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Fritz Henßler (1886-1953)

Fritz Henßler war nach Ende des Zweiten Weltkrieges zweifellos die dominierende Persönlichkeit der NRW-SPD. Als Fraktionsvorsitzender im nordrhein-westfälischen Landtag, Vorsitzender des einflussreichsten SPD-Bezirks Westliches Westfalen sowie Dortmunder Oberbürgermeister pflegte er, ähnlich wie Kurt Schumacher auf Bundesebene, einen durchaus autoritären Führungsstil. Wie kein Zweiter prägte er die Politik der SPD im neu geschaffenen Bundesland Nordrhein-Westfalen.1

Henßlers politischer Aufstieg war dabei alles andere als selbstverständlich. Friedrich Wilhelm Henßler wurde am 12. April 1886 in Württemberg geboren. Sein Vater war ein angesehener selbstständiger Färbermeister und somit eher Angehöriger der Mittelschicht als des Proletariats. Dennoch wuchs Fritz Henßler keinesfalls in privilegierten Verhältnissen auf. Vom sechsten bis zum 14. Lebensjahr besuchte er die Volksschule und begann dann eine Lehre als Schriftsetzer und Buchdrucker. Das Erlernen dieses Handwerks hatte positive Nebeneffekte, erhielt er doch durch die zahlreichen Schriften Anregung und Möglichkeiten der Weiterbildung. Es ist kein Zufall, dass für Schriftsetzer und Buchdrucker mitunter der Begriff „Arbeiteraristokraten“ verwendet wurde.2

Bereits während der Lehrzeit positionierte er sich zu arbeitsrechtlichen Belangen. 1905 wurde er Mitglied der SPD und des Deutschen Metallarbeiter-Verbands. Zugleich trat er in jungen Jahren aus der Kirche aus. Nach dem Ende seiner Lehrzeit begab er sich auf Wanderschaft. 1910 kam er nach Dortmund, eine Hochburg der Sozialdemokratie. Ein Jahr später wurde er dort politischer Redakteur der sozialdemokratischen „Arbeiter-Zeitung“. In den grundsätzlichen Entscheidungen stimmte Henßler fast immer mit der offiziellen Position der SPD überein. Auch die Bewilligung der Kriegskredite bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges befürwortete er. Henßler wurde dann 1916 zum Militärdienst herangezogen. Für seinen Einsatz an der Westfront erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse und die Württembergische Tapferkeitsmedaille.3

Nach dem Krieg wurde er Chefredakteur der „Westfälischen Allgemeinen Volks-Zeitung“ (WAVZ), der vormaligen „Arbeiter-Zeitung“. In dieser Funktion befürwortete er u.a. das Entsenden der Reichswehr ins Ruhrgebiet und die Niederschlagung der kommunistischen Aufstände. In den folgenden Jahren legte er eine erstaunliche politische Karriere hin. So wurde er 1924 in die Dortmunder Stadtverordnetenversammlung gewählt. Bereits ein Jahr später wurde er dann Stadtverordnetenvorsteher. Zudem war er Vorsitzender des Bezirks Westliches Westfalen, seit 1929 Mitglied des Westfälischen Provinziallandtages und seit 1930 Mitglied des Reichstages.4

Wie viele seiner Zeitgenossen unterschätzte Henßler die Gefahr des Nationalsozialismus. Vielmehr hoffte er bei der Reichstagswahl im März 1933 auf ein Wiedererstarken der SPD – eine fatale Fehleinschätzung. Stattdessen wurde er 1933 gleich zweimal in "Schutzhaft" genommen. Nachdem die erste Inhaftierung vier Tage gedauert hatte, erstreckte sich die zweite von Ende Juni bis Anfang September. Während dieser Zeit war er in der berüchtigten Dortmunder Steinwache untergebracht. Hatte er zuvor noch auf die Prinzipien des Rechtsstaates vertraut, kam er zu dem Schluss, dass er im Geheimen würde Widerstand leisten müssen. Fortan organisierte er konspirative Treffen mit anderen Sozialdemokraten. Die Treffen fanden in einer Leihbücherei statt, die von seiner Frau geführt wurde. 1935 musste Henßler eine umfangreiche Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen, in deren Zuge beispielsweise über 1000 Bücher aus seinem Privatbesitz beschlagnahmt wurden. Henßler stand mehr und mehr unter polizeilicher Beobachtung und wurde schließlich Ende April 1936 von der Gestapo verhaftet. 1937 wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt – einer Strafe, die er mittlerweile in Untersuchungshaft verbüßt hatte. Doch statt der Freilassung wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.5 In einem Brief an seine Angehörigen schrieb er dazu: „Soeben bekomme ich Bescheid, daß ich ins Lager komme. Heute vormittag ist Abtransport […] Ihr Lieben! Ich bitte Euch sehr, nehmt diese Nachricht so innerlich fest und gefasst auf, wie ich es auch tue.“6

