Robert Görlinger (1888-1954)

Viele der SPD-Politiker der ersten nordrhein-westfälischen Landtage reüssierten weniger auf landes-, sondern auf bundes- und/oder kommunalpolitischer Ebene. Dies gilt auch für Robert Görlinger, dem es als ersten sozialdemokratischen Politiker gelang, Oberbürgermeister in der katholischen Hochburg Köln zu werden.1

Robert Görlinger wurde am 29. Juli 1888 in Ensheim in der Pfalz geboren. Er war das älteste von insgesamt acht Kindern eines Fabrikarbeiters und einer Bauerstochter. Robert besuchte die Volksschule und die Fortbildungsschule in Ensheim. Bereits in jungen Jahren trug er zur Unterstützung der Familie bei, etwa bei der Feldarbeit. Nach dem Verlassen der Schule begann er die Arbeit in einer Fabrik für elektrotechnische Bedarfsartikel. Aufgrund familiärer Dissonanzen verließ er schließlich das Elternhaus, zog 1905 mit 17 Jahren nach Köln und war dort als Laufjunge, Fabrikarbeiter und Hartlöter in einer Fahrrad-Fabrikation tätig. 1907 wurde er Mitglied im Deutschen Metallarbeiter-Verband. Sodann begab er sich auf Wanderschaft u.a. nach Frankfurt am Main und Berlin. Schließlich kehrte er nach Köln zurück, wo er 1909 aus der römisch-katholischen Kirche aus- und in die SPD eintrat. Kurz darauf wurde er Vertrauensmann der Partei im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Das Jahr 1909 war auch in privater Hinsicht folgenreich: Görlinger heiratete die als Dienstmagd tätige Emilie Schieron. Das Paar bekam vier Kinder. Die Ehe war allerdings unglücklich, so dass sich Robert später von seiner Frau trennte.2

1910 wurde Robert Görlinger aufgrund seines gewerkschaftlichen Engagements auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt und musste zwischenzeitlich in einer Kolonne von Landschaftsgärtnern im Ruhrgebiet arbeiten. Gleichzeitig bildete er sich im Elektrofach weiter und erhielt dann eine Anstellung als Obermonteur bei der Firma Siemsen-Schuckert in Köln. Im Jahr 1915 wurde er für den Kriegsdienst eingezogen und als ungedienter Landsturmmann einer Maschinengewehrkompanie zugeteilt. Während des Krieges wurde er zweimal schwer verwundet. Er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und wurde zum Unteroffizier befördert.3

Während seines zweiten Lazarettaufenthalts in Berlin bahnte sich die Revolution 1918 ihren Weg. Görlinger wollte den Prozess aktiv mitgestalten und trat dem Großberliner Soldatenrat bei. Mit der Rückkehr nach Köln startete dann seine eigentliche politische Karriere. 1919 wurde er Sekretär des Metallarbeiterverbandes in Köln, Mitglied des SPD-Ortsvorstands sowie Stadtverordneter im Rat der Stadt Köln. Von 1920 bis 1925 war er Geschäftsführer der Kölner SPD-Ratsfraktion und von 1925 bis 1933 Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion. In letzterer Funktion avancierte er zum Widersacher des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer. 1929 trat Görlinger auch als dessen Gegenkandidat bei der Oberbürgermeisterwahl an. Zuvor wurde er 1924 in den Vorstand des SPD-Bezirks Obere Rheinprovinz gewählt, ab 1929 war er zudem stellvertretender Vorsitzender des Bezirks. Des Weiteren war er seit 1923 SPD-Abgeordneter im Rheinischen Provinziallandtag, seit 1925 Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Köln und seit 1929 Leiter eines Spezialbüros des Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt in Berlin. Neben all diesen Ämtern war er außerdem Mitglied im Kuratorium der Universität Köln sowie Mitglied im Vorstand des Rheinischen und dann des Deutschen Städtetags.4

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Görlinger von Männern der SA und SS schwer misshandelt. Einer drohenden Verhaftung entzog er sich schließlich durch Flucht über Saarbrücken und Straßburg nach Besançon/Doubs in Frankreich. Dort schlug er sich als Händler, Elektriker und Mechaniker durch. Seine Frau und seine vier Kinder ließ er in Deutschland zurück. Seit 1933 lebte er mit der deutlich jüngeren Else Wolf zusammen, mit der er 1936 einen Sohn bekam. Im April 1939 entzogen ihm die Nationalsozialisten die deutsche Staatsbürgerschaft – damit war er staatenlos. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er von den Franzosen zweimal für längere Zeit interniert. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen nach Frankreich kam Görlinger wieder frei, jedoch wurde er am 12. März 1941 in Nevers von der Gestapo verhaftet und in das Kölner Untersuchungsgefängnis Klingelpütz verfrachtet. Es folgten acht Monate Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte Görlinger (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) wegen angeblicher „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Gefängnis. Nach Verbüßung der Haftstrafe im Gefängnis Wolfenbüttel wurde er allerdings nicht freigelassen, sondern über das Kölner Klingelpütz-Gefängnis in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.5 Dort pflegte er auch Kontakte zu Häftlingen anderer Länder, die ebenfalls aus politischen Gründen inhaftiert worden waren. Seine Motivation beschrieb er folgendermaßen: „Wir müssen weiter denken, an die Zeit nach dem Kriege. Dann werden wir Deutschen allein in der Welt dastehen und auf die anderen Völker angewiesen sein. Wir brauchen dann Freunde im Ausland, und darum sind wir verpflichtet, jetzt die Beziehungen zu den ausländischen Politikern im Lager zu pflegen und jetzt schon die Grundlagen für die Arbeit nach dem Kriege zu schaffen“.6

