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  • Porträt der Woche: Ingrid Fitzek (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 13.05.1997

    Als die junge Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1995 in den Landtag kam, war das für sie kein Sprung ins kalte Wasser wie bei vielen der Kolleginnen und Kollegen. Das "Wasser" erwies sich als bereits vorgewärmt, denn die studierte Sozialwissenschaftlerin Ingrid Fitzek hatte schon landespolitische Erfahrung als wissenschaftliche Mitarbeiterin der GRÜNEN-Fraktion gesammelt.
    Frau Fitzek hat nichts übereilt in ihrer politischen Karriere. Bevor sie 1989 in die Partei eintrat, schaute sich die gebürtigen Krefelderin erst einmal bei den GRÜNEN am Studien- und Wohnort Duisburg um und machte Jugend- und Stadtteilarbeit im Norden der Stadt. Ihr gefiel, daß man sich engagieren konnte, ohne direkt Parteimitglied werden zu müssen. Sie wollte jedenfalls nicht direkt ein Gesamtbekenntnis ablegen, wie sie erzählt. Imponiert hätten ihr die GRÜNEN allerdings von Beginn an, weil sie sich auch dann für ihre Überzeugung eingesetzt hätten, wenn es dafür öffentlich "Prügel" gegeben habe.
    Nachdem Ingrid Fitzek für sich die Frage positiv entschieden hatte, ob sie überhaupt in die Politik gehen sollte, stand fest, daß es keine halben Sachen geben werde. "Karteileiche" bleiben — das wollte sie nicht. Dieses "Wenn schon, denn schon" sieht man der charmanten Frau mit dem dezenten Schmuck nicht auf den ersten Blick an. Sie sei, sagt sie von sich, durchaus kampfentschlossen, wenn es ihr sachlich notwendig erscheine. Flugs kommt das Gespräch auf das landespolitische Großthema Garzweiler II und die selbstkritischen Anmerkungen von vier grünen Parlamentariern zur rot-grünen Regierungsrealität in Düsseldorf. Ingrid Fitzek war Mitverfasserin des "Busch-Papiers". Sie findet es schade, daß sie und die drei anderen in den Verdacht gerieten, das Ende der Koalition heraufbeschwören zu wollen. Das Gegenteil sei richtig, betont Ingrid Fitzek. Man wolle eine Trendumkehr, die auch mit Blick nach Bonn aufzeige, daß mit Rot-Grün politisch etwas verändert werden könne im Land. Beim Thema Garzweiler II klingt die Abgeordnete sehr entschieden. Klimapolitisch verheerend sei das Projekt sowie energiepolitisch unnötig und sozialpolitisch nicht zumutbar für die Menschen, die umgesiedelt werden müßten.
    "Politik", findet sie, "muß über eine Legislaturperiode hinaus denken": "Welche Verantwortung tragen wir für die Zeit, in der wir schon nicht mehr politisch verantwortlich sind?" Sie jedenfalls würde eher den Koalitionsbruch in Kauf nehmen, statt vom Nein zu Garzweiler II abzurücken.
    Ingrid Fitzek ist in der Fraktion für Wissenschaftspolitik zuständig. Zur Kommunalpolitik verspürt sie keinen Drang, ebensowenig zur Bundespolitik: "Landespolitik ist für mich das Richtige." Politische Vorbilder hat sie nicht. Eine Mitgliedschaft in anderen Parteien kam für sie nie in Frage. Sie entstammt keinem politischen Elternhaus. Zu Hause betrachtete man den Eintritt der Tochter in die Partei skeptisch, heute begegnet ihr "kritische Solidarität". Die Mutter hat sich indes noch nicht zur GRÜNEN-Wählerin entwickelt.
    Ingrid Fitzek hat ein Faible für England. Anfang der achtziger Jahre war sie als Studentin ein halbes Jahr in Sheffield. Sie mag die englische Sprache, die französische fiel ihr stets schwerer. Damals in Sheffield erlebte sie zwar eine Stadt in "wunderschöner Umgebung", aber mit großen Strukturproblemen einschließlich Arbeitslosigkeit. Zum erstenmal sei ihr Armut im Straßenbild aufgefallen. Das habe es zu der Zeit zu Hause noch nicht gegeben. Sie setzt hinzu: "Das ändert sich leider", woran die Bundespolitik nicht unschuldig sei. Bundespolitisch laufe vieles schief, Kommunen und Länder könnten nicht alles ausgleichen. Der Wegfall von Alt-Arbeitsplätzen lasse sich nicht so schnell kompensieren. Auch deshalb halte sie es für Augenwischerei, in den öffentlichen Haushalten zu rigoros zu sparen. Menschen zu entlassen, mit der Folge, daß viele der Entlassenen anschließend die Sozialämter bevölkern — das könne nicht Sinn der Sparanstrengungen sein.
    Die Abgeordnete aus Duisburg befürwortet zwar Solidarität mit den neuen Ländern, jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip. Strukturhilfen dürften nur dorthin fließen, egal ob in neue oder alte Länder, wo sie noch benötigt würden. Der Privatmensch Ingrid Fitzek zählt zur Mehrzahl derjenigen, die gerne verreisen. Wie gesagt: England bevorzugt sie wegen der Sprache, der Mentalität der Bewohner und trotz der Küche. Italien schätzt sie der Schönheit des Landes, der Leute und der Küche wegen — und auch, weil dort der Bruder ihres Lebensgefährten lebt.
    Reinhold Michels

    ID: LI970853

  • Porträt der Woche: Alexandra Landsberg (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 17.09.1996

    Sie ist Kölnerin, aber man hört es ihr nicht an. Das ist die erste Überraschung, wenn man sich mit Alexandra Landsberg trifft. Es folgen hernach weitere Überraschungen. Die zweitjüngste Abgeordnete, von Jahrgang 1968, ist bereits wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer BÜNDNIS 90/GRÜ- NEN-Fraktion, und der schnelle politische Aufstieg scheint sie gar nicht zu irritieren. Selbstbewußt, frisch und — dem Anliegen des Bundespräsidenten gemäß — "unverkrampft" tritt diese junge deutsche Parlamentarierin auf. Alexandra Landsberg kommt aus bürgerlichem Hause, der Vater war einmal Mitglied der CDU, nahm jedoch mit Respekt hin, daß seine politisch engagierte Tochter vor ein paar Jahren an einem Freiluft-Stand der Kölner GRÜNEN den Aufnahmeantrag stellte. In der zehnten Klasse sei ihr die Politik schrecklich langweilig vorgekommen. Was sie damals interessiert habe, Friedens- und Umweltpolitik, Nicaragua, das habe die "Männer in den grauen Anzügen", die sie als Politiker erlebt habe, überhaupt nicht interessiert. So entschloß sie sich, bei den GRÜNEN aktiv mitzumachen. An eine Landtagskarriere hat die Diplom-Volkswirtin (Studium in Köln) nicht gedacht. Gut ein Jahr war sie 1994/1995 Fraktionsmitarbeiterin im Landtag, danach ganz kurz Assistentin einer GRÜNEN-Bundestagsabgeordneten, die wiederum ziemlich erbost war, als Alexandra Landsberg sich nach einer Stippvisite von zwei Monaten in Bonn Richtung Düsseldorfer Parlament verabschiedete. Nach einer, wie sie sich erinnert, zündenden Rede vor Delegierten hatte sie sich gegen vier Listenplatz-Bewerberinnen durchgesetzt.
    Alexandra Landsberg sagt, sie sei jeden Tag im Landtagsbüro. In der Woche arbeite sie 70 Stunden. Gefragt, ob ihre Studienkollegen von einst sie um ihr vergleichsweise hohes Berufs-Anfangs-Gehalt als Abgeordnete beneideten, antwortet sie unbekümmert: "Wer als Volkswirt bei der Bank angefangen hat, bekommt 30 000 Mark im Jahr weniger als ich jetzt." Sie vermißt den sich verflüchtigenden Kontakt zu den Kommilitoninnen und Kommilitonen. Sie seien in alle Winde verstreut. Es folgt ein unausgesprochenes "So ist das Leben". Frau Landsberg hat sich in ihre neue Arbeit gestürzt, die sie mit Leib und Seele macht. Sie hat nichts von einer grämlichen Weltverbesserin, liebt den Kontakt zu Menschen, schätzt die Möglichkeit, als Abgeordnete praktische Hilfe zu leisten. Als ein Beispiel für ihr Verständnis von politischer Dienstleistung erzählt sie von dem 90-Mitarbeiter-Betrieb, der unverschuldet mit einem Schlag in finanzielle Not geraten und aufgrund bürokratischer Langsamkeit und fehlenden öffentlichen Interesses vor dem Ruin gestanden habe. Da habe sie in den Landesministerien für Wirtschaft und Finanzen hin- und hertelefoniert, sich also so lange um den Vorgang gekümmert, bis die Firma finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen konnte.
    Vielleicht möchte sie später einmal selbst ein kleines Unternehmen führen oder aber unternehmensberatend tätig werden. Noch macht sie sich keine allzu ernsten Gedanken, wie das Berufsleben nach der politischen Laufbahn aussehen könnte. Daß sie als wirtschaftspolitische Sprecherin keine einschlägigen Berufserfahrungen hat, macht Frau Landsberg keine übertriebenen Sorgen. Sie habe in dem einen Jahr ihrer Abgeordnetenzeit bereits gute Kontakte zu kleinen und mittleren Betrieben, vor allem aus dem Bereich des Handwerks knüpfen können. Dort höre sie viel aus der Praxis, es entwickle sich ein kritischer Dialog, sie erfahre im großen und ganzen freundliches Entgegenkommen von den Unternehmenspraktikern.
    Alexandra Landsberg hat angenehme Umgangsformen. Sie helfen ihr beim Umgang mit Kolleginnen und Kollegen der anderen "politischen Feldpostnummern". Aber: Everybody's darling will sie nicht sein. Im Gegenteil. Bei den regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit dem Regierungspartner SPD plädiert sie für eine härtere Gangart ihrer politischen Freundinnen und Freunde. Ob sie gegebenenfalls die Koalition auch aufs Spiel setzen würde? Da zögert sie mit der Antwort. Wenn man glaubwürdig bleiben wolle, dürfe man natürlich nicht immer nur so tun, als sei man der SPD böse, aber, so fügt sie hinzu: "Diese Koalition ist mir sehr wichtig."
    Ein Bündnis mit der CDU würde sie "im Grunde ausschließen", wie sie es formuliert. Schnell ergänzt sie, daß sie manchmal die SPD-Politik als erschreckend unflexibel empfinde. Auch kriege sie Wut, wie die Sozialdemokraten Koalitionsvereinbarungen nicht einhielten: "Das ist doch kein Stil, wir machen doch auch alle Nase lang Sachen, die wir nicht toll finden, aber so vereinbart wurden in der Koalition."
    Die junge Politikerin, die Köln liebt und Düsseldorf "auch schön" findet, schätzt Italien und die Küche des Landes. Sie vertieft sich in alle möglichen Romane, geht gerne ins Kino und schwingt sich aufs Fahrrad.
    Reinhold Michels
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI961533

  • Porträt der Woche: Dr. Hisham Hammad (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 20 - 05.12.1995

