96. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 4. Juni 2025
Vor Eintritt in die Tagesordnung
Gratulation
des Präsidenten
an sechs Abgeordnete zur
25-jährigen Mitgliedschaft im Landtag NRW
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14108
11.000 Arbeitsplätze vor dem Aus bei Thyssenkrupp Steel – Mitbestimmungsrechte wahren
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14109
Formlose
Rüge
des Abgeordneten Christian Loose (AfD) 13
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/10841 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 18/14072
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14124
3 NRW muss funktionieren – Investitionsstau in NRW angehen
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14010
Minister Dr. Marcus Optendrenk
4 Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz NW)
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14024
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14033
6 Zweites Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14016
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14012
Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14121
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14018
Minister Dr. Marcus Optendrenk
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14028
Mündliche
Anfragen
Drucksache 18/14111
der Abgeordneten Ralf Witzel (FDP) und Dirk Wedel (FDP)
Minister Dr. Marcus Optendrenk
der Abgeordneten Silvia Gosewinkel (SPD)
Beantwortung in der nächsten Fragestunde
11 Gesetz zur Änderung nordrhein-westfälischer Ausführungsgesetze zum SGB VIII
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/9770 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 18/13804
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14116
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14131
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14014
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14020
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14030
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14017
Minister Dr. Marcus Optendrenk
16 Ohne Trainer keine Erfolge – Trainertarif in NRW einführen!
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/10517
Beschlussempfehlung
des Sportausschusses
Drucksache 18/13190
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14096
Minister Dr.
Marcus Optendrenk
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)
18 Viertes Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14097
Minister Dr.
Marcus Optendrenk
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)
19 Gesetz zur Änderung des Schülerinnen- und Schülerdatenübermittlungsgesetzes NRW
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14098
Minister
Karl-Josef Laumann
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)
20 Gesetz zur Änderung des Kurortegesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14099
Minister
Karl-Josef Laumann
zu Protokoll
(siehe Anlage 4)
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14021
22 Mitteilung nach § 15 des Abgeordnetengesetzes NRW
Unterrichtung
durch den Präsidenten
Drucksache 18/14107
23 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 31
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 18/14090
Übersicht 18/27
gem. § 97 Abs. 8 GO
Minister Dr. Marcus Optendrenk
Zu TOP 20 – Gesetz zur Änderung des Kurortegesetzes – zu Protokoll gegebene Rede
Entschuldigt waren:
Ministerpräsident Hendrick Wüst
Ministerin Dorothee Feller
Minister Dr. Benjamin Limbach
Minister Nathanael Liminski
(ab 11 Uhr)
Ministerin Mona Neubaur
Guido Deus (CDU)
Jens Kamieth (CDU)
(ab 14 Uhr)
Dietmar Panske (CDU)
Charlotte Quik (CDU)
(ab 14 Uhr)
Fabian Schrumpf (CDU)
(ab 13:30 Uhr)
Julia Kahle-Hausmann (SPD)
Christina Kampmann (SPD)
(ab 15 Uhr)
Christian Obrok (SPD)
(ab 14 Uhr)
Jochen Ott (SPD)
(ab 16 Uhr)
Dagmar Hanses (GRÜNE)
Anja von Marenholtz (GRÜNE)
(bis 12:30 Uhr)
Verena Schäffer (GRÜNE)
(von 11 Uhr bis 16 Uhr)
Carlo Clemens (AfD)
Klaus Esser (AfD)
(ab 18 Uhr)
Thomas Röckemann (AfD)
(bis 17 Uhr)
Zacharias Schalley (AfD)
(bis 16 Uhr)
Sven Tritschler (AfD)
(ab 18 Uhr)
Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle herzlich willkommen zu unserer heutigen, 96. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen oben auf der Besuchertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien und den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.
Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt. Die Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Geburtstag haben heute Christoph Rasche von der Fraktion der FDP und Astrid Vogelheim von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Herzlichen Glückwunsch!
(Beifall von allen Fraktionen)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus besonderem Anlass möchte ich von dieser Stelle aus und vor Eintritt in die Tagesordnung einer Kollegin und fünf Kollegen gratulieren. Sie alle sind am 2. Juni 2000, also vor 25 Jahren, Mitglied des Landtags geworden.
(Beifall von allen Fraktionen)
Sie alle haben mit großem Einsatz, mit Verantwortungsbereitschaft, mit Leidenschaft und Überzeugung in den verschiedensten Funktionsbereichen die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger vertreten. Sie haben die politische Kultur in unserem Land mitgeprägt. Nicht wahr, das sagt sich so einfach: 25 Jahre Mitglied des Landtags. Aber was heißt und bedeutet es an Zeit, an Kraft, an Zurückstellung auch familiärer und persönlicher Interessen? Das vergessen viele allzu leicht. Was es bringt an Reife und Persönlichkeit, an Begegnung und Austausch, an Erfahrung und Entschlossenheit, das lässt sich sicherlich kaum messen.
Ich gratuliere und danke im Namen aller Kolleginnen und Kollegen Angela Freimuth, Rainer Schmeltzer, Ralf Witzel, Dietmar Brockes, Klaus Kaiser und Christoph Rasche. Allen gute Wünsche und danke für 25 Jahre parlamentarische Arbeit!
(Beifall von allen Fraktionen)
Ich darf alle sechs Genannten zu mir hier nach vorne bitten, damit ich ihnen eine Urkunde überreichen kann.
(Zurufe: Oh! – Die genannten Abgeordneten begeben sich zum Präsidenten und nehmen die Urkunden entgegen. – Beifall von allen Fraktionen)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eine Überraschung für alle.
Ich rufe auf:
1 Konjunkturelle Warnzeichen ernst nehmen und Wirtschaftswende einleiten – NRW-Landesregierung muss endlich Priorität auf Wirtschaftswachstum und Prosperität legen
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14108
11.000 Arbeitsplätze vor dem Aus bei Thyssenkrupp Steel – Mitbestimmungsrechte wahren
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14109
Die Fraktion der FDP sowie die Fraktion der SPD haben jeweils mit Schreiben vom 2. Juni 2025 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu den genannten aktuellen Fragen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster spricht für die FDP ihr Fraktionsvorsitzender Höne.
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Lage im Land bleibt extrem angespannt. Das RWI hat zu Beginn dieser Woche die Wachstumsprognose von ohnehin schon mageren 0,3 % auf nun 0,1 % gesenkt. Diese 0,1 % kommentiert die Landesregierung auf ihrer Webseite mit Sätzen wie „NRW stellt die richtigen Weichen. Die Wirtschaft fasst langsam wieder Tritt.“
Meine Damen und Herren, 0,1 % ist nicht „Tritt fassen“. Das ist Stillstand. Das ist ein Negativrekord,
(Beifall von der FDP)
weil das dritte Jahr ohne Wachstum bleibt. Seitdem Mona Neubaur Wirtschaftsministerin ist, tritt diese Wirtschaft auf der Stelle. Die Landesregierung verkennt die Lage. Schönfärberei steht auf der Tagesordnung.
(Beifall von der FDP)
Wachstum ist nicht nur trockene Statistik und auch nicht nur etwas für Volkswirte. Eine wachsende und starke Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze hängen unmittelbar zusammen. Die Menschen spüren jeden Tag unmittelbar die verpassten wirtschaftspolitischen Chancen in Nordrhein-Westfalen. Die Schlagzeilen zeigen das.
Thyssenkrupp: 11.000 Stellen sollen abgebaut werden. Das ist symbolhaft für die Krise der Industrie in Nordrhein-Westfalen.
Der NRW-Arbeitsmarkt: 7,8 % Arbeitslosenquote im Mai. Das ist höher als im Vorjahr; keinerlei Frühjahrsaufschwung ist erkennbar.
Die IHK NRW sagt, dass die Lage in vielen Unternehmen angespannt und in Teilen sogar kritisch sei.
Nun scheint sich die Landesregierung an den Ausblick auf 2026 zu klammern. Da sei mit einem Wachstum von 1,5 % zu rechnen. Allerdings sagt das RWI auch, dass das nichts mit der Politik der Landesregierung zu tun habe, sondern dass das passieren könnte, wenn das Sondervermögen des Bundes richtig eingesetzt werde.
Berlin bezahlt mit Milliarden Schulden; Düsseldorf bedankt sich. Hier droht ein teures Strohfeuer frei nach dem Motto: Wenn ein Problem mit Millionen Euro vom Steuerzahler nicht zu lösen ist, dann löst es doch mit Milliarden Euro! Das ist keine Wirtschaftspolitik, sondern das ist Staatswirtschaft, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Nordrhein-Westfalen wird nicht allein von einer Rezession getroffen, sondern die Rezession wird von der Landesregierung geradezu verordnet. Im Bereich „Energiepolitik“ wird der Kohleausstieg 2030 ohne sichere Ersatzkapazitäten vorgezogen. Das passiert an einen Tag. Am nächsten Tag warnt die Wirtschaftsministerin vor zu hohen Energiepreisen, verknappt aber das Angebot.
Dagegen hilft auch die größte Einzelsubvention in der Geschichte des Landes nicht. Milliarden für thyssenkrupp – für grünen Stahl, für den es weder genug Wasserstoff noch überhaupt Absatzmärkte gibt. Im Ergebnis sollen 11.000 Arbeitsplätze abgebaut werden.
Wirtschaftspolitik ist in vielen Bereichen auch Psychologie. Diese Landesregierung schafft aber kein gutes Klima für die Wirtschaft. Der Kies-Euro hängt immer noch wie ein Damoklesschwert über der Rohstoffindustrie.
Und fast 15 % weniger fertiggestellte Wohnungen in NRW im letzten Jahr und ein Drittel weniger Baugenehmigungen! Hier ist ein Staatsversagen angesagt.
Der Rohstoffdegressionspfad im LEP-Entwurf ist eine Kampfansage an jede industrielle Wertschöpfung. Hier drohen mehr Abhängigkeit von Importen, längere Transportwege und damit noch höhere Kosten zum Beispiel im Baubereich und gleichzeitig höhere CO2-Emissionen. Das ist grüne Symbolpolitik zulasten industrieller Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der FDP)
Sie wollen zurück zum 5‑ha-Ziel im Landesentwicklungsplan. Statt Raum zu schaffen für neue Arbeitsplätze und für neue Wohnungen, wird Flächenknappheit verordnet. Der Wachstumsverzicht wird von Schwarz-Grün hier als Staatsziel zementiert. Das ist kein Beitrag zur Nachhaltigkeit; das ist Standortverweigerung, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Die CDU-geführte Bundesregierung plant steuerliche Entlastungen für Wachstumsimpulse. Das finde ich grundsätzlich richtig. Aber noch bevor sie überhaupt damit angefangen hat, droht das ja zu scheitern, und zwar am größten Bundesland, an Nordrhein-Westfalen; denn bis auf Euro und Cent will das Land alles wieder ausgeglichen haben. Über Jahre stecken Sie die Steuermehreinnahmen schweigend in die Tasche, und weil Sie den eigenen Haushalt nicht geregelt bekommen, wollen Sie jetzt die kleinen Wachstumsimpulse aus Berlin von vornherein blockieren. Diese Steuerreformen dürfen an Nordrhein-Westfalen nicht scheitern!
(Beifall von der FDP)
Es gäbe so viel zu tun – viel mehr, als auf das Sondervermögen des Bundes zu warten –: bei Planungs- und Genehmigungsverfahren massive Beschleunigung, ein Belastungsmoratorium, Schluss mit immer neuen Auflagen zum Beispiel für Wirtschaft und Mittelstand – dazu gehören der Kies-Euro, aber natürlich auch die von Ihnen angedachten Änderungen im LEP –, Bauen als einen der großen Wachstumstreiber einfacher und günstiger machen, und zwar durch weniger Vorschriften, freundlichere Rahmenbedingungen für Investoren, ein Ende beim Grundsteuerchaos und eine Reform der Grunderwerbsteuer.
All das könnte diese Landesregierung tun. Was aber passiert, ist Schönfärberei des Nullwachstums in diesem Land. Stattdessen wird der Wirtschaft eigentlich auch noch das Leben weiterhin schwer gemacht.
(Beifall von der FDP)
Nordrhein-Westfalen war einmal das Kraftzentrum der deutschen Wirtschaft. Diese Landesregierung, diese Wirtschaftsministerin macht daraus ein Wohlstandsmuseum. Andere Standorte erfinden sich neu. Diese Landesregierung verwaltet den Status quo.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Kasperletheater! – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Aber die Wirtschaft wartet nicht. Die Menschen warten nicht. – Die Tatsache, dass die Grünen gerade „Kasperletheater“ reinrufen, zeigt ja, dass sie den Ernst der Lage wirtschaftspolitisch immer noch nicht verstanden haben.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Sie haben das immer noch nicht verstanden. Sie glauben, dass Sie nur mit genug Steuergeld und noch mehr politischer Einzelsteuerung das Land wieder auf einen Wachstumspfad bringen können. Wirtschaftswachstum lässt sich aber nicht kaufen. Alle Projekte, die Robert Habeck mit seinen Subventionsmilliarden angepackt hat, sind gescheitert. Nichts davon hat funktioniert, weil der Staat nicht der bessere Unternehmer ist. Kasperletheater ist diese Art von verfehlter Wirtschaftspolitik, die den Menschen in diesem Land nämlich schadet, Herr Kollege.
(Beifall von der FDP)
Die Wirtschaft wartet, die Menschen warten. Das Land kann es sich aber nicht leisten, weiterhin zu warten. Eine Kurskorrektur ist dringend notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schwarz-grüne Wirtschaftspolitik heißt in diesem Land: Die Grünen machen Politik; die Wirtschaft sieht schwarz. – Das darf nicht so weitergehen.
(Beifall von der FDP)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Höne. – Für die SPD spricht ihr Fraktionsvorsitzender Herr Ott.
Jochen Ott*) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wo ist Wüst, wenn es wichtig wird für Nordrhein-Westfalen?
(Beifall von der SPD)
Bei einem Blick auf die Regierungsbank muss man sagen: Das hätte auch der Titel für die Aktuelle Stunde sein können.
Seit Tagen, ach, seit Monaten hören wir nichts vom Ministerpräsidenten, wenn es um thyssenkrupp geht. Das ist auch bei anderen zentralen wirtschaftspolitischen Themen so, und auch bei anderen Landesthemen scheint dies Methode zu haben. Dabei geht es bei thyssenkrupp um ein Aushängeschild unseres Landes. Es geht um 11.000 Arbeitsplätze. Hendrik Wüst hat das alles gedanklich schon zu den Akten gelegt. Er hat thyssenkrupp bereits abgeschrieben. Es interessiert ihn einfach nicht. Deshalb hören wir auch nichts von ihm.
Deshalb ist er auch heute nicht da. Stattdessen macht er heute eine Pressekonferenz in Berlin mit Microsoft. Das ist eine Missachtung dieses Parlaments und der Tausenden betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ihrer Familien, die um Jobs und Zukunft bangen.
(Beifall von der SPD und der FDP)
Wo ist der Ministerpräsident, wenn ein Konzern die Sozialpartnerschaft infrage stellt? Wo ist der Ministerpräsident, wenn es um die Mitbestimmung geht, die nun wirklich zur Identität des Ruhrgebiets und Nordrhein-Westfalens gehört? Wo ist der Ministerpräsident, wenn es gilt, diese Mitbestimmung in unserem Land zu verteidigen?
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Um es sehr deutlich zu sagen: Johannes Rau oder Hannelore Kraft wäre das nicht passiert.
(Beifall von der SPD)
Und ich habe Sie gewarnt. Vor einem Jahr stand ich an diesem Rednerpult und habe gesagt: Wenn das so weitergeht, dann wird Schwarz-Grün für immer mit einer historischen Zäsur in die Geschichte eingehen, nämlich mit dem Ende der Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen.
(Zurufe von Dr. Günther Bergmann [CDU] und Jens-Peter Nettekoven [CDU] – Unruhe – Glocke)
Davon wollten Sie nichts hören. Sie haben gegrölt. Sie haben mich beschimpft. Aber es hat Ihnen nichts geholfen. Bisher ist alles, vor dem die SPD hier in Nordrhein-Westfalen gewarnt hat, so eingetreten. CDU und Grüne scheitern mit Ansage.
(Beifall von der SPD)
Thyssenkrupp ist ein Fanal für die Industriepolitik in Nordrhein-Westfalen. 11.000 Arbeitsplätze sollen abgebaut oder outgesourct werden. Und wie reagiert die Landesregierung? Sie hebt den Zeigefinger und sonnt sich in Verantwortungslosigkeit. Wirtschaftsministerin Neubaur lässt sich in der WAZ zitieren: „Wir stehen fest an der Seite der Beschäftigten.“
Was heißt das denn konkret, Herr Laumann? Welche konkrete Unterstützung werden die Beschäftigten von der Landesregierung bekommen? Welche Maßnahmen wird sie für die Beschäftigten ergreifen? Die Wahrheit ist: Sie werden gar nichts tun. Der Satz ist eine reine leere Floskel. Er bedeutet nichts; es bedeutet Ihnen gar nichts.
(Beifall von der SPD)
Die Wahrheit ist, dass die Landesregierung schon vor Jahren alle Karten aus der Hand gegeben hat, und das mit voller Absicht. Sie wussten, wie ernst die Lage ist. Sie waren immer informiert. Deshalb wollten sie weder mitreden noch mitentscheiden. Sie haben sich ganz bewusst aus der Verantwortung gestohlen. Das ist die Wahrheit, Herr Laumann. Das ist die Wahrheit, Frau Neubaur.
(Beifall von der SPD)
Ich kann es dieser Koalition nicht ersparen: Sie sind für die Industriearbeiter in Nordrhein-Westfalen eine bittere Enttäuschung. Für die Sicherung von Jobs fehlt dieser Regierung jeder Wille und jeder Mut.
Sie haben es fertiggebracht, eine Förderung von 700 Millionen Euro für eine Direktreduktionsanlage zuzusagen, ohne dafür auch nur die geringste Gegenleistung zu verlangen – keine Mitbestimmung, keine Standortgarantie und keine Jobgarantie. Sie behaupten, Sie hätten es nicht gekonnt. Die Wahrheit ist, dass Sie es nicht einmal versucht haben. Sie wollten es nicht. Und das ist ein fataler Fehler.
(Beifall von der SPD)
Die Stahlindustrie ist nicht nur das Rückgrat unserer industriellen Wertschöpfungsketten. Im Bereich von Verteidigung und Sicherheit geht es um hochfeste Spezialstähle für gepanzerte Fahrzeuge, für Marineschiffe, für Flugzeuge, für superharte Schutzsysteme. Wir brauchen die heimische Stahlproduktion für unseren Schutz und für unsere Sicherheit. Ich sage Ihnen: Es wäre unverantwortlich, wenn die Marinesparte in ausländische Hände gerät. Zur Not muss eine solche Übernahme durch einen Staatseinstieg verhindert werden.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Denn der Stahl ist für die nationale Sicherheit und die wirtschaftliche Unabhängigkeit unseres Landes eben unverzichtbar. Deshalb ist Ihr Versagen und die Tatenlosigkeit dieser Landesregierung auch ein Sicherheitsproblem für die Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall von der SPD)
Deshalb ist es auch unverantwortlich, dass die Wirtschaftsministerin alle Bemühungen für eine aktive Wirtschaftspolitik in unserem Land vermissen lässt.
Wir dürfen den industriellen Wandel nicht einfach dem Markt überlassen, denn dann überschwemmt China Europa mit seinen Produkten. Das Land exportiert seine Deflation gezielt und mit voller Wucht nach Europa und zerstört damit die heimischen Wettbewerber. Das gilt für Stahl, aber auch für den Maschinenbau und für die Automobilindustrie. Ich sage deshalb sehr deutlich: Das darf nicht passieren. Unsere Industrie muss vor Dumping geschützt bleiben!
(Beifall von der SPD)
Neue Technologien müssen gezielt durch staatliche Nachfrage, durch Beihilfe und durch Steuerabschreibungen oder durch Beteiligungen gefördert werden. Vor allem brauchen unsere Unternehmen jetzt aber Planungssicherheit. Auf diese Fragen muss die Politik verlässliche Antworten geben. Ohne verlässliche Antworten gibt es keine privaten Investitionen, nicht in Erdgas, nicht in Strom und erst recht nicht in Wasserstoff – überhaupt keine.
Deshalb brauchen wir für die nächsten zehn Jahre konkurrenzfähige Energiepreise.
(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])
Wahr ist aber, dass das Land den Wasserstoffhochlauf organisiert, und da ist Schwarz-Grün mal wieder ein Totalausfall. Es darf so nicht weitergehen.
Die neue Bundesregierung dagegen geht jetzt voran: Sie führt den Investitionsbooster ein, sie wird die Energiekosten senken. Das wird unserer Wirtschaft neue Kraft geben. Das Wachstum kommt nach Deutschland zurück.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU] – Weitere Zurufe – Lachen von Dr. Hartmut Beucker [AfD])
Davon müssen die Beschäftigten aber profitieren. Wir dürfen keine Energiepreise subventionieren oder Unternehmenssteuern senken, damit davon Boni oder Aktienrückkäufe finanziert werden – so nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Die Beschäftigten müssen davon profitieren. Die berufstätigen Familien müssen profitieren, und zwar durch niedrigere Steuern und sichere Arbeitsplätze. Das ist unser Ziel.
Ich sage es sehr deutlich: Die Zukunft wird nicht besser, wenn man Löhne drückt. Der Wirtschaft wird man nicht helfen, indem man den Sozialstaat abbaut. Bürokratieabbau darf nicht bedeuten, Arbeitnehmerrechte abzubauen oder die Umwelt einfach weiter zu verschmutzen. Damit ist niemandem geholfen.
(Beifall von der SPD)
Die Ziele für Nordrhein-Westfalen müssen größer sein. NRW braucht Heimatstahl. NRW braucht Heimatchemie. NRW braucht Heimatindustrie. All das ist heute wichtiger denn je, und dafür muss eine aktive Landespolitik kämpfen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Ott. – Für die CDU spricht ihr Abgeordneter Herr Dr. Heinisch.
Dr. Jan Heinisch*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute ja über die Wirtschaftslage und die Situation bei thyssenkrupp, die symbolhaft dafür steht. Thyssenkrupp ist für viele Menschen der Arbeitgeber, für unser Bundesland zugleich aber auch ein Symbol industrieller Tradition, ein Teil des Wandels unserer Wirtschaft und natürlich das eiserne Fundament unserer industriellen Wertschöpfungsketten.
Lieber Herr Kollege Ott, vorab zu Ihrem Debattenbeitrag: Wir haben ja wieder viele, viele Schlagworte gehört, übrigens auch schon vorher in den Medien. Thyssenkrupp sei beim Vorstandsvorsitzenden nie in guten Händen gewesen. Die Landesregierung sei vollkommen hilflos. Ihr fehle jeder Wille, jeder Mut – auch das haben wir gerade noch einmal gehört. Sie sei ein Totalausfall.
(Beifall von der SPD – Kirsten Stich [SPD]: Richtig! Sehr gut! – Zurufe von der SPD)
Herr Lopez wurde sogar schon als schlechtester Manager Deutschlands ausgerufen.
(Gordan Dudas [SPD]: Genau! – Beifall von der SPD)
Sie betreiben damit Politik als eine belegfreie Aneinanderreihung, ein Feuerwerk von Superlativen – also als einen hektischen Kampf um die nächste Überschrift. Das ist weltweit, auch auf anderen Kontinenten, zwar im Augenblick absolut en vogue.
(Sarah Philipp [SPD]: Ach herrje! – Zuruf von der SPD)
Ich finde aber, dass wir als Landespolitik hier in Nordrhein-Westfalen uns deshalb noch nicht so schwach machen und diesen billigen Argumentationsketten auf den Leim gehen müssen.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Denn in Wahrheit nimmt Ihnen diese dampfigen Parolen ja auch keiner ab – weder die Wirtschaft noch die Bevölkerung und übrigens auch nicht die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter, die von der SPD historisch ja auch mal mehr gewohnt waren als nur laute Rhetorik.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Der WDR hat Ihr Agieren sogar mit einem Jahrmarkttreiben nach dem Motto „Hau den López“ verglichen.
Die Frage ist, ob das eigentlich der Situation gerecht wird, und zwar der Situation der Wirtschaft, aber auch der Situation der davon betroffenen Menschen. Denn die Probleme sind ja nicht nordrhein-westfälisch, sondern sie sind – wenn überhaupt – europäisch, aber wahrscheinlich sogar weltweit. Sie sind sehr komplex und sehr konkret.
(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])
Man muss das schon in den Blick nehmen, wenn man wissen und klarstellen will, worüber wir reden. Die Beschäftigten wissen das. Das Management weiß das. Beide sind offenbar schon eine ganze Weile weiter als Sie.
Lassen wir die Zahlen sprechen: Die Jahresproduktion von Stahl liegt in Europa bei 37 Millionen Tonnen. China produziert auch Stahl: mehr als der gesamte Rest der Welt zusammen. Die chinesische Wirtschaft läuft gerade schlecht; das wissen wir. Die verbleibende Überproduktion schwappt zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt. Ganz konkret: Im zurückliegenden Jahr erreichten die Exporte aus China in den Weltmarkt die 90-Millionen-Tonnen-Grenze. Das ist mehr als die Jahresproduktion der USA und von Japan zusammengenommen.
Die heute Nacht von Donald Trump verdoppelten Zölle sind natürlich auch ein Schaden für uns, aber in erster Linie ein Abwehrversuch gegen genau diesen Effekt. Zum Vergleich: Die Jahresproduktionsmenge von thyssenkrupp Steel beträgt gerade mal 11 Millionen Tonnen, und das noch unter Einrechnung von HKM. Deswegen wissen wir, dass etwas mehr angebracht ist, nämlich Verlass.
Es gab ja diesen Industriestrompreis – wir reden auch über hohe Energiekosten –, den die Landesregierung damals von Anfang an unterstützt hat. Und es gab einen SPD-Kanzler, Olaf Scholz, der ihn sogar in sein Wahlprogramm hineingeschrieben und in einer Fernsehsendung kurz vor der damaligen Bundestagswahl 4 Cent in den Raum gestellt hat. Dann ist er in unserem Nordrhein-Westfalen zu Besuch gewesen. Ein paar Meter weiter rheinabwärts hat er im August 2023 beim Unternehmertag NRW gesprochen.
Vor den Augen und Ohren vieler Unternehmer hat er diesem Konzept die endgültige Absage erteilt. Er hat sein eigenes Wahlkampfversprechen sogar als „schuldenfinanziertes Strohfeuer“ bezeichnet. Da hat man sich natürlich gefragt: Wo waren denn – auch hier im Landtag – die Superlative, die großen Beschwerden der SPD? Was war denn da los? Da war auf einmal alles ruhig und still.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Jens-Peter Nettekoven [CDU]: Ja, ist so! – Zuruf von der SPD)
Beispiele wie diese enttarnen, worum es eigentlich geht. Es geht um die billige Jagd nach der Schlagzeile am nächsten Tag, aber es geht weder um die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen noch um die Situation der Beschäftigten.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Sarah Philipp [SPD]: Sag doch mal, was du jetzt machst! Das würde mich interessieren!)
Die Landesregierung hingegen beschäftigt sich ehrlich mit der Stahlindustrie, und das tun auch andere Ebenen. Die Europäische Kommission zum Beispiel hat unter Führung von Ursula von der Leyen am 19. März – es liegt also nur einige Wochen zurück – einen Aktionsplan für Stahl und Metalle vorgelegt. Zum 1. April wurden Schutzmechanismen für die europäische Stahlindustrie gegen die Konkurrenz aus China deutlich verschärft.
Zwei weitere Änderungen treten in wenigen Wochen, nämlich zum 1. Juli, in Kraft. Die neue Bundesregierung nimmt klar und verlässlich Energiepreise und viele weitere Standortfaktoren in den Blick. Das wird sich auch hier lohnen. Der Koalitionsausschuss hat gerade ein entsprechendes Sofortprogramm präsentiert.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD] – Heiterkeit von Elisabeth Müller-Witt [SPD])
Da wird konkret gehandelt und umgesetzt, was andere in der Ampel mitunter auch gegen die eigene Regierung zuvor blockiert haben.
Mit Blick auf die Landesregierung ist dann doch einmal ein Superlativ erlaubt, denn noch nie hat eine Landesregierung so konkret und so umfassend für diesen Stahlstandort gehandelt und
(Lachen von der SPD – Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Merkt nur niemand! – Nadja Lüders [SPD]: Werden Sie doch mal konkret!)
mit 700 Millionen Euro an Landesmitteln die größte Einzelförderung in der Geschichte dieses Landes auf den Weg gebracht: für grünen Stahl,
(Henning Höne [FDP]: Wer soll den denn kaufen!)
Innovation und die industrielle Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Die Zukunft unseres Industriestandortes und der Arbeitnehmer sowie deren Familien hängt an Rahmenbedingungen, die wir als Politik setzen. Damit haben wir schon genug zu tun. Darum müssen wir uns auch mühen und kümmern.
(Lachen von der SPD – Zuruf von Christin Siebel [SPD])
Es hilft aber nicht, dass der Staat auf einmal den besseren Unternehmer spielt, indem er überall mit Staatsbeteiligungen in die Unternehmen einsteigt. Man muss den Weg gehen, auf dem Politik ihre große Verantwortung und ihre große Aufgabe für diesen Standort, für Unternehmen, für die Eigner und für die Beschäftigten wahrnimmt.
In diesem Sinne brauchen wir keine Überschriften und keine Aneinanderreihung von Pauschalitäten, sondern Perspektiven.
(Benedikt Falszewski [SPD]: Sie müssen handeln!)
Und wir sind bereit, diese zu geben. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Sieben Minuten inhaltsleere Phrasen! – Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Präsident André Kuper: Danke, Herr Dr. Heinisch. – Für die AfD spricht ihr Abgeordneter Herr Loose.
Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Milliarden Euro – wer hätte die nicht gerne? Da sagt thyssenkrupp doch Danke schön. Was haben die Arbeiter bei thyssenkrupp dafür bekommen? Jobgarantien? Nein, die gibt thyssenkrupp dafür nicht. Stattdessen werden 11.000 Stellen abgebaut. Produktionsgarantie für grünen Stahl? Nein, die gibt thyssenkrupp auch nicht.
Thyssenkrupp nimmt, und der Steuerzahler gibt. Ist das gerecht? Nein, ist es nicht. Aber warum wird es dann gemacht? Ganz einfach: weil SPD, Grüne, CDU und FDP klimabesoffen sind. In ihrer Klimabesoffenheit haben sie alle zwei Milliarden Euro an Subventionen für den Umbau eines einzelnen Hochofens bei thyssenkrupp versprochen; Geld, das sie gar nicht haben und den Malochern über die Steuern abnehmen.
Thyssenkrupp nimmt das Geld. Und was ist der Dank? Thyssenkrupp zerschlägt jetzt den Konzern. Möglich war dies übrigens über die Hereinnahme eines tschechischen Investors. Dadurch wurde der Haftungsvertrag mit der Muttergesellschaft beendet. Thyssenkrupp steel wurde zur Bad Bank des Konzerns. Die lukrativen Bereiche wie die Marinesparte werden verkauft. Der Stahlbereich wird systematisch gegen die Wand gefahren und plattgemacht. Die Arbeiter schauen in die Röhre.
Möglich wurde das auch unter der Beihilfe der IG Metall. Diese SPD-Genossen sind genauso klimabesoffen wie ihre Parteikollegen.
(Christin Siebel [SPD]: Boah!)
Sie haben schlicht die Arbeiter verraten. 11.000 Arbeitsplätze!
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
11.000 Familien wurden von ihnen, auch von Ihnen allen hier, betrogen, damit NRW das weltweite Wetter retten kann. Das 1,5-Grad-Ziel an der Front muss gehalten werden. Alles für den totalen Sieg über das Wetter!
(Zurufe von der CDU, der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Diese Klimahysterie führt NRW, führt Deutschland gnadenlos in den Abgrund!
(Beifall von der AfD)
Erst Ford, dann thyssenkrupp, dann Evonik. 1,5 Grad! Früher waren es übrigens mal 2 Grad. Wissen Sie, wie viele Menschen in Ländern leben, die 2 Grad wärmer sind als Deutschland?
(Zuruf von Kirsten Stich [SPD])
Es sind 6 Milliarden Menschen auf der Welt. Diese Länder müssten nach Ihrer Logik dauerhaft brennen. Die Erde brennt,
(Zuruf von Benedikt Falszewski [SPD])
aber sie tut es eben nicht.
Mir könnte Ihre Klimareligion jetzt herzlich egal sein. Sie können alle in Bunkern verschwinden und abwarten, bis das Wetter wieder besser wird. Sie können gerne Selbstmord begehen. Das würde ich sehr bedauern, aber es wäre Ihre persönliche Entscheidung.
Aber – das ist das Problem – Sie opfern mit Ihrer Klimareligion unsere Industrie, unseren Wohlstand. Sie opfern mit Ihrer Klimareligion jeden Monat 2.000 Industriearbeitsplätze in NRW,
(Beifall von der AfD)
und Sie verbrennen Geld, unglaublich viel Geld mit Ihrer Klimareligion.
Nur drei Beispiele:
Solarindustrie Deutschland, 3 Millionen Euro Subventionen für Meyer Burger in Sachsen: Geld weg, hunderte von Arbeitsplätzen weg.
Batteriehersteller Northvolt, das Musterprojekt von Robert Habeck, 620 Millionen Euro: Bis zu 1 Milliarde Euro weg.
Und nun tyssenkrupp. 2 Milliarden Euro für den Umbau von einem der vier Hochöfen. Zudem soll jetzt zu Beginn Erdgas statt Wasserstoff eingesetzt werden. Das soll dann 50 % des CO2 sparen. Das Blöde ist nur, dass die Firma SMS, die auch den Umbau bei thyssenkrupp in Duisburg macht, in Indien ebenfalls einen Hochofen umbaut mit einer Ersparnis von 75 % des CO2 und mit Kosten von 200 Millionen Euro statt 2 Milliarden Euro.
Aber durch Ihre ideologische Vorgabe der Politik, dieses eine Verfahren machen zu müssen, erfolgt jetzt ein Umbau in Duisburg, der aller Voraussicht nach niemals in die Produktion gehen wird. Das Schlimme ist, ein Robert Habeck muss dafür nicht haften, eine Frau Mona Neubaur muss dafür nicht haften, und auch ein Ministerpräsident Henrik Wüst, der nicht mal hier ist, muss dafür nicht haften.
Die Einzigen, die am Ende haften und bluten werden, sind die Steuerzahler und die Malocher bei thyssenkrupp. Die Steuerzahler werden die 2 Milliarden Euro aufbringen müssen, und die Malocher verlieren ihren Arbeitsplatz.
Aber jetzt kommt die Lösung der SPD. Die Lösung der SPD heißt Mitbestimmung. Die Mitbestimmung soll jetzt wenigstens für einen sozial verträglichen Tod sorgen.
Liebe SPD,
(Benedikt Falszewski [SPD]: Wir sind nicht Ihre „liebe“!)
das Problem ist, dass es diese Mitbestimmung in dieser Form weder in China noch in Indien noch in den USA gibt. Allein die Mitarbeiterzahl, die dem Arbeitsdirektor Dirk Schulte, SPD-Mitglied, von der IG Metall unterstellt wird, reicht in den USA aus, um 4 bis 5 Millionen Tonnen Stahl zu produzieren. Und in Deutschland produziert dieser Wasserkopf rund um den IG Metallboss nichts außer heiße Luft.
(Beifall von der AfD)
Während in den USA bei der Firma Nucor ein Mitarbeiter 750 Tonnen Stahl pro Jahr herstellt, schafft thyssenkrupp pro Mitarbeiter nur rund 500 Tonnen Stahl. Das ist ein Produktionsunterschied von 50 %.
(Beifall von der AfD)
Was dem Antrag der SPD fehlt, ist der Blick auf die wirklichen Ursachen der Krise. Thyssenkrupp steel leidet nicht, weil irgendjemand bei thyssenkrupp plötzlich kaltherzig geworden ist. Das Unternehmen leidet, weil Stahlproduktion in Deutschland kaum noch bezahlbar ist. Durch Bürokratie und Mitbestimmung deutlich geringere Effizienz. 400 Millionen Euro jährliche CO2-Kosten, Kosten, die weder in den USA noch in Indien noch in China entstehen, mit die teuersten Energiepreise der Welt. Allein die Strompreise sind in den USA, Indien und China halb so hoch.
Liebe SPD, Sie haben heute wieder gezeigt, dass Sie kein Konzept für die Zukunft haben. Ihre Worte waren eine Kapitulationserklärung vor der Realität.
(Beifall von der AfD)
Wer die Stahlproduktion in Deutschland halten will, der muss Lösungen anbieten, und genau diese Lösung haben wir heute als Antrag eingebracht. Da können Sie heute zeigen, ob Ihnen die Arbeitsplätze wert sind. Der wichtigste Schritt – und daran kommt keiner vorbei –: Abschaffung der CO2-Kosten, und zwar beim Stahl und beim Strom. Solange Sie diese Lösung aber ignorieren, geht das Sterben der Industrie weiter. Wir kämpfen jedoch für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und für Freiheit, Wohlstand und Vernunft. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Abgeordnete Loose. Herr Abgeordneter Loose, Sie haben in Ihrem ersten Teil der Rede eine unparlamentarische Formulierung verwendet. Die Verwendung dieser Formulierung werde ich an dieser Stelle nichtförmlich rügen.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Als Nächstes spricht für Bündnis 90/Die Grünen die Fraktionsvorsitzende Frau Brems.
Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wenn es jetzt eben schon eine nichtförmliche Rüge gab, muss ich zunächst einmal darauf eingehen, dass die AfD im Rahmen ihrer Wissenschafts- und Klimaleugnung gerade wirklich mit NS-Rhetorik gespielt hat. Solche Äußerungen haben hier in diesem Hohen Haus nichts verloren.
(Beifall von dem GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Nun zu dem heutigen Thema und der Frage, die uns ja da alle umtreibt. Es geht um Sicherheit, Sicherheit, die Menschen in NRW jeden Tag beschäftigt: Werde ich meinen Job behalten? Kann ich meine Familie versorgen? Welche Zukunft haben meine Kinder?
Lange Zeit schien für vieles davon für uns selbstverständlich: Frieden in Europa, verlässliche internationale Partnerschaften, wirtschaftlicher Erfolg. Heute ist das leider irgendwie alles anders: Unsicherheit greift um sich, und sie wird geschürt. Klimakrise und Artensterben verändern unsere Lebensgrundlagen maßgeblich.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Ein Krieg mitten in Europa erschüttert unsere Sicherheit, bedroht unsere Demokratie, und sie hat auch unseren Blick auf unsere Energieversorgung verändert.
In den USA regiert ein Präsident, der außen- und wirtschaftspolitisch unvorhersehbar handelt. Mal werden Zölle angekündigt, dann wieder ausgesetzt, jetzt sogar verdoppelt, diesmal auf Stahl aus Europa. Mal werden langjährige Partner infrage gestellt, dann wieder umworben.
Diese Unberechenbarkeit sorgt für Verunsicherung. Gerade in einem exportstarken Land wie NRW, gerade in Zeiten globaler Unsicherheit zeigt sich: Die transatlantische Partnerschaft bleibt wichtig. – Aber Partnerschaft heißt nicht Gefolgschaft. Wer Zölle als Druckmittel einsetzt, muss mit einer klaren Antwort Europas rechnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ja, die wirtschaftliche Lage ist ernst, auch in Nordrhein-Westfalen. Zwei Jahre in Folge ist die Wirtschaftsleistung gesunken. Industriezweige wie die Metallerzeugung oder die Automobilbranche stehen unter Druck: durch hohe Energiepreise, durch internationalen Wettbewerb, durch strukturelle Veränderungen. – Das sorgt für Unsicherheit – für Unternehmen, für Beschäftigte, für ganze Regionen. Bei thyssenkrupp stehen 11.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Das sind nicht nur Zahlen, das sind Menschen, und diese Menschen brauchen eine klare Perspektive. Generation um Generation haben sie dieses Land aufgebaut und so auch mit für Sicherheit gesorgt. Diese Sicherheit schuldet thyssenkrupp nun ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
In solchen Situationen richten sich dann viele Blicke auf die Politik. Erwartungen werden immer größer und größer.
Leider mussten wir heute feststellen, dass auch die SPD diese Situation dann mal wieder ausnutzt.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Sie tut so, als würde die Landesregierung tatenlos zusehen. Das ist aber falsch, und es ist unehrlich.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Sie wissen doch genau, die Landesregierung kann und darf sich nicht einfach in unternehmerische Entscheidungen einmischen. Wer das Gegenteil behauptet, schürt Erwartungen,
(Zurufe von der SPD)
die nicht erfüllbar sind. Und das hilft doch niemandem.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Ich finde, dass die Rede von Herrn Ott eben sehr entlarvend war
(Lachen von der SPD)
und genau gezeigt hat, worum es ihm geht, und zwar nur um die SPD und nicht um die Beschäftigten.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Was auch nicht weiterhilft, ist das, was Herr Höne für die FDP heute hier als Rundumschlag versucht hat nach dem Motto: Alles ist schlecht, alles muss anders werden. – Was soll das konkret heißen? Weniger Klimaschutz, weniger Standards, weniger Verantwortung? Die FDP ruft permanent nach Freiheit, aber meint vor allem Freiheit von Verantwortung. Sie fordert maximale unternehmerische Freiheit und gleichzeitig absolute Sicherheit für Unternehmen. Das ist ein Widerspruch; denn wer Freiheit ruft, aber Verantwortung ablehnt, der sorgt nicht für Fortschritt, sondern für Rückschritt.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Denn wer Freiheit will, muss auch mit Risiko umgehen können. Wer aber Sicherheit fordert, muss bereit sein, gesetzte Rahmen zu akzeptieren, Rahmen, die für Stabilität sorgen, für Wettbewerbsfähigkeit, für Zukunftsfähigkeit.
Wer Sicherheit will, muss in Zukunft investieren. Und das machen wir in Nordrhein-Westfalen. Eine sichere Zukunft liegt beispielsweise im klimaneutralen Stahl. Deswegen fördert diese Landesregierung diesen mit 700 Millionen Euro, die größte Industriesubvention in der Geschichte unseres Landes. Ohne diese Förderung gäbe es dieses Projekt nicht. 700 Millionen Euro für klimaneutralen Stahl, das ist aktive Industriepolitik mit Zukunft.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Bei thyssenkrupp ist Vertrauen verloren gegangen, auch durch die Art, wie der Konzern kommuniziert hat. Thyssenkrupp muss die Karten auf den Tisch legen, die eigene Verantwortung annehmen und transparent mit den Beschäftigten umgehen, wie es konkret für sie weitergeht. Ich sage ganz klar: Wir stehen fest an der Seite der Regionen, die vom industriellen Wandel besonders betroffen sind. Wir stehen fest an der Seite der Beschäftigten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Echter Klimaschutz ist eben kein Widerspruch zu wirtschaftlicher Stärke. Er ist die sichere Voraussetzung für die Zukunft. Wer heute in klimafreundliche Technologien investiert, sichert die Arbeitsplätze von morgen. Wer auf erneuerbare Energien setzt, macht sich unabhängig von fossilen Krisen, von Despoten und irrationalen Präsidenten. Wer den Wandel vorausschauend gestaltet, statt ihn zu verschleppen, der schafft Vertrauen, bei Beschäftigten, bei Unternehmen und bei der nächsten Generation.
Wir, diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, schaffen Sicherheit, wo wir können: durch Investitionen in eine klimaneutrale Zukunft. – Wir sagen aber gleichzeitig dazu: Es wird nicht alles sofort anders und besser. Aber wir handeln Schritt für Schritt, Tag für Tag, nicht für Schlagzeilen, sondern für eine echte Veränderung, nicht für kurzfristige Effekte, sondern für langfristige Stabilität.
Wir gestalten für 18 Millionen Menschen, für die Beschäftigten bei thyssenkrupp, für die kleinen Betriebe im Sauerland, für die Familien im Ruhrgebiet und für die Kinder, die heute Kaufladen spielen und morgen auch noch eine gute Lebens- und Wirtschaftsgrundlage haben sollen. Wir stehen für Sicherheit, für Verlässlichkeit, für eine Politik, die trägt, auch in schwierigen Zeiten. Und wir stehen für Verantwortung, gerade dann, wenn die Zeiten herausfordernd sind, weil Zukunft Mut braucht. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Präsident André Kuper: Danke, Frau Brems. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Neubaur.
Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig, am Montag um 13:00 Uhr habe ich gemeinsam mit dem Präsidenten der IHK NRW, Ralf Stoffels, und Professor Torsten Schmidt vom RWI den zweiten Konjunkturbericht 2025 des RWI vorgestellt. Die gute Nachricht ist, und so ist es auch von den Berichterstattern, die mit mir zusammen immer diese Konjunkturberichte geben, in den aktuellen Zitaten hinterlegt: Es ist Hoffen und Bangen, es ist ein Schritt, dass Nordrhein-Westfalens Wirtschaft langsam wieder Tritt fasst. Das ist nicht viel, und das ist mir auch nicht genug, aber es ist hoffentlich ein erster Schritt aus der Krise.
Am letzten Donnerstag hat Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, den Karlspreis zu Aachen verliehen bekommen. Ich kann nur empfehlen, dass sich alle ihre Rede einmal anhören. Sie lenkt nämlich den Fokus auf den richtigen Punkt. Wenn wir über die wirtschaftliche Situation in Nordrhein-Westfalen reden, dann reden wir über Europas Herzschlag, wenn es um Industrie geht. Das ist kein Wegschieben von Verantwortung, hier etwas zu tun. – Dazu komme ich gleich.
Ich will Sie mit in eine Gedankenwelt nehmen, wie ein Wirtschaftssystem, von dem gerade die Industrie in Nordrhein-Westfalen abhängig ist, nämlich vom Export, das durch die Sicherheitsdividende der Vereinigten Staaten von Amerika getragen wird, das künstlich vergünstigtes russisches Gas nutzt, um im internationalen Wettbewerb industriell zu produzieren, verliert. Russland hat den Gashahn zugedreht, aber wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben uns von dieser einseitigen Abhängigkeit Gott sei Dank losgekämpft.
Der dritte wesentliche Faktor ist: Die Volksrepublik China substituiert Produkte, die vorher aus dem Wirtschaftsraum Europa und damit aus Nordrhein-Westfalen abgenommen wurden. Deswegen sind wir alle uns in der Analyse einig.
Wir stehen vor herausfordernden Zeiten. Unsere Industrie ist in einer Krise. Lieber Herr Höne, der Anteil der Industrie und des verarbeitenden Gewerbes an der Konjunktur Nordrhein-Westfalens sinkt seit 2018. Obwohl die Konjunktur damals positiv verlief, wurde leider nicht ausreichend dafür getan, die strukturellen Krisen in so einer guten Zeit zu bekämpfen.
Über die müssen wir nämlich auch sprechen: Wie gehen wir damit um, dass 2036 42 % statt heute 30 % der Nordrhein-Westfälinnen und Nordrhein-Westfalen über 67 sein werden? Was tun wir dafür, dass die, die heute klein und jung sind,
(Zuruf von der SPD)
ausreichend gute Bedingungen haben, um auch in Wohlstand, in Frieden, in einem intakten Umweltsystem und bei beherrschbaren Folgen der Klimakrise ihr Leben leben zu können? Das sind große Aufgaben. Diese Aufgaben hätten längst angegangen werden können.
(Nadja Lüders [SPD]: Von wem denn genau? – Dietmar Brockes [FDP]: Wer ist denn Wirtschaftsministerin? – Kirsten Stich [SPD]: Wer regiert hier denn eigentlich?)
Lieber Herr Ott und lieber Herr Höne, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Seit zwei Jahren fordere ich eine Entlastung bei den Energiekosten. Sie kennen sich alle mit Politik und auch Mehrebenenpolitik aus.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)
Sie wissen, dass die Entlastung bei den Energiekosten nicht von einer Landesregierung veranlasst werden kann,
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
sondern dass dafür der Bund notwendig ist. Im April 2023 habe ich eine Entlastung der Netzentgelte,
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD – Glocke)
einen Brückenstrompreis gefordert. Sowohl Bundeskanzler Scholz als auch den ehemaligen Finanzminister Lindner hat Herr Tweer,
(Zurufe von der SPD – Kopfschütteln von Franziska Müller-Rech [FDP] – Nadja Lüders [SPD]: Und Herr Habeck?)
ein Verantwortlicher aus der Gießereiindustrie Nordrhein-Westfalens, der seine Beschäftigten in Bielefeld, in Ostwestfalen-Lippe, nach Tarifverträgen bezahlt, gefragt: Was tun Sie? Ich kann meine Produktion bei den existierenden Energiekosten nicht umstellen. Ich will die übrigens umstellen, denn nur, wenn ich weniger CO2 emittiere, werde ich überhaupt eine Chance als Gießerei in Europa haben.
Leider und sehr zum Erstaunen, glaube ich, der kompletten Arbeitgeberschaft Nordrhein-Westfalens haben sowohl Christian Lindner als auch Olaf Scholz gesagt: Sorry, das ist irgendwie nicht unser Problem.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Henning Höne [FDP]: Na ja!)
So haben wir die Situation, dass es nicht möglich war, dass die Parteien der demokratischen Mitte einen engen Schulterschluss im Interesse der Beschäftigten in der Industrie, im Interesse der vielen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen vollzogen haben, sondern dass man viel zu lange wartet.
Deswegen werde ich, wie ich es gegenüber der alten Bundesregierung getan habe, auch gegenüber der neuen Bundesregierung darauf drängen. Sie alle können sich sicher sein: Wenn ich gleich nach Stuttgart zur Wirtschaftsministerkonferenz fahre,
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
wird das Topthema sein: Wie kann der Bund schnellstmöglich umsetzen, was jetzt angekündigt wird? Wir brauchen geringere Energiekosten. Wir brauchen gesicherte Kraftwerksleistung, damit wir Energieversorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz als eine Klammer zum Erfolg führen können.
In Nordrhein-Westfalen suchen wir zum Beispiel bei der Entlastung von Bürokratie nicht nur den Schulterschluss mit den Mittelbehörden, mit den Verbänden, mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Ressorts, sondern führen sehr konkret vor jedem Verfahren einen Bürokratieentlastungscheck durch.
Es ist in Nordrhein-Westfalen mit der Novellierung des Wirtschaftsportalgesetzes zum Januar 2026 möglich, dass wir statt in drei bis vier Monaten, die es dauert, ein Gewerbe zu gründen und anzumelden, das Ganze in sieben Tagen schaffen werden. Daran arbeitet diese Landesregierung.
(Nadja Lüders [SPD]: Wow!)
Wir blicken auf die Verfahren und nutzen Digitalisierung, damit es einfacher wird, damit es keine Last mehr ist, die Dinge trotzdem regelhaft umzusetzen.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Abschließend möchte ich mich gerne zu thyssenkrupp äußern.
(Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf von der SPD: Gute Idee!)
Auf Initiative Nordrhein-Westfalens, um nicht „mir“ zu sagen, fand …
(Beifall von Dr. Dennis Maelzer [SPD])
– Danke schön. Danke, dass Sie anerkennen, dass ich die anderen stahlproduzierenden Länder nach Duisburg geholt habe und wir als Stahlallianz deutlich adressiert haben: Was ist notwendig, wenn man will, dass Stahlproduktion und Verarbeitung in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland eine Chance haben?
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Ich bin mir sicher, mein Kollege Barke aus dem Saarland – dem werde ich das natürlich ausrichten – freut sich auch darüber.
(Nadja Lüders [SPD]: Was ist denn dabei herausgekommen?)
Was ich sagen will: Was damals gefordert wurde, ist jetzt von der Europäischen Kommission in dem European Steel and Metals Action Plan hinterlegt. Es sind grüne Leitmärkte notwendig.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Es ist notwendig, dass die Zollpolitik und dass ein „Buy European“ dabei hilft, dass nicht, wenn, wie heute Morgen von den Vereinigten Staaten von Amerika angekündigt, 50 % Zoll auf Stahl erhoben werden, die anderen Teile der Welt Europa mit Stahl fluten und damit natürlich die Stahlproduktion zusätzlich unter Druck gerät.
(Beifall von Dr. Patricia Peill [CDU])
Das haben wir vereinbart, und dafür arbeitet die Landesregierung im Land, gegenüber der Bundesregierung und im engen Schulterschluss mit der Europäischen Union. – Danke.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin Neubaur. – Für die SPD spricht als Nächstes die Abgeordnete Frau Philipp. Ich darf noch darauf hinweisen, dass alle Fraktionen eine zusätzliche Minute Redezeit haben, weil die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute überschritten hat. – Bitte schön, Frau Philipp.
Sarah Philipp (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn, bevor ich in die Debatte inhaltlich einsteige, vorwegschicken, weil mich das wirklich wütend macht und weil ich auch die Feixerei in der grünen Fraktion gerade durchaus vernommen habe:
(Tim Achtermeyer [GRÜNE] zeigt in Richtung der SPD: Das Feixen war da! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das war die SPD-Fraktion! Frechheit! – Julia Kahle-Hausmann [SPD]: Wo?)
Bei einer Debatte, in der es um die Zukunft des Stahlstandortes Nordrhein-Westfalen geht, als Ministerpräsident nicht anwesend zu sein, ist ein fatales Signal.
(Beifall von der SPD und der FDP)
Das lasse ich mir von niemandem hier kleinreden. Ja, ich weiß, er ist entschuldigt,
(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])
aber klar ist doch auch: Nicht jede Entschuldigung ist auch eine gute Entschuldigung und vor allen Dingen auch eine angemessene Entschuldigung. Das gehört auch dazu.
(Beifall von der SPD und der FDP – Widerspruch von der CDU – Klaus Voussem [CDU]: Lächerlich!)
Zum Redebeitrag der Wirtschaftsministerin.
(Zuruf von der SPD: Schon weg!)
Gut, dass wir diese Debatte auf die heutige Tagesordnung gebracht haben. Zum Thema „thyssenkrupp“ und den aktuellen Entwicklungen haben wir von Ihnen, Frau Ministerin, in den ersten zehn Tagen überhaupt nichts gehört. Sie haben zehn Tage gebraucht, um sich das erste Mal zu äußern – auch das ist ein fatales Signal –, dann gab es sehr zögerliche Ankündigungen und heute einen wirklich oberlehrerhaften Vortrag. Keine konkrete Maßnahme, keine konkrete Ankündigung – so wird das nichts, Frau Ministerin. Das ist einfach viel zu wenig.
(Beifall von der SPD)
Es geht heute um die wirtschaftliche Lage insgesamt. Es geht natürlich auch um die aktuellen Entwicklungen bei thyssenkrupp Steel in Duisburg. Deswegen stehe ich hier heute nicht nur als Abgeordnete dieses Hauses, sondern selbstverständlich auch als Duisburgerin; als jemand aus einer Stadt, für die Stahl nicht irgendeine Ware, sondern Teil der DNA ist. Stahl ist Geschichte in Duisburg, Stahl ist Gegenwart in Duisburg, und Stahl muss auch Zukunft in NRW sein.
(Beifall von der SPD)
Genau diese Zukunft steht jetzt auf der Kippe. Was wir bei thyssenkrupp gerade erleben, ist kein gewöhnlicher Umbau; das ist ein eiskalter Kahlschlag, der da gerade angekündigt wird – ohne Absicherung, ohne Strategie und derzeit ohne politische Verantwortung der Landesregierung. 11.000 Jobs sollen wegfallen, also fast die Hälfte der Belegschaft. Das ist kein Transformationsprozess, sondern ein Angriff auf das industrielle Herz unseres Landes.
(Beifall von der SPD)
Und was macht die Landesregierung? Was macht Schwarz-Grün? Das haben wir auch heute leider wieder erleben müssen: nicht etwa Sorgen äußern oder gar handeln, sondern im Wesentlichen Selbstlob aussprechen.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung aus der vergangenen Woche feiern sich die Fraktionen von CDU und Grünen für 700 Millionen Euro Fördermittel und nennen das in dieser Lage allen Ernstes ein „starkes Zeichen für eine verlässliche Industriepolitik“. Ich sage Ihnen ganz klar: Wer zahlt, muss bei solchen Angelegenheiten auch mitreden; wer schweigt, macht sich überflüssig.
(Beifall von der SPD)
Was nützt die größte Einzelförderung in der Landesgeschichte, wenn gleichzeitig Tausende Existenzen auf dem Spiel stehen und niemand in der Landesregierung seine schützende Stimme erhebt?
In der gleichen Mitteilung werfen CDU und Grüne uns Scheinheiligkeit vor.
(Dr. Jan Heinisch [CDU]: Genau!)
Ich frage Sie: Was ist scheinheiliger – der Ruf nach Mitbestimmung oder 700 Millionen Euro zu überweisen und dann wegzusehen, wenn Herr López die Zerschlagung des Konzerns vorbereitet? Was ist scheinheiliger?
(Beifall von der SPD)
Das ist keine Industriepolitik, sondern politische Kapitulation, die wir in den letzten Tagen gesehen haben. Und es wird von Ihnen noch viel dreister. Wörtlich heißt es in Ihrer Pressemitteilung:
„Statt sich konstruktiv in den politischen Dialog einzubringen, betreibt die SPD-Fraktion Panikmache […].“
Das haben Sie uns letzte Woche vorgeworfen.
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Ist auch so!)
Ich sage Ihnen ganz klar: Wer Fragen stellt und Alternativen fordert, wer den Beschäftigten zuhört, der betreibt keine Panikmache, sondern der macht Politik. Das ist unser gottverdammter Job, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das gehört dazu; das ist jetzt unsere Aufgabe.
(Beifall von der SPD)
Wie weit Sie inzwischen von der Lebensrealität der Menschen entfernt sind, die Angst um ihren Job haben, kann man auch in der Pressemitteilung lesen. Es geht um Tausende Arbeitsplätze und um einen der größten Arbeitgeber des Landes. Ich muss ganz klar sagen: Geräuschloses Regieren, wie Sie es immer vor sich hertragen, reicht eben nicht mehr, wenn all das auf dem Spiel steht.
Deswegen fordern wir drei konkrete Punkte, die Sie auch sofort aufgreifen können; Sie hätten es sogar längst tun können.
Erstens: ein Sitz im Aufsichtsrat für das Land NRW, und zwar sofort. Darum hätten Sie sich längst kümmern müssen. Denn wer mit Hunderten Millionen Euro hilft, der darf nicht zuschauen, sondern muss auch mitentscheiden.
(Beifall von der SPD)
Zweitens – auch das haben wir hier schon oft vorgetragen, und Sie haben es einfach weggewischt und ignoriert –: Eine staatliche Beteiligung muss auf dem Tisch bleiben. Andere Länder tun das längst. Strategische Industrien gehören nicht dem Markt überlassen, sondern sie gehören in verantwortungsvolle Hände. Das muss doch in diesen Zeiten klar sein.
Wir brauchen den Stahl bei der Modernisierung unseres Landes mit dem Sondervermögen Infrastruktur. Wir brauchen ihn für die Sicherstellung unserer Verteidigungsfähigkeit. Ohne Stahl ist all das nicht zu machen, und gerade deswegen hat Stahl in diesen Zeiten in Nordrhein-Westfalen und in der gesamten Bundesrepublik Zukunft.
Drittens – das muss auch klar sein –: Die Pläne für einen Stellenabbau müssen sofort gestoppt werden,
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Durch die Landesregierung?)
solange keine tragfähige und mitbestimmte Zukunftsstrategie auf dem Tisch liegt. Reden Sie mit den Beschäftigten und nicht ständig über ihre Köpfe hinweg.
(Beifall von der SPD)
Eines will ich auch klar zu Ihrem Vorwurf sagen. Sie haben uns in der letzten Woche und heute wieder ideologische Rundumschläge vorgeworfen. Wer in dieser Lage allen Ernstes von Ideologie redet, hat entweder nichts verstanden oder kein Interesse, etwas zu ändern. Die Frage stelle ich Ihnen; die müssen Sie heute beantworten. Das haben Sie bislang nicht getan.
Deswegen will ich auch ganz konkret etwas zum Ministerpräsidenten sagen. Wo ist er eigentlich in den letzten Wochen, in den letzten Monaten gewesen? Wo ist er heute? Über diese Frage haben wir schon gesprochen. Wo ist er eigentlich?
(Zurufe von der CDU: Ministerpräsidentenkonferenz! – Jochen Ott [SPD]: Morgen!)
Sie sollten das ein bisschen ernster nehmen. Das Thema ist viel zu ernst für Ihre Feixerei.
(Beifall von der SPD und der FDP – Widerspruch von der CDU)
Wo ist er in den letzten Wochen und Monaten gewesen,
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Ich habe ihn regelmäßig gesehen!)
während in Duisburg Tausende Menschen um ihren Job fürchten, während ein Traditionskonzern zerlegt wird? Wir haben von ihm nichts gehört. 700 Millionen Euro freigegeben, aber keine einzige Idee, wie es in Nordrhein-Westfalen weitergehen soll – wenn es konkret wird, dann ist er, wie heute, nicht da. Das ist – ich kann es nur wiederholen – ein fatales Signal.
(Beifall von der SPD)
In dieser Lage braucht es keinen Schönwetterministerpräsidenten, …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, die Redezeit.
Sarah Philipp (SPD): Ich komme zum Ende.
… sondern einen, der sich vor die Beschäftigten stellt. Zukunft entsteht durch Entscheidungen. Wir fordern politisches Handeln. Wir fordern Verantwortung von dieser Landesregierung, und zwar sofort, unverzüglich. Es wird Zeit. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Untrieser.
Dr. Christian Untrieser (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einer Stunde kann man sich die Debattenbeiträge anhören, und da hört man so einiges. Manches ist interessant, manches auch überraschend. Bei einer Sache von Herrn Loose will ich nicht sagen, sie hätte mich überrascht, aber Sie haben sich damit gerade die Maske vom Gesicht reißen lassen.
Sie haben gesagt – und das ist für alle im Protokoll dann nachlesbar –, dass die Mitbestimmung bei thyssenkrupp ein Problem des Unternehmens ist.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Das ist schon harter Tobak,
(Christian Loose [AfD]: Das ist auf jeden Fall keine Lösung!)
denn wir wissen, dass Ihre Wirtschaftspolitik großen Schaden für Deutschland anrichten würde. Sie wollen aus dem Euro aussteigen, aus Europa aussteigen. Das wäre ein Riesenfehler für Deutschland.
(Markus Wagner [AfD]: Das wäre mir neu!)
Sie negieren den menschengemachten Klimaschutz. Das wissen wir alles. Aber dass Sie den Menschen in Duisburg jetzt sagen, dass die Mitbestimmung ein Problem für die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit wäre,
(Christian Loose [AfD]: Läuft ja bei thyssenkrupp mit der Mitbestimmung! – Zuruf von Kirsten Stich [SPD])
obwohl Sie immer sagen, dass Sie für die Arbeitnehmer stehen, das werden wir denen alles sagen.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Damit haben Sie die Maske jetzt wirklich fallen lassen.
Ich möchte zu Beginn der Rede noch einmal sagen, dass wir uns hier im Hohen Hause schon oft mit der Situation um thyssenkrupp befasst haben. Am 19. September des letzten Jahres haben wir hier im Plenarsaal über die Situation bei thyssenkrupp gesprochen. Danach, am 10. Oktober, hatten wir eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses. Am 30. Oktober hatten wir eine Sitzung zu den Förderbedingungen für die DRI-Anlage. Wir hatten eine Aktuelle Viertelstunde am 22. Januar dieses Jahres.
Am 19. März war sogar Herr López zu Gast. Das war ein enger und guter Austausch, weil wir hinter verschlossenen Türen – die Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftsausschusses wissen das – Fragen stellen konnten. Zuletzt hatten wir am 28. Mai, also erst letzte Woche, noch einmal eine Aktuelle Viertelstunde im Wirtschaftsausschuss.
(Alexander Vogt [SPD]: Alles durch uns beantragt!)
– Ja, natürlich.
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Natürlich! Natürlich!)
– Na ja, wir haben uns da schon alle zusammen Gedanken gemacht.
(Sarah Philipp [SPD]: Stimmt schon! – Lachen von der SPD)
Das wissen Sie auch.
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Hat man gar nicht gemerkt!)
Wir alle haben Fragen gestellt, und wir alle beschäftigen uns sehr intensiv damit.
Herr Vogt, ich frage mich, warum Sie hier nicht gesprochen haben. Sie hätten die Dinge besser wissen müssen als der Kollege Ott und Kollegin Philipp.
(Beifall von der CDU)
Denn wir haben einige Fragen dort immer wieder diskutiert. Diese Vorwürfe, mit denen Sie jetzt wieder kommen – beispielsweise der Vorschlag von Kollegin Philipp, dass die Landesregierung jetzt ein Aufsichtsratsmandat haben müsste –,
(Alexander Vogt [SPD]: Der Vorschlag ist genau richtig!)
haben wir schon x-mal besprochen. Frau Neubaur hat es Ihnen gesagt, und auch wir haben Ihnen gesagt, dass ein Aufsichtsratsmandat allein bedeuten würde,
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das wäre vielleicht mal ein Anfang! – Zuruf von Romina Plonsker [CDU])
dass wir natürlich eine Stimme im Aufsichtsrat hätten, aber dass diese Aufsichtsratsperson
(Sarah Philipp [SPD]: Eine Maßnahme! – Zuruf von Frank Sundermann [SPD])
die Interessen des Unternehmens nach dem Aktienrecht beachten muss und dass sie kein politisches Mandat hat.
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Aber mit dem politischen Mandat machen Sie auch nichts!)
Insofern werfen Sie hier erneut eine Nebelkerze.
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das kann nur einer sagen, der noch nie im Aufsichtsrat gesessen hat!)
Alle, die in diesem Ausschuss sind, wissen das auch.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Ich habe mir im Übrigen auch die Wortwahl, die Sie wieder genutzt haben, genau notiert.
(Jochen Ott [SPD]: Sehr billig! – Alexander Vogt [SPD]: Wo?)
Herr Ott sprach davon, dass die Sozialpartnerschaft von thyssenkrupp in Frage gestellt wird. Woher nehmen Sie das eigentlich? Das ist doch vollkommener Unsinn. Sie haben von einer Zerschlagung gesprochen, Frau Philipp. Das ist doch auch Unsinn.
(Jochen Ott [SPD]: Lesen Sie mal Zeitung!)
Niemand will eine Zerschlagung von thyssenkrupp – weder das Unternehmen noch die IG Metall, noch die Politik.
Sie haben vom Ende der Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen gesprochen. Sie malen hier ein Schreckgespenst an die Wand. Sie machen das aus politischem Kalkül. Sie wollen kurzfristige Gewinne auf der politischen Ebene, aber das ist nicht im Interesse der Menschen in Duisburg und der Menschen in der Stahlbranche.
(Beifall von der CDU)
Lassen wir doch einmal die Fakten sprechen. Im Mai haben sich IG Metall und das Management von thyssenkrupp auf eine Grundsatzvereinbarung zur Restrukturierung geeinigt. Es gab Zugeständnisse von beiden Seiten. Betriebsbedingte Kündigungen werden ausgeschlossen, und Werksschließungen sind vom Tisch. Sogar das Werk in Kreuztal soll bestehen bleiben. Bis zum Sommer soll ein entsprechender Tarifvertrag ausgehandelt werden.
Es wird dazu führen, dass Arbeitsplätze abgebaut werden. Das ist vollkommen klar. Aber im Unternehmen selbst machen sich Management, Gewerkschaften und Betriebsrat gemeinsam auf den Weg, thyssenkrupp in eine gute Zukunft zu führen. Das ist etwas Begrüßenswertes, und das sollten wir unterstützen und nicht einfach draufhauen.
(Beifall von der CDU)
Insgesamt bleibt es natürlich dabei: Wir haben – Kollege Heinisch hat es angesprochen und jeder, der sich mit thyssenkrupp und der Stahlbranche beschäftigt, weiß das – sehr schwierige Rahmenbedingungen. Wir haben eine weltweite Überproduktion. Wir haben Dumpingpreise in anderen Weltregionen. Wir haben jetzt die Zölle aus den USA.
Wir haben hohe Energiepreise. An denen hätte man die letzten drei Jahre etwas machen können. Frau Neubaur hat angesprochen, dass der Stahlgipfel konkrete Vorschläge gemacht hat. Seitens des Bundes ist in den letzten drei Jahren aber nichts gekommen.
Außerdem sind Abnehmer, also Branchen wie die Automobilindustrie oder die metallverarbeitende Industrie, schwach. Auch das ist ein Problem von thyssenkrupp: die Abnehmer fehlen.
In dieser Situation ist es doch vollkommen richtig – wir können das wirtschaftliche kleine Einmaleins doch nicht ganz außer Acht lassen –, dass thyssenkrupp Umstrukturierungsbedarf hat und aktuell die Tonne Stahl zu teuer produziert.
Das ist nicht nur ein Problem von thyssenkrupp, sondern auch von anderen Branchen. Auch bei VW in Niedersachsen werden gerade Restrukturierungsmaßnahmen gemacht – übrigens im Einvernehmen mit IG Metall und mit dem Betriebsrat. Das sorgt dafür, dass das Produkt dann günstiger wird.
Ich lade ganz herzlich dazu ein, dass wir uns diesem wirtschaftlichen kleinen Einmaleins stellen und sagen: Es ist richtig und wichtig, dass thyssenkrupp Schritte geht, um produktiver und wettbewerbsfähiger zu werden. Nur das wird am Ende dazu führen, dass es auch in 10, 20 Jahren noch eine Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen gibt. Das wollen wir doch alle.
(Beifall von der CDU)
Insofern sind wir auf keinem so schlechten Weg. Es wird für den einen oder anderen in Duisburg bestimmt auch schmerzhafte Prozesse geben. Es ist aber wichtig, dass betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind,
(Zuruf von Ina Blumenthal [SPD])
es für jeden einzelnen Arbeitnehmer und jede einzelne Arbeitnehmerin Perspektiven gibt, dass die Mitbestimmung geachtet wird und dass wir als Politik gemeinsam an der Seite der Menschen und auch der Unternehmen stehen. Das werden wir weiterhin tun. Das macht der Ministerpräsident, das macht die Wirtschaftsministerin, das machen wir alle gemeinsam in der Koalition.
Sie alle sind ganz herzlich dazu eingeladen, daran mitzuwirken, dass Nordrhein-Westfalen Stahlstandort bleibt und dass thyssenkrupp und andere Unternehmen eine gute Zukunft haben. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Untrieser. – Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Abgeordnete Höne.
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Brems hat eben gesagt, Freie Demokraten würden Politik für Freiheit von Verantwortung machen. Da muss ich ein bisschen Nachhilfe geben, Frau Kollegin Brems, denn Liberale streiten, seitdem sie politisch existieren, für Freiheit zur Verantwortung.
(Wibke Brems [GRÜNE]: Och! – Julia Eisentraut [GRÜNE]: Merkt man aber nicht mehr!)
Wir tun das, weil wir vom verantwortungsbewussten Menschen ausgehen, weil das Grundgesetz vom vernunftbegabten Menschen ausgeht.
Das unterscheidet uns. Denn wer bei den Grünen ist, der steht ja jeden Morgen auf und überlegt: Wie kann ich den Menschen helfen, ein aus meiner Sicht gutes Leben zu führen – mit Gesetzen, mit Verordnungen, mit Subventionen und mit Förderprogrammen?
(Gönül Eğlence [GRÜNE]: Uns erklären, wie wir denken!)
Es ist Freiheit zur Verantwortung, weil Menschen in diesem Land verantwortungsbewusst sind und das Vertrauen von Politik verdienen.
(Julia Eisentraut [GRÜNE]: Wo ist denn Ihre Verantwortungsübernahme?)
Sie bringen ihnen Misstrauen entgegen.
(Beifall von der FDP – Zuruf von Tim Achtermeyer [GRÜNE])
Wer ist schon für hohe Energiepreise? Für hohe Energiepreise ist hier niemand. Die Frage ist ja: Wie kommen wir zu niedrigeren Preisen?
Frau Neubaur – ich weiß nicht, wo sie gerade ist –, hat noch einmal gesagt, wie lange sie schon für Brückenstrom …
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Meine Güte! Hör doch auf! Ehrlich! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)
– Sie ist jetzt weg. Sie hat einmal geredet und möchte sich die Debatte dann aber nicht mehr anhören, weil sie zur WMK abgereist ist?
(Dietmar Brockes [FDP]: Unmöglich!)
Das fände ich stilistisch auch spannend.
(Beifall von der FDP und der SPD)
Entweder ist man entschuldigt oder nicht. Entweder macht man die Debatte, oder man macht sie nicht. Wir sind doch hier nicht beim Notar, so nach dem Motto: Die Landesregierung verliest und reist dann ab.
(Sven Wolf [SPD]: Genau!)
Diese Art von Respektlosigkeit ist schon neu.
(Beifall von der FDP und der SPD)
Wenn ich in eine Debatte reingehe, dann bleibe ich gefälligst auch bis zum Ende da. Die Wirtschaftsministerkonferenz hätte die halbe Stunde auch noch auf Frau Neubaur warten können.
Sie hat gesagt, sie macht sich jetzt schon lange für niedrigere Energiepreise stark, indem sie einen Brückenstrompreis, einen Industriestrompreis fordert. Ich sage Ihnen: Ich bin nicht gegen niedrigere Energiepreise. Ich bin gegen diesen Weg. Wer nämlich am Ende einer schlechten Energiepolitik sagt: „Jetzt müssen wir mit Steuergeld irgendwie diese schlechte Politik ausgleichen“, der behandelt doch nur die Symptome. Ich will aber eine Energiepolitik, die an die Ursachen rangeht.
Solange wir grün-ideologische Energiepolitik machen, wird es zu teuren Energiepreisen kommen.
(Beifall von der FDP)
Ich weigere mich, das gute Steuergeld der Steuerzahler auf diese schlechte Politik draufzuschmeißen.
(Beifall von der FDP)
Es gäbe ja Möglichkeiten. Da bin ich in Teilbereichen sogar bei der neuen Bundesregierung, was das Absenken der Stromsteuer angeht – lange schon gefordert, soll jetzt kommen.
Aber man könnte zum Beispiel auch die deutsche Übererfüllung der europäischen Klimaziele anpassen. Diese fünf Jahre zusätzlich tun dem Klima nicht weh, weil wir ohnehin in die europäischen Regelungen eingebettet sind, sie verschaffen uns aber Zeit, Ressourcen und vor allem finanziellen Spielraum, um unsere Klimaziele günstiger zu erreichen. Wenn man dasselbe Ziel günstiger erreichen kann, dann sollte man das tun. Wenn man das wie die Grünen nicht tut, dann ist das nur mit einem Wort zu beantworten: Ideologie. Und die schadet dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der FDP – Zurufe von Tim Achtermeyer [GRÜNE], Julia Eisentraut [GRÜNE] und Laura Postma [GRÜNE])
Ich habe mich gefreut, dass von mehreren Rednern der Grünen die Bedeutung des Exports angesprochen wurde. Da kann ich Sie nicht entlassen, denn ich stimme Ihnen insofern zu, dass das, was die US-Administration handelspolitisch macht, natürlich Vertrauen kostet, dass das Wohlstand kostet, dass das absolut unzuverlässig und wohlstandsvernichtend ist.
Aber als Grüne hier jetzt für niedrige Zölle und damit auch mehr Freihandel zu werben, finde ich schon spannend.
(Zuruf von Tim Achtermeyer [GRÜNE])
Denn ich kann mich noch an gute Debatten hier in diesem Haus erinnern, die wir zum Beispiel über TTIP geführt haben, Herr Kollege Achtermeyer.
(Tim Achtermeyer [GRÜNE]: Es scheint Ihnen eher um die Grünen zu gehen als um thyssenkrupp, nebenbei bemerkt!)
Da waren die Grünen noch ganz anders unterwegs. Dass die deutsche Industrie, dass aber übrigens auch verdammt viele Mittelständler in diesem Land vom Export abhängig sind, dass da viel Geld verdient wurde mit großartigen, innovativen Produkten, ist doch keine neue Erkenntnis seit dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump.
Wir könnten bei Zöllen und Co. viel weiter sein. Wir hätten unserer Wirtschaft, der Industrie und dem Mittelstand mit vernünftigen und guten Handelsabkommen schon viel früher helfen können. Stattdessen haben insbesondere die Grünen hier die Fahne mit irgendwelchen Lügenmärchen zu TTIP, CETA und Co. geschwenkt. Hier jetzt für Freihandel zu werben, lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
(Beifall von der FDP)
Es bleibt also dabei: Es geht um die richtigen Rahmenbedingungen. Da kann das Land nicht alles alleine machen; das stimmt. Aber das, was Sie machen, machen Sie falsch: Flächenangebot runter, Energieangebot runter, Abgaben – wie zum Beispiel der Kies-Euro – hoch. Wer Fläche runterschraubt, wer Energieangebot runterschraubt und Abgaben nach oben schraubt, der macht alles verkehrt. Überall eine 180-Grad-Wende – das wäre richtig. Es braucht mehr Fläche, und zwar für die Wirtschaft und auch für den Wohnungsbau.
(Zuruf: So ein Quatsch!)
Wir brauchen ein höheres Energieangebot, wenn die Preise sinken sollen. Wir brauchen niedrigere Abgaben, damit Unternehmen hier gerne wieder investieren. Dafür braucht es eine 180-Grad-Wende in dieser völlig verkorksten schwarz-grünen Wirtschaftspolitik.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Abgeordnete Wenzel.
Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Am Anfang eine Bemerkung: Auch ich fand es wirklich bemerkenswert, wie die AfD in diesem Parlament eben mit Gewerkschaftern umgegangen ist. Aber eines ist klar: Diese wirtschaftspolitische Geisterfahrt der AfD lässt sich nur schaffen, wenn man die Arbeiterschaft spaltet. Es ist ganz klar: Die AfD wird sie fallen lassen. Deswegen möchte ich mich explizit bei allen Gewerkschaften bedanken, die jeden Tag gegen diesen Hass und diese Hetze aufstehen und sich nicht von dieser populistischen Rhetorik vereinnahmen lassen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Es ist wichtig, dass wir heute über thyssenkrupp und über die wirtschaftliche Lage in Nordrhein-Westfalen sprechen. Was sich derzeit bei thyssenkrupp Steel abzeichnet, ist nämlich nicht weniger als ein industriepolitischer Kraftakt. Wir haben gerade schon etwas über Chinas Stahlpolitik gehört. Aber auch die Zölle der USA, die jetzt auch die Automobilindustrie treffen werden, werden auf den Standort Duisburg eine Auswirkung haben.
Das hat eine enorme Tragweite für unser Land, für unsere Region und für Tausende Beschäftigte. 11.000 Arbeitsplätze sollen jetzt gestrichen werden; 5.000 sollen abgebaut, weitere 6.000 outgesourct werden. Die Zahl der Beschäftigten in Duisburg soll damit von etwa 26.300 auf 16.000 sinken. Das ist ein tiefer Einschnitt für die Menschen, für die Stadt Duisburg, für die industrielle Zukunft unseres Landes.
Ich sage das nicht abstrakt. Ich sage das als jemand, der aus Duisburg kommt. In meiner Heimatstadt schlägt das Stahlherz, und es soll auch in Zukunft schlagen. Stahl ist nicht nur ein Werkstoff. Er ist Teil unserer Identität, unserer Geschichte – und ja, auch unserer wirtschaftlichen Stärke und unserer Zukunft. Jeder von uns kennt jemanden, der bei thyssenkrupp arbeitet oder gearbeitet hat. Es sind unsere Nachbarinnen, unsere Freundinnen, unsere Familien.
