Auch wenn er längst nicht mehr der jüngste Abgeordnete des Landtags ist wie 1980, als seine Parlamentarierlautbahn begann, so sieht er für viele doch immer noch so aus. Hermann-Josef Arentz ist durchaus geneigt, dies auf der Habenseite abzubuchen, zum Berufsjugendlichen will er sich deshalb jedoch nicht machen lassen. Dazu ist das CDU-Mitglied mit inzwischen 39 Jahren auch viel zu alt und die Sozialpolitik außerdem seine große Leidenschaft.
Aus kleinen Verhältnissen stammend, der Vater war Versicherungsangestellter, hätte er eigentlich auch den Weg in die Sozialdemokratie finden können, wo es viele Gleichgesinnte gab, die sich ebenfalls wie er "für die kleinen Leute einsetzen wollten". Daß es nicht so kam, liegt an dem rheinisch-katholischen Milieu, in dem er aufwuchs und das ihn bis heute prägt. Wer als kleiner Junge schon in der Knabenschola Gregorianische Gesänge schmetterte und jede Woche zum "Neu Deutschland" pilgerte, der läuft nie Gefahr, "Im Kohlenkeller Schlagschatten zu werten". Im heimischen Köln war es für die Arentz' eben klar, in welche Kirche sie sonntags zu gehen und welche Partei sie zu wählen hatten.
Nur Sozialdemokrat sein und sich dann "für die kleinen Leute einsetzen,", das wäre dem Katholiken Arentz zu wenig gewesen. Er will nicht nur Solidarität, er will auch "Brücken bauen zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die sie geben wollen". Er will weg von der Allzuständigkeit des Staates hin zu einer Familie, die in der Lage ist, ihre Probleme weitestgehend selbst zu lösen; mit öffentlichen Hilfestellungen zwar, aber ohne die Mentalität: Der Staat wird's schon richten. Arentz will dieses Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre wieder stärker ins öffentliche Bewußtsein rücken, weil "Sozialpolitik auch Wirtschaftspolitik ist". Dieser Sozialstaat, in dem es für jedes "Wehwehchen" der Gesellschaft eine entsprechende Zuständigkeit gibt, werde wohl bald nicht mehr finanzierbar sein, so fürchtet Arentz. Auch deshalb müsse die Pflegeversicherung kommen und eine größere Bereitschaft der Bürger, sich persönlich einzusetzen.
Der Anhänger von Oswald von Nell-Breuning sammelte sein theoretisches und praktisches Rüstzeug bei der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) und als Abteilungsleiter für Sozialpolitik in der Bundesgeschäftsstelle der CDU. Ans Gymnasium mit den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften wollte er nicht. Dafür hat es ihn immer zu sehr gereizt, theoretisches Wissen in praktische Politik umzusetzen, seit 1971 in der CDU und CDA, dem Arbeitnehmerflügel seiner Partei. Und er Ist einer der wenigen Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen, der einem Bundesfachausschuß seiner Partei vorsitzt, dem für Sozialpolitik natürlich. Auf diesem Gebiet hat er sich von Anfang an durch Sachkompetenz und auch rhetorisches Geschick Aufmerksamkeit und Anerkennung erworben, auch bei seinem Hauptgegner in der parlamentarischen Arena, Sozialminister Hermann Heinemann. "Der ist ein Kämpfertyp", sagt Arentz über Heinemann, "und das mag Ich; der haut unheimlich drauf, aber das tu' Ich auch." Es macht Freude, ihm zuzuhören, weil es ihm Freude macht, zu argumentieren. Seine Lust am gesprochenen Wort ist unverkennbar, differenziert im Denken, volksnah In der Darstellung. Oder wie es der Abgeordnete selber ausdrückt: "Weizsäcker-Ideen in Adenauer-Deutsch." Daß er aus der Heimatstadt des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland stammt, hört man nicht nur an seiner Sprache, sondern ist fast zu spüren, wenn er mit Verve über den "Kölschen Klüngel" doziert. Seinen Werdegang in der Kölner CDU bezeichnet er als "Ranger-Ausbildung" In Sachen Politik: "wer das überstanden hat, der kann's". Andererseits kann natürlich auch ein Hermann-Josef Arentz nicht darüber hinwegsehen, "daß sich keiner mehr engagiert", weder in den Kirchen noch in den Gewerkschaften oder Parteien. Deshalb sei es unabdingbar, mehr "Mitwirkungsrechte" zu schaffen, mehr