Urlaub machen heißt für Herbert Neu "zigeunern". Dann spannt er den Campingwagen hinters Auto, fährt dahin, wo's ihm gefällt und bleibt so lange, wie's ihm gefällt. Zuweilen malt er auch. Aquarelle. Denn zur Kunst hat er jene selbstverständliche Beziehung, wie sie der gewinnt, der als Kind statt klassenweiser Museumsbesuche arbeitende Künstler erlebt. Im Falle Neu war es Otto Pankok. Pankok, dem der Sechsjährige einen Tuschtopf umwarf, Pankok, der ein Jesusbildnis im elterlichen Dürerband um eine gemalte Zigarre bereicherte wohl, weil's ihm nicht gefiel.
Aus dem Elternhaus im niederrheinischen Krudenberg, sein Vater war hier Lehrer, hat der heutige Einundfünfzigjährige eine Menge mitbekommen. Neben der Liebe zur Kunst, die sich später auf Nolde und Barlach ausweitete, die Freude an der Kammermusik, auch wenn er heute nicht mehr Violine spielt. "Die Jahre als Bauer haben die Hände dafür verdorben." Zum Ausgleich schreibt er in deftigem Bauernplatt Gedichte eines fernen Tages, wenn die Zeit wieder dazu reicht. Schon zu Hause wurde Herbert Neu zum Liberalen: "Politisch bin ich stark von meiner Mutter beeinflußt worden. Sie vertrat einen sozialen Liberalismus mit großer Toleranzgrenze."
Liberal mit Parteibuch wurde er erst 1948. Dazwischen lagen der Krieg, in den er als Pennäler zog, und ein paar Jahre harter Arbeit in der Landwirtschaft. Denn nach der Heimkehr hatte er aus der Familie einen Hof übernommen. 135 Morgen, zu wenig, um heute konkurrenzfähig zu sein.
Herbert Neu zog die Konsequenzen. 1956 trat er in die Bundeswehr ein. Er tat es, wie mancher zu dieser frühen Zeit, nicht weil, sondern obwohl er die Wehrmacht der Hitlerzeit erlebt hatte: "Ich hoffte damals, an der Realisierung der Baudissinschen Konzeption mitwirken zu können." Die Hoffnung wich der Erfahrung und damit der Erkenntnis, wieviel zwischen dem Gedanken und der Praxis des Bürgers in Uniform steht. An aktive Parteiarbeit war damals kaum zu denken. Als Offizier lebte Neu, Vater von drei inzwischen erwachsenen Kindern, abwechselnd in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
1961 erst stieg er in die Parteiarbeit ein, zunächst im Kreisvorstand der F.D.P. Münster. Seit 1970 ist er Mitglied des Landtags. Das heißt für ihn: intensive Arbeit, kaum Familie, knappe Wochenenden. In einer kleinen Fraktion muß jeder hart ran. Das gilt erst recht, wenn man in Neuordnungszeiten für die Verwaltungsreform zuständig ist.
Der für die politische Arbeit beurlaubte Hauptmann fühlt sich nicht unwohl in dieser unbequemen Rolle. Er hegt keine Ambitionen für irgendwelche Ämter. Er hat's, nicht nur in der Politik, lieber eine Nummer kleiner aber unabhängig. Kein bequemer, schon gar kein karriereträchtiger Standpunkt. Doch eine Basis, von der aus sich kritisch und frei zuweilen zur Überraschung der eigenen Parteifreunde agieren läßt: "Koordinieren und Kompromisse schließen ist nicht meine Sache, ich habe den Vorsitz darum immer gescheut. Lieber kläffe ich selbst los. Opposition läge mir vermutlich eher." Ob er diese Rolle im Falle eines Falles ab 1975 erproben möchte? "Es ist die Frage, ob ich noch mal kandidieren kann, das läßt sich heute nicht beantworten. Vielleicht ist es besser, ein Mann gibt fünf Jahre seine volle Substanz und macht dann den Platz frei für einen neuen, unverbrauchten."
Die Überlegung ist typisch für den Liberalen Neu, der sich zu den Progressiven zählt "solange Progression nicht Systemüberwindung bedeutet!" und der skeptisch genug ist, "Freiheiten, die wir errungen haben, immer wieder zu überprüfen, ob sie nicht zu Privilegien geworden sind, die dann revidiert werden müssen".
Als die Väter des Grundgesetzes den Passus von der Gewissensfreiheit der Volksvertreter schufen, müssen sie einen Mann wie Neu im Sinn gehabt haben. Ute Laura Lähnemann
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