühlten.
    So ist es nicht verwunderlich, daß es für Brigitte Speth "absolutschädlich" wäre, würden die Frauen die - wie sie sagt - Männerstrukturen - im politischen Kampf nachahmen oder gar übernehmen. Sie beharrt darauf, daß es sehr wohl auch in der politischen Auseinandersetzung weibliche Verhaltensstrukturen gibt, die den Kampf um Mehrheit und Mandate erträglicher machen. Für Brigitte Speth zählen dazu unter anderem eine größere Bereitschaft zum Zuhören, mehr Nachdenklichkeit, weniger Selbstgerechtigkeit - die Aufzahlung könnte sie noch lange fortsetzen.
    Da die Düsseldorfer Abgeordnete aber auch eine illusionslose Frau ist, glaubt sie nicht daran, daß solch weibliche Verhaltensstrukturen den Frauen irgendwann einmal in den politischen Entscheidungsgremien sozusagen automatisch die Mehrheit bescheren. Sie ist deshalb für die Frauenquotierung, die sie als "Hoffnung und Chance" versteht. Als einzige Frau in einer Männerrunde habe man es nun einmal schwer, machten es einem die Männer auch schwer, begründet Brigitte Speth ihr Votum für die Quotierung, die den Frauen mittelfristig zumindest jenen Prozentsatz an Vorstandsämtern und Mandaten verschaffen soll, den sie an der Parteibasis bilden.
    Ob sie sich als Feministin versteht? Die Abgeordnete zögert mit der Antwort keine Sekunde: "Selbstverständlich", aber dann setzt sie hinzu: "Doch bin ich mehr Genossin als Feministin, das kann ja auch gar nicht anders sein." In dieser Ausschließlichkeit gilt das aber wohl nicht für alle sozialdemokratischen Feminisfmnen oder - ganz wie man will - feministische Sozialdemokratinnen.
    Seit 1972 schon hatte sich Brigitte Speth in sozialdemokratischen Wählerinitiativen engagiert. Nach dem großen Wahlsieg Willy Brandts wurden damals viele ihrer Mitstreiterinnen Genossinnen. Brigitte Speth tat diesen Schritt nicht. Vielleicht ist auch das bezeichnend für die Düsseldorfer Abgeordnete: Sie trat erst in die Partei ein, als - so sagt sie es "vieles unter Schmidt den Bach runterging, was ich unter SPD-Politik verstehe". Und das sind für sie die Friedenspolitik, eine Gesellschafts- und Sozialpolitik zugunsten der Schwachen und zu Lasten der Wohlhabenderen, eine chancengerechte Bildungspolitik, Chancengleichheit für die Frauen.
    Welche Möglichkeiten sie hat, diese Ziele als Landtagsabgeordnete zu erreichen? Brigitte Speth räumt ein, daß es da nur begrenzte Möglichkeiten gibt. Bereut aber habe sie ihre Entscheidung für die Politik bisher noch nicht, wenn es auch selten Spaß mache, Erfolgserlebnisse nicht gerade nach jeder Sitzung der Mehrheitsfraktion zu feiern seien. Dennoch: Sie hat sich nun einmal reingekniet in diese Arbeit, will sie fortsetzen, solange sie einen Sinn darin sieht. Einen Sinn in erster Linie für jene, die Hilfe und Gerechtigkeit nötiger haben als Brigitte Speth selbst und all die anderen Abgeordneten des Düsseldorf er Landtags.
    Reinhard Voss

    ID: LI860948

  • Porträt der Woche: Hans Alt-Küpers (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 15.04.1986

    Daß er Landtagsabgeordneter werden könnte, hatte sich Hans Alt-Küpers vor dem 12. Mai vergangenen Jahres nicht einmal im Traumeinfallenlassen: Auf der Landesreserveliste stand er irgendwo bei Platz einhundert. Und ein Direktmandat im "schwarzen" Aachen, dazu noch gegen den Platzhalter Dietmar Katzy? Alt-Küpers: "Unsallenhierin Aachenschien das völlig aussichtslos. "Aber im Sog von Johannes Rau gewann Hans Alt-Küpersam 12. Mai zu seiner eigenen großen Überraschung doch den Wahlkreis I mit 46,1 Prozent vor der zuvor als unschlagbar geltenden Konkurrenz.
    Seitdem ist der 37jährige gelernte Maschinenschlosser, der sich über Ingenieurschule und Lehrerstudium zum Studienrat an einer Kölner Berufsschule hocharbeitete, Berufspolitiker. Er selbst sagt dazu, daß er mit dem Landtagsmandat seinen zweiten Beruf zum Hauptberuf gemacht habe. Als Mitglied des Aachener Stadtparlaments und des Bezirksplanungsrates hatte Hans Alt-Küpers schon vorher Mühe gehabt, den Brotberuf und sein politisches Engagement unter einen Hut zu bringen. "Jetzt brauche ich zum Glück nicht mehr zu pendeln", weiß der junge Abgeordnete die Früchte seines Erfolges zu schätzen.
    Hans Alt-Küpers hat in seiner jungen Karriere schon einmal in Düsseldorf so etwas wie Schlagzeilen gemacht. Das war damals im Mai vergangenen Jahres, als er als erster nicht in Düsseldorf wohnender Abgeordneter mit dem Fahrrad zum Landtag kam. Das war damals mehr als nur ein Gag. Denn der gelernte Maschinenschlosser versteht zwar etwas von Autos - nur: einen Führerschein hat er nicht. Küpers: "Früher fehlte mir das Geld dazu. Inzwischen aber bin ich aus Überzeugung Nicht-Autofahrer geworden. Das ist mein Beitrag zum Umweltschutz." Und nicht sein einziger. In Aachen haben Alt-Küpers und seine politischen Freunde schon vor Jahren ein Umweltbüro - er sagt, es sei das erste in der ganzen Republik gewesen - gegründet, eine Anlaufstelle für alle Bürger, die sich für praktischen Umweltschutz interessieren, die etwas machen oder verhindern wollen, Gesprächsstätte zwischen örtlicher SPD und Ümweltschutzverbänden wie "Bund" und Greenpeace. Wenn Hans Alt-Küpers von diesem Büro erzählt, hört man den Stolz auf diese Initiative unschwer aus jedem Satz.
    Seine ersten Erfahrungen im Landtag? Vor der Osterpause hielt er seine erste Rede im Plenum. Das Thema: Die Neue Heimat. Von der Fraktion erhielt er dafür viel Beifall. Ministerpräsident Johannes Rau aber war nicht völlig zufrieden. Ganz so scharf und polemisch habe der neue Mann aus Aachen das Thema doch nicht anzupacken brauchen, ließ der Regierungschef den jungen Abgeordneten wissen. Hans Alt-Küpers ist da anderer Meinung: "Ich bin der Auffassung, daß man den Unterschied zum politischen Gegner klar aufzeigen muß. Es muß Grenzen der vielbesch worenen politischen Gemeinsamkeit im Parlamentgeben. Da darf man die politische Kontroverse nicht scheuen. Erst recht nicht bei der Neuen Heimat", meint der Aachener selbstbewußt und unbeeindruckt vom Rüffel Raus. Friede, Freude, Eierkuchen sei sein Motto jedenfalls nicht. Kein vernünftiger Mensch könne doch bestreuen, daß es Konflikte zwischen Kapital und Arbeit gebe. Hans Alt-Küpers: "Die dürfen nicht verschleiert werden."
    In den nächsten Wochen ist der junge Abgeordnete aber in erster Linie damit beschäftigt, andere Schleier wegzureißen. Hans Alt-Küpers ist nämlich von seiner Fraktion in den Untersuchungsausschuß über das Geschäftsgebaren der Neuen Heimat geschickt worden - so etwas wie eine Auszeichnung, bestimmt aber kein Vergnügen. Weil der Ausschuß hinter verschlossenen Türen tagt, will Alt-Küpers überseine bisherigen Erfahrungen in diesem Ausschuß nichts sagen. Nur soviel läßt er sich entlocken: "Ein hartes Stück Arbeit. Für die Neue Heimat wird das nicht leicht..."
    Seine politischen Erfolgserlebnisse hat Hans Alt-Küpers eher in Aachen. Daß die örtliche SPD-Rathausfraktion jetzt endlich einmal einen Landtagsabgeordneten in ihren Reihen hat, erleichtere doch sehr die Arbeit der ganzen Fraktion, weiß der Abgeordnete zu berichten. Als Rathausfraktion habe man sonst nie Kontakt mit der Regierungsmehrheit in Düsseldorf gehabt. Sein Doppelmandat nütze unter dem Strich der ganzen Fraktion: "Es gibt mehr Kontakte zu den entscheidenden Leuten in Düsseldorf, es gibt Informationen, die wir hier sonst in Aachen nicht hatten, man kann auch hier und da zum Nutzen seiner Heimatstadt direkt eingreifen", freut sich der gebürtige Aachener. Er räumt allerdings auch ein, daß er von der CDU-Mehrheit in Aachen als Aachener Lobbyist noch nicht akzeptiert wird. Alt-Küpers sieht das eher ironisch: "Der örtliche schwarze Filz läßt sich nur ungern von einem sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten durchdringen - selbst wenn das für alle Aachener Vorteile brächte." Aber immerhin: " Unterderhand" - laut wagt das noch niemand zu sagen - werde auch im Rathaus sein Engagement für Aachen anerkannt. Ein Anfang also zur Veränderung lang gewachsenen Bewußtseins. Alt-Küpers ist ganz optimistisch, daß sich diese Entwicklung fortsetzen läßt. Schließlich haben die schwarze Mehrheit im Rathaus und der rote Landtagsabgeordnete noch vier lange Jahre Zeit, sich aneinander zu gewöhnen.
    Reinhard Voss

    ID: LI860647

  • Porträt der Woche: Anne Garbe (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 18.03.1986

