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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/74

17. Wahlperiode

28.11.2019

 

74. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 28. November 2019

Mitteilungen des Präsidenten. 7

1   Hat Minister Biesenbach den Landtag getäuscht?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7961. 7

In Verbindung mit:

Ein Untersuchungsausschuss, ein Minister, ein Verdacht – Wie schwer wiegen die aktuellen Vorwürfe gegen den Minister der Justiz?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7962. 7

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 7

Roger Beckamp (AfD) 9

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 10

Nadja Lüders (SPD) 12

Ralph Bombis (FDP) 14

Minister Peter Biesenbach. 15

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 17

Nadja Lüders (SPD) 18

Markus Wagner (AfD) 18

2   Für die Vielen, nicht die Wenigen: Sozialer Fortschritt für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7912. 18

Thomas Kutschaty (SPD) 19

Thorsten Schick (CDU) 21

Marcel Hafke (FDP) 23

Monika Düker (GRÜNE) 26

Dr. Martin Vincentz (AfD) 28

Minister Lutz Lienenkämper 29

Christian Dahm (SPD) 32

Markus Wagner (AfD) 34

Ergebnis. 34

3   Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/6726 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 17/7934 – Neudruck

zweite Lesung

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7968

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7969. 35

Jens Kamieth (CDU) 35

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 37

Marcel Hafke (FDP) 38

Josefine Paul (GRÜNE) 40

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 42

Minister Dr. Joachim Stamp. 43

Frank Müller (SPD) 45

Marcel Hafke (FDP) 47

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 47

Ergebnis. 48

4   Sachleistungen statt Geldleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige in Landeseinrichtungen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7905. 48

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 48

Björn Franken (CDU) 49

Eva Lux (SPD) 51

Stefan Lenzen (FDP) 52

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Stefan Lenzen (FDP) 55

Berivan Aymaz (GRÜNE) 55

Minister Dr. Joachim Stamp. 56

Rügeähnlicher Hinweis    
auf Einhaltung der parlamentarischen Ordnung,
gerichtet an Minister Dr. Joachim Stamp. 56

Ergebnis. 56

5   Zweites Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/5978

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/7935

zweite Lesung

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7966. 56

Minister Karl-Josef Laumann
zu Protokoll (s. Anlage)

Peter Preuß (CDU)
zu Protokoll (s. Anlage)

Serdar Yüksel (SPD)
zu Protokoll (s. Anlage)

Susanne Schneider (FDP)
zu Protokoll (s. Anlage)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)
zu Protokoll (s. Anlage)

Dr. Martin Vincentz
zu Protokoll (s. Anlage)

Ergebnis. 56

6   Digitaler Fortschritt für alle: Bildung, Arbeit und Teilhabe der Zukunft sicherstellen! 57

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7882. 57

Christina Kampmann (SPD) 57

Florian Braun (CDU) 58

Marcel Hafke (FDP) 60

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 62

Sven Werner Tritschler (AfD) 64

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 65

Oliver Kehrl (CDU) 67

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 69

Ergebnis. 70

7   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7200
Drucksache 17/7800 (Ergänzung)

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8000
Drucksache 17/8001
Drucksache 17/8002
Drucksache 17/8003
Drucksache 17/8004
Drucksache 17/8005
Drucksache 17/8006
Drucksache 17/8007
Drucksache 17/8008
Drucksache 17/8009
Drucksache 17/8010
Drucksache 17/8011
Drucksache 17/8012
Drucksache 17/8013
Drucksache 17/8014
Drucksache 17/8016
Drucksache 17/8020 – Neudruck

zweite Lesung

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7978

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7979

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7980

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7981

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7982

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7983

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7984

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7985

Und:

Finanzplanung 2019 bis 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 17/7201

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8019

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7203

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8018

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7202
Drucksache 17/7800 (Ergänzung)

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8017

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Unabhängige Beratung von Langzeitarbeitslosen ist ein bundesweites Vorbild – Arbeitslosenzentren (ALZ) und Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) über 2020 hinaus erhalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7903. 71

Einzelplan 04
Ministerium der Justiz

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8004

Änderungsanträge
der AfD-Fraktion
Drucksache 17/7983
Drucksache 17/7984

Sonja Bongers (SPD) 71

Angela Erwin (CDU) 72

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 73

Christian Mangen (FDP) 74

Thomas Röckemann (AfD) 75

Minister Peter Biesenbach. 76

Ergebnis. 77

Einzelplan 14
Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8014

a) Wirtschaft

Frank Sundermann (SPD) 78

Henning Rehbaum (CDU) 79

Horst Becker (GRÜNE) 80

Ralph Bombis (FDP) 82

Christian Loose (AfD) 83

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 84

b) Energie, Landesplanung. 85

Frank Sundermann (SPD) 85

Henning Rehbaum (CDU) 86

Wibke Brems (GRÜNE) 88

Jörn Freynick (FDP) 90

Christian Loose (AfD) 91

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 93

c) Innovation, Digitalisierung. 95

Christina Kampmann (SPD) 95

Florian Braun (CDU) 96

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 97

Rainer Matheisen (FDP) 98

Sven Werner Tritschler (AfD) 99

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 100

Ergebnis. 101

Einzelplan 08
Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen

a) Kommunales, GFG

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haus-haltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungsgesetzes

Stefan Kämmerling (SPD) 102

Guido Déus (CDU) 103

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 104

Henning Höne (FDP) 105

Sven Werner Tritschler (AfD) 107

Ministerin Ina Scharrenbach. 108

Stefan Kämmerling (SPD) 109

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 110

Josef Hovenjürgen (CDU) 111

Henning Höne (FDP) 113

b) Heimat, Bauen und Wohnen. 114

Andreas Becker (SPD) 114

Fabian Schrumpf (CDU) 115

Johannes Remmel (GRÜNE) 117

Stephen Paul (FDP) 118

Roger Beckamp (AfD) 119

Ministerin Ina Scharrenbach. 120

c) Gleichstellung. 122

Anja Butschkau (SPD) 122

Heike Troles (CDU) 123

Josefine Paul (GRÜNE) 124

Franziska Müller-Rech (FDP) 126

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 127

Ministerin Ina Scharrenbach. 128

Ergebnis. 130

Einzelplan 11
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8011

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7985

a) Arbeit, Soziales

In Verbindung mit:

Unabhängige Beratung von Langzeitarbeitslosen ist ein bundesweites Vorbild – Arbeitslosenzentren (ALZ) und Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) über 2020 hinaus erhalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7903

Josef Neumann (SPD) 130

Marco Schmitz (CDU) 131

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 132

Stefan Lenzen (FDP) 133

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 135

Minister Karl-Josef Laumann. 136

b) Gesundheit 137

Serdar Yüksel (SPD) 137

Peter Preuß (CDU) 138

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 139

Rainer Matheisen (FDP) 140

Dr. Martin Vincentz (AfD) 141

Minister Karl-Josef Laumann. 142

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 143

Ergebnis. 144

Einzelplan 06
Ministerium für Kultur und Wissenschaft 144

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8006

a) Kultur 144

Karl Schultheis (SPD) 144

Bernd Petelkau (CDU) 145

Oliver Keymis (GRÜNE) 146

Lorenz Deutsch (FDP) 147

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 148

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 149

b) Wissenschaft, Weiterbildung. 151

Dietmar Bell (SPD) 151

Dr. Stefan Nacke (CDU) 152

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 153

Daniela Beihl (FDP) 154

Helmut Seifen (AfD) 155

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 156

Ergebnis zu Einzelplan 06. 158

Ergebnis zu  
Änderungsantrag
Drucksache 17/7978. 158

Ergebnis zu  
Änderungsantrag
Drucksache 17/7979. 158

Ergebnis zu  
Änderungsantrag
Drucksache 17/7980. 158

Ergebnis zu  
Änderungsantrag
Drucksache 17/7981. 158

Ergebnis zu  
Änderungsantrag
Drucksache 17/7982. 158

Ergebnis zu Einzelplan 20. 159

Ergebnis zum  
GFG 2020 und zum
Gesetz zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes
Drucksachen 17/7202 und 17/7800. 159

Ergebnis zum  
Haushaltsgesetz 2020
Drucksachen 17/7200 und 17/7800. 159

Ergebnis zur  
Rücküberweisung
des Haushaltsgesetzes 2020 und
des GFG 2020
an den Haushalts- und Finanzausschuss. 159

Ergebnis zur  
Finanzplanung 2019 bis 2023
Drucksache 17/7201. 159

Anlage  161

zu TOP 5 – Zweites Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes – zu Protokoll gegebene Reden

Minister Karl-Josef Laumann. 161

Peter Preuß (CDU) 161

Serdar Yüksel (SPD) 162

Susanne Schneider (FDP) 162

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 163

Dr. Martin Vincentz (AfD) 163

Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach        
(ab 17:30 Uhr)

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Ministerpräsident Armin Laschet           
(ab 17:00 Uhr)

Minister Karl-Josef Laumann

Minister Lutz Lienenkämper      
(ab 19:30 Uhr)

Hannelore Kraft (SPD)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Nic Peter Vogel (AfD)

Alexander Langguth (fraktionslos)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle herzlich zu unserer heutigen, 74. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert hier und heute der Kollege Börschel von der Fraktion der SPD. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe auf:

1   Hat Minister Biesenbach den Landtag getäuscht?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7961

In Verbindung mit:

Ein Untersuchungsausschuss, ein Minister, ein Verdacht – Wie schwer wiegen die aktuellen Vorwürfe gegen den Minister der Justiz?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7962

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der AfD haben jeweils mit Schreiben vom 25. November 2019 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Aussprache zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik beantragt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich vor Eröffnung der Aussprache an alle Rednerinnen und Redner appellieren, bei der Teilnahme an der Diskussion die notwendige Zurückhaltung zu üben und vorgezogene Beweiswürdigungen zu unterlassen.

Dieser Hinweis erfolgt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss II seine Beweiserhebung noch nicht abgeschlossen hat. Eine vorgezogene Beweiswürdigung würde nach meinem Empfinden dem Gebot rechtsstaatlicher Fairness widersprechen. Für Mitglieder des Untersuchungsausschusses ist dieses Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung sogar ausdrücklich im Untersuchungsausschussgesetz geregelt. – Ich danke Ihnen dafür, dass Sie das so zur Kenntnis nehmen.

(Christian Dahm [SPD]: Dann sollten wir einmal die Redeliste überprüfen, Herr Präsident! – Zurufe von der CDU und den GRÜNEN)

Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der Grünen dem Abgeordneten Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde im Landtag beantragt, weil ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum steht. Es steht nämlich der Verdacht im Raum, dass ein Regierungsmitglied im Zeugenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hackerangriff/Stabsstelle“ die Unwahrheit gesagt hat.

Wir erwarten, dass der Justizminister heute zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen im Parlament eindeutig Stellung bezieht und heute hier aufklärt. Denn sollte sich bestätigen, dass der Minister im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gelogen hat, ist er als Justizminister nicht mehr tragbar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im März 2018 gibt die Staatskanzlei bekannt, dass die damals amtierende Umwelt- und Landwirtschaftsministerin, Frau Schulze Föcking, Opfer eines Hackerangriffs geworden sei. Wie sich später herausstellt, handelt es sich lediglich um einen Bedienfehler eines Familienmitglieds – ebenso wie beim zweiten gemeldeten Hackerangriff.

Am Abend des 29. März 2018 ist der ermittelnde Oberstaatsanwalt auf dem Hof der Familie Schulze Föcking, um ihr dies mitzuteilen. Genau zu diesem Zeitpunkt ruft Justizminister Biesenbach auf dem Handy des Oberstaatsanwaltes an, um sich, wie er später im Untersuchungsausschuss aussagt, einfach erklären zu lassen, wie der vermutete Bedienfehler technisch möglich gewesen sei.

Ich zitiere aus dem öffentlichen Protokoll, Herr Präsident, des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Herr Biesenbach hat damals zu Protokoll gegeben: Ich wusste nicht, dass er – also der Oberstaatsanwalt – zu dem Zeitpunkt auf dem Hof von Frau Schulze Föcking war.

Der Minister versicherte im Untersuchungsausschuss, er habe in diesem Telefonat keinen Einfluss auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen zum vermeintlichen Cyberangriff auf das Privathaus von Frau Schulze Föcking genommen.

Das Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt dauert sieben Minuten, von 19:06 Uhr bis 19:13 Uhr.

Um 19:14 Uhr, exakt eine Minute später, ruft der Minister seine damalige Kabinettskollegin, Frau Schulze Föcking, auf deren Handy an. Dieses Telefonat zwischen den beiden Kabinettskollegen dauert eine Minute.

Auf die Frage des Vorsitzenden im Untersuchungsausschuss im Juli dieses Jahres – ich zitiere den Kollegen Körfges; er hat den Zeugen Biesenbach befragt – „Über diesen, ich sage mal, Termin vor Ort haben Sie mit der Frau Schulze Föcking persönlich nie gesprochen, auch im Nachhinein nicht?“ antwortet der Zeuge Peter Biesenbach wörtlich – klar und deutlich und kurz – mit: Nein.

Frau Schulze Föcking gibt im Untersuchungsausschuss an, sich an kein Telefonat über das seinerzeit anhängige Ermittlungsverfahren mit Minister Biesenbach erinnern zu können.

Minister Biesenbach erklärt am 24. November 2019 in der WDR-Sendung „Westpol“, sich ebenfalls nicht an diesen Anruf und dessen Inhalt erinnern zu können, führt dann aber weiter aus, dass er sich aber ganz genau erinnern kann, niemals über das Ermittlungsverfahren mit der damaligen Kabinettskollegin gesprochen zu haben.

Ich fasse zusammen: Der Justizminister ruft den ermittelnden Oberstaatsanwalt zufällig dann an, als dieser sich auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet. Im direkten Anschluss daran, eine Minute später, ruft der Minister Frau Schulze Föcking an. Beide Teilnehmer des Gespräches geben an, sich nicht an das Gespräch und dessen Inhalt zu erinnern. Herr Minister Biesenbach ist sich aber sicher, zu wissen, dass er niemals mit Frau Schulze Föcking über das Ermittlungsverfahren gesprochen hat.

(Heiterkeit von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Christian Dahm [SPD]: So!)

Lieber Herr Minister Biesenbach, wer soll Ihnen das glauben? Wer soll Ihnen diese Geschichte glauben?

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wer soll Ihnen glauben, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem siebenminütigen Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt, der sich zufälligerweise auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet, und dem direkt anschließenden Telefonat mit Frau Schulze Föcking selbst, bei dem es zufälligerweise dann ja um etwas anderes ging, gibt und dass Sie sich beide zufälligerweise nicht mehr erinnern können? Erinnerungslücke bei beiden Beteiligten im Kollektiv!

Das kennen wir ja von dieser Landesregierung – Kabinettsamnesie. Herr Reul hatte auch so einen Amnesieanfall, als es beim Hambacher Wald darum ging, ob er mit Vertretern von RWE mal über die geplante Rodung gesprochen hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das scheint ja fast ein Virus im Kabinett Laschet zu sein.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Den gibt es nicht! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Zu Ihnen kommen wir auch noch, Herr Laschet!)

Herr Biesenbach, ich frage Sie noch einmal. Denn ich halte mir immer die konkrete Situation vor Augen. Sie beenden das Telefonat mit dem ermittelnden Oberstaatsanwalt und rufen direkt danach die damalige Ministerin an, die ja im laufenden Ermittlungsverfahren Zeugin ist. Ich frage Sie: Wie realistisch ist das im Leben? Wie realistisch ist man, wenn man glaubt, dass es nichts miteinander zu tun hat, wenn man erst sieben Minuten mit dem Oberstaatsanwalt telefoniert und sich dann umdreht und die Kabinettskollegin anruft? Ich kann das einfach nicht glauben. Ich kann das nicht glauben!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bitte kommen Sie mir gleich nicht mit der Theorie, die ich gestern schon auf den Fluren des Landtags gehört habe, dass Ihr Handy sich einfach selbstständig gemacht hat, quasi in der Hosentasche.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Dietmar Bell [SPD]: Bedienfehler! – Christian Dahm [SPD]: Ein Hackerangriff!)

Das haben gestern ein paar Leute erzählt. Sie haben gar nicht aktiv Frau Schulze Föcking angerufen. Das lag nur an der nicht aktivierten Tastensperre Ihres Handys. Das Handy hat also automatisch die Nummer Ihrer damaligen Kabinettskollegin gewählt.

Ganz ehrlich: Diese Theorie ist doch so etwas von albern. Ich gehe darauf nicht weiter ein. Wer es glaubt, wird selig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein anderer Punkt, der mich in dieser Geschichte beschäftigt, ist folgender: Hat der Justizminister wirklich in seinem Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt keinen Einfluss auf die Ermittlungen genommen? Oder haben wir es bei Peter Biesenbach hier nicht mit einem Wiederholungstäter zu tun?

Ich erinnere an das Jahr 2003. Damals ging es darum, dass ein Schöffe von seiner Tätigkeit entbunden werden wollte.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Da haben Sie zum Telefon gegriffen und den Richter angerufen. Sie haben nachher gesagt, Sie wollten nur einem Freund helfen. Verteidigung und Staatsanwaltschaft sprachen im Anschluss von einem unsäglichen und skandalösen Vorgang.

Ich frage Sie heute – damit komme ich zum Schluss –: Kann es sein, dass Peter Biesenbach als Minister versucht hat, seine Kabinettskollegin zu schützen, indem er in einem Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt wieder einmal auf die Justiz Einfluss nehmen wollte?

Ich frage Sie: Kann es sein, dass er die Kabinettskollegin genau darüber informiert hat und nun versucht, mit Verweis auf Gedächtnisschwund sein politisches Überleben zu sichern? Oder kann es sein, dass das alles nur ganz großer Zufall war?

Ich finde, dass das Parlament und die Öffentlichkeit hier und heute ein Recht auf umfassende Aufklärung dieser Geschichte haben. Ich habe mich selber gefragt, ob das glaubwürdig ist.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit ist deutlich überschritten. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ich kann Ihnen das einfach nicht glauben. Meine Fraktion kann Ihnen das auch nicht glauben. Für uns, lieber Herr Minister Biesenbach, haben Sie an dieser Stelle eindeutig Ihre Glaubwürdigkeit verspielt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Herr Beckamp das Wort.

Roger Beckamp (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es hier heute? Zunächst geht es um einen Untersuchungsausschuss. Am 15. März 2018 behauptete die damalige Ministerin Schulze Föcking bzw. ein Regierungssprecher, unbekannte Täter hätten sich Zugriff auf das WLAN-Netzwerk im Privathaus der Familie Schulze Föcking verschafft. Der Regierungssprecher sprach von „offenkundig kriminellen Eingriffen in die Privatsphäre der Ministerin“. Die Landtagsfraktionen CDU, SPD, FDP und Grüne solidarisierten sich daraufhin mit der Ministerin.

Bereits am 18. April 2018 wurde Frau Schulze Föcking das Ergebnis der Untersuchung des LKA mitgeteilt, dass die Videoübertragung unbemerkt und unbeabsichtigt durch ein für das Heimnetz berechtigtes Gerät in einer anliegenden Wohnung der Familie ausgelöst wurde. Kurzum: Fehler der Fernbedienung, Bedienfehler. Viel Lärm um nichts!

Der Landtag hat allerdings noch am 26. April 2018 über den angeblichen Hackerangriff gesprochen und erneut Solidarität mit Frau Schulze Föcking bekundet. Die damalige Ministerin schwieg, sodass die tatsächlichen Umstände erst am 7. Mai 2018 öffentlich bekannt wurden.

Am 15. Mai 2018 trat sie dann zurück. Das war es.

Das war es nicht ganz. Den Fehler der Fernbedienung sowie das zumindest seltsame Verhalten der Ministerin und des Regierungssprechers nahmen sodann SPD und Grüne zum Anlass für einen Untersuchungsausschuss. Was der soll? Tja. Parlamentarisches Getue; bisher ein großer Sturm im kleinen Wasserglas.

Was das kostet, kann ich Ihnen sagen: jeden Monat 11.000 Euro, und zwar fünfmal 11.000 Euro, nämlich für jede Fraktion. Das sind 55.000 Euro im Monat für diesen Ausschuss, also 660.000 Euro im Jahr. Wofür? Man weiß es nicht genau. Das Ganze läuft zwei Jahre. Die Kosten der Verwaltung kommen noch hinzu. Erkenntnisgewinn: bisher null.

Aber geschenkt! Es sind halt schöne Posten für verdiente Parteisoldaten. Das System versorgt sich selber. Man kann es ja auch.

(Beifall von der AfD)

Heute geht es in der Tat um Herrn Minister Biesenbach. Anlass ist seine Zeugenaussage vom 8. Juli 2019 im vorgenannten Ausschuss. In der Ausschusssitzung hat Herr Minister Biesenbach eingestanden, dass er den damals ermittelnden Staatsanwalt kontaktiert hat, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen. So weit, so gut.

Nun wurde bekannt, dass der Minister kurz nach diesem Telefonat seine Kabinettskollegin, Frau Schulze Föcking, angerufen hat. Davon hat er im Ausschuss nichts gesagt, vielmehr auf Nachfrage ein Telefonat mit ihr hierzu verneint.

Was ist das Problem? Das Problem ist, ob der Minister Einfluss auf die Ermittlungen genommen hat, ob er mit Frau Schulze Föcking über den Ermittlungsstand sprach und ob er hierüber vor dem Ausschuss falsch ausgesagt hat; denn das wäre strafbar.

Auf die Frage – Herr Engstfeld hat es schon zitiert – „Haben Sie mit Frau Schulze Föcking persönlich nie über den Termin vor Ort gesprochen, auch im Nachhinein nicht?“ sagte der Minister im Ausschuss: Nein.

Herr Minister, ich glaube Ihnen das. Aber das hilft nicht sonderlich. Wer bin ich schon?

Denn nun zeigen Telefondaten, die dem WDR vorliegen und jetzt veröffentlicht wurden, dass der Minister tatsächlich am Nachmittag des 29. März 2018 zuerst mit dem Oberstaatsanwalt und unmittelbar danach mit Frau Schulze Föcking sprach.

Was kann Herr Minister Biesenbach in diesem Fall tun? Er hat zwei Möglichkeiten.

Erste Möglichkeit: Er bezeugt in dieser Situation die Wahrheit, so wie ich sie verstehe. In unserem Fall sagt er also sinngemäß: Ja, ich habe mehrere Minuten mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt telefoniert, der gerade auf dem Hof Schulze Föcking war, um in der Sache zu ermitteln. Und eine Minute später habe ich Frau Schulze Föcking angerufen. Ich habe aber nicht über die laufenden Ermittlungen gesprochen. Ich habe nicht über das Telefonat zwei Minuten vorher gesprochen. Das war alles reiner Zufall. – So hätte er sinngemäß antworten können.

Was denken Sie sich dabei? Herr Engstfeld hat es eben schon ausgemalt. Ist das glaubwürdig oder glaubhaft? Nein, leider nicht, leider gar nicht. Es ist eher lebensfremd, geradezu abwegig, und sei es auch wahr. Daher läuft er Gefahr, dass man ihm keinen Glauben schenkt. In der Folge könnte er wegen Falschaussage bestraft werden, obwohl es vielleicht wahr ist.

Zweite Möglichkeit: Er verschweigt die unglaubhaften Aussagebestandteile, also den Anruf bei Frau Schulze Föcking, oder – noch besser – er kann sich nicht erinnern. Er sagt also sinngemäß: Ich habe sie nicht angerufen. Also, ich kann mich nicht erinnern. Jedenfalls habe ich auf keinen Fall mit ihr über die Ermittlungen gesprochen.

Dann macht er sich wegen Falschaussage strafbar, wenn herauskommt, dass das nicht stimmt.

Sie merken mit mir: Herr Minister Biesenbach ist in einem Dilemma, und sei es auch wahr. Die Geschichte ist einfach nicht glaubhaft.

Was tun? Es ist wirklich verzwickt. Am besten wäre in der Tat – Herr Engstfeld, Sie haben es mir leider vorweggenommen – der sogenannte Hosentaschenanruf gewesen. Irgendwie wurde aus Versehen auf irgendeinem Telefon in der Hosentasche irgendeine Nummer gedrückt, und irgendjemand wurde angerufen. Das war zufälligerweise Frau Schulze Föcking, die zufälligerweise direkt nach dem Anruf bei dem Oberstaatsanwalt angerufen wurde.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Das ist nicht plausibel. Der sogenannte Hosentaschenanruf ist leider nicht plausibel – aber plausibler als alles andere, was sonst bisher erzählt wurde.

Lassen wir es also bei den Erinnerungslücken. Sie sind bei Politikern durchaus bekannt und bewertbar, auch wenn es sie nicht gerade glaubwürdig macht.

Ein Tipp von mir: Demnächst einfach ein anderes Handy benutzen! – Danke.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Dr. Geerlings das Wort.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Engstfeld, Sie haben hier aus meiner Sicht eine fragwürdige Beweiswürdigung vorgenommen. Offensichtlich haben Sie dem Landtagspräsidenten nicht so genau zugehört. Das ist jedenfalls fragwürdig.

Eines ist allerdings nicht fragwürdig. Wenn ich Ihre Aussage würdige, kann ich nur sagen: Sie haben in mehr als sieben Minuten über eine Minute nichts Substanzielles von sich gegeben.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Der Vorwurf, dass ein Minister die Nichtwahrheit gesagt habe, muss aufgeklärt werden. Er ist schwerwiegend.

Doch kann ich Ihnen direkt zu Beginn eine Feststellung nicht ersparen: Die Debatte über die Frage, ob ein Zeuge in einem Untersuchungsausschuss die Wahrheit oder die Unwahrheit gesagt hat, gehört hier überhaupt nicht hin. Sie gehört zuallererst im Rahmen der Beweiswürdigung in den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss selbst.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Oder sie ist, wenn der Anfangsverdacht strafbaren Handelns besteht, Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Sie ist aber keine Angelegenheit des Parlaments, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wenn das Parlament die Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts in einen Untersuchungsausschuss verweist, dann muss es die verfahrensrechtlichen Bedingungen akzeptieren, unter denen die Aufklärungsmaßnahmen stattfinden sollen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Dann finden Zeugenvernehmungen, Beweiswürdigungen und alles, was mit dem Verfahren zu tun hat, dort statt – und nicht mehr im Plenum des Landtags.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Sie können sich ja später noch einmal äußern. Bleiben Sie einmal ruhig.

Insbesondere das Beweiserhebungsrecht steht gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 2 unserer Landesverfassung ausschließlich dem Untersuchungsausschuss zu, nicht aber dem Plenum.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Es wäre nicht erlaubt, dem Minister der Justiz Medienberichte vorzuenthalten und ihm eine Zeugenaussage abzufordern. Denn als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss hat er bestimmte Rechte, die ihm vor dem Parlament eben nicht eingeräumt sind.

Sie unternehmen hier den unzulässigen Versuch, die Beweiserhebung in das Parlament zu transferieren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Christian Dahm [SPD]: Das hätte der Präsident doch ablehnen können! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Unruhe – Glocke)

Ich appelliere an Sie: Führen Sie diese Debatte dort, wo sie hingehört, nämlich im Untersuchungsausschuss.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Das wird nicht besser, wenn Sie laut schreien.

Die SPD-Fraktion hat bereits angekündigt, den Minister der Justiz und die ehemalige Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz vor dem Untersuchungsausschuss unter Eid aussagen zu lassen.

Sorry; auch das kann ich Ihnen nicht ersparen: Nordrhein-Westfalen sieht einen Zeugeneid im Untersuchungsausschuss ausdrücklich nicht vor. Aber dennoch warten wir diese Debatte und die dortigen Ergebnisse ab.

(Christian Dahm [SPD]: Aber Amtshilfe kennen Sie, Herr Kollege?)

Andere Ergebnisse müssen wir gar nicht erst abwarten, nämlich die Ergebnisse staatsanwaltlicher Untersuchungen. Bereits zu Wochenbeginn hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf geprüft, ob ein Anfangsverdacht insbesondere für eine falsche uneidliche Aussage vor dem Untersuchungsausschuss vorliegen könnte.

Sie hat für die Prüfung keine 24 Stunden benötigt, um sich zum Sachverhalt zu äußern. Ich zitiere aus der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 26. November 2019:

„Der Umstand, dass ein Telefonat unbekannten Inhalts stattgefunden hat, ist nach Bewertung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nicht ausreichend für die Annahme zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben von Minister Biesenbach oder Staatsministerin a. D. Schulze Föcking zu bestimmten Gesprächsthemen vor dem Untersuchungsausschuss unrichtig gewesen sind.

