Kurt Baurichter (1902-1974)

Kurt Baurichter wurde im Nationalsozialismus verhaftet, ins KZ gebracht und misshandelt. Seine Erfahrungen mögen mit ein Grund dafür gewesen sein, wieso er sich später als Düsseldorfer Regierungspräsident für eine humane Verwaltung einsetzte.1

Kurt Baurichter wurde am 4. Januar 1902 in Bielefeld geboren und wuchs in einer protestantischen Familie auf. Sein Vater war Prokurist. In Bielefeld besuchte Kurt die Volksschule und die Oberrealschule, wo er das Abitur ablegte. Für den Dienst im Ersten Weltkrieg war er zu jung, aber unmittelbar nach dem Krieg schloss er sich – vermutlich aus jugendlichem Leichtsinn – einem Freikorps an. Diese in der Regel reaktionären paramilitärischen Einheiten schlugen zusammen mit der Reichswehr im Frühjahr 1920 den „Ruhraufstand“ linksgerichteter Arbeiter blutig nieder. Baurichter wurde während der Kampfhandlungen von Bielefeld nach Herdecke entsandt, um dort Plünderungen vorzubeugen. Bei der Ankunft geriet er in ein Feuergefecht und erlitt einen Wadenschuss. Wenig später wurde er wegen Heeresverminderung aus dem Dienst entlassen. Im gleichen Jahr trat er der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. Dieser Schritt überrascht nicht nur aufgrund seiner Freikorps-Vergangenheit. Baurichter erklärte später, keine typisch sozialdemokratische Sozialisation durchlaufen zu haben sowie mit sozialistischen Theorien wenig vertraut gewesen zu sein. Dass er mit 18 Jahren Mitglied der SPD wurde, begründete er nachträglich mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der sozialen Notsituation infolge der Kriegsniederlage.2

Von Juni 1920 bis September 1921 absolvierte Baurichter ein Volontariat beim Finanzamt Bielefeld. Nach dieser Tätigkeit studierte er in Münster, Freiburg im Breisgau und Hamburg Volkswirtschaftslehre. Von November 1927 bis April 1928 arbeitete er dann als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter für den Deutschen Städtetag. 1928 wurde für ihn in privater wie beruflicher Hinsicht ein entscheidendes Jahr: Er heiratete und wechselte in das Reichsministerium des Inneren – erst als Hilfsreferent und dann als persönlicher Referent des sozialdemokratischen Innenministers Carl Severing. Severing erkannte die Talente des jungen Baurichters und protegierte ihn dementsprechend. Laut seiner Memoiren sah Severing in ihm eine „fühlbare Hilfe und verläßliche Stütze“.3 Baurichter war in seiner Arbeit so zuverlässig, dass er auch unter Severings nichtsozialdemokratischen Nachfolgern Joseph Wirth (Zentrum) und Wilhelm Groener (parteilos) in der Position verbleiben durfte. Erst 1932 verlor er seine Stellung. Neben seinem Beruf engagierte sich Baurichter bei der Republikschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.4

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hielt er zu führenden SPD-Mitgliedern Kontakt, u.a. zum nach Prag emigrierten Parteivorstand. Aufgrund dieser illegalen Aktivitäten wurde er im Dezember 1934 verhaftet und 1935 in das KZ „Columbia“ (Berlin-Tempelhof) sowie in das KZ Lichtenburg bei Torgau gebracht. Erst im Februar 1936 wurde er entlassen. Über die dort erlittenen Erfahrungen sprach er selbst nach 1945 kaum öffentlich. Er erwähnte nur, dass er im KZ „Columbia“ eine Auspeitschung erlebt habe.5 Nach dem Ende seiner Haft folgte eine Phase der Arbeitslosigkeit. Baurichter versuchte wohl den Makel der Regimegegnerschaft zu verringern, indem er auf seine Vergangenheit als Freikorpssoldat verwies. So erhielt Baurichter vom Bundesführer des Deutschen Reichskriegerbundes (Kyffhäuserbund) eine Urkunde, indem ihm für seinen Einsatz ausdrücklich gedankt wurde. Zudem wurde Baurichter Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und des NS-Rechtswahrerbunds (NSRB). Bis 1939 war Baurichter vor allem freiberuflicher Mitarbeiter bei Wirtschaftskorrespondenzen und -verlagen. Schließlich fand er eine Anstellung als Exportsachbearbeiter in der Prüfstelle Druck- und Papierverarbeitung. Bei der Wirtschaftsgruppe Papierverarbeitung Berlin wurde er Referent und später Mitglied der Geschäftsführung. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war er Mitbegründer und Hauptgeschäftsführer des Verbands der papier- und pappeverarbeitenden Industrie Nordwestdeutschlands.6

