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  • Porträt: Simone Brand (PIRATEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 12.07.2016

    Das ganze Leben ist ein Spiel. Dieser Spruch gilt für Simone Brand, Landtagsabgeordnete der PIRATEN, in besonderer Weise. Die 48 Jahre alte Frau ist Kind des Ruhrgebiets und immer wieder trafen in ihrem Leben Verantwortung, Zufall und ein Spiel nach festen Regeln aufeinander. In Bochum machte sie in der früheren Still Otto GmbH eine Lehre als Kauffrau. In der Firma war auch damals ihr Vater als Diplom-Ingenieur tätig. Aber das sei nicht der entscheidende Grund gewesen, nach dem Abitur (Notenschnitt 1,3) zunächst bodenständig eine Lehre zu absolvieren. "Die Idee war, erst mal Grundlagen für ein späteres BWL-Studium zu legen", erinnert sich Brand. Nach der Lehre nahm sie dieses Studium auch auf, entdeckte aber bald ihre Liebe zur Psychologie. "Man studiert ja fürs Leben, deshalb habe ich dann zur Psychologie gewechselt."

    Service-Center aufgebaut

    Nach dem abgeschlossenen Psychologie-Studium hat Brand einige Zeit im Bereich Qualitätsmanagement/ Training gearbeitet, bis sie 2005 zum Glücksspiel-Anbieter Faber wechselte. Sie baute dort im Jahr 2005 ein Service-Center mit 350 Mitarbeitern auf. "Ich bin dort immer noch leitende Angestellte und wenn es 2017 mit der Wiederwahl in den Landtag nicht klappt, kann ich wieder auf meine Position zurückkehren", sagt Brand. Sie würde den Abschied aus dem NRW-Landtag sehr bedauern. Vorsicht, Politik macht süchtig! Inzwischen hat sie sich gut eingelebt im Düsseldorfer Politik-Betrieb. Gerade kleine Fraktionen wie die PIRATEN müssen in vielen Politikbereichen präsent sein, wenn sie in Ausschüssen mitreden wollen. Die Funktion der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden hat sie kürzlich abgegeben, weil sie zeitlich im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht 2015 als Sprecherin ihrer Fraktion teilweise mehrmals wöchentlich über viele Stunden eingebunden ist. Weitere Schwerpunkte sind Verbraucherschutz, Klimaschutz und Fragen der Integration von Flüchtlingen.
    Im Jahr 2009 hatte Brand ein "Schlüsselerlebnis", das den Weg in die Politik ebnete. "Ich war immer politisch interessiert und früher habe ich GRÜNE gewählt. Aber das ging dann nicht mehr wegen Afghanistan und anderer Sachen." Am Sonntag der Europawahl versuchte sie dann vor der Stimmabgabe ihr Glück am Wahl-O-Mat. Der analysierte, dass die PIRATEN die richtige für sie sei. Die PIRATEN hätten zwar bei der Europawahl nur einen Achtungserfolg von 1,8 Prozent erzielt. Doch das Interesse Brands war nicht mehr zu bremsen. "Drei Wochen später war ich dann beim ersten PIRATEN-Stammtisch in Dortmund. Kurz darauf gründete ich einen eigenen in Bochum." Bei der Landtagswahl 2010 habe sie auf Platz 4 der NRW-Landesliste ihren Hut für die PIRATEN in den Ring geworfen, aber damals reichte der Einsatz noch nicht für den Erfolg. Der Sprung in den Landtag misslang den PIRATEN und das Interesse an der Partei schwand. Fast niemand sei mehr zu den Stammtischen gekommen. Dennoch habe sie in Bochum einen Kreisverband gegründet. Richtigen Schub habe die PIRATEN-Bewegung nach Erfolgen bei der Berlin-Wahl 2011 bekommen. Auch in NRW hätten sich Medien wieder für die Piraten interessiert. "Das war unglaublich. Die WAZ hatte uns eine ganze Seite gewidmet."
    Als es schließlich 2012 in NRW zu Neuwahlen kam, hätten sich mehr als 150 Bewerber auf die Landesliste der PIRATEN gedrängt. Sie sei auf Platz 5 angetreten, 20 PIRATEN waren dann 2012 in den Landtag eingezogen. Die Landtagsverwaltung habe die Neulinge außerordentlich hilfsbereit unterstützt, erinnert sich Brand. Andere Fraktionen hätten die PIRATEN überwiegend kollegial behandelt. Bemerkenswert sei jedoch, dass gelegentlich Gesetzentwürfe der PIRATEN zunächst abgelehnt und dann von den Regierungsfraktionen leicht verändert selbst eingebracht worden seien, beispielsweise beim Thema "Erneuerbare Energie für Regierungsgebäude".
    Die begeisterte Pferdesportlerin Brand liebt einwöchige Trails im Sattel in Andalusien oder Tunesien. Im nächsten Jahr im Oktober hat sie jedoch definitiv andere Pläne: Nach genau zehn Jahren wird sie ihren Lebenspartner heiraten. Ob sie dann noch Landtagsabgeordnete sein wird, ist offen. Fest steht aber der Ort der Hochzeit: Las Vegas, die Weltstadt der Spieler.
    Heinz Tutt