    "Mölln, Hünxe und Solingen mahnen uns alle!" Hisham Hammad erzeugt in seiner ersten Landtagsrede Zustimmung und Betroffenheit Der erste Palästinenser im nordrhein-westfälischen Parlament tritt energisch ein für mehr Rechte für Ausländer, für Konzepte gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Hisham Hammad mahnt aus eigener Erfahrung: Politische Verfolgung wegen seiner Volkszugehörigkeit bestimmen weite Teile seiner Biographie. Als Palästinenser wurde der 1951 am Rande von Ost-Jerusalem geborene Abgeordnete jahrzehntelang benachteiligt. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 floh er mit seiner Familie von der Westbank zunächst nach Jordanien. Der Bürgerkrieg gegen die palästinensische Minderheit machte die weitere Flucht nach Kuweit notwendig. Wegen seiner Volkszugehörigkeit hatte er dort kaum Chancen auf einen Studienplatz, und so begann er schließlich mit dem Studium der Zahnmedizin in Belgrad.
    Hier wurde er zum ersten Mal politisch aktiv. Als stellvertretender Vorsitzender der palästinensischen Studentenorganisation trat er öffentlich für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes ein und wurde daraufhin vom jordanischen Geheimdienst als "Mitglied einer terroristischen Vereinigung" eingestuft.
    Nach 12 Semestern wollte er seinen Beruf in seiner Heimat "für seine Leute" ausüben. Doch gleich bei seiner Wiedereinreise nach Jordanien konfiszierten die Behörden seinen Paß. Die folgenden zwei Jahre waren durch Arbeitsverbot, ständige Schikane und psychologischen Druck geprägt. Der Geheimdienst habe ihn zur Kooperation zwingen wollen: "Man hat mich geschlagen, beschimpft und gedemütigt." 1990 beantragte Hammad Asyl in der Bundesrepublik. Der Antrag wurde abgelehnt, der drohenden Abschiebung kam er auf Bitten seiner Frau durch Heirat zuvor. Von Politik hatte Hammad erst einmal genug. Beruflich begann er in Deutschland als Schulzahnarzt in Lüdenscheid, später machte er sich als Kieferorthopäde in Castrop-Rauxel selbständig. 1986 nahm er die deutsche Staatsangehörigkeit an; als Jordanier habe er sich ohnehin nie gefühlt, er sehe sich "als Weltmensch". Mit dem deutschen Paß sei in jedem Fall aber seine persönliche Freiheit größer geworden.
    Den Weg zu den Grünen fand Hammad in den 80er Jahren über die Friedensbewegung. Er demonstrierte gegen die NATO-Nachrüstung und gegen die Diktaturen in Südamerika und Südafrika, trat 1988 in die Partei ein.
    Sein Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit begann mit dem Brandanschlag in Rostock. Daß die Zivilbevölkerung geklatscht habe, weil ein Asylbewerberheim brennt, das habe ihm Angst gemacht, aber auch zu eigenem Engagement motiviert. Bei den Grünen arbeitete er in der Kampagne "Farbe bekennen", wurde in den Landesparteirat gewählt und zog schließlich nach der Wahl am 14. Mai in den Landtag ein, mit 15 Prozent erhielt er in seinem Dortmunder Wahlkreis das beste Ergebnis eines Grünen im Ruhrgebiet.
    Mit viel Euphorie startete Hammad seine Parlamentsarbeit. Doch schon nach einem halben Jahr bilanziert er nüchtern, daß sein Hauptthema, die Ausländerpolitik, bei keiner Partei ein vorrangiges Thema ist, auch nicht bei den Grünen selbst. Bislang kämpft er vergeblich für ein Landesinstitut für Migrationsforschung und ein Migrationsreferat im Arbeitsministerium. Damit würde er gerne die "politischen Rahmenbedingungen für die Ächtung der Diskriminierung" schaffen. Den Vorsitz im neugeschaffenen Migrationsausschuß gab er bald wieder ab, die damit zusammenhängenden Verwaltungsarbeiten lagen ihm nicht. Daß ausgerechnet er diesen Vorsitz übernehmen sollte, sei doch wohl auch mehr "Symbolik" gewesen. Gleichwohl verkennt der Abgeordnete nicht den Effekt von Symbolik in der Politik und macht ihn sich auch zunutze: In der ersten Plenarsitzung des neugewählten Parlaments trug er demonstrativ ein Palästinensertuch, die öffentliche Aufmerksamkeit war ihm sicher. Hammad sieht aber auch die Gefahr, wegen seiner Herkunft als "Aushängeschild" mißbraucht und instrumentalisiert zu werden, nicht zuletzt von seiner eigenen Partei. Als Zahnmediziner interessiert ihn die Gesundheitspolitik ebensosehr wie die Ausländerpolitik. Doch weil er nunmal auf diesem "Ticket" gewählt sei, will er im betreffenden Ausschuß wenigstens frei von Rücksichten reden können, als Vorsitzender hätte er bisweilen auch als Schlichter und integrierende Kraft zwischen den Fraktionen wirken müssen. Darüber hinaus ließ sich Hammad in den Innenausschuß wählen, der sich gleichfalls mit vielen ausländerrelevanten Fragen befaßt.
    Diskriminierungen von Ausländern und Menschen ausländischer Herkunft abzubauen, darin sieht der Abgeordnete seine politische Mission. Er will sich einsetzen für ein umfassendes Wahlrecht für Ausländer, die in Deutschland seit Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben. Er will einen besseren Zugang von Ausländern auf dem Arbeits-, Wohnungs- und Versicherungsmarkt erreichen. Leidenschaftlich plädiert er für ein Antidiskriminierungsgesetz; das allein verändere zwar nicht "das Denken und den Unfug in den Köpfen", doch es sei ein Mittel, "den Betreibern von Diskriminierungen das Handwerk zu legen".
    Trotz allen Engagements möchte Hisham Hammad die Politik nicht auf Dauer zu seinem Lebensmittelpunkt machen und auf keinen Fall finanziell von ihr abhängig werden. Als Halbtags/ob übt er seinen Beruf als Kieferorthopäde nach wie vor aus, und er will es sich auch nicht nehmen lassen, seinen beiden Kindern weiterhin regelmäßig Märchen aus dem Orient vorzulesen. Gleichwohl mangelt es ihm nicht an politischem Selbstbewußtsein. Natürlich könne er sich auch vorstellen, Minister zu werden. "Migranten wollen Verantwortung übernehmen", so sein Credo, "und sie sind auch fähig dazu."
    Richard Hofer

    ID: LI952042

  • Porträt der Woche: Dr. Katrin Grüber (Grüne).
    Zweite Vizepräsidentin.
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 12.09.1995

    Von Andrea C. Stockhausen
    "Daran habe ich im Traum nicht gedacht." Katrin Grüber war letztlich wohl doch überrascht, daß sie am 1. Juni als erste Abgeordnete der GRÜNEN zur Landtags-Vizepräsidentin gewählt wurde. Als die 37jährige Biologin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hinblick auf die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD in das Rennen um dieses hohe Amt geschickt wurde, hatte sie sich zunächst wohl wenig Chancen ausgerechnet. Doch ihre Wahl gilt als Signal, als Zeichen des guten Willens der SPD. Wenn auch nicht alle Sozialdemokraten ihr die Stimme gaben — dafür aber einige von der CDU — bei diesem Thema lächelt Katrin Grüber nur. Denn der Umzug aus dem sechsten Stock des Landtages und dem "einfachen" Abgeordneten-Büro hinunter in die dritte Etage bedeutet für die gebürtige Frankfurterin umgekehrt einen Schritt nach vorne auf der Karriereleiter: Mit Bergen von Ordnern, Unterlagen und Akten zieht sie in die Räume der Vizepräsidentin.
    Kommen auch jetzt jede Menge repräsentative Verpflichtungen auf sie zu, so will sie doch ihr politisches Mandat nicht vernachlässigen. Dazu zählen ihre Schwerpunktthemen: die Chemie und die Gentechnik ebenso wie ihr "persönliches Steckenpferd" — die Verwaltungsreform. "Ich freue mich auf die neue Aufgabe", sagt die ehemalige Umweltreferentin der Grünen. Eigens zu diesem Zweck will sich die sonst eher leger gekleidete Wahl-Düsseldorferin auch ein neues Kostüm zulegen. Besonders freudig schaut sie der Zusammenarbeit mit dem Landtagspräsidenten Ulrich Schmidt und dem ersten Stellvertreter Hans- Ulrich Klose entgegen, die sie nicht nur menschlich sehr schätzt, "Ich habe mit ihnen schon in Ausschüssen bestens zusammengearbeitet", meint die engagierte Politikerin, die seit 1990 im Landtag ist und seither unermüdlich durch das Land reist, um vor Ort Gespräche zu führen.
    Kontakt wahrt sie beispielsweise auch zu den Interessenverbänden der Chemie. "Eine meiner interessantesten und spannendsten Wahlveranstaltungen vor der Landtagswahl war ein Besuch bei der Hüls AG in Mari", erzählt sie. Dabei ging es um die Auswirkungen von PVC. Trotz kontroverser Standpunkte sei die Diskussion sehr ergiebig gewesen. Bei ihrer bevorstehenden Parlamentsarbeit — als Moderatorin über 221 Abgeordnete — muß ihrer Meinung nach der "Mensch mehr durchkommen". "Ich will aber auf keinen Fall Ulrich Schmidt und Hans-Ulrich Klose vorweggreifen, die auf diesem Gebiet schon mehr Erfahrungen haben und sehr gute Arbeit geleistet haben." Eindrücke sammelte jedoch auch sie in dieser Hinsicht, und zwar bei der Leitung von Sitzungen als Ausschußvorsitzende. Trotzdem gab Katrin Grüber, die ursprünglich Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien studierte, zu, daß sie vor ihrer ersten Plenarsitzung "schon ein bißchen aufgeregt war". Allzuviel einschalten will sie sich aber nicht in die Debatten, die sie im dreistündigen Wechsel mit Ulrich Schmidt und Hans-Ulrich Klose leitet. Denn: "Dann gilt man sehr schnell als Nörglerin. " Das wiederum heißt nicht, daß sie den einen oder anderen Abgeordneten — egal welcher Couleur — nicht zur Ordnung rufen wird, wenn er oder sie in den Redebeiträgen übers Ziel hinausschießt. "Die vordringliche Aufgabe der Politik ist es, gegen die Politikverdrossenheit anzugehen", betont Katrin Grüber, die 1988 unter anderem Beraterin für die Umsetzung eines Recycling-Konzeptes in Stuttgart war. Sie denkt dabei vor allem an die schlechte Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl. "Wir müssen auch die Öffentlichkeit mehr in die parlamentarische Arbeit einbeziehen, zum Beispiel durch Veranstaltungen", schlägt Katrin Grüber vor. "Moderne Parlamentsarbeit braucht moderne Darstellungsformen." Hier schwebt ihr eine journalistische Aufarbeitung von Anhörungen und anderen Sitzungen im Landtag vor. Ähnliches hat sie bereits für ihren bisherigen Ausschuß "Mensch und Technik" praktiziert. Im übrigen will sie diese Posten schweren Herzens aufgeben, denn das wäre ja "Ämterhäufung".
    "Dem Bürger muß Demokratie wieder mehr Spaß machen. Und wir müssen für mehr Verständnis für unsere Arbeit werben", mahnt die 37jährige. Daß der Plenarsaal an Sitzungstagen teilweise halbleer sei, habe ja schließlich nichts damit zu tun, "daß wir Abgeordneten faul sind". Sie erinnert an Termine oder Gespräche, die die Parlamentarier am Rande der Debatten führen müssen. Als ein Instrument, um für mehr Verständnis beim Bürger zu werben, bezeichnet sie Bürgerfragestunden. Die seien auch im Landtag selbst eine Überlegung wert. Fraglich sei jedoch, ob die Bürger extra nach Düsseldorf kommen würden. Vermutlich wäre es nach Ansicht von Katrin Grüber sinnvoller, so etwas direkt in den einzelnen Städten einzurichten.
    Denn gerade Politik an Ort und Stelle ist nach Ansicht der rührigen Abgeordneten wichtiger denn je. "Wir müssen die Probleme der Menschen vor deren Haustüre lösen", rät sie. Man dürfe sich nicht zu sehr vom alltäglichen Geschehen entfernen, sagt die Grüne, die sich selbst zum unabhängigen Flügel ihrer Partei zählt. Ganz klar erteilt sie deshalb auch den sogenannten "stromlinienförmigen Politikern" eine Absage. Ein wichtiges Anliegen ist ihr von daher auch die Verwaltungsreform. Behörden transparenter und effektiver zu gestalten, das bedeutet für sie auch Bürgernähe. "Ein Stadtrat darf sich zum Beispiel nicht mit der Frage beschäftigen, welche Farbe ein Fahrradweg haben soll. Er muß ein komplettes Konzept für Radwege erarbeiten." Die Aufgaben konzentrieren und bündeln, so lautet die Devise für eine effektive politische Arbeit.
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion Übereinstimmen)

