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  • Porträt der Woche: Carina Gödecke (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 21.12.2001

    Es sind die harmlosen Fragen, die Carina Gödecke in Verlegenheit bringen. Solche, die nichts mit dem Beruf, sondern mit dem Leben zu tun haben. "Welche Hobbys haben Sie?" Sie schaut überrascht, als habe sie ein längst vergessenes Wort wieder gehört. Dann lächelt sie und zieht an der Zigarette. "Lesen", erwidert sie. Doch diese Standardfloskel überzeugt sie selbst nicht. Dann sagt Carina Gödecke: "Ich habe keine Hobbys mehr." Schließlich fällt ihr eine Lieblingsbeschäftigung ein: "Schlichtweg nix tun, das ist Luxus." Das spärliche Privatleben beschränkt sich meist auf Ehemann Lothar. Freizeit kann sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion kaum noch leisten, weil sie in ständiger Bereitschaft ist.
    Müde wirkt die 43-Jährige trotzdem nicht. Die Augen hinter der randlosen Brille blicken einen aufmerksam an. Ihre Wachsamkeit hat sich die 43-Jährige mit eisenharter Disziplin antrainiert. "Ich bin die Erste, die kommt, und die Letzte, die geht", sagt Gödecke. Das bedeutet um sechs Uhr morgens aufstehen, gegen Mitternacht einschlafen, sparsam Urlaub nehmen. Das Angebot des heutigen Fraktionschefs Edgar Moron, die parlamentarische Geschäftsführung zu übernehmen, habe sie überrascht, sagt Gödecke. Als Moron im Untersuchungsausschuss zur Flugaffäre die Landesregierung gegen die Angriffe der Opposition verteidigte, fiel ihm Gödeckes engagierte Hilfe auf. Moron kannte die Aufgaben und Belastungen eines Parlamentarischen Geschäftsführers, schließlich hatte er zu jener Zeit das Amt noch selbst ausgeübt.
    Im März vergangenen Jahres, zwei Monate bevor Moron zum Fraktionsvorsitzenden ernannt wurde, begann Gödecke mit ihrer Arbeit. Sie muss sich mit den anderen Parlamentarischen Geschäftsführern beraten, als Mitglied des Ältestenrates zurrt sie die Tagesordnung fest und teilt Redezeiten für die Plenartage ein. Sie koordiniert zudem die Sitzungen in der 102-köpfigen SPD-Fraktion, setzt Themen fest und bemüht sich um eine "gute Atmosphäre". Gödecke betrachtet sich als "Managerin", die ein "mittelständisches Unternehmen" leitet. Immerhin stehen der Fraktion jährlich sechs Millionen Mark zur Verfügung. 40 Mitarbeiter werden hier beschäftigt.
    Eine entscheidende Aufgabe ist die Rückendeckung für den Fraktionschef. Nach Ansicht der Bochumerin reicht Loyalität allein für ihren Job nicht aus. "Man muss sich gegenseitig blind vertrauen können." Gödecke ist überdies für Moron die wichtigste Späherin. Sie beobachtet die anderen Fraktionen, behält das politische Geschehen im Auge und horcht in die eigenen Reihen hinein.
    Dort ist seit längerem Kritik zu hören über die Fraktionsführung, die auch in die Öffentlichkeit dringt. Am sichtbarsten wurde die Unzufriedenheit bei den Vorstandswahlen im November, als Moron nur 71,7 Prozent Jastimmen erhielt. "Das war nicht fair", sagt Gödecke, die mit 82,5 Prozent Zustimmung eines der besten Resultate erzielte. Insbesondere ärgert sie, dass acht Abgeordnete zur Abstimmung nicht erschienen waren. Die Außenwirkung war ihrer Meinung nach verheerend. Deshalb wird es eine ihrer zentralen Aufgabe sein, die Unzufriedenheit in der Fraktion abzubauen und die Kommunikation zu verbessern.
    Den Landtag bezeichnet sie zuweilen als "Kunstwelt, in der man sich verlieren kann". Deshalb wohnt Gödecke weiterhin in ihrem Wahlkreis in Bochum: den Bezug zum normalen Leben will sie nicht verlieren. Dort hat sie von klein auf die politische Kärrnerarbeit für die SPD kennen gelernt. Dass sie 1974 als 16-Jährige die Partei-Mitgliedschaft beantragte, war eine Selbstverständlichkeit. "Ich komme aus einer durch und durch sozialdemokratischen Familie", sagt Gödecke.
    Die gebürtige Hessin zog 1962 mit ihrer Familie nach Bochum, wegen Opel. Ihr Vater fing als Werksobermeister an und wurde Ratsmitglied in Bochum. Als die Firma ihm deswegen Druck machte, übernahm die Mutter, eine eingefleischte Gewerkschafterin, das Mandat. Tochter Carina trat 1989 für sechs Jahre die Nachfolge an. Zwischen 1986 und 1990 war sie Wahlkreis-Mitarbeiterin des früheren Bochumer Landtagsabgeordneten und amtierenden Oberbürgermeisters Ernst-Otto Stüber.
    Mit den Tücken der Politik machte die studierte Lehrerin unangenehme Erfahrungen, als sie sich um Stübers Landtagsmandat bewarb. Damals seien von männlichen Konkurrenten Sprüche gekommen wie "Da kann ja auch meine Putzfrau kandidieren", erinnert sich Gödecke. Zierlich ist die ÖTV-Gewerkschafterin, aber nicht zimperlich. Gödecke setzte sich schließlich durch und zog 1995 mit fast 60 Prozent in den Landtag ein.
    In ihrer Zeit als einfache Abgeordnete hat sie die Konzentration auf ein Thema schätzen gelernt. Das fehlt ihr jetzt. "Ich muss eine Generalistin sein", sagt Gödecke. Zunehmenden Gefallen findet sie zwar an der Haushaltspolitik, doch der Job als Parlamentarische Geschäftsführerin behält absoluten Vorrang. "Sachen, die man anfängt, muss man ordentlich machen", lautet einer ihrer Glaubenssätze. Und trotz ihres enormen Arbeitswillens besitzt Carina Gödecke eine Sicherung, um das gefürchtete Ausbrennen zu vermeiden: "Ich frage mich in kontinuierlichen Abständen: Was macht es mit mir?"
    Kristian Frigel

    ID: LIN02825

  • Porträt der Woche: Dr. Frank Freimuth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 17 - 11.12.2001

    Für Frank Freimuth muss Politik für die Menschen "fassbar" sein und das Mögliche machbar machen. Diesen zweifellos hoch gesteckten Anspruch versucht der SPD-Landtagsabgeordnete im Alltag zu realisieren - und vor allem in seinem Wahlkreis Wuppertal I. So ist er dort möglichst viele Stunden für die Bürger ansprechbar interessiert sich für alles, "was ihnen auf der Seele liegt".
    Diese Eigenschaft der "Zuwendung" dürfte beim heute 39-Jährigen in den Jahren gewachsen sein, wo er wissenschaftlicher Mitarbeiter des damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau war und dessen Bürgernähe er hautnah miterlebte. Zudem ist der gebürtige Wuppertaler SPD-Vorsitzender des Ortsvereins Ostenbaum, einem Stadtteil - so das Landesförderprogramm - "mit besonderem Erneuerungsbedarf". "Da gibt es Armut, hohe Arbeitslosigkeit und einen hohen Ausländeranteil." Der promovierte Philologe engagiert sich insbesondere für schwer erziehbare Jugendliche, will ihnen Perspektiven bieten.
    Nach seinem Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie an den Universitäten Köln, Bochum und Wuppertal sowie seiner siebenjährigen Rau-Tätigkeit wurde Frank Freimuth 1995 zum Dozenten in der Erwachsenenbildung des Bildungswerkes Stende berufen. Bis er dann fünf Jahre später, im Mai 2000, in den Landtag einzog, leitete er zahlreiche Seminare, Rhetorik- und Managementkurse. Der SPD schloss er sich als 21-Jähriger an, ist seit längerem Mitglied des Unterbezirksvorstandes Wuppertal und des Bezirksausschusses Niederrhein seiner Partei. Wie schon in der Vergangenheit auf regionaler Ebene bemüht sich der Wuppertaler auch als Landtagsabgeordneter um ein gutes Verhältnis zu den Kollegen der anderen Fraktionen. "Sachlichkeit und Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden sind mir wichtiger als das bloße rhetorische Draufschlagen."
    Die Fraktion gab ihm die Möglichkeit, in mehreren Sachbereichen mitzuarbeiten, die ihn auch ganz persönlich interessieren: Medien-, Bildungs- und Sportpolitik, Jugend und Familie.
    So ist es für den Abgeordneten eine entscheidende Frage, wie auf dem Weg in die Informationsgesellschaft möglichst viele Menschen die Chancen und Fähigkeiten erhalten, mit den neuen Medien umzugehen. Die Vermittlung von Medienkompetenz müsse bereits im frühen Kindesalter beginnen und dürfe aber auch die Senioren nicht ausschließen. Er begrüßt einen fraktionsübergreifenden Antrag aller Mitglieder des Medienausschusses, in dem die Landesregierung unter anderem aufgefordert wird, ein "ressortübergreifendes Leitprojekt für Medienkompetenz" durchzuführen. Die zahlreichen Aktivitäten im Bereich Medienkompetenz sollen danach in einer fortzuschreibenden Datenbank zusammengefasst und die bestehenden Landesprogramme evaluiert werden.
    Aber neben der Förderung der Medienkompetenz und deren Akzeptanzerhöhung müssten auch die Risiken der technischen Entwicklung minimiert werden. So müsse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden. - Als Mitglied des Sportausschusses macht sich der Wuppertaler insbesondere für die Nachwuchsförderung im Breitensport stark.
    Nach eigener Einschätzung ist der Parlamentarier ehrgeizig, und er möchte als Abgeordneter "mehr bewegen" als es derzeit als "Neuling" noch möglich sei. Dabei zitiert er Max Weber, dass "jetzt erst einmal geduldig harte Bretter durchbohrt" werden müssten. Von einer Sportart, die Frank Freimuth besonders schätzt, mag er dabei lernen - dem Langlauf. Eine andere Freizeitbeschäftigung ist das Tauchen - auch das ist für Politiker manchmal ratsam.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN02896

  • Porträt der Woche: Dr. Robert Orth (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 16 - 27.11.2001

    Beim dritten Anlauf hat er es geschafft - dem Düsseldorfer Liberalen Robert Orth gelang dank eines überraschenden landesweiten Wahlergebnisses von 9,8 Prozent für die FDP im Mai letzten Jahres der Sprung in das Landesparlament am Rhein. Der 33-jährige gebürtige Düsseldorfer interessierte sich schon seit längerem für die Landespolitik "vor der Haustür". Und bereits als Jugendlicher habe er den ersten "Kontakt" mit der Stätte des landespolitischen Geschehens gehabt - "in der damaligen Baugrube spielten wir Fußball", erinnert er sich.
    Nach Einschätzung des promovierten Juristen wird im Rahmen des zusammenwachsenden Europas die Landes- weniger als die Bundespolitik an Bedeutung verlieren. Die EU-Richtlinien müssten vor allem regional umgesetzt werden und beim erforderlichen Harmonisierungsprozess werde der Entscheidungsspielraum des Bundes eingeschränkt, argumentiert Robert Orth. Für ihn darf die Landespolitik ohnehin nicht an den Grenzen eine Bundeslandes enden.
    Nach dem Abitur und dem Wehrdienst absolvierte der Freidemokrat eine Ausbildung als Bankkaufmann, der sich dann das Jurastudium an der Kölner Universität anschloss. Nach beiden Staatsprüfungen und dem Referendariat gründete er 1996 eine Rechtsanwaltssozietät in seiner Heimatstadt mit dem Schwerpunkt Aktienrecht. Der Düsseldorfer, der auch Aufsichtsratsmitglied mehrerer Unternehmen ist, übt seine berufliche Tätigkeit auch als Abgeordneter aus, um sich seine persönliche Unabhängigkeit zu erhalten.
    Bereits als 18-Jähriger schloss sich Robert Orth der FDP an und engagierte sich gleich bei den Jungen Liberalen wie auch in der Partei. Es folgte die Wahl in verschiedene Führungsgremien. So gehört der Rheinländer schon seit längerem dem FDP-Landesvorstand an und ist seit 1998 auch stellvertretender Vorsitzender des Kreis- wie des Bezirksverbandes Düsseldorf seiner Partei. Bei der letzten Kommunalwahl im Herbst 1999 in den Rat seiner Heimatstadt gewählt, legte der Liberale sein kommunales Mandat nach dem Einzug in den Landtag nieder. "Ich halte nichts von Doppelmandaten."
    Seine Fraktion berief den Juristen in den Rechtsausschuss, dessen Vorsitzender er heute ist. Außerdem gehört er dem Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie an. Eines seiner ersten Anliegen war es, das Gewicht des Rechtsausschusses zu stärken. So widersprach es dem politischen Verständnis des Freidemokraten, dass das Parlamentsgremium beispielsweise zwar bei Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof hinzugezogen werde, aber bei Verfassungsänderungen nicht beratend mitwirkte. Diese Lücke wird nun geschlossen.
    Auch ist für ihn die Unabhängigkeit der Justiz eine stete Herausforderung. Besonders erfreut ist der Liberale in diesem Zusammenhang, dass die erste Gesetzesinitiative seiner Partei in dieser Legislaturperiode, die Entpolitisierung der Staatsanwälte, eine breite parlamentarische Zustimmung gefunden hat. Als eine seiner wesentlichen Aufgaben als Vorsitzender sieht Robert Orth auch, jeden Eingriff des Staates in die Rechte des einzelnen Bürgers kritisch zu begleiten. Als Beispiel nennt er die nach seiner Einschätzung zu große Zahl der Telefonüberwachungen.
    Der Liberale möchte nicht nur Ansprechpartner für die Bürger sein, sondern ist auch offen für die Probleme der Mitarbeiter der Justizbehörden. An die Landesregierung hat er die Erwartung, dass sie bei den großen justizpolitischen Themen auf Bundesebene die Interessen Nordrhein-Westfalens wahrt, beispielsweise bei der Zivilprozessreform.
    Politik und Beruf lassen für den Familienvater von zwei Kindern wenig Raum für freizeitliche Aktivitäten, für das Skifahren und das Tennisspielen. Doch dafür wird er durch manchen Erfolg in seinem politischen wie beruflichen Engagement "entschädigt".
    Jochen Jurettko

    ID: LIN02971

  • Porträt der Woche: Stephan Gatter (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 13.11.2001

    Wenige Tage vor dem Berliner Mauerbau 1961 floh der damals knapp Sechsjährige mit seinen Eltern aus dem thüringischen Gotha nach Köln. Seitdem lebt der SPD-Abgeordnete Stephan Gatter in der Domstadt, hat dort sein Abitur gemacht, zeitweilig dort studiert, später das 1. Staatsexamen in Geschichte und Theologie für das Lehramt in der Sekundarstufe II absolviert und sich partei- wie kommunalpolitisch engagiert.
    Aus einem Elternhaus stammend, in dem politisch rege diskutiert wurde, war schon damals für den Gymnasiasten Stephan Gatter Willy Brandt ein Vorbild, und der noch "Wahlunmündige" gründete eine Schülerinitiative für den Sozialdemokraten. In die SPD trat er erst 1972, im Landtagswahlkampf, ein. Seit dieser Zeit - inzwischen sind es 26 Jahre - engagiert sich der Kölner im selben Ortsverein, wurde später in den Stadtbezirksvorstand Köln-Kalk und dann in den Kölner Unterbezirksvorstand der SPD gewählt. Mehr als 15 Jahre gehörte er der Bezirksvertretung Köln-Kalk an, davon längere Zeit als SPD-Fraktionsvorsitzender.
    Die ersten "Berührungen" mit der Landespolitik erhielt Stephan Gatter 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten und Kölner Oberbürgermeisters Norbert Burger, auch stand er zeitweise dem Abgeordneten Volkmar Schultz zur Seite. So kam es nicht überraschend, dass die Kölner Sozialdemokraten ihn bei der letzten Landtagswahl im Mai 2000 für das Düsseldorfer Parlament nominierten und er dann auch den Wahlkreis 21 (Köln VII) für seine Partei gewann.
    Die Landtagsfraktion berief den Kölner in den Ausschuss für Umweltschutz und Raumordnung sowie in den Hauptausschuss. Als Angestellter im Bereich Öffentlichkeitsarbeit einer je zur Hälfte privaten und kommunalen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft seit 1992 ist ersteres Parlamentsgremium sozusagen sein "Metier": Er hat für die damals teilweise umstrittene Kölner Müllverbrennungsanlage gefochten und hält nach wie vor den Bau jener Anlagen mit modernstem Standard in der Vergangenheit ökologisch für den "richtigen Weg". Als "ökologischen Unsinn" bewertet heute der 46-Jährige allerdings, dass nach der geltenden Gesetzeslage Plastikmaterial aus dem Müll aussortiert werden müsse und in den Zementwerken als Brennstoff verwertet werde. Hier sei der Gesetzgeber gefordert.
    Im Hauptausschuss plädiert der Sozialdemokrat für eine Erweiterung der Bürgerrechte, hält allerdings die Drohung der Freidemokraten mit einem Bürgerbegehren zur Verkleinerung des Landtages für "reinen Populismus": Das wäre so, als würde man die Bürger auf der Straße fragen, "wollt ihr weniger Steuern zahlen". Es sei ureigenste Aufgabe des Parlamentes über seine Größe zu entscheiden.
    Bei einer Bevölkerung von 18 Millionen hält der Abgeordnete die eigentliche Größe von 201 Parlamentariern nach dem Wahlgesetz für angemessen. Andernfalls wäre nach seiner Einschätzung eine Betreuung der Bürger durch die Abgeordneten sehr problematisch. Und schließlich sei der Düsseldorfer Landtag nach dem Stuttgarter das "zweitbilligste" Parlament eines Flächenlandes. Allerdings müsse man die so genannten Überhangmandate in den Griff bekommen mit dem Ziel, dass es künftig nur 150 Direktmandate und 51 Mandate über Listenplätze gebe.
    Neben der Politik sind Bücher die große Leidenschaft des Kölners. "Ich kann an keinem Antiquariat vorbeigehen, ohne ein Buch mitzunehmen." Inzwischen füllen seine Regale rund 3 000. Und dann gibt es noch die Nordsee und das Kochen. Beides lasse sich gut verbinden - nordische Küche mit viel Fisch. Guten Appetit!
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03011

  • Porträt der Woche: Andrea Milz (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 14 - 09.10.2001

    "So kann das nicht weitergehen", sagt Andrea Milz überzeugt. Für die 38-jährige CDU-Landtagsabgeordnete aus dem Rhein-Sieg-Kreis ist es ganz offensichtlich, dass die Landtagsdebatten gestrafft und interessanter werden müssen. "Jedes Gespräch, das ich führe, ist informativ. Jeder Außentermin lohnt sich", erklärt die Parlamentarierin. Doch die Plenarwochen seien zumeist enttäuschend. "Die bringen nicht weiter. Die sind nicht spannend", urteilt die Christdemokratin, die seit Juni 2000 im Düsseldorfer Landtag sitzt.
    Ihre negative Einschätzung der Plenartage teilt die temperamentvolle Frau mit anderen jungen Unionsabgeordneten. Gemeinsam wurden sie deshalb beim Landtagspräsidenten vorstellig und mahnten Reformen an. Ulrich Schmidt zeigte sich durchaus aufgeschlossen und riet, sich in anderen Fraktionen "Verbündete" zu suchen, um dem Landesparlament zu etwas mehr Frische und Lebendigkeit zu verhelfen. Erste Gespräche mit Jung-Parlamentariern anderer Parteien haben bereits stattgefunden. "Vielleicht schaffen wir es ja, den Düsseldorfer Landtag etwas aufzumischen", hofft Andrea Milz. Die agile CDU-Frau weiß sehr wohl, dass schon eine Reihe Politiker vor ihr vergeblich diesen Versuch unternommen hat. Doch das stört sie nicht. "Wenn mir jemand sagt, das habe ich schon drei Mal versucht, dann versuche ich es eben zum vierten Mal", betont Milz. Etwas einmal als richtig Erkanntes so einfach aufzugeben, gehört nicht zu den Charaktereigenschaften der zielstrebigen Frau aus Königswinter.
    Das zeigt auch ihre beachtliche Karriere von der Sekretärin zur Landtagsabgeordneten. Nach mittlerer Reife und höherer Handelsschule arbeitete sie in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, avancierte schnell zur Chefsekretärin und Sachbearbeiterin, wechselte in die Pressestelle des Postministeriums, wo sie nach nicht allzu langer Zeit kommissarische Abteilungsleiterin wurde. "Immer wenn ich Lust hatte zu wechseln, kam jemand, der mich haben wollte", schildert Andrea Milz ihren imponierenden beruflichen Aufstieg als ganz selbstverständlich.
    Zur Politik fand die flippige Frau, die man ihrem bunten und extravaganten Äußeren nach eher bei den GRÜNEN als in der CDU vermuten würde, bereits als Schülerin mit 17 Jahren. "Ich habe in einer Marmeladenfabrik in Bad Honnef Ferienarbeit gemacht, als mir in einer verregneten Mittagspause ein junger Mann aus Rheinland-Pfalz vorgeschwärmt hat, wie toll die Junge Union ist. Ich habe ihm fasziniert zugehört und danach bei meinem eigenen Ortsverein in Königwinter angeklopft." Bereits ein Jahr später, 1981, ist Andrea Milz, deren Eltern absolut nichts mit Politik zu tun hatten, in die CDU eingetreten. "Ich habe mir die Partei ausgesucht, die am meisten meinen Vorstellungen entsprach", sagt die CDU-Frau rückblickend und ergänzt: "Ich erwarte keine 100-prozentige Übereinstimmung, aber 70 Prozent müssen es schon sein."
    Ebenso wie im Beruf ging es für Andrea Milz auch innerhalb der Partei rasch nach oben. Das Jahr 1985/86 sah sie als Pressesprecherin des CDU-Stadtverbandes Königswinter. Seit 1989 war sie Mitglied im Rat der Stadt. 1994/95 wurde sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende, nachdem sie bereits seit 1989 sachkundige Bürgerin der CDU-Kreistagsfraktion Rhein-Sieg-Kreis war. Gegen drei Gegenkandidaten setzte sie sich durch, als es um die Landtagskandidatur ging. Tatsächlich verteidigte Andrea Milz den Wahlkreis Rhein-Sieg auch bei der Wahl erfolgreich und trat die Nachfolge von Lokalmatador Franz Riscop an.
    Mit ihrem neuen Leben als Parlamentarierin hat sich die CDU-Frau angefreundet, wenn sie auch jetzt schon weiß: "20 Jahre lang werde ich nicht Oppositionspolitikerin bleiben." Für die nächste Legislaturperiode will sie ganz sicher wieder antreten. Doch elf Jahre Oppositionsarbeit, bei der sie nur wenig bewegen könne, das kann sie sich nicht vorstellen: "Ich bin voller Tatendrang, da muss mehr passieren." Entsprechend wirbelt sie durch Landtag und Wahlkreis. Zumeist ist sie an jedem Wochenende unterwegs und an Nicht-Plenartagen werktags oft im Wahlkreisbüro anzutreffen. "Ich verstehe mich als Dienstleister - sowohl für den Bürger als auch für die Partei", beschreibt Andrea Milz ihre Aufgabe.
    Im Landtag ist es ihr auf Anhieb gelungen, in den begehrten Wirtschaftsausschuss zu kommen, im außerdem gewünschten Jugendausschuss wurde sie nur Stellvertreterin. Dafür arbeitet sie als ordentliches Mitglied im Petitionsausschuss mit. Engagiert besucht sie alle Sitzungen und hat ihre Jungfernrede im Plenum mit Bravour und ohne jedes Lampenfieber absolviert. "Das kenne ich von der Bühne. Das regt mich nicht auf", sagt die Aufsteigerin, zu deren ausgefallenen Hobbys nicht nur die Schauspielerei gehört. Andrea Milz ist ausgebildete Hula-Tänzerin, spielt Schach, nimmt Unterricht in Silberschmiederei, näht ihre Kleidung selber, hat über 250 selbst gestrickte Pullover im Schrank und geht für ihr Leben gern in eine ganz bestimmte Techno-Disko.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN03076

  • Porträt der Woche: Karl Peter Brendel (FDP).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 18.09.2001

    Die unersättlich wuchernde Bürokratie ist für Karl Peter Brendel ein ständiges Ärgernis. "Kein Mensch hat bei dieser Regelungsdichte noch einen Durchblick", argumentiert der FDP-Landtagsabgeordnete aus dem sauerländischen Marsberg. Und wenn alle Vorschriften auch beachtet würden, funktionierte nichts mehr. "Viele sind ohnehin Unfug und werden einfach ignoriert." So erinnert er sich an eine Auflage beim Bau einer Kindertagesstätte in seiner Heimatstadt, für jedes Kind eine Schlafstelle bereitzuhalten. "Die Kinderbetten stehen heute noch verpackt auf dem Boden."
    Zusammen mit der Vereinigung liberaler Kommunalpolitiker hat der 46-Jährige denn auch einen Gesetzesentwurf erarbeitet, nach dem jedes Gesetz eine zeitliche Befristung erhalten soll. "Läuft sie aus, ist das Gesetz weg, es sei denn, es wird ausdrücklich bestätigt." Mit einer solchen gesetzlichen Regelung lässt sich der Bürokratieabbau nach seiner Einschätzung leichter realisieren als mit allen Appellen. Für das Regelungsdickicht macht Karl Peter Brendel allerdings auch die Bürger mitverantwortlich. "Sie erwarten, dass der Staat alles regelt, und dann beklagen sie diesen Zustand."
    Der gebürtige Marsberger studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Während der Referendarzeit am Paderborner Landgericht besuchte er die Verwaltungshochschule in Speyer und gründete 1984 mit seiner späteren Ehefrau sowie einem Studienkollegen eine Anwaltskanzlei mit Schwerpunkt Mietrecht. Seit Anfang letzten Jahres auch Notar, engagierte sich der Marsberger auch im Vormundschaftsbereich. Beide Tätigkeiten setzt er auch nach seiner Wahl in den Landtag fort, "weil man als Abgeordneter den Blick für die Wirklichkeit schnell verlieren kann".
    Bereits mit 16 Jahren trat Karl Peter Brendel der FDP bei und übernahm später mehrere Führungsämter auf Kreis- und Landesebene und organisierte zahlreiche Wahlkämpfe. Seit längerem ist er stellvertretender Vorsitzender des Bezirkes Westfalen-Süd seiner Partei.
    Auch betätigt sich der Freidemokrat schon viele Jahre kommunalpolitisch. So war er 1989/94 Vorsitzender der FDP-Fraktion des Kreistages des Hochsauerlandkreises und nach dem Wiedereinzug der Liberalen 1999 wurde er erneut in diese Führungsrolle gewählt. Seit der letzten Kommunalwahl gehört der Vater von zwei Kindern auch dem Marsberger Stadtrat an.
    Mit seiner Wahl in das Düsseldorfer Landesparlament im Frühjahr 2000 hatte der Sauerländer nicht im entferntesten gerechnet - hatte er doch den Listenplatz 20. "Eine aussichtslose Position", meint er rückblickend. Doch nach dem großen Wahlerfolg der Liberalen "zog" die Reserveliste sogar bis Platz 24.
    Die FDP-Fraktion berief ihn dann in den Ausschuss für Innere Verwaltung und Verwaltungsstrukturreform, wo er dessen stellvertretender Vorsitzender wurde sowie in den Ausschuss für Städtebau und Wohnungswesen. Auch im letzteren Parlamentsgremium sieht der Liberale bei der Wohnungsbauförderung einen großen Handlungsbedarf. Sie sei überreguliert und daher unflexibel und teuer, kritisiert er. Außerdem gehört er der Enquetekommission "Zukunft der Städte" an. Alle drei Gremien tangiert auch der aktuelle Bereich Integration.
    Neben Beruf und Mandaten verursacht die Fahrt des Sauerländers zwischen Marsberg und Düsseldorf einen großen Zeitaufwand. "Das sind jeweils drei Stunden in beide Richtungen, da ist Freizeit ein Fremdwort."
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03216

  • Porträt der Woche: Ute Koczy (Grüne).
    Porträt;

    S. 23 in Ausgabe 12 - 11.09.2001

    Ute Koczy zählt zu den jungen aktiven Frauen, die politisches Engagement mir Ernst betreiben und darüber die Lebenslust nicht verlernt haben. Die 1966 im Schwäbischen geborene Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DlE GRÜNEN kann sich sehr über die Ungerechtigkeiten dieser Weit aufregen, wenn sie beispielsweise von der Schufterei südkoreanischer Textilarbeiterinnen erzählt. Sie vermag aber auch mit fröhlicher Miene davon zu berichten, dass sie mit ihrem spanischen Freund einen Auffrischkurs in Tango argentino mache, dass Reiten (ohne Sattel und Trense) wieder entdeckt habe und gerne italienisch schlemme. Ute Koczy gibt auch zu, dass sie kein Auto besitze und aus ökologischen Gründen Reisen mit dem Flugzeug nur ganz selten mache. Andererseits gehört sie nicht zu den biestigen Naturheilern, die Otto Normalverbraucher seinen jährlichen Flug nach Palma so verteuern möchten, damit künftig aus Kostengründen in EifeL, Westerwald und Hunsrück Urlaub gemacht werden müsste.
    Regelmäßig montags fährt Ute Koczy mit dem ICE von Bielefeld nach Düsseldorf. Dass arrivierte GRÜNE mittlerweile ohne Skrupel in große Dienstwagen steigen, macht ihr keinen Kummer. Wenn sie an die Ministerinnen und Minister denke, die ihre Partei stellt, und wenn sie sich vorstellt, wie diese Eingespannten täglich bis zu zwölf Termine wahrnehmen müssen, dann mag sie denen den Dienstmercedes nicht ausreden. Sie als leidenschaftliche Parlamentarierin könne vieles gut mit der Bahn, erreichen, aber die Minister brauchten ihren Wagen als rollendes Büro und aus Gründen der Beweglichkeit. "Da", sagt Ute Koczy, "bin ich nicht dogmatisch".
    Seit 13 Jahren lebt die Tochter oberschlesischer Eltern in Lemgo. Sie ist gerne dort. Es gefällt ihr zwischen Wiesen und Feldern, und was den Menschenschlag im Lipperland angeht, die angeblich so verschlossenen und geizigen Lipper, da schmunzelt die sympathische Frau, die in Tübingen empirische Kulturwissenschaft und Ethnologie studiert hat. "Ich kenne viele Lipper, die ausgabefreudig sind und das Herz auf dem rechten Fleck haben."
    Ute Koczy gehört zu den Menschen, welche die Verschiedenheit der Menschen und Kulturen nicht schreckt, die sich vielmehr einen Traum bewahrt haben: den Traum von einer Gesellschaft, in der das jeweils Andersartige akzeptiert wird, in der ein jeder kritikfähig und tolerant zugleich ist. Sie weiß, dass das ehemalige politische Modewort "multikulturell" unschöne Altersflecken bekommen hat. Was sie will ist: gegenseitiges Respektieren, friedfertiges Zusammenleben verschiedener Kulturen organisieren helfen.
    Auf die Frage, ob sie sanftmütig sei, antwortet die Abgeordnete nicht mit einem eindeutigen Ja. Wahrscheinlich ist ihr das Adjektiv zu defensiv. Sie will bei aller Friedfertigkeit gegen das Ungerechte ein Zeichen setzen. Seit dem Besuch bei den Südkoreanischen Arbeiterinnen hat Ute Koczy bei jedem Einkaufsbummel in westlichen Fußgängerzonen die Lohnsklavinnen aus Fernost vor Augen, die Billigkräfte, die dafür sorgen, dass die Wohlstandmenschen hier Klamotten zu Niedrigpreisen kaufen können. Die Lemgoerin kauft seither noch bewusster ein, ist bereit, einen teuren Preis zu zahlen für gute, ökologisch einwandfreie Ware. Andererseits: Es liegt ihr fern, zu missionieren, aber ein ganz persönliches Beispiel konsequenten Lebensstils möchte sie ihren Mitmenschen schon geben. Zu den GRÜNEN stieß Ute Koczy 1983, kurz vor der damaligen Bundestagswahl. Eine-Welt-Politik, Frauenrechte, Friedensbewegung - so lauteten die wichtigsten Gründe für ihre Parteimitgliedschaft. Gäbe es die GRÜNEN nicht mehr, würde sie in keine andere Partei eintreten, vielmehr wieder mehr für Menschenrechtsorganisationen arbeiten, etwa "Terre des Femmes", die sie schon als Studentin kennengelernt hat. Sie mahnt ihre Partner, nicht die politischen Wurzeln zu vergessen, das Credo ihres Politikerinnenlebens ist das Bekenntnis zur Friedenspflicht. Die Erfahrung lehre, dass jede Generation von neuem für den Frieden einstehen müsse. Auch den Europäern sei kein ewiger Friede geschenkt. Hierzulande vergäßen zu viele zu leicht, dass die Erhaltung des Friedens das A und O jeder Politik sei.
    Wer so formuliert, steckt seinen politischen Aktionsrahmen weiter, als dies landespolitisch notwendig wäre. Mehr als in die Bundespolitik, würde es Ute Koczy in die Europapolitik ziehen. Das Übernationale, Grenzüberschreitende reizt sie, ohne jedoch eine "Reisetante" zu sein. Daran hindert sie schon ihre ökologisch begründete Flughemmung.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03303

