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  • Porträt: Verena Schäffer (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 5 - 29.08.2023

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Verena Schäffer, gemeinsam mit Wibke Brems Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Die 36-jährige Historikerin ist Mutter zweier Kinder und ein "großer Fan von Doppelspitzen".
    Verena Schäffers Weg in die Politik beginnt weit weg: Bei einem Austauschjahr in Kalifornien erlebte die heute 36-Jährige damals noch als Schülerin die dortigen Gouverneurswahlen. "Der Wahlkampf war schon damals sehr polarisiert. Das hat mich neugierig auf Politik gemacht", erzählt Schäffer. Noch von Kalifornien aus informierte sie sich über die Jugendverbände deutscher Parteien, die Grüne Jugend sagte ihr am meisten zu.
    "Ein Thema, was mich schon früh beschäftigt hat, war die Gleichberechtigung von Frauen und Männer", erzählt sie. "Dass es auf der Welt fast gleich viele Frauen wie Männer gibt und Frauen trotzdem noch viel seltener in Verantwortung sind, noch heute in tradierte Rollen gesteckt werden, hat mich schon immer umgetrieben."
    In ihrer Heimatstadt Witten gründete Verena Schäffer eine Ortsgruppe der Jungen Grünen, schon früh zog es sie aber nach Düsseldorf und in die Landespolitik: "Ich habe große Hochachtung vor dem, was ehrenamtlich in der Kommunalpolitik geleistet wird - und das meine ich nicht als Floskel", betont Schäffer, "aber mich selbst hat es immer schon in die Landespolitik gezogen." Zwischen 2006 und 2010 war sie Landessprecherin der Grünen Jugend, zog dann 2010 in den Landtag ein.
    Als frauenpolitische Sprecherin setzte sie sich weiter für Gleichberechtigung ein - ein Thema, das sie bis heute umtreibt: "Es ist heute oft eine Notwendigkeit, dass beide Partner arbeiten. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Familiensorgearbeit fair aufgeteilt wird", sagt Schäffer, die selbst Mutter von zwei Kindern ist: "Die Perspektive von Familien muss auch in der Politik mehr abgebildet sein."
    2012 wechselte Verena Schäffer in die Innenpolitik - wurde innenpolitische Sprecherin der Grünen. "Das Thema Rechtsextremismus, aber auch Datenschutz und Bürgerrechte haben mich auch schon immer interessiert", sagt sie und fügt schmunzelnd hinzu: "So konnte ich auch meine Leidenschaft für Polizei und Feuerwehr entdecken." Einmal mit "auf Streife" zu sein, ein Spezialeinsatzkommando (SEK) besuchen - das alles empfindet sie als großes Privileg ihres Jobs: "Wir bekommen als Abgeordnete viele Einblicke und natürlich haben wir gerade in der Innenpolitik auf Landesebene eine große Gesetzgebungskompetenz", sagt sie.

    "Gute Inhalte bei allen Themen"

    Auch die Zusammenarbeit mit der CDU - auch in innenpolitischen Fragen - macht ihr Spaß - auch wenn die Vorstellungen der Koalitionspartner da zuweilen auseinandergehen. "Natürlich habe ich mich in der Vergangenheit mit Herbert Reul im Innenausschuss viel gestritten", sagt Schäffer, "aber da war immer auch Wertschätzung für die Positionen des anderen." Die zeigten sich auch im Koalitionsvertrag, findet Schäffer: "Es wird oft verkürzt: Die Grünen haben sich beim Klima durchgesetzt, die CDU in der Innenpolitik - aber das stimmt so nicht. Wir haben in allen Themenfeldern gute Inhalte vereinbaren können."
    Als Beispiel nennt sie den unabhängigen Polizeibeauftragten im Landtag, an den man sich mit Beschwerden über die Polizei wenden kann. "Da geht es gar nicht darum, jemanden anzuschwärzen, sondern um ein faires, moderiertes Gespräch - das stärkt am Ende auch die Polizei", glaubt Schäffer.
    Als Fraktionsvorsitzende kümmert sie sich inzwischen um alle Themen - in enger Absprache mit ihrer Co-Vorsitzenden Wibke Brems. "Ich bin ein großer Fan von Doppelspitzen", sagt Schäffer, man könne sich manche Themen gut aufteilen, andere im engen Austausch voranbringen. "Es kommt häufig vor, dass Wibke und ich uns fast gleichzeitig zum selben Thema eine Nachricht schreiben - wir sind ein absolut eingespieltes Team."
    Und neben der Politik? "Da verbringe ich Zeit mit meinen Kindern, sonst nix", sagt Verena Schäffer und lacht. Wenn sich irgendwo dann doch mal eine Lücke auftut, hat sie allerdings noch einen Traum: "Ich würde unglaublich gerne Skateboard fahren lernen", erzählt die Grünenpolitikerin lachend - und auch ein bisschen, um sich selbst unter Druck zu setzen: "Wenn Sie das jetzt schreiben, dann muss ich das wohl auch mal angehen ..."
    Maike von Galen

    Zur Person
    Verena Schäffer wurde in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Abitur studierte sie Geschichtswissenschaft und Jüdische Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das Studium schloss sie als Bachelor of Arts ab. Seit 2004 ist Schäffer Mitglied der Grünen. Von 2005 bis 2010 war sie Mitglied im Landesvorstand der Grünen Jugend NRW, von 2006 bis 2010 Landessprecherin. Die zweifache Mutter ist seit 2010 Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen. Von August 2012 bis Mai 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende, von Mai 2017 bis Oktober 2020 Parlamentarische Geschäftsführerin. Seit Oktober 2020 ist Verena Schäffer Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Die Romane des israelischen Schriftstellers Amos Oz, insbesondere die Bücher "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" und "Unter Freunden".

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Die Songs der Toten Hosen, vor allem deren Punkrock aus den Anfangsjahren.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Vanillepudding.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Die Nordsee - da ist für jedes Familienmitglied etwas dabei.

    ID: LI230521

  • Porträt: Wibke Brems (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 31.05.2023

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Wibke Brems, gemeinsam mit Verena Schäffer Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Die 42-Jährige hat Elektrotechnik studiert und das Studium als Diplom-Ingenieurin abgeschlossen.
    "Der Hambacher Forst muss bleiben", steht auf einem Plakat, das an der Bürotür der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Wibke Brems im Landtag hängt. Noch gut erinnert sie sich an die Demonstrationen am Rheinischen Tagebau, als sie frisch aus Ostwestfalen kam, wo das Kohleland Nordrhein-Westfalen weit weg schien. "Das Rheinische Revier spielt in der Kommunalpolitik in Gütersloh keine Rolle - je mehr ich mich mit Energiepolitik befasst und politisch engagiert habe, desto mehr war mir klar: Wenn Nordrhein-Westfalen keine ambitionierte Klimapolitik macht, dann kann ganz Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen."
    Der Impuls, in die Politik zu gehen, kam für Wibke Brems durch das Erdölunternehmen Shell und dessen Pläne, Mitte der 90er-Jahre die Ölplattform Brent Spar im Atlantik zu versenken. "Ich war damals so entsetzt und dachte: So dürfen wir mit unserer Natur nicht umgehen", erzählt die Abgeordnete. Ein Infostand der Grünen war ihre Anlaufstelle: Mit anderen jungen Menschen aus Gütersloh initiierte sie eine Ortsgruppe der Grünen Jugend. Auch wenn zu ihren ersten politischen Forderungen die Ansiedlung einer Disko für Gütersloh zählte, sei der Schutz der Umwelt immer in ihrem Fokus geblieben: "Ich wollte ein neues Bewusstsein dafür schaffen, dass wir dabei sind, diesen Planeten zu zerstören, wenn wir nicht endlich umdenken."
    Die Bundestagswahl 1998 beflügelte Wibke Brems: Auch wenn sie selbst noch nicht wählen durfte, sei das eine Zeit des Aufbruchs gewesen, erinnert sie sich: "Ich bin aufgewachsen in dem Glauben, 'Bundeskanzler Kohl' sei ein zusammenhängendes Wort", sagt sie und lacht. "Plötzlich war da dieser rot-grüne Aufbruch und ich durfte beim Bundesparteitag dabei sein, als über den Koalitionsvertrag abgestimmt wurde."
    Während sie seit 1999 als sachkundige Bürgerin im Gütersloher Stadtrat weiter Politik machte, studierte Brems in Bielefeld Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt "Erneuerbare Energien" - damals noch ein ziemliches Exotenfach, sagt sie: "Mit 20 Prozent Frauenanteil fielen wir in dem Fachbereich schon auf. Die Professoren waren meist alte Männer, die nichts von Erneuerbaren Energien hielten und uns rieten aufzuhören."
    Heute profitiert Wibke Brems von ihrem Studium: Politisch setzt sie sich seit Langem für einen "konsequenteren Umbau der Energieversorgung" ein, ist entsetzt darüber, "wie das in der Vergangenheit verschlafen wurde". Während die Photovoltaik-Branche, in der Brems nach ihrem Studium arbeitete, 2005 noch geboomt habe, sei ab 2012 der große Crash gekommen, viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen hätten ihren Job verloren und die Branche gewechselt: "Da sieht man auch, welche Bedeutung Gewerkschaften haben: Damals gingen in drei Jahren über 100.000 Arbeitsplätze verloren, aber niemand auf die Straße - in der Branche war einfach kaum jemand gewerkschaftlich organisiert."

    Diskussion um Kohleausstieg

    Sie selbst wechselte komplett in die Politik, zog 2010 in den Landtag ein, wo ein Thema plötzlich viel näher rückte: die Diskussion um einen Kohleausstieg, die sie bis heute begleitet und innerlich immer wieder zerreiße. "In meiner Zeit im Landtag habe ich hier schon eine riesige Veränderung erlebt", sagt Brems. Dass es keine neuen Tagebaue mehr gibt, weitere Dörfer und auch Teile des Hambacher Walds erhalten bleiben konnten - das alles seien riesige Erfolge gewesen, wenn man darauf zurückblicke, von welchem Punkt man gekommen sei, sagt Brems. Trotzdem ist sie nicht zufrieden: "Wir könnten so viel weiter sein."
    Für Wibke Brems ist gute Politik vor allem eine Mentalitätsfrage: "Wir brauchen viel weniger 'Geht nicht' und mehr 'Wie lösen wir das?'" Die Herausforderungen der Zukunft brächten mit sich, dass man auch Fehler mache: "Das dürfen wir uns nicht ständig vorwerfen, sondern müssen uns eingestehen, dass das unvermeidlich ist."
    Ihre Arbeit in Düsseldorf mag die Co-Fraktionschefin der Grünen sehr, auch den Blick auf den Rhein genießt sie in kurzen Pausen. Trotzdem ist sie immer froh, wenn sie im Zug Richtung Gütersloh sitzt: "Selbst wenn ich nachts am Bahnhof in Gütersloh ankomme, denke ich: Hach, zu Hause", sagt Brems. Das ruhigere Leben in einer kleineren Großstadt mit viel Natur und Platz zum Fahrrad fahren genießt sie sehr. Wenn die Zeit es zulässt, entspannt sie bei einer Runde Yoga.
    Maike von Galen

    Zur Person
    Wibke Brems ist gebürtige Bremerhavenerin und in Gütersloh aufgewachsen. Nach dem Studium der Elektrotechnik in Bielefeld war sie zunächst selbstständig im Bereich Photovoltaik und Energieberatung, dann Leiterin des Technischen Supports bei einem Unternehmen. 1998 wurde sie Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Von Oktober 2020 bis August 2022 war sie stellvertretende Vorsitzende und Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen-Landtagsfraktion, seit August 2022 ist sie gemeinsam mit Verena Schäffer Fraktionsvorsitzende. Wibke Brems ist (mit einer kurzen Unterbrechung) seit 2010 Mitglied des Landtags.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Mein E-Book-Reader, so kann ich je nach Laune zwischen Historischen Romanen, englischen Liebesromanen und feministischer Literatur entscheiden.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Alles, was mich in die 90er oder frühen 2000er zurückkatapultiert: Roxette, Justin Timberlake, Michael Jackson, Lady Gaga.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Selbstgemachtes Schokoladeneis mit kandiertem Erdnusscrunch.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Es gibt so viel zu entdecken. Beim Camping kann ich der Natur besonders nahe sein und vom politischen Alltag am besten entspannen.

    ID: LI230319

  • Porträt: Vizepräsidentin Berivan Aymaz (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 29.11.2022

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Berivan Aymaz, 2. Vizepräsidentin des Landtags. In das Parlamentspräsidium gewählt wurde die 50-jährige Grünen-Politikerin Anfang Juni - mit 170 von 193 abgegebenen Stimmen. Ihren Kölner Wahlkreis hat Aymaz im Mai direkt gewonnen.
    "Ich will für unsere parlamentarische Demokratie, für diesen Landtag werben", sagt Berivan Aymaz. Von 2017 bis 2022 war die Kölnerin die Integrationspolitikerin der Grünen-Fraktion, seit dem 1. Juni amtiert die 50-Jährige als 2. Vizepräsidentin des Landesparlaments. Und "genossen" habe sie "jeden einzelnen Tag", sagt Aymaz: "Es ist ein riesengroßes Privileg, als Abgeordnete Politik machen zu dürfen."
    Denn Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind für Aymaz keine Selbstverständlichkeit. Schließlich ist die Vizepräsidentin selbst Kind politisch Verfolgter. 1972 in der Provinz Bingöl in der Türkei geboren, kam sie mit sechs Jahren als Diplomatentochter nach Deutschland. Doch kurz vor dem Putsch des türkischen Militärs 1980 verlor ihr Vater wegen seiner kurdischen Herkunft nicht nur seine Stellung als Kulturattaché an der Botschaft in Bonn - versperrt war auch der Weg zurück: Onkel und Tanten seien in der Türkei gefoltert worden, berichtet Aymaz.
    Das Regime zog die Pässe der Familie ein. In Deutschland brachte der Kulturattaché seine Familie zunächst als Gemüsehändler durch, konnte später wieder in seinem ursprünglichen Beruf als Lehrer arbeiten. Seine Tochter machte in Köln Abitur, studierte Jura und Politikwissenschaften, arbeitete als Moderatorin und Übersetzerin - und engagierte sich politisch: 1993 war Berivan Aymaz Mitgründerin des Dachverbands der deutsch-kurdischen Vereine, der Kurdischen Gemeinde Deutschlands. Außerdem arbeitete sie in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Seit 2009 Parteimitglied, gründete sie 2012 die Säkularen Grünen mit. Denn einer Religionsgemeinschaft gehöre sie nicht an, betont Aymaz.
    2014 gelang der Sprung in den Kölner Stadtrat, 2017 in den Landtag. Fünf Jahre später gewann sie den Wahlkreis Köln VI im Herzen der Domstadt mit 37 Prozent zum ersten Mal direkt. "Das zeigt ein großes Vertrauen in meine Arbeit und macht deutlich, dass meine Themen wie Menschenrechte oder Migration in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind", freut sich die Rheinländerin. In das Landtagspräsidium gewählt wurde Aymaz, die ihre Heimat Köln als "nicht-anonyme Großstadt" liebt, mit 170 von 193 abgegebenen Stimmen - gegen einen Kandidaten der AfD, für den sich 13 Abgeordnete entschieden.
    "Ein starkes Zeichen fraktionsübergreifender Anerkennung" sei ihre Wahl zur Vizepräsidentin am 1. Juni gewesen, sagt Aymaz. Die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen hatten sich schon 2021 gemeinsam solidarisch hinter Aymaz gestellt und eine "Verleumdungs- und Diffamierungskampagne" verurteilt, die türkische Zeitungen gegen die Kölnerin fuhren. Weil Aymaz es gewagt hatte, die Berufung des staatsnahen türkischen Moscheeverbands Ditib in die Kommission für den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen zu kritisieren, wurde die Integrationspolitikerin als "Anti-Türkin" und "PKK-Sympathisantin" bezeichnet: "Wir kennen Dich, Berivan", titelte etwa das dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahestehende auflagenstarke Blatt "Sabah" - für die vier Landtagsfraktionen ein klarer "Akt der öffentlichen Bedrohung".
    In der neuen Wahlperiode arbeitet die Grüne fachpolitisch als Sprecherin für "Europa, Internationales und Eine Welt" - und bleibt so den Themen Migration, Integration und Flucht verbunden. Eine gemeinsame Solidaritätsresolution von CDU, SPD, Grünen und FDP, die Aymaz die "vier demokratischen Fraktionen" nennt, gegen die gewaltsame Unterdrückung der Proteste im Iran hat sie mit angeschoben. Gefordert wird darin ein bundesweiter Abschiebestopp in den Iran, wie er in NRW bereits gilt. Auch den gemeinsamen Antrag der vier Fraktionen, der den "grausamen Überfall" Russlands auf die Ukraine mit deutlichsten Worten verurteilt und der sich für eine Partnerschaft mit einer Region in der Ukraine starkmacht, hat die Kölnerin mit initiiert.
    "Ermutigen" will Aymaz durch ihr Engagement gerade die 30 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen, die einen Zuwanderungshintergrund haben. Aus deren Community war nach der Regierungsbildung von CDU und Grünen deutlich kritisiert worden, dass keine einzige Migrantin, kein einziger Migrant zur Ministerin, zum Minister berufen wurde. "Gut verstehen" könne sie diese Kritik, sagt Aymaz dazu - und hofft, dass auch ihre Wahl ins Landtagspräsidium als Signal verstanden wird: "Ich bin die erste Vizepräsidentin, die nicht in Deutschland geboren wurde", sagt sie. "Es ist mir wichtig, dass der Landtag ein Ort ist, an dem Vielfalt in jeder Hinsicht mitgedacht und gelebt wird."
    Andreas Wyputta

    Zur Person
    Berivan Aymaz hat Rechtswissenschaften an der Universität Köln sowie Politikwissenschaft an der Universität Duisburg- Essen ohne Abschluss studiert. Sie ist seit 2009 Mitglied der Grünen und war von 2014 bis 2017 Mitglied des Rates der Stadt Köln. Seit Juni 2017 ist Berivan Aymaz Landtagsabgeordnete, seit Juni 2022 Vizepräsidentin des Landtags.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Ich lese leidenschaftlich gerne. Besonders spannende Bücher aus verschiedenen Genres. Es gibt viele Bücher, die mich faszinieren und die ich auch immer wieder zur Hand nehme. Dazu gehören "Orlando" von Virginia Woolf oder "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Das kommt ganz auf den Anlass und die Situation an. Mir gefallen viele Musikrichtungen - von Jazz über Pop bis hin zu Folk ist alles dabei. Gerne höre ich Weltmusik und bin natürlich auch besonders der kurdischen Musik verbunden.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Das ist tatsächlich immer noch Joghurt. Eine erfrischende Ergänzung zu ganz vielen Speisen, die nie fehlen darf.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Das Schönste am Reisen ist die Begegnung mit Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen. Ich mag spannende Städte genauso wie das Naturerleben in beeindruckenden Landschaften.

    ID: LI220924

  • Porträt: Stefan Engstfeld (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 11 - 21.12.2021

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Stefan Engstfeld (Grüne). Der 51-Jährige ist rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.
    Stefan Engstfeld hatte Corona nicht einkalkuliert - deshalb muss das Interview am Telefon geführt werden. Er sitzt zu Hause in Quarantäne. Doppelt geimpft, geboostert, und doch fand das Virus seinen Weg. Jetzt ist es Anfang Dezember, es geht ihm gut, keinerlei Symptome, alle PCR-Tests sind negativ. Seine Rückkehr in den Landtag steht kurz bevor. "Ich bin ein stabiles Kerlchen", sagt der 51-Jährige.
    Zurückgekommen ist er schon einmal, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Im Mai 2018 rückt er von der Grünen-Landesliste in den Landtag nach. Ein Jahr zuvor haben die Wählerinnen und Wähler seine Fraktion auf 14 Abgeordnete halbiert, Rot-Grün "ist damals abgewählt worden", Engstfeld draußen. Das war’s, denkt er sich. Er verordnet sich nach sieben Jahren Berufspolitik erstmal eine Phase "im Abklingbecken", will sich neu sortieren, wartet ab. Just in dem Moment, als er eine neue Aufgabe habe annehmen wollen, gibt die Abgeordnete Barbara Steffens ihr Landtagsmandat zurück.

    Namhafter Beistand

    Als er in Ratingen aufwächst, gehört ein Parteibuch keineswegs zur Lebensplanung. Dabei ist sein Elternhaus sehr politisch, konservativ-liberal und weltoffen. Der Vater ist gesellschaftlich engagiert, gut vernetzt in der lokalen Szene. Und es gibt namhaften Beistand. Die Familie hat privaten Kontakt zu Karlheinz Böhm, der während seines Engagements am Schauspielhaus Düsseldorf in der Nähe wohnt und seine Hilfsaktion gegen den Hunger in Äthiopien plant. Einmal, erinnert sich Engstfeld, sind Grünen-Ikone Petra Kelly und Gert Bastian zu Gast. "Ich hatte immer viele Möglichkeiten, mit Leuten zu diskutieren", sagt er dankbar.
    Nach dem Abitur verbringt er mit Freunden mehrere Monate in Südamerika, lernt eine andere Realität kennen. Er entdeckt wunderschöne Landschaften, aber auch bittere Armut und soziales Unrecht. In Venezuela werden sie von korrupten Polizisten ausgeraubt. Ein einschneidendes Erlebnis, das sein Engagement für mehr Gerechtigkeit noch verstärkt habe. Als Abgeordneter wird er sich später nicht nur als rechtspolitischer Sprecher, sondern u. a. auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum tragischen Tod des zu Unrecht inhaftierten syrischen Staatsangehörigen Amad A. dafür einsetzen.

    "Politisch gestalten"

    Nach der Rückkehr absolviert er seinen Zivildienst, beginnt ein Studium der Sozialwissenschaften. Er probiert allerlei aus, arbeitet 1995 beim Weltsozialgipfel in Kopenhagen mit. Da ist in ihm längst der Entschluss gereift, selbst politisch gestalten zu wollen. Dies und sein Verdruss über die "endlosen Jahre" der Regierung Kohl bringen ihn ein Jahr später dazu, bei den Grünen einzutreten.
    Für den Düsseldorfer, der sich dem Einsatz gegen Umweltzerstörung und Diskriminierung von Minderheiten verschrieben hat, wird es der Start in eine Politikkarriere. Er arbeitet für die Grünen-Landtagsabgeordnete Ute Koczy, später in Berlin, ehe er 2010 erstmals selbst für den Landtag kandidiert. Mit Erfolg. Es ist die Zeit der Minderheitsregierung. Rot-Grün ist ständig auf der Suche nach Mehrheiten - "eine irre Zeit" für den Neuling. "Extrem arbeitsintensiv und extrem spannend", erinnert sich Stefan Engstfeld. 2012 wird er wiedergewählt, vertritt u. a. seine Fraktion in Brüssel im Ausschuss der Regionen. So geht es fünf Jahre, bis ... siehe oben.
    Was kommt jetzt? Im nächsten Jahr kandidiert der passionierte Rettungstaucher erneut in Düsseldorf, und er rechnet sich Chancen aus, seinen Wahlkreis zu gewinnen. Mit der grünen Startbilanz in der Berliner Ampel ist er unterm Strich zufrieden. "Da ist sehr viel Aufbruch", sagt Engstfeld, wenn man auch mit dem Verzicht auf das Verkehrsressort als wichtige Stellschraube in der Klimapolitik eine "Kröte" habe schlucken müssen.
    Neben der Politik gehört derzeit "Buddy" seine ganze Aufmerksamkeit. Den vierjährigen Labrador-Retriever, der als Straßenhund in einer rumänischen Tötungsstation auf sein Ende wartete und vom Tierschutzverein Langenfeld herausgeholt wurde, haben Stefan Engstfeld und seine Frau Kerstin aufgenommen. "Das", sagt er, "ist derzeit unser größtes Projekt."
    Theo Schumacher

    Zur Person
    Stefan Engstfeld ist gebürtiger Duisburger. Das Abitur machte er 1991 in Ratingen-Lintorf und absolvierte anschließend seinen Zivildienst an der Universitätsklinik Düsseldorf. Während seines Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen arbeitete er als studentische Hilfskraft am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF). Seit 1996 ist Engstfeld Mitglied der Grünen. Von 1999 bis 2010 war er Mitglied des Präsidiums der Landesdelegiertenkonferenz und des Landesparteirats. Er war bereits von 2010 bis 2017 Mitglied des Landtags. Im März 2018 rückte er für Barbara Steffens nach. Stefan Engstfeld kandidierte 2020 bei der OB-Wahl in Düsseldorf für die Grünen und landete auf Platz 3.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams. Weil es die Antwort liefert auf alle Fragen.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    1Live

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Vanille-Vla

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Überall da, wo Strand und Meer sind.

    ID: LI211122

  • Porträt: Mehrdad Mostofizadeh (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 5 - 26.05.2021

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Mehrdad Mostofizadeh. Der 52-Jährige ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion.
    Ende März, die Debatte im Plenarsaal ist im vollen Gange, wird es emotionaler, hitziger. Es geht um Corona, wieder einmal. Während die Landesregierung ihr Konzept zur Pandemie- Bekämpfung vorstellt, kann Mehrdad Mostofizadeh nicht an sich halten. Von den Fraktionsreihen der Grünen aus mischt er sich ein. In Zwischenrufen mahnt der 52-Jährige an, dass zu viele Impfdosen ungenutzt seien, in Unternehmen zu wenig getestet werde, die Landesregierung schlichtweg den falschen Kurs fahre.
    Mitmischen, widersprechen, eigene Standpunkte einbringen - für den Grünen-Politiker gehört das zum Ringen um die beste Lösung. "Ich bin eher der Typ, der das auch mal offener und klarer austrägt", sagt Mostofizadeh, während er einige Wochen später in seinem Landtagsbüro sitzt. "Deutlich, aber nie unverschämt" - so halte er es in Debatten, sagt Mostofizadeh, der heute Sakko trägt, dazu ein lilafarbenes Hemd, Maske, keine Krawatte.
    Das politische Geschehen kennt der Mann aus Essen aus unterschiedlichen Rollen: Von 2015 bis 2017 war er Fraktionschef der Grünen, als sie noch in Regierungsverantwortung standen. Aktuell, in der Opposition, bekleidet Mostofizadeh das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers und ist Sprecher der Fraktion für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie Kommunalpolitik. Ein Wortführer, der die politische Bühne nicht scheut, und ein Profi im Politgeschäft, der Erfahrung aus mehr als drei Jahrzehnten einbringt.
    Politisiert habe ihn sein Elternhaus, resümiert Mostofizadeh: Sein Vater kam Mitte der 1960er-Jahre aus dem Iran nach Deutschland, um Maschinenbau zu studieren. Fragen rund um Menschenrechte und demokratische Impulse im Iran seien oft Thema daheim am Küchentisch gewesen. Die Familie zog von Niedersachsen nach Essen, als Mehrdad Mostofizadeh fünf Jahre alt war. Sein Vater arbeitete beim Krupp-Konzern, schlug später eine Universitätslaufbahn ein und forschte als Professor zu Themen rund um Umwelt- und Energietechnik, während der Sohn in Essen zur Schule ging, Abitur machte und im Zivildienst als Altenpfleger arbeitete. Danach studierte er Sozialwissenschaft und Englisch. Später wechselte er zur Rechtswissenschaft in Bochum.
    Menschenrechts- und Umweltthemen - und eine Zeitungsanzeige - führten ihn zu den Jungen Grünen. Er besuchte Diskussionsabende und war "sofort mittendrin". Ein Jahr später, bei der Kommunalwahl in Essen, sei es ganz schnell gegangen, erzählt Mostofizadeh. "Schwupps stand ich auf der Liste für die Bezirksvertretung - und wurde gewählt." Da war er gerade mal 19 Jahre alt.
    Es sei eine Zeit gewesen, als die Grünen noch ausgebremst worden seien. CDU und SPD hätten abwechselnd Anträge der Fraktion abgelehnt, ohne sie gelesen zu haben. Es klingt nicht bissig, wenn Mostofizadeh davon erzählt. Er muss auch nicht erwähnen, dass sich die Zeiten geändert haben und die Grünen vielerorts an Einfluss gewannen - auch im Landtag, wo Mostofizadeh von 2001 an als wissenschaftlicher Mitarbeiter zunächst für die Enquetekommission "Zukunft der Städte in NRW" und später für die Bereiche Haushalt und Finanzen sowie Kommunalpolitik zuständig war.

    Kommunen im Blick

    Seit 2010 ist der Abgeordnete aus Essen selbst Mitglied im Landtag. Lange brachte er seine in Kommunen gestärkte Expertise als finanz- und haushaltpolitischer Sprecher ein. Noch heute versteht er sich als deren Fürsprecher. Seine Verbundenheit zu Essen wiederum zeigt sich auch an Bildern, die in seinem Büro hängen: Die Zeche Zollverein ist darauf zu sehen; viele Jahre war der Grünen-Politiker Mitglied im Aufsichtsrat der Entwicklungsgesellschaft Zollverein. Ein anderes Motiv zeigt eine Aschebahn, auf der Seniorinnen und Senioren zum Rollator-Rennen antreten. Ein drittes Bild wiederum ein Schachbrett mit Menschen im Miniaturformat, die sich um Figuren gruppieren - eine Anspielung auf Rotationen und Rochaden in der Politik.
    Da kann es zu Niederlagen kommen, eine Erfahrung, die Mostofizadeh im vergangenen Jahr bei der Essener Kommunalwahl machte: Er trat als Oberbürgermeisterkandidat der Grünen an, hatte gegenüber dem amtierenden CDU-Kandidaten aber das Nachsehen. Dennoch: Es klingt nach Aufbruch, wenn der Grünen-Politiker über den Wahlkampf spricht und von den tausend Kilometern, die er mit dem E-Lastenrad zurücklegte. Ein Wahlkampf-Plakat hängt noch im Büro. "Für Kultur und Vielfalt" steht darauf.
    Ihm gehe es, sagt Mostofizadeh, neben der politischen Agenda auch um den politischen Stil: weg von der "paternalistische Ich-Mache-Alles-Für-Euch-Politik", hin zu mehr Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und mehr Vielfalt. Dafür werde er sich zu Wort melden, einbringen, streiten, sagt Mostofizadeh. Bestimmt auch bei den nächsten Debatten, wenn die Wogen im Plenum wieder höher schlagen.
    tob

    Zur Person
    Mehrdad Mostofizadeh wurde 1969 in Bad Gandersheim im Kreis Northeim in Niedersachsen geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Von 1994 bis 2010 war er Mitglied im Essener Stadtrat.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Ken Keseys "Einer flog über das Kuckucksnest", ein brillantes Buch, heiter und schaurig zugleich. Darauf aufbauend der packende Film mit einem grandiosen Jack Nicholson, der auf höchstem Niveau die finstersten Ebenen von Mensch und Gesellschaft durchleuchtet, trotzdem unterhält und letztlich in einem verheerenden Drama endet.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Nirvana, The Doors, Depeche Mode, aber auch Bach.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Stauder und herzhaften Hartkäse

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Bretagne, Südfrankreich und Fahrradtouren in Deutschland

    ID: LI210518

  • Porträt: Matthi Bolte-Richter (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 22.12.2020

    "Die Wehrmachtsausstellung hat mich in die Politik gebracht", sagt Matthi Bolte-Richter. "Um die 1.000 Neonazis" seien angereist, als die Dokumentation der Verbrechen und des Vernichtungskriegs der deutschen Armee im Frühjahr 2002 in seiner Heimatstadt Bielefeld gezeigt wurde, erinnert sich der Landtagsabgeordnete. "Ich habe gegen die Rechtsextremen protestiert - und dabei viele junge Leute getroffen, die bei den Grünen aktiv waren."
    Gerade 17 war Bolte-Richter damals, wollte im progressiven politischen Spektrum mitarbeiten. Seine Eltern, von Beruf Lehrerin und Bankkaufmann, hätten parteipolitisches Engagement immer positiv betrachtet. "Doch die Linkspartei war mir als damalige PDS zu rückwärtsgewandt - und die SPD zu langweilig", lacht der heute 35-Jährige. "Bei den Grünen hatte ich dagegen das Gefühl: Das ist der richtige Club." Der Teenager trat in die Partei ein. Friedenspolitik, der drohende zweite Irakkrieg, aber auch die Kanzlerkandidatur des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber seien genug Motivation gewesen, erzählt Bolte-Richter.
    Was folgte, scheint in der Rückschau wie eine Blitzkarriere: 2004 wurde er, noch keine 19 Jahre alt, in den Bielefelder Stadtrat gewählt. "Danach habe ich mit meinem Vater verhandelt" - auch der war ins Kommunalparlament gewählt worden, allerdings für die FDP. Der Sohn ging als jüngstes Ratsmitglied in den Jugendhilfe- und in den Schul- und Sportausschuss. "Größter Erfolg war der massive Ausbau der Kinderbetreuung", bilanziert der Abgeordnete - gelungen sei dieser "übrigens im interfraktionellen Konsens". Gleichzeitig studierte Bolte-Richter Politikwissenschaft an der Bielefelder Universität. Seinen Bachelor hat er 2008 gemacht.
    Das Superwahljahr 2009 mit Bundestags-, Europa-, sechs Landtags- und Kommunalwahlen in NRW erlebte der Politikwissenschaftler dann als Wahlkampfkoordinator der Bielefelder Grünen. "In der Rückschau sieht das alles so geradlinig und logisch aus", sagt der seit 2014 verheiratete Vater zweier Kinder. Dabei habe er auch Niederlagen einstecken müssen: "Ich habe zwei Mal versucht, in den Landesvorstand der Grünen Jugend gewählt zu werden - doch das hat nie geklappt."
    Geholfen hat seine landesweite Vernetzung dennoch. Der Grünen Jugend sei klar gewesen: "Wenn wir unser Engagement ernst nehmen, brauchen wir auch Mandate." Im Mai 2010 gelang Bolte-Richter über Listenplatz 14 der Sprung in den Landtag. Mit 24 war er der zweitjüngste Abgeordnete - jünger war nur die heutige Ko-Vorsitzende der Grünen Landtagsfraktion, Verena Schäffer.

