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15.11.2022

Anhörung: Corona und die Psyche junger Menschen

Sachverständige haben sich in einer Anhörung zu den Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche geäußert. Anlass war ein Antrag der SPD-Fraktion. Beteiligt waren die Ausschüsse für Schule und Bildung, für Familie, Kinder und Jugend sowie für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

„Mehr als zwei Jahre Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen haben bei allen Beteiligten des Bildungssystems ihre Spuren hinterlassen“, heißt es im Antrag der SPD-Fraktion. Besonders gravierend seien die Folgen für die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zu diesem Ergebnis sei die sogenannte COPSY-Längsschnittstudie gekommen. 

Die Fraktion fordert in ihrem Antrag („Wissenschaftlich belegte Folgen der Pandemie ernst nehmen: psychosoziale Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Familien im Bildungsbereich stärken!“; 18/628) u. a. den Ausbau und die dauerhafte Finanzierung der Schulsozialarbeit. Der Einsatz von Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern sowie von Schulpsychologinnen und -psychologen müsse an allen Schulen über einen „festen Schlüssel“ ermöglicht werden. Zudem sollten Gesundheitsfachkräfte an den Schulen eingestellt und entsprechende Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer entwickelt werden. Erforderlich seien darüber hinaus „umfassende Präventions- und Heilungsstrategien, die auch kulturelle und sportliche Betätigung umfassen“.

„Belastungen, Ängste, verpasste Bildung“

Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen habe in der Pandemie gelitten, befand der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in einer schriftlichen Stellungnahme für die Ausschüsse: „Studien, die das belegen und gemessen haben, können wir durch unseren Praxisalltag jeden Tag bestätigt sehen.“ Viele Kinder litten „nach wie vor an den Belastungen, Ängsten und auch den Folgen verpasster Bildung, verpasster Förderung und somit verpasster zum Teil unwiederbringlicher Entwicklung“. Es gebe jüngere Kinder, die einen Großteil ihres bisherigen Lebens unter Pandemiebedingungen verbracht hätten: „Verpasstes kann aber nun nicht nachgeholt werden, da Angebote fehlen oder überlaufen sind.“

„Ausbau der Schulsozialarbeit dringend erforderlich“

Im Antrag der SPD-Fraktion werde „deutlich formuliert, welche negativen Auswirkungen die Corona-Pandemie vor allem auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gehabt hat“, bestätigte der Verband Bildung und Erziehung.  Zudem werde „eindringlich darauf hingewiesen, dass es erheblicher Anstrengungen und Investitionen in die schulischen Rahmenbedingungen und damit auch in das soziale und emotionale Lernen bedarf, um die Resilienz der Kinder und Jugendlichen zu stärken“. Eine langfristige finanzielle Sicherung sowie ein Ausbau der Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen seien dringend erforderlich. An jeder Schule müsse es mindestens eine entsprechende Stelle geben, die nicht auf Lehrerposten anzurechnen sei. Schule sei mehr als Unterricht, Bildung und Wissensvermittlung. Deshalb sei es richtig, „das Augenmerk auch auf kulturelle und sportliche Betätigung zu richten“. 

„Unzählige Hilferufe von Eltern“

„Ausgelöst durch die Krisen der jüngsten Vergangenheit zeigen sich in der Schule vermehrt Probleme wie Lernschwierigkeiten, Mobbing, psychische Auffälligkeiten bis hin zu Gewalttätigkeit“, schrieb die Landeselternkonferenz NRW in ihrer Stellungnahme. Daher unterstütze man „die Forderung, die Richtlinien anzupassen und Schulsozialarbeit auszuweiten“. Alle Schulen müssten nach einem festen Schlüssel ausgestattet werden. Die Landeselternkonferenz berichtete von „unzähligen Hilferufen von Eltern“. Sie hätten „von Existenzängsten, Gesundheitssorgen, Schulängsten, Versagensängsten, Ansteckungsängsten, Schlafstörungen, Verlustängsten bis hin zu Suizidgedanken“ gesprochen. 

„Geschürte Panikmache“

„Der Antrag greift ein sehr schwerwiegendes fortdauerndes Problem auf, das in erster Linie auf die rigiden Coronamaßnahmen der Landesregierung zurückzuführen ist“, so der frühere Oberstudiendirektor Helmut Seifen (Gronau) in seiner Stellungnahme. Schülerinnen und Schüler seien „konfrontiert mit einer außerhalb und innerhalb der Schule geschürten Panikmache“ gewesen. Der Antrag der SPD-Fraktion berücksichtige „diese tiefgreifende Erschütterung des kindlichen und jugendlichen Urvertrauens in die Stabilität des eigenen sozialen Netzes in keiner Weise“. Forderungen nach Verstärkung der Schulsozialarbeit „haben also höchstens die Aufgabe, die Schmerzen zu lindem, welche die Freiheitseinschränkungen im Rahmen der sogenannten Pandemiebekämpfung verursachen“.

„Großer Handlungsbedarf“

Das Gesundheitsamt Dortmund sah „großen Handlungsbedarf für den Ausbau von Präventionsangeboten zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schulen“. Es sei jedoch ebenfalls erforderlich, psychosoziale Beratungsstrukturen für Schülerinnen und Schüler sowie ihre Familien vor Ort auszubauen. „Daher haben wir bereits die personelle Aufstockung des psychosozialen Teams in unserem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst stark vorangetrieben“, hieß es in der Stellungnahme. In den vergangenen Jahren sei die Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Dortmund erweitert worden und zähle mittlerweile 15 Schulpsychologinnen und -psychologen. Angesichts von insgesamt 85 weiterführenden Schulen in Dortmund könne jedoch „nicht von einer ausreichend guten Versorgungssituation ausgegangen werden“.

„Paradigmenwechsel erforderlich“

Die Schulsozialarbeit müsse weiter ausgebaut und dauerhaft abgesichert werden, so die Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit NRW. Bei der Finanzierung sei ein „Paradigmenwechsel“ erforderlich: „Statt einer Finanzierung aufgrund von befristeten, ständig neuen Programmen und mit Blick auf besondere Problemlagen (Defizitorientierung/Stigmatisierung) benötigt es eine systematische und nachhaltige Institutionalisierung von Schulsozialarbeit durch den Ausbau und die Stärkung von bereits bestehenden gelingenden fachlichen Strukturen, welche das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit stärken.“

„Schlüssel nicht klar definiert“

Die Landesschüler*innenvertretung NRW begrüßte „weite Teile“ des Antrags: Die Probleme der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen müssten „dringend ernster genommen werden“. Es sei „klar“, dass es in den Schulen mehr Psychologinnen und Psychologen, mehr Sozialarbeiterinnen und -arbeiter geben müsse. Der im Antrag geforderte „Schlüssel“ sei aber nicht klar definiert. Wichtig sei, dass er sich nicht ausschließlich an der Zahl der Schülerinnen und Schüler orientiere. Statistisch gebe es an Schulen mit vielen Schülerinnen und Schülern aus „sozioökonomisch schwächeren Haushalten“ einen höheren Bedarf an  Schulsozialarbeit. 

Text: zab

Die Fraktionen im Landtag NRW