    Die Gleichstellung der Frau in Gesellschaft und Beruf ist für Anne Garbe ein persönliches Anliegen. Seit dem Eintritt in die SPD 1970 konzentrieren sich ihre Aktivitäten vor allem auf diesen Bereich der Politik. Zunächst war es der Orts-, dann der Kreis- und Unterbezirksverband, wo die münsterische Sozialdemokratin um Verständnis für die Anliegen der Frauen warb und für Ihre Rechte kämpfte. Inzwischen gehört Anne Garbe dem Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) an und nach ihrem Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag im Mai letzten Jahres hat sie ein weiteres Tätigkeitsfeld gefunden. Die Gründung eines Arbeitskreises Frauenpolitik innerhalb der SPD-Fraktion war von ihr initiiert worden.
    Die Wahl in den Düsseldorfer Landtag kam für die Sozialdemokratin am Abend des 12. Mai völlig überraschend. Der Wahlkreis 99 Münster II war bislang eine CDU-Domäne und der Abstand zwischen den beiden großen Parteien betrug bei der 80er Wahl immerhin noch neun Prozent. Mit beachtlichen 42,7 Prozent bezwang sie ihren christdemokratischen Mitbewerber, den bisherigen Landtagsabgeordneten Rolf Klein und gewann erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen münsterischen Wahlkreis für die SPD. Auf die Frage, warum sie sich damals überhaupt um eine Nominierung im traditionellen CDU-Wahlkreis bemüht habe, meint Anne Garbe: " Wer immer dafür kämpft, daß Frauen einen größeren Einfluß in der Politik erhalten, der muß auch selbst die gebotenen Möglichkeiten nutzen."
    Diese Einstellung führte die im münsterländischen Epe (Kreis Borken) geborene Landtagsabgeordnete als 25jährige auch zur SPD. "Man kann nicht immer Kritik an politischen Parteien und ihrer Arbeit üben, ohne sich nicht selbst zu engagieren. "So wollte sie sich auch nicht "mit der Zahlung des Mitgliedsbeitrages begnügen", sondern sie versuchte, die Politik mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen.
    Heute ist Anne Garbe nicht nur Vorsitzende des Ortsvereins Roxel und Mitglied des Unterbezirksvorstandes Münster, ihre Stimme wird auch in den verschiedensten Führungsgremien der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen aufmerksam gehört.
    Es gibt viele Beispiele für ihr Engagement für die Frauen, aber auch für soziale Randgruppen. So zählte sie zu den Mitgründern der münsterischen Initiative "Frauen im Rat". Diese Initiative warb nicht nur erfolgreich für die Nominierung von mehr Frauen für den Stadtrat, sondern sie unterstützt auch die gewählten weiblichen Abgeordneten bei ihrer kommunalen Arbeit. "Es ist für viele Frauen schwer, Familie, Beruf und Politik miteinander zu verbinden." Die Düsseldorfer Parlamentarierin spricht da aus eigener Erfahrung: Sie ist Mutter von zwei Töchtern und als EDV-Lohnbuchhalterin tätig. Ihre Fraktion berief Anne Garbe in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie in den Petitionsausschuß. Aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit wünschte sie sich, in den Arbeitsausschuß delegiert zu werden. Und der Petitionsausschuß ist ihr inzwischen ans Herz gewachsen. "In diesem Gremium kann man einzelnen Menschen konkret helfen." Und es sind eben jene Randgruppen, um die sich die Abgeordnete schon früher kümmerte und die vor allem die Petenten sind.
    Als Neuling hat man es anfangs nicht leicht, auf dem landesparlamentarischen Parkett festen Fuß zu fassen. "Ein Problem ist, daß man plötzlich so viele Menschen kennenlernt, mit denen man zusammenarbeitet", gesteht die Münsteranerin. So schätzt sie besonders die Hilfestellung der Fraktionskollegen. Beständigkeit und Zielstrebigkeit waren bislang die dominierenden Eigenschaften im politischen Alltag von Anne Garbe. Diese Wesenszüge will sie auch in ihrem neuen Tätigkeitsfeld nutzen, und sicherlich mit ebenso großem Erfolg.
    Jochen Jurettko

    ID: LI860529

  • Porträt der Woche: Hermann Heinemann (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 25.02.1986

    Durchaus gern, aber eher beiläufig erzählt Hermann Heinemann (56), welche Ämter und Aufgaben er übernehmen sollte, jedoch nicht wollte oder konnte: Da er nicht schon früh Berufspolitiker werden wollte, lehnte er 1970 eine Kandidatur für den Bundestag ab. Auch Willy Brandt gab er einen Korb, als dieser ihn einige Jahre später fragte, ob er nicht SPD-Landesvorsitzender werden wolle. Ebenso wies er das Ansinnenzurück, das Amt des Bundesschatzmeisters seiner Partei zu übernehmen. Schließlich mußte er 1980 aus Gesundheitsgründen das Angebot von Johannes Rau ablehnen, nordrhein-westfälischer Ministerin Bonn zu werden.
    Daß er immer wieder im Gespräch war-bis ihn Rau im vergangenen Jahr zum Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales berief-, ist vor allem auf Heinemanns erfolgreiche Führung des SPD-Bezirks Westliches Westfalen zurückzuführen, dem mit über 130000 Mitgliedern größten Parteibezirk, den er seit mehr als elf Jahren leitet. Hintergründig lächelnd reagiert er, wenn man ihn aus diesem Grunde einen "mächtigen Bezirksfürsten" nennt, und weist sogleich daraufhin, daß dieser Bezirk in der Partei über großen Einfluß verfüge und auch 1985 ein deutliches Mitgliederplus verzeichnen konnte.
    In Bonn und Düsseldorf ist aber auch immer wieder an Hermann Heinemann gedacht worden, weil sich mittlerweile seine unbestrittenen Managerqualitäten herumgesprochen hatten. Nach 16 Jahren als Fachsekretär und Geschäftsführer der ÖTV in Dortmund war der gelernte Sparkassenbeamte 1971 zum Hauptgeschäftsführer der Westfalenhalle GmbH gewählt worden. Als Chef dieses großen Veranstaltungs- und Ausstellungszentrums schien er seine Lebensaufgabe gefunden zu haben, die er nicht ohne Zögern für das Ministeramt aufgab. Der Abschied von der Westfalenhalle sei ihm schwergefallen, gibt er offen zu: "Es war eine interessante und vielseitige Arbeit, die nicht vom Schreibtisch aus zu erledigen war." Nicht ohne Stolz weist er auf den Bau neuer Hallen, eines neuen Hotels und die Modernisierung der Gastronomie hin, im Laufe der Jahre habe er das Westfalenhallen-Zentrum zu einem erfolgreichen Betrieb entwickelt. Da er diesen Beruf sehr ernstgenommen habe, habe er immer versucht, sich nicht in der Politik zu "verzetteln".
    Heinemanns Zurückhaltung - vor allem in den 70er Jahren - gegenüber den unterschiedlichen Angeboten ist wohl auch auf eine gewisse Scheu zurückzuführen, vertrautes Gelände zu verlassen. Der gebürtige Dortmunder wohnt noch heute vor den Toren der Stadt und läßt sich täglich nach Düsseldorf chauffieren. Sein Vater, ein Dreher, starb früh; aufgewachsen sei er in einer "katholischen Familie, die schon vor 1933 sozialdemokratisch gewählt hat". Mitglied der SPD wurde Hermann Heinemann jedoch erst 1951, "eher zufällig" angeregt durch den Handball-Obmann im Apierbecker Sportverein. Gegen Ende des Krieges hatte er sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, nachdem er mehrfach von der Gestapo wegen angeblicher- aber nicht zutreffender - Kontakte zu den Edelweißpiraten verhört worden war.
    Über parlamentarische Erfahrungen verfügt Hermann Heinemann nur in geringem Umfange: Bevor er Westfalenhallen-Boß wurde, gehörte er etwa zwei Jahre lang dem Rat der Stadt Dortmund an, 1983/84 war er als Nachrücker für Willy Brandt Mitglied des Europäischen Parlaments. Zum MdL wurde er erstmals am 12. Mal 1985 gewählt, wenige Wochen später war er bereits Minister.
    Ihn als rechten, konservativen Sozialdemokraten einzustufen, bezeichnet Hermann Heinemann als "ausgemachten Quatsch". Sein bedächtiges, westfälisches Naturell, das ihn oft vor voreiligen Entschlüssen bewahrt hat, wird deutlich, als er ergänzt: "Ich springe nicht auf jeden Zug, der abfährt." Sein Ziel sei es, "für breite Schichten eine sehr menschliche Politik" zu machen. Diese Einstellung entspricht - das weiß Heinemann aus jahrzehntelanger Erfahrung - der Mentalität der meisten Bewohner des Ruhrgebiets. Dasselbe dürfte gelten für seine Beharrlichkeit: Seinen wenig erfolgreichen Vorstoß für eine gesetzliche Regelung zum Abbau von Überstunden zugunsten der Arbeitslosen hat er keineswegs zu den Akten gelegt. Nicht ohne Selbstironie erzählt er davon, daß er schon vor Jahren in der Westfalenhalle damit gescheitert sei, einen Abbau von Überstunden durchzusetzen. Dies alles ändere allerdings nichts an der Tatsache, daß immer noch viel zuviele Überstunden geleistet würden.
    Einräumen muß er jedoch, daß sein Ministeramt nur durch "Überstunden" zu bewältigen ist. Dafür hält sich der Vater von zwei erwachsenen Kindern fit durch lange Spaziergänge mit seiner Riesenschnauzerhündin "Gilda".
    Ludger Audick

    ID: LI860354

  • Porträt der Woche: Prof. Dr. Reimut Jochimsen (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 17.12.1985