    ID: LI160619

  • Persönlich: Oliver Bayer (PIRATEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 18.03.2015

    Den Spätfrühling vor drei Jahren wird der Abgeordnete Oliver Bayer (38) wohl niemals in seinem Leben vergessen. Es war nicht nur die Zeit, in der sich die PIRATEN-Fraktion im Düsseldorfer Landtag erstmals konstituierte. Viel wichtiger: Es war die Zeit, in der sein Sohn Pascal das Licht der Welt erblickte. Für Bayer hatte sich das Leben in zweifacher Hinsicht verändert.
    Vordergründig scheint er genau dem Bild zu entsprechen, das sich Bürger von einem Politiker der PIRATEN-Partei machen: Computerfachmann, etwas quer denkend, verspielt und jeden Tag darauf bedacht, die Welt ein wenig zu verändern. Auf den ersten Blick scheint dies tatsächlich auf Oliver Bayer zuzutreffen. Seine Jugend verbrachte er in Bielefeld, studierte dann in Düsseldorf Geografie, Medien- und Informationswissenschaften mit dem Magister-Abschluss im Jahr 2007. Er beschäftigte sich eine Zeit lang unter anderem mit dem Problem, dass Software-Patente von US-amerikanischen Firmen seiner Ansicht nach zu Unrecht vereinnahmt wurden. Später arbeitete er bis zur seiner Wahl in den NRW-Landtag beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf im Bereich Informationstechnik.
    Zur PIRATEN-Partei stieß er im Jahr 2009. "Das war die richtige Partei zum richtigen Zeitpunkt für mich", erinnert er sich. Er engagierte sich in Düsseldorf und avancierte schnell zum Vorsitzenden des Kreisverbands der PIRATEN, der damals rund 300 Mitglieder zählte. In dieser Zeit war er für die Partei eine Art Mädchen für alles. Er kümmerte sich um Wahlkampf-Flyer und Plakate, betreute politische Stammtische und mischte bundesweit beim Thema Verkehrspolitik mit. "Meine Arbeit war wohl gut genug", sagt er rückblickend. Es überraschte ihn zunächst, für den Landtag aufgestellt zu werden. Das alles sei bei seinem Eintritt in die Partei gar nicht absehbar gewesen. Den großen Schub hätten die PIRATEN in NRW bekommen, nachdem 2011 die Parteifreunde in Berlin den Sprung ins Abgeordnetenhaus geschafft hatten. "Zu den Stammtisch-Treffen kamen dann plötzlich über 70 Interessierte, mehr als doppelt so viele wie vor dem Berliner Ergebnis. Der Erfolg einer Partei hängt sehr von Meinungsumfragen ab", glaubt er.
    Das Thema Verkehrspolitik finde zwar auch in anderen Fraktionen große Beachtung ("wir haben da kein Alleinstellungsmerkmal"), doch Bayer kritisiert, dass in der Politik zu viel abgewartet und zu wenig gehandelt werde. Deshalb sieht er in der Enquete-Kommission des Landtags zum Thema Öffentlicher Nahverkehr die Chance, Veränderungen voranzutreiben und Spuren zu hinterlassen.
    Das Gremium war 2014 auf Vorschlag der PIRATEN eingesetzt worden und Bayer ist Vorsitzender. Eine der Ideen: Regional-Schnellbuslinien sollen künftig ebenso wie S-Bahnlinien finanziell gefördert werden - was die Kommunen sehr entlasten würde. Ein ganz anderes großes Ziel ist für ihn, den Nahverkehr künftig so zu finanzieren, dass Fahrgäste Busse und Bahnen kostenlos benutzen könnten. Das klingt noch utopisch. Auf dem langen Weg zu dieser verkehrspolitischen Zukunft müssten zunächst Etappenziele erreicht werden - dazu gehört, das Sozialticket wesentlich erschwinglicher zu gestalten. Andere Vorschläge könnten seiner Ansicht nach ohne großen finanziellen Aufwand umgesetzt werden: beispielsweise die sinnvolle Verknüpfung von Verkehrsmitteln wie Fahrrad, Bus, Bahn und Carsharing im Nahverkehr.
    In seiner Freizeit lebt der Abgeordnete seine Vorliebe für Utopien aus - dazu genügt oft ein Spielbrett. Bayer ist begeisterter Anhänger von Fantasy-Rollenspielen. Lange Zeit war er Chefredakteur der Vereinszeitung "Windgeflüster", ein großes Sprachrohr für die Fantasy-Community. Jährlich treffen sich rund 2.500 Fans, Künstler, Spiele-Entwickler oder Autoren von Fantasy-Literatur - zum Teil in phantasievollen Kostümen - und tauschen sich auf der "FeenCon" in der Bad Godesberger Stadthalle aus.
    Gleichgesinnte hat Bayer auch im Düsseldorfer Landtag gefunden. Im jüngsten Rollenspiel hatten Fraktions-Mitarbeiter "Zombies" im Plenarsaal und der Frisierstube des Landtags geortet. Jetzt galt es, auf dem Spielbrett strategisch zu reagieren. Ob die Sache ein Happy End hatte, verrät Bayer nicht. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
    Heinz Tutt