Vor diesem Hintergrund liegt ein Anfangsverdacht für eine Straftat, der – ungeachtet der hier zusätzlich zu beachtenden strafrechtlichen Immunität von Landtagsabgeordneten – unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme von Ermittlungen ist, nicht vor.“

Ein Anfangsverdacht liegt nicht vor.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der AfD – hier in seltener Einigkeit –, spätestens nach dieser Mitteilung der Staatsanwaltschaft hätten Sie den Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eigentlich zurückziehen müssen:

(Beifall von der CDU und der FDP)

Clausula rebus sic stantibus – Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Dass Sie das nicht getan haben, lässt tief blicken und zeigt Ihre eigentlichen Motive.

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Es geht Ihnen nicht um Wahrheitsfindung, sondern um Skandalisierung.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wieder einmal erfinden Sie einen Skandal. Wieder einmal machen Sie Klamauk. Wieder einmal werfen Sie mit dem Dreck, damit irgendetwas davon möglicherweise hängen bleibt.

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Wahlperiode bereits jetzt vier Parlamentarische Untersuchungsausschüsse.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Unruhe – Glocke)

Werfen wir doch einmal einen vergleichenden Blick auf die Gegenstände unserer vier Untersuchungsausschüsse.

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss I „Fall Amri“ untersuchen wir, wie es dazu kommen konnte, dass zwölf Menschen am 19. Dezember 2016 am Breitscheidplatz ermordet wurden. Das war der bislang schlimmste Terroranschlag auf deutschem Boden.

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss III „Kleve“ geht es darum, dass ein Häftling infolge tragischer Verwechslungen zu Tode gekommen ist, nachdem er in seiner Zelle einen Brand gelegt hatte.

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss IV „Kindesmissbrauch“ untersuchen wir die Hintergründe des vielfach sexualisierten Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde. Dieser Fall zählt zu den schlimmsten überhaupt und berührt unsere Herzen tief.

(Christian Dahm [SPD]: Sprechen Sie einmal zur Sache, Herr Kollege!)

Im hier relevanten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss II geht es um die fehlerhafte Bedienung eines Fernsehers oder Tablets auf einem Bauernhof im Münsterland und deren Folgen.

(Zuruf: Nein, darum geht es nicht mehr! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Die Bewertung überlasse ich Ihnen. Untersuchungsausschüsse sind dafür da, schwerwiegende Fehler und Versäumnisse mit schlimmen Folgen aufzuklären. Sie eignen sich nicht für politische Spielchen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Schauen wir noch einmal auf die Fakten: Der Minister hat sämtliche Telefondaten gespeichert und nicht etwa gelöscht. Als er am 8. November 2019 eine Verbindungsübersicht erhalten hat, hat er sie unaufgefordert und unverzüglich am 14. November 2019 dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses schriftlich berichtet. – So weit die Fakten.

So eine Vorgehensweise, so ein transparentes Verfahren hätten wir uns vor einigen Jahren gewünscht.

Erinnern wir uns nur einmal an den Sommer 2016 und den Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht. „Kölner Polizei löschte Telefondaten“ titelte die „Rheinische Post“ am 13. Juli 2016. Damals wurde unter SPD-Innenminister Jäger zugelassen, dass Telefondaten im Kölner Polizeipräsidium gelöscht wurden.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb konnten nur noch die Daten ab – oh Wunder! – dem 2. bzw. 3. Januar 2016 rekonstruiert werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Das war auch kein Einzelfall. Am 14. April 2016 titelte die „WAZ“: „Kraft hält Unterlagen unter Verschluss“.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

In diesem Artikel heißt es – Zitat –:

„So fehlten in den an den Untersuchungsausschuss übersandten Akten die Mailkommunikation der Ministerpräsidentin, des Innenministers und des Regierungssprechers sowie zahlreiche Vermerke, Besprechungsprotokolle und Nachweise über Telefongespräche“.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wenn in diesem Hause jemand gemauert und Informationen zurückgehalten hat, dann war das die rot-grüne Landesregierung mit Innenminister Ralf Jäger und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wer mehrfach das Recht eines Untersuchungsausschusses so sträflich missachtet hat, sollte vor der eigenen Haustüre kehren und nicht für kurzfristige Geländegewinne scheinheilig argumentieren.

(Christian Dahm [SPD]: Was für ein Ablenkungsmanöver!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum haben Sie nicht den in Ihrem Antrag zugrunde gelegten Maßstab damals an Ihr eigenes Regierungshandeln unter Rot-Grün gelegt?

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Dann wären uns viele rot-grüne Regierungsjahre erspart geblieben. – Vielen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Stefan Zimkeit [SPD] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat die Abgeordnete Frau Lüders das Wort.

Nadja Lüders (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Hinweis vorab, Herr Dr. Geerlings: Bei der Beantragung einer Aktuellen Stunde prüft der Präsident, ob sie zulässig ist oder nicht, nicht aber die beantragenden Fraktionen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wissen nun: Herr Biesenbach, unser Justizminister, wird gerade nicht strafrechtlich verfolgt, gerade nicht. Wer weiß, was noch kommt.

(Zuruf von der CDU: Frechheit! – Zurufe von der FDP – Unruhe)

Offenbar scheinen sich genau damit die regierungstragenden Fraktionen ausreichend zufriedenzugeben.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Bodo Löttgen [CDU]: Wer weiß, was bei Ihnen noch kommt!)

Ausreichend zufriedenzugeben. – Mein Anspruch an den Justizminister ist ein anderer. Mein Anspruch an einen Justizminister ist Aufrichtigkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, mir im Parlament geht es nicht um die strafrechtliche Würdigung von Aussagen, sondern hier geht es um die Würde dieses Amtes.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie, Herr Biesenbach, sind oberster Repräsentant der Judikative hier in NRW. Ihre Rolle sieht vor, dass Sie als Verfassungsminister Hüter von Recht und Gesetz, oberster Dienstvorgesetzter von Richtern und Richterinnen, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sind. Deswegen ist es entscheidend wichtig, dass die Menschen hier in NRW auf unsere Institution vertrauen können.

Können sie aber auch diesem Justizminister vertrauen? Denn wie soll man jemandem vertrauen, der sich angeblich an ein Telefonat mit einer Kabinettskollegin nicht mehr erinnern kann, sehr wohl aber daran, dass er über den Inhalt eines Gesprächs nichts mehr gesagt haben will. Diese Unterscheidung müssen Sie erklären, Herr Biesenbach. Entweder ich kann mich an etwas erinnern, dann weiß ich auch, was ich gesagt habe oder was ich nicht gesagt habe.

(Zuruf von der SPD: Ganz genau!)

Oder ich kann mich nicht erinnern, dann weiß ich auch nicht mehr, worüber ich vermeintlich nie gesprochen haben will. Alles andere ist schlicht unglaubwürdig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Alles andere ist nicht wahrhaftig. Alles andere ist Ihres Amtes unwürdig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihr Verhalten hinterlässt bestenfalls Zweifel – und damit meine ich nicht den Grundsatz „In dubio pro reo“ –, schlimmstenfalls aber weitere Vermutungen. Nein, ich muss mich korrigieren: Ihr Verhalten befeuert geradezu neue Vermutungen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und jetzt, Herr Dr. Geerlings, hören Sie bitte genau zu. Denn Ihre Maßstäbe, die Sie an die rot-grüne Landesregierung angelegt haben, fallen zurück. Ich frage Sie direkt, Herr Biesenbach: Ist es richtig, dass Sie an diesem Montag versucht haben, weitere Telefondaten im Justizministerium löschen zu lassen?

(Zuruf von der SPD: Hoi!)

Wir haben am Montag, dem Tag nach der „Westpol“-Berichterstattung, um 11:28 Uhr weitere Telefondaten aus dem Justizministerium angefordert. Seltsamerweise wurden direkt danach im Justizministerium auf Anweisung des Staatssekretärs, der übrigens heute nicht an Ihrer Seite ist, Telefondaten gelöscht.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört! – Zuruf von den GRÜNEN)

Das, Herr Biesenbach, entspricht nicht dem selbstgezeichneten Bild eines Chefaufklärers.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das zeigt vielmehr Ihren untauglichen Versuch, die Wahrheit mit Mitteln vertuschen zu wollen. Ich sage „untauglich“. Warum? Er ist gescheitert. Es gibt eine Sicherungskopie, die ist gefunden worden,

(Zuruf von der SPD: Na, Gott sei Dank!)

weil nicht alle loyalen Beamten eben mal alles mitmachen.

(Zurufe von der CDU – Beifall von der SPD)

Wir werden uns mit diesen Daten sehr intensiv befassen.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Sie werden Gründe haben, weshalb Sie so hastig – genau 24 Stunden nach dem „Westpol“-Bericht – hier etwas haben löschen wollen. Bitte sagen Sie gleich nicht wieder an dieser Stelle, daran könnten Sie sich nicht erinnern. Oder sagen Sie bitte auch nicht, dass das, was Sie getan haben, nicht im Zusammenhang mit dem „Westpol“-Bericht steht. Aber wir haben es ja schon gehört: Womöglich war es der Taschentelefonanruf

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

oder vielleicht die neue Cyberattacke auf die Landesregierung, die diesen Anruf ausgelöst hat. Die Schlagzeile des Regierungssprechers kann ich mir jetzt schon vorstellen. Aber wer soll Ihnen das eigentlich alles noch glauben? Glaubt das hier im Plenum eigentlich irgendwer noch?

(Christian Dahm [SPD]: Stille!)

Ich bin gespannt, was als Nächstes kommt. Denn eins sollten Sie mittlerweile gemerkt haben, Herr Biesenbach: Die Nummer mit der temporären Amnesie funktioniert nicht mehr. Das Ende ist vorgezeichnet, und es ist tragisch. Ich wäre nicht mehr überrascht über eine absurde neue Geschichte, die Sie versuchen, uns zu erzählen.

(Zuruf von der CDU)

Schon jetzt heißt es in der Justiz: Fünf Jahre Müller-Piepenkötter waren schlimm, zweieinhalb Jahre Biesenbach sind schlimmer.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

Herr Biesenbach, Sie haben jetzt die Chance, mit diesem Theater endlich aufzuhören.

(Zuruf von der CDU: Wer macht denn hier Theater?)

– Wir haben es nicht verursacht. – Reden Sie!

(Zurufe von der CDU und der FDP – Unruhe)

Klären Sie auf, was für ein Telefonat stattgefunden hat und welche Rolle Sie eigentlich spielen bei diesem ganzen Theater. Es liegt an Ihnen, Herr Biesenbach, aus dem PUA „Hackerangriff“ keinen PUA „Biesenbach“ zu machen.

Präsident André Kuper: Die Redezeit ist um, Frau Kollegin.

Nadja Lüders (SPD): Ja. – Nur noch eins. Es reiht sich ein in Ihre Halbzeitbilanz, Herr Ministerpräsident.

(Unruhe – Zurufe von der CDU)

2017 erklären Sie, Sie hätten ein Gespräch mit der belgischen Regierung geführt, das gar nicht stattgefunden hat.

(Zurufe von der CDU)

Ein Innenminister – wir haben es gehört –, der sich nicht an Treffen mit RWE …

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss. Die Redezeit ist deutlich überschritten.

Nadja Lüders (SPD): Ich komme zum Schluss.

(Unruhe)

Deswegen, Herr Ministerpräsident, werden Sie auch Herrn Biesenbach nicht entlassen. Er passt so herrlich in Ihr Kabinett.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Bombis das Wort.

(Zuruf von Stefan Kämmerling [SPD] – Unruhe)

Ralph Bombis (FDP): Guten Morgen! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr verehrte Herren! Guten Morgen, Herr Kämmerling!

(Stefan Kämmerling [SPD]: Sie haben hier nicht reinzukommentieren, wenn der Redner vom Pult geht! – Beifall von der SPD – Herbert Reul, Minister des Innern: Hat der Kämmerling das Wort? – Stefan Kämmerling [SPD]: Nein, aber Sie müssen auch nicht alles kommentieren! – Herbert Reul, Minister des Innern: Das haben Sie mir nicht zu sagen! Das lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen!)

Guten Morgen, Herr Kämmerling! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Schauen wir uns einmal die Fakten an. Wir von den Koalitionsfraktionen haben im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bisher gemeinsam mit den anderen Fraktionen versucht, kooperativ zusammenzuarbeiten. Nach eigenem Bekunden aller Fraktionen waren wir die ganze Zeit sehr interessiert an einer transparenten Sachaufklärung, übrigens durchaus im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen teilweise zum Beispiel die Herausgabe von Verbindungsdaten auf dem Klageweg versucht werden musste.

Laut Presse hat der Justizminister dem Ausschuss nun die Verbindungsdaten ordnungsgemäß zur Verfügung gestellt und dabei selber darauf hingewiesen, dass er in seiner Aussage im Ausschuss dabei bedauerlicherweise etwas versäumt hat.

(Marlies Stotz [SPD]: Versäumt!? – Lachen von der SPD)

Und das soll jetzt eine Lüge sein? Das soll jetzt ernsthaft die Grundlage für Rücktrittsforderungen und Anschuldigungen sein? Ich bitte Sie!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf gibt es offenbar keinen solchen Grund. Es gibt keinen Anfangsverdacht für eine Lüge. Der Verdacht einer Falschaussage, den Herr Dahm und Herr Engstfeld übrigens bereits vor der Befassung der Staatsanwaltschaft genussvoll medial breitgetreten haben, hat sich laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf nicht bestätigt.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Habe ich überhaupt nicht!)

Schauen wir wieder auf die Fakten. Warum hätte er das auch sollen? Die frühere Ministerin, die diesen Anruf offenbar erhalten hat, war lange vorher zurückgetreten. Warum hätte der Justizminister ein einminütiges Telefonat verschweigen sollen, dessen Inhalt ohnehin völlig unbekannt ist?

(Horst Becker [GRÜNE]: Da soll er mal in den Kalender gucken!)

Warum hätte er das tun sollen? Ich stelle einmal folgende Frage in den Raum: Hätte nicht ein bewusstes Verschweigen, gepaart mit der immer kommunizierten und auch demonstrierten Bereitschaft, die Verbindungsdaten vollständig zur Verfügung zu stellen, genau dazu führen müssen, dass die Situation mehr als unkomfortabel wird? Diese Aktuelle Stunde am heutigen Tag, die Berichterstattung und das, was Sie daraus machen, ist dafür doch Beweis genug. Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist eindeutig, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Ganz schlechte These!)

Der Minister hat ausgesagt, dass er dieses einminütige Telefonat vergessen habe.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Frau Schulze Föcking auch! Beide!)

Das ist ärgerlich, am meisten für ihn selber. Es ist aber auch einfach menschlich. Aber eines ist es jedenfalls nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist kein Grund für diese Aktuelle Stunde, es ist kein Grund für all diesen Popanz, der von der Opposition um diese Geschichte immer wieder aufgebaut wird.

(Beifall von der FDP und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann müssen Sie mit dem Präsidenten noch einmal über die Zulassung reden!)

Aber das passt leider ins Bild. Sie haben keine inhaltlichen Ansätze, diese Landesregierung zu kritisieren.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Hätten Sie mal zugehört, dann hätten Sie die Kritik gehört!)

In den gestrigen Haushaltsberatungen wurde das wieder mehr als deutlich. Deswegen versuchen Sie immer wieder, die Mitglieder dieser Landesregierung auf der persönlichen Ebene anzugreifen. Herr Engstfeld, Frau Lüders, Sie haben es eben wieder demonstriert.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Wo denn?)

Der PUA II ist doch das beste Beispiel dafür. Schon vor der Einsetzung war klar: Es hat offenbar einen Bedienfehler gegeben. Schon vor der Einsetzung war klar: Es gab eine schwierige Kommunikationslage. Schon vor der Einsetzung war klar: Die betroffene Ministerin hat das so zugestanden. Sie hat sich dafür entschuldigt. Sie ist dann sogar zurückgetreten.

Und trotzdem musste dieser PUA, der sich im Vergleich zu anderen Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen mit einem wirklich lächerlichen Thema befasst und erhebliche Kosten verursacht,

(Beifall von der FDP, der CDU und Roger Beckamp [AfD])

eingesetzt werden, obwohl gar kein Aufklärungsbedarf mehr erkennbar war. Ich finde es wirklich bemerkenswert, an welchen Strohhalmen sich die Opposition hier immer wieder festklammert.

Deswegen muss eines auch einmal sehr deutlich gesagt werden: Sie, liebe Grüne, liebe SPD, wollten unbedingt einen komfortabel ausgestatteten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu einem eingestandenen Bedienfehler auf einem Fernsehgerät einer längst zurückgetretenen Ministerin.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Es geht nicht um den Bedienfehler!)

Sie haben ihn bekommen. Die Einsetzung eines solchen Gremiums ist ein Minderheitenrecht.

(Volkan Baran [SPD]: Es geht um die Glaubwürdigkeit der Landesregierung!)

Jetzt haben Sie einen überteuerten Untersuchungsausschuss,

(Unruhe – Glocke)

der zwar keine neuen Erkenntnisse hervorgebracht hat, der aber zum Beispiel Terminfindungen für so wichtige Parlamentarische Untersuchungsausschüsse wie den zur Aufklärung der Vorgänge in Lügde extrem erschwert. Das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren!

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Das ist doch eine Unverschämtheit!)

Inzwischen ärgern Sie sich offenbar selber darüber, dass Sie auf diesen PUA „Hackerangriff“ bestanden haben. Aber das ist nicht die Schuld dieses Ministers.

(Michael Hübner [SPD]: Sicher ist das die Schuld dieses Ministers!)

Das ist nicht die Schuld dieser Landesregierung. Sie versuchen jetzt verzweifelt, durch diesen Popanz noch ein Theater zu machen, das in irgendeiner Weise einen Effekt für diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bringt.

(Sven Wolf [SPD]: Sind Sie nicht Sprecher in diesem Ausschuss?)

Hören Sie endlich auf, diese überflüssigen Nebelkerzen zu werfen!

(Sven Wolf [SPD]: Herr Präsident, das ist doch der Sprecher des Ausschusses! Das können Sie ihm doch nicht durchgehen lassen! – Christian Dahm [SPD]: Das kann man doch nicht machen! Das ist der Sprecher des Untersuchungsausschusses!)

Die Menschen in diesem Land haben keine Lust auf diese andauernde Selbstbespaßung und Zeitverschwendung.

(Unruhe – Glocke)

Lassen Sie uns Zukunftsstrategien, lassen Sie uns wichtige Themen diskutieren, aber nicht so eine lächerliche Geschichte. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Lüders, vor meiner Rede eine Bemerkung vorab: Die Bombe betreffend die Daten, die Sie hier angeblich platzen lassen wollten, kann – und das wissen Sie doch schon längst – gar nicht platzen. Das, was Sie vorgetragen haben, hat am Montag seltsamerweise schon eine Stunde nach einem bestimmten Ereignis ein Journalist im Ministerium angefragt, und wir haben ihm vollumfänglich Auskunft gegeben.

(Nadja Lüders [SPD]: Nach dem Ereignis! Genau!)

Sie wissen aus der Berichterstattung, dass nicht einmal dabei eine Bombe geplatzt ist. Ich biete allen Damen und Herren der Medien an, dass meine Presseabteilung die Antwort an diesen Journalisten gleich öffentlich macht. Dann wissen Sie auch, was sich da abspielte.

Nun zu meiner Rede. Meine Damen und Herren, die mit den Anträgen auf Aktuelle Stunde zur Diskussion gestellten Sachverhalte betreffen den Untersuchungsgegenstand des PUA II. Wie Sie alle wissen, bin ich bereits einmal als Zeuge vor diesem Untersuchungsausschuss gehört worden. Auch habe ich dem Beweisbeschluss entsprechend die angeforderten Verbindungsdaten meines Diensthandys zur Verfügung gestellt. Dabei habe ich den Ausschussvorsitzenden darauf hingewiesen, dass die Liste der Verbindungsdaten auch einen Verbindungsaufbau auf den Apparat von Frau Schulze Föcking ausweist und mir ein Anruf nicht mehr erinnerlich war.

Jetzt kann ich der Presse entnehmen, dass Mitglieder des Untersuchungsausschusses meine erneute Ladung als Zeuge ankündigen und diesen Sachverhalt im Untersuchungsausschuss erneut aufrufen wollen. Natürlich bin ich bereit, einer solchen Aufforderung zu folgen und mich vor dem Untersuchungsausschuss zum Sachverhalt zu äußern.

Wenn jetzt in den Anträgen auf die Aktuelle Stunde derselbe Sachverhalt zum Gegenstand der Plenarbefassung gemacht werden soll, dann erkenne ich darin eine doppelte Behandlung derselben Angelegenheit unter völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Für mich löst das eine Reihe von Fragen aus.

(Zurufe von der SPD: Wir wollen keine Fragen! Wir wollen Antworten!)

Erstens. Wenn ich mich hier über meine schriftliche Einlassung an den Ausschussvorsitzenden hinaus ergänzend oder auch nur wiederholend zu diesem Sachverhalt äußere, dann nehme ich meine weitere Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss vorweg. Widerspricht das nicht dem vom Parlament selbst erteilten Untersuchungsauftrag an den Ausschuss?

(Michael Hübner [SPD]: Was sind das für Fragen? – Horst Becker [GRÜNE]: Was hätte denn der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Biesenbach, damals gesagt?)

Zweitens. Wie steht es um das Fragerecht der Ausschuss…

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Ich gebe Ihnen gerne Gelegenheit, zuzuhören.

Zweitens. Wie steht es um das …

(Erneut Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Gegenruf von der CDU: Mensch, hört doch mal zu!)

Wie steht es um das Fragerecht der Ausschussmitglieder an Zeugen im Untersuchungsausschuss, zu dem es hier im Plenum bei der Debatte über die Aktuelle Stunde keine Entsprechung gibt?

Drittens und vielleicht noch wichtiger: Hat der Untersuchungsausschuss überhaupt noch die Möglichkeit, eine Beweiswürdigung über die im Ausschuss eingeholten Zeugenaussagen zu treffen, wenn heute in der Plenardebatte all diese Würdigungen bereits vorweggenommen werden, ohne die Zeugenaussage auch nur zu kennen?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass ich mit einer Stellungnahme zum Sachverhalt …

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch eine abenteuerliche, alberne Diskussion! – Unruhe – Glocke)

Wenn Sie mir nicht zuhören wollen, dann sagen Sie es mir. Dann kann ich wieder gehen.

(Lebhafte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie den Minister bitte sprechen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Er redet sowieso nur zu Ihnen! – Nadja Lüders [SPD]: Wieso? Er sagt doch eh nichts!)

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Sie sehen, meine Damen und Herren, dass ich mit einer Stellungnahme zum Sachverhalt hier in der Plenardebatte auf die von mir skizzierten Fragestellungen keine Antwort geben könnte, ohne dabei auch den Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit infrage zu stellen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Sarah Philipp [SPD]: Das ist jetzt alles?)

Das will ich auf jeden Fall vermeiden.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oooh!)

Im Übrigen würde dies auch gelten, wenn sich andere Mitglieder der Landesregierung hier und heute in dieser Debatte an einer Bewertung über die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses beteiligen.

(Sven Wolf [SPD]: So eine Sache hätten Sie nicht mal Ihren Mandaten empfohlen! – Marc Herter [SPD]: Da bleibt mir der Mund offen stehen!)

Vielleicht noch ein letzter Gesichtspunkt:

(Sarah Philipp [SPD]: Das war es schon?)

Wenn ich hier heute zum Sachverhalt Stellung nehmen würde, würde ich zwangsläufig auch meine eigene Aussage würdigen. Ich bin lange genug als Rechtsanwalt tätig, um einschätzen zu können, wohin es führt, wenn Zeugen die Beweiswürdigung gleich mitliefern. Deshalb gebietet es der Respekt vor dem Untersuchungsausschuss, diesem den Vortritt für die Aufklärung und die anschließende Würdigung der Feststellungen zu lassen.

(Sarah Philipp [SPD]: Ist das bitter!)

In diesem Zusammenhang darf ich auf die sehr sinnvolle Regelung in § 10 Abs. 3 des Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen hinweisen, nach der vor Abschluss der Beratungen über einen Gegenstand der Verhandlung Mitglieder des Untersuchungsausschusses sich einer öffentlichen Beweiswürdigung zu enthalten haben. Diese Regelung belegt das Bemühen des Gesetzgebers, vor Abschluss der Beweiserhebung mit einer öffentlichen Diskussion über Beweisergebnisse die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht zu beeinträchtigen.

Ich möchte es deshalb bei diesen Hinweisen bewenden belassen. Ich stelle mich dem Verfahren, das das Parlament selbst beschlossen hat. Daran fühle ich mich auch gebunden. Den Nachfragen der Fraktionen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, wie sie auch in den Anträgen zur Aktuellen Stunde erkennbar werden, kann und werde ich mich natürlich gerne stellen. Dazu stehe ich im Untersuchungsausschuss selbstverständlich zur Verfügung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun noch einmal Herr Abgeordneter Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Biesenbach, ich hätte heute gerne Antworten und nicht noch mehr Fragen gehört. Das war aus meiner Sicht eine vertane Chance, hier heute Klarheit zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte auf meine beiden Vorredner aus den Koalitionsfraktionen eingehen. Sie haben gesagt, die Staatsanwaltschaft sehe keinen Anfangsverdacht und nehme keine Ermittlungen auf, und damit habe sich die Frage der Lüge quasi erledigt.

(Christian Mangen [FDP]: Nein, so ist die Rechtslage!)

Also, ich sage es mal so: Die strafrechtliche Dimension ist das eine; wir sind hier aber nicht vor Gericht, sondern im Parlament. Die politische Dimension ist das andere.

Nur weil die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnimmt, sind nicht merkwürdige Erinnerungslücken beim Minister und bei der ehemaligen Ministerin legitimiert und auch nicht merkwürdige Zufälle erklärt, warum der Justizminister während laufender Ermittlungen den ermittelnden Staatsanwalt anruft, die Betroffene anruft, aber sagt, mit ihr niemals über die Ermittlungen gesprochen zu haben. Hier hat sich ein Justizminister einfach rauszuhalten. Das ist der Punkt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sagen, das müsse man alles im Untersuchungsausschuss regeln. Ich sage Ihnen: Ein Justizminister in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist nicht irgendein Zeuge. Eine mögliche Falschaussage eines Kabinettsmitglieds gegenüber dem Parlament hat das Parlament zu interessieren. Das gehört hier ins Plenum. Wohin denn sonst?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Abschließend: Sie haben den Sinn dieses Untersuchungsausschusses infrage gestellt und gesagt, es sei doch nur ein Bedienfehler eines Familienmitglieds gewesen. Ich sage es Ihnen noch einmal – wir haben es Ihnen schon so oft gesagt –: Es geht in diesem Untersuchungsausschuss nicht nur um irgendwelche technischen Bedienfehler. Es geht vor allen Dingen darum, dass sich das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land darauf verlassen können müssen, dass alles, was die Regierung sagt, den Tatsachen entspricht. Ob das in diesem Fall so war

(Beifall von den GRÜNEN)

und ob das auch für den Regierungssprecher gilt, ist auch Gegenstand des PUA. Da bestehen zu Recht Zweifel. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat noch einmal die Abgeordnete Frau Lüders das Wort.

Nadja Lüders (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert: Der Minister zieht sich formaljuristisch auf das PUA-Gesetz zurück. Das ist sein gutes Recht.

(Zurufe von der CDU: Aha!)

Wie aber kann es dann dazu kommen, dass durch die regierungstragenden Fraktionen vorweggenommene Beweiswürdigungen vorgenommen werden?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wo denn? – Weitere Zurufe von der CDU)

Und wie kann es dazu kommen, Herr Minister, dass Sie von angeblich platzenden Bomben reden, um dann zu sagen, Sie erklärten sich über Ihre Pressesprecher bzw. über Ihre Presseabteilung gegenüber den Journalisten? Wir sind hier in einem Parlament und haben das Recht, über Gegenstände zu reden, die eben nicht Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sind. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD-Fraktion redet nun der Abgeordnete Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt einen Film mit dem Titel „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“. Hier könnte der Titel lauten: „Ich weiß nicht mehr, was ich tue“.

Wissen Sie, Herr Biesenbach und die regierungstragenden Fraktionen: Es ist in Ordnung, dass Sie sich hinter Formalia verstecken. Es geht hier auch nicht um eine strafrechtliche Bewertung durch das Parlament. Aber eines muss doch wohl klar sein: Wir müssen uns auf die Aussagen eines Justizministers in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss verlassen können. Wenn wir das nicht mehr können, dann ist es mit der parlamentarischen Demokratie nicht mehr weit her.

