Eine Kommission des Ausschusses für Innere Verwaltung des Landtags Nordrheinwestfalen unter Leitung des Ausschußvorsitzenden Klaus-Dieter Stallmann (CDU), den später der stellvertretende Ausschußvorsitzende Jürgen Jentsch (SPD) ablöste, hat in der zweiten Septemberhälfte eine Informationsreise in die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) unternommen, die die nordrhein-westfälischen Parlamentarier nach Washington D. C., New York und Boston führte.
Erste Station war das Federal Bureau of Investigation (FBI) in Washington. Hier wurde der Einsatz von verdeckten Ermittlern und elektronischen Überwachungsgeräten im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Drogenhandel erörtert. Für den Einsatz von Abhörmikrofonen, verdeckter Ermittler, für die Kronzeugenregelung und die Beschlagnahme von Vermögen, beweglichen und unbeweglichen Sachen gibt es gesetzliche Regelungen. Eine bevorstehende Beschlagnahme muß öffentlich bekanntgemacht werden. Verdeckte Ermittler können ebenso vom Bundeszollamt, der Steuerfahndung, dem Militär, vom Geheimdienst und der DEA (Drug Enforcement Administration) eingesetzt werden. Ein verdeckter Ermittler kann sich an geringfügigen Straftaten beteiligen, nicht jedoch an Delikten mit Todesfolge. Die Tat muß immer in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen, darf nur gemeinschaftlich mit den zu beobachtenden Tätern begangen werden und muß in der jeweiligen Situation unvermeidbar sein. Eine elektronische Überwachung muß im Einzelfall richterlich genehmigt werden. Anschließend ist der zuständige Bundesrichter ständig über den Stand der Ermittlungen, die Notwendigkeit der Fortführung sowie über vorliegende Ergebnisse zu unterrichten. Wenn sonstige Mittel auch das Abhören von Telefongesprächen ausgeschöpft wurden, aber zu keinem Ergebnis geführt haben, kann die elektronische Überwachung beantragt, muß dabei aber ausführlich und plausibel begründet werden. Besonders erfolgreich sind die sonstigen Überwachungsmaßnahmen in Verbindung mit einem großen Lauschangriff.
Die DEA arbeitet mit mehr als 3700 Spezialagenten und über 400 Chemikern, Analytikern und Sachverständigen. Ihre Operationsgebiete reichen über Europa, Zentral- und Südamerika bis in den fernen Osten. Dort unterhält die Behörde in vielen Städten Kontaktbüros. Neue werden vor allem im Gebiet der früheren Sowjetunion eröffnet. Die DEA ist zuständig zur Verfolgung von Verstößen gegen die Drogengesetze und damit auch zur Überwachung des Arzneimittelhandels (Narkotika). In Zusammenarbeit mit 72 Ländern verfolgt sie die großen Dealer, tauscht Daten über neue Erkenntnisse und Ermittlungserfolge aus, unterhält eine Ausbildungseinheit in Quantiko, in der Mitarbeiter darauf geschult werden, in anderen Ländern die dort zuständigen Behörden im Kampf gegen den Drogenhandel zu unterstützen. Dort werden auch Alternativprogramme angeboten, um den Anbau von Hanf und Kokain zu verdrängen. Ferner dienen Erziehungsprogramme der Verhinderung von Sucht.
Der Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit im Metropolitan Police Department erläuterte die Organisation, Einstellungsvoraussetzungen, Ausbildungswege, Beförderungschancen, die gleichwertigen Berufschancen von Frauen bei der Polizei, den Einsatz der freiwilligen Polizisten sowie der Hilfsdienste. Bei den freiwilligen Cops handelt es sich um unbezahlte, ehrenamtlich tätige Zivilisten, die ihre Freizeit für zwölf bis 16 Stunden pro Monat in den Dienst der Polizei stellen. Sie sind unbewaffnet, dürfen s. o. Schlagstöcke tragen, begleiten Polizisten bei der Streife, fahren in Fällen der Kleinkriminalität oftmals auch selbst zum Tatort, um Zeugen zu befragen. Sie helfen bei der Aufklärung gewaltloser Straftaten. Bei den Hilfsdiensten (Auxiliary-Services) werden unter anderem Pensionäre und Studenten beschäftigt, die über Fachkenntnisse (Betriebswirtschaft, Management, Informatik und Computertechnik) verfügen. Dabei sammeln die Studenten Berufserfahrung, die nach Abschluß des Studiums der eigenen Berufsfindung nützt. Die Behörde beschäftigt insgesamt 2700 Polizeibedienstete.