    Reimut Jochimsen provoziert niemals Begeisterungsstürme, aber auch selten nachhaltigen Zorn. Der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Technologieminister, seit 1980 nach einem kurzen Vorspiel als Wissenschaftsminister im Amt, lebt politisch vielmehr in einer eigentümlichen Grauzone der wechselnden Farben. Jochimsen ist freilich kein Chamäleon, aber ein differenzierender Denker, dem die Kontrastmittel zu fehlen scheinen. Er entzieht sich der wohlfeilen Beschreibung.
    Die Sprache des gelernten Professors, der in Harvard und Bologna lernte und lehrte, ist in Deutsch merkwürdig uneindringlich, weitschweifig. Der gebürtige Nordfriese scheint in seiner Muttersprache nicht über jene präzisen Vokabeln zu verfügen, für die ihn Italiener und Anglophone, deren Idiome er fließend spricht, fast bewundernd rühmen. Mancher seiner Freunde wünschte sich, daß der schlaksig-spröde Mann aus Niebüll auch in seinem deutschen Vokabular zur Präzision fände.
    Das aber macht die Irritation aus: Jochimsen ist Wissenschaftler, Nationalökonom, Hochschullehrer, dem die politischen Machtworte nicht zu Gebote stehen. Er argumentiert leise, bescheiden, als wäre er seiner Sache nicht sicher. Nicht selten, rühmen aber seine Mitarbeiter, rege er so zu Nachdenklichkeiten an.
    Als Minister, und gerade für das Wirtschaftsressort, wirkt er verglichen mit einem Bangemann oder Lambsdorff wie ein Außenseiter. Jochimsen läßt sich mit Künstlern wie Beuys ein, für den er als Kunstmäzen eine jener basalt-gesicherten Eichen vor sein Amtshaus stellte. Von einem smarten Manager hat er nichts, scheint es.
    Die Daten seines Lebenslaufs lesen sich wie aus dem Akademiker-Lehrbuch: Abitur, danach Studium in Harvard, Bologna, Freiburg und Bonn; 1957 Diplomvolkswirt, zwei Jahre später Doktor-Promotion. Nach Gastprofessur in Bologna Habilitation und Berufung auf einen Lehrstuhl als ordentlicher Professor in Kiel. Das war 1964. Später wurde er Chef der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, danach Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. 1978 holte ihn der gerade zum Regierungschef aufgestiegene Johannes Rau als Minister ins Wissenschaftsministerium. 1980 berief ihn Rau als Wirtschaftsminister. Die Karriere des 52jährigen Nordfriesen, verheiratet und Vater von zwei Kindern, steht seitdem auf dem Prüfstand. Denn Jochimsen hat zum Beispiel den gewiß schwierigen Versuch einer Erneuerung des Ruhrgebiets zu verantworten. Aber den will er. Sehr zum Ärger der ansässigen Kommunalpolitik hat er einmal gemeint, daß die Industriepolitik Vorrang vor der Kommunalpolitik haben müsse.
    Kohle und Stahl - der leise Nordfriese läßt sich da eher Vorwürfe gefallen, als daß er den Konflikt sucht. Dabei hat er sein Verhandlungsgeschick 1983 erfolgreich in die Kohlenrunde mit dem Bund eingebracht. Ähnlich erfolgreich agiert Jochimsen, ein notorischer Vielreiser, wenn er irgendwo fern in anderen Strichen der Welt für die Belange der NRW-Industrie wirbt. Er selbst begreift sich da als "An- und Aufreißer" oder als "oberster Handlungsreisender" des Landes. Mit der Kabinettsumbildung nach der für die Sozialdemokraten so überaus erfolgreichen Landtagswahl am 12. Mai 1985 ist dem "Sensibilitätsminister" (ein Parteifreund) das heikle Thema "Schneller Brüter Kalkar" zugefallen. Macht Jochimsen den ungeliebten Reaktor dicht oder läßt er ihn ans Netz gehen? Vieles deutet darauf hin, daß Jochimsen, ganz seinem Naturell folgend, auf diese Fragen keine präzisen Antworten geben wird.
    Sicher aber ist, daß Jochimsen, in Übereinstimmung mit allen anderen Kabinettsmitgliedern, starke Vorbehalte gegen den Plutonium-Reaktor vom Niederrhein hat. Nach seiner Einschätzung darf der Brüter nicht in Betrieb gehen. Aber ganz offen ist es derzeit, wie dies zu erreichen sei.
    Denn der Minister wird zwar den rechtlichen Vorgang des Genehmigungsverfahrens für den Brüter korrekt und einwandfrei zu regeln versuchen, er möchte durch sein Nein zum Brüter aber auch keinesfalls riskieren, daß die technologische Intelligenz der SPD verlorengehe.
    Dieser "Spagat" kostet sehr viel Kraft und taktisches Vermögen.
    Jochimsens stille Art, den Brüter durch zähes Zögern allmählich außer Gefecht zu setzen, scheint sich durchzusetzen. Die plakative Konfrontation hat unter Regierungschef Rau ohnehin schon längst der Angebotsstrategie zum versöhnlichen Dialog Platz gemacht. Jochimsen wirkt da als Raus Minister durchaus konsequent.
    Bernd Kleffner

    ID: LI852133

  • Porträt der Woche: Professor Dr. Friedhelm Farthmann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 20 - 10.12.1985

    Die Kunst der - manchmal sogar tiefsinnigen - Blödelei beherrscht Johannes Rau wie wenig andere zwischen Rhein und Weser. Niemand ist da vor ihm sicher. Auch nicht Friedhelm Farthmann, der in der vergangenen Woche seinen 55. Geburtstag feierte und von seinem Ministerpräsidenten mit einer launigen Ansprache geehrt wurde: Der Vorsitzende der SPD-Landtags fraktion sei ja bekannt für sein ruhiges Naturell, für seine tolerante Art, die Fraktion am langen Zügel zu führen, für seine zurückhaltende Art, der Regierung Hinweise zu geben, wie das Land zu regieren sei, lobte Rau mit tiefernster Miene (aber das geliebte Pils in der Hand) das leicht errötende "Geburtstagskind".
    Die Geburtstagsgäste grinsten sich einen. Wer es wagte, lachte laut. Ruhig? Zurückhaltend? Tolerant? Im politischen Geschäft zumindest gilt für Friedhelm Farthmann in allem eher das Gegenteil. Herumpalavert wird in der Fraktion nicht mehr, seit er dort die Nummer eins ist. Da führt die Fraktion einer, der weiß, was er will, der zu wissen beansprucht, wo es langzugehen hat, der auf diesem Weg Hindernissen nicht ausweicht, sondern sie wegzuräumen versucht. Die Opposition im Düsseldorfer Landtag kann davon ein Lied mit schon vielen Strophen singen - obwohl Farthmann gerade erst ein halbes Jahr die Mehrheitsfraktion führt.
    Geblödelt war es deshalb nicht, als Johannes Rau auf besagter Geburtstagsfete den Fraktionsvorsitzenden auch als "wichtig" und "unersetzlich" für die Sozialdemokraten im Lande charakterisierte. Ein gewichtiges Wort, dieses "unersetzlich", das nicht einmal für Johannes Rau gilt, der sich ja aufmachen will, Bonn für die SPD zu erobern. Ob dann vielleicht Friedhelm Farthmann in die Staatskanzlei wechselt, vorausgesetzt, Rau erreicht sein Ziel? Auf solche Spekulationen reagiert Farthmann in der von Rau beschriebenen Art ganz ruhig und tolerant mit Worten wie "Quatsch, Blödsinn" oder dem zarten Hinweis, daß er nicht zu denjenigen zähle, die über ungelegte Eier gackern.
    Und er zählt auch nicht zu denen, die gern "lau baden", um ein berühmt-berüchtigtes Wort von Herbert Wehner über Willy Brandt zu wiederholen. Wehner zu Brandt wie Farthmann zu Rau wer sich die beiden Gespanne betrachtet, kann durchaus Ähnlichkeiten in den Beziehungen zueinander entdecken, vielleicht gar Parallelen auf natürlich niedrigerer, landespolitischer Ebene. Soviel kann man immerhin sagen: Farthmanns Vorgänger Karl Josef Denzer hatte Johannes Rau stets fest im Griff. Bei Farthmann wird Rau das nicht behaupten wollen. Trotz aller gegenteiligen Versicherungen bleibt es deshalb auch eine Tatsache, daß Rau nicht gerade jubelte, als Farthmann nach dem Fraktionsvorsitz griff und dafür das nach außen repräsentativere Ministerbüro nach zehnjähriger Amtszeit gänzlich freiwillig und ohne übergroßes Bedauern verließ.
    Was der Minister Friedhelm Farthmann in diesen zehn Jahren gewollt, gesagt, getan hat, braucht hier nicht aufgezählt zu werden: Es füllt ganze Bände in den Archiven der Zeitungsverlage überall in der Republik. Denn Farthmann gehörte als Minister zu jenen Leuten, die nach dem Motto handeln: " Tu nicht nur Gutes, sondern rede auch drüber" - und so war er in all den Jahren der mit Abstand öffentlichkeitsfreudigste Minister im Kabinett Rau. Kaum verging einmal eine Woche, in der Farthmann nicht zu einer Pressekonferenz einlud. Mit den Ärzten legte er sich an in seiner Funktion als Gesundheitsminister, mit der nicht weniger mächtigen Industrielobby wegen der Umweltverschmutzung, mit den Gewerkschaften wegen ihrer Tarifpolitik die Reihe ließe sich beliebig verlängern. Wie Klaus Matthiesen, der andere starke Mann in jenem engen Kreis um Johannes Rau, in dem die sozialdemokratische Politik hierzulande gemacht wird, ist Friedhelm Farthmann ein politischer Überzeugungstäter, einer, der sagt, was er denkt: oft laut, immer deutlich, ein Freund klarer Verhältnisse, nicht immer zur ungetrübten Freude des großen Harmonisierers an der Regierungsspitze. Aber um dessen Beifall hat Farthmann auch noch nie gebuhlt.
    Reinhard Voss

    ID: LI85201F

  • Porträt der Woche: Günter Harms (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 03.12.1985

