Leicht hat es Gunhild Böth den verschiedenen Parteien, den sie seit 1972 angehörte, nie gemacht. Parteidisziplin, weil sie von oben verordnet wurde, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg halten, weil sie nicht mit der jeweiligen Parteilinie übereinstimmte, das war ihre Sache nicht, als die heutige Vizepräsidentin des NRW-Landtags 1972 als junge Studentin in die SPD eintrat. Das änderte sich nicht, als sie Ende der 70er-Jahre in die DKP wechselte und auch in ihrer heutigen politischen Heimat, der Partei Die Linke, lässt sich die 58-jährige ehemalige Gymnasiallehrerin nicht den Mund verbieten. Böth ist aufrichtig, gerade heraus und nimmt in Kauf, dass sie dadurch auch unbequem ist.
Politisch engagiert ist sie seit ihrer Studentenzeit an der Uni Bonn, wo sie sich dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) anschloss und dem Asta als Sozialreferentin angehörte. Vor dem Examen musste sie die Uni wechseln, ihrem Professor, der unter dem Einfluss des als konservativ geltenden Bundes Freiheit der Wissenschaft stand, hatte es missfallen, dass in ihren Referaten und Aufsätzen immer wieder Begriffe wie "Profit" oder "Mehrwert" auftauchten. Das reichte in jener Zeit, um als stramm linkslastig abgestempelt zu werden.
Böth wechselte nach Wuppertal und geriet dort in Konflikt mit der SPD. Obwohl sie Vorsitzende der Jungsozialisten in der bergischen Metropole war und damit auch im Unterbezirksvorstand der örtlichen Sozialdemokraten saß, wurde sie 1977 aus der Partei ausgeschlossen. Sie hatte gemeinsam mit Kommunisten eine Initiative gegen Berufsverbote ins Leben gerufen. Das war ein Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss, den die SPD 1971 gefasst hatte, und damit ein Ausschlussgrund.
Parteilos wollte Böth nicht bleiben - "mir fehlte die politisch-theoretische Diskussion", sagt sie heute und schloss sich der DKP an. "Aber die hatten auch nicht viel Freude an mir", erinnert sie sich lächelnd. Sie ärgerte sich darüber, dass ihre neuen Parteifreunde absolut kritiklos gegenüber den sozialistischen Staaten waren, und ließ diesen Ärger auch deutlich vernehmen. "Ich fand ein Atomkraftwerk nicht besser, weil es in der Sowjetunion stand, und dass jedes Wort von Erich Honecker der letzten Weisheit entsprach, glaubte ich auch nicht." In der DKP schloss sie sich der Gruppe an, die die Partei von innen erneuern wollten, und nach dem Fall der Mauer und der deutschen Vereinigung schloss sie sich der PDS an, aus der später durch Fusion mit der WASG die heutige Linkspartei hervorging.
Präsidium
Seit Mai 2010 ist sie Mitglied des NRW-Landtags, und obwohl das gerade mal gut acht Monate sind, kommt es ihr vor wie gefühlte zwei Jahre. Neben ihrer Aufgabe im Landtagspräsidium ist sie auch schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, was doppelten Einsatz erfordert. Die Zusammenarbeit im Präsidium und mit der Landtagsverwaltung erlebt sie als reibungslos, konfliktfrei und sehr kollegial. Nicht ganz einfach ist der Kontakt zu den beiden anderen Oppositionsparteien CDU und FDP. "Für die CDU sind wir immer noch so eine Art Schmuddelkinder des Parlaments", lächelt sie darüber, dass sich noch nicht alle damit abgefunden haben, dass eine neue fünfte Kraft in den Landtag gewählt worden ist. "Manche geben mir nicht einmal die Hand, aber mit anderen gibt es eine durchaus vernünftige Gesprächsbasis."
Wenn Gunhild Böth am Rednerpult des Landtags steht, dann kann sie nicht verbergen, dass sie gelernte Lehrerin ist und lange in dem Beruf gearbeitet hat. Oft redet sie mehr zu den Zuschauern auf der Tribüne als zu den Abgeordneten im Saal. "Ich weiß, dass man das nicht darf", räumt sie ein, "aber ich halte das für nötig." Politik müsse aufklärerisch sein. "Die Zuschauer müssen ja nicht meiner Meinung sein, aber sie müssen wissen, worum es geht." Wie gesagt, leicht hat es niemand mit Gunhild Böth.
Für ein Leben neben der Politik bleibt ihr nicht viel Zeit. Nur vom Lesen kann sie nicht lassen, "ich fresse Bücher". Egal, wie spät es ist, jeden Abend werden noch 20 bis 30 Seiten gelesen, zuletzt "Das Amt" über die Geschichte des Auswärtigen Amts und von Mario Vargas Llosa "Tod in den Anden".
Peter Jansen
ID: LI110122