Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Dr. Martin Vincentz, Vorsitzender der
AfD-Fraktion im Landtag. Der 37-jährige Arzt lebt in Krefeld.
Noch bevor Martin Vincentz in sein Büro kommt, steht der Verdacht im Raum: Klimakleber in Düsseldorf. Schon wieder? So hatte es ein Fernsehteam ihm gegenüber geäußert, als der AfD-Vorsitzende noch im Auto saß, auf dem Weg in den Landtag. Später wird sich herausstellen, dass es Greenpeace-Aktivisten waren, die im Medienhafen einen Großeinsatz der Polizei verursachten. Klar ist an diesem Vormittag im Oktober aber nur: Der Rheinufertunnel ist dicht, nichts geht mehr, und Martin Vincentz steckt fest.
Rund eine Stunde später trifft der 37-Jährige im Landtag ein. Genervt? Nein, es liege doch auf der Hand: Wer eine Botschaft rüberbringen wolle, kalkuliere die Provokation und Einschränkung anderer ein, sagt der Mann im Hemd und dunklen Sakko. Das sei üblich bei Demos. Problematisch werde es allerdings, wenn Verkehrswege blockiert würden und selbst die Polizei nicht mehr durchkomme. "Da kann ich nicht mitgehen", sagt der AfD-Politiker.
Es klingt moderat, versöhnlich, wie er das sagt. Überhaupt stammen seine Worte nicht aus der Abteilung Attacke. Er konzentriere sich mehr darauf, was er sage, und weniger, wie er es sage. Das entspreche seinem Naturell - nicht nur in der Politik: Auch als Arzt in Krefeld sei er es gewohnt gewesen, erst zuzuhören, zu analysieren und dann eine solide Diagnose zu stellen.
In einem bürgerlichen Elternhaus in Krefeld wuchs Vincentz auf. Am Küchentisch sei viel über Tagespolitik diskutiert worden, erzählt er. Seine Mutter, eine Postbeamtin, und sein Vater, ein Kaufmann, hätten ihm vermittelt, dass sich engagieren müsse, wer etwas verändern wolle. Ein Zitat von Charles Bukowski, eingerahmt in der Küche, kann Vincentz noch heute wiedergeben: "Alles Unglück dieser Welt hängt damit zusammen, dass die Dummen so selbstgewiss und die Klugen so voller Zweifel sind."
Am Niederrhein habe er alles in allem eine für seine Generation typische Kindheit erlebt - "mit viel zu süßen Cornflakes, Comics und einem Nintento-Gameboy". Schon früh, mit sechs Jahren, begann er mit Degenfechten, das schnell mehr wurde als ein Hobby. Mehrfach war Vincentz später NRW-Meister und auch Deutscher Meister im Mannschaftsfechten.
Der Sport fasziniert ihn bis heute. Fechten sei physisch anstrengend, aber auch ein "Denksport", erzählt Vincentz. Es werde als "das kluge Boxen" bezeichnet und habe ihn viele Lektionen gelehrt. Zwei Typen seien ihm bei Wettkämpfen in ganz Europa begegnet: die dominanten Fechter, die anderen ihren Stil aufoktroyierten, sowie die "Konterfechter", die aus der Beobachtung heraus agierten. Er sei, ganz seinem Naturell entsprechend, mehr der letztere Typ gewesen, ein Konterfechter.
Vom Arzt zum Politiker
Nach dem Abitur begann Vincentz sein Medizinstudium an der Universität in Köln. Ein kleines Apartment, nebenbei jobben, viel lernen, zudem fechten und Freunde treffen - so beschreibt er im Rückblick seine Studentenzeit, in der er eher zurückgezogen gelebt habe.
Mit der Politik kam er verstärkt erst nach dem Studium in Berührung. Ausschlaggebend seien einerseits Positionen von AfD-Mitbegründer Bernd Lucke und dessen Kritik an der Euro-Politik vor rund zehn Jahren gewesen. Hinzu seien Mängel im Gesundheitssystem gekommen, die Vincentz als praktizierender Arzt erkannte: "Selbst hoch idealisierte Menschen werden in kurzer Zeit verschlissen."
Als Arzt sei er "hoch beschäftigt", aber "geistig nicht ausgelastet" gewesen. Einige Male besuchte er Treffen der AfD-Ortsgruppe in Krefeld und kam schnell mit der Landesspitze der Partei in Kontakt. Bereits 2015 stieg er zum gesundheitspolitischen Sprecher der NRW-AfD auf. 2017 zog er als Abgeordneter für die AfD in den Landtag ein, seit 2022 ist er Vorsitzender seiner Fraktion sowie im AfD-Landesverband.
Bis heute gebe es unterschiedliche Strömungen in der AfD. Von einem "Rechtsruck" der AfD, wie es in Medien oft heiße, könne dagegen nicht die Rede sein, weder in NRW noch bundesweit. Das seien Zuschreibungen von außen, verbreitet oft von Ausgeschiedenen aus der Partei nach politischen Niederlagen.
Schade sei, dass die AfD mit einer "Brandmauer" von politischen Prozessen abgeschnitten werde, sagt Vincentz. Er selbst sei überzeugt von "Demokratie, Mitwirkung und Teilhabe", bezeichnet sich als "bürgerlich liberal". Wer rechtsradikal oder -extrem sei, habe in der Partei nichts zu suchen. Dafür zu sorgen, sei auch seine Aufgabe als Landesvorsitzender.macro tob not found
Zur Person
Dr. Martin Vincentz wurde 1986 in Tönisvorst im Kreis Viersen geboren. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Krefeld.
Nachgefragt
Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
Ich lese gerne und viel, weil es einfach zu viele gute Bücher gibt, um nur eins auszuwählen. Freuds "Zur Psychopathologie des Alltagslebens" oder doch lieber Hemingways "Paris, ein Fest fürs Leben"?
Welche Musik hören Sie gerne?
Kommt immer auf die Stimmung an. Manche Tage sind es AC/DC, andere Miles Davis und wieder andere Claude Debussy.
Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
Licht.
Ihr liebstes Reiseziel?
Es gibt noch zu viel zu sehen, um das abschließend zu beantworten, aber es verschlägt mich immer wieder zurück an die Côte d'Azur.
ID: LI230718