    Er ist kein Senkrechtstarter - und er will es auch nicht sein. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Oberstudienrat Günter Harms aus dem westfälischen Ahlen ist es gewohnt, durch "dicke Bretter zu bohren", dauerhaft und zielstrebig zu arbeiten, denn da "stecken auch mehr Perspektiven drin", urteilt er. Und dieser (westfälisch geprägte) Wesenszug soll auch seine künftige parlamentarische Tätigkeit im nordrhein-westfälischen Landtag am Schwanenspiegel bestimmen.
    Der heute 38jährige Pädagoge war am Abend des 12. Mai selbst überrascht, daß er bereits beim "ersten Versuch" im Wahlkreis 101 (Warendorf 2) den Sprung in das Landesparlament geschafft hat - mit ihm hatte er eigentlich erst bei der nächsten Wahl, in fünf Jahren, gerechnet. Bis zum letzten Frühjahr hatten die Christdemokraten in jenem münsteriändischen Wahlkreis eine beachtliche Mehrheit.
    Wie so viele seiner Parlamentskollegen hat auch Günter Harms seine ersten politischen Aktivitäten in der Kommune entwickelt, in einer Stadt wie Ahlen übrigens, die ebenso große Strukturprobleme wie schwierige Mehrheitsverhältnisse im Rat hat. Die Gemeinde zählt zu den wenigen in Nordrhein-Westfalen mit traditioneller DKP-Beteiligung im Parlament. 1975 schickten ihn die Wähler in den Stadtrat, seit 1980 ist er stellvertretender Bürgermeister. Das kommunalpolitische Engagement des Sozialdemokraten gilt insbesondere den sogenannten Randgruppen in der Gesellschaft, und da wiederum den Jugendlichen. Zahlreiche Initiativen gingen von dem Vorsitzenden des Ahlener SPD-Stadtverbandes auch für eine bessere Infrastruktur des Freizeitbereichs aus, der immer größere Bedeutung gewinnt. Der Pädagoge möchte den Bürgern Gelegenheit bieten, daß sie die Freizeit so sinnvoll wie möglich nutzen können und nicht nur "passive Konsumenten" der Freizeitindustrie sind.
    Bevor der Ahlener politisch tätig wurde, baute er sich mit viel Energie die berufliche Zukunft auf. Nach Besuch der Volksschule, nach der Lehre als Industriekaufmann und anschließendem eineinhalbjährigen Wehrdienst kehrte Günter Harms wieder in seinen Beruf zurück und erwarb gleichzeitig in Abendkursen die Fachhochschulreife. Sie ermöglichte ihm, Betriebswirtschaft an der Dortmunder Fachhochschule zu studieren.
    Die Bonner Atmosphäre erlebte er in den folgenden eineinhalb Jahren als Wissenschaftlicher Mitarbeiter eines SPD-Bundestagsabgeordneten. Dieser Tätigkeit schloß sich ein Studium der Politischen Wissenschaften, der Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften an der Universität Münster an. Nach einer zweijährigen Studienreferendarzeit in Bielefeld fand er 1979 Anstellung bei den kaufmännischen Schulen in Ahlen und war bis zur Übernahme des Landtagsmandats im Mai als Oberstudienrat tätig.
    Die SPD-Landtagsfraktion berief den "Neuling" auf dem landespolitischen Parkett in den gewichtigen Haushalts- und Finanzausschuß sowie in den Ausschuß für Haushaltskontrolle, wo sich der Ahlener ebenso engagiert wie behutsam in die drängenden Probleme einarbeitet. Dabei ist für den SPD-Abgeordneten ein besonderes Anliegen, den "zentralistischen Entwicklungen" in der Bundesrepublik auch im finanziellen Bereich entgegenzuwirken. Alle Änderungen des Grundgesetzes beispielsweise seien zu Lasten der Länder erfolgt. Aber auch der Handlungsrahmen der Kommunen würde immer mehr eingeschränkt.
    Der Ahlener hält es daher für wichtig, sich in der Landes- wie auch in der Bundespolitik zu engagieren und gleichzeitig ein "Standbein" in der Kommune zu haben, wo die Auswirkungen der politischen Entscheidungen von Bund und Land am nachhaltigsten sind. So gehört Günter Harms auch einem SPD- Arbeitskreis an, der sich mit wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt.
    In seiner neuen parlamentarischen Wirkungsstätte hat der Abgeordnete bereits Fuß gefaßt - dank der Unterstützung vor allem von Fraktionskollegen aus dem Bezirk Westliches Westfalen, die er aus seiner Parteiarbeit bereits kannte. Diese Unterstützung ist für "Neulinge" unerläßlich angesichts der ohnehin begrenzten Möglichkeiten gegenüber der mächtigen Ministerialbürokratie.
    Der Abgeordnete widmet die Freizeit insbesondere der Familie, wobei die beiden Töchter, zwei und fünf Jahre jung, der verständliche Stolz des Vaters sind. Auch geht er gern zum Fußballplatz mitunter als aktiver Spieler in der Altherren-Mannschaft. Angesichts der zusätzlichen Aufgaben dürfte er allerdings die Fußballschuhe künftig seltener anziehen können....
    Jochen Jurettko

    ID: LI851921

  • Porträt der Woche: Klaus Strehl (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 18 - 19.11.1985

    Fische und Pflanzen im Zierteich des eigenen Gartens in Bottrop-Fuhlenbrock finden seine ganze Aufmerksamkeit, der reinrassige Rauhhaarteckel "Hummel von der Schloßstadt" begleitet ihn auf langen Spaziergängen: Fast idyllisch klingt, was Klaus Strehl (42), verheiratet und Vater von zwei Kindern, seit Mai Mitglied der SPD-Fraktion im Landtag, auf die Frage nach seinen privaten Interessen antwortet. Mit Idylle haben dagegen seine politischen Interessensgebiete gar nichts zu tun: Kohlevorrangpolitik, Landesplanung, Umweltschutz.
    Für den Sohn eines alten Gewerkschafters ist es 1966 "gewissermaßen zwangsläufig" gewesen, in die SPD einzutreten. Schon bald wird Strehl stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Fuhlenbrock (was er noch heute ist), Vorstandsmitglied und für zwei Jahre auch Vorsitzender der Bottroper Jungsozialisten, Mitglied im Unterbezirksvorstand. Parallel dazu verläuft der berufliche Werdegang von der Inspektorenausbildung über das Studium zum "Diplom-Kommunalbeamten" an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie bis hin zum Amtsrat im Rechnungsprüfungsamt der Stadt Oberhausen. Seit zehn Jahren gehört er dem Bottroper Stadtrat an, wo er sofort zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, seit acht Jahren dem Bezirksplanungsrat.
    Im Landtag vertritt Klaus Strehl den Bottroper Wahlkreis als Nachfolger der "Bottroper Institution" Ernst Wilczok, der 15 Jahre lang Abgeordneter war und seit 1949 mit kurzen Unterbrechungen Oberbürgermeister ist. Strehl spricht nicht gerne darüber, aber er hat nicht vergessen, daß Wilczok 1982 seine Wahl zum Stadtkämmerer verhindert hat. Im darauffolgenden Jahr löste er Wilczok als Vorsitzender des SPD-Unterbezirks ab. Ein wenig Triumph klingt schon mit als er von der Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl berichtet: "Am 12. Mai 1985 kam es zu einer Kampfabstimmung, auf mich entfielen 67, auf Ernst Wilczok 50 Stimmen."
    Als Mitglied des Landtagsausschusses für Landesplanung und Umweltschutz kann Strehl auf seine kommunalpolitischen Erfahrungen zurückgreifen. Der abstrakte Begriff "Kohlevorrangpolitik" wird bei ihm sofort konkret: Die Nordwanderung des Bergbaus ist für ihn unverzichtbar, wenn man diesen Grundsatz weiterhin verwirklichen will. Aus Gründen des Umweltschutzes sollten im südlichen Münsterland aber nur Seilfahrt- und Wetterschächte errichtet werden und die Förderschächte im Emscher-Lippe-Raum erhalten bleiben.
    Zum Kohlevorrang gehören für den Bottroper Abgeordneten auch verstärkte Anstrengungen zur Kohleveredelung, bei seinem Wahlkreis auch nicht verwunderlich. Seit Jahren wird in Bottrop eine Versuchsanlage zur Kohleverflüssigung betrieben. Jetzt geht es ihm darum, Bottrop als Standort einer größeren Demonstrationsanlage für Kohlehydrierung - möglicherweise in Kombination mit dem Einsatz von Schweröl - durchzusetzen, 1000 Dauerarbeitsplätze könnten damit verbunden sein. Da scheut der eher zurückhaltende Strehl auch vor großen Worten nicht zurück: "Ein Verzicht auf die Kohlehydrierung wäre ein schwerer Schlag für die Kohlevorrangpolitik, eine große Gefahr für die Zukunftschancen der heimischen Kohle." Auch wenn die flüssige Kohle auf dem Markt noch längst nicht konkurrenzfähig ist, so hegt Strehl keine Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen Großanlage: "Wir müssen demonstrieren, daß diese Technologie funktioniert, nur so wahren wir spätere Chancen auf dem Exportmarkt."
    Aus der Kommunalpolitik bringt er zwei weitere Themen mit in die Landespolitik. Bei den Entscheidungen über die "Auskiesung" der Kirchhellener Heide hat er schmerzhaft feststellen müssen, daß hier allein das Bergamt das Sagen hat; er fordert ein Mitspracherecht der betroffenen Kommunen, die auch für eine schnellere Rekultivierung der Landschaft sorgen müßten. Daneben nennt er die Errichtung von neuen Kleingartenanlagen eine wichtige Aufgabe der Umwelt- und Freizeitpolitik vor allem in Ballungsräumen. Hier sucht er nach Möglichkeiten, den Fördersatz des Landes zu erhöhen. Ihm schwebt auch ein Modell vor, bei dem die Kleingärtner gleichzeitig für den Erhalt der ihre Anlage umgebenden Natur mitverantwortlich sein sollen.
    Für den Petitionsausschuß hat sich Strehl nicht von sich aus gemeldet. Schon nach wenigen Monaten bekennt er jedoch, daß ihm die Arbeit dort viel Spaß macht und befriedigt, denn sie biete die "Möglichkeit zu direkter Hilfe für den Bürger".
    Die Landtagsverwaltung will der Neu-Parlamentarier zwar nicht kritisieren, dennoch formuliert er vorsichtig, daß "mehr technisch-organisatorische Hilfen" für Parlamentsneulinge notwendig seien: ein kurzer Leitfaden mit nützlichen Tips könnte viel Zeitaufwand ersparen. Bei ihm selbst hätten sich die Anlaufschwierigkeiten in Grenzen gehalten, erfahrene Fraktionskollegen seien mit Ratschlägen hilfreich gewesen.
    Ludger Audick

