Paul Rhode (1877-1965)

Paul Rhode war einer der wenigen sozialdemokratischen Abgeordneten, die nicht über die Sozialisation im Arbeitermilieu und die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) den Weg zur SPD gefunden hatten. Die Gründe für sein politisches Engagement waren ethisch-moralische. So trat er nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs der SPD bei und nach Ende des Zweiten Weltkriegs kritisierte der NS-verfolgte Rhode immer wieder öffentlich die Wiedereinsetzung ehemaliger NSDAP-Mitglieder in einflussreiche Positionen.1

Paul Friedrich Rhode wurde am 22. April 1877 in Höxter geboren. Seine Mutter war bei der Geburt 18 Jahre alt. Aufgrund der unterschiedlichen Konfessionen der Eltern kam eine Heirat nicht zustande. Seine Mutter musste Paul demnach ohne Ehemann großziehen und ihr Geld als Köchin und Näherin verdienen. Trotz dieser „Makel“ erhielt Paul Rhode die Chance zum Bildungsaufstieg. So besuchte er von 1883 bis 1891 die evangelische Bürgerschule in Höxter, dann von 1891 bis 1894 die Präparandenanstalt in Schildesche bei Bielefeld (Unterstufe der Lehrerbildungsanstalt) und schließlich von 1894 bis 1897 das Lehrerseminar in Hilchenbach, welches er mit der ersten Lehrerprüfung abschloss. Nach seinem Militärdienst legte er die zweite Lehrerprüfung ab.2

Seit 1897 hatte er an verschiedenen Schulen der Region gearbeitet. Mit ein Grund für seine häufige Versetzung mögen die mehrmaligen geringfügigen Verstöße u.a. gegen Anordnungen seiner Vorgesetzen gewesen sein, die mit drei in seiner Personalakte vermerkten Disziplinarstrafen geahndet wurden. 1910 erhielt er schließlich eine Stelle als Lehrer an der evangelischen Volksschule in Ehsel (heute Recklinghausen-Essel). Wenig später heiratete er und bekam dann mit seiner Frau drei Kinder. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich am 25. August 1914 freiwillig und wurde an die Westfront versetzt. Er wurde Obergefreiter und dann Offiziersstellvertreter.3 Im September 1918, zwei Monate vor Ende des Krieges, bat er um Entlassung aus dem Heer und Zurückversetzung in den Schuldienst: „Auch in meiner jetzigen Verwendung kann ich den Anforderungen des Dienstes nicht voll gerecht werden. Größere körperliche Anstrengungen […] machen mich häufig wochenlang dienstunfähig bzw. nur geeignet für inneren Dienst[…].“4 Noch während des Krieges kam Rhode mit dem sozialistischen Gedankengut in Kontakt, sodass er unmittelbar nach Kriegsende in die SPD eintrat. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 41 Jahre alt. Darüber hinaus trat er aus der Kirche aus und bezeichnete er sich fortan als konfessionslosen Christen.5

Rhode nahm seine alte Stelle als Lehrer wieder auf. Zudem engagierte er sich vermehrt politisch. So wurde er Anfang 1919 in die Gemeindevertretung von Recklinghausen-Land gewählt. Neben bildungspolitischen Themenfeldern war ihm die Einbeziehung der Öffentlichkeit in politischen Entscheidungsprozesse ein Anliegen. Er organisierte sogar einen Bergarbeiterstreik sowie vor Ort den Generalstreik gegen den Kapp-Putsch. Allerdings trat er auch der Roten Ruhrarmee entgegen – bei einem gewaltsamen Zusammenstoß wurde sein Hut von einer Kugel durchschossen. Später dankte er der Reichswehr für ihr Eingreifen gegen die linken Revolutionäre, die er als „Gesindel“ und „Horden“ beschimpfte.6

1926 wurde Essel in Recklinghausen eingemeindet, Rhode wird daraufhin Stadtverordneter in Recklinghausen und 1929 ehrenamtlicher Stadtrat. Darüber hinaus engagierte er sich in der Republikschutzorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Aufgrund einer Nervenschwäche und eines Herzklappenfehlers konnte er zwischenzeitlich seinen Dienst in der Schule nicht mehr ausüben. Anfang April 1933, also nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, erklärte ihn der zuständige Arzt für dienstunfähig. Rhode beantragte daraufhin die Versetzung in den Ruhestand. Noch vor seiner Pensionierung wurde er in Schutzhaft genommen, ins Herforder Gefängnis gebracht und dann am ersten Tag seiner Pensionierung am 1. Juli 1933 ins KZ Esterwegen II verfrachtet. Später kam er in das KZ Lichtenburg-Prettin. Bei Beginn seiner Haft wog Rhode etwas unter 76 kg; als er vor Weihnachten 1933 nach Hause kam, war sein Gewicht auf 49 kg gesunken. Die übrige Zeit im „Dritten Reich“ lebte er zurückgezogen und gehörte keiner NS-Organisation an. 1944, nach dem missglückten Attentat auf Hitler, wurde er abermals verhaftet, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen.7