Dass sich thyssenkrupp einem Umbau stellen muss, ist nicht neu. Die Konzernführung will jetzt die einzelnen Sparten durch mehr Kapital wettbewerbsfähig aufstellen. Das hat sie auch öffentlich kommuniziert. Aber was nicht geht und was wir an dieser Stelle klar benennen müssen, ist die Art und Weise, wie dieser Umbau gerade vorbereitet wird. Arbeitnehmervertreter wie Tekin Nasikkol und Jürgen Kerner haben zu Recht kritisiert, dass die montan-mitbestimmenden Gremien nicht ausreichend informiert wurden, dass sie mal wieder von zentralen Plänen aus der Presse erfahren mussten. Das ist ein Bruch mit dem Geist der Sozialpartnerschaft, der sich nicht wiederholen darf.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Die Informationspolitik des Konzerns muss sich grundlegend ändern. Wer eine Transformation dieser Größenordnung stemmen will, braucht Vertrauen. Und Vertrauen entsteht nicht durch Alleingänge, sondern durch Transparenz, durch Einbindung, durch Respekt vor der Mitbestimmung. Es braucht beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber –, um sich erfolgreich auf den Weg zu machen.
Wir als Fraktionen, die diese Landesregierung tragen, nehmen unsere Verantwortung wahr. Mit 700 Millionen Euro Landesförderung, der größten Einzelförderung in der Geschichte, haben wir die größte Industriesubvention auf den Weg gebracht. Diese Förderung ist an klare Bedingungen geknüpft: Dekarbonisierung, Standortbindung und Zukunftsfähigkeit. Ohne diese Unterstützung wäre das Projekt in Duisburg nicht möglich gewesen. Deshalb ist auch klar: Wer solche Summen erhält, muss liefern.
(Zuruf von der SPD)
Nicht zuletzt im Wirtschaftsausschuss hat sich Herr López zum Standort Duisburg und zu seinem Transformationspfad bekannt. Das gilt aber nicht nur technologisch, das gilt auch sozial. Wenn jetzt Gespräche über einen Sozialplan zum Stellenabbau geführt werden, dann muss die Bemühung, die Verunsicherung in der Belegschaft zu beenden, im Vordergrund stehen, und die Belegschaft muss mitgenommen werden. Denn die Mitbestimmung ist kein Störfaktor, wie die AfD das beschreibt. Sie ist ein Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Erfolges in der Transformation.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Aber es liegt nicht nur an der Sozialpartnerschaft in Duisburg, diese Transformation zu meistern. Es ist unsere gemeinsame politische Aufgabe, nicht zu blockieren, nicht zu polemisieren, sondern mit Verantwortung und klarer Erwartungshaltung zu begleiten.
Die Landesregierung tut dies im engen Austausch mit Vorstand, Betriebsräten und Gewerkschaften. Wir haben keine Mandate in den Gremien des Konzerns. Das ist gesetzlich auch gar nicht so einfach. Aber Einfluss nimmt man nicht nur durch Sitze, sondern durch klare Erwartungen, durch gezielte Förderung und durch eine verlässliche industriepolitische Strategie. Wenn Sie, Herr Höne, sagen, dass das jeden Morgen, wenn wir aufstehen, unser Ziel ist, dann sehe ich nicht, wo das Problem ist.
(Lachen von Henning Höne [FDP] – Beifall von den GRÜNEN)
Bereits der von uns initiierte Stahlgipfel hat wichtige Leitplanken gesetzt, die jetzt gemeinsam über alle politischen Ebenen hinweg angegangen werden müssen: ein Brückenstrompreis für die Industrie, eine Senkung der Netzentgelte.
Herr Ott, wenn sie jetzt sagen, dass die Bundesregierung vorangeht, kann ich Sie nicht ganz aus der Verantwortung entlassen. Ich bin gespannt, wie die Pläne umgesetzt werden. Klar ist aber: Wir müssen gemeinsam und aus einer Richtung sprechen – für den Industriestandort; auch in Duisburg. Neue Gaskraftwerke, sollten sie denn gebaut werden, müssen wasserstofffähig sein, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Wasserstoffhochlauf zu gewährleisten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen an der Seite der Beschäftigten. Wir stehen für Mitbestimmung. Und wir stehen für eine Industriepolitik, die ökologisch tragfähig ist, unseren Planeten nicht ausbrennt, sozial gerecht und wirtschaftlich zukunftsfähig ist. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Wenzel. – Für die Fraktion der AfD spricht jetzt der Abgeordnete Loose.
Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Neubaur ist wieder nicht da, aber vielleicht kann ja jemand meine Worte übermitteln. Frau Neubaur, Sie sagten, dass Sie die Impulse für die Stahlproduktion in NRW setzen. Damit sind diese 11.000 Arbeitsplätze, die hier verlorengehen, auch Ihnen zuzuordnen. Das ist ein klares Zeichen Ihres Scheiterns, Frau Ministerin.
(Beifall von der AfD)
Frau Brems, Sie benutzen hier das Wort „Freiheit“. Aber Ihre Freiheit bedeutet nichts anderes als Verbote und Zwang: den Zwang, Steuern auf Luft zu bezahlen; den Zwang, Häuser so dicht zu bauen, dass diese von innen schimmeln; Verbote für Kohlekraftwerke; Verbote für Kernkraftwerke; Verbote für Verbrennerautos. Wenn Sie also von Freiheit reden, sollten die Bürger hellhörig werden. Denn Ihre Art von Freiheit hatten wir bereits in der deutschen Geschichte.
(Beifall von der AfD – Zuruf von den Grünen)
Bezeichnend ist, dass es jetzt bei der Neuauflage des Romans „1984“ von George Orwell ernsthaft eine Triggerwarnung geben soll, weil dieses Buch zu politisch sei.
Und Herr Untrieser, Mitbestimmung funktioniert, wenn man Hand in Hand mit dem Unternehmen für den Erfolg des Unternehmens arbeitet. Aber genau das tut die IG Metall, die den Arbeitsdirektor stellt, eben nicht. Als der Stahlstandort angegriffen wurde, wo war da die IG Metall? Sie ließ die Arbeiter allein. Diese IG Metall ist nicht auf die Straße gegangen, als die teuren CO2-Regeln für die Stahlindustrie eingeführt wurden. Diese IG Metall ist nicht auf die Straße gegangen, als diese teuren CO2-Regeln auch noch verschärft wurden. Diese IG Metall ist nicht auf die Straße gegangen, als die Kohle- und Kernkraftwerke abgeschaltet und damit die Energiepreise in die Höhe getrieben wurden. Nein, diese IG Metall arbeitet im Konzern eben nicht für die Arbeiter, sondern ausschließlich für eine klimabesoffene Politik.
(Beifall von der AfD)
Und das ist der Grund …
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
– Das können Sie alles der IG Metall sagen; das sind ja Ihre Genossen. Wo waren die denn? Die haben die Arbeiter verlassen und verraten!
(Zuruf von der SPD: Nein!)
Sie verraten sie in Bochum, sie verraten sie in Duisburg. Damit geht thyssenkrupp kaputt und zugrunde, weil Sie und Ihre Genossen es zulassen.
(Beifall von der AfD)
Das ist auch der Grund, warum Stahl nicht mehr wettbewerbsfähig in Deutschland hergestellt werden kann. Jeden Monat sterben nicht nur die Mitarbeiter in den Stahlbetrieben. In NRW sterben jeden Monat 2.000 Arbeitsplätze in der Industrie. Das dritte Jahr in Folge schrumpft die Wirtschaft.
Es sind hausgemachte Probleme, die unsere Wirtschaft in die Knie zwingen. Deutschland lebt von der Substanz. Die Industrie investiert kaum noch in den eigenen Standort. Die Firmen fahren auf Sicht. Sie hoffen auf einen Industriestrompreis, den Sie immer wieder – seit wie vielen Jahren jetzt; seit drei Jahren? – hier ankündigen.
Der wird allerdings nicht kommen, weil dieser Industriestrompreis, den Sie jetzt einführen wollen, gegen Ihre geliebte EU verstößt, gegen die Regeln der EU. Das heißt, Sie versprechen den Unternehmen wieder etwas, was Sie nicht halten können. Sie haben mit der Energiewende die Schlinge um unsere Industrie gelegt und ziehen jeden Tag diese Schlinge ein Stück enger, bis unserer Industrie der Atem zum Leben ausgeht und sie stirbt.
Oft sterben die Unternehmen leise. Kabel Premium, Papierhersteller in Hagen: 420 Mitarbeiter weg. Thomy-Werk in Neuss: 100 Arbeitsplätze. Autozulieferer GERHARDI in Lüdenscheid und Ibbenbüren: 137 Arbeitsplätze.
Wir fragen in diesen Fällen immer die Regierung: Was sind die Gründe? Was tut die Regierung? Als Antwort kommt regelmäßig, das seien halt unternehmerische Entscheidungen, die man respektieren müsse. Genauer sagt es die Landesregierung nicht.
Dabei sind die Ursachen relativ klar: Die Energiepreise sind für viele Betriebe in NRW nicht wettbewerbsfähig. Der Großhandelspreis für Strom ist immer noch etwa doppelt so hoch wie vor der Coronazeit. Auf diesen Großhandelspreis kommen aber inzwischen immer größere Kosten für die Stromnetze: allein im letzten Jahr Kosten in Höhe von 3 Milliarden Euro zur Verhinderung von Blackouts. Unsere energieintensive Industrie verliert dadurch international jeden Tag an Boden.
Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ist eingebrochen. Zu viele Hemmnisse, zu viel Unsicherheit. Wer heute investieren will, wird oft monatelang von Behörden gegängelt. Statt Verfahren zu beschleunigen, schafft man neue Auflagen. Wer investiert denn überhaupt noch, wenn man doch weiß, dass die Steuern und Abgaben für Ihre Klimapolitik jedes Jahr steigen?
Die Bürokratie nimmt ständig zu: Klimastatistiken beim Import von Waren; CBAM – das hat auch die FDP nicht verhindert, obwohl es doch immer heißt: Klimazoll wollen wir nicht. – Nein, Sie haben es mit beschlossen; Berichte zur Nachhaltigkeit und Genderpolitik. Das lähmt die Betriebe und stiehlt die Zeit für Forschung und Entwicklung; Migration – jetzt ohne Fachkräfte, dafür aber Rente mit 70. Die Infrastruktur zerfällt, die Brücken stürzen ein. Aber dafür investiert die Regierung jetzt in neue Fahrradwege.
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Das muss ja auch sein!)
Liebe Kollegen, was wir jetzt brauchen, ist eine wirtschaftspolitische Wende. Die Steuerlast muss runter. Energie muss für unsere Industrie verfügbar und bezahlbar sein. Dass Sie darüber lachen können, wie schlecht es der Industrie geht, das ist Ihre Politik.
(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])
– Ich finde es sehr, sehr bitter, was Sie in diesem Land angerichtet haben und wie Sie dieses Land zugrunde richten, Herr Kollege.
(Beifall von der AfD – Zuruf von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE])
Wir brauchen eine gezielte Strategie zur Rückgewinnung industrieller Wertschöpfung. Aktuell droht uns, unsere industrielle Basis zu verlieren. Das Flaggschiff Deutschlands war die Automobilindustrie. Doch diese droht zu sinken – denken Sie nur an Ford –, ebenso unsere Stahlindustrie. Wenn beides weg ist, verlieren wir Wohlstand, Beschäftigung und soziale Stabilität.
(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])
Am Ende verlieren wir alles, worauf unser Gemeinwesen aufbaut: unsere Sozialversicherung, unsere Schulen, unsere Infrastruktur.
Der FDP-Antrag greift deshalb zu kurz. Wer wirklich etwas bewegen will, muss tiefer ansetzen. Jetzt ist der Zeitpunkt, nicht nur von Wirtschaftswende zu reden, sondern sie auch zu machen. Aber dafür fehlt Ihnen der Mut.
Wir von der Alternative für Deutschland haben diesen Mut, Mut zu echten Reformen, Mut, Dinge grundlegend zu verändern, Mut, wie ihn ein Präsident Milei zum Beispiel hat. Der argentinische Präsident, …
(Zuruf von der SPD: Oh!)
– Ja, die SPD will keine Marktwirtschaft. Sie will Bürokratie, noch mehr Mitbestimmung, noch mehr Planwirtschaft. Das ist Ihre Politik.
(Zuruf von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE])
Aber der argentinische Präsident Milei hat es geschafft, die Armut dort zu verringern.
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Wie bitte?! Vollkommen falsch!)
Er hat die Leute wieder zur Beschäftigung gebracht.
(Beifall von der AfD)
Der argentinische Präsident räumt mit verkrusteten Strukturen auf, kürzt Subventionen.
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Das stimmt nicht!)
Dass die CDU das auch nicht will, …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Abgeordneter, die Redezeit.
Christian Loose*) (AfD): Eine Minute extra hatten Sie schon?
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Läuft.
Christian Loose*) (AfD): Okay, ich komme zum Schluss. Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis.
Präsident Milei kürzt Subventionen, baut Bürokratie ab, macht den Staat schlanker – und siehe da, es wirkt.
(Sven Wolf [SPD]: Falsch!)
Diesen Willen zur Veränderung, den brauchen wir in Deutschland auch. Dafür stehen wir und für eine Politik, für Freiheit, Wohlstand und Vernunft. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD – Dr. Günther Bergmann [CDU]: Falsch!)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Laumann.
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Folgendes für die Landesregierung sagen zu müssen: Ich finde es richtig, dass die Wirtschaftsministerin auf der Wirtschaftsministerkonferenz ist.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Ich finde es gut und sehr honorig von ihr, dass sie heute Morgen auch in einer Runde in die Debatte gegangen ist und es irgendwie vertretbar zusammengebracht hat, beide Termine wahrzunehmen.
(Zuruf von der SPD: Und der Ministerpräsident? – Henning Höne [FDP]: Die hat ja verkürzt! Die ist der Debatte entflohen! – Zurufe von der SPD)
Der zweite Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist – das geht uns alle an, ganz besonders die AfD –:
(Henning Höne [FDP]: Das hätte ich sehen wollen! Ganz oder gar nicht! – Zurufe von der SPD)
Ich finde, wir sollten in diesem Land niemals vergessen,
(Unruhe – Glocke)
dass wir mit der Idee der sozialen Marktwirtschaft wirtschaftlich sehr stark geworden sind und
(Christian Loose [AfD]: Ja, Marktwirtschaft!)
Wohlstand für viele erreicht haben. Und zur sozialen Marktwirtschaft –
(Christian Loose [AfD]: Nein, Sie haben Planwirtschaft!)
wir haben keine Marktwirtschaft, wir haben eine soziale Marktwirtschaft – gehören unabdingbar die soziale Partnerschaft, die Mitbestimmung und die Tarifverträge. Ansonsten haben wir keine soziale Marktwirtschaft mehr.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Wenn die AfD das anders beurteilt,
(Sven Wolf [SPD]: Dann verstößt sie gegen das Sozialstaatprinzip!)
dann kann ich Ihnen nur eins sagen: Dann sind Sie irgendwann – Sie werden ja hoffentlich nie Verantwortung bekommen – der Totengräber der Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte in diesem Land. Merken Sie sich das einfach.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Der zweite Punkt, den ich heute gerne als jemand, der von seiner ganzen Persönlichkeit her durch und durch sagen darf, Arbeitsminister zu sein, ansprechen möchte, ist:
(Christian Loose [AfD]: Das ist ein Laberkopf!)
Ich finde zurzeit jede industriepolitische Debatte in Deutschland wichtig, denn wir müssen eins sehen: Unser gesamter Wirtschaftsbereich der Fertigung steht unter einem enormen Druck durch Veränderungen, die es auf der Welt gegeben hat: Denken Sie an die Politik in Russland, denken Sie an den Krieg in der Ukraine, denken Sie an die ganzen Fragen und die vielen Unsicherheiten, die mit der neuen Regierung in Amerika zusammenhängen.
(Zuruf von der AfD: Corona!)
Man kann es wie die AfD machen und kann das mit dem Klima alles leugnen. Ich weiß nur, dass eine Wirtschaft zu mehr Klimaneutralität in der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen unabdingbar ist.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Loose [AfD])
Ja, die gewerblichen Arbeitnehmer – wenn ich das mal so sagen darf – sind in einen besonderen Druck geraten. Deswegen haben wir auch einen geteilten Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland.
Wir haben viele Bereiche, in denen die Menschen absolut sichere Arbeitsverhältnisse haben, unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben aber auch Bereiche, in denen die Menschen im internationalen Wettbewerb stehen: Das ist in der Industrie und in der gewerblichen Wirtschaft. Das ist nur noch ungefähr jeder Vierte von uns. Alle anderen sind in Bereichen, die nicht mehr im internationalen Wettbewerb stehen. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir Industriepolitik machen.
Ich sage das ganz klar: Wenn ich mir den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung in Berlin anschaue, bin ich froh, dass wir jetzt wieder eine Bundesregierung haben, bei der die Industriepolitik zum Kern der politischen Aufgaben in einer Bundesregierung zurückgekehrt ist.
(Beifall von der CDU und der SPD)
Zum Thema „thyssenkrupp“. Es ist doch, wenn man sich die Debatte sachlich anschaut, erst einmal die Aufgabe eines Vorstandsvorsitzenden, Vorschläge zu machen, wie sein Unternehmen eine gute Zukunft haben kann. Das ist sein Job.
Jeder weiß, dass sich Unternehmen immer wieder verändern müssen, wenn sie erfolgreich sein sollen. Ich glaube auch, dass jeder in Nordrhein-Westfalen, der sich etwas mit dem Thema beschäftigt – egal, ob er auf der Gewerkschaftsseite, auf der Arbeitgeberseite oder auf der politischen Seite ist oder ob er Journalist ist –, weiß, dass es bei thyssenkrupp Veränderungen geben muss. Eine wichtige Aufgabe von uns ist, dafür zu sorgen.
Veränderungen im Alleingang werden aber nicht erfolgreich sein. Sie werden nur in der Sozialpartnerschaft zwischen Kapitaleignern, zwischen der Unternehmens- und der Gewerkschaftsseite oder der Arbeitnehmerseite erfolgreich sein. So, wie das in den letzten Wochen gelaufen ist, ist aber natürlich Vertrauen verloren gegangen. Allerdings bin ich froh darüber, dass am Ende immer wieder die Vernunft siegt. Es ist ein Grundlagenvertrag gemacht worden.
Heute beginnen die Verhandlungen zwischen der IG Metall und der Vorstandsebene von thyssenkrupp Steel, wie man diese Umsetzungen machen will und gemeinsam zu einem Konzept kommt, um thyssenkrupp in eine gute Zukunft zu führen. Es ist ganz klar, dass die nordrhein-westfälische Politik immer einfordern muss, dass das in der Sozialpartnerschaft stattfindet, denn die DNA dieses Landes ist die Mitbestimmung und die soziale Partnerschaft. Das gilt für diese Landesregierung, das hat für alle Landesregierungen vor uns seit dem Zweiten Weltkrieg gegolten, und das wird auch so bleiben.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Ich will gerne einen weiteren Punkt ansprechen. Der große Unterschied zwischen der Landesregierung und der Fraktion der Sozialdemokraten hier vorne ist, dass Sie sagen, das Land müsse jetzt durch ein Aufsichtsratsmandat in eine Art unternehmerische Verantwortung gehen. Das mit der Frage einer Staatsbeteiligung sehen wir anders. Wenn Sie mit einem Sitz in einem montanmitbestimmten Aufsichtsrat sind, dann wissen Sie, dass Sie das Zünglein an der Waage sind und jede Entscheidung verantworten müssen.
(Thorsten Klute [SPD]: Genauso ist es! – Weitere Zurufe von der SPD)
Wir glauben nicht, dass es den Stahl in die Zukunft führen wird, wenn wir ihn in die Mangel des Staates nehmen und wir am Ende sogar noch mit staatlichen Subventionen versuchen, diesen Stahl zu halten.
(Beifall von der CDU)
Der Stahl muss unter den Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig sein, die da sind.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Ein letzter Gedanke: Dem Land oder dem Bund vorzuwerfen, nicht zum Stahl in Deutschland zu stehen, ist angesichts einer beschlossenen Subvention von 1,3 Milliarden Euro des Bundes – im Übrigen von der Ampelkoalition beschlossen – nicht angemessen. Der Scheck wurde von Ihrem Finanzminister, Herrn Lindner, zur Verfügung gestellt. Das einmal zum Thema. Das Land Nordrhein-Westfalen hat 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass wir Klimaneutralität und industrielle Stahlproduktion unter einen Hut bringen wollen. Wir glauben, dass das eine Zukunftslinie einer erfolgreichen Stahlindustrie in Europa und in Deutschland ist, und deswegen übernehmen wir hier Verantwortung. Wir ersetzen aber nicht den Unternehmer. Das sollen die Kapitaleigner und die sozialen Partnerschaften in den Unternehmen machen, aber das soll nicht die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen machen. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Der Minister hat seine Redezeit um eine Minute überzogen. Damit gilt für die folgenden Fraktionen, dass sie eine Minute zusätzlich haben. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Kapteinat.
Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Abwesenheit der Ministerin mitten in der Plenardebatte hat der Kollege Höne alles ausreichend geschildert und bewertet. Für uns erklärt es aber vielleicht, warum der Kollege Untrieser ernsthaft in geübter Manier kritisiert hat, was der grüne Bundesminister in den vergangenen drei Jahren gemacht hat, anstatt zu sagen, was die Landesregierung hier und jetzt in den nächsten drei Jahren machen möchte.
(Beifall von der SPD und Henning Höne [FDP])
Herr Minister Laumann, ich habe mir zur Vorbereitung auf die heutige Aktuelle Stunde sowohl die Aktuelle Viertelstunde im AGS am vergangenen Mittwoch als auch das angehört, was Sie gerade dargelegt haben. Wie so häufig hat die Sozialdemokratie zwischendurch geklatscht, wir haben genickt, und wir haben gesagt, dass viele Sachen dabei waren, die uns gefallen haben: Die soziale Marktwirtschaft hat eine dienende Funktion für den Menschen. Die Beschäftigten stehen im Mittelpunkt, und Sie wollen an ihrer Seite stehen; eine Mitbestimmung nicht nur auf dem Papier – und so weiter. Angesichts der tatsächlichen Politik und dessen, was insbesondere Ihre Kolleginnen und Kollegen von CDU und Grünen gerade gesagt haben, dann kann keiner mehr von uns klatschen. Dann sind wir ernsthaft enttäuscht,
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein!)
weil Sie mit Ihren Erwartungen und mit Ihren Worten immer wieder Erwartungen schüren, die von der schwarz-grünen Landesregierung nicht erfüllt werden.
(Beifall von der SPD)
Sie sind gerade schon auf unseren Vorschlag eingegangen. Die Landesregierung soll sich bei thyssenkrupp mit einem Sitz im Aufsichtsrat beteiligen, um zu garantieren, dass die 700 Millionen Euro, die das Land zur Verfügung gestellt hat und die wirklich gut sind, dass unsere Steuergelder sinnvoll eingesetzt werden. Sinnvoll bedeutet für uns als Sozialdemokraten aber eben nicht nur im Sinne des Wirtschaftsstandortes, sondern es bedeutet vor allem im Sinne der Beschäftigten.
Das haben Sie, wie Sie es gerade noch einmal geschildert haben, aus politischen Gründen abgelehnt. Sie wollen nicht mehr Einfluss nehmen. Sie wollen keine Politik im Sinne der Beschäftigten bei thyssenkrupp machen. Das können Sie auch so sagen.
(Beifall von der SPD)
Dann muss man aber auch den zweiten Schritt gehen und sagen: Ja, uns reicht das. Wir wollen an der Seitenlinie stehen und zuschauen. Wir wollen Moralapostel sein, den Zeigefinger heben. Wenn es darum geht, echte Verantwortung zu übernehmen, dann kneifen wir.
(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)
Deswegen haben Sie heute auch nichts anderes als diese warmen Worte vorzuweisen. Weder von Ihnen noch von Ihrer Kollegin, der stellvertretenden Ministerpräsidentin, der Wirtschaftsministerin, gab es einen konkreten Vorschlag, einen konkreten Hinweis, was das Land Nordrhein-Westfalen tun möchte, um den Beschäftigten bei thyssenkrupp zu helfen, um den Wirtschaftsstandort zu sichern.
Sie haben immer wieder die Bedeutung der Montanmitbestimmung hervorgehoben. Die wird aber gerade vom Unternehmensmanagement eingeschränkt, ignoriert und verhindert. Sie haben absolut recht: Ein Vorstandsvorsitzender soll Vorschläge machen, mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften zusammen. Aber genau das tut er ja gerade nicht. Vielmehr prescht er vor. Er stellt Sachen in den Raum, die Angst machen. Er verunsichert. Er zeigt auch eine absolute Respektlosigkeit gegenüber der Mitbestimmung.
(Beifall von der SPD)
Und da – das muss man leider feststellen – ist er nicht der Einzige. Die Mitbestimmung in nordrhein-westfälischen Unternehmen wird immer wieder und immer schärfer angegriffen. In den letzten Monaten hat es bei DuMont in Köln einen Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz und die Freistellung von Beschäftigten zum nächsten Werktag gegeben. Bei flaschenpost hier in Düsseldorf wird zufälligerweise der einzige Standort mit Betriebsrat geschlossen. Bei Ford in Köln waren betriebsbedingte Kündigungen bis 2032 via Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Das hat aber dem US-Konzern nicht gefallen. Die Öffentlichkeit wurde informiert, noch bevor der Betriebsrat reagieren konnte. Von GALERIA Karstadt Kaufhof will ich gar nicht erst anfangen.
Wir merken: Der Markt regelt nicht – und Politik in Nordrhein-Westfalen derzeit auch nicht.
Minister Laumann, das merken auch irgendwann die Menschen. Die Menschen, die sagen, dass der Laumann immer so nett redet, fragen sich dann aber irgendwann: Wann bringt er das auf die Schiene? Wann passiert tatsächlich etwas? Wann setzt er sich auch gegen die Kollegen durch, die das alles vielleicht nicht wollen?
(Beifall von der SPD)
Wenn die Mitbestimmung in der Stahlbranche gefährdet ist, in der traditionell Gewerkschaften und Betriebsräte stark sind und alles für die Beschäftigten geben, muss man als verantwortlicher Arbeitsminister und als Landesregierung in Gänze über den eigenen Schatten springen und sich direkt für die Beschäftigten einsetzen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Kapteinat. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Schmitz.
Marco Schmitz (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Kapteinat, Sie haben eine unglaublich weise Voraussicht. Das freut mich sehr, weil Sie dieser Landesregierung gerade schon für die nächsten drei Jahre die Verantwortung übertragen haben, was bedeutet, dass wir die nächste Wahl auch gewonnen haben werden. Dafür erst einmal ein herzliches Dankeschön.
(Beifall von der CDU)
Herr Loose, ich bin wirklich froh, dass wir hier in der Verantwortung stehen und nicht die AfD. Denn unser Grundverständnis von Politik fußt auf der christlichen Soziallehre.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das ist anstrengend. Das bedeutet, viel zu reden. Das bedeutet Teilhabe. Aber das, was Sie hier gerade gemacht haben – sich hinzustellen und zu wettern, nur für ein drei Sekunden langes TikTok-Video, das Sie gleich wieder hochladen –, ist nicht unsere Politik. Wir machen das, um den Menschen zu helfen.
(Beifall von der CDU)
Wenn wir über thyssenkrupp sprechen, dann sprechen wir nicht nur über Bilanzen, über Sparten, über Strategien oder über Umstrukturierung. Nein, dann sprechen wir vor allem auch über Menschen, über Männer und Frauen, die jeden Tag früh aufstehen, die zur Schicht fahren, die Maschinen bedienen, die Anlagen warten, die Verantwortung übernehmen. Wir sprechen auch über deren Familien, weil es nicht nur die Arbeitnehmer allein sind. Es sind diese Menschen, die unser Land in den letzten Jahren stark gemacht haben.
Diese Menschen dürfen wir auch jetzt nicht im Stich lassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Jahrzehnte der Arbeit mit einem Handschlag beendet werden. Viele Beschäftigte haben Sorgen. Sie fragen sich: Was wird denn jetzt aus meinem Arbeitsplatz? Was wird aus meinem Team? Wo stehe ich in der Zukunft? – Wer so fragt, verdient klare Antworten und eine Politik, die Haltung zeigt. Unser Ministerpräsident Hendrik Wüst, unser Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und auch unsere stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur haben deutlich gemacht: Wir sehen euch; wir hören euch; wir stehen an eurer Seite.
Ich sage ebenso klar: Dafür braucht es auch kein Aufsichtsratsmandat, sondern dafür braucht es Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der CDU)
Unsere Rolle als Politik ist es nicht, Sozialpartner zu belehren. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, damit Sozialpartnerschaft gelingt. Der Minister hat das gerade schon ausgeführt: Es geht darum, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften auf Augenhöhe miteinander sprechen können, dass miteinander gesprochen wird und nicht übereinander. Gerade in der Stahlindustrie gibt es mit der Montanmitbestimmung ein einmaliges Instrument dafür. Sie ist Ausdruck gelebter Partnerschaft.
Aber – das ist auch so – wenn Wandel unvermeidlich ist, darf er eben nicht kalt erfolgen, sondern dann braucht er die Unterstützung. Er braucht Begleitung, Beratung und auch den Support der Politik.
Die Arbeitsagentur – ich habe noch diese Woche mit Roland Schüßler dazu gesprochen – steht im engen Austausch mit thyssenkrupp. Der Kollege Untrieser hat schon erwähnt, dass es im Rahmen dieser Umstrukturierungen natürlich auch zu Arbeitsplatzverlusten oder Arbeitsplatzwechseln kommen wird. Aber die Arbeitsagentur steht bereit und hat gesagt: Wir werden den Menschen vor Ort helfen können. Wir werden diese Industriearbeitsplätze an anderer Stelle einsetzen können, sodass keiner ins Bodenlose fällt.
Wir wissen, wie viel Herzblut, wie viel Kraft und wie viel Identität in diesem Werk und in dieser Branche stecken. Darum sage ich heute für die CDU-Fraktion: Wir lassen euch nicht allein, nicht in Duisburg, nicht im Revier und auch nicht in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.
Laufen Sie nicht so schnell; Sie sind gleich wieder dran.
(Marco Schmitz [CDU]: Ich habe meine Rede für den nächsten Tagesordnungspunkt hinten liegen!)
Wir kommen zu:
2 Gesetz über die Errichtung des Landesamtes für Gesundheit und Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen sowie zur Novellierung landesrechtlicher Vorschriften über den öffentlichen Gesundheitsdienst und den Arbeitsschutz
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/10841 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 18/14072
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14124
Jetzt, nachdem der Kollege Schmitz einmal hin- und hergerannt ist, eröffne ich die Aussprache und erteile ihm für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön.
Marco Schmitz (CDU): Herr Präsident, Sie reden sonst immer relativ sinnvoll und viel. Deswegen dachte ich, ich hätte mehr als genug Zeit, um meine Rede zu holen.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Ich dachte, meine Redebeiträge sind immer sinnvoll.
Marco Schmitz (CDU): Immer. Sie sind immer produktiv. Deswegen hatte ich meine Rede noch nicht mit dabei. Aber ich freue mich natürlich, direkt weiterzumachen.
Das ist jetzt natürlich ein harter Bruch – das möchte ich einmal sagen –: Nach der Debatte gerade zu thyssenkrupp, in der man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch mal deutlich Zuspruch gewährt hat, kommen wir jetzt zu einem sehr formellen Thema, und zwar zu der Einrichtung eines Landesgesundheitsamtes.
Wir beraten heute in der zweiten Lesung einen Gesetzentwurf, der eine zentrale Lehre aus der Coronapandemie aufgreift, nämlich die Notwendigkeit, unseren öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen strukturell, fachlich und organisatorisch besser aufzustellen. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass wir in gesundheitlichen Krisen einen handlungsfähigen Staat mit klaren Zuständigkeiten, verbindlichen Kommunikationswegen und einer zentralen Koordination brauchen. Genau diesen schaffen wir jetzt mit der Errichtung des Landesamts für Gesundheit und Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen.
Mit dem Landesamt entsteht eine neue Landesoberbehörde im Geschäftsbereich des MAGS. Sie übernimmt zentrale Aufgaben des bisherigen Landeszentrums Gesundheit sowie des Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung. Fachaufsicht, Beratung und Unterstützung kommen künftig aus einer Hand. Das ist kein Selbstzweck, sondern ein gezielter Schritt hin zu mehr Effizienz, Durchsetzungskraft, und das sowohl im Alltag als auch im Krisenfall.
Das Ministerium hat es in der letzten AGS-Sitzung betont: Mit dieser Neuaufstellung wird eine wichtige Konsequenz aus der Aufgabenkritik der letzten Jahre gezogen. Wir bündeln die Fachexpertise, vermeiden Doppelstrukturen und schaffen Synergien, die insbesondere der Arbeitsschutzverwaltung und dem öffentlichen Gesundheitsdienst zugutekommen. Nicht zuletzt geben wir den unteren Gesundheitsbehörden, also den Kreisgesundheitsämtern vor Ort, einen starken Partner an die Hand.
Besonders wichtig ist uns: Die kommunalen Gesundheitsämter bleiben die zentralen Akteure vor Ort. Sie kennen die Bedarfe ihrer Region am besten. Sie können am besten entscheiden. Wir wollen gar nicht über ihre Köpfe hinweg entscheiden, sondern mit ihnen auf Augenhöhe arbeiten. Die Kommunen sind unsere wichtigsten Partner in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Das neue Landesamt wird sie dort unterstützen, wo sie Unterstützung benötigen – fachlich, organisatorisch oder, wie wir es auch erlebt haben, im Krisenfall.
Das neue Landesamt soll dabei nicht zentralistisch, sondern koordinierend agieren. Es geht nicht darum, dass es das Landesgesundheitsamt besser weiß als die Gesundheitsämter vor Ort. Im Gegenteil: Die Kompetenz liegt weiterhin bei den Kommunen. Wir ermöglichen mit diesem Gesetz lediglich, dass in bestimmten Fällen Weisungen überhaupt möglich werden. Bislang war das nicht der Fall. Diese Möglichkeit dient dem Schutz und der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger – dort, wo es nötig ist.
Wir stärken mit diesem Gesetz nicht nur die Koordination, sondern auch die Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebene. Wie? Wir geben ihnen Verlässlichkeit. Wir sorgen dafür, dass das Wissen und die Kompetenz auf Landesebene dort ankommen, wo sie gebraucht werden, und zwar bei den Gesundheitsämtern vor Ort.
Natürlich haben auch uns die Hinweise der kommunalen Spitzenverbände erreicht, darunter die Sorge, dass mit der Umwandlung einiger Aufgaben in „Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung“ Einschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung drohen könnten. Wir haben das ernst genommen, und wir haben reagiert.
In enger Abstimmung haben die Koalitionspartner gezielt Änderungen eingebracht. Darüber hinaus haben wir weitere wichtige Klarstellungen vorgenommen: Wir verankern die gesundheitliche Chancengleichheit ausdrücklich im Gesetz. Wir stellen klar, dass besonders vulnerable Gruppen, Menschen ohne Krankenversicherungsschutz und obdachlose Menschen, besonders berücksichtigt sind. Wir haben auch die Möglichkeit eröffnet, zukünftig Patientenlotsinnen und -lotsen einzusetzen – ein wichtiger Baustein für bessere Versorgungskoordination und individuelle Versorgung.
Wir können den Änderungsantrag, der von der FDP und der SPD eingebracht worden ist, nicht mittragen. Durch den Antrag würden wesentliche Aufgabenbereiche, etwa die Prävention und die Gesundheitsförderung, komplett aus der Weisungsbindung herausgenommen werden.
(Justus Moor [SPD]: Ja! Richtig!)
Das mag auf den ersten Blick sympathisch klingen; die Kommunen müssten es dann vor Ort regeln.
Aber genau in diesen Bereichen brauchen wir auch Koordination.
(Beifall von Meral Thoms [GRÜNE] und Jule Wenzel [GRÜNE])
Denn Infektionsschutz, Gesundheitsaufklärung oder auch die Vorbereitung auf Krisenlagen benötigen eine zentrale Steuerung von all dem, bei dem die Kommunen Unterstützung brauchen oder eine einheitliche Vorgehensweise notwendig ist. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal betonen …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Auf den Schluss wollte ich gerade aufmerksam machen.
Marco Schmitz (CDU): Ich wusste, dass das kommt.
(Zuruf von der SPD: Selbst schuld!)
Ich habe aber ja den Anfang im Austausch mit Ihnen verbracht.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Ich finde, dass das auch sinnvoll war.
Marco Schmitz (CDU): Ja! – Herr Präsident, ich freue mich, dass Sie mich noch zum Schluss kommen lassen. Das ist, an Ihrem heutigen Jubiläumstag, freundlich.
Mit diesem Gesetz gelingt uns ein entscheidender Schritt. Wir schaffen verlässliche Strukturen. Wir machen den öffentlichen Gesundheitsdienst leistungsfähiger. Wir setzen zentrale Lehren aus der Pandemie um. Wir bauen dabei bewusst auf die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den Kommunen. Wir stellen den Gesundheitsschutz in Nordrhein-Westfalen auf ein neues Fundament, und zwar auf ein zukunftsfestes, klar strukturiertes und krisenresilientes. Ich bitte daher um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der regierungstragenden Fraktionen in der geänderten Fassung.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege!
Marco Schmitz (CDU): Herr Präsident, ich danke Ihnen für die zusätzliche Zeit, die Sie mir ermöglicht haben. Das war noch die eine Minute aus der letzten Debatte. Danke Ihnen.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Nee!
(Heiterkeit von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)
Marco Schmitz (CDU): Ich bitte um Unterstützung für den Gesetzesentwurf.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Ich bin ob meiner Großzügigkeit selbst erstaunt.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD, Dr. Ralf Nolten [CDU] und Jens Kamieth [CDU])
Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Kollegin Teschlade – bei ebenso viel Großzügigkeit.
Lena Teschlade (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident bzw. Herr großzügiger Präsident!
(Heiterkeit von der SPD und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 10. Oktober 2024 haben wir hier im Plenum über den Gesetzentwurf zum Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz gesprochen. In meiner Rede habe ich damals klargemacht, dass uns die Themen „Arbeitsschutz“ und „Gesundheitsschutz“ wichtig sind, dass wir Verbesserungen ernst nehmen und dass wir über Verbesserungen in diesem Bereich dringend sprechen müssen. Das sind Lehren, die wir alle gemeinsam aus der Coronapandemie gezogen haben, und Ergebnisse, die durch die Enquetekommission zutage gekommen sind.
In der Debatte habe ich aber auch klargemacht, dass es unsererseits noch Fragezeichen dahin gehend gibt, ob der eingeschlagene Weg der Landesregierung in dieser Form richtig ist. Grundsätzlich hat die Coronapandemie gezeigt, dass wir gut abgestimmte Strukturen auf übergeordneter Ebene brauchen, die im Fall einer Krise die Führung übernehmen. Gleichzeitig haben sich aber auch viele regionale Strukturen bewährt.
Am 16. Januar 2025 haben wir alle gemeinsam dann eine Anhörung durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass es nicht nur Fragen seitens der Opposition gibt, sondern dass es vor allen Dingen auf anderen Ebenen noch offene Fragen und eigentlich sogar Widerstände gibt. Beispielsweise hat der Städtetag in dieser Anhörung sogar angekündigt, gegen dieses Vorhaben in dieser Form zu klagen, weil man durch diesen Gesetzentwurf bestimmte Konnexitätserfordernisse als gefährdet ansieht.
Das Land widmet sehr viele Aufgaben neu zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung um. Herr Schmitz, genau das haben Sie gerade angesprochen. Nur sagen Sie, das sei überhaupt kein Problem. Die kommunale Familie sieht da aber durchaus Schwierigkeiten. Wir finden, dass man diese angesprochenen Themen ernst nehmen muss. Diese Verantwortung haben wir.
(Beifall von der SPD)
Auf Grundlage dieser möglichen Klage baten wir im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 12.03. darum, den Punkt von der Tagesordnung zu nehmen und bei der folgenden Ausschusssitzung im April zu behandeln.
Obwohl Sie zuvor Druck gemacht hatten, haben Sie in der darauffolgenden Sitzung selbst darum gebeten, den Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung zu nehmen, weil Ihnen offensichtlich aufgefallen war, dass man möglicherweise noch einmal darübergehen muss. Dem haben wir selbstverständlich zugestimmt, weil wir uns darauf geeinigt haben, dass wir dieses wichtige Thema immer kollegial und gemeinschaftlich bearbeiten wollen.
Dann haben wir erst einmal sehr lange nichts mehr von Ihnen gehört. Wir haben keine Reaktion erhalten. Wir wussten nicht, was passiert. Keine 24 Stunden vor der Ausschusssitzung in der letzten Woche haben Sie uns dann ein 27-seitiges Papier mit umfassenden Änderungen geschickt und parallel den Punkt für heute auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt. Das ist unverschämt!
(Beifall von der SPD)
In der folgenden Ausschusssitzung haben wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP darum gebeten, den Punkt aufgrund von parlamentarischer Ordnung und guter Zusammenarbeit noch einmal von der Tagesordnung zu nehmen, damit wir die Möglichkeit erhalten, diesen noch einmal inhaltlich zu beraten. Das haben Sie abgelehnt. So haben wir also im Ausschuss nicht ein einziges Mal wirklich inhaltlich über das Thema sprechen können, nachdem auch die Opposition die Möglichkeit bekommen hatte, noch einmal Gespräche zu führen und sich intensiv mit dem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen.
(Kirsten Stich [SPD]: Genau! Geht gar nicht! – Thorsten Klute [SPD]: So ist das, Herr Schmitz! – Kirsten Stich [SPD]: Das stört ihn aber nicht!)
Inhaltlich konnten auch die vorgeschlagenen Änderungen der Regierungskoalition die berechtigten Bedenken nicht aushebeln. Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen nur einen kleinen Teil der neuen Pflichtaufgaben nach Weisung. Deshalb stellen wir heute gemeinsam mit der FDP einen Änderungsantrag. Darin sind die berechtigten Einwände des Städtetages genauso berücksichtigt wie das sehr wichtige Thema „Kinder- und Jugendgesundheit“, unter das auch die Schuleingangsuntersuchung fällt.
Ich kann nur dafür werben, die Bedenken des Städtetages ernst zu nehmen und diesen Änderungsvorschlag anzunehmen. So kann die Zusammenlegung ein Ergebnis aus den Lehren der Coronapandemie sein und eine sinnvolle Bündelung von Aufgaben mit sich bringen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Teschlade. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Abgeordnete Thoms.
Meral Thoms (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Gesundheitssystem kann stark sein, wenn der öffentliche Gesundheitsdienst schwach ist. Wenn wir ehrlich zu uns sind: Der ÖGD wurde über Jahre vernachlässigt. In der Pandemie wurde seine Bedeutung sichtbar. Aber auch heute, nach der Pandemie, stehen wir vor großen Herausforderungen für den Gesundheitsschutz der Menschen bei uns in NRW, etwa aufgrund sozialer Ungleichheit.
Wir wissen längst: Armut macht krank, und Krankheit macht arm. Diese Wechselwirkungen müssen endlich durchbrochen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt dazu.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine Auswertung der AOK Rheinland/Hamburg über ihre Versicherten zeigt: Mehr als die Hälfte der Kinder lebt in Familien mit mindestens einer familiären Belastung, seien es die Krankheit eines Elternteils oder das Aufwachsen im Bürgergeldbezug. Diese familiären Belastungen haben Folgen.
Nur ein Beispiel: Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen haben ein rund 70 % höheres Risiko, eine Essstörung zu entwickeln. Genau das ist der Grund, warum gezielte Gesundheitsförderung und Prävention für Kinder und Jugendliche aus belasteten Familien gerade kein Nice-to-have, sondern zentral für mehr Gesundheitsgerechtigkeit sind.
Deshalb ist es uns besonders wichtig, dass die Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit im Gesetzestext verankert ist. Dazu hatten wir einen Änderungsantrag eingebracht.
Mit dem Gesetz stärken wir darüber hinaus den Gesundheitsschutz in der Klimakrise, gerade für vulnerable Gruppen. Angesichts extremer Wetterlagen ist klar: Gesundheit braucht Klimaschutz und einen starken ÖGD, der die Menschen rechtzeitig aufklärt, warnt und vorbereitet.
Wir sind der Meinung: Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Meilenstein, denn wir verfolgen nichts Geringeres als die nachhaltige Stärkung des ÖGD – strukturell, inhaltlich und vor allem zukunftsgerichtet.
Ein zentrales Element ist die Errichtung des neuen Landesamts für Gesundheit und Arbeitsschutz. Dort bündeln wir Fachkompetenz und schaffen Synergien zwischen Gesundheit und Arbeitsschutz.
Ein zeitgemäßer ÖGD – das macht der Entwurf klar – bringt Gesundheitsperspektiven auch in andere Politikfelder ein. Stadtentwicklung, Mobilität, Wohnumfeld – all das beeinflusst doch unsere Gesundheit unmittelbar.
Gerade auf kommunaler Ebene übernimmt der ÖGD koordinierende und steuernde Rollen. Er bringt die relevanten Akteure an einen Tisch, vernetzt die wichtigen – ich betone es noch einmal – Präventionsangebote und sorgt dafür, dass gesundheitliche Belange in Planungs- und in Entscheidungsprozesse einfließen.
Zur Anhörung: Der Gesetzentwurf fand breite Zustimmung bei den Sachverständigen des ÖGD. Gleichzeitig haben wir Bedenken der kommunalen Spitzenverbände ernst genommen. Darauf ist Kollege Schmitz schon eingegangen.
(Zuruf von der SPD: Nein!)
Nach sorgfältiger Abwägung wurden zwei geplante Weisungsbefugnisse zurückgenommen. Wir stimmen also heute über einen ambitionierten und zugleich ausgewogenen Gesetzentwurf ab. Doch uns muss auch klar sein: Diese Novelle allein auf Landesebene reicht nicht. Ein starker ÖGD braucht ausreichend Personal. Bund und Länder stehen gemeinsam in der Verantwortung, die Erfolge des ÖGD-Pakts auch über das Jahr 2026 hinaus abzusichern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Abschluss ein Wort an SPD und FDP: Mit Ihrem Änderungsantrag, der gestern kurzfristig einging, setzen Sie eine klare Botschaft: Im Kern solle doch alles einfach so bleiben, wie es sei. Ganz besonders enttäuschend finde ich die Haltung der SPD, dass ausgerechnet bei dem Thema „Prävention und Gesundheitsförderung“ trotz der gravierenden Probleme und der sozialen Ungleichheit, die ich eingangs geschildert habe, alles so bleiben soll, wie es ist. Da frage ich mich ernsthaft: Wo bleibt Ihr Einsatz für Gesundheitsgerechtigkeit?
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
Haben Sie sich überhaupt inhaltlich einmal mit diesem Thema beschäftigt?
Zum Verfahren. Im Ausschuss, medial und auch heute, ein Riesenthema, ein Riesendrama
(Thorsten Klute [SPD]: Das sagt ja keiner!
um das Verfahren, weil wir diesen Änderungsantrag kurzfristig eingebracht haben. Nur noch mal zur Wiederholung: Sie haben heute das Gleiche gemacht.
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
Das ist Ihr gutes Recht. Da müssen Sie sich aber die Frage gefallen lassen: Wie ernst gemeint war eigentlich Ihre Empörung in der vergangenen Woche? War das alles nur Inszenierung?
(Beifall von den GRÜNEN)
Festzuhalten bleibt: Über das gesamte Verfahren haben Sie keinerlei Interesse an einem inhaltlichen Austausch und an der Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gezeigt. Das ist bedauerlich, und ich finde das enttäuschend.
Wir stimmen dem Gesetz zu. Den Änderungsantrag lehnen wir ab. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank, Frau Kollegin Thoms. – Für die Fraktion der FDP hat nun die Abgeordnetenkollegin Frau Schneider das Wort.
Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon starker Tobak. Aber den Oppositionsfraktionen hier im Hohen Hause Desinteresse an der Gesundheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen vorzuwerfen,
(Beifall von der FDP)
ist eine Unverschämtheit, gleichzeitig gepaart mit dieser Arroganz: Was erlaube SPD, was erlaube FDP, jetzt einen Änderungsantrag vorzulegen?
Was erlauben Sie sich denn, uns nicht mal 24 Stunden vor dem Fachausschuss einen Änderungsantrag hinzuknallen nach dem Motto „Friss oder stirb“? Wir hatten keine 24 Stunden Zeit, diese umfangreichen Änderungen über drei Seiten plus vieler Anlagen zu prüfen. Und von letzter Woche Donnerstag bis jetzt braucht es natürlich auch einen Moment und Absprache mit den Fraktionen, bis so ein Änderungsantrag fertig ist.
Also, solche Arroganz an diesem Redepult – das ist schon ganz extrem.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Kollegin Schneider, es gibt eine Zwischenfrage des Abgeordnetenkollegen Herrn Mostofizadeh. Möchten Sie die gestatten?
Susanne Schneider (FDP): Alles andere hätte mich jetzt enttäuscht. Sehr gern.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte Sie gerne fragen, warum Sie Frau Thoms jetzt bewusst falsch zitiert haben. Sie hat ausgeführt, dass es Ihr gutes Recht sei, Anträge zu stellen, und Sie machen daraus: „Was erlaube FDP, was erlaube SPD, …?“ Warum haben Sie Frau Thoms jetzt falsch zitiert?
Susanne Schneider (FDP): Sehr geehrter Herr Mostofizadeh, vielleicht haben Sie selbst auch Ihrer Kollegin nicht zugehört.
(Beifall von der FDP)
Mir ist es auch schwergefallen, da zuzuhören. Aber vielleicht schauen Sie einfach mal ins Protokoll, wo sie ganz klar kritisiert, dass erst seit gestern ein Änderungsantrag vorliegt. Also, einfach noch mal schauen.
Jetzt weiter zum Thema. Während der Coronapandemie hat der Öffentliche Gesundheitsdienst wirklich besondere Herausforderungen gehabt, und es mussten viele unerwartete Probleme gestemmt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die eine oder andere Extrameile gegangen. Dafür auch im Namen der FDP-Landtagsfraktion ganz herzlichen Dank!
(Beifall von der FDP)
Allerdings machte die Pandemie auch deutlich, dass es an vielen Stellen Optimierungsbedarf gibt und der Öffentliche Gesundheitsdienst modernisiert werden muss.
Als Freie Demokraten haben wir uns schon länger dafür ausgesprochen, das Landeszentrum für Gesundheit als einen Landesgesundheitsort mit erweiterten Kompetenzen auszustatten. Die geplante Einrichtung eines Landesamts für Gesundheit und Arbeitsschutz entspricht dem Ziel, in der öffentlichen Verwaltung Kompetenzen zu bündeln. Die Verwaltung kann dadurch insgesamt schlagkräftiger und effizienter aufgestellt werden, Synergieeffekte können genutzt und Bürokratie kann abgebaut werden. Eine Aktualisierung des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst ist in diesem Zusammenhang sicher auch sinnvoll.
Allerdings sind mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erhebliche Strukturänderungen vorgesehen. Die Umwandlung von bisherigen Selbstverwaltungsaufgaben der Gesundheitsämter in Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung stellt einen erheblichen Eingriff in die kommunale Handlungsfreiheit dar. Die kommunalen Akteure hätten bei dieser Änderung unbedingt mitgenommen werden müssen. Das hat Schwarz-Grün hier aber leider versäumt.
(Beifall von der FDP und Thorsten Klute [SPD])
Beim Infektionsschutz hat das Land bereits nach der bestehenden Rechtslage die Möglichkeit, auf dem Weisungsweg einen einheitlichen Vollzug sicherzustellen.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales – Thorsten Klute [SPD]: Das wäre nicht anders gewesen!)
Davon wurde allerdings selbst während der Pandemie wenig und nicht konsequent Gebrauch gemacht.
Die jetzt vorgesehene Ausweitung der Weisungsbefugnisse bezieht sich aber auch auf Bereiche wie Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe. Das sind Aufgaben, die gerade nicht der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen und für die passgenaue Lösungen je nach den Bedarfen vor Ort sinnvoll wären. Diese Ausweitung von Weisungsbefugnissen beruht zudem nicht auf einer breiten fachlichen Diskussion.
Weisungsbefugnisse sollten daher konkret auf Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt werden. Dies sind insbesondere der Infektionsschutz und die Hygieneüberwachung. Dazu kommen allenfalls noch landeseinheitliche Schuleingangsuntersuchungen, die der Kinder- und Jugendgesundheit dienen. Die Anhörung zum ÖGD hat dann – wie erwartet – erhebliche Bedenken hinsichtlich des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf kommunale Selbstverwaltung aufgezeigt. Der Städtetag hat gar eine Klage in den Raum gestellt.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)
Der schwarz-grünen Koalition war das zunächst egal. In der Sitzung im Ausschuss im März wollte man den Gesetzentwurf noch durchpeitschen. Gemeinsam mit der SPD konnten wir sie dann davon abhalten. Das hat dann wohl zum Nachdenken bei Schwarz-Grün geführt. Jedenfalls hat man in der April-Sitzung dann den Entwurf selbst noch einmal geschoben. Bei diesem Zeitvorlauf hätte man doch eigentlich erwarten können, dass die Änderungen rechtzeitig in das parlamentarische Verfahren gegeben werden. Aber – ich habe es schon erwähnt – das hat nicht funktioniert.
Dieses Eiltempo ist nicht nur schlechter Stil, sondern auch eine Verletzung parlamentarischer Gepflogenheiten. Zeitnot hat Schwarz-Grün mit dem Vorgehen selbst produziert. Wir hätten schon im April den Sachverhalt angemessen prüfen können, anstatt jetzt mit der Brechstange den Gesetzentwurf durchzuziehen.
(Beifall von der FDP)
Aber wahrscheinlich war sich die Koalition im April einfach noch nicht einig.
Da Sie schon angedeutet haben, den guten Änderungsantrag von FDP und SPD abzulehnen, können wir unter diesen Umständen Ihrem Antrag auf keinen Fall zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und Thorsten Klute [SPD])
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD spricht nun der Abgeordnete Dr. Vincentz.
Dr. Martin Vincentz*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, hinter den trockensten Gesetzestiteln verstecken sich manchmal die spannendsten Gesetze. Das ist hier in diesem Fall explizit nicht so. Trotzdem hat eine sehr lebendige Debatte gezeigt, dass es zumindest in diesem Gesetz einige Kniffe gibt, über die man noch einmal nachdenken muss.
Wenn wir uns einmal an die Coronajahre zurückerinnern, hat sich dort sehr gut gezeigt, wie sehr auch der Öffentliche Gesundheitsdienst teilweise zugunsten anderer Bereiche, wie man so sagt, kaputtgespart wurde. In dem Bereich ist es vielleicht tatsächlich auch anwendbar, wenn man sich die Gehaltsstrukturen dort ansieht, wenn man sich die Strukturen vor Ort anschaut. Amtsstuben mit vielen Faxgeräten finden sich heute noch oft im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Also, dort hat man lange viel vernachlässigt.
Dass es jetzt ein Gesetz gibt, das einiges davon anpacken möchte, das, ich sage mal, im Bereich gerade der Prävention viel unternehmen will, ist gut, und das wird im feinsten Amtsdeutsch dort auch ausgewälzt. Dennoch zeigt dann ein Blick ins Detail einige Konnexitätsschlupflöcher. Die wiederum sind, könnte man sagen, einfach dadurch begründet, dass es durchaus Notfalllagen geben kann, bei denen es sinnvoll ist, in der vorgeschriebenen Art und Weise zu zentralisieren. Es gibt Situationen, bei denen man nicht darauf warten kann, dass sich in der Breite irgendetwas tut, sondern da muss man vielleicht schnell aus Düsseldorf reagieren.
Aber es gilt wie üblich: Wer die Musik bestellt, der sollte sie auch bezahlen. Das ist an dieser Stelle nicht ganz eindeutig. Die Anhörung hat noch einmal ganz klar gezeigt, dass zumindest die große Sorge besteht, dass unter Umständen über die Konnexität in Düsseldorf Dinge beschlossen werden, die dann in den Kommunen finanziell getragen werden müssen.
Jetzt könnte man sagen, das ist eine Sorge, die unbegründet ist, aber an dem Punkt kommt wieder das Verfahren ins Spiel. Es ist natürlich völlig lauter und normal, wenn man vielleicht auch noch kurz vor knapp eine Änderung des Gesetzes auf den Weg bringt. Das geben die Spielregeln hier so her. Vertrauen schafft das allerdings nicht. Wenn man es schon darauf anlegt, dass man schwerwiegende Strukturveränderungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst auf den Weg bringen möchte und wenn man zwischen Zentralisierung und der Selbstverantwortung in der Breite eher den Weg der Zentralisierung wählt, dann sollte man zumindest in dem Verfahren alle mitnehmen und auch den Raum einräumen, um darüber vernünftig zu diskutieren, um auch all diese Sorgen zumindest zu entkräften.
In dieser Art und Weise, wie es jetzt aber geschehen ist, hat man doch den Eindruck, dass man hinter vielen Seiten feinstem Amtsdeutsch doch vielleicht das eine oder andere verstecken möchte, was am Ende des Tages nicht zulasten der Gesetzgeber, sondern zulasten der Personen vor Ort gehen soll. Das werden wir so nicht mittragen.
Dem Änderungsantrag von SPD und FDP werden wir zustimmen, denn das wäre an der Stelle tatsächlich vielleicht der Weg, den man jetzt gehen muss. Am Ende ist auch das richtig: Wenn man diese weitreichenden Änderungen vornehmen möchte, dann muss man unter Umständen vielleicht weiter darauf bestehen, dass gewisse Dinge aus Düsseldorf pflichtig vorgegeben werden, die dann dezentral umgesetzt werden müssen. Aber dann muss eben vorher auch eindeutig geklärt sein, wer hinterher die Kosten trägt. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Für die Landesregierung hat nun Minister Laumann das Wort.
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Aufgabe ist es, die gesundheitliche Versorgung über alle Lebensphasen hinweg sicherzustellen, sektorübergreifend, vorausschauend und insbesondere auch in Krisen- und Problemlagen. Darüber hinaus muss der staatliche Arbeitsschutz weiter gestärkt werden.
Die Coronapandemie hat uns eindrücklich vor Augen gefühlt, wie wichtig leistungsfähige Strukturen im ÖGD sind. Unterschiedliche Entscheidungen der unteren Gesundheitsbehörden, zum Beispiel bei Quarantänemaßnahmen, haben in der Bevölkerung in der damaligen Zeit auch für unnötige Irritationen gesorgt. Auch flächendeckende Schuleingangsuntersuchungen konnten aufgrund der starken Belastung der Gesundheitsämter in der Hochphase der Pandemie nicht mehr sichergestellt werden.
Ebenso haben die damaligen Zustände in der Fleischwirtschaft deutlich gemacht, wie eng Gesundheitsschutz und Arbeitsschutz zusammenhängen.
Mit dem Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen schaffen wir eine leistungsfähige zentrale Behörde. Sie wird die Aufgaben des bisherigen Landeszentrums Gesundheit und des Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung bündeln – zwei Einrichtungen, zwischen denen bereits heute Schnittstellen bestehen. Diese Synergien wollen wir nutzen, beispielsweise bei der Entwicklung einer übergreifenden Präventionsstrategie, die unterschiedliche Lebensphasen und Lebensverhältnisse integriert.
Gerade für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Gesundheitsdienst bildet die Novellierung des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst ein starkes Fundament. Das haben auch die Fachleute aus der Praxis bei den Anhörungen, so finde ich, eindrucksvoll bestätigt. Ziel ist es, ein Landesamt zu etablieren, das sektorübergreifend effizient und krisenfest agieren kann. Es wird das Land und insbesondere die Kommunen fachlich beraten und unterstützen. In bestimmten Fällen wird es mit einer erweiterten Befugnis ausgestattet, um fachlich notwendige Maßnahmen um- und durchzusetzen.
Zu diesem Zweck werden die bislang bei den Bezirksregierungen liegenden Aufsichtsbefugnisse im Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit der Fachkompetenz des Landeszentrums Gesundheit zusammengeführt. Künftig liegen somit Fachaufsicht und Weisungsrecht in einer Hand. Das ist ein entscheidender Schritt, insbesondere im Hinblick auf die Koordination und Kommunikation in Krisenzeiten.
Mit dem neuen Landesamt schaffen wir aber nicht nur strukturelle Voraussetzungen für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Gesundheitsdienst, sondern stärken zugleich den staatlichen Arbeitsschutz.
Bereits vor gut drei Jahren haben wir begonnen, die Arbeitsschutzverwaltung in Nordrhein-Westfalen zu stärken und substanziell zu modernisieren. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet die Länder dazu, jährlich 5 % aller Betriebe zu kontrollieren. Dieses Ziel kann nur mit einer starken, zentralen Unterstützungsstruktur erreicht werden. Diese Rolle wird das neue Landesamt übernehmen und konsequent ausbauen.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem neuen Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz schaffen wir die organisatorischen und rechtlichen Grundlagen dafür, dass Nordrhein-Westfalen auch zukünftig wirksam und verlässlich auf gesundheitspolitische Herausforderungen reagieren kann, zum Schutz der Bevölkerung und zur Stärkung unseres Gemeinwohls.
Noch ein Satz zu den Weisungsrechten. Es gibt mehrere Bereiche, in denen ein Ministerium Weisungsrechte hat. Das ist auch bei uns so. Man darf sich ein Weisungsrecht nicht so vorstellen, dass sich ein Ministerium den ganzen Tag überlegt: Wie können wir jetzt weisen? Die Regel ist eigentlich, dass das Weisungsrecht wenig eingesetzt wird. Das ist das Wesen einer jeden klugen ministeriellen Verantwortung.
Aber es kann Situationen geben, bei denen man punktuell weisen muss. Ich will ein Beispiel nennen. Es kann nicht sein, dass ein örtliches Gesundheitsamt allein über die Frage entscheiden kann, ob jetzt die Schuleingangsuntersuchungen gemacht werden oder nicht. Dann haben wir hier im Landtag die Debatte: Warum, Herr Laumann, haben Sie nicht dafür gesorgt? – Das sind Bereiche, in denen man auch einmal einem Gesundheitsamt sagen muss: Leute, dann nehme ich mein Weisungsrecht in die Hand und weise euch jetzt an.
Im Übrigen ist es bei Weisungsrechten auch so – ich habe ja ein bisschen Erfahrung –, dass allein die Tatsache, dass man sie hat, dazu führt, dass einiges ganz gut läuft. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Schluss der Aussprache und gehen zur Abstimmung über.
Erstens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und FDP Drucksache 18/14124. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Das sind die Fraktionen der SPD, der FDP und der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 18/14124 abgelehnt.
Wir stimmen zweitens über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 18/10841 – Neudruck – ab. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 18/14072, den Gesetzentwurf Drucksache 18/10841 – Neudruck – mit den in seiner Beschlussempfehlung näher bezeichneten Änderungen anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 18/14072 und nicht über den Gesetzentwurf selbst. Wer stimmt der Beschlussempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der FDP. Wer enthält sich? – Das sind die Fraktionen der SPD und der AfD. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 18/10841 – Neudruck – in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses angenommen und verabschiedet.
Wir kommen zu:
3 NRW muss funktionieren – Investitionsstau in NRW angehen
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14010
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD dem Abgeordnetenkollegen Herrn Dahm das Wort.
Christian Dahm (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der WAZ habe ich vor Kurzem ein Interview mit unserem Finanzminister Dr. Optendrenk gelesen. Einiges hat mir nicht gefallen; das werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch erörtern, Herr Minister. Sehr gut gefallen hat mir dabei aber, dass Sie zitiert werden: Es ist Zeit, zu investieren. – Da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht, Herr Minister.
(Beifall von der SPD)
Es ist Zeit zu investieren, und zwar jetzt. Wenn wir ehrlich sind, ist die Zeit zu investieren, eigentlich sogar überschritten. Wenn man so will, war sogar schon gestern und vorgestern die Zeit für Investitionen, denn die Infrastruktur in unserem Land ist zu lange zu sehr vernachlässigt worden. In vielen Bereichen besteht großer, wenn nicht sogar riesiger Nachholbedarf. Zur Ehrlichkeit gehört auch: In manchen Bereichen ist die Infrastruktur bei uns in Nordrhein-Westfalen einfach kaputt.
Wir sprechen dabei nicht über abstrakte mathematische Größen, über eine volkswirtschaftliche Kennzahl. Hinter diesem technischen Begriff verbergen sich konkrete staatliche Angebote und Leistungen, die den Alltag der Menschen in unserem Land betreffen. Dahinter verbergen sich Straßen, über die man ohne Schlaglöcher fahren kann – so etwas soll es tatsächlich geben –, Brücken, die nicht abgelastet werden müssen, ein Bus‑ und Bahnsystem, das es Schülerinnen und Schülern sowie Pendlerinnen und Pendlern ermöglicht, pünktlich zur Arbeit oder in die Schule zu kommen.
Es geht um Krankenhäuser, bei denen man sich als Patient nicht auf einer Zeitreise in die 70er‑ oder 80er-Jahre fühlt. Es geht um Kita und Schule, die unseren Anspruch auf beste Bildung mit einer Digitalausstattung verkörpern, die auch funktioniert. Es geht auch um moderne Feuerwehrgerätehäuser, die alle eine Schwarz-Weiß-Trennung haben. Es geht um Umkleidekabinen auf Sportplätzen, in denen wir uns gerne in die Duschkabinen stellen würden.
Eine funktions‑ und leistungsgerechte Infrastruktur ist für alle Bereiche unseres alltäglichen Lebens und für alle Bevölkerungsgruppen relevant. Unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen brauchen sie, weil sie Waren schnell von A nach B transportieren müssen. Unsere Familien brauchen sie, weil sie ihre Kinder in guten Schulen wissen möchten, weil ihre Kinder schwimmen lernen und auf Sportanlagen ihrem Sport nachgehen wollen.
Der Staat braucht leistungsfähige Behörden, leistungsfähige Ämter, Rathäuser, Kreishäuser. Sie alle sind auch Arbeitgeber, die motivierte und gesunde Beschäftigte haben möchten. Dafür braucht es unter anderem eine moderne und effiziente Verwaltung sowie attraktive Arbeitsplätze. Um es umgekehrt darzustellen: Ein abgerocktes und sanierungsbedürftiges Behördenhaus ist keine gute Visitenkarte, weder für den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber noch für die Menschen, die Leistungen vom Staat benötigen. Es ist auch keine gute Visitenkarte für den Staat insgesamt.
Der Investitionsstau, der allein in unseren Kommunen über 50 Milliarden Euro beträgt, muss angegangen und aufgelöst werden. Bei Investitionen in das Schulwesen liegt NRW auf dem letzten Platz. 58 % der Landesstraßen und 12 % der Brücken in Nordrhein-Westfalen sind sanierungsbedürftig. Um diesen Stau aufzulösen, braucht es Geld, braucht es viel Geld. Umso wichtiger ist es, dass es jetzt auch einen Sinneswandel gibt. Da bin ich wieder ganz bei Ihnen, Herr Finanzminister: Es ist jetzt Zeit zu investieren. Wir sind da ganz nah beieinander.
Es ist gut und es ist richtig, dass jetzt in Berlin ein Rieseninvestitionspaket geschnürt wird, das sich dieses Investitionsstaus annimmt. 500 Milliarden Euro sind eine kraftvolle Ansage, davon 100 Milliarden Euro für Länder und Kommunen. Davon können wir hier in Nordrhein-Westfalen kräftig profitieren.
(Beifall von der SPD)
Vizeministerpräsidentin Frau Neubaur hat vor einigen Tagen zu der Aufteilung der Bundesmittel auf die Länder erklärt, dass der Westen jetzt dran sei. Da hat sie recht. Wir haben bereits 2012 gesagt: Jetzt ist der Westen dran. Das ist jetzt genauso richtig wie damals. Jetzt ist der Westen dran.
(Beifall von der SPD)
Was im Verhältnis der Bundesländer gelten soll, muss aber erst recht für die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gelten. Einwohnerzahlen, so hat es Ministerin Neubaur noch am Montag in den Raum gestellt, dürften dabei keine Rolle spielen, sondern Bedarfe – ja, nur Bedarfe; das ist richtig. Es muss nach Bedarf und nicht nach dem Gießkannenprinzip wie bisher gehen. Denn das würde den unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Nordrhein-Westfalen nicht gerecht werden.
Die Mittel müssen außerdem schnell und unkompliziert in den Rathäusern ankommen. Dabei legen wir Wert darauf, dass es schon ein wesentlicher Teil der Bundesmittel sein sollte. Denn sehr viel der Infrastruktur, die sehr nah an den Menschen ist – ich habe das eben aufgezählt –, wird in den Kommunen vorgehalten und unterhalten. Unsere Städte, Gemeinden und Kreise sind die größten Auftraggeber unter den staatlichen Ebenen. Wir brauchen hier kein aufwendiges Antragsverwendungsnachweisverfahren. Bürokratiearm, gezielt und präzise – so sollte das Verfahren nach unseren Vorstellungen sein.
(Beifall von der SPD)
So ein kraftvolles Programm ist natürlich keine alltägliche Sache, und seine Umsetzung wird auch nicht mal eben aus dem Ärmel geschüttelt. Aus unserer Sicht braucht es bei der Umsetzung ein paar Dinge, die für ein Gelingen unabdingbar sind.
Es muss gewährleistet sein, dass der kommunale Anteil an diesem Paket nicht auf bereits bestehende finanzielle Verpflichtungen angerechnet wird. Das mussten wir ja leider schon in anderen Fragen erleben. Da müssen wir deutlich besser werden.
Es braucht darüber hinaus dringend Vereinfachungen bei Genehmigungs- und Verfahrensanforderungen. Ich sage auch an dieser Stelle: Die Mittel müssen zusätzlich verwendet werden. Verrechnen Sie die nicht im Landeshaushalt, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Lassen Sie uns daher gemeinsam dafür sorgen, dass das Geld dort ankommt, wo es dringend gebraucht wird. Lassen Sie uns das anders machen als vorher. Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass das Geld zügig, einfach und zusätzlich in den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ankommt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der CDU spricht nun Abgeordnetenkollege Herr Lehne.
Olaf Lehne (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dahm, ich habe mich gerade gefragt, wo Sie, also Ihre Partei, vor 2005 und in der Zeit zwischen 2010 und 2017 waren. Damals gab es einen großen Teil der Probleme auch schon. Eine solche Rede hat man von Ihnen aber nicht gehört, und von dem, was Sie heute erzählt haben, haben Sie damals nichts umgesetzt.
Die SPD fordert …
(Zurufe von Thorsten Klute [SPD] und Dr. Dennis Maelzer [SPD])
– Lassen Sie mich ausreden, dann lernen Sie vielleicht noch etwas.
(Ina Blumenthal [SPD]: Ernsthaft? – Christian Dahm [SPD]: Fällt mir schon schwer, zuzuhören! – Weitere Zurufe von der SPD)
… in ihrem Antrag Investitionen in fast allen Politikfeldern, von Schulen über Straßen bis hin zu Sportstätten. Das liest sich alles sehr ambitioniert, ist in Wirklichkeit aber ein überdimensioniertes Forderungspaket, das haushaltsrechtlich auf nichts gebaut ist.
NRW muss funktionieren – das ist richtig –, und NRW funktioniert, seitdem die CDU die Landesregierung führt.
(Lachen von Stefan Zimkeit [SPD] – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Wer das heute fordert, sollte auch den Mut haben, die Ursachen klar zu benennen – ich habe es eben schon angesprochen –, denn es ist kein Zufall, dass unsere Infrastruktur in vielen Bereichen unter Druck geraten ist. Ein Blick zurück zeigt: Zwischen 2010 und 2017 wurde unter einer SPD-geführten Landesregierung zu wenig oder gar nichts geplant, zu wenig gebaut und zu wenig instand gehalten.
Als Oliver Wittke im Jahr 2005 Verkehrsminister wurde,
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
guckte er in die Regale, und die SPD wunderte sich, dass es keine Zuschüsse für Nordrhein-Westfalen gab, sondern nur für Bayern, Baden-Württemberg. Der Grund war, dass es keine Planung gab. Das ist eine Tatsache.
Wer heute von verlorenen Jahren spricht, der muss sich auch die Frage gefallen lassen, wer sie zu verantworten hat.
(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Das ist doch abgedroschene Rhetorik! – Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
Es war die SPD, die vor 2005 für 39 Jahre sowie zwischen 2010 und 2017 für sieben Jahre in Regierungsverantwortung war und in dieser Zeit Investitionen gekürzt und Förderprogramme verschleppt oder gar nicht erst aufgelegt hat.
(Lena Teschlade [SPD]: Nur die SPD! – Zuruf von Jochen Ott [SPD])
Und ausgerechnet diese SPD fordert nun Milliardenbeträge, die sie selbst nie auf den Weg gebracht, geschweige denn finanziert hat, und sie hört wie immer nicht zu.
Anders die CDU-geführte Landesregierung.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Seit 2017 haben wir strukturelle Weichen gestellt. Die Investitionsquote liegt bei über 10 % und damit historisch hoch; das kennen Sie gar nicht.
(Thorsten Klute [SPD]: Sind die Grünen nicht mehr in der Koalition?)
Wir haben den kommunalen Straßenbau konsequent gestärkt und die Städte und Gemeinden mit Hunderten Millionen Euro gezielt unterstützt. Im Haushalt 2025 fließen rund 600 Millionen Euro in die Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur.
(Nadja Lüders [SPD]: Dann ist ja alles gut!)
Trotz herausfordernder Haushaltslage bleibt das Investitionsniveau stabil. Das ist verantwortungsvolle Politik und nicht Wunschdenken wie bei Ihnen.
Unsere Investitionen gehen noch weiter.
(Nadja Lüders [SPD]: Merkt nur keiner!)
Im Landeshaushalt stärken wir gezielt zentrale Zukunftsbereiche, darunter „Kinder“, „Bildung“, „innere Sicherheit“, „Klimaschutz“, „Hochwasserschutz“, „Digitalisierung“, „Breitbandausbau“ und die „Sanierung der Landesstraßen“.
(Zuruf von Frank Müller [SPD])
Mit knapp 42 Milliarden Euro erreicht das Bildungsbudget einen neuen Rekordwert im Umfang von mehr als 40 % des Gesamthaushaltes. Auch daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Zugleich setzte das Land mit jährlich 250 Millionen Euro erstmals ein starkes Zeichen für die Entlastung der Kommunen durch einen Einstieg in eine Altschuldenlösung. Das schafft mehr Planungssicherheit und stärkt die kommunale Handlungsfähigkeit langfristig.
Was hingegen der SPD-Antrag vermissen lässt, ist ein finanzierbarer Plan. Statt konkreter Umsetzungsvorschläge erleben wir eine Auflistung von Problemen, die zu einem guten Teil Ergebnisse Ihrer eigenen Regierungszeit sind. Zusätzlich wird der Antrag dem Anspruch an eine generationsgerechte Haushaltsführung in keiner Weise gerecht. Mit ihm werden bewusst auf eine Abweichung geltender Haushaltsregeln gesetzt, bestehende Haushaltsverpflichtungen ignoriert und die strukturelle Überforderung unseres Landes riskiert. Aber das haben Sie ja immer so gemacht.
Statt Verantwortung zu übernehmen, schlägt die SPD denselben finanziellen Desasterkurs ein, den sie bereits unter Hannelore Kraft zwischen 2010 und 2017 verfolgt hat, mit wachsender Verschuldung und Investitionsstaus als Ergebnis. Damit würden auch den nachfolgenden Generationen finanzielle Lasten aufgebürdet, die deren Handlungsspielraum massiv einschränken würden. Das ist weder nachhaltig noch verantwortungsvoll.
Der Antrag der SPD ist politisch und inhaltlich völlig überzogen und haushalterisch nicht seriös. Wir lehnen ihn daher in der Sache ab, stimmen der Überweisung in den Haushalts- und Finanzausschuss aber zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Abgeordnetenkollege Herr Simon Rock.
Simon Rock (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NRW braucht eine leistungsfähige Infrastruktur. An dieser Stelle sind wir uns mit der SPD völlig einig. Ohne sie funktioniert natürlich nichts richtig. Es ist auch richtig, dass dieses Land jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren wurde. Der Investitionsstau ist nicht wegzureden; er ist da.
Man muss an dieser Stelle aber trotzdem einmal fragen, woran das lag. Ein Problem war definitiv die Schuldenbremse, denn sie war in ihrer Form blind für Investitionen.
(Ralf Witzel [FDP]: Quatsch!)
– Ja, auch wenn „Quatsch“ aus der Ecke der FDP kommt, ist es trotzdem richtig.
(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])
Auch wenn die FDP das als Quatsch bezeichnet, bleiben die Fakten so, wie sie sind.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Deshalb ist das Sondervermögen richtig, auch wenn man es offen gestanden etwas ehrlicher als Sonderkredite formulieren könnte.
Es darf aber auf keinen Fall passieren, dass wir daraus einen Verschiebebahnhof machen, um am Ende damit dann doch wieder Wahlgeschenke zu finanzieren. Es waren harte Verhandlungen auf Bundesebene, bis auch die SPD dazu bereit war, gesetzlich klarzustellen, dass die Mittel zusätzliche sind.
Sie als SPD stellen sich nun hierhin und fordern genau das ein. Das entbehrt an dieser Stelle nicht einer gewissen Ironie. Es verwundert auch ein bisschen, dass ausgerechnet Sie von der SPD jetzt im Landtag lautstark Forderungen stellen, während Sie gleichzeitig auf Bundesebene den Finanzminister stellen.
(Jochen Ott [SPD]: Wir haben das da doch schon durchgesetzt!)
Ich frage Sie: Wann kommt denn Ihr Bundesfinanzminister mit einem Gesetzentwurf um die Ecke?
(Stefan Zimkeit [SPD]: Ey!)
Die mir bekannten Gesetze führen nur dazu, dass die Steuereinnahmebasis von Ländern und Kommunen noch stärker wegbricht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es hilft uns doch an keiner Stelle weiter, wenn Sie auf der einen Seite Ländern und Kommunen kreditfinanziertes Geld geben und ihnen das auf der anderen Seite durch Steuersenkungen wieder wegnehmen. Das führt zu nichts.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bevor Sie also hier im Landtag Anträge zum Infrastruktursondervermögen stellen, sprechen Sie doch einmal mit Ihrem Bundesfinanzminister, damit endlich klare Vorgaben kommen.
(Christian Dahm [SPD]: Da kannst du sicher sein!)
Was darf das Land mit dem Geld überhaupt tun, wie viel bekommen wir überhaupt und für welche Zwecke?
(Jochen Ott [SPD]: Ja! Immerhin haben wir euch das Geld schon mal besorgt!)
Sind wir doch einmal ehrlich: Es ist noch vieles offen, aber die SPD will schon alles an die Kommunen weiterreichen.
(Jochen Ott [SPD]: Selbstverständlich! Ihr nehmt es ja weg! – Nadja Lüders [SPD]: An wen denn sonst?)
Das ist ein bisschen vorschnell gesprungen.
(Nadja Lüders [SPD]: An wen denn sonst?)
NRW handelt. Mit den begrenzten Mitteln, die wir haben, gehen wir den Investitionsstau an. Im Verkehrsministerium zum Beispiel folgen wir mit einer Sanierungsoffensive „Straßeninfrastruktur Nordrhein-Westfalen“ dem Prinzip Sanierung vor Neubau.
(Jochen Ott [SPD]: War das nicht das, was der Kollege Lehne eben kritisiert hat?)
Das ist nicht nur gut für die Menschen, sondern auch gut für Umwelt und Klima.
(Jochen Ott [SPD]: Er hat doch eben gesagt, das wäre falsch!)
Wir haben die Altschuldenlösung für unsere Kommunen auf den Weg gebracht. Jetzt sind der Bund und insbesondere neben der SPD, die sich dazu klar positioniert hat,
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
auch die anderen Fraktionen am Zug, dass der Bund seinen Teil dazu beiträgt, damit die Kommunen endlich handlungsfähig werden.
(Christian Dahm [SPD]: Ja! – Jochen Ott [SPD]: Dann könnt ihr wieder loslegen!)