    ID: LI851837

  • Porträt der Woche: Reinhold Hemker (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 01.10.1985

    Mit einer Drehorgel lenkte der überraschend in den nordrhein-westfälischen Landtag eingezogene Pastor Reinhold Hemker am ersten Plenartag nach den Wahlen die Aufmerksamkeit seiner Kollegen auf sich. Das Alt-Berliner Musikinstrument ist für den Sozialdemokraten ein wichtiges Requisit bei seinen "Spendensammel-Touren" für Arbeitslose und Entwicklungsländer. Damit sind auch schon zwei Engagements des vierzigjährigen Abgeordneten genannt.
    Nicht ohne gewisse Genugtuung verweist er denn auch darauf, daß in "seinem" Wahlkreis 96, Steinfurt II, "vermutlich die meisten Dritte-Welt-Initiativen in der Bundesrepublik existieren". Die Hilfe für die Menschen in den Entwicklungsländern hat sich Reinhold Hemker schon lange zu seinem persönlichen Anliegen gemacht; ob als Student, Dozent, Lehrer, Pfarrer und auch jetzt als Landtagsabgeordneter. Seine Fraktion berief den Neuling auf dem landesparlamentarischen Parkett überraschend schnell in den gewichtigen Hauptausschuß, der sich u. a. auch mit den Fragen der Entwicklungspolitik beschäftigt. Der SPD-Abgeordnete möchte nun dieses Aufgabenfeld des Landtagsgremiums aktivieren und u. a. eine Stiftung "Entwicklung und Frieden" ins Leben rufen. Und mit ebenso großem Engagement wie in seinem münsterländischen Heimatkreis will er auf Landesebene sich dafür einsetzen, daß Jugendliche aus Entwicklungsländern in Nordrhein-Westfalen ausgebildet und junge Deutsche als Entwicklungshelfer für jene Staaten gewonnen werden.
    Bis zur Übernahme des Landtagsmandats im Mai in ev. Gemeinden tätig, kennt der "Sozialpastor" und Politiker ("Ich kann beides nicht trennen") auch die Probleme von Jugend und Familie hautnah. Der gebürtige Burgsteinfurter fühlt sich verpflichtet, insbesondere jene kleineren unabhängigen Selbsthilfe- Gruppen und Initiativen zu unterstützen und ihnen auch Anerkennung bei den Behörden zu verschaffen. Stärker gefördert sollten auch Modell-Maßnahmen von solchen Trägern, die vor allem sozialschwache Familien zu entlasten versuchen.
    Die Tätigkeitsfelder von Reinhold Hemker entsprechen sicherlich seinem beruflichen wie politischen Lebensweg. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er an der Universität Münster zunächst Philologie und Geschichte, dann Religion und Pädagogik, unterrichtete nach bestandenem Lehrerexamen an Haupt- und Realschule. 1971/72 folgte das theologische Examen. Weitere berufliche Stationen: Gemeindepfarrer in Rheine und Burgsteinfurt, Schulreferent in den Kirchenkreisen Steinfurt, Tecklenburg und Coesfeld, Dozent für entwicklungsbezogene Bildungsarbeit im Pädagogischen Institut der Ev. Kirche von Westfalen in Villigs.
    Die ehrenamtliche Tätigkeit in kirchlichen Vereinen und im Sportbereich führte Reinhold Hemker schließlich 1967 in die SPD, "weil ich erfuhr, daß solche Aktivitäten durch politische Entscheidungen beeinflußt werden". Die Kommunalpolitik lernte er zunächst als sogenannter "sachkundiger Bürger" in Gronau kennen, und 1975 schickten ihn die Wähler in den Borkener Kreistag. Schwerpunkte seiner Mandatsarbeit bis 1983 waren Sozial- und Jugendfragen und natürlich auch die Entwicklungs- und Friedenspolitik. Auf Drängen seiner Parteifreunde kandidierte der Sozialdemokrat bereits 1980 für den Landtag. Doch der Vorsprung seines christdemokratischen Konkurrenten war damals noch nicht einholbar. Fünf Jahre später, bei der Landtagswahl am 12. Mai, schaffte er es.
    Für den SPD-Abgeordneten hat der Wahlsieg über seinen Mitbewerber, den CDU-Kandidaten Helmut Brömmelhaus, allerdings einen "bitteren Beigeschmack". - "Ich hätte mir gewünscht, daß mein Kontrahent nicht ausgerechnet ein alter Gewerkschaftler gewesen wäre." In seiner Rolle als Landtagsabgeordneter versteht er sich als "Makler" für alle Bürger und als "Briefträger nach Düsseldorf". Viel Unterstützung findet der Vater von zwei Söhnen auch bei seiner Ehefrau Kerstin - auch sie ist übrigens Pastorin mit großem Engagement.
    Trotz seines großen Aktionsradius will sich Reinhold Hemker auch weiterhin Zeit nehmen für seine Hobbys: Tischtennis, Reisen und Skat. Zweifellos gewinnt die SPD-Fraktion mit ihm ein belebendes Element.
    Jochen Jurettko

    ID: LI85151E

  • Porträt der Woche: Klaus Matthlesen (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 14 - 24.09.1985

    Montag morgen im Düsseldorfer Landtag: Klaus Matthiesen hat gerade ein sehr kostspieliges Programm zur weiteren Luftverbesserung in Nordrhein-Westfalen den Journalisten der Landespressekonferenz vorgestellt. Da fragt ihn ein Reporter, ob er vom Finanzminister genug Geld bekomme, um dieses ehrgeizige Programm in die Tat umzusetzen. Klaus Matthiesen hebt die Augenbrauen und sagt ganz einfach: "Die Frage verstehe ich nicht." Und dann lächelt er ein bißchen und fragt zurück: "Glauben Sie im Ernst, ich stelle hier ungedeckte Schecks aus? Die Haushaltsberatungen für den Etat 1986 sind zwar noch nicht beendet, aber Sie können davon ausgehen, daß ich nicht in drei Tagen zu einer neuen Pressekonferenz einlade und Ihnen mitteile: Das Programm fliegt in den Papierkorb, ich habe nicht die erforderlichen Mittel bekommen..."
    Die Szene ist typisch für den Mann aus Kiel, den Ministerpräsident Johannes Rau unlängst in Bonn als die "wichtigste Dauerleihgabe" des Landes Nordrhein-Westfalen gelobt hatte: Selbstbewußt ohne überheblich zu sein, nüchtern ohne norddeutsche Drögheit.
    Seit etwas mehr als zwei Jahren ist Klaus Matthiesen nun schon Minister in Düsseldorf, seit dem Mai auch Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags. Er selbst nennt sich einen "Überzeugungstäter" und grenzt sich harsch ab von den "viel zu vielen Anpassern", die in der Politik - aber beileibe nicht nur dort Karriere machen. Wen er zu den Anpassern beispielsweise in Düsseldorf zählt? Namen mag Klaus Matthiesen nicht nennen - was brächte das auch mehr als Ärger ein? Aber es spricht für die Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit des Flensburgers in Düsseldorf, daß er die Anpasser nicht nur beim politischen Gegner ausgemacht hat. Wenn Journalisten in diesen Tagen spekulieren, wer denn Nachfolger von Johannes Rau in der Staatskanzlei am Rheinufer werden könnte, falls der Regierungschef den Sprung ins Bonner Kanzleramt schaffen sollte, fällt in schöner Regelmäßigkeit der Name Klaus Matthiesen. Spricht man ihn darauf an, kann Matthiesen ausgesprochen unfreundlich werden: Er habe weiß Gott Wichtigeres zu tun als über einen solchen Quatsch überhaupt nachzudenken, winkt der Minister unwillig ab. Natürlich hat er Ambitionen. Matthiesen: "Aber die zielen nicht auf das Amt des Regierungschefs. Wenn ich einmal meine Arbeit als Umweltminister erledigt habe, möchte ich durch das Land fahren und sichtbare Erfolge meiner Bemühungen sehen - an möglichst vielen Orten."
    Dennoch: Daß Matthiesen zu den ganz starken Figuren in der Regierung Rau zählt, ist seit dem triumphalen Wahlsieg der Sozialdemokraten im Mai dieses Jahres noch deutlicher geworden. Im Zuge der Kabinettsumbildung erhielt Klaus Matthiesen von Rau so viele zusätzliche Aufgaben und Kompetenzen hinzu, daß er seitdem in Düsseldorf unwidersprochen als der "Superminister" der Landesregierung charakterisiert werden kann. Er selbst hört das natürlich nicht gern, betont vielmehr mit Nachdruck, daß die ökologische Erneuerung des Landes eine Aufgabe der gesamten Landesregierung sei - aber an seinem besonderen Gewicht in der Landesregierung ändert solches Bekenntnis zum Teamgeist nichts.
    Dieses Gewicht hat nicht nur etwa deshalb zugenommen, weil Umweltschutz seit Jahren nun schon "in" ist. Vielmehr weiß man in der Landesregierung und der sie tragenden SPD, daß es Matthiesens Politik - und seine Art sie zu "verkaufen" - in erster Linie zu verdanken ist, daß sich die Sozialdemokraten nach dem 12. Mai nicht mit den Grünen im Düsseldorfer Landtag herumplagen müssen. Die Grünen unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken war eines der erklärten Ziele gewesen, mit denen Matthiesen im Herbst 1983 in Düsseldorf angetreten war. Viele hatten dies damals nicht mehr für möglich gehalten. Um so größer die Genugtuung, daß es dann doch gelang - wenn auch mit Schützenhilfe der Grünen, die im Endspurt des Wahlkampfes mehrere Eigentore schössen.
    Ein Mann der Kompromisse ist Klaus Matthiesen nicht. Eine sozusagen "augenzwinkernde Umweltschutzpolitik" nach dem Motto: "Grüne Fassade verbirgt trefflich die Interessen der Industrie" - so etwas gibt es mit Matthiesen nicht. Er sagt vielmehr: "Die Probleme sind radikal, sie bedürfen radikaler Lösungen." Daß das Instrumentarium eines Landesministers nicht ausreichen könnte, um radikale Lösungen zu erzwingen, hat Matthiesen schon hier und da zu spüren bekommen. An seiner Arbeitswut änderte das nichts. Der Mann aus dem Norden kommt gerade im Ruhrgebiet, wo er mit einem persönlichen Triumph den Wahlkreis gewann, besonders gut an, weil er kein verbohrter Umweltschutzideologe ist, dem sich alle anderen Interessen unterzuordnen hätten. Er selbst sagt das etwas pathetisch klingende Wort vom "Blut" der SPD, das nicht etwa die organisierten Umweltschützer, sondern die Arbeitnehmerschaft sei. Mit diesem "Lebenselixier" der Partei sei besonders in Bonn der sozial-liberalen Ära viel gesündigt worden, merkt Matthiesen kritisch an. Die Partei hätte "viel eher sagen müssen, daß wir uns alle umzustellen haben auf die mageren Jahre, daß wir das Wenige gerechter verteilen müssen", meint der Minister in einem kritischen Rückblick auf jene Jahre.
    In Nordrhein-Westfalen hat die SPD die Kurve ja trotzdem noch einmal gekriegt. Matthiesen hat daran Anteil. Darauf ist er stolz - und schaut im übrigen mit norddeutscher Gelassenheit in die Zukunft. Mit ihm zu reden ist darüber nicht.
    Reinhard Voss