    ID: LI951251

  • Porträt der Woche: Bärbel Höhn (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 5 - 14.03.1995

    Links denken und als "Reala" handeln, diesen Spagat vollzieht Bärbel Höhn seit ihrem Einzug in den Landtag 1990. Die Fraktionssprecherin gehört parteiintern dem "Linken Forum" an, hat aber mit Fundamentalisten und deren konsequenter Ablehnung von Regierungsbeteiligung nichts am Hut. Im Gegenteil: Die rot-grüne Koalition nach der Landtagswahl ist ihr erklärtes Ziel. "Linkssein" ist für Bärbel Höhn heute wichtiger denn je. Es bedeute ein deutliches Bekenntnis gegen die aggressiver werdende Ellbogengesellschaft.
    Ihre politischen Wurzeln sieht die Abgeordnete in den 68er Studentenprotesten. Zu deren Hochzeit drückte sie zwar noch in einem beschaulichen Städtchen Schleswig- Holsteins die Schulbank. Doch mit dem Mathematik- und Volkswirtschaftsstudium in Kiel ging es dann ab 1971 richtig los: Teilnahme an Demos gegen den Vietnamkrieg, gegen die Erhöhung der Straßenbahntarife und später dann gegen das AKW in Brokdori. Zu den organisierten linken Studentengruppen hielt Bärbel Höhn wegen deren Intoleranz indes Abstand, trotz programmatischer Sympathie. Auch die endlosen Theoriedebatten unter den Linken hatten Höhn zumeist gelangweilt, stattdessen setzte sie stets auf konkrete Projektarbeit. Daß sie als Oberhausener Stadträtin mit einer Bürgerinitiative gegen die Stadt den Bau eines Kindergartens erzwang, verbucht sie bis heute als einen wichtigen politischen wie persönlichen Erfolg.
    Nach Nordrhein-Westfalen kam die gebürtige Flensburgerin 1978. Als Diplom-Mathematikerin arbeitete sie im Rechenzentrum der Gesamthochschule Duisburg. 1984 kam sie über die Wählergemeinschaft Bunte Liste in den Oberhausener Stadtrat und wurde nach der Aufstellung als Direktkandidatin für die Landtagswahl 1985 Mitglied der Grünen. Der Wohnort in der Nähe einer Kokerei, die Erkrankung eines ihrer beiden Kinder beim Umzug ins Ruhrgebiet, das alles führte zu wachsendem Engagement gegen Schadstoffemissionen jeglicher Art. In der Partei profilierte sich Bärbel Höhn vor allem durch die Organisation von Widerstand gegen Müllverbrennungsanlagen. Als dann die Abfallpolitik 1990 zentrales Wahlkampfthema der Grünen wurde, wählte die Partei Bärbel Höhn zur Spitzenkandidatin. Am liebsten wäre sie mit einer reinen Frauen-Crew in den Landtag eingezogen, doch da machte die Parteibasis nicht mit. Kaum Probleme gab es hingegen nach dem knappen überspringen der Fünf-Prozent- Hürde bei der Wahl zur Fraktionssprecherin. Zu ihrem eigenen Bedauern gelangte sie aus fraktionsinternen Gründen nicht in den Umweltausschuß, der für "ihr Thema", die Müllverbrennung, fachlich zuständig ist. Gleichwohl ergreift sie zu dem Thema im Plenum gerne das Wort und liefert sich insbesondere mit Umweltminister Matthiesen erbitterte Wortgefechte. Der ist für die Abgeordnete ein "rotes Tuch", an dem man sich "abarbeiten" müsse. Ihre Ablehnung der Müllverbrennung vertritt sie kompromißloser als mancher Fraktionskollege vom "Realo-Flügel". Insbesondere zum grünen "Medien-Star" Michael Vesper steht Bärbel Höhn in einem latenten fraktionsinternen Konkurrenzverhältnis. "Wir fühlen uns wie ein altes Ehepaar", sagt die Abgeordnete augenzwinkernd. "Wir schätzen uns, aber wir lieben uns nicht." Gleichwohl kritisiert sie unverhohlen, daß Vesper manchmal "zu sehr an seine Person" denke, während sie sich selbst mehr "der Gruppe verpflichtet" fühle.
    Jenseits der Umweltpolitik interessiert sich die Abgeordnete am meisten für Entwicklungspolitik. "Global denken, lokal handeln", unter dieser Devise will sie die Weltprobleme auch zur Sache von Landespolitik machen. Nicht ohne Stolz erinnert sie daran, daß auf ihre Initiative im Hauptausschuß hin SPD-Landesregierung und SPD-Fraktion 1,5 Millionen Mark für vergewaltigte Frauen im ehemaligen Jugoslawien bereitgestellt hätten.
    Nach fünf Jahren Parlamentserfahrung glaubt Bärbel Höhn allmählich die Spielregeln zu kennen. Anfangs, so gesteht sie freimütig ein, sei sie unsicher gewesen, ob sie denn die Spitzenposition in der Fraktion überhaupt ausfüllen könne. Wegen mangelnder Erfahrung fühlte sie sich den "Altprofis" der anderen Parteien oft unterlegen. Als Fraktionssprecherin sah sie sich häufig zu Antworten auf nahezu alle Debattenthemen gedrängt, und dabei zwangsläufig produzierte "Sprechblasen" liefen ihrem Anspruch auf Debattenniveau zuwider. Doch das Ausreizen der eigenen Grenzen war für Bärbel Höhn stets eine treibende Kraft. Auch das "äußerst schwere Mathe-Studium" habe sie seiner Zeit nicht zuletzt gerade begonnen, "weil es so schwer war".
    Heute sind die Anlaufprobleme überwunden. Bärbel Höhn hat sich manchem Parlamentsritual unterworfen und wird trotz aller leidenschaftlichen und demonstrativen Widerspenstigkeit zunehmend auch von den anderen Parteien anerkannt. An ihrem Mandat reizt sie die Verknüpfung von politischer Arbeit im Parlament und dem Gespräch mit Bürgern und Bürgerinitiativen vor Ort. Am liebsten würde sie natürlich Umweltministerin werden. Doch, hier ganz als "Reala" denkend, fügt sie hinzu: "Es gibt auch andere wichtige Positionen."
    Richard Hofer

    ID: LI950564

  • Porträt der Woche: Gisela Nacken (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 22 - 23.12.1994

    Nein, eine Koalition mit der CDU auf Landesebene kann sie sich nicht vorstellen. Trotz der Zusammenarbeit in einigen Kommunen nach der Wahl im Oktober. Dazu seien die Unterschiede, z.B. in der Sozial- oder Asylpolitik, viel zu groß. Da gebe es doch wesentlich eher Berührungspunkte mit den Sozialdemokraten, wenngleich die SPD oft links rede und rechts handle, meint die 37 jährige Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus Aachen, Gisela Nacken.
    Ihre Partei solle sich aber nicht zuerst über mögliche Koalitionen, sondern über eigene Inhalte, Positionen und Ideen definieren. Dann würden sich mögliche Partner von selbst ergeben, auch für die Landtagswahl im kommenden Mai.
    Mit der CDU hatte sie bereits von Jugend an enge Berührung: Ihr Vater war Christdemokrat und Kommunalpolitiker. Da wurde auch am Mittagstisch über Politik gesprochen, zum Leidwesen der Mutter, und da wurden auch gemeinsam Wahlplakate für den Vater geklebt, meint Gisela Nacken. Trotz aller Differenzen in manchen Fragen habe sie damals gelernt, daß man sich engagieren muß, wenn man etwas verändern will.
    In die praktische Politik kam sie über das Studium der Architektur an der TH Aachen zwischen 1976 und 1983. Die Auseinandersetzung mit Problemen der Stadtplanung etwa habe unmittelbar nach konkreten Alternativen vor Ort gedrängt. Da wurden provisorische Fahrradwege auf die Straße gepinselt oder, weil preiswerter Wohnraum fehlt, Häuser besetzt.
    1983 wurde sie Mitglied der Grünen, drei Jahre später Sprecherin der Partei in Aachen — und das ist sie bis heute. Gisela Nacken wollte sich auf die Parteiarbeit konzentrieren und ging deshalb nicht in das Stadtparlament, obwohl ihre Partei seit 1984 im Aachener Rat vertreten ist.
    Während die Grünen bundes- und auch landesweit teilweise dramatische Flügelkämpfe bestehen mußten, sei die Situation in Aachen vergleichsweise idyllisch gewesen: Es habe keine nennenswerte Polarisierung innerhalb der Partei und auch keine zwischen der Partei und ihren Vertretern im kommunalen Parlament gegeben, sagt Gisela Nacken. Vermutlich weil der politische Kurs vor Ort seit jeher von den Pragmatikern geprägt worden sei.
    Gisela Nacken gilt in ihrer Partei als klassische Vertreterin dieser Strömung, als "Reala" eben. Doch mit solchen Schlagworten kann sie nicht viel anfangen.
    Sie teile den Politikansatz von Antje Vollmer und Christa Nickels, die auch so etwas wie Vorbilder für sie seien, meint Gisela Nacken. Das heiße, sich nicht in Schablonen drängen lassen, mit allen reden — auch quer zu den politischen Lagern. Von 1984 bis 1990 war die Aachenerin stellvertretende Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland. Daß sie sich auch hier schwerpunktmäßig um die Bereiche Bauen und Wohnen kümmerte, lag nahe, zumal sie zwischenzeitlich als freiberufliche Architektin einiges an praktischer Berufserfahrung sammeln konnte.
    1987 wurde Gisela Nacken Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion, blieb es bis 1990, als sie in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog.
    Was sie an dieser neuen Aufgabe besonders gereizt habe, sei die Verknüpfung von Wohnen und Verkehr gewesen — und die Tatsache, daß das Land hier konkrete Handlungsspielräume habe. Die parlamentarischen Abläufe und Spielregeln kannte sie aus ihrer Bonner Zeit, das war sicherlich ein Vorteil.
    Als Mitglied im Verkehrsausschuß mußte sie allerdings feststellen, daß dieser Politikbereich nach wie vor eine Männerdomäne ist. Zu lange habe man sich hier mit rein technischen Fragen beschäftigt und erst spät erkannt, daß Verkehrs- auch Gesellschaftspolitik sei.
    Immerhin sei es gelungen, nach einer intensiven öffentlichen Diskussion und in dieser Legislaturperiode, landesweit, bis auf wenige Ausnahmen, das Semester-Ticket für Studierende einzuführen. Ein Erfolg auch für die Umwelt, sagt Gisela Nacken nicht ohne Stolz. Zähneknirschend räumt sie ein, daß eine der wenigen Ausnahmen ausgerechnet Aachen sei.
    Um ihren Politikansatz bei den Grünen auch landesweit deutlicher zu machen, kandidierte Gisela Nacken beim Landesparteitag der Grünen gegen die "Linke" Bärbel Höhn um Platz eins der Landesliste für die Wahl im kommenden Mai — und sie unterlag deutlich. Im nächsten Landtag wird sie dennoch vertreten sein, wenn die Grünen den Sprung erneut schaffen. Daran hat Gisela Nacken natürlich überhaupt keine Zweifel. Ihr weiteres Engagement in Düsseldorf ist allerdings gar nicht so »normal", wie es auf den ersten Blick scheint. Schließlich hat sie während der Legislaturperiode zwei Kinder zur Welt gebracht. Für deren Erziehung wird auch weiterhin in erster Linie der Vater zuständig sein. Aber der hat vollstes Verständnis für die politischen Ambitionen seiner Partnerin, immerhin ist Reiner Priggen selbst Sprecher der nordrhein-westfälischen Grünen. Und der jüngste ihrer beiden Söhne darf Gisela Nakken ohnehin bis auf weiteres nach Düsseldorf begleiten — und so auch Parlamentsluft schnuppern, er ist mal gerade vier Monate alt und wird noch gestillt.
    Ralf Kapschack
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI942260