  • Porträt der Woche: Joachim Schultz-Tornau (FDP).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 11 - 26.06.2001

    Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder. Es war Mitte der achtziger Jahre. Die FDP-Landtagsfraktion mit Achim Rohde an der Spitze war auf Bildungsreise in der Toskana unterwegs. Die Sonne schien, die italienische Küche trumpfte auf, herrlicher Wein löste die Zungen und hob die Stimmung in immer schönere Höhen. Animiert von seinen Kolleginnen und Kollegen, reckte sich nach dem Dessert der stattliche Abgeordnete Joachim Schultz-Tornau empor und sang mit hörbar geschultem Bariton romantische deutsche Lieder. Der Mann, der 1943 im deutsch besetzten Metz geboren wurde, dann nach Koblenz kam, in Saarbrücken seine Jugendzeit verbrachte und heute in Bielefeld zu Hause ist, zählt zu den freundlichen Zeitgenossen, die sich in geselliger Runde nicht zu schade sind, die Stimmungskanone zu geben.
    Eine gewisse Arglosigkeit war dem Liberalen lange Zeit eigen. Das hat sich geändert, weil es Enttäuschungen gegeben hat. Schultz-Tornau sagt, dass er zwar nicht zum Zyniker geworden sei, aber ein Stück Vertrauen sei schon im Laufe der politischen Jahre verloren gegangen.
    So seien beispielsweise Schmunzelgeschichten, die er selbst von sich preisgegeben habe, durch übelmeinende politische Wettbewerber überspitzt, am Ende sogar derart verfälscht worden, dass Dritte meinen könnten, der Bielefelder Jurist sei fürs richtige politische Leben, für Führungsaufgaben sowieso, untauglich. Schultz-Tornau gibt zu, dass er ein bisschen den Typ "zerstreuter Professor" verkörpere. Gut, da schlüpft man mal aus Versehen in den falschen Mantel, lässt unachtsam Schirme im Ständer zurück. Das sind eher liebenswürdige Eigenschaften. Parteifeinde machten daraus böse Geschichten, Karikaturen des Menschen Schultz-Tornau. Eingepennt sei er im Zug von Bielefeld nach Düsseldorf und erst im Bahnhof Amsterdam aufgewacht. Schultz-Tornau korrigiert die Geschichte: "Alles dummes Zeug, ich war so ins Gespräch vertieft mit einem bekannten Mitreisenden von der Landesrundfunkanstalt, dass wir beide den falschen Zug gewählt haben und anstatt nach Düsseldorf zu fahren, in Emmerich, also kurz vor der holländischen Grenze, den Irrtum bemerkt haben." Schultz-Tornau empfindet es als mies, wenn andere daraus eine Tölpelstory zu machen versuchen und ihn so in die Unfähigkeitsecke manövrieren wollen. Schultz-Tornau ist zu vorsichtig und zu vornehm, Namen zu nennen, aber man hat so seinen Verdacht, dass er nicht die so genannten politischen Gegner aus anderen Parteien im kritischen Blick hat.
    Schultz-Tornau legt Wert auf fairen Umgang miteinander, einen gewissen Stil möchte er gewahrt wissen. Wichtigtuer, Schreihälse, Großkotze sind ihm ein Greuel. Der Mann wirkt unmodisch. Er ist nicht nur Parteiliberaler, sondern auch Gesinnungsliberaler. Liberal zu sein, bedeutet für ihn, Verantwortung für sich selbst, für andere und für zukünftige Generationen zu übernehmen. Effizienz sei gut, aber nicht alles dürfe dem Diktat des Ökonomischen untergeordnet werden. Wertevermittlung hält der Kinderlose in der Erziehung für ganz entscheidend, den Kirchen komme bei der Sinnstiftung eine unverzichtbare Rolle zu. Schultz-Tornau hält nichts von den Radikalliberalen in der Tradition des 19. Jahrhunderts, denen Hass auf Papst und Kirche Pflicht war. Anachronistisch nennt er so etwas. Sein Elternhaus war gemischt konfessionell, da konnte der Sohn des liberalen Juristenehepaares Schultz-Tornau ("Stresemann-Liberale") den Wert Toleranz schätzen lernen.
    Er wurde später in der evangelischen Landeskirche aktiv. Zur FDP stieß Schulz-Tornau 1966. Seit 1963 gehörte er bereits zur damaligen Jugendorganisation der Partei, den Jungdemokraten, die sich erst viel später politisch radikalisierten, in eine andere Partei als die FDP einzutreten, hat Schultz-Tornau nie erwogen. Werner Maihofer, der Juraprofessor und FDP-Bundesminister am Tische der Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, war an den Universitäten Saarbrücken und Bielefeld Schultz-Tornaus akademischer Vater. Ihm diente er eine Zeit lang als Assistent, bis der junge Liberale Rechtsdezernent im Ostwestfälischen wurde.
    Schultz-Tornau politische Karriere machte einmal einen ungewöhnlichen Satz. Das war 1994, als er beim Landesparteitag in Castrop-Rauxel gegen die Mitbewerber Schaumann und Möllemann den Vorsitz erklomm. Seine Vorstellungsrede war die beste. Diesmal hatte er, anders als sonst, nicht frei gesprochen, vielmehr am Tag vor der Personalentscheidung sein zündendes Redekonzept fertiggestellt. Schultz-Tornaus Vorsitzendenzeit dauerte nur zwei Jahre, wohl auch, weil er nicht der Typ machtsichernder Leitwolf ist, der sich den Weg freibeißt. Niemandes Herr und niemandes Knecht zu sein - das könnte wohl sein Lebensmotto sein.
    Aus dem jungen Sportler, der einst den 35 Kilometer langen Hermannslauf im Ostwestfälischen schaffte, ist eine gesetzte Persönlichkeit geworden, die andere Hobbys pflegt. Einmal in der Woche ist Chorprobe, vor Aufführungen wird zusätzlich geübt. Schultz-Tornau ist Vorsitzender des Musikvereins Bielefeld, eines 1820 gegründeten Oratorienchors. In diesem Jahr werden noch drei Konzerne in der Oetker-Halle Bielefeld gegeben. Schultz-Tornaus, der an einem ehrwürdigen humanistischen Gymnasium in Zweibrücken mit Griechisch und Latein vertraut gemacht wurde, gehört zur sich rar machenden Spezies deutscher Bildungsbürger. Er kann sich mächtig über neumodische Aufgeblasenheiten aufregen, wenn etwa alltägliche Dinge zunehmend englisch ausgedrückt werden. Er nennt es bizarr und lächerlich, wenn etwa eine Bahnhofstoilette McClean heißt. So jemand wie Schultz-Tornau hat selbstverständlich Interesse en anspruchsvoller Lektüre, Historischem zum Beispiel. Aber auch "Harry Potter" ist ihm nicht fremd. Alle erschienenen Bände hat er gelesen. Und sie haben ihm gut gefallen.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03333

  • Porträt der Woche: Elke Talhorst (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 19.06.2001

    Schon bei der Begrüßung offenbart Elke Talhorst eine für sie charakteristische Gemütsregung: Sie lacht gern. Allein ihre Augen verraten es, und noch mehr die Fältchen, die sie einrahmen. Wenn die 56-jährige auf ihr "fröhliches Grundnaturell" zu sprechen kommt, fällt ihr eine Anekdote aus dem Landtagswahlkampf 2000 ein: Ihr lachendes Konterfei auf den Plakaten in ihrem Wahlkreis 65 in Moers (Wesel IV) habe die Betrachter derart angesprochen, dass wildfremde Menschen auf der Straße gegrüßt hätten und sie sogar Telefonanrufe erhalten habe. Die SPD-Abgeordnete mag partout keine "Miesepeter" und versucht auf ihre Weise, Tristesse aufzuhellen. Sie unterstreicht ihr Strahlen an diesem Tag mit einem roten, eleganten Blazer, den sie zum Protest gegen den grauen, verregneten Tag angezogen hat. Elke Talhorst trägt ihre positive Grundeinstellung offen zur Schau.
    Als weitere persönliche Eigenschaft nennt sie eine angeborene "Gelassenheit". Diese hilft ihr, Polemik und Zuspitzungen in der Politik zu vermeiden. "Sachliche Schlagabtausche sind erfolgreicher", sagt sie. Deshalb beobachtet die Moerserin mit Sorge den Trend zur ehrabschneidenden Rhetorik in der Politik, die auf persönliche Verletzung anderer abzielt. Besonders sauer ist ihr im März die Bildungsdebatte im Landtag aufgestoßen. Talhorst selbst fühlt sich allein durch ihre finanzpolitischen Aufgaben zur Sachlichkeit verpflichtet. Das trockene Dickicht aus Fachtermini und Verwaltungsvorschriften gewährt ohnehin keinen Spielraum für verbale Mätzchen. Durch ihre disziplinierte Zurückhaltung gehört sie eher zu den unauffälligen Akteuren im Parlament. Ihr Stellenwert in der Fraktion ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Talhorst hat sich als eine der führenden Finanzpolitiker etabliert. Dass sie kürzlich den stellvertretenden Vorsitz im Haushalts- und Finanzausschuss - zusammen mit dem Hauptausschuss das bedeutsamste Gremium im Landtag - erhalten hat, spricht für sich. Seit ihrem Einzug in den Landtag 1995 gehört sie diesem Ausschuss als ordentliches Mitglied an. Sie sitzt im Hauptausschuss und seit der vergangenen Landtagswahl auch im Präsidium. Talhorst zählt sich selbst zu den "Haushältern" im Landtag, und für sie besteht die Finanzpolitik der nächsten Jahre aus einer zentralen Komponente: "Sinnvoll sparen".
    Ihre Zeit teilt sich die ausgebildete Industrie-Kauffrau und Sozialversicherungsfachangestellte ebenfalls sparsam ein, denn eines hat sie nach ihrem Debut im Landtag überrascht: die starke zeitliche Belastung als Landtagsabgeordnete, die in Düsseldorf und in ihrem Wahlkreis wirken muss. Talhorst hat eine wichtige Einstellung, um nicht vom Stress überwältigt zu werden: "Die Arbeit macht mir Freude." Seit 1979 sitzt die gebürtige Bochumerin im Rat der Stadt Moers. Bis vor einigen Jahren hatte sie eine Reihe von Ämtern im SPD-Unterbezirk Wesel inne und gehörte 16 Jahre dem Vorstand des Bezirks Niederrhein an. Vor ihrem Aufstieg in den Landtag war die ÖTV-Gewerkschafterin von 1989 bis 1994 Mitglied des Weseler Kreistages. Über ihre weitere politische Laufbahn nach dieser Legislaturperiode möchte sie nichts erzählen. "Da mache ich mir noch keine Gedanken", sagt Talhorst. Das müsse die Zeit mit sich bringen.
    Sie betont stets, dass Partei oder Fraktion auf sie zugekommen seien - sei es bei der Kandidatur für den Landtag oder bei der Besetzung der Ausschüsse. Talhorst ist keine, die drängeln will. Sie sei auch niemand, der sich schnell entscheide, sagt sie. Das war schon früher so. In die SPD ist sie als 26-jährige eingetreten, aber erst nachdem sie die politischen Angebote eingehend geprüft und sich letztlich für das Godesberger Programm entschieden hatte. Ihre Mitgliedschaft habe sie am 1. April 1972 "mit Herzblut" unterschrieben. Willy Brandt mit seinem Sinn für soziale Gerechtigkeit inspirierte sie maßgeblich zur politischen Mitgestaltung. Umso schockierter war sie, als Brandt nur wenige Wochen später zurücktreten musste: "Mir sind die Tränen nur so runtergelaufen."
    Elke Talhorst schätzt Offenheit. Sie spricht mit Stolz über ihren Ehemann und ihren erwachsenen Sohn, und darüber wie sie auch schwierige Lebenssituationen gemeistert habe. So bestritt sie früher den Unterhalt für die Familie, als ihr Mann noch Maschinenbau studierte. Ihre Erfahrungen haben sie gelehrt, dass sich auch große Hindernisse mit Selbstdisziplin und Engagement überwinden lassen, und dass arbeitsreiches Leben und Freizeit sich nicht gegenseitig ausschließen. "Ich brauche meine schöpferischen Pausen", sagt sie unumwunden. Sie gönnt sich dann die eine oder andere Zigarette, fährt Rad am Niederrhein, übt für das alljährliche Sportabzeichen oder liest Bücher. Talhorst erweist sich als eingefleischter Thriller-Fan. Insbesondere Graham Greene hat es ihr angetan. Eines seiner Bücher liest sie mittlerweile zum vierten Mal. In der deutschen Übersetzung heißt es "Der menschliche Faktor". Ein Titel, der zu Elke Talhorst passt.
    Kristian Frigelj

    ID: LIN03385

  • Porträt der Woche: Edmund Feuster (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 22.05.2001

    "Nett kalle, jet donn - weniger reden, mehr anpacken." Dieser Wahlspruch gilt für den Niederrheiner Edmund Feuster im Beruf wie auch in der Politik. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Grevenbroich zählt nicht zu den vielen Theoretikern in Diskussionsforen, sondern ist entsprechend seines Naturells dort am liebsten, wo es um "handfeste" Sachpolitik mit nachvollziehbaren Entscheidungen geht. Und der Diplom-Betriebswirt mit langjähriger Berufserfahrung hält es im übrigen bei aller "Wertschätzung" für Lehrer und Beamte für notwendig, dass neben deren starken Repräsentanz im Parlament auch "Leute über Wirtschaft reden, die etwas von der Materie verstehen".
    Aus einer Arbeiterfamilie in Jüchen stammend, besuchte der heute 46-Jährige nach der Volks- die Realschule und absolvierte zunächst eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann. Nach kurzer Berufstätigkeit entschloss er sich, das Fachabitur nachzuholen und studierte anschließend an der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach Betriebswissenschaft. Als Diplom-Betriebswirt war Edmund Feuster dann seit 1979 in mehreren Positionen namhafter Unternehmen tätig. Auch nach seiner Wahl in den Landtag, im Mai letzten Jahres, wollte er sich nicht ganz vom Beruf verabschieden, er besitzt einen Beratervertrag mit einem Neusser Unternehmen.
    Politisch geprägt vom Elternhaus, faszinierte ihn schon in frühen Jahren Willy Brandt - "er stand für mich für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit". So trat der Grevenbroicher 1976 in die SPD ein. Die Mitgliedschaft sollte sozusagen ein "Stück Sympathiebeweis" sein, aber kein Engagement in der Partei werden. Doch als der Sozialdemokrat die erste Ortsvereinsversammlung besuchte und sich zu Wort meldete, "nahm das Unglück seinen Lauf", meint er heute scherzhaft. Und mit seiner politischen Betätigung wuchs auch der Wunsch, ein "Stück Einfluss" zu nehmen: Zunächst als Ortsvorsitzender, dann als Stadtverordneter in Grevenbroich, seit 1994 ist er Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion.
    Während seines kommunalpolitischen Wirkens konstatierte er zusehends den Einfluss der Landespolitik auf die Entwicklung der Gemeinden, ob in der Struktur-, in der Verkehrs- oder der Schulpolitik. Anlass genug, um sich auch stärker den landespolitischen Themen zu widmen. So kandidierte der Sozialdemokrat bei der letzten Landtagswahl im Wahlkreis 52 (Neuss III) für das Landesparlament und sicherte ihn erneut für seine Partei - wenn auch sehr knapp, mit 146 Stimmen Vorsprung.
    Das Mitglied des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen sowie des Verkehrsausschusses sieht insbesondere in diesen beiden Gremien ein enges Beziehungsgeflecht zwischen dem Land und den Kommunen, wo eben "handfeste" Themen behandelt und Beschlüsse gefasst werden, "die man dann vor Ort sieht". Der SPD-Abgeordnete möchte in diesen Ausschüssen und auch im Landesparlament insgesamt seine 20-jährigen kommunalpolitischen wie beruflichen Erfahrungen einbringen.
    Nach seiner Einschätzung dürften sich die Politiker nicht isolieren und nicht nur in elitären Zirkeln diskutieren - sie müssten ständig auf die Bürger zugehen und erfahren, wo ihnen der Schuh drückt. Das erfährt Edmund Feuster im Übrigen auch als Mitglied der verschiedensten Vereine, vom Sport- bis zum Schützenverein und Vorsitzenden des Männergesangvereins. "Ich bin auch ein Stück Vereinsmensch."
    Zur Entspannung liest der Abgeordnete gern bei einem guten Glas Rotwein moderne Klassiker, wie Böll, Lenz oder Hesse. Und während viele gern in ferne Länder streben, genießt er mit seiner Familie einige Tage an der Nord- oder Ostsee, um mal auszuspannen.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03432

  • Porträt der Woche: Hannelore Kraft (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 8 - 08.05.2001

    Der Überraschungscoup von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement hat Hannelore Kraft mit einem Schlag bekannt gemacht. Doch Karrieresprünge sind für die 39-jährige Sozialdemokratin nichts Ungewöhnliches, seit sie sich in der Politik engagiert hat. Dass die neue Ministerin für Europa- und Bundesangelegenheiten politisches Gespür hat und weiß, wie man in diesem Metier die Fäden ziehen muss, hat sie bereits vor ihrer Berufung am Beispiel Metrorapid bewiesen.
    Falls die Schwebebahn nach Nordrhein-Westfalen kommt, wird sie in Mülheim halten. Ursprünglich sollte die Magnetbahn nur unter der Ruhrstadt durchrauschen. Dass der zusätzliche Stopp zumindest in die Machbarkeitsstudie aufgenommen wurde, kann sich die gerade frisch gekürte Ministerin und SPD-Landtagsabgeordnete Hannelore Kraft zusammen mit Parteifreunden als Verdienst anschreiben. "Wir waren sehr aktiv und haben es geschafft", freut sich die Sozialdemokratin, die erst seit dem 2. Juni 2000 ihre Heimatstadt Mülheim im Düsseldorfer Parlament vertritt. Der freundlich lächelnden, zierlichen, blonden Frau sind Energie und Zähigkeit ins Gesicht geschrieben. Die Diplom-Ökonomin weiß, was sie will und kann. "Da habe ich Ahnung von", sagt die Sozialdemokratin im Gespräch, wenn es um Neue Medien, Wirtschaft und Europa geht.
    Zur Politik kam Hannelore Kraft über ihre Mitarbeit in einer Elterninitiative. Damals ging es um die Neufassung des Gesetzes über Kindertagesstätten. Als Mutter eines kleinen Jungen engagierte sie sich und bezog Position. Hannelore Kraft sah sich die politischen Mechanismen genauer an, und schon sehr rasch gab es keinen Zweifel, dass ihr Platz bei der SPD war. Obwohl es ein wenig paradox klingt, war die für die SPD verlorene Kommunalwahl 1994 noch ein zusätzlicher Anreiz für ein politisches Engagement für die Mülheimerin. Hannelore Kraft sah die Chance, bei einem Neuanfang in der Partei etwas bewegen zu können. Damals habe sie zu sich selber gesagt: "Vielleicht können die dich gebrauchen" Im Oktober 1994 war die Niederlage. Im November darauf trat Hannelore Kraft in die SPD ein, und schon im Februar 1995 kandidierte sie erfolgreich für den Unterbezirksvorstand. Gleichzeitig wurde sie Mitglied der IG Metall. Seit 1999 ist die SPD-Frau auch Mitglied des Ortsvereinsvorstandes Mülheim-Stadtmitte.
    Sehr bald lockte Hannelore Kraft der Landtag in Düsseldorf. "Mich interessieren die Themen, die dort behandelt werden, besonders. Außerdem habe ich durch meine berufliche Erfahrung einen guten Einstieg in viele der dort behandelten Arbeitsbereiche." Nach ihrer Ausbildung als Bankkauffrau mit Kaufmannsgehilfenbrief, studierte die Mülheimerin von 1982 bis 1989 an der Universität-Gesamthochschule Duisburg Wirtschaftswissenschaften. Nach einem Auslandsstudium und mehreren Praktika in England, Frankreich und der Schweiz schloss sie ihr Studium als Diplomökonomin ab und begann 1989 als Beraterin und Projektleiterin beim Mülheimer Zentrum für Innovation und Technik (Zenit GmbH). Da Hannelore Kraft, die mit einem Elektromeister verheiratet ist und einen achtjährigen Sohn hat, meinte, sie könne ihre Familie schlecht nach Brüssel oder Straßburg verpflanzen, schien ihr der Düsseldorfer Landtag eine gute Alternative. "Ich habe zielstrebig dieses Ziel angesteuert", erklärt sie ganz selbstverständlich.
    Obwohl es im neu zugeschnittenen Wahlkreis 74 (Mülheim an der Ruhr II - Essen VII) vier Kandidaten gab, setzte sich Hannelore Kraft durch. "Bei der Listenaufstellung habe ich eine gute Rede gehalten und das Ding gewonnen - und dann auch den Wahlkreis", erinnert sich die 39-Jährige fröhlich. Im Landtag fühlt sich die SPD-Frau "sauwohl", wie sie zufrieden lachend sagt. "Es ist genau das. was ich kann, was ich will und wo ich mich einbringen möchte." Ihre Jungfernrede hat sie schon lange hinter sich. Dabei ging es um Europa und die deutsche Sprache in der EU.
    Ihr berufliches Engagement für Europa war denn wohl auch ausschlaggebend für ihre Berufung als Ministerin. Die Parlamentsarbeit, in die sich Hannelore Kraft mit soviel Engagement stürzte, wird nun wohl auf Sparflamme weitergeführt. Privat hat Hannelore Kraft entschieden, dass zunächst alles so bleibt, wie es ist. Hauptwohnsitz ist weiterhin Mülheim. In Berlin und Brüssel will sie sich nur jeweils eine kleine Bleibe suchen. Vor allem heißt es jetzt, sich möglichst rasch in die neue Aufgabe einzuarbeiten.
    Das gilt umso mehr, als Regierungschef Wolfgang Clement sie mit viel Vorschusslorbeer ausgezeichnet hat. "Es gibt nur wenige Leute, die mit so jungen Jahren derartig viele Qualifikationen aufweisen". erklärte der Regierungschef bei ihrer Vorstellung im Düsseldorfer Landtag. Die neue Ministerin selber meinte durchaus selbstbewusst, dass sie einige Kompetenz für die Arbeit in Brüssel mitbringe. Was die Bundesratsarbeit in Berlin angeht, vertraue sie darauf, sich zügig einzuarbeiten. "Die neue Aufgabe hat mich gereizt. Ich brauchte nicht fange darüber nachzudenken, ob ich das Amt annehme." Natürlich habe sie sich zuerst mit der Familie abgestimmt. Doch selbst ihr achtjähriger Sohn Jan habe großzügig zugestanden, ab und zu auf die Mutter zu verzichten: "Ich finde es gut, dass Mama Ministerin wird."
    Ihre Freizeit will Hannelore Kraft weiter für Familie und Freunde reservieren. Nach der aufwendigen Einarbeitungszeit in die Landtagsarbeit bleibt jetzt als Ministerin noch weniger Zeit als bisher für Hobbys wie Lesen, Tennis und ab und an mal einen Tanzkurs. Das Kochen war ohnehin mehr Sache ihres Mannes, und so wird es bleiben.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN03498

  • Porträt der Woche: Wolfgang Roth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 03.04.2001

    Der Mann ist ein Hüne. Früher, als Handballer in Verbandsliga- und Uni-Teams, wird Wolfgang Roth mit seiner kräftig-großen Gestalt der Schrecken jeder Verteidigung gewesen sein.
    Den Eindruck einer Sportskanone macht der 51-jährige SPD-Abgeordnete vom Niederrhein jedoch nicht, genauer: nicht mehr. Seit seinem Einzug in den Landtag im Frühjahr 2000 raucht Wolfgang Roth wieder Zigaretten. Aktiver Sport - das ist lange her. Roth sagt, es fehle ihm die Zeit dafür. Außerdem zwickt und zwackt es hier und dort. Er seufzt: "Die Bänder sind strapaziert, die Achillessehne ist lädiert." Wolfgang Roth ist kein gebürtiger Niederrheiner. Er stammt vom Vogelsberg in Hessen. Nach dem Studium in Marburg (Sport und Politik mit Abschluss Dipl.-Pädagoge) verließ er die Heimat, berufsbedingt. Beim Bildungswerk des Landessportbundes verband er politisch-pädagogisches mit sportlichem Interesse.
    Wolfgang Roth, der mit einer Hessin verheiratet ist, fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat Kamp-Lintfort. Zum Begriff "Heimat" hat er ein emotionsloses Verhältnis: "Heimat ist dort, wo ich gerade bin, wo meine Familie lebt und wo es freundschaftliche Beziehungen gibt." Jedoch, wenn das Ehepaar Roth ins Hessische reist, sagen die beiden: "Wir fahren nach Hause."
    Wolfgang Roth ist ein Familienmensch. Das bisschen Freizeit, das dem Kommunal- und Landespolitiker bleibt, verbringt er gerne mit Frau und Sohn. Der Junge ist 17 Jahre alt. Er fährt noch mit den Eltern in Urlaub - zum Skilaufen in die Dolomiten und in diesem Sommer mit einem Campingbus an die französische Atlantikküste. Natürlich reizt einen Homo politicus wie MdL Roth auch die Bundespolitik. Aber nach Berlin in den Bundestag zu gehen, das würde er eher von sich weisen, wissend um den dauernden Pendelstress und negative Auswirkungen auf das intakte Familienleben fürchtend.
    Ratsmitgliedschaft, SPD-Ortsvereinsvorsitz, Sprecheramt einer Elterninitiative zu Gunsten Behinderter in Kindergarten, Schule und Arbeitswelt - nicht einmal zum Lesen von Literatur kommt der Umtriebige, das Studium der Tageszeitung sowie fachbezogener Unterlagen scheint ihm zu genügen. Roth bezeichnet sich als einen Traditions-Sozialdemokraten. Das wird man in Kamp-Lintfort, wo noch Bergbau betrieben wird und die Orts-SPD stark von Industriearbeiterschaft geprägt ist, gerne hören. Auf die Frage, ob er, der Lehrersohn, einem jungen Mann, der Bergmann werden möchte, heute noch zuraten würde, zögert Roth einen Moment: "Das ist schwierig zu beantworten." Einerseits gebe es Perspektiven für den Bergbau, andererseits wisse man nicht, was in zehn, zwanzig Jahren sei, wie die Unternehmen dann entschieden und welche Schachtanlagen überhaupt noch offen seien. Fazit: "Ich würde den jungen Mann fragen, ob beruflich nicht doch noch etwas anderes in Frage käme."
    Wolfgang Roth plädiert dafür, den Strukturwandel in den Bergbauregionen zu fördern. Dazu zitiert er Johannes Rau: Aus dem Land von Kohle und Stahl müsse das Land mit Kohle und Stahl werden. Der Abgeordnete versteht sich als einen Politiker der handfesten Tüchtigkeit. Er will anpacken, anschieben, gestalten, Konzeptionen erarbeiten. Reines Theoretisieren ist ihm suspekt, purer Aktionismus indes ein Greuel: "Was man tut, muss gut durchdacht sein."
    Zur SPD fand Roth 1976, als Helmut Schmidt in Bonn Kanzler war. Roths Sympathien lagen damals bei Willy Brandt. Niemals ist ihm der Gedanke an einen Parteiwechsel gekommen, auch wenn er so etwas nicht per se für anrüchig hält. Roth ist ein offener, gesprächsbereiter Mann, der um Menschen mit anderen politischen Überzeugungen keinen Bogen macht. Der Landtags-Neuling fühlt sich gut eingesetzt und aufgenommen im Parlament. Wolfgang Roth ist einer von den Staatsbürgern, die ihre Pflicht für die Partei und das Gemeinwesen gerne tun und die auch privat nicht zur Leichtlebigkeit neigen. Roths gesunde Wurzeln liegen in einem hessischen Dorf, wo er im November 1949 geboren wurde und wo in der Nähe der Vater in der Zwergschule acht Volksschulklassen in einem Raum unterrichtet hatte. "Eine pädagogische Meisterleistung", so lobt Sohn Wolfgang seinen Alten Herrn.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03594

  • Portät der Woche: Christian Lindner (FDP).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 27.03.2001

    Christian Lindner kam mit 21 Jahren in den NRW-Landtag und ist dessen jüngstes Mitglied. Auch die Berufsangabe des FDP-Abgeordneten "Jungunternehmer" sichert ihm weitere Aufmerksamkeit. Zusammen mit einem Partner leitet er eine Kölner Agentur für Unternehmenskommunikation. Das ist ein Berufsfeld, auf dem er schon auf eine vierjährige Erfahrung zurückblicken kann. Noch während seiner Schulzeit hatte er zunächst mit einem Mitschüler eine eigene Werbefirma gegründet und nach ersten kleinen Projekten für örtliche Unternehmen Aufträge von einer Telefongesellschaft und einem Kreditinstitut erhalten.
    Bei Kampfabstimmungen in der FDP setzte er sich als Mitglied des Landesvorstand durch und gewann auch im Wettbewerb die Aufstellung als Kandidat für die NRW-Landtagswahl auf Platz 19 der Landesliste. "Das führte zum Erfolg", meint Lindner. Mit 12,9 Prozent der Stimmen für die FDP holte er in seinem Rheinisch-Bergischen Wahlkreis II außerdem ein Ergebnis noch über dem plötzlich angestiegenen Landesdurchschnitt der Partei. Lindner fügt hinzu, dass er keine Laufbahn als Berufspolitiker anstrebt, sondern die Politik als "Job auf Zeit" betrachtet. Im Landesparlament meinte er: "Ich will, dass es vorangeht. Wir können uns das Abwarten nicht mehr leisten." Als sachkundiger Bürger hatte er im Kreistag mitgearbeitet, war Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen und seit 1996 Mitglied im Landesfachausschuss für Schule und Weiterbildung.
    "Der kleine Möllemann" oder "politischer Ziehsohn von Möllemann" sind rasch angeklebte Etiketten, die der junge FDP-Abgeordnete nicht gelten lassen will. Daran dass sein Parteichef ihn zuweilen Bambi nennt, kann er nichts ändern. Aber lässiges Selbstbewusstsein und fröhlich optimistisches Auftreten lassen wohl wenig Bedarf an Protektion entstehen. Mit Möllemann habe er bisher höchstens 15 Minuten geredet, sagte Lindner noch gut einen Monat nach der Wahl.
    Die Gründe für seinen Eintritt in die FDP erläutert er fast wie eine Marktanalyse. Die CDU war ihm zu konservativ und am klassischen Familienbild orientiert, die SPD zu "zähflüssig und festgefahren in ihren Traditionen". Und bei den GRÜNEN schreckt ihn die lange Liste der Feindbilder ab, -vom BMW-Fahrer bis zur Großindustrie. Da kam ihm die FDP mit ihrer Weltoffenheit, ihrem kollegialen Flair und dem Bekenntnis zur Leistungsbereitschaft schon mehr entgegen.
    Lindner glaubt an seine eigene Generation, die an Zusammenarbeit in Netzwerken denkt, in modernen Wirtschaftszweigen arbeitet oder an den Universitäten studiert. Dort hat der junge Bildungspolitiker eigene Erlebnisse. Schließlich ist er ."als mein dritter Beruf, der zur Zeit etwas zu kurz kommt" - an der Universität Bonn immatrikuliert und studiert Politische Wissenschaften, Philosophie und Neuere Geschichte. Am Ziel eines Abschlusses als M.A. hält er auf Sicht von einigen Jahren dennoch fest.
    Die Schieflage des Landes in der Hochschul- und Bildungspolitik ist so für ihn ein direktes Erlebnis: "Ich bin doch der einzige im Parlament, der weiß, was es heißt, zurzeit zu studieren. Ich habe die Bildungsmisere am eigenen Leib erfahren." In den Landtagsausschüssen für Wissenschaft und Forschung sowie für Schule und Weiterbildung ist Lindner stellvertretendes Mitglied. Dem Ausschuß für Sport und dem Ausschuß für Kinder, Jugend und Familie gehört er als Vollmitglied an.
    Mit der Frage, ob Eltern in Nordrhein-Westfalen ihre Kinder etwa bei McDonalds abgeben sollen, greift der junge Landtagsabgeordnete immer wieder Schwachstellen der landeseigenen Familienpolitik an. Eine anspruchsvollere Ganztagsbetreuung sei jedenfalls mit dem von der Landesregierung angekündigten Betrag von 50 Millionen DM nicht zu verwirklichen. In NRW gebe es 193 000 voll erwerbstätige Frauen mit teilweise mehreren Kindern im Alter von sechs bis 14 Jahren.
    Christian Linder: "Junge Frauen und junge Männer wollen sich heute nicht mehr alternativ zwischen Beruf und Familie entscheiden. Der bedarfsgerechten und flexiblen Betreuung ihrer Kinder kommt daher eine Schlüsselrolle zu." Mit einer Schärfe, die ihn schon mehrfach in Kontroversen mit Sozialdemokraten verwickelt hat, meint Lindner, er müsse befürchten, daß die pädagogischen Mindeststandards bei den in Ausssicht gestellten 200 000 Betreuungsplätzen von Ministerpräsident Clement "im haushaltspolitischen Tiefflug" unterboten werden sollen.
    Es gibt bei uns eine sehr schwierige Differenz zwischen Ankündigungen auf der einen Seite und der tatsächlichen Situation." Diesem Vorbehalt Lindners in einer Plenardebatte des Landtags zeigt die Unzufriedenheit seiner Generation mit der eingefahrenen Routine. "Die Politik entscheidet sich im Zweifel immer für den einfachsten Weg, auf dem der geringste Widerstand droht", stellt er kritisch in der Ankündigung einer Gesetzesiniative seiner Partei zur Einführung eines auch die Städte und Gemeinden verpflichtenden Schutzes der Rechte künftiger Generationen fest. Dabei verfehlt er nicht, auf beispielhaftes Verhalten des Landes Schleswig-Holstein hinzuweisen.
    Bitterernstes Festbeißen in politischen Geschäften allein ist nicht Lindner Sache. "Spaß muß sein", könnte ebenso als Schlüsselwort im Schulterschluß mit der jungen Generation gelten. So ist er Chef eines Wagenteams bei der Berliner Love-Parade vor zwei Jahren gewesen, hat im letzten Jahr den Nachrichtensender n-tv als Gast mitfahren lassen und will auch in diesem bei der Love-Parade wieder mitmachen. "Events und überraschende Anzeigenmotive sichern Aufmerksamkeit, wenn sie mit Stil und Einfallsreichtum realisiert werden", heißt es im jüngsten Buch, das Lindner und sein Kölner Geschäftspartner herausgegeben haben. Und so ist Lindner vielleicht auch Teil einer Zielgruppe in der Jugend, auf die es sein FDP-Landeschef Möllemann abgesehen hat.
    Peter Weigert

