19.11.2021

Schätze im Depot

Die Kohlezeichnung eines Rheinischen Expressionisten hier, das Ölgemälde eines Düsseldorfer Historienmalers dort: Im Kunstdepot des Landtags reihen sich in Folie und Kartons verpackte Gemälde, darunter hochkarätige Arbeiten. Rund 700 Werke zählen zur Kunstsammlung des Landtags, die in mehr als sieben Jahrzehnten entstanden ist – und weiter wächst. In Teil 2 der Serie „Räume des Landtags“ werfen wir einen Blick ins Depot.

Früchtestillleben (l) von Walter Ophey, einem Vertreter des Rheinischen Expressionismus, und „Die Heimkehr der Fischerflotte“ (r) von Georg Hambüchen, der den Stil der sogenannten Düsseldorfer Malerschule mit geprägt hat

Eine neue Lieferung trifft ein. An diesem Donnerstagnachmittag kommt der Künstler sogar selbst als Kurier: Während die Abgeordneten in den Ausschüssen beraten, betritt Wilfred H. G. Neuse die Bürgerhalle. Unterm Arm trägt der Düsseldorfer Fotokünstler sein Werk „Schattentreffen on Schildergasse“, ein Direktdruck auf einer Aluminiumverbundplatte, das der Landtag bei ihm bestellt hat. Zu sehen sind plattgetretene Kaugummis auf der Kölner Schildergasse, über die sich Silhouetten menschlicher Schatten erheben, die der Künstler in grellen Farben digital nachbearbeitet hat.

Kunst und Kaugummi

Mit dem Motiv will Neuse auf das Ärgernis von Kaugummis im öffentlichen Raum hinweisen – für ihn auch ein politisches Thema, dem er eine ganze Ausstellung gewidmet hat. Dass der Landtag sein Werk in den Bestand der Kunstsammlung aufnehme, erzählt er bei der Übergabe, sei für ihn ein „freudiges Ereignis“ und ein Zeichen dafür, dass die Kunst Gehör finde in der Politik.

Der nordrhein-westfälische Landtag ist eines der wenigen Landesparlamente mit eigener Kunstsammlung. Unter den Exponaten finden sich stilbildende Werke von Künstlern, von denen wichtige Impulse für die deutsche Kunstszene in den 1950er-Jahren ausgingen. Dazu zählen Emil Schumacher und Heinrich Siepmann, die zur Künstlergruppe „junger westen“ gehörten, Winfried Gaul und Peter Brüning aus dem Kreis der „Gruppe 53“ sowie Bernhard Schultze und Karl Otto Götz, die als Mitglieder der Gruppe „Quadriga“ mit ihrer abstrakten, nichtgeometrischen Kunst dem Stil des sogenannten Informel verpflichtet waren.

In Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen entstand Ende der 1950er-Jahre die „ZERO“- Gruppe um Otto Piene, Heinz Mack und später auch Günther Uecker, von denen sich ebenfalls Werke im Kunstbestand des Landtags finden. Zwei weitere Schwerpunkte hat die Sammlung: Die „Düsseldorfer Malerschule“ (1819–1918) ist mit Werken von Künstlern wie Josef Kohlschein dem Jüngeren und Georg Hambüchen vertreten, der „Rheinische Expressionismus“ mit Werken von Heinrich Nauen, Walter Ophey und Otto Pankok, die zu den wichtigsten Vertretern dieses Stils zählen.

So unterschiedlich die Stile der rund 700 Werke in der Sammlung seien, gebe es doch eine Gemeinsamkeit, erzählt Elfi Zimmerling, die im Landtag zuständig für den Kunstbestand ist: „Mit ganz wenigen Ausnahmen haben alle Werke einen Bezug zu Nordrhein-Westfalen – entweder weil die Künstlerinnen und Künstler hier geboren oder ausgebildet wurden, hier leben oder ihre Arbeiten einen thematischen Bezug zu Land und Leuten haben.“ Viele hochkarätige Bilder sind an repräsentativen Orten im Parlamentsgebäude zu sehen, etwa in der Wandel- und Bürgerhalle oder im Empfangsraum des Landtags. Zahlreiche Exponate finden sich zudem in den kilometerlangen Fluren sowie in Büros von Abgeordneten und Mitarbeitenden, die die Werke als Leihgabe ordern können. „Es wäre zu schade, wenn sie nur eingepackt in Regalen lagerten“, sagt Kunsthistorikerin Zimmerling. „Kunst soll gesehen werden.“