  • Porträt der Woche: Daniel Kreutz (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 31.05.1994

    Die Mobilisierung gesellschaftlicher Gegenmacht ist für Daniel Kreutz die zentrale politische Triebfeder: Mobilisierung gegen Armut, Arbeitslosigkeit und eine Umverteilung von unten nach oben. Der Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht sich als radikaler Interessen Vertreter für die Schwachen der Gesellschaft.
    Der 1954 in Reckling hausen geborene Parlamentarier knüpft in seinem politischen Engagement an das politische Wirken seiner Großväter an. Während er seine Eltern und ihr Umfeld als Lehrer eher als kleinbürgerlich charakterisiert, seien die Großväter "waschechte Proletarier" gewesen: Der eine Arbeiterrat in Recklinghausen, der andere KPD-Funktionär. Trotz eines angefangenen Studiums der Germanistik und Philosophie in Köln wollte Daniel Kreutz selbst nie Lehrer werden, die ständige "Disziplinierung von Kindern" habe er nicht aushalten wollen. Deshalb brach er sein Studium vorzeitig ab und ließ sich zum Maschinenschlosser umschulen. In einem kleinen Sondermaschinenbetrieb wurde er schnell Betriebsratsvorsitzender. Politisiert wurde Daniel Kreutz Anfang der siebziger Jahre durch die Spätwirkungen von Vietnamkrieg und Bildungsnotstand. Er engagierte sich in der "Gruppe internationaler Marxisten", einer trotzkistischen Splittergruppe, in der er bis zum ZK-Sekretär aufstieg. Er selbst habe schon damals die Auseinandersetzung mit der SPD als "wichtigster Strömung in der real existierenden Arbeiterbewegung" gesucht; andere K-Gruppen hätten unsinnigerweise versucht, den Kapitalismus mit sozialistischer Propaganda zu erschlagen; den realen DDR-Sozialismus empfand er als Begräbnis der eigenen linken Ideale. In der Gründungsphase der Grünen arbeitete Kreutz in einer Leverkusener Bürgerinitiative und versuchte insbesondere, Gewerkschafter gegen Atomanlagen zu mobilisieren. Die neue Partei lehnte er anfangs ab, da sie versucht habe, überparteiliche Bürgerbewegungen zu vereinnahmen. Doch als die Grünen ein wirtschaftliches Umbauprogramm Jenseits des Systemdualismus aus Kapitalismus und Kommunismus" zu entwerfen begannen, wurde die Partei für ihn attraktiv; 1986 wurde Daniel Kreutz Mitglied und unverzüglich Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft "Grüne und Gewerkschaften". Um nicht nur in der Partei, sondern auch in der Arbeitnehmervertretung politisch "ernster genommen" zu werden, ließ sich Daniel Kreutz 1990 in den Düsseldorfer Landtag wählen. Seitdem wird er häufig zu Podiumsdiskussionen eingeladen. Im Landtag arbeitet er im Sozialausschuß. Dort ist die SPD, die sich gern als "Partei der kleinen Leute" präsentiere, für den Grünen-Abgeordneten der zentrale politische Gegner: Gerne weist Kreutz auf die steigende Zahl von Millionären auch in Nordrhein-Westfalen hin; die SPD tue zuwenig gegen die "Bonner Umverteilung von unten nach oben", wirke mit am Abbau von Sozialleistungen und passe sich dem allgemeinen Rechtsruck in der Gesellschaft an.
    In seinem radikalen Engagement für sozial Schwache, Arbeitslose, Behinderte und Flüchtlinge sieht sich der Abgeordnete oft als einsamer Rufer in der Wüste. Selbst in der eigenen Fraktion gilt er als Linksaußen. Seine ernüchternde Bilanz nach beinahe vier Jahren Parlamentsarbeit: In der politischen Diskussion zähle selten das bessere Argument, es gehe vielmehr um bloße Machtpolitik. Kreutz ist fest davon überzeugt, daß gerade SPD-Politiker häufig seinen sozialpolitischen Argumenten folgen; doch die meisten würden schließlich aus Loyalität zur Landesregierung gegen ihre Überzeugung abstimmen.
    Daniel Kreutz sieht sich selbst als "Überzeugungstäter"; er sagt, was er denkt. Akribisch arbeitet er Gesetzesentwürfe durch und zeigt sozialpolitische Spielräume auf. Auch über die eigene Fraktion hinaus sind seine Fachkenntnisse durchaus geschätzt, doch vielen gilt er in seiner oft radikalen Kritik nicht als politikfähig. Er selbst verweist nicht ohne Stolz darauf, stets das gemacht zu haben, was er für richtig hält, sich nicht falschen Sachzwängen untergeordnet zu haben.
    An materiellen Erfolgen seiner parlamentarischen Arbeit fällt ihm nur wenig ein; da sei mal die eine oder andere Drogenhilfeeinrichtung auf seine Initiative hin gerettet worden, und aus der Forderung eines Lesben- und Schwulenreferats sei eine Landesförderung für den nordrhein-westfälischen Schwulenverband herausgesprungen; immerhin sei sein Büro inzwischen eine anerkannte Hilfsadresse für zahlreiche Minderheiten. Trotz aller Frustration will Daniel Kreutz auch 1995 erneut für den Landtag kandidieren. Er wünscht sich eine rot-grüne Koalition, und da werde er aufpassen, daß sich "die Grünen von den Sozis nicht über den Tisch ziehen lassen".
    Richard Hofer

    ID: LI941068

  • Porträt der Woche: Gerd Mai (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 19.04.1994

    Die Auseinandersetzung um die Startbahn West in Frankfurt, das Aufeinanderprallen von wirtschaftlichen Notwendigkeiten und ökologischen Erfordernissen — diese Erlebnisse haben seine politische Einstellung wesentlich geprägt.
    Für Politik hatte Gerd Mai sich schon während seiner Schulzeit interessiert, die Studienzeit an der Uni in Frankfurt gab den Ambitionen einen zusätzlichen Schub: Hier bekam er Kontakt zu Umweltgruppen und zu den Grünen.
    Daß sein Engagement für den Umweltschutz und gegen den Braunkohlentagebau in Garzweiler ihn, nachdem er nach Aachen zurückgekehrt war, auch parteipolitisch aktiv werden ließ, war dann eigentlich eine logische Konsequenz. 1983 war es soweit, Gerd Mai wurde Mitglied der Grünen.
    Zwei Jahre später kandidierte er mit Erfolg für den Rat seiner Heimatstadt Heinsberg, wurde Fraktionsvorsitzender und ging in den Bezirksplanungsrat beim Regierungspräsidenten in Köln.
    Um Dinge wie Abfallentsorgung und Braunkohle ging es da, und damit war er auch mitten in den landespolitischen Themen. In der eigenen Partei war er allerdings auf der Landesebene nicht weiter in Erscheinung getreten.
    Seine Kandidatur auf Platz 4 der Landesliste für die Landtagswahl 1990 hatte deshalb nur Außenseiterchancen — aber am Ende eben doch Erfolg. Das war um so überraschender, als Mai so gar nicht dem allgemein üblichen Klischee des "Grünen" entsprach: er kam aus dem ländlichen Raum und nicht aus dem gutbürgerlichen oder studentischen Milieu der Ballungsräume an Rhein und Ruhr. Seine "Basis" waren Kirchen, Verbände, wertkonservative Umweltschützer und nicht die "Szene" der Großstädte.
    Außerdem war er Lehrer an der Polizeischule in Linnich. Es war Zufall, daß er nach dem Germanistik- und Sportstudium dort gelandet war — aber bis heute hat er diese Zeit nicht bereut. Im Gegenteil, die Arbeit mit den jungen Polizisten hat ihm Spaß gemacht.
    Daß sich die Grünen als Partei verändert haben, kommt ihm, der sich nicht nur als Vertreter von Minderheiten versteht, sehr entgegen. Die politische Mitte müsse ebenso angesprochen werden wie Randgruppen, deren Schutz die Partei allerdings nach wie vor verpflichtet sei, meint Gerd Mai.
    Der Begriff "Gemeinwohl", bei manchem Grünen als konservative Ideologie verschrien, geht ihm ohne Zögern über die Lippen.
    Wie unterschiedlich dieser Begriff jedoch interpretiert werden kann, weiß der grüne "Realo" spätestens aus der aktuellen Auseinandersetzung über den Braunkohlentagebau Garzweiler II. Bei der Abwägung zwischen der Sicherung von Arbeitsplätzen und dem Erhalt einer halbwegs intakten Umwelt hätte sich die stärkere Lobby der Wirtschaft mit Berufung auf das Gemeinwohl durchgesetzt — gegen die politisch schwächer repräsentierten Umweltverbände. Hier müßten Arbeit und Umwelt mit neuen Ideen einander ergänzt und nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden, fordert der umweltpolitische Sprecher seiner Fraktion. Er hofft, daß die Landesregierung die Planung zu Garzweiler II vor der nächsten Landtagswahl nicht mehr in trockene Tücher bringen kann. Denn nach dem Wahltag könnte manches ganz anders aussehen.
    Aber auch in den eigenen Reihen seien neue Ansätze und Phantasie im Umgang mit den aktuellen Problemen notwendig. Trotzdem werde "Querdenken" selbst bei den Grünen gelegentlich sanktioniert.
    In der Debatte über finanzielle Einsparungen der öffentlichen Hand etwa bedauert Mai, daß die Grünen dieses Feld nicht positiv besetzten. Schließlich seien sie angetreten, um Ressourcen zu schonen. Das sei auch auf finanzielle Mittel übertragbar. Statt sich konstruktiv für einen effizienteren Einsatz öffentlicher Gelder und eine Strukturreform der öffentlichen Verwaltung einzusetzen, agiere die Partei viel zu defensiv. Es gehe eben nicht nur um Sozialabbau und Stellenstreichungen. Die Vorstellung, vielleicht einmal in der Umweltverwaltung zu arbeiten, um zu sehen, ob die Konzepte praxistauglich sind, die man selbst mitentwickelt hat, findet der 36jährige ebenso reizvoll wie die Idee, wieder in den Lehrerberuf zurückzugehen. Doch zunächst will der Vater eines Sohnes seine Arbeit im Landtag fortsetzen. Und wenn nicht alles täuscht, dann wird er diesmal nicht als Außenseiter in die parteiinterne Nominierung gehen.
    Es sei denn. Umweltminister Klaus Matthiesen würde Gerd Mai — wie vor kurzem — noch einmal während einer Plenarsitzung öffentlich loben. Doch die Gefahr ist bei der bekannten Sympathie des Ministers für diese Oppositionspartei relativ gering.
    Ralph Kapschack

    ID: LI940756

  • Porträt der Woche: Katrin Grüber (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 14.12.1993

