17.12.2021

Der Plenarsaal: Heiße Debatten, kühle Köpfe

Wort und Widerwort sind zentraler Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Kein Zufall, dass der Plenarsaal das Zentrum des Landtagsgebäudes darstellt. In Teil 6 der Serie "Räume des Landtags" werfen wir einen Blick hinein.

Regierungserklärung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am 3. November 2021

Letzte Tische werden noch einmal abgewischt. Alles sieht ordentlich und symmetrisch aus im Plenarsaal. Oben auf der Besucher- und Pressetribüne bauen Fernsehteams Kameras auf. In einer knappen Stunde beginnt die Sondersitzung des Landtags. Außerplanmäßig kommen die Abgeordneten zusammen, um aus ihrer Mitte einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen. Noch ist alles still. 

Der Blick fällt auf das gut 6 mal 2,40 m große Landeswappen, das der Künstler Ferdinand Kriwet in Form von 3.630 Aluminiumzylindern gestaltet hat. Und auf 250 Sitzplätze, die im Kreis angeordnet sind – ein Zeichen für gleichberechtigten Austausch und eine Vorgabe des damaligen Landtags im Ideen- und Bauwettbewerb für ein neues Landtagsgebäude, als der frühere Parlamentssitz – das Ständehaus – zu klein wurde. Wenn schon eine kreisrunde Sitzanordnung, dann auch ein kreisrunder Saal – so die damalige Grundidee des Architekten Prof. Fritz Eller für seinen Entwurf eines Parlamentsneubaus aus Rundungen und mit viel Glas, der dann auch den Zuschlag bekam. Transparenz und Offenheit sind Werte, die Form und Prinzip des Landtagsgebäudes bestimmen. Auch die Anordnung der Plätze von Abgeordneten und Regierung auf einer Ebene ist kein Zufall. Schließlich sind die beiden Verfassungsorgane gleichwertig. Erhöht sitzt nur der Landtagspräsident, der die Sitzungen abwechselnd mit seinen Stellvertreterinnen und seinem Stellvertreter leitet, mit seinen Schriftführerinnen oder Schriftführern, direkt vor dem großen Landeswappen.

Zu sehen sind heute nicht mehr die ersten Stühle und Tische, die zum 1988 eröffneten neuen Landtag gehörten. Ursprünglich hatte der Architekt, dem Parlamentsgebäude entsprechend, Sessel in halbrunder Form gewählt. Manch ein Mitglied des Landtags legte noch ein Sitzkissen hinein, um eine angenehme Arbeitshöhe zu erreichen und nicht darin zu versinken. 

Die alten Tische sind Geschichte. Fingerringe oder auch zwischen den Fingern gehaltene Stifte haben beim Applaudieren mit der flachen Hand auf den Tisch an der immer gleichen Stelle deutliche Spuren der Debattenkultur hinterlassen. 

Neue Technik

Nach 24 Jahren Benutzung und mehr als 5.500 Stunden Plenarberatungen hatte der Saal Renovierungsbedarf, und zwar nicht nur wegen der Tische. Vorrangig ging es um die Klimatechnik: Kam die Frischluft zuvor aus dem Boden, der mit Teppich ausgekleidet war, gelangt die Luft seit 2012 über die Tische der Abgeordneten in den Raum – besser ein kühler Kopf als kalte Füße, sagt Irmgard Birn vom Besucherdienst des Landtags schmunzelnd, wenn sie Gästen den Raum zeigt. Die Klimatechnik bewährt sich auch in der Corona-Pandemie. Mit Aerosolen anreichern kann sich die Luft im Plenarsaal nicht: Die Raumluftanlage leitet permanent Außenluft in den Saal, die durch den Deckenbereich wieder abgesaugt wird. So entsteht ein ständiger Luftzug nach oben.

Neben technischen Erneuerungen spielte auch die Barrierefreiheit im Plenarsaal eine große Rolle bei den Renovierungsarbeiten. Vom Sitzplatz zum Rednerpult gelangen Abgeordnete seitdem nicht nur über Stufen, sondern auch über eine Rampe. Das gilt natürlich ebenso für Gäste, die ohne Barriere an Veranstaltungen teilnehmen können sollen. 

Im Zuge der Renovierung im Jahr 2012 bekam der Plenarsaal die neuen Tische für die Klimatechnik und ein modernes Stuhl-Schiene-System. Jeder Stuhl zieht sich nach Benutzung automatisch zurück an den Tisch. An ihren Plätzen haben die Abgeordneten jeweils ein eigenes Mikrofon, etwa um Zwischenfragen während der Debatte zu stellen. Der Landtagspräsident ist Herr der Mikrofone und erteilt das Wort. Zum festen Platz jeder und jedes Abgeordneten gehört außerdem eine abschließbare Schublade für persönliche Dinge. 

Der Plenarsaal, das Kernstück des Landtags und mit 30 Metern Durchmesser der größte Saal im Landtag, bietet nicht nur Platz für das Parlament und die Regierung. Als Schaufenster des Parlaments verfügt er auch über 336 Plätze auf der Besuchertribüne für Bürgerinnen und Bürger, Gäste des konsularischen Corps sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medien inklusive zweier Sprecherkabinen für eine Live-Kommentierung von Fernsehsendern. 

Der Raum füllt sich langsam mit Menschen, und auch während der Plenarsitzung werden immer wieder Abgeordnete kommen und gehen: Essen, Trinken und Rauchen sind im Plenarsaal untersagt, die Sitzungen dauern oft bis spät abends und haben keine Pausen. 

Immer wieder anders

Zu jeder neuen Wahlperiode sieht der Plenarsaal etwas anders aus: Wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten bei der Landtagswahl variiert die Zahl der Abgeordneten. So nahmen hier beispielsweise in der 10. Wahlperiode, als das neue Landtagsgebäude eröffnet wurde, 201 Abgeordnete aus zwei Fraktionen Platz. In der 11. Wahlperiode waren es 239 Abgeordnete aus vier Fraktionen. Und in der 15. Wahlperiode saßen hier mit 181 Abgeordneten knapp 60 Menschen weniger.

Die Tische der 199 Abgeordneten, die dem Landtag in dieser Wahlperiode angehören, zeigen noch keine Abnutzungsspuren. Sie warten noch auf Zeichen jahrzehntelanger parlamentarischer Debatte. Auch heute wird daran wieder gearbeitet. Der Plenarsaal füllt sich zur Sondersitzung, die Abgeordneten nehmen ihre Plätze ein.

Text: sow

Der Text erschien erstmals in der Parlamentszeitschrift Landtag Intern (Ausgabe 10/2021).

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