Acht Jahre war Henßler im KZ Sachsenhausen interniert. Dort wurde er gedemütigt und misshandelt, sodass er sich ein bleibendes Nierenleiden zuzog.7 Auf seine Erfahrungen in Gefängnis und Lager angesprochen, blieb er stets wortkarg. Nur selten äußerte er sich so persönlich wie hier: „Das Schlimmste war, daß sie die Menschen bis zum äußersten erniedrigten. Die Menschenwürde wurde mit Füßen getreten. Nur seelische und geistig ganz Starke konnten das überleben.“8 Direkt nach dem Krieg versuchte er die Erlebnisse der Lagerhaft zu verarbeiten, indem er einige Manuskripte und Typoskripte anfertigte. Die kurzen Texte tragen Titel wie „Lumpen und Verbrecher in Häftlingskluft“ oder „Der Eiskalte“ und beschreiben in unpersönlich-sachlichem Ton die Lagerbedingungen sowie das Verhalten der Mitgefangenen und KZ-Wärter.9

Beinahe hätte Henßler das Kriegsende nicht überlebt. Kurz vor der Kapitulation zwang die SS die KZ-Insassen, darunter Henßler, zu einem sogenannten „Todesmarsch“, bei dem unzählige Mitgefangene ums Leben kamen. Henßler entkam diesem Schicksal nur durch die Hilfe von einigen Mitgefangenen, die ihn versteckten. Über Umwege gelangte er schließlich nach Dortmund und stürzte sich direkt wieder in die Parteiarbeit, ohne seinen Körper in irgendeiner Weise zu schonen. Aufgrund seiner Selbstdisziplin, seiner Leidensgeschichte, seiner Integrität und Willenskraft avancierte er innerhalb kürzester Zeit zu einer dominanten Führungsfigur innerhalb der westlichen SPD. Ab 1945 war er wieder Vorsitzender des SPD-Bezirkes Westliches Westfalen. 1946 wurde er zudem Mitglied des SPD-Parteivorstandes, Mitglied des westfälischen Provinzialrates sowie des Zonenbeirates für die britische Zone in Hamburg, Oberbürgermeister von Dortmund sowie SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus wurde er 1949 Mitglied des Deutschen Bundestages, dort Mitglied des SPD-Fraktionsvorstandes sowie Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Städtetages. 1952 wurde er sogar Mitglied des Europäischen Parlaments. Zudem war er auch einer der Lizenzträger der „Westfälischen Rundschau“.10

Auch im Nachkriegsdeutschland waren Henßlers politische Überzeugungen wieder größtenteils deckungsgleich mit den Positionen der Bundespartei. Er teilte den Antikommunismus des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumachers ebenso wie dessen Ablehnung des neu geschaffenen Landes Nordrhein-Westfalens.11 Ihm gegenüber äußerte sich Henßler folgendermaßen: „Ich sehe in dem neuen Staat ein uns aufgezwungenes Gebilde, das ich nicht als endgültig hinzunehmen gewillt bin. Es passt nicht zu dem staatlichen Neubau Deutschlands, wie wir ihn wünschen.“12 Henßler sah in dem neu geschaffenen Land ein „Provisorium“ und sprach sogar von einer „Zwangsvereinigung“13 von Rheinland und Westfalen, weil der Entschluss zur Landesgründung letztlich auf das Diktat der britischen Besatzer zurückging. Er war jedoch gezwungen, sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren. Auch in anderen politischen Themenfeldern musste er Niederlagen hinnehmen, etwa bei der Ablehnung der Bekenntnisschule oder seiner Kritik an Ruhrstatut und Schuman-Plan. Gestaltend wirkte er wiederum beim Wohnungsbau und Wiederaufbau sowie bei Fragen der Entnazifizierung. Auch für den Stopp der Demontage von Industrieanlagen setzte er sich vehement ein, auch weil ihm das Ruhrgebiet besonders am Herzen lag.14

Henßler war für andere Politiker durchaus ein Vorbild. So verfasste er beispielsweise jede seiner Reden selbst. Des Weiteren verzichtete er auf die Sonderbezüge des Fraktionsvorsitzenden und spendete den Teil seines Gehaltes, welches über dem Durchschnittseinkommen eines Arbeiters lag, an die Arbeiterwohlfahrt. Am 23. November 1953 brach Henßler auf einer Funktionärskonferenz in Bochum zusammen. Er starb am 4. Dezember 1953 mit 67 Jahren in Witten an der Ruhr. In Dortmund trägt ein Jugend- und Begegnungszentrum seinen Namen. Zudem vergibt die Dortmunder SPD-Ratsfraktion alle zwei Jahre den Fritz-Henßler-Preis an Organisationen, die sich für den bürgerschaftlichen Zusammenhalt einsetzen.15