(Beifall von der AfD)

Das Ganze hätte man sich ohnehin leicht ersparen können, wenn nämlich Frau Schulze Föcking in der Lage gewesen wäre, ihren Irrtum schlicht und ergreifend einzuräumen, anstatt das Parlament wochenlang in dem Glauben zu lassen, sie sei Opfer eines Hackerangriffs geworden, obwohl sie genau wusste, dass sie nicht Opfer eines Hackerangriffs geworden ist.

Dann hätten Sie Ihrem Justizminister die Aussage vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ersparen können, und dann hätten Sie dem Steuerzahler Kosten von 1,2 Millionen Euro aufgrund der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses ersparen können, Frau Schulze Föcking.

(Beifall von der AfD)

Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Ihr Verhalten im Zusammenhang mit den Aussagen von Herrn Biesenbach, der sich an das Telefonat mit Ihnen nicht erinnern kann, sich aber sehr wohl daran erinnern kann, was er mit Ihnen nicht besprochen haben will, erinnern an: vertuschen, verschleiern, verschweigen, nichts zugeben, bevor es nicht zugegeben werden muss. Genau das führt immer wieder dazu, dass die Leute in diesem Land politikverdrossen sind.

(Beifall von der AfD)

Herr Biesenbach, wenn man jemanden fragt, was er letzte Woche Donnerstag gemacht hat, und dieser nicht in seinen Kalender schaut, dann wird er sich – das gilt sicherlich auch für die große Mehrheit dieses Hauses – wahrscheinlich nicht im Detail daran erinnern können, was er letzte Woche Donnerstag gemacht hat.

Wenn aber in einem solchen Zusammenhang, nämlich Hackeraffäre Schulze Föcking, mit der Staatsanwaltschaft telefoniert wird und man sich auch daran erinnern kann, dann kann man sich normalerweise auch daran erinnern, was man unmittelbar danach getan hat. Denn das ist ein Sonderfall, das ist eine besondere Situation, das ist kein Alltag gewesen.

Sie haben als Justizminister den Staatsanwalt befragt zu einer Untersuchung in einer bestimmten Sache, die Ihre Parteikollegin betroffen hat. Daran muss man sich normalerweise erinnern können.

Wenn man dann als Zeuge vor einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geht und dazu befragt wird, dann sollte man doch zumindest sagen, dass es einem nicht mehr erinnerlich ist, aber doch bitte nicht mit „nein“ antworten. Das können Sie dem Parlament und dem Untersuchungsausschuss nicht zumuten. Da erwarte ich von Ihnen künftig mehr Glaubwürdigkeit, Herr Biesenbach. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich diese Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

2   Für die Vielen, nicht die Wenigen: Sozialer Fortschritt für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7912

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich war in diesem Sommer auf „Respekt-Tour“ in Nordrhein-Westfalen und habe mich mit ganz vielen Menschen getroffen, die – egal ob haupt‑ oder ehrenamtlich – so viel für unsere Gesellschaft tun.

Was ich da gesehen und gehört habe, hat mich beeindruckt und teilweise begeistert. An der einen oder anderen Stelle hat es mich aber auch sehr bedrückt.

Ich habe zum Beispiel einen Tag lang bei der Müllabfuhr mitgearbeitet. Ich habe mitbekommen, wie respektlos die dort Beschäftigten teilweise von Menschen aus der Bevölkerung angegangen wurden.

Ich habe einen Paketboten getroffen, der für seine anstrengende Tätigkeit gerade mal auf einen realen Stundenlohn von 5 Euro brutto gekommen ist.

Ich habe ein Krankenhaus besucht und dort mit einer Reinigungskraft gesprochen. Diese Reinigungskraft muss pro Stunde 200 m² Patientenzimmer reinigen. Das schafft kein Mensch. Weil das so ist, wird keine der Reinigungskräfte mehr in Vollzeit eingestellt, sondern nur noch in Teilzeit. Arbeit für Vollzeit machen sie allerdings trotzdem.

Ich habe in demselben Krankenhaus mit Kräften gesprochen, die Essen und Medikamente für die Patienten zusammenstellen. Haben Sie eine Vorstellung, wie lange diese Kräfte Zeit dafür haben, ein Tablett mit Essen und Medikamenten für die Patienten fertigzustellen? – 5 Sekunden pro Patient. Sie haben 5 Sekunden, um abzuwägen, welche Erkrankungen, Unverträglichkeiten und Allergien vorhanden sind und welche Medikamente nötig sind.

Ich habe danach Verantwortliche in dem Krankenhaus gefragt, wie es sein kann, dass wir jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern eine hohe Anzahl an Toten und Verletzte durch multiresistente Keime haben und ob es da möglicherweise einen Zusammenhang gibt.

Die Antwort lautete leider: Klar, diesen Zusammenhang gibt es. Natürlich hat es mit den Arbeitsbedingungen zu tun, dass in Deutschland jedes Jahr über 30.000 Menschen an den Folgen von multiresistenten Keimen sterben.

Was machen wir, was macht unser Gesundheitsminister? – Er redet nur über die Landarztquote. Da könnten wir mit wenig Geld eine ganze Menge für das Wohl und für die Gesundheit der Menschen in unserem Land tun.

(Beifall von der SPD)

Dieses eine Beispiel aus dem Gesundheitsbereich macht deutlich, dass der Markt eben nicht alles regelt. In manchen Bereichen muss der Markt geregelt werden. Viele Menschen spüren jeden Tag das Marktversagen.

Die Landesregierung meint, wir müssten nur alles entfesseln, dann werde schon alles gut in diesem Lande. Nein, meine Damen und Herren, es ist keine Zeit mehr für Marktentfesselung. Es ist keine Zeit mehr für interessengeleitete Lobbypolitik. Es ist auch keine Zeit mehr für „Privat vor Staat“.

(Beifall von der SPD)

Unsere Gesellschaft in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen steht unter Stress. Aktuell gehen gute Arbeitsplätze in der Industrie verloren: Bayer, thyssenkrupp, Kaufhof, Karstadt und Siemens bauen mehrere Tausend Arbeitsplätze ab – leider vor allem auch bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Gerade Industriefacharbeiter fürchten, dass die digitale und ökologische Revolution ihre Arbeitsplätze gefährdet. Daneben entstehen immer mehr Arbeitsverhältnisse mit Zeitverträgen und im prekären Bereich.

In unseren Großstädten sind die Mieten so stark gestiegen, dass nicht nur Geringverdiener, sondern auch Menschen aus der Mittelschicht sich ein Leben in ihrer Heimat nicht mehr leisten können.

In Köln hat mittlerweile jeder zweite Einwohner einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein – natürlich ohne dafür sofort eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Allein dieses Beispiel zeigt schon, wie ernst die Lage ist.

(Beifall von der SPD)

Durch Tarifflucht und Lohndumping werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Nordrhein-Westfalen Zahlungen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro vorenthalten.

Wir nehmen wahr, dass Bildung ein sehr knappes Gut für die Eltern geworden ist. Es ist nicht genug von diesem Gut für alle da. Die KiBiz-Reform, die wir im Anschluss noch debattieren werden, wird dieses Problem noch weiter verschärfen. In den Schulen prägen Lehrermangel, schlechte Ausstattung und veraltetes Material vor allem in den benachteiligten Stadtteilen das Bild.

Mit anderen Worten: Die Verteilungsfrage ist in unsere Gesellschaft zurückgekommen und müsste ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

(Beifall von der SPD)

Selten wurde eine Spaltung in der Gesellschaft so stark gefördert wie von dieser Landesregierung. Das zeigt Ihre Wohnungspolitik, und das zeigt Ihre Bildungspolitik.

Wir reden dieser Tage viel über Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel, und zwar völlig zu Recht. Aber über ein Phänomen sprechen wir im Augenblick viel zu selten, obwohl es mit am dringendsten Antworten verlangt: Ich spreche von der sozialen Ungleichheit.

(Beifall von der SPD)

Das ist auch die Frage nach Haben und Sagen in der Demokratie. Sie betrifft nicht nur die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, sondern auch die Bildungschancen und nicht zuletzt die politische und kulturelle Teilhabe an demokratischer Mitbestimmung.

Es gibt Millionen Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte dieser Gesellschaft, die trotz der guten wirtschaftlichen Lage nicht das Gefühl haben, dass sie einen fairen Anteil bekommen.

Im Gegenteil: Ihrer harten Arbeit zum Trotz müssen sie miterleben, wie ihnen die materielle Anerkennung vorenthalten wird, die sie sich verdient haben, denn Deutschland leistet sich nach Großbritannien den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa. Dabei sind sie die Vielen in unserer Gesellschaft mit vielen gemeinsamen Interessen.

Auch die Schülerinnen und Schüler der Klimaschutzbewegung sind eben nicht die Gegner von Stahlarbeitern oder Karosseriebauern. Auch Stahlkocher wollen Klimaschutz, und auch die Klimaschützer – davon bin ich fest überzeugt – wollen später gute und sichere Arbeitsplätze.

Das ist auch möglich. Wenn wir es richtig machen, wird dank der ökologischen und digitalen Revolution ein neuer, nachhaltiger Wohlstand entstehen können – vorausgesetzt, der Staat investiert auch massiv in diesen Bereichen.

(Beifall von der SPD)

Ohne staatliche Mitwirkung funktioniert der Markt in diesen Bereichen leider nicht. Wir brauchen ein neues Energiesystem. Wir müssen in neue Verkehrssysteme, in digitale Netze und in technologische Herausforderungen investieren.

„(…) es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.“

– Das ist ein Zitat, und dieser Satz ist richtig. Er stammt aber nicht von Kevin Kühnert oder von mir, sondern von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

(Marc Herter [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Diesen Satz sollten Sie von den Regierungsfraktionen sich einmal sehr genau anschauen. Ich glaube, wir müssen ihn beherzigen.

Recht hat Peter Altmeier hier in diesem Fall. Das müssen wir auch in Nordrhein-Westfalen umsetzen.

(Beifall von der SPD)

Deswegen, meine Damen und Herren, ist es auch nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit höchste Zeit für Sie für einen Kurs‑ und Politikwechsel hier in Nordrhein-Westfalen.

Unsere Sozialsysteme werden nicht mehr länger standhalten könne. Altersarmut beginnt schon in einem früheren Stadium, nicht zum Zeitpunkt der Beschäftigung. Wenn Beschäftigung nicht ausreichend finanziert wird, ist Altersarmut programmiert.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns deshalb doch gemeinsam starkmachen für einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Das sieht auch Herr Laumann so; nur leider hat er nicht die entsprechende Unterstützung im Kabinett.

Ich würde mich freuen, wenn die Landesregierung sich auf Bundesebene etwas mehr dafür einsetzen könnte. Das wäre sicherlich im Interesse der Beschäftigten in diesem Lande.

(Beifall von der SPD)

Wir müssen den Wohnungsbau auch so fördern, dass auch Normal‑ und Geringverdiener eine Chance haben. Das geht nur mit einer stärkeren Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus; das geht aber auch nur mit einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft.

Es war falsch, dass sich der Staat aus dem Bereich Wohnungsbaupolitik so stark zurückgezogen hat wie unter der Regierung Rüttgers damals.

(Beifall von der SPD)

Wir müssen die Mittel hier drastisch erhöhen. Wir werden Ihnen in der dritten Lesung zum Haushalt die Chance geben mitzuwirken. Wir werden entsprechende Anträge stellen.

Wir dürfen die Jüngsten in dieser Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Allein in Nordrhein-Westfalen bekommen 600.000 Kinder Leistungen über den ALG-II-Bezug, über Hartz IV – ein System, das zum Ausgleich von Arbeitslosigkeit geschaffen worden ist.

600.000 Kinder in Nordrhein-Westfalen sind nicht arbeitslos. Sie brauchen keinen Job, sie brauchen ein vernünftiges Auskommen, sie brauchen eine vernünftige finanzielle Absicherung. Sie brauchen eine vernünftige Kindergrundsicherung. Jetzt ist die Zeit für eine vernünftige und gerechte Kindergrundsicherung gekommen.

(Beifall von der SPD)

Sie brauchen ein gutes Schulsystem in diesem Land, und sie brauchen mehr Talentschulen – nicht nur 60. Ich muss noch nicht mal auf einer Talentschule gewesen sein, Frau Gebauer, um zu wissen, dass das maximal 1 % aller Schulen ist. Hier muss deutlich mehr passieren. Ich hoffe, Sie machen das jetzt auch bald.

Wir müssen unsere Kommunen unterstützen. Lebensqualität, Aufenthaltsqualität beginnt da, wo die Menschen direkt vor Ort wohnen. Befreien Sie die Kommunen von den Altschulden. Auch da könnten Sie als Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen deutlich größeren Beitrag leisten.

Die Bundesregierung bewegt sich gerade, die Landesregierung sitzt aber auf ihren Sesseln und will überhaupt nichts tun. Das ist schändlich für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Es geht um Solidarität in dieser Gesellschaft. Solidarität ist die Grundlage für den sozialen Fortschritt, denn fair geht mehr. Wir müssen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft dafür sorgen, dass auch zusammenbleibt, was zusammengehört.

Jeder Mensch in diesem Land muss die Botschaft hören: Du bist es wert. – Das ist im Interesse der Vielen in Nordrhein-Westfalen.

Wir stellen uns gegen das „weiter so“ in der Politik der Spaltung. Ob Mieten, Arbeitnehmerrechte, Umwelt oder Chancengleichheit: Wie es heute läuft, kann es in Zukunft nicht bleiben.

(Beifall von der SPD)

Unser Auftrag ist es: für die Vielen, nicht die Wenigen, von nun an jeden Tag aufs Neue. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Schick das Wort.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein leider zu früh verstorbener Landtagskollege hat zu den größten Fehlern der Politik einmal gesagt: „Glaube niemals der eigenen Propaganda!“ Ich stelle fest, die SPD-Landtagsfraktion fällt einmal mehr auf sich selbst herein; anders kann man den vorliegenden Antrag hier nicht deuten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich greife einen Punkt heraus: Sie fordern, dass Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

„Eine neue Politik für die Vielen stellt sich allen Versuchen entgegen, Menschen mit vielen gemeinsamen Interessen und Werten in konkurrierende Gruppen und Minderheiten aufzuspalten, auch wenn es polittaktisch gerade opportun erscheinen mag.“

Das heißt, man kann und sollte keine Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen – soweit die Theorie im Antrag.

Rot-grüne Tagespolitik sah in der letzten Wahlperiode anders aus: Für zwei Jahre sollten viele Polizisten, Lehrer und Richter auf Lohnerhöhung teilweise oder sogar ganz verzichten. Begründung: weil es sich bei ihnen um Besserverdienende handelt.

Also sind Polizisten nach Ihrer Lesart Besserverdienende, Richter oder Lehrer an Gymnasien waren sogar Besser-Besserverdienende. Da weiß man auch, wo sozialdemokratischer Reichtum anfängt.

Norbert Walter-Borjans, der aktuelle Hoffnungsträger der NRW-SPD, sah in diesem Schritt sogar eine Chance, eine „Gerechtigkeitslücke“ zwischen Angestellten und Beamten zu schließen. Reallohnverluste bei Polizisten, Lehrern und Richtern waren also bei Ihnen Beiträge für mehr soziale Gerechtigkeit. Das ist „Beschäftigte gegeneinander ausspielen“.

Das galt übrigens auch in Ihrem Bereich, Herr Kutschaty. Auch dort sollten Justizangestellte und Richter gegeneinander ausgespielt werden. Wie glaubwürdig sind Sie in der heutigen Debatte?

(Thomas Kutschaty [SPD] schüttelt den Kopf.)

– Sie müssen den Kopf nicht schütteln.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Doch, muss man!)

Den Kopf geschüttelt haben die Richter,

(Beifall von der CDU und der FDP)

als das vor dem Verfassungsgericht behandelt worden ist. Die haben den Kopf geschüttelt und gesagt: So geht es nicht.

Sie sind an Ihren eigenen Ansprüchen, die Sie im Antrag dargelegt haben, als Minister krachend gescheitert. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber auch in der Opposition läuft der Motor mit Ihnen am Steuer und am Gaspedal nicht richtig rund. Deshalb ein kleiner Blick in die Mechanik:

Das Drehmoment beschreibt die Drehwirkung einer Kraft auf einen Körper. Für jede Strecke, für jede Herausforderung gilt es, das optimale Tempo herauszufinden.

Warum sage ich das? – Die antragstellende SPD-Fraktion dreht sich die Fakten zu den Themen „Arbeit“, „Bildung“, „Finanzen“ und „Wirtschaft“ dermaßen zurecht, dass ein Drehmoment entsteht, welches erstens jeden Sportwagenhersteller neidisch werden lässt, und man sich zweitens wundern muss, dass Ihnen beim Schreiben des Antrags nicht schwindelig geworden ist.

Sie laufen mit diesem Antrag Gefahr, dass Sie drittens überdrehen und viertens Ihnen das Thema völlig um die Ohren fliegt.

Richten wir zunächst einmal den Blick auf die Themen Arbeit und Arbeitsmarkt.

Niemand bestreitet, dass sich der Arbeitsmarkt verändert und sich die wirtschaftlichen Schwerpunkte im Land Nordrhein-Westfalen verschieben. Aber die NRW-Koalition aus CDU und FDP sieht den Strukturwandel auch als Chance in Richtung eines modernen und vielseitigen Wirtschaftsstandorts, an dem neue Arbeitsplätze entstehen.

Sie werfen in Ihrem Antrag die Frage auf, wie neue Arbeitsplätze entstehen; aber die Antwort darauf, wo diese Arbeitsplätze entstehen, bleiben Sie schuldig.

Wir haben eine Antwort darauf: Die Arbeitsplätze entstehen bei einer Bevölkerungsgruppe, bei einem Teil der Gesellschaft, der in Ihrem Appell völlig außen vor bleibt.

Sie nennen in Ihrem Antrag viele Gruppen von Leistungsträgern wie Pizzaboten, Handwerker und Erzieher. – Das ist alles richtig, und das will ich nicht infrage stellen.

Bezeichnend ist aber, wen Sie nicht nennen: Sie nennen die mutigen und fleißigen Unternehmerinnen und Unternehmer nicht, die überhaupt erst Arbeitsplätze schaffen und damit Menschen in Lohn und Brot bringen – und das in einer Woche, in der Wirtschaftsjunioren hier im Landtag waren.

Da ging es um Know-how-Transfer, und vielleicht hätte Ihnen ein Wirtschaftsjunior an der Seite ganz gut gestanden, damit Sie dann auch diese Gruppe entsprechend gewürdigt hätten.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Hatte ich, hatte ich!)

Der Staat ist nämlich nicht der bessere Unternehmer, liebe Genossinnen und Genossen. Gerade im 30. Jahr nach dem Ende der DDR sollten Sie das wissen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Oder fordern Sie, wie die Jusos, jetzt eine Art neue DDR? Das ist ja ein ganz, ganz großes Thema.

(Beifall von Gregor Golland [CDU] – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Zuruf von der SPD: Unglaublich! – Unruhe)

– Wenn Ihnen das, wie ich an den Zurufen höre,

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

so gut gefällt, kann ich Ihnen noch den Publizisten Klaus-Rüdiger Mai mit an die Hand geben, der den Wandel der SPD so formuliert hat – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Diese SPD ist nicht mehr die SPD von Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, nicht die SPD von Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer, nicht die SPD von Herbert Wehner und Willy Brandt, schon gar nicht die von Helmut Schmidt, es ist eine Partei, die in ihrem Zerfall die totalitären Ambitionen von Jungfunktionären, die ihre wirtschaftlichen, politischen und philosophischen Erkenntnisse in einem Callcenter erworben haben, freisetzt.“

Wie die Jusos sieht sich auch die SPD an der Spitze der linken Sozialdemokratie: Anti-GroKo, Anti-Hartz-IV – mit Klassenkampfparolen zurück in die Vergangenheit.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie meinen, dass dort Ihre Wähler sind – ich halte Sie nicht auf.

Die NRW-Koalition beschäftigt sich aber nicht mit Utopien. Sie handelt konkret:

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen haben Sie Soziales im Koalitionsvertrag auch so hervorgehoben!)

das Gründerstipendium NRW, der Förderwettbewerb „Exzellenz Start-up Center.NRW“ oder geschaffene Freiräume für die Entwicklung mittelständischer Zulieferunternehmen, die sich auch in Landesteilen befinden, die eben außerhalb der Ballungszentren sind.

Das muss ich Ihnen nämlich ganz deutlich sagen: In Ihrem Antrag findet sich aus dem kreisangehörigen und ländlichen Bereich nur ein Anlagenführer aus Gütersloh. Ansonsten machen Sie in Ihrem Antrag einen ganz großen Bogen um den ländlichen und kreisangehörigen Bereich. Dafür finden sich eben keine Initiativen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Soziale Gerechtigkeit gibt es auch auf dem Land!)

Schlimm ist, dass das Einzige, was sie konkret gesagt haben, eine Kritik an der Landarztquote von Karl-Josef Laumann ist. Das heißt, Menschen im kreisangehörigen und ländlichen Bereich haben von Ihnen rein gar nichts zu erwarten.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Dass unsere Politik ankommt, sieht man an den Zahlen. Die Arbeitslosenquote geht zurück. Auch im Bereich der Industriepolitik und der Industriekonjunktur sind die Rückgänge hier weniger stark als in der Bundesrepublik.

Im Oktober ist die Arbeitslosenquote um weitere 0,4 % gesunken. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs steigt. 300.000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse, 300.000 Mal haben wir Bürgerinnen und Bürger in NRW in Lohn und Arbeit gebracht.

(Karl Schultheis [SPD]: Glauben Sie wirklich, dass Sie das waren?)

Das sind ganz beachtliche Zahlen. Ich glaube, in der vorherigen Wahlperiode hätte Ihre Ministerpräsidentin sich in den Dienstwagen gesetzt und uns ganze Staffeln von selbst gedrehten Videotagebüchern geschenkt, um diese Erfolge entsprechend zu verkaufen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD)

– Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie Fragen haben; dazu haben Sie das entsprechende Instrument. Ansonsten kann ein wenig Zuhören nicht schaden.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD)

Beschäftigen wir uns mit der Investitionsquote. Hier beginnen die Karussellfahrt der SPD-Logik und das Zurechtdrehen von Themen. Deshalb erst einmal die Frage: Was verstehen Sie unter Investition? – Wahrscheinlich nur das, was schwarz auf weiß in der mittelfristigen Finanzplanung steht.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Aber Kollege Arne Moritz hat gestern schon darauf hingewiesen, was alles noch hinzugerechnet werden muss. Die Investitionsquote ist eine rechnerische Summe. Vereinbarungen mit den Hochschulen werden beispielsweise nicht eingerechnet wie auch die Ausgaben für Bildung. Nach dieser Rechnung sind es nur konsumptive Ausgaben.

Gerade in diesem Bereich haben wir ganz erhebliche Anstrengungen gestartet. Der Bildungsetat steigt zwischen 2016 und 2020 um 2,7 Milliarden Euro – das sind mehr als 13,5 %. Dieser Einzelplan erfährt im Jahr 2020 überproportional viele Zuschüsse.

Es gibt mehr Geld für Hochschulen, und auch beim Klimaschutz geben wir entsprechend Gas. Das Gleiche gilt für die Gemeinden; es gibt mehr Geld: 2,5 Milliarden Euro zwischen 2016 und 2020.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

– Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie es im Protokoll nachlesen. Ich gebe zu: Das waren beeindruckende Zahlen.

(Lachen von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] – Zurufe von der SPD)

Aber auch bei den Themen „Wohnungsnot“ und „Kindertagesplätzen“ gibt es positive Zahlen. Sie können auch das nachlesen, wenn Sie es mir nicht glauben: 52.000 Plätze für Kinderbetreuung werden zusätzlich eingerichtet. Für die Wohnraumförderung stehen 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung.

Wenn man vergleicht, was wir tun und was in Berlin passiert, sieht man den Unterschied zwischen Schwarz-Gelb – der NRW Koalition – und Rot-Rot-Grün, die meinen, einen Wohnungsmarkt in Ordnung bringen zu müssen.

Zum Abschluss können wir es eigentlich relativ kurz machen: Im Beschlussteil gibt es eine Reihe von Punkten, denen man nach kleineren sprachlichen Änderungen sogar zustimmen könnte. Sie müssten nur den Begriff „brauchen“ durch „haben“ ersetzen.

Richtig müsste es im Antrag heißen:

Nordrhein-Westfalen hat eine Regierung, die massiv und mutig investiert, die aktive Arbeits‑ und Technologiepolitik betreibt und die für bessere Schulen und Kitas, für wirksamen Klima‑ und Umweltschutz sowie für bezahlbaren Wohnraum sorgt.

Nordrhein-Westfalen hat eine Regierung, die großes bundespolitisches Gewicht einbringt, um größere Spielräume für öffentliche Investitionen zu erstreiten, um für mehr Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen und um einen modernen Sozialstaat zu schaffen.

Nordrhein-Westfalen hat eine Regierung, die die gemeinsamen Interessen der Vielen gegen die Partikularinteressen der wenigen Privilegierten vertritt usw.

Mit diesen Änderungen wäre Ihr Beschlussvorschlag sogar zustimmungsfähig gewesen bei allen Mängeln, die Sie in weiten Teilen des Antrags an anderen Stellen gehabt haben.

Ich glaube, diese Halbzeitbilanz, wie Sie sie darstellen, ist sozialdemokratische Propaganda und hat mit der Lebensrealität der Menschen nichts zu tun.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Das zeigen auch die entsprechenden Bewertungen. Aber machen Sie so weiter. Die Quittung kriegen Sie in zweieinhalb Jahren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bemerkenswert, wie sich ein ehemaliger Landesjustizminister hier hinstellt, falsche Behauptungen in den Raum hineinwirft, …

(Zuruf von der SPD: Welche war denn falsch?)

– Darauf komme ich gleich noch. Das sind ganz schön viele, wenn Sie den Antrag gelesen haben.

(Zuruf von der SPD: Welche denn?)

… Land und Menschen schlechtredet und ganze Berufsgruppen diskreditiert.

(Zuruf von der SPD: Welche Behauptung war denn falsch?)

Es ist schon bemerkenswert, wenn Sie meinen, damit etwas Geländegewinn zu erzielen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Sie müssen auch zuhören!)

Ich finde es schon abenteuerlich, dass Sie die gesamte Pflegebranche hier so in Verruf bringen, statt dazu beizutragen, dass sich Menschen dafür entscheiden, in diesen wichtigen Beruf einzutreten,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Sie haben gar nicht zugehört!)

und uns hier mal Vorschläge zu unterbreiten,

(Zuruf von der SPD: Nennen Sie doch die falschen Behauptungen!)

wie Sie die Lage in Berlin und hier in Nordrhein-Westfalen verbessern wollen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, seitdem wir hier im Amt sind und die Regierung übernommen haben, arbeiten wir daran, die Chancen für die Menschen in diesem Land jeden Tag zu verbessern, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Lebensbedingungen.

Das gelingt uns auch: Wir haben über 135.000 mehr Beschäftigte im ersten Halbjahr in Nordrhein-Westfalen.

Wir haben bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten Rekordstände in Nordrhein-Westfalen.

Wir kümmern uns um Jugendliche mit Vermittlungshemmnissen. Es gibt 1.000 zusätzliche Ausbildungsplätze.

Wir kümmern uns auch um junge Geflüchtete, und zwar mit zusätzlichen Initiativen, damit die hier in der Gesellschaft ankommen.

Wenn Sie sich allerdings jetzt immer so als das soziale Gewissen in unserem Land aufspielen, möchte ich Ihnen vielleicht doch mal vorhalten, dass es doch klug gewesen wäre, sich in Ihrer Regierungszeit gerade für diejenigen, die in schwierigen Arbeitsverhältnissen und unter schwierigen Lohnrahmenbedingungen arbeiten, einzusetzen.

Sie hätten beispielsweise das Thema „allgemein verbindliche Tarifverträge“ angehen sollen. Da behaupten Sie ja, wir würden nichts machen. Das stimmt nicht.

Wir haben für 500.000 Beschäftigte im Bäckereihandwerk, bei Friseuren oder bei Sicherheitsdiensten allgemein verbindliche Tarifverträge eingeführt und das fair umgesetzt. Das ist damit die erste Unwahrheit, die Sie in diesem Antrag beschrieben haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das Zweite ist, und darüber bin ich auch wirklich langsam sauer: Sie haben das in Ihrer Regierungszeit nicht hinbekommen. Sie haben es geschafft, mit Hannelore Kraft einen großen Slogan an die Wand zu malen: Wir lassen kein Kind in diesem Land zurück.

