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Christian Fette (1895-1971)

Christian Fette war Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Trotzdem ist sein Name weitestgehend in Vergessenheit geraten. Dies liegt daran, dass innerhalb der Gewerkschaftsgeschichte Hans Böckler – Fettes Vorgänger und damit erster Vorsitzender des DGB – selbstverständlich die dominante Rolle einnimmt. Fette hatte demgegenüber kaum eine Chance, ähnliche Prägekraft in seiner Funktion zu entwickelt – dafür reichte seine gerade einmal einjährige Amtszeit nicht aus.

Christian Fette wurde am 1. Februar 1895 in Bremen geboren. Er war das dritte von fünf Kindern und wuchs in der Familie eines Schuhmachermeisters auf. In Bremen besuchte er die Volksschule, danach absolvierte er von 1909 bis 1913 eine Buchdruckerlehre. Wie bei einer Reihe zukünftiger SPD-Politiker gereichte ihm dieses Handwerk für seinen späteren beruflichen Aufstieg zum Vorteil. Denn Buchdrucker konnten sich während der Arbeit durch die Beschäftigung mit den zu druckenden Texten selbst weiterbilden und galten damit innerhalb der Arbeiterschaft als „Arbeiteraristokraten“. Fette war schon in jungen Jahren politisiert worden. Mit 14 Jahren trat er der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) bei und am 1. Mai 1912 demonstrierte er als einziger im Betrieb für die Umsetzung gewerkschaftlicher Forderungen, wofür er vom Arbeitgeber vorübergehend beurlaubt wurde. Ein Jahr später, also direkt mit 18 Jahren, trat er dann dem Verband der Deutschen Buchdrucker (VdDB) sowie der SPD bei. Nach dem Ende seiner Lehrzeit ging Fette schließlich auf Wanderschaft. Von Bremen führte ihn sein Weg u.a. über das Rheinland bis nach Wien.1

Fette war nur von kleiner Statur, trotzdem wurde er 1914 direkt bei Beginn des Ersten Weltkriegs als Soldat eingezogen. Eingesetzt wurde er vor allem an der Ostfront, zuletzt jedoch in Frankreich, wo er vor Verdun zweimal verwundet wurde. Nach dem Krieg erhoffte er sich weitreichende politische und gesellschaftliche Veränderungen. Fette selbst engagierte sich bei der SAJ in Bremen. 1920 wurde er überraschend Vorsitzender des Buchdruckerverbands im Bezirk Bremen. In dieser Funktion führte er direkt einen fünfeinhalbwöchigen Streik der graphischen Betriebe Bremens an, durch den letztlich die gestellten Forderungen erreicht werden konnten. Den Vorsitz in Bremen übte er bis 1924 aus, danach zog er ins Ruhrgebiet und wurde Vorsitzender des Bezirks Duisburg. 1931 übernahm er schließlich seine erste hauptamtliche Tätigkeit für den Buchdruckerverband: In Köln wurde er stellvertretender Gauvorsteher von Rheinland und Westfalen.2

Im Mai 1933, direkt nach der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten, verlor Fette seine Anstellung. Einen Monat zuvor hatte er noch vergeblich versucht, seine Kollegen auf Widerstand gegen die neuen Machthaber einzuschwören. Im Laufe des Jahres wurde er mehrmals für kurze Zeit verhaftet. Zudem stand er unter polizeilicher Beobachtung. Auch war er durch die Entlassung von Arbeitslosigkeit betroffen. Fette wurde im „Dritten Reich“ Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und der Deutschen Arbeitsfront (DAF), jedoch dann aufgrund seiner politischen „Unzuverlässigkeit“ vorübergehend wieder aus der DAF ausgeschlossen. 1934 bekam er schließlich eine Stelle als Maschinensetzer bei der „Kölnischen Zeitung“ des DuMont-Verlags.3 Der Historiker Gerhard Beier schrieb diesbezüglich: „Kollegen hatten die Stelle abgelehnt, weil sie keine Arbeit annehmen wollten, ehe Fette nicht in Lohn und Brot stand. Der Verleger DuMont ließ sich auch von der Arbeitsfront nicht bewegen, den ‚Bonzen‘ wieder auf die Straße zu setzen. Fette hat ihm das nie vergessen.“4