Endnoten
1Vgl. Düding, Dieter: Zwischen Tradition und Innovation. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen 1946-1966, Bonn 1995, S. 29 sowie Mühlhofer, Stefan: Fritz Henßler: Sein Werk als Landes- und Bundespolitiker in der Nachkriegszeit, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, 104 (2013), S. 145-166, hier S. 148.
2 Vgl. Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 30; Högl, Günther: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, Reichstagsabgeordneten und Dortmunder Oberbürgermeisters Fritz Henßler (1886-1953), in: Ders. / Bohrisch, Hans-Wilhelm (Hrsg.): „Die Person immer ganz weit hinter der Sache“. Fritz Henßler 1886-1953. Sozialdemokrat, Reichstagsabgeordneter und Dortmunder Oberbürgermeister, Essen 2003, S. 13-34, hier S. 16-17; Högl, Günther: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker und Parlamentarier im Kampf für Demokratie und Sozialismus, in: ders. / Faulenbach, Bernd (Hrsg.): Eine Partei in ihrer Region, Essen 1988, S. 183-191, hier S. 183; Högl, Günther: Fritz Henßler (1886-1953). Unerschrockener und gradliniger Demokrat, in: Faulenbach, Bernd u.a. (Hrsg.): Sozialdemokratie im Wandel. Der Bezirk Westliches Westfalen 1893-2001, 4. erw. Aufl., Essen 2001, S. 174-175, hier S. 174; Bierbach, Wolf: Fritz Henßler, in: Först, Walter (Hrsg.): Aus dreißig Jahren. Rheinisch-Westfälische Politiker-Porträts, Köln / Berlin 1979, S. 138-151, hier S. 140-141 sowie Lademacher, Horst: Fritz Henßler, in: Först, Walter (Hrsg.): Zwischen Ruhrkampf und Wiederaufbau, Köln / Berlin 1972, S. 140-145, hier S. 141.
3 Vgl. Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 183-184; ders.: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 18-19; Mühlhofer: Fritz Henßler, S. 146; Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 30 sowie ders.: Fraktion im Wandel. Die SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen 1946-1966, in: Geschichte im Westen, 11 (1996), S. 8-20, hier S. 12.
4 Vgl. Högl, Günther / Lauschke, Karl: Fritz Henßler. Ein Leben für Freiheit und Demokratie 1886-1953. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund zum 100. Geburtstag von Fritz Henßler am 12. April 1986, Dortmund 1986, S. 29-30; Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 184-185; Mühlhofer,: Fritz Henßler, S. 147; Schröder, Wilhelm Heinz: Sozialdemokratische Parlamentarier in den Deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933, Düsseldorf 1995, S. 502 sowie Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 30.
5 Vgl. Liste der Häftlinge des Arbeitskommandos Effektenkammer darunter Fritz Henßler vom 21.03.1939, in: Arolsen Archivs. Bestand Listen und Meldungen zu Häftlingen des Arbeitskommandos Effektenkammer des KL Sachsenhausen, Quittungen für ausgehende und eingehende Sachen (Sig.: 100104684); Mühlhofer,: Fritz Henßler, S. 147; Bierbach: Fritz Henßler, S. 144; Haunfelder, Bernd: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 205; Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 185-186 sowie ders.: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 23.
6 Brief Fritz Henßler vom 07.06.1937, in: Stadtarchiv Dortmund. Bestand 454, Nr. 6/8.
7 Vgl. Högl: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 25 sowie Wickert, Christl: Der Freiheit verpflichtet. Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, hrsg. vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Marburg 2000, S. 141.
8 Zitiert nach Koczyk, Erich: Er war der erste Diener der Stadt, in: Gemeinschaft politisch verfolgter Sozialdemokraten, Unterbezirk Dortmund (Hrsg.): Fritz Henßler, Dortmund 1973, S. 34-36, hier S. 35.
9 Vgl. ebd. sowie Bohrisch, Hans-Wilhelm: Der Nachlaß des ehemaligen Dortmunder Oberbürgermeisters und SPD-Politikers Fritz Henßler (1886-1953) im Stadtarchiv Dortmund. Eine Textauswahl, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, 85/86 (1994/1995), S. 313-337, hier S. 316-317.
10 Vgl. Högl, Günther / Bilitzky, Karl / Knippschild, Dieter: Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 – 1945. Katalog zur ständigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, 2. überarbeitete Aufl., Dortmund 2002, S. 177; Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 186-187; ders.: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 31; Lauschke, Karl: Henßler, Fritz (1886-1953). Der Einheit und sozialen Gerechtigkeit verpflichtet, in: Mielke, Siegfried (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, 4 Bde., Bd. 1, Berlin 2002, S. 78-84, hier S. 81-82 sowie Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 29, 31, 55
11 Vgl. Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 187 sowie Düding, Dieter: Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1980. Vom Fünfparteien- zum Zweiparteienlandtag, Düsseldorf 2008, S. 37.
12 Brief Henßler an Schumacher vom 27.07.1946, in: AdsD SPD-PV Bestand Kurt Schumacher (Sig.: 2/KSAA000357).
13 Brief Henßler an Schumacher vom 18.07.1946, in: AdsD SPD-PV Bestand Kurt Schumacher (Sig.: 2/KSAA000357).
14 Vgl. Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 26; Mühlhofer,: Fritz Henßler, S. 151, 156; Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 189, 191 sowie ders.: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 29-31.
15 Vgl. Düding: Zwischen Tradition und Innovation, S. 32; Högl: Fritz Henßler – als Kommunalpolitiker, S. 191; ders.: Zur Biographie und zum Nachlass des Sozialdemokraten, S. 13 sowie Mühlhofer,: Fritz Henßler, S. 165.

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