09.11.2023

„Nie wieder ist jetzt“

Der Landtag Nordrhein-Westfalen, die Landesregierung und die Landeshauptstadt Düsseldorf haben im Plenarsaal des Parlaments an die Pogromnacht vor 85 Jahren erinnert. Die Gedenkstunde stand unter dem Eindruck aktueller antisemitischer Äußerungen und Kundgebungen auch in Deutschland.

Schweigeminute im Landtag für die Opfer der Pogromnacht.

Während des 9. Novembers 1938 und in den Tagen danach brannten Synagogen; jüdische Wohnungen, Geschäfte und Büros wurden geplündert und jüdische Bürgerinnen und Bürger waren der Willkür und Gewalt der Nationalsozialisten ausgeliefert. In ganz Deutschland wurden Jüdinnen und Juden verfolgt, misshandelt und getötet. Auch 85 Jahre nach den Novemberpogromen gibt es nur Schätzzahlen zu den Todesopfern im damaligen Reichsgebiet. Eine Studie geht für das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen von mindestens 127 Opfern aus, die in der Pogromnacht durch Misshandlungen zu Tode kamen.

Bei der zentralen Gedenkstunde im Plenarsaal sprachen der Präsident des Landtags, André Kuper, der Ministerpräsident des Landes, Hendrik Wüst, der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf, Dr. Stephan Keller, und Dr. Oded Horowitz für die jüdischen Landesverbände in Nordrhein-Westfalen. Nach dem Gebet „el male rachamim – G‘‘tt voller Erbarmen“, vorgetragen von Aaron Malinsky, Kantor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, bat Präsident André Kuper die Gäste um eine Schweigeminute.

André Kuper, Präsident des Landtages: „Der 9. November 1938 markiert den endgültigen Abstieg Nazi-Deutschlands in die Barbarei. Er steht für die staatliche Abkehr von der Menschlichkeit. Unser Gedenken ist in diesem Jahr spürbar anders: Schmerzhafte Geschichte trifft auf eine sorgenvolle Gegenwart. Nie wieder ist jetzt: Menschen jüdischen Glaubens haben wieder Angst in unserem Land. Auch hier in Nordrhein-Westfalen, im Jahr 2023. Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit, der blinde Hass auf alles Jüdische, sind wieder auf den Straßen präsent. In Berlin, in Essen, hier in Düsseldorf, an vielen Orten in Deutschland. Die Feinde der Demokratie sollen wissen: Wer jüdisches Leben angreift, der greift uns alle an. Judenhass ist keine Meinung. Angriffe auf jüdisches Leben sind Verbrechen.“

Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Es beschämt mich, dass heute Jüdinnen und Juden wieder das Gefühl haben, keine sichere Heimat zu haben. Der barbarische Terror der Hamas hat in Israel zu tiefgreifender Verunsicherung geführt. Und diese Verunsicherung spüren auch Jüdinnen und Juden bei uns. Doch anders als 1938, als den Jüdinnen und Juden in Deutschland so gut wie niemand zur Seite stand, ist unsere Haltung heute klar: Wir werden alles tun, um die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu garantieren. Ihr seid nicht allein, wir nehmen Euch in unsere Mitte. Deutschland, das ist auch Euer Land. Wir akzeptieren es nicht, wenn Hass, Gewalt und Terror auf unseren Straßen gefeiert werden und nutzen alle rechtlichen Möglichkeiten, um israelfeindliche Hassdemonstrationen einzuschränken. Antisemitismus hat in unserem Land keinen Platz. Unser ‚Nie wieder‘ sind in zwei Worte gegossene Werte. Jetzt können und müssen wir zeigen, dass wir Wort halten. ‚Nie wieder‘ ist jetzt!“

Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Dr. Stephan Keller, sagte: „Es ist ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur, den Opfern der schrecklichen Verbrechen zu gedenken, die sich in der Pogromnacht ereignet haben. Wir sehen auch an den aktuellen Vorfällen, wie wichtig es ist, zu erinnern und zu mahnen. Damit treten wir Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung entschieden entgegen und setzen uns für ein respektvolles und friedvolles Miteinander ein, das den Grundpfeiler für unser demokratisches Zusammenleben bildet.“

Dr. Oded Horowitz sagte: „Das Grauen ist Gegenwart geworden. Das Novemberpogrom von 1938 und der Terroranschlag von 2023 ähneln sich auf erschreckende Weise. Der tödliche Virus des Antisemitismus wütet wie schon lange nicht mehr, bedroht jüdisches Leben weltweit. Und noch immer haben wir kein Gegenmittel gefunden. Aber wir haben keine andere Wahl, als weiter danach zu suchen, intensiver denn je.“

Im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung standen Otto und Paula Mayer, geb. Blum. Die Eheleute gehörten zu den wenigen, die während des Novemberpogroms 1938 im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel von den gewalttätigen Überfällen verschont blieben. Während ihre erwachsenen Söhne Erich und Kurt auswandern konnten, gelang Otto und Paula Mayer die Flucht ins sichere Ausland nicht. Einzig Briefe ermöglichten den Kontakt zwischen den Eltern und ihren Kindern. Thomas Mayer, Enkel von Otto und Paula Mayer, bewahrte diesen Briefwechsel auf und übergab ihn dem Archiv der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. Er trug gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasiums Düsseldorf in einer szenischen Lesung aus den Briefen vor.

Auf Einladung der Jüdischen Gemeinde haben vor der Gedenkstunde Landtagspräsident André Kuper, Ministerpräsident Hendrik Wüst, Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Dr. Oded Horowitz, einen Kranz am ehemaligen Standort der Düsseldorfer Synagoge niedergelegt.

 

Die Fraktionen im Landtag NRW