Fette hielt Kontakt zu ehemaligen Gewerkschaftern, vor allem zu Hans Böckler, der in Köln in derselben Straße wohnte, wie er. Am Widerstand beteiligte sich Fette ebenso wie Böckler nicht – aufgrund ihrer Bekanntheit wäre das Risiko der Verhaftung zu hoch gewesen.5 Nach dem Krieg setzte sich Böckler für Fette bei der britischen Militärregierung ein, woraufhin Fette Inspektor der Militärregierung für die Ermittlung des DAF-Vermögens wurde. Doch das war nur der Beginn seines zweiten Aufstiegs innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Fette leitete den Aufbau der Gewerkschaft „Graphisches Gewerbe und Papierverarbeitung“ in Nordrhein-Westfalen. 1947, nach dem Zusammenschluss der Gewerkschaft auf Zonenebene, wurde er dann in die Zonenleitung der Gewerkschaft gewählt. Ein Jahr später wurde er schließlich erster Bundesvorsitzender der neu formierten „Industriegewerkschaft Druck und Papier“ mit Sitz in Stuttgart. Fette hatte vor der Wahl den Ruf des eigentlichen Favoriten Hans Thoma beschädigt, indem er auf eine angebliche Nähe Thomas zu den Gewerkschaften in der sowjetisch besetzten Zone anspielte.6

In seiner Funktion als Vorsitzender der „IG Druck und Papier“ gelang es ihm u.a. einheitliche Manteltarife an die Stelle einer Vielzahl von verschiedenen Tarifen zu setzen. Fette war darüber hinaus Vorstandsmitglied der Internationalen Graphischen Föderation und Mitglied des Bundesvorstands des DGB. Auch dem nordrhein-westfälischen Landtag gehörte er an, allerdings nur innerhalb der Ernennungsperiode, von Oktober 1946 bis April 1947. Dort war er im Arbeitsausschuss tätig.7 Sein parlamentarisches Engagement blieb nur ein kurzes Intermezzo, weil er sich seit 1947 vollständig auf die gewerkschaftliche Arbeit konzentriert hatte.

Böckler und Fette kooperierten eng miteinander. So hatte Fette Böckler bei der Realisierung der Einheitsgewerkschaft, bei Ernährungsfragen oder bei der Verhinderung der Demontage unterstützt. Umgekehrt hatte sich Böckler gewünscht, dass Fette seine Nachfolge als DGB-Vorsitzender antreten solle. Im Februar 1951 war Böckler dann überraschend gestorben und dementsprechend dringend musste die Nachfolgefrage geklärt werden. Fette besaß innerhalb des DGB allerdings kaum Rückhalt, seine Nominierung war allein auf den Wunsch des verstorbenen Böckler zurückzuführen. Die Wahl des neuen Vorsitzenden sollte schließlich am 22. Juni 1951 auf einem außerordentlichen Bundeskongress in Essen stattfinden. Doch Fettes Nominierung war innerhalb des DGB keinesfalls unumstritten. Der Vorsitzende der IG-Metall Walter Freitag offenbarte selbst seine Ambitionen auf das Amt des DGB-Vorsitzenden. Auch die SPD-Führung favorisierte Freitag, da sie sich mit ihm eine stärkere Orientierung an die Positionen der Partei erhoffte. Allerdings erhielt Freitag bei einer vorgeschalteten Abstimmung im Bundesausschuss gerade einmal 13 Stimmen, während Fette 40 Stimmen auf sich vereinigen konnte. Freitag trat daher bei der eigentlichen Wahl auf dem Bundeskongress gar nicht mehr an.8

Fettes Wahl führte zu keiner Befriedung innerhalb des DGB. Im Gegenteil: In den folgenden Monaten wurde Fette immer wieder intern für seine Politik kritisiert. So äußerte er sich beispielsweise positiv zur deutschen Wiederbewaffnung und zum Schuman-Plan, was besonders bei den Metall- und Transportarbeitern Gegenwehr hervorrief. Darüber hinaus hatte Fette mit Bundeskanzler Adenauer Verhandlungen über die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung geführt, die jedoch scheiterten. Fette organisierte daraufhin Ende Mai 1952 einen Zeitungsdruckereistreik, der am Beginn eines umfassenden Aktionsplans stand. Allerdings erbrachte der Streik nicht die erhoffte Wirkung aufgrund der fehlenden Unterstützung der großen Industriegewerkschaften. Der Streik führte zu Schadensersatzklagen gegen den Deutschen Gewerkschaftsbund. Auch der Schaden für Fette war enorm.9