basisdemokratische Elemente einzuführen in den Parteirichtlinien, aber zum Beispiel auch in einer neuen Gemeindeordnung. Denn es stimme ja nicht, so hat Arentz festgestellt, 'daß die Leute sich nicht mehr engagieren wollten', sie wollten das bloß nicht mehr in so großen Einheiten wie den Kirchen oder den Parteien tun. Erkannt hat der Sozialpolitiker das vor allem in Berlin, wo von Weizsäcker und Fink vor Jahren zum ersten Mal selbstverwaltete kleine Projekte mit staatlichen Mitteln unterstützt haben und "auf eine große selbstlose Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung stießen". Wenn von den 30 Prozent, die damals in Berlin angaben, sich ehrenamtlich betätigen zu wollen, nur die Hälfte wirklich mitmache, so resümiert Arentz, "dann wären das schon fünfmal soviel, die es heute wirklich tun". Das "menschliche Potential", sich zu engagieren, gibt es also, "es wird nur nicht richtig genutzt". Oder nicht richtig angesprochen. Es müsse zum Beispiel auch die Möglichkeit geben, so findet der Abgeordnete, zeitlich begrenzt in einer Partei, in kirchlichen Gremien oder einer karitativen Institution mitzumachen, für ein bestimmtes Projekt oder eine bestimmte Aufgabe, für die man dann sein eigenes Spezialwissen einbringt. "Das nützt dem Projekt und dem, der es unterstützt." Das setzt allerdings auch eine hohe Flexibilität bei den Organisationen voraus. Die Leute wollen sich so ein Modell in einem festgelegten Zeitraum in einer Sache, die ihnen am Herzen liegt, engagieren. Dazu brauchen sie Mitwirkungs- und Stimmrechte, aber auch eine Arbeitsplatzsicherheit, die es ihnen ermöglicht, nach Beendigung ihres Engagements wieder auf ihren alten Posten zurückkehren zu können. "Die typische Parteikarriere mit Soldatenmentalität wird es vielleicht in Zukunft nicht mehr geben", denkt Arentz, und sie paßt vielleicht auch nicht mehr so ganz in die individualisierte Zeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die dringend benötigte Hilfe und Erneuerung von außen können allerdings schon bald unerläßlich werden, wenn das gemeinsame Haus Europa seiner Vollendung entgegensieht. Arentz gehört nicht zu denen, die meinen, daß die Bundesländer, sprich Landtage und Landesregierungen, dann weniger zu sagen hätten als jetzt. "Europa der Regionen kann doch nur heißen", so ist er überzeugt, "weniger Bund und mehr Land." Vielleicht gelingt es dann auch "öfter als bisher, Landesthemen überzubringen, weil durch die Neugestaltung Europas die Landesparlamente auch mehr Zuständigkeiten erhalten". Wichtige Voraussetzung für eine selbstbewußte Landespolitik ist allerdings ein echtes Landesbewußtsein, das den Nordrhein-Westfalen bislang fehle. "Da sind uns die Bayern oder Hamburger ein gutes Stück voraus", findet Arentz, "aber danach bemißt sich auch der Stellenwert, den ein Landesparlament hat." Dessen Größe sei dagegen weniger wichtig als die Qualität. Weniger Abgeordnete, wie immer wieder diskutiert, bedeute außerdem weniger Kontakt zwischen Politik und Bürgern. Und wenn erst einmal der Bundestag nach Berlin umgezogen ist, "dann fehlen diese Kolleginnen und Kollegen auch noch in den Wahlkreisen", fürchtet Arentz. Viel wichtiger wäre ihm, "diese endlos langweiligen Rituale" abzubauen, um die Attraktivität des Landesparlaments zu erhöhen. Jeder Plenumstag solle zum Beispiel mit einer Fragestunde zwischen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern beginnen, ohne Redemanuskripte und "abgekartete Fragen". Jeder solle so reden, wie "ihm der Schnabel gewachsen ist und nicht länger als 17.30 Uhr", wie Arentz schnell hinzufügt, "damit man auch die Chance hat, daß es am nächsten Morgen in der Zeitung steht". Denn was nützt die schönste Politik, wenn keiner darüber redet. "Da kann man sich ja gleich in die Toscana zurückziehen", was Hermann-Josef Arentz übrigens überhaupt nicht schwerfällt; allerdings nur in den Ferien.
Rolf Kiefer
(Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)
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