Die Tatsachen sind bekannt: Der zum Teil hohe Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler in den Gemeinschaftsgrundschulen, der mitunter die deutschen Kinder zur Minderheit in einzelnen Klassen werden läßt, die Konsequenz, die manche deutsche Eltern ziehen, die ihr Kind trotz Vorbehalten lieber in einer Bekenntnisschule anmelden (hier hat das böse Wort von der "türkenfreien" Schule die Runde gemacht) und der Umstand, daß die Bekenntnisschulen ihrerseits über eine wachsende Zahl von Kindern verfügen, die entweder konfessionslos sind oder einer anderen Konfession angehören. All dies war für den Ausschuß für Schule und Weiterbildung (Vorsitzender Hans Frey, SPD) Anlaß, im Rahmen einer Anhörung Ende September über "Bedeutung und Zukunft der Bekenntnisschulen in Nordrhein- Westfalen" sich ein eigenes Bild zu machen.
Für das Katholische Büro NRW sah sein Sprecher Augustinus Graf Henckel-Donnersmarck "einen überflüssigen, vom Zaun gebrochenen Streit um die Bekenntnisschule". Bei ihnen handele es sich um staatliche Schulen; die Schüleraufnahme sei Sache der Schulen, nicht der Kirche, die im übrigen nur sehr geringe Einflußmöglichkeiten habe. Im übrigen finde man die Instrumentalisierung der Bekenntnisschule für bestimmte, auch erzieherische Zwecke nicht gut. Es sei zudem merkwürdig, über Bedeutung und Zukunft dieser Schule zu reden, andererseits, wie dies die Grünen täten, das Ziel zu haben, sie ersatzlos abzuschaffen.
Unterschiedliche Quoten bei Schulumwandlungen lehnte Henckel-Donnersmarck wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Demokratie ab, sonst erhielten Eltern, die einer bestimmten Richtung nahestünden, einen höheren Rechtsschutz als andere: "Das ist unerhört". Auch die örtlichen Schulträger sollten nicht das Recht erhalten, Umwandlungen zu beantragen, fuhr er fort, denn ordnungsstaatliche Grundsätze dürften nicht vor das grundgesetzliche Recht der Eltern auf Erziehung treten. Wenn er in der geltenden Rechtslage eine Änderung sich vorstellen könne, dann in einem Punkt, schloß der Sprecher des Katholischen Büros: Paragraph 18 Absatz 2 des Schulordnungsgesetzes sollte so umgestaltet werden, daß konfessionelle Minderheiten künftig Religionsunterricht in ihrem Bekenntnis erhalten "ohne den Charakter der Bekenntnisschule zu verändern".
Im Grundsatz gebe es keine Unterschiede zur Stellungsnahme der katholischen Kirche, führte Helmuth Koegel-Dorfs, Beauftragter der evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung, zu Beginn seines Beitrags aus. Wenn es, was nicht zu bestreiten sei, örtliche Probleme gebe, dann müßten die vor Ort gelöst werden, "aber nicht durch Änderung der Gesetze und der Verfassung". Die Kirchen seien für ihre integrative Ausländerarbeit bekannt und oft angefeindet worden, aber es müsse doch gefragt werden, ob die Grundschulen einen besonderen Beitrag zur Integration leisten müßten. Koegel-Dorfs: "Schule muß Schule sein, daß heißt, auf den Elternwillen zu hören und allgemeine und politische Vorgaben zu erfüllen". Integration dürfe nicht "auf dem Rükken der I-Dötzchen ausgetragen werden; die seien in der Grundschule erst einmal zu "stabilisieren". Integration sei in erster Linie Aufgabe der Erwachsenen, betonte er und unterstrich wie sein Vorredner, Schule dürfe nicht instrumentalisiert werden, oberstes Prinzip sei der Elternwille, und der habe sich nicht verändert. Das bestehende System von Gemeinschaftsgrundschulen und Bekenntnisschulen sei als befriedigend zu bezeichnen, "wir wünschen einen Erhalt der Situation".
Manfred Nicht vom Bischöflichen Generalvikariat Essen fand es widersinnig, gerade in einer Zeit, in der in der Gesamtgesellschaft das Bedürfnis nach Orientierung wachse, auf die Bekenntnisschule verzichten zu wollen. Das Wahlverhalten der Eltern sei nicht fremdenfeindlich bestimmt, sondern drücke lediglich die Sorge um die Bildungschancen der Kinder aus.
Aus der Praxis berichtete Barbara Ihle, Leiterin einer Gemeinschaftsgrundschule in Elberfeld und Sprecherin des Arbeitskreises der Schulleiter an Gemeinschaftsgrundschulen. Sie machte auf die ungünstige Konkurrenzsituation der Schulen untereinander in sozialen Brennpunkten aufmerksam: In dieser engen Nachbarschaft zeige sich die Fragwürdigkeit der Schulwahl; für viele Eltern sei die nahegelegene katholische Grundschule die "Schule der Wahl", weil sie fast "ausländerfrei" sei. Die Bekenntnisschulen seien zwar nicht ausländerfeindlich, ihre Bestandsgarantie aber konterkariere die Bemühungen um Toleranz, das Problem sei der de-facto-Ausschluß moslemischer Kinder aus der Bekenntnisschule. Ihre Forderung lautete: Umwandlung aller Konfessionsschulen in Gemeinschaftsschulen.