Wir werden jedenfalls unseren Beitrag dazu leisten, die Infrastruktur und damit das Leben der Menschen in Nordrhein-Westfalen zu verbessern.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Wir werden verantwortungsvoll mit den Mitteln umgehen. Aber bevor wir hier Entscheidungen treffen können, was wir mit dem Geld machen, müssen wir erst einmal den Gesetzentwurf abwarten. Der Bund und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil müssen ihre Hausaufgaben machen. Dann können wir weitersehen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der FDP hat nun Abgeordnetenkollege Herr Witzel das Wort.
Ralf Witzel*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD beschreibt in ihrem Antrag in seiner vierseitigen Darstellung der Ausgangslage durchaus relevante Probleme, die wohl kaum jemand objektiv bestreiten kann.
Die Infrastruktur ist marode. Das hemmt wirtschaftlichen Wohlstand sowie einen sinnvollen Einsatz unserer Lebenszeit und kostet Menschen Lebenschancen. Wir brauchen mehr Investitionen beispielsweise für eine funktionierende Infrastruktur, gut ausgebaute Verkehrswege und moderne Schulen.
Die Antragsteller könnten noch weitere Aktionsfelder nennen; auch eine Erstarkung der öffentlichen Handlungsfähigkeit bei der inneren Sicherheit würde das Vertrauen in unseren Staat stärken.
Viele der genannten Forderungen sind insgesamt auch unsere: eine unbürokratische Weiterleitung von Bundesmitteln an die Kommunen, die Modernisierung von Landesliegenschaften, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine Erhöhung des Verbundsatzes im GFG, ein Abbau der kommunalen Förderprogramme, dafür lieber stärkere Investitionen in moderne Bildung und Verkehrsinfrastruktur, sowie die Weiterführung des Programms „Moderne Sportstätten“.
Diese Forderungen haben wir in den vergangenen Haushaltsberatungen bereits mit Änderungsanträgen abgebildet und eins zu eins im Kernhaushalt gegenfinanziert.
(Simon Rock [GRÜNE]: Das wäre mir neu!)
Es braucht dafür also keine zusätzlichen Schulden auf Landesebene.
(Beifall von der FDP)
Es braucht den politischen Willen und die richtige Prioritätensetzung. Wir müssen nur wollen.
(Zuruf von Simon Rock [GRÜNE])
Genau dort liegt, Herr Kollege, der wesentliche Kritikpunkt der FDP-Landtagsfraktion an diesem Antrag. Bereits das Schuldenpaket des Bundes inklusive seines Länderanteils halten wir für überdimensioniert. Umso weniger wollen wir noch weitere milliardenschwere Schuldenpakete des Landes obendrauf satteln.
Die SPD hat die Union schon auf Bundesebene derart über den Tisch gezogen, dass CDU und CSU jegliche Glaubwürdigkeit haushaltspolitischer Vernunft
(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD] und Alexander Baer [SPD])
und ihre Wahlversprechen für solide Finanzen über Bord geworfen haben.
(Beifall von der FDP)
Letztlich hat die SPD – bis hin zur Grundgesetzänderung zur Aufweichung der Schuldenbremse – so gut wie alles von der Union bekommen, was sie wollte und die CDU zuvor abgelehnt hatte.
(Jochen Ott [SPD]: Ja!)
Diesen historischen Fehler und Sündenfall gegenüber der jungen Generation dürfen wir hier im Land nicht fortsetzen.
(Beifall von Dr. Hartmut Beucker [AfD] – Jochen Ott [SPD]: Das war eine historische Großtat!)
Der objektiv vorhandene, enorme Investitionsstau liegt nicht primär an klammen Staatskassen. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen fehlt schlichtweg der Wille der Politik, auch in der Landespolitik notwendige Strukturreformen anzugehen, um Investitionen zu tätigen.
Der ständige Aufwuchs konsumtiver Ausgaben blockiert notwendige Investitionen. Die leistungslose Umverteilungspolitik wie beim Bürgergeld ist überdimensioniert, ebenso wie jahrelang viel zu hohe Aufwendungen infolge der nahezu schrankenlosen Einwanderung all derer, die gar keinen Asylanspruch haben.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist ja AfD-Sprech von Herrn Witzel!)
Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Staat seine regulären Aufgaben wie den Bau und Erhalt der Infrastruktur als seine Kernaufgabe betrachtet, die er auch aus seinem Kernhaushalt finanziert und nicht nur aus schuldenfinanzierten temporären Sondertöpfen.
Wir brauchen weder höhere Schulden noch höhere Steuersätze, sondern genau das Gegenteil: eine Wachstumsagenda, die durch ökonomische Belebung und höhere Produktivität nachhaltig zu dauerhaften Steuereinnahmen führt. – Dafür müssen wir eine Reform des Steuersystems voranbringen, beispielsweise in Form einer dringend benötigten Entlastung unserer Unternehmen sowie der Bürger bei der Einkommensteuer, damit sich Leistung wieder lohnt.
(Beifall von der FDP)
Die SPD fordert eine Auflösung des Investitionsstaus, verkennt dabei aber, dass bereits von Anfang an klar war und es auch mit dem Aufstellungserlass von Lars Klingbeil schwarz auf weiß inzwischen bestätigt ist, dass das sogenannte Infrastruktursondervermögen mindestens teilweise zum Stopfen allgemeiner Haushaltslöcher dient. Ausgaben, die ursprünglich im Kernhaushalt vorgesehen waren, werden nach dem Willen des SPD-Finanzministers in den Schuldentopf oder den KTF ausgelagert. Ein massiver Verschiebebahnhof dieser Art droht auch in Nordrhein-Westfalen.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Herr Kollege Witzel, es gibt eine Zwischenfrage, und zwar von dem Kollegen Herrn Rock. Möchten Sie die gestatten?
Ralf Witzel*) (FDP): Aber selbstverständlich. Das ist ja immer sehr instruktiv zwischen uns beiden.
Simon Rock (GRÜNE): Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, auch wenn ich mit dem Wort „instruktiv“ an der Stelle nichts anfangen kann. Das können wir aber beizeiten gerne bilateral austauschen.
Meine Frage. Sie haben gerade wieder darauf angespielt, dass Steuersenkungen im Einkommen- und Unternehmensteuerbereich zu mehr Wirtschaftswachstum und damit auch zu höheren Steuereinnahmen führen. Das war Ihre These, die Sie in den Raum gestellt haben. Können Sie das empirisch an irgendeinem Beispiel eines anderen Staates belegen, dass das tatsächlich so eingetreten ist? Oder ist das nur Ihr finanzpolitisches Voodoo-Bauchgefühl, das Sie zu dieser Annahme, dass das so ist, kommen lässt?
Ralf Witzel*) (FDP): Herr Kollege, es geht hier nicht um mein Bauchgefühl, sondern um politische Überzeugungen und wirtschaftspolitisch unterschiedliche Ansätze.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Um Empirie sollte es gehen!)
Sie wissen, dass es unterschiedliche Lehren gibt, für die Sie alle historisch Belege entsprechend finden.
(Simon Rock [GRÜNE]: Welche denn?)
Ich habe Ihnen für unseren Teil gesagt:
(Simon Rock [GRÜNE]: Okay, also keine Beispiele!)
Wir sind nicht der Auffassung, dass Sie unter dem Strich davon profitieren, wenn Sie eine höhere Steuerlast haben, die international gesehen in Deutschland ohnehin heute schon besonders hoch ist, und damit Unternehmen ins Ausland vertreiben. Vielmehr wollen wir dadurch Steuern einnehmen, dass wir einfach wirtschaftliche Aktivität lostreten – nicht durch höhere Steuersätze, sondern einfach durch mehr Umsatzprozesse, durch mehr Investitionsbereitschaft. Dann fällt davon natürlich auch steuerlich etwas ab. Das war meine Botschaft.
Das können wir gerne in einem wirtschaftspolitischen Proseminar noch einmal bilateral vertiefen. Ich glaube, es ist schwierig, das hier im Landtag im Vorlesungscharakter an dieser Stelle fortzusetzen.
(Beifall von der FDP)
Mir war wichtig, dass die Wirtschaftsweise Professorin Veronika Grimm berechnet hat, dass sie als Gefahr sieht, dass bei der Bundesregierung bei voller Ausnutzung aller Spielräume allein im Jahr 2025 Ausgaben von rund 25 Milliarden Euro verschoben und über zusätzliche Kredite finanziert werden können. Dann würde nämlich der allgemeine Haushalt um Ausgaben für eigentliche Pflichtaufgaben entlastet, damit mehr Wahlgeschenke an anderer Stelle konsumiert werden können. Genau das darf sich auf NRW-Ebene nicht fortsetzen; das ist jedenfalls das Anliegen der FDP-Landtagsfraktion. Eine solide Politik sieht nämlich anders aus.
Die SPD-Landtagsfraktion teilt offenbar unsere Befürchtungen, sonst würde sie in dem Antrag ja nicht schreiben – Zitat –:
„Bundesmittel aus dem Sondervermögen für die Verkehrsinfrastruktur dürfen nicht zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden – sie müssen vollständig und zusätzlich für den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur eingesetzt werden.“
Diese Forderung unterstreichen wir gerne. Allerdings sollte die SPD sie direkt an ihren Parteikollegen Lars Klingbeil im Bundesfinanzministerium richten. Das Kriterium für Zusätzlichkeit ist auf Bundesebene nämlich bereits erreicht, wenn Investitionen eine Quote von nur 10 % übersteigen. Das ist maximal ambitionslos. Bereits im Bundeshaushalt 2024 lag die Investitionsquote mit 12 % deutlich höher. In der Finanzplanung – auch das wissen Sie ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Landtagsfraktion – war von der vorherigen Bundesregierung – auch mit SPD-Beteiligung und Beteiligung von Bundesfinanzminister Christian Lindner – darüber hinaus für das Jahr 2025 eine erkennbar höhere Investitionsquote vorgesehen, nämlich eine von mehr als 16 %.
Die SPD macht auf Bundesebene jetzt den Weg für zusätzliche konsumtive Ausgaben frei, anstatt die dringendsten Probleme in unserem Land anzugehen, insbesondere eine Reform der sozialen Sicherungssysteme und unseres Steuersystems.
In diese Falle dürfen wir nicht auch noch im Land Nordrhein-Westfalen tappen. Auch ohne ein zusätzliches 15 Milliarden Euro schweres Schuldenpaket aus dem Landeshaushalt marschiert Deutschland gerade in kürzester Zeit in eine massive Staatsverschuldung weit über der eigentlichen EU-Vorgabe von 60 % des Bruttoinlandsprodukts. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, wie ernst es den europäischen Institutionen tatsächlich mit EU-Recht ist.
Klar ist auch, dass ein deutscher Schuldenkurs auch in Italien, Griechenland und Frankreich alle Dämme brechen lässt. Der Schuldendienst wäre kaum noch leistbar und würde wichtige Investitionen sukzessive aus dem Haushalt verdrängen. Schulden gibt es weder zum Nulltarif noch gehört dem Staat das hart erarbeitete Geld der Bürger und Unternehmen.
Auch strukturell haben wir Zweifel an der Sinnhaftigkeit Ihres gedanklichen Ansatzes. Wir brauchen nicht mehr Staatsbetriebe und nicht mehr öffentliche Beauftragte für Infrastruktur. Wir benötigen mehr bürokratische Entlastung, denn in Wahrheit scheitern viele Infrastrukturvorhaben auch daran oder verzögern sich, weil es zu wenig Planfeststellungsverfahren und zu viele bürokratische Auflagen gibt. Das müssen und wollen wir ändern. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD hat nun der Abgeordnete Herr Dr. Beucker das Wort.
Dr. Hartmut Beucker*) (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Geehrte Herren! Herzlich willkommen im sozialdemokratischen Wunschtraumland! Die SPD zeigt wieder einmal, wes Geistes Kind sie ist: mehr Schulden, mehr Staat, mehr Steuern in der Zukunft – und das von einer Partei, die ihre Regierungsverantwortung nur einer Brandmauer verdankt und nicht der Tatsache, dass die von ihr vertretene Politik einer größeren Anzahl von Wählern als richtig erscheint.
(Tim Achtermeyer [GRÜNE]: Das entscheiden aber immer noch die Wählerinnen und Wähler! – Christian Dahm [SPD]: Gott sei Dank nicht die AfD!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, grundsätzlich will der Antrag vor dem Wind der aktuellen Schuldenorgie segeln. Sie fabrizieren aber einen Fehlstart, weil Sie die noch nicht verabschiedeten Umsetzungsgesetze zur Aufhebung der Schuldenbremse vergessen. Wir wissen doch noch gar nicht, was die Bundesgesetze uns da noch mitgeben. Sie wollen aber schon Summen an die Kommunen weiterleiten. Sie sagen auch nicht, wie die Landesregierung diesbezüglich im Bundesrat mitwirken soll.
Der erste Absatz des Antrages ist schon bezeichnend für die SPD: kein Wort von der eigentlichen Grundlage von Investitionen, nämlich einer prosperierenden Volkswirtschaft, kein Wort vom Bedürfnis der Menschen nach gut bezahlten Arbeitsplätzen und kein Wort von Unternehmen, die Wohlstand erwirtschaften können. Beide müssten dringend entlastet werden.
Kein Wunder, dass in diesem Antrag das Wort „Sparen“ nicht ein einziges Mal vorkommt! Man muss sicherlich, ganz sicherlich etwas an der Infrastruktur in diesem Land tun. Doch man sollte vorher Ausgaben priorisieren und zwischen wichtigem und verschwenderischem Ausgeben unterscheiden.
Kommen wir zu Ihren Aussagen zum Investitionsstandort. Menschen und Unternehmen sind in der Tat verunsichert. Doch das liegt vielleicht auch daran, dass die SPD gerne mit einer Vermögensteuer kokettiert. Umverteilung durch Enteignung sind auch solche Fantasien. Darüber hinaus haben wir die höchste Steuer- und Abgabenlast. Und die Energiepolitik ist von Industrie, Abriss und Dummheit geprägt. Wir wissen alle, die Deindustrialisierung läuft. Und die SPD regiert seit 1998 mit einer kurzen Unterbrechung im Bund. Da investiert es sich nicht mit so leichtem Herzen.
Zu allem kommt noch Ihre Vorliebe für die Bürokratie. Sie möchten die Position eines Infrastrukturbeauftragten schaffen.
(Christian Dahm [SPD]: Das steht überhaupt nicht drin!)
Heißt das, irgendwer mit einem hohen B-Gehalt plus Stab und Nettigkeiten wie Dienstwagen etc.? Das klingt für mich nach mehr Bürokratie. Da ist die SPD einfach unübertroffen: Bürokratie abbauen und gleichzeitig wieder aufbauen. – Wir haben doch Fachministerien, die sich kümmern sollen.
Dann wollen Sie den Anteil der Kommunen an den Gemeinschaftsteuern erhöhen, damit wir von Förderprogrammen herunterkommen. Dieser Anteil an den Gemeinschaftsteuern soll also zu hoch sein. Aber so festgelegt hat das Ihr Ministerpräsident Johannes Rau. Er war damals für diese Kürzungen verantwortlich. Außerdem lassen sich gewisse Investitionsdefizite sogar noch in seine Amtszeit zurückverfolgen.
Ferner wünschen Sie ein eigenes Investitionsprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro mit allen möglichen Maßnahmen. Da soll es auch wieder Förderprogramme geben, wo Sie diese Förderungen doch gerade durch die Verbundsatzanhebung überflüssig machen wollten. Mehr Förderung heißt natürlich auch wieder mehr Bürokratie. Ihre Maßnahmen widersprechen sich also gegenseitig.
Und was natürlich nicht fehlen darf, ist die Forderung nach Verbesserungen im öffentlichen Dienst. Da freut sich der SPD-Ortsverband.
Unreflektiert bleibt, was diese Schuldenorgie auf Landes- und Bundesebene mit einem der wenigen Asse, die Deutschland noch im Ärmel hat, nämlich seiner finanziellen Solidität, machen wird. Aktuell ist dieses Land mit 62 % seines Bruttoinlandsproduktes verschuldet. Wir gehen mit den 500 Milliarden im Bund und den Ausgaben für die Rüstung ganz schnell über die 80-%-Marke. 120 % sind schon angepeilt. Ich kann hier nur vor einer Schuldenkrise in der Zukunft warnen. Schauen wir mal aktuell nach Japan mit seinen 240 %. Da gehen die Zinsen für Staatsanleihen nach oben. Frankreich mit 110 % hatte vor Kurzem ähnliche Probleme. Und zu den USA mit ihren 120 % gibt es ebensolche Befürchtungen.
Ein Europa ohne ein solides Deutschland – das kann Chaos bedeuten. Warum wollen wir jetzt unsere Stärke verfrühstücken? Nur damit die SPD endlich einmal ihre Träumereien von der Staatswirtschaft ausleben darf? Glauben Sie wirklich, dass der Staat das Geld auch effizient ausgegeben bekommt? Das Ergebnis würde Zusammenbruch plus Inflation sein – zusätzlich zur Inflation nach Corona, verursacht durch schuldenfinanzierte staatliche Ausgabenprogramme, gepaart mit Gelddruck, Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag kann gerne in den Ausschuss überwiesen werden. Zukünftigen Generationen schulden wir aber, ihn dort abzulehnen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Landesregierung hat nun Minister Dr. Optendrenk das Wort.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen ist und bleibt trotz finanzpolitischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen ein Zukunftsland, ein handlungsfähiges Land. Dafür steht diese Landesregierung.
Trotzdem gehen nach drei Jahren Rezession und einer extrem hohen Inflation auch in Nordrhein-Westfalen die Dinge nicht so reibungslos, wie wir uns das alle wünschen. Wir wissen, wir sind in herausfordernden Zeiten. Und deshalb haben wir im Landeshaushalt Prioritäten gesetzt. Trotz dieser Herausforderungen investieren wir sehr gezielt in die Transformation unserer Wirtschaft, in Sicherheit, und vor allem – das wissen Sie alle – nehmen wir sehr viel Geld in die Hand für die Zukunft unserer Kinder und für beste Bildung.
Eben ist es schon angesprochen worden: 42 Milliarden Euro alleine für die Bildung unserer Kinder. – Damit finanzieren wir unter anderem über das hinaus, was es schon gab, zusätzliche 50.000 Plätze im Offenen Ganztag und Kernprojekte wie das Sprach-Kitas-Programm und das Alltagshelfer-Programm. Das sind, auch wenn es haushaltsmäßig keine Investitionen im Kameralen sind, doch unsere Investitionen in die Köpfe unserer Kinder und damit in die Zukunft des Landes.
Denn trotz enormer auch zukünftiger Aufgaben im Bereich der Verteidigung auf Bundesebene müssen wir auf allen staatlichen Ebenen weiterhin diese Bildungschancen nutzen und entwickeln.
Soziale Nachhaltigkeit ist ein Teil der Nachhaltigkeit, genauso wie ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. Dieser Dreiklang ist das Fundament unseres politischen Handelns, und deshalb sind unsere Politikentwürfe – anders als diejenigen, die einfach auf Wunschlisten setzen – realistisch, und sie werden auch entsprechend umsetzbar bleiben. Eine Politik, die entschlossen nach den besten Lösungen für die Menschen sucht und nicht in blumigen Anträgen Luftschlösser zu bauen versucht! Wir stehen deshalb auch weiterhin für eine solide und eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik.
Bei den Investitionen und den notwendigen zusätzlichen Krediten, die aus den Programmen des Bundes entstehen werden, stehen die kommenden Generationen und ihr Wohl für uns an erster Stelle.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Sie sollen schließlich Zukunftschancen zusätzlich bekommen und nicht im Gegenzug von Tilgungs- und Zinslasten erdrückt werden.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Das heißt, öffentliche Investitionen müssen in besonderer Weise zukunftsnützlich – man könnte auch sagen: enkeltauglich – sein.
Investitionen müssen deshalb nicht nur wünschenswert sein, sie müssen auch zukunftsnützlich sein. Nur dann sind sie nachhaltig. Es geht gerade nicht um ein Konjunkturpaket – darüber sind wir uns aber, glaube ich, einig –, sondern es geht darum, dass man sehr gezielt in die Zukunft investiert.
Ich muss die Diskussion, die hier schon geführt worden ist, nicht aufgreifen. Auch ich habe eher den Eindruck, dass das eine oder andere in dem Antrag ein gewisses Sammelsurium an Forderungen ist, die in sich nicht komplett stimmig sind.
Ich möchte aber noch einmal das von Ihnen geforderte zusätzliche Investitionsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen in den Blick nehmen. Sie fordern ein Investitionsprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro zusätzlich. Ich frage mich: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was das konkret bedeutet, wenn Sie dafür Zinsen zahlen müssen? Bei 3 % Zinsen sind es 450 Millionen Euro jährlich, die Sie zusätzlich zahlen müssen, also eine Begrenzung des Handlungsspielraums in zukünftigen Haushalten. Einfach eine große Zahl in einem Wahljahr in die Zeitung und in den Antrag zu schreiben, ist zwar verlockend, aber nicht nachhaltig und auch nicht enkeltauglich. Die Begrenzung öffentlicher Schulden ist und bleibt ein zentraler Baustein der Generationengerechtigkeit.
Die Länder sind jetzt in der Situation, dass sie nach den Grundgesetzänderungen – das Ausführungsgesetz kommt noch – im Kern bis zu 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts jeweils zusätzlich als Kredite aufnehmen können. Das bedeutet übrigens nicht zwingend, dass man das tun muss, denn auch das kostet wieder Zinsen. Wir werden das mit Augenmaß nutzen. Wir werden dies so tun, dass wir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes stärken. Wir wissen aber auf der anderen Seite auch: Geld kostet wieder Geld.
Wenn wir über Investitionen des Landes sprechen, dann sollten wir auch in den Blick nehmen, dass unsere Investitionsquote im Gegensatz zu vielen früheren Jahren – auch mit sozialdemokratischen Regierungen – wieder über 10 % liegt und dass wir in diesem Bereich einiges erreicht haben. Insbesondere sind darin nicht die Zuwendungen an die Kommunen und deren Investitionstätigkeit – wir sind uns einig, dass das ein ganz wesentlicher Teil der Investitionen der öffentlichen Hand in Nordrhein-Westfalen ist – nicht enthalten. Auch Zuweisungen an Dritte – in diesem Sinne sind auch Hochschulen aufgrund unseres Hochschulfreiheitsgesetzes Dritte – sind in diesen 10 % nicht enthalten.
Wenn man das alles betrachtet, dann steht Nordrhein-Westfalen angesichts der Ausgaben, die wir für Investitionen tätigen, eigentlich nicht schlecht da. Trotzdem ist die Wahrheit, dass wir einen Investitionsstau haben, der abgebaut werden muss. Deshalb werden wir uns natürlich an der Umsetzung dieses Bundesprogramms nach Kräften beteiligen.
(Jochen Ott [SPD]: Wäre schön, wenn es nicht verlangsamt wird!)
Ich nehme wahr, dass das Angebot zum parteiübergreifenden Nachdenken über wichtige, richtige und echte Lösungen hier im Hause vorhanden ist. Das sollten wir aufnehmen.
Ich nehme insbesondere mit, dass auch die SPD der Meinung ist, dass wir pragmatische, bürokratiearme Ausführungsgesetze brauchen. Und ich ergänze: Auch vonseiten des Bundes und insbesondere der Verwaltung im Bund – das betrifft weniger die Politik, sondern ganz klassisch die Verwaltung – brauchen wir Vertrauen in die Fähigkeiten und in die Verantwortlichkeit von Ländern und Kommunen.
(Jochen Ott [SPD]: Vor allem Kommunen!)
– Nein, nein, langsam.
In den letzten Jahren haben wir bei mehreren Programmen des Bundes erlebt, dass diese alles andere als bürokratiearm waren,
(Jochen Ott [SPD]: Die Landesprogramme auch!)
dass sie in einer Weise, die es fast nicht ermöglicht hat, die Mittel abzurufen, Verwendungsnachweisprüfungen und Ähnliches vorgegeben haben, was es denjenigen, die schnelle Hilfe brauchten, dies faktisch unmöglich machte. Das – das wissen Sie auch aus der letzten Wahlperiode – war das Gegenteil von dem, was Nordrhein-Westfalen gemacht hat. Ich bin den Behörden in Nordrhein-Westfalen dankbar dafür, dass das so gelungen ist.
Ich höre aber, dass in dem Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums sehr umfangreiche Dokumentationspflichten, Nachweisverwendungs- und Antragsfristen und alles Mögliche drin sein sollen. Wenn Sie Einfluss darauf nehmen wollen, dass das bürokratiearm passiert, dann nutzen Sie bitte auch Ihre Möglichkeiten in Berlin. Das würde uns allen sehr helfen.
Ein Infrastrukturbericht – da kann ich dem Kollegen Krischer, glaube ich, gerne vorgreifen – ist das Gegenteil von dem, was wir jetzt gerade brauchen. Ich bin froh, dass wir in Nordrhein-Westfalen trotz einer schwierigen Haushaltslage in der Lage sind, in den Fachministerien und in der nachgeordneten Verwaltung vernünftig umzusetzen. Wir versuchen alles, um es miteinander gängig zu machen, damit es gelingt. Wir brauchen jetzt kein zusätzliches Berichtswesen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Das Problem, das wir in Deutschland anzugehen haben, wird nicht allein mit öffentlichem Geld zu lösen sein. Wenn wir die richtigen Prioritäten setzen, werden wir ganz viele Menschen und ganz viele Unternehmen brauchen, die ihr Geld für den Standort Nordrhein-Westfalen und auch für den Standort Deutschland einsetzen. Deshalb kommt es darauf an, dass wir unsere Ideen überzeugend nach vorne tragen.
Nordrhein-Westfalen: „Von der Kohle zur KI“; ein Land, das nicht sagt: „Wir bleiben jetzt stehen und schauen, was passiert“, sondern wir packen Transformation an. Wir können Strukturwandel. Wir können ihn aber auch besser machen, als er in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren gelaufen ist. Diese Ambitionen sollten wir gemeinsam haben. Dann haben wir es richtig gemacht.
Die Aufgabe liegt noch vor uns. Wir warten jetzt ab, welche Vorschläge der Bund macht. Wir werden sie kritisch und konstruktiv begleiten. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Baer das Wort. Bitte sehr.
Alexander Baer*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch. – Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden es sicherlich bemerkt haben: Wir bringen hier nicht zum ersten Mal einen Antrag mit dem Leitgedanken „NRW muss funktionieren“ ein. Und Hand aufs Herz: Gibt es denn derzeit ein besseres Motto, das auf dieses Land zutrifft? Ich denke, nicht.
(Beifall von der SPD)
Der heutige Antrag ist dabei mehr als ein weiterer Impuls zu unserem übergreifenden Thema. Er ist ein lauter Weckruf, den Herr Lehne offenbar nicht wahrgenommen hat; denn er schwafelt immer noch von alten Zeiten. Er ist ein umfassendes, leidenschaftliches Angebot an all jene, die sich trauen, über den nächsten Haushalt hinaus zu denken.
Wir sprechen hier nicht über Nebensächlichkeiten. Wir sprechen über unsere Schulen, unsere Straßen, unsere Brücken, unsere Polizeiwachen, unsere Krankenhäuser, unsere Landesliegenschaften, unsere Verwaltung, unsere Sportplätze, unsere Kommunen – kurzum: über die Grundlagen unseres Staatswesens und wie wir sie in eine moderne Zeit bringen.
Was macht die Landesregierung? Sie wartet, sie rechnet, sie zögert. Aber wie lange wollen Sie eigentlich noch zusehen, wie es durchs Dach regnet; wie lange noch die Hände in den Schoß legen, während Schlaglöcher zu Kratern werden und Heizungen in öffentlichen Gebäuden zu archäologischen Fundstücken mutieren?
Wer heute in NRW unterwegs ist, fährt – oder besser gesagt: holpert – durch Sanierungsstaus oder arbeitet in Gebäuden, die von der Digitalisierung bestenfalls gehört haben. Unsere Schulkinder gehen auf Toiletten, wo sich die meisten von uns nicht einmal die Hände waschen würden. Dabei wissen wir: Wer heute nicht investiert, zahlt morgen doppelt so viel an Geld, aber auch an Vertrauen. Und das schwindet jeden Tag.
Ich frage Sie deshalb: Wollen Sie sich wirklich damit zufriedengeben, dass unsere Kinder in maroden Schulen lernen, dass Menschen auf Wartelisten für Krankenhausbehandlungen landen, weil die Infrastruktur kollabiert, dass Kommunen vor der Wahl stehen, ob sie lieber ein Schwimmbad schließen oder den Spielplatz sanieren? Ich sage Ihnen: Nein. NRW muss funktionieren. Punkt.
(Beifall von der SPD)
Seit Jahren stehe ich in regelmäßigen Abständen hier am Rednerpult und erinnere Sie an eine wirtschaftliche Binsenweisheit, die man eigentlich nicht oft genug betonen kann: Wer in Infrastruktur investiert, legt das Fundament für eine stabile Zukunft und wird langfristig die Früchte ernten. Wer hingegen nur noch das Nötigste flickt, laufende Kosten aus dem letzten Loch pfeifen lässt und sich dem Reparaturmodus verschließt, manövriert sich sehenden Auges in den wirtschaftlichen Ruin.
Nun – siehe da! – bestätigt uns sogar der Bund diesen Kurs. Während meine Mahnungen und unsere zahlreichen Initiativen zu nachhaltigen Investitionen hier in Düsseldorf meist ungehört verhallten, scheint zumindest in Berlin endlich ein Umdenken stattzufinden.
Hier, in der Schaltzentrale des einwohner- und wirtschaftsreichsten Bundeslandes tut man sich weiterhin schwer damit, diesen klaren Kurs einzuschlagen. Deshalb nehmen wir heute mit einem Antrag das Heft in die Hand, und zwar mit einem Antrag, der so umfangreich ist wie die Probleme, die gelöst werden sollen. Damit leisten wir die Arbeit, die eigentlich von Ihnen, von den regierungstragenden Fraktionen längst hätte kommen müssen.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie aber nicht liefern, dann tun wir das eben.
Während Herr Merz in Berlin auf einmal Milliarden lockermacht – ein Wunder ist geschehen –, hält Herr Optendrenk in NRW stoisch die Kasse zu. Pendlerpauschale? Zu teuer. Die WAZ übertitelt das Interview mit ihm: „Erhöhung der Pendlerpauschale: Warum NRW sich querstellt“. Straßensanierungen? Sind nicht drin. Investitionen? Lieber nicht; wir könnten ja morgen eine Rechnung bekommen. Meine Güte, Herr Minister, so läuft es eben nicht.
Deshalb richte ich meine Fragen ganz gezielt an die Landesregierung, an Herrn Minister Optendrenk und insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der CDU. Stehen Sie hinter dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz? Wenn er die Notwendigkeit umfangreicher Investitionen in unsere Infrastruktur jetzt über alte Wahlversprechen stellt, wie genau wollen Sie dann den Investitionsstau in unserem Land jenseits wohlklingender Absichtserklärungen auflösen? Wie lange wollen Sie noch an der Schuldenbremse festhalten, als wäre sie ein Naturgesetz, obwohl sie uns längst daran hindert, das Notwendige zu tun?
Wann räumen Sie endlich ein, dass die Menschen in diesem Land kein weiteres „den Gürtel enger schnallen“, sondern endlich eine Investitionspolitik brauchen, die mit Weitblick, Vernunft und einem klaren Blick auf die Zukunft gestaltet ist? Das würde zeigen, dass sich etwas tut; dass wir etwas tun.
(Beifall von der SPD)
Was wir konkret vorschlagen, liegt auf dem Tisch. Wir haben einen echten Modernisierungsfahrplan für NRW. Das ist kein Flickenteppich, das ist kein Wunschzettel, sondern das ist ein durchdachtes, realistisches, kraftvolles Investitionsprogramm für ein NRW, das endlich wieder funktionieren muss.
(Zuruf von Tim Achtermeyer [GRÜNE])
Oder wollen Sie am Ende ernsthaft behaupten, dass NRW im besten Zustand sei? Dann fahren Sie einmal mit dem Lkw von Bielefeld nach Siegen, besuchen Sie eine Schule in fast jeder Stadt in NRW, versuchen Sie, auf dem Land einen Facharzttermin zu bekommen, oder, oder, oder; mir fallen viele Sachen ein.
(Zuruf von Tim Achtermeyer [GRÜNE])
Unsere Botschaft ist klar: Genug gezaudert, jetzt wird gemacht – für die Menschen, für die Zukunft, für NRW. – Danke.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Kollege Tim Achtermeyer das Wort. Bitte sehr.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, diese Debatte funktioniert ein bisschen zu sehr in Reflexen. Ja, die Infrastruktur in diesem Land bröckelt. Sie bröckelt aber auch nicht erst seit gestern.
(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)
Seit 20 Jahren hat die Politik über alle Parteifarben hinweg Probleme und Löcher mit Gaffa-Tape zugeklebt, statt wirklich zu investieren.
(Christian Dahm [SPD]: Es hat keiner den Vorwurf gemacht!)
Es hat also jeder hier oder die Parteifarbe, die ihn hier hingebracht hat, eine Verantwortung. Das müssen wir jetzt gemeinsam lösen.
(Jochen Ott [SPD]: Das stimmt!)
Ich höre jetzt von der SPD, dass wir viel mehr Geld und überall Investitionen brauchen. Das teile ich im Grundsatz.
(Jochen Ott [SPD]: Das stimmt auch!)
Sie sagen aber auch, Sie würden unsere Arbeit machen. Na ja, zu unserer Arbeit würde es aber auch gehören, einmal zu erklären, woher das Geld kommen soll, das Sie ausgeben wollen.
(Alexander Baer [SPD]: Das haben wir ja getan!)
Das findet sich nämlich nicht. Ich habe den Antrag noch einmal durchgelesen. Ich finde keinen Finanzierungsvorschlag. Es ist auch nicht doppelseitig gedruckt. Ich weiß also nicht, woher der Finanzierungsvorschlag kommen soll. Das würde aber zur Arbeit gehören. Das wäre souverän und auch redlich.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Dann muss ich sagen: Wir als Land sollen jetzt noch einmal 15 Milliarden Euro aufnehmen, und Sie haben noch ein paar Sachen gesagt, die wir machen sollen. Wir sollen das meiste von diesem 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket an die Kommunen geben. Mit dem gleichen Geld sollen wir auch noch alle Landesliegenschaften – Hochschulen, Polizei, Justiz, Landesober- und Landesmittelbehörden, Finanzverwaltung –, Schulen und den Bereich „Sport“ machen. Was wir nicht alles damit machen sollen!
(Jochen Ott [SPD]: Deshalb macht ihr lieber gar nichts!)
– Moment. – Jetzt ist es ja so, dass diese 500 Milliarden Euro für ganz Deutschland sind. Für Nordrhein-Westfalen sind es ungefähr 21 Milliarden Euro. Auf zwölf Jahre gerechnet ergibt das einen Spielraum von ungefähr 1,75 Milliarden Euro. So weit, so gut.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege Achtermeyer.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Christof Rasche: Der Kollege Zimkeit hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Ich freue mich.
Vizepräsident Christof Rasche: Bitte sehr.
Stefan Zimkeit*) (SPD): Mal sehen, ob es bei der Freude bleibt. – In der letzten Legislaturperiode haben die Grünen gemeinsam mit der SPD für ein kreditfinanziertes Landesinvestitionsprogramm gestimmt, das genau die Punkte umsetzen sollte, die Sie gerade noch einmal aufgemetert haben. Warum haben Sie dann die gleiche Forderung, die wir in dieser Legislaturperiode vor den gleichen Hintergründen gestellt haben, abgelehnt?
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Nein, nein! Ich will es noch einmal vorrechnen. Warten Sie bitte diese Rechnung einmal ab.
Von 500 Milliarden Euro sind 21 Milliarden Euro für NRW. Das sind 1,75 Milliarden Euro pro Jahr. Damit sollen wir jetzt alles – alle Schulen, alle Kitas, alle Universitäten, alle Polizeibehörden; alles – finanzieren. Das kostet richtig viel Geld, und man wird bei Weitem nicht mit diesem Milliardenbetrag auskommen. Er wird bei Weitem nicht reichen.
Nun enthält der Bundeskoalitionsvertrag aber nicht nur das, sondern auch noch ordentlich Steuersenkungen, die das Land mitfinanzieren soll – pro Jahr ungefähr 1,5 Milliarden Euro, aufwachsend auf bis zu 3 Milliarden Euro pro Jahr. Wer mitrechnen kann, sieht, dass das ein Delta von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ergibt. Wo sollen wir das Geld denn herbekommen? Aus dem Landeshaushalt? Die ganze Rechnung der SPD ist doch unseriös.
(Christian Dahm [SPD]: Soll der Landeshaushalt das ausgleichen, oder was?)
Es tut mir leid. Was Sie hier machen, ist doch unseriös.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie doch letzte Legislatur noch mitbeschlossen!)
Deswegen ist ja so interessant, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende Miersch darauf angesprochen wurde, dass die Länder jetzt alle klagen, wie sie das eigentlich alles finanzieren sollen. Das ist ja nicht nur das Land NRW, sondern auch das Saarland. Daraufhin sagte der Fraktionsvorsitzende Miersch: Ich weiß gar nicht, warum die Länder sich so anstellen; die kriegen doch jetzt Investitionsmittel; damit können sie das doch alles finanzieren.
Jetzt ergibt sich also Folgendes: Wir sollen mit den Mitteln, die wir eigentlich zum Investieren bekommen, die Wahlkampfversprechen der SPD und des SPD-Finanzministers bezahlen. Wie soll das denn zusammengehen? Wie sollen wir damit auch nur eine Schule und ein Schulklo sanieren? Wie soll das funktionieren? Es funktioniert gar nicht.
(Jochen Ott [SPD]: Das ist ja ein bisschen billig! – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Das ist aber billig!)
Es funktioniert gar nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann will ich noch einen Punkt ansprechen, wenn wir schon über Steuersenkungen reden.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Ich gönne ja jedem eine Steuersenkung. Und die Steuersenkungen, die im Raum stehen, sollen vor allem die Wirtschaft wieder ankurbeln.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Wollen Sie die Frage noch beantworten? – Simon Rock [GRÜNE]: Hat er doch!)
Wenn ich mir aber angucke, dass die Senkung der Gastronomiesteuer vor allem einen Hauptprofiteur hat, nämlich McDonalds mit 140 Millionen Euro Mehrgewinn pro Jahr, dann frage ich mich schon, wie das die Konjunktur ankurbeln soll. Ich glaube, das hätte man deutlich besser steuern können, sodass es wirklich eine Entlastung gibt, meinetwegen für die Kneipe um die Ecke. Das wäre dann auch ein Ankurbeln der Wirtschaft – also auf jeden Fall dieser Wirtschaft – gewesen. So ist es das auf jeden Fall nicht.
Am Ende möchte ich noch eines sagen. Ich war kürzlich in Berlin und habe dort Herrn Gauck gehört. Herr Gauck hat gesagt: Wir reden alle immer viel zu viel über den Missmut in diesem Land und darüber, was alles nicht gut läuft. – Damit hat er, finde ich, recht – unabhängig davon, dass die Infrastruktur in diesem Land wirklich wegbröckelt. Wir sollten aber auch über das Gelingen reden. Zum Gelingen gehört, dass irgendeiner das, was wir hier an Investitionsmitteln auf den Weg bringen, auch umsetzen muss.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Was Oliver Krischer in seinem Ministerium hinbekommen hat – dass wir Brücken in Expressbauweise errichten, dass wir im Turboverfahren ausschreiben, dass wir hier eine Brücke nach der anderen in den nächsten zehn Jahren in diesem Land wieder funktionsfähig hinbekommen –, ist wirklich eine Geschichte des Gelingens. Ich verstehe, dass die SPD jetzt nicht Oliver Krischer hochjubeln kann. Aber ich glaube, es täte uns gut, wenn wir auch die Geschichten des Gelingens in diesem Land wieder mit ein bisschen mehr Freude erzählen würden, um auch Lust darauf zu machen und zu vermitteln, dass man in diesem Land etwas hinbekommen kann
(Jochen Ott [SPD]: Wir hätten gerne Freude!)
und dass die Infrastruktur nicht so bleiben muss, wie sie ist, sodass wir alle gemeinsam wieder gern in den Zug einsteigen, weil die Schienen in Ordnung sind und der Zug auch fährt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Minister Oliver Krischer wurde gerade angesprochen. Er hat jetzt das Wort. Bitte.
Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig richtig: Unsere Infrastruktur ist in einem hochproblematischen Zustand. Das wurde gerade schon angesprochen. Ich verantworte die Verkehrsinfrastruktur im Zuständigkeitsbereich des Landes Nordrhein-Westfalen.
Herr Dahm, Sie haben durchaus – es klang ein bisschen selbstkritisch – am Anfang gesagt: Es ist richtig, was Mona Neubaur sagte; wir brauchen jetzt einen Aufbau West. – Dann haben Sie aber gesagt: Hannelore Kraft hat das schon 2012 gefordert.
Wir müssen vielleicht einmal an den Punkt kommen, dass wir gemeinsam feststellen: Das hat in den letzten Jahren nicht funktioniert.
(Christian Dahm [SPD]: Kein Dissens!)
Ganz offensichtlich sind wir mit dieser Positionierung, dass in Nordrhein-Westfalen investiert werden muss, in Berlin nicht durchgedrungen.
Deshalb wäre, glaube ich, auch für die Partei, die den Bundesfinanzminister stellt, jetzt der Punkt, zu gucken, was denn da zu tun ist. Nun kann man Forderungen an die Landesregierung richten. Wir investieren so viel in Ersatzneubauten und Sanierungen von Brücken wie noch nie in diesem Land. In den letzten Tagen haben wir ein Programm über 600 Millionen Euro für die Erhaltung unserer Verkehrsinfrastruktur vorgelegt. Da machen wir unsere Hausaufgaben. Man kann immer noch mehr machen, aber da tun wir etwas.
Jetzt reden wir allerdings über das Sondervermögen. Da bin ich, ehrlich gesagt, ein bisschen erstaunt über Ihren Antrag, weil Sie die Landesregierung auffordern, es solle alles zusätzlich stattfinden, wenn dieses Sondervermögen ankommt.
Tim Achtermeyer hat gerade vorgerechnet, dass als Landesanteil am Ende, wenn man den Königsteiner Schlüssel zugrunde legt, 1,7 Milliarden Euro in Nordrhein-Westfalen da sein werden, und zwar nicht nur für Verkehrsinfrastruktur, sondern für alles, was investiert werden soll. Ich sage Ihnen einmal ganz deutlich: Allein bei der Bundesinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen, also Autobahnen, Schienen und Wasserstraßen, haben wir einen Investitionsbedarf von knapp 100 Milliarden Euro – und da reden wir nur über den Teil der Verkehrsinfrastruktur des Bundes. Da ist noch nicht das Land dabei, da sind noch nicht die Kommunen dabei, und da haben wir noch keine Schule und noch kein einziges Krankenhaus saniert.
Deshalb ist die erste wichtige Botschaft, nicht so zu tun – und das suggerieren Sie in Ihrem Antrag und Ihren Redebeiträgen –, als ob mit dem Sondervermögen jedes Problem gelöst wäre.
(Christian Dahm [SPD]: Nein! Wahrlich nicht! Überhaupt nicht! – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Es kann allenfalls ein Anfang sein, dass wir uns endlich um die Erhaltung der Infrastruktur kümmern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich habe auch gestaunt – der Kollege Achtermeyer hat es schon angesprochen –, als ich am Wochenende den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, im Fernsehen gesehen habe, der in den „Tagesthemen“ gesagt hat: Wenn es demnächst Steuersenkungen auf Bundesebene gibt, die die Länder belasten, haben die Länder damit doch gar kein Problem; sie bekommen ja Geld aus dem Sondervermögen für die Infrastruktur – nach dem Motto: Wir geben euch etwas und nehmen es euch an der anderen Stelle weg.
Wenn das die Politik der SPD ist, dann haben Sie immer noch nicht verstanden, was „Aufbau West“ und „Erhaltung der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ heißt, meine Damen und Herren.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Ich möchte an dieser Stelle einen Satz aus dem Schreiben Ihres Bundesfinanzministers an seine Kabinettskollegen in Berlin zitieren. Da heißt es – ich zitiere wörtlich mit Erlaubnis des Präsidenten –:
„Die Einzelpläne sind um die Maßnahmen, die zukünftig im Sondervermögen gemäß Artikel 143h des Grundgesetzes finanziert werden, abzusenken.“
Es ist die klare Ansage des Bundesfinanzministers, dass den Ressorts das, was durch das Sondervermögen in Zukunft finanziert wird, an der anderen Stelle weggenommen wird. Das konterkariert alle Bemühungen.
Ich will klarmachen – dafür wird diese Landesregierung kämpfen –: Wir werden uns nicht an der einen Stelle das Geld wegnehmen und uns dann vorwerfen lassen, dass nicht genug zum Investieren da ist. Wir werden dafür kämpfen, dass in Nordrhein-Westfalen investiert wird und das wir die nötige Mittelausstattung gegen den in allen Bereichen vorhandenen Investitionsstau, insbesondere in der Verkehrsinfrastruktur, für die ich stehe, bekommen, denn sonst sitzen wir noch in 20 Jahren hier und haben dieses Problem nicht gelöst, sondern verschlimmert. Das sollte ein gemeinsames Interesse dieses Hauses mit Blick auf Berlin sein – egal, wer dort gerade regiert.
Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen der Sozialdemokratie an der Seite der Landesregierung wären. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14010 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Heimat und Kommunales, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend, an den Verkehrsausschuss, an den Ausschuss für Schule und Bildung, an den Sportausschuss, an den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Digitalisierung. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Empfehlung zu? – Die Fraktionen von SPD, Grünen, CDU, FDP und AfD. So habe ich das wahrgenommen. Damit ist diese Empfehlung so angenommen.
Wir kommen zu:
4 Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz NW)
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14024
Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat der Kollege Dirk Wedel das Wort. Bitte sehr.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Feiertagsgesetz stammt aus einer Zeit, in der sich das gesellschaftliche Leben grundlegend von dem unterschied, was wir heute unter einem modernen Wochenende verstehen. Seit der letzten Änderung im Jahr 1994 haben sich unsere Arbeitswelten und Freizeitgewohnheiten stark gewandelt.
Wer schon einmal samstags in einer Autowaschanlage war, weiß: Die Nachfrage ist riesig. Autopflege ist für viele längst keine Pflicht mehr, sondern Teil ihrer individuellen Freizeitgestaltung geworden. Wer am Sonntag ins Schwimmbad oder ins Kino gehen kann, sollte auch sein Auto waschen dürfen.
(Beifall von der FDP)
Genau an diesem Punkt setzt unser Gesetzentwurf an. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Feiertagsgesetzes NW reagieren wir auf veränderte Lebenswirklichkeiten und schaffen Rechtssicherheit für ein Bedürfnis, das längst Realität ist.
(Heiterkeit von Elisabeth Müller-Witt [SPD])
Wir wollen es ermöglichen, dass automatische Autowaschanlagen und bestimmte Selbstwaschanlagen an Sonn- und Feiertagen zwischen 12:00 Uhr und 20:00 Uhr geöffnet sein dürfen, allerdings nur in Gewerbe- und Industriegebieten oder in Verbindung mit Tankstellen.
Besonders geschützte Feiertage wie Karfreitag, Totensonntag oder der erste Weihnachtsfeiertag bleiben dabei selbstverständlich vollständig ausgenommen. Der Schutz des Sonntags bleibt also gewahrt.
Etwaigen Reformbedarf bei den stillen Feiertagen haben wir bewusst nicht zum Gegenstand dieses Gesetzentwurfs gemacht. Hierbei möchten wir dem im schwarz-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten ergebnisoffenen, landesweiten moderierten Prozess, der die gesellschaftliche Diskussion über stille Feiertage, ihre Bedeutung und Ausgestaltung aufnimmt, nicht vorgreifen. Allerdings müsste Herr Minister Liminski neun Monate nach unserer letzten diesbezüglichen Erörterung im Hauptausschuss im Hinblick auf das fortschreitende Ablaufen der Wahlperiode vielleicht doch so langsam einmal aktiv werden. Oder will die Landesregierung das Thema aussitzen, Herr Minister Reul?
(Beifall von der FDP)
Unser Gesetzentwurf wahrt die verfassungsrechtlich gebotene Balance. Der Sonntagsschutz ist in Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 139 Weimarer Reichsverfassung sowie in Art. 25 der nordrhein-westfälischen Landesverfassung fest verankert. Doch auch dieser Schutz darf gesellschaftliche Veränderungen nicht ausblenden und muss im Verhältnis zu anderen Grundrechten immer wieder zeitgemäß austariert werden.
Wir haben die Gesetzgebungsverfahren anderer Bundesländer und die zu den einschlägigen Normen ergangene Rechtsprechung der Verfassungsgerichte umfangreich ausgewertet. Unser Vorschlag nimmt Rücksicht auf die betroffenen Beschäftigten, auf die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner sowie auf die Sonntagsruhe und erfasst nur einen eng umrissenen, hochgradig automatisierten Bereich mit begrenztem Personalaufwand.
Der Schutz unserer Umwelt ist ebenfalls ein starkes Argument. Wo legale Angebote fehlen, weichen viele auf verbotene Handwäschen aus, mit teils gravierenden Folgen für Böden und Gewässer. In vielen Regionen unseres Landes beobachten wir, dass Menschen ihre Autos sonntags in Einfahrten, auf Straßen oder an Gewässern waschen, oft mit erheblichen Risiken für unser Grundwasser. Ölreste, Reinigungsmittel und Schmutz gelangen ungefiltert in den Boden oder in die Kanalisation.
Moderne Waschanlagen hingegen sind umwelttechnisch auf dem neuesten Stand, verfügen über Wasserrückgewinnung und sind an die Kanalisation angeschlossen.
(Beifall von der FDP)
Wer dem Umweltschutz also wirklich dienen will, sollte das kontrollierte Waschen in professionellen Anlagen ermöglichen und nicht verbieten.
(Beifall von der FDP)
Unser Vorschlag ist kein Alleingang. Bereits in zehn Bundesländern sind vergleichbare Regelungen Realität und werden von der Bevölkerung angenommen. In unseren europäischen Nachbarländern wie den Niederlanden oder Belgien ist eine Sonntagsöffnung ohnehin selbstverständlich. Nordrhein-Westfalen fällt hierbei zurück. Unser Gesetzentwurf schafft Gleichheit im Wettbewerb und gibt Betrieben unseres Landes die gleiche unternehmerische Freiheit.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines betonen: Es geht nicht um eine symbolische Debatte, sondern um ein kleines Stück gelebter Freiheit, und um die Möglichkeit, am Sonntag nicht nur spazieren zu gehen oder ins Schwimmbad, sondern eben auch das Auto zu waschen. Wer das für banal hält, verkennt, dass sich die Freiheit des Einzelnen oft in den kleinen Dingen des Lebens zeigt.
(Beifall von der FDP – Lachen von Elisabeth Müller-Witt [SPD] und Alexander Baer [SPD])
Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der CDU hat nun der Kollege Daniel Hagemeier das Wort. Bitte sehr.
Daniel Hagemeier*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Anträge und Gesetzesentwürfe in diesem Haus, bei denen zweimal hingeschaut werden muss.
(Carsten Löcker [SPD]: Ja, genau!)
Beim ersten Mal erschließt sich möglicherweise die Sinnhaftigkeit nicht zwangsläufig.
Vordergründig geht es heute um ein Detail, nämlich um die Rahmenbedingungen für den Betrieb von Waschanlagen – genauer gesagt: Rahmenbedingungen für den Betrieb von Waschstraßen an Sonn- und Feiertagen.
Dahinter steckt aus unserer Sicht aber mehr. Was in dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt wird, klingt zunächst nach einer einfachen und pragmatischen Anpassung,
(Marc Lürbke [FDP]: Das ist es auch!)
nach einem kleinen Schritt, der den Alltag etwas unkomplizierter machen soll.
(Marc Lürbke [FDP]: Genau das ist es! – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Genau an diesem Punkt beginnt aus unserer Sicht aber die eigentliche politische Debatte. Denn die Wahrheit ist: Was uns die Freien Demokraten vorschlagen, berührt doch in Wirklichkeit ein Grundprinzip,
(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Ja!)
nämlich den verfassungsrechtlich verankerten Schutz unserer Sonn- und Feiertage.
Der Sonntag ist mehr als ein freier Tag. Ja, wir leben in einer Gesellschaft, die leistungsfähig, flexibel und wirtschaftlich hochdynamisch ist. Wer würde das bestreiten? Aber umso mehr gehört die Möglichkeit des Ausruhens, des Rückzugs ins Private dazu.
(Beifall von Marc Lürbke [FDP])
Dass wir bewusst Räume bewahren, die nicht permanent verfügbar, nicht permanent funktional sind – genau darum geht es.
Das ist der eigentliche Punkt, über den wir heute miteinander diskutieren: Räume bewahren, die nicht permanent verfügbar, nicht permanent funktional sind. Die Sonn- und Feiertage stehen genau dafür. Ich bin fest davon überzeugt: Es ist gut, dass unser Ladenöffnungsgesetz diese Tage in einem ansonsten aus Überzeugung sehr liberal aufgesetzten gesetzlichen Rahmen, der werktags 6 mal 24 Stunden weitgehende Freiheiten gewährt, schützt.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege Hagemeier, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Brockes.
Daniel Hagemeier*) (CDU): Sehr gern.
Vizepräsident Christof Rasche: Bitte.
Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Danke, lieber Kollege Hagemeier, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Wie bewerten Sie es, dass selbst im erzkonservativen Bayern und auch in weiteren Bundesländern das Waschen der Fahrzeuge am Sonntag zugelassen ist?
Daniel Hagemeier*) (CDU): Jedem Bundesland, Herr Kollege Brockes, steht es natürlich frei, Sonderregelungen zu schaffen. Sie haben eben schon durch Ihren Kollegen vortragen lassen, dass wir in zehn Bundesländern bereits eine andere Regelung haben. So haben wir auch die Möglichkeit, in Nordrhein-Westfalen unseren eigenen Rahmen festzuzurren. Ich werde jetzt bei der Fortsetzung meiner Rede auch noch weiter darauf eingehen, was wir für richtig halten. Danke.
Ich meine, diese Balance hat sich aus unserer Sicht bewährt. Wer sie antastet, mag es ja gut meinen, aber er öffnet die Tür für Weiteres und riskiert eben auch, dass aus der Ausnahme plötzlich die Regel wird oder werden könnte. Genau das wollen wir explizit nicht.
Ich weiß – wir alle wissen es –, dass die Freien Demokraten hier selbstverständlich eine andere Haltung vertreten. Das ist ihr gutes Recht. Aber ich bin überzeugt: Nicht jede vermeintliche Erleichterung ist in Wirklichkeit auch eine Erleichterung und ein Fortschritt, und nicht alles, was organisatorisch oder technisch möglich wäre, ist auch gesellschaftlich klug.
Wir müssen nicht nur. Wir sollten uns fragen, welchen Stellenwert wir gemeinsamer Zeit, gemeinsamen Atempausen und deren Schutz generell beimessen. Ich meine, Sonn- und Feiertage sind keine obsolet gewordenen Relikte, sie stehen einfach nicht zur Disposition. Der Schutz von Sonn- und Feiertagen ist aus unserer Sicht ein hohes Gut, und wenn man genau hinschaut, sind die Freiräume, die sie in unserer schnelllebigen, oft durchgetakteten Zeit schaffen, ein echtes Geschenk. Wer heute den Schutz an der einen Stelle aufheben will, wird morgen die nächste Ausnahme fordern.
Was aber am Ende steht, ist die Entgrenzung. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns heute und auch in Zukunft für den Sonn- und Feiertagsschutz stark machen. Der Überweisung in den Fachausschuss stehen wir nicht im Weg. Den Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs lehnen wir aus Überzeugung ab, aus Respekt vor den Schutzräumen, die unsere Sonn- und Feiertage sind, und aus Verantwortung für das Ganze insgesamt. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Danke.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Müller-Witt das Wort. Bitte sehr.
Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der FDP reiht sich ein in eine Reihe von Versuchen, das Feiertagsgesetz NRW aufzuweichen. Damit wird wieder einmal die Haltung einiger Liberaler deutlich, dass die religiöse sowie gesellschaftliche Tradition einer sonn- und feiertäglichen Ruhe nicht mehr von Bedeutung sei. Begründet wird dies mit dem Bedürfnis, stets jeder Form der Beschäftigung im Wege eines freiheitlichen Lebensstils nachgehen zu können.
Dass hinter der Ruhe an Sonn- und Feiertagen aber auch eine soziale Schutzfunktion und der verfassungsrechtlich gesicherte Schutz der Familie, des Zusammenlebens steht, geht in dieser Diskussion oftmals unter. Ist das Bedürfnis, sein Fahrzeug am Sonn- oder Feiertag in einer Waschanlage reinigen zu lassen, wirklich ein Bedürfnis, das es gebietet, all diese Funktionen freier Tage infrage zu stellen?
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Nein!)
Oder reden wir einzelnen Gruppen wie Autoliebhabern oder Waschanlagenbetreibern das Wort?
(Beifall von der SPD)
Das aktuell gültige Gesetz in NRW untersagt den Betrieb von Autowaschanlagen an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich. Dabei geht es um die Vermeidung aller öffentlich bemerkbaren Arbeiten, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu stören, so § 3 des Landesgesetzes.
Nach diesem Leitbild hat der Gesetzgeber auch in Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern beschlossen, auch das Betreiben von automatisierten oder teilautomatisierten Waschanlagen zu untersagen. Bestätigt wurde dies obergerichtlich vom OVG Münster. So wird es auch in zwei großen Nachbarländern, nämlich Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, beurteilt und geregelt.
Der Betrieb von Autowaschanlagen an Sonn- und Feiertagen hängt stets mit öffentlich bemerkbaren Arbeitsvorgängen zusammen, die somit öffentlich wahrnehmbar sind. Das Betreiben von Waschanlagen wird als eine typisch werktägliche, der Gewinnerzielung dienende Tätigkeit gewertet. Sie widerspricht dem Wesen der Sonn- und Feiertage. Dies gilt auch für den Betrieb automatischer Waschanlagen ohne Personaleinsatz. Auch dies ist obergerichtlich bestätigt.
Bundesweit betrachtet sind die Regelungen zum Sonn- und Feiertagsrecht recht unterschiedlich, da dies auf Landesebene geregelt wird. Alle Regelungen entsprechen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Es gibt also auch in Nordrhein-Westfalen keine Notwendigkeit, tätig zu werden.
Aber die Initiative der FDP hat möglicherweise einen anderen Hintergrund. Denn unter anderem organisiert der Verband der Tankstellenbetreiber seit einiger Zeit Widerstand gegen das in Nordrhein-Westfalen geltende Feiertagsverbot für den Betrieb von Autowaschanlagen mit der Begründung, viele Pächter seien auf die Einnahmen angewiesen, da sie mit dem reinen Spritverkauf nur rund ein Fünftel ihres Verdienstes erwirtschaften könnten, so der Sprecher des Interessenverbandes der Tankstellenbetreiber.
Dass nun aber der Betrieb von Waschstraßen an Tankstellen an Sonn- und Feiertagen für die Wirtschaftlichkeit jener sorgen soll, ist nicht nachvollziehbar,
(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
gerade, wo es doch offensichtlich ist, dass die angewachsene Konkurrenz durch die schon erwähnten Waschparks außerhalb der Siedlungsgebiete ein größeres Problem zu sein scheint.
Kurz und gut: Der Überweisung in den Fachausschuss stimmen wir wie üblich zu. Aber dem Gesetzentwurf können wir nicht folgen, auch nicht Ihrer Bitte um Zustimmung. – Danke.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Kollege Jan Matzoll das Wort. Bitte sehr.
Jan Matzoll (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP führt in ihrer Begründung zu diesem Gesetzentwurf aus, dass sich die, ich zitiere,
„gesellschaftliche Anschauung über den Sinn und Zweck der Sonn- und gesetzlichen Feiertage“
geändert habe.
Da kann und will ich nicht widersprechen. Ob jetzt ausgerechnet das Bedürfnis der Pkw-Besitzerinnen und Besitzer nach der Pflege ihrer Autos der entscheidende Punkt ist,
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
der diesem gesellschaftlichen Wandel Rechnung trägt, weiß ich nicht. Es ist richtig und wichtig, sich darüber auszutauschen, wie im Jahr 2025 zeitgemäß mit Sonn- und Feiertagen umzugehen ist, und wie wir mit vollautomatischen Angeboten umgehen, wenn sie denn in der Praxis tatsächlich keiner menschlichen Unterstützung mehr bedürfen.
Ich habe aber erheblichen Zweifel daran, dass diese Flickschusterei der FDP – hier das Ladenöffnungsgesetz um den Aspekt „Automaten-Kioske“, dort das Feiertagsgesetz entgegen der inneren Logik um den Ausnahmetatbestand „Waschanlagen“ ergänzen – der richtige Weg ist, um der veränderten Realität im Jahr 2025 zu begegnen.
(Beifall von den GRÜNEN und von Bianca Winkelmann [CDU])
1956 – es schon ein bisschen länger her – forderten die Gewerkschaften im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs aus der Perspektive der Kinder: „Samstags gehört Vati mir“. Der Gesetzentwurf der FDP liest sich in etwa: „Sonntags gehört Vati mir“,
(Marc Lürbke [FDP]: Jei, jei, jei!)
nur dass wir dieses Mal in keine entschlossenen Kinderaugen schauen, sondern in die marginal verschmutzten Scheinwerfer eines Porsche 911 eines ehemaligen FDP-Vorsitzenden. In Zeiten von Klimakrise und Verkehrswende ist das vielleicht nicht Priorität Nummer eins.
Wir freuen uns aber, über das Thema sachlich und gründlich weiter zu diskutieren, und stimmen der Überweisung in die Ausschüsse gerne zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Christof Rasche: Für die Fraktion der AfD hat nun Herr Keith das Wort. Bitte sehr.
Andreas Keith*) (AfD): Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man fast darüber lachen. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach drei Jahren Regierungsverantwortung im Bund und fünf Jahren in NRW mit Ministerien, Macht und Mandaten, fragt man sich: Was ist eigentlich übrig geblieben von der FDP? Nicht viel, wie dieser Antrag beweist. Kein großer Wurf zur Entlastung der Bürger, kein mutiger Abbau von Bürokratie, kein echter wirtschaftspolitischer Befreiungsschlag.
Stattdessen haben wir hier einen Gesetzentwurf zur Sonntagsöffnung von automatischen Waschanlagen. Das ist jetzt also die Politik der Freiheit, mit der man das Land voranbringen will?
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Man möchte fast sagen: Die FDP betreibt mittlerweile eine Art Mikropolitik fürs Mittelmaß.
Während Millionen Bürger unter der Teuerung für die eigene Wohnung und für Lebensmittel, unter überbordender Bürokratie und Migrationsdruck ächzen, liefert die FDP – nun ja – Schaumprogramm für den Sonntag.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist juristisch durchaus haltbar. Die Regelung bleibt im Rahmen des verfassungsrechtlich Erlaubten. Es geht nicht um eine vollständige Freigabe, sondern um eine begrenzte, sachlich differenzierte Öffnung automatischer Waschanlagen an Sonn- und Feiertagen. Nur zwischen 12 und 20 Uhr, nur in Gewerbe- und Industriegebieten, nur für automatisierte oder mit Tankstellen verbundene Waschanlagen und nicht an stillen Feiertagen. Kurz gesagt: Das Feiertagsgesetz wird nicht ausgehebelt, sondern moderat modernisiert. Der Sonntagsschutz gemäß Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 25 der Landesverfassung NRW bleibt gewahrt.
Und ja, es gibt auch praktische Argumente. Bürger, die werktags kaum Zeit haben, sollen ihr Auto reinigen dürfen, legal, ohne Eimer in der Einfahrt und Öl im Grundwasser. Es geht um einen kontrollierten Ausgleich zwischen Freiheit und Ordnung, wie es früher einmal zur DNA der FDP gehörte, lange vor Cannabis-Freigaben, Ihrer Zustimmung zu Migrations- und Einbürgerungsexzessen und dem seinerzeit geplanten Coronaimpfzwang.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Aber gerade deswegen stellt sich die Frage: Warum eigentlich nur Waschanlagen? Wo bleibt dieser Pragmatismus, wenn es um echte Entlastungen geht? Wo war das liberale Rückgrat, als Ihre Partei in Berlin das Heizungsgesetz durchgewunken hat, das Millionen Eigentümer finanziell strangulierte? Wo war der marktwirtschaftliche Kompass, als Habeck mit Ihrer Unterschrift die Axt an den Mittelstand legte?
Und jetzt, wo die Luft für Sie hauchdünn geworden ist, greifen Sie nach jedem Strohhalm. Wo einst Bürgerrechte und wirtschaftliche Vernunft standen, steht jetzt Klientelpolitik für Fahrzeugpfleger.
Dennoch nehmen wir als AfD-Fraktion den Entwurf ernst, denn anders als die FDP betreiben wir keine Prinzipienreiterei an der falschen Stelle. Wenn eine Regelung – so klein sie auch sein mag – juristisch korrekt, gesellschaftlich vertretbar und politisch sinnvoll ist, dann sagen wir Ja – egal von wem sie kommt. Dass andere Bundesländer wie Hessen, Rheinland-Pfalz oder auch Niedersachsen längst vergleichbare Regelungen getroffen haben, unterstreicht, dass NRW mit dieser Reform keineswegs einen Sonderweg beschreitet, sondern Anschluss an eine modernisierte Feiertagsordnung sucht.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Aber wir sagen auch: Dieser Gesetzentwurf ist kein großer liberaler Wurf. Das ist Lackpflege am Image-Totalschaden der FDP.
Ja, wir unterstützen den Gesetzentwurf, nicht weil er besonders visionär ist, sondern weil er pragmatisch und verhältnismäßig ist. Gleichzeitig stehen wir für eine klare Begrenzung, damit sowohl der Sonntag als Ruhetag wie auch christliche Feiertage ihre kulturelle Sonderstellung für Familien, Ehrenamt, Besinnung und Erholung behalten. Daran darf nicht gerüttelt werden.
Was wir aber nicht unterstützen, ist die Selbstinszenierung einer kleinen Partei, die gerne große Worte führt, aber eben nur kleine Taten liefert. Wenn dies der liberalste wirtschaftspolitische Beitrag der FDP zur Landespolitik ist, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie in zwei Jahren auch in NRW an der Fünfprozenthürde scheitern. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Christof Rasche: Für die Landesregierung hat nun Minister Herbert Reul das Wort. Bitte sehr.
Herbert Reul, Minister des Innern: Herzlichen Glückwunsch.
Meine Damen und Herren Abgeordnete! Herr Präsident! Das Feiertagsgesetz soll dafür sorgen, dass sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen an den Sonn- und Feiertagen erholen können, dass es einen Abstand gibt. Es mag ja sein, dass der eine oder andere das nicht mehr zeitgemäß findet. Ich finde es im Prinzip immer noch wichtig.
Es schadet nichts, wenn man auch Tage hat, an denen man seine Ruhe hat. Übrigens, während ich das gerade sage, denke ich mir: Na ja, das klappt nicht bei allen.
(Kirsten Stich [SPD]: Es wäre schön, wenn wir die auch mal hätten!)
Deshalb sind an diesen Tagen auch alle öffentlich bemerkbaren Arbeiten verboten, die diese Ruhe stören könnten, es sei denn, sie sind besonders erlaubt. Es gibt Ausnahmen, also besonders erlaubte Arbeiten. Da geht es zum Beispiel um Erntearbeiten in der Landwirtschaft oder wenn die Arbeit genau diese Erholung ermöglichen soll. Die Öffnung von Autowaschanlagen am Sonntag fällt, glaube ich, nicht so richtig darunter.
Das erste Argument, dass die Autowäsche von manchen als Form der Freizeitgestaltung wahrgenommen wird, kann ich mir, unter uns, schwer vorstellen.
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Hier sitzt jemand!)
Als Spaß in der Freizeit in die Autowaschanlage – ich habe noch keinen getroffen, der das immer wieder macht.
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Hier sitzen welche! – Kirsten Stich [SPD]: Keine andere Freizeitgestaltung als Autowäsche? Dann tun Sie mir leid!)
– Das kann ja auch jeder machen, wie er will.
(Zuruf von Andreas Keith [AfD])
– Das war nun voll daneben.
Es kann ja sein, dass es einige leidenschaftliche Autowäscher gibt. Aber es wird doch nicht ernsthaft jemand behaupten, dass Autowaschen nach allgemeinem Verständnis der Erholung dient; auf die Idee kommt doch keiner.
(Marc Lürbke [FDP]: Das ist doch ein Hobby, Herr Minister!)
Ich verstehe zwar, dass manche Leute den Sonntag gern für Erledigungen nutzen würden, für die an Werktagen die Zeit fehlt, aber das ist auch kein Grund, gesetzlich eine Ausnahme zu schaffen. Das gilt schließlich nicht nur für Autowäschen, sondern ebenso für Arztbesuche und Behördengänge, die der eine oder andere auch gern am Sonntag machen würden, die aber auch nicht möglich sind. Außerdem werden durch das Feiertagsgesetz auch andere Betriebe eingeschränkt. Warum soll der Betreiber von Autowaschanlagen bessergestellt werden als die anderen, die ihren Betrieb schließen müssen?
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Dann gerne alle!)
Das zweite Argument nach dem Motto „andere Bundesländer machen es aber auch“ finde ich auch nicht so stark überzeugend, denn so ist das im Föderalismus, dass nicht alles überall gleich ist.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Die Zuständigkeit für die Ausgestaltung des Feiertagsschutzes liegt eben bei den Ländern. Das wird schon daran deutlich, dass auch die Feiertage von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind.
Zum dritten Argument. Wir müssen die Autowaschanlagen auch nicht dringend öffnen, weil die Menschen sonst ihr Auto vor der Haustür waschen und damit die Umwelt schädigen. Das ist ein bisschen simpel, denn zum Umweltschutz kann jeder beitragen, indem er die Autowaschanlage von montags bis samstags nutzt. Warum sonntags?
So schwer ist das also eigentlich nicht, aber natürlich gilt,
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
dass beim Feiertagsschutz die Interessen vieler Menschen und Gruppen zu berücksichtigen sind. Diese Gruppeninteressen gehen zum Teil weit auseinander. In Nordrhein-Westfalen versuchen wir, zu einem angemessenen Ausgleich zu kommen. Die Waschanlagen müssen sonntags nicht öffnen.
(Ralf Witzel [FDP]: Sie müssen auch nicht, aber sie dürfen! Er hat das nicht verstanden!)
Eine Änderung des Feiertagsgesetzes, wie von der FDP eingebracht, ist daher nicht erforderlich. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Christof Rasche: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 18/14024 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie. Wer stimmt dieser Empfehlung zu? – Die Fraktionen von SPD, von Grünen, von CDU, von FDP und AfD. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zu:
5 Wer kontrolliert die Kontrolleure? – Für Transparenz, Freiheit und demokratische Kontrolle über KIVI und die Medienwächter!
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14033
Ich öffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat Herr Tritschler das Wort. Bitte sehr.
Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zensur ist der Brandstifter, der sich als Feuerwehrmann ausgibt. So lässt sich in etwa auch schon der Verlauf der Debatte erahnen. Die ganz große Meinungskontrollkoalition wird uns gleich erläutern, wie wichtig doch der Kampf gegen Hass und Hetze vor allem im Internet sei.
Das klingt erst einmal auch ganz nett: Hass ist etwas Schlechtes, und Liebe oder Zusammenhalt, wie heute gerne gesagt wird, ist viel besser. Es kommt aber auch immer ein bisschen darauf an, wer die Begriffe wie bestimmt. In George Orwells „1984“ ist das Ministerium für Liebe etwa für Repression, Folter und Gehirnwäsche zuständig. So ist auch die Definition von Hass oder Hassrede inzwischen ziemlich vage geworden. Ein paar Beispiele:
Als im Stadion von Bayer Leverkusen 2023 ein Transparent mit der Aufschrift „Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur zwei Geschlechter“ hochgehalten wurde, wertete der DFB dies als Hassrede und belegte den Verein mit einer fünfstelligen Geldbuße. Für eine ähnlich lautende Aussage wurde Marie-Luise Vollbrecht, immerhin Biologin, von Twitter gesperrt, freilich bevor Elon Musk die Meinungsfreiheit dort wieder einführte.
In Köln gibt es sogar eine Bundesbehörde, den sogenannten Verfassungsschutz. Der gibt 1.100-seitige Witzesammlungen heraus, nennt das Gutachten und behauptet sinngemäß, die Väter und Mütter des Grundgesetzes seien schon immer gegen Humor und Ironie gewesen.
Diese ständige Verengung des Meinungskorridors in Deutschland ist längst auch bei den Menschen angekommen. Während 1990 noch etwa 80 % der Deutschen glaubten, ihre Meinung hierzulande frei äußern zu dürfen, waren es 2023 nur noch 40 % – Tendenz weiter fallend.
Nun war zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte Zensur immer mal wieder an der Tagesordnung, und Sie können sich jetzt selbst überlegen, in wessen Tradition Sie sich damit stellen. Sie bot bisher aber auch immer Lücken, denn sie war personalintensiv. Doch heute sind wir im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Ein Computer kann heute erledigen, was tausend Zensurbürokraten früher nicht konnten: Meinungsüberwachung bis in den letzten Winkel des Internets, lückenlos, 24/7.
Das ist längst keine dystopische Schreckensvision mehr, das ist schon heute traurige Realität. In China etwa durchsuchen Nachrichtendienste automatisiert die sozialen Medien und speisen regierungskritische Inhalte automatisiert in das Social-Credit-System ein. Wer also unerwünschte Äußerungen tätigt, die Regierung kritisiert und dergleichen, dem drohen ein Verlust an Reisefreiheit, der Verlust des Arbeitsplatzes, des Studienplatzes und allerlei andere Unannehmlichkeiten.
Bekanntlich sind wir in Deutschland und Europa KI-mäßig in vielen Bereichen hinter dem Mond, aber zumindest bei der Zensur lassen wir uns nichts vormachen. Unser Ministerium für Wahrheit heißt Landesanstalt für Medien und war in diesem Bereich wie so oft der traurige Vorreiter. Inzwischen nutzen alle 14 Landesmedienanstalten das KI-Tool KIVI. Es durchsucht systematisch soziale Medien nach unerwünschten Äußerungen und führt sie dann der Strafverfolgung zu. 11.600-mal war das allein in der Startphase bis 2024 der Fall.
Das alles geschieht im Verborgenen. Kein Bürger, kein Volksvertreter, nicht einmal die zuständigen Aufsichtsgremien bei der Landesanstalt für Medien erhalten Einblick in die Zensursoftware. Wir wissen nicht, wonach gesucht wird, wer durchsucht wird, was wo von wem gespeichert wird. Entsteht hier womöglich eine Datenbank über irgendwelche Dissidenten oder Kritiker? Wir wissen es schlicht nicht.
So schafft man Unsicherheit und Angst, und anscheinend ist auch genau das gewollt. Immerhin lässt sich Tobias Schmid, der Leiter der Landesanstalt für Medien, wie folgt zitieren:
„Aber es kann schon dazu führen, dass sich die vor sich hinpöbelnde Mitschwimmmasse plötzlich überlegen muss, ob es wirklich so eine coole Idee ist, nach dem Genuss von zwei Bier vor dem Fernseher drei Hasspostings rauszuschicken.“
– Sehr vielsagend. Aber lassen wir den Standesdünkel von Herrn Schmid einmal unbeachtet: Was ist denn jetzt das Hassposting, das er meint? Sind es die zwei Geschlechter?
Nein, meine Damen und Herren, so kann das nicht funktionieren. Wir wollen keine KI-gestützte Meinungskontrolle durch irgendwelche ungewählten Medienbürokraten auf der Suche nach einer Existenzberichtigung. Wir sagen ganz klar Nein zu chinesischen Verhältnissen bei uns in Deutschland, und das gibt es nur mit der AfD. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Christof Rasche: Für die Fraktion der CDU hat nun der Kollege Matthias Eggers das Wort. Bitte sehr.
Matthias Eggers (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Überwachung, Zensur, Staatstrojaner – diese Begrifflichkeiten hören wir hier immer wieder. Praktisch in jedes Plenum bringt die AfD einen medienpolitischen Antrag ein, und irgendwie lesen sich diese Anträge immer wieder gleich.
Die Feindbilder sind klar: Mal ist es der öffentlich-rechtliche Rundfunk, dann ist es die Europäische Union, freier und unabhängiger Journalismus dient eigentlich immer als Zielscheibe, und dieses Mal nimmt sich die AfD für ihre Angriffe die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen im Speziellen vor.
Mit dem vorliegenden Antrag inszeniert die AfD wieder einmal einen vermeintlichen Skandal. Die LfM überwache soziale Netzwerke im Internet mit einem KI-gestützten Staatstrojaner. Dies schränke die Bürger in ihrer Meinungs- und Medienfreiheit ein, heißt es. Den Menschen werde ihr Freiheitsgefühl genommen, behauptet die AfD. Sich selbst erklären die Alternativen zum Retter, zum Verteidiger der Meinungsfreiheit. Es gehe schließlich um nichts weniger als die Verteidigung der Grundrechte. Diese Show ist genauso bekannt wie durchschaubar.
Wahrheit und Realität sagen etwas anderes. Die LfM ist eine demokratisch legitimierte Institution. Sie handelt auf Grundlage des geltenden Medienrechts. Durch den Medienstaatsvertrag und das Landesmediengesetz wird die LfM als staatsferne Institution legitimiert,
(Lachen von Christian Loose [AfD])
um den privaten Rundfunk und Telemedien zu beaufsichtigen. Aufgabe der LfM ist die Stärkung von Transparenz und Meinungsfreiheit.
Das Ziel der Antragsteller ist es, Misstrauen gegenüber unabhängigen Medienaufsichtsbehörden und deren digitaler Arbeitsweise zu säen.
Die AfD nimmt mit ihrem Antrag KIVI unter Beschuss. Das Analyseinstrument KIVI ist ein KI-gestütztes Tool zur Erkennung von potenziell medienrechtlich relevanten Inhalten im Netz. KIVI unterstützt die LfM, um Desinformation, Hassrede, jugendgefährdende Inhalte und demokratiefeindliche Propaganda zu identifizieren. KIVI ist ein Werkzeug, mit dem diese Inhalte, die vorab definiert und eingegrenzt werden, herausgefiltert werden können.
KIVI ist ein Werkzeug; es ist ein Hilfsmittel. Dieses Hilfsmittel kann mehr als 10.000 Seiten pro Tag untersuchen, bestimmte Inhalte aufspüren und herausfiltern. Die inhaltliche Bewertung wird dann durch die aufsichtsbefugten Menschen vorgenommen. Die Künstliche Intelligenz unterstützt also die menschliche Intelligenz. Denn diese ist nach wie vor entscheidend, um weitere, auch rechtliche Schritte einzuleiten.
Die Funktionsweise von KIVI ist öffentlich dokumentiert; sie ist nachvollziehbar und somit bekannt. Die Landesanstalt informiert regelmäßig über Anwendungsbereiche, Prüfkriterien und Ergebnisse. KIVI selbst trifft keine Entscheidungen, denn es ist ein Hinweisgeber und ganz bestimmt kein Zensor.
KIVI leistet richtig gute Arbeit, die sich sehen lassen kann. Das Tool ist effektiv. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass alle anderen 13 Landesmedienanstalten in Deutschland das KIVI inzwischen übernommen haben und in ihre Arbeit einbinden.
KIVI wird auch stetig weiterentwickelt. Momentan wird das System auf weitere Sprachen ausgeweitet. Zukünftig sollen auch Inhalte in englischer und arabischer Sprache bearbeitet werden. Dies ist ein wirksamer Schutz, um gerade terroristischen und islamistischen Inhalten den Kampf anzusagen.
