Rebellisch, unangepasst, cool: So präsentiert sich
die rechtsextremistische Szene heute. Ihre wichtigste
Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene.
Das war Thema der Veranstaltung "Im
Feind vereint" im Besucherzentrum des Landtags
am 14. April 2016. Der Landtag und die Landeszentrale
für politische Bildung hatten rund 100 Schülerinnen
und Schüler eingeladen, um mit ihnen die
gefährlichen Tendenzen zu beleuchten.
"Früher war die rechte Szene ein Alt-Herren-Verein", erklärte Dr. Thomas Pfeiffer, Referent
des Innenministeriums. Aber davon sei heute
nicht mehr viel zu sehen. Ebenso wenig wie von
offenen nationalsozialistischen Parolen oder
Symbolen. Stattdessen setze die "neue Rechte"
auf Vorurteile, die auch über die Szene hinaus
weit verbreitet seien. Rechtsextremistische Akteure
machten sich vor allem die Ablehnung
gegenüber Muslimen, Roma und Flüchtlingen
zunutze, zeichneten Zerrbilder, schürten Angst.
Die Rechtsextremisten suchten passgenaue
Zugänge zu jungen Menschen, erläuterte der
Referent: Freizeitangebote, Musik, soziale Medien
würden genutzt. Dabei spiele die rechtsextreme
häufig nur eine untergeordnete Rolle. Die Schülerinnen und Schüler aus Duisburg,
Mettmann, Grevenbroich und Düsseldorf
analysierten T-Shirts verbotener rechtsextremistischer
Gruppierungen und die Bildsprache
im Internet. Ihnen fiel auf, dass es eines geschulten
Blicks bedarf, um Symbole zu erkennen und
zunächst unscheinbare Gesten zu entlarven.
Im Besucherzentrum wurde es dunkel, ein
Film der Landeszentrale für politische Bildung
begann. Zu sehen waren Interviews von Vertretern
rechtsextremistischer Parteien in vielen
europäischen Ländern. "Eigentlich dürften sich
Nationalisten unterschiedlicher Länder nicht
besonders gut verstehen", hieß es im Film. Aber:
Sie hätten erkannt, dass die internationale Zusammenarbeit
das autoritäre Selbstbewusstsein
der einzelnen Parteien stärke. Und so erklärten
mehrere Anführer rechtsextremistischer Parteien
im O-Ton, Ziel sei es, ein "völkisches Europa"
wiederherzustellen. Die jeweils (rassisch)
Einheimischen gehörten in ihre Herkunftsländer.
Alles solle völkisch geordnet, nichts durchmischt
sein. Es fiel der Satz "Toleranz ist unser
gemeinsamer Feind." In dem Film erklärte der
Rechtsextremismusforscher Prof. Dr. Hajo Funke,
Rechtspopulisten schliffen an den Ecken der
Demokratie. Und genau das sei die Hoffnung
der Rechtsradikalen in Europa, wie dann deutlich
wurde: Rechtspopulisten sollten den Weg
ebnen für rechtsextremistische Gruppierungen.
"Was wollen Sie tun?"
In der anschließenden Diskussion mit Mitgliedern
des Hauptausschusses fragte der Schüler
Robert Walter aus Düsseldorf die Abgeordneten,
was sie gegen rechte Tendenzen unternehmen
wollten. Angela Freimuth (FDP) antwortete, man
müsse die Probleme lösen, aus denen beispielsweise
die Partei AfD Kapital schlage. Außerdem
gelte es, sie in Diskussionen zu entlarven,
ergänzte Heiko Hendriks (CDU). Unter anderem
sei das Gewerbetreiben der Zugewanderten ein
ökonomischer Gewinn für Deutschland, sagte
Elisabeth Müller-Witt (SPD). "Und damit meine
ich nicht nur die Dönerbude um die Ecke."
Sie nannte außerdem Aussteigerprogramme
als wichtigen Baustein, um Menschen, die der
rechten Szene den Rücken kehren wollten, sicher
wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
"Seien Sie sich Ihrer Macht bewusst", sprach
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) die Schülerinnen
und Schüler an. "Sie wählen, sie stellen die Parlamente
zusammen." Dem Wahlaufruf schloss
sich Maria Springenberg-Eich, die Leiterin der
Landeszentrale für politische Bildung,
an. Mithilfe des Wahl-O-Mats könne jeder und jede
testen, welcher Partei er oder sie am nächsten
stehe. "Gegen Stiernacken-Nazis habe ich kein Mittel -
die sind aber auch nicht das Problem", sagte
Michele Marsching (PIRATEN). Sehr wohl aber
komme es darauf an, in konkreten Alltagssituationen
Nazis auch Nazis zu nennen, sich klar
abzugrenzen, Rechtspopulisten nicht zu verharmlosen
und ihnen keinen Raum zu geben.
Die Schülerinnen und Schüler fragten nach
den Gründen für Fremdenhass und thematisierten
das Problem der Angst vor Fremden.
"Wo kommt sie her, und was tut die Politik dagegen?",
fragte ein Schüler. Angst speise sich aus
Unwissenheit, meinte Müller-Witt und betonte
die Wichtigkeit von Transparenz, Aufklärung
und persönlichen Begegnungen.