    ID: LI150217

  • Portrait: Monika Pieper (PIRATEN).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 11 - 19.12.2013

    Monika Pieper merkte kürzlich wieder, wie schnell man anecken kann, als sich die Landtagsverwaltung meldete. Ein Abgeordneter der Piratenfraktion hatte das Gesicht des NSA-Whistleblowers Edward Snowden ans Büro-Fenster geklebt, so dass man es von außen sehen konnte. Allerdings vertrug sich dies nicht mit der Hausordnung. Also wurde die Kopie wieder abgenommen. Monika Pieper hat als parlamentarische Geschäftsführerin viel gelernt über Usancen im Parlament, auch dass es Beschwerden gibt, wenn man einen kleinen rosa Tannenbaum ins Fenster stellt. "Ich glaube, dass kaum einer von uns eine realistische Vorstellung davon hatte, was uns hier erwartet", sagt Pieper und fügt hinzu: "Ich finde es schwierig, etwas zu verändern. Das System ist extrem starr."
    Man kann überhaupt darüber staunen, dass die 50-Jährige als Abgeordnete der PIRATEN-Partei im Landtag sitzt. Eine solche politische Karriere wäre in den meisten Parteien kaum denkbar. Die Studien- und Berufskoordinatorin an einer Förderschule in Bochum interessiert sich seit jeher für Politik; in der Studienzeit tendierte sie als Gegnerin des Nato-Doppelbeschlusses zu den Grünen. Doch die etablierten Parteien wirkten auf sie befremdlich, weil sie keine Möglichkeit sah, mitzugestalten und nicht zu den "Abnickern" gehören wollte.
    Dann schrieb ihr jüngerer Sohn in der Schule eine Facharbeit über die PIRATEN-Partei. Sie wurde neugierig und besuchte den ersten Landesparteitag in Gelsenkirchen im Januar 2010. "Da war so eine Aufbruchstimmung. Da war so eine Kraft. Das hat mich fasziniert", erinnert sich Pieper. Sie fühlte sich wohl, obwohl sie nicht den Klischees entspricht: "Ich bin weder Computer-Nerd noch jung und männlich." Sie schwärmt vom intensiven Austausch, vom basisdemokratischen Prinzip. "Ich sehe wieder einen Hoffnungsschimmer am politischen Himmel in Deutschland", steht in ihrem Online-Lebenslauf. Sie trat bei den PIRATEN ein, gründete den Bochumer Kreisverband, organisierte Infoveranstaltungen. 2010 misslang den Neulingen das Debüt im Landesparlament. Die nächste Chance bot sich unverhofft zwei Jahre später. Pieper unterrichtete an jenem 14. März 2012, als der Schulleiter mittags erzählte, dass sich der Landtag aufgelöst hatte. "Das ist jetzt Deine Chance", sagte er. Sie überlegte eine Woche, vieles sprach für eine Kandidatur. Günstiger konnte die Zeit nicht sein; ihre beiden Söhne waren erwachsen geworden; sie wollte etwas Neues ausprobieren. Etwas wagen. Pieper wurde auf Platz 8 der Landesliste aufgestellt und machte Wahlkampf. Die PIRATEN bekamen 7,8 Prozent und Pieper zog mit 19 Mitstreitern in den Landtag ein.