    ID: LI851418

  • Porträt der Woche John van Nes Ziegler (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 07.05.1985

    Mit dem rapiden Abschied des 64jährigen John van Nes Ziegler von der politischen Promenade verstärkt sich der Eindruck, daß die nach-drückende Generation den Traditionsbruch pflegt, wie ihn Soziologen vornehmlich seit den 60er APO-Jahren in allen Gemeinschaften und Partien konstatieren: Die Söhne stützen die Väter nicht!
    Es waren Sozialdemokraten jüngeren Datums, die Nes Ziegler den schon geebneten Weg vom Düsseldorfer Präsidentenamt zum Sitz des Europa-Parlaments in Straßburg verbauten. Ob die Verweigerer glaubten, es handele sich um eine Alters-Apanage durch die Parteiführung, ob sie meinten, der Kandidat sei schon zu alt - einerlei! Ein Politiker starken Geblüts, jenseits aller Ideologie und Technokratie, wurde abgeblockt, auf Leistung und Persönlichkeit keine Rücksicht genommen, auch nicht auf Autorität, die zusehends in der politischen Landschaft von Bund und Ländern nebst Kommunen versandet, weil zu viele Politik nur noch als Geschäft wie jedes andere begreifen, weil zu viele Politiker sich immer mehr nur als Manager verstehen. Gesichtslose und geschichts-arme Karrierejünglinge schieben sich in allen Organisationen nach vorn. Originale werden oft durch Abziehbilder ersetzt.
    Die Popularität des Parlamentarismus steht und fällt mit einen Repräsentanten. Ein Landtagspräsident hat wenig Macht und doch große Verantwortung. John van Nes Ziegler war sich bewußt, daß sein Amt dem Landtag gehört, der allzeit Schutz und Glanz nötig hat. - Kein Staat lebt ohne Symbol, van Nes Ziegler hat dies nach unrühmlichen Schwächeanfällen seiner Vorgänger gegen alle Widerstände praktiziert, als er Zug um Zug den wie ein Kolosseum anmutenden Neubau des Landtags durchsetzte.
    Durch und durch Pragmatiker, der nicht abends rechts einschläft, um morgens links aufzuwachen, ging er seinen bemerkenswert geraden Weg: 1946, nach Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg, schloß sich der 1921 in Köln geborene Patriziersohn der SPD an. Zwei Jahre später stand der Jurastudent auf der ersten politischen Plattform, und dies als Vorsitzender des Sozialistischen Studentenbundes (SDS). Kurt Schumacher und Erich Ollenhauser waren seine Chefs, Helmut Schmidt schlichtes Mitglied der sozialdemokratischen Akademiker-Quelle, die seinerzeit noch klares Waser und Solidarität spendete. Van Nes Zieglers Blick zurück: "Sonst wären wir auch rausgeflogen..."
    1956 zog der junge Rechtsanwalt in den Kölner Stadtrat ein, um auf Anhieb Fraktionschef zu werden und es bis 1973 zu bleiben. Dann löste er Theo Burauen ab, dessen Oberbürgermeister-Kette der Kölner John, seine Hamburger Urverwandten nicht verleugnend, voller Stolz sieben Jahre trug. Nur ungern und nach selbstquälerischem Erforschen der weiteren Laufbahn machte er den Stuhl des großen Stadtvaters frei. Die Konsequenz einer bis dato schon erfolgreichen Vergangenheit holten den handfesten, zuweilen auch derben Politiker ein ... Nach Heinz Kühns Wahlsieg 1966 in Nordrhein-Westfalen war van Nes Ziegler zum Landtagspräsidenten gewählt worden, ab 1970 dann für die Dauer von zehn Jahren Landtagsvizepräsident gewesen, und so bewahrte das Haus am Schwanenspiegel würdige Kontinuität, indem es 1980 abermals dem ersten Kölner Repräsentanten wiederum das erste Präsidentenamt des Parlaments einstimmig übertrug.
    Gemessen an allen seinen Vorgängern, ähnelte der Führungsstil des van Nes Ziegler dem des verstorbenen und fast schon vergessenen Wilhelm Johnen. Beide Politiker, obwohl in ganz verschiedenen Parteien zu Hause, handhabten Mehrheit im Sinne von Herrschen. Beide Männer ließen sich aber nicht von ihren. Parteifreunden den Eintopf der Majorität aufzwingen. Im Falle des Nes Ziegler ging dies so weit, daß er gegen Druck vieler Sozialdemokraten zum Pressesprecher im Landtag den engsten Mitarbeiter des am 20. April 1980 plötzlich verstorbenen Heinrich Köppler berief, ohne jenen versierten Friedhelm Geraedts persönlich näher gekannt zu haben. Mit gleicher Umsicht setzte der Präsident seinen Kandidaten für die Nachfolge des Landtagsdirektors Brentrup durch. Diesmal lief die CDU vergeblich Sturm ...
    Erfrischend, wie er alten Kurialien zu Düsseldorf schon 1966 den Bart abnahm und zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode nicht im bis dato üblichen Bratenrock erschien ... Reformerisch, wie er etwa als plötzlich gerufener Kapellmeister sich in die fremde Partitur des Vorgängers stürzte, sie presto umkrempelte und sogleich zum großen Dirigenten wurde.
    Der arg konservativ ausgerichtete Landtag bis 1966 war stets zuerst die Arena der Regierung, die Opposition durfte Saaldienern ähnlich Eintrittskarten abreißen. Mehr Demokratie wagen, dies wurde jetzt erst zum Programm, die verstaubten Geschäftsordnungen mit ihren knebelnden Bedingungen zu Lasten der Regierungs-Kontrolleure korrigiert - so unter anderem das Recht des Oppositionsführers, gleich nach dem Ministerpräsidenten sprechen zu können: so die Pflicht, "Aktuelle Stunden" jederzeit durchzusetzen, so die Notwendigkeit des "schnellen" Antrags, so Erleichterung für Abgeordnete, in der Fragestunde jeden einzelnen Minister zu stellen. Die vielen peinigenden Vorrechte der Regierungen Amelunxen, Arnold, Steinhoff und Meyers wurden abgeschafft.
    Ganz gewiß hat John van Nes Ziegler auch seiner Hinterlassenschaft manchen Gegner überantwortet, freilich konnte auch er nicht immer im Gewände Salomons den ganz gerechten Ausgleich zwischen den streitenden Parteien finden, aber: Auch den Journalisten wird er lange im Gedächtnis bleiben als robuste, eigenwillige, nicht biegbare Natur. Weder Praline-Journalisten, die es mit Süßigkeiten versuchten, noch Pressur-Kommentatoren gab er nach. Manche Medien-Nase stieß sich an diesem Politicus, der auch ein Stück Bad Godesberger SPD-Geschichte zwei Jahrzehnte lang durchdachte, auf daß Sozialdemokraten als Bewahrer der linken Volkspartei nicht ihre Mitte im Volk einbüßen, ohne die Heinz Kühn wie auch Johannes Rau die Führung in Nordrhein-Westfalen nie gewonnen hätten.
    Horst-Werner Hartelt

    ID: LI850828

  • Porträt der Woche: Richard Winkels (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 19.03.1985