    "Sorge um Studierende"

    Im Landesparlament ist der gebürtige Bielefelder heute Sprecher seiner Fraktion im Wissenschaftsausschuss und im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Mit Sorge blickt Bolte-Richter, der selbst noch im Masterstudiengang Politikwissenschaft an der Fernuniversität in Hagen eingeschrieben ist, deshalb auf die Folgen von Corona für Studierende: Schließlich jobbten zwei Drittel für ihren Lebensunterhalt - und mit den Shutdowns hätten sich viele Jobs etwa in der Gastronomie in Luft aufgelöst.
    Dennoch hätten bisher nicht einmal 10 Prozent der 770.000 Studierenden in Nordrhein- Westfalen Corona-Überbrückungshilfen erhalten. "Viele, denen das Wasser bis zum Hals stand, haben die Unis schon verlassen", klagt Bolte-Richter deshalb. Trotzdem zeige die NRW-Wissenschaftsministerin "keinerlei Interesse" an der Notlage vieler "Studis". Schließlich seien auch die Bundeshilfen "völlig unzureichend": Gezahlt werden maximal 500 Euro - dabei seien in vielen Universitätsstädten schon 400 Euro für ein WG-Zimmer fällig.
    Allerdings: Corona verdeutliche auch Zukunftschancen, findet der Grüne.
    Zusammen mit der energiepolitischen Sprecherin seiner Fraktion, Wibke Brems, hat Bolte- Richter schon im Sommer einen "Investitionspakt in Digitalisierung und Klimaschutz" vorgestellt. Glasfaser und 5G-Netz sollen danach verstärkt ausgebaut werden. "Noch heute verfügt fast die Hälfte aller Haushalte in NRW nicht über ausreichend schnelles Internet", ärgert sich der Ostwestfale.
    Dabei mache erst schnelles Netz Homeoffice möglich - und könne so helfen, Berufsverkehr ebenso zu reduzieren wie Behördengänge. Auch eine Verkehrswende weg vom Auto werde durch bessere Vernetzung von Bahn, Bus, Carsharing und Fahrrädern einfacher, hoffen die beiden Grünen. Starten werde die Umsetzung spätestens in zwei Jahren, glaubt Bolte-Richter mit Blick auf Umfragen, die die Grünen in NRW bei 20 Prozent und mehr sehen: "Ich gehe davon aus, dass wir 2022 wieder Teil der Landesregierung sind."
    Andreas Wyputta

    Zur Person
    Matthi Bolte-Richter (35) stammt aus Bielefeld. Nach dem Abitur 2004 studierte er Rechtswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Bielefeld. Das Studium schloss er mit dem Bachelor-Grad ab. Seit 2017 absolviert er zudem ein politikwissenschaftliches Studium an der Fernuni Hagen. Bolte-Richter ist seit 2010 Mitglied des Landtags und Sprecher seiner Fraktion im Wissenschaftsausschuss sowie im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Es ist kein "Lieblingsbuch" für gemütliche Stunden, aber "Früchte des Zorns" von John Steinbeck ist historisch und politisch immer wieder beeindruckend.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Punkrock, Ska und Liedermacher.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Sojasoße

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Die Nordsee

    ID: LI201020

  • Porträt: Wibke Brems (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 30.06.2020

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Wibke Brems. Die 39-jährige Ingenieurin ist Sprecherin der Grünen Fraktion für Klimaschutz und Energiepolitik.
    "Ich wollte die Welt retten", sagt Wibke Brems. 1998, noch vor ihrem 18. Geburtstag, ist die Abgeordnete aus Gütersloh bei den Grünen eingetreten. "1998 - das war das Jahr, in dem SPD und Grüne die Bundesregierung übernahmen", erinnert sich die 39-Jährige. 16 Jahre hatte Kanzler Kohl da regiert. Als Kind habe sie lange gedacht, "Bundeskanzlerhelmutkohl" sei ein Wort, erzählt Brems - das Amt also an die Person gebunden. "Doch dann gab es diese unglaubliche Aufbruchstimmung."
    "Wegen der Umweltpolitik" sei sie zu den Grünen gegangen, sagt Brems - und denkt an die massiven Proteste, die verhinderten, dass der Shell-Konzern die Nordsee-Ölplattform Brent Spar mit mehr als 100 Tonnen giftigem Ölschlamm im Nordatlantik versenkte. Auch das Ende der Atomkraftwerke war längst nicht beschlossen. "Ich war einfach entsetzt, wie wir mit unserer Erde umgehen", erklärt die Ingenieurin - "und habe dann gedacht: Du musst dich politisch engagieren."
    Politisch war auch die Wahl ihres Studienfachs. An der Fachhochschule Bielefeld hat Brems ab 2000 Elektrotechnik studiert - mit der Fachrichtung Erneuerbare Energien. "Ich wollte Technik verstehen und vermitteln", sagt sie. "Die Tüftlerin, die im stillen Kämmerlein Dinge erfindet, war ich nie."
    Umgesetzt hat die Ostwestfälin ihr Fachwissen dann in der Photovoltaik - zunächst als selbstständige Beraterin, danach bis zur Übernahme des Landtagsmandats 2010 als Leiterin des technischen Supports bei einem Photovoltaik- Großhändler in Paderborn. Parallel blieb sie bei den Grünen aktiv, war sachkundige Bürgerin, wurde Vorsitzende des Grünen-Kreisverbands Gütersloh. Seit 2004 ist sie Ratsfrau der Stadt.
    "Gütersloh ist Heimat", sagt die in Bremerhaven geborene Brems. Zwar stamme ihre Familie aus dem Bremischen, woran auch ihr Name erinnere.
    Sie war sieben Jahre alt, als die Familie wegen der Arbeit ihres Vaters nach Ostwestfalen zog. Im Gütersloher Stadtteil Kattenstroth hat sie zusammen mit ihrem aus Düsseldorf stammenden Mann Can Erdal, wie sie bei den Grünen und Experte für digitales Marketing, ein Holzhaus gebaut, auf dessen Dach natürlich eine Solaranlage Strom erzeugt.
    Im Landtag vertritt Brems für die Grüne Fraktion das "Zukunftsthema Nummer 1": die Energiepolitik und damit große Teile des Themas Klimaschutz. Dabei scheut die Umweltpolitikerin, die kein eigenes Auto hat, nur im Notfall auf Carsharing zurückgreift und gern mit dem Fahrrad in den Urlaub fährt, auch harte Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner nicht. Mehr als "pure Lippenbekenntnisse" gebe die Klimaschutz-Politik von CDU und FDP nicht her, erklärte sie etwa Ende Mai in einer Aktuellen Stunde des Landtags zum Ausstieg aus der Braunkohle.

    Kohleausstieg

    "Gegen eine breite Kohle-Front" argumentierten im Parlament allein die Grünen, ärgert sich Brems auch über die traditionell kohlefreundliche SPD: "Von den Klimawandel-Leugnern ganz rechts rede ich erst gar nicht." Die Energieexpertin setzt deshalb auf "die Mehrheit außerhalb des Landtags" - Umfragen bestätigten seit Jahren den Wunsch der Deutschen nach einem schnelleren Kohleausstieg. Das Feedback von außen, etwa durch die "Fridays for Future"- Bewegung, ist ihr wichtig: "Das zeigt mir, dass wir nicht allein sind."
    Die Verlangsamung der Erderwärmung sei "die wichtigste Aufgabe, die es zu lösen gilt" - davon ist die Grüne überzeugt. Überfällig sei aber auch ein vollständiger Atomausstieg und damit die Abschaltung von Deutschlands einziger Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau, die etwa das marode belgische Atomkraftwerk Tihange mit Brennstoff beliefere. Ob die Oppositionsrolle dann nicht frustrierend sei? Wibke Brems lacht. "Ich bin nicht in die Politik gegangen, um zu meckern, sondern um zu gestalten, um zu regieren."
    Dass dies - Stand heute - eine Koalition mit den Christdemokraten bedeuten dürfte, ist Brems klar: "Ich habe keine generellen Berührungsängste mit der CDU." Im Stadtrat von Gütersloh jedenfalls habe Schwarz-Grün funktioniert, als Ralph Brinkhaus, heute Vorsitzender der CDU-Bundestagsabgeordneten, dort noch Chef der Ratsfraktion war. "Mir geht es um konkrete Ergebnisse", sagt die Ingenieurin. "Wenn Inhalte wie mehr Klimaschutz, ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Schließung der Urananreicherungsanlage umsetzbar sind, kann ich mir Schwarz-Grün auch im Land vorstellen."
    Andreas Wyputta

    Zur Person
    Wibke Brems ist seit 15. Juli 2017 als Nachfolgerin von Sylvia Löhrmann Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags. Zuvor war sie bereits von Juni 2010 bis März 2012 sowie von Mai 2012 bis Mai 2017 Landtagsabgeordnete der Grünen. Seit 2016 ist sie eine der Vorsitzenden im Grünen-Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Ich lese gerne und sehr viel, von englischen über historische Romane zum Entspannen bis zu Sachbüchern über Klimaschutz und Feminismus zur Weiterbildung. Aus der Fülle kann ich mich für kein Lieblingsbuch entscheiden. Auf meinen Ebook-Reader passen alle drauf, daher ist das mein Lieblingsbuch.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Je nach Stimmung: Bei guter Laune muss es tanzbar und mitsingbar sein - von Robbie Williams über Beatles bis Lady Gaga. Zum Sinnieren hilft dagegen Klassik.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Selbstgemachtes Schokoladen-Eis.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Von Zuhause mit dem Rad in die Senne, eine einzigartige Naturlandschaft, die es verdient hätte, Nationalpark zu werden. Vom politischen Trubel kann ich am besten in den Wäldern und an den Seen Schwedens abschalten.

    ID: LI200519

  • Porträt: Berivan Aymaz (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 27.12.2019

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Berivan Aymaz (Grüne). Die 47-jährige Kölnerin kam mit 6 Jahren als Diplomatentochter aus der Türkei nach Deutschland - und verlor nach dem Putsch des Militärs ihren Pass. Aymaz hat Jura und Politikwissenschaft studiert und lange als Übersetzerin und Moderatorin gearbeitet.
    "Von einem Tag auf den anderen waren wir papierlos, ohne Pässe." Wer wissen will, warum Berivan Aymaz Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion für Integrationspolitik, Flüchtlingspolitik und Internationales ist, muss auf ihre Biografie schauen. 1972 in Bingöl, einer kurdischen Provinz in der Türkei, geboren, kam sie sechs Jahre später mit Mutter und Bruder nach Deutschland. Ihr Vater, zuvor Bürgermeister ihrer Geburtsstadt, war wenige Monate vorher Kulturattaché der türkischen Botschaft in Bonn geworden. Kurz vor dem Militärputsch 1980 kam es zu einem Regierungswechsel in der Türkei. Wegen seiner kurdischen Herkunft wurde Aymaz‘ Vater daraufhin abberufen, weigerte sich aber, in die Türkei zurückzukehren.
    "Er wusste, was ihm drohte", erzählt die Kölnerin Aymaz in ihrem Landtagsbüro. In der Türkei seien Onkel und Tanten verhaftet, manche auch gefoltert worden. In Deutschland zog das türkische Militärregime die Pässe der Familie ein. Der Kulturattaché versuchte, die Familie als Gemüsehändler über Wasser zu halten. Den Aufenthaltsstatus sicherte dann der ursprüngliche Beruf - vor seiner politischen Karriere hatte Aymaz‘ Vater als Lehrer gearbeitet. "Vor allem Gewerkschafter haben sehr um eine Bleibeperspektive für uns gekämpft", sagt die 47-Jährige. Die Familie zog nach Paderborn, später dann nach Köln.
    Noch heute bewundere sie ihre Eltern für den Umgang mit Statusverlust und Unsicherheit, sagt Aymaz: "Ich habe die großartige Erfahrung gemacht, dass sie ohne Angst und Trauer zu ihrer politischen Überzeugung gestanden und Haltung gezeigt haben."
    Schnell politisch engagiert hat sich auch Berivan Aymaz. Am Kölner Kaiserin-Theophanu-Gymnasium war sie Schülersprecherin. 1991 organisierte sie Schülerproteste gegen den von den USA angeführten zweiten Golfkrieg mit. Kurz vor dem Abitur aber wollte sie auf die Willy-Brandt-Gesamtschule: "Gymnasium - das war für mich peinlich und spießig. Ich musste auf eine Gesamtschule", erzählt sie lachend.
    Mit dem Abitur in der Tasche studierte Aymaz dann Rechtswissenschaften in Köln und Politikwissenschaften an der Universität (und ehemaligen Gesamthochschule) Duisburg-Essen. Beruflich war sie als Übersetzerin und Moderatorin tätig. Gleichzeitig engagierte sie sich im Kölner Menschenrechtsverein Tüday, der besonders die Türkei im Blick hat. 1993 war sie Mitgründerin des Dachverbands der deutsch-kurdischen Vereine, der Kurdischen Gemeinde Deutschland, - und bis 2003 deren Generalsekretärin. Außerdem arbeitete sie in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände und beim Zentrum für Kurdische Studien in Bonn.
    Bei den Grünen ist Berivan Aymaz seit 2009. "Das war eine ganz bewusste Entscheidung", sagt sie: "Ich war nie eine Karteileiche." 2012 gründete sie die Säkularen Grünen NRW mit. Denn vorschnell sei, von ihrer Herkunft auf ihren Glauben zu schließen: "Ich selber gehöre keiner Religionsgruppe an", sagt Aymaz: "Die Religionsfreiheit ist für mich aber ein hohes Gut."
    Belohnt wurde das Engagement der gut vernetzten Aktivistin auch bei den Grünen. 2013 war Aymaz Bundestags-Direktkandidatin, 2014 zog sie in den Rat der Stadt Köln ein. "Köln: Das ist meine Heimat", sagt sie - und schwärmt von der "Lebensqualität", der "Leichtigkeit im Alltag", mit der die "nicht-anonyme Großstadt" Menschen zusammenbringe.
    2017 gelang der Kölnerin der Sprung in den Düsseldorfer Landtag. Dort blickt sie kritisch auf die Politik des FDP-Integrationsministers Dr. Joachim Stamp. Der setze gegenüber Migrantinnen, Migranten und Geflüchteten auf "Zuckerbrot und Peitsche", klagt die Integrationspolitikerin nicht nur in ihrer Halbzeitbilanz: NRW zwinge nicht wenige Asylsuchende, bis zu zwei Jahre isoliert in Landesunterkünften zu leben. Andererseits verspreche die Landesregierung langjährig Geduldeten ein Bleiberecht. "Verunsicherung" sei das Ergebnis.
    Was fehle, sei die Einsicht, dass Deutschland und besonders Nordrhein-Westfalen längst Einwanderungsland sei - und bleiben werde, findet die Grüne. Um diese Migration zum Erfolg zu machen, bräuchten Einwanderinnen und Einwanderer sichere Perspektiven, mahnt die Landtagsabgeordnete, deren Aufenthaltsstatus einst selbst unsicher war - und fordert menschenwürdige Unterbringung, schnellen Zugang zur deutschen Sprache, gute Bildungsangebote. "Mein Traum ist eine Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr über ihre Herkunft definiert werden", sagt Aymaz, "sondern über die Werte, die uns hier alle zusammenhalten." Welche das sind? "Demokratie, Menschenrechte, die Gleichstellung von Mann und Frau, Minderheitenrechte."
    Andreas Wyputta

    Zusatzinformationen:
    Zur Person
    Berivan Aymaz wurde in Bingöl (Türkei) geboren. Die 47-jährige Grünen-Politikerin lebt in Köln und ist seit 1. Juni 2017 Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags. Sie ist ordentliches Mitglied im Innen-, Petitions- und Integrationsausschuss, wo sie auch Sprecherin ihrer Fraktion ist.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Es gibt viele Bücher, die mich faszinieren und in den unterschiedlichen Lebensabschnitten begleiten. Eine besondere Lektüre ist aber für mich Orlando, eine Biografie von Virginia Woolf. Ein Ritt durch vier Jahrhunderte und verschiedene Lebensentwürfe, eine großartige Parodie auf Raum und Zeit sowie über fließende Geschlechtergrenzen. Themen, die auch heute noch so gegenwärtig sind.

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Musik ist grenzenlos. So grenzenlos ist auch die Bandbreite der Musik, die ich gerne höre. Das kann von Jazz über Pop bis hin zu Folk divergieren. Kurdische Musik ist dabei für mich aber immer unverzichtbar. Daneben berührt mich auch persische Musik.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Einen erfrischenden Joghurt. Der passt einfach zu (fast) allem.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Es muss nicht weit weg sein. Europa ist für mich immer noch faszinierend. Es ist mir vertraut und es bleibt doch noch so viel zu entdecken.

    ID: LI191020

  • Porträt: Norwich Rüße (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 28.05.2019

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Norwich Rüße (Grüne). Der 53-Jährige aus dem münsterländischen Steinfurt gehört dem Landesparlament seit 2010 an. Er ist Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion für Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz.
    Wie seine Eltern auf seinen äußerst ungewöhnlichen Vornamen gekommen sind, das wird der Landtagsabgeordnete der Grünen Norwich Rüße wohl nie erfahren. Auf seine Fragen hat der heute 53-jährige Politiker jedenfalls keine Antwort erhalten. Und eigene Nachforschungen haben auch zu keinem Ergebnis geführt. Dafür hat ihm der seltene Name eine enge Verbindung zu der gleichnamigen englischen Stadt in Norfolk und deren Fußballverein verschafft, der gerade in die erste englische Liga aufgestiegen ist - sehr zur Freude von Norwich Rüße.
    Als er vor einigen Jahren mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern die idyllische Stadt mit knapp 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern besuchte und Karten für ein Spiel des Norwich City Football Club in der Geschäftsstelle abholen wollte, da waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort so begeistert über den Gleichklang der Namen, dass sie gleich den Teammanager riefen, der die Familie Rüße freundlich begrüßte und durch das ganze Stadion führte.
    Norwich Rüße ist nicht nur Landtagsabgeordneter und Sprecher seiner Fraktion für Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz. Gleichzeitig betreibt er den elterlichen Bauernhof in Steinfurt im nördlichen Münsterland, mindestens zweieinhalb Stunden Fahrzeit vom Landtag in Düsseldorf entfernt. 30 Hektar Nutzfläche, derzeit 17 Hereford-Fleischrinder und rund 250 Schweine versorgt er selbst. Beim Säen, Pflügen und Ernten, beim Füttern und Ausmisten hilft ihm nur eine Teilzeitkraft. Selbst beim Transport der Schweine zu einem Schlachthof in Unna sitzt Rüße selbst am Steuer.
    Die Doppelbelastung als Bauer und Politiker ist zwar, wie Rüße einräumt, "manchmal schwierig", aber sie habe auch Vorteile. "Ich beschäftige mich praktisch mit dem, was ich im Landtag bearbeite", sagt er. Landwirte merkten in Diskussionen schnell, ob ihre Gesprächspartner aus der Politik wüssten, worüber sie redeten, oder ob sie die Probleme nur aus der Theorie kennen. "Ich glaube, dass mir meine Arbeit auf dem Hof auch ein Stück Respekt eingebracht hat."
    Bei den Grünen Mitglied geworden ist Rüße, nachdem er schon einige Zeit als sachkundiger Bürger im Rat der Stadt Steinfurt mitgearbeitet hatte. Die Verwaltung wollte Ende der 90er- Jahre einen Campingplatz schaffen, an einem Ort, den Rüße für gänzlich ungeeignet hielt. Er nahm auf der Suche nach Verbündeten Kontakt zu den Fraktionen im Rat auf und fand die Grünen damals, wie er sagt, am nettesten, inhaltlich offen und für seine politischen Anliegen am besten geeignet. Damit habe er auch im Trend der Zeit gelegen: Nach anderthalb Jahrzehnten unter dem christdemokratischen Bundeskanzler Helmut Kohl habe sich Aufbruchstimmung breit gemacht, "es war spannend, zu den Grünen zu kommen", und eine sich abzeichnende Koalition mit der SPD sei zu einem "rot-grünen Projekt" stilisiert worden.
    Heute sieht Rüße die Koalitionsfrage erheblich nüchterner. Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der die SPD mit der CDU und anderen Parteien über Koalitionen rede, müssten auch die Grünen mit allen demokratischen Parteien über mögliche Regierungsbündnisse sprechen. Dabei fände er gerade bei seinem Spezialgebiet, der Agrarpolitik, ein Bündnis zwischen Grünen und der Union spannend. Denn dann müssten die beiden wichtigsten Widersacher auf diesem Feld einen Kompromiss aushandeln zwischen der mittlerweile zum großen Teil industriell betriebenen Landwirtschaft, die ihre Vertreterinnen und Vertreter in CDU und CSU habe, und der biologisch und extensiv angelegten Agrarstruktur, wie sie die Grünen vertreten würden.
    Seine Arbeit im Landtag mag Rüße "total gerne", die Atmosphäre in dem Rundbau am Rhein habe manchmal sogar "etwas Familiäres". Auch über einen Mangel an Einfluss könne er sich nicht beklagen, sodass er bislang allen Verlockungen, für den Bundestag in Berlin zu kandidieren, widerstanden hat.
    Nordrhein-Westfalen sei nicht nur ein Industrieland, sondern auch ein wichtiger Agrarstandort, betont Rüße. Mit allen möglichen Förderprogrammen, viele davon mit Geldern des Bundes und der Europäischen Union finanziert, entscheide das Land, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. Wichtige Debatten, etwa über den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung, würden von Nordrhein-Westfalen angestoßen und geführt. Oft sei es indirekter Einfluss, der aber größer sei, als es außerhalb wahrgenommen werde.
    Peter Jansen

    Zusatzinformation:
    Zur Person
    Norwich Rüße studierte nach dem Abitur Geschichte und Biologie für das Lehramt in Berlin. Von 1994 bis 1999 war er am Institut für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe tätig. Nach seinem Eintritt bei den Grünen war er von 2000 bis 2010 Geschäftsführer der Partei im Kreis Steinfurt. Seit Juni 2010 ist er Mitglied des Landtags und derzeit Obmann seiner Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss "Hackerangriff/Stabsstelle". Der 53-Jährige führt im Nebenerwerb den elterlichen Bauernhof in Steinfurt.

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Vilhelm Moberg, Die Auswanderer. Eine schwedische Chronik, 1949-1959. Vilhelm Moberg schreibt in höchst beeindruckender Art und Weise über die Auswanderung einer schwedischen Bauernfamilie in die USA. In vier Bänden wird der Abschied von der Heimat, das Ankommen in der Neuen Welt und das Gewinnen neuer Heimat geschildert. Die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen werden so gut dargestellt, dass man mitfühlt. Das macht diese Bücher absolut lesenswert!

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Ich mag musikalisch eigentlich sehr vieles - aktuell z. B. die Musik von Lady Gaga und Bradley Cooper zum Film "A star is born". Mein absolutes Lieblingsstück ist aber das Violinkonzert Nr. 1, g-Moll von Max Bruch.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Butter & Bier

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Schwierig - denn eines zu nennen, heißt, viele andere schöne Orte auszuschließen. Wenn es unbedingt sein muss: Spiekeroog! Oder doch Rügen ...?

    ID: LI190518

  • Porträt: Verena Schäffer (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 11 - 18.12.2018

    Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Die Parlamentszeitschrift Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten vor. Diesmal im Porträt: Verena Schäffer, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion. Die 32-jährige Historikerin ist seit 2012 Mitglied des Landesparlaments, lebt in Witten und bezeichnet sich als "Kind des Ruhrgebiets". Die Schwerpunktthemen der zweifachen Mutter: die Innenpolitik und Strategien gegen Rechtsextremismus.
    Mit 23 Jahren erstmals Abgeordnete, mit 25 Vize-Fraktionschefin, mit 30 Parlamentarische Geschäftsführerin - was kommt als nächstes? Verena Schäffer muss lachen. "Keine Ahnung, ich habe keinen Plan." Und selbst wenn, sie würde ihn nicht verraten. Jetzt wolle sie erst einmal ihren "Job gut machen und das mit den beiden Kindern hinkriegen". Seit die Grüne acht Wochen nach der Geburt ihres Sohnes wieder in Düsseldorf eingestiegen ist, verläuft ihr Alltag, sagen wir mal: sportlich.

    "Bis Mitternacht am Schreibtisch"

    Es ist Freitag, das Ende einer anstrengenden Plenarwoche. In der zweiten Fraktionsreihe hält Verena Schäffer die Stellung. Eine halbe Stunde später sitzt sie in ihrem nüchtern eingerichteten Büro, atmet durch. Hinter ihr steht der Kinderwagen. Die Babysitterin klopft an, um ihr ihren Jüngsten zu bringen.
    2010, als die ehrgeizige junge Frau nach ihrem Bachelor-Abschluss auf Berufspolitik umschaltete, vermisste sie weder Reisen noch abendliches Partymachen. Jetzt aber, da sie Familie hat, lernt sie die Kehrseite der parlamentarischen Medaille kennen. "Manchmal ist es schwierig", sagt die Wittenerin, "beides unter einen Hut zu bringen." Sie arbeite mehr als Vollzeit. Wenn ihr Sohn und seine dreijährige Schwester abends im Bett liegen, sitzt sie regelmäßig bis Mitternacht am Schreibtisch, beantwortet E-Mails, liest Unterlagen.
    Nein, sie beklagt sich nicht. Als "PG" mache es ihr "großen Spaß, die parlamentarische Arbeit im Hintergrund zu organisieren". Sie fühlt sich privilegiert, sei ihre eigene Chefin und gut genug bezahlt, um eine Babysitterin zu finanzieren, die sie und ihr Kind nach Düsseldorf begleitet. Und sie wünscht sich mehr junge Mütter und Väter in den Parlamenten. "Kinder erden und geben einem andere Einblicke in die Welt", sagt sie, "das brauchen wir." Dass nicht einmal ein Drittel der Abgeordneten im Landtag weiblich ist, findet sie absurd.

    "Alt-Hebräisch als Fremdsprache"

    Das Interesse an den Themen Frauen und Gleichberechtigung ist es auch, das sie 2004 zu den Grünen lockt. Politisches Gespür regt sich schon vorher, als die Schülerin ein Jahr in Kalifornien verbringt, wo ihr die "krassen gesellschaftlichen Gegensätze" auffallen. Sie lebt in einer christlich-konservativen Familie, findet Freunde aber vor allem im links-alternativen Umfeld.
    Ihr Eintritt in die Grünen ist der Beginn eines stetigen Aufstiegs. Schon 2006 wird sie Sprecherin der Grünen Jugend NRW. Gleichzeitig engagiert sie sich gegen Rechtsextremismus in Witten, wählt Alt-Hebräisch als vierte Fremdsprache in der Schule, studiert später Geschichte und Jüdische Studien in Düsseldorf. Auch das ebnet den Weg in ihre späteren politischen Fachbereiche, die Innenpolitik und die Strategien gegen Rechtsextremismus.

    "Tief in den Sachthemen"

    Als die Grünen vor der Wahl 2010 junge Leute für ihre Landesliste suchen, ist sie zur Stelle. Sie ist gut vernetzt, wird gewählt - und als jüngste Abgeordnete von manchem Routinier im Landtag kritisch-neugierig beäugt. In ihrer Fraktion ist sie schnell akzeptiert. Anders im Innenausschuss, der traditionell von Männern dominiert ist. "Da hatte ich das Gefühl, als Frau immer mehr arbeiten zu müssen, um anerkannt zu werden", erinnert sie sich. Seither hat sie den Ruf, tief in Sachthemen einzudringen.
    Das Baby auf ihrem Arm quengelt ein wenig, das Gespräch ist vorbei. Beim Hinausgehen öffnet Verena Schäffer die Tür zum "Eltern- Kind-Büro" - das Kinderzimmer ihrer Fraktion, das gern genutzt wird. Dem Besucher fällt der frühere SPD-Regierungschef Peer Steinbrück ein, der sich einst über die Grüne Barbara Steffens mokierte, weil diese ihr Baby mit in eine Krisensitzung genommen hatte.
    Es geht also voran, immerhin.
    Theo Schumacher

    Zusatzinformation:
    Zur Person
    Verena Schäffer ist seit 2010 Mitglied des Landtags. Von August 2012 bis Mai 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, seit Mai 2017 ist sie Parlamentarische Geschäftsführerin der Landtagsfraktion. Verena Schäffer kam in Frankfurt zur Welt, doch ihre Familie zog schon bald ins Revier. An ihre Geburtsstadt hat sie keine Erinnerung. Sie sagt: "Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets."

    Nachgefragt
    Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
    Die Romane des israelischen Schriftstellers Amos Oz, insbesondere die Bücher "Von Liebe und Finsternis" und "Unter Freunden".

    Welche Musik hören Sie gerne?
    Die Songs der Toten Hosen, vor allem deren Punkrock aus den Anfangsjahren.

    Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
    Vanillepudding.

    Ihr liebstes Reiseziel?
    Island mit seiner einzigartigen und faszinierenden Natur.

    ID: LI181122

  • Porträt: Arndt Klocke (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 5 - 23.05.2018

    Die Sitzung im Verkehrsausschuss war gerade vorbei, da twitterte Arndt Klocke es in alle Welt: Die Landesregierung wolle das Sozialticket abschaffen - eben jenes Ticket, für das die Grünen sich jahrelang so stark gemacht hatten; sozial benachteiligte Menschen können damit vergünstigt im öffentlichen Nahverkehr fahren. Noch immer ist Arndt Klocke fassungslos, als er mehr als ein halbes Jahr später im Kreisbüro der Grünen am Ebertplatz in Köln sitzt. Als er im Herbst seinen Tweet verschickte, reagierten da- rauf Tausende Menschen. Ein fulminantes Echo. Der Rest ist bekannt: Der Widerstand wuchs, die Regierung ruderte zurück, das Sozialticket blieb. Und wieder einmal hatte sich für Arndt Klocke gezeigt, dass er wach sein muss als Politiker - und er auch in der Rolle der Opposition etwas erreichen kann. "Ich trete an, um etwas zu bewegen", sagt der gebürtige Ostwestfale.
    Seit 2010 ist Klocke Abgeordneter im Landtag, Schwerpunkte: Verkehr, Hochschule, Bauen und Wohnen. Im Mai 2017 wurde er zum Fraktionsvorsitzenden gewählt und bildet seitdem mit Monika Düker die Doppelspitze der Grünen. Mehr als ein halbes Dutzend Termine habe er im Schnitt pro Tag, zudem die Debatten und seine Reden im Plenum, die er aus einer "kritisch-konstruktiven Haltung" der Opposition hält, wie er es nennt. Hinzu kommen Hintergrundgespräche, Vernetzungstreffen mit Grünen-Politikern aus Bund und Ländern sowie Besuche vor Ort in ganz Nordrhein-Westfalen. Ja, sein Kalender sei "rappelvoll", sagt der 47-Jährige. Bei Arbeitstagen von zwölf bis 14 Stunden müsse er darauf achten, dass die Belastung nicht zu groß werde. Aber er habe auch gelernt, seine "Work-Life-Balance" im Blick zu halten.
    Es klingt eher nebensächlich, wie er erzählt, worüber andere lieber schweigen, zumal als Spitzenpolitiker: In der Vergangenheit habe er mit Depressionen zu kämpfen gehabt; vor vier Jahren sei er wegen eines Burn-outs zwei Monate stationär in Behandlung gewesen. Im Dezember 2017 erzählte Klocke einem Reporter davon und machte ein Tabuthema öffentlich, um ein Zeichen zu setzen. Und das Echo sei überwältigend gewesen: Auf den Zeitungsartikel habe er mit Abstand die meisten Rückmeldungen in seiner Zeit als Politiker bekommen. Nicht nur in virtuellen Netzwerken, auch in Briefen und Gesprächen werde er darauf angesprochen, bis heute. "Es ist ja ein gesellschaftliches Thema, das sehr viele Menschen betrifft", sagt Klocke, der eine Debatte anstoßen möchte. "Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen dringend mehr psychologische Beratungsstellen und Therapieplätze."
    Er selbst ist wieder gesund und voll belastbar. Damit das auch so bleibt, sei wichtig, sich auch mal einen freien Nachmittag zu gönnen: mit Yoga, Fahrrad fahren am Rhein oder einem Museumsbesuch; oft gemeinsam mit seinem Lebensgefährten, dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann. Ein paar Stunden genügten, um die Akkus aufzuladen. "Ich erhole mich schnell", sagt Klocke, als er auf dem grünen Sofa im Büro sitzt, mit Polohemd, Jeans und weißen Sneakern.
    Bei seinen Aufgaben als Fraktionsvorsitzender hilft ihm seine politische Erfahrung: Klocke wuchs in einem SPD-nahen Elternhaus auf, der Vater war Stadtkämmerer in Vlotho, die Mutter Einzelhandelskauffrau. Während der Schulzeit kam er über eine Freundin in Kontakt mit den Grünen und fand in den 1980er-Jahren dort seine politische Heimat. Er leitete den Kreisverband der Partei in Münster, bevor er Ende der 1990er-Jahre nach Köln zog, um dort das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Kerstin Müller und Volker Beck zu leiten. Die Zeiten haben sich geändert, aber die Ziele sind geblieben: ökologisch, sozial und gerecht - das seien nach wie vor die Grundsätze der Grünen, sagt Klocke. Und so will er die Fraktion mit der Landtagswahl 2022 wieder in die Regierung führen. Und dann? Nein, er müsse nicht sein Leben lang als Politiker arbeiten, auch wenn das ein Herzensanliegen sei. Er könne sich auch vorstellen, Akzente woanders zu setzen, etwa in der genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft oder bei Projekten zur Verkehrswende. Hauptsache, etwas bewegen und weiter engagiert zu Werke gehen.
    Thomas Becker

    Zusatzinformation:
    Zur Person
    Arndt Klocke (47) ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag. Er lebt in Köln.

