Nordrhein-Westfalen ist dabei, zwei EU-Richtlinien zum Naturschutz umzusetzen. Der dafür notwendige Entwurf eines Einführungserlasses aus dem Umweltministerium wurde in einer Anhörung des Landwirtschaftsausschusses unter dem Vorsitz von Heinrich Kruse (CDU) vor der Sommerpause diskutiert. Es folgt die Fortsetzung unserer Berichterstattung aus "Landtag intern" Heft Nr. 13, Seite 13.
Dr. Alexander Schink als Sprecher der drei nordrhein-westfälischen kommunalen Spitzenverbände wies darauf hin, der Erlass sei strukturpolitisch und naturschutzpolitisch von erheblicher Bedeutung, denn er beziehe sich auf acht Prozent der Landesfläche, die der EU-Kommission als FFH- und Vogelschutzgebiete genannt werden sollen. Einerseits begrüße man bei den Spitzenverbänden den Erlass, weil er Rechtssicherheit schaffe und das Verfahren der Verträglichkeitsprüfung regele, andererseits gebe es eine erhebliche Menge an Kritikpunkten. So habe die Abstimmung bei der Gebietsauswahl EU-weit und zwischen den Bundesländern einheitlich zu erfolgen. Nachbesserungsbedarf gebe es auch beim konsensualen Verfahren. Bedenken meldete Schink besonders gegen den Umstand an, die Infrastrukturpolitik im Lande, "die haufig mit erheblichen Schwierigkeiten in die Gebietsentwicklungspläne Eingang gefunden hat, auf den Prüfstand des Naturschutzes zu stellen. Der Naturschutz soll Vorrang vor der Infrastrukturentwicklung haben." Da stelle sich die Frage nach dem Bestandsschutz, sagte er. Klärungsbedarf sah der Sprecher ferner beim Abstandserlass.
Die Vereinigung der Industrie- und Handelskammern in NRW meldete angesichts dar weitreichenden materiellen und verfahrensrechtlichen Regelungen Zweifel an, ob dies alles in einem Erlass geschehen könne. Der Sprecher Michael Pieper wies dabei ebenfalls auf die Möglichkeit hin, dem Naturschutz entgegenstehende, aber berets festgelegte raumordnerische Ziele rückwirkend wieder zu ändern. Der Erlass könne auch unter Verweis auf das NRW-Landschaftsgesetz über bundesrechtliche Festlegungen nicht hinausgehen. Er finde im Erlass auch keinen expliziten Hinweis auf den Begriff des dynamischen Bestandsschutzes, wie er in der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verwandt werde. Im Gegenteil, er fürchte, "dass wir hier zu einem vollkommen anderen, so vom Bundesgesetzgeber aus meiner Sicht nicht gewollten Bestandsschutzbegriff mit den entsprechenden Folgen kommen. Ich befürchte, dass dann hier in Nordrhein-Westfalen infrastrukturell wichtige Projekte kaim noch durchzufuhren sein werden." Damit falle das Land im Wettbewerb weiter zurück. Die Bedeutung des Erlasses für den Wirtschaftsbereich des Handwerks stellte Hermann Eiling im Namen des Westdeutschen Handwerkskammertags und des nordrheinwestfälischen Handwerkstags vor. Sehr viele handwerkliche Betriebe lägen im Außenbereich, besonders in Gebieten, wo die Landwirtschaft relativ an Bedeutung verloren habe, und seien darum von beiden Richtlinien und dem Einführungserlass betroffen. Die Liste der Gebiete mit den natürlichen Lebensräumen der in den Richtlinien genannten Tier- und Pflanzen- sowie Vogelarten seien von der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten/Landesamt für Agrarordnung NRW auch mit den Verbänden der gewerblichen Wirtschaft zu erörtern, verlangte Eiling und regte an, die Nennung der Projekte, von denen von einer erheblichen Beeinträchtigung nicht auszugehen sei, deutlich zu erweitern und ortsgebundene Betriebe darin aufzunehmen. Auch könnten Vorhaben unterhalb der Schwelle der wesentlichen baulichen Änderungen "zum Beispiel Kfz-Abstellplätze, Fahrrad-Abstellplätze oder auch Lagerflächen" einbezogen werden.
Für die drei anerkannten Naturschutzverbände im Lande sah Klaus Brunsmeier den Naturschutz angesichts des weiter voranschreitenden Flächenverbrauchs auf dem Rückzug. Die im Entwurf vorliegende Verwaltungsvorschrift trage nach Ansicht der Naturschützer nicht genügend zur Lösung vieler offener Probleme bei, der Erlass könne seine Aufgabe, den Behörden eine sichere Leitlinie zu geben, nicht erfüllen. Weil er sich vielerorts auf das von manchem als unzureichend eingestufte Bundesnaturschutzgesetz berufe, suggeriere er eine Rechtssicherheit, die äußerst fragwürdig sei. Er definiere den Begriff der Erheblichkeit von Beeinträchtigungen viel zu eng das vor dem Hintergrund, dass nur erhebliche Eingriffe der FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssten. Dadurch schlüpften zu viele Projekte durch das europäische Naturschutzrecht, bemängelte er. Die aus dem Immissionsschutzrecht übernommene Abstandregelung entspreche nicht dem Schutzgedanken. Äußerst fragwürdig sei auch die Aufnahme etlicher Vorhaben in eine Unbedenklichkeitsliste, darunter der bestandsorientierte Ausbau von Straßen. Große Lücken weise der Entwurf auch bei der Hilfestellung für Behörden beim Umgang mit neuen Begrifflichkeiten auf. Kurz: Der Entwurf räume viele Rechtsunsicherheiten nicht aus, weiche in einer Fülle von Fällen unzulässigerweise von den Vorgaben des Europarechts ab und lasse viele Fragen des täglichen Verwaltungshandelns unbeantwortet.