Die Medienanstalten unterliegen der Rechtsaufsicht des jeweiligen Landes. Sie sind in ihren Entscheidungen jedoch staatsfern, und dies aus gutem Grund. Wer die politische Kontrolle über diese unabhängigen Gremien fordert, gefährdet die Pressefreiheit und die verfassungsrechtlich garantierte Staatsferne der Medienaufsicht.
Die AfD gibt sich als Verteidigerin der Meinungsfreiheit, greift in Wahrheit aber gezielt diejenigen Institutionen an, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung schützen. Die Forderung nach einer Kontrolle der Kontrolleure ist in diesem Zusammenhang kein Ruf nach Demokratie, sondern ein Angriff auf das Fundament unserer pluralistischen Medienlandschaft. Das lassen wir Ihnen ganz bestimmt nicht durchgehen.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
Als CDU stehen wir für eine starke, unabhängige Medienaufsicht, für digitale Innovationskraft im Kampf gegen Hass und Hetze und für eine sachliche, transparente Debatte.
Ich kann der AfD nur empfehlen, ihre eigenen Mechanismen zur Kontrolle von publizierten Inhalten zu überarbeiten. Dann passiert es vielleicht auch nicht – so wie in dieser Woche geschehen –, dass die Sprecherin für Religion der AfD-Bundestagsfraktion von höchster Stelle, nämlich von den Parteivorsitzenden persönlich, dazu aufgefordert werden muss, einen beleidigenden Tweet gegen Muslime wieder zu löschen.
Wir lehnen diesen Antrag der AfD selbstverständlich ab. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat nun die Kollegin Ina Blumenthal das Wort. Bitte sehr.
Ina Blumenthal (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie sitzen abends auf Ihrem Sofa, das Handy in der Hand. Sie sehen, was heute wieder los gewesen ist, und wollen etwas posten – vielleicht etwas Wütendes, vielleicht etwas Wahres –, und dann zögern Sie. Ein Gedanke schleicht sich ein: Wer liest das eigentlich mit?
Diese kleine Sekunde, dieses Zögern ist der Kern der Debatte um eine Technologie, die heute viele Fragen aufwirft. Diese heißt KIVI. KIVI ist kein Wesen aus einem dystopischen Roman, kein digitales Monster, sondern schlicht und ergreifend ein Analysetool, zusammen entwickelt von der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalens und einem Berliner IT-Unternehmen. Der Job von KIVI ist es, öffentlich sichtbare Inhalte in sozialen Netzwerken auf strafbare Inhalte, auf Desinformation und auf Hassrede zu prüfen – so weit, so nüchtern.
Doch jetzt liegt hier im Landtag ein Antrag der AfD vor, in dem KIVI zu einem Überwachungswerkzeug erklärt wird. Es heißt, KIVI sei ein Staatstrojaner, ein digitaler Zensor. Plötzlich klingt dieses nüchterne Tool wie ein Feind der Freiheit. Ist das aber wirklich so? Lassen Sie uns mal genau hinschauen.
KIVI analysiert Inhalte und nicht Menschen. Es greift nicht auf private Daten zu, sondern durchforstet öffentliche Beiträge, so wie es Journalistinnen und Journalisten oder zivilgesellschaftliche Projekte tun. Der Unterschied ist: KIVI tut das schnell, automatisch und meldet Verdachtsfälle an Menschen. Diese wiederum prüfen dann. KIVI zeigt nicht mit dem Finger auf etwas, sondern sagt nur: Hier, schau einmal hin, schau es dir an.
Ja, es gab seit 2021 über 11.000 solcher Hinweise, aber eben keine 11.000 Anzeigen, keine 11.000 Urteile, sondern nur maschinelle Hinweise an menschliche Augen. Das ist kein Skandal, sondern ein Prozess, und der findet in aller Öffentlichkeit statt. Warum dann also diese Aufregung?
Ein Begriff fällt immer wieder: der Chilling Effect, also die Angst, dass Menschen sich nicht mehr frei äußern, weil sie glauben, beobachtet zu werden. Wir wissen, dass vor allem rechte Kräfte auf einen Chilling Effect setzen. Schauen wir mal in die USA. Die Visa-Vergabe für Schülerinnen und Schüler, für Studentinnen und Studenten könnte bald ausgesetzt bleiben. Bald sollen Social-Media-Aktivitäten die Grundlage dafür sein, wer ein Visum bekommt und wer nicht. Wer sich Trump-kritisch geäußert hat, wird wohl kein Visum mehr erhalten. Das ist Repression und ganz typisch für diese politischen Kräfte. Das ist ein sehr ernstes Thema.
Es stimmt: Freiheit lebt davon, dass man sagen darf, was man denkt, und das auch laut und unbequem. Genau das steht hier aber gar nicht infrage.
(Beifall von der SPD, Andrea Stullich [CDU], Matthias Eggers [CDU] und Dr. Werner Pfeil [FDP] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wenn jemand nachts betrunken drei Hassposts raushaut, dann ist nicht nur die Freiheit in Gefahr, sondern vor allem das Klima im Netz, die Würde anderer und die Grenzen des Sagbaren – nicht aus Sicht des Staates, sondern aus Sicht des Gesetzes. KIVI schafft keine neuen Gesetze, sondern hilft bestehende zu erkennen.
(Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Jetzt wird es heikel. In dem Antrag wird mehr Kontrolle über KIVI gefordert. Das mag erst einmal gut klingen: Wer will denn nicht, dass Technik demokratisch legitimiert ist? Die Medienanstalten hier in Deutschland sind aber staatsfern organisiert, und das aus gutem Grund, nämlich damit nicht Regierungen entscheiden, was wir sehen und sagen dürfen.
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja, wer besetzt die denn?)
Wer hier mehr Kontrolle fordert, meint in Wahrheit oft mehr politischen Einfluss – diesen versucht gerade auch wieder der Kollege zu erreichen, obwohl ich hier stehe –,
(Beifall von der SPD und Wilhelm Korth [CDU] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
und das ist gefährlich. Der Kern dessen, was die AfD mit diesem Antrag erreichen möchte, ist, politischen Einfluss auf KIVI, auf die Medienanstalten zu gewinnen, um die Hassrede und die Desinformation in ihren rechtsextremen Netzwerken als Meinungsfreiheit zu verklären und vor Kontrolle zu schützen.
(Beifall von der SPD, Andrea Stullich [CDU], Dorothea Deppermann [GRÜNE], Anja von Marenholtz [GRÜNE] und Frank Jablonski [GRÜNE])
Das hat nichts mit dem Schutz von Meinungsfreiheit zu tun. Wir schützen unsere Meinungsfreiheit nicht, indem wir Kontrollinstanzen entmachten und politisieren, sondern indem wir sie überprüfen.
Also, was tun? Wir müssen Werkzeuge von demokratischen Medienaufsichten wie KIVI, aber auch andere Möglichkeiten, um strafbare Inhalte und Hassrede im Netz zu verfolgen, eindeutig stärken. Wir dürfen dabei aber nicht in das alte Muster verfallen, alles Technologische sofort mit Überwachung gleichzusetzen. Technologie an sich ist nicht gut und nicht böse; Technologie ist ein Werkzeug. Die Frage ist allerdings: Wer hält dieses Werkzeug in der Hand, und wofür?
Noch ein Gedanke zum Schluss: Freiheit entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie lebt davon, dass wir einander zuhören, …
Präsident André Kuper: Die Redezeit.
Ina Blumenthal (SPD): Ich komme zum Ende.
… auch dann, wenn wir nicht einer Meinung sind. Sie stirbt, wenn wir zulassen, dass Hass lauter wird als die Wahrheit, dass Einschüchterung stärker wird als das Vertrauen.
KIVI ist also kein Bollwerk gegen alles Böse im Netz, es ist aber ein Werkzeug, ein Anfang. Wie bei jedem Werkzeug gilt: Wir sollten es mit offenen Augen nutzen und nicht mit geschlossenen Fäusten bekämpfen. Bleiben Sie informiert. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, Andrea Stullich [CDU], Matthias Eggers [CDU], Dorothea Deppermann [GRÜNE], Anja von Marenholtz [GRÜNE] und Dr. Werner Pfeil [FDP])
Präsident André Kuper: Danke, Frau Blumenthal. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht die Abgeordnete Frau von Marenholtz.
Anja von Marenholtz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schwarz-grüne Landesregierung steht entschlossen gegen Hass, Hetze und Desinformation im digitalen Raum. Damit stehen wir gleichzeitig gegen Parteien und Akteure, die diese Mittel für ihre persönliche Agenda nutzen.
Die Landesmedienanstalt hat mit KIVI ein wichtiges technisches Werkzeug entwickelt, um gegen ein solches Verhalten im Netz vorgehen zu können, auch mit rechtlichen Mitteln. Der Schutz der Demokratie und der digitalen Öffentlichkeit kann nur gewährleistet werden, wenn moderne Technologien gegen Hassrede eingesetzt werden, indem sie diese finden. Frau Blumenthal hat das gerade sehr ausführlich dargestellt – herzlichen Dank dafür.
Von einer systematischen Zensur, wie sie hier von der AfD dargelegt wird, kann an dieser Stelle überhaupt keine Rede sein. Wenn die AfD einen rechtsfreien Raum befürchtet, dann rate ich ihren Vertreter*innen in der Landesmedienanstalt dazu, anstelle des Caterings deren Sitzungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dann würde man viele Details darüber, wie KIVI arbeitet, wie erfolgreich KIVI ist und was die rechtlichen Rahmenbedingungen sind, vielleicht mehr verinnerlichen.
Die von KIVI erfassten Fälle werden nach wie vor von Menschen geprüft, und strafbare Inhalte werden von Juristinnen und der entsprechenden Stelle des BKA geprüft, bewertet, und es wird dabei auch mit Löschungen bzw. mit Strafanzeigen agiert.
Wir brauchen im Bereich der Medienfreiheit ganz sicher keine Nachhilfe von der AfD. Selbstverständlich lehnen wir diesen Antrag ab.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und Dr. Werner Pfeil [FDP])
Präsident André Kuper: Danke, Frau von Marenholtz. – Für die FDP spricht ihr Abgeordneter Herr Witzel.
Ralf Witzel*) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die FDP-Landtagsfraktion darf ich Ihnen heute erneut versichern: Der Schutz von Meinungs- und Informationsfreiheit ist ein zentrales Anliegen von uns. Da kann es keinen Zweifel geben.
Die Verteidigung von Meinungsfreiheit ist auch ausdrücklich kein rechtes Anliegen, sondern Auftrag des Grundgesetzes und sollte uns allen ein Anliegen sein.
(Zuruf von Simon Rock [GRÜNE])
Eine ernsthafte Debatte über Freiheit und Grenzen der Meinungsfreiheit wäre deshalb im aktuellen politischen Kontext durchaus wertvoll. Genau deshalb ist es so schade, dass die Verfasser des vorliegenden Antrages daran offenbar nicht interessiert sind.
Für die FDP-Landtagsfraktion gilt: Was in der analogen Welt verboten ist, sollte nicht in digitalen Medien einfach erlaubt sein. Hass und Hetze, Diskriminierung, Antisemitismus usw. sind keine legitime Meinungsäußerung, sondern verboten oder sogar eine Straftat, die es unabhängig vom Transportweg der Inhalte zu unterbinden und zu sanktionieren gilt.
(Beifall von der FDP)
Dieses Ziel sollte eigentlich uns alle in diesem Hohen Haus verbinden. Wir müssen deshalb die neuen Realitäten in den Blick nehmen. Die Welt dreht und entwickelt sich weiter. Das gilt natürlich auch für die Verbreitung und Verbreitungswege medialer Inhalte. Das täglich wachsende Angebot an Social Media erweitert den Meinungsraum, trägt aber auch belegbar zu Verhaltensweisen bei, die wir nicht wollen können, etwa wenn zur politischen Radikalisierung beigetragen wird, die später in Straftaten oder Anschlägen gipfeln und die öffentliche Sicherheit bedrohen kann. Social-Media-Challenges, die zur Begehung von Straftaten wie beispielsweise zur Zerstörung von Eigentum aufrufen, die Diebstahl oder Gewalt als Mutprobe verklären, sollten konsequent entfernt werden.
KIVI ist maßgeblich von der Landesanstalt für Medien, LfM, in Nordrhein-Westfalen vorangetrieben worden und leistet mithilfe von Künstlicher Intelligenz einen wichtigen Beitrag beim Kampf gegen tatsächliche Rechtsverstöße im Netz. Beim Hinweis auf potenziell strafbare Handlungen müssen sich natürlich in jedem Einzelfall individuelle Prüfungen der konkreten Umstände anschließen. Nicht alles, was KIVI entdeckt, ist tatsächlich verboten. Genau das muss eine Prüfung ergeben. Deshalb sagt auch die LfM selbst: Ein KI-Tool ist begrenzt in seinen Möglichkeiten, den Kontext einer Äußerung wie historische Bezüge oder die Form der Darstellung, also beispielsweise Satire, zu verstehen.
Genau deshalb darf Künstliche Intelligenz die menschliche nicht ersetzen. Die Landesmedienanstalten wollen das auch gar nicht. Sie sind selbst keine Ermittlungsbehörden und setzen damit auch kein Strafmaß fest. Sie können aber helfen, prüfungsrelevante Vorgänge überhaupt zu identifizieren. Im Rechtsstaat müssen sich dann gründliche Ermittlungen anschließen. Symbole oder pornografische Darstellungen sind beispielsweise mit höherer Treffersicherheit zu ermitteln als Delikte, die verbale Äußerungen betreffen.
Auch sagt die LfM selbst, dass KIVI einen kontinuierlichen Weiterbildungsprozess erfordert und insofern eine Daueraufgabe für die Zukunft darstellt. KIVI ist etwa noch nicht für alle Herkunftssprachen programmiert, von denen beispielsweise Gefahren für die öffentliche Sicherheit auch in unserem Land ausgehen können.
Wenn es den Antragstellern um eine seriöse fachliche Debatte bei dieser Beratung hier gehen würde, dann hätten sie die Überweisung dieses Antrags in den Medienausschuss beantragt. Wir wären dort gern zusammen mit der LfM in die ausführliche Erörterung bisheriger Erfahrungen und Befunde von KIVI eingestiegen.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dieser Dialog wäre hilfreich, wird nicht von uns blockiert, ist aber von der antragstellenden Fraktion offenbar gar nicht gewollt. Das soll hier einfach durchgestimmt werden. Es geht Ihnen also offenbar darum, ein schnelles Statement herauszuhauen, um damit den Eindruck zu erwecken, politische Wettbewerber seien für mehr staatliche Zensur. Für die FDP-Landtagsfraktion weise ich diese Unterstellung entschieden zurück und sage noch einmal deutlich: Forderungen nach fürsorglicher staatlicher Moderation, Untersagung von schädlicher Kommunikation oder sogenannter Desinformation sind tatsächlich oftmals bedenklich. Wer zieht die Grenze und hat selbst die eine, die einzige Wahrheit für sich gepachtet? Diese Debatte müssen wir deshalb mit Ernsthaftigkeit führen.
Auch abwegige Meinungen oder ungewünschte Verhaltensweisen sollte man als Erwachsener aushalten müssen, sofern diese kein rechtliches Verbot berühren. Genau das ist der Dreh- und Angelpunkt. Recht und Gesetz sind stets der Maßstab einer staatlichen Befugnis zum Einschreiten und nicht Fragen des eigenen Geschmacks. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Witzel. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Reul in Vertretung für Minister und Chef der Staatskanzlei Liminski.
Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Hier kommt wieder mal ein Antrag unter dem Deckmantel „Wahrung von Meinungsfreiheit und Demokratiestärkung“ daher. Die Wahrheit ist allerdings, dass die AfD wieder einmal versucht, das Märchen zu erzählen, der Staat oder vom Staat kontrollierte Stellen wollten die Meinungsfreiheit im Internet einschränken. Dieses Mal muss das KI-Tool KIVI der Landesanstalt für Medien NRW als Aufhänger herhalten.
Ich will das mal sachlich einordnen. Die Landesmedienanstalten sind für Aufsicht im Bereich des privaten Rundfunks und der Telemedien zuständig. Es ist eine ihrer Kernaufgaben, dass sie gegen unzulässige und entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte im Netz vorgehen. Dazu müssen sie sie erst mal finden. Das musste früher händisch geschehen.
Weil es immer mehr Inhalte im Netz und damit auch potenzielle Rechtsverstöße gibt, hat die Landesanstalt für Medien NRW KIVI entwickeln lassen. Das ist Künstliche Intelligenz, die ihre Aufsichtstätigkeit unterstützt – nicht mehr und nicht weniger.
Was tut KIVI? Es bildet den manuellen Suchvorgang im Netz nach, indem es öffentliche Seiten aufruft und die Inhalte mit den sogenannten gelernten Merkmalen abgleicht. Dadurch können die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, die Menschenwürde verletzende Gewaltdarstellungen oder auch Pornografie ausfindig gemacht werden. Wer könnte etwas dagegen haben?
Das KI-Tool kann anders als der Mensch auf diese Weise mehr als 10.000 Seiten pro Tag untersuchen – aber auch nur untersuchen. Die inhaltliche Bewertung der Inhalte und mögliche aufsichtsrechtliche Entscheidungen erfolgen nämlich weiterhin durch die Menschen in den Landesmedienanstalten.
Die Arbeit der Landesmedienanstalten ist so nicht nur effektiver; KIVI schützt auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die täglich bei ihrer Arbeit mit psychisch belasteten Inhalten wie extremer Gewalt oder Kinderpornografie konfrontiert werden.
Alle Landesmedienanstalten in Deutschland arbeiten daher inzwischen mit dem KI-Tool. KIVI ist zwischenzeitlich ein wesentliches Element zur Verfolgung strafbarer Inhalte. Und KIVI soll genau für das sorgen, worum es der AfD angeblich geht. Es soll Freiheit und Demokratie stärken. Zu einer Demokratie gehört es, dass Meinungen frei geäußert werden. Zu einer Demokratie gehört es aber auch, dass Rechte Grenzen haben, und zwar in den Grundrechten anderer. Die Verteidigung unserer Werte und unserer freiheitlichen Verfassung ist Aufgabe der Landesregierung und genauso auch der unabhängigen Medienaufsicht. Denn Medienaufsicht geht, anders als Sie mit Ihrem Antrag vermitteln wollen, nicht gegen Grundrechte vor, sondern für und auf der Grundlage dieser Grundrechte.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Das hat die Landesregierung schon wiederholt klargestellt.
Noch einmal zur Klarstellung: Meinungsfreiheit ist ein hohes, wichtiges demokratisches Gut, aber eben auch nicht unbegrenzt. Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen in allgemeinen Gesetzen, in Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Da findet im Netz genug statt, über das wir alle ansonsten immer klagen. Das ist keine neue Erkenntnis, das findet statt.
Es ist schon eine ganze Weile her, da gab es das auch in anderen Bereichen. Genau darum, diese Grenzen zu schützen, geht es den Landesmedienanstalten. Sie nutzen KIVI, um diese Grenzen zu schützen. Denn diese Grenzen werden verletzt, beispielsweise durch Aufrufe zu Straftaten, durch Gewaltverherrlichung. Es muss dann gegen diese gesetzlich bestimmten Rechtsverstöße auch vorgegangen werden, und zwar so schnell und so effektiv wie möglich, und das ist mit Hilfe von KIVI möglich.
(Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Der Einsatz von KI in der Aufsicht ist zukunftsweisend zwingend notwendig. Eine gesetzliche Ausgestaltung des Einsatzes solcher technischen Mittel zur Unterstützung der Aufsichtstätigkeit der Landesmedienanstalten wird daher auch in den Rundfunkkommissionen der Länder bereits diskutiert. Gerade weil es sich um einen wichtigen Bereich von Grundrechten handelt, sollte der Einsatz solcher Tools ebenso rechtssicher wie gesetzlich eindeutig sein, insbesondere im Hinblick auf datenschutzrechtliche Anforderungen.
Die Landesregierung erledigt da längst ihre Aufgaben. Die AfD-Fraktion hingegen hat ihre Hausaufgaben, finde ich, mal wieder nicht gemacht. Denn sie reiht stattdessen eine Fehlinterpretation, eine Unterstellung an die andere. Das reicht nicht aus, das entbehrt jeder Grundlage und ist auch schlicht und einfach falsch. Mit einem effektiven Vorgehen der Medienaufsicht wird die freiheitliche Demokratie nicht unterwandert, sondern die ihr zugrunde liegenden Werte werden verteidigt und ein freier Diskurs überhaupt erst ermöglicht. Deswegen braucht es einen solchen Antrag nicht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat eine direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags, der Ihnen als Drucksache 18/14033 vorliegt. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist die AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 18/14033 wie gerade festgestellt abgelehnt.
Ich rufe damit auf:
6 Zweites Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14016
Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU spricht als Erstes ihr Abgeordneter Herr Frieling.
Heinrich Frieling (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, um unverzüglich den verfassungskonformen Zustand des Kommunalwahlgesetzes wiederherzustellen. Notwendig ist dies aufgrund des Urteils des Verfassungsgerichtshofs NRW vor gut zwei Wochen. Das von CDU, SPD und Grünen im Kommunalwahlrecht eingeführte neue Sitzzuteilungsverfahren wurde für unzulässig erklärt. Unter anderem hatte die FDP dagegen geklagt. Die vier Fraktionen bringen jetzt gemeinsam diesen Gesetzentwurf ein.
Das Urteil des Verfassungsgerichts ist mit vier zu drei Stimmen denkbar knapp ausgefallen – eine echte Seltenheit. Drei Richter verfassten sogar ein Sondervotum, indem sie das neue Sitzzuteilungsverfahren ausdrücklich als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichneten. Sie machen auch deutlich, dass damit eine recht hohe Erfolgswertgleichheit der Stimmen zu erreichen sei. Sie betonen die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und verweisen dabei auf das Bundesverfassungsgericht.
Aber auch ein knappes Urteil ist ein Urteil, das wir selbstverständlich respektieren und auf das wir nun auch reagieren. Gut ist, dass das Urteil jetzt sehr frühzeitig vor der Kommunalwahl im September vorliegt, sodass wir, auch wenn die laufenden Vorbereitungen für die Kommunalwahl ja gar nicht davon betroffen sind, weil es ja um die Frage geht, wie nach der Wahl die Sitze verteilt werden können, jetzt zeitnah darauf reagieren und Klarheit herstellen können.
Dafür stellen wir eben den alten Rechtszustand wieder her, der bis zum 30. Juli 2024 Geltung hatte. Das Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers findet Anwendung, wie auch schon bei der letzten Kommunalwahl. Damit bleiben aber natürlich auch die Nachteile des bisherigen Sitzzuteilungsverfahrens erhalten. CDU, SPD und Grünen ging es bei der Änderung darum, überproportionale Rundungsgewinne kleinerer Parteien zu vermeiden. Dazu passt gut, was im Sondervotum zum Urteil zu lesen ist, das ich einmal mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren darf. Dort steht:
Unter anderem wurde anhand der Ergebnisse der Kommunalwahlen des Jahres 2020 nachvollziehbar dargelegt, dass in einer erheblichen Zahl von Fällen die Zuteilung des Sitzes bei einem Idealanspruch von unter 0,75 erfolgte und dass Erfolgswerte für einzelne Parteien oder Wählergruppen von bis zu 198 % auftraten. – Zitatende.
Spüren werden das am Ende die ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Ohne Sperrklausel, ohne Grundmandatsklausel oder eben ein Zählverfahren, das verhindert, dass Kleinstparteien bei der Sitzzuteilung überproportional vom Aufrunden profitieren, nimmt die Anzahl an kleinen Gruppen und Einzelstimmen in unseren kommunalen Gremien zu. Daraus folgen dann schwierige Mehrheitsverhältnisse, lange Sitzungen, schwierige Möglichkeiten, sich über Dinge zu einigen, und auch das Potenzial für destruktive Kräfte steigt.
Unsere kommunale Demokratie braucht aber Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich ehrenamtlich einbringen und auch ein Mandat übernehmen. Das braucht dann auch gute Arbeitsbedingungen, die es möglich machen, dass ein solches Mandat neben Familie und Beruf ausgeübt wird.
Das zeigt noch einmal, wie wichtig es ist, dass wir die kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften überarbeiten, über die wir gerade im Kommunalausschuss diskutieren. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden zusammen mit der Wiederherstellung des alten Rechtszustandes beim Sitzzuteilungsverfahren im Kommunalwahlgesetz auch die korrespondierenden Regelungen der Kommunalwahlordnung angepasst.
Mit einem weiteren Beschluss zum Wählergruppentransparenzgesetz hat der Verfassungsgerichtshof außerdem die aktuelle Fassung des § 15a Abs. 1 des Kommunalwahlgesetzes für nichtig erklärt. Auch das ziehen wir gemeinsam mit dem Gesetzentwurf nach und heben diese Norm nun auf.
CDU, SPD, Grüne und FDP übernehmen mit diesem Gesetzentwurf parteiübergreifend Verantwortung dafür, dass unser Wahlrecht verfassungsfest ist. Unsere Demokratie lebt vom Vertrauen und auch vom Vertrauen in faire Wahlverfahren. Dieses Vertrauen zu stärken und zu schützen ist unser gemeinsamer Auftrag. Deswegen ist es gut, dass wir mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf unverzüglich den verfassungskonformen Zustand wiederherstellen. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Frieling. – Für die SPD spricht ihr Abgeordneter Herr Moor.
Justus Moor (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Am 14. September ist es so weit, dann sind die Kommunalwahlen hier in Nordrhein-Westfalen. Eine Vielzahl von Parteien, Wählergruppen, Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern bewerben sich um Zustimmung und ganz konkret um Stimmen. Konkret bewerben sie sich um Sitze in Räten, Kreistagen, Bezirksvertretungen, im Ruhrparlament, in Gemeinderäten usw.
Am Abend des 14. September wird dann feststehen, wie viele Stimmen jede Partei bekommen hat und wie hoch der Anteil an der Zahl der gesamten Stimmen ist. Diese Stimmen werden dann umgerechnet, um festzustellen, wie viele Sitze das im Gremium bedeutet. Dafür gibt es verschiedene mathematische Verfahren. Lange Zeit ist dies nach dem sogenannten D’Hondt-Verfahren geschehen – ein Verfahren, das wiederholt von Verfassungsgerichten für mit der Verfassung vereinbar erklärt wurde.
Dann wurde das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers angewandt, was auch für verfassungskonform erklärt wurde. D’Hondt bevorzugt tendenziell größere Parteien und benachteiligt kleinere Parteien. Sainte-Laguë/Schepers – gerade ist es angesprochen worden – benachteiligt tendenziell größere Parteien und bevorzugt kleinere Parteien. Darüber haben wir hier häufig gesprochen.
(Ralf Witzel [FDP]: Nein!)
Wenn man so will, befinden sich beide Verfahren an den jeweiligen Enden der Skala. Sie bilden die verfassungsrechtlichen Pole. Das Rock-Verfahren war nun der Versuch, so etwas wie die Mitte dazwischen zu finden, also die aktuelle Bevorzugung kleinerer Parteien bei dem geltenden Sainte-Laguë/Schepers zu reduzieren, ohne die Bevorzugung größerer Parteien bei D’Hondt zu erreichen. Es war der Versuch, dafür zu sorgen, dass die einzelne Stimme eines jeden Wählers und einer jeden Wählerin ungefähr gleich viel wert ist. Zudem war es der Versuch, den regelmäßigen Fall zu beenden – ich bin dankbar, dass Kollege Frieling das angesprochen hat –, dass eine Stimme für die eine Partei fast doppelt so viel wert ist wie die für eine andere Partei. Das halte ich auch heute weiter für ungerecht.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Auf den ersten Blick liegt es nahe, zu glauben: Wenn die beiden Extreme verfassungsrechtlich zulässig sind, dann muss es die Mitte ja erst recht sein. Der Verfassungsgerichtshof hat nun mit knapper Mehrheit entschieden, dass dem nicht so ist. Er hat entschieden: Das Rock-Verfahren ist verfassungswidrig.
(Beifall von der FDP)
Also beschließen wir heute, den – wie es im Juristendeutsch heißt – Status quo ante wiederherzustellen. Wir kehren also zu dem Stand vor der Änderung zurück. Wir führen wieder das bisherige System ein. Ich finde es ein gutes Zeichen der demokratischen Zusammenarbeit und auch der Akzeptanz und des Respekts gegenüber dem Gericht, dass wir dies als demokratische Fraktionen gemeinsam tun. Dafür bin ich explizit der FDP, aber auch den Kollegen von CDU und Grünen sehr dankbar.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Denn dann, am Abend des 14. Septembers, wenn die Stimmen gezählt sind, können die Stimmen verfassungsrechtlich zulässig umgerechnet werden. Das ist und das bleibt am Ende das Wichtigste. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Moor. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Dr. Korte.
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir passen das Gesetz heute an zwei verschiedene Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit Bezug zum Kommunalrecht an und nehmen darüber hinaus noch eine für den Schutz der Privatsphäre unserer Kandidierenden bei der Kommunalwahl auch sehr wichtige Klarstellung in der Kommunalwahlordnung vor.
Eingehen möchte ich, wie meine zwei Vorredner, insbesondere auf die Frage des Sitzzuteilungsverfahrens, also die Frage, mit welchem mathematischen Verfahren das prozentuale Wahlergebnis einer Partei- oder Wählergruppe am Ende in ganze, vollzählige Sitze im Rat- oder Kreistag umgerechnet wird.
Vor zwei Wochen haben die Richter*innen unseres Verfassungsgerichtshofs mit knapper Mehrheit, aber eben doch mit Mehrheit entschieden, dass das von uns im vergangenen Juli eingeführte Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich als Sitzzuteilungsverfahren für die Kommunalwahl unzulässig ist. Selbstverständlich nehmen wir daher heute die in der Rechtsfolge unausweichliche Rückänderung vor und führen das vorherige Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers wieder ein.
Ansinnen unserer Reform im vergangenen Jahr war, dass jede Stimme möglichst den gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung hat und dass dabei weder stimmenstarke noch stimmenschwache Parteien oder Wählergruppen eine strukturelle Bevorzugung oder Benachteiligung erfahren. Darüber hinaus war es unser Anliegen, dass das Verfahren für möglichst viele Wählerinnen und Wähler nachvollziehbar und auch selbst nachrechenbar ist.
Die Verfassungskonformität wurde uns im parlamentarischen Verfahren von renommierten Experten aus dem Verfassungsrecht und der Mathematik bestätigt. Der Vorschlag fand hier im Landtag eine große Mehrheit, auch mit Unterstützung aus der Opposition. Gleichwohl haben die Richter*innen unseres Verfassungsgerichtshofs jetzt mit vier zu drei Stimmen mehrheitlich, wenn doch knapp, entschieden, dass dieses neue Sitzzuteilungsverfahren die Rechte auf Chancengleichheit und Gleichheit der Wahl der dagegen klagenden Parteien verletzt, sodass es selbstverständlich nicht bei der kommenden Kommunalwahl angewendet werden kann.
Präsident André Kuper: Herr Dr. Korte, ich muss Sie gerade einmal unterbrechen. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der FDP. Wollen Sie die zulassen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ich würde die gerne zulassen; vielleicht gehe ich in der folgenden Rede ohnehin darauf ein. Aber sehr gerne.
Präsident André Kuper: Also zulassen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ja.
Ralf Witzel*) (FDP): Vielen Dank. Herr Kollege Dr. Korte, ich biete Ihnen das umgekehrt genauso an, wenn Sie einmal einen Fragewunsch an meine Person gerichtet haben. – Sie haben gerade noch einmal versucht, die vermeintlichen Stärken des Rock-Verfahrens fachlich darzustellen. Wie bringen Sie das mit dem von Ihnen selbst in Auftrag gegebenen Gutachten überein, das genau das Gegenteil besagt und das Sie deshalb als Geheimgutachten vor der Öffentlichkeit verborgen haben? Wie passt das mit dem Bild zusammen, das Sie heute wieder verbreiten wollen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ich habe genauso wie mein Vorredner ausgeführt, welche Vorteile das neue Verfahren hat. Ich werde das gleich auch noch weiter darstellen.
Zur Frage der Gutachten. Wir haben unterschiedliche Gutachten gesehen, die FDP-Fraktion hat Gutachten herangezogen, und vor Gericht wurden Sachverständige befragt, die zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt sind. Wir haben sowohl in der Vorbereitung auf das Gesetzgebungsverfahren als auch im Gesetzgebungsverfahren im Parlament unterschiedliche Sachverständige gehört, und es ist so, wie ich es gerade dargelegt habe. Ganz unterschiedliche und sehr renommierte Sachverständige – Juristen, Mathematiker – haben uns sowohl im Vorfeld als auch bis vor das Verfassungsgericht in unserem Ansinnen bestätigt und die Verfassungskonformität an der Stelle befürwortet, wie sie eben in einem Sondervotum des Gerichts festgestellt wurde.
Darauf möchte ich gerne im Folgenden weiter eingehen. Das Urteil vor Gericht ist knapp ausgefallen. Die drei ablehnenden Richter haben – ich hatte es bereits erwähnt – ein Sondervotum verfasst, in dem sie – damit bin ich wieder bei der Rede; das für die Zeiterfassung –
(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD] und Justus Moor [SPD])
eine vollends andere Auffassung darlegen, als sie die entscheidungstragende Mehrheit getroffen hat. In diesem Sondervotum treffen sie auch die Schlussfolgerung, dass das von uns vorgelegte Verfahren der Logik bisheriger Rechtsprechung folgend – Kollege Moor hat dazu bereits aufgeführt – als verfassungskonform anzusehen sei.
Dieses Sondervotum bestätigt uns am Ende ein Stück weit in unserer ursprünglichen Intention, die darin bestand, im bestehenden Wahlrecht das reale Problem der sehr heterogenen Überrepräsentation zu beantworten und möglichst verzerrungsfrei zu lösen. Nach dem jetzt wieder einzuführenden Verfahren Sainte-Laguë/Schepers kommt es beim Fehlen einer Sperrklausel immer wieder zu einer weit überproportionalen Überrepräsentation insbesondere von Kleinst- und Splitterparteien, wenn zum Beispiel ein rechnerischer Anspruch von wenig mehr als einem halben Sitz auf einen Sitz aufgerundet wird, wie das bei den letzten Kommunalwahlen in ähnlicher Form wiederholt vorkam.
Mit dem von uns eingeführten und jetzt für rechtswidrig erklärten Quotenverfahren mit prozentuellem Restausgleich war das Ziel verbunden, diese sehr deutliche Überrepräsentation abzubauen und eine möglichst unverfälschte Abbildung des Wahlergebnisses in der Sitzverteilung in den Kommunalparlamenten herzustellen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Ich will betonen, dass sich dieser Ansatz ausdrücklich von dem Verfahren nach d’Hondt unterscheidet. Das d’Hondtsche Verfahren bevorzugt bekanntermaßen große Parteien strukturell. Dennoch wäre es nach der derzeitigen Rechtslage als verfassungsgemäß anzusehen. In einigen Bundesländern wird es bei Kommunalwahlen auch angewandt. In Hessen wird es derzeit sogar wieder neu eingeführt.
Aus unserer Sicht hätte das von uns eingeführte und jetzt für rechtswidrig erklärte Quotenverfahren mit einem prozentualem Restausgleich demgegenüber einen Ausgleich geschaffen und eine sinnvolle Weiterentwicklung des Wahlrechts dargestellt. Dem Urheber des Verfahrens, meinem Kollegen Simon Rock, will ich deshalb namens meiner Fraktion für den mathematischen Versuch, ein reales Problem im bestehenden Wahlrecht möglichst fair und transparent zu lösen, obgleich des ergangenen Urteils meinen vollen Respekt aussprechen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Meine Damen und Herren, gerade an die Reihe der Kritiker: Wenn es der Mehrheit im Landtag nur um politische Geländegewinne gegangen wäre, hätten wir es uns leichter machen und das Verfahren nach d‘Hondt wieder einführen können. So war es aber ausdrücklich nicht,
(Christian Dahm [SPD]: Jetzt aber!)
sondern es war der Versuch, das Wahlrecht durch einen wohlüberlegten Mechanismus besser, einfacher und fairer zu gestalten.
Die Richter*innen sind vor zwei Wochen mehrheitlich zu einer anderen Einschätzung als wir gekommen. Das respektieren wir selbstverständlich und handeln deswegen heute auch unverzüglich.
Es sind nur noch wenige Monate bis zu den Kommunalwahlen. Daher bleibt wenig bzw. keine Zeit für eine weitergehende Beschäftigung mit der Thematik. Die einzig verantwortbare Option ist jetzt, zum Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers zurückzukehren. Ich bin froh und dankbar, dass wir hierbei mit allen demokratischen Fraktionen und auch mit der klageführenden FDP an einen Strang ziehen, um für die Kommunen, für die Parteien und für die Wähler*innen in Vorbereitung auf die Kommunalwahl so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, Christian Dahm [SPD] und Justus Moor [SPD])
Präsident André Kuper: Danke, Herr Dr. Korte. – Für die FDP spricht ihr Abgeordneter Herr Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen Frieling, Moor und Dr. Korte, wenn ich gewusst hätte, welche Reden Sie vortragen, hätte ich eine wesentlich schärfere Rede vorbereitet. Zu dem einen oder anderen Punkt werde ich aber gleich noch kommen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vollzieht der Landtag zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen nach. Mit Beschluss vom 6. Mai 2025 hat der Verfassungsgerichtshof die Nichtigkeit von § 15a Abs. 1 Kommunalwahlgesetz festgestellt. Diese Regelung sah vor, dass Wählergruppen, die nach dem Wählergruppentransparenzgesetz einer Pflicht zur Rechenschaftslegung unterliegen, einen Wahlvorschlag nur einreichen können, wenn sie ihm die Bescheinigungen beifügen, die ihnen der Präsident des Landtags für die letzten zwei abgeschlossenen Rechnungsjahre erteilt hat.
Das nichtige Gesetz ist ex tunc und ipsu jure und damit von Anfang an und ohne weiteren gestaltenden Akt rechtsunwirksam. Die Verfassungsgerichte heben verfassungswidrige Gesetze aber nicht auf, sondern sie stellen die Nichtigkeit deklaratorisch fest. Der Gesetzestext ist daher im Zuge der aufgrund der Urteile des Verfassungsgerichtshofs vom 20. Mai 2025 ohnehin anstehenden Änderungen des Kommunalwahlgesetzes entsprechend den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs um die betreffende Regelung zu bereinigen.
Mit Urteilen vom 20. Mai 2025 hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass der Landtag das Recht der antragstellenden Parteien auf chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen und auf Gleichheit der Wahl dadurch verletzt hat, dass er durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und weiterer wahlbezogener Vorschriften vom 5. Juli 2024 in § 33 Abs. 2 des Kommunalwahlgesetzes ein neuartiges Verfahren zur Berechnung der Zuteilung von Sitzen bei Kommunalwahlen eingeführt hat. Da die in den Organstreitverfahren ergangenen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs einerseits nur feststellenden Charakter haben, andererseits aber die Verfassungsorgane des Landes sowie die Gerichte und Behörden binden und Gesetzeskraft haben, ist der Landtag verpflichtet, eine den Urteilen des Verfassungsgerichtshofs entsprechende verfassungsgemäße Rechtslage alsbald herzustellen.
(Beifall von Ralf Witzel [FDP])
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll daher nun jenseits redaktioneller Anpassungen der Status quo ante wiederhergestellt werden, sodass für die Sitzzuteilung bei der Kommunalwahl am 14. September 2025 wieder das bewährte Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers zur Anwendung kommen soll.
Gestatten Sie mir noch zwei Anmerkungen.
Erstens. Mit dem neuen Sitzzuteilungsverfahren ist ein weiterer Versuch, eine höhere Zugangshürde zu kommunalen Vertretungen zu errichten, ohne dass deren Funktionsunfähigkeit dargelegt werden könnte, geschweige denn eingetreten ist, vor dem Verfassungsgerichtshof zwar knapp, aber doch gescheitert. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie es dabei bewenden.
(Beifall von der FDP)
Kollegen Frieling, Moor und Dr. Korte, ich habe in Teilen Ihrer Ausführungen zum einen eine gewisse Demut nach diesem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vermisst.
(Beifall von der FDP)
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ich glaube, dass Sie die Gründe des Urteils der Mehrheit im Verfassungsgerichtshof immer noch nicht verstanden haben.
(Beifall von der FDP)
Sie sind der Versuchung erlegen, sich hier vorne zu rechtfertigen für Ihren Versuch, der dann letztlich doch bei der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs gescheitert ist, und haben eigentlich nur Ihre Narrative wiederholt, die Sie schon zur Rechtfertigung des Gesetzes in der zweiten und dritten Lesung im letzten Jahr abgegeben haben.
Ich wollte es Ihnen eigentlich ersparen, Ihnen das noch einmal vor Augen zu führen. Aber der Verfassungsgerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass entgegen dem, was Sie hier vorgetragen haben, das Verfahren Sainte Laguë/Schepers gerade keine Bevorzugung kleinerer Parteien vorsieht.
(Beifall von der FDP)
Insofern kann ich Ihnen nur den Tipp geben: Versuchen Sie einmal, das Urteil, also die Mehrheitsentscheidung, nicht nur zu lesen, sondern vielleicht auch inhaltlich nachzuvollziehen.
(Beifall von der FDP)
Zweitens. Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ist aufgefallen, dass sich der Landtag baldmöglichst darauf verständigen und dies mit der Landesregierung abstimmen sollte, ab wann die neue, 4. Auflage des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit, die im Bund seit Beginn der 21. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gilt, auch in Nordrhein-Westfalen angewandt wird.
Präsident André Kuper: Herr Kollege Wedel …
Dirk Wedel (FDP): Dazu bedarf es unverzüglich der Herstellung von Rechtsklarheit. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Präsident André Kuper: Herr Kollege Wedel, es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Dirk Wedel (FDP): Nein.
Präsident André Kuper: Okay. – Dann spricht als Nächster für die AfD der Abgeordnete Tritschler.
Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Louis Brandeis, dem einstigen Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten, wird folgendes Zitat zugeschrieben: Das Wahlrecht lässt sich leichter manipulieren als der Wähler.
Mutmaßlich haben sich die drei derzeit noch größten Kommunalparteien in NRW, CDU, SPD und Grüne, das auch gedacht, und zwar bei diesem verfassungswidrigen Gesetz, das wir heute korrigieren müssen. Denn mit dem Wähler klappt es für dieses Kartell seit Jahren, ja seit Jahrzehnten immer schlechter. Bei jeder einzelnen Kommunalwahl seit 1994, seit 30 Jahren, verlieren Sie an Wählerzuspruch.
Nun könnte man an Ihrer Stelle auf allerlei abgefahrene Ideen kommen. Vielleicht macht man dem Wähler ein besseres Angebot. Vielleicht braucht man anderes Personal. Vielleicht muss man in einer lebendiger werdenden Demokratie auch einfach mit mehr Meinungsvielfalt leben. Aber auf diese Idee kamen CDU, SPD und Grüne ausdrücklich nicht. Warum auch? Sie sind ja an der Macht und haben, wie man das eigentlich aus Bananenrepubliken kennt, lieber ein bisschen am Wahlrecht herumgeschraubt und dieses im Interesse des eigenen Machterhalts oder, wie Sie es gerne nennen, im Interesse der Funktionsfähigkeit der Kommunalparlamente manipuliert – zulasten der kleineren Wettbewerber, die hier im Landtag, wo man die Spielregeln macht, größtenteils nicht vertreten sind.
Vor ziemlich genau elf Monaten, als wir das Gesetz hier beraten haben, habe ich das wie folgt kommentiert:
„Wenn also jemand – wie hier die regierungstragenden Fraktionen aus CDU und Grünen – kurz vor einer Wahl anfängt, am Kommunalwahlrecht herumzuschrauben, dann ist besondere Aufmerksamkeit geboten. Wenn dann auch noch die SPD beipflichtet, sollten alle Alarmglocken läuten.“
Und siehe da: Die Alarmglocken haben beim Verfassungsgericht in Münster geläutet. Wie hier auch vorhergesagt, urteilte dieses – ich zitiere –,
„dass die Neuregelung kleinere Parteien systematisch benachteiligt, indem sie Aufrundungsgewinne allein den großen Parteien zuweist und Abkehr nimmt von dem zuvor allgemein als ausgewogen beschriebenen System, bei dem es mehr oder weniger zufallsabhängig war, ob einer Partei ‚Rundungsglück‘ oder ‚Rundungspech‘ zuteilwurde.“
Jetzt kann es natürlich immer mal vorkommen, dass man sich beim Verfassungsgericht eine Abfuhr holt. Das Problem bei Ihnen, meine Damen und Herren, ist nur: Sie sind notorische Wiederholungstäter. Immer und immer wieder haben Sie von hier aus versucht, kleine Parteien bei den Kommunalwahlen in NRW zu behindern – und das, obwohl wir schon jetzt im bundesweiten Vergleich eines der minderheitenfeindlichsten Kommunalwahlgesetze haben. Aber das reicht Ihnen offenbar nicht. Was haben Sie nicht alles probiert? Eine 5-%-Klausel, eine 2,5-%-Klausel, eine Ein-Sitz-Regel und jetzt eben die Rock-Regel. Alles verfassungswidrig!
Und während wir hier debattieren, läuft schon das nächste kommunale Entdemokratisierungsgesetz durch das Parlament; das klang ja gerade schon an. Kurz zusammengefasst: Wenn Sie die Opposition schon nicht draußen halten können, wollen Sie ihr wenigstens essenzielle Mitwirkungsrechte in den Räten und Kreistagen nehmen.
Das wird auch in Münster landen – das prophezeie ich schon einmal –, und auch da werden wir nachbessern müssen.
Und all das nur, weil Sie nicht akzeptieren können oder wollen, dass sich die politische Landschaft in Deutschland verändert! Die Menschen haben zunehmend genug von Ihnen und Ihrer Politik. Das zeigen sie Ihnen, wo sie es eben können: an der Wahlurne. Neue Parteien und Wählergruppen kommen, andere gehen, meine Damen und Herren von der FDP. Das mag Ihnen wehtun. Unserem Land tut es gut. Das ist echte Demokratie und nicht das Hin- und Herschieben von ein paar Sitzen zwischen einem Kartell.
Ich kann Sie nur ganz eindrücklich davor warnen – da schließe ich mich dem Vorredner an –, den Bürgern weiter durch solche Mätzchen und auch durch andere Sachen wie Geheimdiensten das einzige Machtmittel zu nehmen, das sie in dieser Republik haben: die demokratische Wahl. Die Deutschen mögen nicht bekannt dafür sein, dass sie sich gleich gegen jede Ungerechtigkeit wehren. Aber überspannen Sie den Bogen lieber nicht. Lassen Sie die Hände von den Grundregeln, die unsere Republik zur Demokratie machen.
Wir für unseren Teil helfen Ihnen gerne dabei, wieder mal die Scherben aufzukehren, die Sie selbst gemacht haben, und stimmen der Rücknahme Ihres verfassungswidrigen Gesetzes natürlich sehr gerne zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Tritschler. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Reul.
Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Bei mancher Rede bin ich überrascht und verstehe das auch nicht mehr so ganz. Das Normale in der Demokratie ist, dass ein Parlament darüber entscheidet, wie Gesetze aussehen, und zwar mit Mehrheit. Das ist das Recht dieses Parlaments. Wenn dieses Parlament dabei Regeln verletzt und die Gesetze nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung sind, dann gibt es Gerichte, die sie zurückweisen können. Das ist total normal und kann passieren. Das hat mit all dem, was gerade beschrieben worden ist, gar nichts zu tun.
(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)
Den Eindruck, wir leben in einer Bananenrepublik,
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das passiert alle zwei Jahre!)
weise ich auf das Entschiedenste zurück. Das Bild, das Sie malen, ist falsch.
Was jetzt passiert ist, ist für diejenigen, die einen anderen Vorschlag haben wollten, nicht schön. Es ist aber total in Ordnung, rechtsstaatlich einwandfrei und entspricht der Demokratie, in der wir leben.
(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
– Ja, das ist der Sinn des Verfassungsgerichts. Deswegen haben wir in unserer Republik ein solches Gericht,
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Der Sinn ist, dass man sich an die Verfassung hält!)
das die Entscheidung am Ende treffen kann. Es soll Systeme geben, und es soll auch Politiker geben, die sich andere Systeme vorstellen.
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Sie als Innenminister sollten sich an die Verfassung halten!)
Ich möchte aber gar nicht daran denken, was dann passieren würde. Ich bin also froh, dass wir so ein System haben.
Es ist unangenehm, wenn ein Gesetz zurückgewiesen wird. Das ist klar. Es zeigt aber auch, dass das System funktioniert. Das ist nämlich auch die Wahrheit.
Zum Inhalt muss ich gar nichts mehr sagen, weil alles dazu gesagt worden ist. Es ging um ein Thema, das schon lange Zeit herumschwebt und auch berechtigt ist. Es ging nämlich um die Frage, wie das gerechteste und beste Verfahren zu berechnen ist.
Bei jedem dieser Berechnungsverfahren lassen sich Unschärfen finden. Das ist unstrittig. Wir werden immer Unschärfen finden. Die 4-zu-3-Entscheidung und die Sachverständigenanhörung zeigen, dass es dazu durchaus sehr verschiedene Meinungen gibt. Ich hatte dazu auch eine Meinung.
Fairerweise entscheidet dann aber am Ende die Mehrheit eines Verfassungsgerichts. Insofern ist es total korrekt
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Gerecht?)
und auch ein Ausdruck der großen Qualität dieses Parlaments, dass sich die demokratischen Parteien zusammentun und sagen: Wir korrigieren das jetzt. Wir schaffen wieder den bisherigen, rechtssicheren Zustand.
(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])
Das ist der Unterschied zwischen Menschen, die immer Recht haben, und Menschen, die einsehen, dass sie irren können und dann auch Konsequenzen ziehen.
(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja!)
Vielleicht ist das der Unterschied.
Erstens kommen wir jetzt zu einem Verfahren, das verfassungsrechtlich, gerichtlich anerkannt ist. Zweitens ist es nicht ganz unwichtig – gerade, weil wir kurz vor der Wahl sind –, dass dieses Verfahren vor Ort gut bekannt ist und leicht umgesetzt werden kann.
Da dürfen wir uns nichts vormachen. Wir verlangen von den vielen Ehrenamtlichen, die das vor Ort umsetzen, dass sie damit schnell und zügig umgehen können. Diese Chance ist jetzt gegeben. Deswegen war es eine kluge Idee, das zu ändern und zu korrigieren. Ich wünsche mir eine breite Mehrheit für diesen Vorschlag.
(Beifall von der CDU, den GRÜNEN, Justus Moor [SPD] und Christian Dahm [SPD])
Präsident André Kuper: Danke, Herr Minister. – Für die CDU hat noch einmal der Abgeordnete Frieling das Wort. Er hat noch 25 Sekunden Redezeit.
(Heiterkeit von der CDU – Dr. Günther Bergmann [CDU]: Redezeit, nicht Laufzeit!)
Heinrich Frieling (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. – Da der Kollege Wedel meine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, nutze ich die 25 Sekunden, um darzustellen, dass wir es nicht an Demut vermissen lassen, Herr Wedel, sondern hier ganz deutlich gemacht haben, dass wir das Urteil akzeptieren.
Ich möchte aber auch deutlich machen, dass wir es verstanden und gelesen haben. Sie dürfen bitte nicht so tun, als gäbe es nur Ihre Rechtsansicht, obschon drei von sieben Verfassungsrichtern zu einer anderen Auffassung gelangt sind.
Das gemeinsam Vorgelegte war nicht abwegig, irrsinnig oder nicht nachvollziehbar, sondern durchaus für viele Juristen verständlich, naheliegend und kohärent.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Es gilt aber natürlich das Urteil. Wir akzeptieren es. Wir ändern das jetzt.
Wir haben den Blick auf die kommunale Praxis. Ich finde, man darf durchaus einmal sagen, was das für die kommunale Praxis bedeutet. Es bleibt dabei: Das Urteil gilt, wird akzeptiert und umgesetzt. – Vielen Dank, auch dafür, dass wir es gemeinsam machen.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Auch der Abgeordnete Wedel möchte seine verbleibenden 19 Sekunden noch nutzen.
(Heiterkeit von der CDU und den GRÜNEN – Hendrik Schmitz [CDU]: Außer Sie sagen: Sie haben recht, Herr Frieling!)
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Herr Kollege Frieling, ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Beitrag. Sie haben tatsächlich und auch schon in Ihrem ersten Beitrag gesagt, dass Sie das Urteil akzeptieren. Die beiden anderen Kollegen haben das in dieser Form nicht getan.
(Martin Metz [GRÜNE]: Doch! – Christian Dahm [SPD]: Schon im Gerichtssaal!)
Vor allen Dingen haben Sie noch einmal genau die Argumente wiederholt, die letztlich beim Verfassungsgerichtshof durchgefallen sind.
(Martin Metz [GRÜNE]: Sie sind Antragssteller!)
Das kann man hier noch einmal eindeutig festhalten. – Danke.
(Beifall von der FDP – Zuruf von Heinrich Frieling [CDU])
Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Daher schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Drucksache 18/14016 in der ersten von zwei Lesungen. Wer stimmt diesem Gesetzentwurf zu? – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in der Drucksache 18/14016 in erster Lesung einstimmig angenommen.
Die Fraktionen haben vereinbart, die zweite Lesung unmittelbar im Anschluss durchzuführen. Ich sehe, dass es dazu keinen Widerspruch gibt. Dann verfahren wir so.
Ich rufe auf die zweite Lesung Gesetzentwurf von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in der Drucksache 18/14016; das zweite Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung. In der zweiten Lesung ist keine Aussprache vorgesehen.
Wir kommen daher unmittelbar zur Abstimmung über den Gesetzentwurf nach zweiter Lesung. Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 18/14016 einstimmig angenommen und verabschiedet.
Ich rufe auf:
7 NRW muss funktionieren: Sanierungsstau bei Sportstätten beseitigen und die Zukunft unserer Sportanlagen sichern
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14012
Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14121
Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD hat als Erstes die Abgeordnete Durdu das Wort.
Tülay Durdu*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sport im Verein macht Spaß, ist gesund und stiftet Zusammenhalt. Gerade jetzt erleben wir einen echten Sportboom. Über 5 Millionen Menschen in NRW sind Mitglied im Sportverein – mehr als je zuvor.
Es könnte eine Erfolgsgeschichte werden, aber es gibt einen Haken. Denn unsere Sportstätten sind vielerorts marode und sanierungsbedürftig.
Das Deutsche Institut für Urbanistik hat im Auftrag der KfW bundesweit Kommunen befragt. 59 % sehen bei Sporthallen einen gravierenden oder nennenswerten Investitionsrückstand; bei Hallenbädern sind es sogar 62 %. Über 40 % der Kommunen müssen Sportangebote absagen, weil die Infrastruktur versagt. Im Durchschnitt wollen die befragten Kommunen in den nächsten drei Jahren 16 % der Freibäder, 15 % der Eissporthallen und 14 % der Hallenbäder schließen. Auch der Präsident des Landessportbunds, Stefan Klett aus dem schönen Oberbergischen Kreis und CDU-Mitglied dort im Rat, hat diese Ergebnisse für NRW bestätigt.
Besonders dramatisch ist die Lage bei den Bädern. Im Jahr 2001 gab es in NRW noch 1.401 Hallen-, Frei- und Kombibäder, 2015 waren es 842, 2025 sind es nur noch 714. Das ist ein Rückgang um fast 50 %. Und was kommt vom Land? Fünf Schwimmcontainer für ganz NRW, fünf Container, die kein einziges Bad ersetzen.
Ich habe mir eben die Zahlen herausgeschrieben. Nach dem Statistischen Landesamt für Nordrhein-Westfalen gibt es zurzeit 700.000 Grundschüler.
(Christian Loose [AfD] führt ein Gespräch.)
– Herr Loose, können Sie Ihre Gespräche vielleicht draußen führen? Es stört tierisch. Sorry.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Matthias Kerkhoff [CDU])
Für diese 700.000 Grundschüler wurden zur Lösung fünf Container zur Verfügung gestellt. Ohne Schwimmflächen lernt niemand schwimmen. Ohne Bolzplätze kommt kein Ball ins Tor. Ohne Sportstätten gibt es keinen Sport, keine Gemeinschaft und keine Gesundheit. Das dürfen wir nicht zulassen.
(Beifall von der SPD – Christian Loose [AfD] führt weiterhin ein Gespräch.)
– Der redet einfach weiter.
Das ist ein sportpolitischer Offenbarungseid. Das Schicksal der Sportstätten ist direkt mit der katastrophalen finanziellen Lage unserer Kommunen verknüpft. Nur 16 von 430 Kommunen in NRW konnten im Jahr 2024 ihre Ausgaben mit eigenen Einnahmen decken. Das landesweite Finanzierungsdefizit beträgt 6,8 Milliarden Euro.
Dieser historische Höchststand hat Folgen: Der Fußballplatz wird zur Wiese, das Schwimmbad schließt, und in die Sporthalle regnet es herein. Denn investiert wird schon lange nicht mehr.
Schon im Jahr 2023 hat der Städte- und Gemeindebund NRW ausgerechnet, dass für die Modernisierung der Sportstätten 13 Milliarden Euro gebraucht würden. Doch den Kommunen fehlt das Geld, und die Sportpauschale des Landes reicht bei Weitem nicht aus. Die Folge: Wir zehren 2025 im Breitensport noch immer von den Sportstättenoffensiven der 60er- und 70er-Jahre.
Die Substanz ist aufgebraucht. Das ist auch Ihre Verantwortung, Herr Wüst. Das Land muss die Kommunalfinanzierung vom Kopf endlich wieder auf die Füße stellen.
Erst vergangene Woche hat NRW seine Bewerbung für die Olympischen Spiele vorgestellt – ein ambitioniertes Projekt, das verpflichtet. Ministerpräsident Wüst hat versprochen, den Breitensport mitzudenken. Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Wüst.
Erstens. Legen Sie das Förderprogramm „Moderne Sportstätte“ wieder auf, und öffnen Sie es für kommunale Anlagen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zweitens. Starten Sie eine umfassende Erhebung des Sanierungsbedarfs in ganz NRW.
(Zuruf von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE])
Drittens. Geben Sie dem Breitensport das zurück, was er verdient: Planbarkeit, Infrastruktur und echte Wertschätzung.
Herr Wüst, durch das überfällige Sondervermögen des Bundes erhält auch NRW viel Geld.
(Ralf Witzel [FDP]: Ist noch gar nicht da!)
Nutzen Sie es für die Kommunen und den Sport. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Danke, Frau Kollegin Durdu. – Für die CDU spricht ihr Abgeordneter Nettekoven.
Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir ein Redeskript gemacht, aber, ich glaube, ich kann es weglassen. Frau Durdu, Sie haben eben gesagt, dass es in Nordrhein-Westfalen einen Investitionsstau in Höhe von 13 Milliarden Euro gebe. Sie haben auch gesagt, dass das Projekt „Moderne Sportstätte“ mit 300 Milliarden Euro wieder aufgenommen werden sollte.
(Christian Dahm [SPD]: Millionen!)
Sie haben aber nicht gesagt, aus welchem Topf Sie das Geld nehmen wollen.
(Tülay Durdu [SPD]: Fragen Sie doch Herrn Wüst!)
Ich zitiere aus unserem aktuellen Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der Christlich Demokratischen Union:
„Ein bewegtes Nordrhein-Westfalen braucht flächendeckend moderne, wohnortnahe, barrierearme und energieeffiziente Sportstätten und Bewegungsräume als Orte der Begegnung und des Miteinanders. Daher werden wir das Programm „Moderne Sportstätte 2022“ evaluieren und ein Folgeprogramm auch den Sportstätten der Kommunen zugänglich machen. Schwerpunkte dafür sollen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Mobilitätskonzepte, Trägerneutralität und Erschließung multifunktionaler und barrierearmer Sport- und Bewegungsräume im öffentlichen Raum sein.“
Frau Durdu, ich habe noch ein paar Zitate Ihrer Kollegen Herrn Bischoff und Herrn Jäger von damals, als Frau Staatssekretärin Milz das Programm in den Sportausschuss eingebracht hat. Herr Bischoff hat damals vermutet, dass die Kreis- und die Stadtsportbünde damit überfordert seien, dieses Programm umzusetzen. Herr Jäger hat ausgeführt, dass es um ein Gießkannenprojekt gehe, es über das Land verteilt werde und es so nicht funktioniere.
Ich möchte heute die Chance nutzen, den Stadt- und Kreissportbünden Danke dafür zu sagen, dass sie die Arbeit vor Ort geleistet haben, nachdem die 327 Millionen Euro dank der FDP und den Grünen in den Sport geflossen sind. Ich habe von den Kreis- und Stadtsportbünden keine Kritik, sondern nur Lob gehört, dass das Land in Sportstätten investiert hat.
(Beifall von der CDU)
Präsident André Kuper: Herr Kollege Nettekoven, es gibt einen Wunsch der SPD. Die Kollegin Durdu möchte eine Zwischenfrage stellen.
Jens-Peter Nettekoven (CDU): Gerne.
Tülay Durdu*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Nettekoven, danke schön, dass Sie aus der Vergangenheit berichten. Es hat niemand gesagt, dass dieser Fördertopf schlecht sei. Der Wunsch ist ja, dass Sie das endlich wieder aufnehmen. Meine Frage – wir aus der SPD-Fraktion haben schon mehrfach gefragt, wann Sie endlich mit dem Evaluieren anfangen und Ergebnisse liefern –: Wann wird das denn geschehen? Im Jahr 2027 während des Wahlkampfs? Das würde mich interessieren.
Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrte Frau Kollegin, vielen herzlichen Dank für die Zwischenfrage. Ich glaube nicht, dass eine regierungstragende Fraktion das alles evaluiert. Das macht die Regierung. Sie müssten die Frage an die Regierung stellen.
(Tülay Durdu [SPD]: Das habe ich ja!)
– Sie haben jetzt mir die Frage gestellt. Ich bin nicht die Regierung. Ich bin Mitglied einer regierungstragenden Fraktion. Die Frage ist an mich falsch gesetzt. Sie müssten sie an …
(Justus Moor [SPD]: Boah! – Tülay Durdu [SPD]: Ich habe keine Antwort bekommen!)
– Sie haben mich, den sportpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, gefragt, wann die Landesregierung die „Moderne Sportstätte“ evaluiert.
(Tülay Durdu [SPD]: Sie vertreten doch die Landesregierung!)
Bin ich Teil der Landesregierung?
(Ralf Witzel [FDP]: Nein!)
Das kleine Einmaleins der Politik sagt aus, dass ich nicht für die Landesregierung, sondern für die CDU-Landtagsfraktion spreche. Deswegen kann ich Ihnen auf diese Frage, die Sie mir gestellt haben, keine Antwort geben. Vielleicht stellen Sie die Frage noch einmal der Landesregierung. Auf jeden Fall kann ich Ihnen, Frau Kollegin, nur sagen – auch als Schriftführer; die Zeit kann ruhig weiterlaufen –:
(Zuruf von Tüley Durdu [SPD])
Wir sind im Koalitionsvertrag klar verankert. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich damals gemeinsam das Thema „Sport“ verhandeln durfte, dass wir dieses erfolgreiche Programm fortführen wollen.
Sie kennen die finanzielle Situation des Landes, Sie kennen die finanzielle Situation der Kommunen. Deswegen brauchen Sie nicht einen Mosaikstein aus dem Koalitionsvertrag im Bereich „Sport“ herauszuziehen, und versuchen, zu sagen, dass die Landesregierung nichts tut.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es weh tut, dass diese 327 Millionen Euro so geräuschlos und so gut in den Kommunen angekommen sind und der Sport daran partizipiert hat. Sie wollen auch, dass das Geld für die Sportstätten zukünftig auch für die Kommunen zugänglich gemacht wird. Auch das steht in unserem Koalitionsvertrag. Manchmal kann man sagen: Auch ein Blick ins Gesetz – hier ist es ein Zukunftsvertrag – wäre hilfreich gewesen. Wir lassen uns von Ihnen nicht treiben, weil wir jetzt drei Jahre in der Regierung sind und noch zwei Jahre vor uns haben, indem Sie einen Punkt herausziehen.
Sowohl Ihres Antrags als auch des Entschließungsantrags bedarf es nicht. Die Regierung ist willens, wieder ein modernes Sportstättenprogramm aufzusetzen. Deswegen bin ich 1 Minute 25 Sekunden vor dem Ende meiner Redezeit fertig. – Danke.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Es waren 1 Minute 21 Sekunden, Sie waren aber trotzdem fertig. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Zimmermann.
Marc Zimmermann*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ja, es bleibt auch nach dem ersten Förderprogramm „Moderne Sportstätte“ noch vieles offen, und wir brauchen dringend Investitionen in die Sportinfrastruktur, weil Sport für unsere Gesellschaft, für Gesundheit, für Zusammenhalt und für Wohlbefinden so enorm wichtig ist.
Aber keinesfalls ist nur auf Bundesebene die gesellschaftliche Relevanz von Sportstätten erkannt worden. Auch die Landesregierung versucht alles, um die Situation in den Kommunen rund um die Sportstätten zu verbessern.
Was die SPD hier ausblendet, ist die tatsächliche Haushaltslage des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein 300-Millionen-Euro-Paket für Sportstätten hätte in diesem Fall zur Folge, dass an anderer Stelle Mittel im Haushalt nicht mehr zur Verfügung stünden. Dann gäbe es heute vermutlich einen anderen Tagesordnungspunkt, bei dem die SPD für etwas völlig anderes fehlende Förderungen monieren würde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir erinnern uns gut an die Debatten zum aktuellen Haushalt. Es ist also mehr als schwierig, in der aktuellen Haushaltssituation im Land eine solche Summe freizumachen.
Aber gab es da nicht eine Koalition in Berlin, die ein 500-Milliarden-Euro-Paket geschnürt hat, um Investitionen zu ermöglichen? Waren es nicht die Grünen im Bund, die darauf gepocht und es uns für ihre Zustimmung zur Auflage gemacht haben,
(Beifall von den GRÜNEN)
dass dieses Geld jetzt zügig in soziale Infrastruktur und Klimaschutz fließen muss? Das ist genau das, was Sie jetzt hier vom Land für Sportstätten fordern.
Das Sondervermögen wird zwar – das ist eben in der Debatte auch klar geworden – die Lücken nicht vollständig schließen. Das muss allen klar sein. Aber es würde die Ausgangssituation wenigstens etwas verbessern – vorausgesetzt, das Land muss von dem Geld nicht Wahlgeschenke des Bundes abdecken.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Aber trotz dieser angespannten Haushaltslage haben die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen durch eine Altschuldenlösung vielen Kommunen wieder etwas Spielraum zurückgegeben. 250 Millionen Euro pro Jahr als Entlastung für die Kommunen für die nächsten fünf Jahre sind nicht nichts.
Was noch fehlt, ist der versprochene Anteil des Bundes.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Könnte da vielleicht ein SPD-Finanzminister etwas Tempo reinbringen? Das würde die Kommunen noch weiter entlasten und Spielraum eröffnen.
Eines spricht die SPD in ihrem Antrag richtigerweise an: Die Koalitionspartner im Bund haben sich auf eine Sport-Milliarde verabredet. Die entscheidende Frage ist allerdings, wann diese kommt und wie sie auf die Länder verteilt wird. Mittels Königsteiner Schlüssel könnte Nordrhein-Westfalen 200 Millionen Euro, also zwei Drittel des von Ihnen geforderten Betrags, erhalten.
Würde sich die NRW-SPD mal im Bund stark machen, dass es in den genannten Punkten vorangeht, dann entstände im Land auch wieder Spielraum für eine Sportstättenförderung. Die vielen Sportlerinnen und Sportler würden es Ihnen mehr danken als einen nicht zu Ende gedachten Antrag.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Landesregierung Untätigkeit vorzuwerfen und die eigene Verantwortung im Bund auszublenden, ist zwar nicht die feine Art, aber weil wir das sportlich nehmen, stimmen wir der Überweisung natürlich zu. – Vielen Dank.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Abgeordnete Rasche.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD gefällt mir, denn er dokumentiert die Stärke der FDP in der Sportpolitik und zeigt gleichzeitig einige Schwächen der Mitbewerber auf.
„Die Sportstätteninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen entspricht vielerorts nicht den aktuellen Anforderungen.“
Das ist keine Behauptung aus der Opposition oder von sonst jemandem, sondern es ist ein elementares Zitat aus der Vereinbarung dieser Landesregierung mit dem Landessportbund.
Die Aussage stimmt. Sportstätten sind teilweise nicht mehr nutzbar, werden teilweise geschlossen. In vielen Sportvereinen gibt es Wartelisten, damit Kinder und Jugendliche überhaupt aufgenommen werden können, weil die Sportstätten nicht mehr ausreichen. Und was tut diese Koalition? Zu wenig. Das macht die Schwäche von CDU und Grünen in der Sportpolitik aus.
Über das Sportprogramm „Moderne Sportstätte 2022“ hat Kollege Nettekoven gerade gesprochen. Das war wirklich ein Meilenstein in der Koalition von CDU und FDP, und das spricht eindeutig für die Stärke der FDP in der Sportpolitik in dieser Koalition.
(Beifall von der FDP)
– Danke!
Es gibt aber kein neues Programm. Wir warten schon seit drei Jahren darauf, und zwar nicht wir als Politik, sondern die Sportfamilie Nordrhein-Westfalen.
Die Sportpauschale an die Kommunen wurde nicht angepasst. Es gab eine Baukostensteigerung von rund 30 % in den vergangenen drei Jahren. Das wurde nicht ausgeglichen. Das bedeutet unter dem Strich: Es kann ein Drittel weniger gebaut werden als vor drei Jahren. Da müsste man also etwas für die Kommunen tun.
Ich erinnere an den Investitionsbedarf für Lehrschwimmbecken, und ich erinnere daran, dass Ministerpräsident Hendrik Wüst an diesem Rednerpult gesagt hat: Noch in dieser Legislaturperiode wird jedes Kind, das das vierte Schuljahr verlässt, schwimmen können.
Die Sommerferien 2027 sind nach der Landtagswahl. Also wird dieses Zitat zu Beginn der Sommerferien 2026 an der Realität gemessen. Wir werden dann sehen, ob alle Kinder, die das vierte Schuljahr verlassen, tatsächlich schwimmen können – ich vermute, nicht; ich glaube, das war eine Floskel, wie es der Kollege heute Morgen in der Debatte zu Tagesordnungspunkt 1 der Opposition schon einmal zum Vorwurf gemacht hat. Wenn das Ziel erreicht werden soll, muss auf jeden Fall erheblich investiert werden.
Anscheinend ist ein Programm „Moderne Sportstätte“ – in welcher Summe auch immer – das zentrale Ziel aller Fraktionen. Wir haben es vor fünf Jahren gemacht. Deswegen haben wir auch die Glaubwürdigkeit, die Fortschreibung dieses Programms zu fordern.
Jetzt sagt ausgerechnet die SPD: Wir wollen dieses Programm „Moderne Sportstätte“. – In den Jahren oder Jahrzehnten Ihrer Regierungstätigkeit haben Sie das selbst aber nie gemacht. Deswegen ist Ihre Forderung nicht ganz glaubwürdig, und das ist die Schwäche Ihrer Sportpolitik.
Darüber hinaus loben Sie sich in Ihrem Antrag, dass Sie in der Bundespolitik 1 Milliarde Euro mehr für den Sport zur Verfügung stellen. Wenige Wochen vor der Unterschrift des Koalitionsvertrags waren es aber noch 4 Milliarden Euro; denn da wurde diese Milliarde nicht auf vier Jahre bezogen, sondern es sollte eine Milliarde pro Jahr fließen. Es sind somit 75 % weniger. Auch das macht die Schwäche der SPD in der Sportpolitik deutlich.
Wir haben ein gemeinsames großes Ziel in diesem Hohen Haus: die Olympischen Spiele in Nordrhein-Westfalen. Da stehen wir im Wettbewerb mit anderen Ländern – zunächst in Deutschland. Die nationale und internationale Sportfamilie wird genau hinschauen, was dieses Land in der Sportpolitik macht und ob die Versprechen – auch im Koalitionsvertrag – in der Sportpolitik in diesem Land eingehalten werden. Ich glaube, wir haben noch eine verdammt große Aufgabe vor uns, diese Versprechen einhalten zu können. Auch deshalb freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Fraktion der AfD spricht jetzt Herr Abgeordneter Keith.
(Beifall von der AfD)
Andreas Keith*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon beachtlich: Da steht die SPD heute hier und hat auf einmal ihr Herz für die Sportstätten in Nordrhein-Westfalen entdeckt – dieselbe SPD, die über Jahrzehnte hinweg den Investitionsstau überhaupt erst verursacht hat. Dieselbe SPD legt jetzt großspurig einen Antrag vor, der – ich zitiere – den „Sanierungsstau […] beseitigen und die Zukunft unserer Sportanlagen sichern“ soll.
Darum hätten Sie sich mal besser in der Vergangenheit gekümmert, anstatt hier große Worte zu klopfen.
(Tülay Durdu [SPD]: Nehmen Sie den Antrag denn an?)
Ja, wir als AfD-Fraktion befürworten ausdrücklich die Wiederaufnahme des Programms „Moderne Sportstätte“. Keine Frage, unsere Sporthallen, Schwimmbäder und Vereinsanlagen sind vielerorts in einem katastrophalen Zustand. Sie sind technisch veraltet, marode, vielfach einfach nicht mehr zeitgemäß. 300 Millionen Euro, wie von der SPD vorgeschlagen, sind jedoch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein; eine Placebo-Maßnahme, die das Problem bestenfalls kaschiert, aber in keinem Fall löst.
Allein der Sanierungsbedarf bei den rund 30.000 Sportanlagen in Nordrhein-Westfalen liegt nach Verlautbarung des Städte- und Gemeindebundes bei mehreren Milliarden Euro. Wie glaubwürdig ist es, wenn gerade jene Fraktion hier finanzielle Mittel fordert, die in ihrer Regierungszeit regelmäßig bei Sportstätten, Bädern und Vereinsinfrastruktur gnadenlos den Rotstift angesetzt hat? Wer erinnert sich nicht an die Regierungszeit unter Kraft und Jäger, in der Schwimmhallen und massenhaft Sportstätten geschlossen wurden, während man sich lieber mit ideologischen Prestigeprojekten wie Gender-Mainstreaming und vermeintlichen Demokratieförderprogrammen befasst hat? Dieses SPD-Erbe belastet die Kommunen bis heute.
Beispiel Köln: Von den neun städtischen Lehrschwimmbecken sind derzeit nur vier in Betrieb, fünf Becken sind geschlossen, zwei davon dauerhaft. Beispiel Essen: Insgesamt gibt es in der Stadt 143 sanierungsbedürftige Sporthallen. Beispiel Niederkassel: Dem Helmut-Loos-Hallenbad droht aufgrund erheblicher baulicher und technischer Mängel seit Monaten die Schließung. Das Blockheizkraftwerk für den Betrieb ist mittlerweile ausgefallen. Das sind nur drei Beispiele von den laut Landessportbund geschätzten 15.000 sanierungsbedürftigen Sportstätten in Nordrhein-Westfalen.
Und wer hat in diesen Kommunen jahrzehntelang regiert oder mitregiert? Genau! Die SPD. Ob Jürgen Roters in Köln, Reinhard Paß in Essen oder jetzt Matthias Großgarten in Niederkassel – das sind alles SPD-Bürgermeister. Was Sie hier präsentieren, ist also ein Offenbarungseid Ihres eigenen politischen Versagens.
Hinzu kommt: Der Antrag ist durchsetzt mit altbekannten Floskeln wie „Nachhaltigkeit“, „Bürokratieabbau“, „Monitoring“. Wie immer: große Worte, nichts dahinter. Wo sind Ihre Vorschläge, woher das Geld kommen soll? Warum haben Sie bei den letzten Haushaltsberatungen keine Gegenfinanzierung aufgestellt? Vielleicht, weil es Ihnen schwerfällt, auf ideologisch motivierte Ausgabenprogramme zu verzichten.
(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)
– Doch, das stimmt sehr wohl. Schauen Sie mal nach. Wenn Sie eine Kurzintervention anmelden, kann ich Ihnen das gerne aufzeigen.
(Christian Dahm [SPD]: Schwach!)
Aber Sie möchten gar nicht auf diese vielen Millionen Euro verzichten, die Sie in unnötige Projekte investieren; in die Vielfaltspädagogik, Mittel für Meldestellen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
(Thorsten Klute [SPD]: Ja!)
oder grünen Klima-Hokuspokus à la Wuppertal Institut.
Wir als AfD sagen klar: Es ist höchste Zeit, umzudenken. Die Mittel müssen wieder dahin fließen, wo sie direkt den Menschen nutzen, nämlich in den Breitensport, in die Jugendförderung, in die kommunalen Schwimmbäder. Denn es geht nicht nur um Sport, sondern es geht um die Gesundheit von Jung und Alt. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, ist im Sommer kein Badegast, sondern ein potenzielles Unfallopfer. Das ist die Realität.
Daher fordern wir Sie auf: stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu, der die wahren Probleme benennt und echte Lösungen aufzeigt. Setzen Sie sich bei der Bundesregierung dafür ein, dass wieder mehr Geld in die Gesundheits- und Daseinsvorsorge der eigenen Bürger fließt, anstatt wie Merz und Klingbeil weitere 5 Milliarden Euro Herrn Selenskyj hinterherzuwerfen.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr, Herr Abgeordneter Keith. – Für die Landesregierung spricht jetzt in Vertretung für den Ministerpräsidenten Wüst Frau Ministerin Gorißen.
Silke Gorißen, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Entscheidend is’ auf’m Platz.“ Diese Fußballweisheit von Adi Preißler kennen wir alle. Weil im Sportland NRW aber nicht nur auf dem Platz, sondern vor allen Dingen der Platz entscheidend ist, unterstützt die Landesregierung die Kommunen bei ihren Bemühungen, die Investitionsbedarfe bei Sportstätten zu befriedigen.
Die nordrhein-westfälischen Kommunen nehmen ihre Aufgabe, die kommunalen Sportstätten intakt zu halten, mit großem Engagement wahr. Für viele Kommunen, die erhebliche Investitionsbedarfe nicht nur im Sportstättenbereich zu stemmen haben, stellt dies eine große Herausforderung dar.
Die seit 2004 bestehende Sportpauschale für die Kommunen im Gemeindefinanzierungsgesetz in Höhe von 50 Millionen Euro wurde in dieser Legislaturperiode dynamisiert und ist im Haushalt 2025 auf nunmehr 70 Millionen Euro angewachsen. Darüber hinaus hat die Entscheidung der Landesregierung im Jahr 2018, in Nordrhein-Westfalen 300 Millionen Euro für die Sanierung und Modernisierung von Sportstätten bereitzustellen, für eine breite bundesweite Resonanz gesorgt.
Das Förderprogramm „Moderne Sportstätte 2022“ hat die Wahrnehmung für den Investitionsbedarf an Sportstätten verändert. So erkennt auch der Bund an, dass mehr für Investitionen im Sportstättenbereich getan werden muss. Die sogenannte Bundesmilliarde ist Ausdruck für diese Wahrnehmungsänderung, aber hoffentlich nicht das Ende der Investitionsbereitschaft des Bundes für Sportstätten.
Der Bund könnte sich dabei auf eine nordrhein-westfälische Erfolgsbilanz stützen: Durch Bereitstellung von 300 Millionen Euro an Fördermitteln wurde der Einsatz erheblicher privater Investitionsmittel ausgelöst. Bei einer durchschnittlichen Förderquote von rund 62 % konnten Gesamtinvestitionen von insgesamt 480 Millionen Euro für Sportstätten in Nordrhein-Westfalen aktiviert werden – in allen 396 Gemeindegebieten, in 54 Kreisen und kreisfreien Städten.