    ID: LI180517

  • Porträt: Monika Düker (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 02.05.2018

    Der Weg in die Politik begann für Monika Düker, heute gemeinsam mit Arndt Klocke Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, mit Protest und Widerstand. Es könne doch nicht sein, dass Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben und in die Obdachlosigkeit geschickt werden, weil ein Spekulant die schnelle Mark habe machen wollen, sagt sie. Düker war damals Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum der Arbeiterwohlfahrt in Düsseldorf.
    In jener Zeit hätten "Immobilienhaie" in dem sozialen Brennpunktgebiet die Menschen, darunter viele Türken und Roma, vor die Tür setzen wollen, um dort Luxussanierung in großem Stil zu betreiben. Als einzige politische Partei hätten sich die Grünen um die Not der Mieter gekümmert. Die Grünen fragten die junge Sozialpädagogin, die erst kurz zuvor aus dem ostwestfälischen Höxter an den Rhein gezogen war, ob sie nicht Lust habe, bei den Kommunalwahlen für sie zu kandidieren. Monika Düker, obwohl damals noch kein Parteimitglied, hatte Lust, wurde gewählt und gehörte von 1989 an dem Rat der Landeshauptstadt an. Nicht aus Dankbarkeit, sondern aus Überzeugung trat sie dann der Partei bei, die sie schon immer aus Gründen der Ökologie gewählt hatte.

    Wechsel in die Landespolitik

    Nach zehnjähriger Arbeit in der Kommunalpolitik wurde Monika Düker vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal in den Landtag gewählt. Auch nach dem Wechsel in die Landespolitik blieb sie den sozialpolitischen Fragen, für sie eine Herzensangelegenheit, immer treu, u. a. als flüchtlingspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
    Der Wechsel in die Opposition nach der Landtagswahl vor einem Jahr, bei der die Grünen- Fraktion auf 14 Mitglieder schrumpfte, ist der Abgeordneten nicht leichtgefallen. "Regieren ist schöner", sagt sie und das konnten die Grünen zuvor fast zwei Jahrzehnte lang, mit fünfjähriger Unterbrechung. Aber der Wechsel in die Opposition sei in einer Demokratie normal und dürfe nicht völlig frustrieren. Die Arbeit habe sich gegenüber den früheren Legislaturperioden allerdings erheblich verändert. Jeder Abgeordnete müsse jetzt deutlich mehr Themen und eine größere Region abdecken. Sie selbst, die bislang vor allem für Fragen der Innen- und Rechtspolitik zuständig war, kümmert sich mittlerweile u.a. auch um die Haushalts- und Finanzpolitik. Als Abgeordnete betreut sie neben ihrem Wohnort Düsseldorf zusätzlich das Bergische Land und reist zudem oft in ihre ostwestfälische Heimat.
    In der Opposition im Landtag gibt es keine Koalition mehr mit dem langjährigen Regierungspartner SPD. Im Gegenteil, beim grünen Kernthema Energie- und Klimapolitik seien die erheblichen Unterschiede zu den Sozialdemokraten sehr viel deutlicher geworden, sagt Monika Düker. Auf diesem Feld sieht sie auch die größten Differenzen mit der neuen Regierung von CDU und FDP. Das Festhalten an der Braunkohleverstromung, Hürden für die Windkraft, fehlende Konzepte in der Diesel-Debatte und die konventionelle Landwirtschaftspolitik sind in ihren Augen schwere Fehler. Dabei wollen die Grünen nicht von vornherein zu allem Nein sagen, was von der Regierung kommt: "Wir sind eine konstruktive und kritische Opposition." Als Beispiel für Übereinstimmung im Grundsatz nennt sie den Beschluss, in der Schulpolitik wieder zum Abitur nach neun Jahren zurückzukehren.
    Um fit zu bleiben, geht Monika Düker regelmäßig schwimmen und zwar möglichst lange Strecken. Ihr größtes Interesse gilt neben der Politik alter Geschichte. Als Schülerin hat sie davon geträumt, Archäologin zu werden, und noch heute findet sie die Welt der alten Ägypter und Römer hoch spannend. Für die Zukunft hat sie zwei Wunschträume: Politisch möchte sie erleben, dass das letzte Braunkohlekraftwerk in NRW sehr bald vom Netz geht, und privat will sie noch einige Nationalparks im südlichen Afrika besuchen.
    Peter Jansen

    Zur Person
    Monika Düker (55) ist seit 2000 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags und seit 1989 Mitglied der Grünen. Von 2010 bis 2012 war sie Vorsitzende im Innenausschuss, von 2010 bis 2014 neben der Abgeordnetentätigkeit zusammen mit Sven Lehmann Vorsitzende der NRW-Grünen. Monika Düker lebt in Düsseldorf.

    ID: LI180418

  • Porträt: Oliver Keymis (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 22.12.2017

    Oliver Keymis ist vorbereitet, wenn es einmal anders kommt. "In der Politik muss man immer wissen, dass es vorbei sein kann", sagt der 57-jährige Meerbuscher. Das klingt recht überraschend aus dem Mund eines Abgeordneten, der immerhin viermal in Folge zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt wurde. Koalitionen kamen, Koalitionen gingen: Er blieb. Demokratie mag vom Wechsel leben - Oliver Keymis lebt von Konstanz.
    Seit er im Jahr 2000 ins Parlament einzog, ist aus dem grünen Quereinsteiger ein Evergreen geworden. Dabei deutet sich eine politische Karriere gar nicht an, als Keymis 1984 sein Studium in Köln nach der Zwischenprüfung abbricht, um am Düsseldorfer Schauspielhaus als Regieassistent anzufangen. Das bedeutet ihm viel: die Arbeit an einem renommierten Sprechtheater und die Aussicht, von der Theaterkunst den Lebensunterhalt bestreiten zu können.

    Regie mit Millowitsch

    Es wird der Einstieg in einen Beruf, der ihn als Regieassistent und Bildregisseur zum Fernsehen bringt und schließlich als freischaffenden Regisseur an mehrere Landes-, Stadt- und Staatstheater. Mit Willy Millowitsch führt er in Köln im Auftrag des WDR Regie für den Schwank "Tante Jutta aus Kalkutta", in Graz inszeniert er die Dreigroschenoper. Für Keymis ist es eine prägende Zeit. Gerade hat er die Schauspielerin Andrea Sawatzki, längst prominent, bei einer Kinopreis-Verleihung wiedergetroffen. 27 Jahre zuvor spielt die noch unbekannte junge Frau die Hauptrolle in einem Stück von Dario Fo, das Keymis an einer norddeutschen Provinzbühne in Szene setzt.
    "Eher SPD-nah" war sein Elternhaus, erzählt der gebürtige Düsseldorfer in seinem Landtagsbüro, "ich wurde liberal und weltoffen erzogen". Die "Willy wählen"-Kampagne pro Brandt politisiert den Zwölfjährigen. Erst später wird ihn der Einsatz für den Naturschutz zu den Grünen ziehen - und in die Politik. Als die Rheinquerung der A44 bei Meerbusch gebaut werden soll, kämpft er jahrelang dagegen. Am Ende kommt die Autobahnbrücke, aber die Widerständler ringen den Planern wichtige Teilerfolge ab. "Wir hatten verloren", erinnert sich Keymis, "aber nicht null zu fünf, sondern drei zu fünf."
    Die Arbeit in der Bürgerinitiative lehrt ihn auch, "dass man Kompromisse erzielen kann und lernen, damit zu leben". Bis heute fühlt er sich bestätigt durch das Naturerlebnis in der Ilvericher Altrheinschlinge. Die Grünen werden auf Keymis aufmerksam. Landtagsfraktionschefin Gisela Nacken ruft ihn an, will ihn als Verstärkung für den in ihrer Partei schwächelnden Kulturbereich gewinnen. Im Dezember 1997 wird Keymis Mitglied der Grünen. Genau an dem Tag, als SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement den Rahmenbetriebsplan für den bitter umkämpften Braunkohletagebau Garzweiler II unterschreibt.
    Dann geht alles schnell. Keymis tritt 1999 als Bürgermeisterkandidat in Meerbusch an. Kurz darauf stellt er sich beim Grünen-Parteitag der Kampfkandidatur um einen Listenplatz für die Landtagswahl. Statt den bei solchen Anlässen üblichen groben Klotz auszupacken, lässt er mit einer Rede über Heine, Tucholsky und das Verhältnis von Geist und Macht aufhorchen - und wird nominiert. Ein halbes Jahr darauf sitzt er im Landtag. Dort begegnet er Clement wieder, der inzwischen Regierungschef der rot-grünen Koalition ist. "Sie habe ich auch der A44 zu verdanken", frotzelt der SPD-Mann.
    Lange her. Im Oktober 2006 wird Keymis als Nachfolger des grünen "Realissimo" Michael Vesper erstmals Vizepräsident des Landtags. Er ist es bis heute. Was auch bleibt, ist sein Credo, das er von Hannah Arendt übernommen hat: "Der Sinn von Politik ist Freiheit." Und es bleibt die Liebe zu Theater, Kino und Kunst, die der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien privat pflegt. Gemeinsam mit seiner Frau Gabi, mit der er seit 40 Jahren zusammen ist. Und das ist noch eine Konstante.
    Theo Schumacher

    Zusatzinformation:
    Zur Person
    Oliver Keymis (57) zog erstmals am 2. Juni 2000 in den Landtag ein. Der Vizepräsident war vor sieben Jahren Mitbegründer der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, deren Vorsitzender er auch ist.

    ID: LI171120

  • Porträt: Dagmar Hanses (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 3 - 21.03.2017

    "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", fasste Erich Kästner seine Moral-Philosophie gut zusammen: Nur in unseren Handlungen zeige sich, ob wir gut sind oder nicht. Ein wenig passt diese Philosophie auf die zurückhaltende Landtagsabgeordnete Dagmar Hanses (GRÜNE), die fernab von allen Aufgeregtheiten im Düsseldorfer Parlamentsbetrieb ihre Arbeit verrichtet. In grün-leuchtender Wetterjacke erscheint sie an der Kaffeebar des NRW-Landtags ein wenig außer Atem, aber schließlich dennoch entspannt, fröhlich und freundlich, um Fragen nach ihrer Person zu beantworten.
    Sie ist 41 Jahre alt, ledig, hat drei Patenkinder und ist Single. Sie ist eine Leseratte ("Ich habe mindestens 6.000 Bücher") und backt außerdem gerne Kuchen, wie sie betont. Zuletzt die Hochzeitstorte für einen Landtagskollegen. Soviel zum Privaten.
    Die gelernte Erzieherin hat, im Gegensatz zu vielen ihrer Landtagskollegen, eine sehr bodenständige Biografie. Nach der mittleren Reife und Ausbildung zur Erzieherin erlebte sie in einem Kölner Kinderheim von 1995 an vier Jahre lang, was es heißt, wirklich für Kinder da zu sein: etwa wenn Eltern drogenabhängig sind, Kinder als sogenannte Klaukids abgestempelt werden und mit sieben Jahren bereits ein Hausverbot im Kaufhof haben. Sie kümmerte sich um Kinder, bei denen andere Menschen bereits alle Hoffnung aufgegeben hatten. Dagmar Hanses biss sich durch. In anderen Stationen ihres Lebenswegs war sie für die Resozialisierung von Jugendlichen zuständig. Später übernahm sie in Warstein die Leitung eines Jugendzentrums von 2001 bis 2010.

    Wie alles begann

    Schon 1993 fand sie ihre politische Heimat bei den GRÜNEN. Damals war sie erst 18. Anlass für ihr Engagement sei die Diskussion über die Errichtung eines Frauenhauses im Kreis Olpe gewesen. "SPD und CDU argumentierten mit unterschiedlichen Ausflüchten, warum das Frauenhaus nicht gegründet werden könne. Und die GRÜNEN stellten einen Antrag im Kreistag. Das Frauenhaus wurde gegründet. Das hat mich beeindruckt", erinnert sich Hanses. Danach wollte sie auch aktiv mitmischen. Und wie: Schon 1995 war sie Ratsmitglied in Lennestadt, wurde nebenher mit anderen Parteifreunden Gründungsmitglied der "Grünen Jugend" und wurde schließlich nach einigen Parteiämtern auf der Karriereleiter Sprecherin des Bezirksverbands Westfalen im Jahr 2010. Im gleichen Jahr wurde Dagmar Hanses von ihrer Partei als Landtagskandidatin aufgestellt und erlebte hautnah mit, welche Herausforderungen es in einer rot-grünen Minderheitsregierung gibt. "Das war aufregend, anstrengend und bereichernd", erinnert sich die Abgeordnete. Sie will nicht ausschließen, dass nach der Landtagswahl im Mai SPD und GRÜNE womöglich wieder in einer Minderheitsregierung Verantwortung in Nordrhein-Westfalen übernehmen müssen.
    Nach den derzeitigen Umfragen könnte es knapp für eine rot-grüne Mehrheit werden. Das liegt auch daran, dass die GRÜNEN derzeit wohl nicht mehr mit einem zweistelligen Stimmenergebnis rechnen können. Sie selbst wurde auf Platz 19 der GRÜNEN-Landesliste platziert, 2012 war sie noch auf Platz 17. 29 Abgeordnete zogen damals bei einem Stimmenanteil von 11,3 Prozent ins Parlament ein. "Ich bin aber sehr zuversichtlich, wieder in den Landtag gewählt zu werden", sagt Dagmar Hanses. Eigentlich will sie keinen Gedanken daran verschwenden, dass sie in wenigen Wochen nicht mehr in der Rechts- und Jugendpolitik an ihren Projekten arbeiten könnte. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie und man nimmt es ihr auch ab.
    Als größten Erfolg in ihrer siebenjährigen Landtagszugehörigkeit bezeichnet sie den Kinder- und Jugendförderplan, den sie gemeinsam mit Koalitionskollegen von GRÜNEN und SPD habe durchsetzen können. Das Geld für diese Arbeit sei im Landeshaushalt erheblich aufgestockt worden. Und auch bürokratische Hindernisse für die ehrenamtliche Tätigkeit oder für freie Träger seien weitgehend abgebaut worden. In der Jugendpolitik will sie weiter an dem dicken Brett bohren, bei Landtagswahlen das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen. Hanses sieht dies pragmatisch: "Jugendliche dürfen bereits jetzt ihren Oberbürgermeister wählen - warum also nicht auch Landtagsabgeordnete?"
    Heinz Tutt

    ID: LI170317

  • Porträt: Mario Krüger (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 22.03.2016

    Sich selbst bezeichnet Mario Krüger als "grünes Urgestein". Noch in der Gründungsphase trat er 1982 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei und half zunächst in Mettmann und dann in Dortmund, aus der lockeren Bewegung eine Partei zu formen. "Politisch interessiert war ich schon immer. Das grüne Projekt fand ich dann einfach spannend und wollte so schnell wie möglich dabei sein", erinnert sich Krüger. Themen wie die Nachrüstung und die Anti-Atom-Bewegung sowie die Mitarbeit bei Amnesty International hätten ihn politisch geprägt. Seit 2012 sitzt Krüger nun im nordrhein-westfälischen Landtag.
    Als Berufspolitiker sieht sich der Familienvater aber nicht. "Ich bin finanziell unabhängig und könnte jederzeit in mein Berufsleben zurück. Das ist mir sehr wichtig", sagt er. Durch diese Freiheit entstehe eine gewisse Gelassenheit, die manch einem Karrierepolitiker fehle. Bevor er bei der vorgezogenen Neuwahl im Mai 2012 über die Landesliste der GRÜNEN in den Landtag einzog, war Krüger als Krankenhausplaner tätig. Nach seinem Realschulabschluss 1973 in Dortmund absolvierte er vier Jahre lang eine Ausbildung zum Technischen Zeichner und machte dann die Fachhochschulreife. Es folgte ein Studium der Versorgungs- und Umwelttechnik an der Fachhochschule Köln, das er 1982 als Diplom-Ingenieur beendete, und danach verschiedene Tätigkeiten bei Firmen und Unternehmen. Doch was genau macht so ein Krankenhausplaner überhaupt? "Es geht um die komplette technische Ausstattung eines Krankenhauses: Energieversorgung, Wasseraufbereitung, Gasherstellung, Brandschutz, Klima- und Lufttechnik. Etwa die Hälfte der Gesamtbaukosten fließen in den technischen Bereich", erzählt Krüger.
    Der Job, zuletzt als Abteilungs- und Niederlassungsleiter in einem Ingenieurbüro in Dortmund, war allerdings nur ein Teil im Leben vor dem Landtag. Einen nicht unwesentlichen Teil verbrachte Krüger als Kommunalpolitiker. Seit 1984 bekleidete er verschiedene politische Ämter. Sei es als Fraktionssprecher in der Bezirksvertretung Lütgendortmund (1984 bis 1989), als Einzelkämpfer in der Bezirksvertretung Huckarde (1989 bis 1994), als Mitglied (1994 bis 2012) und Fraktionssprecher (2001 bis 2012) im Rat der Stadt Dortmund oder als Fraktionssprecher im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (2004 bis 2012). Denkt Krüger an diese Zeit zurück, erinnert er sich vor allem an die viele Arbeit durch die Doppelbelastung von Job und Politik. "Manchmal fühlte man sich wie ein Hamster im Laufrad", sagt er. Nach der Arbeit ging es an den heimischen Schreibtisch oder zu Sitzungen. Und auch am Wochenende musste die Familie oftmals auf ihn verzichten. 90 Stunden pro Woche oder noch mehr seien für all das draufgegangen. Mit dem Einzug in den Landtag habe sich dies aber geändert. Durch den professionellen Apparat im Hintergrund könne er sich auf seine Themen konzentrieren und werde entlastet.
    Seine Themen, das sind die Finanzen und das Kommunale. Anfangs wollte sich Krüger im Landtag eigentlich der Verkehrspolitik widmen. Doch Bedarf gab es an anderer Stelle, und er wurde Sprecher im Ausschuss für Haushaltskontrolle sowie im Ausschuss für Kommunalpolitik. "Zwei interessante Bereiche", sagt Krüger mittlerweile. So agiere er als Bindeglied zwischen der Landes- und der Kommunalebene und sei für viele Parteikollegen vor Ort der Ansprechpartner, wenn es darum gehe, die Auswirkungen von Landtagsbeschlüssen auf die Städte und Gemeinden zu besprechen. Und als bekennender Zahlenmensch, der sich gerne durch Aktenberge arbeitet, scheint der Haushaltsbereich wie für ihn gemacht.
    Besonders wichtig war Krüger die Mitarbeit in der interfraktionellen Ehrenamtskommission, die Strategien entwickelt hat, um das kommunale Ehrenamt auch angesichts des gestiegenen Aufgaben- und Zeitaufwands attraktiv zu halten und zu stärken. "Das kommunale Ehrenamt ist eine wichtige, unverzichtbare Säule der Demokratie. Die Entscheidungen, die vor Ort getroffen werden, betreffen die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar." Das galt auch für die Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs und die enge Begleitung des Stärkungspakts Stadtfinanzen. "Wir brauchen wieder handlungsfähigen Kommunen", so Krüger, der seine Wurzeln nicht vergessen hat.
    Christian Wolf

    ID: LI160221

  • Persönlich: Andrea Asch (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 30.04.2015

    Andrea Asch sagt von sich selbst, sie habe eine urgrüne Biografie. Die 56-jährige grüne Landtagsabgeordnete wuchs in einem evangelischen Elternhaus auf, in dem oft schon am Frühstückstisch über Politik diskutiert wurde, nicht zuletzt deshalb, weil ein großer Teil der Familie in der damaligen DDR lebte. Schon mit 16 Jahren machte sie bei den ersten großen Demonstrationen gegen Atomenergie mit und engagierte sich früh in der Friedens- und der Frauenbewegung. Ihr politisches Leitmotiv war dabei von Anfang an das Thema Gerechtigkeit, die seitdem immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich. Spätestens als Studentin entschied sie für sich, dass sie mit ihren politischen Vorstellungen am besten bei den Grünen aufgehoben ist.

    Politik für Familien

    Das Thema Gerechtigkeit bestimmt auch heute die politische Arbeit der studierten Diplom-Psychologin, ob als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Familien-, Kinder- und Jugendpolitik oder als Sprecherin der Grünen für diese Fragen sowie für Eine-Welt-Politik und Kirchenfragen. Denn auch wenn das Thema Eine Welt, Hilfe für viele Länder in Afrika und Asien nicht im Mittelpunkt der Landespolitik steht, so können weder Landesregierung noch Landtag die Probleme globaler Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit außer Betracht lassen. Das reicht von direkten Hilfen für das nordrhein-westfälische Partnerland Ghana und die Provinz Mpumalanga in der Republik Südafrika bis zu den Auswirkungen hier getroffener politischer Entscheidungen auf die Dritte Welt. Für Frau Asch steht dabei die Frage im Vordergrund, wie man den afrikanischen Staaten und vielen anderen Schwellenländern auf anderen Kontinenten helfen kann, ihren natürlichen Reichtum an Bodenschätzen auch in Euro und Dollar umzusetzen.
    Im Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit geht es nach wie vor um Politik für Familien, vor allem Familien mit Kindern. Andrea Asch ist selbst Mutter von drei Kindern im Alter zwischen 16 und 21 Jahren und sie hat es in ihrem eigenen Leben erfahren, wie schwierig es ist, die Arbeit als Psychologin an einem sozialtherapeutischen Zentrum, das politische und ehrenamtliche Engagement und die Aufgaben in der Familie miteinander zu vereinbaren. Als ihre Kinder klein waren, gab es gerade mal für 5 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze, heute sind es in vielen Städten und Gemeinden bis zu 50 Prozent aller Ein- und Zweijährigen, die in Kitas betreut werden können. "Das ist für junge Familien eine große Entlastung" und in den Augen der grünen Politikerin auch ein großer Erfolg der rot-grünen Familienpolitik. Nachholbedarf bei der Betreuung der Jüngsten sieht sie bei den jungen Vätern. Ein Vorbild ist dabei ihr eigener Ehemann. Als sie sich 2004 entschloss, aus dem ehrenamtlichen politischen Engagement ihren Hauptberuf zu machen und 2005 in den Landtag gewählt wurde, zog ihr Mann mit und reduzierte seine berufliche Arbeit auf einen Halbtagsjob.
    Die nächste große Aufgabe der Landespolitik im Bereich der Familienpolitik ist nach Ansicht von Frau Asch, in Zusammenarbeit mit den Kommunen die Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Kindertagesstätten zu verbessern. Schwierig ist es dabei vor allem, die nahezu landesweit unter Geldnot leidenden Kommunen mit ins Boot zu nehmen. "Wir müssen den Kommunen klarmachen, dass Bildungspolitik auch Standortpolitik ist, und der Kindergarten ist der erste Bildungsbereich", ist die Grüne zuversichtlich. Sie gibt zu bedenken, dass immer häufiger Unternehmen ihre Entscheidungen, wo neue Niederlassungen gegründet werden, nicht zuletzt von der bildungspolitischen Situation vor Ort abhängig machen.
    Ebenso wichtig wie ihre politische Arbeit ist für Andrea Asch ihr kulturelles Engagement. Seit drei Jahren ist sie Vorsitzende des Kulturfestivals "Sommerblut", einem Inklusionsprojekt, bei dem in diesem Jahr 400 Künstler bei 80 Veranstaltungen mitmachen. Auftreten und mitmachen werden dabei auch Menschen mit Behinderungen, Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, benachteiligte Jugendliche und Insassen der Kölner Haftanstalt.
    Peter Jansen

    ID: LI150318

  • Portrait: Arndt Klocke (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 09.04.2014

    Arndt Klocke wird gleich von Ostwestfalen-Lippe erzählen, aber zunächst sieht er die beiden Polizisten am Tresen des Landtags-Cafés stehen. Sie grüßen ihn freundlich wie einen Bekannten. "Alles wieder in Ordnung", ruft der Grünen- Parlamentarier hinüber. Einige Tage zuvor hatte es Irritationen gegeben, als Klocke draußen den Landtag mit seinem Smartphone fotografierte. Beamte hielten ihn an und verlangten die Personalien, aus Sicherheitsgründen, Terrorverdacht. Der Abgeordneten-Ausweis genügte nicht; er musste seinen Personalausweis vorzeigen. Die Polizisten prüften lange und schienen streng gewesen zu sein. Jedenfalls fühlte sich der verkehrspolitische Fraktionssprecher von der Staatsmacht schikaniert und ging danach seinerseits auf Konfrontation. Die Lokalzeitungen berichteten. Dann sprachen sich Klocke und der Polizist im Landtag aus. Sogar Düsseldorfs Polizeipräsident war mitgekommen, um die Angelegenheit gütlich beizulegen. Seitdem ist die Sache geklärt, und Klocke hat demonstriert, dass er sich wehrt. Eigentlich ist er ein freundlicher, umgänglicher Mensch.
    Um ihn besser zu verstehen, will Klocke zunächst von Ostwestfalen-Lippe erzählen, unbedingt; dort hat ja alles begonnen. Er hat schöne Erinnerungen an seine Kindheit; wie er als kleiner Junge im Büro seines Vaters, dem sozialdemokratischen Stadtkämmerer von Vlotho, spielen durfte; wie er auf dem Bauernhof mit Schweinen und Hühnern lebte, den seine Eltern im Nebenerwerb führten; wie er durch Schülersprecherin Tina an die GRÜNEN geriet.
    Es klingt wie eine Bullerbü-Kindheit. Als Klocke weiter über seine Heimat spricht, passiert etwas Beunruhigendes: Vlotho schrumpft auf die Größe eines Schuhkartons zusammen, der weite Horizont wirkt künstlich, wie eine Fototapete an hohen Wänden; man spürt die Geborgenheit der Provinz plötzlich wie einen Klammergriff. 1991 wird Klocke Mitglied bei den Grünen, ausgerechnet jener junge Mann aus sozialdemokratischem, konservativem Elternhaus. Vor dem Abitur wird sich Klocke zudem seiner Homosexualität bewusst, da ist an ein Bleiben ohnehin nicht mehr zu denken. "Ich habe mich damals nicht falsch gefühlt, aber allein", erinnert sich Klocke.
    Er geht 1992 zum Studieren nach Münster; die Stadt ist größer, freier und vor allem weit genug weg von zu Hause. "Ich habe mich für Münster entschieden, weil ich raus wollte. Ich wollte für das Studium wegziehen", sagt Klocke. Er studiert Germanistik und Geschichte auf Lehramt, wird mit dem großen Latinum konfrontiert und wechselt in einen Magister-Studiengang, Politik-, Sozialwissenschaften, Geschichte. Klocke ist politisch aktiv in den Studentengremien, gründet den Landesverband der Grünen Jugend NRW mit. 1996 darf er ein Praktikum in der Grünen-Landtagsfraktion machen und erfährt, wie Politik gemacht wird, auch hinter den Kulissen. "Ich war richtig angefixt und sah meine berufliche Zukunft in der Politik", sagt Klocke.
    Man merkt an seinen Erzählungen, wie das Studium immer mehr in den Hintergrund gerät. Als der Bundestag von Bonn nach Berlin umzieht, bekommt Klocke das Angebot, das gemeinsame Wahlkreisbüro von Kerstin Müller und Volker Beck in Köln zu leiten. "Ich dachte damals, ich kriege das Studium irgendwie noch organisiert." Nach dem Umzug in die Domstadt bemüht er sich, doch den Abschluss macht er nicht mehr. "Ich hadere damit nicht, aber ein wenig bereue ich es schon", sagt Klocke. Es werden andere Dinge wichtiger, auch neben der Politik. Er gründet eine alternative Filmreihe unter dem Motto "Grünes Kino". Und er lernt seinen heutigen Lebenspartner Sven Lehmann kennen.
    Sein persönliches Ziel bleibt der Landtag: 2005 bekommt er einen aussichtsreichen Listenplatz, doch da geraten die Grünen ins Umfragetief; Klocke schafft es nicht. Es ist nur ein schwacher Trost, dass er mit fast 19 Prozent das landesweit beste Direktwahlergebnis bekommt. Klocke wird Tandem-Chef der NRW-GRÜNEN. Der Einzug in den Landtag gelingt ihm 2010, und zwei Jahre später wieder bei der vorgezogenen Landtagswahl. "Vor zehn Jahren hätte ich gesagt, dass ich genau das machen will, was ich jetzt mache", sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses.
    Man hat den Eindruck, dass er zufrieden ist, so als sei er endlich angekommen. Auch in anderer Hinsicht. Vor einiger Zeit hat er ein besonderes Coming-out gewagt. Erst die "Rheinische Post", dann die "taz" berichten über seine Partnerschaft mit Sven Lehmann, der von ihm den Grünen-Landesvorsitz übernommen hat. "Wir haben uns bewusst dazu entschieden, weil es öffentlich kaum bekannt war und weil wir Gerüchte vermeiden wollten", sagt Klocke. Man kann es wie eine Befreiung verstehen. Manchmal, wenn Arndt Klocke nach Vlotho reist, zurück in die Vergangenheit, dann freut er sich auf seine Heimat. Aber er ist auch erleichtert, dass er nicht geblieben ist.
    Kristian Frigelj

    ID: LI140423

  • Portrait: Sigrid Beer (Grüne).
    Porträt
    S. 18 in Ausgabe 9 - 16.10.2013

    Sigrid Beer ist Parlamentarische Geschäftsführerin der 29-köpfigen Landtagsfraktion der Grünen - doch die Leidenschaft der 57-Jährigen bleibt ihr Fachgebiet: die Schulpolitik. "Daran hängt mein Herz", sagt die Diplom-Pädagogin. Der Kampf um die erste Gesamtschule in ihrer Heimatstadt Paderborn hat Beer in die Politik gebracht.
    Ab 1989, nach der Geburt ihres dritten Kindes, engagierte sie sich in einer Elterninitiative - und die hatte nach nur neun Monaten Erfolg: "Eine auslaufende Hauptschule, deren Gebäude übernommen werden konnte, hatte nur 17 Anmeldungen. Die Gesamtschule, für die wir geworben haben, hatte dann 180."
    Die Zahlen hat Beer, die an der Gesamthochschule Paderborn Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie ebenso studiert hat wie evangelische Theologie, auch 24 Jahre später parat. Denn vom Konzept des gemeinsamen Lernens ist die Grüne überzeugt: Schule solle die Demokratie stärken, argumentiert die Mutter zweier Töchter und eines Sohns. "Die Gesamtschule schule hält Bildungswege offen, sorgt für mehr Bildungsgerechtigkeit." Wer Jugendlichen dagegen signalisiere, für sie gebe es "keinen Platz, keine Chance", der treibe die Enttäuschten "rechten Rattenfängern" in die Arme.
    Als konservativ beschreibt sich die Ostwestfälin trotzdem - als "wertkonservativ", betont sie. "Ich komme aus einer der beiden K-Gruppen", sagt Beer lächelnd mit Blick auf die 68er-Vergangenheit vieler Grüner. Die Christin, seit 2010 nebenamtliches Mitglied der Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen, arbeitet seit Jahrzehnten in kirchlichen Gruppen mit. Mit Werten wie Menschenwürde, Solidarität, die Erhaltung der Umwelt begründet Beer ihr Engagement - zuerst 1994 als Sachkundige Bürgerin im Bezirksausschuss von Paderborn-Elsen: "Das war meine erste Begegnung mit politischen Gremien."
    Parteimitglied ist Beer seit 1999. "Wegen des Themas Bildungsgerechtigkeit hatte ich das Gefühl, bei den Grünen richtig zu sein." Im gleichen Jahr zog sie in den Paderborner Rat ein, war 2004 und 2009 Bürgermeisterkandidatin. 2005 glückte der Sprung in den Landtag. In Düsseldorf landete sie nach Jürgen Rüttgers‘ Wahlsieg prompt in der Opposition - ein Gefühl, das sie als evangelische, grüne Frau aus der katholischen Bischofsstadt kennt. Paderborn sei aber längst nicht so "miefig" wie sein Klischee, findet sie: Die Uni und viele neue Unternehmen hätten dafür gesorgt, dass die Stadt noch immer wachse, es auch "andere Lebensentwürfe" gebe.
    "In Düsseldorf habe ich trotzdem einen Migrationshintergrund", lacht die Politikerin, die von montags bis freitags im Gästehaus des Landtags an der Düsseldorfer Wasserstraße übernachtet. Ihre erste Karnevalsrede hat Beer im Parlament gehalten. In Westfalen gebe es mit den Schützenfesten eben eine "andere Art von Geselligkeit". Mitglied im Schützenverein wie etwa Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist sie aber nicht: Anders als der Realo versteht sich Beer als "Zentristin", die das Lagerdenken innerhalb der Partei bedauert.
    Für ihre Wahl zur Parlamentarischen Geschäftsführerin 2010 war das gute Voraussetzung. Natürlich kennt Beer den Begriff "whip", also "Peitsche", mit dem die Parlamentarischen im angelsächsischen Raum oft bezeichnet werden. Ernsthaft anfangen kann Beer mit dem Begriff aber nichts. "Das steht für keinen modernen Führungsstil", wehrt sie ab. Führen will sie die Fraktion stattdessen auf einer "Vertrauensbasis" mit "offener Kommunikation".
    Erleichtert wird das durch die schwindende Spaltung der NRW-Grünen in Linke und Realos. "Wir sind eine Fraktion, machen gemeinsam Politik", wirbt die Parlamentarische für "grüne Eigenständigkeit". Fast scheint es, als trauere Beer der Zeit der rot-grünen Minderheitsregierung ein wenig hinterher: Nicht zuletzt der Schulkonsens habe mit Einführung der Sekundarschule gezeigt, dass "alte Grabenkämpfe" auch zwischen den großen politischen Lagern beigelegt werden könnten. "Ich bedauere, dass diese Offenheit nicht mehr da ist", sagt Beer.
    Einer schwarz-grünen Bundesregierung gibt sie aktuell dennoch kaum eine Chance. Zu groß sei die "Lagerorientierung" zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Wahlkampf gewesen. Für ein schwarz-grünes Bündnis müsste die Union unverhandelbare Positionen etwa beim Betreuungsgeld räumen, den Grünen bei der Förderung erneuerbarer Energieträger weit entgegenkommen. Schwarz-Grün gefährde aber auch die "Glaubwürdigkeit" ihrer eigenen Partei: Nach einem dezidiert linken Wahlkampf, findet Beer, könnten die Grünen jetzt das Thema "soziale Gerechtigkeit nicht einfach über Bord werfen".
    Andreas Wyputta

    ID: LI130921

  • Priggen, Reiner (Grüne)
    Im Interview: Reiner Priggen (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 24.04.2013

    Herr Priggen, von 2005 bis 2010 waren die Grünen in der Opposition, dann zwei Jahre Minderheitsregierung, seit gut einem Jahr eine komfortable Mehrheit mit der SPD, vor 2005 Koalitionen mit Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Welche Zeit war die schwierigste für den langjährigen Landesvorsitzenden und Fraktionschef seit 2010?