    ID: LIN03561

  • Portät der Woche: Dr. Stefan Heinrich Berger (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 5 - 13.03.2001

    In seinem Büro hängt ein Kalender mit Motiven einer bekannten flachen deutschen Landschaft. Daneben prangt das Jubiläums-Andenken "100 Jahre Borussia Mönchengladbach". Man ist also zu Gast bei einem Niederrheiner, bei Stefan Heinrich Berger aus dem Kreis Viersen, exakter: aus Schwalmtal. Berger ist ein Niederrheiner mit Leib und Seele. Der Menschenschlag gefällt ihm, weil er auf konservative Werte, Traditionen achte, aber nicht biestig-sendungsbewußt sei. Berger lobt den Niederrheiner dafür, dass er in der Lage sei, beim Bier entspannt auch über Konfliktträchtiges zu reden. Kulturelle Defizite empfindet der junge Abgeordnete vom Lande nicht. Schließlich ist Schwalmtal nicht weit entfernt von Düsseldorf, Köln - und Brüssel, so sagt Berger, sei auch schnell mit dem Auto zu erreichen.
    Berger möchte nicht als Landei erscheinen. Das tut er auch nicht. Er ist ein junger Spund in der Landespolitik, arbeitet seit der Wahl 2000 im Parlament. Noch sitzt er ganz hinten. Politischer Ehrgeiz ist spürbar. Berger ist niemand, der sich zufrieden zurücklehnt und denkt: Mensch, ich bin mit 30 MdL geworden, und wenn ich hübsch artig und fleißig bin, schaffe ich dereinst das Silberjubiläum als Abgeordneter. Indes will er auch nicht als Jobhopper und politischer Karrierist erscheinen. Er hat sich vorgenommen, seine Arbeit als Mandatsträger in der CDU-Fraktion so gut wie möglich zu machen. Und dann? "Alles weitere ergibt sich." Er akzeptiert die Hierarchien in der Fraktion.
    Als jungem Mann aus dem deutsch-niederländischen Grenzgebiet liegt Berger die europäische Zusammenarbeit, überhaupt die Europapolitik am Herzen. Berlin sei zwar der politische Dreh- und Angelpunkt der Republik, aber in einer Grenzregion sei der wichtigste Partner derjenige auf der anderen Seite der Grenze. Berger verlangt eine ehrliche Europapolitik, europapolitische Euphorie sei in seiner Generation ohnehin einem nüchternen Verhältnis zur EU und zu ihren Institutionen gewichen. Europa werde von vielen nicht nur als Chance, sondern auch als alltägliches Problem empfunden. Es gelte deshalb, die Menschen aufzuklären, sie mit sachlichen Argumenten davon zu überzeugen, dass Schritte zur europäischen Integration in ihrem Interesse liegen. "Wir müssen die Probleme der EU lösen, anderenfalls werden es richtige Probleme." An der Stelle der Unterhaltung spricht Berger wie ein alter Hase. Er versteht es, zu formulieren. Man merkt, dass da jemand nicht erst vor kurzem in die Politik gestolpert ist. Daheim in Schwalmtal ist der promovierte Wirtschaftspädagoge eine CDU-Größe: Parteivorsitzender, Vorstandsmitglied im Kreisverband, Ratsherr - nicht gerade ein krummer politischer Lebenslauf.
    Die Familie ist seit 150 Jahren in Schwalmtal ansässig, was vor 1969/70 noch Waldniel und Amern hieß. Der Opa, von dem er den zweiten Vornamen Heinrich hat, war Kartoffelhändler, Bergers Vater betrieb einen Agrarhandel, die Mutter ein Geschäft für Tapeten und Bodenbeläge. Berger hat bislang noch nie eine andere Partei als die CDU gewählt, wiewohl er mit 18 noch nicht voll überzeugt war von seiner jetzigen Partei. Beim Wirtschaftsstudium in Mainz änderte sich das, mit 24 wurde er Mitglied. Bei den Kommunalwahlen 1999 erreichte die Schwalmtaler CDU mit einem Stimmenplus von zwölf Prozent das zweitbeste Ergebnis im Kreis. Berger war da schon CDU-Chef in seiner Heimatstadt. Und er war bereit für einen Kreis-CDU-internen Zweikampf, als es um die Landtagskandidatur 2000 ging.
    Als niederrheinischer CDU-Kommunalpolitiker, der Abstimmungssiege gewohnt ist, musste sich Berger im Landtag an die dortigen rot-grünen Realitäten gewöhnen. Was ihn zunächst mächtig irritiert hat. Sich damit abzufinden, als Opposition überstimmt zu werden, fällt schwer. Als Jüngerer tat sich Berger mit dem "Du" leicht, was besonders für das unverkrampfte Verhältnis zu den jungen Freidemokraten im Parlament gilt. Berger tritt für einen Politikstil ein, der Pop-Elemente und Banalisierung meidet, und der bei aller sachlich notwendigen knallharten Auseinandersetzung darauf achtet, nicht zuerst den Gegner herabzusetzen, vielmehr Eigenes herauszustellen.
    Berger, der noch Junggeselle ist, hat eine Zwillingsschwester, mit der er sich blendend versteht. Sein häufiger Griff zur Zigarettenschachtel verrät innere Spannung. Von längeren Erholungsphasen, also einem Drei-Wochen-Urlaub beispielsweise, hält er nichts. Mal ein paar Tage verreisen, für ein Wochenende an die Nordsee fahren - das genügt ihm. Dann, so meint er, liegt auch nicht so viel auf dem Schreibtisch, wenn man wieder zu Hause ist.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03695

  • Portrait der Woche: Dietmar Brockes (FDP).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 20.02.2001

    Er ist als 29-Jähriger ein Repräsentant jener jungen Generation unter den nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten, die selbstbewusst und undoktrinär die Gesellschaft mitgestalten wollen: der Freidemokrat Dietmar Brockes. Und weil nach Überzeugung des gebürtigen Nettetalers jeder Einzelne einen möglichst großen Freiraum erhalten sollte - ohne den des anderen einzuschränken, trat er genau zu seinem 19. Geburtstag der FDP bei. In dieser Partei sieht er die größte Chance, sein politisches Ziel zu realisieren.
    Nach dem Abitur absolvierte Dietmar Brockes eine kaufmännische Ausbildung im Großhandel, doch schon bald danach studierte er Betriebswissenschaft an der Fachhochschule im niederländischen Venlo. Parallel zu seinem Studium machte er sich, animiert von seinem Bruder, selbstständig - als sogenannter Internet-Dienstleister, der Unternehmen im Internet präsentiert. Aus dem ersten Auftrag wurden sehr schnell weitere. Inzwischen hat sich der Rheinländer auf den Event-Bereich spezialisiert, richtet so genannte Marktplätze zu einzelnen Themen ein.
    Schon früh engagierte sich der Brüggener in der Kommune, war aktiv in der katholischen Jugend tätig. Er organisierte u.a. Veranstaltungen und Konzerte. Doch schließlich erkannte er, dass man mit seinen lokalen Aktivitäten "an die Grenze stößt". So trat er der FDP bei, war zunächst bei den jungen Liberalen tätig und wurde deren Vorsitzender im Kreis Viersen. "Man ist bei uns sehr früh auch in die Parteiarbeit eingebunden", begründet Dietmar Brockes seinen zügigen Aufstieg zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden, seine Berufung in den FDP-Landesvorstand vor drei Jahren und schließlich im März diesen Jahres seine Wahl zum niederrheinischen Bezirkschef.
    Die niederrheinischen Parteifreunde wählten ihn auch auf Platz 1 ihrer Vorschlagsliste für die Landtagswahl-Kandidaten. Mit Platz 8 auf der FDP-Landesliste rückte der Brüggener dann sicher im Mai in den Düsseldorfer Landtag ein. Seine Fraktion berief ihn in den Ausschuss für Europa- und Eine-Welt-Politik sowie in den Verkehrsausschuss.
    Für den Liberalen ist es sehr wichtig, dass im europäischen Einigungsprozess die Interessen der Regionen stärker berücksichtigt werden und mehr Einfluss erhalten, "damit die Entscheidungen in Brüssel möglichst nahe am Bürger getroffen werden". Für nicht minder wichtig hält er eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in den EU-Staaten. In diesem Zusammenhang ist das Lamentieren der deutschen Politiker über Wettbewerbsverzerrungen durch andere Länder für ihn unglaubwürdig, wo doch die Bundesrepublik mit den Milliarden-Kohle-Subventionen selbst in den Markt eingreift.
    Im Verkehrsbereich macht sich Dietmar Brockes für eine Erweiterung der grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen stark, so beispielsweise eine Anbindung Antwerpen-Ruhrgebiet ("Eiserner Rhein"). Im Schienenverkehr fordert er mehr Wettbewerb, eine Trennung von Netz und Betreibern, und nennt die Schweiz als Vorbild. Entscheidend seien konkurrierende Anbieter auf der Schiene, damit der Transport von Personen und Gütern endlich kostengünstig, servicefreundlich und pünktlich werde. Nur dann würden die Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen, nur dann würden mehr Spediteure ihre Transporte auf der Schiene abwickeln.
    Körperlich fit hält sich der FDP-Abgeordnete insbesondere beim Inline-Skating und Badminton. Zwar hat er inzwischen die Fußballschuhe an den Nagel gehängt, doch auch als passives Mitglied von Borussia Mönchengladbach nimmt er teil an den Höhen und Tiefen des niederrheinischen Renommeevereins.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03732

  • Porträt der Woche: Dr. Helmut Linssen (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 13.02.2001

    Ein ehrgeiziges Ziel hat sich Helmut Linssen gesetzt - das Ansehen der Demokratie in Nordrhein-Westfalen zu stärken. So müsse nach Ansicht des neuen Vizepräsidenten des Landtages die Arbeit des Parlamentes für die Bürger transparenter und dessen Bedeutung nach außen glaubhaft dargestellt werden. Auch in seinem neuen Amt macht sich der Christdemokrat für eine Verkleinerung des Düsseldorfer Landtages von derzeit 231 auf 151 Abgeordnete stark, was auch dessen Effizienz steigern würde. Sein Augenmerk gilt auch einer Straffung der Landtagsverwaltung.
    Der heute 58-jährige Niederrheiner hat sich während seiner langen politischen Tätigkeit auf den verschiedenen Ebenen stets als "Landespolitiker mit ganzem Herzen" verstanden und nach seiner Einschätzung wird die Landespolitik auch vor dem Hintergrund eines größer gewordenen Europas nicht von ihrer Bedeutung für die Menschen in der Region einbüßen. "Wir wer- den künftig bemüht sein müssen, für Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichste Region Europas einen festen Spitzenplatz in der politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft unseres Kontinents zu finden." NRW habe alle Chancen, im europäischen Konzert in der ersten Reihe mitzuspielen.
    Gemeinsam mit seinem Bruder engagierte sich der Diplom-Kaufmann und Dr. rer. pol. zunächst im elterlichen Agrargroßhandel, so dass er mit 30 Jahren eher spät zur Politik stieß. Sein politischer Aufstieg war dann aber stetig und doch zunächst unauffällig. Erste Erfahrungen sammelte der verheiratete Vater einer Tochter von 1975 bis 1980 als Ratsmitglied in Geldern. Im selben Jahr wurde er erstmals direkt in den Landtag gewählt, wo er sich als Umwelt- und Wirtschaftsexperte schnell einen Namen machte und dann auch stellv. Vorsitzender der Landtagsfraktion wurde.
    Der damalige Landesvorsitzende Norbert Blüm berief seinen Parteifreund, der auch innerhalb der Union eine Generation repräsentierte, die auf Erneuerung drängte, 1987 zu seinem Generalsekretär. Gemeinsam trieben sie das Zusammenwachsen der ehedem getrennten Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe voran und sorgten gleichzeitig für neue Harmonie in der streitgeschüttelten NRW-CDU. Nach der verlorenen Landtagswahl 1990 übernahm Linssen den Fraktionsvorsitz und führte die Union fünf Jahre später als Spitzenkandidat in die Landtagswahl, kam aber auch nicht über 37,7 Prozent hinaus. Allerdings wurde die absolute Mehrheit der SPD gebrochen.
    Linssen, der stets betont, von der Politik nicht abhängig zu sein - eine seltene Spezies unter den Politikern, hatte immer dafür plädiert, den Fraktions-, Landesvorsitz und die Spitzenkandidatur in einer Person zu bündeln. Doch als sich 1997 die Stimmen in der Union mehrten, die die Ablösung Blüms forderten, hätte er es als "Stilbruch" empfunden, seinem "politischen Ziehvater" das Amt streitig zu machen. Und als der Christdemokrat zwei Jahre später in einer Kampfabstimmung um den Landesvorsitz seinem Mitbewerber Jürgen Rüttgers unterlag, zog er gradlinig die Konsequenzen und trat auch vom Fraktionsvorsitz zurück. Linssen ist kein Mann der taktischen Kniffe, niemand, der seine Ellbogen einsetzt.
    Als Ende letzten Jahres Vizepräsident Laurenz Meyer zum Generalsekretär der Bundes-CDU ernannt wurde, wählte der Landtag den Niederrheiner zu seinem Nachfolger. "Ich mache keinen Hehl aus meiner Freude über das große Vertrauen der CDU-Fraktion und des Parlamentes", bekennt Linssen heute. Für sei- ne neue Aufgabe scheint der Christdemokrat, den ein Kommentator einmal als einen Politiker charakterisierte, der geschmeidig zwischen aggressiver Härte und präsidialem Habitus wechselt, prädestiniert zu sein.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03779

  • Porträt der Woche: Oliver Keymis (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 30.01.2001

    Mit ihren "Promis" haben die GRÜNEN ihre liebe Last. Da gilt nicht die Kölner Losung, dass man auch "jönne könne" müsse. Üblicher ist vielmehr die Champignon-Methode: Wer den Kopf aus dem Mistbeet rausstreckt, verliert denselben. So gesehen war es schon eine mittlere Sensation, als die Parteizeitung der GRÜNEN nach der Kandidatenkür für die Landtagswahl am 14. Mai einen in der Partei bis dahin fast Unbekannten zum "Shootingstar" ausrief. Der heute 40-jährige Oliver Keymis, damals gerade erst zwei Jahre Mitglied der Partei, hatte völlig überraschend einen der hartumkämpften wenigen, gerade noch als "sicher" geltenden Plätze auf der Landesliste erobert. Ohne Mitgliedschaft in irgendwelchen Parteizirkeln. Ohne mächtige Seilschaft: Nur mit einer Rede, deren ungewöhnlicher Ton die Mehrheit der Delegierten überwältigte. Geistreich, witzig gar, was bei den GRÜNEN selten vorkommt, bar aller Phrasen und ohne das bei solchen Gelegenheiten gern vorgeführte Imponiergehabe. Da sprach vielmehr jemand einfach über Kultur. Über die aktuelle Not der Kultur. Auch über die Kultur-Not der GRÜNEN. Dass da dringend etwas geändert werden müsse, weil Kultur kein Luxus, sondern Notwendigkeit in dieser Zeit sei. Gerade in dieser Zeit. Und die Mehrheit spürte, dass der da oben am Mikrofon das ernst meinte. Und schenkte ihm ihr Vertrauen. Für grüne Verhältnisse war das so etwas wie eine Sensation.
    Inzwischen wissen nicht nur die GRÜNEN Landtagsabgeordneten, dass diese Rede damals keine Eintagsfliege war. Selbst der SPD-Fraktionsvorsitzende Edgar Moron sah sich nach dem dritten Auftritt des Parlamentsneulings im Plenum des Landtags genötigt, dem neuen Kollegen von der GRÜNEN-Fraktion ein paar anerkennende Worte zuzumurmeln.
    So abgebrüht ist Oliver Keymis noch nicht, als dass ihn dieses nicht gefreut hätte. Cool bleibt er trotzdem, denn nach dem Studium (Philosophie, Germanistik, Französisch und Politische Wissenschaften) und Lehrjahren an verschiedenen Bühnen war der Meerbuscher vor seinem Einstieg in die Politik nicht umsonst zehn lange Jahre freier Theaterregisseur, um nicht zu wissen, wie nahe das "Hosianna" und das "Kreuziget ihn" beieinander liegen. Er argwöhnt, dass zwischen seinem Verständnis von Kultur und dem der großen Mehrheit in der SPD-Fraktion wohl Abgründe klaffen. Ob die Genossinnen und Genossen auch dann noch Beifall klatschten, wenn er nicht gegen die Opposition, sondern gegen ihr altbackenes Kulturverständnis streite, wolle er doch erst einmal abwarten. Denn dass neue, andere Schwerpunkte in der nordrhein-westfälischen Kulturpolitik gesetzt werden müssen, steht für Keymis außer Frage. Diese andere Gewichtung müsse schon im nächsten Haushalt des Landes zumindest in Ansätzen sichtbar werden, fordert keck der Parlamentsneuling.
    Oliver Keymis ist ein fröhlicher Mensch. Er lacht gern. Und - das ist unübersehbar - er isst gern. Ein frohsinniger Springinsfeld ist er nicht. Keymis kann hart arbeiten. Dass die Meerbuscher seit ein paar Jahren ein eigenes kleines Theater haben, ist nicht zuletzt sein Verdienst. Und dass die mit einem Preis ausgezeichnete Bürgerinitiative "Stopp A 44" die Zerstörung des einzigartigen Naturschutzgebietes in der Ilverichter Rheinschlinge durch die neue Autobahn zwar nicht verhindern, die ökologischen Schäden aber zumindest in Grenzen halten konnte, kann sich der gebürtige Düsseldorfer auch als Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit als Motor dieser Bürgerinitiative anrechnen.
    Oliver Keymis kann auch schon politisch kämpfen. Das bewies er bei der Kommunalwahl. Bürgermeisterkandidat der GRÜNEN im tiefschwarzen Meerbusch - das ist eigentlich nur etwas für Leute mit hoher Leidensfähigkeit. Von den sozusagen etablierten GRÜNEN wollte sich niemand diesen Tort antun. Da sprang das Neumitglied Keymis in die Bresche - und mischte die Schwarzen und Roten und Gelben ganz gehörig mit einer ganzen Serie von Veranstaltungen auf. Die schwarze Mehrheit konnte der grüne Bürgermeisterkandidat selbstverständlich nicht brechen. Aber Keymis inszenierte den seit Menschengedenken muntersten Kommunalwahlkampf in diesem Städtchen mit den prozentual meisten Millionären der Republik, weil auch die politische Konkurrenz aus den Puschen kommen musste, um das Feld nicht Keymis und Co zu überlassen.
    Und Oliver Keymis, dies zuletzt, ist sehr beharrlich. Vor vielen, vielen Jahren, damals war er noch ein ranker Schüler, verliebte er sich bei einem Treffen der Meerbuscher in der französischen Partnerstadt Fousenant nicht in eine französische, sondern eine deutsche Mitschülerin. Die beiden sind inzwischen längst verheiratet. Den Jahreswechsel feierten sie mit französischen und deutschen Freunden im schönen Fousenant an der Atlantikküste. Die Franzosen freuten sich, dass "ihr Oliver" nun Abgeordneter geworden ist. Und doch redeten Franzosen und Deutsche an diesem Abend ausnahmsweise - fast - kein Wort über Politik.
    Reinhard Voss

    ID: LIN04027

  • Porträt der Woche: Marlies Stotz (SPD).
    Porträt
    S. 31 in Ausgabe 1 - 23.01.2001

    Ein Säulendiagramm allein hätte Marlies Stotz nicht gereicht, um ihren Sieg zu belegen. Der rote und der schwarze Pfeiler standen am Abend des 14. Mai augenscheinlich auf derselben Höhe. Den optischen Gleichstand konnten nur Zahlen hinter dem Komma widerlegen: Mit dem mikroskopisch kleinen Vorsprung von 0,07 Prozent errang die Lippstädterin das Direktmandat für die SPD. Gerade einmal 43 Stimmen garantierten ihr den Einzug in den Landtag und zugleich einen historischen Platz in den Wahlstatistiken. Der Sieg war mühsam erkämpft, obwohl zuvor noch ein von der CDU dominierter Wahlbezirk aus ihrem Wahlkreis 141 (Soest II) ausgegliedert worden war. Dies symbolisierte aber auch den steinigen Weg, den die 41-Jährige zurücklegen musste. Sie sorgte im SPD-Unterbezirk Soest für Wirbel, weil sie bei der Kandidatenaufstellung ausgerechnet gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber Karl-Heinz Brülle antrat. Brülle, der selbst zwischen 1985 und 1995 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf gewesen war, unterlag der Debütantin in einer Kampfabstimmung. Stotz gilt als neue Hoffnungsträgerin, auch weil Brülle 1995 gegen seinen CDU-Kontrahenten verlor und die Lippstädter Sozialdemokraten fünf Jahre ohne Kontaktperson in Düsseldorf auskommen mussten.
    Eben über jenen Karl-Heinz Brülle fand Marlies Stotz 1985 zur Politik: Nach sechsjähriger Tätigkeit in einem Unternehmen bewarb sich die Großhandelskauffrau damals bei ihm um die ausgeschriebene Stelle als Wahlkreis-Mitarbeiterin. "Für einen CDU-Abgeordneten hätte ich nicht gearbeitet. Die SPD war immer meine Partei", sagt Stotz. Zwangsläufig musste sie sich nun mit den Feinheiten der Programmatik auseinandersetzen. "Ich habe mich in die Inhalte reingekniet, sonst hätte ich keine gute Arbeit machen können", sagt sie.
    Die Zeit an der Basis hat ihr Profil geprägt. Sobald man sie auf ihre Motivation im Landtag anspricht, verweist sie auf die Probleme vor Ort. "Ich möchte vor allem die Interessen unserer ländlichen Region gegenüber den Ballungszentren mehr in den Vordergrund schieben", sagt Stotz. Ihre Haltung ließe sich mit Bodenhaftung beschreiben. Das liegt daran, dass Stotz Politik von der Pike auf gelernt hat. Sie war Zuarbeiterin, Wahlkämpferin ("Plakate musste ich auch kleben") und kandidierte 1989, ein Jahr nachdem die Bundespartei in Münster die Frauenquote beschlossen hatte, für die Kommunalwahl. Stotz schaffte den Einzug in den Lippstädter Rat. Drei Jahre später schloss sie nebenbei ihre Fortbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin ab. Seit 1994 ist sie stellvertretende Bürgermeisterin. Zwischen 1995 und 2000 arbeitete sie für den Lippstädter SPD-Bundestagabgeordneten Eike Hovermann. Seit März dieses Jahres ist Stotz Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes und hat damit ihre Position an der Basis noch fester verankert. Im August wurde sie in den Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen gewählt.
    Seit ihrem Einzug in den Düsseldorfer Landtag ist das Arbeitspensum enorm gestiegen, dennoch klammert sie ihre Hobbies nicht aus: Stotz liebt ausgedehnte Radtouren, Ski fahren und Kochen mit Freunden. Sie selbst sagt, dass sie das alles nur schaffen könne, weil sie ledig sei. Die Erwartungen und Anforderungen seien mittlerweile sehr groß. Dennoch wirkt die 41-Jährige nicht so, als ob sie davon erdrückt wird. Ganz im Gegenteil strahlt sie im Gespräch Frische und Jugendlichkeit aus.
    In der SPD-Landtagsfraktion gehört Stotz eher zu den Unscheinbaren. Ihr Landtagsbüro ist noch kahl und unpersönlich. Es gleicht ein wenig ihrem politischen Profil, das sie sich in Düsseldorf erst erarbeiten muss. Als einen ihrer Schwerpunkte nennt sie die Kinder- und Jugendpolitik. Stotz will sich insbesondere für ein besseres Angebot bei der Ganztagsbetreuung an Schulen einsetzen. Stotz sitzt als stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie und als ordentliches Mitglied im Petitionsausschuss.
    Ihr Name wird bald absehbar häufiger in der Fraktion, aber auch im Landtag fallen. Denn sie ist mit einem der schwierigsten und unpopulärsten Probleme vertraut, die Parlament und Landesregierung lösen müssen: Es gilt neue Standorte für Forensiken zu benennen und diese notfalls auch gegen den Widerstand der Betroffenen zu verteidigen. Stotz' Geburts- und Heimatstadt ist seit Jahren untrennbar mit folgender Assoziationskette verbunden: Lippstadt - Eickelborn - Forensik. Stotz ist eine wichtige Zeugin für ihre Fraktion, denn sie kennt das Leben in der Nähe einer Forensik und kann trotzdem von einem normalen Alltag sprechen. "Es ist wirklich nicht so, dass man als Lippstädter den ganzen Tag daran denkt", sagt Marlies Stotz. Aber auch sie weiß, dass die Bewohner des Stadtteils Eickelborn viel intensiver mit der Klinik konfrontiert werden, zumal 1994 ein Sexualmord, verübt von einem Patienten, blankes Entsetzen auslöste. Stotz kann die Ängste in der Bevölkerung nachvollziehen und prognostiziert, dass es beim Neubau von Kliniken Widerstände geben wird. Deshalb möchte sie mithelfen, "Vertrauensarbeit" für die Bürger zu leisten. Stotz setzt sich vehement für eine schnelle Entlastung der Eickelborner Forensik ein, die von der Landesregierung auch angekündigt ist. Von der verlangt sie absolut fehlerfreies Handeln: "So etwas wie in Herten darf nicht noch einmal passieren."
    Kristian Frigelj

    ID: LIN04103

  • Porträt der Woche: Peter Klaus Biesenbach (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 21 - 12.12.2000

    Für Peter Klaus Biesenbach war es ein "Glücksfall" - unmittelbar nach seinem Einzug in das Landesparlament berief die CDU-Landtagsfraktion den Neuling zu ihrem rechtspolitischen Sprecher. Der 52-jährige Anwalt aus Hückeswagen bringt für diese Aufgabe vielseitige administrative, praxisnahe und sogar internationale Erfahrungen ein. Und er will diese Chance der Mitarbeit an gewichtigen rechtspolitischen Entscheidungen engagiert nutzen.
    Handlungsbedarf sieht der Christdemokrat vor allem im Strafvollzug. Und das nicht nur wegen der teils überfüllten Gefängnisse - der Strafvollzug selbst müsse qualitativ weiterentwickelt werden. So will er sich beispielsweise nicht damit abfinden, dass der Strafvollzug offensichtlich vor dem Drogenproblem "kapituliert" habe. So werde inzwischen behauptet, dass es in den Gefängnissen leichter sei an Drogen zu kommen als außerhalb der Anstalten. Und der große Personalmangel im Vollzugsdienst habe zur Folge, dass es massive Lücken bei der Betreuung, der Resozialisierung der Inhaftierten gebe. Bedrückend sei diese Situation insbesondere für den Jugendstrafvollzug, berge sie doch die Gefahr höherer Rückfallquoten. Den meisten straffällig gewordenen Jugendlichen mangle es an sozialen Kontakten, für deren Überwindung sei aber eine personenbezogene Betreuung unerlässlich. Schließlich müsse die Justizverwaltung selbst zügig mit modernen Techniken ausgestattet werden. "Erst dann kann man den dortigen Personalbestand reduzieren."
    Der gebürtige Hückeswagener besuchte zunächst die Realschule und nach deren Abschluss erfolgte sein beruflicher Einstieg beim Regierungspräsidium in Düsseldorf, wo er nach der Prüfung für den nicht-technischen Dienst im Wasserwirtschafts-Dezernat arbeitete. Bald jedoch folgte Peter Klaus Biesenbach seiner Neigung zur Justitia, absolvierte das Abitur auf dem Düsseldorfer Abendgymnasium und studierte in Köln.
    Seine Studienzeit wurde von mehreren Auslandsaufenthalten geprägt ("Ich wollte über die Grenzen gucken"), insbesondere im südostasiatischen Raum. Einen Teil seiner Referendarzeit absolvierte er Anfang der 90er-Jahre bei einem Kollegen am obersten indischen Gerichtshof in Delhi, wo er nachhaltige Eindrücke gewann. Nach dem zweiten Staatsexamen ließ er sich als Anwalt in einer Sozietät nieder.
    Schon in frühen Jahren wuchs das Interesse für die Politik. Der heutige Landtagsabgeordnete trat bereits als 18-jähriger der Jungen Union bzw. der CDU bei. Seit zehn Jahren ist er stellvertretender Vorsitzender der Union des Oberbergischen Kreises. Als Mitglied des Stadtrates Hückeswagen engagiert sich Peter Klaus Biesenbach seit 1975 in der Kommunalpolitik, seit der letzten Wahl im Herbst vergangenen Jahres gehört er auch dem Kreistag an und ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
    Mit einer guten Portion Ehrgeiz und viel persönlichem Einsatz verfolgte er das Ziel, den Landtagswahlkreis 27 (Oberbergischer Kreis I) für seine Partei zu gewinnen - und er schaffte es beim dritten Anlauf. Fehlten beim ersten Mal noch mehr als 6 000 Stimmen, waren es dann nur noch gut 700, und im letzten Frühjahr holte er sogar einen Vorsprung von 2 000 Wählern für die Union heraus.
    Die Liebe zum südostasiatischen Raum hat sich der Christdemokrat erhalten und vor allem Indien ist das Ziel der Urlaubsreisen, wo er die während der Referendarzeit entstandene Freundschaften pflegt. Entspannung bieten auch der Griff zu einem Buch und die Fotografie. Doch derzeit steht die Landespolitik im Vordergrund. Und es ist für den Beobachter sicher, dass das Landesparlament des Öfteren auf den CDU-Abgeordneten aufmerksam wird.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN04073

  • Porträt der Woche: Britta Altenkamp-Nowicki (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 05.12.2000