Das Förderprogramm „Moderne Sportstätte 2022“ hat einen beachtenswerten Beitrag zur Verbesserung der regenerativen Energieversorgung, zur Dekarbonisierung und zur Verringerung der Mikroplastikbelastung an Sportstätten geleistet. Wir werden auch in Zukunft Wert darauf legen, dass Umweltfreundlichkeit und Ressourcenschonung integrale Bestandteile unserer Förderung sein werden.
Die Gestaltung eines Förderprogramms richtet sich auch danach, wer letztlich Fördernehmer ist. Im Förderprogramm „Moderne Sportstätte 2022“ wurden die Maßnahmen in der Regel durch ehrenamtliche Vorstandsmitglieder umgesetzt. Da ist es selbstverständlich, dass die bürokratischen Verwaltungsakte überschaubar und leistbar sein sollten.
Dies hat hier bereits Berücksichtigung gefunden. Für die Vereine als Antragsteller wurden durch die Zurverfügungstellung des Förderportals des Landessportbundes Nordrhein-Westfalens, die Vereinfachung der Vergaberegelungen in den Förderrichtlinien und die Ansprechbarkeit der handelnden Akteure bürokratische Hürden abgebaut. Diese positiven Erfahrungen sollen auch bei weiteren Programmen berücksichtigt werden.
Unabhängig von der Fortführung des Förderprogramms „Moderne Sportstätte 2022“ ist beabsichtigt, den Breitensport weiter zu unterstützen und damit auch die Infrastruktur der Sportstätten weiter zu beleben. Gerade der Breitensport bündelt in unnachahmlicher Weise das ehrenamtliche Engagement. Mit der Unterstützung des Breitensports gilt die Wertschätzung hier natürlich auch dem Ehrenamt.
Um vielleicht die Frage von vorhin kurz aufzugreifen, sehr geehrte Frau Abgeordnete Durdu: Die Evaluierung steht kurz bevor.
(Christof Rasche [FDP]: Seit Jahren! Das ist doch ein Witz!)
Es hat eine Ausschreibung gegeben, die Bewerbungen sind eingegangen, und es wird demnächst mit der Evaluierung gestartet.
Das Erfordernis einer sukzessiven Erneuerung und Modernisierung der Sportstätten in Nordrhein-Westfalen stellt wohl niemand infrage. Wie hoch der Beitrag des Landes dafür sein kann, ist allerdings nur im Gesamtkonzept einer verantwortungsbewussten Haushaltsaufstellung zu beantworten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache 18/14012 und des Entschließungsantrags der Fraktion der AfD Drucksache 18/14121. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14012 an den Sportausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat und Kommunales. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Der Entschließungsantrag Drucksache 18/14121 würde entsprechend überwiesen. Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zu:
8 Intensive fachliche Auseinandersetzung statt schwarz-grüner Scheuklappen: Neues Gutachten eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters begründet umfassende Neubewertung der Besoldungsreform der Landesregierung
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14018
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der FDP dem Abgeordneten Witzel das Wort.
Ralf Witzel*) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung und die Landtagsfraktionen von CDU und Grünen haben bereits im Herbst letzten Jahres leider eine große Chance vergeben. Wir hätten fraktionsübergreifend ein starkes Signal für den öffentlichen Dienst senden können, wenn wir gemeinsam auch in konjunkturell schwierigen Zeiten den Tarifabschluss für den Beamtenbereich eins zu eins umgesetzt hätten.
Stattdessen haben Sie, Herr Finanzminister, diese Frage mit einer Strukturveränderung beim Alimentationsprinzip verbunden, mit der Sie Neuland in NRW betreten. Sie unterstellen ein fiktives Partnereinkommen, damit die Besoldung nicht durch einen Verstoß gegen das Abstandsgebot zum Sozialleistungsbezug in verfassungswidriger Weise zu niedrig ist.
Gerade dadurch haben Sie aber erst eine neue Verfassungsproblematik aufgemacht. Der renommierte frühere Bundesverfassungsrichter Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio analysiert in seiner Publikation „Schriften zum öffentlichen Dienstrecht – Band 13“ detailliert den schwarz-grünen Gesetzesbeschluss und kommt auf Seite 65 zu diesem Ergebnis – ich zitiere –:
„Die Heranziehung eines ,Partnereinkommens‘, wie vom Landtag in seinem Anpassungsgesetz vom 10. Oktober 2024 beschlossen (LT-Drucks. 18/9514; Vorabdruck 18/61), steht nicht im Einklang mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes. Das Gesetz widerspricht zwei hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums: den materiellen und prozeduralen Anforderungen des Alimentationsprinzips und dem Abstandsgebot.
Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, eine das Mindestabstandsgebot zum grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf wahrende Besoldung von einem Antragserfordernis abhängig zu machen. Der Dienstherr ist zur Besoldung von Amts wegen verpflichtet.“
Professor Di Fabio kommt dann zu seiner Schlussfolgerung – ich darf ebenfalls zitieren –: „Das Gesetz ist insgesamt verfassungswidrig.“
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass nach Angaben der Landesregierung mit mehreren Tausend nur ein Teil der Landesbeamten direkt persönlich betroffen ist. Die Landesregierung hat die fundierte verfassungsrechtliche Expertise von Professor Di Fabio als irrelevant zurückgewiesen, als das vollständige Gutachten in seiner Gesamtheit noch überhaupt nicht veröffentlicht gewesen ist.
Deshalb erwarten wir im Antrag der FDP-Landtagsfraktion eigentlich drei Selbstverständlichkeiten: die qualifizierte Auseinandersetzung mit der ausführlichen rechtlichen Expertise des angesehenen Bundesverfassungsrichters, die mittlerweile vorliegt und öffentlich verfügbar ist, eine Neubewertung der schwarz-grünen Besoldungspolitik in Nordrhein-Westfalen und eine transparente öffentliche Kommunikation zu den Anträgen auf Ergänzungszuschlag und dem damit zusammenhängenden Bürokratieaufwand. Das alles sollte eine Selbstverständlichkeit sein und heute im Landtag auch eine Mehrheit finden. Nichtstun ist Machtmissbrauch; es geht schließlich um unser Land.
(Beifall von Franziska Müller-Rech [FDP])
Viel problematischer ist der Umgang mit den Beamten, die wir für staatliche Handlungsfähigkeit und Gerechtigkeit dringend benötigen. Der Landesvorsitzende des Deutschen Beamtenbundes hat es in einem anschaulichen Bild unlängst auf den Punkt gebracht: Aus dem angekündigten Schnellboot einer Modernisierungsoffensive sei längst ein U-Boot geworden. Bei allen wichtigen Fragen tauche die Landesregierung nach vorherigen ergebnislosen Ankündigungen einfach ab und verschließe sich damit notwendigen Lösungen für drängende Probleme.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, von dem Abgeordneten Rock besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Würden Sie die zulassen?
Ralf Witzel*) (FDP): Die Zeit läuft die ganze Zeit weiter, Herr Präsident.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Nein.
Ralf Witzel*) (FDP): Ja; jetzt schon länger.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Nicht schon länger; ich habe erst drei Sekunden gesprochen, Herr Kollege.
(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Lassen Sie die Zwischenfrage zu?
Ralf Witzel*) (FDP): Aber selbstverständlich.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Gerne.
Simon Rock (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege. Sie sehen ja, dass ich versuche, Ihre Redezeit zu verlängern. Ich glaube, auf die drei Sekunden soll es am Ende nicht ankommen.
Sie sind gerade darauf eingegangen bzw. haben gesagt, die Landesregierung würde nicht transparent machen, wie viele Anträge auf Ergänzungszuschlag gestellt wurden. Sind Sie bereit, anzuerkennen – Sie sind ja durchaus fragefreudig, was mich wiederum freut, weil ich die Antworten gerne zur Kenntnis nehme –,
(Ralf Witzel [FDP]: Ja!)
dass Sie genau danach gefragt und Antworten bekommen haben und für das Jahr 2024 ganze 87 Anträge gestellt wurden, wovon die Hälfte dann auch noch als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurde? Das sind bei 280.000 Beamtinnen und Beamten ganze 0,03 %.
Wie kommen Sie vor diesem Hintergrund dazu, der Landesregierung mangelnde Transparenz vorzuwerfen, wenn Sie selbst die Antworten doch schon bekommen haben?
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, das waren mehrere Fragen. – Herr Witzel, es steht Ihnen frei, eine davon zu beantworten. Bitte schön.
(Heiterkeit von Kirsten Stich [SPD])
Ralf Witzel*) (FDP): Ich will Ihnen, Herr Kollege Rock, gerne die Frage beantworten, was Hintergrund meiner Einlassungen hier am Rednerpult gewesen ist.
Ich habe dem Finanzminister nicht vorgeworfen, dass er eine Anfrage der FDP oder meiner Person, die ich einmal gestellt habe, nicht beantwortet hätte, sondern ich habe gesagt, dass wir in unserem Antrag fordern, uns regelmäßig anzuschauen, wie die Fallzahlen aussehen. Warum habe ich das gesagt, Herr Kollege Rock? Weil der Finanzminister für die Landesregierung uns im Hohen Hause einmal erklärt hat, es werde sich wahrscheinlich um eine vierstellige Anzahl von Vorgängen handeln. Wenn das die Annahme der Landesregierung ist, dann interessiert uns, warum das bislang nicht alle, die eigentlich begünstigt sein müssten, in Anspruch genommen haben.
Das, Herr Kollege Rock, liegt an dem Folgenden. Ich habe mir die Formulare vom Landesamt für Besoldung und Versorgung einmal angeschaut: Das ist irre – seitenlang kleinstgedruckte rechtliche Vorschriften. Ohne Steuerberater oder Rechtsanwalt können viele der Beamten, die davon betroffen sind, das überhaupt nicht einordnen. Das ist unsere Sorge.
Deshalb fordern wir in dem Antrag Transparenz. Das war Gegenstand der von mir getätigten Ausführungen. Wir wollen nachvollziehen, ob all diejenigen, die materiell antragsberechtigt sind, tatsächlich auch in den Genuss kommen. Wir haben Hinweise von Betroffenen, die sagen: Wahrscheinlich bin ich anspruchsberechtigt, aber diese Bürokratie beim LBV erschlägt mich.
Ich vermute, dass wir in Verbindung mit der Kurzfristigkeit der Verfahrenseinführung – Sie haben es angesprochen: Ende 2024 – jetzt noch keine repräsentativen Zahlen haben. Deshalb greife ich Ihre Anregung gerne auf. Wenn die Landesregierung es nicht von sich aus tut, werden wir die Zahlen in der Zukunft selbstverständlich gerne bei ihr anfragen.
(Beifall von der FDP)
Wichtig ist mir aber, dass wir über die Handlungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes insgesamt reden. Diese steht auf dem Spiel. In sensiblen Bereichen sind dauerhaft strukturell Tausende Stellen unbesetzt. Das wird auch Ihnen nicht entgangen sein.
Sie als Landesregierung kürzen daraufhin im nächsten Schritt die Ausbildungsstellen, da Sie ohnehin nicht genügend qualifizierte Bewerber dafür finden. Von den Anwärtern, die Sie trotz reduzierter Stellenzahl bei intensivem Personalmarketing gefunden haben, brechen immer mehr die Ausbildung ab oder entscheiden sich für andere berufliche Fortsetzungen. Das liegt nicht an gestiegenen Anforderungen; eher im Gegenteil. Wir sehen das bei der Finanzverwaltung und bei der Polizei.
Deshalb sagen wir Ihnen: Senden Sie ein Signal in Richtung der Beamtenschaft, dass das Land nicht für ein Bürokratiemonster steht und Sie den Beamten sieben Seiten kleingedruckte rechtliche Vorschriften präsentieren, sondern dass Sie den öffentlichen Dienst attraktiver machen wollen. Nach 141.000 Besoldungswidersprüchen, die wir Ihnen vorgelegt haben, müssten Sie wissen, dass es bei den Beamten Unzufriedenheit gibt.
Wir sagen Ihnen: Treten Sie mit unseren Landesbeamten in einen fairen und ergebnisorientierten Dialog auf Augenhöhe ein. Wir alle können davon im Sinne unseres Gemeinwesens nur profitieren. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. Jetzt lief meine Uhr hier oben in den negativen Bereich weiter. Das nur als Bemerkung.
(Ralf Witzel [FDP]: Dann sind wir quitt! – Heiterkeit von Britta Oellers [CDU])
Jetzt spricht für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Blöming.
Jörg Blöming (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Amtsangemessenheit der Alimentation war schon mehrfach Thema in unseren Debatten. Das ist auch grundsätzlich richtig so. Unsere Beamtinnen und Beamten leisten einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft.
(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)
Dafür müssen sie amtsangemessen besoldet werden.
(Beifall und Zuruf von Ralf Witzel [FDP]: Genau!)
Das steht völlig außer Frage. Das Bundesverfassungsgericht hat klare Kriterien dafür vorgegeben, was „amtsangemessen“ bedeutet. Der Begriff ist nicht mehr abstrakt, sondern unmissverständlich und nachvollziehbar bestimmt. Gerade die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht das sehr klar.
Die entsprechenden Berechnungen hat das Finanzministerium zusammen mit dem Gesetzentwurf bereits vorgelegt. Ebenso wurde im Haushalts- und Finanzausschuss am 23. Januar 2025 zur Verfassungskonformität der Alimentation im Jahr 2022 berichtet. Diese Feststellung wurde im Ausschuss bereits eingehend erörtert. Eine erneute parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Thema macht also nur dann Sinn, wenn wir eine grundlegend andere Ausgangslage haben.
(Ralf Witzel [FDP]: Ja!)
Die haben wir aber nicht,
(Ralf Witzel [FDP]: Gutachtenlage!)
auch wenn uns das der vorliegende Antrag suggerieren will.
Darin findet sich die Aussage, wonach die Landesregierung mit dem harten Urteil der Verfassungswidrigkeit konfrontiert wird. In dem vorliegenden Antrag ist aber nur von einem neuen Gutachten die Rede.
Die bereits lange vorliegende Bewertung von Professor Dr. Huber wird allerdings mit keinem Wort erwähnt. Dabei ist er in dem Bereich ein ausgewiesener Experte. Schließlich war er damals an der Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der Alimentation beteiligt. Seine Einschätzung zu dem Thema ist eine gänzlich andere. Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle, kurz aus der Anhörung zu zitieren:
„Ich finde, dass der Gesetzentwurf in geradezu schulmäßiger Weise die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anwendet […].“
Davon lese ich in dem Antrag nichts. Eine andere Ausgangslage beim Thema „Alimentation“ kann ich also nicht erkennen.
Schauen wir uns die weiteren Forderungen des vorliegenden Antrags einmal genauer an. Sie sind dem Grunde nach nicht falsch. Ich habe mich beim Lesen allerdings gefragt, ob sie überhaupt erforderlich sind.
Die Landesregierung wird aufgefordert, sich intensiv mit dem Gutachten von Professor Dr. Dr. Di Fabio auseinanderzusetzen.
(Ralf Witzel [FDP]: Ja! Genau!)
Das ist zweifellos erfolgt. Es handelt sich schließlich um das Gutachten eines renommierten ehemaligen Richters des Bundesverfassungsgerichts. Beauftragt wurde es vom Deutschen Beamtenbund Nordrhein-Westfalen. Bei diesem handelt es sich um den wichtigsten gewerkschaftlichen Dachverband im öffentlichen Dienst.
Die letzte Forderung im Antrag lautet, regelmäßig über die Entwicklung im Bereich der Alimentation zu berichten. Allerdings hat Finanzminister Dr. Optendrenk das im Ausschuss bereits vor einiger Zeit zugesagt. Wie bereits ausgeführt, stellt das Finanzministerium jährlich konkrete Vorlagen zur Alimentation zur Verfügung. Damit lässt sich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit genau nachvollziehen. Daher bedarf es an dieser Stelle keiner weiteren Beauftragung durch das Parlament.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die im Antrag geforderten Punkte zweifellos bereits umgesetzt sind. Die Berichterstattung wurde durch den Finanzminister ebenfalls zugesichert.
Wir wissen, wie wichtig ein starker öffentlicher Dienst in Nordrhein-Westfalen ist. Wir brauchen keine Scheinanträge, um das deutlich zu machen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel für unsere Beamtinnen und Beamten umgesetzt: von der Eins-zu-eins-Übertragung der Tariferhöhung bis zur Änderung der Laufbahnverordnung. Letztere haben wir gerade erst in der vorletzten Plenarsitzung beschlossen.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, entschuldigen Sie, dass ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Auch bei Ihnen besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage, diesmal von dem Abgeordneten Witzel.
(Simon Rock [GRÜNE]: Ah!)
Würden Sie die zulassen?
Jörg Blöming (CDU): Sehr gerne.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön.
Ralf Witzel*) (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Blöming. Weil wir uns mit großer wechselseitiger Wertschätzung seit vielen Jahren gemeinsam für den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen einsetzen, wollte ich Sie fragen, ob Sie uns denn auch inhaltlich eine Haltung von Ihnen und Ihrer Fraktion zu dem neu erschienen Gutachten von Professor Di Fabio mitteilen können?
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Herr Kollege Blöming.
Jörg Blöming (CDU): Vielen Dank für die Zwischenfrage. Ich denke, dass wir das ganz ausführlich im Ausschuss diskutieren sollten; heute ist ja nur die Überweisung.
Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion im Ausschuss. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu.
(Beifall von der CDU – Dr. Günther Bergmann [CDU]: Bravo!)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herzlichen Dank, Herr Kollege Blöming. – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Abgeordnete Zimkeit.
Stefan Zimkeit*) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Kollege Blöming, ich finde, dass wir hier mit Anmerkungen zur Wichtigkeit von gewerkschaftlichen Dachverbänden sehr vorsichtig sein sollten.
Die damit gerade verbundene Zurücksetzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes lehnen wir deutlich ab; wir weisen sie deutlich zurück. Wir sind der Meinung, dass die beiden großen Gewerkschaftsverbände in dieser Auseinandersetzung, die mit Ihnen geführt wird, gleich wichtig sind. Wir sollten da nicht den einen über den anderen stellen.
(Beifall von der SPD)
Die CDU hat hier wieder vorgetragen, dass alles gut und hervorragend sei. Ich frage mich, ob Sie die momentane Realität der Beamtinnen und Beamten und ihrer Dachverbände überhaupt noch wahrnehmen. Es gibt Tausende von Einsprüchen gegen verschiedene Jahrgänge der Alimentation. Es gibt scharfe Kritik der Dachverbände an dem aktuell diskutierten Gesetzentwurf.
Ich nehme mal einen heraus. Sie haben den dbb ja gerade zu dem wichtigsten erklärt. Der dbb sagt zu dieser Situation:
„Die Kolleginnen und Kollegen werden trotz der verfassungsrechtlich ungeklärten Situation von der Landesregierung im Regen stehen gelassen und auch den Gewerkschaften wird vor den Kopf gestoßen.“
Das ist die Einschätzung des von Ihnen gerade als wichtigsten bezeichneten Dachverbands. Und Sie stellen sich hier hin und sagen, es sei alles gut und sie machten eine hervorragende Politik. Sie nehmen die Realität nicht mehr so wahr, Herr Blöming, wie sie im Moment tatsächlich ist.
(Beifall von Alexander Baer [SPD])
Sie haben ja auch die Realität verweigert, damit umgehen zu müssen, dass das, was in der Diskussion eigentlich schon immer eine Rolle gespielt hat, jetzt mal von einem herausragenden Gutachter bestätigt worden ist, nämlich, dass es hinsichtlich der Frage, ob dies verfassungsmäßig ist oder nicht, erhebliche Probleme gibt.
Ich finde, dass damit schon eine konkretere Auseinandersetzung stattfinden sollte als die, die Sie mit einem Zitat aus einem anderen Gutachten vorgetragen haben. Das reicht uns nicht aus. Wir erwarten da mehr von der Landesregierung, aber auch von den regierungstragenden Fraktionen.
Ich will noch mal deutlich machen, dass es nicht nur darum geht, ob es verfassungskonform ist oder nicht. Es bleibt auch bei der inhaltlichen Kritik: Das ist ein schlechter Gesetzentwurf. Er ist mutmaßlich auch noch verfassungswidrig, aber er ist zumindest schlecht. Er lädt das Risiko bei der Alimentation auf die Schultern der Beschäftigten. Gerade Beschäftigte und Pensionärinnen und Pensionäre in den unteren Gehaltsgruppen sollen sich jetzt in schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen, Bewertungen und eigenen Gutachten bewegen. Das ist inhaltlich nicht in Ordnung. Wir halten es auch grundsätzlich für verfassungsrechtlich bedenklich, aber vor allen Dingen inhaltlich für falsch, dass sich die Landesregierung hier aus der Verantwortung stiehlt.
Deswegen erwarten wir – und da widersprechen wir der FDP – eigentlich viel Deutlicheres, als die FDP in ihrem Antrag formuliert. Dass geprüft, evaluiert, sich auseinandergesetzt werden muss, reicht uns nicht. Wir sind der Meinung, dass wir ein neues Gesetz brauchen, das Rechtssicherheit herstellt und mit dem wir wieder zu vernünftigen Berechnungsmethoden kommen. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie dieses Gesetz schnellstmöglich vorlegt, und machen, um das bestmöglich umsetzen zu können, ausdrücklich das Angebot – Sie sind ja auch bei kritischen Auseinandersetzungen immer in Schnellverfahren der Gesetzgebung im öffentlichen Dienst –: Lassen Sie uns gemeinsam einen mit den Gewerkschaften abgestimmten Gesetzentwurf zur Alimentation erarbeiten und im Schnellverfahren umsetzen, um Gerechtigkeit und verfassungsrechtliche Sicherheit zu schaffen.
(Beifall von der SPD)
Das wäre die eigentlich anzusprechende Konsequenz daraus. Da ist der FDP-Antrag zu schlecht.
Wenn ich in diesem Zusammenhang schon über die FDP rede, will ich noch eine Anmerkung machen. Sie sagen, es sollten in der Frage die rot-schwarzen Scheuklappen abgelegt werden. Dem stimme ich zu.
(Ralf Witzel [FDP]: „Schwarz-grün“ steht hier!)
– Schwarz-grüne, Entschuldigung.
Ich glaube, Sie sollten auch an Ihre schwarz-gelben Scheuklappen bei der Frage der Alimentation erinnern. Die größte Kritik der Gewerkschaften bezieht sich auf eine Regelung des Jahres 2022, bei der es sehr viele Widersprüche gibt, die jetzt von der Landesregierung im Schnellverfahren umgesetzt werden, und bei der die Gewerkschaften in die Bredouille gebracht werden, weil keine Musterverfahren geführt werden, sondern alle klagen sollen. Das ist ein Angriff auf die gewerkschaftliche Organisation, den ich für bedenklich halte.
Aber für das, was Sie noch vor Kurzem an diesem Redepult gesagt haben, dass nämlich die Familienangehörigkeit für die Alimentation wichtiger ist als die Leistung – das haben Sie vorhin gesagt …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, die Redezeit.
Stefan Zimkeit*) (SPD): Ich komme zum Schluss.
Dieses Gesetz haben Sie mitzuverantworten. Deswegen: Nehmen Sie auch Ihre eigenen Scheuklappen in der Frage mal ab. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Rock.
Simon Rock (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über ein Thema, mit dem wir uns in der Vergangenheit schon häufiger beschäftigt haben, zuletzt im Oktober 2024. Das ist gerade sieben Monate her.
Ich sage es ganz deutlich: In Sachen „Recyclingquote bei Anträgen“ – ausgerechnet im Haushalts- und Finanzbereich – ist die FDP wirklich vorbildlich unterwegs.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Nein!)
Im Kern reden wir darüber, welches Familienbild für Beamtinnen und Beamten angemessen ist. Ist es das Alleinverdienermodell wie zu Zeiten von Konrad Adenauer, wo der Mann noch einer bezahlten Beschäftigung nachging und für die Frau nur unbezahlte Care-Arbeit übrigblieb? Oder ist es das Doppelverdienermodell, bei dem beide arbeiten und sich auch die Hausarbeit aufteilen, bei dem beispielsweise der Mann vor der Arbeit die Kinder zur Kita oder in die Schule bringt, die Frau die Kinder nachher abholt, bei dem der Mann die Kinder ins Bett bringt und die Frau parallel die Küche aufräumt?
Mittlerweile stellen wir fest, dass 70% aller Ehen im 21. Jahrhundert in Form dieses Doppelverdienermodells geführt werden. Man kann eindeutig sagen: Dieses Doppelverdienermodell ist mittlerweile Standard in Deutschland geworden.
Da hat es eine gewisse Logik, diese Normalität auf die Beamtinnen und Beamten zu übertragen. Das sagen im Übrigen nicht nur wir, sondern auch 11 von 15 der anderen Bundesländer und der Bund. Wir in Nordrhein-Westfalen sind da in keiner Sonderrolle, sondern in guter Gesellschaft mit der großen Mehrheit der anderen Bundesländer sowie der Bundesregierung.
Herr Kollege Witzel, ich will Folgendes einmal sagen. In allen Bundesländern, in denen die FDP mitregiert – zugegebenermaßen sind es nicht mehr so viele, aber es sind immerhin zwei, nämlich Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz – gibt es dieses fiktive Partnereinkommen.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Christian Lindner hat, als er noch Bundesfinanzminister war, einen Gesetzentwurf mitgetragen, mit dem dieses fiktive Partnereinkommen auf Bundesebene eingeführt werden sollte.
In Richtung der SPD: In den allermeisten Bundesländern, in denen die SPD mitregiert, gibt es dieses fiktive Partnereinkommen auch – im Übrigen in vielen Bundesländern in einer viel höheren Höhe als das, was wir in Nordrhein-Westfalen unterstellen. Wir unterstellen nämlich nur die Höhe eines Minijobs. Ich finde, es gehört zur Wahrheit dazu, das an der Stelle einmal zu erwähnen und zur Kenntnis zu nehmen.
(Beifall von Gönül Eğlence [GRÜNE], Jan Matzoll [GRÜNE] und Matthias Kerkhoff [CDU])
Wir müssen auch sagen: In Nordrhein-Westfalen haben wir anders als andere Bundesländer, in denen die SPD mitregiert, auch die Möglichkeit, Antrag auf einen Ergänzungszuschlag zu stellen. Das heißt: Wenn die Besoldung im Einzelfall unter das verfassungsrechtliche Minimum fällt, weil der Ausnahmefall gegeben ist, dass das Doppelverdienermodell nicht gewählt wird und andere Rahmenbedingungen erfüllt sind, kann es auf Antrag noch einen Zuschlag geben. Das ist anders als in vielen anderen Bundesländern der Fall. Ich habe eben die Zahlen zitiert. Die Aufrufzahlen scheinen nicht sonderlich hoch zu sein. Deshalb, finde ich, muss man sich einfach mal die Fakten anschauen und ein bisschen mehr Sachlichkeit in die Debatte reinbringen.
Wenn Sie jetzt sagen, das sei von einem Verfassungsrichter als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft worden, der das im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes gemacht hat, der das schon immer auch aus politischen Gründen nicht befürwortet hat – ich kann das aus dessen Sichtweise auch verstehen; aber dessen Sichtweise muss ja nicht unbedingt die Sichtweise des Landesgesetzgebers sein –, muss man auch sagen, dass es einen anderen Verfassungsrichter gibt, der sich ausweislich der Sachverständigenanhörung sehr ausdrücklich politisch und auch rechtlich dafür ausgesprochen hat. Am Ende ist es, wie es immer oder häufig ist: zwei Verfassungsrichter, mindestens zwei Meinungen. Glauben Sie mir, dass ich an der Stelle weiß, wovon ich spreche. Ich finde, das sind Sachen, über die man sich im Verfahren, in weiteren Ausschussberatungen sehr intensiv austauschen kann. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Es ist Ihrer Aufmerksamkeit sicherlich nicht entgangen, dass eine Kurzintervention angemeldet ist, und zwar von dem Abgeordneten Witzel, der nun Gelegenheit zu seiner Kurzintervention hat. Bitte schön.
(Jens-Peter Nettekoven [CDU]: Ich wusste es!)
Ralf Witzel*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Rock, weil Sie mich eben so freundlich gefragt hatten, möchte ich Sie jetzt nicht in die Schwierigkeit bringen, nähere Ausführungen zu der Frage, wie man vor Verfassungsgerichten gewinnt und verliert, zu machen.
Ich würde Sie aber schon bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie damit argumentiert haben, dass die gesellschaftliche Realität heute eine andere ist als vor ein paar Jahrzehnten – dem widerspreche ich nicht –, aber ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen, dass es hier doch nicht um gesellschaftliche Realität geht. Es war doch nicht der gesellschaftspolitische Antrieb der Landesregierung, hier etwas ändern zu wollen.
Es stecken doch handfeste finanzielle Interessen dahinter. Und wir haben den Finanzminister gefragt: Wie viel spart er denn dadurch, dass er es so macht? – Da haben wir die Antwort bekommen: Das ist im Ministerium gar nicht erst berechnet worden. – Diese Zahl gibt es also für uns gar nicht. Trotzdem ist doch der Kausalzusammenhang hier völlig klar.
Deshalb würde ich Sie bitten, das einmal einzuordnen. Professor Di Fabio halten wir für eine absolute Koryphäe im Verfassungsrecht. Er ist ein sehr unabhängiger, streitbarer Kopf. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, Ihre Minute ist um.
Ralf Witzel*) (FDP): ...einig sein, dass das kein Gefälligkeitsgutachten gewesen ist.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Sie sehen, dass auch meine Uhr immer weiterläuft. – Herr Kollege Rock, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte schön.
Simon Rock (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Erstens. Wer bin ich, die Expertise von Herrn Professor Di Fabio grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, genauso wie Sie sicherlich auf der anderen Seite die Expertise von Herrn Professor Huber nicht in Zweifel ziehen wollen. Das ist das, was ich zuletzt damit angesprochen habe.
Abgesehen von der Frage der Motivation der Änderung der entsprechenden Regelungen will ich doch noch zum einen auf den Gesetzentwurf der Landesregierung und zum anderen auf das Gesetzgebungsverfahren und die Debatten verweisen, wo wir sehr eindeutig die Positionierung und die Argumentation, die ich gerade angeführt habe, auch im Verfahren sehr deutlich gemacht haben. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass Beamtinnen und Beamte nicht frei sind von allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen und selbstverständlich auch mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich über Jahrzehnte entwickeln, Schritt gehen werden. Vor dem Hintergrund ist die Motivation dafür da, dass das Rollenmodell bzw. das Besoldungsmodell ...
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, auch Ihre eine Minute ist um.
Simon Rock (GRÜNE): … durchaus nachvollziehbar ist. – Vielen Dank, und Entschuldigung, dass ich überzogen habe.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herzlichen Dank dafür. – Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Beucker.
Dr. Hartmut Beucker*) (AfD): Geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Beruf bin ich ja Rechtsanwalt. Vom Studium der Rechtswissenschaften war ich auch deswegen so begeistert, weil man da ein ganz breites Spektrum von Sachen gelernt hat.
Zum Beispiel gab es in der Rechtsgeschichte das Institut des Eideshelfers, und zwar im Hochmittelalter. Beim Eideshelfer ging es darum, dass, wer etwas behauptet hatte, einen Eideshelfer benennen konnte. Der belegte dann aber nicht die Tatsache, um die es da ging, sondern belegte nur den guten Leumund dessen, der da die Behauptung aufgestellt hatte. Später, als das römische Recht in der Renaissance entdeckt wurde, ging dieses Prinzip quasi verloren, und wir haben dann die Wahrheit als Prinzip genommen, wo dann auch der Spruch „ludex non calculat“ eine Rolle spielte. Man konnte bis zu 36 Eideshelfer benennen, und der Richter zählte dann nicht die Eides-Helfer, sondern wog die Argumente ab. Das heißt das nämlich: nicht, dass der Richter nicht rechnen kann, sondern dass er abwägt und nicht zählt.
Wenden wir das auf diesen Antrag an, dann wäre Herr Professor Dr. Di Fabio sicherlich ein ganz hervorragender Eideshelfer, weil seine Kompetenz völlig außer Frage steht. Aber darum geht es nicht. Es geht um die Argumente in seinem Gutachten, also nicht um den Gutachter, sondern um das Gutachten. Sind die Argumente neu? Sind sie gut? Das ist vielleicht der Fall, aber sie sind auf keinen Fall neu. Sie sind alle bereits abgewogen, und deswegen müssten wir uns im Ausschuss eigentlich damit nicht mehr befassen, weil wir auf der Grundlage der bereits vorliegenden Argumente schon entschieden haben.
Es wäre ehrlicher gewesen, dieses Gutachten nicht vorzuschieben, sondern gleich zu sagen: Wir müssen das unbedingt noch einmal behandeln. Ich empfinde es als nicht kollegial, dieses Gutachten insofern vorzuschützen. Wir sind gerne bereit, das im Ausschuss noch einmal zu diskutieren, aber nicht unter diesem Vorwand. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr, Herr Abgeordneter Dr. Beucker. – Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Dr. Optendrenk.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Präsident, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Frage des Familienbildes und zu der Frage dessen, was wir als Lebenswirklichkeit in Deutschland haben, hat Kollege Rock schon einiges gesagt. Das will ich an dieser Stelle nicht wiederholen.
Wir haben ein modernes Familienbild in Deutschland, das wir zugrunde legen bei ganz vielen Gesetzen, die allgemein oder für bestimmte Gruppen gelten. Wir haben uns im letzten Jahr in einem Gesetzgebungsverfahren darüber unterhalten, ob wir dieses Familienbild auch – so wie es elf andere Bundesländer und der Bund tun – auf das Besoldungsrecht in Nordrhein-Westfalen anwendbar machen.
Die früheren Regelungen haben wir überarbeitet, und wir haben uns an vielen Stellen an dem orientiert, wie es die Gewerkschaften empfinden, dass wir nämlich einen minimalinvasiven Eingriff in das bisherige Besoldungsrecht machen.
Wir haben uns für zwei Komponenten entschieden. Die eine hat Kollege Rock eben schon dargestellt. Wir haben nämlich gesagt: Wir machen es nur auf der Basis eines fiktiven Partnereinkommens, eines Minijobs.
Bayern hat jenseits von 20.000 Euro fiktive Anrechnungen, Hamburg jenseits von 10.000 Euro. Bei uns sind es 500 Euro und ein bisschen – Sie können es ausrechnen –: mal zwölf sind Sie dann bei etwa 6.000 Euro. Das heißt, das fiktive Einkommen führt überhaupt nicht zu irgendeiner Fragestellung bezogen auf eine derzeit verfassungskonforme Alimentation, wie Sie das eben insinuiert haben, Herr Kollege Witzel. Es führt vielmehr zu der Frage, ob man dann, wenn man zum mehrfachen Mal aus innerer Überzeugung, dass die Eins-zu-eins-Übertragung eines Tarifabschlusses dasjenige ist, was wir politisch wollen, im Zuge eines solchen Gesetzgebungsverfahrens überlegt, ob man etwas nachzieht, was an allen anderen Stellen – bis auf ganz wenige, die das wegen bevorstehender Landtagswahlen nicht angepackt haben – schon gemacht worden ist.
Ich sage es explizit bezogen auf Rheinland-Pfalz: In Rheinland-Pfalz hat man ein fiktives Partnereinkommen in Höhe eines Minijobs, aber kein Antragsrecht für einen Ergänzungszuschlag im Zweifelsfall. In Rheinland-Pfalz ist die FDP seit vielen Jahren an der Regierung beteiligt. Ich habe nicht gehört, dass Sie sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob die Kollegen da Unrechtes tun.
In Hamburg gibt es einen hoch angesehenen SPD-Finanzsenator – gerade wieder bestellt –, der aus innerster Überzeugung zu der Auffassung kommt, dass das, was sie da tun, nicht nur verfassungskonform ist, sondern er hat sogar gesagt: Wenn das im Einzelfall nicht so ist, dann soll es die Möglichkeit geben, das außerhalb eines Widerspruchs- oder Gerichtsverfahrens überprüfen zu lassen. Wir wollen das mit einem Antragsrecht verknüpfen.
Daher haben wir jetzt das rheinland-pfälzische Modell eines minimalinvasiven Eingriffs in der Struktur kombiniert mit dem Hamburger Modell eines Antrags, den man stellen kann. Einen geringeren Eingriff hat keine andere Institution in Deutschland, die ein solches Gesetzgebungsverfahren diskutiert hat, auch nicht im letzten Jahr.
Wenn – um auch einmal die juristische Bewertung zu nennen – klar ist, dass ein Familienbild nicht nur für alle anderen, sondern auch für die Beamtinnen und Beamten gelten soll, und sich der Landtag dafür entscheidet, dass ein solches Familienbild Grundlage der Alimentation sein soll, und man das als Gesetzgeber entsprechend regelt, dann stellt sich für mich nicht die Frage, ob sich die Verfassungswidrigkeit einer solchen Regelung, wie Herr Professor Di Fabio das anlegt, ausgerechnet aus einem Antragsrecht ergibt.
Es ist kein Antragserfordernis, und deshalb teile ich seine rechtliche Interpretation nicht. Ich glaube, dass es so, wie es in Hamburg bei einem deutlich höheren fiktiven Partnereinkommen angelegt worden ist, ein zusätzliches Recht ist, überprüfen zu lassen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen andere sind, als der Gesetzgeber typisierend annimmt.
Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, dass wenn das eine, nämlich dieses fiktive Partnereinkommen, grundsätzlich verfassungskonform sein soll – etwas anderes behauptet auch er nicht – dann ausgerechnet etwas, was die Beamtinnen oder die Beamten begünstigen kann – nämlich eine individuelle Einzelfallprüfung –, zu einer Verfassungswidrigkeit führen soll. Das kann man nur sagen, wenn man unterstellt, dass es ein Antragserfordernis ist.
Wir haben aber in der Tat nur wenige Fälle – das war auch in dem gesamten Gesetzgebungsverfahren unser Thema –, in denen der seltene Ausnahmefall gegeben sein wird. In 2025 sind bisher ganze 23 Anträge beim LBV eingegangen. Ich kann nicht verstehen, wieso das die Rechtsfolge sein soll. Deshalb teile ich die Auffassung von Herrn Professor Huber und anderen Sachverständigen, dass wir es mit einem verfassungskonformen Gesetz zu tun haben und dass es kein Erfordernis gibt, dass sich der Gesetzgeber damit noch einmal beschäftigt. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Optendrenk. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14018 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Unterausschuss Personal des Haushalts- und Finanzausschusses. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zu:
9 Zwei Milliarden Euro für „Grünen Stahl“ bei Thyssenkrupp am Sankt-Nimmerleinstag – Ein industriepolitisches Subventionsfiasko und Massenentlassungen müssen verhindert werden
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14028
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Loose für die AfD-Fraktion das Wort.
Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Ihrer wahnsinnigen Klimapolitik treiben Sie thyssenkrupp Steel in die Insolvenz. Oder glauben Sie wirklich, dass thyssenkrupp Steel zukünftig jedes Jahr 2 Milliarden Euro aufbringen wird, um die Klimasteuern zu bezahlen?
Aktuell zahlt thyssenkrupp jährlich 400 Millionen Euro für den Kauf von CO2-Zertifikaten. Einen Teil der CO2-Zertifikate erhält thyssenkrupp nämlich noch gratis. Doch in einigen Jahren muss thyssenkrupp die teuren CO2-Zertifikate vollständig kaufen. Dann entstehen in jedem Quartal Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro. Doch kann thyssenkrupp das bezahlen?
Schauen Sie sich doch einmal den letzten Quartalsbericht an. Thyssenkrupp machte im letzten Quartal 23 Millionen Euro Verlust. Sie wollen, dass thyssenkrupp demnächst Quartal für Quartal 500 Millionen Euro allein für CO2 ausgeben soll. Jeder Grundschüler kann doch sehen, dass das nicht funktionieren wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir unserer Industrie die Chance geben, aus der von Ihnen aufgestellten Klimafalle endlich zu entkommen. Die mittelfristige Lösung muss es sein, diese Klimaabgaben und Steuern abzuschaffen. Das würde thyssenkrupp massiv entlasten und Arbeitsplätze retten.
Hier kann die NRW-Landesregierung helfen und zusammen mit der Bundesregierung auf die EU einwirken. Denn Deutschland ist der größte Nettozahler der EU und kann dieses Gewicht einsetzen, um diese Regeln zu ändern. Aber dafür müssten Sie diesen Schritt auch gehen wollen. Ich befürchte aber, dass es noch lange dauert, bis Sie nüchtern aus Ihrer Klimabesoffenheit erwachen.
Kurzfristig könnte man den Unternehmen auch erlauben, statt der teuren europäischen CO2-Zertifikate andere international anerkannte CO2-Zertifikate zu nutzen. Damit könnte thyssenkrupp Hunderte von Millionen Euro sparen und trotzdem Ihre ideologischen CO2-Vorgaben erfüllen. Denn heißt es nicht immer: „Die ganze Welt muss CO2 einsparen“? Dann lassen Sie thyssenkrupp doch woanders CO2-Zertifikate kaufen, denn dem CO2 ist es doch egal, wo es gespart oder emittiert wird.
Statt aber thyssenkrupp und die Stahlsparte zu entlasten, zwingen Sie dem Unternehmen einen teuren Umbau auf: den Umbau von einem der vier Hochöfen. Damit das Unternehmen dabei mitmacht, verschenken Sie 2 Milliarden Euro Steuergeld – 2 Milliarden Euro, die an anderer Stelle fehlen, die beim Bau von Schulen fehlen, die beim Bau von Krankenhäusern und beim Bau von Brücken fehlen. Aber es ist ja nicht das Geld von Hendrik Wüst oder das Geld von Frau Mona Neubaur.
2 Milliarden Euro ohne Jobgarantie. 2 Milliarden Euro ohne dass garantiert wird, dass jemals mit diesem Ofen Stahl produziert wird. Die 2 Milliarden Euro sollen für Planung, Bau und Betrieb ausgegeben werden. Doch die Landesregierung lässt alle Abgeordneten im Dunkeln, wie viel Geld für welche Projektphase zur Verfügung steht. Nicht einmal im nichtöffentlichen Teil des Wirtschaftsausschusses gibt es Transparenz.
Dabei ist es wichtig, zu wissen, wie viel Geld wann ausgegeben wird. Denn wenn es einen Projektabbruch gibt, dann müssen wir Abgeordnete wissen, wie viel Geld bis dahin verbrannt worden ist und wie viel Geld noch zurückgeholt werden kann, damit eben nicht das Gleiche, wie bei der Batteriefabrik Northvolt passiert. Dort ist bis heute unklar, ob der Schaden, den Robert Habeck da angerichtet hat, den Steuerzahler 620 Millionen Euro oder gar bis zu eine Milliarde Euro kosten wird.
Diese Transparenz fordern wir von der Landesregierung ein. Die Regierung muss endlich offenlegen, wann wie viel Geld fließt und was von thyssenkrupp überhaupt an Bedingungen zu erfüllen ist.
Was passiert mit den Steuergeldern, wenn das Unternehmen zerschlagen wird? Was passiert mit den Steuergeldern, wenn thyssenkrupp das Projekt abbricht oder wenn thyssenkrupp Steel in die Insolvenz geht? Wie wird sichergestellt, dass bei dem Projekt nicht nur sogenannte Eh-da-Kosten budgetiert werden?
Mit unserem Antrag legen wir Ihnen zwei wichtige Punkte zur Abstimmung vor. Erstens entscheiden Sie sich für eine echte Transparenz bei der 2-Milliarden-Euro-Subvention. Zweitens retten Sie den Standort und Tausende von Arbeitsplätzen, indem Sie die Klimasteuern und Abgaben endlich abschaffen. Beweisen Sie Mut, und stimmen Sie für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und unseren Antrag! Für Freiheit, Wohlstand und Vernunft. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr, Herr Abgeordneter Loose. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Untrieser.
Dr. Christian Untrieser*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir extra noch einmal aufgeschrieben, was Herr Loose heute Morgen zu thyssenkrupp Steel gesagt hat. Ich zitiere:
„Das Unternehmen leidet, weil Stahlproduktion in Deutschland kaum noch bezahlbar ist. Durch Bürokratie und Mitbestimmung deutlich geringere Effizienz.“
Herr Loose, Sie sagten heute Morgen, dass ein mitbestimmtes Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den mitbestimmten Branchen.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Ich denke, dass alle Kollegen dafür sorgen werden, damit demnächst jeder in Duisburg hören wird, was Sie heute dazu gesagt haben.
Ansonsten lohnt es sich fast nicht, zu dieser Debatte, die Sie gerade wieder aufgemacht haben, etwas zu sagen. Ich möchte die Redezeit aber dafür nutzen, noch einmal zu erläutern, warum wir diese Politik machen. Warum stellen wir als Land Nordrhein-Westfalen bis zu 700 Millionen Euro und der Bund dann auch noch bis zu 2 Milliarden Euro für den Bau einer Direktreduktionsanlage zur Verfügung?
Wir machen das zum Ersten, weil wir wissen, dass Klimaschutz richtig und vernünftig ist, und weil es für die nachfolgenden Generationen wichtig ist, dass wir eine Industrie haben, die ohne Treibhausgase produziert. Zum Zweiten ist es wichtig, dass diese Stahlproduktion in Deutschland und nicht anderswo auf der Welt stattfindet. Das ist für uns elementar wichtig, weil Stahl ein ganz, ganz wichtiges Produkt auch für viele andere Wertschöpfungsstufen gerade in Nordrhein-Westfalen ist. Und uns ist wichtig, dass die Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen ist.
Deswegen geben wir diesen – das muss man sagen – wirklich hohen Betrag. Jeder Abgeordnete hier im Haus befasst sich demnächst wieder mit dem Haushalt, und wir überlegen: fünf Millionen Euro hier, fünf Millionen Euro da, zehn Millionen dort usw. Da sind 700 Millionen Euro extrem viel Geld. Das ist vollkommen klar. Allerdings glauben wir, dass dieses Geld gut angelegt ist.
Wenn diese Direktreduktionsanlage in Duisburg entstanden ist und grünen Stahl produziert, ist das ein ganz, ganz erheblicher Hebel zur Senkung unserer Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen. Das sind mal eben 15 bis 20 % der Emissionen der Industrie. Das ist also wirklich ein ganz, ganz großer Hebel. Zugleich ist es noch ein Booster für die Wasserstoffwirtschaft in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt. Deswegen machen wir das.
Deswegen sind wir auch an der Seite von thyssenkrupp. Ich war da, Kollegen waren ebenfalls dort, und wenn man mit den Leuten von thyssenkrupp in Duisburg redet, sagen sie: Wir sind stolz auf diese neue Anlage. – Das ist eine Anlage, die weltweit ihresgleichen sucht. So etwas gibt es bisher noch nicht, und hier in Duisburg entsteht eine echte Weltneuheit. Deswegen machen wir das.
Wir müssen aber auch deshalb das Geld dafür einsetzen, weil wir sehen, dass es aktuell noch nicht möglich ist, mit dieser Anlage das Geld zu verdienen, das für sie benötigt würde. Deswegen machen wir eine Subventionierung. Das ist auch vollkommen in Ordnung.
Daneben ist heute Morgen und in der aktuellen Debatte deutlich geworden, dass die Probleme, die thyssenkrupp hat, wenig mit der Direktreduktionsanlage zu tun haben, die ja erst in wenigen Jahren dort stehen muss. Wir stehen wirklich vor Problemen. Thyssenkrupp muss sich strukturell anders aufstellen. Die Stahlproduktion muss wettbewerbsfähiger werden. Wir befinden uns in einem harten internationalen Wettbewerb.
Ich bin auch froh, dass wir von der Bundesebene jetzt die richtigen Signale bekommen, damit es aufwärts gehen kann, damit wir bei den Industriestrompreisen etwas machen, damit die Stromsteuer gesenkt wird, damit wir bei CBAM etwas machen. Die Bundesregierung hat auch ganz deutlich gemacht – und da hat sie die volle Unterstützung der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen –, dass wir wirklich für niedrige Energiepreise sorgen können.
Dieses Projekt der Direktreduktionsanlage in Duisburg ist weltweit ein Leuchtturmprojekt. Es ist ein Beitrag dazu, dass Nordrhein-Westfalen treibhausgasneutral wird. Es ist ein Beitrag für sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesem Land. Das wollen wir alle, und deswegen gehen wir diesen Weg konsequent weiter. – Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Herr Untrieser, Sie haben schon gesehen, dass eine Kurzintervention von dem Abgeordneten Herrn Loose vorliegt. – Herr Loose.
Christian Loose*) (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Untrieser, Sie sagten, wenn thyssenkrupp diesen grünen Stahl produziere, dass NRW dann so viele CO2-Emissionen sparen würde. Darin liegt Ihr entscheidender Denkfehler, denn diese Anlage wird niemals grünen Stahl produzieren, weil das viel zu teuer ist. Sie erhöhen bei diesem Verfahren die Kosten für die Stahlproduktion um 200 bis 300 Euro. Das wird dazu führen, dass Sie diesen Stahl nirgendwo auf der Welt verkaufen können.
Als Staat können Sie die Bürger natürlich dazu zwingen, diesen Stahl zu kaufen. Das wollen Sie ja.
(Zuruf von Gönül Eğlence [GRÜNE])
Sie wollen Quoten einführen. Dann geschieht es aber nur aufgrund von Zwang, dass dieser Stahl verkauft wird.
Zudem haben Sie bis heute keinen Wasserstoff. Sie haben keine entsprechenden Wasserstoffleitungen, die ausreichend sind. Sie können noch nicht einmal garantieren, dass dieses Verfahren vom Technischen her laufen könnte.
Sie sagten des Weiteren, kein anderer auf der Welt würde das machen. Vielleicht sollten Sie sich die Frage stellen, warum das kein anderer auf der Welt das macht und zum Beispiel Indien ein Verfahren nutzt, bei dem nur 200 Millionen Euro statt 2 Milliarden Euro an Umbaukosten entstehen. – Vielen Dank.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Sie haben das Wort, Herr Untrieser.
Dr. Christian Untrieser*) (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist skurril. Wenn ich sage, das ist die erste Anlage, und dann ist man Technologieführer, dann ist Ihre Argumentation: Das macht kein anderer auf der Welt. – Das ist schon einmal in sich wirr. Es ist die tollste und modernste Anlage weltweit, die dort entstehen wird.
Ich bin des Weiteren überzeugt: Diese Anlage wird fertiggestellt werden. Sie wird gebaut werden, und dann wird sie natürlich auch laufen. Wir werden auch dafür sorgen, dass dann der Wasserstoff da ist. Dafür wird derzeit ja der Wasserstoffhochlauf geplant mit dem Wasserstoffnetz, das gerade auch in Nordrhein-Westfalen sehr stark im Entstehen ist. Und dann wird dort vor Ort in Duisburg grüner Stahl produziert werden.
Ihre letzte Frage war: Wird er dann auch gekauft werden? Ja, ich bin davon überzeugt, dass er dann auch verkauft wird. Wenn Sie vielleicht ein bisschen mehr Zeitung oder anderes lesen würden, wüssten Sie auch, dass thyssenkrupp schon ein Memorandum of Understanding hat mit anderen großen Playern, die sagen: Ich möchte für meine Produkte grünen Stahl aus diesem Werk haben.
Insofern ist das die Zukunft. Wir werden weiter mutig diesen Weg gehen. Da lassen wir uns auch nicht beirren. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat nun der Abgeordnetenkollege Herr Börner das Wort.
Frank Börner (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Ziel ist es in der Wirtschaftspolitik, den Industriestandort im Ruhrgebiet, in der Mitte von Europa, zu erhalten. Das geht – da sind sich eigentlich die meisten Fachleute einig – nur mit einer gelingenden Transformation zu CO2-freien oder sehr CO2-armen Technologien. Das muss gelingen, und das wird gelingen, auch wenn die AfD-Ideologie der Ignoranz der Wirklichkeit das anders propagiert.
Die erfolgreiche Errichtung und das erfolgreiche Betreiben einer Direktreduktionsanlage ist ein wichtiger Baustein für eine zukunftsfähige und nachhaltige Stahlproduktion, in dem Fall in meiner Heimatstadt, in Duisburg. Darauf setzen die Menschen. Sie hatten gerade darauf hingewiesen, dass auch die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter stolz darauf sind, an dieser Technologie teilhaben zu dürfen. Insofern ist das ein allgemein akzeptiertes und klares Projekt für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes.
Seit Monaten liegt aber ein Schatten über dem Stahlstandort Duisburg und der Umgebung. 20.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Mit Zulieferern und allem reden wir von 100.000 Arbeitsplätzen, die wackeln. Sollte so etwas eintreffen, was wir alle nicht hoffen, wäre das eine Situation, die die gesamte Region verändern würde.
In regelmäßigen Abständen kommen nicht zu Ende gedachte Konzepte aus der thyssenkrupp-Zentrale. Derzeit geht es um die Zerschlagung des Traditionsunternehmens thyssenkrupp. Die Stadtgesellschaft ist verunsichert. Es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Es geht um den Erhalt der Mitbestimmung. Es geht darum, ein zukunftsfähiges Konzept zu finden, wie dieser Stahlstandort erhalten werden kann – und damit die Arbeitsplätze.
In dieser Situation kommt die AfD, schlägt den Stahlarbeitern quasi ins Gesicht und sagt: Euer Zukunftskonzept nehmen wir euch weg, wenn wir es denn könnten, weil das nicht in unsere Ideologie passt. Wir wollen die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nehmen, sondern einfach unsere Ideologie weiter fortsetzen und damit den Stahlarbeitern letztlich das Rückgrat brechen, was die Hoffnung auf ein zukunftsfähiges Stahlwerk angeht.
Das ist schlichtweg widerlich und zeigt, dass die AfD kein Interesse an den Menschen und an der Erreichung eines Ziels hat, sondern einfach nur ihr Ding machen will. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Abgeordnetenkollege Herr Matzoll.
Jan Matzoll (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für ein verschwörungstheoretisches, verschwörungsideologisches Bullshit-Bingo die AfD hier wieder abliefert – Wahnsinn!
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Die AfD will zurück in eine fossile Vergangenheit. Sie nennen das Vernunft. Ich nenne das eine ideologische Sackgasse und eine Gefahr für die Menschen in unserem Land. Das mag Ihnen Applaus von einem Kriegsverbrecher im Kreml einbringen,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
das mag Ihnen Applaus von einem verurteilten Straftäter im Weißen Haus einbringen – aber nicht von den Menschen im Ruhrgebiet, nicht von den Menschen in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Daher gibt es dazu eigentlich auch nichts zu sagen. In diesem Sinne: Wir lehnen den Antrag ab. AfD-Verbot jetzt! – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Für die Fraktion der FDP hat nun der Abgeordnetenkollege Herr Brockes das Wort.
Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir bekennen uns klar zu den europäischen Klimaschutzzielen und wollen perspektivisch eine klimafreundliche Industrie. Dazu gehört auch grüner Stahl.
Der Antrag der AfD fußt auf der grundlegenden Leugnung, dass der Mensch Einfluss auf den Klimawandel hat. Wer den menschlichen Einfluss ignoriert, braucht natürlich auch keine Gegenmaßnahmen. Wer so formuliert, stellt sich aber nicht der Realität.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Die Umstrukturierung von thyssenkrupp reiht sich in eine Reihe von Rückschlägen für die nordrhein-westfälische Industrie ein. Die Gründe dafür sind bekannt: zu hohe Energiekosten, zu hohe Lohnnebenkosten, ein enormer Bürokratieaufwand und eine unzureichende Infrastruktur.
Schwarz-Grün verschärft diese Krise durch eine verfehlte planwirtschaftliche Transformations- und Industriepolitik.
(Beifall von der FDP)
Insbesondere der ohne Not vorgezogene und nicht abgesicherte Kohleausstieg bis 2030 stellt die gesamte energieintensive Industrie in Nordrhein-Westfalen vor eine existenzielle Bedrohung. Ihre Politik ist leider gescheitert, weil man Wettbewerbsnachteile nicht mit Subventionen ausgleichen kann.
Schwarz-Grün betreibt eine Politik für einzelne Unternehmen, anstatt unsere Marktwirtschaft in Gänze zu stärken. Damit, meine Damen und Herren, treiben Sie Unternehmen immer weiter in die Produktionsverlagerung ins Ausland.
Unternehmen ohne Wasserstoffinfrastruktur, ohne Wasserstoffangebot und ohne ein tragfähiges Geschäftsmodell zur Herstellung von grünem Stahl zu drängen, ist aus unserer Sicht unverantwortlich.
Die Regierung Wüst agiert anlässlich dieser schweren Krise der Industrie mit ergebnislosen Spitzentreffen und Sonntagsreden zum Industriestrompreis. Die SPD ist da leider auch nicht viel besser, beschimpft das Management von thyssenkrupp und möchte den Betrieb am liebsten verstaatlichen.
Anstatt schwarz-grüner Sonntagsreden und Beschimpfungen des Managements oder Verstaatlichungsfantasien brauchen wir jetzt eine wirkliche, eine echte Wirtschaftswende mit tragfähigen Rahmenbedingungen.
(Beifall von der FDP)
Wir Freien Demokraten fordern Schwarz-Grün auf, für eine vernünftige, technologieoffene Energiepolitik zu sorgen, den Bürokratieabbau massiv voranzutreiben, steuerliche Entlastungen und Anreize für Investitionen umzusetzen und den schnellstmöglichen Aufbau einer bedarfsgerechten Energie- und Verkehrsinfrastruktur auf den Weg zu bringen.
Die Beschäftigten von thyssenkrupp machen sich zu Recht Sorgen, Sorgen um ihre Zukunft und um die Zukunft ihrer Familien. Das ist leider gut nachzuvollziehen.
Ich möchte hier dafür werben, eine Umstrukturierung von thyssenkrupp auch als Chance zu sehen. Die Stahlsparte macht seit Jahren deutliche Verluste und verbraucht Kapital, das den übrigen, eigentlich rentablen Sparten gut dienen könnte. Sie wurden durch die Stahlsparte in ihrer Entwicklung leider gehemmt und können daher von der Aufspaltung jetzt profitieren. Sehen kann man das an TK Elevator, einem thyssenkrupp-Betrieb, der seit der Abspaltung hervorragend dasteht – ohne negative Konsequenzen für die Beschäftigten.
Ich komme zum AfD-Antrag zurück. Die AfD verkennt entscheidende Punkte. Direktreduktionsanlagen wie bei thyssenkrupp senken die Emissionen selbst im Erdgasbetrieb erheblich und können dann sukzessive einen steigenden Anteil Wasserstoff einspeisen. Sie senken CO2-Emissionen immer weiter bis zur vollständigen Klimaneutralität ab.
Das Problem ist nicht die Technik, sondern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie Umweltauflagen, Genehmigungen und Lärmschutz. Diese überbordende Bürokratie behindert Innovationen und Investitionen in Nordrhein-Westfalen. Den Antrag lehnen wir deshalb auch ab.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die Debatte kurz, weil auf der Besuchertribüne soeben eine Delegation aus der NRW-Partnerregion Ghana Platz genommen hat.
Lassen Sie uns gemeinsam den Obersten Häuptling der Region New Juaben, Seine Majestät Herr Daasebre Kwaku Boateng III, und seine insgesamt 15-köpfige Delegation begrüßen.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Begleitet wird Seine Majestät von seinem obersten Berater, dem Manwerehene von New Juaben, Herrn Nana Adu Gyamfi Kumanini, und seinem Palastchef, dem obersten Ankobiahene von Suhyen, Herrn Kwaku Kwatiah Asare, sowie von Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und Medienvertretern.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Unsere Gäste informieren sich heute und morgen über die Gesetzgebung NRWs zu gelungenen Beispielprojekten im Bereich „Städtepartnerschaften“ und „Jugendbeschäftigungsinitiativen“.
Majestät! Liebe Delegation! Herzlich willkommen im Landtag Nordrhein-Westfalen! Welcome!
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Wir führen unsere Debatte fort. Für die Landesregierung hat nun Minister Herr Laumann in Vertretung für Ministerin Mona Neubaur das Wort.
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits heute Morgen sehr ausführlich über thyssenkrupp gesprochen. Trotzdem will ich es noch einmal wiederholen.
Die Landesregierung gibt ein klares Bekenntnis zum Stahlstandort in Nordrhein-Westfalen ab. Wir unterstützen als Landesregierung den Weg der Transformation, der eine zukunftsfeste Stahlherstellung sichert. Deswegen hat man sich auch entschieden, rund 700 Millionen Euro – die höchste Fördersumme, die jemals zugesagt worden ist – dafür einzusetzen, die Umsetzung dieses Projekts zu einer nachhaltigen Stahlproduktion überhaupt zu ermöglichen.
Es ist ohne Frage, dass die Landesregierung, insbesondere aber das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in einem regelmäßigen, engen Austausch mit den Zuwendungsempfängern von thyssenkrupp und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie stehen. Die Landesregierung übernimmt damit Verantwortung, dass Stahlproduktion weiterhin in Nordrhein-Westfalen stattfindet. Natürlich erwarten wir vom Unternehmen verbindliche Perspektiven für sichere und gute Industriearbeitsplätze.
Zu den Details des Projekts und den Inhalten des Zuwendungsbescheides hat es bereits mehrere Erörterungen sowohl hier im Plenum des Landtags als auch im Wirtschaftsausschuss gegeben. Eine wie im AfD-Antrag geforderte weitere und über die bereits erhaltenen Informationen hinausgehende Offenlegung von Details aus dem Zuwendungsbescheid ist mit Blick auf die zu wahrenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens nicht zulässig.
In diesem Zusammenhang ist Folgendes festzuhalten: Der Bund hat in seiner Verantwortung als Zuwendungsgeber auf eine angemessene finanzielle Absicherung des Projekts geachtet. Im Falle einer Nichtumsetzung des Projekts wird der Widerruf des Zuwendungsbescheides durch den Bund als Zuwendungsgeber erfolgen. Damit ginge dann eine Rückforderung der Fördermittel in voller Höhe zuzüglich Verzinsung einher. Dadurch ist sichergestellt, dass keine Haushaltsmittel sowohl des Bundes wie auch des Landes verloren gehen.
Die Landesregierung lehnt die im Antrag geforderten CO2-Zertifikate ab. Bereits in den 2010er-Jahren führten anrechenbare Zertifikate aus Drittstaaten zu negativen Erfahrungen, insbesondere zu einem Überfluten des Marktes mit billigen Zertifikaten. Das untergräbt die Logik des EU-Emissionshandels, der auf Knappheit und Preiswirkung basiert, sowie dessen Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Zudem stehen Kompensationen unter massiver Kritik, da Projekte im außereuropäischen Ausland in zahlreichen Fällen den Qualitätsstandards nicht genügen und nicht oder nur unzureichend überprüft werden können.
Der Europäische Emissionshandel bleibt ein zentrales Klimaschutzinstrument. Ein globales, einheitliches Zertifizierungssystem wäre zwar wünschenswert, ist zurzeit aber unrealistisch. Daher ist die Landesregierung dankbar, wenn der Antrag abgelehnt wird. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. Für die Fraktion der AfD spricht nun der Abgeordnete Herr Loose.
Christian Loose*) (AfD) : Frau Präsidentin! Herr Börner von der SPD hat uns Ignoranz der Wirklichkeit vorgeworfen.
(Julia Eisentraut [GRÜNE]: Das passt ja!)
Die Wirklichkeit ist, Herr Börner, dass das Projekt verschoben wird. Die Wirklichkeit ist, dass der Konzern zerschlagen wird. Ihre Politik, Herr Börner, hat bereits 11.000 Stahlarbeitern das Rückgrat gebrochen.
(Beifall von der AfD)
Die Wirklichkeit ist, dass in Duisburg demnächst tatsächlich 100 % CO2 gespart wird, aber nicht, weil thyssenkrupp dann grünen Stahl herstellt, sondern weil thyssenkrupp dann gar keinen Stahl mehr herstellt, weil Sie die Kosten so dermaßen in die Höhe treiben, Herr Kollege. Ihre deutsche Weltrettung lässt dann die Stahlarbeiter komplett in Arbeitslosigkeit zurück.
PS: Die Emissionen entstehen dann in China und Indien.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum Schluss der Aussprache.
Wir gehen zur Abstimmung über. Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also über den Inhalt des Antrages Drucksache 18/14028 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zu:
10 Fragestunde
Mündliche
Anfragen
Drucksache 18/14111
Mit dieser Drucksache liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 66 und 67 vor.
Ich weise darauf hin, dass gemäß § 94 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung die Fragestellerin bzw. der Fragesteller bis zu drei Zusatzfragen und nach Beantwortung der Mündlichen Anfrage jedes andere Mitglied des Landtages bis zu zwei Zusatzfragen stellen kann. Diese müssen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage stehen und dürfen jeweils nur eine einzelne, nicht unterteilte Frage enthalten.
Ich rufe die
der Abgeordneten Ralf Witzel und Dirk Wedel von der FDP-Fraktion auf.
Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet. Die Landesregierung hat angekündigt, dass Minister Dr. Optendrenk antworten wird.
Ich danke Ihnen, Herr Minister, und erteile Ihnen das Wort.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Sondervermögen für die Infrastruktur bietet für die Bundesländer und den Bund große Chancen. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren sollen die Länder 100 Milliarden Euro für Investitionen erhalten. Alle staatlichen Ebenen bis hin zu den Kommunen können so gezielte Wachstumsimpulse setzen. Die Handlungsfähigkeit des Staates kann dadurch nachhaltig gestärkt werden.
Im Mai haben sich die Länder bei der Jahres-FMK in Kiel auf gemeinsame Maßnahmen verständigt, die der Bund aus unserer Sicht bei der Umsetzung des Sondervermögens berücksichtigen muss.
Erstens: ein pragmatisches und bürokratiearmes Verfahren, das von weiteren Maßnahmen zur Beschleunigung von Vergabe-, Planungs- und Genehmigungsverfahren flankiert wird.
Zweitens: eine Beschränkung der vorgesehenen Berichtspflichten der Länder und Kommunen. Die Kontrollrechte des Bundes sollten auf ein Mindestmaß beschränkt werden, da es sich um Geld handelt, das in öffentlichen Institutionen verausgabt wird und nicht an Dritte geht.
Drittens: eine flexible Gestaltung des Mittelabflusses durch den Bund, um Planungssicherheit für die Infrastrukturprojekte zu gewährleisten.
Viertens: weitere Mittel aus dem Sondervermögen durch entsprechende Bund-Länder-Programme über den reinen Länderanteil hinaus zur Verfügung zu stellen.
Fünftens: Die zusätzlichen Spielräume dürfen nicht durch eine Reduzierung der finanziellen Beteiligung des Bundes an gemeinsamen Aufgaben oder durch neue nennenswerte Kofinanzierungsverpflichtungen aufgezehrt werden.
Aus unserer Sicht ist wichtig, dass das Geld aus Berlin schnell fließt und fair verteilt wird. Mit dem Königsteiner Schlüssel haben wir gemeinsam einen bewährten Verteilungsschlüssel vorgeschlagen. Hierüber wird morgen auch die MPK beraten und der Bund das dann hoffentlich in seinen Gesetzentwurf übernehmen.
Bei einer Laufzeit von zwölf Jahren – das heißt: einem Volumen von rechnerisch 8,3 Milliarden Euro pro Jahr, die zu verteilen wären, und einem Anteil nach dem Königsteiner Schlüssel von 21,11 % für Nordrhein-Westfalen – kämen wir auf knapp 1,8 Milliarden Euro, die in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden könnten.
Ich habe heute in der Debatte zu Tagesordnungspunkt 3 bereits betont, dass dieses Geld aber nicht alle Probleme auf einen Schlag wird lösen können. Herr Kollege Krischer hat dazu ausführliche Beispiele benannt.
Wir brauchen dringend echte Strukturreformen und den Mut, die Digitalisierung entsprechend zu nutzen. Wir müssen stärker in den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt investieren. Voraussetzungen für eine starke Infrastruktur sind neben den notwendigen privaten Investitionen auch eine gute und funktionierende Infrastruktur. Hierbei muss und kann Deutschland besser werden und muss mehr Tempo bei der Sanierung sowie beim Neubau bestehender Infrastruktur machen.
Die Länder wissen selbst am besten, welche Investitionen und Maßnahmen bei ihnen notwendig und sinnvoll sind. Die Kommunen werden wir selbstverständlich eng einbinden und beteiligen.
Dies war schon Gegenstand der Debatte heute Mittag: Der Investitionsstau, der nicht in kurzer Zeit entstanden ist, kann auch nicht in kurzer Zeit allein durch so etwas abgebaut werden.
Ich verweise noch einmal darauf, dass der Landeshaushalt trotz Einhaltung der Schuldenbremse inzwischen eine erfreulich hohe Investitionsquote aufweist, und zwar in einer Größenordnung von stabil über 10 %. Das war vor dem Jahr 2017 mit Investitionsquoten von etwa 8,6 % weniger der Fall. Wir haben sicherlich Nachholbedarfe und werden versuchen, konsequent in die Zukunft zu investieren.
Dabei ist die Nutzung des Sondervermögens des Bundes ein erster weiterer Schritt. Nun kommt es darauf an, dass der Bund sein Ausführungsgesetz zeitnah vorlegt und mit den Ländern abstimmt. Das ist insbesondere deshalb erforderlich, weil nach den Planungen des Bundes der erste Durchgang im Bundesrat entfallen soll, um vor der Sommerpause möglichst zu Entscheidungen im Bundestag und im Bundesrat zu kommen. Umso wichtiger ist, dass es im Vorfeld eine gute Abstimmung mit den Ländern gibt. – Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die erste Nachfrage kommt von dem Abgeordnetenkollegen Herrn Witzel.
Ralf Witzel*) (FDP): Frau Präsidentin, vielen Dank für die Gelegenheit zu einer ersten Nachfrage an den Finanzminister. – Herr Finanzminister, vielen Dank für Ihre erste Einschätzung zur Gesamtthematik der neuen strukturellen Verschuldungsmöglichkeiten, die uns interessieren.
Ich muss meiner Frage ein Zitat voranstellen. Sie werden es kennen. Das ist Ihre Antwort auf die Kleine Anfrage 5421 der FDP-Landtagsfraktion. Dort schreiben Sie auf Frage 1 und 2 – Zitat –:
Die Neubewertung der sicherheitspolitischen Lage vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine kurzfristige Neujustierung der entsprechenden grundgesetzlichen Regelungen erforderlich gemacht. Zudem sehen sich auch die Länder herausfordernden Aufgaben gegenüber, verfügten aber bislang anders als der Bund nicht über die Option zur begrenzten strukturellen Neuverschuldung.
Meine Frage lautet: Was genau sind diese offenbar zuvor nicht bekannten herausfordernden Aufgaben, mit denen sich das Land Nordrhein-Westfalen konfrontiert sieht und nach Auffassung der Landesregierung scheinbar nur mit neu eingeräumten strukturellen Verschuldungsmöglichkeiten bewältigt werden können?
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Sie haben das Wort, Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Wenn Sie diese Kleine Anfrage zitieren, dann haben Sie sich im Grunde einen Teil der Antwort auch selbst gegeben. Wir diskutieren hier in Nordrhein-Westfalen auch im Landtag in fast jeder Plenarrunde und in fast jeder Ausschusssitzung exakt darüber, was die Herausforderungen unserer Zeit sind.
Wenn Sie möchten, dass wir das jetzt in epischer Breite diskutieren, dann kann ich Ihnen wahrscheinlich etwa in einer Viertelstunde, halben Stunde oder Stunde noch einmal alles rekapitulieren, was wir hier im Landtag an Feststellungen dazu miteinander getroffen haben, warum sich die Gesamtsituation in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen und in den Kommunen und für die Menschen strukturell so verändert hat, dass wir andere Antworten geben müssen.
Das fing an mit den Herausforderungen des Ukraine-Kriegs und der Frage, wie sich Strompreise, Inflation und Ähnliches geändert haben. Wir haben auch keinen Rückgang etwa struktureller Kosten, sondern wir haben in Nordrhein-Westfalen nachvollziehbar auch in Tarifabschlüssen, in Inflationsraten und in Strompreisen nun eine sehr deutliche Veränderung der Rahmenbedingungen, unter denen nicht nur öffentliche, sondern auch private Haushalte sich finanzieren und ihre Leistungen beziehen können.
Wenn Sie allein schauen, dass wir heute Morgen darüber diskutiert haben, dass wir nach drei Jahren Rezession und entsprechend hoher Inflation in einer gewissen schwierigen Situation auch für die öffentlichen Haushalte angekommen sind, dann will ich an der Stelle auch noch einmal den Hinweis geben, dass Ihre Formulierung, dass wir Rekordeinnahmen bei Steuern haben, insofern im Lichte der Inflationsraten betrachtet werden müssen, als zu bestimmten Steuereinnahmen auch eine bestimmte Kaufkraft des Staates am Markt gehört.
Insofern ist also die Höhe von Steuereinnahmen für einen öffentlichen Haushalt so ähnlich zu bewerten wie die Luftfeuchtigkeit. Also, relativ gesehen ist die Steuereinnahmeentwicklung schlechter als die Inflationsentwicklung, und insofern ist die relative Luftfeuchtigkeit hoch, und deshalb müssen wir uns anstrengen beim Sparen.
Deshalb haben wir Schwierigkeiten in der Darstellung all dessen, was uns wichtig ist. Deshalb priorisieren wir beispielsweise bei Kindern und Bildung und haben auf der anderen Seite – auch das haben wir heute schon miteinander besprochen – 100.000 zusätzliche Kinder im Schulsystem, die zu einem überwiegenden Teil nicht nur Deutsch lernen müssen, sondern auch erst einmal beschult werden müssen.
Dafür brauchen wir zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer. Wenn Sie beispielsweise die Schüler-Lehrer-Relation von 1 zu 25 nehmen, dann brauchen Sie einfach 4.000 zusätzliche Lehrkräfte allein dafür. Da haben sich Situationen ergeben, die völlig anders sind, als wir uns das 2022 vorgestellt haben.
Das ist jetzt nur ein kleines Segment. Das können wir unendlich ausführen, aber eigentlich wissen Sie es alles. Deshalb irritiert mich, dass Sie immer wieder den Eindruck vermitteln, als sei es erklärungsbedürftig, dass sich die Welt auch für uns fundamental verändert hat, und fragen: Was hat sich denn strukturell getan? – Ja, alles das, was sich daraus ableitet. Sie können es fortsetzen in Tarifverträgen, die wir refinanzieren für freie Träger, für Träger im sozialen Bereich. Da können Sie natürlich sagen: Okay, dann mache weniger davon. – Das wollen Sie aber auch nicht. Das wollen wir auch nicht.
Das heißt, wenn wir ein KiBiz haben, das nicht mehr Steigerungsraten von 3 %, sondern von 6 % hat, dann reden Sie über Hunderte Millionen, die Sie gegenüber einer Finanzplanung mehr ausgeben müssen, wenn Sie das Leistungsniveau halten wollen, weil die Menschen, die da arbeiten, entsprechend die Erfahrung machen, dass für sie die Energie und das Einkaufen teurer geworden sind.
Insofern sind die Fragen, die Sie da stellen, zwar berechtigt, aber eigentlich kennen Sie alle Antworten selbst. Wir können noch eine halbe Stunde in die Richtung machen, es führt nur zu nichts. Die Welt hat sich fundamental verändert, wir müssen uns darauf einstellen. Ich würde gerne mit weniger Geld auskommen. Aber wenn es um die Kaufkraft geht, dann haben Sie im Grunde genommen nur die Auswahl, dass die öffentliche Hand bestimmte Dinge nicht mehr tut. Dazu habe ich bisher von Ihnen auch keine Anträge gefunden.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Müller-Rech.
Franziska Müller-Rech (FDP): Vielen Dank. Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, das Land befindet sich augenblicklich schon in einem fortgeschrittenen Stadium des Aufstellungsverfahrens für den Haushaltsentwurf 2026.
Daher frage ich Sie: Inwiefern berücksichtigt die Landesregierung dem Grunde und der Höhe nach die voraussichtlichen zusätzlichen Finanzmittel aus dem Infrastrukturschuldentopf bereits im Rahmen der Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2026 sowie in der mittelfristigen Finanzplanung?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Das ist eine sehr berechtigte Frage, Frau Kollegin. Aber die kann ich Ihnen nur so beantworten, dass die Frage, zu welchem Zeitpunkt eine solche Infrastrukturfinanzierung zur Verfügung steht, erst dann beantwortet werden kann, wenn ich weiß, wann das Gesetz in Kraft tritt, das der Bund zu machen hat. Das ist bisher nicht klar.
Es ist erstens nicht klar, ob dieses Gesetz jetzt vor der Sommerpause verabschiedet und noch in diesem Jahr in Kraft tritt, sprich dann Rechtsänderungen erforderlich werden im Haushaltsvollzug oder in anderer Weise für alle Länder, oder ob beispielsweise ein Beschluss im Bundestag und im Bundesrat so erfolgt, dass das, was an Mitteln zu verteilen ist, erst zum 01.01.2026 greift.
Insofern haben Sie im Moment als 16 Bundesländer gar keine Möglichkeit, abzuschätzen, ob es für den Haushaltsvollzug 2025 noch irgendwelcher Veränderungen bedarf oder ob es erst den Haushalts 2026 betrifft. Da der Redaktionsschluss des Haushalts jedenfalls bei uns im Kabinett traditionell vor der Sommerpause ist, kann es gut geschehen, dass wir Ihnen für den Fall, dass es erst für 2026 geschieht, das erst im Rahmen einer Ergänzungsvorlage zugänglich machen können.
Sollte es für 2025 schon die Möglichkeit geben, irgendwelche Inanspruchnahmen rechtlich vorzusehen, stellt sich die Situation so dar, dass wir dann prüfen müssen, ob wir im Haushaltsvollzug aufgrund der Regelung des Haushaltsgesetzes zur Vereinnahmung von Mitteln möglicherweise im Vollzug Haushaltstitel ändern können oder müssen oder ob wir anders damit umgehen müssen. Es hängt also sehr davon ab, wie jetzt die Entwicklung im Bund von der Zeitachse wie im Inhalt her stattfindet.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Die nächste Nachfrage kommt von dem Abgeordneten Herrn Lürbke.
Marc Lürbke*) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, die zusätzlichen Verschuldungsmöglichkeiten der Länder mit einem neuen Prozentsatzanteil am Bruttoinlandsprodukt dürften es dem Land Nordrhein-Westfalen ermöglichen, mehrere Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden aufzunehmen.
Meine Frage lautet: Inwiefern berücksichtigt die Landesregierung dem Grund und der Höhe nach den Umstand des zusätzlichen Verschuldungsspielraums auf Länderebene bereits im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsentwurfs 2026 sowie dann in der mittelfristigen Finanzplanung?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Die Landesregierung beabsichtigt, vor der Sommerpause einen Haushaltsentwurf zu verabschieden. Alles, was in der Zwischenzeit zwischen dem 01.01. und diesem Datum passiert, fließt ein in die Haushaltsaufstellung und in den Entwurf, den wir Ihnen dann zuleiten werden.
Dazu gehören alle die Dinge, die jetzt auch in Berlin beraten und beschlossen werden, von der Steuerschätzung bis zum Steuerpaket bis hin zu diesen Themen. Von daher kann ich Ihnen im Moment dazu keine Wasserstandsmeldung geben.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Freimuth.
Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, die Aufweichung der Schuldenbremse ist vom Bundestag und Bundesrat unter anderem damit begründet worden, dass zusätzliche Investitionen für Infrastrukturmaßnahmen, die ansonsten nicht möglich wären, ausgegeben werden können. Mich interessiert, mit welchen Kriterien und Prüfungen die Landesregierung genau dieses Kriterium der Zusätzlichkeit von Investitionen aus dem Infrastrukturschuldenfonds für die Landes- und die kommunale Ebene dar- und auch sicherstellen will.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Frau Abgeordnete, die Frage, welche Kriterien anzulegen sind, hat zwei Dimensionen. Die eine Dimension ist das, was das vom Bundesfinanzminister vorzulegende Bundesgesetz, zu dem dann die Länder Stellung nehmen müssen, als Vorschlag enthält.