Die Kinderarmut ist aber während Ihrer Regierungszeit gestiegen. Die Armutsrisiken sind weiter angestiegen. Sie haben nichts hinzugefügt außer einer schönen Phrase, aber substanziell diese Programme nicht mit finanziellen Mitteln hinterlegt.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Seitdem wir in diesem Land regieren, ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen gesunken, und das Armutsrisiko sinkt erstmals in diesem Land wieder. Ich finde, das ist ein Erfolg, den man immer wieder darstellen sollte.

(Beifall von der CDU)

Jetzt komme ich zu dem größten Punkt. Wenn Sie ernsthaft ein Interesse daran haben, die Arbeitsbedingungen, Lebensbedingungen und Chancen in diesem Land zu verbessern, müssen wir über Bildung sprechen, denn weltbeste Bildung ist der einzige Garant dafür, dass etwas nach vorne geht und funktioniert.

Was Sie nach sieben Jahren Regierungszeit hier hinterlassen haben, ist im Bereich der Kitas aber ein enormer, großer Scherbenhaufen gewesen.

Fast noch schlimmer ist das, was Sie in der Schullandschaft diesem Land und den Kindern hier hinterlassen haben. Wir haben fast zwei Jahre dafür gebraucht, dort aufzuräumen.

(Beifall von der FDP)

Einen der größten Reformpunkte werden wir gleich noch besprechen, nämlich die KiBiz-Reform, die dafür sorgt, dass die Kitas erstmals wieder vernünftig mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind, weil Sie in den sieben Jahren nicht in der Lage waren, entsprechende Reformen auf den Weg zu bringen. So sieht die Situation in unserem Land aus.

(Beifall von der FDP und der CDU – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das war nicht besonders kreativ, was Sie da erzählt haben! – Zuruf von der SPD: Traurig!)

Herr Herter, Sie könnten sich ja mal von der ehemaligen grünen Schulministerin distanzieren, die in allen Bereichen der Bildungspolitik eine katastrophale Situation herbeigeführt hat. Wir hatten Chaos an den Schulen beim Thema „Inklusion“.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Thema „G8 und G9“ haben Sie nicht abgeräumt, Frau Beer.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Das sind unhaltbare Zustände in unserem Land. Sie haben Lehrerstellen nach Bauchgefühl besetzt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Seit 2011 waren Sie nicht in der Lage, eine Lehrerbedarfsplanung durchzuführen. Sie haben einzig nach Ihrem Bauchgefühl gehandelt.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

So hat Herr Kutschaty auch seine Rede geführt, anstatt mal auf Fakten einzugehen.

Herr Kutschaty, dann ist es schon eine Frechheit, hier die Talentschulen so schlechtzureden. Sprechen Sie mal mit den Kindern auf diesen Schulen und fragen Sie sie mal, ob es nicht vielleicht wertvoll ist, dass gerade in sozialen Brennpunkten

(Sven Wolf [SPD]: Reden Sie mal mit den Kindern aus den anderen Schulen! – Weitere Zurufe – Glocke)

Schulen gefördert werden, damit junge Menschen eine Chance haben, etwas aus ihrem Leben zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Sven Wolf [SPD]: Wenige Kinder, nicht die Vielen!)

Sie haben auch dafür gesorgt, dass wir bei den Grundschulen so eine schwierige Ausgangslage haben. Fast 40 % mehr Studienplätze haben wir in den zweieinhalb Jahren geschaffen. Was sind denn da Ihre Erfolge? – Die hätte ich gerne mal gesehen. Dann wären wir jetzt in einer ganz anderen Situation hier in Nordrhein-Westfalen.

Herr Kutschaty, Sie sollten dann auch das Regierungshandeln konkret verfolgen. Sie behaupten, wir würden das Fach – wenn wir uns auf die Zukunft vorbereiten, denn das ist eine der Zukunftsaufgaben in unserem Land – „Wirtschaft und Informatik“ nur an Gymnasien einführen. Das ist falsch. Bis 2022 wird jede Schulform das anbieten.

Behaupten Sie doch nicht solchen Unsinn. Bitte lesen Sie doch die entsprechenden Regierungsvorhaben. Dann würden Sie sehen, dass wir das natürlich an allen Schulformen einführen, damit jedes Kind in diesem Land – egal, wie die finanziellen Grundlagen der Kinder aussehen – eine Chance hat, etwas aus seinem Leben zu machen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Kutschaty, wenn Sie einen ernsthaften Beitrag für Chancengerechtigkeit in unserem Land auf den Weg bringen wollen, rate ich Ihnen und bitte Sie, in Berlin dafür zu sorgen, dass wir beim Thema „OGS“ nach vorne kommen.

Es kann doch nicht sein, dass die Bundesministerin Frau Giffey hier eine so kleine Summe ankündigt, die noch nicht einmal für Nordrhein-Westfalen ausreicht. Wir gehen davon aus, dass wir alleine in Nordrhein-Westfalen, wenn wir den Rechtsanspruch vernünftig umsetzen wollen, 7 Milliarden Euro zusätzlich brauchen.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Es wäre Aufgabe der SPD, dafür zu sorgen, dass diese 7 Milliarden Euro auch wirklich in Nordrhein-Westfalen ankommen, damit tatsächlich für Chancengleichheit gesorgt werden kann.

(Beifall von der FDP – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Dann sagen Sie mal, worin wir Sie unterstützen sollen!)

Ich will Ihnen Folgendes noch einmal sagen, weil das wichtig ist, wenn man über soziale Teilhabe spricht: „Wohnen“ ist ein absolut ernstes Thema, und deswegen haben wir uns dessen auch angenommen.

(Sarah Philipp [SPD]: Schön, dass Sie das erkannt haben!)

Es gibt im Moment keine Landesregierung, welche so viel zum Thema „Wohnen“ ausgibt wie die in Nordrhein-Westfalen: 1,3 Milliarden Euro zusätzlich.

(Sarah Philipp [SPD]: Aber wofür denn?)

Das ist mehr, als alle anderen Bundesländer in der Republik ausgeben.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Das muss anerkannt werden. Ich glaube, man wird die Situation auf dem Wohnungsmarkt aber nur lösen können, wenn man gleichzeitig den Vorschriftendschungel durchkämmt und

(Michael Hübner [SPD]: Das glauben auch nur Sie!)

entsprechend reduziert sowie dafür sorgt, dass Bauunternehmen entsprechend arbeiten können und dass es Flächen in Nordrhein-Westfalen gibt, auf denen überhaupt gebaut werden kann. Das wäre ein Beitrag dazu gewesen, das haben Sie jedoch nicht geschafft. Zur Entspannung des Wohnungsmarktes in diesem Land brauchte es Schwarz-Gelb.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie glauben auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten! – Marc Herter [SPD]: Das mit der Zulieferung hat nicht richtig geklappt!)

Ich will Ihnen abschließend noch einen Punkt mit auf den Weg geben. Es ist hilfreich für die Menschen in diesem Land, etwas weniger dramatisches Pathos an den Tag zu legen und ihnen lieber zuzuhören, was ihre Probleme sind, danach entsprechend zu handeln und Vorschläge zu unterbreiten. Das ist genau das, was wir im Wahlkampf angekündigt haben und was wir seit zweieinhalb Jahren in der Regierung tun. Wir wollen dies in den nächsten Jahren fortsetzen, denn seit wir das tun, geht es in Nordrhein-Westfalen voran. Das ist der richtige Weg.

Solche Anträge können wir uns sparen,

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Mit Sicherheit nicht!)

und deswegen werden wir diese auch ablehnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode ist die Regierung Laschet vor allen Dingen an einer Sache gescheitert, nämlich an sich selbst und an ihren eigenen Ansprüchen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Lächerlich!)

Nach einem maßlos populistischen Wahlkampf – wir alle haben noch die Plakate in Erinnerung, auf denen den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen wurde – folgten die Superlative im Koalitionsvertrag. Was konnten wir da nicht alles lesen und vernehmen: Der Wirtschaftsriese NRW sollte entfesselt werden

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Läuft!)

mit Digitalstrategie, Mobilfunkpakt, GigabitGipfel und was noch alles. Ganz zügig sollte es das schnelle Internet geben, und Funklöcher sollten der Vergangenheit angehören.

(Michael Hübner [SPD]: Die Hygieneampel habt ihr abgeschafft, ja, das stimmt! – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU]: Läuft doch!)

Ich könnte das fortsetzen, aber ich möchte lieber zu einem Realitätscheck kommen, und das, Herr Kollege Hafke, jetzt einmal faktenbasiert. Die Fakten sind ernüchternd.

Die Wirtschaft wächst deutlich langsamer, nämlich unter dem Bundesdurchschnitt.

(Henning Rehbaum [CDU]: Habe ich etwas nicht mitbekommen?)

Die – minimale – Antwort auf das große Versprechen des Aufstiegs durch Bildung besteht in ein paar Talentschulen und nicht in der notwendigen flächendeckenden Ressourcensteuerung und Ressourcenverteilung nach Sozialindex. Das wäre die richtige Antwort auf Benachteiligung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Petra Vogt [CDU]: Das habt ihr ja besonders gut gemacht!)

Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer warten noch immer auf die gleiche Besoldung für gleiche Arbeit; auch dieses Versprechen ist nicht eingelöst worden. Wäre das der Fall, würden sich vielleicht auch mehr Personen auf die freien Stellen bewerben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihr habt doch keine ausgebildet!)

Menschen in NRW suchen mehr denn je nach bezahlbarem Wohnraum, und, Herr Laschet, sie ärgern sich immer noch, dass sie im Stau stehen. Allen war klar, dass Sie dieses Versprechen nicht halten können. Sie sorgen für Politikverdrossenheit,

(Sven Wolf [SPD]: Ganz genau!)

wenn sie den Leuten im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprechen und nachher nichts passiert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Armin Laschet, Ministerpräsident: Was war denn das Versprechen?)

Trotz der vollmundigen Ankündigungen von GigabitGipfel und Digitalstrategien rauf und runter kann man an den Hauptverkehrswegen immer noch nicht telefonieren. Auch dieses Versprechen sollte bis Ende 2019 eingelöst werden. – Herr Hafke, fahren Sie doch mal mit der Bahn durch das Ruhrgebiet oder Richtung Wuppertal. Dort kann man nicht telefonieren. Dieses Versprechen hat Ihr Minister nicht eingelöst.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe gestern in der Rede zum Haushalt die Zahlen zu den Mitteln für das schnelle Internet noch einmal vorgetragen. Hunderte von Millionen Euro aus den Frequenzversteigerungen von 2015 sind immer noch nicht vor Ort angekommen, wie Sie es versprochen haben. Das sollte geschehen durch Entfesselung, die Bündelung von Förderprogrammen und was Sie nicht alles machen wollten.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP] – Wolfgang Jörg [SPD]: Dafür haben wir auch keinen Stau mehr!)

Ein Bruchteil davon ist abgerufen worden, und das Geld kommt nicht an. Auch damit haben Sie ein Versprechen nicht eingelöst.

Am schlimmsten für die Zukunft der nachfolgenden Generation ist, dass man leider nicht erkennen kann, dass das große Versprechen des Ministerpräsidenten, Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken und zu versöhnen, eingelöst worden ist.

Beispiel: Entfesselungspakete. Nach wie vor folgt die Landesregierung ihren alten Rezepten und ihrer nicht zukunftstauglichen Logik: Wir streichen mal ein paar Umweltstandards, dann kommt das Wirtschaftswachstum von ganz alleine. – Das sieht man ja am Landesentwicklungsplan: Der Flächenfraß wird ausgedehnt, die Massentierhaltung wird erleichtert, der Kiesabbau schreitet voran. Sie setzen einfach die Standards herunter, und dann soll die Wirtschaft wachsen. Das funktioniert aber nicht. Das sind Rezepte von gestern.

Zukünftig wird nur derjenige erfolgreich wirtschaften können, der ressourcenschonend produziert; denn zukünftig werden und müssen die realen Kosten auch der Umweltbelastung in den Produkten abgebildet werden. Sie folgen Konzepten von gestern, und deswegen wird es nicht gelingen, Ökonomie und Ökologie zusammenzudenken, wie Sie es versprochen haben.

(Beifall von Wibke Brems [GRÜNE])

Beispiel: Kohleausstieg: Trotz vollmundiger Bekenntnisse zu einer Eins-zu-eins-Umsetzung des Ergebnisses der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ wird die Energiewende sabotiert. Statt mehr Flächen, die wir für den Ausbau der Erneuerbaren brauchen, zu schaffen, reduziert die Landesregierung die Flächen für Windenergie um die Hälfte. Damit werden die Ausbauziele nicht erreicht, und die perspektivische Energieversorgung ohne Kohle wird so nicht gelingen.

Beispiel: Tierschutz. Das ökologische Jagdgesetz wurde rückabgewickelt, das Tierwohl wird einseitig den Interessen der Jägerlobby geopfert.

Beispiel: Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände. Die FDP findet Tierschutzverbände sowieso alle kriminell, wie sie es hier in der Debatte gesagt hat.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Es ist nicht zu glauben!)

Anwälte der Tiere werden mundtot gemacht.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Auf Bundesebene wird nichts gegen das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln getan, im Gegenteil, usw. usf. Versöhnung mit Ökologie, Tierschutz und Naturschutz – Fehlanzeige!

(Marcel Hafke [FDP]: Das hat Herr Remmel gemacht!)

Beispiel: Verkehrswende und Luftreinhaltung. Nach den Betrügereien der Autohersteller, denen wir ja nun ursächlich die schlechte Luft in unseren Städten zu verdanken haben, setzt die Landesregierung nicht auf die notwendigen Hardwarenachrüstungen für die Diesel auf Herstellerkosten, womit die Ursachen bekämpft würden, sondern es werden wieder – das konnte man von Herrn Ministerpräsidenten vernehmen – die Anwälte der Autolobby gehört.

(Lorenz Deutsch [FDP]: Habe ich etwas verpasst?)

Es werden stattdessen diejenigen diskriminiert, die gerichtlich gegen die angeblich laschen Luftreinhaltepläne vorgehen. Die Umwelthilfe wird beschimpft. Jene, die das vor Gericht bringen, und nicht jene, welche die schlechte Luft verursacht haben, werden angegangen. Die Kommunen werden in ihrem Bemühen, die Grenzwerte einzuhalten, alleingelassen.

In der gesamten Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik gibt es – das will ich der Regierung zugestehen – ein rhetorisches grünes Mäntelchen und einen Strategiewechsel, weil man anhand der Umfragen merkt, dass die Menschen da mehr wollen. Es gibt aber keinen Politikwechsel. Da klafft die größte Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Vertrauen wurde verspielt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das zeigen auch die Umfragen. 67 % – einer der höchsten Werte – der Menschen in NRW sind laut einer Umfrage vom 03.11.2019 unzufrieden mit der Umweltpolitik. Bei der Bildungspolitik sieht es nicht besser aus, mit dieser sind 60 % unzufrieden. Damit liegen wir im Ländervergleich im unteren Drittel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, das Ziel, das Sie sich hier gesetzt haben, ist nicht besonders ambitioniert; Sie landen offenbar auf den unteren Plätzen. Ihre Ansprüche haben Sie nicht umgesetzt.

Fazit: Für uns fehlt es der Regierung an Mut, Anspruch, Aufbruch und Glaubwürdigkeit.

(Zuruf von Lorenz Deutsch [FDP])

Zum Schluss noch einige Sätze zur SPD und zu dem Antrag:

Lieber Kollege Kutschaty, beim Lesen einiger Passagen habe ich mich gefragt, warum Sie das aufgeschrieben haben. Es ist ja aller Ehren wert, einen Mindestlohn von 12 Euro zu fordern; das finden wir richtig.

(Michael Hübner [SPD]: Laumann auch!)

Über die Abschaffung von Hartz IV kann man diskutieren. Die Kindergrundsicherung muss kommen. Das ist alles in Ordnung. All das sind aber keine landespolitischen Themen.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Doch, im Bundesrat!)

In Berlin regieren Sie doch. Dort könnten Sie doch die Weichen umstellen. Warum machen Sie das nicht? Das erschließt sich mir nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, eines der größten Defizite Ihres Antrags und der Grund, weshalb wir diesen heute ablehnen werden, ist: Sie schreiben sehr viel über die Folgen des Klimawandels für Menschen aus einkommensschwachen Haushalten sowie darüber, dass man diese sozialpolitisch abfedern müsse und nicht den Ärmsten der Armen bei Klimawandel und Umweltverschmutzung die größten Belastungen zufallen sollten. Auch das ist alles richtig. Sie schreiben aber kein Wort über die Ursachen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir finden im Antrag nichts dazu, wie wir verhindern, dass die Erderwärmung über 1,5 Grad steigt.

(Gordan Dudas [SPD]: Umweltspuren wären schon mal was!)

Wie schaffen wir das im Energieland NRW? Dazu finden wir nichts.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): Da gibt es riesige Angriffsflächen bei der Regierung. Sie wollen irgendwelche Folgen abfedern, aber an den Ursachen offenbar nichts ändern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das können wir so nicht mittragen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kannst du dann ja 2022 in den Koalitionsvertrag mit Herrn Laschet schreiben!)

In Ihrem Antrag finden wir nichts dazu, wie wir eine neue Energieversorgung klimaneutral organisieren. Das ist aber für uns die Generationenaufgabe, der wir uns zu stellen haben. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh, dass ich heute zu diesem Antrag sprechen darf. – Nein, noch mal zurück auf Anfang, das wäre nämlich gelogen. Mut zur Wahrheit, das war immer das Motto der AfD.

(Sven Wolf [SPD]: Warum halten Sie sich nicht daran?)

Meine Fraktion kam auf mich zu und sagte, ich sei wohl der Richtige dafür, sich die Bauschmerzen, die Fieberträume der SPD anzuhören. Aus der Psychosomatik kann ich Ihnen sagen: Das, was da so drückt und Sie in Ihrem Antrag so plagt, ist das schlechte Gewissen den Arbeitern in NRW gegenüber.

(Beifall von der AfD)

So stand ich also da, mit Besen und Kehrblech, und wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, die Reste der SPD in diesem Antrag aufzufegen.

Die substanzloseste Partei Deutschlands, kurz: SPD, verschwendet aktiv Papier, scheinbar – jedenfalls muss man das annehmen – mit dem Ziel, sich zur parlamentarischen Halbzeit dieser Legislatur Selbst-orientierung in hoffnungslosen Zeiten zu geben – in einer Zeit, in der die Sozialdemokratie in Deutschland nicht einmal mehr einen Vorsitzenden hat, dem man die zahlreichen Wahlschlappen noch in die Schuhe schieben könnte, in der es für Kevinismus eine eigene Jugendorganisation gibt, in der ihr nicht einmal mehr klar ist, ob man Kapital nun zerschlagen, vergesellschaften oder doch nur gänzlich anders verteilen muss und ob Arbeit wirklich noch sein muss oder wir Bayer, RWE, Ford und Opel doch lieber durch Bienenwiesen ersetzen sollten.

So verkommt der Versuch der verirrten hochbetagten Beliebigkeitssozialisten, eine Duftmarke zu setzen, zu leeren Hashtagphrasen. „Für die Vielen, nicht die Wenigen“ heißt es da. Das hört sich nicht anders an als: Bitte wählt uns doch wieder; nach 130 Jahren haben wir nun endlich den Dreh mit der Gerechtigkeit heraus. – Vielleicht klappt es ja dieses Mal.

(Beifall von der AfD)

Nach Bulette, Exportbier, harter Arbeit, ehrlichen Löhnen, Aufstiegschancen und echten Perspektiven auf ein besseres Leben riecht bei Ihnen schon lange nichts mehr. Es macht vielmehr den Eindruck, die SPD lebe sehr gut von den Armen – sozusagen Armut als Geschäftsmodell. Wie erfolgreich das ist, kann man allenfalls erahnen, wenn man die Vorgänge zwischen AWO und SPD in der Presse verfolgt.

Die Wähler haben das längst begriffen und sind zu den Linken oder Grünen gewandert, ja sogar zu der CDU und – insbesondere die Arbeiter – auch in Scharen zu uns. Der einzige Grund dafür, dass die SPD aktuell noch nicht den Limbo unter die 5 % tanzt, sind die Wähler, die schon immer SPD gewählt haben, weil Ferdi Lassalle so ein netter Typ ist. Aber mit der neuen Brille und dem Vollbart hat er sich keinen Gefallen getan, hört man die Alten zwischen Rollator und Sessellift raunen.

(Beifall von der AfD)

Die einst ehrwürdige SPD hat viel erreicht – keine Frage. In der Moderne wird sie in diesem Zustand aber schlicht nicht mehr gebraucht. Ihre Rezepte sind angestaubt, völlig aus der Zeit gefallen.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Das sagt jemand von der AfD, ich lach mich tot! Sie wollen doch zurück in die 50er-Jahre, wenn nicht noch früher!)

Der Markt tickt längst anders und reagiert auf Ihren hydraulischen Keynesianismus schon längst nicht mehr – maximal noch mit Husten und Unverständnis, aber sicherlich nicht mit Wachstum oder fairer Verteilung.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Nichts ist älter als die AfD!)

Sie steckten im Bund und lange auch hier im Land immer mehr Geld in ein Sozialsystem, das völlig aus den Fugen geraten ist, Milliarde nach Milliarde verschlingt und trotzdem keinen spürbaren Effekt hinterlässt. Insbesondere in Ihrer Regierungszeit sind die Sozialausgaben stark gestiegen – und genauso die Armutsquote.

18 % der Menschen in NRW gelten mittlerweile als armutsgefährdet, also fast jeder Fünfte. In Gelsenkirchen, einer Ihrer Hochburgen, ist es jeder Vierte. Dort wählt man in Teilen immer noch die SPD in der Hoffnung, dass es dieses Mal vielleicht besser werden könnte. Das wird es aber schon seit Dekaden nicht mehr. NRW ist trauriger Spitzenreiter. Kein anderes Flächenland in Deutschland ist in den letzten Dekaden derart abgewirtschaftet worden.

Über 30 % der Kinder in Essen, Dortmund, Mönchengladbach und Herne leben in Familien, die mit Hartz IV auskommen müssen. In Bayern werden die Menschen mittlerweile im Schnitt zehn Jahre älter als in Duisburg, Gelsenkirchen oder Hagen.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist falsch!)

Was passiert, wenn man einem SPD-Innenminister die innere Sicherheit überträgt, brauche ich Ihnen spätestens seit der Silvesternacht 2015 nicht mehr zu erzählen. Man kann der SPD die innere Sicherheit ruhig anvertrauen, aber dann ist sie eben weg.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Das ist Ihr Wirken, Ihre Bilanz. Das ist real existierende Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen mit all ihren grausamen Auswirkungen auf Familie, Arbeitsplätze, Lebensqualität, Standort und letztlich sogar noch auf die Gesundheit.

Dabei steigen die Zahlen der Beschäftigten sehr wacker, teilweise sogar gegen den europäischen Trend. Manche Jobs, die Sie schaffen, sind so gut, dass man gleich mehrere davon haben muss, um sich noch eine Wohnung in den rot-grünen Städten leisten zu können. Stolz verkündet Arbeitsminister Hubertus Heil immer, wie gut es doch dem Arbeitsmarkt geht. Was nutzt einem ein Job, wenn es für das tägliche Leben am Ende nicht mehr reicht? Arbeit ist doch kein Selbstzweck.

Was nutzen mir die Hirngespinste von Giffey und Co., wenn die mickerige Erhöhung von Kindergeld und Hartz IV direkt nach den Wocheneinkäufen von Milch, Butter und Fleisch und der Fahrt zur Tankstelle gänzlich wieder aufgefressen wird? Was bringen mir Zuschüsse zur Kita, wenn ich vorher das Doppelte meines erarbeiteten Geldes über Lohnsteuer, Energieumlage, Mehrwertsteuer, Hundesteuer etc. wieder abgenommen bekomme?

(Michael Hübner [SPD]: Das Doppelte von Ihrem Geld? So ein Unsinn!)

Sie blasen den Staat immer weiter auf in der Hoffnung, Sie wüssten besser, wo den Bürger der Schuh drückt. Geben Sie doch einfach zu, dass Sie nach 130 Jahren keine Ahnung mehr davon haben, wie Sie das alles noch stemmen sollen.

(Beifall von der AfD)

Ihr Antrag ist auf jeden Fall keine Hilfe, er ist allenfalls ein hilfloser Ruf nach mehr von allem, ein Wunschtraum eines sozialistischen Utopia. Davon lässt sich aber schon längst niemand mehr blenden, zumindest niemand, der mitbekommen hat, dass der Neue der SPD Kutschaty und nicht Willy Brandt ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Lienenkämper das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir wissen in diesem Hohen Hause genau, dass Nordrhein-Westfalen seit seiner Gründung durch die Briten 1946 eine besondere Nähe zum Vereinigten Königreich auszeichnet. Das hat in den guten Zeiten der Sozialdemokratie dazu geführt, dass sich beispielsweise Ministerpräsident Wolfgang Clement an Tony Blair orientiert und gesagt hat: Tony Blair führt die thatcheristischen Reformen mit sozialdemokratischer Handschrift weiter. – Er hat daraus gefolgert, man müsse dieses Land stärker machen und modernisieren. Es hat mal eine Zeit gegeben, in der Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder die neue Sozialdemokratie definiert und dabei auch unbestreitbare Erfolge erzielt haben.

Herr Kollege Kutschaty, nun muss ich leider feststellen, Sie orientieren sich an Jeremy Corbyn. Das ist nicht besonders erfolgversprechend. Deswegen finde ich es auch nicht besonders zielführend und geistreich, die Überschrift Ihres Antrags schlichtweg bei Jeremy Corbyn und seinem Wahlprogramm eins zu eins, wenn auch nicht perfekt übersetzt, abzukupfern. Dort heißt das Wahlprogramm „FOR THE MANY NOT THE FEW“. Daraus ist dann in nordrhein-westfälischer sozialdemokratischer Übersetzung „Für die Vielen, nicht die Wenigen“ geworden. Ich kann Ihnen sagen: Wenn das das Versprechen ist, das Sie den Menschen in Nordrhein-Westfalen geben wollen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie dieses Versprechen annehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben Erfahrung mit Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum. „Kein Kind zurücklassen“ war die geniale und gescheiterte Politik des George W. Bush, des bösen Bush, wie wir hier manchmal sagen. „No Child Left Behind“ übersetzt in „Kein Kind zurücklassen“. Ergebnis der Veranstaltung: Kitas unterfinanziert, Schulsystem nicht in Ordnung,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Wer hat uns denn das Drama eingebrockt? – Michael Hübner [SPD]: 2006 das KiBiz!)

Bildungssystem nicht in Ordnung, Hochschulen nicht in Ordnung. – Das ist ein desaströses Ergebnis. Übersetzen aus dem Englischen war offenkundig noch nie Ihre Stärke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich darf Sie auf eine Zeitreise zurück in das Jahr 2017 einladen. Einer der Gründe dafür, warum Ihre Regierung abgewählt worden ist, war, dass Nordrhein-Westfalen seine Potenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft hat, ganz im Gegenteil. Das haben die Bürgerinnen und Bürger gespürt und erlebt, und zwar alle.

Wir jedenfalls wissen um die großen Potenziale unseres Landes. Genau deswegen packen wir die Dinge auch an. Wir setzen Dynamik frei. Wir arbeiten jeden Tag für 18 Millionen Nordrhein-Westfalen. Genau deshalb sind wir als Koalition des Aufbruches mit einem klaren Ziel angetreten. Wir machen unsere Heimat wieder zum Aufsteigerland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen weltoffen, modern und innovativ faire Aufstiegschancen für jeden schaffen. Dabei wollen wir nachhaltig im Wirtschaften sein. Seit 2017 hat sich in Nordrhein-Westfalen viel getan. Als Finanzminister darf ich hinzufügen: ohne neue Schulden. Das hat es seit 45 Jahren nicht mehr gegeben.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Wir haben 542 Millionen Euro Schulden abgebaut und zusätzlich Risikovorsorge in Höhe von 2,7 Milliarden Euro betrieben. Das, meine Damen und Herren, ist solide Haushaltspolitik, die Nordrhein-Westfalen wieder Auftrieb gibt. Das erfährt Anerkennung durch Standard & Poor’s, eine der größten Ratingagenturen. Nordrhein-Westfalen ist zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder auf AA heraufgestuft worden. Hätten Sie sich daran ein Beispiel genommen, hätten Sie die Passage zur Finanzpolitik in Ihrem Antrag gar nicht erst geschrieben.