In den letzten Kriegstagen wurde er mit anderen Häftlingen nach Schleswig verlegt und dort schließlich von den britischen Truppen befreit. Im Juli 1945 kehrte er wieder nach Köln zurück.7 Dazu schrieb Görlinger: „Nach 12 ½ Jahren bin ich in Köln wieder angekommen aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg mit einem Rucksack und zwei Decken. Ich habe restlos alles verloren, was mir früher viel Freude gemacht hat und muß von neuem beginnen.“8 Umgehend engagierte er sich beim Wiederaufbau der SPD und der Arbeiterwohlfahrt. So wurde er Vorsitzender des SPD-Bezirks Obere Rheinprovinz und Geschäftsführer der AWO in Köln. 1946 kam es dann zu einer erheblichen Ämterzunahme: So wurde er Mitglied des SPD-Parteivorstands, erster Vorsitzender des Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt in Hannover, Mitglied des Zonenbeirats für die Britische Zone sowie Mitglied des Landtags. Im Landtag wurde er in den Fraktionsvorstand gewählt und war zeitweise sogar stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Innerhalb des Landtags engagierte er sich vor allem im Hauptausschuss, dessen Vorsitz er anfangs innehatte. Der Gründung Nordrhein-Westfalens stand er übrigens kritisch gegenüber – im Einklang mit der SPD-Führung. Wie Kurt Schumacher kritisierte er die Größe und zu erwartende Dominanz des Bundeslandes gegenüber den anderen Ländern.9

1949 wechselte Görlinger vom Landtag in den neu gewählten Bundestag. Doch sein Hauptbetätigungsfeld blieb die Kommunalpolitik. Nach dem Krieg hatte er wieder den Vorsitz der Kölner SPD-Ratsfraktion übernommen und Ende März 1946 war er zudem zum ersten stellvertretenden Oberbürgermeister bzw. Ersten Bürgermeister der Stadt Köln gewählt worden. Zwei Jahre später kam es in der Domstadt schließlich zu einer kleinen Sensation. Die Kommunalwahl führte im Rat zu einem Patt zwischen CDU und FDP auf der einen Seite und SPD und KPD auf der anderen. Da kein Kandidat eine Mehrheit hinter sich versammeln konnte, wurde im dritten Wahlgang die Entscheidung per Los getroffen, dabei fiel die Wahl auf Robert Görlinger. Folgenreich war die Wahl deswegen, weil nie zuvor in der durch und durch katholisch-geprägten Großstadt sozialdemokratische Politik politisch mehrheitsfähig gewesen war. Da die CDU jedoch die stärkste Fraktion bildete und nur durch Los unterlegen war, einigten sich SPD und CDU darauf, das Mandat zu teilen. Vom 15. November 1948 bis zum 9. Dezember 1949 und vom 23. November 1950 bis zum 8. November 1951 war Görlinger Oberbürgermeister und dazwischen der Kandidat der CDU, Ernst Schwering. In der Zwischenzeit war der jeweils andere der Stellvertreter.10

In der Kommunalpolitik engagierte sich Görlinger vornehmlich im Bereich Schul- und Hochschulpolitik, Sozialpolitik sowie Wohnungswesen. Aber auch die Förderung von Kunst und Kultur lag ihm am Herzen. Ein besonderes Faible entwickelte Görlinger für die Fotografie. So unterstützte er die Realisierung der Kölner Messe-Ausstellung „photokina“. Selbst im Zeitungswesen wirkte er mit: 1946 wurde er einer von mehreren Hauptlizenzträgern der sozialdemokratisch orientierten „Rheinischen Zeitung“ in Köln und ab 1948 zudem Verlagsleiter der Zeitung.11

Am 10. Februar 1954 starb Görlinger überraschend nach einer Operation in einem Kölner Krankenhaus. Er wurde 65 Jahre alt. An ihn erinnert das Görlinger-Zentrum in Köln-Bocklemünd/Mengenich.12