    "Die Grünen sind eine Verhinderungs-Partei." Das werfen ihnen Kritiker bei heftigen Debatten auch in Nordrhein-Westfalen oftmals vor. "Das Wort verhindern ist nicht schlimm. Es gibt Dinge, die zwingen einfach dazu. Die Hauptsache ist, daß man umstrittenen Projekten Alternativen und Konzepte entgegensetzen kann", sagt die Umweltreferentin der Grünen im Landtag, Dr. Katrin Grüber. Und genau das schreibt sie ihrer Partei und sich selbst zu. "Das Land Nordrhein-Westfalen hätte Milliarden sparen können, wenn man auf uns gehört hätte." Als Beispiele nennt sie den "Schnellen Brüter" in Kalkar sowie den ersten großtechnischen Hochtemperaturreaktor (THTR) der Welt in Hamm-Uentrop, der wegen Sicherheitsmängel im Oktober 1988 stillgelegt wurde.
    "Auch bei der Gentechnologie werden wir nun alles daransetzen, um ihren Einzug zu verlangsamen", betont die 35jährige. Denn auch hier gebe es Ausweichmöglichkeiten, beispielsweise in der Landwirtschaft. Vormachen kann man der gebürtigen Frankfurterin auf diesen Gebieten so leicht nichts. Nach dem Abitur 1976 studierte sie Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. Von 1976 bis 1987 war Katrin Grüber an der Universität in Tübingen. Und von November 1985 bis August 1986 studierte sie an der University of East Anglia. Ein Jahr später promovierte die engagierte Politikerin in Biologie.
    Ihre erste Stelle trat Katrin Grüber 1988 beim Stadtreinigungsamt Stuttgart an. Dort war sie als Beraterin für die Umsetzung eines Papierrecyclingkonzeptes zuständig. "Ich wollte politisch noch aktiver werden", begründet sie ihren Entschluß, die Polit-Bühne zu betreten, auf der ihr heute das Fachwissen zugute kommt. So zum Beispiel auch als Vorsitzende des Ausschusses "Mensch und Technik" im Landtag. "Ich bemühe mich darum, Neutralität zu wahren und angemessene Entscheidungen zu finden", beschreibt Katrin Grüber ihre Arbeitsweise. Dabei bescheinigt sie gerade "ihrem "Ausschuß, der sich mit den Folgen der Gentechnik ebenso befaßt wie mit denen der Atomtechnik, eine gute konstruktive Diskussion und Zusammenarbeit. Eine Tatsache, die der Enkelin des Widerstandskämpfers Heinrich Grüber, der während der Nazi-Zeit Juden bei der Flucht aus Konzentrationslagern half, in Debatten im Landtag oft fehlt. "Ich wünsche mir mehr inhaltliche Debatten. Die anderen Parteien sollten Vorschläge nicht einfach ablehnen, nur weil sie von den Grünen kommen", appelliert Katrin Grüber. Vor allem aber müßten die Sorgen und Ängste der Bürger ernster genommen werden, betont die aktive Umweltschützerin, die seit Mai 1990 im Landtag ist. Dies einzubringen, war für die 35jährige ein Grund mehr, in das politische Geschehen einzugreifen.
    Sie persönlich sucht die Nähe zu der Bevölkerung stets vor Ort. Zum Beispiel wahrt sie ebenso den Kontakt zu den Geschädigten im Holzschutzmittel-Skandal wie zu den Betroffenen in der Kieselrot-Affäre in Remscheid. "Will man als Politiker ernstgenommen werden, dann muß man auch die Bevölkerung ernst nehmen." Doch darf die Umweltpolitik nach Ansicht von Dr. Grüber dabei nicht isoliert betrachtet werden. Im Dialog seien vielmehr viele Faktoren zu berücksichtigen: Umwelt, Mensch und Wirtschaft.
    Seit dem 17. Lebensjahr setzt sich Dr. Katrin Grüber bereits in Menschenrechtsorganisationen ein. So war sie bis 1988 Mitglied bei Amnesty International. Auf dem Weg dorthin hatte sie vor allem das Vorbild des Großvaters vor Augen. Mit ihrem Wohnortwechsel von Tübingen nach Düsseldorf stieg sie dann bei den Grünen in Nordrhein-Westfalen ein. Und über Platz sieben der Landesliste erhielt sie schließlich sehr schnell ein Landtagsmandat. "Das war schon eine Überraschung", räumt die Diplom-Biologin ein. Denn schließlich gehörte sie dem Landesverband noch nicht allzu lange an. Nach drei Jahren im Düsseldorfer Parlament lautet ihr Fazit: "Die Politik muß offener werden. " So könnte sich Katrin Grüber gut vorstellen, daß auch die Ausschüsse des Landtages öffentlich tagen sollten, der Bürger dadurch mehr am Geschehen beteiligt werde. "Wir müssen die Verkrustung aufbrechen", glaubt sie. Dabei denkt sie auch an den Ausschuß Verwaltungsstrukturreform, in dem sie selbst Mitglied ist. Gerade er sei ein gutes Beispiel dafür, daß man Politik bürgernah und transparent gestalten kann. Obwohl die 35jährige in ihrer Arbeit tief verwurzelt ist, achtet sie darauf, daß noch ein bißchen Freiraum für Hobbys bleibt. Dazu zählen Spaziergänge, Kochen und Literatur. "Es wäre ein trauriges Bild, wenn die Politik am Ende dazu führt, daß man nur noch funktioniert." Abgelegt hat Dr. Katrin Grüber auch ihre alte Liebe zu der früheren Studentenheimat England nicht. Mindestens einmal im Jahr verbringt sie ihren Urlaub dort.
    Andrea C. Stockhausen
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI932148

  • Porträt der Woche: Brigitte Schuhmann (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 11 - 22.06.1993

    Ja, sicher habe sie der Beschluß der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Ennepetal gefreut, daß Schülern künftig mehr Rechte eingeräumt werden sollen. Aber trotzdem habe die Bildungspolitik längst nicht den Stellenwert in der grünen Politik und Fraktionsarbeit, der ihr eigentlich zustehe, meint Brigitte Schumann. Sie muß es wissen, schließlich ist sie die bildungspolitische Sprecherin der grünen Fraktion.
    Daß andere Themen oft als wichtiger angesehen werden, findet sie vor allem deshalb unverständlich, weil die Kultur- und Bildungspolitik das originäre Feld der Landespolitik sei. In kaum einem anderen Bereich könne das Land so weitgehend eigenverantwortlich Politik machen. Außerdem müsse gerade auch über die Schule am gesellschaftlichen Bewußtsein gearbeitet werden. Nur so hätten notwendige Veränderungen im Sinne der grünen Programmatik überhaupt eine Chance. Als sie nach der Landtagswahl 1990 von den anderen Fraktionsmitgliedern gedrängt wurde, die Bildungs- und Kulturpolitik zu ihrem Schwerpunkt zu machen, habe sich die Begeisterung in Grenzen gehalten, sagt Brigitte Schumann rückblickend. Denn sie hätte sich auch gern um Frauen-, Jugend- und Sozialarbeit gekümmert.
    Nach drei Jahren intensiver Arbeit sei ihre anfängliche Abneigung allerdings verschwunden. Schließlich habe sie 15 Jahre lang Bildungspolitik von der anderen Seite erlebt, als Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Luisenschule in Mülheim. In Mülheim ist die 46jährige auch geboren. Bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr sei sie allerdings kaum mit Politik konfrontiert worden. Die Schulzeit an einem traditionellen Mädchengymnasium habe mit der Lebenswirklichkeit nicht sehr viel zu tun gehabt. Um so größer war dann der Schock, als sie beim Beginn des Studiums 1966 voll in die sich entwickelnde Studentenbewegung geriet. Einer der zahlreichen Hochschulgruppen schloß sie sich zwar nicht an, aber bei vielen Aktionen und "Teach-Ins" war sie natürlich dabei.
    In dieser Zeit sei auch ihr Bewußtsein dafür gewachsen, daß politische Veränderungen notwendig seien. Durch die Erfahrungen in der Referendarzeit, wo starre Lehrpläne wenig Rücksicht auf die Menschen vor und hinter dem Lehrerpult genommen hätten, sei dies noch bestärkt worden.
    Mitte der 70er dann die Debatte über die .Berufsverbote". Obwohl sie selbst nicht unter den sogenannten Radikalerlaß fiel, konnte sie dessen Auswirkungen auf ihre Schule konkret erleben. Die Motivation der Lehrerkollegen ließ rapide nach, und die Angst vor Kritik wuchs. Die offensichtliche ungleiche Behandlung von rechts und links damals habe ihrem politischen Engagement einen Schub gegeben. Sie wurde Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, aber noch nicht Mitglied einer Partei.
    Statt dessen arbeitete sie in der Mülheimer Frauenbewegung mit. Aus dieser Zeit kennt sie auch ihre heutige Parlamentskollegin Heidi Berger (SPD). Fünf Jahre habe es gedauert, bis endlich auf öffentlichen Druck in Mülheim ein Frauenhaus eingerichtet werden konnte.
    Nach den kommunalpolitischen Erfahrungen mit der SPD in dieser Auseinandersetzung kam ein Beitritt zu den Sozialdemokraten für Brigitte Schumann nicht in Frage. Aber sie wollte jetzt kontinuierlich politisch arbeiten — und da gab es ja noch die Grünen. In der Frauenpolitik bestanden kaum Meinungsunterschiede, hinzu kamen die klare Position zum NATO-Doppelbeschluß und der zentrale Stellenwert der Ökologie.
    1982 wurde Brigitte Schumann Mitglied der Partei. Zwei Jahre später saß sie bereits im Mülheimer Stadtrat, bis 1989 als Sprecherin der grünen Fraktion.
    Um Politik hauptberuflich "machen" zu können, kandidierte sie im Vorfeld der Landtagswahl 1990 für einen aussichtsreichen Listenplatz — und sie hatte Erfolg.
    Obwohl sie einige Abstriche machen mußte an ihren ursprünglichen Vorstellungen von "Politik als Beruf" — für Brigitte Schumann ist der Job der Landtagsabgeordneten eine "persönliche Weiterbildungsmaßnahme", die sich bislang gelohnt hat. Natürlich sei sie in einer privilegierten Situation, sie habe Kontakte und Erfahrungen gemacht, die eben nur so möglich seien. "Der Blick hinter die Kulissen ist unbezahlbar", sagt sie.
    Trotz aller Einschränkungen im Privatleben, bei Hobbys und dem seltener gewordenen Kontakt zu Freunden — sie würde es wieder tun. Deshalb stehen hinter einer erneuten Kandidatur für Brigitte Schumann keine Fragezeichen. Schließlich gibt es in der Bildungspolitik noch reichlich zu tun.
    Ralf Kapschack
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI931168

  • Porträt der Woche: Marianne Hürten (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 25.05.1993