    Ich erlebe jetzt die vierte Koalition mit der SPD, das heißt, ich bin eine Art Koalitionsfossil. Jede Zeit hatte ihren Reiz, wir haben in jeder Phase unglaublich viel gelernt. Aber jetzt haben wir einen ganz anderen Umgang miteinander, das war schon in der Minderheitsregierung unter Hannelore Kraft so und hat alle Beteiligten Respekt auch vor den anderen Fraktionen gelehrt. Es geht jetzt nicht mehr mit dieser alten Arroganz zu. Nach dem Motto: Wir haben sowieso immer Recht, und selbst wenn die anderen mal einen guten Gedanken haben, dann entkernen wir den und dann ist das unser Gedanke. Wir bemühen uns, diesen positiven Ansatz beizubehalten, auch wenn es uns die anderen Fraktionen nicht immer einfach machen.

    Worauf führen Sie diese traute Zweisamkeit zwischen SPD und Grünen zurück?

    Traute Zweisamkeit ist Unfug. Wir arbeiten konzentriert an den schwierigen Aufgaben, die vor uns liegen. Diese Zeiten sind schon aufgrund der Haushaltssituation nicht einfach, und diese Bundesregierung ist eine Plage. Wir versuchen deshalb, vernünftig miteinander umzugehen. Das heißt auch, eine gute Landesregierung zu bilden und sich nicht unnötig öffentlich zu streiten. Und wenn mal einer verbal etwas über die Stränge schlägt wie unser neuer Wirtschaftsminister, dann gehen wir in aller Gelassenheit damit um.

    Gibt es denn überhaupt noch Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD und Grünen?

    Natürlich. Wir sind zwei Parteien, und wir werden mit Sicherheit nicht fusionieren. Es gibt in Sachfragen immer wieder unterschiedliche Ansätze. Aber wir haben durch den Koalitionsvertrag ein klares Gerüst. Wo Fragen offen sind, kann man die diskutieren. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden, die Umgangsweise ist vernünftig, und ich wünsche mir, dass das im Herbst in Berlin auch klappt.

    Mit welchen Fragen und Problemen ist denn Landespolitik zurzeit spannend?

    Zurzeit wird alles von der Haushaltslage bestimmt. In den vergangenen Jahrzehnten wurden - egal unter welcher Regierung, im Land und im Bund - Schulden gemacht. Diese Berge drohen uns zu erdrücken, das müssen wir anpacken, das ist eine ganz große Herausforderung.

    Sind SPD und Grüne bei dieser Frage auf demselben Kurs?

    Wenn Sie alle Ministerien fragen, wo gespart werden kann, dann werden Ihnen alle Ministerien, egal, ob rot oder grün, antworten: Wir haben schon gespart, bei uns geht nichts mehr. Egal, was man macht, in Zeiten der gut organisierten Lobby-Apparate gibt es überall Widerstand. Auf der Beifallsseite wird es ganz dünn, da braucht man schon ein ziemlich breites Kreuz. Ich bin ganz froh, dass mein Vorsitzendenkollege bei der SPD, Norbert Römer, das ganz ähnlich sieht.

    Waren Sie eigentlich jemals in Versuchung, Ihrer Partei einen anderen Koalitionspartner als die SPD zu empfehlen?

    Ich bin schon dafür, dass die Grünen alle Koalitionen eingehen können, die die SPD auch eingehen kann. Die SPD koaliert problemlos mit der CDU, dem kann nicht eine grüne Partei gegenüberstehen, die sagt, wir können nur mit der SPD. Hier in NRW hat sich die konkrete Alternative nicht ergeben, und ich muss auch sagen, ich bin gut zufrieden und sehe keinen Veränderungsbedarf.

    Sie sind seit Jahrzehnten in der nordrheinwestfälischen Landespolitik aktiv. Hat es Sie nie gelockt, in die Bundes- oder Europapolitik zu wechseln?

    Nein, das liegt einfach daran, dass ich ein bodenständiger Familienmensch bin. Meine Frau war vor mir neun Jahre im Landtag, wir haben zwei Kinder bekommen, und ich habe immer zugesagt, dass ich meinen Teil an der Erziehungsarbeit leiste, und das bedeutete, dass man, soweit es geht, bei der Familie ist und sich auch um die Kinder kümmert. Das wäre mit Berlin nicht gegangen und im Europaparlament mit den Arbeitsorten Brüssel und Straßburg auch nicht. Ich finde es aber auch wirklich schön, Landespolitik zu machen und sich um das Land zu kümmern. Ich habe nie das Bedürfnis gehabt zu wechseln.

    Sie sind in Niedersachsen geboren, im Münsterland aufgewachsen, haben in Aachen studiert, anschließend in Ostwestfalen-Lippe gearbeitet, wohnen jetzt in Aachen und haben Ihren Schreibtisch in Düsseldorf. In welchem Teil von NRW fühlen Sie sich am wohlsten?

    Ich finde NRW in seiner ganzen Vielfalt faszinierend. Landschaftlich hat es mir wunderbar in Lippe gefallen, ich finde aber auch das Ruhrgebiet faszinierend, mit seiner Kultur, mit seiner Geschichte, mit seinen industriellen Wurzeln. Ich mag dieses Land mit seinen vielen Facetten.

    Stimmen denn die Vorurteile von den immer fröhlichen Rheinländern und den sturen Westfalen ....

    ... und den geizigen Lippern, um das nicht zu vergessen. Es ist schon etwas dran, aber es macht auch Spaß, die unterschiedlichen Typen zu erleben und zu genießen, egal, ob Münsterländer, Rheinländer, Aachener oder Siegener.

    Auch bei den Getränken geht eine Grenze durchs Land: Pils in Westfalen, Kölsch und Alt im Rheinland. Was schmeckt Ihnen besser?

    Pils.
    Peter Jansen

    ID: LI130422

  • Keymis, Oliver (Grüne) (Landtagsvizepräsident)
    Im Interview: Landtagvizepräsident Oliver Keymis (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 28.11.2012

    Herr Keymis, Sie sind ein in Düsseldorf geborener Rheinländer. Lassen Sie uns über Westfalen reden.

    Keymis: Gern!

    Was mögen Sie an Westfalen?

    Die Landschaft, die Leute, die Wurst (lacht). Vor allem gefällt mir die Art der Menschen: Westfalen sind zurückhaltend, zuverlässig. Sympathisch eben.

    Trotzdem geht in Westfalen die Angst um: Manche haben das Gefühl, vom Rheinland abgehängt zu werden. Können Sie das verstehen?

    Das ist historisch bedingt. Der Rhein war immer ein Verkehrsweg, ein Kommunikationskanal. Da zogen die Völker durch, ließen sich nieder. Deshalb ist diese Region immer die stärker belebte und besiedelte gewesen. Aber: Nur besondere Menschen haben es gewagt, sich in Westfalen und in Lippe ein Leben jenseits des großen Stroms aufzubauen. Daraus speist sich ein starkes Selbstbewusstsein. In der Wirtschaft stehen dafür Weltunternehmen wie Miele oder Oetker, der breite Mittelstand, die Möbelindustrie - und in der Kultur etwa das Picasso-Museum in Münster oder die ‚Wege durch das Land‘, das Literaturund Musikfest in Ostwestfalen-Lippe.

    Gerade im Kulturbereich spielt die Musik im Rheinland. Deutlich wird das an Ihnen selbst: Als Regisseur und kulturpolitischer Sprecher Ihrer Landtagsfraktion engagieren Sie sich ehrenamtlich etwa bei der Kunstsammlung NRW mit Düsseldorf oder der Kunsthochschule für Medien in Köln.

    Natürlich gibt es in den Großstädten zwischen Dortmund und Köln ein viel größeres kulturelles Angebot als im Münsterland und in Lippe. Und natürlich haben viele Kultureinrichtungen ihren Sitz in der Landeshauptstadt Düsseldorf oder in der größten Stadt NRWs, in Köln. Und es stimmt: Ein Großteil der Anträge auf Kulturförderung stammen aus dem Rheinland. Trotzdem versuchen wir, Unterstützung gleichmäßig zu verteilen - das macht die Kunststiftung genauso wie die Landeskulturförderung.

    Spöttisch wird Nordrhein-Westfalen gern das ‚Bindestrich-Bundesland‘ genannt - erfunden von den Alliierten zur Zerschlagung Preußens. Trifft das noch?

    Die Alliierten haben Nordrhein-Westfalen als künstliches Gebilde geschaffen. Mittlerweile sehe ich aber eine Einheit in der Vielfalt.

    Inwiefern?

    Es gibt Lipper und Westfalen, und der Niederrheiner unterscheidet sich vom Bonner nicht nur im sprachlichen Singsang. Darin liegt der kulturelle Lebensreichtum unserer Regionen. Als Land binden wir das zusammen. So funktioniert unsere Republik. Zwischen Bayern und Hamburg ist das ähnlich. Überhaupt: Regionale Vielfalt in einem einheitlichen Europa - ist doch der Plan, nach dem wir zusammenleben sollten.

    Getrieben durch die Finanzkrise wird Europa wichtiger, verlieren die Nationalstaaten an Macht. Nicht zuletzt aus Geldgründen fragen Kritiker bereits: Brauchen wir noch Bundesländer?

    Das ist für mich eine Demokratiefrage. Politische Teilhabe muss von der Basis aus organisiert sein: Vom kleinen Dorf, der Stadt, den Kreisen, den Regionen - bei uns organisiert über die Landschaftsverbände - über die nationale auf die europäische Ebene. Die Kostenfrage sehe ich nicht. Der Landtag kostet jeden Bürger 5 Euro 60 - pro Jahr.

    Trotzdem: Welche Rolle spielen deutsche Bundesländer in einem vereinten Europa?

    Eine sehr wichtige! Ziel der Grünen sind die Vereinigten Staaten von Europa, getragen von einer Vielfalt von Regionen. In Brüssel wird das schon so gesehen: Von dort gefördert werden Regionen wie das Baskenland, Katalonien oder eben NRW.

    Unterstützt das nicht separatistische Tendenzen? In Katalonien haben im September mehr als eine Million Menschen für eine Unabhängigkeit von Spanien demonstriert. Ähnliches ist doch auch im Baskenland, in Schottland, in Südtirol zu sehen?

    Diese Tendenzen sind nicht neu. In den 60er,- 70er-, 80er-Jahren waren sie viel stärker. Europa hat schon jetzt mehr Einigkeit verbreitet. Diese Bestrebungen haben doch zwei Quellen: Eine ist materielle Ungleichheit. Die zweite ist die kulturelle Autonomie, Eigensprachlichkeit, Identität. Das geht vom Kulinarischen über Musik, Tänze bis zu speziellen Sportarten. Diese verschiedenen Identitäten aber machen den kulturellen Reichtum Europas aus. Eigenstaatlichkeit mit Abschottung, Protektionismus, eigener Gewalthoheit dagegen bleibt ein Problem: Das ist nicht im Sinne eines geeinten Europas.

    Zurück nach NRW, in die größte Metropole unseres Landes ... Köln!

    Nein, in die Metropole Ruhr. Mit dem Begriff Metropole habe ich mich immer schwer getan: Dabei denke ich an Städte wie Paris, Istanbul, Peking. Für mich ist das Ruhrgebiet eine Metropol- Region mit verschiedenen städtischen Agglomerationen. Mit seinen knapp sechs Millionen Einwohnern ist die Metropolregion Ruhr das stärkste Stück Deutschland, das wir haben - nicht nur durch die kulturelle und industrielle Kraft, sondern auch durch seinen republikweit einzigartigen Charakter als multikultureller Schmelztiegel.

    Wenn das Ruhrgebiet einzigartig ist: Ist die Verwaltungsstruktur, die das Revier in drei Regierungsbezirke und zwei Landschaftsverbände zerschneidet, noch zeitgemäß?

    Das wird man prüfen müssen. Wäre es nicht besser, in NRW gäbe es nur drei Verwaltungseinheiten: Westfalen-Lippe, das Ruhrgebiet und das Rheinland? Die Grünen haben das einmal gefordert.

    Im Prinzip finde ich den Gedanken nicht schlecht - gerade in einem Europa der Regionen. Die Metropolregion Ruhr wäre sicher gut beraten, sich mit einer einheitlichen Verwaltung einen Namen zu machen. Leider herrscht an der Ruhr aber noch oft Kirchturmdenken: Wenn die eine Stadt ein Konzerthaus, ein Einkaufszentrum bekommt, will die andere nur wenige Kilometer weiter auch eins. Das muss vor Ort überwunden werden.
    Andreas Wyputta

    ID: LI121116

  • Porträt: Daniela Schneckenburger (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 08.02.2012

    Sie war Ratsfrau in Dortmund, dort auch Fraktionschefin, und von 2006 bis 2010 Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen - doch in die Politik gebracht hat Daniela Schneckenburger nicht die Ökologie, sondern die Frauenbewegung. Schon während ihres Studiums Ende der 70er-Jahre in Heidelberg habe sie nicht nur für bessere Studienbedingungen, sondern auch für Gleichberechtigung gekämpft, erzählt die 51-Jährige: "Nicht nur die Seminare waren überfüllt - auch weibliche Dozentinnen fehlten völlig."
    Nach dem Abschluss sei für sie nur ein Engagement bei den gerade frisch gegründeten Grünen in Frage gekommen, sagt Schneckenburger: "Schließlich war ich auch in der Anti- Atom-Bewegung und in der Friedensbewegung aktiv." Ins Ruhrgebiet gezogen ist die Mutter eines Jungen und eines Mädchens dann "der Liebe wegen". An einer Gesamtschule in Herne unterrichtete sie 14 Jahre die Fächer Deutsch und Religion - und profilierte sich in Dortmund als Sozialpolitikerin: "Es ist die Gerechtigkeitsfrage, die einen in die Politik bringt", sagt sie.
    Noch heute wehrt sich Schneckenburger deshalb gegen eine Reduzierung ihrer Partei auf die Kernkompetenz Umwelt. "Die ökologische Frage ist zentral, doch die Sozialpolitik ist genauso stark vertreten." Schon bei ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden hatte die Dortmunderin, die zum linken Parteiflügel gezählt wird, damit geworben, "Verteilungsgerechtigkeit und Klimaschutz" gemeinsam auf die Agenda bringen zu wollen und die Grünen als "Motor der sozial-ökologischen Debatte" zu positionieren.
    Seit ihrer Wahl zur Landtagsabgeordneten arbeitet die Grüne deshalb als wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, betreut zusätzlich das Politikfeld Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung. Sie interessiere, wie sozialer Ausgleich, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, sagt Schneckenburger - deshalb habe sie das Politikfeld Wirtschaftspolitik in der auf 23 Abgeordnete angewachsenen Landtagsfraktion gern übernommen.
    "Ich bin keine Lobbypolitikerin für Arbeitgeberinteressen", betont sie aber auch. Die wachsende soziale Kluft, die immer stärker werdende Polarisierung in arm und reich sei eine "gesellschaftliche Bedrohung". Zwar sei die im grünen Programm verankerte starke Betonung möglichst guter Bildungsabschlüsse für möglichst viele richtig - doch die Parteilinke betrachtet auch die auf dem Nürnberger Parteitag beschlossene Grundsicherung, mit der das Arbeitslosengeld II für Langzeitarbeitslose auf 420 Euro monatlich angehoben werden soll, als ebenso wichtigen Erfolg.
    Zukunftsfähig seien nur Unternehmen, die "ressourceneffizient" arbeiteten, die angesichts des absehbaren Endes des Ölzeitalters auf erneuerbare statt auf fossile Energieträger setzten, sagt die Dortmunderin nicht nur mit Blick auf die Autoproduktion von Opel im benachbarten Bochum. Vor Augen geführt habe ihr das nicht zuletzt eine Reise mit dem Wirtschaftsausschuss des Landtages nach Indien: "China und Indien mit ihrer Milliarden zählenden Bevölkerung können nicht einfach unseren Lebensstil mit seiner immensen Verbrennung fossiler Energie übernehmen - das wäre nicht nur das ökologische, sondern auch das ökonomische Ende."
    Gerade in Fragen der Effizienzsteigerung suche sie den Dialog zu den Gewerkschaften, wirbt Schneckenburger um neue Bündnispartner: "Einsparungen müssen nicht immer zu Lasten der Arbeitnehmer gehen." Ebenso wichtig ist ihr der Städtebau. Über 460.000 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen seien in der Hand von Finanzinvestoren, empört sich die einstige Sozialpolitikerin. Nicht umsonst habe der einstige SPD-Chef Franz Müntefering diese als Heuschrecken" bezeichnet: "Wo seriöse Wohnungsbauunternehmen mit 3 bis 5 Prozent Rendite rechnen, erwarten die 10 bis 15."
    "Die Folge seien zu geringe Investitionen in die Substanz. Viele Bestände, die von den Fondsmanagern vor dem Kauf nur mit Hubschraubern überflogen worden seien, zerfielen. "Verslumungstendenzen" drohten. Sollten die Fonds wegen der Finanzkrise selbst in Finanznöte geraten, wirbt Schneckenburger für einen Kauf etwa durch kommunale Wohnungsunternehmen oder durch Wohnungsgenossenschaften. Keinesfalls aber dürften Töchter der öffentlichen Hand die Gewinne der Heuschrecken finanzieren, betont sie. "Wenn zurückgekauft wird, dann nur zum Verkehrswert." Andreas Wyputta

    ID: LI120218

  • Porträt: Sigrid Beer (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 19.10.2011

    Irgendwann, als das Gespräch mit Sigrid Beer schon längst vorüber ist, beginnt das Wort "quer" plötzlich zu schimmern, wie eine diskrete Hintergrundbeleuchtung in ihrer Biografie. Sigrid Beer hat es nur einmal benutzt, als sie sagte, sie sei eine "politische Quereinsteigerin" gewesen. Doch dieses "quer" steht noch für mehr. Sie ist als Andersdenkende in einer Heimstatt des zweifachen Konservativismus groß geworden, in Paderborn, Erzbistum der katholischen Kirche und Hochburg der Christdemokratie. Sie ist das glatte Gegenteil eines Paderborner Klischees und sie kokettiert gekonnt damit: "Ich bin typisch für Paderborn - Frau, grün, evangelisch", sagt sie lächelnd.
    Die 55-Jährige kennt sich aus in der Opposition und in der Minderheit. Deshalb entbehrt es nicht der Tragikomik, dass Sigrid Beer 2005 erstmals per Grünen-Landesliste in den Landtag kam, just als CDU und FDP ihren Wahlsieg errangen. Sie blieb in der Opposition. Fünf Jahre später reicht es nach der Landtagswahl gerade eben für eine rot-grüne Minderheitsregierung. Doch als allzu machtlos oder instabil empfindet sie das Bündnis nicht: "Wir haben bisher für alle wichtigen Projekte die notwendige Mehrheit bekommen." Obendrein scheint Beer als parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen- Fraktion mit diesem strapaziösen Zustand gut zurechtzukommen. "Ich fühle mich so langsam richtig ausgelastet", sagt sie und wirkt nicht einmal angestrengt dabei.
    Eine Kümmererin ist die Ostwestfälin, eine Quergängerin zwischen den Fraktionen, eine Vermittlerin, die keine Scheu zeigt vor den Linken, der FDP - und vor der CDU sowieso nicht. Sie kennt ihre Stärken: "Mediation" und "Moderation". Die gläubige Protestantin sagt, dass sie über einen ruhigen Schlaf und stabile Nerven verfüge, von Natur aus, "ohn’ all Verdienst und Würdigkeit, allein von Gnaden", sagt sie in Erinnerung an den Katechismus. Sie spricht über Verlässlichkeit wie eine Tugend. Darauf legt sie großen Wert, wenn man sie auf die verpatzte erste WestLB-Abstimmung Ende Juni anspricht. Da möchte sie für die damals dilettierende SPD nicht in Mithaftung genommen werden. Insgesamt lobt sie das "gute Binnenverhältnis" in der Koalition: "Die Chemie stimmt." Es klingt nicht einmal zweckdiplomatisch, sondern zufrieden.
    Die herausfordernde Aufgabe einer PG seit dem Regierungswechsel 2010 hat sich gut gefügt mit der familiären Situation. Ihre drei Kinder sind zwischen 25 und 32 Jahren alt, sonst wäre es nicht möglich gewesen, sagt sie. In der Woche übernachtet sie im Gästehaus des Landtags, donnerstags fährt sie gen Ostwestfalen, sonntags kehrt sie zurück. Eine Politikerin auf Montage, die ausgestattet ist mit vielen Mitgliedschaften und Ehrenämtern, sei es im Förderverein einer Gesamtschule, der Stadtbibliothek oder als nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen.
    Erst Mitte der 90er-Jahre wurde sie richtig politisch aktiv, als "Quereinsteigerin", wie sie selbst sagt. Sie stritt mit einer Bürgerinitiative für die Gründung einer Gesamtschule in Paderborn. Sie wurde sachkundige Bürgerin in einem Bezirksausschuss; 1999 trugen die Grünen ihr die Mitgliedschaft und ein Ratsmandat an. Zwei Ansinnen rechnet Beer den Grünen hoch an: "Bildungsgerechtigkeit" und "Bewahrung der Schöpfung".
    In der Fraktion hat sie sich auf Bildungsund Schulpolitik spezialisiert. Sie hat Erziehungswissenschaften studiert, dazu noch Psychologie, Soziologie und Theologie. Die Diplom-Pädagogin war selbstständig in der Schulberatung und Schulentwicklung tätig, auch an der Universität Paderborn. Diese Expertise nutzt sie in der Fraktion als Sprecherin im Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Sie mag sich nicht allein aufs Organisatorische einer PG beschränken.
    Wenn sie über die Arbeit im Landtag spricht, dann hebt sie einen Ausschuss besonders hervor: "Da sehen sie die Lebenswirklichkeit der Menschen." Sigrid Beer meint ein Gremium, das meist in der Öffentlichkeit unbeachtet bleibt. Im Petitionsausschuss muss sie sich um Bitten verzweifelter Menschen kümmern. Da geht es nicht abstrakt ums große Ganze, sondern um das Schicksal Einzelner. Einmal hat sie im Parlament betont, das Petitionsrecht sei ein "besonderes Grundrecht" aller Menschen in Nordrhein-Westfalen. Und die Ausschussarbeit sei hilfreich, "sich zu erden", sagt Sigrid Beer im Gespräch. Sie achte auf die Balance zwischen Himmel und Erde.
    Kristian Frigel

    ID: LI111021

  • Porträt: Reiner Priggen (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 13.04.2011

    Ausgerechnet gelbe Fenster: Gelbe Fensterrahmen haben Reiner Priggen zu den Grünen gebracht. "In Ostwestfalen reichte das 1984 schon, um als alternativ zu gelten", lacht Priggen, der heute Vorsitzender der 23-köpfigen grünen Landtagsfraktion ist. "Irgendwann stand ein Elektriker aus dem Nachbardorf vor der Tür und erzählte, er wolle einen Ortsverband der Grünen gründen", sagt der 58-Jährige - "und hat gefragt, ob ich mitmachen will."
    Nach Kalletal in Ostwestfalen hatte den im emsländischen Sögel geborenen Priggen ein Job gebracht. Nach Abitur und Zivildienst in Münster und einem Maschinenbau-Studium in Aachen arbeitete er dort bis 1991 bei einem auf Kältetechnik spezialisierten Mittelständler. Ganz Nordrhein- Westfalen habe er so kennengelernt, schwärmt der Diplom-Ingenieur: "Ob in Stahlwerken, Kokereien, Walzwerken - die Hitzeabstrahlung ist enorm. Um die Arbeitsbedingungen erträglich zu machen, wird Kälte überall gebraucht."
    Auch seine ersten politischen Erfahrungen machte Priggen in Ostwestfalen. Schon ein Jahr nach seinem Parteieintritt saß er ab 1985 für die Grünen in der Verbandsversammlung des Landesverbandes Lippe, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur Verwaltung des ehemaligen Vermögens der lippischen Fürsten gegründet worden war. Anschließend war er von 1989 bis 1991 Vorsitzender der grünen Kreistagsfraktion. "Das ist das Risiko bei den Grünen", ironisiert der Fraktionschef seinen schnellen parteiinternen Aufstieg: "Schon in den 80er-Jahren hatten die einen unheimlichen Bedarf an Leuten."
    Priggen aber wechselte trotzdem zurück nach Aachen: Bei einem Besuch in der Wohngemeinschaft seiner Studentenzeit hatte er seine spätere Frau Gisela Nacken kennengelernt. "Meine Frau ist eingefleischte Rheinländerin - und hat mir erklärt, dass sie in Ostwestfalen nicht leben kann", sagt der Vater einer 19-jährigen Tochter und eines 16-jährigen Sohns. "Also bin ich umgezogen."
    Extrem anstrengend sei die Zeit nach der Geburt der beiden Kinder gewesen, erinnert sich Priggen noch heute - auch Gisela Nacken war bei den Grünen aktiv. Die heutige Umweltdezernentin der Stadt Aachen war von 1990 bis 1999 Landtagsabgeordnete der Grünen, amtierte ab 1995 nach Bildung der ersten rot-grünen Koalition des Sozialdemokraten Johannes Rau zusammen mit Roland Appel als Fraktionssprecherin. Und ihr Mann wurde für viele Jahre Parteichef - von 1994 bis 2000 war Priggen Sprecher des grünen Landesverbands. "Die haben wieder jemanden gebraucht", gibt er sich bescheiden.
    Trotzdem klingt noch jetzt ein wenig Schrecken mit, wenn er von den damaligen "Quäl-Koalitionen" mit der SPD spricht: Schließlich stritten Sozialdemokraten und Grüne leidenschaftlich nicht nur über Verkehrsprojekte wie den Flughafenausbau etwa in Dortmund und Münster, den Weiterbau von Autobahnen wie der A1 in der Eifel und später über das gescheiterte Lieblingsprojekt des Rau-Nachfolgers Wolfgang Clement - die Magnetschwebebahn "Metrorapid".
    Umstritten war auch die Wirtschafts- und Energiepolitik. Braunkohlentagebaue wie Garzweiler im Rheinland und die Steinkohlesubventionen sorgten ebenso für Koalitionskrisen wie die grüne Forderung nach mehr Müll-Recycling - und Priggen, der erstmals 2000 für die Grünen in den Landtag einzog und deren Energieexperte wurde, war fast immer dabei.
    Sein Spezialgebiet Energie begreift der Grüne noch immer als politische Schlüsselfrage. "Nicht erst seit der Atom-Katastrophe von Fukushima" sei die vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler geforderte "industriellökologische Revolution" unvermeidlich, mahnt Priggen, der von 2006 bis 2008 Vorsitzender der ersten Enquetekommission eines Landtags war, die sich mit den Folgen stark steigender Öl- und Gaspreise für Wirtschaft und Verbraucher auseinandersetzte.
    Als Fraktionschef in der rot-grünen Minderheitskoalition von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aber vermeidet Priggen heute jede Provokation der Sozialdemokraten - und das, obwohl sein Pendant, der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer, als ausdrücklicher Kohle-Unterstützer gilt. "Der Ausstieg aus der Steinkohle ist beschlossene Sache", sagt Priggen dazu nur.
    Der Diplom-Ingenieur, der vor den Wahlen 2010 auch eine schwarz-grüne Koalition mit der CDU für denkbar hielt, versteht sich als Pragmatiker. Zwar hätte er als "Fossil der Fraktion" jederzeit ein Ministeramt beanspruchen können - doch Priggen entschied sich für den Fraktionsvorsitz. "Orientierung und Unterstützung" will er vor allem den 13 jüngeren Grünen anbieten, die zum ersten Mal ein Landtagsmandat angetreten haben. "Minister will ich nicht mehr werden", sagt er und lacht schon wieder.
    Andreas Wyputta

    ID: LI110523

  • Porträt: Oliver Keymis (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 01.12.2010

    Das Plenum begreift er als Bühne - denn theaterbegeistert ist der Grüne Oliver Keymis auch nach mehr als zehn Jahren als Landtagsabgeordneter. "Schon als Kind hat mich mein Vater mit ins Theater genommen", erzählt der 2. Landtagsvizepräsident. "Und mit 13 habe ich mich zusammen mit einem Lehrer an meiner ersten Inszenierung versucht": Der "Diener zweier Herren" war das, die berühmte Komödie des Italieners Carlo Goldoni.
    Nach dem Abitur studierte Keymis, der am 30. Dezember 50 Jahre alt wird, zwar bis zur Zwischenprüfung Philosophie, Germanistik, Französisch und Politikwissenschaften - doch danach gelang der Sprung hinter die Kulissen. "Ich war hier in Düsseldorf am Schauspielhaus fest angestellt, habe in freier Mitarbeit für den WDR als Regieassistent gearbeitet, Bildregie geführt", erzählt Keymis, der seit Jahrzehnten in Meerbusch lebt - und klingt noch immer begeistert: "Meine erste Theaterregie hatte ich dann in der Spielzeit 89/90 an der Landesbühne Wilhelmshaven."
    Goethes "Iphigenie auf Tauris" hat er ebenso inszeniert wie Samuel Beckett. Und im Auftrag des WDR arbeitete der immer schwarz tragende Regisseur mit Willy Millowitsch zusammen - auch wenn ihm der Ausflug ans "bürgerliche Lachtheater" in der Szene nicht nur Freunde bescherte.
    In die Politik geführt hat Keymis dagegen ein für Grüne klassischer Weg. In seiner Heimatstadt Meerbusch engagierte er sich für den Schutz der Ilvericher Altrheinschlinge. Der Weiterbau der A44 bedrohte das Naturschutzgebiet. Als einer von drei Sprechern der "Bürgergemeinschaft Meerbusch" kämpfte Keymis zwölf Jahre lang für eine komplette Tunnellösung. Wegen zu hoher Kosten war die zwar nicht durchsetzbar - doch mit der Bürgerinitiative konnte Keymis zumindest einen Teilerfolg verbuchen: Zwei Tunnelstücke haben die wertvollsten Teile der Auenlandschaft bewahrt.
    Auf den Theatermann aufmerksam wurden so auch führende nordrhein-westfälische Grüne. "Ob Bauminister Michael Vesper, Umweltministerin Bärbel Höhn, die damalige Landtagsfraktionschefin Gisela Nacken - ich kannte die alle", sagt Keymis. Seit 1997 ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, wurde 1998 Sachkundiger Bürger im Meerbuscher Kulturausschuss, kurz darauf Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur seiner Partei. Im Mai 2000 folgte der Sprung in den Landtag: Die Grünen lagen bei 7,1 Prozent. Für ihn selbst überraschend zog der auf Platz 17 der Landesliste gesetzte Meerbuscher in das Landesparlament ein.
    Der Regisseur wurde kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion - und übernahm ab 2003 auch die Verkehrspolitik: Der vom rot-grünen Dauerstreit um die geplante Magnetschwebebahn genervte, vom Ende seines Prestigeprojekts "Metrorapid" frustrierte damalige SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement hatte den Ausstieg von Keymis' Vorgänger Peter Eichenseher als Verkehrsexperte der Grünen durchgesetzt.
    Der ehemalige Autobahngegner Keymis ist noch heute gegen Neubauprojekte, verteidigt aber den Ausbau wichtiger Fernstraßen wie des Kölner Rings, der A40 im Ruhrgebiet. "NRW ist nun einmal ein Transitland", sagt er - dringt aber auf optimalen Lärmschutz. Zusätzlichen Verkehr will er auf die Bahn verlagern: "Katastrophal" sei die Entscheidung des Bundes, noch immer kein Geld für den Metrorapid-Nachfolger "Rhein-Ruhr-Express", für den Bau eines dritten Gleispaares auf der verspätungsträchtigen Hauptstrecke zwischen Dortmund und Köln zur Verfügung zu stellen. Aus der Verkehrspolitik zog sich Keymis 2006 zurück. Der Fraktionsvorstand hatte ihn für die Nachfolge Vespers als Landtagsvize nominiert. "Als Vizepräsident möchte ich Ansprechpartner aller Fraktionen sein", begründet Keymis, dessen Frau als Grafik-Designerin arbeitet, den Rückzug auf die "weniger konfliktträchtige" Kulturpolitik: Schließlich habe die von CDU und FDP getragene Regierungskoalition von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Kulturetat zumindest auf Landesebene in der vergangenen Legislatur glatt verdoppelt. "Ein Desaster" sei dagegen die Finanzkrise der Städte und Gemeinden, kritisiert Keymis - die bedrohe längst nicht nur Theater wie in Wuppertal, sondern die Szene insgesamt.
    Die Ökonomisierung ganzer Lebensbereiche, die "Gerechtigkeitsfrage" wird so immer stärker zum Hauptthema des Landtagsvizepräsidenten: "Ich will den Bürger, nicht den Kunden." Noch mehr Bürger in das Parlament locken will Keymis etwa durch spannende Veranstaltungsreihen mit Politikern und anderen Gästen.
    Auf der Bühne des Plenums, mahnt der Vize, müsse deshalb "weniger abgelesen", mehr in "freier Rede" argumentiert werden - und erinnert an "Politikertypen" wie Wehner, Schmidt - und an Franz-Josef Strauß. "Aber die", lacht er, "haben ihre besten Reden auch erst gehalten, als sie Jahrzehnte Erfahrung hatten."
    Andreas Wyputta