Auf dem Berliner Bundeskongress am 17. Oktober 1952 wurde Fette schließlich abgewählt. Er unterlag diesmal Freitag mit 154 zu 184 Stimmen. Der Kompromissversuch eine Doppelspitze zu bilden, scheiterte an der nötigen Zweidrittelmehrheit für eine Satzungsänderung. Dafür fehlten gerade einmal sieben Stimmen. Nach der Wahlniederlage zog sich Fette aus der gewerkschaftlichen Arbeit zurück. Fettes Abwahl demonstriert, dass dem DGB-Chef nach Böcklers Tod nicht mehr automatisch unangefochtene Autorität durch das Amt zuerkannt wurde. Auch Fettes Nachfolger blieben vor interner Kritik nicht gefeit.10

Nach dieser Zeit war Fette noch einige Jahre stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Hüttenwerks Oberhausen AG sowie Aufsichtsratsmitglied der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG in Herne. Er starb nach schwerer Krankheit am 26. Oktober 1971 im Alter von 76 Jahren in Bennrath-Much.11

Endnoten
1 Vgl. Brief Christian Fette an die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Obere Rheinprovinz vom 27.04.1946, in: AdsD. Bestand SPD-PV. Referat Organisation (Sig.: 2/PVBK000114); Beier, Gerhard: Schulter an Schulter, Schritt für Schritt. Lebensläufe deutscher Gewerkschafter. Von August Bebel bis Theodor Thomas, Köln 1983, S. 54 sowie o.V.: Informationsdienst der Pressestelle. Beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Inhalt: Lebensdaten von Christian Fette, vom 22.06.1951, S. 1.
2 Vgl. Beier: Schulter an Schulter, S. 54-55 sowie o.V.: Informationsdienst der Pressestelle.: Lebensdaten von Christian Fette, S. 1-2.
3 Vgl. Fette, Christian: Entnazifizierungsakte, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1048-42-1046); Beier: Schulter an Schulter, S. 55 sowie o.V.: Informationsdienst der Pressestelle.: Lebensdaten von Christian Fette, S. 2.
4 Beier: Schulter an Schulter, S. 55.
5 Vgl. ebd. sowie Schönhoven, Klaus: Nach der Ära Böckler: Die Führungskrise im Deutschen Gewerkschaftsbund 1951/52, in: Kocka, Jürgen / Puhle, Hans-Jürgen / Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat, München u.a. 1994, S. 173-189, hier S. 175.
6 Vgl. Beier: Schulter an Schulter, S. 55-56; o.V.: Christian Fette’s Lebenslauf, in: DGB Auslandsdienst vom 18.07.1951, S. 2 sowie o.V.: Fette, Christian, in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000003879 (abgerufen am 1.10.2019).
7 O.V.: Informationsdienst der Pressestelle.: Lebensdaten von Christian Fette, S. 2-3.
8 Bei der Wahl zum Vorsitzenden erhielt Freitag dennoch neun von 249 abgegebenen Stimmen. Vgl. Protokoll Außerordentlicher Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 22. und 23. Juni 1951 in Essen, Köln 1951, S. 31-38; Schönhoven: Nach der Ära Böckler, S. 175-177 sowie Beier: Schulter an Schulter, S. 56-58.
9 Vgl. Brief Konrad Adenauer an Christian Fette vom 16.5.1952, in: AdsD. Bestand Christian Fette (Sig.: 1/CFAA000013); Schönhoven: Nach der Ära Böckler, S. 177-179; Haunfelder, Bernd: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 149; Beier: Schulter an Schulter, S. 58 sowie o.V.: Fette, Christian, in: Munzinger Online.
10 Vgl. Schönhoven: Nach der Ära Böckler, S. 181-185; Beier: Schulter an Schulter, S. 58 sowie o.V.: Fette, Christian, in: Munzinger Online.
11 Vgl. o.V.: Fette, Christian, in: Munzinger Online.

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