ADA (Americans for Democratic Action) ist eine Lobbyorganisation gegenüber Kongreß, Senat, Länderparlamenten und Stadträten. Weil ADA neutral vorgeht und keine bestimmten Bevölkerungsgruppen im Auge hat, wird die Organisation von den Medien geschätzt. Die Mitglieder sind 50 Jahre und älter; für die Jüngeren insbesondere Studenten - besteht die JDA(Jouth for Democratic Action). ADA unterstützt eine Wirtschaftspolitik, die Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzsicherung, Verbesserung des Lebensstandards und eine gerechte Vermögensverteilung verfolgt. Die Organisation nimmt Einfluß auf das öffentliche Leben und auf die Politik, sie berät Kongreßmitglieder, Regierungsvertreter und Politiker.
Beim Thema Polizei und Minderheiten ging ADA auf Distanz. Sie hält die Senkung der Kriminalitätsrate in Boston und New York für sehr fragwürdig, weil immer häufiger der Polizei Fehlverhalten und Gewalttätigkeit vorgeworfen wird. Die verfassungsmäßigen Rechte der Menschen würden verletzt, weil die Politik und damit der Gesetzgeber der Polizei zuviel Handlungsfreiheit einräumen. Den Polizeibediensteten, von denen in New York 70 und in Boston 85 Prozent weißer Hautfarbe sind, fehle oft die Sensibilität im Umgang mit den Problemen ethnischer Minderheiten.
In Boston führte die Delegation Informationsgespräche mit Repräsentanten des Bundesstaates Massachusetts, der Polizei Boston, der Harvard Universität und anderen Vertretern des öffentlichen Lebens über Fragen der inneren Sicherheit, vor allem über Ursachen der Jugendkriminalität, Verbrechensbekämpfung in städtischen Wohngebieten, Rehabilitierungs- und Erziehungsmaßnahmen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand das erfolgreiche Modell des "Neighbourhood Policing".
Secretary Kathleen O'Toole, Innenministerin des Bundesstaates Massachusetts, befürwortete mit Nachdruck eine Politik zur Vermeidung eines "environment of disorder". Sie legt Wert auf Strafverhinderung und Wiedereingliederung. Schulungs- und Bildungsprogramme sollen helfen. Mit Sport, Musik, Theater, Kunst und Computerlehrgängen sollen Kinder und Jugendliche von den Straßen ferngehalten und sinnvoll beschäftigt werden. So sei, seitdem Kinder verstärkt über Brandschutz und die Folgen von Bränden aufgeklärt werden, die Zahl der Brandstiftungen zurückgegangen. Der Staat solle nicht nur auf Straftaten reagieren, sondern Anfänge und Ursachen bekämpfen.
Professor Frank Hartmann erläuterte zwei Projekte zur Einwirkung auf jugendliche Straftäter durch erzieherische Maßnahmen, die vom Criminal Justice Center der Harvard University im Zusammenwirken mit den zuständigen Behörden der Stadt Lowell durchgeführt werden. Nach Hartmanns Worten habe sich das traditionelle System der Reaktion nicht bewährt. Es müßten Wege gefunden werden, in das Leben der Kriminellen einzudringen. Besonders wirksam sei dabei eine richterliche Anordnung, nach 19 Uhr das Haus nicht mehr zu verlassen. Sich nur noch unter polizeilicher Aufsicht bewegen zu dürfen, sei demütigend und daher heilsam. Das sei Teil des "Boston Projects". Die gewalttätigen jungen Delinquenten werden auch zu Gesprächen mit Sozialarbeitern und Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendamt eingeladen. Sie werden in Beruf und Freizeit unter Beobachtung gestellt, Familienangehörige werden über die Maßnahmen informiert, die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt. Die vom Senat des Staates Massachusetts beschlossene Wiedereinführung der Todesstrafe hielt er für den falschen Ansatz. Dritte und letzte Station der Informationsreise war New York City. Hier hat die neue Politik des "Community policing" auch durch verstärkte präventive Arbeit deutliche Erfolge gebracht. So werde jetzt die Kleinkriminalität entschieden ins Visier genommen, ungebührlicher Lärm, Graffiti-Schmierereien und der Konsum von Alkohol in derÖffentlichkeit würden rigoros bekämpft. Bei dieser Gelegenheit könnten oft schwere Vergehen aufgeklärt werden. Zugegeben wurde, daß durch diese neue Strategie der Drogenhandel von der Straße in geschlossene Räume, von New York City in die Vororte und angrenzende Gebiete verlagert worden sei.