    ID: LI101022

  • Porträt: Reiner Priggen (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 20.01.2010

    Wenn Reiner Priggen im Plenarsaal des Landtags am Rednerpult steht, dann hören selbst diejenigen auf der Regierungsbank zu, die ansonsten bei Redebeiträgen von Vertretern der Opposition demonstrativ ihr Desinteresse zur Schau stellen, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) zum Beispiel, oder seine Wirtschaftsministerin und Parteifreundin Christa Thoben. Denn bei dem 56-jährigen Maschinenbau-Ingenieur, der aus Westfalen stammt und jetzt in Aachen lebt, hat jeder den Eindruck, dass Priggen weiß, worüber er redet, dass er von der Materie etwas versteht. Sein zentrales Anliegen ist eine neue Energiepolitik, der weitestgehende Verzicht auf die umweltschädliche Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Steinkohle, Braunkohle und Öl und die intelligente Nutzung von regenerativen Energien wie Wind, Sonne und Wasser. Den alten grünen Leitspruch "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" gibt Priggen unverändert als sein politisches Motto an. Er will mit dazu beitragen, dass auch seine Kinder, Enkel und deren Nachkommen auf einer Erde leben mit sauberem Wasser, unverseuchten Böden und reiner Luft.
    Zu den Grünen ist Priggen 1984 eher durch Zufall gestoßen. Er lebte damals im ostwestfälisch-lippischen Kalletal und arbeitete als Ingenieur, als ein Elektriker aus einem Nachbardorf ihn ansprach, ob er nicht bei der Gründung eines Kreisverbands der Grünen mitmachen wolle. Priggen wollte, denn die SPD, für die er sich auch interessiert hatte, regierte damals den Kreis mit absoluter Mehrheit und trat für sein Gefühl zu "machtbewusst-arrogant" auf. Und für die örtliche CDU waren die Grünen, zu deren Kreistagsfraktion Priggen schon bald gehörte, nichts anderes als der "parlamentarische Arm der Roten-Armee-Fraktion", erinnert er sich heute grinsend. Einfach hatte es der eher nüchtern und pragmatisch denkende Priggen bei den Grünen aber auch nicht. Die junge Partei wurde von wilden Flügelkämpfen zerrissen, Fundis gegen Realos, lautete die oberste Devise, "das waren keine Flügel, das waren Konfessionen", sagt Priggen heute, und damit waren es auch keine politischen Auseinandersetzungen, sondern Glaubenskriege.
    Priggen hielt sich aus dem Lagerdenken weitgehend raus, gleichgesinnte Gesprächspartner fand er in Antje Vollmer, später Vizepräsidentin des Bundestags, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, ehemaliger Europaabgeordneter, oder Reinhard Loske, ehemaliger Staatssekretär. Im Landesverband NRW, den er von 1994 bis 2000 zusammen mit Barbara Steffens, heute ebenfalls Landtagsabgeordnete, in der bei den Grünen üblichen Doppelspitze führte, fühlte er sich dabei einigermaßen zu Hause. "In NRW gab es eine lange Tradition, den Laden zusammenzuhalten." In der politischen Arbeit in Düsseldorf lernte Priggen auch seine Frau Gisela Nacken kennen, Landtagsabgeordnete von 1990 bis 1999, davon die letzten fünf als Fraktionsvorsitzende.
    Priggen stand an der Parteispitze, als die NRW-Grünen ihren bislang größten politischen Erfolg feiern konnten: den Erfolg bei der Landtagswahl 1995, bei der sie ihr Ergebnis von fünf auf zehn Prozent verdoppeln konnten und der ihnen nach überaus schwierigen Koalitionsverhandlungen mit der SPD erstmalig die Beteiligung an der Regierung in Düsseldorf einbrachte. Dass sie mitregieren wollten, stand für die Grünen damals außerhalb der Debatte. Schließlich ging es ja auch darum, mit der Wucht des Wahlsiegs in Düsseldorf die ungeliebte Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in Bonn zu stürzen, was drei Jahre später tatsächlich gelang.
    Noch heute ist Priggen überzeugt, dass der inhaltliche Preis, den die Grünen damals zahlen mussten, nicht zu hoch war. "Wir haben damals die Weichen gestellt, dass NRW das Thema Umweltwirtschaft, ökologische Produktionsverfahren als Zukunftsthema erkannt hat." Verzweifeln kann er heue noch, wenn er erleben muss, dass die "Mächte der Finsternis", wie er die Energieriesen RWE und EON spöttisch tituliert, sich immer wieder bei den regierenden Politikern durchsetzen, egal, welches Parteibuch sie haben, und damit Chancen für eine umweltverträgliche Energieversorgung verpasst werden. Auf der anderen Seite freut er sich umso mehr, wenn zu einer Veranstaltung der Grünen zum Thema Kraft/Wärme-Kopplung, seinem ganz besonderen Steckenpferd, über 250 Leute kommen und die meisten von ihnen nicht das grüne Parteibuch haben.
    Für Hobbys bleibt Priggen, der in Aachen auch kommunalpolitisch engagiert ist, keine Zeit. Dafür freut er sich immer wieder auf den Urlaub mit Frau, den beiden mittlerweile 16 und 18 Jahre alten Kindern und vielen Freunden in einem kleinen Dorf in Schweden.
    Peter Jansen

    ID: LI100122

  • Porträt: Ewald Groth (Grüne).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 24.06.2009

    "Ich habe mir in meinem Leben viel erarbeitet und dabei viel Glück gehabt, aber das war noch einmal der größte Zuschlag." Eine durchaus bemerkenswerte Feststellung aus dem Mund des Grünen-Politikers Ewald Groth, der bislang durch übertriebene Demut in seinen öffentlichen Äußerungen nicht auffällig geworden ist. Wenn er jedoch auf seine kleinen Zwillingssöhne zu sprechen kommt, ändert sich die Tonlage schlagartig. "Schön, dass man noch einmal eine Ausrichtung auf das wirklich Wichtige im Leben hat", bewertet er es als Geschenk, dass er im vergangenen Jahr im vergleichsweise fortgeschrittenen Alter noch einmal Vater geworden ist. Erst jüngst hat er es genossen, die beiden beim täglichen Joggen am Strand auf Rügen vor sich herschieben zu können.
    Was die Suche nach dem Wichtigen im Leben angeht, so hat der 55-Jährige schon eine veritable Reihe von Stationen hinter sich gebracht, die er nicht immer auf geraden Wegen, aber immer mit Fleiß und Durchsetzungskraft ansteuerte. Geboren in einem Bergarbeiter-Haushalt in Lünen machte Groth zunächst nach der mittleren Reife eine Ausbildung bei der Post, bevor er in den 70er-Jahren die Fachhochschulreife und dann per Abendgymnasium das Vollabitur nachholte, um anschließend an der Heilpädagogischen Hochschule in Dortmund das Lehramt anzustreben. Nach zwei längeren Rucksackreisen in Asien und Australien trat Groth 1982 dann sein Referendariat in Osnabrück an. Nachdem er dort eine Krankenhausschule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgebaut hatte, zog er Ende 1988 aus privaten Gründen ins münsterländische Ostbevern im Kreis Warendorf und wechselte beruflich an die Albert-Schweitzer-Schule in Münster.
    Ostbevern ist auch der eher unspektakuläre Ausgangspunkt seiner politischen Karriere: "Da gab es eine Einladung des grünen Kreisverbandes Warendorf zur Gründung eines Ortsverbandes, und da bin ich dann einfach mal hingegangen", erinnert er sich an die Zeit vor 20 Jahren zurück. Er ergriff mit einer Mitstreiterin und einem Mitstreiter die Initiative und führte nach den Kommunalwahlen 1989 maßgeblich das grüne Element in die politische Landschaft Ostbeverns ein. Ambitionen auf die Landesebene hatte Groth zunächst nicht. "Ich war glücklicher Familienmensch und Sonderpädagoge mit Leib und Seele", blickt er auf seinen Lebensabschnitt im Münsterland zurück, bevor er für die Landtagswahl 1995 vorgeschlagen wurde. Auch kannte er bis zu diesem Zeitpunkt die grünen Speerspitzen Bärbel Höhn und Michael Vesper überhaupt noch gar nicht. Während die beiden Ex-Minister inzwischen in die Landeshistorie eingegangen sind, gehört Ewald Groth, der mittlerweile seit zehn Jahren in Bochum wohnt, heute neben Fraktionschefin Sylvia Löhrmann und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Johannes Remmel zu den grünen Urgesteinen in der Landtagsfraktion. Den Reiz, Berufspolitiker werden zu wollen, sah Groth vor seinem ersten Mandat darin, mehr Zeit zu haben. Ein Trugschluss, wie sich bald herausstellen sollte: Allein im Wissenschaftsausschuss, dem er vorsitzt, im Sportausschuss und im Haushalts- und Finanzausschuss mit seinen drei Unterausschüssen hat er in dieser Legislaturperiode an über 160 Sitzungen teilgenommen. Ein Schicksal, an dem "Mehrthemen- Politiker" kleinerer Fraktionen nur schlecht vorbeikommen. Seinen Ruf als lautstarker Zwischenrufer und Polarisierer im Plenum und im Haushalts- und Finanzausschuss hat Groth sich redlich erarbeitet. "Ich bin da aber auch sensibel", räumt er ein, "wenn ich merke, dass die Mehrheit mit den Steuern nicht sorgsam verfährt und ich das nachweisen kann". "Als guter Teamspieler kann ich aber auch Konsens", sagt der 55-Jährige unter Hinweis auf die Enquete-Kommission "Effektive Präventionspolitik", die im Anschluss an den Untersuchungsausschuss zum Siegburger Foltermord eingerichtet wurde: "Ich bin sicher, dass wir da ein gutes Ergebnis hinbekommen werden", sagt Groth optimistisch voraus.
    Auch macht er keinen Hehl daraus, dass er als Abgeordneter 2010 gerne noch einmal in Regierungsverantwortung kommen möchte: "Ich will es noch einmal wissen und bin sicher, dass wir es mit grünen Ideen besser machen würden", gibt er sich kämpferisch. Dabei setzt er in den anstehenden parteiinternen Entscheidungsprozessen der kommenden Monate auf die reiche Erfahrung in seinen Politikfeldern, die allesamt nicht die klassischen "urgrünen" Themen wie Umwelt, Energie oder Sozialpolitik sind. "Ich beackere nur Themen, wo man für Grün werben muss", sagt er zu seinem politischen Profil.
    Michael Fritsch

    ID: LI090722

  • Porträt: Horst Becker (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 18.06.2008

    Alle Welt spekuliert in diesen Wochen über schwarz-grüne Bündnisse: Der grüne Landtagsabgeordnete Horst Becker hat seine praktischen Erfahrungen mit den schwarzen Partnern längst gemacht. Als Stadtrat im rheinischen Lohmar arbeitet der Öko- Politiker seit fast vier Jahren in einer Koalition mit der CDU erfolgreich zusammen. Was im Lokalen möglich ist, will der Pragmatiker auf Landesebene in den nächsten Jahren nicht generell ausschließen - wirklich vorstellen kann sich der studierte Wirtschaftswissenschaftler dies aber bislang nicht. "Wir sind inhaltlich so weit entfernt von Rüttgers, da müsste sich die NRW-CDU schon erheblich bewegen."
    Seit 2005 sitzt der leidenschaftliche Kommunalpolitiker im Düsseldorfer Landtag und engagiert sich mit heißem Herzen und kühlem Verstand für Kommunales, Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik. Der Ruf als "Anwalt der Kommunen" gefällt dem Grünen-Politiker, der seit 24 Jahren politisch aktiv ist. Dass die schwarz-gelbe Koalition die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen per Gesetz eingeschränkt hat, treibt Becker bis heute auf die Palme. Der Abgeordnete fürchtet verheerende Auswirkungen durch finanzielle Ausfälle der Städte für den öffentlichen Personennahverkehr, für Soziales und Kultur.
    Vor allem die Verkehrspolitik hat es dem gelernten Speditionskaufmann angetan. "Wir geben definitiv zu wenig Geld aus für Busse und Bahnen", warnt Becker. Der Grüne ist sicher, dass sich die Großstädte schon in wenigen Jahren vom Umland abschotten werden, weil sie die Belastung durch Abgase, Feinstaub und Stickoxide begrenzen müssen. "Der Verkehr wird das große Megathema", glaubt der Rheinländer. Busse und Bahnen werden immer wichtiger, damit Menschen überhaupt noch in die Städte hineinkommen. Scharfe Kritik übt Becker am christdemokratischen Verkehrsminister Oliver Wittke, der die Kürzungen der ÖPNV-Mittel durch den Bund einfach an die Kommunen weitergereicht habe. "Das wird vor allem den ländlichen Raum treffen."
    Der gebürtige Kölner fährt selbst ausgesprochen gern Fahrrad. Im politischen Alltagsstress findet der Parlamentarier aber immer seltener die Zeit, mit dem Drahtesel übers Land zu radeln. Es gibt genug zu tun. Becker hat kein Verständnis für den Ausbau der regionalen Flughäfen, die mit staatlichen Subventionen und niedrigen Flughafengebühren um Billigflieger konkurrieren. Während CDU, SPD und FDP die Wünsche der Mallorca-Flieger und der Wirtschaft bedienen, kritisiert der Öko-Politiker den Fluglärm für die Anwohner und die wachsende Umweltbelastung durch Abgase der Jets. Ein alter Konflikt in Industriestaaten: Mobilität gegen Umweltschutz.

    Schwarz-Grün

    Fleißig kämpft der Grüne für bezahlbare und energiesparende Wohnungen, damit auch Menschen mit geringen Einkommen von hohen Mieten und der "zweiten Miete" für Heizkosten nicht erdrückt werden. Bei der energetischen Sanierung von Altbauten kommt langsam etwas in Bewegung: Mit der Explosion der Energiepreise wächst die Bereitschaft in Berlin und Düsseldorf, mehr Fördermittel für Wärmedämmungen und den Einbau moderner Heizungen aufzuwenden.
    Die regelmäßige Rückkopplung der grünen Landespolitik mit der Arbeit in den Kommunen hält Becker für unverzichtbar. Im heimischen Lohmar haben seine Grünen bei der letzten Kommunalwahl 25,5 Prozent der Stimmen erreicht - sicher nicht zuletzt, weil der Öko-Politiker in Düsseldorf mit Argusaugen darauf achtet, dass das Land die klammen Kommunen nicht über den Tisch zieht. Dafür, dass es in Lohmar so gut klappt mit der CDU, hat Becker eine Begründung: "Personen spielen eine wichtige Rolle." In der CDU vor Ort gab es vor der letzten Kommunalwahl einen Generationswechsel: Mit der neuen jungen Garde funktioniert die Zusammenarbeit.
    Eine Leidensgemeinschaft verbindet Becker mit dem 1. FC Köln. Als treuer Fan der Rot- Weißen erlebt er das Auf und Ab des rheinischen Kult-Clubs so oft wie möglich im Stadion mit. "Ich bin kein Mitglied. Aber ich zittere mit den Geißböcken", räumt der Grüne ein.
    In zwei Jahren möchte der emsige Abgeordnete noch einmal für fünf Jahre im Landtag kandidieren. Becker bleibt aber ganz Basispolitiker: "Das liegt in der Entscheidung der Basis."
    Autor: Wilfried Goebels

    ID: LIN04858

  • Porträt: Sigrid Beer (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 05.12.2007

    Für eine erfolgreiche politische Karriere im Landtag bringt Sigrid Beer gute Voraussetzungen mit. Die 51-jährige Abgeordnete ist engagiert, hat im Fachbereich Schule fundiertes Wissen und ist als Protestantin und Grüne aus der Diaspora Paderborn hinreichend gestählt, um den Herausforderungen einer Parlamentarierin in der Opposition gewachsen zu sein. Den berühmten Satz "Opposition ist Mist" lässt Sigrid Beer denn auch - zumindest für die eigene Person - nicht gelten.
    Als Beispiel für hartnäckiges Verfolgen politischer Ziele nennt die Abgeordnete ihr Eintreten für den gesetzlichen Anspruch sozialschwacher Schülerinnen und Schüler auf ein warmes Mittagsessen in den Schulen. "Da haben wir so viel Druck gemacht, dass der Ministerpräsident Stellung nehmen musste", sagt Sigrid Beer. Als im Sozialbericht des Landes die gleichen Forderungen zu lesen waren, habe das Thema eine solche Dynamik entwickelt, dass kurzfristig ein Landesfonds "Kein Kind ohne Mahlzeit" beschlossen wurde, aus dem für das laufende und das kommende Jahr jeweils zehn Millionen Euro gezahlt werden. Um weitere Gelder für die Schulspeisung locker zu machen, brachte die GRÜNE-Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf ein. Der hat zwar nur geringe Aussicht auf Erfolg, doch mit einer Anhörung im Frühjahr 2008 wollen die Grünen weiter für Akzeptanz werben.
    Schon früh hat sich Sigrid Beer stets für Kinder und Jugendliche eingesetzt. Bereits als 13-Jährige hat sie in evangelischen Ferienfreizeiten mitgearbeitet. Noch vor Abschluss ihres Studiums als Diplom-Pädagogin war sie mit einer Sondererlaubnis als Lehrerin tätig. Von 1980 bis 1987 arbeitete Beer in der Kinder- und Jugendarbeit als Leiterin eines Hauses der Offenen Tür. Danach war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Paderborn. Seit 2002 ist sie freiberufliche Erziehungswissenschaftlerin, Gutachterin und Fachautorin.
    Über ihr Engagement für Kinder ist Sigrid Beer auch zur Politik gekommen. In den Tagesstätten ihrer drei Kinder beteiligte sie sich an der Elternarbeit. Dann gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern einer Elterninitiative für die erste Gesamtschule in Paderborn. 1995 holten GRÜNE und SPD gemeinsam sie als sachkundige Bürgerin in die Bezirksvertretung. Parallel engagierte sie sich zunächst in der Landes-, später in der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung/Schule. 2004 war sie Bürgermeisterkandidatin in Paderborn. Als sie danach gefragt wurde, ob sie für den NRW-Landtag kandidieren wolle, habe sie nach einer gründlichen Beratung mit der Familie zugesagt. 2005 zog Sigrid Beer als Abgeordnete in den Landtag ein.
    Sie hatte Glück, denn sie kam auf Anhieb in ihre Wunschausschüsse. Im Ausschuss für Schule und Weiterbildung ist die Grüne Sprecherin ihrer Fraktion und im Petitionsausschuss stellvertretende Vorsitzende und außerdem Sprecherin. "Mit diesen Ausschüssen habe ich zwei wunderbare Standbeine, mit denen ich hier im Landtag grüne Politik vertrete. Da kommen sehr viele Fäden aus meiner Lebensbiographie wieder zusammen", bilanziert die Abgeordnete.
    Besonders wichtig ist Sigrid Beer die Wahlkreisarbeit. "Ich bin viel vor Ort und habe feste Sprechstunden. Die Termine sind immer ausgebucht. Ich fahre auch zu Leuten nach Hause, wenn es anders nicht geht", erklärt die Parlamentarierin. Das passe gut zu ihrer Arbeit im Petitionsausschuss. Außerdem stärke der Einsatz an der Basis die Glaubwürdigkeit der Politiker, meint Sigrid Beer, die sich mittlerweile in der politischen Arbeit so zu Hause fühlt, dass sie für die nächste Legislaturperiode wieder kandidieren möchte.
    Privat fährt Sigrid Beer, wie es zu einer Grünen passt, gerne Rad, ist aber auch mit Hund Hamlet unterwegs. Die Hausarbeit wird in der Familie aufgeteilt, "allerdings", lacht Sigrid Beer "seit ich Abgeordnete bin, wird bei uns kein Gemüse mehr angepflanzt, dafür haben wir jetzt sehr viel grüne Hölle in unserem Garten".
    Autorin: Gerlind Schaidt

    ID: LIN03884

  • Porträt der Woche: Oliver Keymis (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 12 - 15.11.2006

    Äußerlich schwarz, doch innerlich grün. Lebensfroh den schönen Künsten zugetan und doch die harte politische Sacharbeit nicht scheuend. Weltoffen mit frankophilem Faible und doch von Geburt an bodenständiger Rheinländer: Oliver Keymis ist ein Mensch und Politiker, der viel vermeintlich Widersprüchliches in seiner Person und Lebensphilosophie zu einem harmonischen Ganzen vereint, ohne dabei in Beliebigkeit zu verfallen.
    Eine Charaktereigenschaft, die dem GRÜ- NE-Politiker für sein neues Amt als Vizepräsident des Landtags sehr zugute kommt. Dass Keymis nach sechseinhalb Jahren im Parlament auch für ihn "sehr überraschend" eine neue Rolle ausfüllen soll, macht ihm keine Angst: "Mein Amt ist ein Angebot an alle Abgeordneten, für das Haus insgesamt zu stehen", erklärt der 45-jährige verheiratete Politiker. Er verspricht: "Ein Neutrum werde ich nicht. Selbstverständlich bin ich ein Grüner. Das ist meine politische Heimat."
    Ganz so lange allerdings noch nicht, denn Keymis trat der Partei erst im Jahr 1997 bei. Zu diesem Zeitpunkt hatte er als Sprecher der in Meerbusch ansässigen Bürgerinitiative gegen den oberirdischen Bau der Autobahn 44 allerdings schon mehr als zehn Jahre öffentlichkeitswirksam auf sich aufmerksam gemacht und damit das Interesse der grünen Landtagsfraktion geweckt. Als das A 44-Projekt mit einem Teilerfolg der Bürgerinitiative zugunsten einer Brücke-Tunnel-Lösung ausging, warb die damalige grüne Verkehrspolitikerin Gisela Nacken um Keymis: Der Grünen-Sympathisant trat in die Partei ein, trat 1999 mit Erfolg um einen aussichtsreichen Listenplatz an und zog im Jahr darauf erstmals in den Landtag ein.
    Neigungsfelder
    Beruflich hatte Keymis zu diesem Zeitpunkt bereits eine 16-jährige Theater- und Fernsehkarriere als Regieassistent und Regisseur hinter sich. Dieser gab er allerdings Anfang 2000 bewusst auf und zog dabei sogar zwei zugesagte Theaterprojekte zurück: "Wenn man Politik ernst nimmt, ist nebenher nicht mehr viel möglich". Außerdem müsse man auch nicht immer etwas tun. Keymis plädiert für Momente der Stille und des Innehaltens. "Die meisten definieren sich ja darüber, dass sie ständig irgendetwas tun. Das bringt uns ja oft auch so durcheinander!" Im Übrigen, so Keymis, habe er immer in seinem Leben ein Stück Risiko in Kauf genommen. Und zwar getreu der Lebensmaxime seines irischen Theatervorbildes Samuel Beckett: "Weiter scheitern. Besser scheitern."
    Von einer solchen Möglichkeit hat sich Keymis als professioneller Politiker allerdings zusehends entfernt. Zusätzlich zu seinen "Neigungsfeldern" Kultur- und Medienpolitik nahm er sich des Straßenbaus und ab 2003 des gesamten Komplexes Verkehrspolitik an. In der er sich insbesondere seit 2005 nach dem Gang in die Opposition als Streiter für einen restriktiven Luftverkehr und als Verfechter für den Ausbau des öffentlichen Schienenverkehrs einen Namen machte.
    Allerdings wird es zu den Duellen mit dem "schwarzen Olli" (Wittke) zu Lande und in der Luft nicht mehr kommen. Denn im Gegensatz zu den Themenfeldern Kultur und Medien ist der stark polarisierte Bereich Verkehr nicht vereinbar mit dem mehr auf parlamentarische Repräsentanz angelegten Vizepräsidentenamt.
    Gleichwohl macht Keymis keinen Hehl daraus, dass er die Lösung der verkehrspolitischen Probleme, insbesondere im Hinblick auf die Umweltproblematik, als entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hält: "Wir können nicht weiter für 18 Euro durch ganz Europa fliegen. Da werden sich die hochentwickelten Gesellschaften zurücknehmen müssen."
    Wie bitterernst Keymis diese Angelegenheit ist, wird daran deutlich, dass er an dieser Stelle auch die Grenzen seines Optimismus festmacht: "Um die Klimakatastrophe zu vermeiden, müssen wir alle im großen Stil umsteuern. Da kann man nicht drumherum lächeln."
    Autor: Michael Fritsch

    ID: LIN02488

  • Porträt der Woche: Johannes Remmel (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 3 - 15.02.2006

    Nach Auffassung von Johannes Remmel ist die grüne Landtagsfraktion in der Opposition angekommen. Und Remmel muss es wissen. Er ist alter und neuer Parlamentarischer Geschäftsführer der auf zwölf Landtagsabgeordnete geschrumpften GRÜNE-Fraktion. Nach seiner Meinung sind die Grünen derzeit sogar die einzig wahre Opposition im Düsseldorfer Parlament. Doch Remmel macht keinen Hehl daraus, dass ihm Regieren weitaus lieber war als das Drücken der harten Oppositionsbänke: "Schon auf Grund der Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben, tut es weh, dass wir jetzt nicht mehr gestalten können."
    Der pragmatische Remmel nutzt den analytischen Blick zurück nur, um nach vorn zu schauen. Jetzt gehe es darum, "auf der langen Strecke bis 2010 alles richtig" zu machen, um möglichst viele Wähler zurück zu gewinnen. "Kernthemen bleiben bei uns Umweltfragen und Verbraucherschutz. Eine zentrale Rolle wird die Energiepolitik spielen", ist er sich sicher. Ob die Grünen sich schließlich als Alternative zu Rot mit der Union anfreunden können, bleibt vier lange Jahre vor dem Wahltag offen. Immerhin, meint Remmel, der aus einem katholischen Elternhaus kommt, bei der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg war und sich mit der Theologie der Befreiungslehre auseinandergesetzt hat, dass er "Heiner Geissler und auch Norbert Blüm gut zuhören" könne. Der Grüne:"Da habe ich eine gewisse Nähe."
    Dem 44-jährigen Remmel liegt seine Aufgabe ganz offensichtlich. Mit akribisch exakter Arbeit und Geschick verstand er es in der letzten Legislaturperiode, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Dabei hatte an der Wiege des Siegeners wohl niemand an eine politische Karriere gedacht. Remmel war Messdiener und nach der Pfadfinderzeit Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses an der Siegener Uni, als er dort Geschichte, katholische Theologie und Sport studierte. Als sein Sohn David Wilhelm geboren wurde, entschied sich Remmel für anderthalb Jahre Hausmanns-Arbeit, um danach mehrere publizistische Arbeiten und verschiedene Lehraufträge zu übernehmen.
    Parteipolitisch war sein Weg konsequent und folgerichtig. Er erkannte bei Gründung der Grünen sofort: "Das ist meine Partei." So trat er 1983 in die neue Partei ein. Bereits 1984 arbeitete er als sachverständiger Bürger - zunächst im Schul-, dann im Verkehrsausschuss mit - ehe er 1989 Ratsmitglied wurde. 1994 half Remmel dann maßgeblich mit, die erste rot-grüne Koalition in Siegen auszuhandeln. Getragen vom allgemeinen Aufschwung der Partei bewarb sich der Grüne um ein Landtagsmandat und landete am Wahlabend 1995 überraschend, aber glücklich mit Platz 24 im Düsseldorfer Parlament.
    Der junge Abgeordnete fand sich rasch im System zurecht. Er wurde tourismuspolitischer Sprecher, lernte dabei Land, Leute und Strukturen kennen, erwarb sich als Vorsitzender der "Enquetekommission Zukunft der Mobilität" Anerkennung, wurde 1997 umweltpolitischer Sprecher, danach Mitglied des Fraktionsvorstandes, 1999 finanzpolitischer Sprecher und ist seit 2000 Parlamentarischer Geschäftsführer. Ruhig und bedacht managt er in seiner pragmatischen und gleichzeitig vermittelnden Art die Fraktionsarbeit.
    Obwohl über die Landesliste in das Düsseldorfer Parlament gelangt, fühlt sich Remmel durchaus als Wahlkreisabgeordneter. Er hält in seinem Wahlkreis Sprechstunden ab und ist ständig vor Ort zu erreichen. "Ich vertrete die Interessen der Region in Düsseldorf und versuche, Düsseldorfer Entscheidungen in meinem Wahlkreis verständlich zu machen", sagt er.
    Da Remmel zumeist täglich zwischen seiner Heimatstadt Siegen und Düsseldorf mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendelt, muss die Zeit für Frau und zwei Kinder sowie Hobbys gut eingeteilt werden. Am besten entspannen kann er bei der Gartenarbeit, "da kommen mir die besten Gedanken". Tomatenhäuschen, Beerensträucher und vor allem Erdbeeren sind sein ganzer Stolz. Jetzt hat Remmel noch ein Hobby. Als seine Frau zu rauchen aufhörte, verlangte sie von ihrem Mann, dass er für das eingesparte Geld Reitstunden nimmt. So steigt Johannes Remmel einmal pro Woche aufs Pferd. Das mache sogar Spaß, gesteht er mit etwas schiefem Grinsen und fügt mit einem jugendlichen Lacher über die bisher erworbenen Reitkünste hinzu: "Ich bin froh, wenn ich nicht runterfalle."
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN01398

  • Porträt der Woche: Sylvia Löhrmann (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 13 - 30.11.2005