    Die Migrationspolitik entwickelt sich zum ganz besonderen Steckenpferd von Britta Altenkamp-Nowicki. "Wir müssen bei den ausländischen Mitbürgern die Bereitschaft wecken, dass sie sich im gesellschaftlichen Leben in ihren Wohnvierteln engagieren. Sie dürfen nicht nur passiv erleben, dass etwas für sie getan wird, sondern selber etwas tun", fordert die 36-jährige SPD-Landtagsabgeordnete. Da sie sich als langjähriges Ratsmitglied in Essen bereits mit diesem Themenkreis beschäftigt hat, ist sie jetzt als Vorsitzende des Ausschusses für Migrationsangelegenheiten voll in ihrem Element. Obwohl Britta Altenkamp-Nowicki erst seit dem 2. Juni 2000 im Düsseldorfer Landtag sitzt, klingt ihre Argumentation in der Migrantenfrage so, als ob sie schon ein alter Hase im Landtag wäre.
    Häufig sei es notwendig sowohl die Wohn- als auch die infrastrukturelle Situation zu verbessern, betont die Sozialdemokratin. Über Kindergärten, Schule und andere Einrichtungen müsse konkrete Integrationspolitik betrieben werden. Gleichzeitig sollten gesonderte Hilfen angeboten werden, etwa Förderunterricht und Freizeitangebote für Kinder und Mütter. Auch an der Stadtentwicklung sollten sie beteiligt sein und sich in Bürgerversammlungen einbringen. Gut sei auch, wenn sie in Vereine eintreten würden, sprudeln Ideen und Vorschläge aus der SPD-Frau heraus.
    Zusätzlich zum Migrationsausschuss ist Britta Altenkamp-Nowicki ordentliches Mitglied im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie, im Ausschuss für Frauenpolitik und Stellvertreterin im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge.
    Eingewöhnungsschwierigkeiten in das neue Landtagsleben hatte die Sozialdemokratin nicht. "Im Augenblick orientiere ich mich noch stark an meinen Ausschüssen", räumt sie ein, fügt aber gleich hinzu: "Die Neuen sind hier im Landtag von der SPD-Fraktion sehr offen empfangen worden". Britta Altenkamp-Nowicki hat sogar schon ihre Jungfernrede hinter sich. Achtmal verzeichnet das Protokoll des Landtags "Beifall bei der SPD" und einmal sogar "Sprachlosigkeit bei der CDU", als die SPD-Abgeordnete in der September-Sitzung kräftig für die JugendLeiterCard als Element zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements im Landtag focht. Sie selber fand ihren ersten Auftritt im Parlament zunächst zwar auch aufregend, stellte dann aber sehr rasch fest, dass so ein Auftritt mit der Situation im Rat der Stadt Essen doch vergleichbar ist und, so die SPD-Abgeordnete: "Da habe ich eigentlich in jeder Sitzung geredet".
    Überhaupt ist Britta Altenkamp-Nowicki in der Politik schon ziemlich lange im Geschäft. Über die Friedensbewegung kam die am 16. September 1964 in Essen geborene und aufgewachsene junge Frau Anfang der 80er Jahre zur SPD. In die Partei eingetreten ist sie 1984. Es folgten verschiedene Parteiämter unter anderem als Vorsitzende der Essener Jusos und als Mitglied im Vorstand der SPD Essen. Nicht zuletzt ist sie seit März 2000 im Landesvorstand der NRW-SPD. Wichtig für ihren beruflichen Werdegang war sicher, dass sie von 1991 bis 1999 im Wahlkreisbüro des damaligen Europaabgeordneten Detlev Samland arbeitete, den sie jetzt als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten im Landtag wieder getroffen hat.
    Folgerichtig zur parteipolitischen Karriere wurde Britta Altenkamp-Nowicki allmählich zum Polit-Profi. Seit 1994 im Rat der Stadt Essen, kandidierte sie auch 1999 wieder für das Kommunalparlament. Da hatte sie allerdings den Landtag als Ziel schon fest im Blick. Im Dezember 1999 wurde die SPD-Frau für den Landtag nominiert, im Mai ist sie direkt in das Landesparlament gewählt worden und findet die Arbeit durch und durch faszinierend. "Für mich ist die Landespolitik überaus spannend", gesteht die junge Abgeordnete. Vor allem der Seiten- und Ebenenwechsel ist für die Sozialdemokratin interessant. "Ich war Verbandsjugendliche, dann war ich Ratsfrau und jetzt bin ich auf der Seite derjenigen, die das Geld geben", freut sie sich über den Kompetenzzuwachs.
    Privat gehört das Tauchen für die verheiratete, aber kinderlose Britta Altenkamp-Nowicki zu ihren Lieblingshobbys. Allerdings liest sie auch gerne und nennt sich selbst einen Krimi-Vernichter. Ihr liebstes Reiseziel ist die Emilia Romagna, und deshalb hat es ihr die italienische Küche angetan. Für Gäste wird deshalb oft Pasta in verschiedenen Versionen auf den Tisch gebracht.
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN04279

  • Porträt der Woche: Friedhelm Ortgies (CDU).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 19 - 14.11.2000

    Friedhelm Ortgies erinnert sich: Der 14. Mai, der Wahltag in Nordrhein-Westfalen, sei der spannendste Abend seines Lebens gewesen. Es war, wie man sagt, eine Zitterpartie. Am Ende hatte der Wahlkreisbewerber Ortgies, der CDU-Kandidat in Minden-Lübbecke I, um 300 Stimmen die Nase vor. Zum ersten Mal seit 20 Jahren konnte der Landwirt aus Rahden den Wahlkreis mit 100 000 Einwohnern wieder für die Union erobern. Auf dem Hof von Ortgies konnte die zweite große Sause innerhalb von zwei Tagen steigen. Denn am 12. Mai war der neue Landtagsabgeordnete 50 Jahre alt geworden.
    Im Februar/März dieses Jahres, als täglich die niederschmetternden Meldungen von der CDU-Spendenfront eintrafen, fragte Ortgies oft spätabends seine Frau: "Warum tun wir uns das an? Da hat man sich in einer Urwahl als Kandidat für den Landtag durchgesetzt, da hat man politisch geackert, sich über Rahden hinaus bekannt gemacht bei den potentiellen Wählern. Und dann kommt man zufrieden und müde nach Hause, schaltet die Tagesthemen ein und - rumms: Wieder eine neue Drehung an der Affärenschraube. Im ganzen Leben hat er noch nie einen solchen politischen Stimmungsumschwung erlebt wie in der Phase zwischen dem absoluten CDU-Hoch nach den Kommunalwahlen im September 1999 und den folgenden Tiefs für die Partei nach der Jahreswende. Ortgies hat das als brutal empfunden.
    Nun ist er Neuling im Düsseldorfer Parlament. Wehmütig denkt er an die langjährige Ratsarbeit in Rahden, wo es absolute Mehrheiten für seine Partei gibt. Teil der Opposition zu sein: daran muss sich Ortgies gewöhnen. Nicht niedergeschlagen, aber nüchtern stellt er fest: Ja, Anträge könne man stellen, Initiativen ergreifen, aber am Ende lasse nur die Mehrheit die Sonne scheinen. Ortgies' Düsseldorfer Büro ist drei Monate nach dem Wahltag noch kahl an den Wänden. Der Mann hatte offenbar Wichtigeres zu tun, als Bilder aufzuhängen. Ihm fehlt auch, mehr noch als anderen Abgeordneten mit einem zusätzlichen Beruf, Zeit. Mit der Bahn ist er zum Landtag dreieinhalb Stunden unterwegs. Manchmal kommen dann für Hin- und Rückfahrt sieben Stunden zusammen, um an einer zweistündigen Sitzung in Düsseldorf teilzunehmen. Ortgies will kein Mitleid.: "Ich wusste es ja vorher, NRW ist eben groß, im Rheinland wird oft gefragt, ob Minden-Lübbecke überhaupt noch zu NRW gehöre."
    Der landwirtschaftliche Betrieb - 110 Hektar, davon 25 Hektar im Eigentum, der Rest Pachtland, muss nun anders organisiert werden. Mit einem befreundeten Berufskollegen (Landwirtschaftsmeister Ortgies sagt nicht: Bauer) besteht eine sich ergänzende Zusammenarbeit. Einen Bauernhof könne man eben nicht wie eine Bürotür zuschließen. Deshalb sind die Ortgies oft getrennt verreist: er eine Woche, seine Frau eine Woche. Der 27-jährige Sohn wird den Hof nicht übernehmen. Man spürt, dass sich Friedhelm Ortgies damit nicht leicht abgefunden hat. Aber er ist Realist genug, um zu sehen, dass Höfe seiner Größenordnung künftig kaum mehr zwei Generationen so ernähren können, dass die Lebensqualität beibehalten werden kann.
    Ortgies verlor seinen Vater, als er zehn war. Damit stand fest: Er musste nach der Mittleren Reife Bauer werden. Er hat es nicht bereut, ist gerne Landwirt und freut sich immer noch über ein gut stehendes Weizenfeld.
    Zur CDU kam er 1972, als in Bonn Willy Brandt seine hohe Zeit hatte. Die Ostpolitik behagte dem 22-jährigen Landmann nicht, er spricht von Preisgabe der Ostgebiete und fügt sogleich hinzu, seine Familie gehöre nicht zu den Heimatvertriebenen. In Düsseldorf ist ihm zuallererst daran gelegen, seinen Wahlkreis zu vertreten, da zu sein für die, die ihn gewählt, aber auch für die, die das aus parteipolitischen Gründen nicht getan haben. Ortgies geht es um bessere Verkehrsanbindung im ländlichen Raum. Zur Autobahn braucht er vom Hof in Rahden aus eine knappe Stunde. Er ist nicht vermessen genug zu glauben, dass er als Abgeordneter einen Autobahnanschluss erreichen kann, aber dann sollten wenigstens die bestehenden Straßen und Wege ausgebaut und instand gehalten werden. Auch um den Strukturwandel in seiner Heimatregion will sich der Abgeordnete besonders kümmern und darum, dass ehemalige Landwirte als Fachkräfte im örtlichen Mittelstand Arbeit finden und nicht wegziehen müssen. Ortgies beklagt das Übermaß an Auflagen für deutsche Landwirte. Er hat nichts gegen Ökologie, aber er ist gegen Übertreibungen, die zu Wettbewerbsverzerrungen mit den Bauern in anderen EU-Ländern führten.
    Auch diejenigen Journalisten-Ökologen sind ihm ein Dorn im Auge, die "an ihren Hightech-schreibcomputern sitzen, ihre Hightechautos steuern und uns Landwirte am liebsten wieder mit dem Ochsenkarren fahren sähen".
    Ortgies, der gerne dort Urlaub macht, wo Wasser ist, fährt ein paar Tage im Jahr Ski, spielt Tennis im Club und macht Touren mit dem Rad, wobei der Weg das Ziel ist. Im August war er in Los Angeles, wo sich der Sohn zu Sprachstudien aufhielt und wo gerade das Nominierungsspektakel des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten bevorstand. Als er im US-Fernsehen zuschaute, wie penetrant man in den Staaten Frau und Kinder für die Kampagne einspannt, wie Al Gore auf offener Bühne seine Frau knutschte und küsste, da dachte der reserviert wirkende Westfale voller Abscheu: So ein Mist, das hat uns hier in Deutschland noch gefehlt.
    Reinhold Michels

    ID: LIN04042

  • Porträt der Woche: Sylvia Löhrmann (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 18 - 07.11.2000

    Gut erholt und voller Tatendrang ist Sylvia Löhrmann aus ihrem Urlaub in Schweden zurückgekehrt. In diesem Herbst ist die grüne Politikerin fünf Jahre im Landtag, und in dieser Zeit hat sich viel verändert für sie. Von März 1998 bis Mai 2.000 war Sylvia Löhrmann parlamentarische Geschäftsführerin der GRÜNEN-Fraktion, im November 1999 übernahm sie außerdem einen der beiden Sprecherposten der Fraktion. Nach der Landtagswahl mussten sich die GRÜNEN im Landtag neu sortieren. Waren bis zur Wahl noch 24 grüne Abgeordnete im Landtag, so sind es jetzt nur noch 17. Die Grünen haben reagiert und die Struktur der Fraktion nach der Landtagswahl geändert. Sie haben Abschied genommen vom Sprecherduo, es gibt jetzt nur noch eine Person, die die Fraktion nach außen hin vertritt: Sylvia Löhrmann. Und der Posten heißt jetzt auch nicht mehr "Fraktionssprecherin" sondern "Fraktionsvorsitzende". Auf Sylvia Löhrmann wartet jetzt noch ein bisschen mehr Arbeit als früher, aber das nimmt sie gerne in Kauf. Denn mit der Abschaffung der Doppelspitze hat die Fraktion auch ein politisches Zeichen gesetzt: Stärker als bisher will sie nach außen hin mit einer Stimme sprechen. Kontroverse Diskussionen sollen künftig intern in der Fraktion ausgetragen werden, Ergebnisse gemeinsam nach außen hin vertreten werden.
    Die neue Fraktion bezeichnet Sylvia Löhrmann als eine "gute Mischung". Ein paar alte Hasen sind dabei, aber auch eine Reihe neuer Gesichter. Es gibt weniger Koalitionskritiker in der Fraktion als vor der Wahl. Der gute Wille zu einer "solidarischen Zusammenarbeit" innerhalb der Fraktion ist da, schätzt Sylvia Löhrmann, auch wenn es weiterhin fachliche Auseinandersetzungen geben wird, "das ist in jeder Fraktion so und das ist normal". In der vergangenen Legislaturperiode hat Sylvia Löhrmann im kommunalpolitischen Ausschuss des Landtags mitgearbeitet und im Frauenausschuss. Jetzt kümmert sich die Oberstudienrätin um die Bildungspolitik. Mit den bildungspolitischen Zielen, die sich die rot-grüne Koalition gesetzt hat, ist Sylvia Löhrmann zufrieden. Mehr Eigenverantwortung für die Schulen, ausreichende Unterrichtsversorgung, Englischunterricht schon in der Grundschule, das alles muss "zügig und gründlich umgesetzt werden." Sylvia Löhrmann ist besonders froh darüber, dass im Koalitionsvertrag der integrative Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern ein besonderes Gewicht bekommen hat. In jeder Stadt und in jedem Kreis in Nordrhein-Westfalen soll es künftig ein Angebot an einer weiterführenden Schule geben. Unter welchen Rahmenbedingungen das realisiert werden kann, wird zurzeit in einem Modellversuch an 29 Schulen im Land getestet. "Ich bin froh, dass wir da im Koalitionsvertrag noch mal die Türen aufgestoßen haben, denn mehr integrativer Unterricht, das ist ein großer Wunsch von vielen Eltern."
    Dass die GRÜNEN nach der Landtagswahl ihren Platz als drittstärkste Fraktion im Landtag an die FDP. abgeben mussten - Sylvia Löhrmann nimmt's gelassen. Beide Fraktionen stehen miteinander im Wettbewerb und für Sylvia Löhrmann haben die Grünen dabei die Nase vorn: "Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, nur Forderungen aufzustellen, sondern dass man diese auch umsetzen muss in der Gesamtschau eines Regierungsprogramms und in einer finanzpolitischen Verantwortung."
    Verantwortlich fühlt sich Sylvia Löhrmann auch beim Thema Volksbegehren. Dass im Koalitionsvertrag mit der SPD die Senkung der Hürden für Volksbegehren vereinbart wurden, freut die Grünen besonders. Als Fraktionsvorsitzende will sich Sylvia Löhrmann dafür stark machen, dass das Vorhaben auch umgesetzt wird. Deshalb will sie auch in Zukunft ihre Kontakte zur CDU-Fraktion im Landtag weiter pflegen, denn ohne die Christdemokraten kommt die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderung nicht zustande.
    Ulrike Coqui

    ID: LIN04430

  • Porträt der Woche: Jan Söffing (FDP).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 17 - 24.10.2000

    Nein, sagt Jan Söffing, die saloppe Bemerkung von Jürgen Rüttgers, er werde im Büro Billy-Regale aufstellen, wenn die Wandschränke nicht genügend Platz für seine Bücher böten, wäre nicht nach seinem Geschmack. Die Räume im Präsidialtrakt seien doch etwas Besonderes, ein bisschen Stil sei schon zu wahren, die Fraktionen mögen das in ihren Büros anders halten. Jan Söffing ist nicht einfacher Landtagsabgeordneter, sondern Vizepräsident. Da soll es schon ein wenig repräsentativ zugehen. Söffings Raum hat Wände aus Kirschbaum. Soeben stellte ein Künstler zur Probe drei Bilder hin. Söffing meint, sie wirkten ästhetisch, passten zum mittelbraunen Holz rundherum und korrespondierten im Übrigen auch mit der Rundform des schönen Parlamentsbaus am Strom.
    Hat der Landtag einen Schwarmgeist, einen Kenner und Liebhaber der Künste auf den Vizepräsidenten-Sessel gewählt? "Nein", korrigiert der FDP-Mann, "besonders sachverständig bin ich nicht, kunstinteressiert aber wohl." Ob er das Gefühl habe, in einem Hohen Haus zu arbeiten? Wieder ein Nein. Aber: "Das hier ist schon mehr als ein normaler Arbeitsort, hier trägt man Gesamtverantwortung für 18 Millionen Menschen." "Oh", denkt man, "wenn das die 18 Millionen doch auch so sähen."
    Jan Söffing aus dem rheinischen Mettmann ist von tadelloser äußerer Erscheinung, ein Mittvierziger vom Jahrgang 1954 - schlanke Figur, grauer Businessanzug, Haar etwas länger, also nicht übertrieben modisch, der Schnäuzer womöglich ein Relikt aus Studentenjahren in Bonn. Das Jackett, das über der Sessellehne hängt, zieht er an, als er den Besucher bittet, Platz zu nehmen. Der Mann hat bürgerliche Erziehung genossen. Söffings Vater ist Ingenieur und Architekt. Zu Juristen hat der alte Herr ein kritisches Verhältnis. Das sei keine exakte Wissenschaft, meint Söffing senior über die Juristerei, die den Lebensweg seines Sohnes Jan so bestimmen sollte.
    Der Vizepräsident, der mit dem Anwaltsberuf geliebäugelt, sich nach dem Zweiten Staatsexamen mit Prädikat jedoch für die Richterlaufbahn entschieden hat, ist Jurist und Rechtspolitiker aus Passion. Der gebürtige Hildesheimer war Amtsrichter, Richter am Landgericht, am Oberlandesgericht, abgeordnet ans Justizministerium, Repetitor für Jurastudenten, Dozent. Auch als Parlamentarier im Landtag beschäftigt sich Söffing vorrangig mit Rechtspolitik. Er ist ein glühender Anwalt für eine unabhängige Justiz. Deshalb ist dem Liberalen das politische Beamtentum der Generalstaatsanwälte ein Dorn im Auge, ebenso der "schlimme Fauxpas", die Eigenständigkeit des Justizministeriums preiszugeben oder die Unart, die Justiz finanziell darben zu lassen. Wer Gerichte und Staatsanwaltschaften wolle, die gut und schnell arbeiteten, müsse sich das etwas kosten lassen, findet Söffing. Außerdem: Nur fünf Prozent des Haushalts stehe für die Justiz zur Verfügung, "und die Hälfte davon spielen wir durch Gebühren wieder ein".
    Zur FDP kam Söffing 1992, in dem Jahr, als Genscher seinen Abschied vom aktiven Staatsdienst nahm. Sympathisiert hat Söffing schon lange mit der liberalen Partei. Als die allgemeine Nörgelei über Politik und Politiker einsetzte, dachte der eingefleischte Jurist, nun gelte es, Farbe zu bekennen, anzupacken. Im Mettmanner Rat wurde er sachkundiger Bürger, 1999 war er Bürgermeisterkandidat der FDP. Seinen Wahlspruch klaute er beim Revoluzzer Che Guevara: "Seien wir Realisten, versuchen wir das Unmögliche."
    Politische Vorbilder hatte und hat Söffing nicht. Das Individualistische der Freien Demokraten zog ihn frühzeitig an. Nie gab es die ernsthafte Überlegung, bei einer anderen Partei mitzumachen.
    Seinen Vizepräsidentenjob nimmt er ernst. Am Betriebsausflug der Landtags-Mitarbeiter nach Bonn und Linz nahm er teil, das Haus und seine Mitarbeiter kennen zu lernen, war ihm direkt nach der Wahl zum Stellvertreter des Präsidenten ein Anliegen. Mit einem wie Söffing ist gut Kirschen essen. Er glaubt, dass er zu älteren Liberalen mit vermeintlich älteren Rechten auf den Vizepräsidenten-Posten inzwischen ein normales Arbeitsverhältnis geschaffen hat. Es scheint nicht leicht zu sein, mit Jan Söffing auf Dauer im Streit zu bleiben. Er sagt von sich: "Ich bin ein offener Mensch."
    Daheim in Mettmann gibt es die französische Ehefrau und zwei Kinder, die zweisprachig aufwachsen und bei denen der Vater Wert darauf legt, dass sie sich gesellschaftlich engagieren, egal ob politisch oder in einer Jugendgruppe. Fechten, Wildwasser-Kanufahren und das Schrauben und Basteln an Oldtimern gehören zur vernachlässigten Abteilung "Hobby".
    Reinhold Michels

    ID: LIN04176

  • Porträt der Woche: Edith Müller (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 16 - 04.10.2000

    Zwei Ziele hat sich die neue Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtages, Edith Müller, für ihre künftige Tätigkeit gesetzt: Gemeinsamkeiten zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen künftig stärker hervorzuheben und das Düsseldorfer Landesparlament "ein wenig" zu europäisieren.
    Nach den bisherigen parlamentarischen Erfahrungen der Abgeordneten der Bündnisgrünen gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten aller Fraktionen, die es erforderten, "an einem Strang zu ziehen" und über die Parteigrenzen zu agieren. Das habe sie in Brüssel gelernt, unterstreicht die Vizepräsidentin, die von 1994 bis 1999 dem Europäischen Parlament angehörte. Diese frühere Tätigkeit ist für sie auch Ansporn, bei den Landtagsabgeordneten ein stärkeres Interesse für den europäischen Einigungsprozess zu wecken.
    "Der Landtag sollte sich als europäischer Pulsgeber verstehen und das nicht allein der Regierung überlassen." Besonders wichtig hält sie eine enge Zusammenarbeit mit den Nachbarländern NRW’s, aber auch die Ost-Erweiterung sollte der Landtag durch gegenseitige Parlamentarier-Besuche unterstützen. Von der geplanten Kompetenz-Neuordnung erwartet Frau Müller, dass nicht nur dem Bund Zuständigkeiten zurückgegeben werden, sondern auch die Länder zusätzliche Kompetenzen erhalten; beispielsweise in der Agrarpolitik.
    Die gebürtige Kaldenkirchnerin, Jahrgang 1949, ein Glied der so genannten "Generation der 68er", beteiligte sich als Jura-Aspiratin aktiv an den damaligen zahlreichen Studentendemonstrationen, focht für mehr Demokratie. Das Land Hessen bot ihr 1970 ein zweijähriges Stipendium in Spanien. Dort wollte die Jura-Studentin eine rechtsvergleichende Studie erarbeiten, doch damals herrschte in Madrid noch der Diktator Franco, war die freie Meinung tabu. Als Reaktion schloss sich Edith Müller den damals verbotenen spanischen Kommunisten an, landete im Gefängnis und wurde des Landes verwiesen.
    In Deutschland setzte sie ihr Studium wieder fort, engagierte sich in den maoistischen K-Gruppen und später in der DKP, was ihr wieder Ungemach bereitete. Als der kämpferischen Bürgerrechtlerin immer deutlicher wurde, dass deren Ziele nicht den Interessen der breiten Mehrheit der Bevölkerung entsprachen, trennte sie sich von der Partei und zählte 1979 zu den Gründungsmitgliedern der nordrhein-westfälischen GRÜNEN. "Wir wollten aus der außerparlamentarischen Opposition eine parlamentarische Kraft werden, wollten mitentscheiden."
    Danach übernahm sie verschiedene Aufgabengebiete bei den GRÜNEN, war auch im nationalen Sekretariat von Amnesty International (AI) tätig und legte zwischendurch das 2. Staatsexamen ab. Der damalige hessische Umwelt- und Bundesratsminister, Joschka Fischer, wurde 1991 auf seine engagierte Parteifreundin aufmerksam und holte sie in die Bonner Landesvertretung.
    Parlamentarische wie auch internationale Erfahrungen gewann die Kölnerin als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes in den Jahren 1994 bis 1999. Für ihren Wiedereinzug nach der letzten Europa-Wahl reichte nicht das Stimmenergebnis der GRÜNEN.
    Dass Edith Müller über die Parteigrenzen hinaus Anerkennung gewonnen hat, beweist ihre anschließende Berufung zur Referatsleiterin "Europa und Internationales" durch den inzwischen verstorbenen Kölner CDU-Oberbürgermeister Harry Blum unmittelbar nach der Kommunalwahl im Herbst letzten Jahres. Dieser neuen Herausforderung stellte sie sich bis zu ihrer Wahl in den Düsseldorfer Landtag im Mai.
    Vielseitig wie ihr politischer Werdegang sind auch ihre Hobbys. Musik von Bach über Beethoven bis zu den Beatles, Tanz, Reiten - und auch in der Freizeit widmet sie sich dem Entstehen des Hauses Europa.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03927

  • Porträt der Woche: Oda-Gerlind Gawlik (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 26.09.2000

    Schon wieder eine Alt-68erin, die das Leben gelehrt hat, Illusionen fahren zu lassen und stattdessen nach politischen Kompromissen zu suchen. Oda-Gerlind Gawlik ist vom Jahrgang 1948. 1966 begann sie ihr Jurastudium an der Ruhruniversiät Bochum. Kurt Biedenkopf war dort Gründungsrektor, und vor allem an der Freien Universität Berlin braute sich langsam etwas zusammen, was bald Studentenrevolte hieß und viele politisch Aufgeweckte und Aufbegehrende packte und mitriss. Oda-Gerlind Gawlik, geboren in Marl, machte bei den Jusos mit, und an der Uni Bochum gehörte sie zum linken SHB. Der linksradikale SDS war der jungen Frau schon damals nicht geheuer. Sie fühlte sich zwar als Linke, aber als eine von der gemäßigten Art. Aufrührerischen Reden vor nicht kontrollierbaren Menschenansammlungen hat sie stets misstraut, Gewalt als einem Mittel der politischen Auseinandersetzung immer widerstanden.
    Ein Tag im Vorherbst 2000. Die neue SPD-Abgeordnete aus Mülheim macht einen erschöpften Eindruck. Gerade musste sie sich im Plenum die Regierungserklärung von Parteifreund Wolfgang Clement anhören. Fast zweieinhalb Stunden hatte sich der Ministerpräsident Zeit genommen. Oda-Gerlind-Gawlik, die Clement und dessen nüchterne Art mag, nimmt auf dem Bürosessel Platz und sagt: "Mehr als zwei Stunden - da muss man schon ein begnadeter Redner sein, um jederzeit seine Zuhörer zu fesseln." Sie erinnert sich vage an einen Redeauftritt des legendären politischen Redners Willy Brandt vor dreißig Jahren in ihrer Ruhrgebiets-Heimat.
    Oda-Gerlind Gawlik erzählt, sie habe noch nie eine andere Partei als die SPD gewählt. Sie sagt aber auch, dass sie nicht hundertprozentig, wohl aber in den Grundsätzen, den "großen Linien" mit ihrer Partei übereinstimme. Nach dem 2. juristischen Staatsexamen wechselte die junge Assessorin zur Universität Gießen, wo sie wissenschaftliche Assistentin war. Der SPD kehrte sie damals, 1974, den Rücken. Sie war ungeduldig, der Parteiapparat schien ihr zu schwerfällig zu sein. 1982, als Helmut Kohl zu regieren begann, trat sie wieder in die SPD ein. Jetzt will sie sie nie wieder verlassen.
    Das Interesse an Politik hat der Großvater geweckt. Der war Bergmann im Ruhestand und kümmerte sich viel um seine Enkelin: "Seit ich ein kleines Mädchen war, hat mich der Großvater politisch wach gemacht." Oda-Gerlind, die Älteste von drei Geschwistern, ging bereits als Volksschulkind mit dem Opa in die Wahlkabine und lernte, dass es eine demokratische Pflicht sei, zu wählen und politisch mitzubestimmen.
    Viele Jahre später entschloss sie sich, aktiv Politik zu betreiben. Davor hatte es einen herben beruflichen Rückschlag gegeben. Seit 1987 hatte sie als Beigeordnete für Schule, Kultur, Weiterbildung und Sport in ihrer neuen Heimat Mülheim an der Ruhr gearbeitet. 1994 wurde sie Verwaltungschefin. Dann folgte die Kommunalwahl, und die SPD sackte in der Wählergunst der Mülheimer um zehn Prozentpunkte. Frau Gawlik räumt ein, dass sie den politischen Gegner verstanden habe, als der damals ihrer Stadtdirektor-Karriere nach einem Jahr ein Ende setzte. Persönlich getroffen fühlte sie sich dennoch. Nach einem halben Jahr des Überlegens folgte der Entschluss, eine Abgeordnetenlaufbahn in Düsseldorf anzustreben, was dann im Mai 2000 geschafft war.
    Frau Gawlik weiß, dass sie als Parlamentsneuling erst mal ihren Stellenwert ausloten muss. Nichts falle einem in den Schoß. Sie arbeite gerne und habe keine Scheu vor dem Bohren dicker Bretter, behauptet die Sozialdemokratin. Niederlagen will sie wegstecken: "Es ist kein Beinbruch, mal eine Abstimmung zu verlieren."
    Ihren Weg von einer schwungvollen Jungsozialistin und linken Studentin zu einer abwägenden Politikerin in der Mitte des Lebens umreißt Oda-Gerlin Gawlik mit dem Satz: "Es gibt keine Position, die man lupenrein vertreten kann. Eine der wichtigsten Dinge überhaupt ist es, nach tragfähigen Kompromissen zu suchen."
    Sie betont es nicht ausdrücklich, aber man glaubt aus ihren Sätzen doch eine gewisse Sorge über das Bild der SPD in der Öffentlichkeit herauszuhören: Das sei das Schwierige und für die Sozialdemokratie Entscheidende: Einerseits den wirtschaftlichen Zwängen Rechnung zu tragen und andererseits nicht das Ziel sozialer Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Dass ihr Herz immer noch links schlägt, verrät eine Bemerkung über den Aufbau Ost nach der Wende: "Ich fand es gut, dass die Einheit kam. Aber mit der Art und Weise, wie das geschah, hatte ich Probleme. Ich hatte den Eindruck, dass der Osten ein Stück freigegeben wird für den kapitalistischen Westen."
    Oda-Gerlind Gawlik greift während der anregenden Unterhaltung häufig zur Zigarettenschachtel. Sie hat bereits mehrfach versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, aber ohne Erfolg. Clement, der es geschafft hat, bewundert sie dafür. Zum Sporttreiben hat die Abgeordnete ein distanziertes Verhältnis. Ein bisschen Gymnastik, ein wenig radeln - das ist alles. Lebhaft wird sie, sobald die Rede ist von Reisen und kulturellen Interessen. Sie schwärmt vom Sommerurlaub im nordspanischen Galizien, sie erwähnt eines ihrer Lieblings-Reiseziele Mexiko. Und schließlich folgt ein fast feuriges Bekenntnis: "Ich liebe moderne Literatur, Kunst und Theater."
    Reinhold Michels

    ID: LIN03973

  • Porträt der Woche: Jürgen W. Möllemann (FDP).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 14 - 12.09.2000

    Gleichsam von oben mit dem Fallschirm, wie es seine Art ist, landete Jürgen W. Möllemann im Landtag. Mag für viele seiner neuen Parlamentarier-Kollegen das Landtagsmandat die Krönung einer Laufbahn sein, die unten, in den Kommunen und Ortsvereinen der Parteien begann - für Jürgen Möllemann ist es ein Sprung aus den Höhen der Bundes- in die Niederungen der Landespolitik.
    Die typische Ochsentour hat Möllemann nie absolviert. Kaum war er 1970 der FDP beigetreten (nachdem er zuvor sieben Jahre der CDU angehört hatte ), zog er schon zwei Jahre später 27jährig über die NRW-Landesliste in den Bundestag ein und wurde sogleich bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, drei Jahre später sicherheitspolitischer Sprecher. 28 Jahre lang gehörte Möllemann dem Bundestag an, erst kürzlich legte er das Mandat nieder, um sein Landtagsmandat wahrzunehmen.
    Der Sohn eines Polsterermeisters brachte es zum Staatsminister im Auswärtigen Amt ( von 1982 bis 1987 ), zum Bundesbildungsminister ( von 1987 bis 1990 ), schließlich zum Bundeswirtschaftsminister und sogar Vize-Bundeskanzler ( von 1991 bis 1993 ) - eine Karriere, die ein kleiner Einkaufswagen-Chip beendete, das Produkt eines angeheirateten Vetters, für das Möllemann auf amtlichen Minister-Briefbögen bei deutschen Handelsketten warb.
    Wenig später, im Oktober 1994, verlor Möllemann auch den Vorsitz der NRW-Liberalen, den er seit 1983 innegehabt hatte. Der Landesvorstand trat geschlossen zurück und zwang ihn so zur Amtsaufgabe. Damit büßte er auch seinen Sitz im FDP-Bundesvorstand ein. Viele Parteifreunde verübelten Möllemann seine Attacken auf den damaligen FDP-Chef Klaus Kinkel.
    Ein anderer hätte sich von diesem Karriereknick womöglich nicht mehr erholt. Doch Möllemann gelang der Wiederaufstieg. Im Januar 1995 wurde er gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Wenig später in der Abstimmung um den Bundesvorsitz der Partei als Nachfolger Kinkels unterlag er zwar dem hessischen FDP-Chef Wolfgang Gerhardt, war aber im April 1996 erfolgreich, als er sich erneut um den Vorsitz des NRW-Landesverbandes bewarb und sich gegen den Vorsitzenden Joachim Schultz-Tornau sowie dessen Stellvertreter Hagen Tschoeltsch durchsetzte.
    Mit beachtlichen 9,8 Prozent der Stimmen führte er als Spitzenkandidat die FDP, die 1995 an der fünfprozenthürde gescheitert war, nun wieder in den Düsseldorfer Landtag zurück und machte sie zur drittstärksten Fraktion. Sein weiteres Wahlziel, Juniorpartner in einer neuen sozialliberalen Koalition zu werden, hat er indes (noch ? ) nicht erreicht. Möllemann räumt unumwunden ein, er habe gehofft, als Minister über den Bundesrat auch weiterhin Bundespolitik machen zu können.
    Statt dessen ist er nun Vorsitzender der neuen FDP-Fraktion - mit 24 Abgeordneten die größte, die je im nordrhein-westfälischen Landtag vertreten war, wie er betont, und die jüngste im Vergleich zu den anderen Fraktionen. Eine "sehr kreative, fröhliche Truppe" sei das, die "ein belebendes Element" im Parlament sein werde. Seine eigene Rolle sieht er als Oppositionsführer, der gezielt die "Bruchstellen" der rot-grünen Regierungskoalition ins Visier nimmt, vor allem bei den Themen Wirtschaft, Bildung und Verkehr.
    Dass er jedoch weiter gehende Ziele verfolgt, wird deutlich, wenn er berichtet, dass das gute Landtagswahlergebnis nun die Basis für das "Projekt 18" werden soll - 18 Prozent der Stimmen müsse die FDP bei der nächsten Bundestagswahl anstreben, und die werde sie auch erreichen. Eigene bundespolitische Ambitionen, etwa auf den Parteivorsitz, bestreitet er dabei jedoch.
    # Verwundern würde es nicht. Das sonst eher zurückhaltende Prominentenarchiv Munzinger nennt Möllemann einen "ambitionierten Politiker", der "mit publicityträchtigen Erklärungen immer wieder für Aufsehen" sorge. Im Unterschied zu früher, als er mit seinen "unorthodoxen Gedanken" (Munzinger-Archiv) oft auch aneckte, trifft Möllemanns Stil nun offenbar den Zeitgeist, wie sein Wahlkampf gezeigt hat. So hatte er die Lacher auf seiner Seite, als er von seinem Plan berichtete, er habe mit dem Fallschirm vor dem "Big-Brother"-Container landen und dort ein Plakat mit der Aufschrift "Deutschland braucht mehr Bildung" anbringen wollen.
    Sein Privatleben spart er bei aller Publicity jedoch sorgsam aus. So wissen nur wenige, dass seine Frau im gemeinsamen Wohnort Münster, wo Möllemann einst für das Lehramt studierte und seither wohnt, FDP-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat ist. Mit ihr habe er die Verabredung getroffen, sagt er, sie mische sich nicht in die Landes- und Bundespolitik ein und er dafür nicht in die Kommunalpolitik. Wie das weiterhin funktionieren wird, bleibt abzuwarten - betrifft die Landespolitik doch in erster Linie kommunale Angelegenheiten.
    Roland Kirbach