Die Erfahrungen, die er im Nationalsozialismus gemacht hatte, hatten ihn tief geprägt. So äußerte er Skepsis, ob Deutschland eine funktionierende Demokratie werden könnte. „Vorerst sind wir bekanntlich erst auf dem Anmarschwege zum Anfangsstadium der Demokratie.“8 Er prangerte besonders an, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder in führende Positionen zurückkehrten.9 So warf er etwa den Recklinghäuser Christdemokraten vor, die Veranlasser gewesen zu sein, „dass ehemalige Hitleranhänger in leitende Stellungen kamen (Polizei, Landrat, Schulräte). Es steht ebenso fest, dass dadurch eine befriedigende Bereinigung der verpesteten politischen Luft und eine wirkliche Demokratisierung der Verwaltungen hintertrieben wurden.“10 Besonders scharf kritisierte er die Wiedereinsetzung ehemals regimetreuer Polizisten: „Die Hitlerschen Polizeiformationen waren die schlimmsten Keimzellen des Nazismus und Militarismus. Die Offiziere, die zunächst der Weimarer Republik und dann Hitler den Treueeid leisteten, dürfen u.E. nicht Befehls- und Instruktionsgewalt für unsere Polizeiorgane erhalten.“11

Nach dem Krieg war Rhode eine treibende Kraft beim Wiederaufbau der SPD in der Region. Am 16. August 1945 – bei der ersten offiziellen SPD-Kundgebung in Gladbeck – war Paul Rhode der Hauptredner. Mit 68 Jahren wurde er zum SPD-Unterbezirksvorsitzenden von Recklinghausen gewählt. Aufgrund seines Engagements und seines unbelasteten Lebenslaufs wurde er darüber hinaus Mitglied der ernannten Stadtvertretung Recklinghausens und Mitglied des Westfälischen Provinzialrats sowie schließlich Mitglied des ernannten Landtags von Nordrhein-Westfalen. Bei der Landtagswahl 1947 holte Rhode sogar das Direktmandat in Recklinghausen. Von April 1947 bis Juni 1950 saß Rhode zudem im Vorstand der SPD-Landtagsfraktion. Im Landtag engagierte er sich vor allem im Kulturpolitischen Ausschuss. Er äußerte sich aber auch zu schulpolitischen Themen und forderte etwa die Einheitsschule unter staatlicher Aufsicht. 1950 zog er sich aus Alters- und Gesundheitsgründen aus der Politik zurück; er hatte gehofft, durch sein Vorbild junge Menschen für die Arbeit in der SPD begeistern zu können. Fünf Jahre später erhielt Rhode die neu geschaffene Große Stadtplakette von Recklinghausen. Paul Rhode starb am 4. Januar 1965 in Recklinghausen-Hillen.12

Endnoten
1 Vgl. Rhode, Paul: Beruflicher und politischer Werdegang vom 23.02.1948, in: AdsD. Sammlung Personalia (Sig: 6/SAMP008089); ders.: Kurzgefaßter Lebenslauf vom 09.06.1910, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76).
2 Vgl. ebd.; ders.: Zeugnis über die erste Lehrerprüfung vom 17.06.1897, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76); ders.: Zeugnis über die zweite Lehrerprüfung vom 20.02.1903, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76) sowie Dunke, Gert Dieter / Gottschalk, Wolfgang: Paul Rhode. Ein Leben für die Sozialdemokratie. Leben und Wirken eines Recklinghäuser Sozialdemokraten, Recklinghausen 1986, S. 7-9.
3 Vgl. Rhode, Paul: Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1045-AD-01281); Brief Königliche Regierung. Abteilung für Kirchen- und Schulwesen an Paul Rhode vom 13.08.1914, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76) sowie Dunke / Gottschalk: Paul Rhode, S. 10-16.
4 Brief Paul Rhode an die Königliche Kreisschulinspektion vom 08.09.1918, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76).
5 Vgl. ders.: Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1045-AD-01281) sowie Dunke / Gottschalk: Paul Rhode, S. 10-16.
6 Vgl. Dunke / Gottschalk: Paul Rhode, S. 19-30.
7 Vgl. ebd., 45-55; Amtsärztliches Zeugnis des Kreisarztes des Kreises Recklinghausen-Ost vom 05.04.1933, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76); Brief Paul Rhode an die Schuldeputation des Gesamtschulverbandes Essel vom 14.04.1933, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76); Brief Regierungspräsident. Abteilung für Kirchen- und Schulwesen an Paul Rhode vom 21.04.1933, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76); Brief Stadtschulrat an den Herrn Regierungspräsidenten. Abteilung für Kirchen und Schulen vom 27.06.1933, in: Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen. Bestand Personalakten (Sig.: 400/76) sowie Rhode: Entnazifizierungsakte.
8 Brief Paul Rhode an Wilhelm Bitter vom 16.05.1946, in: AdsD. Bestand SPD-PV Kurt Schumacher (Sig.: 2/KSAA000120).
9 U.a. kritisierte Rhode in einem Brief an den Kulturausschuss des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, dass der NS-belastete Theatermacher Walter Thomas seine Karriere im Nachkriegsdeutschland fortsetzte. Vgl. Rhode, Paul: Zum Fall Walter Thomas. Brief vom 05.04.1948, in: AdsD. Nachlass Fritz Henßler (Sig.:1/FHAC000026). Vgl. auch Pohl, Jürgen: Paul Rhode: „Jetzt bekämpfe ich… die Nazipest“, in: Geck, Helmut / Möllers, Georg / Pohl, Jürgen (Hrsg.): Wo du gehst und stehst… Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933 bis 1945, Recklinghausen 2002, S. 48-49, hier S. 49 sowie Pohl, Jürgen: Die Entnazifizierung, in: ders. (Hrsg.): Alltag zwischen Befreiung und Neubeginn. Recklinghausen 1945-1948, Essen 1996, S. 66-75, hier S. 69.
10 Brief Paul Rhode an Wilhelm Bitter vom 16.05.1946.
11 Rhode, Paul: Schwarze Reichswehr – Polizei des demokratischen Deutschlands, in: AdsD. Bestand SPD-PV Schumacher (Sig.: 2/KSAA00019).
12 Vgl. Dunke / Gottschalk: Paul Rhode, S. 61-87.

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