Das Zweite ist, dass wir dann Rechenschaft darüber ablegen werden, wie wir im Verhältnis zu den Aufgaben, zu denen Kollege Krischer aus seinem Ressortbereich heute Mittag unter TOP 3 einiges dargestellt hat, und wie wir im Verhältnis zu den Kommunen die Bedürfnisse der Kommunen für zusätzliche Investitionen nach dem Bundesgesetz auf Landesebene abbilden können.
Das heißt, wir haben eigentlich erst einmal drei Schritte vor uns. Der erste Schritt ist: Wir brauchen jetzt einen echten Gesetzentwurf aus Berlin, in dem das steht, was sich der Bund vorstellt. In der verfassungsrechtlichen Herleitung und auch im Koalitionsvertrag steht explizit die Zusätzlichkeit – das hat der Kollege Witzel heute Morgen dargestellt –
(Zustimmung von Ralf Witzel [FDP])
nur bezogen auf die verfassungsrechtliche Betrachtung des Bundes bezogen auf eine Investitionsquote des Bundes. Was uns angeht, wird das so nicht enthalten sein, weil dieses Kriterium der Zusätzlichkeit explizit dort nicht verabredet worden ist.
Wir sind aber der festen Überzeugung, dass wir keine Wege gehen wollen, wo wir über Schulden, die die öffentliche Hand macht, einfach nur Ersatz machen für etwas, was wir sowieso tun würden, weil es eine zusätzliche Verschuldung ist.
Ich habe in der Debatte heute Mittag gesagt, dass wir gerade die Zukunftsnützlichkeit oder die Enkelnützlichkeit als ein entscheidendes Kriterium dafür sehen, was mit diesem Geld gemacht wird, weil die Kinder und Enkel ja die Zinsen und Tilgungen zu leisten haben. Insofern muss es darum gehen, bei allem, was wir tun, egal, ob das anschließend hier Maßnahmen des Landes oder Maßnahmen der Kommunen sind, dass sie in besonderer Weise geeignet sind, die Wirtschaftskraft, die strukturelle Kraft unseres Landes, die Investitionsfähigkeit, die Bildungschancen zu stärken. Darum muss es dann gehen. Das hat nicht nur etwas mit dem Begriff von Zusätzlichkeit zu tun, sondern es hat mit der Frage der Enkeltauglichkeit und Effizienz des Mitteleinsatzes im Kern zu tun.
Wie das dann rechtlich abgebildet wird, können wir erst sehen, wenn wir wissen, was der Bund gemacht hat. Ich gebe zu, dass ich an der Stelle persönlich die Meinung des bayerischen Kollegen teile, dass ich nicht glaube, dass die Bundesverwaltung geeignet ist, festzulegen, was Länder und Kommunen am besten damit machen, weil die Problemlagen sehr unterschiedlich sind und wir wahrscheinlich sowohl auf der Landesebene besser wissen, wo wir Bedarfe haben, als auch die Kommunen auf der kommunalen Ebene relativ genau wissen – die Kommunen wissen das auch; wir haben es häufig genug hier diskutiert –, wo die besonderen Herausforderungen bei Investitionen in den Kommunen liegen.
Insofern sind das mehrere Schritte. Da sind wir jetzt am Anfang, und wir warten im Moment auf das, was der Bund uns da vorschlägt. Vor der Sommerpause müssen wir es allerdings mit dem Bund klarhaben.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Die nächste Nachfrage kommt von dem Abgeordnetenkollegen Herrn Brockes.
Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich würde gerne noch einmal nachfassen. Die Zweckbindung der neuen Schulden für zusätzliche Investitionen dürfte sachlogisch zu einem Anstieg der Investitionsquoten in zukünftigen Landeshaushalten führen. Sichern Sie auch zu, die neuen Finanzmittel aus dem Infrastrukturschuldentopf ausschließlich für zusätzliche Investitionen zu verwenden, die über die Investitionsquoten des Landes laut der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung hinausgehen?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrter Kollege Brockes, wir können die Kriterien, die ich in der Antwort auf die Frage der Kollegin Freimuth gegeben habe, jetzt noch einmal wiederholen. Das ist das, was wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen können.
Die Frage, was an sinnvollen Maßnahmen finanzierbar ist, hängt wesentlich davon ab, ob es uns gelingt, mit dem Bund zu verabreden, dass wir in der Zuordnung der Mittel zur Länderebene und zur kommunalen Ebene relativ frei sind.
Eine mittelfristige Finanzplanung ist an der Stelle ein etwas zweischneidiges Schwert, denn einerseits kann sie notwendige Investitionen überzeichnen und andererseits kann sie sie auch deutlich unterzeichnen. Das heißt, eine mittelfristige Finanzplanung ist möglicherweise gar nicht auf dem Stand inhaltlich – nicht explizit von den Zahlenwerken her, sondern inhaltlich –, dass die notwendigen Investitionen jetzt schon abgebildet sind. Sie sind eine technische Fortschreibung von Dingen, die man vor anderthalb Jahren sah.
Es kann gut sein, dass wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir viel stärker in Investitionen gehen müssen. Es kann auch sein, dass wir aufgrund der Entwicklung der Steuereinnahmen zu bestimmten Dingen, die sich die Ressorts für irgendein Jahr an investiven Maßnahmen vorgenommen haben, überhaupt nicht in der Lage wären. Das kann ich im Grunde nicht an einer mittelfristigen Finanzplanung festmachen.
Deshalb sind auch Versuche, das beispielsweise an Investitionsquoten der Kommunen festzumachen, wie ich das aus Berlin schon einmal gehört habe, eine reine Fiktion, denn die Kommunen hätten das gleiche Problem. Wenn sie sagen würden, sie machen im NKF Milliardendefizite, bekämen aber nur Bundesmittel zugewiesen, wenn sie nachweisen können, dass sie den Investitionsstand des Jahres 2024 in einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen halten würden, würden viele Kommunen wahrscheinlich leer ausgehen, weil sie das angesichts der Tarifentwicklung, der Einnahmeentwicklung bei der Gewerbesteuer und der Gesamtlage des öffentlichen Haushaltes nicht leisten können. Das heißt, ich verstehe Ihre Verlockung, die Sie mir hinhalten, aber die Wirklichkeit ist komplexer.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Schneider. Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, die Begründung des neuen Schuldenpakts auf Bundesebene sieht vor, dass Länder keine ohnehin notwendigen Ausgaben nur in neue Finanzierungswege verlagern sollen. Daher wüsste ich gern: Sichert uns die Landesregierung zu, dass keinerlei Ausgaben, die ursprünglich aus dem regulären Landeshaushalt getätigt worden wären, nach Einrichtung des Infrastrukturschuldentopfes ausgelagert bzw. durch Schulden finanziert werden? – Danke schön.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Wir haben derzeit, Frau Abgeordnete, den Haushaltsvollzug 2025. Das ist das, was uns das Parlament nach Beratung als Rahmen gegeben hat. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir keine Ausgaben, die im Haushalt 2025 vorgesehen sind, aus Mitteln des Infrastruktursondervermögens des Bundes im Jahr 2025 stattdessen finanzieren werden.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Vielen lieben Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Optendrenk, Sie haben schon davon gesprochen, dass in den nächsten Wochen die wichtigen Entscheidungen zur Ausgestaltung des Schuldentopfes zu treffen sind. Wir sind das größte Bundesland und werden sicherlich auch mit eigenen Überlegungen und Anliegen dazu in diese Gespräche gehen. Sie haben von sinnvollen Maßnahmen gesprochen; das war die Antwort auf die Frage des Herrn Brockes. Sie haben davon gesprochen, dass das Land relativ frei sein möchte, was die Zuordnung anbelangt.
Jetzt meine Frage darüber hinaus: Gibt es schon konkrete Ausgestaltungen und Regelungsgegenstände dieses Sondervermögens? Wofür setzen Sie sich konkret ein, insbesondere natürlich hinsichtlich der Ausgestaltung der Zusätzlichkeit von Investitionen?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich würde gerne an das anschließen, was ich an anderer Stelle eben schon ausgeführt habe, dass ich die Meinung des Kollegen Füracker aus Bayern teile, dass die Länder und die Kommunen besser wissen, wofür wir Infrastrukturmittel, die uns zugewiesen werden, sinnvoll, zukunftstauglich und enkeltauglich ausgeben, als das im Zweifel eine Bundesverwaltung kann.
Daher setzen sich – so habe ich das auch in meiner Eingangsantwort dargestellt – die Finanzministerinnen und Finanzminister aller 16 Länder dafür ein, dass wir einen großen Freiheitsgrad der individuellen Bestimmung dieser Zwecke haben können.
Wir haben in der Debatte zu TOP 3 heute schon auszugsweise die großen Themen der Landesseite, die wir alle kennen, diskutiert. Ich glaube, es gibt keinen Bedarf, das abschließend zu beschreiben, sondern das ist eher idealtypisch eines der Themen gewesen, die Kollege Krischer beschrieben hat. Sie kennen alle anderen, die großen Investitionsbedarfe der Kommunen, und Sie kennen die Investitionsbedarfe des Landes.
Daher werden wir jetzt keinen Ausschließungswettbewerb machen, sondern schauen, dass wir möglichst große Freiheitsgrade im Gesetzgebungsverfahren in Berlin bekommen. Dann werden wir mit den kommunalen Spitzenverbänden intensiv die Kommunalseite erörtern und auf unserer Seite einen Vorschlag machen, wie wir das jeweils bezogen möglicherweise auch auf einzelne Jahre oder Themen tun.
Wir haben zwölf Jahre vor uns und keine Klarheit darüber, ob wir tatsächlich 1,8 Milliarden Euro als Jahrestranche haben oder ob es überjährige Mittelverwendungen gibt, ob es vorzeitige Bindungsmöglichkeiten gibt. Solange wir das nicht wissen, können wir eigentlich keine abschließende Festlegung dazu treffen, wie denn der Katalog derjenigen Themen sein soll, mit denen man an den Start geht.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste, zweite und somit auch letzte Zusatzfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Müller-Rech.
Franziska Müller-Rech (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, öffentlich ist bislang nicht bekannt, welche Vorstellungen das Land NRW zur Rückzahlung der zusätzlichen Neuverschuldung verfolgt. Deswegen frage ich Sie: Für welche konkrete Ausgestaltung des sogenannten Sondervermögens setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene ein, insbesondere hinsichtlich der Frage, wie genau und von welcher Ebene der Schuldendienst geleistet werden soll?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, es ist relativ klar, dass das, was in den bisherigen Regelungen vorgesehen ist, dazu führt, dass der Bund Kredite aufnimmt und dass der Bund diese Kredite bedient. Eine Kreditbedienung durch Länder oder Kommunen ist nach dem, was in Berlin verabredet worden ist, bisher nicht vorgesehen.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste und somit auch zweite und letzte Zusatzfrage von dem Abgeordnetenkollegen Herrn Lürbke.
Marc Lürbke*) (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind finanzschwach; das ist uns allen bekannt. Die Kommunen interessiert natürlich die Frage, auf welche neue Modalitäten die sich einstellen dürfen. Deswegen wäre meine Frage an Sie: Wie sollte denn nach Ansicht der Landesregierung die Weiterleitung von Finanzmitteln an die Kommunen genau erfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Höhe des Anteils der Kommunen an den Mitteln, die das Land vom Bund erhält?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich kann mich nur auf meine Eingangsantwort beziehen, auch wenn das ein bisschen unbefriedigend für Sie sein wird,
(Marc Lürbke [FDP]: Ach!)
weil wir im Moment die Modalitäten des Bundes noch nicht kennen. Wir warten darauf, welchen Gesetzesvorschlag die machen. Wir können uns im Grunde genommen letztlich dann erst positionieren, ob wir das für richtig oder falsch halten. Wir wissen weder, ob es Jahrestranchen gibt, ob es projektbezogene Dinge gibt, die der Bund selbst prüfen will, was wir für falsch hielten, noch wissen wir, wie die Mechanismen sind, die das Bundesgesetz zulässt.
Ich hatte aus dem Beschluss der Finanzministerkonferenz in Kiel vorgetragen, dass wir ein pragmatisches und bürokratiearmes Verfahren wünschen. Das bedeutet auch, dass wir möglichst wenige Ebenen haben möchten, die damit beschäftigt sind, Bürokratie abzuwickeln. Insofern werden wir nach Mechanismen suchen müssen, wie das gewährleistet wird. Wir können aber nicht jetzt anfangen, fertige Konzepte zu erstellen, wenn wir nicht wissen, ob uns das gelingt. Insofern wird die Ministerpräsidentenkonferenz morgen eine gewisse Bedeutung haben, genauso wie auf der anderen Seite das weitere Gesetzgebungsverfahren, das hoffentlich bald in Gang gesetzt wird.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordnetenkollegen Herrn Witzel.
Ralf Witzel*) (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe in der Tat noch eine Nachfrage an den Finanzminister, die ich für erforderlich halte, weil Sie eben aus meiner Sicht nicht all das auf die erste Frage des Abgeordneten Lürbke geantwortet haben, was Sie aus unserer Sicht hätten sagen können oder sollen.
Sie haben eben auf den Zeitplan des Haushaltsaufstellungsverfahrens für das Jahr 2026 verwiesen und gesagt, was erwartbar und auch erforderlich ist, nämlich dass Sie eine Haushaltsaufstellung vor der Sommerpause noch nicht im Kabinett beschlossen haben, sondern erst im Juli beschließen werden. Uns ist klar, dass wir damit heute nicht das Anrecht haben, von Ihnen konkretes Zahlenwerk zu erfahren, weil das noch innerhalb der Landesregierung stattfindet. Auch wir kennen die Details der Bundesprogramme noch nicht; auch das ist völlig klar.
In der Frage des Kollegen Lürbke eben ging es aber um das Folgende: Wenn Sie das nehmen, was im Bund schon durch die Änderung des Grundgesetzes beschlossen wurde, nämlich die erweiterte Möglichkeit zur Nettokreditaufnahme durch die Bundesländer mit einem eigenen BIP-Anteil, was vorher nur der Bund konnte und die Länder nicht konnten – es gibt ja Klarheit, dass das im Grunde möglich ist –, lautete die politisch an Sie gerichtete Frage: Wollen Sie dieses Instrument überhaupt nutzen oder nicht? Gibt es eine Sichtweise der Landesregierung, zu sagen: „Das haben wir bislang nicht gehabt, und wir wollen es auch zukünftig nicht nutzen“, oder sagen Sie: „Super, das wird ab sofort als Instrument auch bei uns angewandt“?
Dazu haben Sie als Finanzminister und als Regierung doch eine politische Meinung, unabhängig davon, dass Sie uns heute nicht die Rechendetails Ihres Zahlenwerks für den Haushalt 2026 vorstellen müssen.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Sie haben das Wort, Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Frau Präsidentin! Ich darf mich darauf beziehen, was wir heute Mittag schon einmal miteinander besprochen haben, als ich mich auch schon zu der Frage von strukturellen Schulden geäußert hatte, und zwar abstrakt; mehr als abstrakt kann ich das nicht tun.
Ich kann Ihnen nur den Hinweis geben, dass wir gesagt haben: Wenn es eine Form von Verschuldung gibt, die über die konjunkturelle Komponente hinausgeht, dann gilt aus unserer Sicht das Prinzip der Zukunftsnützlichkeit auch an der Stelle. – Wie sich das aber jetzt konkret abbildet, kann ich Ihnen im Moment nicht darstellen.
Ich habe heute Mittag gesagt, und das ist auch das, was wir als Koalition und auch als Parlament immer im Hinterkopf haben müssen, dass das, was wir an Verschuldung tun, anschließend Zinslasten struktureller Art auslöst. Deshalb sind wir vorsichtig mit dem, was wir unter den Rahmenbedingungen, die wir jetzt haben werden, … Die Rahmenbedingungen sind sehr im Fluss – auch das hatte ich dargestellt –, weil wir nicht wissen, wie sich bestimmte Dinge insgesamt auswirken.
Deshalb werden wir die nächsten Wochen innerhalb der Landesregierung dazu nutzen, um uns Klarheit darüber zu verschaffen, wie wir damit umgehen. Wenn wir uns darüber Klarheit verschafft haben, dann werden wir einen Haushaltsentwurf verabschieden und ihn Ihnen zuleiten. Alle Wasserstandsmeldungen, die ich jetzt abgeben würde, wären nicht solide. Deshalb gebe ich Ihnen dazu jetzt auch keine weitere Antwort.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordnetenkollegen Herrn Simon Rock.
Simon Rock (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Finanzminister, der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Matthias Miersch, hat zu den Steuersenkungsplänen des Bundes ausgeführt – hierbei hatten die Länder öffentlich lautstark eine Kompensation gefordert –, dass das Sondervermögen die Kompensation für die Steuersenkungen sei. Ich übersetze das einmal mit einfachen Worten: Die Haushaltslöcher, die durch die Steuersenkungen des Bundes gerissen werden, sollen gefälligst durch das Sondervermögen gestopft werden. – Das ist das Gegenteil von Zusätzlichkeit. Mich interessiert, wie Sie die Äußerungen von Herrn Miersch bewerten.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben das Wort.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Ich würde jetzt an dieser Stelle ungern Äußerungen von Menschen aus dem Bundestag kommentieren, sondern es gerne eher allgemeiner formulieren.
Was im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD auf Seite 114 in Form einer Veranlassungskonnexität verabredet worden ist, ist übersetzbar mit dem Satz: Wer die Musik bestellt, der soll sie bitte auch bezahlen. – Das kennen wir hier alles aus verfassungsrechtlichen Regelungen, die in der vorletzten Wahlperiode mit breitem verfassungsänderndem Konsens in unsere Landesverfassung für das Verhältnis zwischen Land und Kommunen hineingeschrieben worden sind: Bis auf eine Bagatellgrenze ist immer klar, dass wir bei neuen Aufgaben oder belastenderen Ausgestaltungen von Aufgaben, die die Kommunen zu erbringen haben, eine finanzielle Kompensation zu erbringen haben.
Insofern habe ich mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen nur etwas formuliert, was aus unserer Sicht im Koalitionsvertrag klug angelegt ist, nämlich, dass man darüber bei allen Gesetzesvorhaben, die man jetzt angeht, Rechenschaft ablegt. Das betrifft aus unserer Sicht auch solche steuerrechtlicher Art.
Auf der anderen Seite sagen wir, dass das, was jetzt passiert – ich habe eben den Begriff „Zukunftsnützlichkeit“ verwendet –, was die Verschuldung des Bundes erhöht, um die 100 Milliarden Euro darzustellen, die auch zu uns fließen sollen, zukunftsnützlich und nachhaltig sein muss. Eine reine Kompensation von Steuerausfällen oder Steuermindereinnahmen würde ich nicht so qualifizieren.
Ich glaube, dass wir im Kern darauf achten müssen, dass das, was auf der Seite der Steuerrechtsänderungen passiert, separat von dem zu diskutieren ist, was auf der Seite des Infrastruktursondervermögens gemacht wird. Denn wir wollen ja alle miteinander, dass diese Mittel aus dem Infrastruktursondervermögen, wenn sie denn jetzt schon kommen, auch besonders zukunftsnützlich und nicht zum Stopfen von Steuermindereinnahmen in irgendeinem Haushaltsjahr eingesetzt werden.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Die nächste – seine zweite und somit auch letzte – Zusatzfrage kommt von Herrn Brockes.
Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Minister, Sie haben jetzt zwar schon mehrfach betont, dass Ihnen da noch die Klarheiten des Bundes fehlen, aber die Bundesländer müssen ja zeitnah die Umsetzung des Schuldenpakets operationalisieren. Es muss doch schon Planungen geben. Deshalb: Welche einzelnen Schwerpunkte plant die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen genau bei der Verwendung der Mittel aus dem sogenannten Infrastruktursondervermögen in den kommenden Jahren?
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Herr Minister, Sie haben das Wort.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Ich freue mich, dass mehrfach die gleichen Fragen gestellt werden. Wenn man – dazu gratuliere ich ganz herzlich – diesem Parlament schon 25 Jahre mit viel Erfolg und Engagement, was ich bei allen drei Kolleginnen und Kollegen der FDP, die gerade im Saal sind, ausdrücklich wertschätzen möchte, angehört, dann weiß man, dass die Wiederholung der Frage nicht dazu führt, dass die Antwort eine andere wird. Insofern kann ich mir mit Blick auf die Lebenszeit aller Beteiligten diese Wiederholung ersparen, glaube ich. Sie können es im Protokoll gerne noch einmal nachlesen.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Okay. – Die nächste Zusatzfrage kommt von der Abgeordnetenkollegin Frau Schneider.
Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, bei Infrastrukturdefiziten geht es nicht allein um finanzielle Möglichkeiten. Auch andere Hindernisse wie beispielsweise Bürokratielasten bremsen notwendige Investitionen in die Modernisierung unseres Landes aus. Wir brauchen daher eine ganzheitliche Betrachtung, die nicht nur auf schuldenfinanzierte Finanzmittel setzt.
Dazu wüsste ich gerne: Welche begleitenden vorbereitenden Maßnahmen, beispielsweise im Hinblick auf die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, beabsichtigt die Landesregierung noch bis Ablauf des Jahres 2025 umzusetzen, um einen schnellen und effektiven Einsatz der Mittel aus dem Infrastrukturschuldentopf sicherzustellen? – Vielen Dank.
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Herr Minister, Sie dürfen darauf antworten.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Sehr verehrte Frau Abgeordnete, da wir die Gelegenheit hatten, in einer vorigen Wahlperiode gemeinsam als Abgeordnete einer Regierungskoalition anzugehören, haben Sie sicher in Erinnerung, dass wir im Grunde all das, was man auf Landesebene zur Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren machen kann, unter Federführung eines ehemaligen Ministers für Wirtschaft gemacht haben. Da haben andere eher Schwierigkeiten gehabt, das als Entfesselung zu interpretieren.
Aber wir haben, glaube ich, jetzt die große Herausforderung, die auch in der Ministerpräsidentenkonferenz mehrfach einstimmig an die seinerzeitige Bundesregierung herangetragen worden ist, dass wir auf Bundesebene bei Planfeststellungsverfahren und Ähnlichem zu deutlichen Beschleunigungen kommen müssen.
Die einstimmigen Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz haben uns auch in der Finanzministerkonferenz in Kiel noch einmal intensiv beschäftigt. Dieser Katalog, der auch öffentlich nachlesbar ist, ist auch die Erwartungshaltung des Landes Nordrhein-Westfalen an den Bund in seiner neuen Regierungskonstellation. Dazu gehört auch die – ich habe es eben in meinem Einleitungsstatement gesagt – gemeinte Verschlankung von Planungs- und Genehmigungsverfahren durch den Bund. Wir hoffen sehr, dass die neue Bundesregierung das nicht nur ankündigt, sondern auch umsetzt. Das würde sehr dazu beitragen, unser gemeinsames Anliegen hinzubekommen.
Wie wichtig wir das auch als Finanzminister nehmen, können Sie daran erkennen, dass das der erste unserer fünf Beschlusspunkte in Kiel war.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt eine weitere Frage von der Kollegin Freimuth. Bitte sehr.
Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte auf Ihre letzte Antwort und auf die Gespräche mit den anderen Bundesländern zurückkommen. Ich gehe davon aus und habe Sie so verstanden, dass es dort auch eine Koordinierung zwischen den Bundesländern gibt, inhaltlich und prozedural die Anforderungen der Länder stellvertretend für die Kommunen zu formulieren, um eine einheitliche Positionierung beim Bund mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Infrastrukturtopfs zu erreichen.
Wenn dem so ist – ich habe Ihr Kopfnicken so verstanden, dass dem so ist –, dann hätte ich die Bitte, ob Sie uns informieren können, in welcher Hinsicht es dort schon Erfolge gibt bzw. wie der Stand der Gespräche und Verhandlungen ist.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Die Koordinierung dieser Themen erfolgt in der Ministerpräsidentenkonferenz, die derzeit stattfindet. Wie Sie wissen, wird der Bundeskanzler sich mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gleich, bevor er nach Washington fliegt, treffen.
Es hat im Vorfeld – Bundesratsvorsitz und FMK-Vorsitz liegen derzeit bei Sachsen – die Koordinierung über die Staatskanzlei aus Sachsen gegeben. Dort ist jetzt der Versuch zu unternehmen, den Bund zu überzeugen, diese Themen so anzugehen, wie ich sie eben geschildert habe. Das koordiniert bei uns die Staatskanzlei.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt Kollegin Gebauer. Bitte sehr.
Yvonne Gebauer (FDP): Vielen lieben Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Optendrenk, es gab eine Kleine Anfrage. Die Nummer der Kleinen Anfrage lautet 5421. Die wird Ihnen wahrscheinlich nicht so viel sagen. Ich komme aber auf die Frage 4 und sage, was Sie darauf als Antwort gegeben haben, nämlich:
Damit der neu gewonnene Verschuldungsspielraum keine Verschiebung von Lasten in die Zukunft nach sich zieht, müssen die zusätzlichen Mittel vor allem für wachstumsfördernde Investitionen verwendet werden.
Sie haben gerade schon auf die gemeinsame erfolgreiche Zeit von Schwarz-Gelb zwischen 2017 und 2022 hingewiesen, wo es um Maßnahmen ging – Sie haben sie genannt –, die Sie zum Beispiel unter dem Thema „Entbürokratisierung“ verstanden haben.
Könnten Sie uns trotzdem unter dem Begriff „wachstumsfördernde Investitionen“ einige Beispiele nennen, oder bleibt das weiter im Dunkeln?
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Ich glaube, dass wir hier im Saal ein relativ gemeinsames Verständnis in Bezug auf die Frage haben, dass wachstumsfördernd solche Maßnahmen sind, die dazu geeignet sind, die staatlichen Rahmenbedingungen dafür zu verbessern, dass Wirtschaft besser funktionieren kann. Wir diskutieren eigentlich in jeder Plenardebatte und in vielen Ausschüssen darüber, dass eine staatliche Infrastruktur – Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Digitalisierung, Breitband, Mobilfunk, soziale Infrastruktur und Ähnliches – dafür Voraussetzung ist.
Diese Investitionen haben volkswirtschaftliche Bedeutung. Es steht mir nicht an, Ihnen jetzt die höchsten volkswirtschaftlichen Effizienzen darzulegen. Dafür habe ich dieses Fach nicht studiert. Aber wir haben, glaube ich, ein gemeinsames Verständnis dafür, dass all das, was die Produktionsfähigkeiten Deutschlands und die Stabilität eines Wachstumspfades nach vorne bringt, wachstumsfördernde Investitionen sind.
Wir haben, denke ich, die Themen ausreichend beschrieben. Ich habe vorhin gesagt, dass ich keine per se ausnehmen will, weil das zum einen der Willensbildung vorweggreifen würde, zum anderen wissen wir auch gar nicht, ob es gewisse Kataloge gibt, die uns von Bundesseite noch vorgegeben werden – in Klammern: was wir für falsch halten. Wir wissen es im Moment nicht, und insofern kann ich Ihnen zum heutigen Zeitpunkt noch keine weiteren Ausführungen dazu machen.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt der Kollege Rock von der Fraktion der Grünen. Bitte.
Simon Rock (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, die Finanzministerkonferenz hat sich ja intensiv über den Verteilmechanismus des Sondervermögens unterhalten und sich dann auf den Königsteiner Schlüssel verständigt. So habe ich es wahrgenommen, und das ist ja eben auch angeklungen in der Frage, wobei die gesetzliche Ausgestaltung noch vorbehalten ist.
Mich würde interessieren, inwiefern Sie diesen Königsteiner Schlüssel für einen geeigneten Kompromiss halten.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Herr Kollege Rock, Sie führen mich jetzt sehr in Versuchung, Ihnen auszuführen – durchaus genauso lang, wie ich es eben gerne beim Kollegen Witzel gemacht hätte, aber nicht gemacht und auch die Versuchung an mir vorbeigehen lassen habe –, welche anderen Varianten es gegeben hätte, das zu tun. Ich will Ihnen aber fairerweise wenigstens einen ganz groben Einblick geben, was diskutiert worden ist.
Es ist natürlich immer die Frage, nach welchen Kriterien Sie etwas für angemessen halten. Machen Sie es nach einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland, dann haben Sie insbesondere bei denjenigen, die sowieso finanzstärker sind, tendenziell einen höheren Anteil auch beim Bruttoinlandsprodukt. Möglicherweise haben Sie dann aber exakt bei den Bundesländern, die es in Sachen „Infrastruktur“ ohnehin ein bisschen besser haben als die anderen, auch den besseren Verteilschlüssel. Insofern haben wir aus Nordrhein-Westfalen jedenfalls nicht die Meinung vertreten, dass das der geeignete Schlüssel ist, weil wir ja Infrastrukturprobleme beseitigen wollen und nicht denjenigen, die schon relativ stärker sind, noch mehr geben wollen.
Sie könnten auch einen Bevölkerungsschlüssel anlegen, der auch durchaus verbreitet ist. Der wäre sicherlich für Nordrhein-Westfalen positiv, würde aber auch gewisse Verwerfungen an der Stelle mit sich bringen, wo Bundesländer mit relativ geringer Bevölkerungszahl, aber großer Fläche in Relation zur Bevölkerungszahl erhebliche Infrastrukturherausforderungen haben.
Es gibt sicherlich auch noch die Frage, ob Sie es bei einem sogenannten inversen Bruttoinlandsprodukt ansetzen. Das heißt, Sie würden denjenigen in besonderer Weise helfen, deren Bruttoinlandsprodukt am schwächsten ist. Dann hätten Sie, wenn Sie ein Beispiel haben wollen, insbesondere bei den ostdeutschen Bundesländern und etwa Bremen eine besondere Präferenz. Das wäre ein Verteilungsschlüssel, der uns als Nordrhein-Westfalen nicht unbedingt bevorteilen würde, weil wir trotz aller Herausforderungen, die wir im Strukturwandel und in der Transformation haben, wirtschaftlich relativ stark sind im Vergleich zu anderen Bundesländern.
Insofern ist die Frage, ob es einen relativ anerkannten Schlüssel gibt, den man verwenden könnte, auch Thema der Kompromissfindung gewesen, weil Sie gegenüber dem Bund natürlich stärker auftreten können, wenn Sie einheitlich auftreten.
Der Königsteiner Schlüssel ist zuletzt 2019 fortgeschrieben worden und etwas veraltet. Deshalb hat man sich bei den Ländern darauf verständigt, einen fortgeschriebenen Königsteiner Schlüssel, der noch nicht vollständig zertifiziert ist, anzulegen. Er basiert auf den Istzahlen von 2022 und ist für Ende 2024 quasi der aktuellste Richtwert. Demnach ist das, was hier beschrieben worden ist, auch in anderen Antworten, nämlich dass wir 21,1 % der Mittel erwarten dürften. Das ist ein für uns recht vorteilhafter Schlüssel, der nur knapp unterhalb des Bevölkerungsschlüssels liegt. Alle anderen breiter diskutierten Schlüssel wären für uns schlechter gewesen.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt der Kollege Tim Achtermeyer, ebenfalls von der Fraktion der Grünen.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, der Königsteiner Schlüssel ist in der Historie – ich glaube, mich recht zu erinnern – mal für die Forschungsfinanzierung eingeführt worden.
Jetzt geht es um Infrastruktur. Das sind zwei sehr unterschiedliche Systeme. Deswegen auch als Rückfrage zur Antwort auf die Frage des Kollegen Rock: Wäre es nicht auch eine Möglichkeit gewesen, wenn diese Investitionen vor allem die Wirtschaft ankurbeln sollen, auf einen Berechnungsmechanismus zu setzen, der stärker an der konjunkturellen Delle, die bei anderen Bundesländern mehr oder minder, kleiner oder größer ausfällt? Wäre es also nicht sinnvoller gewesen, so etwas in die Berechnung reinzunehmen?
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Herr Abgeordneter Achtermeyer, es ist im Vorfeld auf der Fachebene diskutiert worden, ob es Schlüssel gibt, die das konkrete Ziel, das mit den 100 Milliarden Euro verfolgt werden soll, besser abbilden, und es ist auch diskutiert worden, ob das bezogen auf die Zuordnung der strukturellen Verschuldungskomponente gemacht werden soll.
Jetzt muss man das tatsächlich unterscheiden. Ursprünglich gab es Diskussionen darüber, dass man unterschiedliche Schlüssel anwendet, weil man in der Tat bei der Frage von Infrastrukturinvestitionen auch zu einer anderen Zahl hätte kommen können, wenn man zum Beispiel am Bevölkerungsschlüssel oder an anderen Dingen wie Unterhaltungsstau oder Ähnliches angesetzt hätte. Das wäre aber schwer zu quantifizieren – es sei denn, man nimmt einen standardisierten Schlüssel –, weil sich ja keiner darauf hat vorbereiten können, dass es so etwas gibt.
Man muss also noch einmal in die Situation zurück, dass es für alle Beteiligten eine relativ überraschende Entwicklung gewesen ist, sodass man genau diese Zahl mit genau diesem Zweck in einer solchen Vereinbarung mit Wirkung ab 2025 oder 2026 bekommen würde. Das ist zu unterscheiden von der Betrachtung der strukturellen Verschuldungskomponente. Auf die komme ich gleich noch zu sprechen.
Bei dem Infrastrukturschlüssel hätte man theoretisch natürlich – das wäre für Nordrhein-Westfalen ganz schwierig gewesen – auch den Kieler Schlüssel für die Verkehrsleistungen nehmen können, der aus historischen Gründen sehr viel niedriger ist, weil da die Flächenländer in besonderer Weise bevorteilt werden. Wir kommen dabei mit unseren Ballungsräumen eher schlecht weg.
Auch solche Diskussionen sind geführt worden. Wenn wir es bei diesem Thema hauptsächlich auf die Verkehrsinfrastruktur definiert hätten, hätte das eher zu 16,5 % Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen geführt. Das sehen aber auch alle anderen Länder nicht so. Wenn wir über Infrastruktur reden, dann reden wir bei den Kommunen beispielsweise auch über Schulinfrastruktur. Insofern bin ich nicht bei der Verkehrsinfrastruktur.
Das Thema ist jedenfalls so komplex, dass man es nicht auf einen Verteilschlüssel konzentrieren wollte. Man ist dann – weil man nichts Besseres und Faireres hatte – unter allen 16 Ländern auf diesen Kompromiss gekommen.
Ich komme noch kurz auf das Thema der strukturellen Verschuldungskomponente zu sprechen, die auch schon mehrfach Gegenstand der Fragen des Kollegen Witzel war. Man hätte die strukturelle Verschuldungskomponente aus dem BIP herleiten können, oder man hätte es am Königsteiner Schlüssel festmachen können.
Letztlich gibt es eine sehr pragmatische Sichtweise unter den Ländern: Wenn Sie eine einheitliche Verteilung und eine schnelle Einigung haben wollen, dann müssen sie einen Kompromiss finden. Bezogen auf die Verteilung der BIP-Größen ist der Königsteiner Schlüssel schlicht ein pragmatischer Kompromiss und hat weniger mit dem Infrastrukturthema zu tun. Man hätte sicherlich auch die reine BIP-bezogene Betrachtung machen können.
Dabei muss man aber berücksichtigen, dass wir als Finanzminister eigentlich die Wahrnehmung haben, dass wir das eher fortschreiben wollen. Bezogen auf das Infrastrukturvermögen können wir sagen: Es soll Verlässlichkeit für zwölf Jahre bieten, und dann gilt einmal der festgeschriebene Schlüssel. Aber bezogen auf die strukturelle Verschuldungskomponente, die – solange die Verfassung nicht geändert wird – unbegrenzt fortgilt, haben wir die Situation, dass dann auch der Königsteiner Schlüssel angepasst werden muss. Der ist also dann floatend, um das mal so zu sagen.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt der Kollege Werner Pfeil.
Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, nach der zitierten öffentlichen Berichterstattung führt das Vorgehen der Bundesregierung dazu, dass ursprünglich in den Einzelplänen des Bundeshaushalts vorgesehene Ausgaben laut Aufstellungserlass zum Haushalt 2025 in das sogenannte Infrastruktur-Sondervermögen gemäß Art. 144h Grundgesetz bzw. den Klima- und Transformationsfonds auszulagern ist. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen beim Bund, auch für Ihre eigene Vorgehensweise im Umgang mit dem Landeshaushalt? – Vielen Dank.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich würde gerne an das anknüpfen, was der Kollege Krischer heute Mittag ausgeführt hat. Er hatte aus exakt diesem Dokument, aus diesem Aufstellungserlass zitiert. Ich darf explizit bestätigen, dass meine Einschätzung zu diesem Sachverhalt nicht von derjenigen des Kollegen Krischer abweicht, weil wir tatsächlich sehen, dass der Bund in dem, was er als Aufstellungserlass formuliert hat, das Kriterium seiner eigenen, verfassungsrechtlich normierten Zusätzlichkeit durchaus nicht so ganz ernst nimmt.
Sie haben – wie auch Kollege Krischer – erhebliche Sorgen formuliert, dass im Haushalt 2025 des Bundes möglicherweise eine Verlagerung von Investitionsausgaben aus dem Stammhaushalt in die 300 Milliarden Euro oder in den Klima- und Transformationsfonds erfolgt. Ich hatte eben schon dem Kollegen zugesagt, dass so etwas bezogen auf das Haushaltsjahr 2025 des Landes Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen ist.
(Dr. Werner Pfeil [FDP]: Vielen Dank!)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt die Kollegin Woestmann von der Fraktion der Grünen. Bitte sehr.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, sehr geehrter Herr Finanzminister. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist das Volumen der Landeshaushalte zusammen genauso groß wie das Volumen des Bundeshaushalts. Dennoch werden von den 500 Milliarden Euro des Sondervermögens 100 Milliarden Euro in die Länder fließen. Ist das angemessen?
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Jetzt stellen Sie eine schwierige Frage. Ich tue mich ehrlicherweise auch etwas schwer, Ihnen zu sagen, dass das nicht angemessen ist. Denn wir glauben, dass jetzt Folgendes passieren muss: Wenn man schon Schulden für Investitionen macht, dann muss es zukunftsnützlich und enkeltauglich sein.
Wir wissen, dass die allermeisten öffentlichen Investitionen in den Ländern und in den Kommunen erfolgen und dass sie eben nicht beim Bund erfolgen – mit Ausnahme der Verteidigung, denn da haben wir eine besondere Situation. Da sind wir uns auch einig darüber, dass wir das anders bewerten müssen. Dazu gibt es auch die Sonderregelungen des Grundgesetzes.
Aber wenn Sie das auf die Ausgaben beziehen, die wir jetzt miteinander zu planen haben, wenn das Gesetz so kommt, wie es angekündigt ist, dann werden wir 300 Milliarden Euro beim Bund für Investitionen haben, die hoffentlich wirklich zusätzlich sind, und 100 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds.
Wenn Sie sagen, die 100 Milliarden Euro für die Länder seien zu gering, dann können Sie mit Blick auf die Investitionsbedarfe sagen: Das ist zu gering. Ich will aber an der Stelle auch nicht unfair sein. Wenn Sie dem Bund aufgeben würden, er solle uns als Ländern mehr als diese 100 Milliarden Euro zuweisen, dann wäre es für uns fast schwierig zu begründen, Zins und Tilgung nicht übernehmen zu müssen.
Es gibt also irgendwo eine Grenze dessen, was in der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden dem Bund zuzumuten wäre, dass er dafür die Zins- und Tilgungsleistung übernimmt. Es aber bei der Grundeinschätzung, dass wir die öffentlichen Investitionsaufgaben nur dann angemessen werden bewältigen können, wenn alle staatlichen Ebenen fair und bürokratiearm behandelt werden.
Unser Anliegen ist weniger, Frau Abgeordnete, zu sagen, dass wir noch mehr Geld haben möchten, sondern uns wäre sehr damit geholfen, wenn es gelingen würde, dass wir möglichst bürokratiearm, in eigener Zuständigkeit und in Abstimmung mit den Kommunen diese Mittel so einsetzen können, dass sie wachstumsfördernd und zukunftstauglich sind. Ich verstehe jeden, der sagt: Ich hätte gerne noch ein bisschen mehr. – Als Haushaltsminister muss ich aber auch Verständnis für den Kollegen haben, der seine Haushaltsmittel beieinanderhalten muss.
Vizepräsident Christof Rasche: Ich bekomme gerade von meiner linken Seite den Hinweis zu Ihnen von der rechten Seite, dass es gut wäre, wenn man sich vielleicht mit der Rückbank unterhält, aber nicht mit der übernächsten. Dann wird es einfach laut, und man versteht den anderen nicht mehr.
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Tim Achtermeyer aus der Fraktion der Grünen. Bitte sehr.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! – Herr Minister, ich kenne Sie als bewussten Formulierer. Sie haben jetzt an der einen oder anderen Stelle ...
(Unruhe – Ralf Witzel [FDP]: Lauter!)
– Sehr gerne. – Sie haben an der einen oder anderen Stelle davon gesprochen, dass sich der Königsteiner Schlüssel auch entwickelt.
(Anhaltende Unruhe)
Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich die Struktur des Königsteiner Schlüssels ...
Vizepräsident Christof Rasche: Entschuldigung. – Es ist auch unangemessen, wenn man sich im Stehen einfach weiter in einer solchen Lautstärke unterhält.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Ich fange noch einmal von vorne an. – Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister, ich kenne Sie als bewussten Formulierer. Jetzt habe ich gehört, dass Sie an der einen oder anderen Stelle etwas dahin gehend formuliert haben, dass sich der Königsteiner Schlüssel entwickelt. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich der Königsteiner Schlüssel in der Struktur – in der Art und Weise, wie er sich zusammensetzt – in eine ähnliche Richtung entwickelt, wie Sie sich das wünschen?
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Die entsprechenden Berechnungen kennen Sie aus dem Forschungsthema wahrscheinlich sogar noch ein bisschen besser als die Finanzminister, die typischerweise versuchen, das Geld zusammenzuhalten, weil diejenigen, die das Geld verteilen und das Geld des Bundes haben wollen, normalerweise besonders findig darin sind, welche Schlüssel wie zu verwenden sind. Ich glaube, dass sich der Königsteiner Schlüssel eher in der Berechnung, also von den tatsächlichen Zahlen her, und nicht von der Methodik her weiterentwickelt.
Die Methodikfrage ist besonders schwierig, weil sich – das müssen Sie sich einmal vorstellen – am Schluss alle einigen müssen. Immer, wenn Sie Kompromisse machen müssen – und das war ja ursprünglich der gefundene Kompromiss einer Methodik –, dann stehen Sie natürlich in erheblicher Weise vor der Herausforderung, eine Methodik komplett auf den Kopf zu stellen. Insofern ist das, was im Königsteiner Schlüssel angelegt ist, glaube ich, nur geringfügig methodisch anpassbar.
Gleichwohl verändern sich die Voraussetzungen, die berechnet werden, doch sehr deutlich. Ich will Ihnen das am Beispiel des Themas „Bevölkerung“ deutlich machen.
Der Königsteiner Schlüssel entwickelt sich für uns – ganz vorsichtig gesprochen – positiv. Gegenüber der Berechnung von 2019 verzeichnen wir beim aktuellen Stand eine Verbesserung von 21,06 % auf 21,11 %. In den ostdeutschen Bundesländern geht es demografisch sehr viel nachteiliger in die andere Richtung, sodass die Kolleginnen und Kollegen aus den östlichen Bundesländern erhebliche Schwierigkeiten damit haben, dass der Königsteiner Schlüssel in zehn Jahren für sie noch ein entsprechend akzeptables Instrument sein soll.
Das wäre umso mehr der Fall, wenn wir einen reinen Bevölkerungsschlüssel angelegt hätten, weil in den Königsteiner Schlüssel mehrere Parameter einfließen. Insofern war der Königsteiner Schlüssel für all diejenigen, die einen deutlichen Bevölkerungsrückgang zu erwarten haben, der Kompromiss gegenüber denjenigen, die das eher BIP-orientiert machen wollten, und gegenüber den Zahlerländern nach dem alten Länderfinanzausgleich, die heute im Finanzkraftausgleich sind.
Im Grunde müssen die Verteilungsschlüssel, die man anwendet, für die zwölf Jahre fest sein, um verlässlich planen zu können, weil wir nicht wissen, ob das in Jahrestranchen geht. Gleichzeitig muss in der Fortschreibung im Sinne der Berechenbarkeit relativ häufig eine Aktualisierung erfolgen. Bezogen auf den Königsteiner Schlüssel ist das letztlich aufgrund von Abwicklungsstörungen im Zusammenhang mit oder im Nachgang zu Covid nicht erfolgt.
Wenn Sie sich das System noch ein bisschen genauer anschauen, werden Sie feststellen, dass der Königsteiner Schlüssel bei den zugrunde gelegten Landeszahlen eigentlich immer noch die Voraussetzung hatte, dass diese vom jeweiligen Landesrechnungshof testiert werden sollen. In der Vergangenheit haben sich zwei Landesrechnungshöfe nicht in der Lage gesehen, das Zahlenwerk dahin gehend zu testieren. Nordrhein-Westfalen ist davon nicht betroffen. Insofern sind wir an dieser Stelle fein.
Diejenigen, die das aber nicht können, haben bisher dazu beigetragen, dass es beim Königsteiner Schlüssel keine amtliche Fortschreibung der Zahlen von 2022 zum Stand 2024 gibt. Dann muss man sich mit nicht testierten Zahlen behelfen. Irgendwann wird es auch wieder testierbar werden, oder man muss verabreden, dass es objektiv nicht testierbar ist und eine andere Methodik anwenden.
Um das abzukürzen: Ich glaube insgesamt, dass wir als Nordrhein-Westfalen am Schluss mit einem fortgeschriebenen Königsteiner Schlüssel fair behandelt sind.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt der Kollege Ralf Witzel aus der Fraktion der FDP. Bitte sehr.
Ralf Witzel*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Gerne nutze ich meine letzte Fragemöglichkeit. Herr Finanzminister, ich wollte auf einen Punkt bei der abzusehenden Mittelverteilung aus dem Infrastrukturfonds zurückkommen. Ich habe Ihre Äußerungen eingangs und auf die Nachfragen einiger Kollegen so verstanden, dass Sie die folgende Frage nur unter einem gewissen Vorbehalt formulieren können, weil die Gespräche und Verhandlungen mit dem Bund noch laufen – zeitgleich jetzt zum Beispiel auch in der MPK, und auch die Finanzministerkonferenz konnte zu Ihren Erwartungen noch keine verbindlichen Entscheidungen und Verabredungen mit dem Bund treffen. Ich möchte aber wissen, ob ich Sie richtig verstanden habe.
Ist es richtig, dass Sie noch keine Bedingungen der Bundesseite absehen können, die das Land oder die Kommunen bei der Mittelverwendung betreffen, was zum Beispiel denkbare Anforderungen im Hinblick auf eine Eigenbeteiligung des Landes, die damit korrespondiert, oder Zusätzlichkeiterfordernisse anbelangt? Ist es richtig, dass all so etwas für Sie noch nicht verbindlich absehbar ist?
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Danke, Herr Präsident. – Verehrter Abgeordneter Witzel, ich habe das eben, glaube ich, ausführlich beschrieben, Sie haben die Frage jetzt aber noch ein bisschen erweitert. Ich will es Ihnen gerne noch einmal kurz ausführen.
Was wir vom Bund brauchen, ist nicht nur ein Entwurf dessen, was er meint, was wir mitmachen sollten, sondern die Finanzminister aller 16 Länder haben klare Erwartungshaltungen formuliert, die ich in meinem Statement eingangs beschrieben habe. Für uns ist das Wichtigste, dass die Abwicklung der ganzen Maßnahmen, die zügig, wachstumsfördernd und zukunftstauglich sein sollen, bürokratiearm stattfindet.
Was wir als Länder – aber auch viele Kommunen – als ausgesprochen negativ in Erinnerung haben, ist das, was in vorherigen Bundeshilfsprogrammen zum Thema „Wiederaufbau und Flut“ gemacht wurde. Das ist etwas, was wir weder den Kommunen zumuten wollen noch für uns für zumutbar halten. Das würde allem widersprechen, was wir uns vorgenommen haben, zügig zu tun.
Denn wenn wir das Geld jetzt schon einsetzen und es über Kredite der öffentlichen Hand finanzieren, dann müssen wir schauen, dass es möglichst schnell Wirkung zeigt, damit wir das, was an zusätzlichen Wertschöpfungen, an zusätzlichem volkswirtschaftlichen Nutzen entsteht, möglichst bald erzielen. Das hat etwas damit zu tun, dass das nicht nur den Wohlstand unserer Volkswirtschaft und den Nutzen für unsere Bürgerinnen und Bürger betrifft, sondern auch die Frage der Refinanzierung über Steuereinnahmen, die daraus entstehen.
Ich kann ja nicht einfach sagen – da sind wir uns einig, denke ich –: Ich generiere jetzt Geld über den Kreditmarkt, und es interessiert mich überhaupt nicht, wie ich später Zins und Tilgung erbringe. – Das Ziel muss doch sein – und das ist ein sehr kaufmännisches Vorgehen, das da im Bund verabredet worden ist –, dass man jetzt möglichst Dinge kreditfinanziert, die auch einen ökonomischen Nutzen haben.
Im Grunde genommen ist das durchaus vergleichbar mit einem Unternehmer, der sagt: Ich muss jetzt eine neue Halle errichten, damit ich einen zusätzlichen Auftrag annehmen kann, weil ich dort die Konserven lagern kann. Dann kann ich auch meine Lkws mehr fahren lassen. Ich kaufe sogar noch zusätzliche Lkws auf Kredit, weil ich einen Vertrag mit einem anderen Händler habe, einem großen Abnehmer, der mir garantiert, dass ich das über zehn Jahre so machen kann. Bis dahin habe ich die Lkws über die entsprechende ökonomische Kalkulation fertig finanziert.
Ein Stück weit ist dies das Denken, das in der Koalition in Berlin für diese gesamten 500 Milliarden Euro prägend war. Und wenn das so ist, dann muss es uns darum gehen, das möglichst zügig zu tun.
Heute Mittag habe ich schon an die Fraktion der SPD adressiert, dass Sie sich bitte dafür einsetzen, dass nicht auf der Fachebene von Ministerien neue Bürokratieverfahren, die früher schon mal gescheitert sind, erfunden werden oder wieder ausgepackt werden, weil man sie im Stehsatz hat. Das, was damals falsch war, kann man zwar wieder machen. Aber es wird dadurch nicht richtig. Es wird dadurch noch langsamer.
Insofern ist unser Hauptanliegen, dass es zügig geht und dass wir schnell vom Bund Klarheit bekommen. Deshalb ist an der Stelle auch immer meine Bitte an den Bund: Legt uns möglichst zeitnah vor, wie ihr euch das vorstellt, damit wir das besprechen können.
Ich hatte eben in einer Antwort darauf hingewiesen, dass das umso wichtiger ist, weil dann, wenn es bis zum Sommer fertig sein soll, in einem abgekürzten Verfahren der typischerweise erfolgende erste Durchgang im Bundesrat und auch im Bundesrats-Finanzausschuss aus Zeitgründen entfällt. Die Bundesregierung hat eine Fristverkürzungsbitte an den Bundesrat gerichtet, damit man bis zum Juli fertig wird. Insofern ist umso wichtiger, dass man dann nicht in ein Problem hineinläuft und unter großem Zeitdruck versuchen muss, Detailregelungen wieder herauszuverhandeln.
Ich gehe davon aus, dass es ein hohes Interesse des Bundes daran gibt, dass das mit den 100 Milliarden Euro, die Länder und Kommunen bekommen, auch schnell funktioniert und den ökonomischen Impuls verstärkt, den sich der Bund durch seine 300 Milliarden Euro und die Mittel des Klima- und Transformationsfonds erhofft.
Insofern kann ich Ihnen nur bestätigen: Das ist ein Stück weitergehend als die Fragen, die die Kolleginnen und Kollegen vorher gestellt haben. Das muss aber das ökonomische Ziel der ganzen Veranstaltung sein.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt der Kollege Maelzer. Bitte sehr.
Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Fragestunde dreht sich ja darum, welche konkreten Zielsetzungen, Absichten und Pläne die Landesregierung mit dem Sondervermögen verfolgt und wofür dann Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Nun haben wir in dieser Woche im Rahmen einer Umfrage zur Kenntnis genommen, dass ein Großteil unserer Schulen eben nicht barrierefrei ist und damit eine Grundvoraussetzung für Inklusion an vielen Schulen nicht gegeben ist. Inwieweit sieht denn die Landesregierung die Notwendigkeit, aus dem Sondervermögen künftig auch eine Förderung der Barrierefreiheit …
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Maelzer, bleiben Sie bitte bei der Frage eins und kommen dann nicht in der Brücke auf Frage zwei. Wir sind ja in dieser Fragestunde bei Frage eins.
(Alexander Vogt [SPD]: Er ist doch bei Frage eins! Er war noch gar nicht fertig damit!)
Dr. Dennis Maelzer (SPD): Entschuldigen Sie, Herr Präsident. Es geht darum, wofür das Geld verwendet werden soll, und ich frage jetzt, ob die Landesregierung die Notwendigkeit sieht, aus diesem Geld, um das es in dieser Fragestunde geht, Förderprogramme für Investitionen in die Barrierefreiheit von Schulen vorzunehmen. Ich finde, das ist ziemlich genau an der Fragestellung, die hier intendiert ist.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Christof Rasche: Es betrifft definitiv beide Fragen. Aber bitte, Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Herr Präsident, ich beantworte, soweit das im Rahmen der Fragestunde zu dieser ersten Frage möglich ist, gerne auch die Frage des Kollegen Maelzer, der ja auch ein erfahrener, rhetorisch versierter Abgeordneter ist.
(Zurufe von der SPD)
– Ja, ist so. Nett, oder?
(Alexander Vogt [SPD]: Das machen ja auch Ihre Kollegen mit den Stützfragen die ganze Zeit!)
Wir haben in der Debatte heute Mittag unter Tagesordnungspunkt 3 schon intensiv miteinander ausgetauscht, dass zu den Investitionen, die unseres Erachtens aus den 100 Milliarden Euro erfolgen müssten, sicherlich nicht nur das gehört, was im Zuständigkeitsbereich des Kollegen Krischer passiert, also Verkehrsinfrastruktur im klassischen Sinne wie Brücken, sondern dass wir gerade auch bezogen auf Bildungsinfrastruktur ganz sicher sind, dass da etwas kommen muss, und dass wir uns dann, wenn wir wissen, was der Bund an Vorgaben macht, sehr intensiv mit dieser Frage auch zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden abstimmen werden. Das heißt: Das ganze Thema der Bildungsinfrastruktur gehört ganz sicher zu den Teilen, bei denen die Landesregierung davon ausgeht, dass dort in diesen zwölf Jahren die entsprechenden Mittel, die wir dann aus Berlin bekommen, verwendet werden können.
Wie das im Detail passiert, muss jetzt im weiteren Verfahren geklärt werden. Da kann ich nur auf die Antworten verweisen, die ich eben den Kolleginnen und Kollegen schon gegeben habe.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt Kollegin Gosewinkel. Bitte sehr.
Silvia Gosewinkel (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, mich interessiert auch, wie mit den zukünftigen Investitionen dieser Landesregierung umgegangen wird. Vor dem Hintergrund, dass Ministerin Feller diese Woche in einem WAZ-Artikel betont hat, dass im Rahmen der inklusiven Beschulung zwar das Bildungssystem vor Herausforderungen stehe, aber NRW hier bereits in diesem Haushaltsjahr massiv investiere, interessiert mich: Was ist hier für das nächste Haushaltsjahr geplant in dem Kontext, dass höhere Investitionsvolumen vorhanden sein werden?
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Minister.
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen: Zunächst ist die Aussage der Kollegin Feller nachweislich richtig, dass wir sehr massiv in die Bildungsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen investieren. Insofern hat sie das gut dargestellt. Sie haben das ja auch gerade bestätigt.
(Silvia Gosewinkel [SPD]: Nein, habe ich nicht!)
Ich habe dem Kollegen Maelzer gerade geantwortet, dass die konkrete Ausgestaltung der weiteren Mittelverwendung, die wir haben werden, auch im Bereich der Bildungsinfrastruktur davon abhängt, wie jetzt die Vorgaben aus Berlin sind – möglichst wenige, wie wir hoffen –, und dass wir dann mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit dem Parlament sicher zeitnah in das Gespräch darüber eintreten, wie wir sinnvoll und zukunftsnützlich diese Mittel verwenden. Dem will ich jetzt auch bei Ihnen nicht vorgreifen.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Es liegen jetzt keine weiteren Fragen vor. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Einzige Ausnahme: Ich habe noch eine Frage. Da noch die
der Abgeordneten Silvia Gosewinkel von der SPD-Fraktion vorliegt, muss ich fragen: Soll sie schriftlich oder in der nächsten Fragestunde beantwortet werden?
(Silvia Gosewinkel [SPD]: Bitte im nächsten Plenum mündlich beantworten!)
– Sehr gerne: nächstes Plenum; mündliche Beantwortung. Vielen Dank.
Wir kommen zu:
11 Gesetz zur Änderung nordrhein-westfälischer Ausführungsgesetze zum SGB VIII
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/9770 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 18/13804
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14116
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14131
Ich öffne die Aussprache. Die Kollegin Katharina Gebauer aus der Fraktion der CDU hat das Wort. Bitte sehr.
Katharina Gebauer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir einen weiteren wichtigen Schritt zur Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen um.
Mit dem heutigen Entwurf setzen wir jedoch nicht einfach nur die erfolgreichen Änderungen um, sondern wir nehmen diese Anpassungen zum Anlass, unser landesrechtliches Ausführungsgesetz weiterzuentwickeln und gleichzeitig wertvolle Rückmeldungen aus der Praxis zu integrieren. Denn gute Kinder- und Jugendhilfe ist nie allein eine Frage juristischer Präzision, sondern stets auch eine Frage von Beteiligung und praktischer Umsetzbarkeit vor Ort.
Die vorliegenden Änderungen betreffen zentrale Strukturen unserer Jugendhilfe, darunter insbesondere das Erste Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Es geht um die Rolle und Organisation der Jugendämter, um kommunale Handlungsspielräume, um die Zusammensetzung und Arbeitsweisen der Jugendhilfeausschüsse und nicht zuletzt um die Frage, wie Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien in ihren Anliegen gehört und begleitet werden.
Die unabhängige Ombudschaft, die unter anderem die Beratung bei Konflikten mit öffentlichen und freien Trägern ermöglicht, wird mit diesem Gesetz gestärkt. Besteht bislang eine Kann-Regelung, wird im vorliegenden Änderungsantrag angestrebt, solche Stellen als Regelfall zu fördern und vorzuhalten. Das ist das klare Signal: Wer Jugendhilfe in Anspruch nimmt, soll nicht alleine daran scheitern, dass er Unterstützung braucht, sondern dann auch kompetente, niederschwellige Hilfe bekommen.
Besonders wichtig war uns im parlamentarischen Verfahren der enge Dialog mit der Praxis. In der Anhörung zum Gesetz zur Änderung nordrhein-westfälischer Ausführungsgesetze zum SGB VIII gab es viele für uns wertvolle Hinweise. Fachverbände, die Wissenschaft, kommunale Spitzenverbände und nicht zuletzt junge Menschen selbst haben deutlich gemacht, worin die Stärken des Gesetzes der Landesregierung liegen und an welchen Stellen Verbesserungspotenzial vorliegt.
Diese Rückmeldungen haben wir in unseren Beratungen aufgenommen. Wir bringen diese gemeinsam mit den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP in Form des vorliegenden Änderungsantrags in die heutige parlamentarische Beratung ein. In dem Änderungsantrag ist eine klare Regelung für die Rückübertragung von Aufgaben an kommunale Träger formuliert. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass dies im engen Einvernehmen mit den betroffenen Gemeinden geschieht. Damit geben wir den beteiligten Akteuren ausreichend Gestaltungsspielraum, um ein gleichberechtigtes Miteinander zu schaffen.
Auch an den Jugendhilfeausschüssen gehen die Änderungen nicht vorbei. Wir wollen, dass junge Menschen stärker in politische Beratungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Denn wer über Kinder und Jugendliche spricht, sollte sie nicht nur mitdenken, sondern ihnen auch tatsächlich Mitsprache ermöglichen. Daher sollen zukünftig Jugendringe und Jugendselbstvertretungen als beratende Mitglieder in die kommunalen Jugendhilfeausschüssen miteinbezogen werden.
Wir sind überzeugt, dass gute Kinder- und Jugendhilfe von klaren Zuständigkeiten, verlässlichen Verfahren und Beteiligung auf Augenhöhe lebt. Deshalb ist es richtig, dass wir mit unserem Vorschlag auch die Aufsicht über Pflegeverhältnisse und Einrichtungen weiterentwickeln und präzisieren. Der Schutz junger Menschen muss oberste Priorität haben. Dafür braucht es nicht nur Kontrolle, sondern vor allem tragfähige, transparente Strukturen.
Die heute zur Abstimmung stehende Gesetzesänderung ist das Ergebnis intensiver parlamentarischer Arbeit. Sie steht auf einer breiten fachlichen Grundlage, trägt die Handschrift vieler Beteiligter und stellt die Interessen junger Menschen in den Mittelpunkt. Sie ist aber auch das Signal an die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe: Eure Arbeit ist unverzichtbar, und sie verdient Anerkennung und Unterstützung, wo immer es geht.
Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam weitergehen. Stärken wir junge Menschen, statt sie zu verwalten. Ermöglichen wir Teilhabe, statt sie zu regulieren. Schaffen wir Strukturen, die nicht nur auf dem Papier funktionieren, sondern im Alltag tragfähig sind. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf in der geänderten Fassung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Dr. Maelzer das Wort. Bitte sehr.
Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt das Land Bestimmungen des Bundes aus dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in Nordrhein-Westfalen um.
Mit dem Gesetz tragen wir die Ombudschaften in der Jugendhilfe in die Fläche. Das ist ein guter und richtiger Schritt, denn im Alltag kann es immer wieder zu Konflikten zwischen Jugendämtern und Familien kommen. In diesem Moment eine Ombudsstelle anrufen zu können, die neutral und weisungsunabhängig berät, kann dazu beitragen, zwischen den Beteiligten zu vermitteln, Missverständnisse auszuräumen und Probleme zu lösen. Die Ombudsstellen sollen auf der Ebene der Regierungsbezirke angesiedelt werden. Das ist für den Einstand nicht verkehrt.
Wir sollten uns in den nächsten Jahren regelmäßig im Ausschuss über die Arbeit der Ombudsstellen Bericht erstatten lassen, um zum einen festzustellen, ob das Angebot den Bedarfen genügt. Zum anderen gehe ich auch davon aus, dass diese Institutionen sehr nah an den Problemen der Kinder und Familien arbeiten werden. Dabei werden sie auch Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Strukturen problematisch und welche hilfreich sind. Die Chance, diesen Erfahrungsschatz für die Arbeit im Kinderschutz zu heben, sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.
Das Gesetz sieht aber noch weitere Regelungen vor. Eine davon halte ich für besonders wichtig und eigentlich sogar für überfällig: Das Land ermöglicht erstmals eine Rückkehroption kleiner Jugendämter zum Kreis oder den Zusammenschluss mit benachbarten Jugendämtern. Das ist richtig, denn kein Bundesland leistet sich eine derart ausdifferenzierte Landschaft wie Nordrhein-Westfalen.
186 Jugendämter bringen einen Flickenteppich mit sich, der nicht immer zu Gerechtigkeit und Qualität führt. Sichtbar wird das etwa bei der Vielzahl an unterschiedlichen Gebührenmodellen im Kita-Bereich. Die Kosten unterscheiden sich zwischen benachbarten Jugendämtern teilweise um Tausende Euro. Darum ist es nicht verkehrt, wenn die Kommunen künftig die Option bekommen, die Aufgaben des Jugendamtes wieder durch den Kreis regeln zu lassen.
Verkehrt wäre es hingegen, im Gesetz keine Regelung dafür zu treffen, dass dieser Übergang einvernehmlich und geordnet verläuft. Insbesondere der Landkreistag hat ernsthafte Bedenken formuliert. Es kann natürlich nicht sein, dass dem Kreis eine solche Aufgabe quasi vor die Füße gekippt wird. Es geht um Fragen des Personalübergangs und auch um ernsthafte finanzielle Auswirkungen.
Diese Bedenken haben wir im Ausschuss formuliert und immer wieder nachgefragt, ob an dieser Stelle nicht nachgesteuert werden muss. In der Ausschussberatung wurde ein solcher Bedarf nicht gesehen. Umso überraschter waren wir, als uns gestern ein Änderungsantrag von CDU, Grünen und FDP erreichte, der eine umfangreiche Änderung genau dieses Paragrafen beinhaltete. Jetzt ist die Rede davon, dass eine Verständigung zwischen der kreisangehörigen Gemeinde und dem Kreis erzielt werden soll.
Ich freue mich sehr, dass Sie unsere Bedenken und die des Landkreistages aufgegriffen haben. Diese Formulierung ist mit Sicherheit ein Fortschritt. Ob es aber tatsächlich realistisch ist, dass der Kreis innerhalb eines Monats ein Übergangskonzept vorlegen muss, wenn keine Verständigung erzielt werden kann, hätten wir gerne intensiver mit Ihnen und den kommunalen Spitzenverbänden diskutiert.
Dafür wäre ausreichend Zeit gewesen. Schließlich haben Sie den Gesetzentwurf im jüngsten Plenum noch von der Tagesordnung genommen. Aber vielleicht war ja doch nicht genug Zeit vorhanden, denn heute hat uns ein weiterer Änderungsantrag erreicht. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass der Ursprungsänderungsantrag mit etwas heißer Nadel gestrickt wurde.
Wenn wir gewusst hätten, dass Sie unseren Hinweisen in der Zwischenzeit näher treten, hätten wir wahrscheinlich die Basis für eine breitere Verständigung gefunden. Vom einen Tag auf den anderen zu überprüfen, ob Ihre Formulierungen rechtssicher und vor allen Dingen realistisch sind, ist aber nicht zu leisten.
Das gilt auch für die anderen Punkte Ihres Änderungsantrages. Nun sollen in die Liste der beratenden Mitglieder des Jugendhilfeausschusses neben den örtlichen Jugendringen auch örtliche Jugendselbstvertretungen aufgenommen werden.
Während die Definition und die Verfasstheit von Jugendringen relativ klar umrissen ist, gilt das für Jugendselbstvertretungen deutlich weniger. Sicherlich geht es dabei um Jugendparlamente, aber geht es auch um Jugendforen, Jugendbeiräte und die Schülermitverwaltung? Ist das alles auch gemeint? Was passiert denn, wenn es parallel mehrere Gremien gibt? Welches dieser Gremien hat dann den Anspruch, Stimme der Jugend zu sein? Wie ist eigentlich das Verhältnis zu den Jugendringen?
Um es kurz zu sagen: Wir erkennen durchaus die gute Absicht, befürchten aber, dass diese Formulierung nicht in jedem Fall zu Klarheit führt und daher mehr Probleme verursachen könnte, als sie tatsächlich löst. Im Ergebnis werden wir uns enthalten.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Das Zeitfenster wurde fast eingehalten. Jetzt kommen wir zur Kollegin Woestmann aus der Fraktion der Grünen. Bitte.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich hätte ehrlicherweise nicht gedacht, dass ich dieses SGB-VIII-Ausführungsgesetz einmal mit so viel Elan und Eifer verhandeln würde. Ich freue mich sehr, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden können.
Ich würde meine Redezeit gerne nutzen, um auf die vier gestern von uns eingereichten Änderungsanträge einzugehen.
Der erste Punkt betrifft die größte und vor allem die wichtigste Änderung, die wir in diesem Ausführungsgesetz vornehmen, nämlich die Frage der Rückgabe der Jugendämter. Immer wieder wurde die Bitte kleinerer Kommunen an uns herangetragen, ihr Jugendamt an den Kreis zurückgeben zu können. Das wird vor allem damit begründet, dass es aufgrund der aktuellen Fachkräfteproblematik schwierig ist, die Aufgaben aufrechtzuerhalten.
Aktuell können Jugendämter noch nicht zurückgegeben werden. Mit der Änderung des Ausführungsgesetzes wird es möglich. Herr Maelzer, Sie haben einen sehr zentralen Punkt angesprochen, nämlich die Frage, wie dieser Übergang überhaupt gestaltet wird. Im Gesetzentwurf der Landesregierung war das Benehmen geregelt. Der Landkreistag hat das Einvernehmen gefordert.
Das Problem beim Benehmen ist – Sie haben es gesagt –: Die Kommune kann dem Kreis das Jugendamt quasi vor die Füße kippen und sagen, dass er es bitte für die Kommune übernehmen solle.
Das Problem beim Einvernehmen ist: Der Kreis kann sagen, dass er es nicht macht. Dann entsteht eine ganz große Problematik: Wer ist dann in der Zeit für die Jugendhilfe zuständig?
Für uns als regierungstragende Fraktion war gemeinsam mit der FDP klar, dass es so nicht funktioniert. Es muss sehr klar geregelt werden, wie der Kinderschutz in einer solchen Situation gewährleistet wird und die Arbeit in den Jugendämtern weitergehen kann.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir haben intensiv daran gearbeitet, einen Kompromiss zu finden. Glauben Sie mir: Es ist gar nicht so einfach, einen Kompromiss zwischen Benehmen und Einvernehmen zu finden.
(Heiterkeit von Dr. Dennis Maelzer [SPD] und Dr. Julia Höller [GRÜNE])
Das ist gelungen. Ich finde ihn gut und bin davon überzeugt, dass wir damit einen sowohl für die Kommunen als auch für die Kreise richtigen und gangbaren Weg finden.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
In unserem zweiten Änderungsantrag gehen wir auf die Frage der Beteiligung von jungen Menschen gerade im Jugendhilfeausschuss ein. Aktuell ist nicht vorgesehen, dass junge Menschen als beratende Mitglieder Teil der Jugendhilfeausschüssen sind.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung beinhaltet den Vorschlag der Jugendringe, was wir prinzipiell nicht verkehrt finden. Dennoch muss man sagen: Es ist immer richtig, nicht nur über, sondern mit jungen Menschen zu sprechen. Dementsprechend wurde von verschiedenen Seiten die Bitte an uns herangetragen, nicht nur die Jugendringe, sondern auch die Jugendselbstvertretungen in den Blick zu nehmen.
Sie haben recht: Es gibt verschiedene Jugendselbstvertretungen. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Kommunen in ihrer Weisheit auch entscheiden können, was vor Ort bei ihnen vorrätig ist, welche Jugendgremien es gibt, welche Jugendselbstvertretungsgremien es gibt und welche da auch beteiligt werden können. Das ist die zweite Änderung.
Die dritte Änderung, auf die ich gern noch eingehen möchte, ist die Frage nach den Betriebserlaubnisverfahren. Die Betriebserlaubnisverfahren waren aktuell gleich geregelt für die teilstationären und die stationären Einrichtungen, wobei man sagen muss, dass die teilstationären Einrichtungen die Kitas sind und die stationären Einrichtungen alle weiteren, wo Kinder auch über Nacht sind. Die Rückmeldung war, dass die Verfahren für die teilstationären Einrichtungen, also die Kitas, teilweise sehr aufwendig waren und es deswegen sehr schwierig war, die betreffenden Menschen mit an den Tisch zu bekommen, die laut Gesetz vorgesehen waren.
Wir haben aber auch die Rückmeldung bekommen, dass es für die stationären Einrichtungen ein sehr gutes Verfahren ist. Dementsprechend haben wir uns darauf geeinigt, einen Weg zu finden, der beidem gerecht wird und mit dem sowohl für die teilstationären Einrichtungen eine Vereinfachung des Verfahrens einhergeht als auch für die stationären Einrichtungen das bestehende gute Verfahren erhalten bleibt.
Die Ombudsstellen werden noch mal verbindlicher gestärkt. Es ist gerade in Konfliktsituationen wichtig, dass es ein Angebot gibt, wo Menschen sich noch mal unabhängig vom Jugendamt beraten lassen können. Dementsprechend war es wichtig, da eine höhere Verbindlichkeit reinzubekommen.
Der Änderungsantrag, der heute dazugekommen ist, ist nicht mit heißer Nadel gestrickt worden, sondern beinhaltet einfach den Fakt, dass in § 5 Abs. 2, also bei der Frage nach beratenden Mitgliedern in den Jugendhilfeausschüssen, die Vervollständigung der Liste um die Jugendringe und die Jugendselbstvertretung vollzogen werden musste. Das gilt auch für die Stellvertreter, weil wir natürlich auch wollen, dass junge Menschen eine Stellvertretung haben. Dementsprechend wird die Fassung von 1 bis 9 auf 1 bis 11 ergänzt, damit auch die Jugendselbstvertretung und die Jugendringe, die ihre Mitglieder entsenden, eine Stellvertretung als Beratungsmitglied in den Jugendhilfeausschuss entsenden können. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt Kollege Marcel Hafke aus der Fraktion der FDP. Bitte sehr.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Gesetzentwurf wird das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz des Bundes in Nordrhein-Westfalen endlich umgesetzt. Dabei geht es nicht nur um juristische Anpassungen, sondern um besseren Schutz, mehr Beteiligung und bessere Chancen für Kinder und junge Menschen.
Zentrale Ziele sind mehr Kinderschutz, bessere Unterstützung in Pflegefamilien und Einrichtungen, inklusive Hilfen sowie stärkere Beteiligung und Prävention, aber auch ganz praktische Sachen, nämlich auf Wunsch der Kommunen die Anzahl der Jugendämter neu zu strukturieren. Der Gesetzentwurf greift diese Punkte auf.
Ich möchte insbesondere auf die Änderungen eingehen. Wir als Freie Demokraten begrüßen die stärkeren Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen. Die Einbindung von Jugendvertretungen und Jugendhilfeausschüssen ist ein richtiger Schritt. Entscheidend ist jedoch, dass die Beteiligung hinterher in der Fläche auch wirklich umgesetzt wird.
Auch die feste Rolle des Landeselternbeirats im Landesjugendhilfeausschuss stärkt die Stimme der Familien. Die Regelung zu den Ombudsstellen ist sinnvoll. Sie müssen unabhängig und niedrigschwellig zugänglich sein. Eine klarere Verbindlichkeit und die Einbeziehung von Selbstvertretungen wären für uns jedoch auch noch wünschenswert gewesen.
(Beifall von der FDP)
Bei der Definition von Einrichtungen nach § 45a unterstützen wir den differenzierten Ansatz. Wichtig ist uns der Erhalt von familienanalogen Strukturen in Nordrhein-Westfalen. Zu § 21 hatten wir anfangs Bedenken, haben aber früh Kompromissbereitschaft signalisiert, unter den Bedingungen, dass Beteiligung nach § 20 verbindlich geregelt wird. Das wird erfüllt. Nordrhein-Westfalen geht hier voran – ein starkes Signal für eine qualitätsorientierte und nahbare Jugendhilfe.
(Beifall von der FDP)
Trotzdem halten wir die bisherige Regelung des § 21 für bewährt. Sie sichert die Beteiligung freier Träger im Betriebserlaubnisverfahren. Beim Thema „Betreuungskräfte“ fordern wir jedoch hier auch noch etwas mehr Klarheit. Qualifizierte Ausbildung muss selbstverständlich sein.
Wir unterstützen den Gesetzentwurf grundsätzlich. Wir sind auch froh, dass er jetzt endlich eingebracht und dann auch umgesetzt wird. Ich danke an dieser Stelle den regierungstragenden Fraktionen, dass sie Korrekturen am bisherigen Entwurf vornehmen und auch zulassen und hier einen ernsthaften und zielorientierten Diskurs geführt haben. Ich glaube, im Sinne des Kinderschutzes und mehr Beteiligung ist das ein guter Weg. Daher werden wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Christof Rasche: Vielen Dank. – Jetzt folgt für die Fraktion der AfD Herr Schalley. Bitte sehr.
Zacharias Schalley (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versucht die Landesregierung, zentrale Bestimmungen des vom Bund beschlossenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes auch in NRW umzusetzen. Das Bundesgesetz existiert seit mittlerweile vier Jahren, höchste Zeit also, dass auch das Land aktiv wird. Allerdings stellt sich die Frage, was in dieser Zeit passiert ist. Denn der nun vorgelegte Entwurf wirkt nicht wie das Ergebnis intensiver fachlicher Arbeit, sondern aus unserem Blickwinkel unausgereift und zusammengeklöppelt, wie sich an den nachgeschobenen Anträgen zeigt.
Lassen Sie mich auf für uns zentrale Punkte eingehen. Beispielsweise hat Herr Professor Ennuschat in der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass das im Entwurf vorgesehene Zutrittsrecht für Jugendamtsmitarbeiter in Wohnungen einen erheblichen Eingriff in das grundgesetzlich verbriefte Recht auf die Unverletzlichkeit derselbigen darstellt. Dem Entwurf fehlen dazu grundlegende verfahrensrechtliche und materielle Vorgaben, etwa zur Unterscheidung von Tag- und Nachtzeiten oder zur Pflicht einer vorherigen Ankündigung. Diese Defizite gefährden nicht nur die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen, sondern lassen auch das notwendige Maß an Handlungssicherheit für die Mitarbeiter der Jugendämter vermissen. Auch der Änderungsantrag der Regierungskoalition samt FDP lässt eine Schärfung in dieser Frage gänzlich vermissen.
Kritisch bewerten wir zudem die geplante Aufweichung der bisherigen Regelungen zum Altersunterschied zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kind sollte nach Ansicht der AfD auch einem tatsächlichen Eltern-Kind-Verhältnis nachempfunden sein. Eine zu geringe Altersdifferenz birgt die Gefahr, dass sich das notwendige Reifungs- und Erziehungsverhältnis in ein kumpelhaftes Miteinander verschiebt, was der Entwicklung der Kinder sicherlich nicht zuträglich ist. Deshalb sollte unserer Ansicht nach die bisherige Regelung beibehalten bleiben.
Ein weiterer Punkt, der sowohl in der Anhörung stark diskutiert wurde und nun auch in Ihrem Änderungsantrag auftaucht, ist die vorgesehene verpflichtende Mitbestimmung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene. So wünschenswert echte Jugendbeteiligung ist – die gesetzlich verordnete Beteiligung von Jugendlichen in kommunalen Ausschüssen stellt aus kommunalrechtlicher Sicht einen gravierenden Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar. Entscheidungen über Gremienzusammensetzungen sollten aus unserer Sicht grundsätzlich den Kommunen selbst vorbehalten bleiben.
Hinzu kommt die begriffliche Unschärfe. Was ein Jugendring ist, ist rechtlich einigermaßen definiert. Allerdings droht hier die Gefahr, dass nicht Jugendliche, sondern Erwachsene, die für Jugendringe tätig sind, als Jugendvertretung auftreten. Das widerspricht dem eigentlichen Anliegen, Jugendlichen selbst eine Stimme zu geben. Die nun ergänzte Formulierung einer örtlichen Jugendselbstvertretung schafft dabei keine rechtliche Klarstellung, sondern wirft nur neue Fragen auf. Welche Strukturen sind damit gemeint? Nach welchen Kriterien soll die Auswahl erfolgen? Und es bleibt immer noch die erste Frage offen. Wer vertritt denn die Jugendringe in diesen Gremien?
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die geplante Änderung zu den Ombudschaftsstrukturen eingehen. Aus der bisherigen Kann-Regelung soll nun eine Soll-Regelung zur Förderung regionaler Ombudsstellen werden. Unabhängige Beschwerde- und Beratungsstellen sind zweifellos wichtig. Doch auch hier bleibt der Entwurf im Ungefähren. Bereits bestehende kommunalfinanzierte Ombudsstellen finden keine Erwähnung. Es bleibt offen, ob diese künftig in eine Landesförderung übergehen oder ob neue parallele Strukturen aufgebaut werden sollen. Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob die vorgesehenen Landesmittel ausreichen, um diese flächendeckend und dauerhaft zu finanzieren. Statt tragfähiger Lösung droht hier einmal mehr das Bauen von Luftschlössern.