    ID: LIN04002

  • Porträt der Woche: Vizepräsident Laurenz Meyer (CDU).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 13 - 05.09.2000

    Alles, was man im Leben tut, kann man nur gut machen, wenn es auch Spaß bereitet, urteilt Laurenz Meyer. Und der neugewählte Vizepräsident des Landtages hat viel Freude an der Politik. So will sich der Christdemokrat in seinem neuen Amt nicht nur auf die Repräsentationsaufgaben oder den geschäftsordnungsgeregelten Ablauf des Parlamentsgeschehens beschränken -"Ich habe nicht die Absicht, mich aus politischen Debatten herauszuhalten".
    Im Übrigen liegt es nach seiner Ansicht an der eigenen Person, was sie aus dem Amt macht, in das sie gewählt worden sei. So will der 52-Jährige sich auch als Vizepräsident beispielsweise für eine Verkleinerung des Landesparlamentes weiter einsetzen. "In der Diskussion um den schlankeren Staat sollten wir selbst ein Zeichen setzen."
    Es ist kein Geheimnis, dass ihm der Abschied vom Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion nicht leicht fiel, er sie gern weiter geführt hätte. Doch bereits vor seiner Wahl im Februar letzten Jahres hatten Landeschef Jürgen Rüttgers und der gebürtige Ostwestfale vereinbart, dass er den Chefsessel räumen werde, falls Rüttgers nicht Ministerpräsident werden sollte. "Und ich halte meine Versprechen."
    Während seiner knapp 15-monatigen Tätigkeit hatte der offensive Wirtschaftspolitiker mit analytischen Fähigkeiten nicht nur den politischen Gegner des Öfteren in die Defensive gedrängt, er hatte der Fraktion ein eigenständiges Profil gegeben - ungeachtet dessen in steter Loyalität zur Landespartei und zu deren Vorsitzenden Rüttgers.
    Bereits vor seiner damaligen Wahl hatte Meyer als Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Missstände um das Oberhausener Trickfilmzentrum (HDO) einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erworben. Als souveräner wie beharrlicher Verhandlungsführer trug er wesentlich dazu bei, dass die Millionensubventionen für das einstige Vorzeigeprojekt von Ministerpräsident Clement (SPD) zu einem der beherrschenden politischen Themen in Düsseldorf wurden und dem Regierungschef manche Unannehmlichkeiten bereiteten.
    Der Diplom-Volkswirt stieß eher zufällig zur Politik. "Als ich auf einer Berlin-Fahrt auf Einladung der Jungen Union 1968 den Teilnehmerkreis so nett fand, bin ich anschließend in die CDU eingetreten." In der Partei wurde man sehr schnell auf den scharfzüngigen Debattierer, der ungeschminkt auch im eigenen politischen Lager die Meinung sagt, "selbst wenn's weh tut", aufmerksam.
    Eine zeitlang war er stellvertretender Vorsitzender des damals noch selbständigen Landesverbandes Westfalen-Lippe, seit 1995 ist er Schatzmeister der NRW-CDU.
    Kommunalpolitisch war der Vater von vier Kindern zwei Jahrzehnte von 1975 bis 1995 im Rat der Stadt Hamm tätig, wo er 1995 als OB-Kandidat nur knapp mit 300 Stimmen der SPD unterlag. Als Meyer 1990 erstmals in den Landtag rückte, wurde er von der CDU-Fraktion sogleich zu ihrem wirtschaftspolitischen Sprecher berufen.
    In dieser Eigenschaft sah sich der streitbare Christdemokrat insbesondere als Anwalt der kleineren und mittleren Unternehmen, obwohl er bis vor kurzem bei der VEW AG in verschiedenen Funktionen beruflich tätig war.
    Während die Groß-Unternehmen gute Rahmenbedingungen von der Bundesregierung benötigten, müsse sich das Land auf die Förderung einer mittelständischen Struktur konzentrieren, betont Meyer. "Wir müssen auf Renommierprojekte verzichten und uns auf die Förderung von Existenzgründern und auf die wirtschaftsnahe Infrastruktur, etwa die Erschließung neuer Gewerbegebiete, konzentrieren."
    In diesem Zusammenhang habe auch die Schulpolitik eine eminent wichtige Aufgabe. Sie entscheide über die künftigen Fähigkeiten unserer Gesellschaft, Herausforderungen von morgen zu bestehen. Und schließlich entscheide die Bildungspolitik, so der Christdemokrat, über die Qualität des Wirtschaftsstandortes und die Möglichkeit jedes einzelnen, seinen Platz in dieser Gesellschaft zu finden.
    Dem gegenüber seiner Umgebung sehr kontaktfähigen und im Dialog sehr offenen Politiker reizt nach eigener Aussage an der neuen Aufgabe, "das Parlament einmal von einer anderen Position kennenzulernen". Und wer Laurenz Meyer etwas näher kennt, ist sich sicher, dass das Amt des Vizepräsidenten nicht die letzte Etappe auf seinem politischen Weg ist.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN04323

  • Porträt der Woche: Dr. Jürgen Rüttgers (CDU).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 12 - 04.07.2000

    Es ist eine Woche im Juni. Die Temperaturen sind hochsommerlich. Die Glastür in Jürgen Rüttgers Landtagsbüro steht offen. Die halbrunde Terrasse über dem Rhein lädt zum Draußen-Sitzen. Der Strom fließt breit und ruhig, die Wiesen sind grün, der Himmel wölbt sich blau, und wenn man nach links schaut, renommiert die schicke Landeshauptstadt mit hohem Turm, modischem Hafengebiet und extravagantem Stadttor. Was das Äußerliche angeht, hat Jürgen Rüttgers einen fabelhaften Arbeitsplatz.
    Man fragt sich sofort, ob er wohl auch rundum zufrieden ist mit seinem neuen politischen Leben, das er nicht so, sonders anders hatte starten wollen. Ende Juni wird der CDU-Partei- und Fraktionschef 49 Jahre alt sein. Wäre es am 14. Mai nach seinem Plan gegangen, säße er jetzt als Ministerpräsident im Stadttor, könnte er herabschauen auf das Parlament. Rüttgers weiß von der vergleichsweise hohen Meinung, die seine Landsleute von Regierenden haben. Regieren zu dürfen, das krönt hierzulande eine Politikerexistenz, Abgeordneter zu sein gilt, anders als in England, als weniger schmückend.
    Und noch dazu Opposition machen zu müssen! Man hat berufsmäßig Kritik zu üben, macht mehr oder minder kluge Alternativvorschläge, muss so tun, als sei man jederzeit in der Lage, das begehrte Ruder des Handels zum Nutzen und Frommen des Landes zu ergreifen. Die Oppositionsrolle muss für Jürgen Rüttgers noch gewöhnungsbedürftiger sein als der gewollte Umstieg von der Bundes- in die Landespolitik. Immerhin hat der schlanke Mann aus dem Rheinischen bereits vier Jahre regiert, war zwischen 1994 und 1998 Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. "Zukunftsminister" haben ihn ihm ziemlich gewogene Bonner Presseleute getauft. Er hat es nicht ungern gehört, wohl ahnend, dass an solch feine Nebentitel hohe Erwartungen geknüpft werden. Rüttgers stand zuvor bereits im Ruf eines mit vielen Wassern gewaschenen Homo politicus. Kohl und Schäuble hätten es gern gesehen, wenn er 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion geblieben wäre. Aber der junge Aufsteiger wollte weiter kommen und beweisen, dass er ein bedeutendendes Ministerium zu führen im Stande ist. Rüttgers war kein herausragendes Mitglied am Kabinettstisch von Helmut Kohl, zu den Gescheitesten und Tüchtigsten zählte er bestimmt.
    Der vertrackte Landtagswahlkampf der CDU NRW war es, der sein Bild plötzlich verdunkelte, auch: verzerrte. Jürgen Rüttgers ließ den Flächenbrand lodern, den der misslungene, nicht von ihm stammende "Kinder-statt-Inder"-Spruch auch und gerade im bürgerlichen Wählerlager auslöste. Rüttgers verursachte noch andere Irritationen, er machte sich unbeliebt, woraufhin seine Partei wie eh und je an Landtags-Wahlabenden einen Nasenstüber erhielt. Es war zwar Frühling, aber schon wieder fielen in der Düsseldorfer Wasserstraße die Blätter. Häme stellte sich von selbst ein. Rüttgers sagt, er nehme Rückschläge gelassen hin. Gegen Boshaftigkeiten und Schadenfreude hat er sich eine Lederhaut zugelegt. Er weiß, was landespolitisch auf ihn zukommt, kennt die Ränkeschmiede und Pappenheimer, die ihn zu gerne vor der Zeit straucheln sähen.
    Der Volljurist und ehemalige Beigeordnete von Pulheim verschrieb sich früh der Politik. Der Vater, der ein Elektrogeschäft betrieb, hat in Pulheim einmal für die FDP kandidiert. Jürgen Rüttgers, als junger Bursche Pfadfinder, ärgerte sich darüber, dass die örtliche CDU zuwenig für die Jugend tat. Also sorgten er und Gleichgesinnte durch Eintritt in die Junge Union Brauweiler dafür, dass mehr Leben in die Parteibude in Köln-Land kam. Schritt um Schritt kletterte Rüttgers auf der politischen Leiter aufwärts. Seinem Naturell entsprechend hat er auch aus seinen kontemplativen Phasen etwas gemacht: beispielsweise kluge Gedanken über das üppig wuchernde Parteienwesen zu Papier gebracht oder Nachdenkenswertes über die "Wissensgesellschaft" geschrieben. Wahrscheinlich beurteilt den ersten Herausforderer der Regierung Clement/Höhn gerecht, wer zu dem Schluss kommt: Rüttgers war nie der Höhenflieger auf Adlerschwingen, als den ihn eine fix den Daumen aufrichtende beziehungsweise senkende Beobachterschar eine Zeit lang karikierte. Aber er ist auch nicht der politische Geisterfahrer, für den ihn nun manche nach der misslungenen Kampagne halten.
    Mehrfach benutzt er beim Terrassengespräch Mitte Juni das Bild vom Tunnel, in dem er sich immer noch befinde. Noch sieht er nicht klar, ob am Ende das berühmte Licht leuchtet, ob es für ihn ein politisch erfolgreiches Leben nach der Niederlage geben wird. Rüttgers erweckt den Eindruck, dass er stetig, zäh und ideenreich zu arbeiten und zu führen gedenkt. Wenn ihn denn die vergangenen Monate, vor allem der Liebesentzug durch ehedem Wohlmeinende irritiert hat: er lässt es sich nicht anmerken. Er stellt statt dessen die Signale auf volle Fahrt voraus.
    Zur Muße greift der dreifache Familienvater zu Büchern, Krimis, Historischem, eigentlich zu allem, was es wert ist, gelesen zu werden. Das Pfeiferauchen hat er sich auf ärztlichen Rat hin abgewöhnt. Eine Sportskanone ist er nicht: Ein wenig Radfahren, im Sommer schwimmen, das ist alles. Richtig gut gehen lassen es sich Jürgen und Angelika Rüttgers mitsamt ihrer Kinder beim regelmäßigen Sommerurlaub in Südfrankreich. Und dass er nach Monaten der Abwesenheit am Freitag vor Pfingsten wieder einmal mit seinen alten Freunden vom Stammtisch ganz ungezwungen zusammen sein konnte, treibt ihm noch Tage danach die Freuden der Erinnerung ins Gesicht.
    Reinhold Michels

    ID: LIN04399

  • Porträt der Woche: Egar Moron (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 11 - 27.06.2000

    Über dieses Gespräch sind schon viele Zeilen geschrieben worden, obwohl es doch nichts zu berichten gab. Herbert Wehner schwieg zwei volle Stunden lang und sein Gast schwieg auch. Der SPD- Fraktionschef hatte Karl Wienand zu sich gebeten, der sollte sein Parlamentarischer Geschäftsführer werden. Nachdem sich die beiden zwei Stunden angeschwiegen hatten, war die Sache perfekt und seither ist diese Geschichte unzählige Male erzählt worden. Wer Edgar Moron gegenübersitzt, für den Herbert Wehner immer das politische Vorbild ist, kann sich kaum vorstellen, dass der Mann ähnlich vorgeht. Nein, Moron sagt, was er denkt und kommt schnörkellos zum Ziel. "Umweltpolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich nicht gegen Wachstum und Beschäftigung richtet", lautet einer seiner Kernsätze und den hat er auch gesagt, als es während der Koalitionsverhandlungen zwischen Roten und GRÜNEN schwierig war. Er hält diesen Satz für richtig, deshalb wiederholt er ihn und stört sich nicht daran, dass der eine oder andere in den eigenen Reihen den GRÜNEN mit mehr Verständnis begegnen wollte. "Nein", hat er denen genauso wie den GRÜNEN entgegengerufen, "wir können keine Kompromisse zu Lasten der Zukunftsfähigkeit des Landes machen."
    Edgar Moron hat eine klare Vorstellung von der Zukunft des Landes. " Wir müssen die Kräfte der Menschen entfesseln, bürokratische Hemmnisse abbauen", wiederholt er immer wieder. Obwohl solche Sätze Konjunktur haben, bringen sie Edgar Moron nicht in die Nähe jener liberalen Zeitgeist-Surfer, die manche Debatte beherrschen. Für ihn ist die Freiheit an sich nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung, um die Verhältnisse zu verändern. "Die sozialen Probleme werden steigen, die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiter öffnen", sagt Moron voraus, und noch während er das sagt, spürt man, dass er das nicht hinzunehmen bereit ist. Keine Frage, die soziale Gerechtigkeit ist für ihn keine Vorstellung aus alten Parteiprogrammen, sondern höchst aktuell: "Wenn ich höre, dass viele Kinder unter den Sozialhilfeempfängern sind, empört mich das." Was für ihn daraus folgt, sagt er klar: "Soziale Gerechtigkeit heißt zuallererst: Arbeit für alle."
    Dass junge Menschen arbeitslos sind, mag er nicht hinnehmen. "Da verspielen wir die Zukunftschancen, wir müssen Talente fördern. wo immer wir können." In solche Sätze lässt er einfließen, dass er nach dem Krieg im zerstörten Berlin aufwuchs: "Mein Vater ist im Krieg gefallen, ich habe erfahren, was Not und Armut ist." Damals hat er auch gelernt zu kämpfen und seine Ziele mit Ausdauer zu verfolgen, selbst wenn man sie nicht im ersten Anlauf erreicht. Von der Realschule wechselt er zum Aufbaugymnasium und schafft am Ende das Abitur: "Ich habe vom durchlässigen System in Berlin profitiert, das damals seiner Zeit voraus war." Wenn er heute über Grenzlinien zwischen den Schulen diskutiert, ist diese Erfahrung präsent.
    Sein Interesse an der Politik wird früh geweckt. "Wir hatten eine Schulleiterin, die selbst im KZ saß und viele politische Größen zu uns an die Schule holte", erzählt Moron, der damals Kurt Schumacher, Fritz Erler oder Carlo Schmidt begegnete. Er trat zwar noch nicht in die SPD ein, aber eine andere Partei kam kaum infrage. Nach dem Abitur studierte er in den aufgewühlten 60er-Jahren in Berlin politische Wissenschaften. "Ich habe alles miterlebt, die Anti-Schah-Demonstration. Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, aber ich war kein Aktivist." 1970 zieht er mit seiner Familie ins Rheinland und arbeitet am Kölner Ost-Kolleg in der Erwachsenenbildung, der SPD tritt er end lich bei: "Um für die Gerechtigkeit zu kämpfen." Damals hatte er noch mehr Zeit als heute für seine Leidenschaft jenseits der Politik: "Ich habe in Europa viele 4 000er-Berge bestiegen." Bis heute ist er Mitglied im Alpenverein. " Viel Freiheit-, findet er in den Bergen, aber nicht nur das, "man muss sich auf den richtigen Weg konzentrieren".
    Der Weg in die Politik beginnt 1973. Er wird gefragt, ob er für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion arbeiten will und nimmt das Angebot an. 1975 wählen ihn die Erftstädter in ihren Rat, 1990 in den Landtag. Als Klaus Matthiesen ausscheidet, wünscht er sich Edgar Moron als seinen Nachfolger im Amt des Fraktionsvorsitzenden, das Ergebnis ist bekannt. Dass Moron es ein zweites Mal versucht hat, war keine Frage. Er hat diese Eigenschaften schon in den 70er-Jahren an Herbert Wehner bewundert: "Wir müssen geradlinig, in manchen Fällen kompromisslos und vor allem ausdauernd sein.
    Jürgen Zurheide

    ID: LIN04524

  • Porträt der Woche: Präsident des Landtags.
    Ulrich Schmidt (SPD) will Neuregelung der Abgeordnetendiäten anpacken.
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 10 - 09.06.2000

    Gemessen daran, dass er als Landtagspräsident der ranghöchste Politiker des Landes ist, wenigstens dem Protokoll nach, wohnt Ulrich Schmidt fast schon bescheiden: In der oberen Etage eines zweistöckigen Stadthauses aus den zwanziger Jahren im Zentrum von Wetter an der Ruhr. Zur Miete wohnt er da, zusammen mit seiner Frau. Kinder haben die Schmidts nicht — für wen also Eigentum anschaffen? So könnten sie jederzeit woanders hinziehen, wenn es ihnen nicht mehr gefalle, sagt Ulrich Schmidt. Was wohl eher unwahrscheinlich ist, immerhin wohnen die beiden schon 25 Jahre in dem Haus.
    Viel zu verwurzelt ist Ulrich Schmidt in seinem Sprengel, um einfach seine Sachen zu packen. In Volmarstein, heute einer von vier Stadtteilen Wetters, ist er aufgewachsen. Dort trat er 1964 mit 22 Jahren der SPD bei, dort war er Juso-Vorsitzender, und dort ist er noch immer — seit 1969 — SPD-Ortsvereinsvorsitzender. Fast genauso lange, seit 1970, gehört er dem Rat der Stadt Wetter an: von 1975 bis 1995 war er gar ihr Bürgermeister. Ebenfalls seit 1975 vertritt er den Wahlkreis Ennepe-Ruhr II, zu dem Wetter gehört, im Landtag. Ein Leben voller Kontinuitäten also, dem sich nun eine weitere hinzugesellt: Auch in der neuen Legislaturperiode bekleidet der 58-Jährige das Amt des Landtagspräsidenten, das er schon von 1995 an innehatte.
    Dass seine Partei als stärkste Fraktion erneut ihn nominierte, hat weniger mit Gewohnheitsrecht als vielmehr mit Schmidts ausgleichender Art zu tun, die ihn für dieses Amt prädestiniert. Der Parlamentsbetrieb ist — darin ein Spiegel der Gesellschaft — sehr viel individualistischer geworden als etwa noch zu Zeiten des alten Ständehauses, wo die Abgeordneten einander ständig über den Weg liefen, schon weil nur wenige das Privileg eines eigenen Büros besaßen. Schmidt versteht sich daher auch als eine Art Mentor, an den sich die Abgeordneten mit ihren Problemen wenden können. Das gilt genauso für die 320 Bediensteten der Landtagsverwaltung, deren Chef der Präsident zugleich ist. In der Öffentlichkeit wird indes vor allem die repräsentative Rolle des Landtagspräsidenten wahrgenommen. Alljährlich empfängt er zahlreiche Besucherdelegationen aus aller Welt, darunter in den vergangenen Jahren zunehmend Politiker aus den jungen Demokratien Osteuropas und Afrikas, die sich im größten und wichtigsten deutschen Bundesland über Föderalismus informieren wollen. Dass er einmal eine solche staatstragende Funktion ausfüllen werde, sei ihm nicht in die Wiege gelegt worden, sagt Schmidt. Er ist 1942 geboren, seinen Vater, der in Stalingrad fiel, hat er nie gesehen. Die Mutter musste ihn und seinen Bruder allein großziehen. Gern hätte Schmidt Abitur gemacht und studiert, doch das war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Mit 14 begann er stattdessen eine kaufmännische Lehre bei Hoesch in Dortmund.
    Nach dem Ende der Ausbildung wurde er ein Opfer der ersten großen Stahlkrise: wie alle Lehrlinge wurde er nicht übernommen. Doch bot man ihm kurz darauf eine Stelle in der Betriebskrankenkasse an, wo er es bis zum Gruppenleiter und Referenten für Grundsatzfragen brachte. Angefangen hat er jedoch zunächst in der Schalterhalle. Wie der Lohn wurden auch das Kranken- oder das Sterbegeld damals noch bar ausbezahlt. In den Gesprächen am Schalter erfuhr Schmidt viel von den Sorgen und Nöten der kleinen Leute. Diese Zeit legte mit den Grundstein für Schmidts späteres Engagement als Sozialpolitiker. Sensibilisiert für die Probleme Schwacher und Benachteiligter hat ihn auch der Umgang mit den Körperbehinderten aus der Evangelischen Stiftung Volmarstein, mit denen er schon als Kind im Sandkasten gespielt habe.
    Heute gehört Schmidt dem Aufsichtsrat dieser Stiftung an — nur eine von vielen Aktivitäten, die Schmidts soziales Engagement belegen. So ist er beispielsweise Landesvorsitzender der Lebenshilfe e.V. und gehört dem Vorstand des Diakonischen Werks NRW an. Im Landtag prägte er 20 Jahre lang die Politik im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit. Zeitweilig saß er auch dem gleichnamigen SPD-Arbeitskreis vor.
    Dass im Zweifel jedoch wirtschaftliches Kalkül vor soziale Erwägungen geht, hat Schmidt schmerzhaft in seinem Wahlkreis erfahren müssen. Die Stilllegung der Hattinger Henrichshütte, für deren Erhalt "wir uns die Sohlen durchdemonstriert haben", oder der vergebliche Kampf um den Erhalt der Firma Mönninghoff und diverser Bergbauzulieferer machten die Grenzen politischer Einflussnahme deutlich. Als Schmidt Landtagsabgeordneter wurde, arbeiteten auf der Henrichshütte noch über 10000 Menschen. Zwar konnte er mithelfen, neue Unternehmen auf dem Areal anzusiedeln, wie er auch bei der Gründung der Privatuni Witten-Herdecke eine wichtige Rolle spielte. Einen Ersatz für die verloren gegangenen Massenarbeitsplätze der Montanindustrie indes können die neuen Jobs nicht bieten.
    Während vielerorts im Ruhrgebiet der Strukturwandel jedoch auch mit einem Verlust der Bindungskraft der SPD einhergeht, genießt sie in Schmidts Wahlkreis nahezu ungebrochenes Vertrauen. Bei der Wahl im Mai gewann Schmidt erneut das Direktmandat: mit 52,5 Prozent lag sein Ergebnis nur unwesentlich unter dem der vorherigen Wahl — sicher mit ein Beleg dafür, dass er, der sich selbst als "traditionalistischen Sozialdemokraten'' bezeichnet, auch als Landtagspräsident den Kontakt zu den Menschen vor Ort nicht verloren hat.
    In der neuen Legislaturperiode stellt sich Schmidt darauf ein, dass es im Landtagspräsidium nun etwas "bunter" zugehen wird. Mit dem Wiedereinzug der FDP hat er nicht nur einen Stellvertreter mehr als bisher — überdies tauschten CDU und GRÜNE die von ihnen gestellten Vizepräsidenten aus.
    Zu den Vorhaben, die Schmidt in der neuen Amtsperiode anpacken will, zählt eine Anhebung und Neuregelung der Abgeordnetendiäten — ein in der Öffentlichkeit eher unpopuläres Thema, nach Schmidts Ansicht aber unumgänglich. Die Bezüge der nordrhein-westfälischen Parlamentarier bewegten sich im bundesweiten Vergleich "im unteren Drittel". Damit seien gute Leute "nicht hinter dem Ofen hervorzulocken". Das Thema sei daher auch eine Frage der Qualität der parlamentarischen Arbeit. Sie zu verbessern, ist Schmidt ein wichtiges Anliegen. Die "ritualisierten Beschimpfungen" im Plenum zum Beispiel, die nichts mit argumentativen Schlagabtauschen zu tun hätten, möchte er gerne eindämmen.
    Ein gutes und selbstbewusstes Landesparlament ist für Schmidt kein Selbstzweck, sondern notwendig, um der Verlagerung von immer mehr Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund und die EU zu begegnen. Ganz abgesehen davon, dass der Landtag als "erste Gewalt im Land" seine Interessen auch wirkungsvoll gegenüber der Regierung zu vertreten habe.
    Roland Kirbach

    ID: LIN04541

  • Porträt der Woche: Heinz Hardt (CDU).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 9 - 18.05.2000

    Der Begriff ist etwas aus der Mode gekommen, für Heinz Hardt ist er wie geschaffen: Ein Herr. Akkurat sieht es in seinem Landtagsbüro aus:- Hellgraues und Mittelgraues dominieren bei Sitzmöbeln, Schreibtisch, Sideboard. Leidlich moderne Drucke unterbrechen das Wandgrau, eine nüchtern elegante Stehlampe komplettiert ein funktionales Ambiente, in dem es sichtbar an Büro- Schnickschnack fehlt. Und dann der passende Herr zum Raum. Das Äußere tipptopp: Dunkles Jackett, dunkle Hose, dunkles Hemd, schwarz-weiß gepunkteter Binder, blank geputztes Schuhwerk. Hardt trägt den Trauring rechts, am linken Ringfinger sitzt ein Lapislazuli, goldgefasst. Der gleiche blaue Stein ist auch in den dezenten Manschettenknöpfen verarbeitet.
    Wenn Heinz Hardt, der schon sechs Mal zum Parlamentarischen Geschäftsführer seiner CDU-Fraktion gewählt wurde und seit dreißig Jahren im Landtag wirkt, im Schreibtischsessel mit der hohen Cheflehne sitzt, hat er ein kleines Kreuz im Rücken. Es ist ein Geschenk von Mitarbeitern zum 50. Geburtstag. Der liegt dreizehn Jahre zurück. Das kleine Kreuz mit dem bayrischen Bergkristall in der Mitte weist auf Hardts geistig-moralisches Koordinatensystem. Wie sein politisches Vorbild Heinrich Köppler entstammt der Düsseldorfer ("in der 3. Generation") der katholischen Jugendbewegung. Hardt war in seiner Heimatstadt nicht nur Ratsmitglied und Bürgermeister, sondern auch Pfarrjugend- und Dekanatsführer. Sein christlich-katholischer Kompass führt ihn durchs Leben. Es gab starke Vorprägungen durch das Elternhaus. Mit seiner Frau lebt Hardt schon 40 Ehejahre zusammen. Die drei Söhne sind inzwischen verheiratet, bürgerlich situiert und in der CDU wie die Eltern. Es gibt vier Enkel.
    Wer den Bürger und Politiker Heinz Hardt erlebt, denkt an Hannelore Kohls Worte über ihren Ehegatten: "Wer ihn einmal hat, hat ihn lange." Hardt ist treu zu Menschen, Überzeugungen und Urlaubszielen. 67 Mal war die Familie seit 1970 sommers und winters im oberbayerischen Mittenwald. Zuletzt hatten sich dort in der herrlichen Karwendel-Gebirgswelt zum Jahreswechsel Vater, Mutter, Söhne, Schwiegertöchter und Enkelkinder versammelt. Gut, die Hardts waren auch vor kurzem einmal auf Capri, Sizilien haben sie ebenfalls gesehen, jedoch: "Diese Auswüchse haben uns Mittenwald nicht leid werden lassen. Das ist unser ruhender Pol." Im schneesicheren Winter fährt Heinz Hardt dort Ski (Langlauf). Im Sommer macht er stramme Höhenwanderungen, Kraxeleien sind passé.
    Zum Thema Treue gegenüber Personen: Auf dem Sideboard gegenüber dem Schreibtisch steht ein Foto von Helmut Kohl mit Widmung. Daneben ist ein kleines Bild zu sehen, das Hardt mit Bernhard Worms zeigt. Und über allem hat Konrad Adenauer sein prüfendes Augenpaar. Der CDU-Urahn dominiert die Wand, auf die Hardt vom Arbeitssessel schaut. "Der Kohl bleibt da stehen." Der Satz kommt trotzig, aus tiefer Überzeugung. Hardt kündigt niemandem schnell die einmal geschenkte Treue auf. Natürlich habe ihn die Finanzaffäre einiger aus den oberen Etagen der CDU bedrückt; die hessische Erfindung toter jüdischer Erblasser nennt er scharf "perfide", das habe ihn beschämt. Dennoch: Er bewahrt ein Grundvertrauen zur historischen Persönlichkeit Kohl, und vor allem: zur, Idee der CDU als einer Partei der bürgerlichen Mitte: "Zusammen mit der CSU haben wir fast eine Million Unions-Mitglieder, die allermeisten sind redliche Leute, ehrenamtlich politisch aktiv, die kann man doch wegen der Affäre nicht gleich mit versenken." Schließlich: Er und andere Parteifreunde seien in die CDU eingetreten, weil sie Worte wie Freiheit, Toleranz und christliches Gedankengut verkörpere: "Diese Werte bestehen heute noch."
    Hardt fand am 13. August 1961 zur CDU. SED-Chef Walter Ulbricht ließ in Berlin die Mauer hochziehen. Durch den jungen Hardt ging ein Ruck: Jetzt müsse man sich zu diesem Staat Bundesrepublik bekennen, aktiv politisch mitmachen, so habe er damals gedacht. Wegen der familiären Prägung kam als Partei nur die Christlich-Demokratische Union in Frage: Düsseldorf ist seine erste Heimat, Mittenwald die zweite, die CDU ist ihm politische Heimat. Das dürfte bei diesem Beständigen so bleiben bis zum letzten Atemzug.
    Hardt macht im Gespräch nicht nur den Eindruck eines stetigen Arbeiters im Weinberg des Herrn, er hat auch etwas Skeptisch-Spöttisches im Blick. Als alter Hase in der Politik lässt er sich kein X mehr für ein U vormachen. Er ist ein höflich zurückhaltender Mensch, aber gewiss wird er insgeheim mehrfach am Tag denken: "Komm Jong, erzähl' mir nix." Als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Parlamentsfraktion ging es ihm darum, die Gemeinschaft von 89 Individualitäten politisch-menschlich zusammenzuhalten. Er empfinde zwei Loyalitäten, zum Fraktionschef als der Nummer eins und zur Fraktion. Der "Parlamentarische" müsse abwägen zwischen dem jeweiligen Interesse des Abgeordneten und demjenigen, der Fraktion. Hardt führt dazu viele Gespräche, versucht, seiner soliden Art treu zu bleiben. Man müsse als Politiker kalkulierbar bleiben, dürfe nicht hinterrücks agieren. Auf die Frage, ob er es auch schon mal krachen lasse im politischen Tagesgeschäft, sagt der 63-jährige Rheinländer: "Wenn es sein muss, dann kracht et eben, dann is' et halt so."
    Hardt ruht spürbar in sich. Von ihm geht Unerschütterlichkeit aus. Er bezeichnet sich als einen Familienmenschen, der abends gerne durch die eigene Haustür geht. Die familiäre Geborgenheit ist ihm wichtig. Das ist ein Grund dafür, warum er nie ernsthaft in der Bundespolitik mitmischen wollte. Ihm missfiel die Vorstellung, die Werktage in Bonn zu sein und der Ehefrau daheim die Erziehung der drei Kinder zu überlassen. Im Übrigen: Landespolitik lasse vergleichsweise mehr Spielraum für eigene Gestaltung. Als ausgewiesener Verkehrspolitiker hat Hardt in drei Jahrzehnten manch wichtiges Projekt mit auf den langen Weg gebracht: Als Beispiel nennt er selbst sein frühes Engagement für den Bau der A 44 am Düsseldorfer Flughafen.
    Hardt ist ein emsiger Politiker, mit Ehrenämtern -bei der Verkehrswacht, im Krankenhauswesen oder bei den Schützen. Die Termine liegen dicht beieinander. Nur jeder fünfte Sonntag ist nach seinen Worten terminfrei. Der Christdemokrat beklagt das nicht. Er hat sich nun einmal für den Weg des Berufspolitikers entschieden. 1970 gab es bei dem städtischen Ingenieur für Heizung, Lüftung und Klima die Überlegung, sich mit einem Partner selbstständig zu machen. Aber der Bürgerlich-Konservative mit dem rheinischfriderizianischen Motto "Jeder soll nach seiner Facon selig werden" entschied sich seinerzeit für "Ganz oder gar nicht". Also dann: Sprung in die offenen Arme der Politik. Sie lässt ihn seither nicht mehr los.
    Reinhold Michels