    Nun wollten sie alles anders machen, so, wie sie es auf den Plakaten versprochen hatten: "Klarmachen zum Ändern." Doch erst einmal hatten sie genug damit zu tun, die Abläufe zu verstehen. Pieper wurde schulpolitische Sprecherin und übernahm als parlamentarische Geschäftsführerin die wohl anstrengendste Aufgabe einer Fraktion. "Das ist manchmal schon ein Hamsterrad und man hat wenig Zeit innezuhalten. Man muss auf sich achten, sonst verbrennt man", sagt Pieper. Es bleibt nur noch wenig Zeit für ihre private Krimi-Bibliothek. Bis zu 80 Stunden arbeitet sie in der Woche, aber ihr gefällt es, dass sie einen Einblick in alle politischen Bereiche bekommt. Sie hat ja auch einen größeren Aufwand als Amtskollegen, weil die PIRATEN Fraktionssitzungen im Internet übertragen. Außenstehende dürfen mitreden, und so kann es fünf bis sieben Stunden dauern. Der Anspruch der totalen Transparenz lässt sich im Alltag nur mit größter Mühe durchhalten. "Man kann auch über einen Informations-Overflow eine Desinformation herbeiführen", sagt Pieper selbstkritisch. Sie beklagt zudem Defizite im parlamentarischen Alltag. "Im Moment gibt es eine große Enttäuschung bei uns darüber, dass es bei den anderen Fraktionen häufig nicht um die Sache geht. Es steht Parteipolitik im Vordergrund." Sie erzählt von Abgeordneten anderer Fraktionen, die bestimmte Dinge genauso sähen wie die PIRATEN, aber aus Fraktionsdisziplin anders abstimmten. Bei ihr hat sich eine wichtige Erkenntnis durchgesetzt: "Erst einmal muss man das Spiel kennen, um die Regeln brechen zu können." Deshalb ließ sie doch noch einen Tannenbaum aufstellen. Kein kleines rosa Exemplar auf dem Fenstersims; im Fraktionsfoyer steht jetzt ein großer Tannenbaum in Pink. Für Monika Pieper ist es wie ein kleiner Sieg über das Establishment. Im nächsten Jahr soll es auch eine Ausstellung über Edward Snowden geben. "Wir holen Snowden zurück in den Landtag", sagt Monika Pieper und lächelt zufrieden.
    Kristian Frigelj

    ID: LI131121

  • Dr. Paul, Joachim (PIRATEN)
    Im Interview: Dr. Joachim Paul (Piraten).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 26.06.2013

    Herr Paul, Anfang Juni sind Sie als Fraktionschef wiedergewählt worden. Glückwunsch dazu - aber: Warum mussten Sie sich überhaupt in Ihrem Amt bestätigen lassen?