Den Rückgang der Kriminalität hielt Jo Dixon, Professorin an der Strafrechtsfakultät der New York University Fachbereich Soziologie nicht für so drastisch. Sie kritisierte, daß sich immer häufiger jugendliche Delinquenten vor einem Strafgericht für Erwachsene verantworten müßten. Die Sozialarbeit mit dieser Tätergruppe werde in den USA immer bedeutungsloser. Die Kriminalisierung des Drogenmißbrauchs werde immer mehr verstärkt, Methadonprogramme und Therapie würden vernachlässigt. Das preiswerte Programm "saubere Nadel" käme nur noch in wenigen Bundesstaaten zur Anwendung. "Community policing" hält Jo Dixon zwar für sinnvoll. Da die Bevölkerung aber Gewaltdelikte am meisten fürchtet, sollte sich die Politik darauf konzentrieren und nicht auf die Ahndung von Verstößen gegen die Lebensqualität, die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Zuwachs der Gefängnispopulation durch Täter, die keine Gewaltverbrechen begingen, sei besorgniserregend.
Der "große Lauschangriff" stand im Mittelpunkt der Diskussion mit Mitgliedern der Richtervereinigung. Bei den telefonischen Abhörmaßnahmen bereitet der Polizei das "geklonte Telefon" noch größere Schwierigkeiten als das Handy, weil sich hier ein Täter eines fremden Anschlusses auf Kosten einer dritten Person bedient. Drogenhändler der kolumbianischen Zellen zum Beispiel benutzen mit Vorliebe das Einmal- oder Wegwerftelefon. Der abhörende Polizeibeamte darf keine Privatgespräche aufzeichnen, die nicht auf die Vorbereitung oder Durchführung einer Straftat schließen lassen. Die Verdächtigen oder deren Verteidiger sind unmittelbar nach Abschluß der Abhörmaßnahme zu unterrichten, die Bänder unverzüglich zu versiegeln.
Nach Ansicht von Professor Nadelman, Präsident der Lindesmith Foundation, muß die Gesellschaft lernen, mit den Drogen umzugehen, so wie sie auch lernen mußte, mit dem Auto oder mit Waffen zu leben. Die Forderung nach einer drogenfreien Gesellschaft, die es nie gegeben habe, sei kontraproduktiv, kostspielig, töricht, nicht glaubwürdig und in gewisser Hinsicht sogar gefährlich. Es sei sinnvoller, Alternativprojekte mit dem Ziel einer Schadensbegrenzung zu entwickeln und damit die sowohl negativen Folgen des Drogenkonsums als auch der -bekämpfung zu mindern. Erfolgreich seien die "Aktion saubere Nadel" und Methadonprogramme mit dem Ziel, die Süchtigen so weit zu entwöhnen, daß sie zu brauchbaren Mitgliedern der Gesellschaft würden, die keine anderen Drogen mehr brauchen. Bei allen Maßnahmen sei die Menschenwürde in den Mittelpunkt zu stellen.
Bildunterschrift:
Vor dem Gebäude des FBI in Washington Aufstellung genommen: die Kommission des Ausschusses für Innere Verwaltung und ihre Begleitung, in der Bildmitte Ausschußvorsitzender Klaus-Dieter Stallmann (CDU).
Systematik: 1300 Innere Sicherheit
ID: LI971840