    ID: LIN04593

  • Porträt der Woche: Klaus-Dieter Völker (CDU).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 8 - 18.04.2000

    Die Streitkultur im Landtag lässt in den letzten Jahren sehr zu wünschen übrig", bedauert Klaus-Dieter Völker. Der CDU-Abgeordnete, der 1970 zum ersten Mal mit einem Direktmandat in das Düsseldorfer Parlament einzog, und seither mit Unterbrechungen immer wieder dem Landtag angehörte, sieht auch keine Chance für eine Besserung der Lage. Oft würden die guten Leute von den Parteien gar nicht aufgestellt, klagt Völker. Mit Bedauern und einer gewissen Resignation stellt der Christdemokrat fest: "Ich habe den Eindruck, dass wir es zunehmend mit einem Parlament der Technokraten zu tun haben werden." Harsche Kritik übt Völker, der 1995 den Einzug in den Landtag verpasste und erst im Herbst letzten Jahres für die in das Europaparlament gewählte CDU-Abgeordnete Ruth Hieronymi wieder in den Landtag nachrückte, auch an der Arbeitsweise des Parlaments. "Sie können keinem Bürger mehr vermitteln, warum der Plenarsaal seinen Namen Plenum hat. Da sind doch kaum noch Abgeordnete zu sehen. Die sitzen in Ausschüssen und Arbeitskreisen oder jagen von Termin zu Termin, um ihre Daseinsberechtigung unter Beweis zu stellen", rügt Völker. Nach seinen Beobachtungen und Erfahrungen während der letzten Monate vor Schluss der 12. Legislaturperiode wünscht der CDU-Mann dem Düsseldorfer Landtag dringend eine Änderung im Parlamentsalltag.
    Nach Auffassung des Christdemokraten, der aus Altersgründen nicht mehr für den nächsten Landtag kandidiert, wäre ein Regierungswechsel für alle Fraktionen heilsam. SPD- und GRÜNE Abgeordnete würden wieder lernen, was es heißt, Parlamentarier und nicht der verlängerte Arm der Regierung zu sein, und die CDU-Abgeordneten, die nun über 30 Jahre auf der Oppositionsbank gesessen hätten, würden wieder einmal die praktische Erfahrung machen, was es heißt, Verantwortung für das Land zu tragen. Völker: "Da würde sich dann im parlamentarischen Umgang einiges verändern, und man würde wieder mehr Verständnis für die Situation der jeweils anderen Seite haben, was zurzeit völlig fehlt."
    Der am 30. Dezember 1937 im rheinischen Haan geborene, bodenständige Völker lernte als junger Mann Seidenweber und schütte, als die Textilbranche ins Trudeln geriet, auf Banker um. Als Prokurist für das Firmenkundengeschäft in einer großen Bank ist der verheiratete Vater von zwei Kindern noch immer aktiv. Zur Politik kam Völker, der schon früh im Betriebsrat seiner Seidenfirma mitgearbeitet hatte, über einen Arbeitskollegen, der bei der CDU war. Der schickte ihm ein Parteiprogramm. Völker las es. Dann ließ er sich die Programme von anderen Parteien kommen und verglich. Den Ausschlag für die CDU gab die Tatsache, dass die örtlichen Christdemokraten ihm die Möglichkeit gaben, an einer Fraktionssitzung teilzunehmen. "Das hat mir so viel Freude gemacht, dass ich gesagt habe: Da mache ich mit."
    Tatsächlich wurde er schon kurz darauf als Kandidat für den Stadtverband aufgestellt und zog 1964 mit sieben Stimmen Vorsprung vor dem SPD-Kandidaten in den Rat von Haan ein. Seine erste Landtagskandidatur war eher ein Zufallsprodukt. Weil der ursprüngliche Kandidat — übrigens derselbe, der ihn in die CDU geholt hatte — wegen einer beruflichen Kandidatur nicht antreten konnte, wurde Völker ins Rennen geschickt. 1970 zog er zum ersten Mal in den Landtag ein. Es folgten zwei Legislaturperioden mit viel Einsatz in den Bereichen Arbeit und Soziales und einem ständig steigenden Engagement für die Verwaltungsreform. Dann kamen zehn Jahre Pause, weil Völker nicht wiedergewählt wurde und der Listenplatz nicht zog. In dieser landtagslosen Zeit verstärkte Völker seine Arbeit in der Kommunalpolitik. Seit 1973 ist er ununterbrochen CDU-Fraktionsvorsitzender im Kreistag von Mettmann. 1990 gelang ihm über die Landesliste erneut der Sprung in den Düsseldorfer Landtag. Schon damals hatte er an den Mitkollegen so einiges zu bekritteln. Die Fraktion schickte ihn ins Landtagspräsidium. Doch das Amt brachte nicht den erhofften politischen Einfluss.
    Nach 1995 war dann erst einmal wieder Schluss mit dem Abgeordnetendasein. Jetzt als Nachrücker ist Völker im Hauptausschuss gelandet, in den er schon gerne 1990 eingezogen wäre. "Mein Herz hängt an dieser Arbeit", sagt der gelernte Seidenweber, weil man da wirklich noch etwas entscheiden könne. Vorbereitet werden hier so brisante Themen wie die geplante Verkleinerung des Landtags. Doch dafür will der CDU-Mann nicht mehr kämpfen. Ab Mai 2000 beginnt endgültig die landtagslose Zeit. Er bleibt CDU-Fraktionsvorsitzender im Kreistag von Mettmann und macht auch seinen Job als Banker bis zum 65. Lebensjahr. Dann habe er 50 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt, sagt der Landtagsabgeordnete Völker und bilanziert: "Damit habe ich meine Pflicht als Staatsbürger getan."
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN04638

  • Porträt der Woche: Annelies Böcker (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 11.04.2000

    Das Verständnis vom Abgeordnetenmandat im nordrhein-westfälischen Landtag beschäftigt Annelies Böcker in besonderer Weise. "Ich bin ja erst sehr kurz dabei", sagt die Düsseldorfer CDU- Abgeordnete ein wenig vorsichtig. Doch sie meint "Im Vergleich zur kommunalen Politik wirkt der Landtag wie ein Raumschiff." Sie vermisst mehr Eigenverantwortung der einzelnen Landtagsmitglieder und hinter oft abstrakten Formulierungen den konkreten Bezug zu Problemen der Bürger.
    Annelies Böcker weiß, wovon sie redet — sie ist nach den Kommunalwahlen am 12. September 1999 von der Reserveliste für einen CDU-Kollegen nachgerückt, der zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt wurde und deshalb aus dem Landesparlament ausschied. Mit einer Ausnahmeregelung ihrer Kreispartei darf sie ihre Mandate im Stadtrat und in der Bezirksvertretung für die Düsseldorfer Innenstadt beibehalten. 1975 ist sie dort zum ersten Mal gewählt worden. "Ich sehe, wie günstig es ist, Erfahrungen auf verschiedenen politischen Ebenen zu haben."
    "Im Landtag wird alles gegen die CDU- Opposition beschlossen", stellt Frau Böcker fest. Dabei werde oft nicht mit einer Auszählung der Stimmen entschieden, sondern die Mehrheit der Koalitionsparteien SPD und GRÜNE kurzerhand unterstellt. "Auch wenn der Saal leer ist, hat Rot-GRÜN die Mehrheit." Dies spiele sich in den Ausschüssen so ähnlich ab. "Gemeinsamkeiten, wie sie in der Kommunalpolitik vorkommen, scheint es im Landtag nicht zu geben." Eine Anwesenheitspflicht wie im Stadtrat mit seinen ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern gebe es trotz der Bezahlung der Abgeordnetentätigkeit im Landtag nicht. "Das bewirkt ein anderes Verständnis der Mandatsausübung." Weil es bei Abstimmungen durch die Abwesenheit von Abgeordneten keine Überraschungen gebe, bestehe für das einzelne Landtagsmitglied ein starres Verfahren. "Das Parlament verliert so an Lebendigkeit." Eine spontane Äußerung sei für den Abgeordneten gar nicht möglich. Viele drängten sich auch überhaupt nicht, im Landesparlament etwas zu sagen. Eine stärkere Rechenschaftslegung des einzelnen Abgeordneten im Wahlkreis könnte nach Ansicht von Annelies Böcker die Trennung vom Bürger überbrücken helfen.
    Die CDU-Abgeordnete und Kauffrau ist in Innsbruck/Tirol geboren, wo sie auch als kaufmännische Geschäftsführerin eines Unternehmens mit 40 Beschäftigten gearbeitet hat. Durch ihre Heirat ist sie nach Düsseldorf gekommen. Sie hat einen Sohn und eine Tochter. Vor zehn Jahren ist sie im Versicherungswesen wieder berufstätig geworden. Doch die Verbindungen zu ihrer Heimatstadt und ihrem Elternhaus sind nicht abgerissen. "Da haben wir immer unsere Bleibe." Mehrfach im Jahr fährt die Skifahrerin und passionierte Bergsteigerin nach Tirol. Sie fasst das zusammen: "Ich bin eine EU-Bürgerin."
    Im Landtag ist sie ordentliches Mitglied im Ausschuss für Innere Verwaltung. Für ihre Arbeit sind aber außerdem die Ausschüsse für Verkehr, Wirtschaft und Europa ihre "Neigungsausschüsse". Sie findet, dass sie dort auch als stellvertretendes Mitglied zum Zuge kommt. Wenn der Blick der Landtagsabgeordneten auf die Kommunen fällt, so kann sie nicht billigen, dass die Landesregierung die Städte und Gemeinden am goldenen Zügel hält und bei den anstehenden Verwaltungsreformen noch ihre Durchgriffsrechte dorthin stärken will. "Die dezentrale Verantwortung, das hat doch Deutschland groß gemacht." Deshalb tritt sie für eine Stärkung der Rechte und Eigenverantwortung der Kommunen ein.
    "Besonders am Herzen liegt mir, dass die Bürger in Entscheidungsprozessen mehr Einfluss und mehr Möglichkeiten haben", betont Annelies Böcker. Eine Abschottung der Politik von den Bürgern und damit das Entstehen einer politischen Kaste sei gefährlich. Eine Beteiligung an Entscheidungen werde allein dann ermöglicht, wenn der Bürger nicht das Gefühl habe: Die Politiker tun doch, was sie wollen. "Es muss sich viel ändern", fügt die energische Abgeordnete hinzu. "Wenn wir ein modernes Land bleiben wollen, müssen Strukturen — nicht zuletzt in den Parteien selbst — verändert werden."
    Peter Weigert

    ID: LIN04682

  • Porträt der Woche: Richard Blömer (CDU).
    Porträt
    S. 14 in Ausgabe 6 - 28.03.2000

    Auf seine Wahlheimatstadt Köln lässt Richard Blömer nichts kommen. Er liebt die Menschen dort und schätzt die "lockere und liberale" Atmosphäre der Metropole am Rhein. Seit 1967 lebt der Christdemokrat in Köln. Richard Blömer ist ein gebürtiges Nordlicht, er stammt aus Vechta in Südoldenburg. Als es seine Frau zum Studium nach Bonn verschlug, folgte er ihr an den Rhein. Richard Blömer hat an der Pädagogischen Hochschule in Köln Deutsch, Geschichte und Sport studiert und danach zehn Jahre lang an Kölner Schulen unterrichtet.
    1981 stieß er zur Jakob-Kaiser-Stiftung in Köln/Königswinter, wo er zunächst als Bildungsreferent arbeitete. Drei Jahre später wurde er Geschäftsführer der Stiftung, die sich um deutschlandpolitische Bildungsarbeit kümmert. Seit 1994 leitet Richard Blömer auch die Geschäfte der Stiftung in Weimar. Das Motto Jakob Kaisers "Wir haben Brücke zu sein" gilt auch für Richard Blömers Arbeit bei der Stiftung: Deutsche aus Ost und West zusammenbringen, für gegenseitiges Verständnis werben und auch verstärkt europapolitische Akzente setzen durch Weiterbildungsmaßnahmen in Polen und Russland, das liegt ihm am Herzen. Den Tag der Maueröffnung konnte Richard Blömer in Berlin erleben — ein purer Zufall. Er war dort auf einem Kongress, als die Meldung über die Grenzöffnung kam. Sofort eilte er zur Mauer, und nicht nur das: "Ich stand auf der Mauer, für mich eine ergreifende Situation."
    In die CDU trat Richard Blömer 1969 ein. Die Bildung der sozialliberalen Koalition in Bonn war für den damals 25-Jährigen der Anstoß, sich endlich auch parteipolitisch zu engagieren. Politisch interessiert war Blömer schon vorher. Er stammt aus einem konservativ geprägten Elternhaus und erinnert sich noch gut an die lebhaften Diskussionen über Politik mit seinem Vater und den vier Geschwistern. Als Richard Blömer zum CDU-Ortsverein in Köln-Lindenthal stieß, war er dort das "Küken". Doch das änderte sich schnell. Er leitete den Bundestagswahlkampf 1972, und auch wenn die Wahl für die CDU verlorenging, war das eine gute Zeit für Richard Blömer, denn "in dieser Zeit bat sich ein sehr aktiver Kreis von Menschen zusammengefunden". Aus dem "Küken" von einst ist inzwischen ein "Urgestein" der CDU in Köln-Lindenthal geworden: In zwei Jahren kann Richard Blömer sein 30jähriges Jubiläum als Vorsitzender des Ortsvereins feiern. Seit 1998 ist er Vorsitzender des CDU-Kreisvorstandes.
    1994 kam Richard Blömer als Nachrücker in den Landtag, ein Jahr später bei der Landtagswahl zog er in direkter Wahl ein. Da er sich schon als Stadtverordneter in Köln intensiv mit Kulturpolitik befasst hatte, wurde er sofort kulturpolitischer Sprecher der CDU im Landtag und Mitglied im Kulturausschuss. Richard Blömer sitzt aber auch im Frauenausschuss des Landtags. Die Diskussionen dort verfolgt er "mit Gelassenheit". Sein Hauptengagement gilt dem Kulturausschuss. "Auch in der Opposition kann man viel erreichen, wenn man immer wieder die Initiative ergreift und Themen auf den Tisch bringt", hat Blömer testgestellt. Die Förderung der Laienmusik zum Beispiel habe die CDU immer wieder thematisiert, bis die Landesregierung das Thema aufgegriffen habe, so Richard Blömer. Die Landeskulturpolitik muss sich neu definieren, fordert der 56-Jährige: "In einer Zeit, in der manche Kommunen dazu neigen, die kulturellen Aufgaben zu reduzieren, muss das Land stärker eine Signalfunktion übernehmen, muss Kultur stärker fördern, um zu zeigen, wie wichtig kulturelle Projekte sind." Kulturförderung — das bedeutet für Richard Blömer auch die Unterstützung der freien Kulturträger. Mit dem Kulturausschuss ist er deshalb viel unterwegs, um sich ein Bild von der Vielfalt der Kulturszene im Land zu machen. Richard Blömer ist ein aktiver Mensch, er braucht nur wenig Schlaf: "Ich stehe früh auf und gehe spät zu Bett." Stößt er bei seiner Arbeit bei anderen Menschen auf Lethargie und Inaktivität, kann ihn das manchmal auf die Palme bringen, "dann neige ich dazu, die Dinge in eigener Regie durchzusetzen".
    Richard Blömer wird wieder für den Landtag kandidieren und will seinen Wahlkreis direkt gewinnen. Im Wahlkampf wird er von Haus zu Haus gehen und mit den Bürgern sprechen. Für ihn ist das keine Strapaze, im Gegenteil, darauf freut er sich schon.
    In seiner Freizeit unternimmt Richard Blömer gerne ausgedehnte Radtouren mit seiner Frau. Im Sommer geht es dann zum Wandern, am liebsten auf Entdeckungsreise in Deutschlands Osten. Wenn ihm genug Zeit bleibt, stellt sich Richard Blömer gerne an den Herd und kocht. Seine Kochleidenschaft hat während der Studentenzeit begonnen — mit dem Verfeinern von Dosensuppen für seine Frau. Heute kocht er gerne italienisch oder französisch, und da sein Sternzeichen Jungfrau ist, verlässt Richard Blömer sich gerne aufs Rezept. aber "manchmal geht dann doch die Phantasie mit mir durch!
    Ulrike Coqui

    ID: LIN04714

  • Porträt der Woche: Hannelore Ludwig (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 6 - 28.03.2000

    Stand das letzte Jahr des abgelaufenen Jahrtausends mit zwei persönlichen Jubiläen — der Feier des 50. Geburtstags und der Ehrung anlässlich 25-jähriger Mitgliedschaft in der SPD — auch im Zeichen des Rückblicks und der Erinnerung, so schaut die SPD- Landtagsabgeordnete Hannelore Ludwig zu Beginn des Jahres 2000 entschlossen nach vorn. Fest hat sie ihr wichtigstes Ziel in diesem Jahr im Blick: den erneuten Einzug in den Landtag Nordrhein-Westfalen. Trotz der wenig versprechenden Platzierung auf der SPD-Landesliste, ist sie entschlossen zu kämpfen und den direkten Einzug in den Landtag zu schaffen. Ein schwieriges Unterfangen in einem so "schwarzen" Wahlbezirk wie dem Kreis Höxter in Ostwestfalen. "Es gelingt uns nur mühsam, die festgefahrenen konservativen Strukturen aufzubrechen", gibt Hannelore Ludwig zu. "Aber möglich ist es!" Davon ist die zierliche Persönlichkeit überzeugt, die ihren Mut schon so oft in scheinbar aussichtslosen Wahlkämpfen ihrer Heimatregion unter Beweis gestellt hat. Die Menschen sind offener geworden und schauen sich die Politiker und Politikerinnen, die ihre Interessen vertreten sollen, viel genauer an, ohne dabei nur auf die Partei färben zu achten", so Hannelore Ludwigs Erfahrung.
    Man traut es ihr zu, auch dieses Ziel zu erreichen. Denn wer sie kennt, weiß, dass die Sozialdemokratin ihre persönlichen Erfolge weitgehend ihrer eigenen Kraft und Bereitschaft sich einzusetzen, vieles zu unternehmen und auf sich zu nehmen und der Fähigkeit, sich selbst immer wieder neu zu motivieren, zu verdanken hat. Sei es beruflich als Lehrerin an der Realschule Warburg, politisch als engagierte Landes- und Kommunalpolitikerin wie auch privat als sportliche und vielseitig interessierte Persönlichkeit. Mit der gleichen Konsequenz, mit der Hannelore Ludwig ihrer politischen Überzeugung folgt, gestaltet sie auch ihr Privatleben. Auch wenn die Zeit durch die vielfältigen landespolitischen Aufgaben knapp geworden ist, sieht man sie oft im Warburger Waldschwimmbad in aller Herrgottsfrühe ihre Bahnen ziehen. 1 000 Meter gelten als das Minimum. So hält sich die jung gebliebene 50-Jährige fit, die es genießt, nach der sportlichen Leistung frisch und gestärkt in den neuen Tag zu starten.
    Wenn es die Zeit zulässt, liest sie sich quer durch die zeitgenössische Literatur. Auch auf der Fahrt in den Urlaub, wo es sie immer wieder nach Frankreich zieht, hat sie garantiert einen Koffer voller Bücher im Gepäck. Ihre romantische Ader lebt sie besonders gern beim Radeln durch die blühende Lavendellandschaft der Provence aus. Getrocknete Sträuße ihrer duftenden Lieblingsblumen erinnern sie zu Hause an den letzten Urlaub und wecken die Vorfreude auf den nächsten.
    In der Zwischenzeit fordert sie die politische Tätigkeit im Landtag, im Rat der Stadt Warburg und in der SPD, für deren Ziele sie sich aus Überzeugung einsetzt. Ungebrochen sind ihr Gerechtigkeitssinn und das Verantwortungsgefühl für die Schwachen in der Gesellschaft. Diese Eigenschaften haben sie einst zur SPD geführt und sind bis heute die Triebfeder ihres Handelns. "Wir leben nun einmal nicht in einer heilen Welt, aber es tut gut, dazu beizutragen, sie in Teilbereichen menschlicher zu gestalten", sagt Hannelore Ludwig.
    Offen und sensibel für Zwischentöne geht sie auf ihre Mitmenschen zu, hört ihnen zu und bemüht sich in Problemfällen Lösungen zu finden. Aber auch in Zeiten stärkster Anforderungen sucht sie stets den Ausgleich, der ihr zu einem klaren Kopf, zu Ruhe und Gelassenheit verhilft. Dann geht es auf zur Kanufahrt auf der Diemel, zur Radtour durch das Warburger Land oder zum Segelflugplatz, wo sie das Hobby von Ehemann Reinhard Ludwig teilt. Ein wichtiges Stück Lebensqualität bedeutet für Hannelore Ludwig besonders auch der Austausch mit der Familie und guten Freunden. Gern lädt sie sich Gäste ein, die die Hobbyköchin kulinarisch verwöhnt.
    Roswitha Hoffmann-Wittenburg

    ID: LIN04722

  • Porträt der Woche: Rüdiger Sagel (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 21.03.2000

    Die wenigsten Mittvierziger können sagen, sie hätten die Welt gesehen. Rüdiger Sagel kann das: Südamerika, Mittelamerika, die Vereinigten Staaten, Tibet, Nepal, Südostasien, Australien, Neuseeland, Nordafrika. Überall war er, an manchen Orten gar mehr als ein Jahr. Es fehlen nur Nord- und Südpol sowie das südliche Afrika auf dem individuellen Reiseatlas. Dennoch ist der Diplom-Ingenieur für Bergbauwesen nicht der Typ des Weltenbummlers, den es, wenn überhaupt, nur kurz zu Hause hält. Sagel bekennt, er fühle sich besonders dem Ruhrgebiet verbunden. Auf die Frage, ob er sich auch vorstellen könne, Bundestagsabgeordneter zu sein, antwortet er mit "eher nein". Das hänge auch mit Berlin zusammen. Er sei doch zu sehr Nordrhein- Westfale.
    Die Sagel-Familie stammt aus Lünen bei Dortmund. Der schlanke Mann, der regelmäßig ein Fitnessstudio aufsucht und leidenschaftlich radelt, hat aufgehört, aktiv Fußball zu spielen. Stattdessen versäumt er kein Heimspiel des BVB. Sagel ist Dauerkartenbesitzer, ein Grund mehr, die heimische Ruhrpott-Scholle nicht aus den Augen zu verlieren.
    Die vielen Auslandserfahrungen waren familiär bedingt, und sie hatten etwas mit der politischen Einstellung des GRÜNEN zu tun, der im März 1998 als Nachrücker in den Landtag kam. Der Vater hat zwölf Jahre in der Fremde gearbeitet. Zwei Jahre lebte die Familie im indischen Rourkela. Rüdiger Sagel besuchte dort eine damals existierende deutsche Schule. Von Algerien aus bereisten Vater und Sohn Saget mit dem VW-Bus wochenlang die Sahara. Rüdiger Sagels Trip nach Nicaragua zur Zeit der Sandinisten hatte politische Gründe, ebenso die Regenwald- und Staudamm-Inspektionen in Brasilien. Die Suche der Sandinisten nach einem so genannten dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus sei ihm sympathisch gewesen. Brasilien war aus ökologischen Motiven hochinteressant für den Ingenieur, durch dessen beruflich-politisches Leben sich der Gedanke zieht, wie man ökologisch wirtschaften bzw. produktorientierten Umweltschutz betreiben kann.
    Die Umweltbewegung in Deutschland hat es nach Sagels Meinung schon weiter gebracht als Initiativen anderswo in Europa: "Es ist eine Menge passiert, aber es ist immer noch zu wenig."
    Der politische Aktivismus Sagels begann 1976 mit der Aufnahme des Ingenieur- Studiums in Aachen. Es bildete sich die Anti- Atombewegung, die Anti-Braunkohlebewegung. eine Gruppe, der Saget angehörte, schrieb ein Buch über den rheinischen Braunkohle-Tagebau mit dem Titel: "Die verheizte Heimat." Sagel entwickelte sich zum Wissenschaftler, besser: zum wissenschaftlich, das heißt gründlich und nüchtern prüfenden und argumentierenden Verfasser diverser Studien. 1983 hat er die erste GRÜNEN- Bundestagsfraktion in Bonn wissenschaftlich unterstützt.
    Sagel ist kein GRÜNER der ersten Stunde. Er trat erst 1989, inzwischen beruflich in Münster bei einem Recyclingbetrieb tätig, der dortigen GAL bei. In Münster war er auch im Stadtrat. Nach dem Kommunalwahl-Desaster für Rot-Grün am 13. September 1999 verzichtete Sagel auf die Arbeit im Stadtrat. Er, der Pendler zwischen Münster und dem Düsseldorfer Landtag, fühlt sich voll ausgelastet mit dem Mandat, mit der Rolle als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Fraktion. Er sagt, er gehöre zu keinem Parteiflügel. Sagel zählt zu der Sorte Mensch, die sich ungern vereinnahmen lässt. Er hat etwas vom einzelgängerischen Kopfmenschen, der in allen Lebenslagen frei nach Kant den Mut hat, sich seines Verstandes zu bedienen. Sagel urteilt nicht fix. Er will genau hinschauen. Für und Wider wägen und dann erst seine Meinung sagen, komme sie nun manch strammen Parteisoldaten gelegen oder ungelegen. So jemand muss mit Gegenwind rechnen, wohl auch die Gefahr kalkulieren, auf unsichere Listenplätze bugsiert zu werden. Der freundlich wirkende Münsteraner blickt indessen optimistisch auf die Landtagswahl und seine parlamentarische Zeit danach: "Wenn die GRÜNEN fünf Prozent kriegen, bin ich wieder im Landtag."
    Die Eltern, sozialdemokratisch gesinnte Leute, die im reiferen Alter beruflich umsattelten und Textilgeschäfte in Lünen ihr Eigen nennen, waren nicht angetan von der politischen Regsamkeit des einzigen Kindes. Ein Filius mit Hang zu den GRÜNEN — das war im gewachsenen Sozi-Milieu von Lünen doch sehr irritierend. Rüdiger Sagel ging trotzig seinen eigenen Weg. Noch heute bekennt er, schwer einbindbar zu sein. Verheiratet ist er nicht, Kinder hat er auch keine. Zum Privatleben gehört eine Partnerin, die zwar "grün" eingestellt, jedoch nicht politisch aktiv ist: Der Kontakt zu den Eltern, die aus Lünen weggezogen sind, ist regelmäßig und ungetrübt.
    Er missbilligt roten Filz in Nordrhein-Westfalen, geht zur SPD genauso auf Distanz wie zur CDU NRW. Beide Großparteien sind ihm zu unflexibel, energie- und umweltpolitisch zu wenig visionär und innovativ. Er meint, die GRÜNEN hätten noch eine gewisse visionäre Kraft, auch wenn sie eine etablierte Partei geworden seien.
    Zum Schluss wieder das Reisen durch die Weitgeschichte: Sagels Bedarf an Flugreisen ist gestillt. Nun wählt er die Bahn — ob im Sommer nach Italien oder — das ist schon länger her — die berühmte "Transsibirische".
    Reinhold Michels

    ID: LIN04759

  • Porträt der Woche: Axel Wirtz (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 4 - 29.02.2000

    Für Axel Wirtz sind die "Ehrenamtlichen" in den Vereinen und Organisationen eine unerlässliche Stütze der Gesellschaft. Gäbe es sie nicht, wäre der Staat nach Einschätzung des CDU-Abgeordneten aus Stolberg völlig überfordert. Als Mitglied des Innenausschusses ist es daher sein besonderes Anliegen, das Ehrenamt zu fördern, Anreize zu schaffen.
    Der heute 42-Jährige, der Vorsitzender in mehreren örtlichen Vereinen ist, sieht in ihnen auch einen starken Identifikationsfaktor für den kommunalen Bereich. Und in Anbetracht der weiter zunehmenden Freizeit böten sie sinnvolle Beschäftigungen, ob sportlicher, kultureller oder geselliger Art.
    Wie Axel Wirtz sich für eine stärkere Unterstützung des Ehrenamtes engagiert, so plädiert er auch dafür, dass die Kommunen die Rahmenbedingungen gestalten, wie entsprechende Sportstätten, Bürgerhäuser und kulturelle Einrichtungen, die dann den privaten Initiativen zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie seien fachkompetenter als die öffentlichen Stellen. In diesem Zusammenhang bedauert der Abgeordnete, dass die Städte und Gemeinden dazu neigen, insbesondere hier als erstes die Mittel zu kürzen.
    Der im Oktober letzten Jahres als so genannter "Nachrücker" über die Landesliste in den Landtag gekommene Christdemokrat wurde in Stolberg geboren und besuchte nach der mittleren Reife die Fachhochschule für die öffentliche Verwaltung in Köln, die er als Diplomverwaltungswirt abschloss. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Sozialdezernent bei der Stolberger Stadtverwaltung wechselte er 1981 zur Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule ((RWTH) nach Aachen, wo er bis zu seinem Einzug in das Düsseldorfer Landesparlament als Regierungsamtsrat für Akademische und Studentische Angelegenheiten zuständig war.
    Bereits als 14-Jähriger schloss sich Axel Wirtz der Jungen Union an, zwei Jahre später trat er der CDU bei. Sein Engagement schlug sich dann in mehreren Führungsämtern der Partei nieder. So führte er zehn Jahre lang den Stadtverband Stolberg, war viele Jahre im Kreisvorstand Aachen tätig und ist heute dessen Vorsitzender. Auch gehört er dem Bezirksvorstand Aachen seiner Partei an.
    Bereits 1984 wurde der Christdemokrat in den Rat seiner Heimatstadt gewählt, wo er zeitweilig Vorsitzender der CDU-Fraktion war. Sein Engagement im Rat, dem er noch heute angehört, gilt vor allem dem Schul-, Kultur- und Sportbereich. Seit 1994 auch Mitglied des Kreistages Aachen, widmet er sich vor allem dem Fremdenverkehr.
    Der Tourismus sei besonders wichtig für den nach seiner Einschätzung benachteiligten ländlichen Raum. Bei dessen Förderung fielen enorme Kosten an.
    In diesem Zusammenhang erinnert der Stolberger daran, dass die Talsperren ausschließlich im ländlichen Raum liegen und die Landwirte durch die immer höheren Auflagen bei der Bewirtschaftung ihrer Felder in den Trinkwasserversorgungsgebieten in ihrer Existenz gefährdet seien.
    "Wenige Leute müssen zudem teils immens hohe Abwassergebühren zahlen." Nutznießer dieser Belastungen seien Hunderttausende in den Ballungsgebieten. Daher müsse es einen gerechteren Ausgleich geben, fordert Axel Wirtz.
    Der Vater von zwei Kindern ist mit seiner Heimatregion fest verwurzelt und unermüdlicher Ansprechpartner deren Bewohner. Seinen Urlaub verlebt er als sicherer Skiläufer meist auf den Pisten in Österreich.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN04834

  • Porträt der Woche: Dr. Rolf Hahn (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 15.02.2000