    Dahinter steckt eine Piraten-Strategie der Vorsicht. Wir sind 2012 zum ersten Mal in den Landtag gewählt worden, kannten uns nur aus dem Wahlkampf. Nach einem Jahr sollte die Fraktion deshalb bewerten, ob’s mit dem Vorstand klappt. Schließlich kann jemand ein toller Wahlkämpfer sein und sich trotzdem in seiner neuen Rolle als Fraktionsvorstand als nicht ganz funktionsfähig entpuppen.

    Und im kommenden Jahr steht diese Bestätigung erneut an?

    Unsere Satzung sieht eine jährliche Wahl des Fraktionsvorstands vor. Das mag unserer etablierten Konkurrenz ungewöhnlich vorkommen. Trotzdem halte ich eine solche Bestätigung im Amt für durchaus sinnvoll. Unseren unorthodoxen Charme werden wir behalten - und auch die Fehler, die dazu gehören.

    Welche Fehler?

    Wir haben in der Partei bisher zu viele Personaldebatten und zu wenige inhaltliche Diskussionen geführt. Reibungspunkte gibt es aber auch in der Fraktion immer wieder. Wir versuchen, die in kreative politische Energie umzusetzen. Aber das fällt nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt haben. Da hat uns die Realität eingeholt.

    Inwiefern?

    Wir haben schmerzhafte Erfahrungen mit den Medien machen müssen. Natürlich haben die Piraten einige weniger schöne Nachrichten geliefert ...

    ... die Dortmunder Abgeordnete Birgit Rydlewski hat im Internet Details ihres Sexuallebens ausgebreitet, und der Krefelder Dietmar Schulz hat ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag Twitter-Meldungen abgesetzt, die viele als antisemitisch aufgefasst haben.

    Was natürlich nicht so gemeint war. Mit dem Einzug von 20 Piraten in den größten Landtag der Bundesrepublik sind viele einfach hellhörig geworden. Schließlich könnte sich das Parteiensystem in Deutschland insgesamt verschieben. Deshalb stehen wir zwangsläufig unter genauer Beobachtung. Das ist der mediale Gegenwind, den wir aushalten müssen. Da steht unsere Fraktion in der Beweispflicht der politischen Leistungsfähigkeit.

    Davon ist derzeit nicht viel zu sehen. Den Wiedereinzug in den Landtag würden Sie aktuell nicht schaffen: In NRW liegen die Piraten irgendwo zwischen zwei und drei Prozent.

    Wir sind als Partei von vielen Medien aufgeblasen worden - und jetzt versucht man, uns die Luft rauszulassen. Der Hype mit Stimmenanteilen von 13 oder 14 Prozent war genauso überzogen wie die zwei bis drei Prozent jetzt.

    Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch drei Monate. Wie wollen Sie aus diesem Stimmungstief herauskommen?

    Wir setzen natürlich stark auf die neuen Medien, auf Social Media im Internet. Aber auch im Straßenwahlkampf sind wir richtig gut. Inhaltlich werden wir mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und zur sozialen Gerechtigkeit punkten. Die Piraten verstehen sich als internationale Bewegung. Populistische "Weg mit den Euro-Parolen" haben bei uns keine Chance. Die Austeritätspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnen wir ab: Sie zeigt nicht nur in den Mittelmeerländern verheerende Wirkung, sondern wird uns über wegbrechende Absatzmärkte auch in Deutschland treffen. Deshalb wollen wir die Verwerfungen der wirklich sehr harten Agenda 2010 mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle Bürger bekämpfen.