    Nicht gerade grün-typisch verlief der Weg von Marianne Hürten in den Landtag. Nach der Schule ließ sich die am 20. Februar 1953 geborene Abgeordnete bei der Bayer AG als Chemielaborantin ausbilden, engagierte sich in der DGB-Jugend und wurde schon bald Mitglied im Betriebsrat. Doch SPD-Arbeit innerhalb der IG-Chemie, worauf ein solcher Lebenslauf hindeuten könnte, war nie die Sache der kämpferischen Kölnerin. Bis heute beklagt sie den "Schmusekurs" vieler sozialdemokratischer Betriebsräte. Und ihre eigene Gewerkschaft hält sie für blind gegenüber den Umweltgefahren, zum Beispiel bei der Dünnsäure-Verklappung; im Konfliktfall würde stets nur das "Arbeitsplatzargument" zählen.
    Konsequenterweise kandidiert Marianne Hürten in schöner Regelmäßigkeit auf einer alternativen Betriebsratsliste, ebenso konsequent versuchte die IG Chemie immer wieder ihr widerspenstiges Mitglied auszuschließen — bisher vergeblich. Ihre politische Heimat fand die konfliktbereite Arbeitnehmerin schließlich bei den Grünen, bei denen sie 1980 Mitglied und für die Landtagswahl in NRW 1985 Spitzenkandidatin wurde. Als sie während des Wahlkampfs öffentlich die von Bayer zu verantwortenden Umweltrisiken anprangerte, drohten ihr auch noch disziplinarrechtliche Schritte seitens des Arbeitgebers wegen "betriebsschädigenden Verhaltens".
    Doch der persönliche Einsatz bis an den Rand der eigenen Existenzgefährdung führte seiner Zeit nicht zum politischen Erfolg; die Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Im zweiten Anlauf, wenn auch nicht mehr als Nummer 1 der Landesliste, gelang aber dann 1990 der Sprung ins Düsseldorfer Parlament.
    Hier versucht Marianne Hürten seitdem vor allem Grüne Frauenpolitik durchzusetzen. Ihr Leitgedanke: Frauen haben ein Recht auf eigenständige Existenzsicherung. Als frauenpolitische Sprecherin der Fraktion sieht sie trotz prinzipiell gemeinsamer Ziele in der Frauenministerin den politischen Gegner. Nicht zuletzt deren schwache Position im Kabinett habe an der strukturellen Benachteiligung von Frauen kaum etwas geändert. Das Frauenfördergesetz der Landesregierung ist in ihren Augen kaum "das Papier wert, auf dem es gedruckt ist". Das von Marianne Hürten federführend ausgearbeitete "Antidiskriminierungsgesetz" fordert hingegen zum Beispiel konsequent die Quotierung auf allen Ebenen.
    Doch für radikal-feministische Leitgedanken ist im Landtag weit und breit keine Mehrheit in Sicht, das bedeutet für eine ausgewiesene Feministin einen schweren Stand. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die eigenen Ideen durchzusetzen, leidet die Grüne Abgeordnete unter dem allgemeinen Desinteresse, das "Frauenthemen "im Landtag wie in der Öffentlichkeit generell hervorrufen. Und es erschreckt sie regelrecht, wie "unreif "vor allem männliche Abgeordnete mit "saublöden Bemerkungen" auf frauenpolitische Debatten, zum Beispiel über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, reagieren würden.
    Sitzungsfreie Wochen nutzt Marianne Hürten ausgiebig für die Teilnahme an Besprechungen bei Bayer. Aufgrund konkreter Betriebserfahrungen verfaßte sie beispielsweise eine Große Anfrage zur Gewerbeaufsicht, die allerdings die eigene Fraktion immer wieder auf die lange Bank geschoben habe. Vor dem Hintergrund der jüngsten Chemie-Unfälle fordert sie unter anderem Mindestschichtbesetzungen in den Betrieben. Die Anbindung an die "reale Arbeitswelt" empfindet sie einerseits als hilfreich für die politische Arbeit, andererseits auf Dauer als zu kräftezehrend. Das heißt für die nächste Legislaturperiode: Landtag oder Betriebsrat.
    Im Rückblick auf die bisherige Tätigkeit im Landtag fällt der zum linken Flügel der Partei gehörenden Abgeordneten spontan ein Erfolgserlebnis ein: Die Landesregierung habe auf ihre Initiative hin 1,5 Millionen Mark für vergewaltigte Frauen in Bosnien bereitgestellt.
    In der Regel aber lehnten Mehrheitsfraktion und Landesregierung ihre Vorschläge erst einmal ab, um sie später im Zuge eigener Gesetzesvorschläge teilweise wieder aufzugreifen. Marianne Hürten nimmt solche parlamentarischen Spielchen inzwischen gelassen hin; letztendlich würde auch so die Politik insgesamt "angeschoben". Immerhin würde die eigene Fraktion in sämtlichen Gesetzesvorlagen inzwischen die "frauenpolitischen Gesichtspunkte" berücksichtigen.
    Richard Hofer

    ID: LI930972

  • Porträt der Woche: Bärbel Höhn (Die Grünen).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 02.02.1993

    In die Politik wollte sie eigentlich nie. "Es ist schon ein schmutziges Geschäft, ein menschlich grausames Spiel." Ganz bewußt hebt sich Bärbel Höhn (40) deshalb auch optisch vom Management in der Politik ab. Man glaubt ihr, wenn sie sagt: »Für mich ist allein das Leistungsprinzip wichtig." Und die Lust, etwas zu gestalten, ist ihrer Ansicht nach bei Frauen stärker als bei Männern. "Letztere taktieren mehr, kämpfen daher auch öfter gegen Frust an." Die Diplom-Mathematikerin merkte an praktischen Beispielen, daß sie etwas in der Politik bewegen kann. Als Studentin in den 68er Jahren engagiert, leistete die Mutter von zwei Söhnen in den 80er Jahren einen erheblichen Beitrag zur Gründung eines neuen Kindergartens in ihrer Heimatregion Oberhausen. Zusehends wuchs in ihr der Wunsch, der SPD-Mehrheit in NRW ein Konzept entgegenzusetzen. Das Engagement der Fraktionssprecherin der Grünen, die 1990 in den Landtag einzog, gilt vor allem dem Abfallbereich. Ihr Ziel im "Elfenbeinturm" Landtag ist es, gegen die Ankündigungspolitik anzutreten und sich für eine vorsorgende Umweltpolitik einzusetzen, die ihrer Meinung nach zur Zeit noch nachsorgend betrieben wird. Als Mitglied des Stadtrates in Oberhausen 1985/89 setzte sie die tagtäglichen Probleme der Bürger in Politik um. Ein Grundsatz, an dem sie auch in ihrem heutigen Amt festhält. Obwohl Freizeit bei Bärbel Höhn kleingeschrieben wird, zumal sie seit 1989 auch Mitglied der Bezirksvertretung und der ÖTV ist, versteht sie es, ein intaktes Familienleben zu pflegen. In Diskussionen kann sie dabei auch in der Familie "gut damit leben, wenn jemand anderer Meinung ist". Daß einer der Söhne etwa ein Bankpraktikum macht, ist für sie kein Problem. "Ich will die Lobby derjenigen vertreten, die keine haben. Die Wirtschaft hat eine." Um den Kontakt zum Bürger und zu seinen Problemen zu wahren, fährt Bärbel Höhn meistens mit dem Zug. "Demokratie muß nachvollziehbar sein." Ihr größter Wunsch im Hinblick auf ihr politisches Schwerpunktthema: "Wenn wir den Chemie-Cocktail aus dem Müll rausholen, das wäre für mich ein großer Erfolg."
    Andrea C. Stockhausen
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI930224

  • Porträt der Woche: Roland Appel (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 01.12.1992

    Nach dem Einzug der Grünen in den Landtag 1990 ließ die Landtagspräsidentin den Abgeordneten Appel fragen, ob er denn lila Haare und knallbunte Hosen mit der Würde des Parlaments für vereinbar hält. Klar, meinte der Parlamentsneuling, Abgeordnete seien doch auch aufgerufen, Landestracht zu tragen. Er stamme aus dem Bonner Norden, und da würden 80 Prozent Punks wohnen. Inzwischen gehört der "bunte Vogel" zum gewohnten Bild des Düsseldorfer Landtags. Von seinen Abgeordnetenkollegen fühlt er sich heute im allgemeinen akzeptiert.
    Der Einstieg in die Politik begann 1972. Damals, fasziniert von der Aufbruchstimmung der Ära Brandt/Scheel, trat er in die F.D.P. ein. "Demokratie wagen", eine Liberalisierung der Gesellschaft und die Stärkung von Bürgerrechten, dafür, wie er damals dachte, lohnte sich das politische Engagement. Der gebürtige Kölner lebte zu dieser Zeit in Baden-Württemberg. Die dortigen Jungdemokraten erschienen ihm progressiver als die Jusos, er fand es "toll, daß die F.D.P. sich eine antikapitalistische Jugendorganisation leistete".
    Mit der Wende der F.D.P. zur CDU 1982 verließ Roland Appel die F.D.P. Zwischenzeitlich arbeitete er als Wahlhelfer der SPD, bis er die freiheitlichen Bürgerrechte am ehesten bei den Grünen zu verwirklichen glaubte. Ein "Grüner der Graswurzelbewegung", in erster Linie fixiert auf Ökologie, sei er nie gewesen. Auch im gängigen Fundi-Realo-Spektrum war er nie einzuordnen. Inhaltlich sympathisierte er stets mit den Linken, während er bei den Realos den pragmatischen Bezug zur Parlamentsarbeit schätzte.
    Wie viele seiner Generation — geboren 1954 — hat er sich mit einem umfangreichen Studium (Philosophie, Jura, Politische Wissenschaften in Tübingen und Bonn) ein Legitimierungsstandbein geschaffen, das es ihm erlaubte, so nebenbei "in irgendwelche Jobs reinzutaumeln". So taumelte er zunächst in ein Zeitungspraktikum und dann urplötzlich in eine feste Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die Bundesfraktion der GRÜNEN für den Arbeitskreis Recht. Parteimitglied wurde er 1985, um auch mit(be)stimmen zu können. Vor allem für sein vielfältiges und parteiintern geschätztes Engagement gegen die Volkszählung setzten ihn die Grünen auf einen Listenplatz, der so gerade für den Einzug in den Landtag reichte.
    Hier hat das ehemalige Vorstandsmitglied der Humanistischen Union es weitgehend geschafft, seine außer- und innerparlamentarischen Oppositionsthemen, wie zum Beispiel in der Asylpolitik, unter einen Hut zu bringen: Plädoyer im Parlament für ein Bleiberecht der Roma, demonstrative Solidarität mit Bettelmarsch und Protestlager unter der Rheinbrücke. Durch ein neues, von ihm mitherausgegebenes Buch mit dem provozierenden Titel "Die Asyllüge" will Appel Flüchtlings- und Protestgruppen jetzt Argumente für ihre Auseinandersetzung gegen die zunehmend ausländerfeindliche Stimmung im Lande liefern.
    Weitere Kernthemen in seiner Parlamentsarbeit sind der Verfassungsschutz und die Stärkung individueller Freiheitsrechte. Der Radikal-Liberale träumt beispielsweise davon, den Verfassungsschutz zu einer Servicestation für den Bürger umzufunktionieren: Zu einer wissenschaftlichen Beratungsstelle, die jeden Interessierten über Herkunft, Ziele und Methoden beobachtungswürdiger Vereinigungen von der Scientology bis zur FAP informiert.
    Die Zeit fürs Private ist für den leidenschaftlichen Motorradfahrer seit seinem Einzug in den Landtag knapp geworden. Beinahe zwangsläufig würden alte Freunde vernachlässigt, auch seine vor wenigen Monaten geborene Tochter komme immer wieder zu kurz. Denn neben seiner Abgeordnetenarbeit muß er auch noch die grüne Basis pflegen. Als exotischer Landtags-Promi ist er ein häufig angefragter Gesprächspartner.
    Richard Hofer

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI922057

  • Porträt der Woche: Dr. Manfred Busch (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 24.03.1992