    "Das machen die Herren selber, daß ihnen der kleine Mann feyndt wird." Auch nach mehr als 25 Jahren ist Sylvia Löhrmann dieser Filmtitel noch gut präsent. Der Dokumentarstreifen der Wendländischen Filmcooperative aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, benannt nach einem Zitat des Radikalreformers und Hauptfigur der Bauernkriege, Thomas Müntzer, zeigt den Widerstand von Landwirten gegen eine Atompolitik über die Köpfe Betroffener hinweg. Sylvia Löhrmann hat ihn sich seinerzeit als Studentin an der Ruhr-Universität Bochum angesehen und war sich fortan sicherer als je zuvor, wo sie politisch hingehört: zu den Grünen.
    Die sich seinerzeit als Partei noch gar nicht formiert hatten. Deren erste Generation um Personen wie Herbert Gruhl oder Petra Kelly aber gerade mit Erfolg dabei war, über die Anti-Atompolitik, die Frauen- und die Friedensbewegung Menschen anzusprechen, die sich im bis dahin existierenden Parteienspektrum nicht wieder fanden.
    In die Wiege gelegt war Sylvia Löhrmann diese politische Sozialisierung allerdings nicht. Geboren 1957 an der Essener Hafenstraße, wo der Fußballverein Rot-Weiß in jenen Jahren seine größte Zeit hatte, ging sie später auf die katholische Privatschule Beatae Mariae Virginis, wo sie nach dem Willen ihres dem Zentrum nahe stehenden Vaters eine gute katholische Grundbildung erhalten sollte. Wo es ihr aber auch selbst so gut gefiel, dass sie nach dem Umzug nach Witten-Herbede noch über fünf Jahre den langen Schulweg nach Essen in Kauf nahm.
    Nach dem Lehramtsstudium in Bochum und dem Referendariat in Duisburg war für Sylvia Löhrmann die Ruhrgebietszeit 1985 zu Ende. Sie bewarb sich erfolgreich an einer Solinger Gesamtschule und vollzog mit dem Beginn einer absehbaren "Sesshaftigkeit" nun auch den Schritt von der grünen Sympathisantin zum Eintritt und zur aktiven Mitarbeit in der Partei. In der die seit Kinderzeiten stets lernbegierige, pflichtbewusste und zielstrebige junge Frau auch rasch aufstieg: 1989 Spitzenkandidatin bei den Kommunalwahlen," Mitschmiedin" eines rot-grünen Bündnisses auf Kommunalebene, Engagement in der Frauen- und Gleichstellungspolitik. 1994 erneut auf Platz eins der Solinger Grünen und ein Jahr später bereits Einzug in den Landtag. Was zu diesem Zeitpunkt aber eher überraschend kam. Denn Platz 25 der Landesliste zog nur deshalb, weil die Grünen im Mai 1995 mit zehn Prozent überraschend viele Mandate errangen, Regierungspartei wurden und damit Bärbel Höhn und Dr.Michael Vesper als Minister nach der Grünen- Philosophie ihre Landtagsmandate für Nachrücker frei machten.
    Auch im Landesparlament erwarb sich Sylvia Löhrmann rasch Respekt und Akzeptanz, nicht nur in den eigenen Reihen. 1998 setzte sie sich in einer Kampfabstimmung als Parlamentarische Geschäftsführerin durch, nach den Mai-Wahlen 2000 wurde sie Fraktionsvorsitzende. Und wendet sich seither neben ihrer Führungsaufgabe der Fraktion auch dem Thema zu, mit dem sie mit viel Engagement, Herzblut, Leidenschaft und kämpferischem Einsatz auf der politischen Bühne spielt: der Bildungspolitik. Dass sich die Grünen in Abgrenzung zum damaligen Koalitionspartner SPD als Konsequenz aus dem Pisa- Schock als einzige politische Kraft ohne Wenn und Aber zu einem integrativen Schulmodell nach dem Beispiel der erfolgreichen skandinavischen Länder bekennen, geht nicht zuletzt auf ihre schulpolitische Meinungsführerschaft bei den Grünen zurück.
    Seit Mai 2005 sind die Grünen Oppositionsfraktion. Gleichwohl steht die Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann mehr denn je im Blickpunkt, hat doch die bisherige erste Garde - die beiden ehemaligen Grünen Minister Bärbel Höhn und Dr. Michael Vesper - andere Aufgaben übernommen. "Kritisch, konstruktiv und nicht aus Prinzip dagegen", definiert Sylvia Löhrmann die Oppositionsrolle ihrer Fraktion. Ohne gleichzeitig ihr Fernziel aus den Augen zu verlieren, das sie so formuliert: "Wir arbeiten hart daran, nur fünf Jahre Oppositionspolitik zu machen."
    Michael Fritsch

    ID: LIN01249

  • Porträt der Woche: Dr. Michael Vesper (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 14.09.2005

    Kochen mit Alfred Biolek, Talkshows im Fernsehen und beinahe täglich Interviews im Hörfunk - die Zeiten, in denen Michael Vesper ein gefragter Gast für jede Form von Unterhaltung und Information war, sind erst einmal vorbei. Zehn Jahre war der 53-jährige grüne Politiker Minister in Düsseldorf, zuständig unter anderem für Bauen, Sport und Kultur, und ebenso lange Stellvertreter der Ministerpräsidenten Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. "Ich will nicht kokettieren und so tun, als würde man den Machtverlust leicht wegstecken", beschreibt Vesper seine Empfindungen seit dem 22.Mai, "aber eine persönliche Katastrophe ist das für mich wirklich nicht. Ich kann damit umgehen."
    Der Blick zurück fällt dem promovierten Soziologen auch deswegen leicht, weil er stolz ist auf eine Reihe von Ergebnissen seiner zehnjährigen Arbeit als Minister. Dazu zählt er in erster Linie die Ruhr-Triennale, die von der neuen Landesregierung weiter unterstützt wird, dazu gehört die Sportstiftung NRW, die junge talentierte Sportler fördert, dazu gehört auch die Initiative Stadtbaukultur, die dazu beigetragen hat, dass Baukultur in den Städten überhaupt wieder zu einem Thema geworden ist. Und wenn irgendwann in den nächsten Jahren die 50. Solarsiedlung in NRW fertig gestellt und bezogen wird, dann wird sich vielleicht noch der eine oder andere Bauherr daran erinnern, dass es Vesper und sein Ministerium waren, die den Anstoß zu diesen Siedlungen gegeben haben. Aus anderen Plänen ist nichts geworden, teils aus Geldmangel, teils weil widrige Umstände dazwischen kamen. Einige Landesministerien sind immer noch über ganz Düsseldorf verteilt, der Traum von einem modernen Regierungsviertel im Schatten von Stadttor und Fernsehturm ließ sich nicht verwirklichen. Die Kunstsammlung NRW harrt nach wie vor der Erweiterung und aus den Olympischen Sommerspielen an Rhein und Ruhr ist nichts geworden, auch wenn Vesper heute noch stolz darauf ist, dass bei der Bewerbung die ganze Region zusammengestanden und für die Spiele gekämpft hat.
    Oppositionsrolle
    Nur kurz hat Vesper nach der für SPD und Grüne verlorenen Landtagswahl mit dem Gedanken gespielt, aus der Politik auszusteigen, mit 53 Jahren noch mal etwas Neues, Anderes anzufangen. Opposition, das hatte er ja schon fünf Jahre in Düsseldorf gehabt und auch in den Jahren davor, als er in Bonn als angestellter Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Grünen tätig war. "Aber ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich die neue Rolle voll und ganz annehme, auch um den früheren Oppositions- und heutigen Regierungsparteien zu zeigen, wie man gute Oppositionspolitik macht", fügt er mit einem Lächeln hinzu.
    Und seine Familie profitiert davon, dass der Terminkalender des Landtagsvizepräsidenten nicht mehr so dicht gefüllt ist wie der des Vizeministerpräsidenten. "Ich habe mehr Zeit für meine Frau und die großen und kleinen Kinder, kann jetzt sogar wieder selbst zum Elternabend gehen." In der neuen Funktion will Vesper dazu beitragen, dass die Debatten im Parlament lebendiger werden und der Landtag sich in die Regionen und für die Regionen öffnet. "Wir vertreten 18 Millionen Menschen", sagt Vesper selbstbewusst, "da brauchen wir uns nicht hinter dem Bundestag oder dem Europäischen Parlament zu verstecken."
    Vesper, der den Vorsitz des Innovationsausschusses übernommen hat und zusätzlich als sportpolitischer Sprecher der Grünen auftritt, will sich künftig verstärkt an der Diskussion grundsätzlicher Fragen beteiligen, von der Parlamentsreform über das Gespräch mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften bis zur Debatte über den künftigen Weg seiner Partei, den Grünen. "Wir müssen uns auf unseren Themenfeldern behaupten - Ökologie, demokratische Kultur, Innovation, Solidarität. Daran will ich mitarbeiten."
    Peter Jansen

    ID: LIN01097

  • Porträt der Woche: Sybille Haußmann (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 23.02.2005

    Als migrationspolitische Sprecherin der GRÜNE-Fraktion im Düsseldorfer Landtag hat Sybille Haußmann ein Thema aufgegriffen, das unter den Nägeln brennt. Es geht um die Gleichberechtigung von Muslimen als religiöse Minderheit in Deutschland. "Allein in NRW leben derzeit rund eine Million Muslime, damit ist der Islam eine der drei großen Religionen im Land", sagt die 45-jährige Landtagsabgeordnete. Doch während das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bei den beiden christlichen Glaubensgemeinschaften und auch bei den jüdischen Gemeinden klar geregelt ist, fehlt für Muslime bislang eine solche Übereinkunft. "Das hat damit zu tun, dass es keinen zentralen Ansprechpartner gibt", weiß die Politikerin. Muslime seien nicht hierarchisch und schon gar nicht einheitlich organisiert. Es gibt mindestens fünf Organisationen, mit denen man sich ins Benehmen setzen muss. Außerdem gehören einige der führenden Muslime Vereinen an, auf die der Verfassungsschutz ein Auge hat. Beides führt dazu, dass sich die rot-grüne Landesregierung bei dem Thema, trotz des Drängens der GRÜNE-Fraktion, zögerlich verhält.
    Dabei ist nach Auffassung von Sybille Haußmann ein geregeltes und verbindliches Verhältnis zwischen Staat und Muslimen eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein Zusammenleben. Fast täglich stünden Themen, die Muslime betreffen, auf der Tagesordnung des Landtags. Nach eigenem Eingeständnis hat die engagierte Politikerin auf diesem Gebiet mit ihrer parlamentarischen Arbeit bislang weniger erreichen können, als sie wünscht. Obwohl ihr klar ist, dass parlamentarische Arbeit immer ein Bohren dicker Bretter bedeutet, hofft sie doch, dass es jetzt mit der Lösung der Aufgabe etwas besser voran gehen wird. "Es ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit, dass etwas geschieht", betont sie. Wichtig wäre ihrer Meinung nach, dass eine legitimierte, landesweit zentrale islamische Einrichtung geschaffen würde, mit der die Landesregierung verhandeln könnte.
    Sozialarbeit
    Noch ein anderes Thema ist für die Diplom-Sozialarbeiterin Herzenssache. Seit sie als Nachrückerin für ihren Fraktionskollegen Dr. Michael Vesper vor Jahren in den Landtag einzog, kämpft sie für Haftvermeidung. "Dabei geht es darum, dass Menschen, die nicht in Haft gehören, auch nicht in eine Haftanstalt kommen." Haußmanns Argumentation ist schlüssig: Oft sitzen Alkoholsünder oder Kleinkriminelle wie Ladendiebe ein, die nach Richterwillen eigentlich eine Geldstrafe bezahlen sollten. Weil die Unterbringung in Haftanstalten teuer ist, verursachen sie ein Vielfaches der Kosten, die als Buße in die Landeskasse fließen sollten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie durch den Gefängnisaufenthalt ihren Arbeitsplatz verlieren, die Familie aus dem Tritt gerät oder gar die Wohnung verloren geht. Ein rot-grünes Konzept zur Änderung dieses Problems wurde zwar verabschiedet, doch es fehlt an Geld, um es umzusetzen. Wie schwer es ist, parteipolitisch als richtig erkannte Ziele in einem Parlament umzusetzen hat Sybille Haußmann in ihrer ersten Legislaturperiode hinreichend erfahren. "Als Newcomerin habe ich mich zäh durchgebissen, aber es war schon ein hartes Stück Arbeit", sagt die 1960 in Hildesheim geborene Grüne, die in Köln studierte und heute ihren Wahlkreis in Düren hat. Nach dem Studium machte sie ein Anerkennungsjahr im Jugendamt des Erftkreises. Danach war sie in verschiedenen anderen Bereichen tätig, ehe sie 1992 Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirchengemeinden der Region Jülich wurde und ab 1996 als Gleichstellungsbeauftragte der Kreisverwaltung Düren arbeitete. Mit der Annahme des Landtagsmandats beendete sie den Dienst in der Verwaltung, weil er mit ihrer Abgeordnetenstellung nicht vereinbar ist. Ob sie im nächsten Landtag von Anfang an mit machen wird, ist unsicher, denn bei der Aufstellung der Liste für die Wahl im Mai 2005 landete sie erneut auf Platz 19.
    Viel Freizeit hat sie nicht. "Ich habe zwei kleine Kinder. Das ist mein Hobby. Der Dreijährige ist im Kindergarten. Für das jüngste Kind sorgt eine Kinderfrau, weil mein Mann auch im Landtag arbeitet", lacht Sybille Haußmann bei der Frage nach Hobbys. "Ich versuche mich zu disziplinieren, und mindestens einmal in der Woche zu joggen."
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN00178

  • Porträt der Woche: Dr. Thomas Rommelspacher (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 14 - 08.12.2004

    Städtebauliche Visionen nicht nur am Reißbrett zu entwerfen, sondern auch zu erden. Menschen bei der Planung ihres Lebensraumes mitzunehmen. Das ist der Spagat aus theoretischem Anspruch und praktischer Projektrealisierung, der Dr. Thomas Rommelspacher von Studentenzeiten an bis heute fasziniert. Auch zu den Grünen stieß der inzwischen als "junger Alter" durchgehende 57-jährige Essener Abgeordnete über seinen "Doppelberuf" als Sozialwissenschaftler und Stadtplaner: Bei der Beratung von Bürgerinitiativen im Ruhrgebiet, die sich in den siebziger Jahren zum größten Teil mit Erfolg - gegen den Brachialabriss von Zechenwohnungen wehrten. "Da waren wir unserer Zeit weit voraus", blickt Rommelspacher noch heute mit Stolz über die gelungene Sanierung klassischer Arbeitersiedlungen wie Flöz Dickebank in Gelsenkirchen oder die Kolonien Dorstfeld in Dortmund, Ickern in Castrop- Rauxel oder Teutoburgia in Herne zurück.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte der promovierte und habilitierte Akademiker seine erste Karriere als Politiker allerdings schon eine Weile hinter sich: Bei den Jungsozialisten und im Sozialistischen Hochschulbund (SHB), in dem er gemeinsam mit dem späteren langjährigen NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel an der noch jungen Bochumer Ruhr-Universität dem Gründungsrektor Kurt Biedenkopf zusetzte.
    Das Jahr 1968, das einer gesamten politischen Bewegung in Europa und den USA seinen Namen gab, wurde auch für Rommelspacher zu einem prägenden Datum: Er war dabei auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen in Paris und er beendete das Kapitel SPD wie viele Linke seiner Generation mit den von der Großen Koalition in Bonn durchgesetzten Notstandsgesetzen. In die zweite "grüne" Politik-Karriere geriet er weniger gezielt geplant als vielmehr en passant, sagt er im Rückblick auf die ausgehenden siebziger Jahre. Um die diffuse linksalternative Szene in Essen besser zu bündeln, gründete er mit Freunden in der Ruhrstadt die Grün-Alternative Liste (GAL), die später mit den "richtigen" Grünen fusionierte. Für diese saß Rommelspacher drei Legislaturperioden im Essener Stadtrat und trieb die Gründung des Grünenbezirks Ruhr voran.
    Schwarz-Grün
    Vor wenigen Tagen konnte Rommelspacher als maßgeblicher "grüner Schmied" des ersten schwarz-grünen Bündnisses in der zweitgrößten Stadt des Landes die späten Früchte seines langjährigen politischen Wirkens einfahren. Die Entscheidung für das Ratsbündnis mit der CDU sieht Rommelspacher allerdings völlig nüchtern. Sie sei ausschließlich der Arithmetik und der derzeitigen Lage der Essener SPD geschuldet und ohne jede Signalwirkung im Hinblick auf die Landespolitik, versichert er. Und führt wie zum Beweis an, dass er gleichzeitig in Verhandlungen mit SPD-Generalsekretär Michael Groschek eine rot-grüne Koalition in der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhrgebiet (RVR) anstrebe.
    Das Kapitel als Berufspolitiker begann Rommelspacher, der zunächst zwölf Jahre freiberuflich oder selbstständig als Städteplaner arbeitete, bevor er als Hochschullehrer in den Landesdienst eintrat, mit den Landtagswahlen 2000. Dass er anschließend seine beruflichen Kompetenzen auch schwerpunktmäßig in seine parlamentarische Arbeit einbrachte, war konsequent. Denn er ist nicht ein exzellenter Experte seiner Materie, er kennt auch landesweit viele Fachleute aus der Planerszene. Und nicht zuletzt ist das Städtebau- Ressort fest in grüner Hand.
    Dass seine Partei ihm jüngst keinen sicheren Listenplatz gab, ist für Rommelspacher kein Beinbruch. Schon jetzt habe den Fall seiner Rückkehr in den Hochschuldienst ein interessantes Projekt im Auge, versichert er. Ein zusätzliches Kompetenzfeld möchte sich der Wohnungs- und Städtebauexperte auf jeden Fall erobern. Nicht zuletzt auch aus persönlichen Motiven, wie er mit ein bisschen Koketterie gerne einräumt: Die Altenpolitik. "Ich möchte ältere Menschen aus dem Klammergriff der Sozialpolitik befreien", begründet der Junggeselle sein Missfallen darüber, dass Senioren "ausschließlich über Defizite definiert werden".
    Michael Fritsch

    ID: LIN00927

  • Porträt der Woche: Barbara Steffens (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 9 - 21.07.2004

    Es ist deutlich zu spüren: Barbara Steffens ist in ihrem Element. Die grüne Vizefraktionschefin im Düsseldorfer Landtag legt sich mächtig ins Zeug. Seit Wochen tourt sie durchs Land, hält Vorträge, schreibt Rundbriefe und stellt Fragebögen zusammen. Anlass für so viel Aktivität ist eigentlich ein Bundesthema. Was unter dem Schlagwort Hartz IV, also der vom Bund beschlossenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfegeld anscheinend so harmlos daher kommt, birgt in der Umsetzung vor Ort Riesenprobleme. Das hat die grüne Sozialpolitikerin genau erkannt.
    "Es geht jetzt darum, im Sinne der Bürger die bestmögliche Ausgestaltung zu erreichen. Deswegen müssen wir als Grüne die Rolle des Sprachrohrs der Betroffenen übernehmen und in deren Interesse Fragen stellen, Probleme benennen und Lösungen bei Bund und Kommunen einfordern. Wir sind um eine optimale Umsetzung bemüht", betont die 42-Jährige. Sie weiß, dass ein Gutteil des Erfolgs ihrer Partei damit zusammenhängt, dass die Grünen versuchen, ihren Wählern die Politik zu erklären und an den Wahlkampfständen Antworten auf die Fragen der Bürger zu geben.
    Auf ihrem Weg zur engagierten Sozial-, Arbeits- und Gesundheitspolitikerin hat Barbara Steffens einen tüchtigen Weg zurückgelegt. Die am 24. Januar 1962 in Düsseldorf geborene und in Köln aufgewachsene Abgeordnete hat nach dem Abitur Afrikanistik, Romanistik und Politik studiert, dann aber eine Ausbildung zur Biologisch- Technischen Assistentin gemacht, um anschließend Chemie zu studieren. Über Mitarbeit beim BUND, bei Greenpeace und in Anti-Atom- bewegungen kam Barbara Steffens als Nichtgrüne zum Umweltarbeitskreis der grünen Kölner Ratsfraktion. Dort hatte sie das Gefühl, etwas bewegen und verändern zu können. "Die Arbeit war erfolgreich und hat Resultate gebracht. Deshalb bin ich dann 1989 Mitglied im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geworden", erinnert sie sich.
    Eifrige Rednerin
    Danach ging es mit der Parteikarriere rasch bergauf. Kurz darauf war Barbara Steffens im Kreisverbandsvorstand. 1992 wurde sie politische Geschäftsführerin des Landesvorstandes NRW, also erste Generalsekretärin der Landesgrünen. Von 1994 bis 2000 war sie Landesvorstandssprecherin, von 1998 bis 2000 Mitglied des Parteirates des Bundesverbandes der Grünen. Als Mitglied im Koalitionsausschuss bearbeitete sie die Gebiete Arbeit, Gesundheit und Soziales. Da war es nur folgerichtig, dass sie im Jahr 2000 Landtagsabgeordnete Sprecherin der Grünen im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheit der Vertriebenen und Flüchtlinge wurde. Außerdem ist die grüne Abgeordnete in der Enquete-Kommission "Situation und Zukunft der Pflege in NRW" aktiv.
    Wie das Landtagsprotokoll ausweist, hat Barbara Steffens in ihrer relativ kurzen Abgeordnetenzeit bereits 173 Reden gehalten. Dabei ging es um wichtige, von der Bevölkerung stark beachtete, allerdings nicht sonderlich populäre Themen wie das Landespflegegesetz oder das Bestattungsgesetz. Für die kommende Legislaturperiode, in der sie gern wieder dabei sein möchte, sieht sie im Ausbau der häuslichen Pflege und in der Vernetzung der ambulanten Pflege mit der Stadtentwicklungspolitik neue, immer wichtiger werdende Schwerpunkte ihrer Arbeit.
    Neben dem politischen Engagement sorgte Barbara Steffens für Aufsehen, als sie ganz privat die erste schwarz-grüne Verbindung im Landtag schuf. Ihr Sitzpartner im Plenum, der haushaltspolitische Sprecher der CDU, Helmut Diegel, wurde zum Freund und Ehemann. Immer den Blick nach vorn gerichtet, hält Barbara Steffens politisch die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Düsseldorf auch nach der Landtagswahl 2005 für wünschenswert und logisch, weil beide Fraktionen "thematisch nahe beieinander liegen". Das Gerede von einer möglichen schwarz-grünen Koalition auf Landesebene nennt Barbara Steffens eine "absolut von außen aufgezwungene, künstlich herbei geredete Debatte" und fügt mit wissendem Augenzwinkern hinzu: "Ich habe ja eine schwarz-grüne Ehe."
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN00682

  • Porträt der Woche: Monika Düker (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 15 - 27.11.2003

    Wenn man‘s genau nimmt, dann hat ein Häuserspekulant Monika Düker in die Politik getrieben. Das war Ende der 80-er-Jahre. Die Sozialpädagogin arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt in Düsseldorf. Dort macht sie Stadtteilarbeit und kümmert sich um die Belange von Jugendlichen aus Ex- Jugoslawien. Als besagter Spekulant plötzlich die Häuser aufkauft und die Jugendlichen samt Familien rauswerfen will, ist Monika Düker klar: Da muss man was tun. Gemeinsam mit ihren Kollegen berät sie die betroffenen Familien, arbeitet mit Mietervereinen zusammen, organisiert Dolmetscher, sieht zu, dass faire Mietverträge geschlossen werden. Ein offenes Ohr in der Kommunalpolitik findet sie bei den GRÜNEN. Und die überzeugen sie, sich in den Stadtrat wählen zu lassen. So wird sie 1989 jüngstes Ratsmitglied mit 26 Jahren.
    "Man muss sich kümmern", sagt Monika Düker, und das kennt sie schon aus ihrem Elternhaus. Denn da war es selbstverständlich, sich zu engagieren und Position zu beziehen, auch im Kleinen. Der Vater war Gemeinderatsmitglied in Albaxen bei Höxter, ein CDU-Mann." Papa war immer auf einer Sitzung", das kannte die junge Monika gar nicht anders. Doch dass auch sie mal in die Politik gehen würde, das sei völlig überraschend gekommen, sagt sie.
    Zehn Jahre lang sitzt Monika Düker für die Grünen im Düsseldorfer Rat. Ihre Themen: Jugend- und Sozialpolitik. Erst in der Opposition. Dann gewinnt Rot-Grün 1994 die Wahl. Fünf Jahre lang werden Pflöcke eingerammt, sagt Monika Düker, zum Beispiel der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz schon für Kinder ab drei Jahren. Und: Die Finanzen im Jugendbereich werden auch in klammen Zeiten erhalten. Trotzdem danken es die Wähler nicht. 1999 wird Rot-Grün wieder in die Opposition geschickt.

    Kandidatur

    Die politische Niederlage bringt einen neuen Anfang: Politik als Vollzeitjob. Monika Düker bewirbt sich auf dem Parteitag der GRÜNEN 1999 um einen Listenplatz für die Landtagswahlen. Kein einfaches Unterfangen, pflegen die GRÜNEN doch ein Verfahren, das zwar basisdemokratisch ist, aber viele Blessuren und Kränkungen hinterläßt."Demokratie kann manchmal brutal sein." Doch Monika Düker schafft es auf einen sicheren Listenplatz und zieht im Jahr 2000 in den Landtag ein.
    Was hat sie sich als erstes abgewöhnt als junge Abgeordnete? "Die Illusion, dass man schnell mal eben was verändern kann." Zum Beispiel die Polizeistrukturreform. "Da braucht es erst mal eine gründliche Schwachstellenanalyse, die eine unabhängige Kommission jetzt leisten soll. Die wird Ende nächsten Jahres ihren Bericht vorlegen. Das dauert sehr lange, aber das ist der richtige Weg." Davon ist Monika Düker überzeugt. Sie ist innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
    Als besonderen Erfolg ihrer Arbeit wertet sie, das neue Informationsfreiheitsgesetz mit auf den Weg gebracht zu haben. Bürger haben nun ein Recht darauf, ihre Akten bei Behörden einzusehen. Ein Schritt zu mehr Transparenz in der Verwaltung - und ein Gesetz so ganz nach dem Geschmack von Monika Düker.
    Die GRÜNE-Abgeordnete kennt auch das Gefühl, nichts bewirken zu können, ohnmächtig zu sein. Etwa bei Flüchtlingsfragen. So werden alleinerziehende Frauen, die sich in Deutschland von ihren schlagenden Ehemännern getrennt haben, auch weiterhin abgeschoben. Das hat die Innenministerkonferenz beschlossen. Und hat eine humanitäre Ausnahmeregelung ignoriert, wie sie von NRW unter Mitarbeit von Monika Düker vorgeschlagen wurde. Die junge Politikerin ist noch immer fassungslos. "Die schicken die Frauen direkt in die Prostitution. Da schämt man sich für dieses Land." Ein Satz, den die Abgeordnete wiederholt, immer und immer wieder. Ohnmacht ist eine Erfahrung, die sie nicht so ohne weiteres wegsteckt.
    Einen Ausgleich zum Beruf findet die junge Politikerin Zuhause, bei ihrem Lebenspartner. "Kinder haben wir keine, aber eine Katze." Sie bekennt sich zur Toskanafraktion und ist fasziniert von allem, was alt ist und mit Archäologie zu tun hat.
    Beate Becker

    ID: LIN01545

  • Porträt der Woche: Marianne Hürten (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 02.07.2003

    Sie sei "echtes, grünes Urgestein", sagen Fraktionskollegen von Marianne Hürten - und da schwingt Bewunderung mit. Denn auch wenn die 50-jährige Abgeordnete in den eigenen Reihen zuweilen als schwierig gilt, so hat sie sich dennoch längst den Ruf einer Politikerin erworben, die aufrecht und unbeirrt "ihr Ding" macht - und es gut macht. "Ihr Ding", das ist vor allem die Frauenpolitik.
    Marianne Hürten ist offen und freundlich, etwas herb und humorvoll. Sie sitzt auf dem Sofa ihres Abgeordnetenbüros, ganz vorn auf der Kante. Vor sich den großen Tisch, mit Tassen, der Kaffeekanne und einer Schale Süßigkeiten. Sich einfach entspannt zurücklehnen, das ist ihre Sache nicht, selbst bei einem Interviewtermin.
    Mit 16 begann Marianne Hürten als Chemielaborantin bei Bayer Leverkusen, und dass sie auch gleich Gewerkschaftsmitglied wurde, war keine Frage. Die junge Frau engagierte sich in der Gewerkschaftsjugend, wurde Jugendvorsitzende und riskierte immer wieder Konflikte mit der Führungsriege des Betriebsrats. Die empfand sie als autoritär - schon damals war das nichts für die streitbare Gewerkschafterin. So kandidierte sie auf einer oppositionellen Liste (Opposition, so hieß in Gewerkschaftskreisen alles, was nicht SPD war) und wurde selbst Betriebsratsmitglied. Ein Amt, das sie immer noch bekleidet.
    Marianne Hürtens politisches Engagement abseits der Gewerkschaftsarbeit begann in der Umweltpolitik. Anfang der 80-er Jahre rückte die Verklappung von Dünnsäure ins öffentliche Bewusstsein. Auch die Bayer AG entsorgte damals ihre chemischen Flüssigabfälle in der Nordsee. Ein Skandal, fand Marianne Hürten, und bezog auf Flugblättern Stellung gegen den eigenen Arbeitgeber. Als die Grüne Partei entstand, gehörte sie zu den ersten Mitgliedern in NRW.
    Seit 13 Jahren sitzt sie nun für die Grünen im Landtag. Sie zählt sich zum linken Rand ihrer Partei. 1999 sprach sie sich in der Garzweiler-Frage klar gegen die Fortführung der Koalition mit der SPD aus. Doch damit war sie in der Minderheit. Kein Einzelfall. Immer wieder fand sich Marianne Hürten mit ihren politischen Positionen in der eigenen Partei ohne Mehrheit - etwa wenn es um die Bedingungen des Atomausstiegs oder die Kriegsbeteiligung im Kosovo ging.
    Eigene Positionen
    Regieren nicht um jeden Preis - das ist auch heute noch ihre Überzeugung: "Ich bin nicht so schnell bereit, alles mitzumachen, nur um die Regierungskoalition mit der SPD zu erhalten." Schon in der Gewerkschaftsarbeit habe sie die Erfahrung gemacht, dass auch aus einer Oppositionsrolle heraus einiges bewegt werden könne.
    Marianne Hürtens Leib- und Magenthema ist die Frauenpolitik. Sie ist überzeugt, Frauen werden heute noch immer stark benachteiligt, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. "Jetzt, wo die öffentlichen Mittel knapp sind, wird vermehrt bei den Programmen gespart, die Frauen betreffen. Zum Beispiel gibt es keine Fördermaßnahmen zur Wiedereingliederung nach der Familienphase mehr. Dabei waren die sehr erfolgreich." Und was ist aus den guten alten Begriffen wie "Emanzipation" und "Feminismus" geworden? Kann man damit heute keine Frauenpolitik mehr machen? "Junge Frauen finden, dass die Emanzipation erreicht ist.Und was den Feminismus angeht fühle ich mich als Feministin, aber auch da habe ich den Eindruck, dass junge Frauen mit dem Begriff nichts anfangen können. Da muss man viel erklären, wie beim Gender Mainstreaming auch. Und weil ich keine Labels verkaufen will, sondern Probleme erkennen und Lösungen erarbeiten will, ist mir das mit den Begriffen letztlich egal."
    Als Ausgleich zur politischen Arbeit liest Marianne Hürten Krimis - gleich haufenweise, abends, vor dem Einschlafen. Und zu Hause im Oberbergischen ist die Grüne gemeinsam mit ihrem Mann Mitglied in einen Golfclub. Sie liebt das Golfspielen, einfach weil es Bewegung und viel frische Luft bringt. Aber natürlich gibt es in ihrem Politikerdasein viel zu wenig Zeit dafür.
    Beate Becker

    ID: LIN01822

  • Porträt der Woche: Reiner Priggen (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 28.03.2002

    Die ideologische Ausrichtung der GRÜNEN bewog ihn, sich dieser Partei anzuschließen. Und als Diplomingenieur war es seitdem das besondere Anliegen von Reiner Priggen, sein berufliches Fachwissen mit der Umwelttechnologie zu verknüpfen. Nach der letzten Landtagswahl im Mai 2000 ins Landesparlament gewählt. sieht der heute 49-Jährige gerade hier die Chance, in diesem Bereich viel zu gestalten und auch umzusetzen. So berief ihn die Fraktion denn auch in die Ausschüsse Ernährung und Landwirtschaft sowie Wirtschaft und Technologie - Parlamentsgremien, wo Weichen für die Energiepolitik gestellt werden. Denn besonders in der Landwirtschaft bieten sich nach seiner Einschätzung viele Möglichkeiten für die Nutzung regenerativer Energien und auch zusätzliche Einnahmequellen für die Landwirte. Als Beispiele nennt Reiner Priggen Windkraft und Bio-Gas. Beide Energiequellen müssten stärker ausgeschöpft werden.
    Der Aachener sieht für die rot-grünen Koalitionen in Berlin wie Düsseldorf "optimale Chancen", den regenerativen Energien in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. "Es geht mir alles nicht schnell genug, aber wenn man vor großen Aufgaben steht, ist es immer so", meint der stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion. Immerhin: Nach Schätzungen der Landesinitiative "Zukunftsenergien NRW" sind inzwischen beispielsweise über 1 200 Firmen mit etwa 10 000 Beschäftigten im einwohnerstärksten Bundesland mit der Konstruktion und den Bau regenerativer Energietechnologien beschäftigt. Sie erzielten im letzten Jahr einen Umsatz von rund 1,7 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2050 sollte mindestens die Hälfte der gesamten Energieversorgung aus regenerativen Energien stammen, steckt der Landtagsabgeordnete das Ziel.
    Der im Emsland geborene Reiner Priggen studierte Maschinenwesen an der Technischen Hochschule Aachen und war nach seinem Abschluss als Diplomingenieur längere Zeit in einem mittelständischen Unternehmen des Spezialmaschinenbaus tätig. 1992 wechselte er dann in die Politik, wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter des damaligen Landtagsabgeordneten Gerhard Mai. Kommunalpolitisch engagierte er sich bereits ein Jahr nach seiner Mitgliedschaft bei den GRÜNEN als Mitglied des Kreistages Lippe. Aus familiären Gründen, seine Ehefrau ist die frühere Landtagsabgeordnete Gisela Nacken, zog es auch den Ehemann in die Grenzregion, wo er zunächst Sprecher des Aachener Kreisverbandes war.
    Sechs Jahre, bis zu seiner Wahl in den Landtag anno 2000, führte Reiner Priggen den Landesverband der GRÜNEN - eine "Rekordzeit" für diese Partei. Um so mehr, als heftige Flügelkämpfe gerade in diesen Jahren ausgetragen wurden und sogar eine Spaltung drohte. Es bedurfte viel Geschick und Überzeugungsarbeit des pragmatischen so genannten " Realos", die Partei in ihrer damaligen ernsthaften Krise zusammenzuhalten. Heute sei er mit ihrer Entwicklung sehr zufrieden, "weil wir in der Regierungsverantwortung in diesem bevölkerungsstärksten Land wie auch im Bund viel dazugelernt haben", bilanziert der Aachener. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende nennt sich ein "Fan" von Außenminister Joschka Fischer und hält selbst als früherer Kriegsdienstverweigerer dessen Afghanistan-Position für richtig. Trotz ihres schlechten Abschneidens bei den zurückliegenden Wahlen in den Bundesländern sieht Reiner Priggen die Perspektiven für die GRÜNEN positiv, " weil sie nach wie vor immer neue Ideen und vernünftige Antworten für die anstehenden Probleme haben". Nach seiner Einschätzung werde sich auch in einer von den Medien stark geprägten politischen Landschaft die "Klamaukpolitik" der FDP auf Dauer nicht durchsetzen. Als sein Hobby nennt der Landtagsabgeordnete die Familie. Das sind seine Ehefrau sowie die zehnjährige Tochter Mia und der achtjährige Jakob. Für ihn ist es eine "schöne Sache", mit seinem Sohn, der in der E-Jugend des VfB 08 Aachen spielt auf dem Fußballplatz zu gehen oder die Tochter beim Reiten zu beobachten. Da rückt die Politik, die ansonsten den Alltag prägt, in den Hintergrund.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN02672

