Rund 22.000 Menschen hatten am 19. Oktober 2023 vor dem Landtag demonstriert, weil sie Einschnitte und Versorgungsengpässe befürchten. „Inflation und Tarifsteigerungen bedrohen viele Träger essentiell. Maßnahmen der Landesregierung folgten aber nicht und auch im aktuellen Haushaltsplan sind keine ausreichenden Mittel eingeplant. Damit drohen Insolvenzen im sozialen Bereich“, kritisiert die SPD-Fraktion in ihrem Antrag (18/6481).
Die AfD warnt in ihrem Antrag (18/6482): „Es ist fünf vor zwölf: Wegen Unterfinanzierungen drohen in NRW jetzt kurzfristig Schließungen.“ Grund sei eine „erhebliche Finanzierungslücke“, die insbesondere freie Träger von Einrichtungen bedrohe.
"Fanal"
„Die Demonstration vom 19. Oktober war ein Fanal“, befand Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Es handle sich um den größten Protest gegen eine Landesregierung seit 20 Jahren – um einen Protest aus Verzweiflung. Ott warf der Landesregierung vor, einen drohenden Kollaps der sozialen Infrastruktur einfach auszusitzen. „In Wahrheit sind Ihnen die Familien in diesem Land schlicht egal“, sagte er und rief zum Handeln auf. Er schlug vor, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und einen Pakt für Nordrhein-Westfalen zu schließen. Gute Schulen, verlässliche Kitas und ausreichend Ganztagsplätze seien keine Zauberei.
Zacharias Schalley (AfD) sprach in Anspielung auf Otts Rede von „Krokodilstränen“: Die SPD habe ebenso Anteil an der Situation. Jahrelang seien die Probleme zur Seite geschoben worden. Eine chronische Unterfinanzierung sei seit Langem bekannt. „Inzwischen ist es zur traurigen Normalität geworden, dass Erzieher an der Belastungsgrenze arbeiten“, beklagte er. Es gelte, „Druck aus dem Kessel“ zu nehmen. Dazu schlug er vor, Eltern eine ausreichende finanzielle Entschädigung zu zahlen, wenn sie ihre Kinder unter drei Jahren zu Hause betreuten, statt sie in Kindertagesstätten betreuen zu lassen.
Aus dem Appell der Wohlfahrtsverbände „NRW bleibt sozial!“ lasse sich nur ein Status quo ableiten: „Nordrhein-Westfalen ist sozial“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Thorsten Schick. Das sei der Anspruch von Schwarz-Grün. NRW sei das „soziale Gewissen der Bundesrepublik Deutschland und wird es auch bleiben“. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die finanzielle Lage nach der Corona-Pandemie und mit den Folgen des Ukraine-Krieges „so angespannt wie nie“ sei. Das spürten auch soziale Einrichtungen. Die Landesregierung investiere in die soziale Infrastruktur, während der Bund spare und Land sowie Kommunen „in die Tasche“ greife.
Wenn Schwarz-Grün das soziale Gewissen in NRW wäre, hätten nicht 22.000 Menschen der Landesregierung bei der Demo in der vergangenen Woche die „rote Karte“ gezeigt, erwiderte Marcel Hafke (FDP). Die Probleme seien nicht auf mangelndes Engagement des Bundes zurückzuführen. Die Landesregierung kapituliere vor der Lage in Kitas, der OGS und der Pflege. „Wir erleben ja nicht einmal mehr einen Handlungsversuch“, kritisierte Hafke. Die soziale Infrastruktur in NRW habe „massive Nöte“. Besonders im OGS- und Kita-Bereich gebe es „dramatische Zustände“. Auf Hilferufe der Träger habe die Landesregierung kaum oder überhaupt nicht reagiert.
"Angespannte Haushaltslage"
Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sagte, sie teile das Anliegen der Demonstrantinnen und Demonstranten, denn es gehe um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Die Koalition wisse um die Notwendigkeit einer starken sozialen Infrastruktur. Auch seien die Tarifsteigerungen zu begrüßen, die Mitarbeitenden hätten sie verdient. Schäffer verwies zugleich auf eine angespannte Haushaltslage. Trotz dieser Lage setze die Koalition Schwerpunkte bei Kindern und Bildung und gebe hier mehr Geld aus. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege seien auch unter Druck, weil der Bund an empfindlichen Stellen kürze.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte ebenfalls die angespannte Haushaltslage. Die Krisen der vergangenen Jahre hätten dazu geführt, dass die staatlichen Reserven aufgebraucht seien. Der Kampf gegen den Fachkräftemangel sei ein Schwerpunkt des Koalitionsvertrags. Das Land habe beispielsweise bei Erziehung, Pflege und im Schulbereich die Ausbildung in großem Umfang gesteigert. Mit Blick auf die Kritik der SPD verwies er auf den Bundessozialminister, der Kürzungen im Sozialbereich vornehme. Wer im Glashaus sitze, solle daher nicht „so stark mit Steinen werfen“. Laumann betonte, NRW sei „ein starker Sozialstaat“ und bleibe dies auch.
Text: sow, tob, wib