Nach seinen Erlebnissen im „Dritten Reich“ hatte Baurichter ursprünglich den Vorsatz getroffen, sich nicht weiter politisch zu engagieren. Zudem äußerte er Skepsis darüber, ob die Deutschen zu demokratischen Staatsbürgern erzogen werden könnten. Trotz dieser Vorbehalte wurde er von den Briten als Landrat von Bielefeld eingesetzt. Dies geschah auf eindringliche Empfehlung Severings. Das Amt war jedoch unbesoldet und der Entscheidungsspielraum stark eingeschränkt. Wenig später wurde Baurichter zusätzlich Mitglied des Zweiten Ernannten Landtags von Nordrhein-Westfalen. Seine Begeisterung über den Wechsel nach Düsseldorf hielt sich in Grenzen.7 „[W]enn man jahrelang den Reichstag erlebt hat, spielt eine Düsseldorfer Pseudoregierung mit ihrem Parlamentchen eine reichlich komische Rolle“.8 Vom Landtag aus wurde er in den Zwei-Zonen-Wirtschaftsrat der Alliierten in Frankfurt am Main gewählt.9 Walter Menzel, NRW-Innenminister und Severings Schwiegersohn, schlug Baurichter schließlich als neuen Regierungspräsidenten von Düsseldorf vor. Am 11. August 1947 wurde er von Ministerpräsident Karl Arnold ernannt. Seine Mitgliedschaft im Zwei-Zonen-Wirtschaftsrat musste er allerdings aufgeben, da ein politisches Amt mit der Beamtentätigkeit nicht vereinbar sei. Auch dem frei gewählten Landtag gehörte er dementsprechend nicht mehr an.10

Mit deutlich über fünf Millionen Einwohnern war der Regierungsbezirk Düsseldorf der größte der Bundesrepublik.11 Bei Amtsantritt 1947 sah sich Baurichter mit zwei immensen Herausforderungen konfrontiert. Das eine Problem betraf die Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge. Baurichter favorisierte dabei pragmatische Lösungen. Seine Pläne wurden jedoch mitunter von der britischen Militärregierung konterkariert. So beabsichtigte er zahlreiche Gebäude auf der ehemaligen Munitionsanstalt Birten bei Xanten für die zivile Unterbringung zu nutzen. Die Briten gaben allerdings den Befehl, die Anlage zu zerstören. Baurichter protestierte heftig gegen diese „primitivste und stupideste Form der Entmilitarisierung“.12 Bei dem Thema Demontage, der zweiten Herausforderung Baurichters, war er es jedoch, der die Anordnungen der britischen Militärregierung zu sabotieren versuchte. Dabei ging er gegen die Demontagefirmen vor. Durch die Gewerbeaufsicht ließ er prüfen, ob entsprechende Genehmigungen erteilt worden waren – falls nicht, ließ er Bußgelder verteilen und sogar die Arbeiten einstellen. Und bei entsprechender Erlaubnis ließ er prüfen, ob die Firmen die Sachkunde besaßen, die entsprechenden Abbrucharbeiten durchzuführen. Kam es zu schweren Arbeitsunfällen, entzog er ihnen die Erlaubnis. Die Militärregierung empörte sich über Baurichters Verhalten und forderte seine Entlassung. Da er aber auf Grundlage des Gesetzes handelte, stellte sich die Landesregierung hinter den Regierungspräsidenten. Abgesehen von derartigen Begebenheiten bemühte sich Baurichter um ein gutes Verhältnis zu den britischen Besatzern.13

Auch wenn Baurichter nicht vor abweichenden, nonkonformistischen Meinungen zurückscheute, war er in seiner Art zurückhaltend. Er verfügte über großen Sachverstand und Fleiß. Zudem verhielt er sich loyal gegenüber den wechselnden Landesregierungen. Baurichter, der 20 Jahre lang sein Amt ausübte, war ein politisch-denkender Beamter, kein parteipolitischer.14 Nicht umsonst beschrieb ihn Ministerpräsident Heinz Kühn als „ungewöhnlichste[n] und untypischste[n] Regierungspräsident[en]“15 Nordrhein-Westfalens. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt blieb er in Gremien aktiv und positionierte sich zuweilen öffentlich. Zudem war Baurichter seit Ende des Krieges in zahlreichen Aufsichtsräten aktiv. So war er Mitglied und später Vorsitzender im Aufsichtsrat der Niederrheinischen-Hütte AG, Mitglied des Aufsichtsrats der Thyssen Niederrhein-AG, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Braunkohlen AG Neurath und der Niederrheinischen Bergwerks AG sowie Vorsitzender des Aufsichtsrats der Neuen Schauspiel-GmbH Düsseldorf. 1967 erhielt Baurichter das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und ein Jahr später den Freiherr-vom-Stein Preis.16 Er starb am 13. September 1974 im Alter von 72 Jahren in Krefeld. In Düsseldorf erinnert eine Straße an den ehemaligen Regierungspräsidenten.