Für den nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebund gab dessen Sprecher Horst-Heinrich Gerbrand das Ergebnis einer Umfrage unter den 357 Mitgliedsstädten und -gemeinden bekannt. Zentraler Punkt sei, daß den kommunalen Schulträgern die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, den Prozeß der örtlichen Schulentwicklung zu begleiten und auf ihn Einfluß zu nehmen. Die Einführung eines Initiativrechts für Schulträger stelle dafür ein adäquates Instrument dar.
Klaus Hebborn vom Städtetag Nordrheinwestfalen plädierte für eine gleichmäßige Verteilung von ausländischen und deutschen Schülern auf die Schulen; das lasse die derzeitige Rechtslage aber nicht zu, weit sonst das Prinzip der wohnortnahen Beschulung in Gefahr gerate. In der Frage der Abschaffung der Bekenntnisschule habe sich unter den Städten kein einheitliches Votum ergeben, wenn auch damit die Bereitstellung von Schulraum erleichtert und die Schulbaukosten gesenkt würden. Den Mitgliedsstädten sei aber eine Erleichterung der Umwandlung denkbar.
Öffentliche Bekenntnisschulen seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, urteilte Dr. Norbert Reichling von der Humanistischen Union. Auch Schule müsse einen Beitrag zur kulturellen Verständigung leisten, da könne sich die Bekenntnisschule nicht auskoppeln, in der die muslimische Gemeinschaft nicht vorkomme.
Anton Janzing von der Katholischen Elternschaft NRW machte darauf aufmerksam, per Verfassung seien öffentliche Bekenntnisschulen keine Schulen für alle Schüler. Mit Erfolg hätten sie bereits spanische, portugiesische und italienische Kinder integriert. Die Sorge um Nachteile für deutsche Kinder sei nicht Ausländerfeindlichkeit, ausländerfeindlich und Grund für die Ablehnung eines Aufnahmeantrags in die Bekenntnisschule sei allerdings der Wunsch einer "türkenfreien " Schule.
Albert Schaaf (Landeselternrat Grundschulen) sprach sich für eine verfaßte Elternschaft wie in anderen Bundesländern aus und wies den Staat auf seine Verpflichtung hin, bei hohem Ausländeranteil den Stellenzuschlag nicht stagnieren zu lassen oder gar zu verschlechtern. Die besseren Lernbedingungen an Bekenntnisschulen sollten auch an anderen Schulen geschaffen werden. Für den Verband Bildung und Erziehung meinte Andrea Langhans, die angespannte Situation an einigen Grundschulen lasse sich durch eine adäquate Sach- und Personalausstattung lösen und nicht durch Verfassungsänderung. Rixa Borns von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschan sah alle Grundschulen in der Pflicht zur sozialen Integration. Ihre Gewerkschart fordere eine Aufhebung der konfessionellen Bindung der Grundschule. Sie regte an, die konfessionellen Schulen in privater Trägerschaft weiterzuführen. Anders der Verein Katholischer Deutscher Lehrerinnen; seine Sprecherin Hedwig Sauer bemängelte, der Begriff Integration sei diffus, ideologisch geprägt und bedürfe der Präzisierung. Bekenntnisschulen kämen ihrem gesellschaftspolitischen Auftrag nach, ausländische, auch muslimische Kinder zu beschulen.
Die Sprecherin der Landesschüler/innenvertretung, Christine Wachtel, hielt Bekenntnisschulen für mit der Verfassung nicht vereinbar. Die Fixierung auf die eigene Konfession im Unterricht erlaube keine Integration, sondern allenfalls ein Zusammenleben nach dem Motto "Mein Freund, der Heide".
Christine Adler, Leiterin einer Gemeinschaftsgrundschule in Mari, war der Meinung, Integration sei für Kinder kein Problem. Sie warnte vor "nationalhomogenen" Klassen: Sie senkten die Chancen auf einen Schulabschluß, förderten den Rückzug in das eigene soziale Umfeld und minderten die Sprachkompetenz. Gerlind Turck-Flachbart (Regionale Arbeitsstelle zur Förderungausländischer Kinder und Jugendlicher Essen) erklärte, bei ausländischen Eltern rangiere das Bildungsinteresse eindeutig höher als die Religionszugehörigkeit. Sie wählten Konfessionsschulen wegen der angeblich besseren Bildungschancen und nähmen den Religionsunterricht in Kauf. Das führe oft zu einem "gespaltenen Bewußtsein" bei ausländischen Schülern, weil sie Konfliktsituationen an der Bekenntnisschule nicht bewältigen könnten. Dem stimmte auch Mehmet Yildirim zu, Vorsitzender des türkischen Elternvereins in Duisburg. Er sah die Gefahr, daß die Forderung nach Schaffung islamischer Schulen oder nach Abschaffung der konfessionellen Schulen erhoben würde, wenn sich die Konfessionsschulen dem Ziel interkulturellen und interreligiösen Lernens länger verschließen sollten.
Bildunterschrift:
Sie sprachen für die konfessionellen Schulen (v. l.): Augustinus Graf Henckel-Donnersmarck und Helmuth Koegel-Dorfs. Foto: Schälte
Systematik: 4200 Schulen; 7300 Religionsgemeinschaften
ID: LI941720