Bildung sei der Schlüssel, um rechtsextremistischen
Neigungen vorzubeugen - darin
waren sich alle Abgeordneten einig. Erstens:
Wer zu Werten der Toleranz erzogen werde,
werde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht
rechtsextrem, argumentierte Hendriks. Zweitens,
führte Freimuth an, sei auch Perspektivlosigkeit
ein Grund für das Abrutschen ins rechte
Milieu. Deshalb komme es darauf an, Chancen
zu schaffen und Arbeit zu ermöglichen. Die
Schere zwischen Arm und Reich zu bekämpfen,
sei nach wie vor eine wichtige Aufgabe von Politik,
sagte Müller-Witt.
"Keinen Millimeter"
Landtagspräsidentin Carina Gödecke gab den
Schülerinnen und Schülern eine Bitte mit auf
den Weg: "Mischt Euch ein, wenn Menschen
diskriminiert werden! Lasst nicht zu, dass Menschen
Angst haben, weil sie anders sind. In
unserem Land muss jede und jeder leben können
- ohne Angst, verschieden zu sein.
Und weicht vor den Rechten niemals
zurück! Lasst Ihnen keinen Raum,
keinen Platz, nicht einen Millimeter."
Dass die Jugendlichen
sich zu Wort meldeten und
klar Stellung bezögen, sei
deshalb so wichtig, weil sie
für Gleichaltrige wesentlich
authentischer seien als Erwachsene,
erklärte Gödecke. Deshalb komme
es ebenso auf sie an wie auf Aufklärung,
Prävention, Unterrichtseinheiten
oder Veranstaltungen. "Sie
tragen auch Verantwortung", sagte
die Landtagspräsidentin, "gemeinsam
mit uns."
sow
Bildunterschrift:
88" als Code für "HH", das Zeichen der
"Schwarzen Sonne" mit Anklängen ans Hakenkreuz
und der Schriftzug "SS" - Symbole
der neonazistischen Szene bewegen sich
"einen Millimeter unterhalb der Grenze des
Verbotenen", erklärt der Experte Pfeiffer.
Foto: Schälte
"Das Interesse ist sehr groß"
Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Grumke (46 , Bild) hat die Veranstaltung "Im Feind vereint"
moderiert. Er berichtet über Eindrücke und die Situation in NRW.
Herr Prof. Dr. Grumke, woran erkennt man Rechtsextremisten?
Prof. Dr. Thomas Grumke: Der Stil im
Rechtsextremismus hat sich in hohem Maße
geändert. Das klassische Skinhead-Outfit
mit Glatze und Springerstiefeln sehen wir
in Nordrhein-Westfalen so gut wie gar nicht
mehr. Das bedeutet, dass wir Rechtsextremisten
und Neonazis von der Kleidung her
nicht mehr erkennen können. Es gilt, auf die
Symbolik und auf die Aussagen zu achten.
Zum Beispiel auf die Zahl 88?
Genau. Damit geht es los. Die Szene ist seit
langer Zeit sehr aktiv und auch sehr kreativ,
wenn es darum geht, geltendes Recht zu umgehen.
Es darf sich natürlich niemand den
"Hitlergruß" auf sein T-Shirt drucken. Aber
die "88", die das Gleiche bedeutet, ist kein
Problem. Wir haben es jedoch auch mit eindeutiger
Symbolik zu tun, die ebenfalls nicht
strafbar ist.
Wie hat sich die rechtsextreme Szene in NRW entwickelt?
Es gibt in Nordrhein-Westfalen Schwerpunkte,
beispielsweise die Szene in Dortmund,
die stellvertretend für diesen Stilwandel
steht. Sie besteht vor allem aus
autonomen Nationalisten, wie sie sich selbst
nennen in Anlehnung an die Linksautonomen.
Wir haben eine recht lebendige, nicht
parteigebundene Szene.
Wie groß ist diese Szene?
Das lässt sich nicht auf die Zehnerstelle sagen.
Sozialwissenschaftlich gesehen haben
wir es mit einer sozialen Bewegung zu tun.
Eine solche Bewegung besteht aus mehreren
Ringen. Es gibt ein Zentrum, die Leute
kennen wir. Dann haben wir einen zweiten
Kern, das ist der Unterstützerkreis. Den
dritten Ring bilden die Mitläufer. Es ist völlig
unklar, wie viele das sind. Die gehen mal
mit, mal nicht, einige sind sogar nur im Internet
aktiv. Um sie herum ist ein weiterer
Kreis von stillen Sympathisanten, die das
Gedankengut teilen, sich aber nicht zu Wort
melden. Einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge handelt es sich dabei
um ca. 15 Prozent der Bevölkerung.
Im Landtag haben sich junge Leute mit dem Thema
befasst. Ist es ein Thema, das Jugendliche
berührt?
Ja, auf jeden Fall. Im Landtag waren es vor
allem Schülersprecher und Schülerzeitungsredakteure,
die besonders engagiert
sind. Das hat man auch bei der Veranstaltung
gemerkt, das ist sehr, sehr gut gelaufen.
Aber grundsätzlich mache ich diese
Erfahrungen auch bei anderen Veranstaltungen
mit Schulklassen zu diesem Thema.
Das Interesse ist sehr groß.
Gab es etwas, das Sie besonders beeindruckt hat?
Zwei Dinge haben mich beeindruckt: Die
Schülerinnen und Schüler waren sehr gut
informiert, und sie haben auch in der Diskussion
mit den Politikerinnen und Politikern
immer wieder nachgefragt. Die Vorstellung,
dass junge Leute unpolitisch sind,
ist falsch. Das war sehr eindeutig.
zab
Systematik: 1060 Ideologien
ID: LI160306