    Wenn im Fernsehen aus dem nordrheinwestfälischen Landtag berichtet wird, und das geschieht in diesen Tagen ja sehr häufig, dann ist neuerdings oft ein zierlicher, älterer Herr im Bild zu sehen, der mit seinem geröteten Gesicht und den etwas krausen weiß-grauen Haaren wirkt, als sei er ganz aus Versehen in diesen Presserummel hineingeraten.
    Der Mann heißt Rolf Hahn und stand als Abgeordneter der CDU bislang nicht gerade im Rampenlicht, zumal er bis vorigen Herbst auch noch Landrat in Bergisch-Gladbach war und sich deshalb seltener in Düsseldorf aufhielt als die meisten seiner Kollegen. Sein Abgeordnetenbüro ist so kahl, dass Hahn darin wirkt, als sei er nur zu Gast. Keine persönlichen Gegenstände finden sich hier, keine Bilder, keine Bücher.
    Dafür stapeln sich jetzt Akten mit der Aufschrift "Sehr eilige Korrektur!" auf seinem Schreibtisch, unablässig klingelt das Telefon, und laufend kommen Mitarbeiter hereingestürmt. Hahn leitet den Untersuchungsausschuss zur so genannten Flugaffäre. Soeben ruft der sächsische Regierungssprecher an und will Näheres zu der Zeugenaussage hören, wonach auch Kurt Biedenkopf einmal auf Kosten der WestLB geflogen sein soll. Der Nachrichtensender n-tv möchte jetzt gleich ein Live-Interview. "Alte Hasen" aus dem Haus hätten ihm gesagt, berichtet Hahn, noch kein Ereignis im Landtag hätte ein solches Medienecho ausgelöst wie dieser Ausschuss.
    Als er sich Ende vorigen Jahres konstituierte, fiel der Vorsitz turnusgemäß an die CDU, und die wählte mit Rolf Hahn einen Mann dafür aus, dessen ganzes Berufsleben aus der Kombination von Politik und Justiz bestand. Der promovierte Jurist Hahn, Jahrgang 1937, arbeitete in seiner Geburtsstadt Köln von 1968 bis zu seinem Einzug in den Landtag 1990 als Staatsanwalt in der politischen Abteilung, zuständig auch für Pressestrafsachen.
    Die 68er-Studentenbewegung erlebte er hautnah mit, gewissermaßen auf der anderen Seite der Barrikade. "Eine Menge Verfahren gegen Studenten" habe er damals einleiten müssen, erzählt er. Schließlich sei es ja schon strafbar gewesen, wenn auf einem Flugblatt das Impressum fehlte. Auch gegen den einen oder anderen Beitrag im WDR sah er sich veranlasst zu ermitteln.
    In den siebziger Jahren, zur Hoch-Zeit des Terrorismus, wurde er als Ermittler mit Sitz in Köln zum Generalbundesanwalt "teilabgeordnet". Als hier 1977 Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer entführt wurde, war Hahn als erster Staatsanwalt am Tatort. Angesichts der exponierten Stellung stand er zeitweise unter Polizeischutz, auch wenn er nicht konkret bedroht wurde. In den achtziger Jahren waren es vor allem die Autonomen sowie die wachsende politisch motivierte Gewalt von Ausländern, die ihn beschäftigten.
    Im Landtag, wo er dem Rechtsausschuss angehört, setzt Hahn sich unter anderem für eine verstärkte Anwendung der beschleunigten Verfahren ein sowie dafür, dass "alle nicht Resozialisierungsfähigen" wirklich sicher verwahrt werden und nicht neue Straftaten begehen können. Als einen Law-and-order-Mann möchte Hahn sich jedoch nicht bezeichnen. Von solchen Etiketten halte er nichts.
    Seinen Weg in die Politik fand Hahn erst spät. Als er der CDU beitrat, war er bereits 41 Jahre alt. Die Gewissheit, stets in seinen Beruf zurückkehren zu können, vermittle ihm große innere Unabhängigkeit, sagt er. Das geht so weit, dass er ein Landtagsmandat nicht annehmen würde, wenn er nur über die Landesliste ins Parlament einziehen würde, ohne in seinem Wahlkreis das Vertrauen der Wähler gewonnen zu haben. Bei der Wahl 1995 holte er in seinem Wahlkreis, dem rheinisch-bergischen Kreis II, das Direktmandat mit über sechs Prozentpunkten Vorsprung.
    Dass er bei der Wahl im Mai wieder vorn liegt, dazu könnte auch die neu gewonnene Publicity beitragen. Ständig werde er jetzt auf seine Bildschirmpräsenz angesprochen. Dabei ist er in Overath bei Bergisch-Gladbach, wo er mit seiner Familie seit Jahrzehnten lebt, ohnehin fest verankert. Hier gehörte er zeitweise dem Gemeinderat und dem Kreistag an, und hier hat Hahn mehrere Ehrenämter inne, etwa den Vorsitz in einem Sportverein, beim Roten Kreuz oder bei der Züchtergemeinschaft. "Die Ehrenamtlichkeit macht unsere Gesellschaft menschlicher", ist er überzeugt.
    Über die Affären in SPD wie CDU scheint Hahn wirklich entsetzt. Dass es soweit kommen konnte, sieht er auch darin begründet, dass vielen Politikern jene innere Unabhängigkeit fehlt, die er für sich reklamiert. Deshalb tritt er dafür ein, Spitzenämter künftig zeitlich zu befristen wie in den USA, wo der Präsident nach zwei Amtsperioden abtreten muss.
    Roland Kirbach

    ID: LIN04904

  • Porträt der Woche: Gisela Lehwald (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 01.02.2000

    Kurzweilig ist es, sich mit Gisela Lehwald zu unterhalten. Die vereinbarte Gesprächszeit vergeht wie im Fluge. Noch eine interessante Information aus ihrem Leben, ein weiterer Gedanke — die Unterredung mit dem fremden Gegenüber, welche die Abgeordnete zunächst vorsichtig tastend begonnen hatte, gewinnt schnell an Schwung und endet später, als es beide Seiten geplant hatten.
    Die SPD-Politikerin vom Geburtsjahrgang 1950 ist noch jung im Landtag. Am 4. Januar 1999 war sie über die Liste nachgerückt. 1990 hatte Gisela Lehwald schon einmal für das Parlament kandidiert. "Aber Sie wissen ja, ich komme aus dem Kreis Olpe, einem rabenschwarzen Landstrich." Dort muss man als Sozialdemokrat gemeinhin auf die Zugkraft der Liste vertrauen. Und so hatte denn damals die junge Frau von Dezember 1994 bis Mai 1995 schon einmal als Nachrückerin Landtagsluft schnuppern können.
    Sie wünscht sich, einmal eine volle Legislaturperiode arbeiten zu können. Ginge es nach ihrem Mann, der zwei Kinder mit in die Ehe gebracht hat, Antiquitäten restauriert und verkauft, wären die Lehwalds schon im Ausland — in Australien zum Beispiel, wohin ein jüngerer Bruder der Lennestädterin ausgewandert ist.
    Aber sie selbst hat noch zuviel Spaß an der Politik, als dass sie dem Wunsch des Angetrauten nach Auszug aus Deutschland nachgäbe. Und wenn überhaupt Auslandsleben, dann würde sie eher im europäischen Ausland siedeln. Gisela Lehwald nennt beispielsweise Frankreich oder Italien. Sie kennt sich aus in so manchen Ecken der Welt. Mit dem VW-Bus war man in Iran, in der Türkei. Auch Australien hat das Ehepaar Lehwald kennengelernt Nordamerika zu besuchen, hat sich die Alt-68erin, die einmal eine aufbegehrende Linke in der SPD war, vorgenommen. Sie sei offen, mögliche Vorurteile abzubauen. Gisela Lehwald wuchs nicht nur in einer konservativ geprägten Gegend Nordrhein-Westfalens auf, auch im Elternhaus biss das junge Mädchen in den Jahren seines politischen Erwachsenwerdens auf Granit. Vor allem beim Vater, der es nicht gerne sah, dass die Tochter gegen die gegebenen Verhältnisse aufbegehrte. Zu acht Geschwistern war man daheim in Meggen, darunter gab es fünf ältere Brüder. Die Männer im Hause genossen eine früher durchaus undiskutierte Vorzugsbehandlung, wenn es um Heimarbeiten rund um Tischdecken, Geschirrspülen et cetera ging. Die junge Gisela, vom politischen Aufbruch Ende der Sechziger stark infiziert und von Willy Brandts Visionen begeistert, lockte wider den väterlich-brüderlichen Stachel.
    Und sie biss sich durch. Sie begann in Bochum ein beispielsweise mit Postaustragen finanziertes Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften. Später legte sie beide Examina fürs höhere Lehramt ab. Studienrätin wurde sie dennoch nie. Die Fächerkombination sei nicht ideal gewesen.
    Gisela aus dem Olper Land war politisch ein wildes Mädel. Ja, man habe geglaubt, die Welt radikal verändern, selbstverständlich verbessern zu können. Die Examensarbeit handelte vom Nord-Süd-Konflikt am Beispiel Nicaraguas. Sie sagt es nicht so, aber man meint den Seufzer doch herauszuhören: Waren das noch bewegte politische Zeiten mit Idealen. Und heute? Natürlich fehle das Begeisternde dieser Jahre ein bisschen. Jetzt müsse politisch viel Kleinkram erledigt werden. Die Zwänge der Ökonomie, besonders im forteilenden Prozess der Globalisierung, nimmt die einst glühende Linke realistisch zur Kenntnis. Allerdings: Die Politik dürfe sich nicht alle Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand nehmen lassen. Käme es dazu, hätte sie keine Lust mehr, sich politisch zu engagieren. Zur Umweltbewegung, um die es längst leiser geworden ist, sagt sie: "Früher, da ging es noch um qualitatives Wachstum, heute heißt es nur Wachstum, Wachstum."
    So einer wie Gisela Lehwald sind die GRÜNEN politisch sympathisch. Ihnen beizutreten, stand nicht zur Debatte, weil sie schon lange bei der SPD (seit 1970) war, als die GRÜNEN erste Gehversuche in der Politik machten.
    Anfangs wurden Gisela Lehwald und ihre Juso-Mitaktivisten besonders auf den Dörfern des Kreises Olpe nicht nur wie Exoten betrachtet. Links und dann noch Frau. Das sei bis hin zu massiven Drohungen gegangen, erinnert sich Gisela Lehwald, die aufmüpfige Tochter eines Steigers und die Enkelin einer Frau, die schon 1915, als die Frauen noch kein Wahlrecht besaßen, zur SPD gegangen war.
    Nachdem es mit der Anstellung als Lehrerin nicht geklappt hatte, verdiente sich die Assessorin ihr Leben mit Volkshochschulkursen in Deutsch, beispielsweise für Ausländer. Auch das Organisieren lernte die Olper Ratsfrau — als Geschäftsführerin des mit 16000 Mitgliedern größten SPD-Unterbezirks Dortmund. In der Ruhrmetropole wurde sie, anders als in der vergleichsweise heilen Olper Welt, schnell mit sozialen Nöten konfrontiert. Am Tag der Kommunalwahlen, dem 12. September, fuhr ihr der Schock in die Glieder. In Dortmund sei die Partei bei der Stichwahl zwar mit einem blauen Auge davongekommen, aber ansonsten: "Ich hätte die Einbrüche so nicht für möglich gehalten."
    Die Politikerin, die zugibt, zuhause keine regelmäßige Köchin zu sein, hat einmal mit dem Journalistenberuf geliebäugelt. Das rege Interesse an geistiger Nahrung befriedigt Frau Lehwald mit der Lektüre nicht nur politischer Bücher. Früher wurde sie sehr beeinflusst von Thomas Mann und Hermann Hesse. Gern liest sie Günter Grass.
    Reinhold Michels

    ID: LIN04944

  • Porträt der Woche: Irene Möllenbeck (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 18.01.2000

    Die Politik im Tower, die Basis außer Sichtweite — von der Vorstellung ist die Sozialdemokratin Irene Möllenbeck weit entfernt. Nahe dran an den Menschen war sie bereits als junges Mädchen durch ihr Engagement in der Katholischen Jugendbewegung (KJG), denn da hieß es Klinken putzen bei den örtlichen Kommunalpolitikern. Leidige Erfahrung schon damals: Dass oft vieles zugesagt und nicht allzuviel gehalten wird.
    Irene Möllenbeck stammt aus Palzem bei Trier und kam als 14-Jährige mit den beiden Brüdern und ihren Eltern nach Emmerich, weil der Vater dort als Zöllner eine neue Aufgabe übernahm. Öffentlicher Dienst bedeutete Sicherheit, und deren Stellenwert wurde auch der Tochter vermittelt. Statt ihren Traumjob als Kunsterzieherin zu verwirklichen, ging Irene Möllenbeck, die mittlere Reife in der Tasche, zur Post. Nach vier Jahren Ausbildung bei der Oberpostdirektion in Düsseldorf kehrte sie 1971 an den Niederrhein zurück. Hier lernte sie ihren Mann kennen, heiratete und wurde schließlich Mutter einer Tochter.
    Damit kam die Politik ins Spiel, denn die junge Mutter wollte nach einer Erziehungspause wieder arbeiten und musste feststellen, dass es in den Kindergärten erstens nicht genug Plätze und zweitens keine passenden Öffnungszeiten gab. Fest entschlossen, das zu ändern, trat Irene Möllenbeck im Herbst 1979 im christdemokratisch regierten Emmerich in die SPD ein, um fortan aktiv mitzugestalten.
    Mit ihrem Hintergrund lag der Schwerpunkt Jugendpolitik auf der Hand. Das frisch gebackene Parteimitglied ging wieder Klinken putzen — diesmal bei den Jugendverbänden — und machte prompt eine weitere, "merkwürdige" Erfahrung: "Die waren ganz erstaunt, dass da auf einmal eine an der Basis erschien, ohne eingeladen zu sein." An den Bedürfnissen derer, die sie vertritt, ganz nahe orientiert zu sein, ist deshalb bis heute ihr Motto geblieben, egal ob als Ratsmitglied (seit 1987) oder als Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt (von 1992 bis 1994). Seit der verloren gegangenen Kommunalwahl im Jahre 1994 führt sie die SPD-Ratsfraktion als Vorsitzende. Im Mai 1995 kandidierte Irene Möllenbeck zum ersten Mal für den Landtag in Düsseldorf, in den sie im Januar 1998 nachrückte.
    Zu wenig Kindergartenplätze und unflexible Öffnungszeiten sind längst Schnee von gestern, doch Jugend, Schule, Kultur, Frauen die Eckpfeiler ihrer Politik geblieben. Über die Frauen kamen die Bereiche Stadtentwicklung und Wirtschaft, über den Landtag die Arbeit im Innen- und im Sportausschuss hinzu. Doch auf welchem Feld auch immer: Wenn sich die Sozialdemokratin reinkniet, dann mit Herz, Engagement und Durchsetzungsvermögen, wohl wissend, dass ihre Schmerzgrenze für Gelassenheit wie für Geduld eng gesteckt ist, ihr Temperament und Anspruch manchen überfordern. Die Fähigkeit, offen auf andere zuzugehen und zuhören zu können, macht sie zu einer gefragten und respektierten Ansprechpartnerin. Dass sie selbst vor unangenehmen Diskussionen keine Angst hat, wissen indes vor allem männliche Mitstreiter nicht immer zu schätzen.
    "Ich kann nicht jedes Problem zur Zufriedenheit aller lösen, aber ich bemühe mich darum", erklärt die Vollblutpolitikerin, die sich immer auch als Lernende sieht. Karriere stand für sie übrigens nie an vorderster Stelle: "Funktionen sind wichtig, um größere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, aber nicht um jeden Preis", sagt die 49-Jährige. Kraft tankt sie zu Hause mit ihrem Lebenspartner, beim Radfahren über den Deich nach Holland, beim Lesen und Reisen. Entspannen kann sie zudem mit Kunst und kulinarischen Genüssen. Ob selbst zubereitet oder nicht, ist dabei zweitrangig. "Hauptsache lecker".
    Gabriele Krafft

    ID: LIN04968

  • Porträt der Woche: Dr. Hans-Ulrich Klose (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 22 - 21.12.1999

    Hans-Ulrich Klose hat eines der schönsten Büros im Düsseldorfer Landtag, mit herrlichem Ausblick auf den Rhein. Wenn man aus den hohen Fenstern schaut, scheint es fast so, als fließe er direkt unter Kloses Schreibtisch hindurch, so nah ist der Strom. Träge und gleichmäßig wälzt er sich dahin, wie ein Sinnbild der Weisheit des Heraklit, wonach "alles fließt", alle Dinge einem ständigen Entstehen und Vergehen unterworfen sind.
    Als Hans-Ulrich Klose 1966 zum ersten Mal für die CDU in den Landtag gewählt wurde, zählte er mit 31 Jahren zu den jüngsten Parlamentariern. Mittlerweile, nach Johannes Raus Abschied aus der Landespolitik, ist er der dienstälteste Abgeordnete — und der einzige, der in den ersten vier Monaten seiner Parlamentarierlaufbahn noch eine CDU-geführte Landesregierung erlebte. Die restlichen 33 Jahre verbrachte er auf den harten Bänken der Opposition.
    "Dreißig Jahre Sozialismus wie in Schweden" hatte der letzte CDU-Ministerpräsident Franz Meyers dem Land nach der Regierungsübernahme durch die SPD prophezeit und wurde von der Wirklichkeit noch übertroffen. Bei der Wahl im kommenden Mai jedoch scheint ein Wahlsieg der CDU erstmals "keine Illusion mehr, sondern realistisch", meint Klose zuversichtlich und schaut auf den breiten, braunen Rhein. Alles fließt...
    Die Kommunalpolitik habe ihm geholfen, die lange Zeit der Opposition im Land zu überstehen, sagt er. Viele Jahre gehörte er dem Gemeinderat seiner Wahlheimatstadt Korschenbroich an, von 1994 bis 1999 war er gar deren Bürgermeister, außerdem sitzt er im Kreistag von Grevenbroich — in beiden Gremien hat CDU die Mehrheit und kann so die Politik bestimmen. Wichtig sind ihm als überzeugten Protestanten auch seine Aufgaben im Evangelischen Arbeitskreis der CDU und als Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland.
    Doch auch als Landtagsabgeordneter habe es "durchaus Erfolgserlebnisse" gegeben. Klose erinnert sich an die Arbeitsgruppe Personalbedarf und Stellenpläne, die unter seinem Vorsitz schon in den siebziger Jahren Sparplane ausarbeitete und vom Bund der Steuerzahler ausgezeichnet wurde.
    Einen Namen machte sich der Jurist Klose vor allem als Rechtspolitiker und zählt sich dabei zu den Reformern, etwa auf dem Gebiet des Strafvollzugs, wo er sich für eine Stärkung der Resozialisierung einsetzte. Er habe sich dabei wenig von der SPD unterschieden, die solche Reformen in Regierungspolitik umsetzte. Gleichwohl bezeichnete er sich als Konservativen, zumal wenn es um "grundsätzliche Fragen" gehe.
    Längst wird Klose nicht mehr als Parteipolitiker wahrgenommen. Schon seit 1982 hat er das Amt des ersten Vizepräsidenten des Landtags inne und fühlt sich seither zur Zurückhaltung verpflichtet. Den politischen Gegner so richtig hart angreifen — "das geht nicht mehr", sagt er. "Ich muß ja das Vertrauen aller Abgeordneten haben." Doch sein distinguierter Habitus, die Ruhe und Nachdenklichkeit, die er ausstrahlt — sie haben nicht nur mit der Würde des Amtes zu tun, sondern auch mit preußischen Tugenden wie Pflichterfüllung und Selbstdisziplin, die den jungen Klose prägten. Seine Wiege stand in der Mark Brandenburg, was sein breiter berlinerischer Dialekt immer noch verrät.
    Klose wohnte in der DDR, konnte aber an der Freien Universität in West-Berlin Jura studieren. Noch vor dem Abitur war er der Ost-CDU beigetreten und pflegte während des Studiums auch Kontakte zur West-CDU. 1956 wurde er wegen der West-Kontakte zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Kein Geringerer als der hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller setzte sich für ihn ein.
    Nach der vorzeitigen Freilassung übersiedelte er nach Korschenbroich und setzte das Jura-Studium in Köln fort. "Das war schon eine andere Welt", sagt er — als preußischer Protestant im katholischen Rheinland. Zum Glück habe damals "gerade die Zeit der Ökumene begonnen", schmunzelt er. Klose fasste rasch Fuß, er promovierte, war einige Jahre als Sozialrichter in Düsseldorf und später als Justitiar für die Apothekerkammer Nordrhein tätig.
    Kommenden März wird Klose 65, doch an Ruhestand mag er nicht denken, auch wenn er beklagt, dass heute in der Politik nicht mehr so ernsthaft und leidenschaftlich wie einst diskutiert werde und die "Ellbogengesellschaft" auch vordem Landtag nicht Halt mache. Zur Landtagswahl im Mai tritt er noch einmal an. Ob er darauf hofft, Landtagspräsident zu werden, sollte die CDU daraus als stärkste Partei hervorgehen ? Darauf möchte er nicht antworten. Draußen fließt immer noch träge und gleichmäßig der Rhein vorbei.
    Roland Kirbach

    ID: LI992237

  • Porträt der Woche: Ulrike Apel-Haefs (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 21 - 15.12.1999

    Sie folgt vor allem ihren Neigungen, ob bei der Wahl ihres Berufes, ob im privaten Bereich oder in der Politik — und sie bewahrte sich bis heute ihre Unabhängigkeit, die ihr die Voraussetzung bietet, vorurteilsfrei und unbeeinflusst politisch zu agieren: Ulrike Apel-Haefs, im Juli dieses Jahres über die SPD-Landesliste für Bundespräsident Johannes Rau in den Landtag nachgerückt.
    Die gebürtige Thüringerin, Jahrgang 1952, die als Sechsjährige mit ihren Eltern aus der ehemaligen DDR nach Mönchengladbach-Rheydt floh, studierte nach dem Abitur Germanistik und Geschichte an der Universität Düsseldorf. "Ich hatte schon in der Schule großen Gefallen an Geschichte." Nach dem 1. Staatsexamen reizte es sie, als wissenschaftliche Mitarbeiterin am dortigen Historischen Institut für Neuzeit die Spuren der Geschichte zu erkunden. Heute unterstützt sie ihren Ehemann in seiner Arztpraxis.
    Zwar sympathisierte die Korschenbroicherin schon in jungen Jahren inhaltlich mit der SPD, doch zu einem Eintritt in die Partei konnte sie sich vorerst nicht entschließen. Erst Anfang der achtziger Jahre, als die damalige sozial-liberale Koalition in Bonn vor ihrem Ende stand, "hatte ich das Gefühl, sie unterstützen zu müssen". Doch sie, die was "bewegen" wollte, frustrierten zunächst die Interna eines Ortsverbandes.
    Als Ulrike Apel-Haefs dann ermuntert wurde, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Korschenbroich zu gründen, nahm sie das Angebot an, auch initiierte sie die Wiedergründung der AsF auf Unterbezirksebene und war deren stellvertretende Vorsitzende.
    Seit 1989 gehört die Sozialdemokratin dem Neusser Kreistag an, wo sie sich, ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechend, insbesondere für den kulturellen Bereich engagiert. Unter ihrer tatkräftigen Mitwirkung wurden beispielsweise mehrere Kultureinrichtungen erweitert und ihnen neue Impulse gegeben, so u.a. das Kulturzentrum Zons, Schloß Dyck und das Landwirtschaftsmuseum in Rommerskirchen- Sinnsteden.
    Eine neue Herausforderung sah Ulrike Apel-Haefs in dem Angebot ihrer Parteifreunde, für die Landtagswahl 1995 im Wahlkreis Neuss IV zu kandidieren. Zwar holten ihn wiederum die Christdemokraten, doch über die Landesliste kam die Korschenbroicherin jetzt doch noch ins Landesparlament. "Daran glaubte ich anfangs nicht."
    Besonders erfreut ist die Abgeordnete darüber, dass ihre Fraktion sie in den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung berief — ein Wunschgremium, wo sie ihre Erfahrungen einbringen kann. Die frühere wissenschaftliche Mitarbeiterin befürwortet entschieden eine größere Autonomie der Hochschulen, um sie fit zu machen für den Wettbewerb. Dazu zähle auch, dass sie sich ihrerseits stärker der Öffentlichkeit öffnen müssten. Nach ihrer Ansicht ist auch ein privates Engagement für die Universitäten erforderlich, "die Bereitschaft dazu besteht grundsätzlich". Die SPD-Landtagsabgeordnete ist natürlich auch am bundespolitischen Geschehen sehr interessiert. So habe sie dem Regierungswechsel im letzten Jahr "viel Optimismus" entgegengebracht. Besonders der Ansatz Schröders, die SPD vermehrt gesellschaftlichen Gruppierungen gegenüber zu öffnen, die bisher nicht zu den traditionellen Wählerschichten der Partei gehörten, habe sie schon lange Zeit für notwendig gehalten. Ihrer Überzeugung nach hat diese Öffnung auch maßgeblich zum SPD-Wahlerfolg beigetragen. Die SPD habe nach ihren Worten den gesellschaftspolitischen Auftrag, Rahmenbedingungen zu schaffen für neue und sichere Arbeitsplätze, für Bildung und Qualifizierung sowie den sozialpolitischen Auftrag, die Absicherung großer Lebensrisiken zu gewährleisten. Für diese Aufgaben müsse sie gerade diejenigen, die in unserer Gesellschaft leistungsfähig seien, im Konsens mit "ins Boot" holen. Gerade kleine und mittelständische Betriebe seien es, mit denen man die Weiterentwicklung des Strukturwandels besonders auch hier in NRW schaffen könne. Das heißt aber auch, so die SPD-Abgeordnete, deren Anliegen ernst zu nehmen, deren Leistung und Erfolg auch anzuerkennen, und sie nicht sofort unter dem Gesichtspunkt der zusätzlichen Mehrbelastung zu betrachten.
    Die Korschenbroicherin weiß, dass diese Ansicht in der SPD nicht unumstritten ist — "dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir nur so den gesamtgesellschaftlichen Konsens erreichen, der für die Bewältigung unserer Probleme erforderlich ist."
    Entspannung findet Ulrike Apel-Haefs beim Klavierspielen, wobei sie die Klassik besonders schätzt, und bei der Lektüre, insbesondere von Biografien. Und schließlich bieten gemeinsame Spaziergänge mit ihrem Ehemann Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Jochen Jurettko

    ID: LI992142

  • Porträt der Woche: Jamal Karsli (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 07.12.1999

    Wenn er in Syrien ist, sagt er: "Ich bin aus Deutschland." Sitzt er im Düsseldorfer Landtagsbüro, entfährt es ihm: "Ich bin Ruhrgebietler." So jemand wie Jamal Karsli ist also der geborene Brückenbauer, und so versteht sich der 43-Jährige, der 1980 nach Recklinghausen kam, auch. Ihm geht es um die Gleichberechtigung der hier lebenden Ausländer. Karsli spricht stets von Migranten. Als deutscher Abgeordneter der GRÜ- NEN versucht er, sowohl bei den Deutschen als auch bei den Ausländern wechselseitige Vorurteile zu beseitigen.
    Der Mann ist ein Temperamentsbündel, sein Deutsch ist ausgezeichnet. 1980 konnte er bloß ein deutsches Wort: Postfach. Und heute? Am 12. September hat er für den Bürgermeister-Posten in Castrop-Rauxel kandidiert. 2,7 Prozent sind es geworden, na ja, die politische Lage war für die GRÜNEN eben nicht günstig. Karsli hatte sich nicht zur Bewerbung gedrängt. Aber die GRÜNEN-Freunde aus Castrop-Rauxel wollten ihn. Sie sagten: "Du mußt es machen, du kannst das, hast politische Erfahrung, bist politisch engagiert, verstehst etwas von Raumplanung." Karsli, gelernter Industriechemiker, der in Dortmund Raumplanung studiert hat und zwei Übersetzer-Büros besaß, bevor er sich endgültig der Politik als Vollzeitjob verschrieb, leidet nicht an Minderwertigkeitskomplexen. Er traut sich viele politische Aufgaben zu, Regierungsämter eingeschlossen. Politische Vorbilder habe er nicht, betont er energisch, wozu auch: Jeder Mensch habe doch Vor- und Nachteile.
    Wenn er über seinen Arbeitseinsatz erzählt, hört sich das an, als ob da jemand sieben Tage in der Woche für die Veränderung der Gesellschaft schufte. Flüchtlings- und migrationspolitischer Sprecher ist Jamal Karsli bei den GRÜNEN, den Petitionsausschuss nimmt er sehr ernst. In vier Landtagsjahren seien es 1 000 Petitionen, vornehmlich von Ausländern gewesen, die er bearbeitet habe. 400 Ortstermine seien vonnöten gewesen. Karsli zeichnet das Bild eines umtriebigen Abgeordneten, der im Lande umherreist, um Gutes zu tun. Erfolgserlebnisse bauen angesichts eines solchen physischen und psychischen Einsatzes besonders auf. Neulich in Bonn habe ihn ein Farbiger aus Togo auf der Straße wiedererkannt und ihm so gedankt: "Ohne Sie wäre ich tot." Karsli hatte sich mit Erfolg für den damals in Abschiebehaft Genommenen eingesetzt.
    1985 hat Karsli die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Einen syrischen Pass besitzt er nicht. Und dennoch: Wenn er politisch wieder einmal kräftig hinlangt, passiert es schon, dass ihn Kollegen von anderen Fraktionen für einen Ausländer halten, der sich erdreistet, im deutschen Parlament gegen Deutsche Stellung zu beziehen. Denen ruft er entgegen: "Was wollt ihr eigentlich, ich bin Deutscher wie ihr, und ich bin gewählter Abgeordneter wie ihr." Karsli erinnert sich (schmunzelnd!) auch daran, wie es ihm beim Start in der deutschen Politik in Castrop-Rauxel entgegen schallte: "Jetzt fehlen hier bloß noch Kamele, dann haben wir endgültig arabische Verhältnisse!"
    Karsli ist jemand, der sich nicht unterkriegen lässt. Er hat von der verehrten Mutter das Kämpferherz geerbt. Beim zweijährigen Sohn (Karsli hat noch zwei Töchter) sei schon jetzt etwas von seinem, des Vaters Naturell, zu spüren. Karslis Grundsatz heißt: Herausforderungen sind dazu da, um angenommen zu werden. Ein bisschen klingt bei ihm alles nach dem Toyota-Spruch: Nichts ist unmöglich. Seit dem 16. Lebensjahr hat er sich für Politik interessiert. Für amnesty hat er sich engagiert, gegen die Todesstrafe, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Karsli ist Moslem, aber keiner von der gepanzerten Sorte. Seine Frau, eine Italienerin und Lehrerin, die er in Venedig kennengelernt hat, ist Katholikin. Die gemeinsamen beiden kleinen Kinder werden weder christlich noch muslimisch dominiert. "Wir versuchen das Beste aus beiden Religionen, die ohnehin nicht so unterschiedlich sind, zu vermitteln." Die Kinder wachsen vielsprachig auf: Mit ihnen wird daheim in Recklinghausen deutsch, italienisch und arabisch geredet. Vater Karsli platzt vor Stolz, wenn er erzählt, wie die Kleinen abends vor Freude ihm entgegenhüpfen, auf den Arm genommen werden möchten, und wie sie dann sogar noch einmal mit Papa essen, obwohl sie eigentlich schon satt sind.
    Der ausgeprägte Familiensinn ist in Syrien typisch, mehr noch als bei den Italienern, weiß Karsli. Er hat elf Geschwister, 70 Neffen und Nichten und mehr als 200 Cousinen und Cousins ersten Grades. Wenn Jamal Karsli zu Besuch in Syrien weilt, bricht ein tagelanges Sippenfest an. "Als ich das letzte Mal fünf Wochen bei der Verwandtschaft war, wurden in der Zeit bestimmt 40 Hammel geschlachtet." Der enorm starke Familienzusammenhalt in Syrien trägt seiner Meinung nach auch dazu bei, dass es dort viel weniger Jugendliche mit psychischen Störungen gebe als in Deutschland.
    Als er vor knapp 20 Jahren hierher kam, war er geschockt über die emotionale Kälte der Menschen. Weiter fiel ihm auf, dass die Deutschen Portemonnaies bei sich trugen. "Aha", habe ich mir gedacht, "Geld muss hier eine besonders hohe Bedeutung haben." Inzwischen besitzt er, der Deutsche aus Syrien, auch eine Geldbörse, schon wegen der üblichen Kreditkarten.
    Karsli möchte noch einmal in den Landlag gewählt werden. Was später einmal kommen wird, ist noch nicht entschieden. Ob die Familie in Deutschland bleibt, vielleicht nach Italien zieht oder gar nach Syrien — nichts ist gewiss. Er, Jamal Karsli (Jamal heißt übrigens Schönheit auf arabisch, erklärt er lachend), möchte eigentlich nicht alt werden in Deutschland. "Ich hätte Angst davor, in ein Heim zu müssen, ich möchte nicht, dass man mich dort zur Verwahrung hinbringt." Dann vergleicht er wieder, denn: Wie war es doch anders, rührender in der eigenen syrischen Familie: Die Mutter sei mit 85 gestorben, im Kreise ihrer Lieben — und mit welcher Würde.
    Reinhold Michels

    ID: LI992051

  • Porträt der Woche: Loke Mernizka (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 19 - 23.11.1999

