27.01.2023

Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus

Der Landtag und die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen haben in einer Gedenkstunde an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau heute vor 78 Jahren erinnert und gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen,  die Zeitzeugin Ruth Weiss sowie André Kuper,Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen (v.l.)

Im Landtag kamen die Abgeordneten des Parlaments und die Mitglieder der Landesregierung unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Verbände, des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma NRW, von Behindertenverbänden, des Lesben- und Schwulenverbands sowie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zusammen. Die Zeitzeugin Ruth Weiss erinnerte im Plenarsaal des Landtags in bewegenden Worten an die Schmach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. 

Bei der Gedenkstunde sprachen André Kuper, Präsident des Landtags, der Ministerpräsident des Landes, Hendrik Wüst, sowie Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. Das Konzentrationslager Auschwitz war am 27. Januar 1945 von sowjetischen Soldaten befreit worden.

Der Präsident des Landtags, André Kuper, eröffnete die Gedenkstunde und sagte: „78 Jahre liegt das Ende des NS-Terrors zurück. Doch das Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten erlaubt in seinen maßlosen Dimensionen keine zeitliche Distanz. Wir lassen die Verfolgten, Geschundenen und Toten niemals in Vergessenheit geraten. Im Wissen um ihre Schicksale stellen wir uns mit der Kraft der Demokratie
und des Rechtsstaats gegen den Hass, die Menschenfeindlichkeit und den Antisemitismus unserer Zeit. Der Angriff auf die Synagoge in Essen zeigt: ‚Nie wieder‘ ist nötiger denn je.“

Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, sagte: „Die Förderung und der Schutz jüdischen Lebens sind Staatsräson – und mir eine Herzensangelegenheit. Es ist ein Geschenk für uns, dass jüdische Gemeinden nach dem Holocaust auf ein demokratisches Deutschland vertraut und hier eine Zukunft gesehen haben. Sie haben mitgeholfen, dass Nordrhein-Westfalen das ist, was es ist: ein Land der Vielfalt und Weltoffenheit. Jüdinnen und Juden sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft – das muss und soll auch so bleiben. Es darf keinen Zweifel an einem ‚Nie wieder‘ geben. In Nordrhein-Westfalen ist kein Platz für Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit.“

Ruth Weiss erinnerte an den Beginn des Nationalsozialismus, den sie Kind erlebt hatte: „In unserem Dorf bei Nürnberg änderte sich alles sehr plötzlich, obwohl wir eine ganz normale Familie waren, die ihren jüdischen Glauben weitgehend unbehelligt leben konnte. Nun wurde ich in der Schule ausgegrenzt; meine ältere Schwester, wurde nach der Machtübernahme auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause mit Dreck beworfen; der Bruder unserer Mutter bei Besuch einer nicht-jüdischen Freundin brutal zusammengeschlagen. Zum Glück konnte Vati 1933 nach Südafrika fliehen, wohin Mutter, meine Schwester und ich ihm 1936 folgten. Dort waren wir erneut mit Antisemitismus konfrontiert und erlebten die rassistische Unterdrückung der nicht-weißen Mehrheit durch die weiße Minderheit. Ich lernte, dass Rassismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit keine Grenzen kennen.“ Ruth Weiss wurde Journalistin und Autorin, begegnete Nelson Mandela und engagierte sich gegen die Apartheid. Sie arbeitete in Köln und Lüdinghausen, heute lebt sie in Kopenhagen. Seit den 70er Jahren trifft sie mit Schülerinnen und Schülern zusammen um ihre Lebensgeschichte zu erzählen und gegen Antisemitismus und Unrecht zu kämpfen. Ihr Buch „Meine Schwester Sara“ war zweimal Pflichtlektüre an Schulen. 

Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, vertrat die jüdischen Verbände in Nordrhein-Westfalen, bei der Gedenkstunde. Er sagte: „Sollte es uns nicht gelingen, die kollektive Verantwortung für die Erinnerung an die Schoah und den Nationalsozialismus den nachfolgenden Generationen zu vermitteln, drohen Gedenktage wie der heutige in Routine zu erstarren.“

Der Gedenkstunde wohnten neben Abgeordneten des Landtags und den Mitgliedern der Landesregierung auch der Vorstand der jüdischen Gemeinde in Essen, der Generalkonsul der Republik Polen und Doyen des Konsularischen Korps Nordrhein-Westfalen, Jakub Wawrzyniak, Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Verbände sowie Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbands Sinti und Roma Nordrhein-Westfalen, bei. Auch die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, nahm teil. Schülerinnen und Schüler der Friedens-Schule Münster und des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Düsseldorf, die sich mit Ruth Weiss ausgetauscht hatten, verfolgten die Gedenkstunde im Plenarsaal. 

Pumeza Matshikiza (Sopran) und das Aria Bläserquintett gestalteten die Gedenkstunde musikalisch, unter anderem mit Stücken von Paul Hindemith.

Viele Gäste besuchten auch die Ausstellung „Werde Zweitzeug*in” vor dem Plenarsaal. Der Verein Zweitzeugen zeigt die Lebensgeschichte von Zeitzeugen der Verfolgung von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. Besucherinnen und Besucher können die Schicksale von vier verschiedenen Menschen intensiv und interaktiv kennenlernen. Sie ist besonders für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren konzipiert, lädt aber Besucherinnen und Besucher jeden Alters dazu ein, die Überlebensgeschichten interaktiv zu entdecken und die Erinnerung an diese Menschen zu bewahren. Der Verein wird in diesem Jahr mit dem Preis der US-amerikanischen Obermayer Stiftung ausgezeichnet.

 

Video zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus

Die Fraktionen im Landtag NRW