Rund 250 Exponate befinden sich nach wie vor in Kartons und Folie verpackt im Kunstdepot, das erst vor Kurzem aus dem Keller des Landtags in ein nahegelegenes Bürogebäude gezogen ist. Der Bestand verteilt sich auf zwei Räume, die deutlich mehr Platz bieten als zuvor, als die Kunstwerke dicht gedrängt in einem Kellerraum des Landtags untergebracht und nur mit Mühe zu erreichen waren. 

Im Depot warten mehrere Werke auf ihre Restaurierung, wie etwa das skulpturartige Gemälde „Like an old wall“ des zeitgenössischen Bildhauers und Malers Michael Kortländer, das in den nächsten Tagen abgeholt werden soll. Erst kürzlich machten die Fachleute der beauftragten Restaurationswerkstatt bei ihren Arbeiten auch eine ungewöhnliche Entdeckung: Unter dem Gemälde „Die Heimkehr der Fischerflotte“ des Düsseldorfer Malers Georg Hambüchen (1901–1971) entdeckten sie die Schicht eines weiteren Bildes, das der Künstler übermalt hatte. Mithilfe von Infrarotaufnahmen rekonstruierten sie das Bild. „Eine absolute Seltenheit“, sagt Zimmerling. Auch der Rundfunk berichtete über das „Restauratorenglück“, wie es in einem Beitrag hieß.

Bei Aufräumarbeiten für den Umzug des Kunstdepots durchforstete Zimmerling den Bestand – und machte weitere Funde: Sie entdeckte Gemälde von Walter Ophey (1882–1930) und Christian Rohlfs (1849–1938), die der Landtag bereits im Jahr 1949 angekauft hatte. Ophey zählt zu den wichtigsten Malern des Rheinischen Expressionismus, Rohlfs gehörte zum Kreis der westfälischen Expressionisten. Zwar waren deren Werke im Bestand verzeichnet, aufgrund ihres schlechten Zustands aber jahrelang nicht mehr in der Ausleihe des Landtags verfügbar. 

Förderung der Kunst

Ob Schenkung oder nicht – es gehe nicht um den monetären Wert oder darum, Vermögen anzuhäufen, sagt Zimmerling. Ziel sei es, Künstlerinnen und Künstler aus Nordrhein-Westfalen zu fördern. In Zeiten der Corona-Pandemie sei das besonders wichtig. Acht Werke hat der Landtag im vergangenen Jahr neu erworben. Die Entscheidung darüber hat jeweils das Präsidium auf Empfehlung des Präsidenten des Landtags, André Kuper, getroffen. Das wiederentdeckte und mittlerweile restaurierte Ölgemälde „Landschaft mit Wolken“ von Ophey kostete im Jahr der Anschaffung rund 1.000 Deutsche Mark und dürfte heute deutlich mehr wert sein. Andere Bilder erwarb der Landtag für nur 15 bis 20 Mark oder bekam sie als Schenkungen überreicht.

Zu den Neuerwerbungen zählt beispielsweise das Werk „Shabbat-Becher“ der in Düsseldorf lebenden israelischen Künstlerin Zipora Rafaelov, das dauerhaft in der Bürgerhalle ausgestellt ist. Neu in der Sammlung sind auch das Bild „corona“ aus dem Jahr 2019 von Alicia Viebrock, ein Werk aus der Serie „Hier und jetzt“ von Inken Boje sowie eine Fotografie von Manuel Schroeder auf einer Aluminiumverbundplatte, die einen Steinbruch im Beckumer Zementrevier zeigt. 

Die meisten Neuerwerbungen werden vermutlich nur für kurze Zeit im Depot lagern, sagt Elfi Zimmerling. „Ich habe schon einige Vorbestellungen. Neue Kunst ist heiß begehrt.“ Und so wird auch die Fotografie von Wilfried H. G. Neuse wohl bald einen festen Platz im Landtag finden – und ihre Wirkung im politischen Raum entfalten.

Text: tob 

Der Text erschien erstmals in der Parlamentszeitschrift Landtag Intern (Ausgabe 1/2021). 

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