    Vizepräsident des Landtags ist Richard Winkels seit fünf Jahren, und er ist es gern. Auf dem elften Listenplatz seiner Partei abgesichert, hofft der SPD-Politiker, auch nach der Wahl am 12. Mai seine Arbeit im Parlamentspräsidium fortsetzen zu können. Dort gibt es aus seiner Sicht noch viel zu tun: Das Ansehen der Abgeordneten in der Öffentlichkeit sei zu verbessern. Ohne Verklausulierungen geht er die Ministerialbürokratie an, die oft ihre Informationsvorsprünge dazu nütze, die Kontrollaufgaben des Parlamentes zu unterlaufen: "Die Ministerialbeamten machen uns zu viele unnötige Schwierigkeiten."
    Mit der Arbeit des Parlaments in der jetzt auslaufenden Wahlperiode zeigt sich der Vizepräsident recht zufrieden, sie sei in den vergangenen fünf Jahren "sehr diszipliniert" abgelaufen. Ob das künftig - mit drei oder vier Fraktionen im Landtag - so bleibt, dazu äußert er sich zurückhaltend: "Das könnte anders werden."
    Daß es im Wahlkreis 100 zu wesentlichen Änderungen kommen wird, davon geht er realistischerweise nicht aus. Im konservativen ostmünsterländischen Kreis Warendorf dürfte sein CDU-Gegenkandidat Heinrich Ostrop erneut das Direktmandat erringen. Zweimal zog Winkels als "Nachrücker" ins Parlament, 1961/62 für acht Monate und 1968. Bei allen Wahlen seit 1970 erhielt er einen sicheren Listenplatz.
    In seiner Heimatstadt Warendorf ist Richard Winkels fest verwurzelt. 1920 im nahen Beelen als Sohn des Bahnhofsvorstehers geboren, wuchs er "in der Obhut des katholischen Ortspfarrers" auf, war im Krieg Marineoffizier und arbeitete 20 Jahre lang als Lokalredakteur in Warendorf, wo er 1968 Leiter des städtischen Amtes für Sport, Verkehr, Presse und Öffentlichkeitsarbeit wurde. Seit 1950 Mitglied der SPD, nahm er in den folgenden Jahrzehnten viele lokale und regionale Parteiämter wahr.
    In der Leitung von großen Sitzungen ist Richard Winkels nicht erst seit 1980 geübt. Seit über 20 Jahren ist er Präsident der "Warendorfer Karnevalsgesellschaft von 1856 , deren närrischen Sitzungen er regelmäßig präsidiert.
    Noch größer als seine Liebe zum Karneval ist offensichtlich sein Engagement für den Sport. Nicht ohne Stolz berichtet er, daß Warendorf in den letzten Jahrzehnten durch sein Mitwirken bundesweit als "Stadt des Sports" bekannt geworden ist. Heute ist die nur 33000 Einwohner zählende Kreisstadt Sitz des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei, der Deutschen Reitschule, des Landesgestüts und der Sportschule der Bundeswehr. Als langjähriger Geschäftsführer des Verbandes der Modernen Fünfkämpfer trug er dazu bei, daß Warendorf ein Leistungszentrum für diese Minderheiten-Sportart erhielt, in dem bereits zweimal Weltmeisterschaften ausgetragen wurden.
    Leistungssport hat Winkels selbst nie betrieben, in der Schule sei er jedoch "im Sport recht gut" gewesen. Im politischen Bereich erkannte er schon recht früh die Bedeutung des Sports, gab Anstöße zu den ersten Sportkonferenzen und Sportprogrammen der SPD. Seit Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn gehört er dem Sportausschuß des Landtags an, dessen Vorsitzender er seit zehn Jahren ist. Daneben hat er sich im Petitionsausschuß engagiert, wozu ihn der enge Kontakt mit vielen Bürgern gebracht hat, die bei ihm Rat und Hilfe im Umgang mit Behörden suchten.
    Durch die wachsende Freizeit sieht Winkels neue Aufgaben auf den Sport zukommen, an ihrer Bewältigung will er in den kommenden fünf Parlamentsjahren mitarbeiten. Dafür fühlt er sich "fit und jung" - im Juli wird er 65 Jahre alt. Was bedeutet ein mehr als drei Jahrzehnte währendes Politikerleben für die eigene Familie? Richard Winkels wird nachdenklich. Seine vier Kinder hat er zwar bewegen können, der SPD beizutreten, politisch aktiv betätigt sich jedoch keines von ihnen. Er mutmaßt die Gründe: "Sie haben hautnah miterlebt, wie sehr die politische Arbeit das Familienleben beeinträchtigt."
    Ludger Audick

    ID: LI850607

  • Porträt der Woche: Rainer Maedge (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 05.03.1985

    Kölner Klüngel? Da kann Rainer Maedge nur lachen. Bitte schön, wer das dicht verwobene Beziehungsgeflecht zwischen Politikern, Verwaltung und ehrbaren Bürgern kreuz und quer durch alle Parteien und Interessengruppen so nennen will der Kölner hat nichts dagegen. Ärgern tut es ihn jedenfalls nicht. Wie er denn seine Rolle in dem Kölner Klüngel sehe? Rainer Maedge redet da nicht lange rum: "Ich kenne viele, rede mit vielen, bewege viel mit wenig Auseinandersetzungen" - so einfach ist das.
    Daß die CDU beispielsweise bei der vorjährigen Kommunalwahl in Köln bös auf die Nase fiel, die SPD sich aber trotz 10,8 Prozent für die Grünen glänzend behauptete, ist, wenn man so will, Erfolg Kölner Klüngelei ä la SPD - und Reiner Maedge setzt ganz ruhig und selbstverständlich hinzu: "Und ich bin der Vorsitzende der Kölner SPD."
    Seit ein paar Wochen ist er auch Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag, Nachfolger in diesem Amt von Hilmar Selle, dem der Empfang der inzwischen berühmt-berüchtigten Briefumschläge aus dem Hause Flick zum politischen Verhängnis wurde. Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, das ist schon ein recht einflußreicher Posten. Wie Maedge es wurde, ist "typisch Maedge": Nach ein paar Gesprächen hinter den Kulissen still und selbstverständlich. "Ich wollte das machen", sagt er einfach. Und so wurde er es eben.
    Wer etwas vom politischen Geschäft hierzulande versteht, der weiß, daß jahrelange Knochenarbeit nötig ist, bis es so flutscht. Der 1944 in Leipzig geborene Maedge, der so gern verschmitzt die Augen klein macht und unter seinem Schnurrbart lächelt, hat diese Knochentour nach der Flucht aus der DDR und der mittleren Reife beruflich im Kölner Rathaus, politisch in der SPD- Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen hinter sich gebracht. Die Kindheit und Jugend in der DDR hat ihn geprägt, die Schikanen, denen sein Vater ausgesetzt war, sind noch immer unvergessen. Ganz ohne Pathos sagt er deshalb: "Die Freiheit ist unser größtes Gut." Nur: Von Freiheit allein kann der Mensch nicht leben. Maedge sagt deshalb auch: "Ein Mensch ohne Arbeitsplatz ist nicht mehr frei, ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes bedroht auch die Freiheit." So ist es nur logisch, daß der neue Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als Thema Nr. 1 aller Politik betrachtet, wohl wissend, daß Landtagsabgeordnete - und seien sie noch so engagiert bei der Sache - in einer privatwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung wenig bewirken können. Es sei denn: im öffentlichen Dienst des Landes. Aber da hat Finanzminister Diether Posser schon längst angesichts leerer Kassen die Notbremse gezogen.
    Rainer Maedge ist auch stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Vorsitzender will er nicht werden, falls Karl Josef Denzer nach dem 12. Mai auf den Sessel des Parlamentspräsidenten wechselt - vorausgesetzt, die Wähler machen die SPD wieder zur stärksten Fraktion. "Ich bin ein Farthmann-Mann", ordnete sich Maedge ungefragt in die politischen Strömungen innerhalb der Mehrheitsfraktion ein. Er würde deshalb auch im Fall des Falles Friedhelm Farthmann zum Fraktionsvorsitzenden mitwählen.
    Doch das sind noch ungelegte Eier, über die sich kaum zu gackern lohnt. Erst einmal kommt jetzt der Wahlkampf. Rainer Maedge hat auch da Erfahrung, war er es doch schließlich, der 1980 als Landesgeschäftsführer jenen Wahlkampf organisierte, der der SPD zum ersten Mal die absolute Mandatsmehrheit im Düsseldorfer Landtag bescherte. Zwei Jahre lang hatte er neben seinem Abgeordnetenmandat diesen Job gemacht, still, nachdrücklich und sehr effizient. Über alte Kamellen mag er heute nicht mehr reden. Die - wie er es untertreibend nennt - "kleine Krise" im Landesbüro, die den Vorstand damals bewog, Maedge als Landesgeschäftsführer in das Parteibüro in der Düsseldorfer Elisabethstraße zu entsenden, war jedenfalls nach kurzer Zeit überwunden, ohne daß es - zumindest "nach draußen" großen Krach gegeben hätte. Das ist zwar nun schon fünf Jahre her - aber in der Partei ist das noch unvergessen.
    Neben seiner Arbeit in Fraktion und Partei ist Rainer Maedge noch immer beschäftigt beim Verband kommunaler Unternehmen in Köln. "Referent" steht etwas allgemein (vielleicht auch ein bißchen bewußt verschleiernd) im Handbuch des Landtages. Maedge ist da mit zuständig für Personal und Organisation, Personalstruktur und -Verwendung - und was da noch alles dranhängt. Da gibt es allerlei zu reden und zu bewegen, um seine Interpretation des Begriffs vom Kölner Klüngel noch einmal aufzunehmen. Rein finanziell gesehen, stände er sich als Vollzeitpolitiker kaum schlechter als jetzt. Aber, sagt er, das nicht-politische Standbein in Köln gebe ihm die Freiheit, "jederzeit Götz von Berlichingen zu zitieren", wenn er mal genug habe von der Politik. Aber bis dahin wird noch viel Wasser von Köln nach Düsseldorf durch das Rheinbett fließen. Rainer Maedge wurde in diesem Monat erst 41 Jahre alt. Und wer ihm im Landtag oder in Köln begegnet, merkt schnell, daß er an alles Mögliche denkt - nur nicht in puncto Politik an Götz von Berlichingen...
    Reinhard Voss

    ID: LI850427

  • Porträt der Woche: Uwe Herder (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 12.02.1985