Endnoten
1 Vgl. Fuchs, Peter: Robert Görlinger. Der erste sozialdemokratische Oberbürgermeister, in: Brunn, Gerhard (Hrsg.): Sozialdemokratie in Köln : ein Beitrag zur Stadt- und Parteiengeschichte, Köln 1986, S. 295-303, hier S. 295.
2 Vgl. ebd., S. 297-298; Görlinger, Robert: Lebenslauf vom 31.01.1946, in: Historisches Archiv der Stadt Köln. Bestand 905 Görlinger, Robert (Sig.: 905-A 170); Wickert, Christl: Der Freiheit verpflichtet. Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, hrsg. vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Marburg 2000, S. 115; Haunfelder, Bernd: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 170 sowie Kringel, Markus H.: Görlinger, Robert (1888-1954), in: Mielke, Siegfried (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, 4 Bde., Bd. 1, Berlin 2002, S. 164-167, hier S. 164.
3 Vgl. Fuchs: Robert Görlinger, S. 298 sowie Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 164.
4 Vgl. Görlinger, Robert: Lebenslauf vom 29.04.1946, in: AdsD. Bestand SPD-PV (Sig.: 2/PVBK000114); Fuchs: Robert Görlinger, S. 297-299; Wickert: Der Freiheit verpflichtet, S. 115-116; Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 165; Hüttenberger, Peter: Das personelle Bild, in: Lenz, Wilhelm (Hrsg.): Mensch und Staat in NRW. 25 Jahre Landtag von Nordrhein-Westfalen, Köln / Berlin 1971, S. 73-104, hier S. 80; Eichler, Willi: Robert Görlinger zum Gedächtnis, in: Sozialdemokratischer Pressedienst vom 10.2.1954, S. 8 sowie Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952, Stuttgart 1986, S. 471.
5 Vgl. Vgl. Görlinger: Lebenslauf vom 29.04.1946; ders.: Eidesstattliche Erklärung vom 07.11.1949, in: Historisches Archiv der Stadt Köln. Bestand 905 Görlinger, Robert (Sig.: 905-A 17); ders.: Fragebogen Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv. Bestand Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1048-32-1657); Brief Deutsches Konsulat Epinal an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 20.03.1939 bzgl. der Ausbürgerung Robert Görlingers, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts. Ausbürgerungslisten (Sig.: PAAA_RZ214_099781_205); Brief Jugendgefängnis und Strafgefängnis Wolfenbüttel an Robert Görlinger vom 10.11.1949, in: Historisches Archiv der Stadt Köln. Bestand 905 Görlinger, Robert (Sig.: 905-A 19); Blaschke, Wolfgang / Fings, Karola / Lissner, Cordula: Unter Vorbehalt. Rückkehr aus der Emigration nach 1945, Köln 1997, S. 194; Fuchs: Robert Görlinger, S. 299-300; Wickert: Der Freiheit verpflichtet, S. 116; Allebrodt, Barbara: Robert Görlinger – Oberbürgermeister von Köln, in: Dülffer, Jost (Hrsg.): Köln in den 50er Jahren. Zwischen Tradition und Modernisierung, Köln 2001, S. 39-48, hier S. 41; Röder, Werner / Strauss, Herbert A..: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. 3. Bde., Bd. 1, München u.a. 1980, S. 228 sowie Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 165-166.
6 Zitiert nach o.V.: Robert Görlinger †. Eine Handvoll Erinnerungen, in: Bonner Rundschau vom 11.02.1954.
7 Vgl. Fahrtbescheinigung Robert Görlinger von Brekling nach Köln vom 05.07.1945, in: Historisches Archiv der Stadt Köln. Bestand 905 Görlinger, Robert (Sig.: 905-A 19); ders.: Lebenslauf vom 29.04.1946 sowie Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 166.
8 Zitiert nach Blaschke / Fings / Lissner: Unter Vorbehalt, S. 195.
9 Vgl. Fuchs: Robert Görlinger, S. 300-301; Wickert: Der Freiheit verpflichtet, S. 116; Düding, Dieter: Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1980. Vom Fünfparteien- zum Zweiparteienlandtag, Düsseldorf 2008, S. 80 sowie Köhler, Wolfram: Das Land aus dem Schmelztiegel. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, Düsseldorf 1961, S. 136.
10 Vgl. Deres, Thomas: „Die Fraktion beschließt einstimmig…“. Die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Köln 1945-1998, Köln 1999, S. 25-32; Fuchs: Robert Görlinger, S. 295-297 sowie Wickert: Der Freiheit verpflichtet, S. 116.
11 Vgl. Fuchs: Robert Görlinger, S. 301-303; Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 166; Allebrodt: Robert Görlinger – Oberbürgermeister von Köln, S. 44-48 sowie Wickert: Der Freiheit verpflichtet, S. 116.
12 Vgl. Fuchs: Robert Görlinger, S.303 sowie Kringel.: Görlinger, Robert (1888-1954), S. 167.

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