Ich halte also abschließend fest: Der Gesetzentwurf ist unausgereift, lässt die notwendige Klarheit vermissen und ist in weiten Teilen praxisfern. Statt den tatsächlichen Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu begegnen, liefert die Landesregierung Symbolpolitik, begriffliche Unschärfen und verfassungsrechtlich bedenkliche Eingriffe. Wir lehnen diesen Entwurf und die zugehörigen Änderungsanträge daher ab. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Christof Rasche: Für die Landesregierung folgt jetzt Ministerin Paul. Bitte sehr.
Josefine Paul*), Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration: Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der vorliegenden Änderung der Ausführungsgesetze zum SGB VIII bringen wir wichtige Weiterentwicklungen und eine Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe voran und setzen eben auch die bundesrechtlichen Bestimmungen um.
Zwischenzeitlich – das ist ja hier auch sehr deutlich geworden – haben die Ausschüsse für Kinder, Jugend und Familie sowie Heimat und Kommunales Anhörungen durchgeführt, haben intensiv dazu beraten. Im parlamentarischen Verfahren haben sich dann auch wertvolle Änderungen ergeben. Ich möchte hier ganz ausdrücklich den Abgeordneten dafür danken, dass an dieser Stelle im parlamentarischen Verfahren noch weitere Klarstellungen dazugekommen sind.
Unser gemeinsames Ziel ist und bleibt es, die Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen zu verbessern, die Strukturen auszubauen und die Rechte und den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Es geht mit diesem Gesetzentwurf um mehr Schutz, mehr Beteiligung und klare Regelungen zu Einrichtungen sowie zu den Jugendamtsstrukturen.
Aus meiner Sicht und auch aus der vieler Sachverständiger haben wir mit diesem vorliegenden Gesetzentwurf und jetzt auch mit den vorliegenden Änderungsanträgen dafür einen entsprechenden Rahmen geschaffen. Wir stellen mit diesem Gesetz die Interessen junger Menschen in den Mittelpunkt. Was an einigen Stellen vielleicht auch ein Stück weit technisch im Gesetzentwurf daherkommt, sind wichtige Punkte zur Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe.
Ich will auf zwei zentrale Punkte kurz eingehen. Das ist zum einen die Einführung einer Regelung zum Widerruf der Bestimmungen zum örtlichen Träger der Jugendhilfe. Denn in der Tat, wir haben in Nordrhein-Westfalen eine gewachsene und einmalige Struktur von Jugendämtern. Wir haben 186 Jugendämter in Nordrhein-Westfalen, wobei ich deutlich unterstreichen möchte, dass die Größe nicht zwangsläufig etwas über die Qualität der Arbeit und die Belastungssituationen aussagt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Trotzdem wird seit vielen Jahren darüber diskutiert, ob nicht auch eine Rückabwicklung der Jugendämter und eine Rückübergabe an die Kreisjugendämter ermöglicht werden sollte. Diese Frage ist sowohl in den parlamentarischen Befassungen als auch in der Anhörung sehr kontrovers diskutiert worden. Hier ging es vor allem um die Frage, wie sich die kreisangehörige Kommune, die ihr Jugendamt aufgeben will, mit dem Kreis verständigen muss.
Mit dem Gesetzentwurf wurde eine Regelung vorgelegt, die unter anderem sicherstellen sollte, dass während des Umsetzungsprozesses die Aufgaben nach dem SGB VIII zu jeder Zeit auch wahrgenommen werden und die kreisangehörige Kommune und der Kreis sich bezüglich des Übergangs ins Benehmen setzen, also miteinander die notwendigen Schritte für eine Rückabwicklung besprechen. ´
Und ja, aus meiner Sicht ist das auch die gelebte Praxis in der kommunalen Familie. Trotzdem danke ich den Fraktionen noch einmal für den Versuch, die Positionen noch klarer auszuschärfen. Denn am Ende muss sich diese Frage im Sinne der Kinder und Familien und einer gut aufgestellten Jugendhilfe vor Ort entscheiden.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Klar ist dabei auch, dass die Rückabwicklung ein Prozess ist, der in jedem Einzelfall nach den kommunalen Gegebenheiten anders ausgestaltet werden kann und muss.
Die eingebrachten Änderungsanträge präzisieren hier insbesondere noch einmal die Regelung für den Fall, dass eine Verständigung auf Initiative der Gemeinde zunächst nicht erreicht werden konnte.
Zweitens will ich kurz auf den Punkt der Stärkung der Ombudsstellen eingehen. Beschwerdemöglichkeiten sind ein wichtiger Faktor gelingenden Kinderschutzes. Sie werden mit dem Gesetz durch die Voraussetzungen für den Aufbau weiterer Ombudsstellen in Nordrhein-Westfalen noch einmal gestärkt. In Ombudsstellen können sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene unabhängig beraten lassen und Unterstützung erhalten.
Wir verfügen in Nordrhein-Westfalen anders als andere Bundesländer im Übrigen bereits seit über zehn Jahren mit der Beratungs- und Beschwerdestelle „Ombudschaft Jugendhilfe NRW“ über eine solche Ombudsstelle und damit Struktur. Ratsuchende, die sich vom öffentlichen oder freien Jugendhilfeträger nicht ausreichend beteiligt, beraten, betreut oder beschieden fühlen, finden dort unabhängige Unterstützung.
Diese Struktur zu festigen, indem wir nämlich in den Regierungsbezirken die Ombudschaften stärken und weitere Ombudschaften danebenstellen, halte ich für einen wichtigen Schritt, um die Beteiligung und die Beschwerdemöglichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Familien hier noch einmal zu verbessern und auch die Verhandlungen zwischen Jugendhilfeträgern und den jeweils betreuten Betroffenen zu stärken.
Hierzu haben wir auch bereits ein Interessenbekundungsverfahren für die Einrichtung einer Ombudsstelle im Regierungsbezirk Münster gestartet und auch bereits einen Träger ausgewählt. In den nächsten Monaten ist vorgesehen, ein weiteres Interessenbekundungsverfahren zu eröffnen, voraussichtlich für den Regierungsbezirk Köln.
Mit dem vorliegenden Änderungsantrag wird die Förderung regionaler Ombudsstellen verbindlicher formuliert. Auch das ist eine gute Präzisierung an dieser Stelle.
Abschließend: Ich freue mich, dass wir mit dem Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes diese gerade detaillierter beschriebenen, aber auch die von Ihnen deutlicher hervorgehobenen Anpassungen und Änderungen vornehmen konnten und so die Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen weiterentwickeln, Kinder, Jugendliche und Familien in unserem Land weiter stärken und unterstützen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den notwendigen drei Abstimmungen. Erstens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 18/14116 ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Das sind CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer stimmt dagegen? – Die AfD. Wer enthält sich? – Das ist die SPD. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 18/14116 wie gerade festgestellt angenommen.
Wir stimmen zweitens ab über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 18/14131. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Das sind CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Wer enthält sich? – Das ist die SPD. Damit ist dieser Änderungsantrag Drucksache 18/14131 wie gerade festgestellt angenommen.
Wir stimmen drittens ab über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 18/9770 – Neudruck. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in Drucksache 18/13804, den Gesetzentwurf Drucksache 18/9770 – Neudruck – unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 18/9770 – Neudruck – in der soeben geänderten Fassung und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – Das sind CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Wer enthält sich? – Das ist die SPD. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 18/9770 – Neudruck – in der soeben geänderten Fassung angenommen und verabschiedet.
Ich rufe auf:
12 NRW muss funktionieren: Investitionen in beste Gesundheit. Krankenhäuser, Pflegeschulen und Pflegeheime fit für die Zukunft machen!
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 18/14014
Ich eröffne die Aussprache, und es steht schon fast am Redepult der Abgeordnete Herr Klute.
Thorsten Klute (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheit und Pflege gehen uns alle an, egal ob wir arm oder reich, groß oder klein sind, egal woher wir oder unsere Eltern irgendwann mal nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind. Gesundheit und Pflege gehen uns alle an.
Wenn es bei Gesundheit und Pflege im System nicht funktioniert, wird sehr schnell auch das Vertrauen in den Staat und seine Einrichtungen beschädigt. Damit sind Gesundheit und Pflege auch systemrelevant. Das zeigt: NRW muss funktionieren, eben auch bei Gesundheit und Pflege, auch bei den Investitionen, die das System der Gesundheit und Pflege so dringend braucht und für die nach dem Föderalismus in Deutschland eben die Bundesländer – hier: Nordrhein-Westfalen, diese Landesregierung – zuständig sind.
Da wollen wir uns einmal ein paar Zahlen anschauen, die uns dazu veranlasst haben, heute den Antrag einzubringen, weil NRW funktionieren und kräftig investieren muss. Die Investitionen in Krankenhäuser, in die Pflege, in die Pflegeeinrichtungen, in die ambulante medizinische Versorgung sind zu erhöhen.
In den Krankenhäusern Nordrhein-Westfalens haben wir zurzeit einen Investitionsstau von etwa 17 Milliarden Euro – nur in Nordrhein-Westfalen. Das sind keine europäischen Zahlen, das sind keine Zahlen für Deutschland; es gibt nur in Nordrhein-Westfalen einen Investitionsstau von etwa 17 Milliarden Euro.
Wir alle wissen, dass die 2,5 Milliarden Euro, die die Landesregierung an Investitionsmitteln zur Umsetzung des Krankenhausplans zur Verfügung stellt, hinten und vorne nicht reichen. Das wissen wir alle. Die Konsequenz daraus, wenn man das aber weiß und wenn man die Träger, die Organisationen und die Kommunen nicht sehenden Auges zusätzlich belasten will, ist: Man muss diese Mittel erhöhen. Das ist der Grund, warum wir die Investitionsmittel für die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen um 2 Milliarden Euro erhöhen wollen.
(Beifall von der SPD)
Wir sehen, wie schwierig es in der ambulanten medizinischen Versorgung wird. Ich hatte das schon vor zwei Wochen zu einem anderen Punkt hier gesagt: Immer mehr Medizinerinnen und Mediziner kommen in ein Alter, in dem sie daran denken, ihre Praxis aufzugeben. So ist das eben. Da wird dann die Praxis in der einen Straße und die andere Praxis in der anderen Straße geschlossen, und es gibt keine Nachfolge. Kommunen müssen stärker in den Stand versetzt werden, in medizinische Versorgungszentren vor Ort zu investieren.
Wir brauchen aber auch das Hausarztaktionsprogramm der Landesregierung, das ich hier schon mehrfach als richtig bezeichnet habe. Wenn man dann aber mal genau nachschaut, wie viele Mittel denn im Jahr 2025 für das Hausarztaktionsprogramm bereitstehen, stellt man fest, dass das MAGS, das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, in diesem Jahr gar keine Mittel dafür zur Verfügung stellt.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das stimmt doch nicht!)
– Das steht auf eurer Internetseite, Herr Minister Laumann: im Jahr 2025 keine Mittel. – Sie haben gleich die Gelegenheit, das zu korrigieren; dann kriegen Sie auch Beifall von mir, aber es muss dann auch stimmen.
Wir schauen in die Pflege. In Nordrhein-Westfalen ist die Anzahl der Pflegebedürftigen von 2021 auf 2023 von 1,2 Millionen auf 1,4 Millionen gestiegen. Innerhalb von zwei Jahren haben wir bei den Pflegebedürftigen in Nordrhein-Westfalen einen Anstieg um 16 %.
Jetzt müsste man eigentlich glauben, dass bei den ambulanten Pflegediensten – das sind diejenigen, die helfen, wenn Menschen zu Hause gepflegt werden, was immer wichtiger wird – die Anzahl der betreuten Personen innerhalb dieser zwei Jahre auch um 16 % angestiegen ist. Sie ist aber nur um 2 % angestiegen.
Bestimmt nimmt die eine oder der andere auch das Pflegegeld mit und macht damit gute Sachen für die Angehörigen – das glaube ich sofort –, aber ganz sicher ist auch, dass viele Menschen in Nordrhein-Westfalen tagtäglich die Erfahrung machen, dass sie den 10., den 12., den 13. Pflegedienst anrufen und keinen finden, weil die Pflegedienste zurzeit nicht in der Lage sind, noch Leute aufzunehmen.
Womit hat das zu tun? Das ist sehr unterschiedlich. Das hat natürlich etwas mit Personalmangel zu tun. Da stellen wir uns die Frage: Wenn der Personalmangel in der Pflege so groß ist, warum investiert Nordrhein-Westfalen dann nicht in die regelmäßige Finanzierung der Pflegeschulen?
(Beifall von der SPD)
Stattdessen wird der Ansatz für Investitionen in Pflegeschulen im Haushalt 2025 um etwa 60 % gekürzt.
Das andere Beispiel nenne ich hier zum Abschluss auch noch sehr deutlich: 2,15 Euro ist der Betrag, den Nordrhein-Westfalen ambulanten Pflegediensten pro Leistungsstunde zur Verfügung stellt. Er ist seit fast 30 Jahren unverändert. Im gleichen Zeitraum ist die Inflation um 70 % gestiegen. Herr Minister Laumann, da muss endlich ein Inflationsausgleich kommen. Investieren Sie in Gesundheit und Pflege! Das ist eine Investition in die gesamte Bevölkerung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Klute. – Für die CDU spricht ihr Abgeordneter Herr Hagemeier.
Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die antragstellende Fraktion zeichnet ein Bild von NRW, wonach die Landesregierung angeblich nicht die richtigen Voraussetzungen in der Gesundheitsversorgung setzt. Dies entspricht aber nicht der Realität.
Was sie dabei konsequent ausblendet: Unsere Landesregierung gestaltet mit konkreten Maßnahmen, klaren Vorstellungen und Verantwortungsbewusstsein die Gesundheitsversorgung in unserem Land.
Ja, unsere Gesellschaft wird älter; ja, die Anforderungen an Pflege, Prävention und medizinische Versorgung sind hoch – das ist richtig –, und ja, wir alle wünschen uns, dass alle Menschen in ganz Nordrhein-Westfalen, in der Stadt genauso wie auf dem Land, auf eine verlässliche Gesundheitsversorgung zählen können.
Gerade im Gesundheits- und Pflegebereich sind in Deutschland insgesamt umfangreiche Strukturreformen dringend notwendig. Die NRW-Krankenhausreform ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Allein im letzten Jahr beliefen sich die Gesundheitsausgaben in Deutschland auf rund 538 Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Wer jetzt wie die SPD behauptet, das Land bliebe hinter diesen Herausforderungen und wichtigen Strukturreformen zurück, leugnet die Wirklichkeit.
(Thorsten Klute [SPD]: Uiuiui!)
– Denn die Fakten sprechen eine klare Sprache, lieber Herr Kollege Klute.
Seit 2017 hat die Landesregierung rund 8 Milliarden Euro in unsere Krankenhäuser investiert, darunter allein 2,5 Milliarden Euro für die neue Krankenhausplanung – die erste grundlegende Strukturreform seit Jahrzehnten. Ziel ist eine bedarfsgerechte, leistungsstarke und patientennahe Versorgung, abgestimmt auf medizinische Qualität und auf regionale Besonderheiten.
Allein im Jahr 2023 wurden über 700 Millionen Euro an Investitionskosten in der Pflege durch das Land mitgetragen. Die Landesregierung hat in den letzten Jahren massiv in die Pflegeausbildung investiert und die generalistische Ausbildung, mit der man sowohl im Krankenhaus als auch im Pflegeheim arbeiten kann, eingeführt. Dies hat für mehr Flexibilität und Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Bereichen der Pflege gesorgt.
Das Land hat in den vergangenen Jahren Fördermittel in einer Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro für zusätzliche Schulplätze und notwendige Modernisierungsmaßnahmen an Pflegeschulen und Schulen des Gesundheitswesens bereitgestellt, um moderne Lernorte zu schaffen und die Ausbildungsqualität zu stärken. Zudem finanziert das Land rund 9 % der Kosten für die Pflegeausbildung. Im Jahr 2025 bedeutet das rund 127 Millionen Euro für die Ausbildung.
Darüber hinaus wurde 2021 zusätzlich eine generalistische Pflegefachassistenzausbildung eingeführt und somit eine attraktive, niedrigschwellige Ausbildung geschaffen.
(Thorsten Klute [SPD]: Das stellt ja auch niemand infrage!)
Alle Azubis erhalten eine Ausbildungsvergütung. Insgesamt werden 4.300 Ausbildungsplätze in der Pflegefachassistenz gefördert.
Auch die Vorsorge rückt verstärkt in den Fokus. Mit dem Landesförderprogramm „Mehr Prävention für unser Land“ stehen seit dem letzten Jahr über 6 Millionen Euro jährlich für die kommunale Gesundheitsförderung zur Verfügung. Über 100 Projekte wurden bereits gefördert: von niedrigschwelliger Bewegungsförderung bis zu mentaler Gesundheit im Quartier.
Auch in der Pflegeausbildung setzt NRW Maßstäbe. Im Jahr 2023 wurden über 16.000 Auszubildende in der generalistischen Pflegeausbildung registriert. Das ist ein deutliches Plus von rund 15 % gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt NRW bundesweit an der Spitze. Den Berufsstand haben wir bei der Weiterentwicklung der Pflege mit der Einführung der Pflegekammer besser eingebunden.
Jetzt könnte ich, wenn wir noch viel mehr Zeit hätten, noch auf das Hausarztaktionsprogramm eingehen, das Sie selbst eben schon erwähnt haben,
(Thorsten Klute [SPD]: Ja, aber es ist kein Geld mehr da!)
auf die Schulgeldfreiheit in den Gesundheitsberufen, auf die medizinische Fakultät, auf die Einführung der Landarztquote. Zurzeit studieren mehr als 800 junge Menschen im Rahmen der Landarztquote; 150 sind allein im Wintersemester 2024/2025 dazugekommen.
Das verdeutlicht sehr klar: Die Landesregierung investiert bereits umfangreich in die Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen. Vieles geschieht in enger Abstimmung mit den Beteiligten im Gesundheitswesen. Sie sind das Rückgrat unseres Gesundheitswesens, und sie verdienen nicht nur Respekt, sondern auch spürbare Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen sowie Anerkennung. Das ist sowohl auf der Landes- als auch auf der Bundesebene ein insgesamt fortlaufender Prozess.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lehnen die Intention des vorliegenden und auf Wunsch der antragstellenden Fraktion direkt abzustimmenden Antrags ab. Mit ihm wird suggeriert, es geschehe zu wenig. Wir lehnen ihn ab, weil er fiskalisch vage bleibt. Wir sind in Nordrhein-Westfalen mit dieser Landesregierung und mit Minister Karl-Josef Laumann auch in der Gesundheitspolitik auf einem klaren Weg. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege Hagemeier. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht die Abgeordnete Frau Thoms.
Meral Thoms (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bilden das Rückgrat unserer Gesundheitsversorgung in NRW, und sie sind natürlich unverzichtbar für eine funktionierende Daseinsvorsorge.
Es ist unbestritten, dass gerade im Krankenhausbereich ein erheblicher Investitionsbedarf besteht. Bundesweit stehen viele Kliniken vor enormen wirtschaftlichen Problemen und sehen sich mit drohenden Schließungen konfrontiert. Gleichzeitig ist die Pflegeversicherung dringend reformbedürftig. Sie kann die steigenden Pflegekosten kaum noch tragen. Die Folge ist, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mit teils existenzbedrohenden Eigenanteilen belastet werden.
Doch diese Herausforderungen sind nicht neu; sie werden seit Jahren diskutiert. Während andere noch reden, handeln wir in NRW mit konkreten Maßnahmen und mit der Bereitschaft, auch finanziell Verantwortung zu übernehmen.
Sehen wir uns den Krankenhausbereich an. Wir haben frühzeitig mit einer innovativen Krankenhausplanung reagiert, die bundesweit Maßstäbe setzt.
(Wilhelm Korth [CDU]: So ist das!)
Mit jährlich 765 Millionen Euro Pauschalförderung und zusätzlichen 2,5 Milliarden Euro für die Umsetzung der Krankenhausplanung machen wir deutlich: Die stationäre Versorgung liegt uns am Herzen, und wir unterlegen dies mit Substanz.
Zur Erinnerung: Im Landtagswahlkampf 2022 forderte der damalige SPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty – leider ist er gerade nicht hier – einen Investitionsfonds für die Krankenhäuser in Höhe von 2 Milliarden Euro. Heute müssen wir sagen, dass wir diese Forderung der SPD nicht nur erfüllt, sondern deutlich übertroffen haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Thorsten Klute [SPD]: Uiuiui!)
Das ist keine rhetorische Spitze, sondern schlicht ein Fakt. Wir haben mehr für die Krankenhäuser mobilisiert, als sich die SPD im Wahlkampf zugetraut hat.
Natürlich ist uns klar, dass selbst diese hohe Summe nicht ausreicht, um alle Investitionsbedarfe zu decken.
(Thorsten Klute [SPD]: Aha! – Gönül Eğlence [GRÜNE]: Da hast du jetzt aber was entdeckt! – Heiterkeit von Sascha Lienesch [CDU])
Deshalb war es ein wichtiger Schritt, dass die frühere Bundesregierung einen Transformationsfonds für die Krankenhäuser aufgelegt hat, der jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert wird. Das wissen Sie alle. Ja, es ist richtig und wichtig, dass der Bundesanteil nun aus dem Sondervermögen stammt und nicht aus den ohnehin stark belasteten Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen. Das Sondervermögen – das möchte ich noch einmal betonen – haben wir Grüne im Bundestag nicht nur möglich gemacht, sondern auch maßgeblich mitgestaltet.
(Beifall von den GRÜNEN und Wilhelm Korth [CDU])
In NRW werden wir sorgsam abwägen, wie wir unseren Anteil zielgerichtet einsetzen. Die konkrete Verteilung auf die Länder ist – wir würden es uns anders wünschen – noch offen; ebenso die Frage, wie groß der Anteil der Kommunen sein wird.
Eines ist uns allen aber sonnenklar: Dieses Sondervermögen ist keine Wunderwaffe und auch kein Goldesel. Es wird nicht alle finanziellen Probleme auf einen Schlag lösen und uns erlauben, Wunschprogramme in beliebiger Höhe zu finanzieren. Es kompensiert vor allem auch keinen Reformstau.
Auch im Pflegebereich gibt es großen Handlungsbedarf. Allein zwischen 2020 und 2022 haben wir über ein Sonderprogramm 250 Millionen Euro für den Ausbau von Pflegeschulen und deren Modernisierung bereitgestellt. Kollege Hagemeier hat das ausführlich ausgeführt.
Das größte strukturelle Problem aber liegt in der Pflegeversicherung selbst. Ihre Leistungen reichen im demografischen Wandel immer weniger aus – mit spürbaren Folgen für die Betroffenen.
In NRW beliefen sich die Hilfen zur Pflege im Jahr 2023 auf fast 1 Milliarde Euro. Es sind die Kommunen, die diese wachsende Last zunehmend stemmen müssen. Uns fehlt jedoch eine entschlossene Antwort der Bundesregierung. Statt konkreter Reformvorschläge gibt es bisher nur die Ankündigung einer Kommission für die Pflege mit einem vage formulierten Auftrag. Das reicht nicht. Wir brauchen jetzt eine tragfähige Finanzierung der Pflege, die die Lasten gerecht verteilt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind groß. Wir in NRW sind weiterhin bereit, auch finanzielle Verantwortung zu übernehmen und tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Der Antrag der SPD ist aber unglaubwürdig. Wir haben bereits übererfüllt, was sich die SPD vorgenommen hat. Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Präsident André Kuper: Danke, Frau Thoms. – Für die FDP spricht ihre Abgeordnete Frau Schneider.
Susanne Schneider (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich staune jetzt doch ein bisschen. Frau Thoms führte gerade aus, und das ist mein Lieblingssatz: „2020 bis 2022 haben wir …“ – Wer sich erinnern kann: 2020 bis 2022 hat die FDP mit der CDU hier Gesundheitspolitik gestaltet und sie auch wirklich gestaltet.
(Heiterkeit von Thorsten Klute [SPD])
Daher muss ich korrigierend widersprechen.
(Thorsten Klute [SPD]: Da hat sie recht! – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Was wahr ist, ist wahr! – Zuruf von Lena Teschlade [SPD])
Ich habe den Redner von der CDU gehört, wie er sich für Erfolge und dafür gefeiert hat, was das Land alles finanziert, bezahlt und auf den Weg bringt bis hin zur einjährigen Pflegeausbildung, die man so gepusht hat – ja, das hat man, von 2017 bis 2022, und das waren wir.
(Beifall von der FDP)
In NRW haben wir mehr als 300 Krankenhäuser, 3.500 Pflegeheime, 260 Pflegeschulen, und man könnte denken: Es läuft doch alles, wir sind doch ganz gut versorgt. – Wenn man diese Zahlen hört, dann ist man zunächst beeindruckt. Sie vermitteln den Eindruck, dass alles in Ordnung ist. Wenn man aber ein bisschen genauer hinsieht, dann täuscht der erste Eindruck doch.
Am Anfang des Jahres schreckten dann wahrscheinlich viele von Ihnen hoch, als bekannt wurde, dass 2023 die Zahl der Beschäftigten in den nordrhein-westfälischen Pflegeeinrichtungen zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist der erste seit 1999, und er schmerzt umso mehr, weil die Zahl der Pflegebedürftigen in der ambulanten und stationären Pflege 2023 noch einmal angestiegen ist.
Für den Rückgang der Pflegebeschäftigten lässt sich wahrscheinlich ein ganzes Bündel an Gründen finden: fehlende Anerkennung, schlechte Arbeitsbedingungen oder auch Gewalterfahrungen. Sicherlich spielt aber auch das Arbeitsumfeld, der eigentliche Arbeitsplatz eine entscheidende Rolle. Da fängt es – teilweise im wahrsten Sinne des Wortes – an, massiv zu bröckeln.
Es hat sich erheblicher Investitionsstau aufgetürmt. Er betrifft gleichermaßen die Krankenhäuser, die Pflegeeinrichtungen und vor allem die Pflegeschulen. Auch in anderen Bundesländern ist er zu spüren. Er kommt aber auch nicht von ungefähr. Der Investitionsstau begann – wenn wir ganz ehrlich sind – bereits unter Rot-Grün.
(Thorsten Klute [SPD]: Jetzt kommen wir!)
In der Regierungszeit von CDU und FDP wurde endlich begonnen, deutlich gegenzusteuern. Wenn die SPD das nun auch so sieht und mit ihrem Antrag Fehler aus der eigenen Regierungsverantwortung korrigieren will,
(Heiterkeit von Thorsten Klute [SPD])
dann sind wir zumindest bei der Problembeschreibung ganz nah beieinander.
Bei der Problemlösung sieht es allerdings anders aus. Ein dickes Paket wollen die Sozialdemokraten schnüren. Die Krankenhäuser sollen 2 Milliarden Euro als Sofortprogramm erhalten. Die Pflegeschulen sollen immerhin 10 Millionen Euro kriegen. Die Summe, mit der man andere Einrichtungen wie zum Beispiel Pflegeheime und ambulante Pflegedienste unterstützen will, lässt die SPD hingegen offen.
Als Gegenfinanzierung wird allein auf das Sondervermögen gesetzt. Das ist mir dann doch etwas dünn. Denkbar wäre zwar, aus dem Sondervermögen neben dem Bundesanteil auch den Landesanteil des Transformationsfonds zur Umsetzung der Krankenhausreform zu finanzieren, dieser würde aber nach aktueller Rechtslage rund 5 Milliarden Euro über zehn Jahre betragen.
Ein zusätzliches Sofortprogramm in Höhe von 2 Milliarden Euro neben den Mitteln für den Transformationsfonds hingegen ist unrealistisch. Ohnehin ist der Länderanteil des Sondervermögens schon für zahlreiche andere Aufgaben eingeplant.
Etwas näher möchte ich auf unsere Pflegeschulen eingehen. Sie müssen ein attraktives Lernumfeld bieten, um junge Menschen für eine Ausbildung in der Pflege gewinnen zu können. Dazu sind weitere Investitionen erforderlich. Anstelle der Kürzungen durch die schwarz-grüne Landesregierung müssten die Förderkriterien erweitert werden, um den tatsächlichen Investitionsbedarf in diesen Schulen abdecken zu können.
Eine Anpassung an die Kostenentwicklung ist dringend notwendig. Wenn der Rahmen so geändert wird, dann ist ein höherer Mittelabruf als in den Vorjahren zu erwarten. Wir hatten daher in den Haushaltsberatungen beantragt, 4,8 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen, und dies auch mit einer Gegenfinanzierung belegt. Die SPD sieht jetzt 10 Millionen Euro vor, allerdings ohne Bedarfe und Kriterien klar abzuklären. Das überzeugt mich nicht so ganz.
Ganz vage wird es dann bei der Erhöhung der Investitionsförderungen für Pflegeeinrichtungen und insbesondere für ambulante Pflegedienste. Angesichts der Kostensteigerungen in den letzten Jahren wäre auch dort eine höhere Förderung dringend nötig. Aber außer einer Absichtserklärung hat der Antrag nichts zu bieten.
(Thorsten Klute [SPD]: Was?)
Ich finde es schade, dass wir über diesen Antrag direkt abstimmen. Er hätte es eigentlich verdient, im Ausschuss diskutiert zu werden. Tragfähige Lösungen finde ich allerdings keine darin. So werden sich die Freien Demokraten enthalten. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP)
Präsident André Kuper: Danke, Frau Schneider. – Für die AfD spricht nun ihr Fraktionsvorsitzender Herr Dr. Vincentz.
Dr. Martin Vincentz*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD stellt heute überraschend ein neues Recyclingkonzept vor – allerdings nicht für Seltene Erden oder Rohstoffe, sondern für Antragsideen. Es haben eigentlich nur noch GemeindeschwesterPlus und Sonnencremespender in den Innenstädten gefehlt und alle größeren gesundheitspolitischen Projekte der SPD dieser Legislatur hätten Anklang in diesem Antrag gefunden.
Dabei wäre es ja völlig in Ordnung, zur Not, wenn einem schon die neuen Ideen fehlen, mit Nachdruck immer wieder das Gleiche zu fordern, wenn nicht ausgerechnet die SPD durch selektive Krankenhausinvestitionsstauleugnung auffallen würde.
(Thorsten Klute [SPD]: Oh!)
Ist sie in der Regierung – Gott bewahre! –, ist alles fein, sollen sich die Krankenhäuser alle nicht so anstellen, greifen nur große Lobbyisten nach dem Geld der Bürger. Ist sie dann wieder in der Opposition, leiden die armen Häuser unter dem Kahlschlag herzloser Politiker. Das ist ganz schön simpel, ganz schön unredlich und schlicht keine gute Politik. Sagen, was man macht, und machen, was man sagt, ist schon lange keine Politik der SPD mehr.
Natürlich geht es um viel Geld – viel Geld der anderen, welches die Sozialisten ja nie genug ausgeben können –: sagenhafte 2 Milliarden Euro für Krankenhausinvestitionen, 10 Millionen Euro für Pflegeschulen, dazu eine pauschale Investitionsoffensive für Pflegeheime; keine Ahnung, wie viel das sein soll. Die Richtung mag stimmen, aber wenn man in jeder dritten Zeile über Milliarden schreibt, ohne vorher die Frage geklärt zu haben, woher dieses Geld eigentlich kommen soll, dann ist das kein Investitionsprogramm, sondern ein haushaltspolitischer Blindflug, dann ist das trüber Sozialpopulismus.
(Beifall von der AfD)
Ich hatte es in meiner Rede im letzten Herbst zu genau diesem Antrag bereits gesagt, auch jetzt möchte ich noch einmal ganz direkt fragen: Was genau soll denn in diesen knappen Haushaltsjahren gekürzt werden, um das zu finanzieren? Oder dürfen wir davon ausgehen, dass der Steuerzahler erneut zur Kasse gebeten wird? – Insofern wird es spannend, zu beobachten, welche kreativen Wege die SPD bei den diesjährigen Haushaltsverhandlungen vorschlägt, um diese massiven Ausgaben überhaupt decken zu können. Denn ohne solide Gegenfinanzierung bleibt das alles reine Theorie.
Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen gezeigt, woher wir das Plus für Krankenhäuser und Versorgungsstrukturen nehmen wollen – vor allem bei der Politik, vor allen Dingen beim eigenen Betrieb. Sie sind das immer wieder schuldig geblieben.
Natürlich besteht Handlungsbedarf, auch wenn jetzt in der Regierung CDU und Grüne das wiederum anders sehen mögen. Der Investitionsstau in unseren Kliniken ist Realität.
(Thorsten Klute [SPD]: Wie? Jetzt doch? Sie haben eben gesagt, es sei nicht da!)
Das Gesundheitssystem steht in vielen Bereichen mit dem Rücken zur Wand, auch weil es in früheren Jahren unter rot-grüner Verantwortung konsequent ignoriert oder kleingeredet wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Gesundheitsministerin der Grünen in einer rot-grünen Landesregierung, die diesen Investitionsstau über Jahre ignoriert und kleingeredet hat.
(Beifall von der AfD)
Wer jetzt so tut, als komme der Sanierungsbedarf aus dem Nichts, als sei er einfach so entstanden, sollte sich erinnern, wer in NRW über viele Jahrzehnte die Verantwortung getragen hat.
Was wir stattdessen brauchen, ist haushaltspolitische Vernunft und vor allem Weitblick. Die wahren Herausforderungen stehen uns nämlich erst noch bevor. Wenn in den nächsten Jahren Millionen Menschen in Rente gehen, vom Beitragszahler zum Leistungsempfänger werden, dann wird das gesamte Gesundheits- und Pflegesystem noch ganz anderen Belastungen ausgesetzt sein. Dann geht es nicht nur um Investitionen. Das Geld ersetzt nämlich kein neues Personal und ändert auch nichts an den strukturellen Rahmenbedingungen, die im Pflegeberuf bestehen und die sich schlicht immer weniger Pflegekräfte und Ärzte antun wollen.
Daher sagen wir als AfD-Fraktion: Wer das Geld anderer Leute in Milliardenhöhe verteilen will, sollte auch erklären können, wem genau er diese Milliarden wegnehmen möchte. Ansonsten bleibt es bei einem: Sozialpopulismus. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir alle wissen, dass dieser Antrag aus meiner Sicht schon ein bisschen Populismus ist, lieber Herr Klute.
(Thorsten Klute [SPD]: Niemals!)
In der heutigen Zeit einfach mal so locker sagen: „2 Milliarden Euro zusätzlich für Krankenhäuser“? Ich bin sehr gespannt, wo die SPD, wenn wir am Ende des Jahres in den Haushaltsberatungen oder -verabschiedungen sind – wir werden ja vor Weihnachten den Haushalt verabschieden –, in unserem Haushalt 2 Milliarden Euro zusätzlich für die Krankenhäuser herkriegen will. In der jetzigen Zeit ist das einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Deswegen ist es Populismus, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
(Beifall von der CDU und Meral Thoms [GRÜNE])
Ich muss mich auch überhaupt nicht verstecken, denn wir haben in der Zeit seit 2017, in der ich hier Minister bin, über 8 Milliarden Euro Landesmittel in die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser gegeben. Das finde ich in einem Zeitraum von acht Jahren schon eine Riesenleistung, die das Land Nordrhein-Westfalen nach Jahrzehnten des Stillstands in der Krankenhausförderung unternommen hat, damit unsere Krankenhäuser überhaupt in der Lage sind, alles Notwendige zu tun.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn ich in Deutschland unterwegs bin, wenn ich in anderen Bundesländern bin oder wenn ich wie in der kommenden Woche wieder auf der Gesundheitsministerkonferenz bin, dann werde ich von vielen Landesministerinnen und Landesministern in anderen Bundesländern sehr darum beneidet, dass wir hier erstens die Krankenhausplanung hingekriegt haben und zweitens einen Rieseninvestitionsanteil mit Landesmitteln machen, um unsere Krankenhäuser zu ertüchtigen.
Ich will natürlich auch ganz gerne sagen, dass der Investitionsfonds, der auf der Bundesebene im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz steht, uns in den nächsten zwölf Jahren natürlich erheblich helfen wird, in der Krankenhausfinanzierung nicht nachzulassen.
Was die Pflegeschulen angeht, darf man in der ganzen Sache eins nicht vergessen. Wir haben in den letzten Jahren 350 Millionen Euro in unsere Pflegeschulen investiert. Das sind alles keine staatlichen Schulen. Unsere Pflegeschulen sind zurzeit allgemein in einem modernen Zustand.
Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Pflegeschulen, die nicht mit einem Krankenhaus verbunden sind, in der Landesförderung heute mit den Pflegeschulen in den Krankenhäusern gleichgestellt sind.
(Thorsten Klute [SPD]: Das stimmt nicht!)
Auch das ist, finde ich, eine Riesenleistung, die wir dort erreicht haben. Deswegen sind die Pflegeschulen auch sehr zufrieden.
Die Anzahl der Auszubildenden in der Pflege, wo Nordrhein-Westfalen ja auch eine Spitzenposition hat, zeigt sehr deutlich, dass wir auch da auf dem richtigen Weg sind.
Lieber Herr Klute, Sie wissen doch sehr genau, dass wir als Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland sind – ein bisschen macht auch Schleswig-Holstein –, das überhaupt eine Investitionsförderung im Pflegebereich hat. Wir haben 708 Millionen Euro im Jahre 2023 Investitionshilfe im Bereich der Pflege ausgegeben. Das finden Sie in keinem anderen Bundesland. Ich finde, auch das kann man mal erwähnen, wenn man einen solchen Antrag schreibt.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den Grünen)
Deswegen bin ich Ihnen auch sehr dankbar, dass Sie für diesen Antrag sofortige Abstimmung beantragt haben. Populismus sollte man in diesem Parlament möglichst schnell beenden. Ich freue mich, wenn der Antrag abgelehnt wird. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Wir haben eine Kurzintervention von der SPD. Herr Kollege Klute hat das Wort.
Thorsten Klute (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Laumann, Sie sind eben eine Antwort schuldig geblieben. Ich hatte vom Hausarztaktionsprogramm gesprochen. Auf Ihrer Internetseite steht, dass für 2025 keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Mindestens seit Mai steht das da, wenn nicht sogar eher. Sie haben dazu gerade nichts gesagt.
Sie sagten auf einen Zwischenruf: Nö, das stimmt doch gar nicht. – Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut. Es steht da. Das ist eines der zentralen Programme, mit denen Sie spazieren gehen, um den Menschen darzustellen, dass Sie etwas gegen den Hausärztemangel tun. Jetzt steht auf Ihrer Internetseite, es gibt kein Geld dafür. Bitte sagen Sie auch hierzu etwas.
Ein letzter Satz zu den Pflegeschulen. Es reicht nicht, irgendwann mal, wenn Geld übrig war, Geld für die Pflegeschulen zur Verfügung gestellt zu haben. Was die Pflegeschulen brauchen, ist eine regelmäßige Sicherheit für die Investitionskostenfinanzierung. Deswegen brauchen sie regelmäßig Geld, nicht nur einmal, wenn irgendwann einmal etwas übrig war.
Jetzt aber zum Hausarztaktionsprogramm.
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Herr Klute, danke für die Nachfrage, damit ich das richtigstellen kann. Wir haben in diesem Jahr bereits die zweieinhalb Millionen Euro im Hausarztaktionsprogramm ausgegeben. Deswegen können wir zurzeit keine neuen Anträge bedienen – das ist wahr –, weil der Haushalt 2025 an dieser Stelle erschöpft ist. 2,5 Millionen Euro sind aber in die Förderung der Hausarztpraxen in diesem Jahr gegangen.
Ich war eben aufgrund Ihrer Rede etwas erschrocken, weil ich Sie erst so verstanden habe, wir hätten 2025 überhaupt keine Mittel zur Verfügung gestellt. Wir haben in 2025 2,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Programm ist quasi ausgebucht, wenn ich es mal so sagen darf. Das Geld ist ausgegeben. Deswegen können wir in diesem Jahr keine weiteren Förderungen aus diesem Haushaltstitel finanzieren. Das ist der Hintergrund.
Meine Fachabteilung habe ich gebeten, einmal zu überlegen, wie wir die Haushaltsmittel für das Hausarztaktionsprogramm sehr viel stärker fokussieren können auf die Gründung von Arztpraxen. Wir müssen uns dann einmal anschauen, ob wir für das nächste Halbjahr die Förderrichtlinien noch einmal schärfen können.
Dann muss man auch die Frage, über die wir uns beide schon in einer der letzten Debatten ausgetauscht haben, die sogenannten MVZ, einmal mit bedenken. Ich will da heute noch keine Zusage machen, aber das muss man bedenken. Ich sage Ihnen ganz offen: Kommunale MVZ würde ich gerne fördern. Aber wenn damit verbunden ist, dass man auch Investoren-MVZ fördern muss, weil man keine Ungleichheit machen kann, dann kriege ich dabei dicke Bauchschmerzen. Deswegen muss man sich das im Detail sehr genau angucken.
(Thorsten Klute [SPD]: Da haben Sie uns an Ihrer Seite!)
Ich will einen weiteren Punkt sagen, und das ist ja auch wichtig: Das Problem bei den Ärzten liegt darin, dass die Teilzeitarbeit auch bei den Ärztinnen und Ärzten angekommen ist. Wir haben noch nie so viele Menschen gehabt wie heute. Deswegen müssen wir mehr Ärzte ausbilden. Und wir haben auch genügend junge Abiturientinnen und Abiturienten, die gerne Medizin studieren wollen. Zur Wahrheit gehört auch, dass das Land Nordrhein-Westfalen und das Land Bayern die einzigen beiden Bundesländer sind, die erhebliche Anstrengungen unternehmen, die Studienzeit für Ärztinnen und Ärzte in diesem Land zu verringern. Gerade Sie als ein Vertreter aus Ostwestfalen sollten wissen, dass ich sehr dafür gesorgt habe, dass diese Medizinausbildung nach Bielefeld kommt und nicht im Rheinland stattfindet. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Mir liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags in der Drucksache 18/14014. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD. Wer enthält sich? – Das ist die FDP. Damit ist der Antrag Drucksache 18/14014 wie gerade festgestellt abgelehnt.
Ich rufe auf:
13 Künstliche Intelligenz in der Nutztierhaltung sinnvoll einsetzen – Tierwohl steigern, Prävention stärken, Betriebe entlasten
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14020
Ich eröffne die Aussprache, und für die FDP wird als Erstes der Abgeordnete Herr Brockes sprechen.
Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren, Künstliche Intelligenz bietet große Potenziale …
(Einige Abgeordnete verlassen den Saal. – Glocke des Vorsitzenden)
– Allen, denen es nicht ums Tierwohl geht, noch einen angenehmen Abend.
(Heiterkeit)
Meine Damen und Herren, Künstliche Intelligenz bietet große Potenziale zur Verbesserung von Tierwohl, Tiergesundheit und Arbeitseffizienz in der Nutztierhaltung. Insbesondere in der Geflügelhaltung ermöglicht der KI-Einsatz messbare Fortschritte, geringeren Antibiotikaeinsatz, weniger Tierverluste und bessere Ressourcennutzung. In der Schweinehaltung helfen intelligente Systeme, zum Beispiel um das sekundäre Schwanzbeißen zu vermeiden. Wir Freien Demokraten wollen diese Potenziale Künstlicher Intelligenz zum Wohl der Tiere und auch für unsere Landwirtinnen und Landwirte heben.
(Beifall von der FDP)
KI ermöglicht einen zielgenauen Einsatz von Futter, Wasser, Medikamenten und Energie. Das senkt Betriebskosten und schont zugleich das Klima, zum Beispiel durch reduzierte Nährstoffüberschüsse oder sinkenden Energieverbrauch. Sensoren am Tier oder in den Stallumgebungen erfassen kontinuierlich Daten zur Aktivität, zum Fressverhalten oder auch zum Wiederkäuen. KI-Systeme identifizieren auffällige Muster und warnen bei Abweichungen automatisch, noch bevor erste Krankheitssymptome bei den Tieren erkennbar sind.
Durch die Früherkennung von Krankheiten bei Hühnern kann man bis zu 80 % Antibiotika einsparen. Dies ist – auch aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher – erstrebenswert.
(Beifall von der FDP)
Daher fordern wir als FDP-Landtagsfraktion, Test- und Demonstrationsbetriebe in Nordrhein-Westfalen gezielt zu fördern, die KI-Systeme zur Überwachung von Verhaltensauffälligkeiten, Gesundheitszuständen und Umweltparametern zu erproben, zum Beispiel durch Partnerschaften von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, eine Beratungs- und Informationsplattform zum Thema „KI in der Nutztierhaltung“ zu schaffen, die Landwirtinnen und Landwirten praxisnahe Informationen zu Technik, Datenschutz, Finanzierung und rechtliche Fragen bietet, eine interdisziplinäre Projektgruppe einzusetzen, die gemeinsam mit Wissenschaft, Landwirtschaft und Technikentwicklern Kriterien für praxistaugliche, datenschutzsichere und tierschutzgerechte KI-Systeme in der Tierhaltung erarbeitet,
(Beifall von der FDP)
und gemeinsam mit den Kommunen und regionalen Netzbetreibern eine landesweite Bestandsaufnahme der digitalen Erschließung tierhaltender Betriebe zu initiieren, um so Versorgungslücken gezielt zu identifizieren und zu schließen.
Landwirtinnen und Landwirte brauchen praxisnahe und bezahlbare Einstiegstechnologien. Gerade kleine und mittlere Betriebe brauchen eine ihnen zugeschnittene Unterstützung. Es braucht eine rechtssichere Regelung für den Umgang mit maschinell generierten Betriebsdaten analog zu personenbezogenen Daten. Das schafft Vertrauen und Investitionssicherheit für Landwirte und Hersteller.
Nur mit technologischem Vorsprung kann die Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen auch bei steigenden gesellschaftlichen Anforderungen wirtschaftlich bleiben. Künstliche Intelligenz bietet ein riesiges Innovationsfeld für unsere Landwirtschaft und das Start-up-Ökosystem in Nordrhein-Westfalen. Lassen Sie uns dieses Feld gemeinsam bestellen. Ich freue mich auf die Aussprache im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsident André Kuper: Danke, Herr Brockes. – Für die CDU hat Ihre Abgeordnete Frau Winkelmann das Wort.
Bianca Winkelmann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir hier im Landtag über das wichtige Thema „Zukunft der Landwirtschaft“ sprechen, freut uns immer sehr. Denn keine andere Branche sorgt für die Lebensgrundlage aller Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und weltweit wie die Landwirte. Sie sorgen im wahrsten Sinne des Wortes für unser täglich Brot, und das an 365 Tagen im Jahr.
(Beifall von der CDU)
Daher waren wir zunächst auch sehr erfreut über einen Antrag zur Tierhaltung. Bei näherer Betrachtung des FDP-Antrags stellt sich aber die Frage: Was soll uns dieser Antrag sagen? Was soll er erreichen? In welche Richtung soll es gehen, in die wir nicht schon längst unterwegs sind?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, fangen wir hinten an. Die Erläuterungen in der Prosa beschreiben ja richtig, was im Moment schon an vielen Stellen in der Landwirtschaft entsteht und weiterentwickelt wird.
Schauen wir also auf die Forderungen. Unter anderem fordern Sie, gezielt Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur KI-gestützten Prävention von Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen zu unterstützen, insbesondere in Zusammenarbeit mit Hochschulstandorten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten, ihr seid offenbar schon länger nicht mehr auf Haus Düsse gewesen. Stichwort „KISS“, das Kürzel steht für „KI gegen Schwanzbeißen bei Schweinen“ und ist in Bad Sassendorf von Frau Dr. Dahlhoff in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik etabliert worden. Und die Forschung geht weiter.
Im Projekt KISS wurde ein Supportsystem konzipiert und entwickelt, das anhand des Verhaltens von Schweinen bei drohendem Schwanzbeißen warnt. Hierfür kommen Verfahren des Deep Learning zum Einsatz, KI pur sozusagen. Mithilfe des Früherkennungssystems sollen Tierhalterinnen und Tierhalter gewarnt werden und ein frühzeitiges Eingreifen ermöglicht werden, um das Tierwohl zu steigern, Verletzungen zu verhindern und auch ökonomische Verluste zu reduzieren.
(Ralf Witzel [FDP]: Was haben Sie denn dagegen? – Zuruf von der CDU: Nichts, gibt es halt schon alles!)
– Das, was Ihr fordert, gibt es halt schon alles. Zuhören!
In Kooperation unter anderem mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Osnabrück als führendem Projektpartner zeichnet sich das Haus Düsse auch verantwortlich für das Projekt smartMILC, Smart Multisensor Integration for Livestock Care. Hier werden mithilfe von speziellen Kameras im Kuhstall verschiedene Anwendungsfälle aus den Bereichen „Tierwohl“, „Management“ und „Arbeitsorganisation“ analysiert. Während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Haus Düsse aufgrund der Ausstattung sicher den eher fachlich-praktischen Teil verantworten, arbeitet man auf der anderen Seite also bereits seit Langem mit Wissenschaft und Forschung zusammen. Die Impulspapierreihe der Kompetenzplattform KI.NRW setzt ebenfalls schon lange auf das Thema „Landwirtschaft“. Auch diese Forderungen im Antrag sind in NRW also schon längst in die Praxis umgesetzt worden.
Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG stellte bereits im Sommer 2024 fest, dass jeder zehnte Betrieb jetzt schon KI einsetzt. Schon heute kommen in Schweineställen zunehmend KI-basierte Systeme zum Einsatz, die die Gewichtserfassung von Schweinen, die Überwachung von Geburten sowie die Analyse von Lautäußerungen der Tiere ermöglichen. Bereits seit 2020 fördert das BMEL die Themen des KI-Einsatzes in der Landwirtschaft, vom Einsatz im Pflanzenbau über die Nutztierhaltung bis hin zum Thema „Lebensmittelüberwachung“.
Diese Beispiele zeigen, dass wir in Nordrhein-Westfalen bereits vieles angestoßen haben. Ich will den Antrag aber nicht schlechtreden, hat er mir doch die Gelegenheit gegeben, den Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus aufzuzeigen, was bereits alles passiert und was sich in der Umsetzung befindet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir glauben, dass die Landwirtschaft vor einer KI-Revolution steht. Gerade deshalb sollten wir uns mehr denn je zur Freiheit im Denken, Forschen und Handeln bekennen. Starre Förderprogramme würden doch zum jetzigen Zeitpunkt Innovationen ausbremsen. Das gilt es unbedingt zu verhindern. Ich denke, da sind wir uns auch einig.
Lassen Sie uns also gerne im Ausschuss weiter diskutieren. Die Bäuerinnen und Bauern in Nordrhein-Westfalen haben es verdient. Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft für die Zukunft der Landwirtschaft einsetzen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Danke, Frau Winkelmann. – Für die SPD spricht ihr Abgeordneter Herr Schneider.
René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Markt regelt doch nicht alles. – Diese Erkenntnis sickert offenbar auch bei der FDP langsam durch. Man mag es kaum glauben, aber der Antrag, den uns die FDP vorgelegt hat, ist dafür der Beweis.
Mit diesem Antrag machen Sie sich für mehr Künstliche Intelligenz in der Landwirtschaft stark. Sie fordern eine gezielte Förderung durch die Landesregierung, und die Landesregierung soll passende Rahmenbedingungen setzen. Potztausend! Dass wir das noch erleben dürfen. Nicht die Unternehmen alleine sollen alles regeln, sondern der Staat soll seinen Beitrag leisten.
(Kirsten Stich [SPD]: Hört, hört!)
Das sind ganz neue Töne von Ihnen, Herr Brockes.
Ich sage: herzlich willkommen in der Realität, liebe FDP. Schön, dass Sie zumindest hier einmal ein paar turbokapitalistische Träumereien überwinden und anerkennen:
(Ralf Witzel [FDP]: Oh! – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])
Der Staat ist gar nicht mal so schlimm. Deshalb ist uns Sozialdemokraten ein funktionierender Staat auch so wichtig, und ich finde es schön, dass ich ein Lebenszeichen von Ihnen erhalten habe, Herr Witzel.
(Ralf Witzel [FDP]: Ah!)
Ein Staat, der gute Bedingungen für die Wirtschaft herstellt, der Anreize setzt und Zukunftstechnologien fördert: so weit, so gut.
Kommen wir aber zum Konkreten. Sich des Themas „Künstliche Intelligenz“ anzunehmen, ist eine gute Sache. Sie haben völlig recht. Wir sollten nicht zaudern, sondern KI voranbringen und deren Vorteile nutzen. Dem Wirtschafts- und Technologiestandort tut es fraglos gut, wenn wir bei der KI vorangehen. Das Land darf diese Entwicklung deshalb nicht dem Zufall überlassen.
Sie betrachten das ganze Thema in Ihrem Antrag allerdings ausgesprochen kleinteilig, und wir sind gespannt, ob Sie nun jede Plenarrunde einen Mikroausschnitt aus dem Megathema „Künstliche Intelligenz“ zur Debatte stellen: KI in der Pommesbude. KI im Supermarkt. KI im Straßenbau. Der Fantasie setzt wahrscheinlich nur ChatGPT Grenzen.
Bei diesem Antrag ist es aber jedenfalls keine Floskel, wenn ich für meine Fraktion sage, dass wir uns auf die Beratungen im Ausschuss freuen. Die Vorteile der KI sind hochinteressant, und so sind wir darauf gespannt, was wir im weiteren Verlauf weit über das hinaus, was Frau Winkelmann gerade vorgelesen hat, über KI in der Landwirtschaft und in der Nutztierhaltung lernen.
Die Tierhaltung steht unter Druck. Höhere Anforderungen an Tierwohl, Klimaschutz und Dokumentation erleben gerade kleinere und mittlere Betriebe als Herausforderung. Wenn moderne Technologien helfen können, die Höfe hier zu entlasten und die heimische Landwirtschaft zu stärken, sollten wir unbedingt darüber nachdenken.
Meine Damen und Herren, wir dürfen aber auch nicht vergessen: Besser als jede KI ist die Landwirtin, ist der Landwirt selbst, denn sie arbeiten mit Herz.
Der Überweisung des Antrags in den Ausschuss stimmen wir gerne zu. – Glück auf und Gottes Segen.
(Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Schneider. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht ihr Abgeordneter Herr Rüße.
Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brockes, wir waren zusammen in der Enquete „Zukunft der Landwirtschaft“ und haben gemeinsam an diesem Thema gearbeitet. Jetzt arbeiten Sie nach und nach die dort gefassten Beschlüsse auf
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Ja, wenn Sie es nicht machen!)
und präsentieren sie uns. In diesem Fall darf man aber auch einmal sagen: Man merkt anhand dieses Antrags, dass die Enquete schon wieder ein paar Jahre zurückliegt, und was Sie darin darstellen, ist mittlerweile von der Zeit ein bisschen überholt.
Wenn man sich mit den Inhalten des Antrags beschäftigt und sich mit Firmen unterhält, dann stellt man fest, dass alle diese Sachen nicht mehr in den Kinderschuhen steckt, sondern das ist schon ein Stück weiter. Mittlerweile lässt sich tatsächlich so einiges auf den Betrieben einsetzen, was auch passiert.
Warum passiert das aber nicht in einem größeren Stil? Warum ist es so schwierig, diese Methoden im Ackerbau oder in der Tierhaltung, in die Betrieben zu implementieren? An dieser Stelle ist entscheidend, dass sich die Bäuerinnen und Bauern im Moment bei jeglichen Investitionen zurückhalten. Sie investieren einfach nicht. Das ist aber nicht das Problem von KI, sondern es ist ein Problem der Landwirtschaft, dass sie im Moment keine Sicherheit hat, wie es in der Tierhaltung weitergeht.
Wir können uns hundertmal dafür einsetzen, dass wir da mehr haben wollen. Wir müssen das aber auch hinbekommen, und es wäre schön – da fand ich den Hinweis auf Marx übrigens nicht unwichtig –, wenn wir uns gemeinsam dafür einsetzen würden.
Ich hoffe auch, dass der neue Bundeslandwirtschaftsminister diesen Weg einschlägt und wir tatsächlich dafür sorgen, dass wir zu höheren Haltungsstufen kommen – ALDI ist da jetzt nun einmal vorgeprescht – und die Tiere dementsprechend gehalten werden können. Der Staat sollte das am Ende kofinanzieren, denn Sie wissen, dass die Gutachten ergeben haben, dass es für eine Haltung von Tieren in Haltungsstufe 3 und höher einer Kofinanzierung bedarf, weil das am Markt sonst für die Bäuerinnen und Bauern nicht tragfähig ist. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.
Wenn das passiert und die Landwirte in der Tat wissen, dass sie eine gewisse Sicherheit haben, dann müssen der LEH und die Schlachtunternehmen liefern und mit den Landwirten langfristige Verträge schließen. Sonst baut niemand einen Stall. Sonst wird man nicht in die Technik investieren, die Sie eben erwähnt haben.
Wenn wir es gemeinsam hinbekommen, dass es diese Planungs- und Investitionssicherheit so weit wie möglich gibt – wir wissen, dass am Ende immer ein unternehmerisches Risiko bleibt –, dann werden sie die Investitionen auch tätigen. Solange das aber nicht der Fall ist, ist diese Technik schlichtweg zu teuer, und im Moment wird nicht investiert.
Dann wurde die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen erwähnt. Das finde ich an dieser Stelle auch wichtig. Ich finde es total gut, was im Moment im Haus Düsse läuft, wie viel Geld dort in neue Ställe investiert und was dort alles ausprobiert wird. Es wurde bereits zu Recht gesagt, dass Sie auch da mit Ihrem Antrag ein Stück weit hinterherhinken. Da ist die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen weiter, als Sie es mit Ihrem Antrag sind.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Am Ende ist es immer gut, wenn wir uns über die Zukunftsperspektiven von Landwirtschaft unterhalten. Dann werden wir uns in der Debatte aber auch noch einmal darüber unterhalten müssen, was KI wirklich kann und wo ihre Grenzen sind. Ich stimme ausdrücklich zu: Die Bäuerinnen und Bauern sind am Ende entscheidend, und KI ist nur ein Werkzeug.
Sie haben in Ihrem Antrag das Schwanzbeißen erwähnt. Ja, mit KI hat man in der Tat ein Stück weit ein Hilfsinstrument, um in dem Moment, wenn das passiert, die Tiere schneller herausfiltern zu können. Damit wird aber die Ursache nicht beseitigt. Es muss uns jedoch vor allem darum gehen, hinzubekommen, dass es gar nicht erst zum Schwanzbeißen kommt. Das andere ist ein Hilfsmittel.
Dennoch freue ich mich, wenn wir im Ausschuss gemeinsam über Ihren Antrag beraten und schauen, wo wir im Moment beim Einsatz von KI in der Landwirtschaft stehen. Ich habe mir zufällig in dieser Woche viele Dinge in diesem Bereich angeschaut und glaube, dass hier sehr viel unterwegs ist. Da passiert jede Menge, und man muss nicht mehr so viel machen. Die Technik setzt sich, wie gesagt, durch. Wenn Bäuerinnen und Bauern ein vernünftiges Einkommen erzielen, das sie wieder reinvestieren können, dann wird KI ein Bestandteil dieser Investitionen sein. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die AfD spricht ihr Abgeordneter Herr Schalley.
Zacharias Schalley (AfD): Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Die FDP will wieder der Zeit voraus sein und malt uns ein futuristisches Szenario über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Schweinestall. Schweine in der Matrix? Ich glaube, so weit sind wir Gott sei Dank noch nicht.
Die Problemanalyse teilen wir durchaus. Die industrialisierte Massentierhaltung geht mit Problemen einher, derer man bisher nicht abschließend Herr werden konnte. Schwanzbeißen bei Schweinen als nur eines dieser Probleme entsteht durch ein Zusammenspiel von Überbelegung, unzureichender Beschäftigung und ungünstigem Stallklima.
Doch all diese Probleme entstehen erst, weil ein Schweinehalter nicht anders wirtschaften kann, ja die Tiere nicht anders halten kann, wenn der Betrieb finanziell halbwegs rentabel sein soll. Platt gesagt: Er muss den möglichst kleinen Stall mit möglichst vielen Schweinen vollpacken, damit er wirtschaftlich über Wasser bleiben kann.
Investitionen in mehr Mitarbeiter oder schlicht Auslauf, die Möglichkeit zum Wühlen und Suhlen draußen, ja selbst eine engmaschigere Anwesenheit im Stall ist angesichts von Personalkosten, Investitionsdruck, Verwaltungsaufwand oder schlicht Flächenpreisen einfach nicht drin.
Die Politik verlangt von der Landwirtschaft die Quadratur des Kreises: günstige Lebensmittel bei immer höheren Tierwohlstandards. „Die Zukunft ist jetzt, alter Mann“, ruft die FDP also dem traditionsreichen Bauernstand entgegen und meint: „Digitalisiere oder weiche.“ Doch tatsächlich reden wir hier lediglich von Symptombekämpfung. Was für den geistig Unbedarften wie eine tolle und sinnvolle Innovation erscheint, verkennt die Probleme hinter solch einem Verständnis von Landwirtschaft.
Brauchen – oder vielmehr: wollen – wir wirklich den Great Reset im Stall? Oder forcieren wir damit nicht eine Tendenz, die Martin Heidegger in seinem Vortrag über die Allmacht der Technik kritisch als „das Gestell“ bezeichnete? Wollen wir eine Landwirtschaft, eine Viehhaltung, die sich vom bäuerlichen Familienbetrieb zur biologischen Industrie wandelt? Wollen wir Bauernhöfe oder Agrarfabriken?
In der Agrarfabrik wird das Tier als reine Umwandlungsmaschine von nicht verkäuflichen Gütern in verkäufliche Ware angesehen. Der Wert eines Tieres ist dann hoch, wenn es mit möglichst wenig Futter, möglichst geringem Arbeitsaufwand und möglichst günstigen Investitionen bei gleichzeitig wenig Platzbedarf und in möglichst schneller Zeit umso mehr Kilo Fleisch, umso mehr Liter Milch und möglichst viele Eier produziert.
Ist die KI im Stall vor diesem Hintergrund nicht nur ein weiteres Mittel, um möglichst viel aus den Tieren herauszuholen? Und was bedeutet das eigentlich für die Tiere? Dann sind die Zuchtkriterien nicht mehr nur „Leistungssteigerung“ oder „effiziente Futterverwertung“, die schon jetzt zur Entartung bei vielen industriellen Nutztierrassen geführt haben. Genannt sei hier nur beispielhaft die Beinschwäche von Masthühnern, welche dadurch verursacht wird, dass das junge Skelett nicht mit dem enormen Muskelwachstum mithalten kann. Mit dem vermehrten Einsatz von KI werden weitere Kriterien hinzukommen, die ebenso unnatürlich für die Tiere sind.
Wie verträglich sind die Tiere mit der KI und der Sensorik nicht nur am Tier, sondern auch im Tier? Verträgt die Kuh den Sensor in ihrem Verdauungstrakt? Reißen sich die Tiere die Sensorik herunter? Oder wie verhalten sich die anderen dem verdrahteten Artgenossen gegenüber?
Das alles sind ethische Fragen und Fragen des Tierschutzes, auf die die FDP keine Antwort gibt – was ja auch logisch ist, weil sie sich nicht einmal diese Fragen stellt. In naivem Progressismus glauben Sie an digitalisierte und technisierte Lösungen für Probleme, die Sie selbst erst geschaffen haben. KI ist kein neutrales Werkzeug mehr, sondern ein Dogma. Wer darauf setzt, wie die FDP es tut, reduziert alles – Tiere, Pflanzen, Landschaften – lediglich auf Funktion, Effizienz und Verfügbarkeit.
In dieser Welt des Heidegger’schen „Gestells“ ist alles zur entseelten Verfügungsmasse degradiert. Das Nutztier unter dem KI-Regime wird endgültig zum reinen Bestand, seiner eigenen Natur, seinem Eigenwert, ja seiner Würde als Lebewesen beraubt. All diese vermeintlichen Lösungen sind Symptome für die Entkoppelung des Menschen von der Natur und seinen natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Endstufe der Transformation im Stall ist das Schnitzel aus der Petrischale. In der schönen neuen Welt wird das Euter nicht mehr an der Kuh hängen, sondern in einer biochemischen Apparatur. Und der Landwirt ist nicht mehr Bauer, sondern Informatiker oder Bioingenieur. Wollen wir das ernsthaft? Wir als AfD sagen: Ein Bauer gehört in den Stall und nicht in den Serverraum.
Was wir brauchen, ist ein Ausbruch aus diesem technischen „Gestell“, vor dem schon Heidegger warnte. Wir brauchen eine Kehre, die den Menschen wieder mit seinen natürlichen Lebensgrundlagen versöhnt. Darum stimmen wir der Überweisung natürlich zu. Aber inhaltlich lehnen wir diesen Antrag ab. Und wer von dieser Kehre lesen möchte, der abonniert das gleichnamige Magazin. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr, Herr Abgeordneter Schalley. – Für die Landesregierung spricht jetzt Ministerin Gorißen.
Silke Gorißen, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Künstliche Intelligenz entfaltet ihr volles Potenzial natürlich dort, wo große und vielfältige Datenmengen anfallen. Sie hilft auch, diese Datenflut zu verstehen und vor allem nutzbar zu machen.
Gerade in der Nutztierhaltung gibt es eine enorme Fülle von Daten, insbesondere Gesundheitsdaten zum Nutztier und Daten zu seiner Haltungsumwelt. Daher überrascht es nicht, dass KI hier längst Einzug gehalten hat.
Die Erwartungen liegen dabei auf der Hand. Es geht um mehr Effizienz. Es geht natürlich auch um eine höhere Produktivität. Es geht um Ressourcenschonung. Nicht zuletzt geht es aber auch – und das finde ich ganz wichtig – um Verbesserungen im Tierschutz.
Oft übersehen wir dabei einen ganz zentralen Aspekt, nämlich die Kompetenzausbildung des Anwenders. Vor diesem Hintergrund hat mein Haus bereits im Jahr 2022 in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftskammer NRW das Zentrum für Digitalisierung in der Landwirtschaft im Haus Düsse in Bad Sassendorf eingerichtet. Über die Landesinitiativen „Grundlagenarbeit“, „Digitalisierung in der Innenwirtschaft“ und „Wissenstransfer“ können hier wirklich viele Projekte zur Tierhaltung abgewickelt werden.
Die Viehhaltung von Haus Düsse ist dabei oftmals von ganz zentraler Bedeutung, so zum Beispiel mit dem hier schon genannten Stall der Zukunft, der im vergangenen Jahr eingeweiht wurde und ein wirklich praxisnahes Experimentierfeld darstellt. Dort werden nämlich unter anderem KI-Systeme bereits erprobt, die eine automatisierte Verhaltenserkennung der Tiere ermöglichen – das ist gerade auch angesprochen worden – und diese mit weiteren Parametern kombinieren, um daraus letztendlich Handlungs- und Managementempfehlungen ableiten zu können. Beispielsweise ist es auch so, dass die Auswertung von Hustengeräuschen die Früherkennung von Atemwegserkrankungen ermöglicht bzw. Lüftungsfehler meldet.
Dass Nordrhein-Westfalen hier führend ist, zeigt auch das von der Abgeordneten Winkelmann genannte Projekt KISS, was in der Tat nicht für einen Kuss steht, sondern für „Künstliche Intelligenz gegen Schwanzbeißen bei Schweinen“. Dieses Projekt diente der prototypischen Entwicklung eines KI-basierten Decision-Support-Systems, das im Übrigen zusammen mit dem Fraunhofer-Institut und der Landwirtschaftskammer NRW entwickelt wurde. Hier wurden weitreichende Grundlagen für entsprechende KI-Anwendungen geschaffen.
Wir sind aber auch in der Rinderhaltung schon sehr aktiv. Unter der Projektleitung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz GmbH in Osnabrück fungierte der Milchviehstall von Haus Düsse als Testbetrieb für das Projekt „smartMILC“. Auch dieses System wertet Verhaltensparameter, Gesundheitsindikatoren und weitere Sensordaten gebündelt aus, um Managementabläufe zu optimieren.
Was wir hier vorstellen, ist nur eine kleine Auswahl der Projekte und der Möglichkeiten, bei denen sich NRW in der Entwicklung von KI und Assistenzsystemen an ganz entscheidender Stelle engagiert. Im Gegensatz zum Tenor im FDP-Antrag zeigt sich, dass NRW nicht am Anfang steht, sondern schon sehr weit vorne liegt. Das zeigt auch: NRW gestaltet die Digitalisierung und natürlich auch die Anwendung von KI in der Landwirtschaft schon seit längerer Zeit aktiv mit.
All diese Projekte setzen letztendlich auf Prävention und leisten damit auch einen ganz klaren Beitrag zu mehr Tierwohl – das vielleicht als kleine Information in Richtung der AfD. Es war gerade ja fast witzig, sich anzuhören, dass man Nutztiere vom Lebewesen weghole, weil man in den Ställen jetzt mit KI unterwegs sei.
Dass man hier wirklich richtig etwas für das Tierwohl, für die Tiergesundheit und für den Tierschutz macht und dass eine solche KI gut qualifizierte Landwirte, die mit dieser Anwendung dann auch vertraut gemacht werden müssen, enorm unterstützt, wird von Ihnen total verkannt. Wenn zum Beispiel eine Kuh über solche Sensoren verfügt, werden mittlerweile schon Alarme über eine App ausgestrahlt, bevor man dem Tier überhaupt anmerkt, dass es krank ist, sodass man auch zum Wohle des Tieres sehr frühzeitig eingreifen kann. Insofern ist KI wirklich ein ausgesprochen nützliches Instrument, das uns, glaube ich, in der Landwirtschaft und gerade in der Nutztierhaltung ganz weit nach vorne bringen wird.
Wir müssen einfach auch sagen, dass KI kein Spielzeug für irgendwelche Technikfreaks, sondern natürlich ein zentrales Instrument für mehr Nachhaltigkeit, für mehr Wirtschaftlichkeit und für den von mir auch schon genannten Tierschutz ist. Es ist aber auch so, dass nicht alles, was auf den Markt kommt, sofort einsatzbereit und voll ausgereift ist.
Daher ist es uns besonders wichtig, dass wir den Landwirtinnen und Landwirten und den Betrieben mit dem Zentrum für Digitalisierung in der Landwirtschaft beim Haus Düsse eine Anlaufstelle bieten, um Kenntnisse im Umgang mit digitalen Technologien zu erhalten und um ganz gezielt zu schauen, was für ihren Betrieb gut in Frage käme, was da eingesetzt werden könnte, wie das gemacht werden müsste und was schon angewendet werden könnte.
Wir sehen beim „Stall der Zukunft“ aber, dass die Ursachenforschung insbesondere, was das Schwanzbeißen bei den Schweinen angeht, auch europaweit immer noch läuft. Manchmal treten in einem Stall, in dem jahrelang kein Schwanzbeißen vorgekommen ist, plötzlich Fälle von Schwanzbeißen auf. Dazu muss in allen Ländern noch Ursachenforschung betrieben werden. Wir sind auch da dran, damit man dazu am Ende auch entsprechende Warnungen über KI bekommt.
Das alles ist wichtig. KI ist ein sehr taugliches Instrument. Das heißt, liebe FDP, dass dieser Antrag gar nicht schlecht ist – der ist gut –, aber ein paar Jahre zu spät kommt. Nichtsdestotrotz werden wir gemeinsam dranbleiben, die KI weiterzuentwickeln. Im Ausschuss wird dazu dann ja noch beraten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich weise darauf hin, dass die Ministerin ihre Redezeit um 1 Minute 31 Sekunden überzogen hat,
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
und diese zusätzliche Redezeit natürlich auch den anderen Abgeordneten noch zur Verfügung steht. – Der Kollege Brockes spricht jetzt für die FDP.
(Zurufe von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE] und Bianca Winkelmann [CDU])
Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank: Auch wenn erst mal immer alles abgelehnt wurde, gab es hintenraus dann doch sehr viel Zustimmung zu unserem Antrag – abgesehen von der völlig technologieverbrämten AfD; dieser ist dann wohl auch nicht mehr zu helfen.
(Beifall von der FDP)
Frau Ministerin, Sie haben sehr deutlich gemacht, welche Potenziale KI gerade für das Tierwohl bietet. Sie sagen, Sie lägen da vorne. Wir sehen das nicht ganz so, aber lassen Sie uns gemeinsam weiter daran arbeiten, damit wir da nach vorne bzw. weiterkommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir über den Antrag sprechen, auch wenn einige Punkte beim Haus Düsse schon fortgeschritten sind.
Gerade auf den Schutz der Hühner und die Minderung des Einsatzes von Antibiotika sind Sie alle nicht eingegangen – leider, denn da sind wir noch nicht so weit.
(Zuruf von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE])
Wir müssen da weiter nach vorne kommen.
Herr Kollege Rüße, Sie haben mich durchschaut: Ja, wir arbeiten die Ergebnisse der Enquetekommission ab. Das ist so, weil wir nicht wollen, dass die zwei Jahre, die wir gemeinsam in diese investiert haben, irgendwo im Schrank verstauben, sondern dass die Punkte, die wir herausgearbeitet haben, umgesetzt und realisiert werden.
(Beifall von der FDP)
Das muss doch unser Ziel sein, anstatt nur irgendwelche Erkenntnisse zu treffen, die dann nicht umgesetzt werden.
Ich wollte aber eigentlich sagen: Herr Kollege Rüße, dass es zu teuer wäre, war Ihr Hauptargument. Das ist es nicht. Gerade zum Einsatz der KI im Hühnerstall sind uns Informationen bekannt, laut denen wir dabei von über 4.000 Euro reden. Die sind in ein paar Monaten erwirtschaftet, auch in einem Hühnerstall. Das ist also nicht überaus teuer.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, denn – ich glaube, dass Frau Kollegin Winkelmann das auch gesagt hat – in nur 20 % der Ställe wird KI eingesetzt. Das ist meines Erachtens viel zu wenig. Lassen Sie uns gemeinsam auf schonende Art für mehr Tierwohl sorgen.
Herr Kollege Schneider, zu Ihren Hinweisen: In unserem Antrag ist nicht von irgendwelchen Dauersubventionen oder von Verstaatlichungen die Rede. Davon sind wir weit entfernt. Wir müssen hier aber Anstöße geben, um gute Entwicklungen weiter nach vorne zu bringen.
(Zuruf von René Schneider [SPD])
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, denn das Herz des Landwirts ist zwar wichtig, aber die KI kann ihn unterstützen, noch besser zu werden.
(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Somit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14020 an den Ausschuss für Umwelt, Natur- und Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Forsten und ländliche Räume. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zu:
14 Für Natur-, Arten- und Landschaftsschutz: Kein weiterer Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/14030
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die AfD-Fraktion dem Abgeordneten Schalley das Wort.
Zacharias Schalley (AfD): Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Theodor Fontane, der Poet der brandenburgischen Sandbüchse, schrieb einst:
„Zuletzt siegt immer das Ackerfeld über das Schlachtfeld.“
Im Krieg gegen das Eigene macht der grüne Zeitgeist mit jedem neuen Tag auch unsere alten und artenreichen Kulturlandschaften zu einem Schlachtfeld: Kulturlandschaften, die in durchindustrialisierte Energielandschaften transformiert werden; Kulturlandschaften, die in Photovoltaikwüsten umgewandelt werden.
Rolf Peter Sieferle nennt das Ergebnis dieser Transformation treffend „totale Landschaft“. Diese transformierte „totale Landschaft“ hält nicht, was ihre grünen Apologeten versprechen. Statt Versorgungssouveränität müssen wir trotzdem importieren: bösen Atom- und Kohlestrom und am Ende auch unser Brot.
Sie sagen in Dauerschleife, wir bräuchten Platz für Migranten, Windindustrieanlagen und natürlich auch für Flächen-Photovoltaik.
(Inge Blask [SPD]: O mein Gott!)
Bis zum Jahr 2030 wollen die Einheitsparteien 215 GW Solarleistung installiert haben, einen Großteil davon auf Freiflächen. Konkret heißt das: Dafür werden jedes Jahr Tausende Hektar unter Stahl- und Glaskonstruktionen begraben – Blühwiesen, ökologisch wertvolle Magerrasen und artenreiche Grünlandflächen, aber auch wertvoller Ackerboden. Nicht die Dachflächen, nicht die ohnehin versiegelten Industrieareale von Firmen werden überbaut, sondern die günstigen und weitläufigen Agrarflächen, oft auch ökologisch wertvolle Offenlandbiotope.
Die Argumente lauten: Auf den Freiflächen geht es effizienter, billiger und schneller. – Aber zu welchem Preis? Wussten Sie, dass über 70 % der Arten Mitteleuropas auf Offenland angewiesen sind, dass Bodenbrüter wie Feldlerche, Kiebitz und Rebhuhn auf extensiv bewirtschaftete Flächen angewiesen sind, also auf Magerrasen, Wiesen und Weiden?
Auf genau solchen Flächen werden nun großflächig Solaranlagen errichtet – mit eingezäunten Arealen, Schattenwurf, gestörter Bodenstruktur, verändertem Klima und veränderter Vegetation. Damit bricht für die bislang dort lebenden Arten mit einem Mal der Lebensraum weg.
(Zuruf von Dr. Gregor Kaiser [GRÜNE])
Die Ausgleichsmaßnahmen reichen oft nicht aus, um den Verlust an Biodiversität zu kompensieren. Allzu häufig werden sie nicht einmal umgesetzt. Kurzum: Grüne wollen das Klima retten, aber dabei zerstören sie die Natur.
(Beifall von der AfD)
Es ist aber nicht nur der Gratismut der Klimaretter. Es ist auch Ihre unerträgliche Doppelmoral, die Sie selbstgefällig zur Schau tragen und dies auch gleich in den Reden tun werden.
(Gönül Eğlence [GRÜNE]: Das sagen ausgerechnet Sie! Sehr spannend!)
Dieselben politischen Kräfte, die sich sonst zu Recht gegen Flächenversiegelung und den Verlust von Lebensräumen stellen, jubeln auf einmal auf, wenn solche Flächen mit PV-Anlagen zugebaut werden. Plötzlich ist Versiegelung kein Problem mehr. Flächenverbrauch ist legitim, solange er das Etikett „erneuerbar“ trägt.
Wie grün ist ein politisches Projekt wirklich, durch das Böden versiegelt und Lebensräume zerstört und statt Feldfrüchten und Nahrung nun Maschinen für die Energieernte geschaffen werden? Wer das als nachhaltig bezeichnet, der profitiert entweder davon, oder er ist ein blinder Jünger der Klimakirche.
(Beifall von der AfD – Zuruf von Gönül Eğlence [GRÜNE])
„Dumm“ oder „gierig“ sind die passenden Attribute für solche Klimaschützer. Nachhaltigkeit muss mit Blick auf das gedacht werden, was nicht rückholbar ist: verlorene Artenvielfalt.
Fragen wir einmal mal danach, wer wirklich von Freiflächen-Photovoltaik profitiert. Der Run ist ja kein Zufall, denn damit ist ordentlich Reibach zu machen. Erst kaufen Projektierer landwirtschaftliche Nutzflächen zu Ramschpreisen auf. Dann kassieren sie staatlich geförderte Einspeisevergütungen und andere Subventionen. Kommunen profitieren von den Gewerbesteuern.
Landwirte sind gezwungen, solche Flächen anzulegen, weil sie von den Agrarerzeugnissen nicht leben können. Der Erlös ist oft um ein Vielfaches höher als das, was der Ackerbau einbringt. Das ist eigentlich pervers.
(Gönül Eğlence [GRÜNE]: Das hier ist auch pervers!)
Wir dürfen es doch nicht zulassen, dass unsere Natur zum Handelsobjekt der grünen Planwirtschaftsindustrie degradiert wird.