Endnoten
1 Vgl. Seering, Ruth: Profile einer Hauptstadt Düsseldorf, Krefeld 1965, S. 21-22.
2 Vgl. Lebenslauf Kurt Baurichter vom 20.02.1946, in: Stadtarchiv Bielefeld. Bestand Kreis Bielefeld (Sig.: 120,1/1800); Verpflichtungsschein von Kurt Baurichter vom 21.6.1919, in: Nachlass Kurt Baurichter. Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland (Sig.: RW 143, Nr. 1246); Bescheid des Ausschusses zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden vom 29.4.1921, in: Nachlass Kurt Baurichter. Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland (Sig.: RW 143, Nr. 1246); Entlassungsschein von Kurt Baurichter aus dem Westfälischen Freiwilligenkorps II. Bataillon, vom 20.5.1920, in: Nachlass Kurt Baurichter. Landesarchiv NRW. Abteilung Rheinland (Sig.: RW 143, Nr. 1246); Rede von Kurt Baurichter aus Anlass seiner Verabschiedung am 25.01.1969, in: Biografische Kompendien des Landtags von Nordrhein-Westfalen (Sig.: A0208/0036), S. 2-43, hier S. 4, 10; Romeyk, Horst: Kurt Baurichter, in: Först, Walter: Städte nach zwei Weltkriegen, Köln u.a. 1984, S. 192-209, S. 192 sowie Haunfelder, Bernd: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 53.
3 Severing, Carl: Mein Lebensweg. 2 Bde., Bd. 2, Köln 1950, S. 151.
4 Vgl. Romeyk: Kurt Baurichter, S. 192-193.
5 Vgl. ebd., S. 193; Rede Kurt Baurichters, S. 16-17; Begleitbeleg Kurt Baurichter zum Konzentrationslager Columbia vom 14.06.1935, in: Arolsen Archives. Bestand Begleitscheine des Gestapo-bzw. Polizeigefängnisses Berlin (Überstellung von Häftlingen) (1935-1937) (Sig.: 2482000); Baurichter, Kurt: Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1058-00339); Brief der Geheimen Staatspolizei an Kurt Baurichter vom 27.12.1934, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Nachlass Kurt Baurichter. (Sig.: RW 143, Nr. 1247) sowie Anklageschrift des Generalstaatsanwalts bei dem Kammergericht gegen Kurt Baurichter vom 22.10.1935, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Nachlass Kurt Baurichter. (Sig.: RW 143, Nr. 1247).
6 Vgl. Romeyk: Kurt Baurichter, S. 193-194 sowie Urkunde für Kurt Baurichter vom Bundesführer des Deutschen Reichskriegerbundes (Kyffhäuserbund), SS. Oberführer und Oberst a.D. vom 23.4.1936, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Nachlass Kurt Baurichter. (Sig.: RW 143, Nr. 1247).
7 Vgl. Romeyk: Kurt Baurichter, S. 193-195 sowie Rede Baurichters, S. 19.
8 Zitiert nach Romeyk: Kurt Baurichter, S. 195.
9 Vgl. Rede Baurichters, S. 20.
10 Vgl. Romeyk: Kurt Baurichter, S. 195-196.
11 Vgl. Seering: Profile einer Hauptstadt, S. 21.
12 Zitiert nach Romeyk: Kurt Baurichter, S. 197.
13 Vgl. ebd., S. 198-199 sowie Rede Baurichters, S. 23-27.
14 Vgl. ebd., S. 200, 205-207 sowie Rede Baurichter, S. 4-5.
15 Vgl. Malbeck, Gerhard: Dank an Baurichter. Abschied vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten, in: Rheinische Post vom 26.01.1967.
16 Vgl. Brief Chef des Bundespräsidialamtes an den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31.01.1967, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Ordensakten (Sig.: NW O-8770); o.V.: An Rietdorf bleibt kein gutes Haar. Ehemaliger Regierungspräsident wiederholt seine Angriffe, in: Rheinische Post vom 29.11.1968 sowie Romeyk: Kurt Baurichter, S. 207.

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