29.04.2021

Aktuelle Stunde: Landtag debattiert über das Thema Tarifbindung

Das Thema Tarifbindung stand im Mittelpunkt einer von der SPD-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi habe am Beispiel eines aktuellen Falls in Nordrhein-Westfalen auf die Problematik hingewiesen.

Das von der Gewerkschaft genannte Unternehmen weigere sich, „als Arbeitgeber in Tarifverhandlungen für die rund 420 Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen zu treten. In der Konsequenz streiken die Beschäftigten seit 60 Tagen und kämpfen für ihre Rechte“, heißt es im Antrag der SPD-Fraktion („Tarifflucht in Nordrhein-Westfalen eindämmen!“, 17/13538).

Dies sei kein Einzelfall, so die Fraktion. Auch andere Unternehmen hätten Tarifverträge gekündigt oder würden bestehende Verträge nicht anerkennen. Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern würden eingeschränkt, eine „faire tarifliche Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und Wertschätzung“ blieben ihnen verwehrt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund habe bereits 2019 angemahnt, dass den Sozialversicherungen in Nordrhein-Westfalen „jährlich 2,2 Milliarden Euro und dem Fiskus 1,3 Milliarden Euro an Einkommensteuer aufgrund von Tarifflucht und Lohndumping entgehen“. Das Geld werde gebraucht „für den sozialen Ausgleich, für Investitionen in Infrastruktur und in Bildung“.

Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden des Mutterkonzerns sei im vergangenen Jahr von 2,82 Millionen auf 4,3 Millionen Euro erhöht worden, sagte Lisa-Kristin Kapteinat (SPD). Eine Kompletterfüllung der Gewerkschaftsforderung hätte sich hingegen auf 900.000 Euro belaufen. Deshalb sei nun die Regierung in der Verantwortung, das Unternehmen aufzufordern, „sich an den Verhandlungstisch zu setzen“. Dass dies ausgerechnet bei der Tochter einer ehemaligen Landesgesellschaft vonnöten sei, zeige, was Privatisierung bedeuten könne – diese habe Ministerpräsident Laschet 2008 als damaliges Kabinettsmitglied mitzuverantworten. 

„Die Tarifautonomie, die Tarifpartnerschaft und die Tarifbindung sind keine überholten Modelle der sogenannten alten Arbeitswelt, sondern auch in Zeiten des digitalen Wandels topaktuell“, betonte Peter Preuß (CDU). Tarifverträge sorgten für Arbeitszufriedenheit, Fachkräftesicherung und sozialen Frieden. Zum verfassungsgemäß verbrieften Recht gehöre auch, sich nicht tariflich zu binden. Leider nehme die Bereitschaft zu dieser Bindung seit Jahren sowohl auf der Arbeitgeber- als auch auf der Arbeitnehmerseite ab. Deshalb müsse die Politik eingreifen und letztlich Regeln setzen, wie etwa beim Mindestlohn geschehen. 

Tarifbindung führe u. a. zu besseren Entgelten, besseren Arbeitsbedingungen, mehr Urlaubstagen sowie mehr Aufstiegs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, sagte Mehrdad Mostofizadeh (Grüne). Der Staat stehe in der Verantwortung und könne beispielsweise tarifgebundene Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt behandeln. „Wir wollen hohe Standards bei der Tarifbindung“, sagte Mostofizadeh. Es sei „niederschmetternd“, dass es vor einigen Wochen keine Einigung beim Branchentarifvertrag in der Pflege gegeben habe. NRW tue gut daran, die Tarifbindung und -treue „als wichtige DNA unseres Bundeslandes“ zu verstehen. 

Tarifverträge stünden in einem Spannungsverhältnis, sagte Stefan Lenzen (FDP). Sie sollten Beschäftigte schützen und für eine angemessene Entlohnung sorgen. Andererseits müsse die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhalten bleiben, was wiederum Arbeitsplätze sichere. „Für die freien Demokraten gilt die Tarifautonomie“, sagte Lenzen. Die Politik dürfe nicht „immer weiter bei gesetzlichen Regulierungen draufsatteln“. Das koste Arbeitsplätze. „Wir müssen die Attraktivität von Tarifverträgen erhöhen und zwar durch weniger staatliche Regulierung und mehr Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner für die Arbeitswelt der Zukunft.“ 

Dr. Martin Vincentz (AfD) verwies in seiner Rede darauf, dass Arbeitgeber- und Arbeiternehmerseite autonom ohne Eingriff der Politik über Tarifverträge verhandelten. Zwar sei ein Tarifvertrag ein Mittel, Beschäftigte gut zu entlohnen. Allerdings sei durch die Corona-Pandemie eine wirtschaftliche Krise ausgelöst worden, die insbesondere kleine Betriebe betreffe. Da könne es notwendig sein, Beschäftigte zeitweise schlechter zu bezahlen, der Betrieb aber weiter existieren könne. Vincentz forderte zugleich, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker steuerlich zu entlasten. 

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) nannte die abnehmende Tarifbindung ein „großes Problem“. Seien im Jahr 2000 noch 56 Prozent der Betriebe und 74 Prozent der Beschäftigten in einer Tarifbindung gewesen, so seien es derzeit 32 Prozent der Betriebe und 60 Prozent der Beschäftigten. Diese Entwicklung habe keine Landesregierung aufhalten können, da die Politik nicht zum Abschluss eines Tarifvertrags zwingen könne. Das wichtigste Instrument der Politik sei hier die Möglichkeit, Tarifverträge als allgemeinverbindlich zu erklären. Aber auch dies sei nur auf Antrag der Tarifparteien möglich. 

Text: sow, tob, wib
 

Die Fraktionen im Landtag NRW