    Wenn Loke Mernizka den Mund aufmacht, kommt es schon mal vor, dass er von Menschen, die ihn nicht kennen, gefragt wird, ob er denn Amerikaner sei. Darauf kommen sie, weil er das R wirklich außergewöhnlich stark rollt. Er nimmt das nicht krumm, sondern antwortet meist mit einem Bekenntnis zur Mundart seiner Heimat: "Ich liebe das Siegerländer Platt mit den gutturalen Lauten!"
    Dass er auch die deftigen kulinarischen Genüsse des Siegerlandes zu schätzen weiß, davon legt seine stattliche Leibesfülle Zeugnis ab. "Ich hab' halt immer gewusst, wo die besten Leberwürste und Blutwürste hängen", sagt er lachend — und überspielt damit, dass er als Kind wenig zu essen hatte. Ins Gedächtnis hat sich ihm tief eingegraben, wie seine Mutter nach dem Krieg immer wieder auf Hamsterfahrt ging, um für ihn und seine Schwester Nahrungsmittel zu beschaffen. Loke Mernizka, der seinen seltenen Vornamen einer dämonischen Sagengestalt der nordgermanischen Mythologie verdankt, wurde als Spross polnischer Einwanderer 1939 im Dorf Dillnhütten bei Siegen geboren. So wie der Vater, der 1944 fiel, und wie der Großvater wurde auch er, nachdem er mit 14 die Volksschule beendet hatte, Walzwerker in den Stahlwerken Südwestfalen, die später von Krupp übernommen wurden.
    Und damit begann auch schon seine politische Karriere. Der Halbwüchsige trat der IG Metall bei und schloss sich der Gewerkschaftsjugend-Gruppe an. Bald wurde er Vertrauensmann, später Vertrauensleute-Vorsitzender. An der Gewerkschaftsarbeit störte ihn aber nach einiger Zeit, "dass man an Grenzen stößt", sagt er, "man kann nicht entscheiden". So trat er mit 26 Jahren in die SPD ein und stieg rasch bei den Jusos auf. In der damals vor allem von Schülern und Studenten dominierten Jugendorganisation brachte er es als eine Art Vorzeigearbeiter bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden.
    Auch in der Mutterpartei erklomm er die Karriereleiter. Bald gehörte er dem Unterbezirksvorstand der SPD in Siegen-Wittgenstein an, wenig später dem Bezirksvorstand Westliches Westfalen. Er saß im Landesausschuss der NRW-SPD und im Parteirat. Und schon seit Juso-Zeiten engagierte er sich in der Kommunalpolitik, war von 1977 bis 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD im Siegener Rat. 1980 rückte er in den Landtag ein und ist dort heute stellvertretender SPD-Fraktionschef.
    Alle Ämter aufzuzählen, die Loke Mernizka im Lauf seines Politikerlebens oft zeitgleich innehatte, würde leicht in eine Litanei ausarten. "Ich konnte reden und ich hatte Ahnung", erklärt er selbst ohne falsche Bescheidenheit seinen Aufstieg — der ihm nie Selbstzweck war, sondern stets seinem Ziel diente, die Situation der Menschen zu verbessern.
    So ist er heute stolz darauf, im Landtag an einer Strukturpolitik mitgewirkt zu haben, deren Auswirkungen man sehen könne, in den Industrieregionen wie auf dem Land. Oder darauf, als Aufsichtsratsmitglied bei Krupp mitgeholfen zu haben, Arbeitsplätze zu erhalten. Derzeit erfüllt ihn seine Aufgabe im EU-Ausschuss der Regionen in Brüssel sowie als Vizepräsident der Vereinigung der Stahlregionen der EU. Mit den EU-Beitrittskandidaten wie Polen bespricht er, wie man den Strukturwandel am besten bewältigt.
    Bald soll mit diesem vielfältigen politischen Leben jedoch Schluss sein. Zur Landtagswahl im kommenden Mai kandidiert er nicht wieder. Kein einziges seiner Ämter will er behalten, einen Teil hat er bereits aufgegeben. "Man muss aufhören, wenn man es noch selbst entscheiden kann", sagt er, eine für Politiker eher seltene Einsicht. Ihn habe ein Erlebnis auf einem Parteitag Mitte der siebziger Jahre geprägt, erzählt er, als der legendäre Carlo Schmid mit damals beinahe 80 Jahren noch einmal für den Vorstand kandidierte und durchfiel.
    Loke Mernizka macht aber keinen Hehl daraus, dass ihm auch der Politikbetrieb mit der zunehmenden Individualisierung fremd geworden ist. Keiner nehme sich mehr Zeit für den anderen, statt beisammen zu sitzen, hockten die Kollegen nun oft bis spät abends einzeln in ihren Büros vor den Computern. "Es wird heute zu wenig diskutiert", bemängelt er.
    Besonders zu schaffen macht das einem geselligen Menschen wie ihm, der ganze Parteitage mit seiner Gesangskunst zu unterhalten pflegte. Er wäre gerne Sänger geworden, gesteht er. Über eine "gewaltige Tenorstimme" habe er einst verfügt. Inzwischen ist daraus zwar ein nicht mehr ganz so voluminöser Bariton geworden, doch um sich die Angst vor dem großen Loch nach einem erfüllten Arbeitsleben von der Seele zu singen, dazu reicht es allemal. "Singen hilft gegen Depressionen, es macht furchtlos", sagt er.
    Roland Kirbach

    ID: LI991957

  • Porträt der Woche: Josef Hovenjürgen (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 09.11.1999

    Auf dem elterlichen Bauernhof in Haltern-Lavesum aufgewachsen, musste Josef Hovenjürgen nach dem Tod seines Vaters schon als 15-Jähriger und während seiner landwirtschaftlichen Ausbildung Mitverantwortung auf dem bäuerlichen Anwesen übernehmen. Wenn es auch Mitte der achtziger Jahre als Nebenerwerbsbetrieb umgestellt wurde, blieb er bis heute in verschiedenen Funktionen mit der Landwirtschaft eng verbunden. Inzwischen ist unter der Regie der Ehefrau des Lavesumers aus dem Bauernhof eine allgemein geschätzte Pferde-Pension geworden, wo Reitpferde betreut werden.
    "Vorbelastet" vom politisch interessierten Elternhaus, trat Josef Hovenjürgen 1983 in die CDU ein. "Eine andere Partei kam für mich nicht infrage." Sein Engagement ließ ihn zügig auf der regionalen Karriereleiter der Union steigen: Kreisvorsitzender der Jungen Union, CDU-Stadtverbandschef und schließlich stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Recklinghausen. Bei der letzten Kommunalwahl im September kandidierte der Christdemokrat erstmals für den Halterner Stadtrat und wurde nach seiner Wahl sogleich Vorsitzender der Fraktion.
    Einen Monat zuvor war der 36-Jährige über die Landesreserveliste in den Landtag nachgerückt und fühlt sich nun vor allem seiner heimatlichen Region verpflichtet. "Ich möchte für die Menschen stets ansprechbar sein und deren Interessen und Sorgen nach Düsseldorf tragen", skizziert Josef Hovenjürgen sein parlamentarisches Wirken.
    Und weil ihm der ländliche Raum besonders am Herzen liegt, empfindet er es als ein "großes Problem", wie sich Umweltministerin Bärbel Höhn gegenüber der "kommerziellen" Landwirtschaft verhält. Bei ihrer eindeutigen Bevorzugung der ökologischen Betriebe negiere sie, dass alle Landwirte im Prinzip zur Erhaltung der Kulturlandschaft beitragen. Auch widerspreche nach seiner Auffassung die Förderung von Kleinstrukturen durch die Ministerin der Agenda 2000, die Weltmarktpreise fordere. "Diese können aber nur bei strukturell großen Betrieben erreicht werden."
    Weitere Anliegen des gebürtigen Lavesumers sind die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region sowie die bessere personelle wie sächliche Ausstattung der Schulen. So drängt er auf die Ausweisung von zusätzlichen Gewerbeflächen in Haltern und zu Alternativen zum Arbeitsplatzabbau im Bergbau in Oer-Erkenschwick. Die mittelständischen Strukturen müssten vom Land in diesen Gebieten stärker gefördert werden. Wie viele andere Eltern ärgert sich der Vater von vier Kindern über den Unterrichtsausfall an den Schulen, "weil er den Kindern ein Stück Zukunft raubt". Dieses Problem werde oft bagatellisiert. Auch gebe es große Lücken in der Ausstattung der Schulen mit den neuen Medien. Schließlich könne deren Beseitigung nicht Aufgabe von Fördervereinen sein, wenn auch solche Bemühungen lobenswert seien. "Wo aber bleibt dann die Chancengleichheit aller Schulen?"
    Für den Christdemokraten ist die Politik ein Hobby, ein aufgrund des Doppelmandates Im Stadtrat und Landtag, allerdings sehr zeitaufwendiges. Die freie Zeit widmet er vor allem der Familie. Dazu zählen Radtouren und Wanderungen ebenso wie das intensive Gespräch miteinander. Denn wem, wie Josef Hovenjürgen, die Probleme der Mitbürger am Herzen liegen, muss natürlich auch die Anliegen seiner engsten Angehörigen kennen und mit ihnen über sie diskutieren.
    Jochen Jurettko

    ID: LI991852

  • Porträt der Woche: Brigitte Speth (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 17 - 26.10.1999

    Ein Faible für die SPD hatte Brigitte Speth schon immer. Mit ihrem Eintritt in die Partei allerdings ließ sie sich Zeit, "das war ein langer Prozess", erinnert sich die 54-Jährige heute. Brigitte Speth war in der Studentenbewegung aktiv und hat 1972 in einer parteiunabhängigen Initiative mitgearbeitet und Willy Brandt unterstützt. Schon zu diesem Zeitpunkt spielte sie mit dem Gedanken, SPD-Mitglied zu werden, aber erst sieben Jahre später war es dann soweit: Die Sicherheits-und Friedenspolitik unter SPD-Kanzler Helmut Schmidt ging Brigitte Speth gegen den Strich, und sie beschloss, sich die Partei von innen anzusehen und aktiv mitzuarbeiten. Bereits ein Jahr später wurde sie stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Derendorf-Golzheim, seit 1993 ist sie stellvertretende Unterbezirksvorsitzende in Düsseldorf.
    Brigitte Speths politische Leidenschaft gilt der Bildungspolitik. Die Diplomphysikerin hat mehrere Jahre an Gymnasien in Alsdorf und Düsseldorf unterrichtet, bis sie 1978 als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Landesinstitut für Schule und Weiterbildung wechselte. Dort war sie zuständig für die Bereiche Gesamtschulen und Arbeit mit ausländischen Kindern: "Grundsatzarbeit — das habe ich schon immer unheimlich gerne gemacht." Brigitte Speth ist eine Verfechterin der Gesamtschule, sie selbst hat in Düsseldorf am Aufbau der Heinrich-Heine-Gesamtschule mitgearbeitet. Sind die Gesamtschulen reformbedürftig? Brigitte Speth gibt darauf eine diplomatische Antwort: "Alle Schulen sind reformbedürftig, das gilt auch für die Gesamtschulen, es gibt gute und schlechte." Reformvorstellungen in Sachen Bildung hat Brigitte Speth en masse. Eine stärkere Öffnung der Schulen zu ihrem Umfeld würde die SPD-Politikerin begrüßen. Die Schulen, fordert Brigitte Speth, müssten ihre eigenen Ergebnisse überprüfen, mehr Eigenverantwortung übernehmen. Allerdings: "Dabei ist die Rolle des Staates zu klären."
    Außerdem wünscht sich Brigitte Speth von den Kommunen eine stärkere Verantwortung für die Schulpolitik vor der eigenen Haustür, beispielsweise wenn es um die Profilbildung der gymnasialen Oberstufen in einer Stadt geht: "Das Angebot muss abgestimmt sein, wenn es mehrere Schulen in einer Stadt gibt." Auch bei der Organisation von mehr Ganztagsangeboten an allen Schulen sieht Brigitte Speth die Kommunen in der Pflicht. Kooperationsmodelle mit Kirchen, Sportvereinen, Trägern von Jugendarbeit, "das kann man nur in der Kommune organisieren, da wünsche ich mir eine Art Koordinierungsstelle in jeder Stadt."
    Brigitte Speth ist seit 1985 Landtagsabgeordnete, bei der Wahl 2000 will sie wieder kandidieren. Sie mag die Arbeit im Landtag wegen ihrer Vielfältigkeit. Inhaltlich und konzeptionell arbeiten, "das ist eine meiner Stärken". Doch es könnte eng werden für Brigitte Speth, denn sie vertritt den Wahlkreis VI in Düsseldorf, früher immer ein klassischer CDU-Wahlkreis. 1985 gelang es ihr erstmals, den Kreis für die SPD zu holen, doch bei der letzten Wahl fiel das Ergebnis knapp aus. Auf die Sozialdemokraten kommt in der nächsten Zeit eine Menge Arbeit zu, da ist sich Brigitte Speth sicher: Die Partei muss Kompetenz zeigen, wenn es um zentrale Themen wie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Wirtschafts- und Bildungspolitik geht, "das erwarten die Leute im Land von uns".
    Gut möglich also, dass die SPD- Politikerin in der nächsten Zeit kaum noch dazu kommen wird, ihre Hobbies zu pflegen. Brigitte Speth ist eine leidenschaftliche Fotografin. Am liebsten fotografiert sie Landschaften und Details wie zum Beispiel Türen, Fenster oder Kamine. Eine kleine Nichte hat Brigitte Speth gleich zu zwei Hobbies inspiriert: Sie schreibt Kindermärchen ("nur für den Hausgebrauch") und baut Puppenstuben. Außerdem ist Brigitte Speth gerne auf Reisen, am liebsten in Griechenland.
    Ulrike Coqui

    ID: LI991757

  • Porträt der Woche: Svenja Schulze (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 16 - 05.10.1999

    "Man kann mehr bewegen, als ich dachte", hat Svenja Schulze überrascht festgestellt. Als die frühere nordrhein-westfälische Juso-Landesvorsitzende vor gut zwei Jahren als Nachrückerin in den Düsseldorfer Landtag einzog, äußerte sie sich zunächst sehr zurückhaltend über ihre Wirkungsmöglichkeiten als Parlamentarierin. Zwar traute sich die SPD-Frau zu, "ein paar Akzente zu setzen", meinte aber auch ganz realistisch: "Ich glaube nicht, dass ich mal eben eine kleine Revolution in der Fraktion durchführen kann."
    Nach gut zwei Jahren Parlamentsdasein revidiert die heute 29-Jährige ihre Einschätzung: "Damals habe ich tatsächlich tiefgestapelt, schon allein, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Als Anfängerin und dazu noch als Nachrückerin kann man ja keine großen Forderungen stellen." Svenja Schulze kam als Nachfolgerin des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Stefan Frechen, der ins Finanzministerium wechselte, in das Landesparlament. Von ihm übernahm sie die Arbeit im Ausschuss für Innere Verwaltung. Außerdem wurde sie Mitglied im Rechtsausschuss und im Ausschuss für Migrationsangelegenheiten.
    Eine glückliche Kombination, wie Svenja Schulze heute urteilt. "Da greifen verschiedene Themenbereiche ineinander", sagt die Sozialdemokratin. Beispielsweise werden Polizeifragen, Jugendkriminalität, Opferschutz und Passfragen in jedem der drei Ausschüsse behandelt. "Wie in einem Netzwerk verknüpfen sich die Probleme. Dadurch wird die Arbeit interessant und teilweise richtig spannend", hat sie festgestellt und fügt hinzu: "Man erlebt mit, wie sich aus verschiedener Sicht politische Meinungen bilden und schließlich konkretes Handeln entwickelt." Neben dieser Sacharbeit sieht sich die 29-Jährige, die nicht nur jüngstes SPD-Fraktionsmitglied, sondern das Nesthäkchen im ganzen Düsseldorfer Landtag ist, in einer Art Scharnierfunktion. "Ich verstehe mich als Ansprechpartner für Jüngere", sagt sie und setzt hinzu: "Einerseits möchte ich die andere Sichtweise und andere Sozialisation der jüngeren Bürger in das Parlament tragen, andererseits nach außen verständlich machen, was wir im Parlament tun und auf diese Art von innen nach außen wirken." Aus ihrer Sicht klappt das ausgezeichnet. "Es gibt überraschend viel Jüngere, die sich gezielt an mich wenden. Da heißt es dann: Du bist zwar nicht meine Wahlkreisfrau, aber in meinem Alter. Kannst Du mal erklären oder kannst Du helfen?" Erst seitdem Svenja Schulze im Landtag ist, weiß sie, dass man als Abgeordnete tatsächlich in vielen Fällen helfen kann, zumindest und vor allem mit Fiat, wo man am besten bei dem einen oder anderen Problem ansetzt.
    Auch der frauenpolitische Bereich ist ein politischer Tummelplatz der jungen SPD-Abgeordneten. Auch hier sieht sie sich vor allem in einer Scharnierfunktion. Zum einen versucht sie, Frauenansichten in das Parlament zu tragen, zum anderen Frauen für Politik zu interessieren. Ihr besonderes Anliegen ist es, jüngere Frauen dazu zu bringen, dass sie bereit sind, Verantwortung in der Politik zu übernehmen.
    Wichtig findet sie es, dass junge Frauen politische Positionen anstreben und nicht freiwillig immer wieder zurückstecken. "Wir wollen in die erste Reihe", hämmert sie ihren jugendlichen Parteifreundinnen ein, wohl wissend, dass gerade viele von den ganz jungen Frauen bei den vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen keine Lust haben, in dar ersten Reihe zu stehen oder sich nicht sicher sind, ob sie genug Kraft haben, die herrschenden Strukturen aufzubrechen.
    Neben dem ureigenen Willen, politisch mitzugestalten, der Svenja Schulze beherrscht, war natürlich auch ein bisschen Unterstützung von den etablierten Parteifreunden bei der politischen Karriere der jungen SPD-Frau hilfreich. Bei Svenja Schulze war es Ministerpräsident Johannes Rau, der sich nachhaltig dafür einsetzte, dass die engagierte Juso-Dame bei der Landtagswahl 1995 auf die Reserveliste gehievt wurde.
    Svenja Schulze landete ziemlich weit vorne auf Platz sieben. Doch das reichte in NRW nicht für den sofortigen Einzug in den Landtag. Es dauerte immerhin noch zwei Jahre bis eines Abends bei ihr das Telefon klingelte und die damalige Parlamentarische Geschäftsführerin Birgit Fischer Svenja Schulze fragte. "Was machst Du gerade? Komm mal vorbei. Morgen hast Du Deine erste Fraktionssitzung."
    Da hatte die 1968 in Hattingen geborene Svenja Schulze gerade ein halbes Jahr ihr Studium der Germanistik und Politikwissenschaften mit der Magisterprüfung an der Bochumer Universität abgeschlossen und jobbte freiberuflich bei einer Werbeagentur im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Dass Politik zu ihren besonderen Interessen gehören würde, kristallisierte sich bei der SPD-Frau schon früh heraus. Bereits mit 14 oder 15 Jahren guckte sie sich bei den Parteien um. Über die Schülerinnenarbeit ist sie dann schon bald bei den Genossen gelandet.
    1988 wurde sie Mitglied in der SPD und bei der IG Metall. Im gleichen Jahr avancierte sie zur Landesschülersprecherin NRW. 1990/91 war Svenja Schulze Vorsitzende des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (ASTA) an der Ruhr-Universität Bochum, von 1993 bis 1997 Juso-Landesvorsitzende und seit 1996 ist sie Mitglied im SPD-Landesvorstand.
    Im kommenden Frühjahr möchte sie erneut für den Landtag kandidieren, denn die Arbeit macht ihr richtig Spaß. "Das "feedback" ist enorm und die Landespolitik konkreter als die politische Arbeit auf anderen Ebenen", sagt sie. Berlin — und damit die Bundespolitik reizt sie nicht. Dann schon eher die europäische Ebene. Aber bis dahin hat die SPD-Landtagsabgeordnete noch viel Zeit.
    Auf Svenja Schulzes Freizeitplan stehen neben Lesen und Reisen, mit dem Freund und Bekannten kochen und diskutieren. Svenja Schulze: "Besonders wichtig ist es mir, rauszugehen und mit Leuten zu klönen. Deshalb sind wir abends auch gern mal in einer Kneipe."
    Gerlind Schaidt

    ID: LI991675

  • Porträt der Woche: Dr. Stefan Bajohr (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 15 - 21.09.1999

    Für Dr. Stefan Bajohr waren 1994 und 1995 die "Wechseljahre": Nach 17 Jahren Mitgliedschaft verließ er 1994 die SPD und trat bei den GRÜNEN ein. Nachdem er 1995 über den 20. Listenplatz der GRÜNEN in den Landtag gewählt worden war, ließ er sich von seinem Amt als Leitender Ministerialrat im Stadtentwicklungs- und Verkehrsministerium beurlauben. Bislang hat er sich nicht entschieden, ob er 2000 erneut für den Landtag kandidieren will.
    Vor Bajohrs Karriere bei den GRÜNEN waren lange Abschnitte seines Lebens eng mit der Sozialdemokratie verbunden, auch wenn er keine "Ochsentour" durch die Parteigliederungen absolviert hat. 1950 in Bad Harzburg geboren, absolvierte er nach dem Abitur ab 1969 ein Redaktionsvolontariat und den zivilen Ersatzdienst. Es schlössen sich Studien in Bielefeld, Zürich und Marburg an, gefördert durch ein Stipendium der SPDnahen Friedrich-Ebert-Stiftung. 1977 trat er in die SPD ein. Ein Jahr später schrieb die damalige rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und heutige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin das Vorwort zu seiner Promotionsarbeit über die "Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland von 1914 bis 1945".
    Durch die Friedrich-Ebert-Stiftung erworbenen Kontakte führten Bajohr 1980 ins Bundeskanzleramt, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ehe- und Familienrecht tätig war. Damals hat er, so erinnert er sich, auch eine Rede für Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) geschrieben, worin dieser sich für die Kappung des Ehegatten-Splittings einsetzte. Bajohr heute, nicht ohne einen Hauch von Selbstironie: "Sie wissen ja, das gibt's noch immer."
    Einen Monat vor dem Ende der sozialliberalen Koalition kam Bajohr als Angestellter im von Friedhelm Farthmann (SPD) geleiteten Düsseldorfer Arbeitsministerium unter. Als dieser 1985 zum Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion gewählt wurde, folgte ihm Bajohr als persönlicher Referent. Auf diesen klassischen, der Tradition verbundenen Sozialdemokraten lässt Bajohr, der heute dem linken Flügel der GRÜNEN zugerechnet wird, nichts kommen. Von dem, was Farthmann wirtschafts- und sozialpolitisch gesagt habe, sei er "immer sehr überzeugt" gewesen. Die fünf Jahre bei Farthmann seien für ihn eine "lehrreiche Zeit und auch eine menschlich wertvolle Zeit" gewesen.
    Nachdem er durch eine Zusatzprüfung die Fähigkeit zum Beamten erworben hatte, wechselte Bajohr 1990 als Gruppenleiter für Grundsatzfragen in das von Franz-Josef Kniola (SPD) geleitete Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr. Dort erwies sich seine Erwartung als Irrtum, in dieser Funktion könne er etwas aus seiner Sicht Positives in dem wichtigen Umweltbereich Verkehr bewirken, nämlich Schritte hin zur Eindämmung des Luft- und des Autoverkehrs. Allmählich sei ihm bewusst geworden, dass der Kurs der SPD in die genau entgegengesetzte Richtung lief, ganz anders als die Linie, die immer in SPD-Beschlüssen verkündet worden sei. Diese Widersprüche hätten ihm "zunehmend Bauchschmerzen bereitet", hinzugekommen sei dann noch die Garzweiler-Politik der SPD. Aus der SPD, die ihn "immer gut behandelt" habe, sei er nicht im Groll geschieden, betont Bajohr. Bei den GRÜNEN habe er jedoch neue Möglichkeiten gesehen, schließlich hätten ihn Michael Vesper und Daniel Kreutz, gewissermaßen Antipoden innerhalb der GRÜNEN, zur Kandidatur für den Landtag ermuntert und dabei auch unterstützt. Im Rückblick meint er heute, dass er sich damals "noch nicht um Strömungen bei den GRÜNEN gekümmert" habe.
    Als finanzpolitischer Sprecher der GRÜNEN geriet Bajohr des Öfteren in Streit mit dem Koalitionspartner SPD, nicht selten fiel das Wort "Koalitionskrise". Bajohr: "Trotz der finanziellen Engpässe mussten die GRÜNEN die SPD mit Nachdruck an die Finanzierung von Projekten erinnern, die in der Koalitionsvereinbarung aufgelistet waren." Rückblickend fasst Bajohr weiter zusammen, dass er sich immer gegenüber der SPD und auch in der eigenen Fraktion für eine Begrenzung der Schuldenpolitik eingesetzt habe: "Wir dürfen nicht auf Kosten späterer Generationen leben." Kurz vor der Sommerpause wirft er schließlich das Handtuch und tritt vom Amt des finanzpolitischen Sprechers zurück: Er stehe ohne Rückhalt da, denn beide Koalitionsfraktionen wollen nicht wirklich die Haushaltskonsolidierung."
    Stefan Bajohr ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen im Alter von einem und sechs Jahren. Lesen ist sein Hobby, er bevorzugt Romane und historische Literatur.
    Ludger Audick

    ID: LI991554

  • Porträt der Woche: Marianne Dohmen (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 14 - 07.09.1999

    Die oft leidvollen Erfahrungen als Halbwaise im Nachkriegsdeutschland — der Vater war gefallen — haben bei Marianne Dohmen schon in frühen Jahren das Interesse für Politik geweckt. Bereits als Dreizehnjährige hörte die gebürtige Mönchengladbacherin, Jahrgang 1937, die Bundestagsdebatten im Radio, und in der Realschule betätigte sie sich in politischen Arbeitskreisen. Doch nach dem Besuch einer Fachoberschule für Hauswirtschaft standen für die Sozialdemokratin zunächst Beruf und Familie im Vordergrund.
    So arbeitete sie zunächst als Betriebsleiterin in einem Textil-Unternehmen und übernahm dann ein Arbeiterinnenwohnheim für ausländische Mitarbeiterinnen. Ihre Aufgabe sah Marianne Dohmen nicht nur in der Kontaktpflege zwischen dem Arbeitgeber und seinen Beschäftigten, sondern auch darin, den Ausländerinnen zu helfen, dass sie sich in ihrer neuen, ungewohnten Umgebung möglichst wohl fühlten. Nach der Geburt von zwei Töchtern konzentrierte sie sich auf deren Betreuung. "Die Familie ist für mich sehr wichtig."
    Doch das Interesse an der Politik blieb, und da die Mönchengladbacherin auch "mitgestalten" wollte, entschloss sie sich 1974, einer Partei beizutreten — der SPD. Aufgrund der eigenen beruflichen Erfahrungen engagierte sie sich sogleich bei der "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen". In mehreren Führungsfunktionen setzte sich Marianne Dohmen für die damals noch mangelhafte Gleichberechtigung der Frauen ein und kämpft heute für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. "Das klappt noch immer nicht."
    Mehrere Jahre in einer Bezirksvertretung ihrer Heimatstadt tätig, wurde die Sozialdemokratin 1989 in den Stadtrat gewählt, wo sie sich auf die Bereiche Umwelt und Kultur konzentrierte. Als sie im letzten Jahr über die Landesreserveliste ihrer Partei in den Landtag nachrückte, musste sie wegen eines entsprechenden Unvereinbarkeitsbeschlusses des Unterbezirkes ihr Ratsmandat niederlegen.
    Zwar wäre es nach ihrer Einschätzung schwierig, beide Mandate auszuüben, doch hält sie andererseits eine Verzahnung von kommunalem und landespolitischem Wirken für sehr wichtig. Da sie als sogenannte sachkundige Bürgerin noch dem städtischen Kulturausschuss und damit auch der Ratsfraktion angehört, ist sie vom kommunalen Geschehen "nicht ganz losgelöst".
    Aber auch als Landtagsabgeordnete versucht die Sozialdemokratin einen möglichst engen Kontakt zu den Bürgern zu halten. So richtete sie unmittelbar nach Ihrem Einzug ins Landesparlament ein "Bürgerbüro" in ihrer Heimatstadt ein, das inzwischen die Anlaufstelle für zahlreiche Bürger und ihre Anliegen geworden ist.
    Die SPD-Fraktion berief die Mönchengladbacherin in den Kulturausschuss und in den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung. Sie tritt für eine stärkere Öffnung der Hochschulen hin zu der Wirtschaft ein. So könnten deren Erkenntnisse besser von den Betrieben genutzt werden. Eine solche Verzahnung sei auch eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. "Beide müssen sich gegenseitig ergänzen." Im Kulturausschuss macht sich Marianne Dohmen für die Vielfalt kultureller Einrichtungen in den Städten und Gemeinden stark. "Sie machen die Kommunen erst liebenswert." Auch für die Wirtschaftsförderung seien sie wichtig. Dabei brauchten nicht alle Einrichtungen auf "hohem künstlerischen Niveau" sein, meint die Abgeordnete.
    In ihrer Freizeit ist die Sozialdemokratin eine begeisterte Radlerin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann entspannt sie sich auf solchen Radtouren. "Und man entdeckt am Niederrhein immer etwas Neues..."
    Jochen Jurettko

    ID: LI991457

  • Porträt der Woche: Willi Nowack (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 13 - 31.08.1999

    Wenn das keine Liebeserklärung an die Vaterstadt ist! Willi Nowack spricht: "Ich habe fast die ganze Welt gesehen, aber leben möchte ich nirgendwo anders als in Essen." 1950 wurde der Sozialdemokrat dort geboren. In Essen betreibt er seine Firma für Bauprojektplanung. In Essen macht er seit gut zwei Jahrzehnten Kommunalpolitik, mittlerweile als Chef der SPD-Ratsfraktion. Ja, Nowack kann schwärmen von der Einmaligkeit des Grand Canyon in den USA, vom grandiosen Ayers Rock in Australien oder vom reizvollen Sri Lanka. Aber: Essen im Ruhrpott — das ist die wahre Heimat, da kriegt ihn niemand weg.
    Nowack gehört zu den stolzen Reviermenschen. Er registriert mit Genugtuung, dass die Leute im Ruhrgebiet heute ein eigenes Selbstbewusstsein, eine eigene Identität entwickeln, dass die Zeiten vorbei sind, wo man in der Fremde eher verzagt kund tat, man komme aus Essen bei Düsseldorf.
    Nowacks politisches Selbstbewusstsein speist sich aus der traditionell starken Sozialdemokratie im Revier. Im Gespräch hat er keine Scheu, fast mitleidig auf südliche Landesverbände der SPD zu schauen, wo man bei Wahlen weniger als 30 Prozent schaffe. Spitz formuliert er beispielsweise in Richtung der nicht gerade von der Wählersonne verwöhnten SPD Baden-Württembergs, eigentlich müsste sich ein politischer Anspruch aus erfolgreicher Politik ableiten. Ohne ihn ausdrücklich zu artikulieren, schwingt da der Gedanke mit, dass die NRW-SPD, besonders die im Ruhrgebiet, in der Gesamt-Partei ihr Gewicht viel stärker zur Geltung bringen sollte.
    Willi Nowack zählt sich zu den Anhängern von Gerhard Schröder und dessen Versuch, die Partei auf modernen, pragmatischen, wirtschaftsfreundlichen Kurs zu bringen. Es war die Zeit, als Johannes Rau noch die Landes-SPD dominierte und es nicht so gerne gesehen wurde, dass Schröder — wahrlich kein Fan von Rau und dessen Politikstil — auf SPD-Schnuppertour durchs Revier gelotst wurde. Einer der eifrigsten Lotsen war Willi Nowack. Er sagt, dass ihm Schröders Pragmatismus, seine offene, direkte Art imponiere. Den Abgang von Rau und Lafontaine vom aktiven Politikgeschäft bedauert Nowack nicht. Im Gegenteil, ihn habe es gefreut, als Clement das Regierungsruder übernommen habe. Und zu Lafontaines Rückzug fällt ihm ein: "Ich habe immer gesagt, dass das bald so kommen werde." Kein Bundeskanzler könne einen Neben-Kanzler dulden, die Auseinandersetzung zwischen Schröder und Lafontaine sei unausweichlich gewesen. Nowack ist der Ausgang des heimlichen Duells recht. Er sagt mit Blick auf die neue SPD- Spitze: "Die personelle Veränderung haben wir, die inhaltliche muss noch kommen.
    " Nowack will eine SPD, die nicht in Traditionen erstarrt, die sich neuen Schichten der Gesellschaft öffnet, die sozial bleibt, aber für die Interessen der Wirtschaft Verständnis hat.
    Als junger Spund — 1969 trat er der SPD bei — sei er bei den Jusos zwar ein Rechter gewesen, aber Verstaatlichungsideen habe auch er damals gepflegt. Es ist ihm fast peinlich, darüber anno 1999 zu sprechen. Aber Man entwickelt sich eben. Im Übrigen gilt auch für den Unternehmer Willi Nowack Karl Marx' Satz: "Das Sein bestimmt das Bewusstsein." Wer wie er mitten im Leben steht, in Politik und Beruf Verantwortung trägt, RWE-Aufsichtsrat ist, der kann sich keine ideologischen Extravaganzen mehr leisten, es sei denn um den Preis, nicht für voll genommen zu werden.
    Nowack kann sich nicht vorstellen, einer anderen Partei als der SPD anzugehören. Die Familientradition spielt da eine erhebliche Rolle: Vater und Mutter waren und sind in der SPD aktiv, seine dritte Frau, eine Rechtsanwältin, gehört zur Partei, ebenso die 18-jährige Tochter, die 12-jährige indes dürfe noch nicht.
    Über seine Eltern spricht Willi Nowack voller Hochachtung: "Auf Papa bin ich stolz, auf Mama auch." Vater Nowack, der auch einmal im Landtag wirkte, hat sich hochgearbeitet vom Laufburschen bei Krupp zum Schweisser unter Tage, schließlich zum Betriebsratschef und Rechtsschutzsekretär bei der Gewerkschaft. Der Papa habe es von weit unten zu einer richtigen bürgerlichen Existenz gebracht. Sohn Willi machte Abitur, studierte, mehr um dem Vater einen Gefallen zu tun, Jura. Der Anwaltsberuf wäre nichts für ihn, noch weniger der des Diplomaten, sagt Nowack. Er sei nämlich sehr direkt, könne austeilen, aber auch einstecken.
    Für den Landtag, in den es ihn 1995 nur gezogen hatte, weil ein politischer und persönlicher Freund plötzlich verstorben war, möchte er noch einmal kandidieren.
    Ein Vielbeschäftigter wie Nowack, der angibt, sechsmal in der Woche einen 12- bis 13- Stunden-Arbeitstag zu haben, nutzt die Freizeit-Freuden des Lebens intensiv: Einmal im Jahr ist der Motorrad-Freak mit Gleichgesinnten auf Tour, seit sechzehn Jahren lässt die sportlich- unternehmungslustige Clique kein Fußball-WM-Turnier aus. Was bleibt dem Harley-Fahrer an Wünschen? "Einmal die legendäre Route 66, das wäre ein Traum."
    Reinhold Michels

    ID: LI991348

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Die Fraktionen im Landtag NRW