    Aber zur Höhe dieses Grundeinkommens sagen Sie nichts?

    Sinnvoll wäre ein Betrag zwischen 1.000 und 1.200 Euro. Nur so wären vom ökonomischen Abstieg bedrohte Bürgerinnen und Bürger in der Lage, auf Druck der Arbeitsagenturen nicht mehr jeden noch so mies bezahlten Job annehmen zu müssen. Angesichts eines auch durch Umweltfragen begrenzten Wachstums bei steigender Produktivität jedes einzelnen Arbeitnehmers ist das Ziel der Vollbeschäftigung utopisch geworden. Gute Arbeit für alle ist eine Illusion, der leider gerade die SPD noch immer anhängt. Wir müssen über den Übergang von der Arbeits- in die Tätigkeitsgesellschaft nachdenken.

    Klingt nach weiteren neuen Schulden. Wie soll ein solches Grundeinkommen finanziert werden?

    Zumindest teilweise durch die Finanztransaktionssteuer, also die Umsatzsteuer auf Kapitalgeschäfte. Europaweit könnte das 270 Milliarden Euro jährlich einbringen. Natürlich streben auch wir Piraten ausgeglichene Haushalte an. Klar ist aber: Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Steuereinnahmen höher als in den vergangenen Jahren. Leider ist das Geld nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen - geflossen ist es in die Rettung der Banken.

    Und mit welchen Themen wollen Sie hier in NRW punkten?

    Wir arbeiten an einer ganzen Palette - vom Ende der zentralen Energieversorgung durch Großkraftwerke bis hin zu intelligenten Verkehrskonzepten: Unser Ziel ist ein umlagefinanzierter ticketloser Nahverkehr, der mindestens so attraktiv sein soll wie die Fahrt mit dem Auto.

    Und damit kommen die Piraten in den Bundestag?

    Das werden wir sehen. Ich persönlich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Kämpfen ist angesagt.
    Andreas Wyputta

    ID: LI130622

  • Düngel, Daniel (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagsvizepräsident Daniel Düngel (PIRATEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 23.01.2013

    Herr Düngel, Sie stammen aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie in Oberhausen. Was machen Sie bei den Piraten?

    Früher habe ich meine Kreuzchen oft bei der SPD gemacht, stimmt. Auf die Piraten bin ich 2009 über das Politikberatungsprogramm Wahl-O-Mat gestoßen - da lag meine Partei an erster Stelle. Damals gab es in Oberhausen nur drei Piraten. Mit einem habe ich einen Partei- Stammtisch ins Leben gerufen und dabei meinen Mitgliedsantrag ausgefüllt. Wenig später arbeitete ich bei der Betreuung der Bundespresse mit dem damaligen Bundesparteichef Jens Seipenbusch zusammen - denn Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Internetsperren und verstärkte Bürgerbeteiligung interessieren mich seit langem.

    Seit neun Monaten sind Sie Mitglied des Landtags. Hat das Mandat Sie verändert?

    Ich hoffe und glaube das nicht. Verändert hat sich mein Tagesablauf. Als Leiter eines Versicherungsbüros war ich zwar seit Jahren in einer verantwortlichen Position. Trotzdem arbeite ich jetzt länger - auch wegen meiner Aufgaben als Vizepräsident.

    Da Sie vorher in keinem anderen Parlament oder Rat saßen: Was hat Sie an der Arbeit im Landtag am meisten überrascht?

    Wie stark das Denken in Richtung Fraktionszwang und Parteidisziplin wirklich ist. Ich hatte lebendigere Diskussionen und mehr Kompromissbereitschaft erwartet.

    Wo beispielsweise?