    Ein Stück steht er schon im Windschatten von Johannes Rau, in dem sich optimistisch Wahlkampf machen läßt. Seinen Wahlkreis hat Uwe Herder in der Nachbarschaft der Privatwohnung des Ministerpräsidenten - und einen Vorsprung von 3,2 Prozent gegenüber seinem "guten Gegenkandidaten" Dr. Hans Jürgen Lichtenberg (CDU) seit den letzten Kommunalwahlen. Und: Es macht ja Spaß, im Landtag zu sitzen, meint Herder. Es wäre schade, wenn er in den kommenden fünf Jahren nicht an den Beratungen zu Verkehrsthemen teilnehmen könnte. Nach einem Jahr "Mund halten" hat sich der Verkehrsbauingenieur ganz auf das Spezialgebiet Verkehr konzentriert - und weitgehend beschränkt. Das Fazit seiner ersten Sitzungsperiode im Düsseldorfer Landtag: Wenn man erst einmal die Strukturen kennt, wenn man weiß, wie überhaupt ein Gesetz zustande kommt, läßt auch das Gefühl von Ohnmacht nach.
    Als blutiger Laie ging der Sozialdemokrat 1980 nicht an den Schwanenspiegel, nachdem er 1975 am Pech der Stichwahl gegen seinen CDU-Mitbewerber scheiterte. Der ehemalige Wuppertaler Juso-Vorsitzende saß und sitzt im Stadtrat Wuppertals und ist dem "bergisch Pepita" der Kommunalpolitik vor Ort eng verbunden. Gerade diese Doppelfunktion ist ihm "ungeheuer wichtig". Wer das Gefühl für kommunale Bedürfnisse nicht habe, sollte nicht "von oben in die Landespolitik einfliegen". Während sich Herder beruflich und im Landtag mit U-Bahn-Bau, Flughäfen oder Landstraßen befaßt, vertritt er zudem im Rat der Heimatstadt mitunter weit weniger reibungslose Dinge. Das Engels- Denkmal zum Beispiel, das inzwischen seine Skandalkraft verloren und lokalpolitische Possenspiele überstanden hat. Er hat wieder ein Denkmal, verrät er. Diesmal für Else-Lasker-Schüler-ebenfalls Wuppertalerin, oder besser in Elberfeld geboren. Einen Platz hat er bereits. Natürlich an einer Straßenkreuzung. Nur der Künstler wird noch gesucht.
    Spannung ist vorprogrammiert in der zweifachen Rolle, hat Herder in den letzten fünf Jahren erfahren. Zwar empfindet er es als gut und nützlich, daß man abends nach Hause zurückkommt - also auch zu den Wählern. Hier unterscheide sich Düsseldorf von Bonn. Aber begreiflich zu machen, daß man als Vertreter seiner Stadt im Landesinteresse gegen "die eigenen Leute" Entscheidungen fällt, ist schwer zu vermitteln. So beim Gemeindefinanzierungsgesetz, dem er auch in den Einschnitten zustimmte, obwohl seine Heimatstadt dagegen Sturm läuft. Landtagsarbeit ist ein Stück "Kirchturmspolitik", schließt er daraus. Und sie schafft die Einsicht, daß es auf Landesebene ein Regulativ geben muß.
    Die Perspektive für das übergeordnete Regulativ am Rhein ist für die kommenden Jahre nicht einfach vorherzusehen. Die Grünen kommen - mit deutlich artikulierten Vorstellungen und Forderungen, gerade auch in Bereichen, die zu Herders Beritt zählen. Zwar prognostiziert der 42jährige den eigenen Genossen eine Mehrheit der Mandate im neuen Landtag nach dem 12. Mai. Nicht aber die absolute Mehrheit der Stimmen - auch "wenn ich sie erhoffe", wie es sich für einen Wahlkämpfer dreieinhalb Monate vor dem Urnengang gehört. Für die Rücksicht auf das gestiegene Umweltbewußtsein in der Bevölkerung habe er sich schon sehr früh ausgesprochen, wenn ihm dies Kritiker in Wuppertal auch nicht so ganz abnehmen wollen und ihn an ein Landstraßenprojekt erinnern, das durch eines der größten Naherholungsgebiete im Bergischen Land führen sollte.
    Bei der Ökologenpartei sieht er "grundsätzlich" Gleichklang der politischen Seelen in vielen Fragen, aber keine Chance zur Verwirklichung konkreter Konzepte. Im öffentlichen Nahverkehr, bei der Bundesbahn, beim Straßenbau "mit gebremstem Schaum" oder beim Ausbau von Radwegenetzen entdeckte er Gemeinsames. "Aber es hapert an den Maximalforderungen", an zu vielen Illusionen und an mangelnder Kompromißbereitschaft. Eine Koalition hält der gebürtige Königsberger daher für undenkbar und ausgeschlossen. Nicht nur aus Parteiräson. Bonn gebe dafür das beste Beispiel. Für den Fall der Fälle kann Herder in seiner zweiten politischen Funktion dennoch Fingerübungen machen. Die Fäden laufen wieder zurück nach Wuppertal. Dort gab es nach den Kommunalwahlen die erste grüne Bürgermeisterin in der Bundesrepublik.
    Stephan A. Heuschen

    ID: LI850324

  • Porträt der Woche: Ilse Ridder (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 21 - 18.12.1984

    Ihr schlechtes Gewissen, das sie manchmal plagt, verhehlt sie nicht. Ganz selbstverständlich und ohne Pathos benutzt Ilse Ridder auch das Wort "leiden", wenn man sie fragt, wie sie ihre Aufgabe als Mutter zweier Kinder mit den zeitraubenden Pflichten einer Landtagsabgeordneten unter einen Hut bringt. Früher, als die beiden jetzt dreizehn- und achtzehnjährigen Söhne noch kleiner waren, war das für sie noch bedrückender als heute, gibt die Abgeordnete aus Coesfeld freimütig zu und schickt dann schnell - als habe sie eine Rechtfertigung nötig - den Satz hinterher: "Aber meine Söhne sehen auch, daß diese Aufgabe in der Politik mir etwas bringt."
    Das ist so einer der Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in der Politik: Zumindest sagen es die Mütter offener, daß sie unter der Doppelaufgabe leiden, daß es sie anstrengt - nicht nur körperlich. Ilse Ridder ist allerdings weit davon entfernt (Norbert Blüms Vision von der "sanften Macht der Familie" folgend) die Politik an den Nagel zu hängen. Nicht umsonst ist die gebürtige Oberschlesierin mit dem westfälischen Akzent, der immer dann hörbar wird, wenn sie sich ereifert, unlängst fast einstimmig wieder zur Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in der nordrhein-westfälischen SPD wiedergewählt worden. Das Vertrauensvotum ist für Ilse Ridder eine Aufforderung, mit noch mehr Nachdruck für die Interessen der Frauen "zu kämpfen". Und da fehlen ihr in der Männerpartei SPD wahrhaftig nicht die Arbeitsfelder. Daß es nur sechs Frauen in der Fraktion gibt, es zur Zeit auch nicht so aussieht, als ließe sich dieser Mini-Anteil wenigstens verdoppeln in der nächsten Legislaturperiode - für die AsF-Vorsitzende ist das kein Anlaß für Klagen und Resignation. Was hülfe das auch, fragt sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Vertretung der Frauen in den Parlamenten, eigentlich ihre Nicht-Vertretung, spiegele eben die gesellschaftliche Wirklichkeit auch außerhalb der Parlamente wider. Und die zu ändern sei ein langer, mühsamer Weg.
    Wer wüßte das besser als die Vorsitzende der SPD-Frauen, die ihresgleichen weder in der Runde der Staatssekretäre noch gar im Kabinett des Ministerpräsidenten Johannes Rau finden. Dabei ist es für Ilse Ridder gar keine Frage, daß Fragen trotz allen gegenteiligen Sonntagsgeredes der Männer die Probleme der Frauen in Familie, Gesellschaft, Politik, einfach überall zumindest besser verstehen, darstellen können als die Männer. Ilse Ridder ganz lakonisch: "Das ist einfach eine Frage der Betroffenheit - und Frauen sind nun einmal mehr von den Benachteiligungen in der Gesellschaft betroffen als Männer." Die lange Latte der Beweise für diese These soll hier nicht noch einmal aufgerichtet werden, an Beispielen fehlt es der streitbaren Abgeordneten jedenfalls nicht. Aber zu klagen ist eben nicht ihre Sache. Sie selbst bezeichnet sich als einen "aktiven Typ", der sich immer "voll einsetzt". Anderenfalls wäre sie wohl auch nicht schon mit 28 Jahren Fraktionsvorsitzende der SPD im Stadtrat von Coesfeld geworden. Mit Hilfe eines "Frauenbonus"? Ilse Ridder weist diese Frage zurück: "Ich habe hart gearbeitet dafür in Partei und Fraktion. "Als sie den Sprung an die Coesfelder Fraktionsspitze schaffte, war sie gerade sechs Jahre Sozialdemokratin. Warum sie überhaupt in die Partei gegangen sei? Ilse Ridder machte da keine großen Worte, sucht nicht nach eindrucksvollen Erklärungen. Sie sagt vielmehr einfach: "Ich war nicht mehr ausgelastet, ich wollte etwas tun" - und dabei kam für sie, die gerade ein Jahr zuvor ihr Abitur gemacht hatte, ohne viel nachzudenken eben nur die SPD als Betätigungsfeld in Frage.
    Seit Anfang 1977 sitzt sie im Düsseldorfer Landtag. Hier beackert sie die Themen, die ihr schon in der Coesfelder Kommunalpolitik am meisten am Herzen gelegen haben: Verkehrspolitik, Städtebau, Wohnungspolitik. Ein weites Arbeitsfeld, in dem die sozialdemokratische Abgeordnete als "Hauptgegner" sozusagen des Deutschen liebstes Spielzeug ausgemacht hat: Das Auto. Erst das Auto, dann der Mensch - für Ilse Ridder ist es schon ein Erfolg, daß diese Reihenfolge in ihrer Partei zumindest in der Programmatik nicht mehr gilt. Schlagworte wie die "menschliche Stadt" oder was es da ähnliche Slogans mehr gibt, betrachtet sie mit Mißtrauen. Viel wichtiger ist es für sie, daß zu Hause in Coesfeld beispielsweise drei Ortsdurchfahrten "zurückgebaut", also verschmälert, werden für die Autos. Oder besser: gegen die Autos, für die Menschen.
    Diese Politik der kleinen Schritte - längst hat sie gelernt, daß mehr nicht machbar ist - will Ilse Ridder auch in der nächsten Legislaturperiode weitermachen. Das "schwarze" Coesfeld kann sie als Direktkandidatin nicht für die SPD erobern. Aber als Mensch, als Frau und als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen wird sie diesmal mit ganz vorn auf der SPD-Kandidatenliste abgesichert. Noch hofft sie, daß dies noch mehreren anderen Frauen von der Männer- Mehrheit in der Partei zugestanden wird. Schließlich hat kein Geringerer als Willy Brandt die SPD aufgefordert, mehr Frauen in die Parlamente zu entsenden. Mal sehen, lächelt sie leise, was das Wort des Vorsitzenden wert ist in den Delegiertenkonferenzen ...
    Reinhard Voss

    ID: LI84210C

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Die Fraktionen im Landtag NRW