Weiterhin ist natürlich für uns hier in NRW noch eine Menge zu tun. Wir wissen, dass wir einiges geschafft haben, und wir wissen, dass noch vieles zu tun ist. Wir wissen aber auch, dass Ihre Forderungen, wenn wir sie uns genau ansehen, ins Leere laufen; denn sie geben weder korrekt die Lage wieder noch sind sie an Tatsachen orientiert.

Beispielsweise ist, anders als von Ihnen behauptet, die Beschäftigung in der Industrie in Nordrhein-Westfalen in den letzten zwei Jahren um über 50.000 Stellen gewachsen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ja, allgemein!)

Insgesamt sind in den letzten beiden Jahren sogar mehr als eine Viertelmillionen neuer sozialversicherungspflichtiger Stellen entstanden. Wenn Sie sich den Bericht des RWI – Leibniz-Instituts von gestern ansehen, erkennen Sie, dass Nordrhein-Westfalen im Bereich Beschäftigung endlich wieder stärker wächst als der Bund. Das ist eine gute Nachricht für Nordrhein-Westfalen. Beschäftigung ist ein Kernelement unserer Politik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Arbeitsmarktpolitik wirkt übrigens auch. Die Arbeitslosigkeit ging in den vergangenen Jahren stetig zurück. 6,6 % ist die Arbeitslosenquote in unserem Land und dabei auf dem niedrigsten Niveau seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Erstmals seit Jahrzehnten ist auch die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet unter die 10-%-Marke gefallen.

Man muss einfach Rahmenbedingungen für Nordrhein-Westfalen setzen, damit unsere gut ausgebildeten Menschen gut bezahlte Arbeit finden und dabei produktiv sind. Das ist Wertschöpfung, das ist Ermöglichen, das ist Zutrauen, und das führt Nordrhein-Westfalen wieder zum Aufsteigerland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir investieren massiv in die Zukunft: in die Bereiche Digitalisierung, Innovation, Bildung, Gesundheit, Energiepolitik, Klimaschutz. Auf diese Art und Weise verbessern wir die Leistungsfähigkeit unseres Landes erheblich.

Zudem haben wir uns der Aufgabe „Mobilität der Zukunft“ gewidmet. Mit uns wird jetzt endlich wieder mehr geplant, mehr genehmigt und mehr gebaut. Bis 2031 investieren wir 1 Milliarde Euro für die Erneuerung der Stadt- und Straßenbahnnetze. Fast 1,4 Milliarden Euro wurden allein im Jahr 2018 in die Autobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen und Radwege in Nordrhein-Westfalen investiert.

Meine Damen und Herren, endlich bekommt Nordrhein-Westfalen am Ende eines Jahres wieder übrig gebliebenes Geld aus Berlin.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Früher hatten wir keine Planungen mehr in der Schublade. Der bayerische und der baden-württembergische Verkehrsminister fuhren nach Berlin, holten sich die Stempel für eine neue Maßnahme und fingen zu Hause an zu bauen. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister hat sich seinerzeit ausgesprochen umweltfreundlich verhalten. Er konnte direkt in Düsseldorf bleiben, weil er keine Planungen hatte. Das ist jetzt anders.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] – Zuruf von Wolfgang Jörg [SPD])

Wir investieren 5 Milliarden Euro für schnelles und flächendeckendes Internet. Wir fördern Innovationen, künstliche Intelligenz und auch E‑Mobilität. Das sind weitere Beispiele unserer zukunftsgerichteten Politik.

Mit den Entfesselungspaketen haben wir bürokratische Belastungen für Unternehmen gesenkt, um beste Voraussetzungen für unternehmerisches Engagement zu schaffen. Dem kleinen Mittelständler und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles bis ins kleinste Detail vorzuschreiben, das ist aus unserer Sicht kein Ausdruck besonderer sozialer Kompetenz, ganz im Gegenteil. „Ermöglichen“ und „zutrauen“ sind die richtigen Stichworte.

Frau Kollegin Düker, Sie haben in dem Zusammenhang den Koalitionsvertrag zitiert: den „gefesselten Riesen NRW“ entfesseln.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Ich darf Sie darauf hinweisen, dass wir auf diese Überschrift gern selbst gekommen wären, sie entspringt aber einem Kommentar von Reiner Burger in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Jahr 2014 zur damals desaströsen Politik von Rot-Grün.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wo denn?)

Wir sind froh, dass wir jetzt dabei sind, den „gefesselten Riesen NRW“ zu entfesseln, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir schaffen beste Bedingungen für beste Bildung.

(Christian Dahm [SPD]: Ich dachte, die „weltbeste“!)

Der Bildungsetat im Land wurde auf 18,8 Milliarden Euro in 2019 gesteigert. Wir investieren jährlich bis zu 19 Millionen Euro für die Förderung von bis zu 1.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen für benachteiligte Jugendliche. Wir geben 50 Millionen Euro für die Förderung der Integration von jungen Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit aus. Wir haben die gesamte Gesellschaft im Auge, wenn wir Politik für Nordrhein-Westfalen machen.

Sie, lieber Herr Kollege Kutschaty, reden von Spaltung der Gesellschaft. Ich sage Ihnen: Wir sind seit 2017 endlich wieder auf dem Weg, dass in Nordrhein-Westfalen der gesellschaftliche Kitt durch die Politik stärker und nicht schwächer wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das belegt übrigens auch ein Blick auf die aktuellen Förderzahlen bei der Wohnraumförderung. Dort agieren wir da, wo die Menschen sind, und zwar trotz eines für die Wohnraumförderung immer schwieriger werdenden ökonomischen Umfelds. Wir verfolgen das Ziel, mehr bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnungen zu schaffen. Durch das Wohnraumförderprogramm 2018 bis 2022 haben wir dafür insgesamt 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Wir haben im Jahr 2018 insgesamt 923 Millionen Euro Förderung tatsächlich bewilligt. Im Jahr 2019 stehen sogar Wohnraumfördermittel in Höhe von 1,28 Milliarden Euro bereit.

Sie haben in Ihrer gesamten Regierungszeit die Gelegenheit gehabt, die Fördertöpfe für die soziale Wohnraumförderung auszuweiten. Sie haben diese Gelegenheit verpasst. Wir haben jetzt deutlich bessere Zahlen und deutlich mehr Erfolge als Sie. Es ist die richtige Politik für Nordrhein-Westfalen, maßgeschneidert mehr Wohnungen dort zu fördern, wo Wohnungen gebraucht werden. Das ist die Politik dieser Landesregierung, und sie ist erfolgreich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Frau Kollegin Düker, wir übererfüllen die bestehenden Klimaziele.

(Monika Düker [GRÜNE]: Die sind?)

Im Vergleich zu 1990 konnten wir bis 2018 die CO2-Emissionen bereits um 28 % senken. 2020 kann die 30-% -Marke erreicht werden.

(Monika Düker [GRÜNE]: Schalten Sie die Kernkraftwerke ab!)

Wir haben übrigens auch anders als Ihre Regierung die Haushaltsmittel für den Klimaschutz seit 2017 verfünffacht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das bedeutet, diese bürgerliche Koalition gibt das Fünffache dessen für Klimaschutz aus, was die rot-grüne vorher getan hat. Auch das ist richtige und erfolgreiche Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit der Eins-zu-eins-Umsetzung des Vorschlags der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ sind wir zum Vorreiter beim Kohleausstieg geworden. Damit leisten wir einen weiteren bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz. Das machen wir bei wirtschaftlich besserer Entwicklung unseres Landes. Der Wachstumsrückstand gegenüber dem Bund wird kleiner. Von 2010 bis 2017 lag er pro Jahr bei 0,8 %, aktuell ist er bei 0,1 %.

Liebe Frau Kollegin Düker, wir wollen auch diese 0,1 % aufholen, denn wir sind insgesamt auf dem Zielpfad unterwegs, Aufsteigerland zu werden. Das bedeutet auch, wir wollen mindestens den Durchschnitt des Wirtschaftswachstums in Deutschland erreichen und nachher stärker wachsen als der Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland.

Wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Fortschritte, Arbeitsmarktpolitik für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wirtschaftliche Prosperität muss man doch zusammendenken und darf sie nicht isoliert gegeneinander ausspielen. Deswegen machen wir diese Politik.

(Beifall von der CDU und der FDP – Monika Düker [GRÜNE]: Ja, tun Sie das doch mal! Aber Sie spielen das doch gegeneinander aus!)

Das sind jetzt nur einige Beispiele unserer Politik. Wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt, und zwar alle 18 Millionen in Nordrhein-Westfalen. Wir halten, was wir versprechen. Wir sind die Koalition des Aufbruchs für unser Land und für die 18 Millionen Nordrhein-Westfalen.

Hingegen ist fast jedes Stichwort in Ihrem Antrag völlig ohne konkrete und seriös berechnete Grundlagen. Ich kann Ihnen eines prophezeien: Folgte unser Land wirklich Ihrem Antrag, hätten Sie in einem recht: Dann lägen politisch – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „unbekannte, manchmal ungewisse Wege vor uns“. Das ist wahr.

Deswegen kann ich nach dieser Debatte befriedigt feststellen: Ich habe die Gewissheit, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen diesem Antrag nicht folgen wird.

Ich habe weiterhin die Gewissheit, dass wir jeden Tag immer weiter daran arbeiten müssen, Nordrhein-Westfalen stärker, besser und zukunftsorientierter zu machen. Diese Koalition tut das. Wir arbeiten jeden Tag mit Herzblut für 18 Millionen Nordrhein-Westfälinnen und Nordrhein-Westfalen, und wir sind erfolgreich dabei. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Dahm das Wort.

Christian Dahm (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Thomas Kutschaty hat zu Recht aufgezeigt, wohin die Entwicklung in diesem Land geht: Wir haben eine soziale Schieflage in unserer Gesellschaft, und die Spaltung in unserer Gesellschaft setzt sich fort.

Herr Kollege Schick, Sie haben eben den großen Bereich der Arbeit angesprochen. Sie haben sich dabei aber vorwiegend auf den Bereich der Unternehmer und der Besserverdienenden bezogen. Auch denen gilt unser Respekt. Aber wir wollen die anderen in den Blick nehmen. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.

(Beifall von der SPD)

Wir müssen an den Niedriglohnsektor heran. Deutschland und Nordrhein-Westfalen haben mit weit über 20 % aller Beschäftigten einen der größten Niedriglohnsektoren in der Europäischen Union. In Dänemark und Frankreich sind es nur 8 %, in Schweden lediglich 3 %. Wir wollen hier in Nordrhein-Westfalen schwedische Verhältnisse haben. Das ist unser Ziel, meine Damen und Herren. Das wäre einmal ein ambitioniertes Ziel.

(Beifall von der SPD)

Daher brauchen wir auch starke Gewerkschaften. Wir brauchen allgemeinverbindliche Tarifverträge. Wir brauchen einen Mindestlohn, der diesen Namen verdient, nämlich mindestens 12 Euro beträgt und dann steigt. Das wäre eine Politik für die vielen, auch hier in Nordrhein-Westfalen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Minister Lienenkämper, Sie haben gesagt, Sie würden die Dinge anpacken. Zu den Finanzfragen gehört aber auch dazu: Jedes Jahr gehen dem deutschen Staat durch Steuerhinterziehung und windige Gewinnverlagerungen Milliarden Euro verloren. Diese Landesregierung hat die Bekämpfung der Steuerkriminalität aber praktisch eingestellt. Sie vertreten hier nicht die Interessen der vielen ehrlichen Steuerzahler in diesem Land. Sie nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD – Zuruf: Unverschämt!)

Wir könnten eines der besten Betreuungs- und Bildungssysteme in Europa finanzieren,

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

wenn die Besteuerungsquote von Erbschaften und Vermögen auf das Niveau der USA oder von Großbritannien – Sie haben Großbritannien ja mehrfach erwähnt, Herr Minister – angehoben würde.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Gibt es dazu von Ihnen irgendeine Initiative? Selbstverständlich nicht! Waren Sie es nicht, die in diesem Land die Grunderwerbsteuer für die Menschen, die ein Haus kaufen wollen, senken wollten? Auch hierzu ist eine Initiative von Ihnen ausgeblieben, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wer in diesem Land reich ist, hat in Ihrer Regierung einen Anwalt, Herr Höne. Er hat in Ihnen einen treuen Anwalt.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Nur die Eltern kleiner Kinder mit Durchschnittseinkommen haben seit dem Regierungswechsel keinen Anwalt mehr in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Für uns ist klar, meine Damen und Herren: Sie sind eine Landesregierung ohne Kraft und Innovation,

(Zurufe von der FDP)

eine Landesregierung, die massiv ihre Wahlversprechen gebrochen hat,

(Beifall von der SPD)

eine Landesregierung, die unsere Kommunen im Stich lässt, und eine Landesregierung, die die Interessen der vielen nicht berücksichtigt. Das ist doch das Bild dieser Regierung.

Licht und Sonne haben Sie den Menschen hier versprochen; Hoffnung wurde in den Himmel gemalt. Die Menschen wurden doch bitter enttäuscht. Ganz egal, ob es um die Staus in Nordrhein-Westfalen geht, ob es um unsere Jüngsten in den Kindergärten geht, ob es um unsere Lehrerinnen und Lehrer geht, die dringend gebraucht werden, oder ob es um das Demokratieverständnis dieser Landesregierung geht: Wo man auch hinschaut, meine Damen und Herren, nur Schatten und Tristesse!

Ich will Ihnen auch einige Beispiele zu Ihrer Kommunalunfreundlichkeit nennen. Wir reden ja gleich noch einmal über das Kinderbildungsgesetz. Dann geht es um die Fachlichkeit. Dazu, was das die Kommunen in Nordrhein-Westfalen kostet, will ich Ihnen aber hier nur einige wenige Beispiele nennen: Solingen hat ein Defizit von 2,5 Millionen Euro. In Bielefeld beträgt das Defizit 7,8 Millionen Euro. Bei mir zu Hause in Bad Oeynhausen sind es ebenso wie in Herford 1 Million Euro Defizit.

Die Mehrkosten gehen aber nicht mit mehr Qualität einher. Nach wie vor brauchen die Kitas sogenannte freiwillige Zuschüsse der Kommunen, damit das System überhaupt aufrechterhalten werden kann. Auskömmlichkeit, Herr Minister Stamp, sehe ich an dieser Stelle nicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen auch einige andere Beispiele nennen. Sie haben sich gestern hierhin gestellt, Herr Stamp, und gesagt: Die Integrationspauschale wird nicht weitergegeben, weil sie gar nicht mehr so heißt. – Das ist doch ein Scherz! Das ist doch ein Schlag für die Kommunen und ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die sich in der Integrationsarbeit betätigen.

(Beifall von der SPD)

So geht man hier in Nordrhein-Westfalen nicht damit um.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

– Ja, wir können auch gerne noch einmal über das FlüAG reden. Nach wie vor, Herr Minister Stamp, schulden Sie den Kommunen in Nordrhein-Westfalen Millionen. Sie haben versprochen, rückwirkend zum 01.01.2018 das FlüAG anzupassen.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Nein, nein!)

Sie waren gestern genauso beim Städtetag wie ich auch und wie viele von uns hier.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Das ist eine völlig falsche Behauptung!)

Noch viel schlimmer ist, dass Sie den Ball der kommunalen Familie zuschieben, weil sich Städtetag und Städte- und Gemeindebund angeblich nicht einigen können. Das ist unredlich, meine Damen und Herren. Das ist ein Politikversagen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Eben ist ein Zucken durch uns alle gegangen, als der Finanzminister von Entfesselung gesprochen hat. Entfesselungsstrategie und Entfesselungspakt! Ich sage Ihnen: Entfesseln Sie doch einmal die Menschen in diesem Land. Schaffen Sie die unsäglichen Straßenausbaubeiträge endlich ab. Das wäre einmal eine gute Politik.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Sie legen ein Förderprogramm in Höhe von 65 Millionen Euro auf, das mehr Bürokratie für die Kommunen bedeutet, genehmigen sich aber 1,25 Millionen Euro. Das steht in überhaupt keinem Verhältnis.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Christian Dahm (SPD): Schon allein die Tatsache, dass Sie hier Klientelpolitik betreiben, ist ein Nachweis Ihrer verfehlten Politik.

(Zuruf von Henning Höne [FDP] – Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Christian Dahm (SPD): Dass Sie auch unser allgemeines Demokratieverständnis zulasten der Menschen in unseren Kommunen aufs Spiel setzen, indem Sie die Stichwahl abschaffen, ist mehr als fragwürdig.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, die Redezeit, bitte!

Christian Dahm (SPD): So stützt man nicht die Säulen unserer Demokratie, meine Damen und Herren. So gefährdet man sie nur. Sie machen definitiv nicht Politik für die vielen in dieser Gesellschaft, sondern nur für wenige. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von der SPD – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dahm für die Fraktion der SPD. – Für die Fraktion der AfD hat nun Herr Abgeordneter Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf nun auch zu einem Antrag aus der Kategorie „Anträge, die die Welt nicht braucht – Ergotherapie für Abgeordnete“ sprechen,

(Zuruf von der SPD: Da kennen Sie sich aus!)

nämlich zu dem Antrag der SPD, der vor Allgemeinplätzen nur so strotzt.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Da fordern Sie beispielsweise die Landesregierung auf, an die Seite der Arbeitnehmer zurückzukehren, und verschanzen sich selber hinter dem Aktienrecht, wenn es um das Schicksal von Bergarbeitern geht.

(Lachen von der SPD)

Da beklagen Sie die Zustände im Niedriglohnsektor und verschweigen, dass die Arbeitsmigration aus Osteuropa nun einmal zu Lohndruck im unteren Lohnsegment führt.

(Zuruf von der SPD)

Da beklagen Sie die Wohnungsnot und erwähnen nicht, woher die steigende Nachfrage kommt.

Sie beklagen das Renditeinteresse und verschweigen, dass das Renditeinteresse daher rührt, dass die Europäische Zentralbank eine Nullzinspolitik betreibt, die die Leute geradezu ins Betongold treibt.

Das ist Ihr Problem. Sie sind nämlich unfähig zur Ursachenanalyse. Daher sind Sie auch unfähig zur Lösung von Problemen.

(Beifall von der AfD)

Dabei tragen Sie doch die Verantwortung für die Defizite in den Bereichen Krankenhäuser, Studentenwerke, kommunale Finanzen – beispielsweise durch die Kürzung des kommunalen Anteils an den Gemeinschaftssteuern in den 80er-Jahren –, innere Sicherheit und noch vielen mehr.

Meine Damen und Herren von der SPD, dieser Antrag ist letztlich nichts anderes, als eine Generaldebatte auf acht Minuten einzudampfen. Er ist nichts anderes als ein Dokument Ihres eigenen Versagens und taugt höchstens noch für den Volkshochschulkurs „Phrasendreschen für Fortgeschrittene“. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Wagner für die Fraktion der AfD. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch weitere Redewünsche? – Das ist nicht der Fall.

Der guten Ordnung halber sei mir der Hinweis gestattet, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 34 Sekunden überschritten hat. Es gibt aber auch Redner der Fraktionen, die diese Zeit auch ohne meinen Hinweis schon in dreifachem Umfang in Anspruch genommen haben.

Da es keine Wortmeldungen mehr gibt, sind wir am Schluss der Aussprache angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat die direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/7912 abstimmen lassen. Wer dem Inhalt des Antrages zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Der guten Ordnung halber frage ich, ob sich eine Kollegin oder ein Kollege der Stimme enthalten will. – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/7912 vom Hohen Hause abgelehnt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

3   Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/6726 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 17/7934 – Neudruck

zweite Lesung

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7968

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7969

Es wäre sehr freundlich, wenn beim Verlassen des Raumes in Bezug auf die Akustik sichergestellt würde, dass für alle, die im Saal bleiben, ein geordneter Debattenverlauf möglich ist.

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass die Fraktion der SPD schriftlich und formgerecht die Durchführung einer dritten Lesung beantragt hat. Diese soll auf Vorschlag der Fraktion der SPD nicht im Anschluss an die zweite Lesung, sondern morgen erfolgen.

Dies vorweggeschickt, eröffne ich nun die Aussprache. Ich darf für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Kamieth das Wort erteilen. Er steht auch schon hier; wunderbar. Lieber Herr Kollege Kamieth, bitte sehr. Sie haben das Wort.

Jens Kamieth (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Reform der Kita-Finanzierung wurde bis zur Regierungsübernahme durch CDU und FDP viel zu lange vernachlässigt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Die Folge war eine strukturelle Unterfinanzierung des Systems der Kinderbetreuung in unserem Land.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das war keine Folge! Das war die Ursache!)

Dadurch wurden die Trägervielfalt und die Qualität der frühkindlichen Bildung akut gefährdet.

Die Leidtragenden dieser Tatenlosigkeit waren die Kinder, die Eltern, die Fach- und Ergänzungskräfte, die Tagespflegepersonen und die Kita-Träger in Nordrhein-Westfalen.

Gerade in vielen Gesprächen mit den Erzieherinnen und Erziehern ist immer wieder deutlich geworden, wie tief der Frust sitzt, wie sie unter der täglichen hohen Arbeitsbelastung leiden und wie gering das Zutrauen in Politik noch ist. Das sind die Folgen rot-grüner Politik.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD)

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation haben wir unmittelbar nach der Regierungsübernahme ein Kita-Träger-Rettungsprogramm im Umfang von einer halben Milliarde Euro beschlossen. Daran anknüpfend hat ein Übergangsgesetz mit einem Volumen von 450 Millionen Euro für das aktuell laufende Kindergartenjahr die Qualität und die Kontinuität abgesichert.

Jetzt machen wir, die NRW-Koalition aus CDU und FDP, die Kita-Finanzierung mit unserem neuen Kinderbildungsgesetz zukunftsfest. Ab dem Kita-Jahr 2020/2021 investieren Bund, Land und Kommunen in einem gemeinsamen Kraftakt jährlich 1,3 Milliarden Euro zusätzlich in das System der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren, das neue Kinderbildungsgesetz ist das Herzstück der offensiven Familienförderung von NRW-Koalition und Landesregierung. Es wird zum Kindergartenjahr 2020/2021 in Kraft treten.

Ich möchte heute gerne die Gelegenheit nutzen, die Kernpunkte des neuen Kinderbildungsgesetzes noch einmal kurz zu umreißen.

Erstens. Auf Grundlage des Paktes für Kinder und Familien, den Herr Minister Dr. Joachim Stamp mit den Kommunen geschlossen hat, investieren das Land und die Kommunen 750 Millionen Euro für die grundständige Ausfinanzierung des zweiten Personalwertes, also für mehr Personal. Wir alle wissen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und hier insbesondere die pädagogischen Fachkräfte – der wichtigste Faktor für eine qualitativ hochwertige Bildung sind. Wenn wir hier jährlich 750 Millionen Euro zusätzlich investieren, bedeutet das also 750 Millionen Euro mehr für beste frühkindliche Bildung in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hinzu kommt: Durch die neu gestaltete Dynamisierung schaffen CDU und FDP echte Nachhaltigkeit. Mit dem neuen KiBiz orientiert sich der automatische Aufwuchs der Mittel an den tatsächlichen Personal- und Sachkostensteigerungen.

Dass dies so verwirklicht werden konnte, verdanken wir dem herausragenden Verhandlungsgeschick unseres Familienministers

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

und – das will ich ausdrücklich hinzufügen – zukunftsorientierten Kommunen, denen beste Bildung unserer Kinder genauso ein Herzensanliegen ist wie uns. Hier haben das Land und die Kommunen für die Bildungschancen und den Bildungserfolg unserer Kinder Hand in Hand gearbeitet. Dafür bin ich sowohl unserem Minister Dr. Stamp als auch den Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und der kommunalen Familie insgesamt sehr dankbar.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Lachen von der SPD – Zuruf von der SPD: Ist doch super! Einer freut sich! – Gegenruf von der SPD: Wenigstens einer!)

Zweitens. Neben den bereits erwähnten 750 Millionen Euro für mehr Personal investieren wir weitere 220 Millionen Euro für weitere Qualitätsverbesserungen in den Kitas und in der Kindertagespflege. Ganz konkret bedeutet das eine strukturelle Stärkung der Fachberatung, eine Ausweitung der alltagsintegrierten Sprachförderung und finanzielle Anreize für Kita-Träger, die neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausbilden.

Drittens. Ich komme zum nächsten Punkt: mehr Flexibilität. Für uns ist Vereinbarkeit von Familie und Beruf kein Lippenbekenntnis. Deshalb investieren Land und Kommunen mit dem neuen KiBiz aufwachsend in die Verwirklichung bedarfsorientierter Betreuungs- und Öffnungszeiten. Uns ist dabei wichtig: Ein Mehr an Flexibilität kann nur dann verwirklicht werden, wenn es uns gelingt, zusätzliche Kräfte in die Kitas zu bringen.

Deswegen noch einmal ganz konkret: Wir wollen sozialräumlich differenzierte, an den Bedarfen der Eltern orientierte und im Einklang mit den personellen Möglichkeiten der Kitas stehende Flexibilität. Zur Verwirklichung dieses Zieles stellen wir aufwachsend bis zu 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Das ist ein wesentlicher, wichtiger Teil zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Viertens. Mit dem neuen KiBiz verbinden wir eine Kita-Platz-Ausbaugarantie. Meine Damen und Herren, das ist ein wahrer Paradigmenwechsel in der Politik. Denn auf den Punkt gebracht bedeutet das, dass jeder genehmigungsfähige Kita-Platz in den Jugendamtsbezirken bis zum Ende der Legislaturperiode gefördert und umgesetzt werden kann.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch! Die meisten werden doch gar nicht mit Investitionsmitteln gefördert!)

Ich wiederhole es noch einmal: Jeder genehmigungsfähige Kita-Platz wird vom Land investiv gefördert, und zwar ohne Deckel, wie es der Minister gestern nochmals betont hat. Das bedeutet: Die Zeiten ausgeschöpfter Investivmittel sind vorbei.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Und was ist mit den Mieteinrichtungen?)

Das ist das Verdienst dieser von CDU und FDP geführten Landesregierung. Andere reden über Kita-Platz-Ausbau. Wir machen ihn möglich.

(Beifall von der CDU)

Finanzielle Hinterlegung: 115 Millionen Euro jährlich, plus nicht verausgabte Mittel aus dem Einzelplan 07, dank eines von CDU und FDP entsprechend beschlossenen Haushaltsvermerkes.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben es von Anfang an gesagt: Wir wollen in erster Linie zum Wohle unserer Kinder die Qualität frühkindlicher Bildung verbessern.

Wie wir das erreichen, wiederhole ich an dieser Stelle gerne noch einmal: 750 Millionen Euro für den wichtigsten Faktor „mehr Personal“, des Weiteren eine strukturelle Stärkung der Fachberatung für Kitas und Kindertagespflege, deutlich mehr Mittel für alltagsintegrierte Sprachförderung sowie Ausbildungszuschüsse, um schon heute die Fachkräfte von morgen auszubilden.

Für die beschriebenen Maßnahmen zur Steigerung der Qualität frühkindlicher Bildung investieren wir rund 1 Milliarde Euro.

Fünftens. Damit komme ich auch zum nächsten Punkt, der Einführung eines weiteren elternbeitragsfreien Kita-Jahres. Mit zusätzlich 230 Millionen Euro entlasten wir gezielt die Eltern in unserem Land. Das kann für eine Familie eine finanzielle Entlastung von mehreren Hundert Euro pro Monat bedeuten.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Als christlich-liberale Koalition war es uns wichtig, auch die Leistungsträger, die arbeitende Mitte unserer Gesellschaft – Kollege Dahm hat sie beim vorigen Punkt „Menschen mit normalem Einkommen“ genannt –, finanziell zu entlasten.

(Sarah Philipp [SPD]: Besser spät als nie!)

Denn das sind die Menschen, die jeden Morgen aufstehen und das erarbeiten und erwirtschaften, was wir mit der Aufstellung des Haushaltes an anderer Stelle verteilen.

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag versprochen, einen weiteren Schritt in die Beitragsfreiheit zu machen. Auch diesen Schritt lösen wir mit der Reform des KiBiz ein.

(Zuruf von der SPD: Wenn der Bund es bezahlt!)