(Beifall von der AfD)
Während die freie Wirtschaft unter immer stärker angezogenen bürokratischen Daumenschrauben stöhnt, reiben sich Projektierer von Freiflächen-Photovoltaik die Hände. Ihre Verfahren werden vereinfacht. Naturschutzbedenken werden systematisch kleingeredet. Wer es wagt, kritische Fragen zu stellen, gilt schnell als Klimaleugner.
(Gönül Eğlence [GRÜNE]: Natürlich!)
Dabei gäbe es Alternativen für Deutschland. Eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft zeigt: Allein durch die Nutzung von Dachflächen oder Parkplätzen, Infrastrukturtrassen und bereits versiegelten Flächen könnten über 250 GW Solarleistung installiert werden, ohne natur- und landwirtschaftliche Nutzflächen zu belasten.
(Gönül Eğlence [GRÜNE]: Immer das gleiche Kartenset!)
Warum also setzen wir nicht auf das Naheliegende? Warum wird das Billigste, aber nicht das Nachhaltigste gefördert? Die Wahrheit ist: Wir stehen an einem ökologischen Wendepunkt – nicht wegen des Klimas, sondern wegen des Ausverkaufs unserer Böden.
Die Energiewende darf nicht zur Landschaftszerstörung unter grünen Vorzeichen führen. Die Moral dieser Menschen ist genauso doppelt wie die Dämmung und Isolierung der energetisch sanierten Häuser, die von ihnen bewohnt werden. Sie reden von blühenden Landschaften und schaffen mit Freiflächen-PV glühende Landschaften.
Stoppen wir diesen Irrsinn. Bewahren wir unsere Natur und unsere Heimat vor dem Ausverkauf an grüne Geschäftemacher. Denn Umweltschutz ist auch immer Heimatschutz. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD – Gönül Eğlence [GRÜNE]: Genau, wir bereichern uns daran!)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt die Abgeordnete Dr. Peill.
Dr. Patricia Peill*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Antrag gibt die AfD vor, dem Natur- und Landschaftsschutz zu dienen. Tatsächlich zielt sie aber nur auf eine Sache ab: die Energiewende in Nordrhein-Westfalen zu diskreditieren.
Herr Schalley, Sie zitieren Fontane. Ich zitiere ihn jetzt auch einmal. Er sagt: Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese und einfach rede, wie die Wiese blüht, oder ob ich weiß und es erlebt habe, wie die Wiese blüht.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Gönül Eğlence [GRÜNE]: Sehr cool!)
Wir werden Ihre Desinformationsversuche nicht einfach hinnehmen. Der Antrag verschweigt vieles. Unter anderem hat NRW schon längst gehandelt. Nordrhein-Westfalen hat den Ausbau von Photovoltaik auf eine kluge und ausgewogene Grundlage gestellt. Zur Reduzierung des Flächenverbrauchs priorisieren wir die Doppelnutzung.
Der Grundsatz 10.2-17 des Landesentwicklungsplans legt einen Fokus auf Anlagen auf Dächern, in Siedlungs- und Gewerbegebieten, auf versiegelten Flächen – Parkplätzen, Halden und Deponien – und auch auf künstlichen Oberflächengewässern wie zum Beispiel den zu entstehenden Seen im Rheinischen Revier sowie entlang von Autobahnen und Bahntressen, den sogenannten privilegierten Flächen. Darauf und vor allem auf Gewerbeflächen konzentriert sich auch die PV-Offensive und die Informationskampagne der Landesregierung.
Die landwirtschaftliche Nutzfläche ist ein endliches Gut. Daher muss sie besonders geschützt werden. Genau hier haben wir im LEP 2025 angesetzt. Besonders wertvolle Böden werden gezielt vom PV-Ausbau ausgenommen. Nur auf benachteiligten Böden oder Böden mit weniger als 55 Bodenpunkten ist eine Nutzung möglich. Auf höherwertigen Böden ist nach dem LEP mit Ziel 10.2-15 ausschließlich nur Agri-PV zulässig, etwa bei Gartenbau oder bei Dauerkulturen, und immer ist die Regional- und Bauleitplanung eingebunden.
Zudem setzt sich Nordrhein-Westfalen für innovative Doppelnutzung wie durch Floating-PV ein. Schwimmende Solaranlagen können gewässerverträglich installiert werden. Ziel ist es, bisher ungenutzte Wasserflächen zur Energiegewinnung zu erschließen, mit einem vereinfachten Genehmigungsweg, der den Gewässerschutz wahrt. Für die Ermöglichung dessen im Bundesrecht hat die Landesregierung gerade eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht.
Damit ist eines ganz klar: Wertvolle landwirtschaftliche Böden sollen Nahrungsmittel produzieren und keinen Strom. Das ist verantwortliche Politik für Menschen, Umwelt und Landwirtschaft.
Wenn noch Freiflächen genutzt werden, greift der § 35 des Baugesetzbuches: Rückbaupflichten inklusive Fundamententfernung und vollständiger Rekultivierung. Das ist dort verbindlich geregelt, also ganz anders, als Sie dies im Antrag sagen. Diese vermeintlichen Skandale, die Sie beschreiben, existieren einfach nicht.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Im Antrag wird zudem behauptet, PV-Anlagen schädigten grundsätzlich Biodiversität und Ökosysteme. Das ist schlicht falsch. Studien etwa des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft zeigen: Fachgerecht geplante Solarparks bieten Rückzugsräume für Insekten, Wildblumen und bodenbrütende Vogelarten.
Einfach mal zur Klarstellung Ihrer ganzen Behauptungen: Ja, große PV-Anlagen erzeugen lokale Wärme, aber nur in sehr begrenzten Umfang, wie die Studien zeigen. Nein, moderne Module enthalten kaum problematische Schwermetalle, und sie unterliegen strengen Sicherheits- und Recyclingauflagen. 95 % der Module in Deutschland werden recycelt. Noch einmal: Nein, die Brandgefahr ist verschwindend gering und liegt weit unterhalb anderer technischen Anlagen.
Wissenschaftlich untermauert finde ich ganz wenige Aussagen in Ihrem Antrag. Stattdessen werden Quellen wie das EIKE-Institut zitiert, das, glaube ich, menschengemachten Klimawandel bis heute noch leugnet. Natürlich ist – das muss ich auch sagen – nicht jede Anlage ein ökologisches Vorzeigeprojekt. Aber ist es nicht gerade unsere Aufgabe, geeignete Rahmenbedingungen zu finden, um das zu verhindern?
Was steht denn hier wirklich auf dem Spiel? Die AfD stellt den Schutz der Natur gegen den Schutz des Klimas. Das ist nicht nur falsch, es ist verantwortungslos. Denn ohne Ausbau der erneuerbaren Energien mit Akzeptanz und Ambition verlieren wir beides: erstens unser Klima, mit allen Folgen für die Landwirtschaft, den Wasserhaushalt und die Artenvielfalt, und zweitens unsere Versorgungssicherheit, für die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Wirtschaft, die Industrie und das Handwerk.
Wir sehen keinen Widerspruch zwischen Naturschutz und Energiewende. Nein, wir gestalten diese Verbindung. Dieser Antrag ist daher kein Beitrag zum Naturschutz. Wir lehnen ihn ab – nicht trotz, sondern wegen unserer Verantwortung für die Landwirtschaft und das Klima. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Peill. – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Abgeordnete Schneider.
René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon die erste Forderung disqualifiziert diesen Antrag völlig. Pauschal soll die Landesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien einschränken. Das bedeutet nichts anderes, als dem Wirtschaftsstandort, dem Klimaschutz, ja der Zukunft Nordrhein-Westfalens mal eben den Stecker zu ziehen. Für uns ist das wirklich keine Gesprächsgrundlage. Wir lehnen diesen Irrweg ab. – Glück auf und Gottes Segen!
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Wille.
Dr. Volkhard Wille (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag versucht die AfD zum wiederholten Male, den Natur- und Artenschutz gegen die Energiewende und die Umstellung auf regenerative Energien wie Wind und Photovoltaik auszuspielen.
Schauen wir uns die Tagesordnungen des Plenums in diesem Jahr an: Auf jede kommt so ein Antrag.
Am 30. Januar hieß es hier: „Zerrbild Klimawandel – Schüler vor falscher Klimaalarmistik schützen“
Am 19. Februar: „Industrie ist wichtiger als Klimaschutz!“
Am 20. Februar: „Für Natur- und Artenschutz. Kein weiterer Ausbau von Windindustrieanlagen“
Am 27. März: „Schluss mit noch mehr vom Falschen – Austritt aus dem Pariser ,Klimaschutz‘-Abkommen jetzt!
Am 21. Mai: „Sofortiger Ausbaustopp für Windkraft- und Photovoltaikanlagen – Versorgungssicherheit gewährleisten“
Die AfD lässt uns hier regelmäßig nicht nur an ihrer Wissenschaftsfeindlichkeit und Inkompetenz teilhaben. Sie gefährden damit unserer Auffassung nach auch die Zukunftsfähigkeit von Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Klimakrise ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit. Die Wetterextreme nehmen immer stärker zu – von der Dürre bis zu Starkniederschlagsereignissen, die zu Hochwasser und viel menschlichem Leid führen und zudem Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Alle merken das, nur die AfD nicht.
Wir müssen handeln, und zwar jetzt. Der Antrag der AfD, den Ausbau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu stoppen, wäre ein Rückschritt für Natur-, Arten- und Landschaftsschutz.
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist unverzichtbar für den Klimaschutz und die Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Auch Photovoltaik auf Freiflächen ist ein Baustein, um unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden und regionale Wertschöpfung zu stärken.
Gleichzeitig wissen wir, dass der Ausbau verantwortungsvoll und im Einklang mit Natur und Landschaft erfolgen muss. Deshalb setzen wir uns für eine fachlich fundierte, konstruktive Begleitung des Planungsprozesses ein, bei der die Schutzgüter „Klima“, „Natur“ und „Umwelt“ gleichermaßen berücksichtigt werden. Kollegin Frau Dr. Peill hat das gerade detailliert dargelegt.
Es ist richtig, dass jede Form von Energieerzeugung Eingriffe in die Landschaft mit sich bringt. Doch durch zielgerichtete Planung, Monitoring und ökologische Begleitmaßnahmen können wir negative Auswirkungen minimieren und sogar Synergien für die Biodiversität schaffen. Die Forschung zeigt, dass Photovoltaik-Freianlagen mit gezielten Maßnahmen sogar einen Mehrwert für die Artenvielfalt bieten können.
Auch im Bereich der Agri-Photovoltaik sehen wir Chancen, etwa im Obstbau, wo Hagelschutznetze durch Solaranlagen ersetzt werden können und so gleichzeitig Lebensmittel erzeugt und Strom gewonnen wird. Das ist nachhaltig und innovativ, spart wertvolle Flächen und bringt dadurch mehrfach Nutzen für Landwirtschaft, Natur- und Energiewirtschaft.
Wir lehnen den AfD-Antrag ab, weil er die notwendige Transformation blockiert und die Klimakrise ignoriert. Stattdessen fordern wir, den Ausbau der erneuerbaren Energien verantwortungsvoll und naturverträglich voranzutreiben. Nur so schützen wir unsere Natur, unsere Artenvielfalt und unsere Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Abgeordnete Dr. Wille. – Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Abgeordnete Brockes.
Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Photovoltaik ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende. Der Antrag der AfD, der ein generelles Verbot solcher Anlagen in Nordrhein-Westfalen fordert, ist sowohl fachlich unbegründet als auch politisch kontraproduktiv. Er untergräbt zentrale Klimaziele, gefährdet Investitionssicherheit und ignoriert innovative Lösungen wie zum Beispiel Agri-PV.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist notwendig. Photovoltaik spielt dabei eine wichtige Rolle. Dachflächen allein reichen aber nicht aus, um den steigenden Bedarf zu decken. Ein generelles Verbot von Freiflächen-PV würde den notwendigen Ausbau behindern und die Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen langfristig schwächen.
Uns ist aber auch wichtig, dass gerade der Landwirtschaft nicht zusätzliche Flächen entzogen werden und präferieren deshalb auch Lösungen wie zum Beispiel Agri-PV. Ich habe es eben schon genannt.
Die AfD suggeriert eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen PV-Ausbau und Naturschutz. Dies ist wissenschaftlich nicht haltbar. Zahlreiche Studien zeigen, dass bei sachgerechter Planung PV-Anlagen durch extensive Beweidung, Blühstreifen oder den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel sogar biodiversitätsfördernd wirken können.
Der Antrag überzeichnet den Flächenverbrauch durch PV massiv. Selbst bei ambitionierten Ausbauzielen liegt der Anteil der Flächeninanspruchnahme deutlich unter anderen Bereichen. Zudem handelt es sich in der Regel nicht um versiegelte Flächen. PV-Anlagen lassen Wasser versickern, sind rückbaubar und ermöglichen durch Agri-PV eine Kombination aus der landwirtschaftlichen Nutzung, wie zum Beispiel Obstanbau oder andere Bereiche, und eben gleichzeitig der Energiegewinnung.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Die AfD führt angebliche Wärmeinseleffekte und Umweltrisiken an, ohne diese kontextbezogen einzuordnen. Viele dieser Effekte sind bekannt in Regionen wie Arizona oder der Mongolei. Sie lassen sich aber nicht auf das mitteleuropäische Klima übertragen.
Die Gefahr durch Schwermetalle oder Brände ist sehr gering und technisch beherrschbar. Die zitierten Risiken in dem Antrag betreffen in der Regel alte Modulsysteme und unsachgemäße Entsorgungen.
Die FDP setzt auf marktwirtschaftliche und technologische Lösungen im Klimaschutz. Die AfD lehnt solche Technologien pauschal ab, ohne Alternativen aufzuzeigen.
(Beifall von der FDP)
Die FDP respektiert die Entscheidungshoheit von Flächeneigentümern und Kommunen. PV-Projekte können besonders in strukturschwachen Regionen wirtschaftlich attraktiv sein. Ein pauschales Verbot untergräbt lokale Selbstbestimmungen und wirtschaftliche Chancen. Die FDP setzt auf innovative Lösungen, die Zielkonflikte entschärfen. Die Agri-PV ermöglicht die gleichzeitige Nutzung für Energie und Landwirtschaft, eine zukunftsweisende Option, die der Antrag der AfD vollständig ignoriert.
Günstiger, regional erzeugter Solarstrom, kann ein zentraler Standortfaktor sein. Wer wie die AfD den Ausbau blockiert, gefährdet nicht nur die Energiewende, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Mittelstand. Ich kenne mittlerweile viele mittelständische Unternehmen, die eben auch selbst auf Photovoltaik setzen und dadurch einen Großteil ihrer Energieversorgung selbst sicherstellen.
Die FDP steht für eine realistische, faktenbasierte Umwelt- und Energiepolitik, die ökologische und ökonomische Ziele verbindet. Statt pauschaler Verbote setzt die FDP auf technologieoffene Lösungen, kommunale Planungshoheit und eine faktenbasierte Abwägung zwischen Naturschutz, Landwirtschaft und Energiewirtschaft.
Wir lehnen deshalb den AfD-Antrag ab, da er klimaschutzfeindlich, innovationsfeindlich und investitionsschädlich ist. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Landesregierung spricht jetzt in Vertretung für Ministerin Neubaur die Ministerin Paul.
Josefine Paul*), Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration: Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung lehnt die im vorliegenden Antrag geforderte Einschränkung des Ausbaus der Freiflächen-Photovoltaik aus energiepolitischen Gründen entschieden ab.
Um die Energiewende in Nordrhein-Westfalen voranzutreiben, ist der Ausbau erneuerbarer Energien mit Photovoltaik als Schlüsseltechnologie unumgänglich. Mit der Energie- und Wärmestrategie NRW haben wir als Landesregierung einen Photovoltaik-Ausbau von 9,8 Gigawatt auf mindestens 21 Gigawatt bis Ende 2030 als Ziel gesetzt. Und bei weiteren Verbesserungen der Rahmenbedingungen soll bis Ende 2030 auch ein Ausbau auf bis zu 27 Gigawatt erzielt werden.
Dazu ist eine unvermindert anhaltende Ausbaugeschwindigkeit mit einem jährlichen Nettozubau von 1,5 bis 2,5 Gigawatt installierter Photovoltaikleistung notwendig. Das Ziel kann ohne weiteren Zubau insbesondere auch in der Freifläche nicht erreicht werden. Der Ausbau der Photovoltaik auf Dachflächen allein reicht dabei nicht aus.
Der vorliegende Antrag verkennt nicht nur diese Notwendigkeit, sondern geht auch bei den weiteren ökologischen Fragen ins Leere, da der Natur-, Arten- und Landschaftsschutz in Nordrhein-Westfalen bereits ausreichend gesetzlich gesichert ist. Regelungen im Bundes- und Landesnaturschutzgesetz NRW bzw. im Baugesetzbuch sorgen dafür, dass erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft möglichst vermieden und andernfalls durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu kompensieren sind.
Daneben muss eine artenschutzrechtliche Prüfung erfolgen, soweit besonders geschützte oder streng geschützte Arten betroffen sein können. Sollten Verbotstatbestände erfüllt sein, sind Ausnahmegenehmigungen erforderlich, die nur unter strengen Voraussetzungen erteilt werden dürfen.
In der Nähe von Natura-2000-Gebieten, also FFH- oder Vogelschutzgebieten, sind zudem FFH-Verträglichkeitsprüfungen durchzuführen, um sicherzustellen, dass das entsprechende Natura-2000-Gebiet nicht erheblich beeinträchtigt wird.
Auch der Landesentwicklungsplan schützt die Bereiche zum Schutz der Natur, wonach Regional- und Bauleitplanung für raumbedeutsame Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Bereich zum Schutz der Natur nicht möglich sind.
Zum Thema „Rückbau“ ist festzustellen, dass Freiflächen- Photovoltaikanlagen einen sehr geringen Versiegelungsgrad aufweisen und zudem vollständig rückbaubar sind. Durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan kann eine entsprechende Rückbauverpflichtung vereinbart werden. In bestimmten Konstellationen ist eine Verpflichtung zum Rückbau sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Die im Antrag zitierte Länderöffnungsklausel findet im Land Nordrhein-Westfalen bereits seit 2023 keine Anwendung mehr. Mittlerweile ist jedoch mit selber Rechtsfolge bundesgesetzlich vorgegeben, dass in Ausschreibungen der Bundesnetzagentur Gebote für Freiflächenphotovoltaik auf Ackerland bzw. Grünland in benachteiligten Gebieten abgegeben werden können.
Dennoch findet der Natur‑ und Artenschutz auch hier Berücksichtigung, da Flurstücke, die in für den Natur‑ und Artenschutz wichtigen Bereichen liegen wie zum Beispiel in Natura-2000-Gebieten, nicht unter die Definition des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu den benachteiligten Gebieten fallen.
Schließlich ist zur Einordnung der Größenverhältnisse anzumerken: Stand Ende 2024 waren in Nordrhein-Westfalen 430 Freiflächen-PV-Anlagen mit jeweils mehr als 100 Kilowatt Leistung installiert. Dafür wurde eine Fläche von 760 Hektar in Anspruch genommen. Das entspricht lediglich 0,022 % der gesamten Landesfläche von Nordrhein-Westfalen. Der Antrag geht daher von falschen Annahmen aus und verkennt die Erfordernisse der Energiewende. Daher lehnt die Landesregierung den vorliegenden Antrag ab.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.
Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 18/14030. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Antrag Drucksache 18/14030 abgelehnt.
Wir kommen zu:
15 Cum-Cum-Geschäfte in NRW – Wird wirklich alles getan, um diesen Steuerbetrug schlagkräftig zu verfolgen und die hinterzogenen Milliarden zurückzuholen?
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14017
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem schon hier stehenden Abgeordneten Dr. Pfeil das Wort.
Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen und Kolleginnen! Das Thema ist nicht neu; wir haben es schon häufiger hier behandelt, wir haben es im Ausschuss behandelt; trotzdem ist es wichtig.
Heute, am 4. Juni, beschäftigen sich gleich zwei Parlamente mit dem Thema Cum-Cum: wir und heute Vormittag der Finanzausschuss des Bundestages. Da wurde ein Antrag der Grünen vom 20. Mai 2025 behandelt, der lautet: „Organisierte Steuerhinterziehung wie Cum-Cum-Deals aufklären, Steuermilliarden konsequent zurückfordern und Aufbewahrungsfristen für Belege bei Finanzinstitutionen verlängern“.
Vonseiten der CDU/CSU-Fraktion hieß es, es sei zwar notwendig, Cum-Cum-Steuerbetrug zu sanktionieren, der Antrag der Grünen aber nicht zielführend. Gefordert seien die Länder, zügig in die entsprechenden Ermittlungen einzusteigen.
Damit hat man in Berlin recht: Wir sind zuständig. Bei uns stellt sich die Frage: Tun wir denn alles? Haben wir genug Personal?
(Christian Dahm [SPD]: Nein!)
Sind wir bestens ausgestattet, um 28 Milliarden Euro im ganzen Bundesgebiet, die von korrupten Banken hinterzogen wurden, zurückzufordern? Das ist doch die Frage. Tun wir alles? Können wir alles tun?
Auf die Forderung der FDP, mehr Personal einzustellen, wurden häufiger Nagetiere aus dem Alpenbereich oberhalb der Baumgrenze zitiert, die dann immer wieder grüßen sollten. Ich glaube, es ist richtig, dass wir unsere Anträge hier nicht einfach mit Murmeltieren abtun, sondern wir müssen darüber sprechen, ob es ausreichend ist, was wir machen.
(Beifall von der FDP)
Unserer Meinung nach verschlafen wir wertvolle Zeit, denn die Verjährung drängt. Das ist auch nicht neu, denn als wir unsere Rechtsausschusssitzung im OLG Hamm hatten, hat der Justizminister rein vorsorglich schon einmal darauf hingewiesen: Die Ansprüche können verjähren – nicht nur „können verjähren“, sondern die Ansprüche verjähren teilweise. Das war die Aussage, schon einmal vorbereitend, damit wir nicht hinterher sagen: Ups, jetzt sind wir aber überrascht.
Wir reden zum einen über Cum-Cum als Koppelgeschäfte, die mit Cum-Ex in Verbindung stehen – dafür ist die Abteilung H zuständig –, und wir reden auch über Cum-Cum-Geschäfte, die unabhängig davon in anderen Steuerhinterziehungsgeschäften eine Rolle spielen. Nach der Aussage der CDU im Finanzausschuss im Bundestag werden die Länder gefordert, zügig in die entsprechenden Ermittlungen einzusteigen. Da heißt es nicht „Das wird schon gemacht“, da heißt es: einzusteigen.
Da setzt unser Antrag an. Unser Antrag fordert: mehr Personal. Wir haben eine Große Anfrage zu dem Thema „Cum-Ex“ gestellt, aus deren Antwort sich ergab, dass wir ein Problem mit dem Personal haben. Wir haben nur bei Cum-Ex 1.200 Beschuldigte. Der Justizminister hat auf die Frage „Was ist denn mit Cum-Cum?“ geantwortet: Das wird in der Abteilung H mit bearbeitet. – Das heißt, 34 oder 37 Ermittler – die Zahlen schwanken schon mal – sind zuständig für Cum-Ex und Cum-Cum, für 1.200 Beschuldigte.
Die Ansprüche verjähren irgendwann, und die Fristen wurden in Berlin nicht verlängert. Es stellt sich die Frage: Tun wir alles? Sind wir ausreichend vorbereitet? Daran hat selbst Frau Brorhilker Zweifel, die ja nun in ihrer früheren Arbeit als Staatsanwältin darüber doch ausreichend Kenntnis hatte.
Wir haben den Justizminister dann gefragt, wie viele Gelder denn von Cum-Cum bisher zurückgeholt wurden – keine Antwort, ausweichend, Steuergeheimnis. Bayern hat mitgeteilt: 222 Millionen Euro. Baden-Württemberg hat mitgeteilt: 479 Millionen Euro. Warum kann NRW nichts mitteilen? Wissen wir es nicht, oder gibt es gar keine Rückholung in dem Fall?
Die Begründung, dass auch nicht ausreichende Informationen darüber gegeben werden können, welche Banken für die Rückforderung etc. zuständig sind, überzeugt uns auch nicht. Wir haben ein massives Personalproblem in diesem Bereich, und dafür müssen CDU und Grüne jetzt die Augen aufmachen.
(Beifall von der FDP)
Sie können nicht immer sagen: Wir tun schon alles.
Würde man auf der anderen Seite dem Ansatz folgen, den der Justizminister bisher verfolgt hat, dass derzeit keine weitere Ausbildung von Ermittlern in diesem Bereich in der Abteilung H möglich ist, weil das nämlich die Aufklärung behindern würde, wäre das so, als wenn man Professoren an der Uni verbieten würde, Studenten zu unterrichten, weil das ja die Forschung behindern könnte.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, die Redezeit.
Wir bitten darum, unseren Antrag im Ausschuss wohlwollend zu behandeln, denn wir brauchen mehr Personal. Alles andere bisher hat gezeigt, dass wir zu schlecht aufgestellt sind. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Pfeil. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt die Abgeordnete Erwin.
Angela Erwin (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns, glaube ich, einig: Cum-Cum-Geschäfte sind keine harmlose Steueroptimierung, sondern strafrechtlich relevant. Straftaten dürfen sich nicht lohnen, sondern müssen vielmehr konsequent verfolgt werden.
NRW hat mit dem Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität bereits eine schlagkräftige, spezialisierte und bundesweit beachtete Struktur geschaffen. Erfolge sind insbesondere bei der Aufdeckung sogenannter Auslagerungsfälle messbar. Kein anderes Bundesland – das hat auch unsere Anhörung im Rechtsausschuss ergeben – hat bislang so viele Fälle im Bereich „Cum-Cum“ identifiziert wie Nordrhein-Westfalen. Durch die neue Zentral- und Ansprechstelle ZeFin NRW professionalisieren wir die Verfolgung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität weiter.
Anders als im Antrag der FDP suggeriert wird, ist Nordrhein-Westfalen aktiv – strukturell, technologisch und mit langem Atem. Das ist der richtige Weg. Der Antrag der FDP ist es nicht.
Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Erwin. – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Abgeordnete Bongers.
Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Monaten standen viele von uns zusammen mit den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege auf den Rheinwiesen, um gegen Kürzungen im Sozialbereich zu demonstrieren.
(Anja Butschkau [SPD]: Ja!)
Aber nicht nur in diesem Sektor fehlen Mittel. Darüber hinaus gibt es – das wissen Sie alle ganz genau – sanierungsbedürftige Straßen, ein unterfinanziertes Bildungssystem und zu wenige Sozialwohnungen. Wir haben an vielen Stellen unserer Infrastruktur einen hohen Investitionsbedarf. Umso ärgerlicher ist es, dass Deutschland durch Cum-Cum-Geschäfte schätzungsweise 28,5 Milliarden Euro Steuereinnahmen fehlen. Lassen Sie sich diese Summe bitte einmal ganz genau durch den Kopf gehen.
In unserem Steuersystem wurde mittlerweile definitiv festgestellt, dass Cum-Cum-Geschäfte rechtswidrig sind, dass es Straftaten sind, wenn die entsprechenden Normen erfüllt sind. Dabei ist klar: Das Ganze wurde jahrelang unterschätzt. Natürlich haben wir in Nordrhein-Westfalen etwas getan – da hat Frau Erwin ausnahmsweise einmal recht –;
(Angela Erwin [CDU]: Aha! – Simon Rock [GRÜNE]: Sie hat häufiger recht! – Vereinzelt Heiterkeit von der CDU)
das streitet auch niemand in diesem Hohen Hause ab. Aber es ist eindeutig viel zu wenig.
Wir kennen die Schwächen. Wir kennen alle Schwachstellen und wissen, wo die Probleme sind. Und was machen wir als Opposition? Wir piksen immer wieder in die Wunde. Und Sie sagen: Eigentlich ist doch alles gut; wir sind ganz weit vorn; wir machen genug. – Wir machen überhaupt nicht genug, und das wissen auch Sie selbst aus tiefster Überzeugung. Insoweit ist der Antrag der FDP heute ein weiterer Piks in die entsprechende Wunde.
Wichtig ist, dass wir weiterhin Staatsanwältinnen und Staatsanwälte weiterqualifizieren, diese komplexen Vorgänge zu verstehen und dann auch anzugehen. Wie sagt man so schön als Jurist? Spätestens seit dem Termin im OLG Hamm sind wir doch alle – auch Sie, liebe Landesregierung und liebe regierungstragenden Fraktionen – bösgläubig geworden, weil schon angekündigt wurde, dass viele Verfahren vermutlich in die Verjährung laufen.
(Beifall von der SPD und der FDP – Dr. Werner Pfeil [FDP]: Richtig!)
Insofern gehen wir alle bezüglich der Aufklärung dieser Straftat sehenden Auges in die nächste Finanzkrise.
(Beifall von Angela Freimuth [FDP] – Dr. Werner Pfeil [FDP]: Richtig!)
Wir alle wissen es. Wir wollen etwas tun, Sie aber anscheinend nicht. Das ist leider festzustellen.
Ich verstehe Ihre Weigerung nicht,
(Beifall von Angela Freimuth [FDP])
denn Sie wissen, dass wir an Ihrer Seite stehen würden, wenn es vernünftige Vorschläge gäbe. Daran sind Sie aber anscheinend überhaupt nicht interessiert.
(Beifall von der SPD und der FDP)
Jetzt noch ein kleiner Spaß am Rande. Ich wollte es heute eigentlich lassen mit dem Murmeltier oder dem Nagetier, wie Herr Dr. Pfeil es genannt hat, aber ich kann einfach nicht. Ich komme von diesem Tier nicht mehr weg.
(Heiterkeit von Anja Butschkau [SPD], Angela Erwin [CDU] und Dorothea Deppermann [GRÜNE])
Was machen diese Nagetiere? Sie halten über viele Monate Winterschlaf. Jetzt kommt die Metapher: Liebe regierungstragenden Fraktionen, liebe Landesregierung, wachen Sie endlich aus Ihrem Winterschlaf auf!
(Beifall von der SPD und der FDP)
Lange Rede, kurzer Sinn: Wir stimmen der Überweisung selbstverständlich zu und geben die Hoffnung nicht auf, dass Sie alle gesamt wach werden und wir im Ausschuss zu einer vernünftigen Lösung kommen. – Recht herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und der FDP)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Bongers. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Rock.
Simon Rock (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem sind wir uns einig: Cum-Ex und Cum-Cum sind der größte Steuerraub in der bundesweiten Geschichte.
Bei Cum-Ex ist es so, dass Steuern erstattet werden, obwohl sie niemals bezahlt wurden. Das ist in der Analogie in etwa so, als würde man in einem Elektronikmarkt ein Smartphone klauen, es am nächsten Tag umtauschen und sich das Geld dann auch noch erstatten lassen.
Cum-Cum ist ein Stück weit die Schwester davon. Da werden Steuern nicht bezahlt, obwohl sie höchstwahrscheinlich hätten bezahlt werden müssen. Um in der Analogie zu bleiben: Man geht in den Elektronikmarkt, klaut das Smartphone, und behauptet hinterher, es sei doch ein kostenloses Werbegeschenk gewesen.
Höchstrichterlich ist das Ganze noch nicht entschieden. Es spricht sehr viel dafür, dass Cum-Cum-Geschäfte illegal sind. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht zwar noch aus, aber ich bin mir relativ sicher, in welche Richtung das gehen wird. Deshalb ist die Frage der FDP, ob tatsächlich alles getan wird, um Cum-Cum-Geschäfte zu bekämpfen, grundsätzlich richtig und nachvollziehbar.
Ich finde aber eine andere Frage an der Stelle genauso interessant – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Was hat die FDP auf der Bundesebene in den letzten Jahren getan, um Cum-Cum zu bekämpfen? Dazu muss ich Ihnen leider sagen, Herr Kollege Pfeil, so sehr ich Ihnen persönlich das Interesse an der Aufklärung abnehme, dass es bei der FDP als Ganzes anders aussieht.
Das damals von der FDP geführte Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege verkürzt wurden.
(Ralf Witzel [FDP]: Bürokratieabbau!)
– Sie halten das für Bürokratieabbau, aber die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hat das als Geschenk an Kriminelle bezeichnet. Was Sie als Bürokratieabbau bezeichnen, bezeichnet die Deutsche Steuer-Gewerkschaft als Geschenk an Kriminelle. So viel zu der Frage, ob die FDP wirklich alles tut, um Cum-Cum zu verhindern.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von Ralf Witzel [FDP] und Franziska Müller-Rech [FDP])
Ich muss Ihnen sagen, das hat etwas von einem Autohändler, der erst die Bremsen ausbaut, um sich dann im Nachgang darüber zu beschweren, dass so viele Unfälle passieren. So fühlt sich Ihr FDP-Antrag an dieser Stelle an.
(Zuruf von Dr. Werner Pfeil [FDP] – Ralf Witzel [FDP]: Oh!)
Davon einmal abgesehen, ist es natürlich …
(Angela Freimuth [FDP]: Wir wissen seit 100 Jahren, dass uns das Personal fehlt! )
– Sorry, wenn zwei Leute reden, und ich habe das Mikro, dann bin leider nur ich zu verstehen.
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Jetzt streitet euch doch nicht!)
Es ist vollkommen richtig, die Frage zu stellen, wie wir die Bekämpfung von Finanzkriminalität voranbringen. Ich muss leider der Opposition widersprechen, dass es so sei, als würden wir in Nordrhein-Westfalen schlafen.
Mit dem letzten Haushalt haben wir zusätzliche Stellen für das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität eingerichtet. Wir haben zusätzliche Stellen im Justizbereich eingerichtet. Daraus hat Benjamin Limbach die Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Cum-Cum und anderen Verbrechen im Bereich der organisierten Finanzkriminalität gemacht.
Es ist doch vollkommen unredlich, sich hier hinzustellen und zu sagen, dass die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen diesbezüglich nichts tun würden.
(Beifall von den GRÜNEN, Jens-Peter Nettekoven [CDU] und Angela Erwin [CDU])
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir angesichts der schwierigen Haushaltslage und des Spardrucks darauf einen Schwerpunkt gesetzt haben und etwas gemacht haben. Denn wir sind uns alle einig, dass Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte keine Kavaliersdelikte sind, sondern letztlich Steuerraub auf Kosten der Allgemeinheit. Sie gehen zulasten von Kitas, zulasten von Schulen, zulasten von Polizei und noch vielen anderen Dingen, die deswegen nicht finanziert werden können. Deshalb ist es vollkommen richtig, hierauf ein Augenmerk zu legen – und das tun wir als Koalition.
(Beifall von den GRÜNEN, Jens-Peter Nettekoven [CDU], Matthias Eggers [CDU] und Angela Erwin [CDU])
Deshalb ist es vollkommen richtig, darüber zu diskutieren. Dazu gehört aber auch, das mit einem Mindestmaß an Ehrlichkeit zu tun. Auf der einen Seite in der Opposition auf Länderebene alles zu fordern und auf der anderen Seite in der Bundesregierung das genaue Gegenteil zu tun, hat mit Ehrlichkeit und Redlichkeit wirklich wenig zu tun. Das sind Dinge, die man im Ausschuss gerne noch vertiefend erörtern kann.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Für die Fraktion der AfD spricht jetzt der Abgeordnete Röckemann.
Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag fordert ausgerechnet die FDP eine konsequente Verfolgung sogenannter Cum-Cum-Geschäfte. Gleichzeitig sollen Ermittlungsstrukturen massiv ausgebaut werden.
Zum besseren Verständnis: Bei sogenannten Cum-Cum-Geschäften handelt es sich um ein steuerliches Gestaltungskonstrukt, das seit den 70er-Jahren bekannt ist. Ebenso bekannt sind die daraus erwachsenen Probleme auf den Gebieten des Strafrechts und einem Verlust an Steuergerechtigkeit.
Steuergerechtigkeit ist ein Fundament unseres Staates, und dieses Fundament wurde systematisch untergraben – durch organisierte Steuertricks, gedeckt von politischen und inzwischen wohl auch kriminellen Netzwerken.
Dass nun ausgerechnet die FDP in NRW laut nach Aufklärung und Verfolgung ruft, ist nichts anderes als ein Treppenwitz der Geschichte;
(Zuruf von Julia Eisentraut [GRÜNE])
schließlich hatte die FDP in der vergangenen Legislatur die Möglichkeit, Staatsanwaltschaften personell aufzustocken, Strukturen zu schaffen, Rückforderungen einzuleiten und Gesetzeslücken zu schließen. Passiert ist dagegen wenig bis überhaupt nichts.
Belastend kommt hinzu – wir haben es gerade gehört –, dass auch Ihre Kollegen in Berlin das BEG IV mit verabschiedet haben und seitdem alle Banken steuerrelevante Buchungen bereits nach acht Jahren löschen dürfen. Herzliche Glückwünsche, meine Damen und Herren von der FDP. So macht man Klientelpolitik.
Wer ernsthaft Steuergerechtigkeit will, hilft nicht dabei, Beweismittel zu vernichten.
(Beifall von der AfD)
Sie haben es getan, und deshalb nimmt man Sie und Ihren Antrag auch nicht ernst. Die Bürger glauben Ihnen nichts mehr, deshalb werden Sie auch nicht mehr gewählt.
Auch bei Ihren ehemaligen Fraktionsbuddies sind Sie in Ungnade gefallen. Diese werden Ihren Antrag nämlich im Ergebnis schon aus Prinzip ablehnen. Zum einen, weil Sie selbst froh sind, wenn der Mantel des Schweigens über diese windigen Angelegenheiten fällt und zum anderen, weil der Antrag handwerklich schlecht gemacht ist.
Sie wollen eine groß angelegte Personaloffensive starten: mehr Ermittler, mehr Staatsanwälte, mehr IT-Fachkräfte. Ich sage Ihnen, dass mehr Personal aktuell trotz oder gerade wegen der Einwanderungswelle gar nichts bringt. Warum? Weil es sich um ein hochkomplexes Spezialgebiet handelt, in dem niemand ohne lange Einarbeitung effektiv arbeiten kann. Wer jetzt neue Leute einstellt, lähmt die Teams, die produktiv arbeiten. Das ist keine Hilfe, das ist zusätzliche Sabotage durch Überforderung.
Überhaupt, woher wollen Sie diese Leute denn nehmen? Fachpersonal kommt nicht mit dem Boot über das Mittelmeer.
(Heiterkeit von Dr. Christian Blex [AfD])
Damit kein Missverständnis entsteht: Nicht nur die FDP, auch alle anderen Parteien – ausgenommen die Alternative für Deutschland – tragen Mitschuld an diesen unhaltbaren Zuständen. Sie alle stehen und standen irgendwie, irgendwo, irgendwann in Regierungsverantwortung; allen voran übrigens die Genossen der SPD. Ich sage nur: Olaf Scholz, Cum-Ex, Milliardenschäden, Gedächtnislücke.
Wir als AfD haben hier Aufklärung gefordert. Wir wollten Untersuchungsausschüsse. Sie als FDP kommen mit einem Antrag. Was wir mit Ihrem Antrag erleben, ist kein Schlag gegen die Steuerkriminalität, sondern schlicht Aktivismus. Wer Steuerbetrug nicht zeitnah bekämpft, macht sich mitverantwortlich. Wer ihn erst ignoriert und dann instrumentalisiert, macht sich lächerlich.
Wir von der AfD bieten Lösungen an und stimmen der Überweisung in den Ausschuss deshalb freudig ich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Röckemann. – Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Dr. Optendrenk in Vertretung für Minister Dr. Limbach.
Dr. Marcus Optendrenk*), Minister der Finanzen: Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitestgehend könnte ich es bei einer Bezugnahme auf die Ausführung meines Kollegen Dr. Limbach vom 9. Oktober 2024 belassen, denn der Antrag der Fraktion der FDP wiederholt in weiten Teilen die bereits damals in einem Antrag gestellten Forderungen. So einfach möchte ich es mir aber nicht machen, da der vorliegende Antrag nicht nur erneut die Ausgangslage etwas unzutreffend darstellt, sondern zum Teil auch schlicht von falschen Annahmen ausgeht.
Anders als in dem Antrag suggeriert, sind Cum-Cum-Geschäfte in der Regel nämlich nicht leicht zu verstehen und nicht leicht nachweisbar. Cum-Cum-Geschäfte haben im Regelfall höchst komplexe Handelsstrategien im Hintergrund, die es aufzubereiten und für jeden konkreten Einzelfall unter dem Aspekt strafrechtlicher und steuerrechtlicher Verfolgbarkeit zu bewerten gilt. Anders als in dem Antrag behauptet, sind Cum-Cum-Geschäfte eben nicht unstreitig per se illegal.
Ich darf in Erinnerung rufen, dass es durchaus eine Vielzahl früherer Entscheidungen auch von Finanzgerichten gibt, wo ausdrücklich festgestellt worden ist, dass bei einer finanzgerichtlich festgestellten missbräuchlichen Steuergestaltung nicht automatisch die Annahme eines strafrechtlich relevanten Anfangsverdachts gegeben ist. Dementsprechend ist, glaube ich, zu differenzieren. Wir haben an manchen Stellen eher die Möglichkeit, uns im Bereich des Steuerrechts als im Bereich des Strafrechts zu bewegen.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass wir in Nordrhein-Westfalen seit Jahren – übrigens auch partei- und fraktionsübergreifend, auch mit verschiedenen Ministern verschiedener Farben – versuchen, uns diesem Thema so zu nähern, dass wir aus der Sicht von Innenministerium, Justizministerium und Finanzministerium möglichst effizient zur Zusammenarbeit kommen und an den Stellen ansetzen, wo es praktisch besonders funktioniert.
Dazu kommt übrigens auch die in dem Antrag von dem dort zitierten Gutachter dargestellte Stellungnahme. So führt gerade diese aus, dass die Illegalität von Cum-Cum-Geschäften von den Umständen des Einzelfalls abhänge und insbesondere die sogenannten Auslagerungsfälle an Komplexität kaum zu überbieten seien.
Wenn ich das an der Stelle mit Blick auf den Bereich des Ministeriums der Finanzen einmal sagen darf: Wir arbeiten sehr eng mit den Strafverfolgungsbehörden, mit dem Justizressort, auch mit dem LKA und dem Innenministerium zusammen und versuchen fortlaufend, auf der einen Seite unsere Maßnahmen zu optimieren, um sicherzustellen, dass das, was alle zu Recht befürchten, dass nämlich Dinge nicht reversibel sind, vermieden wird, und auf der anderen Seite mit einem hohen Personaleinsatz dafür zu sorgen, dass Steuerbetrug an der Stelle geahndet wird und dass wir Steuersubstrat zurückholen.
Zu den beantragten personal- und IT-verstärkenden Maßnahmen bei der Hauptabteilung H der Staatsanwaltschaft Köln ist bereits bei zahlreichen Gelegenheiten ausgeführt worden, dass wir auch nach Ansicht des sachnäheren Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln dort gut aufgestellt sind.
Soweit es in dem Antrag zudem um die Aus- und Fortbildung neuer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geht, ist auch diese Thematik selbstverständlich Gegenstand. Es gibt regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen zum Steuerstrafrecht, in denen auch die aktuellen Entwicklungen wie die Thematik von Cum-Cum-Geschäften aufgegriffen werden.
Weil es sich bei der Verfolgung von Cum-Cum-Geschäften nicht nur um die Abarbeitung einfacher mathematischer Formeln handelt, gibt es auch keine Schablone, wie man das möglichst schnell mit standardisierten Ergebnissen aufarbeiten kann. So einfach ist es leider nicht. Trotzdem ist Nordrhein-Westfalen das Land, das sich mit dem höchsten, auch relativen personellen Aufwand in allen betroffenen Ressorts dieser gesamtstaatlichen Aufgabe stellt.
Ich kann Ihnen versichern, dass alle, die in Nordrhein-Westfalen daran beteiligt sind, das mit hohem Einsatz machen. Ich möchte mich ausdrücklich bei denen bedanken, die in diesen komplexen Feldern aktiv sind, denn es geht um den Schutz der Steuereinnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen und – die einen oder anderen Redner haben es dargestellt – darum, dass nicht diejenigen bestraft werden, die redlich sind, und wir finanzielle Ressourcen für die Aufgaben haben, die wir als Land Nordrhein-Westfalen wahrzunehmen haben. Herzlichen Dank deshalb!
Ich denke, Sie werden das in der Ausschussberatung gut weiter vertiefen können. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Wir sind am Schluss der Aussprache.
Wir gehen über zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14017 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage: Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Auch keine Enthaltung. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zu:
16 Ohne Trainer keine Erfolge – Trainertarif in NRW einführen!
Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 18/10517
Beschlussempfehlung
des Sportausschusses
Drucksache 18/13190
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat nun der Abgeordnetenkollege Herr Nettekoven das Wort.
(Thomas Okos [CDU]: Sehr gut!)
Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Cum-Cum und Taurus geht es nun um den bekannten Trainertarif. Liebe Antragsteller, ich zitiere heute zum zweiten Mal aus dem Zukunftsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen:
„Zur Stabilisierung des Breitensports bringen wir eine Übungsleiter-Offensive auf den Weg, die insbesondere für die wichtigen Themen Vergütung, Steuerfragen, Aus- und Fortbildung und Digitalisierung ausgestaltet wird.
Zur Stärkung des Leistungssportstandortes werden wir einen Tarifvertrag für Trainerinnen und Trainer im Nachwuchsleistungssport einführen.“
Ich glaube, mit diesen Passagen aus unserem Zukunftsvertrag ist alles gesagt.
(Beifall von der CDU und Thorsten Klute [SPD])
Die regierungstragenden Fraktionen haben sich des Themas angenommen und werden in der Legislaturperiode einen Trainertarif einführen. Deswegen ist Ihr Antrag nicht zu verfolgen. Deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat nun Abgeordnetenkollegin Frau Durdu das Wort.
Tülay Durdu*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trainerinnen und Trainer sind das Rückgrat des Sports – vom Verein um die Ecke bis zum Olympiastützpunkt. Ohne sie bewegt sich nichts. Sie begleiten Talente, motivieren, fordern und fördern.
Doch wer hauptberuflich Trainer im Leistungssport ist, der hat es schwer: lange Arbeitszeiten auch am Wochenende, lange Reisen und befristete Arbeitsverträge. Der Trainerberuf verlangt viel, und die Bezahlung ist gering. Das ist ein Problem, und es ist gut, dass wir darüber sprechen. Aber was die AfD heute wieder vorlegt, ist keine Lösung. Es ist ein weiterer unausgereifter Schnellschuss, wie wir ihn aus dieser Fraktion leider zur Genüge kennen.
(Beifall von der SPD)
Der Antrag fordert einen Trainertarifvertrag ohne irgendeine realistische Umsetzungsstrategie – ein Papiertiger, der mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Stichwort: Finanzierung. Tja, Herr Keith, Sie üben sich heute offenbar im Schießen von Eigentoren. Noch heute Nachmittag haben Sie sich über unseren Antrag zur Förderung von Sportstätten mokiert. Es fehle an Finanzierungsvorschlägen. Nun, wo sind denn Ihre Vorschläge? Sie haben keine, wie immer. Aber vielleicht haben Sie sich auch gedacht, wer keine Kosten nennt, der muss auch nichts finanzieren. Es würde mich nicht wundern. Merken Sie sich, Herr Keith: Wer im Glashaus sitzt, sollte lediglich nicht mit Steinen werfen – und in meine Richtung schon mal gar nicht.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der Leistungssport in NRW ist keine Insel. Trainerinnen und Trainer im Leistungssport sind in einem hochkomplexen, föderal und bundesweit verflochtenen System beschäftigt. Viele von Ihnen sind auf Bundesebene angestellt, etwa bei den Bundesstützpunkten oder Bundesverbänden. Andere arbeiten an Landesstützpunkten, viele sogar freiberuflich. Ein solcher Flickenteppich braucht eine koordinierte Lösung, gemeinsam mit dem Bund, mit dem DOSB, mit den Sportverbänden.
Die Gelegenheit ist günstig. Die Bundesregierung will die Arbeitsbedingungen von Trainerinnen und Trainern deutlich verbessern. Hier muss die Landesregierung ansetzen und mitgestalten – aber nicht mit dem Kopf durch die Wand und auch nicht mit Symbolpolitik. Wer die Lage der Trainerinnen und Trainer wirklich verbessern will, braucht Seriosität, Struktur und Zusammenarbeit. All das fehlt in diesem Antrag. Wir lehnen ihn deshalb ab, aber wir erwarten von der Landesregierung, dass sie zügig das Gespräch mit dem Bund und den Sportstrukturen aufnimmt – für eine gemeinsame Lösung. Denn wer Spitzenleistung will, muss auch Spitzenbedingungen für Athleten und für Trainer schaffen.
Ich wünsche allen einen schönen Abend. – Danke schön.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Abgeordnetenkollege Herr Zimmermann das Wort.
Marc Zimmermann*) (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich soll jetzt inhaltlich neun Minuten zu einem Antrag reden, der aus den Reihen einer rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Partei stammt. Das widerstrebt mir, aber weil es um den Trainertarif geht, möchte ich kurz darauf eingehen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Im Rahmen der Reformierung der Spitzensportreform unter dem Namen „Neue Wege gehen“ soll auch das Konzept des DOSB zur Verbesserung der arbeitsvertraglichen Rahmenbedingungen für Trainerinnen konsequent umgesetzt werden. Teil dieser Reformierung ist unter anderem auch die Ausgestaltung eines Sportfördergesetzes. Die Detailarbeit am Gesetz hat im Januar 2023 begonnen und läuft weiterhin. Auf Landesebene haben sich das Land NRW und der Landessportbund NRW in ihrem Konzept zur Leistungssportförderung ebenfalls zum Ziel gesetzt, zum 01.01.2026 einen flächendeckenden Trainertarif einzuführen.
Sie sehen also, dass der Antrag inhaltlich obsolet und überholt ist, und das hat auch die Debatte dazu im Ausschuss ergeben. Wir Demokraten in diesem Haus brauchen keine solchen Handlungsforderungen von rechts. Wir lehnen den Antrag ab. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Für die Fraktion der FDP hat nun der Abgeordnetenkollege Herr Rasche das Wort.
Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal wer den Antrag stellt, hier geht es jetzt gerade um Sportpolitik. In der Überschrift steht, es geht um Erfolge, um Erfolge im Leistungssport und im Breitensport.
Wir haben heute Morgen unter TOP 7 schon über das Programm „Moderne Sportstätte“ gesprochen, das seinerzeit sehr erfolgreich war. Ministerin Gorißen hat dann als letzte Rednerin gesagt, nach drei Jahren solle das jetzt in den nächsten Wochen evaluiert werden – nach drei Jahren. Im Handball, lieber Jens, nennt man das Zeitspiel. Und wenn man drei Jahre auf Zeit spielt, dann ist das Foulspiel, brutales Foulspiel.
(Beifall von der FDP)
Von daher gehört dieses Programm auch zu Erfolgen im Sport, wenn es auch nicht direkt zu diesem Antrag gehört.
Dann haben wir uns vorhin – und das war deine Nachfrage – über die kommunalen Möglichkeiten der Sportpauschale unterhalten. Ich habe gesagt, die wurden in den letzten fünf Jahren nicht so erhöht, dass sie die Baukostensteigerungen ausgeglichen haben. In der Zwischenzeit konnte ich mich erkundigen: In einer kleinen Stadt wie meiner wurden sie von 2018 bis 2026 um 2.500 Euro erhöht. 2.500 Euro, also im minimalen Prozentbereich, und die Baukosten sind im gleichen Zeitraum um ein Drittel gestiegen. Das heißt, bei uns wird durch die Landesförderung im Sportbereich ein Drittel weniger in Sportstätten investiert als unter Schwarz-Gelb. Das ist negativ, das ist nicht positiv.
(Beifall von der FDP)
Insofern: Wenn wir Erfolge im Sport haben wollen, müssen wir in diesen Bereichen besser werden. Das steht fest. Der Trainertarif steht im Koalitionsvertrag; ihn wollen SPD, wollen FDP, wollen CDU und wollen Grüne, kostet auch Geld, ist schwierig umzusetzen. Aber wir sind trotzdem dafür, das sind wir alle.
Der Antrag der AfD greift jedoch zu kurz. Die Rede ist nur vom Trainertarif. Wenn wir Erfolge wollen, dann brauchen wir moderne Sportstätten. Wir brauchen Investitionen in Lehrschwimmbecken, damit wirklich jedes Kind Schwimmen lernen kann. Wir brauchen das Bekenntnis zum Leistungsprinzip, was in dieser Koalition zum Teil brutal fehlt. Wir brauchen also viel mehr. Und deswegen lehnen wir den Antrag der AfD ab. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und Christian Dahm [SPD])
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD spricht nun der Abgeordnete Herr Keith.
Andreas Keith*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal vielen Dank, Herr Rasche. Immerhin, Sie haben den Antrag gelesen, ganz anders als Herr Nettekoven. Na ja, das muss man schon sagen, denn Nachwuchstrainer ist nicht gleich Trainertarif. Also, das haben Sie schon mal verwechselt. Und Frau Durdu, wenn Sie gleich genau zuhören bei meiner Rede, werden Sie feststellen, dass ich Ihnen erkläre, woher wir die 3 Millionen – um mehr geht es ja gar nicht – dann auch nehmen wollen.
Ich bitte Sie aber, sich zuerst einmal ein wenig zu konzentrieren, sich zu entspannen. Lehnen Sie sich zurück und versuchen Sie sich Folgendes vorzustellen: Sie sind Landestrainer in Nordrhein-Westfalen, hochqualifiziert, mit einer A-Lizenz, sportwissenschaftlichem Studium, mehrjähriger Erfahrung und verdienen kaum mehr als ein Berufseinsteiger im Schuldienst – und das bei Arbeitszeiten jenseits der 50-Stunden-Woche, häufig ohne Überstundenausgleich, mit befristeten Verträgen und ohne Aussicht auf berufliche Sicherheit. Würden Sie unter diesen Bedingungen arbeiten wollen? Wohl kaum. Das müssen Sie als Landtagsabgeordneter mit einer Diät von über 13.000 Euro brutto, die sich durchschnittlich jährlich wie von Zauberhand um 3,5 % erhöht, inklusive einer luxuriösen Altersvorsorge und einer großzügigen Übergangsregelung beim Ausscheiden aus dem Landtag aber auch nicht.
Das sind alles Rahmenbedingungen, die mit dem Alltag von Trainern im Spitzensport nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Dort sieht die Lage nämlich ganz anders aus. In der Anhörung des Sportausschusses im Dezember hat sich dieses Bild bestätigt, vorgetragen von den Sachverständigen aus dem Landessportbund, der Trainerakademie Köln und dem Berufsverband der Trainer.
Die Fakten sind nicht neu, aber sie zeigen die massiven Probleme in diesem Berufsfeld. Wie diese Debatte begonnen hat, zeigt, wie Sie sie ignorieren. Nur 18 % der Trainer würden ihren Beruf jungen Kollegen empfehlen. Mehr als zwei Drittel leisten regelmäßig Überstunden, oft zwischen 10 und 30 Stunden wöchentlich, ohne Vergütung oder Ausgleich. Über die Hälfte der Verträge sind befristet oder gar Kettenverträge – eine Zumutung für Menschen mit Familie.
Währenddessen verliert Deutschland bei Olympia weiter an Boden – nicht weil unsere Athleten schlechter geworden wären, sondern weil der wichtigste Faktor im Leistungssport, nämlich der Trainer, systematisch vernachlässigt wird. Das hat dann eben Folgen. Nur ein Beispiel von vielen: Richard Trautmann, ein deutscher Top-Trainer im Judo, wechselte vor einigen Jahren nach Aserbaidschan. Warum?
(Zuruf von der SPD: Weil es da die AfD nicht gibt!)
Weil er dort nicht nur 500.000 Euro Prämie pro Goldmedaille erhält, sondern auch hervorragende Arbeitsbedingungen vorfindet.
Dieser Trend ist brandgefährlich – nicht nur für den Spitzensport, sondern auch für unseren Nachwuchs. Es wäre geradezu absurd, anzunehmen, dass wir bei Gehältern und Prämien mit den finanzstärksten, ölreichsten Ländern der Welt mithalten können. In dem Rennen kann man nur verlieren. Was wir aber sehr wohl können, ist, mit Hilfe von fairen Arbeitsverträgen für die berufliche Planungssicherheit und angemessene Entlohnung zu sorgen. Allein das würde schon dem ein oder anderen Trainer reichen, um hier zu bleiben und nicht nach China oder in die Wüste auszuwandern.
Das sollte eigentlich auch die Landesregierung wissen. Im Koalitionsvertrag zumindest haben CDU und Grüne für Trainer im Nachwuchsleistungssport schließlich einen Tarifvertrag angekündigt. Herr Nettekoven, das war vor drei Jahren. Wenn Sie so weitermachen, können Sie mit dem Thema gegebenenfalls einen neuen Wahlkampf 2027 organisieren. Passiert ist aber, wie in dieser Landesregierung üblich – das ist jetzt mehrfach angesprochen worden –, überhaupt nichts. Dabei haben Landessportbund und Staatskanzlei ein vergütungsnahes Modell vorgelegt. Dieses Modell wird bislang aber nicht umgesetzt, weil – Zitat – das Geld fehlt.
Frau Durdu, vielleicht hören Sie ganz kurz zu, bevor Sie hier große Reden schwingen. Jetzt sage ich Ihnen, woher wir das Geld nehmen können, und zwar 3 Millionen Euro in einem Landeshaushalt von 100 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Wuppertal-Institut für Klima, Quatsch und Hokuspokus, das im Auftrag von Organisationen wie Fridays for Future zweifelhafte Studien zur Klimaneutralität erstellt, erhält vom Land dieses Jahr über 5 Millionen Euro, obwohl es von finanzstarken Geldgebern wie der GLS-Bank mitfinanziert wird. Das Geld ist also da, nur ist Ihnen Ihre Klima-Ideologie wichtiger als die Trainer und Menschen da draußen.
Wir von der AfD sagen: Schluss damit, Schluss mit der Finanzierung von immer mehr fragwürdigen Netzwerken, Beiräten, Kommissionen, Beauftragten und Clustern, die der Vernetzung von irgendwelchen zwielichtigen Akteuren dienen, am Ende aber nichts anderes sind als steuerfinanzierte Geldtöpfe für die eigene, Ihre Klientel. Schluss mit immer mehr Meldestellen, die allein in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr über eine halbe Million Euro verschlingen, ohne messbaren Nutzen. Wenn Sie endlich den Rotstift ansetzen würden, wäre auch wieder genug Geld für die Trainer da.
Der von uns eingebrachte Antrag fordert einen echten Tarifvertrag für Leistungstrainer. Ein echter Tarifvertrag würde nicht nur für gerechte Bezahlung sorgen, sondern auch verbindliche Regelungen zu Arbeitszeiten, Vertragslaufzeiten und soziale Absicherung schaffen. Andere Länder gehen längst voran: Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt haben tarifähnliche Modelle bereits eingeführt. Warum also nicht in NRW? Wir haben die Talente, die nötig sind, um im Spitzensport zukünftig wieder erfolgreich zu sein. Nicht Öl, sondern diese Talente sind unsere Ressourcen.
(Beifall von der AfD)
Das geht allerdings nur, wenn wir sie auch davon überzeugen, hier bei uns zu bleiben, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland. Darum fordern wir eben neben dem Tarifvertrag auch schon länger eine höhere Übungsleiterpauschale, damit die Vereine wieder mehr Trainer und Schwimmausbilder gewinnen können.
Denn mit jeder vakanten Stelle am Olympiastützpunkt, mit jedem Burnout eines Trainers, mit jedem Wechsel ins Ausland verlieren wir viel mehr als nur Leistung: Wir verlieren Vorbilder, Mentoren, Identifikationsfiguren für unseren Sport und unsere Olympiasieger von morgen. Es ist höchste Zeit, den Menschen, die unsere Sportler zu Medaillenkandidaten und zu Vorbildern formen, endlich den Stellenwert zu geben, den sie verdienen. Denn ohne Trainer keine Erfolge – auch nicht in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Landesregierung spricht nun Ministerin Gorißen in Vertretung für Ministerpräsident Hendrik ...
(Zurufe von der FDP und der AfD – Zuruf: Die Kleinen zanken sich!)
Darf ich um Ruhe bitten? – Hier hat jetzt für die Landesregierung Ministerin Gorißen in Vertretung für Ministerpräsident Hendrik Wüst das Wort.
Silke Gorißen, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Nordrhein-Westfalen ist in Deutschland unangefochten das Sportland Nummer eins. Einen großen Anteil daran haben die Trainerinnen und Trainer. Um sie und ihre wertvolle Arbeit noch besser zu unterstützen, wird die Landesregierung zur Stärkung des Leistungssportstandortes Nordrhein-Westfalen einen Tarifvertrag für Trainerinnen und Trainer im Nachwuchsleistungssport einführen. Das haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen.
Ein Konzept für ein Vergütungssystem nach dem Vorbild des TV-L mit Qualifikationsvoraussetzungen, tariflichen Einstufungen sowie einem Rechts- und Vereinbarungsrahmen wurde bereits erarbeitet. Die Einführung eines Trainertarifs im Sinne einer qualifikationsgerechten Entlohnung für Trainerinnen und Trainer entspricht den gemeinsamen Zielen der vom Bund, von den Ländern und vom DOSB getragenen Vereinbarungen zur Reform der Spitzensportförderung.
Für Nordrhein-Westfalen wird ein Trainertarif angestrebt, dessen zentraler Bestandteil ein flexibles und dynamisches Vergütungssystem nach dem Vorbild des TVöD sein wird. Dies soll dazu beitragen, dass alle öffentlich geförderten Trainerstellen in Nordrhein-Westfalen zum Einstieg in die Trainerlaufbahn motivieren und attraktive Zukunftsperspektiven bieten. Wir werden auch einfordern, dass sich die geförderten Verbände zur Umsetzung und Einhaltung der damit verbundenen arbeitsrechtlichen Vorschriften verpflichten und die Bindung an den Tarifvertrag eine Fördervoraussetzung wird.
Es ist erkennbar, dass der Antrag ins Leere geht und einfordert, was sich bereits in der Realisierung befindet.
(Andreas Keith [AfD]: Wann denn?)
Der Sportausschuss hat sich in zwei Sitzungen ausführlich mit der Thematik befasst und Experten dazu gehört. Er hat die Empfehlung ausgesprochen, den Antrag abzulehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und einen schönen Feierabend.
(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Damit sind wir am Schluss der Aussprache.
Wir gehen über zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in Drucksache 18/13190, den Antrag Drucksache 18/10517 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 18/10517 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer enthält sich? – Keine Enthaltung. Damit ist der Antrag Drucksache 18/10517 abgelehnt.
Ich rufe auf:
17 Gesetz zur Modernisierung der Gesetze berufsständischer Versorgungswerke der Notare sowie der Architekten und der Ingenieure
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14096
Herr Minister Dr. Optendrenk hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (siehe Anlage 1). Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 18/14096 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Digitalisierung. Wer stimmt gegen diese Überweisungsempfehlung? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich rufe auf:
18 Viertes Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14097
Herr Minister Dr. Optendrenk hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (siehe Anlage 2). Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 18/14097 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Innenausschuss sowie an den Wissenschaftsausschuss. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich rufe auf:
19 Gesetz zur Änderung des Schülerinnen- und Schülerdatenübermittlungsgesetzes NRW
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14098
Herr Minister Laumann hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (siehe Anlage 3). Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 18/14098 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Bildung. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich rufe auf:
20 Gesetz zur Änderung des Kurortegesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 18/14099
Herr Minister Laumann hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (siehe Anlage 4). Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 18/14099 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat und Kommunales. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich rufe auf:
21 Laufzeitverlängerung von Tihange 3 und Doel 4 um weitere zehn Jahre: Radiologischen Notfallschutz auf den neusten Stand bringen!
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 18/14021
Eine Aussprache zu diesem Tagespunkt erfolgt nicht.
Wir kommen daher unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 18/14021 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, an den Ausschuss für Europa und Internationales, an den Ausschuss für Schule und Bildung sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zu:
22 Mitteilung nach § 15 des Abgeordnetengesetzes NRW
Unterrichtung
durch den Präsidenten
Drucksache 18/14107
Die Daten zur Ermittlung eines Anpassungsbedarfs der Abgeordnetenbezüge sind in Drucksache 18/14107 veröffentlicht worden. Die Daten sind damit dem Landtag zugeleitet worden.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Ich stelle fest: Der Landtag hat sich mit der Unterrichtung Drucksache 18/14107 befasst.
Wir kommen zu:
23 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht
31
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 18/14090
Die Übersicht 31 enthält Beratungsverläufe und Abstimmungsergebnisse aus den Ausschüssen.
Ich lasse nun über die Bestätigung der Übersicht 31 abstimmen. Wer stimmt der Übersicht zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit sind die in Drucksache 18/14090 enthaltenen Beratungsverläufe und Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse bestätigt.
Wir kommen zu:
Übersicht 18/27
gem. § 97 Abs. 8 GO
Gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen. Ihnen liegen mit der Übersicht 18/27 die Beschlüsse zu Petitionen vor, über deren Bestätigung wir abstimmen.
Eine Aussprache hierzu ist nicht vorgesehen.
Wir kommen somit zur Abstimmung. Wer stimmt den Beschlüssen des Petitionsausschusses zu? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Damit sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses in Übersicht 18/27 bestätigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen somit zum Ende unserer heutigen Sitzung. Ich wünsche Ihnen für heute einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen. – Vielen Dank Ihnen.
Schluss: 20:32 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
Zu TOP 17 – Gesetz zur Modernisierung der Gesetze berufsständischer Versorgungswerke der Notare sowie der Architekten und der Ingenieure – zu Protokoll gegebene Rede
Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen:
Die berufsständische Versorgung ist eine wichtige Säule der Altersversorgung. Sie ergänzt und gewährleistet die soziale Absicherung für Berufsgruppen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung entweder nicht oder nur eingeschränkt abgesichert sind. Sie steht hierbei gleichberechtigt neben der gesetzlichen Rentenversicherung.
In Nordrhein-Westfalen sind 14 Versorgungswerke der Freien Berufe ansässig. Auch vor den finanziellen Auswirkungen einer Berufsunfähigkeit werden ihre Mitglieder auf hohem Niveau geschützt, und das ohne staatliche Zuschüsse.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf modernisieren und flexibilisieren wir die Gesetze berufsständischer Versorgungswerke der Notare, Architekten und Ingenieure. Wir passen sie an die Berufsanforderungen an und stärken die Selbstverwaltungsautonomie der Versorgungswerke.
Hierdurch ergeben sich Änderungen für das Notarversorgungswerk Köln und das Versorgungswerk der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Letzterem Versorgungswerk haben sich die Ingenieurkammer Bau Nordrhein-Westfalen und die Architektenkammern aus Bremen, dem Saarland und Hessen per Anschlusssatzung angeschlossen.
Im Wesentlichen ist Folgendes vorgesehen:
Mit den Änderungen im Gesetz über das Notarversorgungswerk Köln soll das Versorgungsrecht der Notarinnen und Notare modernisiert und an die gesellschaftlichen Berufsanforderungen angepasst werden.
Das Notarversorgungswerk Köln soll durch die neue Regelung zukünftig satzungsautonom die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft selbst bestimmen.
Die Novelle des Baukammerngesetzes NRW soll das Versorgungswerk der Architektenkammer stärken und modernisieren – vor allem durch eine neue Leitungsstruktur.
Ziel ist es, eine flexible und risikobewusste Führung zu ermöglichen, damit das Versorgungswerk auf Entwicklungen am Kapitalmarkt und andere Veränderungen angemessen reagieren kann.
Vor diesem Hintergrund soll die hauptamtliche Geschäftsführung, ebenso wie bei anderen Versorgungswerken in Nordrhein-Westfalen, Organstatus erhalten und zukünftig die operative Verantwortung innehaben.
Die Überwachung der Geschäftsführung wird durch den neuen Verwaltungsrat erfolgen. Satzungsgebendes Organ soll zukünftig die eigene Vertreterversammlung des Versorgungswerks sein.
Die Einzelheiten, insbesondere die Besetzung, die Amtsperiode der Organmitglieder sowie die Aufgaben der Organe, sollen durch die Satzung des Versorgungswerks geregelt werden. Das stärkt die Selbstverwaltungsautonomie und wirkt zugleich entbürokratisierend.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf stärken wir die berufsständische Versorgung und passen sie an die Berufs- und Lebenswirklichkeit an. Dabei sichern wir bewährte Strukturen, entwickeln diese gezielt weiter und passen sie flexibel an die sich wandelnden beruflichen Anforderungen sowie die vielfältigen Lebensrealitäten an. So schaffen wir eine zukunftsfähige Grundlage, die den Bedürfnissen der Berufsgruppen gerecht wird, und gewährleisten eine stabile soziale Absicherung.
Zu TOP 18 – Viertes Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst – zu Protokoll gegebene Rede
Herbert Reul, Minister des Innern:
Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Fachhochschulgesetzes für den öffentlichen Dienst gehen wir einen weiteren Schritt, um die Ausbildung für die öffentliche Verwaltung zukunftsfest zu machen.
Im Jahr 1972 – also vor über 50 Jahren – wurde entschieden, den gehobenen Dienst – die heutige Laufbahngruppe 2.1 – auf Fachhochschulniveau auszubilden und dafür Fachhochschulen zu errichten. Das war der Startschuss für die bis heute für das Hochschulwesen der öffentlichen Verwaltung tragenden drei Säulen:
– die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV NRW),
– die Hochschule für Finanzen (HSF NRW) und
– die Fachhochschule für Rechtspflege (FHR NRW).
Das hierfür gültige Fachhochschulgesetz stammt allerdings aus dem Jahr 1984 und hat in der letzten Woche seinen 41. Geburtstag gefeiert. Grundlegende Veränderungen gab es in all den Jahren nur an wenigen Stellen. Im Sinne der Hochschulentwicklung ist es also höchste Zeit, hier weiter zu entstauben. Noch bis zum Ende der Legislaturperiode habe ich daher eine umfassende Novellierung geplant.
Doch in Teilen besteht bereits jetzt akuter Anpassungsbedarf. Hierzu dient diese vorgezogene, eher technische Novelle.
Für die Entwicklung innerhalb der Laufbahngruppe 2 braucht es nach der Laufbahnverordnung ein Masterstudium, das in Verbindung mit bisheriger Ausbildung, Qualifizierung und beruflichen Tätigkeiten geeignet ist, zu neuen Aufgaben zu befähigen. Die Möglichkeit, einen Masterstudiengang anzubieten, braucht eine gesetzliche Grundlage.
Diese Grundlage hat bislang nur die HSPV NRW. Sie bietet bereits erfolgreich einen eigenen Masterstudiengang an, den „Master of Public Management“.
Auch das Ministerium der Finanzen möchte nun die Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung durch ein Masterstudium nutzen. Mit dem Änderungsgesetz sollen erforderliche Ermächtigungen für einen Masterstudiengang und für Weiterbildungsangebote geschaffen werden. Damit kann zum Beispiel eine Prüfungsordnung erlassen werden. Auch können Studienbeiträge für den Masterstudiengang und für andere Weiterbildungsangebote erhoben werden.
An der HSPV NRW haben wir außerdem bereits erfolgreich die Möglichkeit kooperativer Promotionsverfahren eingeführt. Auch die HSF NRW erhält hierfür nun eine entsprechende Rechtsgrundlage. So wird eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen ermöglicht.
Die Bedeutung der verwaltungsinternen Fachhochschulen muss auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Für die HSPV NRW und die HSF NRW wurde bereits 2019 eine Umbenennung in „Hochschule“ beschlossen. Das entspricht der allgemeinen Hochschulentwicklung.
Für die FHR NRW im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz soll dieser Schritt nun auch vollzogen werden. Die „Fachhochschule für Rechtspflege“ soll deshalb künftig „Hochschule der Justiz Nordrhein-Westfalen“ heißen. Damit wird eine einheitliche Namengebung aller drei Hochschulen des öffentlichen Dienstes erreicht.
Zugleich wird mit der Umbenennung auch für alle deutlich, dass die Hochschule für Tätigkeiten in der Justiz ausbildet. Der neue Name umfasst nun alle dort angebotenen Studiengänge.
All das und diverse redaktionelle Änderungen sind Anpassungen, die nicht länger warten konnten. Es ist noch nicht der große Wurf, der das in die Jahre gekommene Gesetz entstaubt, doch an der großen und umfassenden Novelle wird bereits gearbeitet.
Zu TOP 19 – Gesetz zur Änderung des Schülerinnen- und Schülerdatenübermittlungsgesetzes NRW – zu Protokoll gegebene Rede
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales:
Im Oktober 2023 ist das Gesetz zur Übermittlung von Schülerinnen- und Schülerdaten am Übergang von der Schule in den Beruf in Kraft getreten.
Aufgrund dieses Gesetzes sind im letzten Jahr erstmalig Daten von Schülerinnen und Schülern ohne Anschlussperspektive an die Agenturen für Arbeit gesendet worden, damit diese entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung den betroffenen Schülerinnen und Schülern Angebote zur Berufsberatung und Berufsorientierung unterbreiten konnten.
Aufgrund der ersten Umsetzungserfahrungen sollen mit der vorliegenden Gesetzesänderung einzelne bestehende Regelungen angepasst werden. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass noch nicht alle jungen Menschen das Beratungsangebot der Agenturen für Arbeit in Anspruch nehmen.
Vorgesehen sind geringfügige Änderungen beim Identifizierungs- und Übermittlungszeitraum, um künftig auch diejenigen jungen Menschen zu erfassen und ihre Daten an die Agenturen für Arbeit zu übermitteln, die die Schulen unterjährig ohne voraussichtliche Anschlussperspektive verlassen werden.
Vor allem aber soll mit einer Ergänzung im Gesetz nun auch die vom Bundesgesetzgeber in § 31a Abs. 2 SGB III ermöglichte Übermittlung der Schülerinnen- und Schülerdaten von den Agenturen für Arbeit an eine nach Landesrecht bestimmte Stelle umgesetzt werden.
Sofern die Agenturen für Arbeit die in Rede stehenden Schülerinnen und Schüler nicht erreicht haben bzw. diese die Beratungsangebote nicht angenommen haben, wird künftig gesetzlich bestimmt, dass in Nordrhein-Westfalen auch die Kommunen und Kreise diese Schülerinnen- und Schülerdaten abrufen können. Damit soll es den Kommunen bzw. Kreisen künftig ermöglicht werden, auf die jungen Menschen ohne Ausbildungsperspektive zuzugehen und ihnen, im Rahmen ihrer bereits bestehenden Aufgaben und Zuständigkeiten, weitere Angebote zu unterbreiten.
Die Ausgestaltung der Ansprache und der weiteren Angebote an die jungen Menschen obliegt dabei allein den zuständigen Stellen. Somit wird der kommunale Aufgabenbestand durch den Gesetzentwurf nicht berührt. Vielmehr wird mit dem Änderungsgesetz eine Infrastruktur zum Zweck bestehender Aufgaben, die an anderer Stelle rechtlich verankert sind, geschaffen. Damit wird auch das Konnexitätsprinzip gewahrt.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Schülerinnen- und Schülerdatenübermittlungsgesetzes NRW werden in Nordrhein-Westfalen künftig noch mehr Möglichkeiten genutzt, um junge Menschen ohne eine Anschlussperspektive beim Übergang von der Schule ins Berufsleben auch noch nach der Schule zu kontaktieren. Damit sollen sie in den Berufsberatungsprozess integriert werden.
Die Landesregierung verfolgt das Ziel, möglichst niemanden zu verlieren und allen jungen Menschen ein Angebot zur Verfügung zu stellen, mit dem sie den Weg in ihre berufliche Perspektive erreichen können. Wir sind davon überzeugt: Wer beruflich ausgebildet ist, hat die beste Grundlage für ein glückliches und selbstbestimmtes Leben.
Zu TOP 20 – Gesetz zur Änderung des Kurortegesetzes – zu Protokoll gegebene Rede
Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales:
Heilbäder und Kurorte in Nordrhein-Westfalen leisten mit präventiven Maßnahmen einen wichtigen Beitrag für eine hochwertige und bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung.
Seit letztem Jahr hat sich das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Dialog mit Interessensvertreterinnen und Interessensvertretern aus dem Bereich der Kurorte und Heilbäder intensiv mit Möglichkeiten zur Stärkung der Kurorte und Heilbäder beschäftigt.
Ein wichtiges Anliegen, das sowohl im Landesfachbeirat für Kurorte, Erholungsorte und Heilquellen als auch auf der Kurortekonferenz „Heilbäder und Kurorte – Gesundheitskompetenz mit Zukunft“ am 29. November 2024 angesprochen wurde, war die Entschlackung des Verfahrens zur Anerkennung von Kurorten im Hinblick auf die Voraussetzungen des Baurechts. Dieses ist mit hohem zeitlichem und bürokratischem Aufwand für die antragstellende Gemeinde verbunden, aber für den Zweck der Anerkennung als Kurort nicht erforderlich.
Zudem soll die Verpflichtung zur Darstellung des Nichtraucherschutzes entfallen, da nach dem Nichtraucherschutzgesetz NRW die Beachtung des Nichtraucherschutzes bereits vorgeschrieben ist.
Das heute zur ersten Lesung eingebrachte Änderungsgesetz greift dieses Anliegen auf, um künftige Anerkennungsverfahren zu entbürokratisieren und zu beschleunigen.
Das Gesetz über Kurorte im Land Nordrhein-Westfalen (KOG) bestimmt die Voraussetzungen, welche Gemeinden oder Ortsteile von Gemeinden erfüllen müssen, um als Erholungsort, Kurort oder Heilbad staatlich anerkannt zu werden. Zu diesen Voraussetzungen zählen unter anderem ortsgebundene Heilmittel, aber auch Heilverfahren (zum Beispiel Kneipp) sowie die kurörtliche Infrastruktur (zum Beispiel Kurpark und Gesundheitseinrichtungen).
Bisher ist zudem Voraussetzung für die staatliche Anerkennung, dass ein der Artbezeichnung entsprechendes Kurgebiet und dessen Darstellung und Erläuterung im Flächennutzungsplan nachgewiesen wird. Des Weiteren ist ein der Artbezeichnung entsprechender Ortscharakter und dessen Sicherung durch die Bauleitplanung erforderlich.
Es handelt sich um Vorgaben, die die Durchführung von Verfahren nach dem Baugesetzbuch, nämlich die Änderung des Flächennutzungsplans und des daraus zu entwickelnden Bebauungsplans, notwendig machen. Insbesondere das Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans hat dazu geführt, dass eine Prädikatisierung erst nach mehreren Jahren erfolgen konnte, obwohl alle anderen nach dem Kurortegesetz geforderten Anerkennungsvoraussetzungen vorlagen.
Von der Darstellung des Kurgebiets im Flächennutzungsplan und der verpflichtenden Sicherung des Ortscharakters im Bebauungsplan sollen die Gemeinden befreit werden, um langwierige und aufwendige Verfahren nach dem Baurecht zu vermeiden. Zukünftig soll beides nur noch in einer einfachen gemeindlichen Satzung dargestellt bzw. gesichert werden.
Die angestrebte Gesetzesänderung hat drei wesentliche Vorteile zur Entbürokratisierung, Beschleunigung und Kostenreduzierung des Anerkennungsverfahrens:
1. Anstatt des bisher zweistufigen Anhörungsverfahrens ist zukünftig nur noch ein einstufiges Anhörungsverfahren erforderlich.
2. Anstatt der Durchführung einer umfassenden Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange bei der Änderung des Flächennutzungsplans ist zukünftig nur noch eine Beteiligung der Träger erforderlich, die durch das Kurgebiet und den Ortscharakter betroffen sind.
3. Dadurch werden sich auch personelle Aufwände der Gemeinden sowie die mit dem Anerkennungsverfahren verbundenen Kosten reduzieren.
Zur Entbürokratisierung, Beschleunigung und Kostenreduzierung zukünftiger Anerkennungsverfahren soll mit diesem Gesetzentwurf das Kurortegesetz entsprechend angepasst werden. Dies stellt einen Beitrag zur Entlastung der Kurorte dar.