    "Die Opposition ist in erster Linie dazu da, Ungereimtheiten in der Regierungsarbeit aufzudecken und eigene Vorschläge einzubringen. " Dr. Manfred Busch, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, weiß, daß die Aufgabenerfüllung als Landtagsabgeordneter vor allem von der harten Bank einer Oppositionsfraktion aus Kärrnerarbeit gleicht. Diese Erfahrung ist für den 37 jährigen Düsseldorfer bereits bei Antritt seines Landtagsmandates nichts Neues gewesen. Schon als wissenschaftlicher Mitarbeiter der GRÜNEN-Fraktion im Bonner Bundestag hatte er gelernt, daß zwischen dem Idealbild eines Abgeordneten und der täglichen Sisyphusarbeit Welten liegen können.
    Dennoch will Busch seine Zeit in der Bundespolitik nicht missen. Hat sie ihm doch das nötige Rüstzeug beschert, um als Neuling im Abgeordnetenamt sofort effektiv an die Arbeit gaben zu können. "Alle Fragen, mit denen wir uns hier in der Landespolitik beschäftigen müssen, haben schon auf Bundesebene eine Rolle gespielt, da war ich für mein jetziges Pensum von Anfang an voll eingearbeitet", zieht Busch den Vergleich zwischen den Aufgabenstellungen in Bonn und Düsseldorf.
    Sein Pensum, das ist besonders die Wirtschafts- und die Finanzpolitik. Das nötige theoretische Rüstzeug dafür kommt aus seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, seiner Geburtsstadt. Nach dem Abschluß als Dr. rer. oec. arbeitete Busch dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für theoretische Wirtschaftslehre der Ruhr-Uni.
    Seine Erfahrungen aus dem Wissenschaftsbetrieb sind allerdings nicht die besten, wie sein rückblickendes Urteil über den Unibetrieb zeigt. Nicht gerade schmeichelhaft ist es besonders für die in der Politik hochangesehenen Wirtschaftsforscher: Wissenschaftliche Arbeit, das hat Busch festgestellt, sei unehrlich, weil interessengebunden. "Umwelt und Verbraucher haben in den Wirtschaftswissenschaften keinen relevanten Stellenwert. Dabei hat jeder Bürger im Grunde mehr Ahnung von Wirtschaft als mancher Wissenschaftler."
    Entsprechend fiel ihm 1983 der Wechsel vom Assistentenjob zur GRÜNEN-Fraktion nach Bonn nicht übermäßig schwer. Noch heute wertet er die Zeit in der Bundeshauptstadt als "spannend". Und das nicht nur, weil sie ihm die Einarbeitung in sein landespolitisches Aufgabengebiet innerhalb der GRÜNEN-Fraktion, die Haushalts- und Finanzpolitik, erheblich erleichterte. Spannend auch deshalb, weil in diese Zeit die Entwicklung einer ökologisch orientierten, "grünen" Wirtschaftspolitik fiel, an der er als wissenschaftlicher Fraktionsmitarbeiter beteiligt war.
    "Grün" zu sein, war und ist für Busch eher eine Frage der Lebenseinstellung, nicht unbedingt der Parteizugehörigkeit. So erfolgte sein Eintritt bei den Grünen auch nicht schon vor Antritt seines Bonner Fraktionsjobs. Erst 1986 wurde er Mitglied im NRW-Landesverband der Partei. Solchermaßen unbelastet von den innerparteilichen Querelen grüner Gründerzeiten, ließ er sich nota bene in die Pflicht nehmen, als es galt, 1988 den aufgeflogenen Finanzskandal aufzuarbeiten. Busch nahm die schwere Aufgabe als Rechnungsprüfer wahr. Das Ergebnis war so überzeugend, daß die Partei ihn Ende 1988 zum Schatzmeister wählte, was er bis zu seiner Wahl in den NRW-Landtag blieb.
    Die Aufgaben als geschäftsführendes Mitglied des Landesvorstandes für die Übernahme des Abgeordnetenmandats aufzugeben, ist Busch indes nicht allzu schwer gefallen, ist es ihm doch jetzt möglich, an die politische Arbeit anzuknüpfen, die er in Bonn auf Bundesebene begann, und die er, übertragen auf die landespolitischen Bedingungen Nordrhein-Westfalens, in Düsseldorf fortsetzen möchte.
    Busch sieht sich und seine Partei durchaus nicht als wirtschaftsfeindlich an. Die Grünen verständen sehr wohl die Motive und Interessen der Unternehmer, versichert er. Seine Kritik am unternehmerischen Handeln setzt aber da an, wo es zur Belastung der Umwelt führt. Auf diesem Sektor würde er noch gerne weitere Überzeugungsarbeit leisten, gerade bei der breitgefächerten mittelständischen Unternehmerschaft. Doch auch den Landtagsabgeordneten Busch holt die Routine des politischen Tagesgeschäfts nur allzu schnell und immer wieder ein. Und die bedeutet in der politischen Opposition nun einmal: Kontrolle der Regierenden.
    Sievert Herms

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920641

  • Porträt der Woche: Dr. Michael Vesper (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 12.11.1991

    Wer er wirklich ist, läßt sich nicht leicht festklopfen. Manche in der eigenen Partei kritisieren ihn als Opportunisten. Andere rühmen ihn als Profi, der der Sache der Grünen im Landtag Schwung und Profil gibt. Aufgefordert, sich selbst zu definieren und seinen Standort in der Partei zu beschreiben, beginnt Michael Vesper mit einer Verneinung: Ein Masochist sei er nicht. Sich am eigenen Leiden zu ergötzen und politische Niederlagen als Beweis für die Blödheit der politischen Konkurrenz zu betrachten, die im Bewußtsein für das Nötige und Erforderliche noch nicht soweit sei wie er — das sei sein Verständnis von grüner Politik nicht. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag sagt vielmehr ganz trocken: "Ich will gewinnen. So oft wie möglich. Möglichst immer." Und weil auch er nicht frei von Eitelkeit ist, wurmt es ihn mächtig, wenn ihn ausgerechnet die Mehrheit in der eigenen Fraktion nach gelungenen Auftritten im Plenum deckelt und für eine Weile wieder in die zweite Reihe zurückschiebt. Doch Michael Vesper weiß auch, daß er das nicht besonders belastbare Geflecht der Animositäten und versteckten Neidhammeleien innerhalb der Fraktion für die eigene Karriere nicht über Gebühr belasten darf, wenn er nicht ins Abseits geraten will und schluckt solche Demütigungen — fast — klaglos. Mehr noch: Daß solch Häkeleien zwischen Mehrheit und Minderheit in der Fraktion gewöhnlich nicht an die Öffentlichkeit dringen, daß die Fraktion der GRÜNEN entgegen manchen Erwartungen und/oder Befürchtungen nach außen meistens geschlossen agiert, rechnet sich Vesper als das nicht geringste seiner Verdienste an. Sein Job als Parlamentarischer Geschäftsführer ist allerdings auch durch die Entwicklung innerhalb der nordrhein-westfälischen Grünen zumindest etwas leichter geworden. Denn die Gräben zwischen den Flügeln sind niedriger geworden. Es ragen nicht mehr nur die Waffen, es schauen vielmehr schon hier und da die Köpfe heraus. Vesper beteiligt sich an diesen Einebnungsarbeiten nach eigener Einordnung als Realo. Das war nicht immer so. Der 39jährige Soziologe, der mit einer Arbeit über die Strukturen der Homelands in Namibia promovierte, begann seine Karriere bei den Grünen in der einstigen Bielefelder Hochburg der Ökosozialisten. Selbstbewußt aber beharrt er heute darauf, daß er seiner politischen Linie immer treu geblieben sei. Nicht er, sondern seine einstigen grünen Weggefährten hätten ihren Standort geändert. Ob diese Sicht der Dinge ganz den Realitäten entspricht, mag dahingestellt sein. Fest steht jedenfalls, daß Vesper 1989 bei der Kandidatenkür der Grünen für die Landtagswahl mit den Stimmen der Ökosozialisten und der Realos auf den ersten "Männerplatz" der Liste gewählt wurde, ein Kunststück in einer Versammlung, in der die Nicht-Realos über eine breite Mehrheit verfügten. In der elfköpfigen Landtagsfraktion sind die Realos denn auch noch immer in der Minderheit. Daß ihn die Fraktion dennoch erst kürzlich wieder neben Bärbel Höhn zum gleichberechtigten Sprecher wählte, verbucht Vesper mit einem Anflug von Koketterie als Zeichen, daß auch bei den Grünen auf Dauer ordentliche Arbeit anständig honoriert wird. Daß er von Anfang an Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion wurde, war ohnehin unbestritten, hatte er diesen Job zuvor doch schon fast sieben Jahre lang ohne Mandat in der wesentlich chaotischeren Bundestagsfraktion der Grünen gemanagt. Heute betrachtet sich Michael Vesper als einen "Berufspolitiker auf Zeit", wobei er die Dauer dieser Zeit vielsagend offenläßt. Im Plenum des Landtags gehört er zu den wenigen Abgeordneten, die — fast — zu jedem Thema frei sprechen können und dabei noch mit der Aufmerksamkeit der eigenen Fraktion und der Konkurrenz rechnen können. Regelmäßige Beobachter der Debatten im Landtag wissen, daß das keine Selbstverständlichkeit ist. Vesper seinerseits weiß, daß es dem eigenen Image und der Karriere nicht schadet, wenn man die Medien nicht zu aufdringlich, aber sorgfältig pflegt, daß Diskretion zum Geschäft gehört und eine gelegentlich gezielte Indiskretion genauso — ein richtiger Profi eben. Wie sehr viele andere Grüne hat der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion eine tiefschwarze katholische Vergangenheit, ein sehr bürgerliches Elternhaus und — daraus resultierend? — einen offenen Sinn für die Freuden dieses Lebens. Nur Politik als Lebensinhalt, nein, das wäre dem Berufspolitiker Vesper zu wenig. Diesem stets spürbaren Mangel an berufsbezogener Verbissenheit ist es wohl auch zuzuschreiben, daß Vesper im Kreis der Parlamentarischen Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzenden respektiert wird. Verläßlich, aber nicht von vornherein berechenbar — dieser nur scheinbar widersprüchliche Kurs des grünen Parlamentarischen Geschäftsführers hat ihm und der Fraktion bislang im Düsseldorfer Landtagsallerlei Achtung und Aufmerksamkeit verschafft. Michael Vesper genießt auch das. Manchen Neider stört das. Aber diese Freude am Job und am Erfolg und den damit verbundenen kleinen Annehmlichkeiten erscheint Vesper ehrlicher als die von manchen Abgeordneten zur Schau getragene Leichenbittermiene, ob der schier unerträglichen Last der Verantwortung für Nordrhein-Westfalen, der sich im Landtag alle 237 Frauen und Männer in Wahrheit doch nur zu gern unterworfen haben...
    Reinhard Voss
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911856

  • Porträt der Woche: Beate Scheffler (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 3 - 26.02.1991