Die Menschen können sich auf das gegebene Wort von CDU und FDP verlassen. Das unterscheidet uns übrigens von anderen Kräften in diesem Hohen Hause.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist richtig; mit dem neuen Kinderbildungsgesetz wird nicht alles anders. Aber es wird vieles besser. Ganz konkret bedeutet das deutlich höhere Kindpauschalen, mehr Mittel für Familienzentren, mehr Mittel für die alltagsintegrierte Sprachförderung, angehobene Zuschüsse für die Kindertagespflege, mehr Geld für Fortbildung und Qualifizierung, mehr Mittel für flexiblere Öffnungszeiten, eine Kita-Platz-Ausbaugarantie sowie ein weiteres elternbeitragsfreies Kita-Jahr.

CDU und FDP haben darüber hinaus für diese Sitzung einen Änderungsantrag eingebracht, mit dem wir Impulse aus der Anhörung und aus zahlreichen Gesprächen aufgenommen haben. Die Anpassungen machen das KiBiz zu einem noch besseren Gesetz.

Ich möchte allen sehr herzlich danken, die in den vergangenen Monaten konstruktiv am politischen Gestaltungsweg hin zu dem neuen KiBiz beteiligt waren. Danken will ich insbesondere Herrn Minister Dr. Stamp, Herrn Staatssekretär Andreas Bothe, den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums sowie

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Und dem FC Schalke 04!)

unserem Koalitionspartner, allen voran dem Kollegen Marcel Hafke, für die außerordentlich gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Ich bin stolz darauf, dass wir mit dem neuen Kinderbildungsgesetz einen wichtigen Beitrag für eine gute Zukunft unserer Kinder und damit für die Zukunft unseres Landes leisten werden. Ich bin der festen Überzeugung: Heute ist ein guter Tag für die Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Kollege Dr. Maelzer das Wort. Bitte sehr.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die KiBiz-Reform geht, werfen Sie, Herr Minister Dr. Stamp, gerne mit Superlativen um sich. Dann ist vom Meilenstein für die frühkindliche Bildung oder vom großen Wurf die Rede.

Insbesondere zu der selbstgewissen Rede des Kollegen Kamieth fällt mir nur ein Satz ein: Man ist noch längst kein Superheld, wenn man sich selbst für super hält. – Das passt zu dieser Rede.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Denn spricht man mit Erzieherinnen und Erziehern, erzählen sie einem nichts vom großen Wurf, sondern sprechen von einer großen Enttäuschung. Sie wollten nicht nur Kosmetik. Das ganze System sollte stattdessen von Grund auf reformiert werden. Die Kindpauschale sollte durch eine solide Sockelfinanzierung ersetzt werden, damit Kitas nicht weiter von der Hand in den Mund leben müssen.

(Beifall von der SPD)

Ich weiß; das wollen Sie alles nicht wahrhaben. Darum haben Sie sich auch geweigert, die 80.000 Protestunterschriften gegen Ihre KiBiz-Pläne entgegenzunehmen. Darum haben Sie auch die Anliegen von mehr als 10.000 Erzieherinnen und Erziehern bei der Großdemonstration in Düsseldorf ignoriert. Darum hat Sie auch das vernichtende Urteil bei der Parlamentsanhörung nicht zum Umdenken gebracht.

Trotz einzelner Verbesserungen, etwa bei plusKITAs und Familienzentren, die übrigens ausschließlich durch Bundesgeld finanziert werden, bleibt es beim Urteil der Experten über das KiBiz: Die Auskömmlichkeit ist nicht erreicht, die Planungssicherheit wird verfehlt, und die Qualität stagniert bestenfalls.

(Beifall von der SPD)

Dafür gibt es Gründe. Denn die Reform des KiBiz gleicht einem Hindernislauf, für den man durchaus einen langen Atem braucht. Niemand käme auf die Idee, sich für einen solchen Lauf in ein Korsett zwängen zu lassen, das einem die Luft zum Atmen nimmt. Aber genau dieses Korsett wurde Ihnen von Anfang an aufgezwungen, Herr Minister Stamp. Denn Sie sollten ein System reformieren, dessen Strukturen Armin Laschet als Familienminister entworfen hatte.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Nun kann ich mir vorstellen, wie schwer es ist, zu sagen: Hey, Chef, Sie haben damals einen Fehler gemacht.

(Marcel Hafke [FDP]: So schon mal gar nicht!)

Ein starker Chef hätte Ihnen die Freiheit gelassen, dieses System infrage zu stellen. Doch Ihr Chef heißt Armin Laschet. Deshalb konnte Ihr Entwurf nichts anderes werden als eine Fortschreibung des KiBiz.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Das zweite Korsett wurde Ihnen allerdings nicht aufgezwungen. In dieses Korsett haben Sie sich ganz freiwillig begeben, als Sie sich im Januar dieses Jahres dafür entschieden haben, keinen Kompromiss mit den freien Trägern zu suchen, sondern einseitig mit den Kommunen einen Pakt zu schließen.

Ja, die Kommunen sind ein zentraler Partner. Die freien Träger, die 75 % der Kitas betreiben, sind es aber auch.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Träger, Gewerkschaften und Eltern vor vollendete Tatsachen zu stellen, war eine Fehlentscheidung, die sich durch den gesamten Prozess gezogen hat und die unser Kita-System noch bitter bereuen wird.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Denn was mussten wir beispielsweise von der katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn hören? Es steht die Gefahr im Raum, dass Kitas abgegeben werden müssen. Und Frau Siemens-Weibring von der Diakonie RWL sagt ganz klar: Wir werden Träger verlieren, weil die Finanzierung nicht auskömmlich ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

In diese Entwicklung rennen Sie sehenden Auges, weil Sie sich jeder Beinfreiheit beraubt haben. Jeder noch so berechtigte Hinweis – sei es von Wissenschaftlern, sei es von Trägern, sei es von Gewerkschaften – musste vom Tisch gewischt werden und konnte im Gesetzgebungsprozess kein Gehör mehr finden, weil Sie aus diesem Korsett nicht mehr herausgekommen sind.

Noch immer verlangt das KiBiz von Trägern unrealistisch hohe Eigenanteile. Die Trägervielfalt hängt mehr denn je davon ab, ob Städte und Gemeinden Trägeranteile übernehmen wollen und vor allen Dingen können. Mit diesem Problem lassen Sie die Jugendämter völlig allein.

Noch immer ist das KiBiz-System nicht auskömmlich. Hinweise der freien Träger auf eine Finanzierungslücke bei den Sachkosten haben Sie als unseriös abgekanzelt und einfach vom Tisch gewischt. So geht man nicht mit Partnern um, die wir für den weiteren Platzausbau im Land noch dringend brauchen werden.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Die Kita-Träger sind also der große Verlierer dieser Reform. Aber stehen wenigstens die Erzieherinnen und Erzieher auf der Gewinnerseite? Nein, das tun sie nicht.

Herr Hafke, ich kann mich noch gut an Ihr Mantra erinnert, das Sie hier jahrelang vorgetragen haben, die Bürokratie in den Kitas müsse verringert werden. Wo ist denn der Bürokratieabbau in Ihrem Gesetzentwurf? Jahrelang haben Sie hier die Backen aufgeblasen. Und jetzt? Pustekuchen!

(Beifall von der SPD)

Schon die Überschrift Ihres Gesetzentwurfs ist eine Mogelpackung.

Die Qualität wird nicht weiterentwickelt. Die Personalstandards bleiben unverändert. Es bleibt bei der großen Arbeitsbelastung. Oder, wie es in der Anhörung hieß: Dieses Gesetz bedeutet nicht eine Minute Verbesserung. – Gleiches gilt für die Tagespflege, bei der Sie die Ausweitung von Betreuungsverträgen zulasten der Qualität ins Gesetz schreiben.

Wenn die Kommunen Verlierer Ihres Gesetzes sind, wenn die Kita-Träger Verlierer Ihres Gesetzes sind, wenn die Erzieherinnen Verlierer Ihres Gesetzes sind, dann können die Kinder eben nicht Gewinner Ihres Gesetzes sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So ist es: Das Kindeswohl steht nicht im Mittelpunkt Ihrer KiBiz-Fortschreibung. Dafür brauchen wir eine auskömmliche Finanzierung unserer Kitas. Dafür brauchen wir sichere Beschäftigungsverhältnisse. Dafür brauchen wir bessere Personalkraft-Kind-Schlüssel. Dafür brauchen wir Erzieherinnen mit mehr Zeit bei den Kindern.

All das liefert Ihr Gesetz nicht. Denn dafür müssen wir raus aus dem KiBiz-Korsett, das sich immer mehr als Zwangsjacke für die frühkindliche Bildung in Nordrhein-Westfalen erweist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Abgeordneter Hafke das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein wichtiger Tag für die Chancengerechtigkeit der Kinder in unserem Land. Bemerkenswert ist das, was die SPD hier aufgeführt hat. Nach einer siebenjährigen Regierungszeit, an deren Ende sie nur ein großes Desaster zurückgelassen hat,

(Karl Schultheis [SPD]: Das hat uns Armin Laschet hinterlassen!)

hier so die Backen aufzupusten, statt mit Demut an solch eine Debatte heranzugehen

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Du bist der Richtige für Demut!)

und konstruktive Vorschläge zu machen, was man verbessern kann, damit die Situation in unserem Land besser wird, finde ich schon bemerkenswert. Schließlich hatten Sie die Zeit, um das zu verändern, aber Sie haben es nicht hinbekommen.

Nach Ihrer Regierungszeit ist die Situation in Nordrhein-Westfalen katastrophal gewesen. Es war sogar so schlimm, dass wir zwei Rettungspakete auf den Weg bringen mussten, damit überhaupt noch ausreichend Träger in diesem Land bereit waren, die Situation, in der sich unsere Kitas befunden haben, in den Griff zu bekommen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, weil Sie sieben Jahre nichts gemacht haben – im Übrigen haben Sie damals nicht mal Eckpunkte oder überhaupt Ideen formuliert –, haben wir die letzten zwei Jahre genutzt, um entsprechende Verabredungen und Vereinbarungen für eine tragfähige Lösung in der frühkindlichen Bildung zu treffen. Wir haben das gemacht, wozu Sie nicht imstande waren: Wir haben erstens für eine auskömmliche frühkindliche Bildung und dafür gesorgt, dass die Personalkosten komplett gegenfinanziert sind, und das, ohne Träger und Eltern in diesem Land zu belasten. Das ist einer der großen Erfolge, die wir dem Minister zu verdanken haben, dass 750 Millionen Euro genau dorthin fließen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Damit wir diese Debatte in den nächsten Jahren nicht noch einmal führen müssen, haben wir eine Dynamisierung hinterlegt.

Gleichzeitig stärken und verbessern wir die Qualität und die Rahmenbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen. Wir sorgen einerseits für eine Verbesserung der Fachberatung und schreiben andererseits erstmalig Leitungszeiten und Verfügungszeiten konkret ins Gesetz. Auch das haben Sie damals nicht hinbekommen, und auch jetzt haben Sie keine konkreten Vorschläge dafür geliefert.

Ich denke, wenn die SPD über Bildungserfolge sprechen möchte – ihr ist das ja eigentlich ein Herzensthema –, dann muss sie viel mehr darüber sprechen, wie wir die Sprache in den Vordergrund stellen und die Sprachförderung nach vorne bringen. Wir investieren zukünftig 100 Millionen Euro und mindestens 30.000 Euro pro Einrichtung für die Verbesserung der Sprachförderung. Das ist ein wichtiger Beitrag für die Chancengerechtigkeit in unserem Land.

Weiterhin werden ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren in der Tagespflege betreut; das ist ein ganz wichtiger Baustein in der frühkindlichen Bildung. Auch hier verbessern wir die Rahmenbedingungen deutlich: Wir investieren 30 % mehr in die Tagespflege und schreiben erstmalig ins Gesetz hinein, dass Krankheit, Fortbildung und Vertretung bei der Großtagespflege und der normalen Tagespflege entsprechend vergütet werden müssen. Das ist gerade für diese Berufsgruppe entscheidend und ein qualitativer Schritt nach vorne.

Einigkeit sollte in diesem Haus auch darin bestehen, dass die Familienzentren ein wichtiger Baustein sind. Sie sind ein niedrigeschwelliges Angebot, um Familien zu unterstützen. Auch diese verbessern wir; sie bekommen mehr Leistungen.

Wenn wir Qualität wollen, brauchen wir ausreichend Personal und gut ausgebildetes Personal. Da sind wir uns einig. In meiner Zeit als Oppositionspolitiker habe ich Frau Schäfer und Frau Kampmann immer wieder darauf hingewiesen, dass wir beim Thema „Ausbildung“ etwas machen müssen. Schon damals hat die Bertelsmann Stiftung gesagt, dass 16.000 Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land fehlen würden. Die beiden Ministerinnen haben sich damals weggeduckt, sie wollten diese Debatte nicht einmal führen. Das Ergebnis sehen wir heute: Überall im Land haben wir zu wenig Personal, und deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir nun auch in die Ausbildung investieren und Anreize schaffen, damit in unserem Land in Zukunft mehr ausgebildet wird.

(Beifall von der FDP)

Dabei geht es nicht nur um Bildung, sondern auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das will ich insbesondere unter dem Aspekt sagen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur etwas mit der Ausübung eines Berufs zu tun hat. Vielmehr hat sie auch etwas mit Armutsbekämpfung und der Verhinderung von Kinderarmut zu tun. Deshalb setzen wir darauf, die Randzeiten flexibler zu gestalten.

Insofern möchte ich als Appell protokollarisch festhalten: Diese zusätzlichen flexiblen Betreuungszeiten werden nicht aus dem Bestand finanziert und organisiert, sondern, wenn zusätzliches Personal vorhanden ist, mit zusätzlichem Geld, sodass es auch in Zukunft möglich ist, gerade in den Randzeiten sein Kind abzugeben und seinem Beruf nachzugehen. Das hat etwas mit Armutsbekämpfung zu tun und ist deswegen ein ganz wichtiger sozialer Schritt hier in Nordrhein-Westfalen. 

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich empfehle uns allen – und auch darauf hätte die SPD positiv eingehen können –, zwei Felder nicht gegeneinander auszuspielen, sondern auf diesen voranzukommen.

Wir sorgen einerseits für Qualität. Wir verbessern die Bildung.

Andererseits sorgen wir dafür, dass Eltern in unserem Land nicht mehr so stark belastet werden. Wir führen nämlich ein weiteres beitragsfreies Jahr ein. Ich denke, auch das ist entscheidend. Denn man kann keinem Menschen in Nordrhein-Westfalen erzählen, dass für einen Kita-Platz in Mülheim an der Ruhr 800 Euro und in Düsseldorf null Euro pro Monat bezahlt werden müssen. Deswegen ist es so wichtig, das nach vorne zu bringen.

(Marc Herter [SPD]: Sie haben doch diese Zustände eingeführt!)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen noch etwas zu dem sagen – denn das finde ich entscheidend für diese Debatte –, was die SPD im Ausschuss gefordert hat. Das hat sie in dieser Konkretheit heute leider nicht getan, es steht nur in ihrem Entschließungsantrag. Wenn all das hier Realität würde, müssten zusätzlich mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr investiert werden.

Sie haben nicht einen Vorschlag gemacht, woher dieses Geld kommen soll. Sie wecken bei den Betroffenen, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesem Land, bei den Erzieherinnen, bei den Eltern, Erwartungen, die Sie selbst sieben Jahr lang nicht erfüllen konnten und jetzt nicht erfüllen können, anstatt sich an einer Debatte zu beteiligen und konkret für Verbesserungen zu sorgen, die den Menschen vor Ort helfen.

Das wäre anständige sozialdemokratische Politik. Sie sind nicht mehr in der Lage dazu. Das spiegeln die Umfragen wider.

Deswegen machen wir jetzt genau das, aber mit seriösen Vorschlägen und einer seriösen Gegenfinanzierung. Das ist das, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen brauchen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben heute die Chance, sich daran zu beteiligen, dass es in der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen weitergeht. Ich bin froh, dass wir diese Debatte in der Art und Weise führen, weil damit klar wird, was Schwarz und Gelb in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen und dazu beiträgt, dass Chancengerechtigkeit und weltbeste Bildung von Anfang an funktionieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben gestern über den Chancenhaushalt des Ministers beraten und vollmundige Worte des Ministers gehört. Auch gerade wurde von der weltbesten Bildung und dem ganz großen Wurf, der immer erwartet wurde, gesprochen. Auf diesen ganz großen Wurf warten wir – ehrlich gesagt – immer noch. Wir warten immer noch sowohl auf den großen Wurf als auch auf die weltbeste Bildung für dieses Land. Mit diesem „Chancenhaushalt“, dem KiBiz und dem KiBiz-Reförmchen wird nichts anders getan als eine große Chance vertan.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist keine grundlegende Reform, es ist kein grundlegender Systemwechsel, sondern Sie doktern an einem kaputten System herum, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch wir diskutieren nicht weg, dass es mehr Geld im System gibt.

Erstens braucht man auch mehr Geld im System, wenn man mehr Kinder im System hat. Das ist in sich logisch.

Zweitens ist die Frage, was man mit dem Geld macht, das man mehr ins System gibt. Es ist doch die Frage, ob man einfach nur oben Geld hineinkippt und dann guckt, was die anderen Player mit dem Geld machen, ob man die Träger, die Kinder, die Erzieherinnen und Erzieher, die Kommunen mit dieser Verantwortung alleine lässt oder ob man bewusst versucht, in die Steuerung zu gehen. Nein, Herr Minister, diese Steuerung nehmen Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht vor.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Auskömmlichkeit ist in der Fachanhörung breit diskutiert worden. In dieser Anhörung hat die Freie Wohlfahrtspflege deutlich gesagt, dass die Auskömmlichkeit über die Gesamtkosten – und darauf kommt es am Ende des Tages an – nicht sichergestellt ist. Die Expertinnen und Experten in der Anhörung haben gesagt, die Personalkosten könnten im Status quo damit ausreichend finanziert sein, aber bezüglich der Sachkosten gibt es nach wie vor eine Lücke. Die diskutieren Sie immer einfach weg und wischen sie vom Tisch. Herr Minister Stamp, aus dieser Lücke wird eine Stamp-Lücke werden, und die wird Ihnen auf die Füße fallen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Warum fällt Ihnen das auf die Füße? – Zwei Drittel der Träger in diesem Land sind freie Träger. All die Defizite, die Ihnen die Freie Wohlfahrtspflege und die kirchlichen Träger ins Stammbuch geschrieben haben, haben Sie einfach ignoriert. Bei der Erarbeitung der Eckpunkte haben Sie nicht mit denen geredet.

Ich kann nachvollziehen, dass Sie gesagt haben, der entscheidende finanzielle Player und Partner an dieser Stelle sind die Kommunen. Deshalb ist es auch richtig, dass Sie sich mit den Kommunen an einen Tisch gesetzt und etwas gemeinsam ausgehandelt haben.

Aber warum Sie mit denjenigen, die am Ende die Arbeit vor Ort machen und die über Trägeranteile etc. auch ihren Beitrag leisten, nicht geredet haben, das wird Ihr Geheimnis bleiben. Das ist ein großer Fehler im gesamten Gesetzgebungsprozess.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben ohne Not die Szene und diejenigen, die die Arbeit in diesem Land verrichten, gegen sich aufgebracht.

(Marcel Hafke [FDP]: Falsch!)

– Da können Sie ruhig rufen, dass das falsch ist. Sie haben uns gegenüber ja auch immer wieder erklärt, Sie hätten mit denen geredet. Wir haben auch mit denen geredet. Aber es ist doch ein Unterschied, ob ich vorher die Leute tatsächlich zu Partnern im Diskussionsprozess mache oder ob ich sie anschließend vor vollendete Tatsachen stelle und ihnen das beim Kaffee berichte. Sie haben das über deren Köpfe hinweg entschieden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Marcel Hafke [FDP]: Auch das ist falsch!)

Sie haben das System nicht reformiert. Sie halten an den Kindpauschalen fest, obwohl Ihnen alle Expertinnen und Experten sagen, dieses System gewährleistet nicht die Verlässlichkeit und Planbarkeit im Finanzierungssystem. Es wäre richtig gewesen, den Mut für weltbeste Bildung und für den ganz großen Wurf, von dem Sie hier sprechen, aufzubringen, indem Sie jetzt endlich die Einrichtungsfinanzierung auf den Weg bringen und von den Kindpauschalen abkehren.

Ein weiterer großer Punkt, der Ihnen beispielsweise von kommunalen Vertretern in der Anhörung attestiert worden ist: Dagmar Beckhaus aus Solingen hat sehr deutlich gemacht, dass auch die Sonderförderung, also die freiwillige Übernahme von Trägeranteilen sowie die freiwillige Übernahme von Betriebskostenanteilen, weiterhin in diesem System erwartet wird. Das belastet die Kommunen zusätzlich, und zwar sehr unterschiedlich.

So viel zur Kommunalpartei FDP. Sie machen sich an vielen Punkten einen schlanken Fuß auf Kosten der Kommunen und der Träger.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hinter dem Geld – und das ist das Entscheidende – stehen vor allem Menschen. Qualität in Kitas kommt durch Fachkräfte. Die Fachkräfte in den Kitas machen die Qualität aus. Lieber Herr Kollege Kamieth, dazu braucht es ein bisschen mehr als Sonntagsreden. Sie haben wieder einmal mantraartig vorgetragen, dass mit Ihrem neuen KiBiz-Gesetz und mit mehr Geld alles viel schöner wird. Aber auch da kommt es darauf an, ob das Geld dort ankommt, wo Verbesserungen wirklich notwendig sind. Auch das ist leider eine große Enttäuschung.

Bezüglich der Fachkraft-Kind-Relation sind wir in diesem Land nach wie vor weit entfernt von einer Relation, die wirklich zu einer qualitativen Verbesserung sowohl der frühkindlichen Bildung als auch der Arbeitsbedingungen führen würde.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zu den Verfügungszeiten: Ja, Sie haben Verfügungszeiten mit eingepreist, aber in einem viel zu geringem Maße.

Auch bei der Personalbemessung ist nicht das passiert, was der Realität in den Kitas in unserem Land tatsächlich Rechnung tragen würde. Denn die notwendige personelle Absicherung der Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder in den Kitas in Nordrhein-Westfalen wird jetzt auf die Träger abgewälzt. Sie haben das den Trägern vor die Füße gekippt und gesagt, für diese personelle Absicherung müssten sie sorgen. – Das hätte in der Personalbemessung verankert werden müssen. Das wäre richtig gewesen. Das hätte den Erzieherinnen und Erziehern in den Kitas in Nordrhein-Westfalen wirklich geholfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn es geht nicht nur um die Frage der Fachkräftegewinnung, sondern vor allem darum, dass wir die Fachkräfte im System halten. Wir haben in diesem System – das kann man niemandem verübeln – eine viel zu hohe Job-out-Quote und hohe Krankenstände. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dort für Entlastung sorgen. Das würde man erreichen, indem man im Gesetz ein vernünftiges Gesundheitsmanagement verpflichtend festschreibt.

Das würde man im Übrigen auch dadurch erreichen, dass man die Personalbemessung an der Stelle vernünftig anpasst. Aber diese Gelegenheit wurde leider versäumt.

Genauso wurde es leider versäumt, Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte vernünftig durch dieses Gesetz abzusichern. Das würde pädagogisches Personal entlasten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Freude der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen ist ja ganz offensichtlich groß. Genauso groß ist das Eigenlob, und das scheint mir auch dringend notwendig zu sein; denn außer Ihnen loben gar nicht so wahnsinnig viele dieses Gesetz.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Minister hat immer wieder darauf hingewiesen, man sei offen für Änderungsbedarfe, wenn im Gesetz nachgesteuert werden müsse. Die Anhörung hat gezeigt: Die Änderungsbedarfe liegen ganz offen auf dem Tisch. Allein: Passiert ist gar nichts.

Und wie gehen diese Koalition und dieser Minister eigentlich generell mit Kritik um? – Man kommt immer irgendwie zu dem Schluss, dass man generell nicht kritisiert werden möchte. Der Kollege Maelzer hat schon darauf hingewiesen: 80.000 Unterschriften wurden mehr oder weniger ignoriert. 10.000 Erzieherinnen und Erzieher waren bei einer Demo auf den Rheinwiesen. Auch da hat man nicht so richtig mitgenommen, was an Impulsen sichtbar wurde.

Und dann sagen Sie bei der Einbringung des Gesetzes ein wenig lapidar:

„Es ist in solchen Gesetzgebungsverfahren zu diesem Zeitpunkt ganz normal, dass alle Seiten noch einmal Maximalforderungen aufstellen.“

Sie haben da von den Gewerkschaften, den Trägern und den Eltern gesprochen. In der Tat hätte man vielleicht vorher mal mit denen reden sollen. Dann hätten sie nicht quasi in Notwehr Maximalforderungen aufstellen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ihr Zitat geht weiter mit:

„Es gehört natürlich zum politischen Betrieb und zu einer lebendigen Demokratie dazu, dass jeder noch einmal seine Interessen nach vorne stellt.“

Herr Minister, ich glaube, zu gutem Regieren würde ebenfalls gehören, dass man denjenigen auch zuhört.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf dieses Mantra zu sprechen kommen, das Sie hier vorgetragen haben – es war ja schon klar, dass diese Versatzstücke kommen –: dass es ein guter Tag für die Kinder in Nordrhein-Westfalen sei.

Ich möchte aber noch einmal deutlich darauf hinweisen: Die Erzieherinnen – 10.000 auf den Rheinwiesen, 80.000 Unterschriften – können sich dem nicht anschließen. Immerhin zwei Drittel der Kita-Träger in diesem Land haben deutlich gemacht, dass sie sich dem nicht anschließen können. Die Eltern sind aufgrund mangelnder Qualität auch nur mäßig zufrieden, und die Kommunen bewerten Ihren Gesetzentwurf sehr differenziert.

Wenn all die sich Ihrem Eigenlob nicht anschließen können, dann kann der Tag für die Kinder in Nordrhein-Westfalen so gut nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Paul. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der AfD Frau Abgeordnete Dworeck-Danielowski das Wort.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die KiBiz-Reform bzw. richtig gesagt das Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung wurde seit Antritt Ihrer Amtszeit sehnlichst erwartet. Das eine oder andere Überbrückungsgesetz hat auch unsere Zustimmung gefunden, weil wir respektiert und verstanden haben, dass eine Reform gut durchdacht und abgestimmt werden muss und somit auch seine Zeit braucht.

Da ist es nun, das Gesetz, das die frühkindliche Bildung qualitativ weiterentwickeln soll. Diesem Anspruch wird Ihr Gesetz allerdings nicht gerecht. Es ist und bleibt vorrangig ein Gesetz, das die Finanzierung der Kitas verbessert.

Die große Expertenanhörung hat, wie zu erwarten war, zum wiederholten Male deutlich gemacht, dass die größte Herausforderung in diesem Zusammenhang der Fachkräftemangel ist. Für dieses Problem bietet Ihr Gesetz keine Lösung. Wir haben heute schon so wenig Erzieherinnen in den Kitas, dass regelmäßig zu wenig Personal für zu viele Kinder sorgen muss. Selbst die Bertelsmann Stiftung hat bemängelt, dass somit der Bildungserfolg für die Kleinen fraglich ist.

Die finanzielle Bezuschussung der praxisintegrierten Ausbildung – kurz: PIA – ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ja, es macht Sinn, Quereinsteiger für diesen Beruf zu gewinnen. Aber insbesondere mit Blick auf den drastisch angestiegenen Betreuungsbedarf in Nordrhein-Westfalen für Kinder unter drei Jahren auf mittlerweile fast 50 % ist die Betreuungsarbeit kaum zu leisten.

Auch die Gewerkschaften haben in der Anhörung die Reserven an Erziehern als erschöpft dargestellt. Und so ist es nun einmal mit der Realität: Weder Sie, Herr Stamp, noch sonst wer wird sich die fehlenden Erzieher aus dem Hut zaubern können. Die Gruppe derer, die überhaupt diesen Beruf ergreifen können und wollen, ist endlich.

Die kommunalen Spitzenverbände haben trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung zum Gesetz in der Anhörung auch schon Schweißperlen auf der Stirn gehabt – nämlich beim Blick in die Zukunft, wenn der gesetzliche Anspruch auf die offene Ganztagsbetreuung in der Schule auf sie zukommt. Dann wird es für alle Träger noch enger. Dann brauchen wir noch mehr Erzieher.

Und wer sind die Leidtragenden? – Zuerst sind es die Kinder und insbesondere die Kleinsten – Kinder zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr; Kinder, die noch den Bezug zu den Erwachsenen suchen und beständige, liebevolle Fürsorge brauchen. Sie bekommen aufgrund des gravierenden Personalmangels nicht die Zuwendung, die sie brauchen.