  • Porträt der Woche: Ute Koczy (Grüne).
    Porträt;

    S. 23 in Ausgabe 12 - 11.09.2001

    Ute Koczy zählt zu den jungen aktiven Frauen, die politisches Engagement mir Ernst betreiben und darüber die Lebenslust nicht verlernt haben. Die 1966 im Schwäbischen geborene Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DlE GRÜNEN kann sich sehr über die Ungerechtigkeiten dieser Weit aufregen, wenn sie beispielsweise von der Schufterei südkoreanischer Textilarbeiterinnen erzählt. Sie vermag aber auch mit fröhlicher Miene davon zu berichten, dass sie mit ihrem spanischen Freund einen Auffrischkurs in Tango argentino mache, dass Reiten (ohne Sattel und Trense) wieder entdeckt habe und gerne italienisch schlemme. Ute Koczy gibt auch zu, dass sie kein Auto besitze und aus ökologischen Gründen Reisen mit dem Flugzeug nur ganz selten mache. Andererseits gehört sie nicht zu den biestigen Naturheilern, die Otto Normalverbraucher seinen jährlichen Flug nach Palma so verteuern möchten, damit künftig aus Kostengründen in EifeL, Westerwald und Hunsrück Urlaub gemacht werden müsste.
    Regelmäßig montags fährt Ute Koczy mit dem ICE von Bielefeld nach Düsseldorf. Dass arrivierte GRÜNE mittlerweile ohne Skrupel in große Dienstwagen steigen, macht ihr keinen Kummer. Wenn sie an die Ministerinnen und Minister denke, die ihre Partei stellt, und wenn sie sich vorstellt, wie diese Eingespannten täglich bis zu zwölf Termine wahrnehmen müssen, dann mag sie denen den Dienstmercedes nicht ausreden. Sie als leidenschaftliche Parlamentarierin könne vieles gut mit der Bahn, erreichen, aber die Minister brauchten ihren Wagen als rollendes Büro und aus Gründen der Beweglichkeit. "Da", sagt Ute Koczy, "bin ich nicht dogmatisch".
    Seit 13 Jahren lebt die Tochter oberschlesischer Eltern in Lemgo. Sie ist gerne dort. Es gefällt ihr zwischen Wiesen und Feldern, und was den Menschenschlag im Lipperland angeht, die angeblich so verschlossenen und geizigen Lipper, da schmunzelt die sympathische Frau, die in Tübingen empirische Kulturwissenschaft und Ethnologie studiert hat. "Ich kenne viele Lipper, die ausgabefreudig sind und das Herz auf dem rechten Fleck haben."
    Ute Koczy gehört zu den Menschen, welche die Verschiedenheit der Menschen und Kulturen nicht schreckt, die sich vielmehr einen Traum bewahrt haben: den Traum von einer Gesellschaft, in der das jeweils Andersartige akzeptiert wird, in der ein jeder kritikfähig und tolerant zugleich ist. Sie weiß, dass das ehemalige politische Modewort "multikulturell" unschöne Altersflecken bekommen hat. Was sie will ist: gegenseitiges Respektieren, friedfertiges Zusammenleben verschiedener Kulturen organisieren helfen.
    Auf die Frage, ob sie sanftmütig sei, antwortet die Abgeordnete nicht mit einem eindeutigen Ja. Wahrscheinlich ist ihr das Adjektiv zu defensiv. Sie will bei aller Friedfertigkeit gegen das Ungerechte ein Zeichen setzen. Seit dem Besuch bei den Südkoreanischen Arbeiterinnen hat Ute Koczy bei jedem Einkaufsbummel in westlichen Fußgängerzonen die Lohnsklavinnen aus Fernost vor Augen, die Billigkräfte, die dafür sorgen, dass die Wohlstandmenschen hier Klamotten zu Niedrigpreisen kaufen können. Die Lemgoerin kauft seither noch bewusster ein, ist bereit, einen teuren Preis zu zahlen für gute, ökologisch einwandfreie Ware. Andererseits: Es liegt ihr fern, zu missionieren, aber ein ganz persönliches Beispiel konsequenten Lebensstils möchte sie ihren Mitmenschen schon geben. Zu den GRÜNEN stieß Ute Koczy 1983, kurz vor der damaligen Bundestagswahl. Eine-Welt-Politik, Frauenrechte, Friedensbewegung - so lauteten die wichtigsten Gründe für ihre Parteimitgliedschaft. Gäbe es die GRÜNEN nicht mehr, würde sie in keine andere Partei eintreten, vielmehr wieder mehr für Menschenrechtsorganisationen arbeiten, etwa "Terre des Femmes", die sie schon als Studentin kennengelernt hat. Sie mahnt ihre Partner, nicht die politischen Wurzeln zu vergessen, das Credo ihres Politikerinnenlebens ist das Bekenntnis zur Friedenspflicht. Die Erfahrung lehre, dass jede Generation von neuem für den Frieden einstehen müsse. Auch den Europäern sei kein ewiger Friede geschenkt. Hierzulande vergäßen zu viele zu leicht, dass die Erhaltung des Friedens das A und O jeder Politik sei.
    Wer so formuliert, steckt seinen politischen Aktionsrahmen weiter, als dies landespolitisch notwendig wäre. Mehr als in die Bundespolitik, würde es Ute Koczy in die Europapolitik ziehen. Das Übernationale, Grenzüberschreitende reizt sie, ohne jedoch eine "Reisetante" zu sein. Daran hindert sie schon ihre ökologisch begründete Flughemmung.
    Reinhold Michels

    ID: LIN03303

  • Porträt der Woche: Oliver Keymis (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 30.01.2001

    Mit ihren "Promis" haben die GRÜNEN ihre liebe Last. Da gilt nicht die Kölner Losung, dass man auch "jönne könne" müsse. Üblicher ist vielmehr die Champignon-Methode: Wer den Kopf aus dem Mistbeet rausstreckt, verliert denselben. So gesehen war es schon eine mittlere Sensation, als die Parteizeitung der GRÜNEN nach der Kandidatenkür für die Landtagswahl am 14. Mai einen in der Partei bis dahin fast Unbekannten zum "Shootingstar" ausrief. Der heute 40-jährige Oliver Keymis, damals gerade erst zwei Jahre Mitglied der Partei, hatte völlig überraschend einen der hartumkämpften wenigen, gerade noch als "sicher" geltenden Plätze auf der Landesliste erobert. Ohne Mitgliedschaft in irgendwelchen Parteizirkeln. Ohne mächtige Seilschaft: Nur mit einer Rede, deren ungewöhnlicher Ton die Mehrheit der Delegierten überwältigte. Geistreich, witzig gar, was bei den GRÜNEN selten vorkommt, bar aller Phrasen und ohne das bei solchen Gelegenheiten gern vorgeführte Imponiergehabe. Da sprach vielmehr jemand einfach über Kultur. Über die aktuelle Not der Kultur. Auch über die Kultur-Not der GRÜNEN. Dass da dringend etwas geändert werden müsse, weil Kultur kein Luxus, sondern Notwendigkeit in dieser Zeit sei. Gerade in dieser Zeit. Und die Mehrheit spürte, dass der da oben am Mikrofon das ernst meinte. Und schenkte ihm ihr Vertrauen. Für grüne Verhältnisse war das so etwas wie eine Sensation.
    Inzwischen wissen nicht nur die GRÜNEN Landtagsabgeordneten, dass diese Rede damals keine Eintagsfliege war. Selbst der SPD-Fraktionsvorsitzende Edgar Moron sah sich nach dem dritten Auftritt des Parlamentsneulings im Plenum des Landtags genötigt, dem neuen Kollegen von der GRÜNEN-Fraktion ein paar anerkennende Worte zuzumurmeln.
    So abgebrüht ist Oliver Keymis noch nicht, als dass ihn dieses nicht gefreut hätte. Cool bleibt er trotzdem, denn nach dem Studium (Philosophie, Germanistik, Französisch und Politische Wissenschaften) und Lehrjahren an verschiedenen Bühnen war der Meerbuscher vor seinem Einstieg in die Politik nicht umsonst zehn lange Jahre freier Theaterregisseur, um nicht zu wissen, wie nahe das "Hosianna" und das "Kreuziget ihn" beieinander liegen. Er argwöhnt, dass zwischen seinem Verständnis von Kultur und dem der großen Mehrheit in der SPD-Fraktion wohl Abgründe klaffen. Ob die Genossinnen und Genossen auch dann noch Beifall klatschten, wenn er nicht gegen die Opposition, sondern gegen ihr altbackenes Kulturverständnis streite, wolle er doch erst einmal abwarten. Denn dass neue, andere Schwerpunkte in der nordrhein-westfälischen Kulturpolitik gesetzt werden müssen, steht für Keymis außer Frage. Diese andere Gewichtung müsse schon im nächsten Haushalt des Landes zumindest in Ansätzen sichtbar werden, fordert keck der Parlamentsneuling.
    Oliver Keymis ist ein fröhlicher Mensch. Er lacht gern. Und - das ist unübersehbar - er isst gern. Ein frohsinniger Springinsfeld ist er nicht. Keymis kann hart arbeiten. Dass die Meerbuscher seit ein paar Jahren ein eigenes kleines Theater haben, ist nicht zuletzt sein Verdienst. Und dass die mit einem Preis ausgezeichnete Bürgerinitiative "Stopp A 44" die Zerstörung des einzigartigen Naturschutzgebietes in der Ilverichter Rheinschlinge durch die neue Autobahn zwar nicht verhindern, die ökologischen Schäden aber zumindest in Grenzen halten konnte, kann sich der gebürtige Düsseldorfer auch als Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit als Motor dieser Bürgerinitiative anrechnen.
    Oliver Keymis kann auch schon politisch kämpfen. Das bewies er bei der Kommunalwahl. Bürgermeisterkandidat der GRÜNEN im tiefschwarzen Meerbusch - das ist eigentlich nur etwas für Leute mit hoher Leidensfähigkeit. Von den sozusagen etablierten GRÜNEN wollte sich niemand diesen Tort antun. Da sprang das Neumitglied Keymis in die Bresche - und mischte die Schwarzen und Roten und Gelben ganz gehörig mit einer ganzen Serie von Veranstaltungen auf. Die schwarze Mehrheit konnte der grüne Bürgermeisterkandidat selbstverständlich nicht brechen. Aber Keymis inszenierte den seit Menschengedenken muntersten Kommunalwahlkampf in diesem Städtchen mit den prozentual meisten Millionären der Republik, weil auch die politische Konkurrenz aus den Puschen kommen musste, um das Feld nicht Keymis und Co zu überlassen.
    Und Oliver Keymis, dies zuletzt, ist sehr beharrlich. Vor vielen, vielen Jahren, damals war er noch ein ranker Schüler, verliebte er sich bei einem Treffen der Meerbuscher in der französischen Partnerstadt Fousenant nicht in eine französische, sondern eine deutsche Mitschülerin. Die beiden sind inzwischen längst verheiratet. Den Jahreswechsel feierten sie mit französischen und deutschen Freunden im schönen Fousenant an der Atlantikküste. Die Franzosen freuten sich, dass "ihr Oliver" nun Abgeordneter geworden ist. Und doch redeten Franzosen und Deutsche an diesem Abend ausnahmsweise - fast - kein Wort über Politik.
    Reinhard Voss

    ID: LIN04027

  • Porträt der Woche: Sylvia Löhrmann (Grüne).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 18 - 07.11.2000

    Gut erholt und voller Tatendrang ist Sylvia Löhrmann aus ihrem Urlaub in Schweden zurückgekehrt. In diesem Herbst ist die grüne Politikerin fünf Jahre im Landtag, und in dieser Zeit hat sich viel verändert für sie. Von März 1998 bis Mai 2.000 war Sylvia Löhrmann parlamentarische Geschäftsführerin der GRÜNEN-Fraktion, im November 1999 übernahm sie außerdem einen der beiden Sprecherposten der Fraktion. Nach der Landtagswahl mussten sich die GRÜNEN im Landtag neu sortieren. Waren bis zur Wahl noch 24 grüne Abgeordnete im Landtag, so sind es jetzt nur noch 17. Die Grünen haben reagiert und die Struktur der Fraktion nach der Landtagswahl geändert. Sie haben Abschied genommen vom Sprecherduo, es gibt jetzt nur noch eine Person, die die Fraktion nach außen hin vertritt: Sylvia Löhrmann. Und der Posten heißt jetzt auch nicht mehr "Fraktionssprecherin" sondern "Fraktionsvorsitzende". Auf Sylvia Löhrmann wartet jetzt noch ein bisschen mehr Arbeit als früher, aber das nimmt sie gerne in Kauf. Denn mit der Abschaffung der Doppelspitze hat die Fraktion auch ein politisches Zeichen gesetzt: Stärker als bisher will sie nach außen hin mit einer Stimme sprechen. Kontroverse Diskussionen sollen künftig intern in der Fraktion ausgetragen werden, Ergebnisse gemeinsam nach außen hin vertreten werden.
    Die neue Fraktion bezeichnet Sylvia Löhrmann als eine "gute Mischung". Ein paar alte Hasen sind dabei, aber auch eine Reihe neuer Gesichter. Es gibt weniger Koalitionskritiker in der Fraktion als vor der Wahl. Der gute Wille zu einer "solidarischen Zusammenarbeit" innerhalb der Fraktion ist da, schätzt Sylvia Löhrmann, auch wenn es weiterhin fachliche Auseinandersetzungen geben wird, "das ist in jeder Fraktion so und das ist normal". In der vergangenen Legislaturperiode hat Sylvia Löhrmann im kommunalpolitischen Ausschuss des Landtags mitgearbeitet und im Frauenausschuss. Jetzt kümmert sich die Oberstudienrätin um die Bildungspolitik. Mit den bildungspolitischen Zielen, die sich die rot-grüne Koalition gesetzt hat, ist Sylvia Löhrmann zufrieden. Mehr Eigenverantwortung für die Schulen, ausreichende Unterrichtsversorgung, Englischunterricht schon in der Grundschule, das alles muss "zügig und gründlich umgesetzt werden." Sylvia Löhrmann ist besonders froh darüber, dass im Koalitionsvertrag der integrative Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern ein besonderes Gewicht bekommen hat. In jeder Stadt und in jedem Kreis in Nordrhein-Westfalen soll es künftig ein Angebot an einer weiterführenden Schule geben. Unter welchen Rahmenbedingungen das realisiert werden kann, wird zurzeit in einem Modellversuch an 29 Schulen im Land getestet. "Ich bin froh, dass wir da im Koalitionsvertrag noch mal die Türen aufgestoßen haben, denn mehr integrativer Unterricht, das ist ein großer Wunsch von vielen Eltern."
    Dass die GRÜNEN nach der Landtagswahl ihren Platz als drittstärkste Fraktion im Landtag an die FDP. abgeben mussten - Sylvia Löhrmann nimmt's gelassen. Beide Fraktionen stehen miteinander im Wettbewerb und für Sylvia Löhrmann haben die Grünen dabei die Nase vorn: "Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, nur Forderungen aufzustellen, sondern dass man diese auch umsetzen muss in der Gesamtschau eines Regierungsprogramms und in einer finanzpolitischen Verantwortung."
    Verantwortlich fühlt sich Sylvia Löhrmann auch beim Thema Volksbegehren. Dass im Koalitionsvertrag mit der SPD die Senkung der Hürden für Volksbegehren vereinbart wurden, freut die Grünen besonders. Als Fraktionsvorsitzende will sich Sylvia Löhrmann dafür stark machen, dass das Vorhaben auch umgesetzt wird. Deshalb will sie auch in Zukunft ihre Kontakte zur CDU-Fraktion im Landtag weiter pflegen, denn ohne die Christdemokraten kommt die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderung nicht zustande.
    Ulrike Coqui

    ID: LIN04430

  • Porträt der Woche: Edith Müller (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 16 - 04.10.2000

    Zwei Ziele hat sich die neue Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtages, Edith Müller, für ihre künftige Tätigkeit gesetzt: Gemeinsamkeiten zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen künftig stärker hervorzuheben und das Düsseldorfer Landesparlament "ein wenig" zu europäisieren.
    Nach den bisherigen parlamentarischen Erfahrungen der Abgeordneten der Bündnisgrünen gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten aller Fraktionen, die es erforderten, "an einem Strang zu ziehen" und über die Parteigrenzen zu agieren. Das habe sie in Brüssel gelernt, unterstreicht die Vizepräsidentin, die von 1994 bis 1999 dem Europäischen Parlament angehörte. Diese frühere Tätigkeit ist für sie auch Ansporn, bei den Landtagsabgeordneten ein stärkeres Interesse für den europäischen Einigungsprozess zu wecken.
    "Der Landtag sollte sich als europäischer Pulsgeber verstehen und das nicht allein der Regierung überlassen." Besonders wichtig hält sie eine enge Zusammenarbeit mit den Nachbarländern NRW’s, aber auch die Ost-Erweiterung sollte der Landtag durch gegenseitige Parlamentarier-Besuche unterstützen. Von der geplanten Kompetenz-Neuordnung erwartet Frau Müller, dass nicht nur dem Bund Zuständigkeiten zurückgegeben werden, sondern auch die Länder zusätzliche Kompetenzen erhalten; beispielsweise in der Agrarpolitik.
    Die gebürtige Kaldenkirchnerin, Jahrgang 1949, ein Glied der so genannten "Generation der 68er", beteiligte sich als Jura-Aspiratin aktiv an den damaligen zahlreichen Studentendemonstrationen, focht für mehr Demokratie. Das Land Hessen bot ihr 1970 ein zweijähriges Stipendium in Spanien. Dort wollte die Jura-Studentin eine rechtsvergleichende Studie erarbeiten, doch damals herrschte in Madrid noch der Diktator Franco, war die freie Meinung tabu. Als Reaktion schloss sich Edith Müller den damals verbotenen spanischen Kommunisten an, landete im Gefängnis und wurde des Landes verwiesen.
    In Deutschland setzte sie ihr Studium wieder fort, engagierte sich in den maoistischen K-Gruppen und später in der DKP, was ihr wieder Ungemach bereitete. Als der kämpferischen Bürgerrechtlerin immer deutlicher wurde, dass deren Ziele nicht den Interessen der breiten Mehrheit der Bevölkerung entsprachen, trennte sie sich von der Partei und zählte 1979 zu den Gründungsmitgliedern der nordrhein-westfälischen GRÜNEN. "Wir wollten aus der außerparlamentarischen Opposition eine parlamentarische Kraft werden, wollten mitentscheiden."
    Danach übernahm sie verschiedene Aufgabengebiete bei den GRÜNEN, war auch im nationalen Sekretariat von Amnesty International (AI) tätig und legte zwischendurch das 2. Staatsexamen ab. Der damalige hessische Umwelt- und Bundesratsminister, Joschka Fischer, wurde 1991 auf seine engagierte Parteifreundin aufmerksam und holte sie in die Bonner Landesvertretung.
    Parlamentarische wie auch internationale Erfahrungen gewann die Kölnerin als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes in den Jahren 1994 bis 1999. Für ihren Wiedereinzug nach der letzten Europa-Wahl reichte nicht das Stimmenergebnis der GRÜNEN.
    Dass Edith Müller über die Parteigrenzen hinaus Anerkennung gewonnen hat, beweist ihre anschließende Berufung zur Referatsleiterin "Europa und Internationales" durch den inzwischen verstorbenen Kölner CDU-Oberbürgermeister Harry Blum unmittelbar nach der Kommunalwahl im Herbst letzten Jahres. Dieser neuen Herausforderung stellte sie sich bis zu ihrer Wahl in den Düsseldorfer Landtag im Mai.
    Vielseitig wie ihr politischer Werdegang sind auch ihre Hobbys. Musik von Bach über Beethoven bis zu den Beatles, Tanz, Reiten - und auch in der Freizeit widmet sie sich dem Entstehen des Hauses Europa.
    Jochen Jurettko

    ID: LIN03927

  • Porträt der Woche: Rüdiger Sagel (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 21.03.2000

    Die wenigsten Mittvierziger können sagen, sie hätten die Welt gesehen. Rüdiger Sagel kann das: Südamerika, Mittelamerika, die Vereinigten Staaten, Tibet, Nepal, Südostasien, Australien, Neuseeland, Nordafrika. Überall war er, an manchen Orten gar mehr als ein Jahr. Es fehlen nur Nord- und Südpol sowie das südliche Afrika auf dem individuellen Reiseatlas. Dennoch ist der Diplom-Ingenieur für Bergbauwesen nicht der Typ des Weltenbummlers, den es, wenn überhaupt, nur kurz zu Hause hält. Sagel bekennt, er fühle sich besonders dem Ruhrgebiet verbunden. Auf die Frage, ob er sich auch vorstellen könne, Bundestagsabgeordneter zu sein, antwortet er mit "eher nein". Das hänge auch mit Berlin zusammen. Er sei doch zu sehr Nordrhein- Westfale.
    Die Sagel-Familie stammt aus Lünen bei Dortmund. Der schlanke Mann, der regelmäßig ein Fitnessstudio aufsucht und leidenschaftlich radelt, hat aufgehört, aktiv Fußball zu spielen. Stattdessen versäumt er kein Heimspiel des BVB. Sagel ist Dauerkartenbesitzer, ein Grund mehr, die heimische Ruhrpott-Scholle nicht aus den Augen zu verlieren.
    Die vielen Auslandserfahrungen waren familiär bedingt, und sie hatten etwas mit der politischen Einstellung des GRÜNEN zu tun, der im März 1998 als Nachrücker in den Landtag kam. Der Vater hat zwölf Jahre in der Fremde gearbeitet. Zwei Jahre lebte die Familie im indischen Rourkela. Rüdiger Sagel besuchte dort eine damals existierende deutsche Schule. Von Algerien aus bereisten Vater und Sohn Saget mit dem VW-Bus wochenlang die Sahara. Rüdiger Sagels Trip nach Nicaragua zur Zeit der Sandinisten hatte politische Gründe, ebenso die Regenwald- und Staudamm-Inspektionen in Brasilien. Die Suche der Sandinisten nach einem so genannten dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus sei ihm sympathisch gewesen. Brasilien war aus ökologischen Motiven hochinteressant für den Ingenieur, durch dessen beruflich-politisches Leben sich der Gedanke zieht, wie man ökologisch wirtschaften bzw. produktorientierten Umweltschutz betreiben kann.
    Die Umweltbewegung in Deutschland hat es nach Sagels Meinung schon weiter gebracht als Initiativen anderswo in Europa: "Es ist eine Menge passiert, aber es ist immer noch zu wenig."
    Der politische Aktivismus Sagels begann 1976 mit der Aufnahme des Ingenieur- Studiums in Aachen. Es bildete sich die Anti- Atombewegung, die Anti-Braunkohlebewegung. eine Gruppe, der Saget angehörte, schrieb ein Buch über den rheinischen Braunkohle-Tagebau mit dem Titel: "Die verheizte Heimat." Sagel entwickelte sich zum Wissenschaftler, besser: zum wissenschaftlich, das heißt gründlich und nüchtern prüfenden und argumentierenden Verfasser diverser Studien. 1983 hat er die erste GRÜNEN- Bundestagsfraktion in Bonn wissenschaftlich unterstützt.
    Sagel ist kein GRÜNER der ersten Stunde. Er trat erst 1989, inzwischen beruflich in Münster bei einem Recyclingbetrieb tätig, der dortigen GAL bei. In Münster war er auch im Stadtrat. Nach dem Kommunalwahl-Desaster für Rot-Grün am 13. September 1999 verzichtete Sagel auf die Arbeit im Stadtrat. Er, der Pendler zwischen Münster und dem Düsseldorfer Landtag, fühlt sich voll ausgelastet mit dem Mandat, mit der Rolle als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Fraktion. Er sagt, er gehöre zu keinem Parteiflügel. Sagel zählt zu der Sorte Mensch, die sich ungern vereinnahmen lässt. Er hat etwas vom einzelgängerischen Kopfmenschen, der in allen Lebenslagen frei nach Kant den Mut hat, sich seines Verstandes zu bedienen. Sagel urteilt nicht fix. Er will genau hinschauen. Für und Wider wägen und dann erst seine Meinung sagen, komme sie nun manch strammen Parteisoldaten gelegen oder ungelegen. So jemand muss mit Gegenwind rechnen, wohl auch die Gefahr kalkulieren, auf unsichere Listenplätze bugsiert zu werden. Der freundlich wirkende Münsteraner blickt indessen optimistisch auf die Landtagswahl und seine parlamentarische Zeit danach: "Wenn die GRÜNEN fünf Prozent kriegen, bin ich wieder im Landtag."
    Die Eltern, sozialdemokratisch gesinnte Leute, die im reiferen Alter beruflich umsattelten und Textilgeschäfte in Lünen ihr Eigen nennen, waren nicht angetan von der politischen Regsamkeit des einzigen Kindes. Ein Filius mit Hang zu den GRÜNEN — das war im gewachsenen Sozi-Milieu von Lünen doch sehr irritierend. Rüdiger Sagel ging trotzig seinen eigenen Weg. Noch heute bekennt er, schwer einbindbar zu sein. Verheiratet ist er nicht, Kinder hat er auch keine. Zum Privatleben gehört eine Partnerin, die zwar "grün" eingestellt, jedoch nicht politisch aktiv ist: Der Kontakt zu den Eltern, die aus Lünen weggezogen sind, ist regelmäßig und ungetrübt.
    Er missbilligt roten Filz in Nordrhein-Westfalen, geht zur SPD genauso auf Distanz wie zur CDU NRW. Beide Großparteien sind ihm zu unflexibel, energie- und umweltpolitisch zu wenig visionär und innovativ. Er meint, die GRÜNEN hätten noch eine gewisse visionäre Kraft, auch wenn sie eine etablierte Partei geworden seien.
    Zum Schluss wieder das Reisen durch die Weitgeschichte: Sagels Bedarf an Flugreisen ist gestillt. Nun wählt er die Bahn — ob im Sommer nach Italien oder — das ist schon länger her — die berühmte "Transsibirische".
    Reinhold Michels

    ID: LIN04759

  • Porträt der Woche: Jamal Karsli (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 07.12.1999

    Wenn er in Syrien ist, sagt er: "Ich bin aus Deutschland." Sitzt er im Düsseldorfer Landtagsbüro, entfährt es ihm: "Ich bin Ruhrgebietler." So jemand wie Jamal Karsli ist also der geborene Brückenbauer, und so versteht sich der 43-Jährige, der 1980 nach Recklinghausen kam, auch. Ihm geht es um die Gleichberechtigung der hier lebenden Ausländer. Karsli spricht stets von Migranten. Als deutscher Abgeordneter der GRÜ- NEN versucht er, sowohl bei den Deutschen als auch bei den Ausländern wechselseitige Vorurteile zu beseitigen.
    Der Mann ist ein Temperamentsbündel, sein Deutsch ist ausgezeichnet. 1980 konnte er bloß ein deutsches Wort: Postfach. Und heute? Am 12. September hat er für den Bürgermeister-Posten in Castrop-Rauxel kandidiert. 2,7 Prozent sind es geworden, na ja, die politische Lage war für die GRÜNEN eben nicht günstig. Karsli hatte sich nicht zur Bewerbung gedrängt. Aber die GRÜNEN-Freunde aus Castrop-Rauxel wollten ihn. Sie sagten: "Du mußt es machen, du kannst das, hast politische Erfahrung, bist politisch engagiert, verstehst etwas von Raumplanung." Karsli, gelernter Industriechemiker, der in Dortmund Raumplanung studiert hat und zwei Übersetzer-Büros besaß, bevor er sich endgültig der Politik als Vollzeitjob verschrieb, leidet nicht an Minderwertigkeitskomplexen. Er traut sich viele politische Aufgaben zu, Regierungsämter eingeschlossen. Politische Vorbilder habe er nicht, betont er energisch, wozu auch: Jeder Mensch habe doch Vor- und Nachteile.
    Wenn er über seinen Arbeitseinsatz erzählt, hört sich das an, als ob da jemand sieben Tage in der Woche für die Veränderung der Gesellschaft schufte. Flüchtlings- und migrationspolitischer Sprecher ist Jamal Karsli bei den GRÜNEN, den Petitionsausschuss nimmt er sehr ernst. In vier Landtagsjahren seien es 1 000 Petitionen, vornehmlich von Ausländern gewesen, die er bearbeitet habe. 400 Ortstermine seien vonnöten gewesen. Karsli zeichnet das Bild eines umtriebigen Abgeordneten, der im Lande umherreist, um Gutes zu tun. Erfolgserlebnisse bauen angesichts eines solchen physischen und psychischen Einsatzes besonders auf. Neulich in Bonn habe ihn ein Farbiger aus Togo auf der Straße wiedererkannt und ihm so gedankt: "Ohne Sie wäre ich tot." Karsli hatte sich mit Erfolg für den damals in Abschiebehaft Genommenen eingesetzt.
    1985 hat Karsli die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Einen syrischen Pass besitzt er nicht. Und dennoch: Wenn er politisch wieder einmal kräftig hinlangt, passiert es schon, dass ihn Kollegen von anderen Fraktionen für einen Ausländer halten, der sich erdreistet, im deutschen Parlament gegen Deutsche Stellung zu beziehen. Denen ruft er entgegen: "Was wollt ihr eigentlich, ich bin Deutscher wie ihr, und ich bin gewählter Abgeordneter wie ihr." Karsli erinnert sich (schmunzelnd!) auch daran, wie es ihm beim Start in der deutschen Politik in Castrop-Rauxel entgegen schallte: "Jetzt fehlen hier bloß noch Kamele, dann haben wir endgültig arabische Verhältnisse!"
    Karsli ist jemand, der sich nicht unterkriegen lässt. Er hat von der verehrten Mutter das Kämpferherz geerbt. Beim zweijährigen Sohn (Karsli hat noch zwei Töchter) sei schon jetzt etwas von seinem, des Vaters Naturell, zu spüren. Karslis Grundsatz heißt: Herausforderungen sind dazu da, um angenommen zu werden. Ein bisschen klingt bei ihm alles nach dem Toyota-Spruch: Nichts ist unmöglich. Seit dem 16. Lebensjahr hat er sich für Politik interessiert. Für amnesty hat er sich engagiert, gegen die Todesstrafe, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Karsli ist Moslem, aber keiner von der gepanzerten Sorte. Seine Frau, eine Italienerin und Lehrerin, die er in Venedig kennengelernt hat, ist Katholikin. Die gemeinsamen beiden kleinen Kinder werden weder christlich noch muslimisch dominiert. "Wir versuchen das Beste aus beiden Religionen, die ohnehin nicht so unterschiedlich sind, zu vermitteln." Die Kinder wachsen vielsprachig auf: Mit ihnen wird daheim in Recklinghausen deutsch, italienisch und arabisch geredet. Vater Karsli platzt vor Stolz, wenn er erzählt, wie die Kleinen abends vor Freude ihm entgegenhüpfen, auf den Arm genommen werden möchten, und wie sie dann sogar noch einmal mit Papa essen, obwohl sie eigentlich schon satt sind.
    Der ausgeprägte Familiensinn ist in Syrien typisch, mehr noch als bei den Italienern, weiß Karsli. Er hat elf Geschwister, 70 Neffen und Nichten und mehr als 200 Cousinen und Cousins ersten Grades. Wenn Jamal Karsli zu Besuch in Syrien weilt, bricht ein tagelanges Sippenfest an. "Als ich das letzte Mal fünf Wochen bei der Verwandtschaft war, wurden in der Zeit bestimmt 40 Hammel geschlachtet." Der enorm starke Familienzusammenhalt in Syrien trägt seiner Meinung nach auch dazu bei, dass es dort viel weniger Jugendliche mit psychischen Störungen gebe als in Deutschland.
    Als er vor knapp 20 Jahren hierher kam, war er geschockt über die emotionale Kälte der Menschen. Weiter fiel ihm auf, dass die Deutschen Portemonnaies bei sich trugen. "Aha", habe ich mir gedacht, "Geld muss hier eine besonders hohe Bedeutung haben." Inzwischen besitzt er, der Deutsche aus Syrien, auch eine Geldbörse, schon wegen der üblichen Kreditkarten.
    Karsli möchte noch einmal in den Landlag gewählt werden. Was später einmal kommen wird, ist noch nicht entschieden. Ob die Familie in Deutschland bleibt, vielleicht nach Italien zieht oder gar nach Syrien — nichts ist gewiss. Er, Jamal Karsli (Jamal heißt übrigens Schönheit auf arabisch, erklärt er lachend), möchte eigentlich nicht alt werden in Deutschland. "Ich hätte Angst davor, in ein Heim zu müssen, ich möchte nicht, dass man mich dort zur Verwahrung hinbringt." Dann vergleicht er wieder, denn: Wie war es doch anders, rührender in der eigenen syrischen Familie: Die Mutter sei mit 85 gestorben, im Kreise ihrer Lieben — und mit welcher Würde.
    Reinhold Michels