    Das wäre, weiß Gott, für die Frau Pfarrerin, wie sie zu Hause in Bochum von manchen Menschen genannt wird, eine Karriere gewesen! Mit Ach und Weh gerade noch einen aussichtsreichen Platz auf der Kandidatenliste ergattert, mit Bibbern und Beben über die Fünf-Prozent-Hürde gezittert und dann gleich Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtags — wie gesagt, das wäre eine Karriere gewesen. Doch die Sozialdemokraten hatten nach der Landtagswahl vom Mai vergangenen Jahres die ohnehin unwillkommene grüne Konkurrenz nicht auch noch — wie es anderenorts durchaus parlamentarischer Brauch ist — in einem repräsentativen Amt an der Spitze der Volksvertretung dulden wollen. Ebenso wie die F.D.P. wurden die Grünen bei ihrem Griff nach einem der Ämter des Vizepräsidenten des Landtags von der SPD-Mehrheit abgebügelt. Für Beate Scheffler blieb deshalb "nur" das Amt einer Schriftführerin im Landtagspräsidium. Die junge Abgeordnete macht im Rückblick auf die scharfen parlamentarischen Auseinandersetzungen über den alleinigen Zugriff von SPD und CDU auf die Ämter der Landtagsvizepräsidenten aus ihrem Herzen keine Mördergrube und räumt freimütig ein, daß sie gern "Vize" geworden wäre. Aber sie weiß auch, daß dies der Schnee von gestern ist, dem nachzutrauern bekanntermaßen nichts bringt.
    Im 18köpfigen Präsidium des Landtags hat sich die Repräsentantin der Grünen inzwischen längst von einer gerade noch akzeptierten, mißtrauisch beäugten zu einer anerkannten und geachteten Volksvertreterin hochgerappelt. Ein bißchen ironisch lächelnd meint sie, daß dabei wohl ihre Herkunft aus einer "bürgerlichen Ecke" in den Augen der Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien hilfreich gewesen sei. In ihrer eigenen Partei hatte ihr diese Herkunft aus der bürgerlichen Ecke, in der sie bis heute gern geblieben ist, eher geschadet. Die gelernte Grund- und Hauptschullehrerin, die zehn Jahre lang unterrichtet hatte, bis das dritte Kind sie dann noch zwang, sich beurlauben zu lassen, die Frau eines evangelischen Pfarrers, die Vorsitzende des Kirchenchors in der Gemeinde ihres Mannes, sie gehörte nie zur "richtigen" grünen Szene.
    Erst nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu den Grünen gestoßen, wurde sie zwar im Januar 1989 schon zu einer der Sprecherinnen des Landesvorstandes der Grünen gewählt. Doch dieses Führungsgremium der Grünen hatte in der Partei noch nie wirklich Macht und/oder Einfluß. Wahlen an die Spitze der Partei sind eher beliebig. Beate Scheffler mußte das schmerzhaft erfahren, als sie sich innerparteilich um ein Landtagsmandat bewarb. Zweimal kandidierte sie als damals amtierende Sprecherin des Landesvorstandes vergeblich, wurde, wie sie es selbst nannte, von der Parteibasis "abgestraft", bis sie in einem dritten Anlauf dann doch noch Platz neun der Landesliste erhielt. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, bei denen irgendwelche Führungszirkel die Kandidatenlisten vorher hinter verschlossenen Türen zusammenbasteln und das Ergebnis von Landesparteitagen nur noch absegnen lassen, wird bei den Grünen jeder Platz auf einer Liste in sozusagen offener Feldschlacht ausgekämpft. Ein "mörderisches Verfahren, das Menschen beschädigt und längst nicht so demokratisch ist, wie es zu sein vorgibt", urteilt Beate Scheffler. Aber als eine in vieler Hinsicht Realpolitikerin weiß die 38jährige Bochumerin, daß sie und alle anderen "Realas"und "Realos"'an dieser Praxis nie etwas werden ändern können.
    An einer anderen Praxis der Partei will sie dagegen nie etwas geändert wissen. Und das betrifft den Parteitagsbeschluß', das in der grünen Partei Frauen mindestens die Hälfte aller zu vergebenden Mandate erhalten. Beate Schefflers Begründung für diese Praxis ist lapidar und realistisch: "Der Quotenbeschluß muß bleiben, weil grüne Männer nicht besser als die Männer in anderen Parteien sind" — soll heißen, daß auch die männlichen Grünen freiwillig nie die Hälfte von irgend etwas abgeben würden. Es sei denn unangenehme Arbeit, für die es nichts gibt.
    Fragte man Beate Scheffler, was sie als "Bürgerliche", als Christin, als Ehefrau und Mutter von den Kolleginnen — die Männer bleiben bei dieser Frage mal unbeachtet — aus den anderen Fraktionen unterscheidet, hat sie eine selbstbewußte und eine überraschende Antwort parat. Die selbstbewußte: "Ich habe keine Schere im Kopf." Und die überraschende: "Ich habe konservative Ansätze, ideologisches Denken ist mir fremd, weil es nach all meinen Erfahrungen weniger als Nichts bringt." Daß sie mit dieser Haltung in der grünen Fraktion klarkommt, hat sie zugestandenermaßen selbst schon dann und wann überrascht. Ein bißchen verwundert und sehr erfreut konstatiert sie mit Blick auf die Arbeit in der eigenen Fraktion: "Wir haben noch keine einzige Debatte außerhalb der Realität geführt." Richtig verstehen kann diese Freude nur jemand, der schon Diskussionen in anderen grünen Gremien beobachten durfte oder mußte.
    Jetzt ist Beate Scheffler Berufspolitikerin. Sie scheut dies Wort und diesen Zustand nicht. Sie verhehlt nicht, daß ihr das Spaß macht, daß sie es auch schon mal genießt, zu Hause in Bochum als "unsere Frau Abgeordnete" angeredet zu werden, an die man sich um Hilfe nicht nur in Kirchen- und Glaubensfragen wendet. Ihretwegen könnte das noch lange Zeit so weitergehen, nach 1995 möglichst als Regierungspartnerin der Sozialdemokraten. Denn als "Systemopposition" — um ein grünes Schlagwort zu benutzen, das zur Freude Beate Schefflers in der innerparteilichen Diskussion rapide an Faszination verliert — hat die Abgeordnete bei aller Lust am Mandat kein Interesse. Da wüßte sie mit ihrer Zeit, mit ihrem Leben doch etwas anderes anzufangen als Systemopposition zu treiben, meint die Abgeordnete, die noch die Hoffnung nicht verloren hat, auch als Parlamentarierin der kleinsten Fraktion im großen Düsseldorfer Landtag etwas bewegen zu können. Nichts Großes, Dolles, Weltbewegendes. Das gibt es im Landtag sowieso nicht, hat Beate Scheffler schnell gelernt. Aber wenn die anderen Abgeordneten der anderen Parteien angesichts der Anträge und der Argumente der Grünen nur dann und wann mal nachdächten und gewohnte Denkmuster verließen, dann wäre das doch schon etwas, übt sich die Jung-Parlamentarierin in bescheidenem Realismus. Sie weiß, daß die Lage nichts anderes erlaubt.
    Reinhard Voss

    ID: LI910365

  • Porträt der Woche: Siegfried Martsch (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 11.12.1990

    Der Abgeordnete Siegfried Martsch, den fast alle "Siggi" nennen, ist kein typischer Vertreter der Grünen: Kein Akademiker, sondern gelernter Kfz-Schlosser, kein Wehrdienstverweigerer, sondern Soldat für 15 Monate, kein Pazifist, sondern jemand, der offen sagt: "Wenn man mich angreift, wehre ich mich, das gilt nicht nur für den persönlichen Bereich."
    Der 37 jährige ist in Bochum geboren, seit vielen Jahren lebt er mit Ehefrau und drei Söhnen (elf, neun und sechs Jahre) auf einem gepachteten Sechs-Hektar-Hof in Borken als Nebenerwerbs-Bauer. Im Hauptberuf ist Martsch seit Mai Landtagsabgeordneter. Ein kurzer Ausflug in die Selbständigkeit Anfang der 80er ist mißlungen. Schlimmer noch: Der Versuch des Bauunternehmers Martsch endete mit einer siebenmonatigen Strafe auf Bewährung wegen Konkursvergehens. Offen räumt er ein, dies sei nun einmal Bestandteil seiner Biographie, nicht gerade eine Auszeichnung, aber,das ist halt so".
    Zur Partei der Grünen findet der schwergewichtige Mann im Januar 1984. Ab 1983 war er zu Grünen-Versammlungen gegangen. Dann habe er nicht mehr nur dabei sein wollen. "Mitmachen" lautete seine Parole. Und schnell stieg er auf, allerdings nicht als "Überflieger", sondern, wie er sagt, "auf der Ochsentour", also über die Kommunalpolitik in Borken. Zwei Jahre war der Agrarexperte der Grünen-Landtagsfraktion auch Sprecher des Landesvorstandes der Partei in NRW.
    In einer Zechensiedlung in Bochum und später in Lippstadt wurde Siegfried Martsch groß: Neun Jahre Volksschule, Kfz-Schlosser-Lehre, Wehrdienst, Fernfahrer (viel in Italien) — das sind weitere Stationen auf seinem Lebensweg. Er wollte ganz bewußt zur Bundeswehr, weil er dort, wo die meisten männlichen Altersgenossen waren, politisch argumentieren wollte. "Ich traute es mir zu, in der Bundeswehr zu diskutieren." Im "Bau" sei er nie gelandet. Auch heute akzeptiere er die Soldaten, habe keinerlei Vorurteile.
    Erste politische Aktivitäten gab es im CVJM, dann folgte Engagement in der linken Lehrlingsbewegung, in den Republikanischen Clubs, später bei der Evangelischen Studentengemeinde (ESG). Vier Jahre wirkte Martsch als Nicht-Akademiker im Vorstand der ESG. Solidarität mit Palästina und Afrika war für ihn ein großes Thema damals. Ein Höchstmaß an Sympathie mit Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 wich zunehmender Irritation über die Siedlungspolitik der Israelis: "Für mich war es nicht verständlich, daß die Juden, die selbst soviel Unbegreifliches erlitten haben, nun gegenüber Palästinensern zu menschenverachtenden Mitteln griffen."
    Das heutige Vorgehen der USA am Golf nennt Martsch ein "überflüssiges und gefährliches Spiel". Der Westen habe gegenüber Saddam jahrelang alles andere als glaubwürdige Politik betrieben. Mit solchen Leuten hätte man eben keine Geschäfte treiben dürfen. Statt zum Krieg, würde er zu "schärfsten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen" gegen Irak raten.
    Martsch, der sich nicht eindeutig den Flügeln in der GRÜNEN-Fraktion zuordnen läßt, sagt, er nabe viele wertkonservative Züge. Hat er Probleme mit der Haltung seiner Partei zur Abtreibung? Martsch zögert einen Moment. Dann erzählt er von heftigen Diskussionen daheim mit seiner Frau. Er möchte, daß keine Frau in diesem Land meint, abtreiben zu müssen. Das sei seine gesellschaftliche Utopie. Solange diese nicht Wirklichkeit werde, müsse man wohl jeder Frau zubilligen, selbst darüber zu befinden, ob sie das Kind austragen soll oder nicht. Martsch: "Deshalb bin ich dafür, den Paragraph 218 abzuschaffen, er löst das Problem nicht."
    Wie steht es um das Verhältnis des Grünen Martsch zum Auto? Schließlich war er einmal Kfz-Schlosser und Lastwagenfahrer. Das gleichsam erotische Verhältnis zum Auto sei längst passé. Heute empfindet der Diesel-Fahrer (demnächst soll ein Kat-Fahrzeug angeschafft werden) Autofahren als Last und als Streß. 90 Prozent seiner Wege lege er mit der Bahn zurück. Ein schlimmer Unfall zu Jahresbeginn hat ihm das Autofahren zusätzlich vermiest. Damals, am 10. Januar, sei er verletzt aus seinem Autowrack gekrabbelt. Er zeigt ein Foto, das belegt, daß Siegfried Martsch unwahrscheinliches Glück gehabt hat: Das Überleben sei wie ein zweiter Geburtstag gewesen, meint er rückblickend.
    Untypisch für einen Grünen ist auch Martschs Haltung zur deutschen Einheit. Stets sei er dafür gewesen, mit dem Wegfall der Mauer sei von sehr vielen Menschen eine schwere Last genommen worden. Zu Silvester 1989 ist er mit seiner Familie zu einer Tante nach Dresden aufgebrochen: "Ich war erheblich gerührt." Jetzt ärgert er sich darüber, daß seiner Meinung nach der Kanzler den Leuten drüben "das Blaue vom Himmel" verspricht, daß fortschrittliche Politik-Konzepte der revolutionären Bewegung vom vergangenen Herbst keine Chancen mehr haben.
    Martsch bezeichnet sich als einen Politiker, der zwar für Visionen offen, aber doch eher praktisch orientiert ist. 30 oder 40 Jahre am Schraubstock zu arbeiten und mit den Kollegen über Politik reden, um sie zu überzeugen, erscheine ihm viel heldenhafter als fünf Minuten etwas Spektakuläres zu veranstalten. Noch eine Abweichung von anderen Grünen: Mansch sagt, er sei ungebrochen optimistisch, glaube an die gute Substanz in jedem Menschen. Dafür werde er in der Partei oft belächelt.
    Reinhold Michels

    ID: LI902050

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