Wie kamen sie in die Politik? Wo liegen ihre politischen Schwerpunkte? Landtag Intern stellt in
jeder Ausgabe Abgeordnete vor. Diesmal im Porträt: Norwich Rüße (Grüne). Der 53-Jährige aus
dem münsterländischen Steinfurt gehört dem Landesparlament seit 2010 an. Er ist Sprecher der
Grünen-Landtagsfraktion für Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz.
Wie seine Eltern auf seinen äußerst ungewöhnlichen
Vornamen gekommen sind, das wird
der Landtagsabgeordnete der Grünen Norwich
Rüße wohl nie erfahren. Auf seine Fragen hat
der heute 53-jährige Politiker jedenfalls keine
Antwort erhalten. Und eigene Nachforschungen
haben auch zu keinem Ergebnis geführt.
Dafür hat ihm der seltene Name eine enge Verbindung
zu der gleichnamigen englischen Stadt
in Norfolk und deren Fußballverein verschafft,
der gerade in die erste englische Liga aufgestiegen
ist - sehr zur Freude von Norwich Rüße.
Als er vor einigen Jahren mit seiner Frau und
seinen beiden Töchtern die idyllische Stadt mit
knapp 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern
besuchte und Karten für ein Spiel des Norwich
City Football Club in der Geschäftsstelle abholen
wollte, da waren die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter dort so begeistert über den Gleichklang
der Namen, dass sie gleich den Teammanager
riefen, der die Familie Rüße freundlich begrüßte
und durch das ganze Stadion führte.
Norwich Rüße ist nicht nur Landtagsabgeordneter
und Sprecher seiner Fraktion für
Landwirtschaft, Natur-, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz.
Gleichzeitig betreibt er den elterlichen
Bauernhof in Steinfurt im nördlichen
Münsterland, mindestens zweieinhalb Stunden
Fahrzeit vom Landtag in Düsseldorf entfernt. 30
Hektar Nutzfläche, derzeit 17 Hereford-Fleischrinder
und rund 250 Schweine versorgt er selbst.
Beim Säen, Pflügen und Ernten, beim Füttern
und Ausmisten hilft ihm nur eine Teilzeitkraft.
Selbst beim Transport der Schweine zu einem
Schlachthof in Unna sitzt Rüße selbst am Steuer.
Die Doppelbelastung als Bauer und Politiker
ist zwar, wie Rüße einräumt, "manchmal schwierig",
aber sie habe auch Vorteile. "Ich beschäftige
mich praktisch mit dem, was ich im Landtag bearbeite",
sagt er. Landwirte merkten in Diskussionen
schnell, ob ihre Gesprächspartner aus der Politik wüssten, worüber sie redeten, oder ob sie
die Probleme nur aus der Theorie kennen. "Ich
glaube, dass mir meine Arbeit auf dem Hof auch
ein Stück Respekt eingebracht hat."
Bei den Grünen Mitglied geworden ist Rüße,
nachdem er schon einige Zeit als sachkundiger
Bürger im Rat der Stadt Steinfurt mitgearbeitet
hatte. Die Verwaltung wollte Ende der 90er-
Jahre einen Campingplatz schaffen, an einem
Ort, den Rüße für gänzlich ungeeignet hielt. Er
nahm auf der Suche nach Verbündeten Kontakt
zu den Fraktionen im Rat auf und fand die Grünen
damals, wie er sagt, am nettesten, inhaltlich
offen und für seine politischen Anliegen am
besten geeignet. Damit habe er auch im Trend
der Zeit gelegen: Nach anderthalb Jahrzehnten
unter dem christdemokratischen Bundeskanzler
Helmut Kohl habe sich Aufbruchstimmung breit
gemacht, "es war spannend, zu den Grünen zu
kommen", und eine sich abzeichnende Koalition
mit der SPD sei zu einem "rot-grünen Projekt"
stilisiert worden.
Heute sieht Rüße die Koalitionsfrage erheblich
nüchterner. Mit derselben Selbstverständlichkeit,
mit der die SPD mit der CDU und anderen
Parteien über Koalitionen rede, müssten
auch die Grünen mit allen demokratischen Parteien
über mögliche Regierungsbündnisse sprechen.
Dabei fände er gerade bei seinem Spezialgebiet,
der Agrarpolitik, ein Bündnis zwischen
Grünen und der Union spannend. Denn dann
müssten die beiden wichtigsten Widersacher
auf diesem Feld einen Kompromiss aushandeln
zwischen der mittlerweile zum großen Teil industriell
betriebenen Landwirtschaft, die ihre
Vertreterinnen und Vertreter in CDU und CSU
habe, und der biologisch und extensiv angelegten
Agrarstruktur, wie sie die Grünen vertreten
würden.
Seine Arbeit im Landtag mag Rüße "total
gerne", die Atmosphäre in dem Rundbau am
Rhein habe manchmal sogar "etwas Familiäres".
Auch über einen Mangel an Einfluss könne
er sich nicht beklagen, sodass er bislang allen
Verlockungen, für den Bundestag in Berlin zu
kandidieren, widerstanden hat.
Nordrhein-Westfalen sei nicht nur ein Industrieland,
sondern auch ein wichtiger Agrarstandort,
betont Rüße. Mit allen möglichen
Förderprogrammen, viele davon mit Geldern
des Bundes und der Europäischen Union finanziert,
entscheide das Land, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. Wichtige Debatten,
etwa über den Einsatz von Antibiotika in der
Tierhaltung, würden von Nordrhein-Westfalen
angestoßen und geführt. Oft sei es indirekter
Einfluss, der aber größer sei, als es außerhalb
wahrgenommen werde.
Peter Jansen
Zusatzinformation:
Zur Person
Norwich Rüße studierte nach dem Abitur Geschichte und
Biologie für das Lehramt in Berlin. Von 1994 bis 1999
war er am Institut für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe tätig. Nach seinem
Eintritt bei den Grünen war er von 2000 bis 2010 Geschäftsführer
der Partei im Kreis Steinfurt. Seit Juni 2010
ist er Mitglied des Landtags und derzeit Obmann seiner
Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
"Hackerangriff/Stabsstelle". Der 53-Jährige führt im Nebenerwerb
den elterlichen Bauernhof in Steinfurt.
Nachgefragt
Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum?
Vilhelm Moberg, Die Auswanderer. Eine
schwedische Chronik, 1949-1959. Vilhelm
Moberg schreibt in höchst beeindruckender
Art und Weise über die Auswanderung einer
schwedischen Bauernfamilie in die USA. In
vier Bänden wird der Abschied von der Heimat,
das Ankommen in der Neuen Welt und
das Gewinnen neuer Heimat geschildert. Die
Hoffnungen und Erwartungen der Menschen
werden so gut dargestellt, dass man mitfühlt.
Das macht diese Bücher absolut lesenswert!
Welche Musik hören Sie gerne?
Ich mag musikalisch eigentlich sehr vieles -
aktuell z. B. die Musik von Lady Gaga und
Bradley Cooper zum Film "A star is born".
Mein absolutes Lieblingsstück ist aber das Violinkonzert
Nr. 1, g-Moll von Max Bruch.
Was haben Sie immer in Ihrem Kühlschrank vorrätig?
Butter & Bier
Ihr liebstes Reiseziel?
Schwierig - denn eines zu nennen, heißt, viele
andere schöne Orte auszuschließen. Wenn
es unbedingt sein muss: Spiekeroog! Oder
doch Rügen ...?
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