    Etwa beim Nichtraucherschutzgesetz. Da haben sich rund 20 SPD-Abgeordnete kritisch geäußert. In einem freieren politischen System hätten die vermutlich mit Nein gestimmt oder sich enthalten. Nur durch den Fraktionszwang ist das Gesetz des rot-grünen Kabinetts im Parlament durchgedrückt worden. Auch unser Antrag, die E-Zigarette weniger restriktiv zu behandeln, hatte deshalb von Anfang an keine Chance. Das ist schon ein bisschen frustrierend.

    Kernthema der Piraten ist das Internet als globales Medium. Warum haben Sie für ein regionales Parlament wie den Landtag kandidiert?

    Wir wollen den Landtag verändern - schließlich unterscheiden wir uns von den etablierten Parteien auch durch unseren Blick auf die parlamentarische Demokratie. Wir wollen weg von starren, über Jahre bestehenden Koalitionen. Die herrschende Fraktionsdisziplin behindert sachorientierte Lösungen. Piraten glauben, dass Entscheidungen themenbezogen in den Parlamenten getroffen und nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten von den Regierungen vorweggenommen werden sollten.

    Wie sollen sich dann stabile Regierungen bilden?

    Die Behauptung, ohne Parlamentsmehrheit könne nicht regiert werden, ist doch Quatsch. Gezeigt hat das nicht zuletzt das rot-grüne Minderheitskabinett, mit dem Hannelore Kraft von 2010 bis 2012 hier in Nordrhein-Westfalen regiert hat: Gerade der Zwang, partei-, koalitions- und sogar lagerübergreifende Lösungen suchen zu müssen, hat Kompromisse erst möglich gemacht, etwa im Streit um das Schulsystem - auch wenn wir eine viel individuellere Förderung der Schülerinnen und Schüler einfordern.

    Eine ihrer Fraktionskolleginnen hat dagegen geklagt, die Arbeit im Landesparlament sei langweilig und ermüdend.

    Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen im Landtag super. Allerdings dauern manche Plenarsitzungen bis zehn Uhr abends - und nichts anderes wollte die Kollegin kritisieren. Von den 237 Abgeordneten sind dann zeitweise nur 30 bis 40 anwesend. Wir müssen uns fragen, ob das den wichtigen Entscheidungen, die wir hier treffen, wirklich angemessen ist. Vielleicht muss die Zahl der Plenartage erhöht werden.

    Den Piraten ist vorgeworfen worden, sich unangemessen zu kleiden. Auch ihre exzessive Computernutzung im Plenum gilt als problematisch.

    Ich selbst habe als Versicherungskaufmann 17 Jahre jeden Tag im Anzug gearbeitet. Trotzdem finde ich diese Debatte sehr skurril: Wichtig sind doch die politischen Inhalte, nicht die Kleidung. Ein Abgeordneter in Jeans und T-Shirt kann viel authentischer sein als jemand, der sich mit einem Sakko verkleidet. Das Verbot von Laptops bleibt für uns problematisch, auch wenn wir immerhin Tablets benutzen dürfen. Für uns sind Rechner Arbeitsgeräte, mit denen wir uns ein schnelles Feedback unserer Basis holen wollen - wir daddeln im Plenarsaal nicht "World of Warcraft".

    Abgeordnete mit langer Parlamentserfahrung beklagen die Beschleunigung des Politikbetriebs durch das Internet als nie stillstehende Nachrichtenmaschine. Dadurch fehle Zeit zur Meinungsbildung. Können Sie das verstehen?

    Sicher. Niemand sagt, dass das Internet nur schöne Seiten hat. Das Netz beschleunigt das Leben allgemein und die Politik ganz besonders, bietet aber auch immense Vorteile: Immer mehr Informationen sind viel schneller verfügbar, als das vor 20 Jahren überhaupt vorstellbar war. Als Parlament sollten wir deshalb schneller auf öffentliche Debatten reagieren, etwa durch außerordentliche Plenarsitzungen. Die digitale Revolution kann niemand zurückdrehen.
    Andreas Wyputta

    ID: LI130123

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Die Fraktionen im Landtag NRW