Als Zweites ist es das Personal – wegen permanenter Überarbeitung, zu wenigen Kollegen, unverlässlicher Planung von Diensten und Urlaub und vor allem wegen der Unzufriedenheit darüber, dass man selbst mit großartigem Engagement und dem Willen, irgendwie alles zu schaffen, den Beruf nicht mehr so ausüben kann, wie man es eigentlich gelernt hat und für richtig hält.

Als Drittes sind es die Eltern. Sie reiben sich auf in dem Spagat, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Und wenn dann beispielsweise zum dritten Mal innerhalb von einem Jahr die Erzieherin, die für das Kind zuständig ist, wechselt, kommen noch Zweifel und Gewissensbisse hinzu.

Herr Stamp, Ihr Gesetz bietet keinen glaubwürdigen Lösungsansatz für diese Probleme. Die Frage muss doch lauten: Wie kann man diese Abwärtsspirale aufhalten?

Wir vermissen eine Regelung, die es privatgewerblichen Anbietern leichter macht, auch als Träger für Großtagespflegen oder Kindertagesstätten einzutreten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur ein Wunsch bzw. eine Notwendigkeit von vielen Eltern; sie wird künftig auch für die Arbeitgeber ein immer wichtigeres Instrument sein, um gutes Personal zu finden und zu binden. Sie haben als FDP-Minister – das überrascht uns wirklich – die Chance vertan, neue Wege zu gehen.

Des Weiteren haben Sie es versäumt, Wahlfreiheit für junge Eltern zu schaffen. Wer heute auf finanzielle Unterstützung hofft, um gegebenenfalls die drei Jahre Elternzeit voll auszunutzen, wie es das Elternzeitgesetzes ja auch vorsieht, geht leer aus. Wenn Sie von Wahlfreiheit sprechen, geht es immer nur in eine Richtung: dass ausreichend Kita-Plätze vorhanden sein müssen.

Als Mutter oder Vater muss ich aber auch die Wahl haben, ein Kleinkind selbst aufzuziehen. Diese Wahl haben zahlreiche Eltern eben nicht. Die Fremdbetreuung ist für das Gros der Eltern ein wirtschaftlicher Zwang.

Und auch hier betrachten wir wieder nur die Erwachsenen. Man müsste eigentlich auch den Kindern die Wahl lassen. Kinder sind sehr unterschiedlich: Die einen blühen in der Kita auf, für die anderen ist sie über einen langen Zeitraum hinweg jeden Morgen eine Qual. Eltern haben, Stand heute, nicht die Möglichkeit, auf ihr Kind zu schauen und die Betreuung zu wählen, die individuell für ihr Kind die beste wäre.

Sie haben bei Antritt Ihres Amts als Minister beklagt, dass die Vorgängerregierung Ihnen einen Scherbenhaufen hinterlassen hat. Sie wollten aufräumen und eine Reform auf den Weg bringen, die die frühkindliche Bildung vom Kopf auf die Füße stellt. Ihre Reform wird diesem Anspruch nicht gerecht. Ihr Gesetz bleibt in einem System verhaftet, das mittelfristig an seine Grenzen stoßen wird und zum Scheitern verurteilt ist.

Der Personalmangel und die immer größer werdende Anzahl von Kindern, die schon unter drei Jahren ganztägig die Kita besuchen, sind die Wurzeln des Problems. Mit ein bisschen mehr Geld hier und einem beitragsfreien Jahr dort wird sich an diesem Grundsätzlichen nichts ändern. Sie haben Ihre Chance vertan. Aber, wie sagt man so schön: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und sagen herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp*), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Opposition eine dritte Lesung eines Gesetzentwurfs beantragt, so ist das ihr gutes Recht. Aber dann hätte ich erwartet, dass wir die zweite Lesung dazu nutzen, Alternativen, Änderungsanträge zu diskutieren, statt hier eine allgemeine Debatte zu führen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist auch eine Frage, wie ernst man sich als Parlamentarier nimmt. Da muss ich sagen: Es tut mir auch ein bisschen leid, lieber Herr Dr. Maelzer, weil ich Sie eigentlich persönlich sehr schätze,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ich Sie doch auch!)

dass Sie gar nicht merken, dass Sie hier ritualisiert das Parlamentskasperle machen, nachdem Sie in sieben Jahren nichts zustande bekommen haben, und dann erzählen, das sei hier eine schlechte Reform.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen will ich mich jetzt mit dem auseinandersetzen, was Frau Paul vorgetragen hat. Sie war damals nicht Mitglied in dem Fachausschuss. Insofern, finde ich, hat sie eine andere Herangehensweise als diejenigen, die an dem Verfahren immer beteiligt gewesen sind und die ganze Zeit nichts zustande gebracht haben. Ihre Fraktion damals war zwar auch beteiligt; ich möchte mich aber trotzdem mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, noch einmal auseinandersetzen.

Sie haben von der „Stamp-Lücke“ gesprochen und die Sachkosten angesprochen, die sich angeblich so kumuliert haben. Das Entscheidende war, dass über all die Jahre, in denen wir gesprochen haben, in all den Verhandlungen, die wir mit den Trägern, mit den Kommunen geführt haben, immer vorgetragen wurde, dass die Tarifsteigerungen bei den Personalkosten der Punkt sind, warum das KiBiz nicht mehr auskömmlich ist.

Sie haben gefragt, ob wir nicht mit den Trägern gesprochen hätten. Doch, ich habe x-mal mit den Trägern gesprochen. Ich kann auch alles belegen, wann wir mit wem gesprochen haben, wann wir das in der Fachabteilung thematisiert haben und wie oft ich alleine als Minister in der Spitzenrunde darüber gesprochen habe. Das gehörte auch dazu. Es ist doch völlig klar: Die Träger, die Kirchen sind ganz wichtige und entscheidende Player. Ich habe es auch immer wieder gesagt: Die Trägervielfalt ist dieser Landesregierung heilig. Davon werden wir auch keinen Zentimeter abrücken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen habe ich die Träger auch über die Gespräche, die ich mit den Kommunen geführt habe, regelmäßig informiert.

Aber worum ging es denn bei den Gesprächen mit den Kommunen? Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, dass wir diese Lücke, die in sieben Jahren Rot-Grün entstanden ist, eben nicht bei den Eltern abladen können und dass wir sie auch nicht bei den Trägern abladen können,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das ist Ihr Gesetz!)

sondern wir haben gesagt: Wir wollen mit den Kommunen Verhandlungen führen, damit wir uns das hälftig teilen und diese Lücke nicht zulasten von Eltern und Trägern geht. Deswegen mussten die langen und wirklich harten Verhandlungen mit den Kommunen geführt werden. Ich bin dankbar, dass wir das immer in fairer und verständiger Atmosphäre gemacht haben. Ich bin den Kommunen auch dankbar, dass wir zu so einem großartigen gemeinsamen Ergebnis gekommen sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir schaffen in dem Bereich die Schließung dieser Lücke, der Rot-Grün-Lücke.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe)

Wir bringen auch den nötigen Umfang mit, um so eine Lücke auszufüllen. Die Gespräche mit den Kommunalen haben auch manchmal dazu beigetragen.

Frau Kollegin Paul, Sie haben verschiedene Dinge angesprochen. Deswegen will ich noch einmal darauf eingehen, dass wir natürlich auch einen Fortschritt im Vergleich zur Vergangenheit dadurch haben, dass die Träger jetzt über die Möglichkeit verfügen, das, was bisher an Overhead nur zu 2 % anrechenbar war, auf 3 % zu erweitern. Das ist eine Steigerung um die Hälfte. Es ist natürlich eine zusätzliche Entlastung.

Was übersehen wird – das ist auch etwas, was wir nicht mit den Trägern vereinbaren mussten, sondern was ich vorher mit dem Finanzminister aushandeln musste –: Wir geben den Kommunen eine Platzausbaugarantie ohne irgendeinen Deckel. 25 % dieser Mittel können dafür verwendet werden, dass Plätze, die sonst wegfielen, erhalten bleiben können.

So viel zu dem Thema, wir täten nichts bei den Sachkosten. Natürlich tun wir da was, und zwar genau da, wo das Geld hingehört, nämlich in dem Bereich, in dem wir Plätze erhalten wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darüber hinaus war es den Trägern, vor allem den Kirchen, sehr wichtig, dass nicht der Fehler passiert, den Rot-Grün sieben Jahre gemacht hat, nämlich keine vernünftige Evaluierung vorzunehmen. Gerade weil uns die Trägervielfalt wichtig ist, haben wir gesagt: Wir führen ein anständiges Monitoring durch, und dazu gehört eben, dass man von Anfang an evaluiert und diesen Prozess entsprechend weiter steuert. Genau das tun wir, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Kollegen Kamieth und Hafke, denen ich herzlich für die Zusammenarbeit und die enge Begleitung danke, haben eben ausführlich dargestellt, was wir alles an Qualitätsverbesserungen auf den Weg bringen. Ich muss das nicht alles wiederholen. Wir haben morgen die abschließende Debatte, in der wir auch das Gesamtwerk noch einmal entsprechend würdigen werden.

Frau Kollegin Paul, machen Sie sich doch einmal ehrlich:

Die 80.000 Unterschriften und die Demonstranten, die auf der Straße waren, gab es, bevor der Gesetzentwurf da war und bevor man sich damit auseinandergesetzt hat.

(Zurufe von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Seitdem es eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf gegeben hat, sind die Demonstranten weg und finden auch keine Unterschriftensammlungen mehr statt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist unfassbar! Sie sitzen doch auch auf der Tribüne!)

Die haben doch gegen den Status quo demonstriert, den Sie nach sieben Jahren hinterlassen haben. Wenn Sie hier mit einem Finger auf uns zeigen, dann zeigen vier Finger auf Sie zurück, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage der Abgeordneten Kollegin Paul.

Dr. Joachim Stamp*), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Na klar.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.

Josefine Paul*) (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass die 80.000 Unterschriften und die Proteste auf den Rheinwiesen auf den von Rot-Grün hinterlassenen Status quo rekurrieren würden.

Wie erklären Sie sich dann, dass in der Anhörung – die offensichtlich zu Ihrem Gesetzentwurf war – Ihr Gesetzentwurf im Grunde genommen in der Luft zerrissen wurde?

Dr. Joachim Stamp*), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Paul. – Der Gesetzentwurf ist in der Anhörung nicht zerrissen worden, aber er ist natürlich unterschiedlich bewertet worden.

(Josefine Paul [GRÜNE]: So kann man das auch formulieren!)

Wir wissen alle, dass bei diesem Thema ganz unterschiedliche Interessen im Spiel sind und es in diesem Prozess eine Aufgabe von Politik ist, in den Gesprächen mit den unterschiedlichen Interessenverbänden und den unterschiedlichen Partnern eine gemeinsame Richtung auszuloten und auszutarieren.

Auf einem Feld, auf dem es viele unterschiedliche Maximalpositionen gibt, werden Sie niemals allen zu 100 % gerecht werden können. Natürlich haben alle ihre Position mit harten Bandagen vertreten. Das war auch der Grund, warum die Vorgängerregierung letztlich zu feige war, sich innerhalb von sieben Jahren diesem Prozess zu stellen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben das in zwei Jahren gemacht, und deswegen freue ich mich über diesen Gesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Abgeordneter Müller das Wort. Bitte sehr.

Frank Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Stamp, Sie müssen schon ziemlich unter Druck stehen, wenn Sie den Kollegen Maelzer in dieser Debatte als Parlamentskaspar beschimpfen.

Aber diese Dünnhäutigkeit erleben wir ja nicht zum ersten Mal. Wenn man den Berichten, die man bei Besuchen bekommt, Glauben schenken darf, erleben auch andere Partnerinnen und Partner diese Dünnhäutigkeit sicherlich nicht zum ersten Mal.

(Beifall von der SPD)

Herr Kamieth, Sie haben sich gerade bei den herausragenden Verhandlern Stamp und Bothe bedankt. Ich möchte mich ganz herzlich für den Langmut der Erzieherinnen und Erzieher, den sie in dieser Never-ending-KiBiz-Story aufbringen müssen, bedanken.

(Beifall von der SPD – Thomas Nückel [FDP]: Sieben Jahre Versagen!)

Herr Minister Stamp, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den regierungstragenden Fraktionen: Selbstzufriedenheit ist ein Wert an sich und auch ein pädagogisches Element in der pädagogischen Arbeit. Arbeiten Sie sich gerne weiter an uns ab, und berauschen Sie sich ruhig weiter an sich selbst. Das wird Sie allerdings irgendwann einholen. Sie haben ja gerade auch um weitere Proteste gebettelt.

(Beifall von der SPD – Vizepräsident Oliver Keymis löst Vizepräsidentin Angela Freimuth ab.)

Wie klein Ihr Problembewusstsein ist, Herr Minister, haben Sie in der „Rheinischen Post“ dokumentiert. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

(Heiterkeit)

– Gerade war es noch eine Präsidentin.

(Zuruf: War es? – Heiterkeit)

– So viel zum Thema „Diversität“ in diesem Parlament.

„Viele Punkte der Kritik der freien Träger haben sich relativiert, nachdem wir die Kita-Reform genauer erläutert haben“.

Also ist alles ein Verständnisproblem? – Offensichtlich, Herr Minister, leben wir auf zwei völlig verschiedenen Planeten. Gut ist wenig, und relativiert hat sich nichts.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das haben Ihnen landauf, landab auch alle gesagt. Aber das ficht Sie nicht an. Alle haben gesagt: Das Geld wird nicht reichen. Allein bei den Sachkosten klafft nach wie vor eine Lücke. Sie wird nicht geschlossen.

Auch die Kommunen mit einem hohen Anteil an Einrichtungen in freier Trägerschaft kommt diese Reform teuer zu stehen. Bereits jetzt stehen schon die Übernahmen erster Anteile freier Träger infrage. Wenn das so kommt, haben Sie mit Ihrer Reform mal so richtig was gekonnt; dann schlägt das nämlich voll in die Landschaft durch.

(Zuruf von Lorenz Deutsch [FDP])

Aber Sie setzen dann noch einen drauf und sagen: Wenn es Nachbesserungsbedarf gibt, bin ich der Letzte, der nicht für Veränderungen offen ist. – Aber wer soll Ihnen das noch glauben?

Sie haben doch nahezu alle Bedenken im gesamten Prozess beiseite gewischt und die Einigung mit den kommunalen Spitzenverbänden über alles gestellt. Dann haben Sie auch noch schlichtweg den Beirat vergessen, den Sie selber berufen haben. Das offenbart, wie sehr frühe Bildung bei Ihnen nach wie vor vom Geld und nicht vom Kind her gedacht wird.

Herr Hafke hat dazu ganz ehrliche Worte gefunden. Sie müssen sich, Herr Kollege Hafke, aber für eine Variante entscheiden: Gibt es Vorschläge oder gibt es keine? – Wenn es Vorschläge gibt, könnten Sie nicht behaupten, sie seien nicht finanzierbar. Sie hätten sie finanzieren können, Sie haben 11 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Das hätte locker ins Budget gepasst.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber stattdessen verkaufen Sie dieses Gesetz als politische Jahrhunderttat und reagieren ganz beleidigt, wenn es nicht ausreichend gewürdigt wird. Aber es sorgt eben nicht für den von Ihnen propagierten Qualitätssprung.

Sie fragen immer wieder ganz treuherzig, wie das denn bei so viel Geld sein könne. Viel ist eben relativ. Die Erklärung ist einfach: Wenn man eine Lücke schließt, schließt man eine Lücke. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Mehr Qualität durch mehr Personal wird es nicht geben; das haben Ihnen alle vorgerechnet – schwarz auf weiß. Man kann das aber auch weiterhin standhaft ignorieren.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Dabei geht es auch nicht um Maximalforderungen der Träger, wie Sie es einmal an diesem Pult formuliert haben. Sie haben es heute wiederholt, Herr Minister Stamp. Die Kirchen fordern – das hat der Herr Ministerpräsident gesagt – eben nicht immer mehr, als sie wirklich brauchen.

So geht man mit den Partnern in der frühkindlichen Bildung einfach nicht um. Sie haben sich benommen wie zwei Elefanten im Porzellanladen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch auf einen Punkt kommen, der die Menschen in den Einrichtungen vor Ort wirklich umtreibt. Es geht um die von Ihnen versprochene Flexibilisierung.

Weil Sie das immer gerne gleichsetzen: Nein, es geht im Moment nicht um die bedarfsgerechte Ausweitung von Öffnungszeiten. Sie können es noch so verharmlosen und uns Panikmache unterstellen – das haben Sie im Ausschuss ja getan –, aber das geschriebene Wort entlarvt Sie. Künftig – so steht es ja im Gesetz – können Betreuungszeiten unterschiedlich auf die Tage verteilt sein.

Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Welchen Organisationsaufwand wollen Sie den Kita-Leitungen eigentlich noch zumuten? Was macht das eigentlich mit den Kindern und mit der Beziehungsarbeit? Wo bleibt der Anspruch an die Bildung bzw. die Qualität in der frühkindlichen Pädagogik?

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Das wirklich Schlimme ist, Herr Hovenjürgen: Sie wissen am Ende ganz genau, dass das nicht gelingen kann, nicht in diesem System mit Pauschalen und Buchungszeiten. Aber darum geht es Ihnen auch eigentlich gar nicht.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie machen ein Versprechen, das Sie nicht halten müssen, denn Sie laden das bei den Kommunen und bei den Trägern ab und schaffen damit Konflikte vor Ort. Sie müssen ja selbst nicht erklären, warum auch künftig nicht jeder kommen und gehen kann, wie er will wie in einem Taubenschlag.

Aber vielleicht – das mag ja sein – haben alle Kritikerinnen und alle Kritiker schlichtweg keine Ahnung; das hat der Kollege Moritz ja gestern bei den Haushaltsberatungen auch hier noch einmal gesagt. Ich darf zitieren – ich habe das sehr genau mitgeschrieben –:

„Wer hier den großen Sprung der Landesregierung nicht erkennt, kennt sich mit dem Thema in etwa so gut aus wie ein Sumoringer mit dem Weitsprung. (…) Wer sagt, das KiBiz sei keine große Leistung, ist fachfremd (…).“

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Da klatschen die Fachfremden von der CDU! Da trauen sich die eigenen Familienpolitiker nicht, zu klatschen!)

– Da kann man auch mal klatschen. Aber dieser Satz ist ein Schlag ins Gesicht der Eltern und der Erzieherinnen und Erzieher,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

die zu Zehntausenden unterschrieben haben, die hier auf den Rheinwiesen gestanden und wirklich sehr deutlich darum gebeten haben, zu erheblichen Nachbesserungen zu kommen. Das kann man so machen. Also: alle fachfremd.

Aber vielleicht sind Sie auch einfach nur der Wirklichkeit entrückt. Viel besser kann man die eigene Arroganz und Selbstzufriedenheit, die eigene Hybris hier nicht dokumentieren, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

– Sie können noch so viel dazwischenrufen, wie Sie möchten, Herr Dr. Stamp.

Wenn Sie glauben, mit der Verabschiedung des KiBiz könnten Sie einen Haken auf Ihrer To-do-Liste machen, wird Sie die Wirklichkeit schon sehr bald einholen. Das werden Sie erleben, denn Sie werden nicht einen weiteren Tag Ruhe haben und weiter nachbessern müssen an diesem nicht ausreichenden Gesetz. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Müller. – Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Hafke noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der SPD traue ich beim Thema „Haushaltsberechnungen“ überhaupt nicht mehr. Sie haben über Jahre hinweg verfassungswidrige Haushalte auf den Weg gebracht und ballern jetzt hier einfach irgendwelche Zahlen rein.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Das ist unseriös und populistisch.

Ich will das noch einmal sagen: Ich bin jetzt seit zehn Jahren in dem Thema unterwegs. Die Sachkosten waren in den letzten zehn Jahren nie ein Thema. Es ging immer um die Personalkosten, die nicht auskömmlich sind, und die finanzieren wir jetzt gegen.

Ich will das noch einmal zur Präzisierung sagen: Die Mittel für die Personalkosten werden jetzt um 15 % angehoben. Bei den Sachkosten sprechen wir über eine Verdoppelung der Forderung, die im Raum steht.

Unseriös ist, dass Sie diese Forderung einfach annehmen, anstatt mal vernünftig zu hinterfragen, ob das der Fall ist oder nicht. Deswegen beleuchten wir das ja seit zwei Jahren und werden das in Zukunft auch machen, wie die Situation in Nordrhein-Westfalen aussieht.

Ich will das noch einmal in der Klarheit sagen: Sie haben es in den letzten sieben Jahren nicht geschafft, überhaupt dieses System auf vernünftige Beine zu stellen. Deswegen hat es überall in der Kita-Landschaft gebrannt.

Wir haben jetzt zum ersten Mal die Situation, dass wir dieses Feuer löschen, Qualitätsverbesserungen voranbringen, Auskömmlichkeit finanzieren und gleichzeitig Beitragsfreiheit in diesem Land organisieren. Deswegen ist das ein Riesenschritt, aber nicht der letzte Schritt in einer frühkindlichen Bildung. Das müssen Sie anerkennen. Ich glaube, das können die Menschen ab dem 01.08. nächsten Jahres tatsächlich auch in Nordrhein-Westfalen spüren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hafke. – Jetzt hat sich für die SPD noch einmal Herr Dr. Maelzer zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Dr. Maelzer.

(Henning Höne [FDP]: Kampmann hätte ich auch gerne gehört!)

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Herr Präsident! Ich freue mich über die Begrüßung der CDU-Fraktion. Als Ihr Redner gesprochen hat, waren Sie noch zu elft, jetzt sind Sie vollzählig. Das ist ja vielleicht auch ein gutes Zeichen.

(Beifall von der SPD)

Nachdem sich Herr Hafke in seinem Wortbeitrag eben von jedem fachlichen Anspruch losgesagt hat, wollen wir an der Stelle vielleicht doch noch einmal intensiver einsteigen.

Der Minister hat eben davon gesprochen, dass Trägervielfalt dieser Regierung heilig wäre. Ich glaube, diese Aussage ist vor allen Dingen scheinheilig, denn sonst wären Sie im gesamten Prozess nicht so mit den freien Trägern umgegangen.

(Beifall von der SPD)

Zu behaupten, die ganze Kritik und die Sorgen, die formuliert werden, dass wir massenhaft Träger verlieren werden in diesem Land, sei einfach nur ein Pokern um mehr Geld wie in Tarifverhandlungen, wo man die Ergebnisse ein bisschen hochtreiben müsste, ist eine Beschimpfung der freien Träger sondergleichen. Sie ist – dieser Regierung vielleicht schon, aber – der Politik in Nordrhein-Westfalen nicht würdig.

(Beifall von der SPD)

Genauso scheinheilig ist doch die Platzausbaugarantie, die Sie vor sich hertragen, weil Sie wissen, dass fast jede Kita heutzutage nicht mit Investitionsmitteln, sondern über Mietpauschalen refinanziert wird. Bei den Mietpauschalen machen Sie nichts. Kein Cent kommt da drauf.

Darum stockt in Zukunft der Kita-Ausbau weiter, und jeder Platz, der in Zukunft nicht geschaffen wird, ist ein Platz, der auf Ihre Kosten geht.

(Beifall von der SPD)

Ich habe mich gefreut sowohl über die Aussage des Ministers als auch von Herrn Hafke, dass Sie morgen gerne noch intensiver über die SPD-Vorschläge reden möchten. Das ist ja wunderbar.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Zweite Lesung!)

– Morgen haben wir die dritte Lesung.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Die zweite Lesung!)

Da sollten wir uns dann wirklich konzentrieren auf Vorschläge, die in die Zukunft weisen. Das können wir dann morgen machen. Ich sage Ihnen: Bring it on. Wir werden da sein und die entsprechenden Forderungen stellen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Maelzer. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen jetzt zu folgendem Vorgang: Die SPD-Fraktion hat eine dritte Lesung des Gesetzentwurfs beantragt. Nach § 78 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung findet eine dritte Lesung auf Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Mitglieder des Landtages statt.

Der Antrag muss vor Schluss der Beratung der zweiten Lesung schriftlich beim Präsidenten eingereicht werden. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 unserer Geschäftsordnung kann die dritte Lesung unmittelbar nach Abschluss der zweiten Lesung erfolgen, wenn nicht eine Fraktion oder ein Viertel der Mitglieder des Landtags widerspricht. In diesem Fall findet die dritte Lesung frühestens am nächsten Sitzungstag statt.

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom heutigen Tag der Durchführung unmittelbar im Anschluss an die zweite Lesung widersprochen.

Deshalb kommen wir heute nur zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/6726 – Neudruck – in zweiter Lesung.

Die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf findet dann gemäß § 78 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung am Schluss der dritten Lesung statt. Im Anschluss daran stimmen wir auch über die Entschließungsanträge ab.

Stimmen wir nun also ab über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/6726 – Neudruck – in zweiter Lesung. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in Drucksache 17/7934 – Neudruck –, den Gesetzentwurf Drucksache 17/6726 – Neudruck – in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wer also stimmt der Beschlussempfehlung zu? – CDU und FDP stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und AfD stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Die sehen wir nicht. Die Koalitionsmehrheit reicht aus, und der Gesetzentwurf Drucksache 17/6729Neudruck – ist damit in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses in zweiter Lesung

(Beifall von der CDU und der FDP)

– Ihr klatscht zu früh. Ich muss ja noch „angenommen“ sagen. Jetzt könnt ihr klatschen; dann ist es so, wie es sein soll.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich rufe auf:

4   Sachleistungen statt Geldleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige in Landeseinrichtungen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7905

Es spricht dazu für die AfD-Fraktion Frau Walger-Demolsky.

(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Saal – Andreas Keith [AfD]: Wir warten ab, bis sich der Saal geleert hat!)

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Schade, Frau Wermer, ich war so gespannt, wie insbesondere eine stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union es gleich geschafft hätte, den Antrag der AfD in gewohnter Weise zu diskreditieren. Schade.

Immerhin hat die Junge Union am letzten Wochenende auf dem CDU-Bundesparteitag einen ähnlichen Antrag gestellt. Dass dieser Antrag von der Jungen Union von Ihrer Programmkommission mit Blick auf den Erhalt der links-grünen Koalitionsfähigkeit verwässert wurde, ist durchaus bedauerlich. Genauso bedauerlich ist es, dass Sie sich gleich mit unserem Antrag nicht sachlich und fachlich auseinandersetzen werden.

Warum ist es wichtig, an jeder Stelle, an der es das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, das Sachleistungsprinzip konsequent anzuwenden?

Derzeit bekommen Asylbewerber und Ausreisepflichtige in Landeseinrichtungen 136 Euro Taschengeld in bar, gedacht zur Finanzierung erforderlicher Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs.

Dieses Geld fließt aber zum Teil per Westernunion oder Hawala-Banking direkt in die Heimat der Asylbewerber. Zum Beispiel entsprechen 136 Euro in Nigeria fast genau dem dortigen Durchschnittseinkommen in Höhe von 138 Euro.

Somit stellt eine solche Überweisung natürlich deutlich einen Beitrag für das Leben der Familien in der Heimat oder auch für die Rückzahlung der Schulden, die durch Schleusungskosten entstanden sind, dar.

Falsch ist aber die Einschätzung der Bundesregierung, dass diese Transfers als eine sinnvolle Ergänzung zur Entwicklungshilfe zu sehen sind, denn sie sind nicht steuerbar und unterliegen keiner zielgerichteten Verwendung.

Anhand der wechselnden Leistungsstruktur für Flüchtlinge in Dänemark konnte eine Studie des Dänen Henrik Kleven von der Princeton University belegen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Sozialleistungen und der Anzahl der Asylbewerber besteht.

In Dänemark wurden die Leistungen im Jahr 2002 deutlich gekürzt; fast gleichzeitig ging die Migrationsbewegung dorthin deutlich zurück. Als die Mitte-links-Regierung die Leistungen wieder erhöhte, stiegen auch die Einwanderungszahlen wieder signifikant an.

In der Zeit, in der die Leistungen reduziert waren, blieben die Migranten nicht etwa in Dänemark. Die Nachbarländer Dänemarks verzeichneten eine erhöhte Zuwanderung von Flüchtlingen, die zuvor in Dänemark registriert worden waren.

Bargeld ist ein Pull-Faktor: Je mehr Geld verteilt wird, desto attraktiver ist ein Land für Armutsmigranten. So wie die Sonne und die günstigen Lebenshaltungskosten unsere Rentner nach Südeuropa locken, so wenig attraktiv ist Spanien gleichzeitig mit seinen 50 Euro Taschengeld für Asylbewerber.