    ID: LI992051

  • Porträt der Woche: Dr. Stefan Bajohr (GRÜNE).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 15 - 21.09.1999

    Für Dr. Stefan Bajohr waren 1994 und 1995 die "Wechseljahre": Nach 17 Jahren Mitgliedschaft verließ er 1994 die SPD und trat bei den GRÜNEN ein. Nachdem er 1995 über den 20. Listenplatz der GRÜNEN in den Landtag gewählt worden war, ließ er sich von seinem Amt als Leitender Ministerialrat im Stadtentwicklungs- und Verkehrsministerium beurlauben. Bislang hat er sich nicht entschieden, ob er 2000 erneut für den Landtag kandidieren will.
    Vor Bajohrs Karriere bei den GRÜNEN waren lange Abschnitte seines Lebens eng mit der Sozialdemokratie verbunden, auch wenn er keine "Ochsentour" durch die Parteigliederungen absolviert hat. 1950 in Bad Harzburg geboren, absolvierte er nach dem Abitur ab 1969 ein Redaktionsvolontariat und den zivilen Ersatzdienst. Es schlössen sich Studien in Bielefeld, Zürich und Marburg an, gefördert durch ein Stipendium der SPDnahen Friedrich-Ebert-Stiftung. 1977 trat er in die SPD ein. Ein Jahr später schrieb die damalige rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und heutige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin das Vorwort zu seiner Promotionsarbeit über die "Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland von 1914 bis 1945".
    Durch die Friedrich-Ebert-Stiftung erworbenen Kontakte führten Bajohr 1980 ins Bundeskanzleramt, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ehe- und Familienrecht tätig war. Damals hat er, so erinnert er sich, auch eine Rede für Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) geschrieben, worin dieser sich für die Kappung des Ehegatten-Splittings einsetzte. Bajohr heute, nicht ohne einen Hauch von Selbstironie: "Sie wissen ja, das gibt's noch immer."
    Einen Monat vor dem Ende der sozialliberalen Koalition kam Bajohr als Angestellter im von Friedhelm Farthmann (SPD) geleiteten Düsseldorfer Arbeitsministerium unter. Als dieser 1985 zum Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion gewählt wurde, folgte ihm Bajohr als persönlicher Referent. Auf diesen klassischen, der Tradition verbundenen Sozialdemokraten lässt Bajohr, der heute dem linken Flügel der GRÜNEN zugerechnet wird, nichts kommen. Von dem, was Farthmann wirtschafts- und sozialpolitisch gesagt habe, sei er "immer sehr überzeugt" gewesen. Die fünf Jahre bei Farthmann seien für ihn eine "lehrreiche Zeit und auch eine menschlich wertvolle Zeit" gewesen.
    Nachdem er durch eine Zusatzprüfung die Fähigkeit zum Beamten erworben hatte, wechselte Bajohr 1990 als Gruppenleiter für Grundsatzfragen in das von Franz-Josef Kniola (SPD) geleitete Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr. Dort erwies sich seine Erwartung als Irrtum, in dieser Funktion könne er etwas aus seiner Sicht Positives in dem wichtigen Umweltbereich Verkehr bewirken, nämlich Schritte hin zur Eindämmung des Luft- und des Autoverkehrs. Allmählich sei ihm bewusst geworden, dass der Kurs der SPD in die genau entgegengesetzte Richtung lief, ganz anders als die Linie, die immer in SPD-Beschlüssen verkündet worden sei. Diese Widersprüche hätten ihm "zunehmend Bauchschmerzen bereitet", hinzugekommen sei dann noch die Garzweiler-Politik der SPD. Aus der SPD, die ihn "immer gut behandelt" habe, sei er nicht im Groll geschieden, betont Bajohr. Bei den GRÜNEN habe er jedoch neue Möglichkeiten gesehen, schließlich hätten ihn Michael Vesper und Daniel Kreutz, gewissermaßen Antipoden innerhalb der GRÜNEN, zur Kandidatur für den Landtag ermuntert und dabei auch unterstützt. Im Rückblick meint er heute, dass er sich damals "noch nicht um Strömungen bei den GRÜNEN gekümmert" habe.
    Als finanzpolitischer Sprecher der GRÜNEN geriet Bajohr des Öfteren in Streit mit dem Koalitionspartner SPD, nicht selten fiel das Wort "Koalitionskrise". Bajohr: "Trotz der finanziellen Engpässe mussten die GRÜNEN die SPD mit Nachdruck an die Finanzierung von Projekten erinnern, die in der Koalitionsvereinbarung aufgelistet waren." Rückblickend fasst Bajohr weiter zusammen, dass er sich immer gegenüber der SPD und auch in der eigenen Fraktion für eine Begrenzung der Schuldenpolitik eingesetzt habe: "Wir dürfen nicht auf Kosten späterer Generationen leben." Kurz vor der Sommerpause wirft er schließlich das Handtuch und tritt vom Amt des finanzpolitischen Sprechers zurück: Er stehe ohne Rückhalt da, denn beide Koalitionsfraktionen wollen nicht wirklich die Haushaltskonsolidierung."
    Stefan Bajohr ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen im Alter von einem und sechs Jahren. Lesen ist sein Hobby, er bevorzugt Romane und historische Literatur.
    Ludger Audick

    ID: LI991554

  • Porträt der Woche: Silke Mackenthun (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 27.04.1999

    "Nun sind wir mal in der Regierung drin, und da ist es unsere Aufgabe, soviel wie irgend möglich von unseren Zielen durchzusetzen", meint Silke Mackenthun mit Nachdruck. In ihren Fachbereichen Landwirtschaft, Forsten, Naturschutz und Umwelt arbeitet die 37 jährige GRÜ- NE Landtagsabgeordnete im Düsseldorfer Landtag jedenfalls nach dieser Devise. Ihre realpolitische Einstellung formuliert sie sympathisch nachvollziehbar: "Es hat keinen Zweck, Träumen hinterherzuhetzen, aber man soll sie auch nicht vergessen." Ihr Rat: "In der Praxis muß man Traum und Wirklichkeit sorgfältig voneinander trennen."
    Das tut die 1962 in Hamburg geborene GRÜNE Abgeordnete, die von ihrer politischen Herkunft her in keines der herkömmlichen Strickmuster der Ökopartei paßt. Auch, wenn sie sich nach ihrer inneren Einstellung keinem der Partei- und Fraktionsflügel richtig zugehörig fühlt, ist Silke Mackenthun ihrem ganzen Wesen nach doch eine bodenständige Reala, die zupacken kann und die weiß, wie man sich für die Belange der eigenen Wählerklientel einsetzt. "Ich bin der festen Überzeugung, daß man jedes politische Problem lösen kann, wenn man wirklich will", ist die GRÜNE überzeugt.
    Dabei stand Politik zunächst gar nicht auf der Lebensplanung der Norddeutschen. Zwar hatte sie schon seit Beginn ihres Germanistik-Studiums in Frankfurt in Wohngemeinschaften gelebt, war politisch aber eher ein Mitläufer gewesen. Das änderte sich, als Silke Mackenthun auf Architektur umsattelte und zum Studium an die Fachhochschule Bielefeld, Abteilung Minden, ging. Als NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn den Studienstandort schließen wollte, gehörte die Architektur-Studentin Mackenthun zu den Gegnern dieses Plans: "Damals habe ich mich vom Zuschauer bei Demos zur Organisatorin von Protestveranstaltungen entwickelt", erinnert sich die 37 jährige GRÜNE Abgeordnete.
    Als sie dann richtig aufs Land zog, geriet Silke Mackenthun neben der Hochschulpolitik auch in die heiße Phase des Kommunalwahlkampfs von 1989. Nach einer Wahlveranstaltung kamen die GRÜNEN auf sie zu und forderten die junge Frau auf, bei der Öko-Partei mitzumachen. "Wir brauchen Leute, die so engagiert sind wie Du und die sich artikulieren können", hieß es. Die örtlichen GRÜNEN fragten die damalige Architektur-Studentin auch gleich, ob sie nicht für den Rat von Porta Westfalica kandidieren wolle. Ohne Zögern hat Silke Mackenthun "ja" gesagt und damit ihre politische Karriere begründet. Gleichzeitig fand sie eine politische Heimat, obwohl sie erst 1992 bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingetreten ist. Als Geschäftsführerin des GRÜNEN Kreisverbandes Minden-Lübbecke hat die heutige Landtagsabgeordnete die Wahlkämpfe organisiert. Bei der Bundestagswahl 1994 wurde sie selber als Direktkandidatin aufgestellt. Das hat nicht geklappt. Dafür ermunterten die Parteifreunde sie ein Jahr später, für den nordrheinwestfälischen Landtag zu kandidieren. Als Wahlkampfleiterin vor Ort ließ sich die ledige GRÜNE auf Platz 17 nominieren. Damit verband sich ein ehrgeiziges politisches Ziel. Platz 17 auf der Liste hieß nämlich siebeneinhalb Prozent für die Partei insgesamt zu holen. Silke Mackenthun: "Das war ein Anreiz für uns alle, einen möglichst guten Wahlkampf hinzulegen." Dennoch war die GRÜNE völlig perplex, als sie am Wahlabend aus dem Fernsehen erfuhr, daß ihre Partei sogar zehn Prozent der Wählerstimmen geholt hatte. "Damit war ich ziemlich unerwartet Landtagsabgeordnete", sagt Silke Mackenthun heute. Ihr Leben hat die GRÜNE von einem Tag auf den anderen geändert. "Für mich war klar: Wenn ich das Mandat annehme, dann ist das ein Fulltime-Job." Also gab sie alle anderen Parteiämter auf, verzichtete auch auf ihr Ratsmandat und pendelt seither zwischen ihrer westfälisch-lippischen Wahlheimat und der NRW-Hauptstadt Düsseldorf.
    "Im Schnitt bin ich zwei bis fünf Mal in der Woche in Düsseldorf", erklärt Silke Mackenthun. Als naturschutzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und Mitglied im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz und stellvertretendes Mitglied im Ausschuß für Umweltschutz und Raumordnung sowie im Petitionsausschuß gibt es zusätzlich zu den Fraktions- und Plenarsitzungen viel im Landtag zu tun. Dennoch fährt sie regelmäßig abends nach Hause. "Ich fühle mich als Regionalabgeordnete und möchte möglichst eng mit meinem Wahlkreis zusammenarbeiten." Mit dem GRÜNEN Kreisverband teilt sie sich ein Büro, das ständig besetzt ist, damit es für auskunftsuchende Bürger immer einen Ansprechpartner gibt.
    Am besten wäre nach Auffassung von Silke Mackenthun ein Regionalparlament, vor dem die Bürger möglichst basisnah ihre Wünsche vorbringen könnten. NRW sei als Flächenland zu groß, um von Düsseldorf aus wählernah betreut zu werden. Der Bezirksplanungsrat könne die Aufgabe nicht erfüllen. Zum einen verfüge er über keinen eigenen Haushalt und zum anderen sei er nur für bestimmte Aufgaben zuständig. Deshalb sollte der Landtag Teile seiner Macht an ein neues Bezirksparlament abgeben. Da sich der Traum vom Regionalparlament nicht so rasch verwirklichen lassen wird, möchte Silke Mackenthun im Mai 2000 gern noch einmal in den NRW-Landtag einziehen. Mit 43 Jahren will die zupackende GRÜNE, die in einer Wohngemeinschaft auf einem Bauernhof mitten auf dem Land lebt, und in ihrer Freizeit gerne wandert oder Gitarre spielt, dann politisch aufhören und etwas ganz Neues beginnen. Silke Mackenthun hat auch schon klare Vorstellungen über ihre Ziele nach dem Abgeordneten-Dasein: "Am liebsten möchte ich den Hof, auf dem ich lebe, auf Vordermann bringen, eine Käserei aufbauen und so richtig mit den Händen arbeiten."
    Gerlind Schaidt

    ID: LIN05403

  • Porträt der Woche: Hedwig Tarner (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 16.03.1999

    Kinder mit dem familiären Hintergrund haben es nicht leicht, die eng gesteckten Dorfzäune zu überspringen. Hedwig Tarner, Zweitältester von vier Sprößlingen sogenannter kleiner Leute vom (Münster-)Lande hat es geschafft. Vater: Fabrikarbeiter, schon mit 48 Frührentner. Mutter: Hüterin des Hauses, die heute noch in dem Bett schläft, in dem sie einst geboren wurde.
    Es ging bescheiden zu im Hause Tarner. Hedwig mußte selbstverständlich die Pullover der älteren Schwester auftragen. Die Möglichkeiten waren auch in nicht finanzieller Sicht beengt. Hedwig durfte erst im dritten Schuljahr Hosen anziehen, mußte indes, dem Dorf- und Elternhaus-Gebot angeblicher Mädchen- Schicklichkeit gehorchend, einen Flock darüber tragen.
    Mit 15 Jahren machte die Warendorf erin eine Lehre als Bürokauffrau, schloß sich der IG Metall an und erlebte dort zum ersten Mal SPD- Genossen der alten Schule: Man nahm das junge Ding, Jahrgang 1960, nicht ernst. Es ging jedoch seinen zweiten Bildungsweg bis zum Abitur, engagierte sich als sachkundige Bürgerin bei der 84er Kommunalwahl in Warendorf, kam in den Stadtrat und stieß erst später, 1989, als Mitglied zu den GRÜNEN. Damals war Hedwig Tarner eine Linke. Heute antwortet sie spontan und beherzt "nein" auf die Frage, ob sie noch immer links sei. Frau Tarner zählt sich zu den Realpolitikern der Partei: Politische Theorie ist ihr wichtig, aber sie müsse umsetzbar sein. Die Parlamentarierin legt Wert darauf, daß die Menschen nach fünf Jahren "Rot-Grün" sagen können, das sei etwas Anderes, Besseres gewesen als "Rot pur".
    Sympathisch wirkt, daß Hedwig Tarner nicht zu der Sorte gesellschaftlicher Aufsteiger zählt, die ihrer Heimat schnöde den Rücken kehren. Sie ließ sich weder blenden noch verbiegen, das "Non degenerabo" des Dorfjungen Theo Waigel könnte auch ihr Lebensmotto sein. Hedwig Tarner ist sich ihrer Verwurzelung im Westfälischen bewußt. Sie denkt nicht daran, auch nur einen Wurzelstrang abzutrennen.
    Das Studium der Geographie hat sie ein wenig verbummelt, fast möchte man sagen: zwangsläufig. Denn 1987 kam der Sohn zur Welt. Das Stipendium reichte nicht, die junge Mutter und Studentin mußte zusätzlich Geld verdienen. Mit dem Kindesvater hat sie ein offenbar wohlgelungenes Arrangement getroffen: Der Knabe wird mal beim Vater, mal bei der Mutter erzogen, erlebt so die Eltern auch bei der Fron des Alltags und nicht nur im Sonntagsstaat.
    Selbstkritische Wehmut kommt auf, wenn Frau Tarner von den Zetteln erzählt, welche der Sohn ihr manchmal im Büro hinterlegen läßt. Da steht dann beispielsweise drauf, die Mutter habe wieder keine Zeit für Schularbeitshilfe gehabt. Das mühselige Pendeln zwischen Warendorf und Landtag Düsseldorf, die politische Arbeit und das Kümmern ums Kind — alles zusammen sei das schon heftig, sagt Hedwig Tarner. Dennoch möchte sie gern auch noch die nächste Legislaturperiode im Landtag arbeiten. Lieber wäre ihr aber wohl — auch aus privaten Gründen —, die Bürger ihres Wohnortes wählten sie im Spätsommer zur Bürgermeisterin. Sie wird kandidieren. Eine reine Zählkandidatur sei das nicht, meint sie mit dem Schuß an Selbstsicherheit, den sie Im Gespräch Minuten zuvor hatte vermissen lassen.
    Ob sie sich ein Regierungsamt zutraue? "Wissen Sie, ich hab' viele Defizite, zum Beispiel bei sprachlichen Formulierungen. Ich hab' beispielsweise erst in der Grundschule gelernt, Hochdeutsch zu reden, meine Mutter verwechselt heute noch mir und mich." "Aber", sagt der Gesprächspartner, "man kann doch viel dazulernen, wofür Sie selbst ein Beispiel sind". "Sie haben recht, man kann manches lernen, aber ich bin halt Westfälin und deshalb etwas langsam."
    So sehr Hedwig Tarner ihr Westfalen-Sein gerne betont: Im Vergleich mit den aus ihrer Erfahrung fixeren Rheinländern empfand sie ihre etwas größere Übersetzung, ihre vielleicht fehlende Schlagfertigkeit auch schon einmal als hinderlich; was nie zu Grübeleien geführt hat. Hedwig Tarner sagt sich: Ich bin wie ich bin.
    Genauso offen, wie sie über ihre wirklichen oder eingebildeten Defizite spricht, räumt die GRÜNE ein, daß sich das Fraktionsmitglied einer Regierungspartei nach der politischen Decke zu strecken habe.
    In politischen Dingen sucht sie Bodennähe. Von Verkehrs-, Raumordnungspolitik versteht sie etwas. "Da bin ich fit." Frau Tarner geht gerne systematisch an Probleme heran, strukturiert und ordnet sie, und ist zum Erstaunen des elfjährigen Filius von mathematischen Dingen fasziniert.
    Als GRÜNE singt sie das Hohelied des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs besonders laut. Nicht immer sei es richtig, ein von Autolärm belästigtes Dorf durch Ortsumgehungsstraßen zu entlasten. Da müsse zunächst an andere, billigere, administrative oder bauliche Maßnahmen (Lärmschutzwälle/ Pförtnerampeln) gedacht werden. Straßen gebe es grundsätzlich genug im Land, behauptet sie und setzt hinzu: "Das heißt nicht, daß man nicht an der einen oder anderen Stelle was machen muß."
    Die junge Frau, der es manchmal leidtut, nicht Lehrerin geworden zu sein, liest gerne Reiseliteratur. Einmal erst in ihrem Leben hat sie Europa verlassen — bei der Reise des Städtebauausschusses nach Kanada im Vorjahr. Seit 20 Jahren macht sie Urlaub in den Pyrenäen. Im Sommer geht's zum schwedischen Vättersee — zur bekannten Rennradtour. Hätte Hedwig Tarner einen Reisewunsch frei, entschiede sie sich für Fernost (mit dem Rad nach Peking!) und von Wladiwostok aus mit der legendären Transsibirischen Eisenbahn zurück.
    Reinhold Michels

    ID: LIN05181

  • Porträt der Woche: Sylvia Löhrmann (GRÜNE).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 03.06.1998

    "Ich bin ein ziemliches Arbeitstier und mache ungern Fehler." Sylvia Löhrmann hat Politikmanagement in Solingen gelernt: Neun Jahre lang war sie dort Ratsmitglied und Fraktionssprecherin der GRÜNEN. Jetzt hat sie diese beiden Funktionen aufgegeben, um genug Zeit für ihre neue Position zu haben: seit Mitte März ist Sylvia Löhrmann parlamentarische Geschäftsführerin der GRÜNEN. Vernetzen und Koordinieren, für einen reibungslosen Ablauf sorgen bei allen parlamentarischen Vorgängen, die die GRÜNE Fraktion betreffen, Vorbereitung der Ältestenratssitzung, Teilnahme am Jour fixe mit der SPD, das sind ihre Aufgaben.
    "Ich sehe darin nicht die Funktion einer dritten Sprecherin neben Roland Appel und Gisela Nacken, sondern sehe mich in einer Managementposition", beschreibt Sylvia Löhrmann ihren neuen Posten. Der Fundi-Flügel der Fraktion hatte bei der Wahl zur parlamentarischen Geschäftsführerin nicht für Sylvia Löhrmann gestimmt, weil er eine Kandidatin aus den .eigenen Reihen' auf dem Posten sehen wollte. Nachdem Sylvia Löhrmann gewählt worden war, weigerte er sich, die Vorstandswahlen zu Ende zu führen. Das findet die neue parlamentarische Geschäftsführern der GRÜNEN unbefriedigend, aber "ich glaube, daß die Situation, die da eingetreten ist, sich nicht gegen meine Person gerichtet hat". Sylvia Löhrmann möchte innerhalb der Fraktion daran arbeiten, die Kommunikation zu verbessern und durch reibungsloses Management dafür zu sorgen, daß die inhaltliche Arbeit gestärkt wird.
    Natürlich wird sie sich auch weiterhin intensiv ihrer Ausschußarbeit widmen. Im Kommunalpolitischen Ausschuß liegen Sylvia Löhrmann die Finanzen besonders am Herzen: "Die Umstrukturierung des Finanzausgleichs halte ich für richtig, weil sich bestimmte Belastungen in den großen Städten potenzieren, ich habe deshalb dafür geworben, daß wir uns jetzt an die Umsetzung machen."
    Wie ein roter Faden durch ihre Arbeit zieht sich Sylvia Löhrmanns frauenpolitisches Engagement. Sie ist Feministin, und das heißt für sie "eindeutig Parteilichkeit für Frauen und Mädchen". Sylvia Löhrmann ist stolz auf die Früchte, die ihr Engagement in Solingen getragen hat: dort wurde eine Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt eingerichtet, die Gleichstellungsstelle gut ausgebaut.
    Sylvia Löhrmann ist ein Kind des Ruhrgebiets. Sie wurde in Essen geboren, und als die Eltern mit ihr 1969 nach Witten zogen, bestand die damals Zwölfjährige darauf, weiter in ihrer Heimatstadt zur Schule zu gehen. Zwei Stunden Fahrt für eine Strecke nahm sie dafür gerne in Kauf. Und das lag auch an ihrer Schule: das katholische Mädchengymnasium "Beatae Mariae Virgines" hat Sylvia Löhrmann gerne besucht, denn "da wurden wir gezielt gefördert, waren der Jungenkonkurrenz nicht ausgesetzt". Auch wenn ihr die Schule noch so gut gefiel, Lehrerin war nach dem Abitur nicht ihr Traumberuf. Sylvia Löhrmann war schon damals ein großer Skandinavien- und Großbritannien-Fan: Sie wollte Lektorin für Schwedisch und Englisch werden. Da das an ihrer Wunsch-Uni, der Ruhr-Universität Bochum, aber nicht so ohne weiteres möglich war, entschloß sie sich, Deutsch und Englisch für das Lehramt zu studieren. Ein Schulpraktikum während ihrer Studienzeit hat sie dann schließlich motiviert, doch Lehrerin zu werden. Sylvia Löhrmann hat elf Jahre lang an der Städtischen Gesamtschule Solingen unterrichtet: "Ich bin Gesamtschullehrerin aus Überzeugung, das Schulsystem ist meiner Ansicht nach besser als sein Ruf."
    Die Anti-AKW- und die Frauenbewegung haben sie politisch geprägt. "Grün gewählt" hat sie schon immer, 1985 trat sie in die Partei ein. Ihren eigenen politischen Stil beschreibt Sylvia Löhrmann als "hart in der Sache, aber verbindlich im Ton und im Umgang". Innerhalb der GRÜNEN-Fraktion zählt sie zu den sogenannten Regierungslinken, hat den Kreis "Genuß und Vernunft" um Roland Appel und Bärbel Höhn mitbegründet. In ihrer Freizeit genießt Sylvia Löhrmann die Lektüre englischer Frauenkrimis, ganz vernünftig auch manchmal in der Originalsprache, um nicht aus der Übung zu kommen. Sie verreist gerne, am liebsten mit dem Schiff nach Skandinavien oder Großbritannien und ist ein Fan der italienischen Küche. Außerdem pflegt Sylvia Löhrmann noch immer Kontakt zum Ruhrgebiet: "Ich habe eine alte Neigung zum Theater und habe immer noch ein Abo in Bochum, vermisse aber die Peymann-Truppe."
    Ulrike Coqui

    ID: LI980947

  • Porträt der Woche: Johannes Remmel (Grüne).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 6 - 28.04.1998


    Johannes Remmel fällt einem schon beim Durchblättern des Landtag-Handbuchs auf. Ein jugendliches Gesicht strahlt da heraus, die Haare etwas wirr und der Hemdkragen offen — ein deutlicher Kontrast zu den Porträts der meisten anderen Parlamentarier. Mit 35 Jahren ist Remmel nicht nur einer der jüngsten Abgeordneten — er verkörpert auch jenen Typus von Politiker (und Mann), der nicht nur auf die Karriere fixiert ist, und der vor allem mit den GRÜNEN Einzug in die Politik hielt. Remmels Kurzbiographie im Handbuch zählt zum Beispiel Stationen auf wie " 1988/89 Hausmann".
    "Ich hab' mein Leben nicht so sehr geplant, sondern meistens gerade das gemacht, was anstand", gesteht er freimütig. So verfaßte der Sportbegeisterte zum Beispiel einen Fahrrad-Reiseführer sowie andere Berichte für Reiseverlage. Dann wieder unterrichtete er "Deutsch als Fremdsprache" für Flüchtlinge. Ein Lehramtsstudium brach er wieder ab, weil er nach mehreren Praktika erkannte, daß ihm der Beruf doch keinen Spaß macht. Und als vor knapp zehn Jahren sein Sohn geboren wurde, blieb er zu Hause und kümmerte sich um Kind und Haushalt. Einer seiner Leitsprüche sei ein Zitat von Gandhi, sagt er: "Der Weg ist das Ziel". Daß dieser Weg 1995 in den Landtag führen sollte, war eigentlich auch nicht so richtig geplant. Remmel stand auf Platz 24 der Landesliste — normalerweise ohne Aussicht auf ein Mandat. Nur dank des guten Wahlergebnisses der GRÜNEN von zehn Prozent zog dieser Listenplatz noch.
    Das unerwartet hohe Wahlergebnis habe nicht nur die Zahl der GRÜNEN-Abgeordneten glatt verdoppelt, es habe auch die Struktur der Fraktion deutlich verändert, betont Remmel. Während in der vorigen Legislaturperiode der Rhein-Ruhr- Ballungsraum überrepräsentiert und die ländlichen Gebiete benachteiligt gewesen seien, verteilten sich nun die Gewichte etwas gerechter. Johannes Remmel, man ahnt es, vertritt einen dieser ländlichen Wahlkreise, den Kreis Siegen. Dort, in Siegen, ist er geboren und aufgewachsen. Geprägt hätten ihn sein "sehr katholisches Elternhaus" sowie katholische Jugendorganisationen, etwa die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg, erzählt er. Der Kirche gehört er nach wie vor an, wenngleich sich im Lauf der Zeit die politische Richtung seines Glaubens grundlegend geändert hat: In den späten siebziger, frühen achtziger Jahren wurde er ein Anhänger der sogenannten Theologie der Befreiung. Auch der Eurokommunismus hatte es ihm seinerzeit angetan. Für viele Menschen vor allem in der Friedensbewegung, in der sich Remmel damals engagierte, verband sich damit die Hoffnung, die Erstarrung der Blöcke in Ost und West zu überwinden und einen dritten Weg, jenseits von Sozialismus und Kap/talismus, einzuschlagen.
    Als aus der Friedens- und Umweltbewegung die GRÜNEN hervorgingen, "war von Anfang an klar, daß das meine Partei ist". Bald gehörte Remmel dem Vorstand des Siegener GRÜNEN-Stadtverbandes an, wurde Geschäftsführer der GRÜNEN- Ratsfraktion und 1989 selbst Ratsmitglied. Nach der Kommunalwahl 1994 wirkte er maßgeblich am Zustandekommen einer rot-grünen Zusammenarbeit im Siegener Rat mit — die zwei Jahre später wieder zerbrach. Seitdem, sagt Remmel nüchtern, sei Rot-Grün für ihn "kein Projekt" mehr, sondern eine ganz normale Koalition.
    Überhaupt sind die Visionen mittlerweile weitgehend dem Pragmatismus gewichen. An der GRÜNEN-Landtagsfraktion schätze er zum Beispiel, daß in ihr "sehr viel kommunalpolitische Erfahrung" versammelt sei und daß sie "keinen akademischen Politikstil" pflege. Remmel: "Politik hat viel mit handwerklichen Fertigkeiten zu tun."
    Viel unspektakuläre Kleinarbeit prägt Remmels Politikalltag heute, im Verkehrsausschuß, im Ausschuß für Umweltschutz und Raumordnung. Etwas über den Tag Hinausweisendes erhofft er sich von der "Enquetekommission zur Zukunft der Mobilität", deren Vorsitz er innehat. Sein größter Wunsch wäre, daß deren Bericht nach getaner Arbeit einmal so viel Resonanz finden möge wie seinerzeit der Bericht der Enquetekommission des Bundestages zum Klimaschutz.
    Darüber hinaus kümmert sich Remmel intensiv um seinen Wahlkreis. Fast täglich pendelt er zwischen Siegen und Düsseldorf, um den Kontakt zur Basis nicht zu verlieren. Viele Politiker kleiner Parteien, kritisiert er, verstünden sich eher als Fachpolitiker und weniger als Wahlkreisabgeordnete, da sie ja ohnehin nie direkt gewählt würden. Das hält er für falsch.
    Trotz seiner steten Präsenz zu Hause schafft er es zu seinem Bedauern jedoch nicht mehr, wie früher regelmäßig, zweimal die Woche zum Fußballtraining zu gehen: "Ich kann jetzt nur noch sonntags am Spiel teilnehmen."
    Roland Kirbach

    ID: LI980658

  • Porträt der Woche: Ewald Groth (GRÜNE).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 03.02.1998

    Als "haltlose Argumente" stuft Ewald Groth (44), Kommunal-Experte der GRÜNEN-Fraktion des Landtags Klagen der Kommunen über eine unzureichende Finanzausstattung ein. Im Zeichen massiver Steuerausfälle kommt es aus seiner Sicht darauf an, diesen Mangel gerecht zu verteilen: "Unter dem Zeichen dieses Mangels sind die Kommunen ausreichend ausgestattet." Nicht gelten läßt er Vorwürfe, das Land lasse die Städte und Gemeinden in ihrer Finanznot im Stich. Denn in den vergangenen zehn Jahren habe sich das Land — auch für die Kommunen — weitaus mehr als diese verschuldet.
    Gut gerüstet sieht Groth die Kommunen für die verwaltungsstrukturreform. Die Kreise und kreisfreien Städte verfügten über ausreichende "Man- und Womanpower", um zusätzliche Aufgaben von höheren Verwaltungsebenen übernehmen zu können. Die Qualifikation der Mitarbeiter dieser Verwaltungen "gebietet es geradezu, ihnen weitere Aufgaben- und Finanzverantwortung zu geben". Wie dies geschehen könnte, erläutert Groth am Beispiel Kindergarten. Wenn der bisherige Wirrwarr ersetzt würde durch eine klare Aufgabenverantwortung der Jugendämter der Kreise und der kreisfreien Städte, dann müßten sie auch die Finanzverantwortung bekommen. Das Land habe sich darauf zu beschränken, Rahmenbedingungen zu setzen. Groth: "Diese müssen so offen gestaltet sein, daß wirklich nur Mindeststandards gewährleistet sind."
    Bei einer solchen Verlagerung von Aufgaben hält Groth eine " Verschlankung" der Mittelinstanzen für möglich und sinnvoll. Die verbleibenden Aufgaben sollten in Regionalverwaltungen gebündelt werden, die gleichzeitig staatliche und kommunale Aufgaben übernehmen und demokratisch kontrolliert werden sollten. Kommunalpolitische Erfahrungen hat Groth mit in den Landtag gebracht, als er 1995 über den 16. Landeslistenplatz in den Landtag einzog. Seit 1989, dem Jahr seines Eintritts in die Partei der GRÜNEN, war er deren Fraktionssprecher im Gemeinderat von Ostbevern, ab 1994 stellvertretender Fraktionssprecher im Kreistag Warendorf. Obwohl er aus einer sozialdemokratischen Familie in der Ruhrgebietsstadt Lünen stammt, ist er nie Mitglied der SPD geworden, sondern über die Friedens- und Antiatomkriegsbewegungen bei den GRÜNEN gelandet. Aus familiären und beruflichen Gründen zog er ins münsterländische Ostbevern, als Sonderschullehrer hat er in Osnabrück und Münster gearbeitet.
    Der Schwerpunkt von Groths Arbeit im Landtag ist die Kommunalpolitik. Ohne Wenn und Aber setzt er sich für ein Kommunalwahlrecht ab 16 Jahren ein: "Das macht Sinn, weil junge Leute sich dann eher beteiligen können und auch eher von Politikern wahrgenommen werden als Wählerinnen und Wähler." Etwas zurückhaltender reagiert er auf die Frage, ob bei Kommunalwahlen die Fünfprozentklausel entfallen sollte. Deren Abschaffung möchte er verbinden mit der Einführung des Kumulierens und des Panaschierens in das Kommunalwahlrecht. Dies ist allerdings mit den Sozialdemokraten zumindest in der laufenden Legislaturperiode nicht zu machen.
    Im Münsterland ist der Vater von zwei Kindern zu einem begeisterten Radfahrer geworden. Gern wandert er auf Nordseeinseln oder im Gebirge, gelegentlich klettert er auf hohe Berge.
    Ludger Audick

    ID: LI980231

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Die Fraktionen im Landtag NRW