Detlev Finke von der Biologischen Station Naturschutzzentrum Hochsauerlandkreis plädierte für die Einsicht, "dass die Sicherung der natürlichen Ressourcen der Gesellschaft langfristig mehr nutzt, als sie ihr Verzichte abringt". So gehe die Station davon aus, dass die Umsetzung der Richtlinie für Land- und Forstwirtschaft im Rahmen einer naturschutzkonformen Bewirtschaftung schützenswerter Biotope zusätzliche Einkommenseffekte mit sich bringt. Weil Naturschutz ein hohes gesellschaftliches Gut sei, trage die Einstellung "Wer den Naturschutz bestellt, muss ihn auch bezahlen" nicht weit genug, betonte Finke und verwies darauf, dass es sich weniger um eine Frage der vorhandenen Mittel als vielmehr des politischen Willens handele. Der Natur sei es egal, wodurch der Schutz gewährleistet werde, "er muss nur hinreichend und effektiv sein". Bei aller Wertschätzung des Vertragsnaturschutzes wo die kooperativen Schutzbemühungen nicht griffen, bleibe eine Ausweisung als Schutzgebiet weiterhin unumgänglich.
Vom Beirat der Obersten Landschaftsbehörde des Landes NRW war zu vernehmen, dass man ein früheres Inkrafttreten des Erlasses begrüßt hätte, wäre doch dadurch manche jetzt entstandene Konfrontation zwischen den verschiedenen Interessengruppen gar nicht erst aufgetreten. Kritikwürdig und nicht hinnehmbar sei, dass im Erlass unter den bei der Gebietsmeldung zu beteiligenden Institutionen die Landschaftsbeiräte fehlten, bemerkte Professor Dr. Wolfgang Gerß. Im Erlass, dem man nicht ansehen könne, ob eine Abstimmung bundesweit und mit EU-Staaten erfolgt sei, sollte der Vorrang für vertragliche Vereinbarungen vor den Maßnahmen des Ordnungsrechts festgeschrieben werden. Der Erlass müsse auch deswegen schnellstens in Kraft treten, weil die Vergabe von Strukturförderungsmitteln an die Prüfung der Umweltrelevanz der Projekte gebunden sei; wer keine Schutzgebiete nach Brüssel melde, der verliere drei Geldquellen, aus denen für das Land bis zum Jahr 2006 nicht weniger als 28 Milliarden Mark zur Verfügung stünden. Gerß: "Bei den anstehenden Gebietsmeldungen ist Deutschland in Europa das Schlusslicht, und Nordrhein-Westfalen hinkt leider hinter den anderen Bundesländern her."
Dr. Ulf Hauke (Bundesamt für Naturschutz) erklärte, die EU-Richtlinie entfalte ab 1994 Schutzwirkung, "also bedürfen normalerweise alle Vorhaben, die seit diesem Zeitpunkt genehmigt wurden, einer eigenständigen Verträglichkeitsprüfung gemäß FFH-Richtli-nie". Die pauschalen Freistellungen im Erlassentwurf seien "nach Auffassung der Kommission, der Mitgliedsstaaten und auch des Bundes generell unzulässig". Zu beachten sei bei der Gebietsauswahl, dass nicht jedes Gebiet für sich europaweit bedeutsam sein müsse; "sondern es entstehe ein Netz von europäischer Bedeutung; das ist ein gravierender Unterschied". Der Erlass bringe gewisse Probleme in Hinblick auf die Rechtssicherheit bezuglich der Umsetzung der Richtlinie mit sich, schloss Hauke. Er könne sich vorstellen, "dass dieser Erlass bei der Klage im Rahmen der Nichtumsetzung der Richtlinie durchaus eine Handhabe der Kommission Deutschland gegenüber darstellt".
Für die Straßenbauverwaltung der beiden Landschaftsverbände, die grundsätzlich mit dem Erlass einverstanden seien, wies Henning Klare auf die vielfältigen Schwierigkeiten hin, die Folge davon waren, dass die Richtlinie aus dem Jahr 1992 erst ab 1997 bei Planungen der Straßenbauverwaltung berücksichtigt werden konnte. Dennoch sei es den Verwaltungen gelungen, "innerhalb relativ kurzer Zeit fast alle Probleme flexibel und sogar konventionsbildend zu lösen". Zusammenfassend: "Es gibt keine grundsätzlichen Probleme bei der Arbeit mit der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie."
Bildunterschrift:
Leitete die Anhörung zum Einführungserlass, den die Umweltministerin im Entwurf dem Parlament zugeleitet hat: Ausschussvorsitzender Heinrich Kruse (CDU, Bildmitte), hier im Gespräch mit zwei der geladenen Sachverständigen.
Systematik: 6110 Natur; 6100 Umwelt
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