Diese reisen lieber schnell durch, ebenso durch das ungastliche Frankreich, direkt nach Deutschland. Es geht ihnen eben nicht allein um Sicherheit und Frieden; das zeigt das mangelnde Interesse, im EU-Eintrittsland einen Asylantrag zu stellen.

Es locken aber auch nicht unsere Demokratie, unsere moderne Gesellschaft oder gar unsere Kultur, sondern es ziehen soziale Leistungen und die Versprechen einer deutschen Kanzlerin, die inzwischen zum Beispiel in Afrika wie eine Ikone verehrt wird.

Mit solchen Leistungen locken wir nicht die gut ausgebildeten, sofort leistungsbereiten, leicht integrierbaren Migranten. Diese suchen kein Land, das Taschengeld sofort in bar auszahlt, sondern sie suchen ein Land mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen sowie möglichst geringen Abgaben.

Leider sind wir in dieser Hinsicht alles andere als Spitzenklasse. Die Briten, die Skandinavier und sogar die Niederländer haben uns da etwas voraus.

Stellen Sie die Systeme richtig auf, trennen Sie endlich Arbeitszuwanderung, Armutszuwanderung und Asyl. Reduzieren Sie freiwillige Leistungen und beseitigen Sie unnötige Pull-Faktoren. Eine Guthabenkarte wäre da der erste Schritt.

Keine Begrenzung der Leistungen, sondern eine Kanalisierung der Leistungen und eine Bindung an den eigentlichen Zweck – nicht mehr und nicht weniger.

Wenn Sie die Umstellung dann durchgeführt haben, stellen Sie Ihr Know-how auch den Kommunen zur Verfügung, denn auch dort wäre die Umstellung von Barauszahlungen auf Guthabenkarten sehr hilfreich, nicht zuletzt auch, weil das Geld dann dortbleibt, wo es herkommt. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Nun spricht Herr Franken für die CDU-Fraktion.

Björn Franken (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich bemühen, ein würdiger Ersatz für unsere liebe Kollegin Frau Wermer zu sein. Scheinbar kann ja nur sie auf dieses Thema antworten. Ich werde Ihnen aber zeigen, dass es durchaus sinnvolle Argumente für eine Entgegnung zu Ihrem Antrag gibt.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Auch bei diesen Plenartagen merken wir wieder, dass sie nicht an uns vorbeiziehen, ohne dass die AfD für ihre selbst angerührte Migrationssuppe immer schärfere Zutaten nutzen muss, damit dieses Süppchen irgendwie weiterkocht.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Mit falschen Behauptungen und der gewohnten Faktenferne, die wir in zweieinhalb Jahren ja immer wieder kennenlernen durften, konstruiert die AfD rund um die Asylbewerber eine Problematik, die so schlichtweg nicht besteht.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

In Ihrem Antrag heißt es, dass unsere scheinbar viel zu hohen Sozialleistungen Flüchtlinge anlockten, damit diese das gezahlte Geld in ihre Heimatländer transferierten – das nennt man dann Rücküberweisung.

Um diese Aussage zu stützen, verweisen Sie auf eine Antwort der Bundesregierung von 2018 mit Zahlen aus 2016. Sie wärmen also alten Kaffee wieder auf und können einfach nicht überdecken, dass wir damals ganz andere Rahmenbedingungen hatten als heute.

(Beifall von der CDU, der FDP und Berivan Aymaz [GRÜNE] – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Schade ist, dass Sie leider nicht das ganze Dokument der Bundesregierung gelesen haben, denn unter Punkt 12 fällt Ihr kleines ideologisches Kartenhaus schnell in sich zusammen. Dort heißt es nämlich knapp: „Ein Zusammenhang zwischen Rücküberweisungen und gestiegener Migration“ lässt sich aufgrund der vorliegenden Informationen nicht belegen.

(Beifall von der CDU und Berivan Aymaz [GRÜNE] – Sven Werner Tritschler [AfD]: Wenn die Bundesregierung das sagt!)

– Natürlich lügen immer alle, und nur Sie sprechen die Wahrheit.

Dennoch stellen Sie heute, ein Jahr, nachdem die Bundesregierung ihre Antwort verfasst hat – noch mal: mit den Zahlen aus 2016 – und nachdem all Ihre Landtagsfraktionen bundesweit das Thema schon wie eine Sau durchs Dorf getrieben haben, einen solchen Antrag. Das ist für mich ein klarer Beleg dafür, dass Ihr inhaltlicher Vorratsschrank leer gefegt ist und Sie nur noch mit abgelaufenen Zutaten köcheln können.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wenn Sie den Antrag aber schon einbringen, nehmen wir uns kurz die Zeit und nehmen ihn inhaltlich noch weiter auseinander.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie hätten doch lieber Frau Wermer reden lassen sollen!)

Die Hauptherkunftsländer der Asylbewerber und damit auch der Sozialleistungsempfänger hier bei uns in Nordrhein-Westfalen sind Syrien, der Irak und die Türkei.

Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die drei Länder mit dem höchsten Anteil bei den Rücküberweisungen aus Deutschland Libanon, Vietnam und Nigeria sind. Es handelt sich also überhaupt nicht um dieselben Schwerpunktländer.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Da es in dem Zusammenhang außerdem nur um die Betroffenen in den Landeseinrichtungen geht, reden wir gerade einmal über 800 Personen.

(Helmut Seifen [AfD]: Immerhin!)

Wenn das der Skandal, Ihre Daseinsberechtigung und Ihr großes Thema sind, erkennt man direkt, wie absurd Ihre Programmatik ist.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ein Asylbewerber in Landeseinrichtungen erhält nämlich neben den Sachleistungen, die es mittlerweile schon gibt – das haben wir schon umgestellt –, gegenwärtig maximal 135 Euro Taschengeld, um seinen notwendigen persönlichen Bedarf zu decken – dazu gehören persönliche Hygieneartikel, Handy, Teilhabe am sozialen Leben usw.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Und dafür ist keine Guthabenkarte möglich?)

Die Aussage, Flüchtlinge nähmen all die Strapazen und Lebensgefahren eines langen Fluchtweges sowie die Kosten für Schleuser und alles, was sonst noch anfällt, nur auf sich, um in unserem Land Sozialleistungen in Form von Taschengeld in Höhe von 135 Euro zu beziehen, ist einfach lächerlich.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Genau! Das ist absurd! – Widerspruch von Helmut Seifen [AfD])

Wer der Mathematik Herr ist, kann schnell ausrechnen, dass 800 Leute mit 135 Euro im Monat nicht maßgeblich zum BIP des Heimatlandes beitragen können.

(Helmut Seifen [AfD]: Wie naiv Sie sind!)

Auch das ist also lächerlich.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von Dr. Christian Blex [AfD] und Helmut Seifen [AfD])

Ihre Ausführungen zu offenen Grenzen machen eines wieder ganz klar; wir haben es schon gestern von Ihnen gehört: Sie denken im nationalen Klein-Klein vergangener Tage, wollen Grenzen und Mauern wieder errichten und die Menschen spalten.

(Beifall von der CDU und Berivan Aymaz [GRÜNE] – Widerspruch von Helmut Seifen [AfD])

Wir empfinden die EU als Projekt, das Frieden schafft und Freiheit und unseren Wohlstand sichert.

(Helmut Seifen [AfD]: Fragen Sie mal Herrn Macron und Frau Merkel! – Widerspruch von Gordan Dudas [SPD])

Genau in diesem Fall ist doch die EU mit dem Schutz der Außengrenze durch Frontex und der Aufstockung auf 10.000 Beamte in den nächsten Jahren die Lösung. Wir bewältigen die kommenden Herausforderungen nur gemeinsam und nicht mit Ihrer Nationalstaaterei.

Ich komme zum Schluss. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken. Sie sitzen auf Ihrem braunen Pulverfass. Die Lunte hat leider nicht gezündet, Ihr Pfeilköcher ist leer, und, wie wir sehen, gehen Ihnen ganz offensichtlich die Ideen völlig aus.

(Widerspruch von Dr. Christian Blex [AfD])

Es steht anscheinend nicht zum Besten um die Alternative, die eigentlich keine Alternative ist. Das erkennen immer mehr Menschen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Das ist nicht schwer!)

Wir stimmen aus guter Gepflogenheit Ihrer Überweisung zu. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Franken. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Frau Lux.

Eva Lux (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – so könnte man diesen AfD-Antrag auch überschreiben.

Heute steht mal wieder die Forderung im Raum, dass Asylbewerber – „Menschen“ traut man sich gar nicht mehr zu sagen –, die in Landeseinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften leben, keinerlei Geld zur freien Verwendung erhalten sollen.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Stattdessen soll sowohl der notwendige Lebensbedarf als auch der minimalste persönliche Bedarf per Sachleistungen oder über unbare Zahlungsmittel gedeckt werden.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Nein!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Walger-Demolsky?

Eva Lux (SPD): Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage.

Eva Lux (SPD): Für Zwischenfragen werden wir ja vermutlich im Ausschuss noch genügend Zeit haben.

Ich möchte das Für und Wider von Sachleistungen hier gar nicht mehr aufrollen. Meiner Meinung nach ist das eine ideologische Debatte, die keinerlei praktisches Problem löst, weder für die Behörden und Unterkünfte noch für die Asylbewerber.

Zu Ihrer Aussage, Geldleistungen seien Pull-Faktoren: Liebe Leute, die Menschen, die hierhin kommen, träumen mit Sicherheit nicht von Asylbewerberleistungen, sondern von einer Zukunft für sich und ihre Kinder,

(Zurufe und Widerspruch von der AfD)

um sicher vor Krieg zu sein und keine Angst zu haben. Dass irgendjemand für 135 Euro durch das Mittelmeer schwimmt, diese Aussage sagt am Ende doch nur etwas über den Sender dieser Botschaft aus.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das kann man nicht oft genug wiederholen. – Danke, Herr Kollege Franken.

Über Missbrauch von Geld kann man trefflich streiten. Unstrittig sollte zum Beispiel der Missbrauch durch Steuerhinterziehung oder Wahlkampfspendenverschleierung sein. Ich möchte hier nicht die Summen vergleichen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

135 Euro, meine Damen und Herren, kann man ausgeben, kann man sparen oder an Menschen, die noch weniger haben, verschenken. Das ist völlig legal. Wie schrecklich: Gerade die Ärmsten unter uns geben für andere großzügig und ohne Spendenquittung.

Was sind die Fakten? – Was den persönlichen Bedarf angeht, so hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2012 verfügt, dass der sogenannte persönlich notwendige Bedarf in Form von Geld ausgezahlt werden muss. Warum Sie sich in Ihrem Antrag auf dieses Urteil beziehen und dann das Gegenteil fordern, ist mir schleierhaft.

Was den notwendigen Lebensbedarf betrifft, also die allgemeine Grundversorgung für Asylbewerber, so gibt es hier in einer Sollregelung den Vorrang von Sachleistungen gegenüber Geldleistungen. Das heißt, wenn möglich und sachdienlich, soll der Bedarf der Asylbewerber durch Sachleistungen statt Geldleistungen gedeckt werden. Ich wiederhole: wenn möglich und sachdienlich soll, nicht muss. Dementsprechend wird in den Landeseinrichtungen das Allermeiste bereits durch Sachmittel bereitgestellt. Ob das richtig, sparsam und angemessen ist, sei dahingestellt.

Bei den kommunalen Unterkünften liegt die Sache aber anders. Sie unterliegen der kommunalen Selbstverwaltung.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Im Antrag steht nichts von kommunalen Unterkünften!)

– Lesen Sie Ihren Punkt III.

Es ist die Entscheidung der Kommunen, wie sie im Rahmen der Gesetze Asylbewerber – oder vielleicht doch Menschen – unterbringen und versorgen. Hier hat sich das Land schlicht herauszuhalten.

Dieser nette kleine AfD-Antrag erweist sich im Land wie in der Kommune als reine Symbolpolitik.

Ich selbst komme aus Leverkusen und bin sehr stolz darauf, dass nach uns das sogenannte Leverkusener Modell benannt ist. Wir haben als eine der ersten Städte konsequent versucht, Asylbewerber in normalen Privatwohnungen unterzubringen. Bei dieser Form der Unterbringung spielen Sachleistungen einfach eine untergeordnete Rolle.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

– Hören Sie zu, dann lernen Sie vielleicht noch etwas.

Wir haben das übrigens zum einen aus Gründen der besseren Integration der Menschen in die Stadtgesellschaft gemacht, zum anderen – das ist wesentlich – jedoch, weil es die Stadt schlicht weit weniger Verwaltungsaufwand und Geld kostet.

Damit erübrigt sich eigentlich schon die weitere Debatte. Sie ist ohnehin längst von allen Seiten durchgekaut, nicht zuletzt – auch das gehört zur Wahrheit – weil CDU und CSU dieses Pferd bereits – symbolisch – totgeritten haben.

Ich bin mir leider sicher, dass unsere AfD-Murmeltiere heute nicht das letzte Mal gegrüßt haben. Aus Höflichkeit werden wir der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen. Aber für das nächste Mal, liebe AfD: Wenn Sie schon kein Mitgefühl für Flüchtlinge haben, dann vielleicht für arme, unschuldige Pferde. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Lux. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von der AfD-Fraktion. – Frau Walger-Demolsky spricht für die Fraktion. Bitte schön, Frau Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Lux, von Menschen kann man nicht sprechen, wenn man ganz klar nur eine Gruppe benennen will; denn wir möchten nicht alle Leistungen an alle Menschen verteilen, sondern es ging um Asylbewerber in Unterkünften des Landes.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Sind das keine Menschen?)

Das muss man schon klar benennen, tut mir leid. Ich möchte nicht die Angestellten dort auch mit Guthabenkarten bezahlen.

An dem Betrag wollen wir nichts ändern. 135 Euro haben mit der Kaufkraft zu tun. In Österreich – mit einer ähnlichen Kaufkraft – gibt es nur 40 Euro, in Spanien 50 Euro, in Schweden 70 Euro, in Italien 75 Euro, in Griechenland 90 Euro. Wir wollen nichts an der Summe ändern.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Der Unterschied zwischen Bargeld und einer Guthabenkarte ist am Ende, wenn ich es hier für meinen täglichen Bedarf ausgebe, gar keiner. Sie gehören doch alle zu den Parteien, die durchaus bereit sind, das Bargeld in Deutschland abzuschaffen.

(Stefan Lenzen [FDP]: Ach ja?)

– Ja, Sie von der FDP vielleicht nicht.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Während über Karten und nachvollziehbare Systeme zu bezahlen im Grunde das Ziel ist, empfinden Sie es als unangemessen, Leistungen für Asylbewerber über eine Karte auszuzahlen. Das kann ich nicht nachvollziehen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Lux, Sie haben 1:30 Minute für eine Reaktion. Bitte schön.

Eva Lux (SPD): Frau Walger-Demolsky, eigentlich müsste man über Ihre Bandbreite überrascht sein. Sie sprechen Menschen das Menschsein ab. – Das ist das Erste.

(Zurufe von der AfD: Hä?)

Das Zweite: Vorhin haben Sie sehr ausführlich über Kürzungen, Kürzungen, Kürzungen gesprochen.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Jetzt wird wieder nicht gekürzt, und wir kommen zur Abschaffung des Bargeldes.

Ich sage: Das ist keine Alternative für Deutschland, das ist nur noch die Destruktive für Deutschland. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Lux. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion Herr Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben sich – ich habe Herrn Franken und Frau Lux aufmerksam zugehört – sehr sachlich mit Ihrem Antrag auseinandergesetzt. Sie, Frau Walger-Demolsky, haben vorher gesagt, das würden wir mal wieder nicht tun. Auch ich – ich denke, das haben Sie inzwischen mitbekommen – werde mich sehr sachlich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen.

Das Spannende ist immer, ob das so viel Sinn macht, denn spätestens im Ausschuss – das kommt öfter bei Ihnen vor – ziehen Sie den einen oder anderen Antrag auch einfach mal zurück – das haben wir schon erlebt – frei nach dem Prinzip: Hier veranstalte ich den Klamauk, und im Ausschuss verweigere ich die Arbeit.

(Beifall von der FDP – Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Einmal!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Walger-Demolsky?

Stefan Lenzen (FDP): Jetzt? Gern. Ich habe zwar noch gar nicht viel erzählt. Aber wenn das schon dazu führt …

Vizepräsident Oliver Keymis: Gern. – Dann bitte, Frau Walger-Demolsky.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist eine Verständnisfrage!)

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Herr Lenzen, einen Antrag haben wir zurückgezogen, weil er tatsächlich einen sachlichen Fehler enthalten hat.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist dann nicht der eine oder andere. Können Sie mir da recht geben? Also, einer ist nicht der eine oder andere, einer ist einer, und zwar von vielen.

Ich glaube, ich habe allein in unserem Ausschuss 14 Anträge gestellt, und davon hatte ein Antrag einen Fehler, einen sachlichen Fehler. Können Sie das nachvollziehen? Einer und nicht der eine oder andere?

(Gordan Dudas [SPD]: In meinem Ausschuss wird auch mal zurückgezogen!)

Stefan Lenzen (FDP): Vielen Dank für die Zwischenfrage. Ich sitze einmal als Obmann im Ausschuss für Integration und Flüchtlinge. Dann bin ich Sprecher für Arbeit und Soziales, und ich bin auch im Kommunalausschuss. Ich glaube, zur Halbzeit kann man schon einen ersten Eindruck gewinnen. Der lässt sich im Nachgang gern verifizieren. Da können wir die Statistik zusammenstellen; die habe ich jetzt natürlich nicht präsent.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Aber ich glaube, irgendwann ist es nicht mehr ein einzelner Eindruck. Was habe ich so erlebt in den Ausschüssen? Entweder Sie sind nicht da,

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Wann?)

oder, wenn Sie da sind, bringen Sie sich nicht ein, oder ziehen Sie Anträge zurück, oder finden Sie keine Sachverständigen. Das heißt, irgendwann haben Sie es auch aufgegeben, Anhörungen zu beantragen. Dann gehen Sie in eine schriftliche Anhörung. Das haben wir alles schon erlebt. Sie haben schon Anträge vertagt, dann haben Sie die Anträge einfach wieder einkassiert.

Wenn ich allein in den drei Ausschüssen, in denen ich bin, nach zweieinhalb Jahren das Engagement der AfD-Fraktion sehe, dann muss ich den Spruch nennen: ohne Fleiß kein Preis. Deswegen gewinnen Sie auch keinen.

(Beifall von Gordan Dudas [SPD] – Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Schön, dass ich jetzt wieder zum Antrag sprechen darf. Das haben Sie ja eingefordert. Aber das setzt voraus, dass Sie mir jetzt zuhören, wenn ich mich mit Ihrem Antrag auseinandersetze.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Wie Sie wissen sollten, gibt es eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms, UNDP. Demnach kommen vor allem Menschen zu uns, die in ihren Heimatländern im Vergleich zur dortigen Durchschnittsbevölkerung besser verdient haben und auch über ein höheres Bildungsniveau verfügen, was insbesondere für Migrantinnen gilt. Das zeigt schon, dass die Grundannahme Ihres Antrags schlicht falsch ist.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

– Ich habe die Debatte verfolgt. Die beiden dahinten beteiligen sich immer sehr engagiert und wortreich. Spätestens da ist, glaube ich, der Punkt erreicht. Wenn die AfD es irgendwann mal ernst nehmen sollte, zu sagen: „Wir dulden keine Nazis in unseren Reihen“, dann sollten Sie damit anfangen, die beiden auszuschließen. Aber ich glaube, dazu fehlt Ihnen der Mut.

(Beifall von der FDP und Gordan Dudas [SPD])

Bleiben wir doch bei den Fakten. Wenn Sie allein bei der Höhe des bar ausgezahlten Taschengelds von einem Pull-Faktor sprechen und dass dafür – das haben meine Vorredner schon klargestellt – der gefährliche und oft tödliche Weg nach Europa und nach Deutschland auf sich genommen wird – allein in diesem Jahr über 1.000 Tote, die im Mittelmeer ertrunken sind –, wenn Sie das als großen Anreiz bezeichnen, dann muss ich sagen: Sie sind völlig weltfremd.

(Heike Gebhard [SPD]: Zynisch!)

Ich darf Ihnen noch ein paar Fakten mit auf den Weg geben:

Erstens. Ich glaube, es ist unbestritten, dass Deutschland eines der wohlhabendsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Länder Europas ist. Das gilt natürlich auch – das schlägt sich dann in höheren Kosten nieder – im Bereich der Dienstleistungen. Folglich sind unsere Sozialleistungen höher als in Süd- und Osteuropa.

Deswegen hinkt Ihr Vergleich von eben mit dem einen oder anderen Land, wenn Sie den Vergleich nach entsprechendem Einkommensniveau, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ziehen würden.

(Markus Wagner [AfD]: ... Dänemark, Frankreich! Was reden Sie eigentlich für einen Unsinn?)

– Sie können schreien, Herr Wagner. Sie wollen anscheinend nicht, dass man sich damit sachlich auseinandersetzt.

Zweitens. Die Leistungen für Asylbewerber europaweit zu vergleichen, ist deshalb schon schwierig, weil es unterschiedliche Systeme sind. Sie vergleichen eben Äpfel mit Birnen.

(Markus Wagner [AfD]: Sie können es nicht!)

Drittens. Wie Menschen mit den ihnen zustehende Sozialleistungen umgehen, liegt zuallererst – wir haben die Summen gehört – in ihrer eigenen Verantwortung. Das gilt für uns alle, ob für den deutschen Hartz-IV-Empfänger oder den Asylbewerber.

Sie bringen bewusst Beispiele, die sich eben nicht auf die Allgemeinheit ausbreiten lassen. Es gibt Menschen, die einen Teil ihren Familien in der Heimat zur Verfügung stellen. Es hat – das können Sie gern negieren – trotz allem positive Aspekte, wenn das Geld da eingesetzt wird, wo es von den Menschen gebraucht wird, ob es für einen Arztbesuch, für Lebensmittel, für Medikamente oder auch für Kleidung ist. Dem haben Sie vehement widersprochen.

Viertens. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik sieht das als eine sinnvolle Ergänzung der staatlichen Entwicklungshilfe an. Das wollen Sie nicht wahrhaben. Aber wenn man damit Existenzen von Familien zu Hause sichern kann, sie auch bei kurzfristigen Wirtschaftseinbrüchen schützen kann, dann sollte es eigentlich im Sinne des Antragstellers sein, wenn dadurch weniger Menschen vor Armut fliehen müssen.

Fünftens. Angesichts der Höhe des Barbetrags und des wöchentlichen Auszahlungsrhythmus für die Flüchtlinge in Landeseinrichtungen dürfte es wohl kaum eine große Rolle spielen, in welcher Form ich Überweisungen in die Heimat tätige.

Sechstens. Eine Umstellung der Geldleistungen haben Sie komplett außer Acht gelassen in Ihrem Antrag und in der Begründung. Die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen ist natürlich mit einem erheblichen administrativen Mehraufwand verbunden. Ich stelle mir vor, diese Leistungen in den Bereichen Freizeit, Kommunikation und Verkehr sollte jetzt die Verwaltung über Sachleistungen sicherstellen.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Wie das mit der Menschenwürde vereinbar ist oder wie man da individuell kulturelle Bedürfnisse berücksichtigt, also wie man das im kleinsten Bereich auch noch kontrollieren und staatlich über ein entsprechendes Bezugssystem regeln möchte, das haben Sie, glaube ich, nicht durchgerechnet.

Siebtens – bleiben wir bei den Fakten –: Die im Antrag angesprochene Sachleistungskarte wurde erst kürzlich in Bayern in einem Ankerzentrum im Rahmen eines Pilotversuchs eingeführt. Diese flächendeckende Umsetzung wäre ein komplexes ressourcen- und kostenintensives Vorhaben. Deswegen sollte man erst mal die Erfahrungen aus diesem einen Pilotversuch abwarten, bevor man über weitergehende Maßnahmen überhaupt diskutiert.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich erspare mir, an dieser Stelle noch auf Ihre diversen falschen Angaben, ob zum Dublin-System, zu deutschen Außengrenzen, zum Thema „Zurückweisung an der Grenze“, einzugehen. Ich nehme mir gern im Ausschuss die Zeit, Ihnen das noch mal zu erklären.

Aber ich habe eingangs schon gesagt: Das setzt voraus, dass Sie Ihren Antrag nicht zurücknehmen, schieben oder keine Anhörung beantragen,

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

weil Sie keinen Sachverständigen finden.

Ich glaube, jetzt haben wir uns wirklich sehr sachlich mit dem Antrag auseinandergesetzt,

(Zuruf von der AfD: Das glaube ich nicht!)

vielleicht auch schon eine Minute zu viel.

(Zuruf: Ja, das stimmt auch!)

Aber ich glaube, die hinterste Reihe mache ich damit auch nicht mehr glücklich. Ich hatte schon eines überlegt: Ich will die Kindersendung nicht verunglimpfen, aber mich erinnert das immer wieder an die zwei älteren Herren auf dem Balkon in der „Muppet Show“. Anders kann ich nicht mehr einordnen, wie Sie sich hier manchmal benehmen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Einfach nur blamabel! – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lenzen. Ich muss Ihnen eine Rüge aussprechen, Herr Lenzen. In diesem Hohen Haus wird niemand als Nazi beschimpft – auch nicht indirekt oder andeutungsweise, egal, wo er sitzt, ob in der hinteren Reihe oder vorne. Das müssen wir klar so festhalten. Das schoss über das Ziel unserer parlamentarischen Gepflogenheiten hinaus. Das will ich deutlich sagen.

Das Zweite ist: Auch bei Vergleichen mit irgendwelchen Figuren wäre ich vorsichtiger. Ich glaube, es trägt nicht zum parlamentarischen Austausch bei, wenn wir diese Dinge so vorantreiben.

Ich bitte da bei allen um Verständnis. So bitte nicht. Die Rüge ist hiermit ausgesprochen.

Als Nächste spricht Frau Aymaz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Vieles haben meine Vorredner bereits dargelegt. Schauen wir uns trotzdem die Aussagen an, die wieder einmal in dem AfD-Antrag auftauchen. So heißt es:

„Die Migrationspolitik der Bundesregierung ermöglicht, bedingt durch weitgehend ungesicherte Grenzen, immer noch eine unkontrollierte und unerlaubte Einreise nach Deutschland.“

Meine Güte! Ich habe mich gefragt: Von welchem Land reden Sie eigentlich? Was ist das für eine Realitätsverzerrung? Warum versuchen Sie immer noch, an der Realität vorbeizureden, Angst zu schüren und damit auch eine gewisse Stimmung zu erzeugen, die dazu führt, dass Menschen hier weiterhin angegriffen werden? Die Realität sieht doch völlig anders aus. Das wissen Sie sehr genau. Das machen Sie ganz bewusst.

Die Realität ist, dass weltweit gerade so viele Menschen auf der Flucht sind wie noch nie. Über 70 Millionen!

Die Realität ist, dass es im Moment nur eine ganz, ganz, ganz geringe Anzahl von Menschen überhaupt nach Europa und dann noch nach Deutschland schafft. Die meisten von ihnen müssen gerade vor den Toren Europas – in Bosnien, in der Kälte und noch nicht einmal mit Zelten ausgestattet – ausharren. Das ist die Realität.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Der Antrag spricht von „großzügigen Sozialleistungen“. – Bleiben wir erst einmal bei dieser Aussage: großzügige Sozialleistungen! Meine Vorredner haben eben dargelegt, was damit gemeint ist, über welche Summe wir reden. Um es hier noch mal klarzumachen: Diese sogenannte großzügige Sozialleistung musste 2012 erst einmal vom Bundesverfassungsgericht auf das menschenwürdige Existenzminimum angehoben werden. Sie lag jahrelang sogar unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums. Davon reden Sie.

Aber die Menschenwürde interessiert Sie ja in diesem Falle absolut nicht. Die wollen Sie bei diesen Menschen am liebsten wieder umgehen. Das lassen wir natürlich nicht zu.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Zum Pull-Faktor: Wie zynisch das ist, wurde schon mehrmals dargelegt. Aber es ist nicht nur zynisch, es ist einfach eine Behauptung, zu der Sie einen Wissenschaftler halb und nicht einmal vollständig zitieren.

Ich sage hier in aller Deutlichkeit noch einmal: Migrationsbewegungen sind komplexe Sachverhalte. Die lassen sich nicht auf 130 Euro reduzieren und nur damit erklären. Die sind viel komplexer. Wer dieses komplexe Geschehen auf nur einen Sachverhalt reduzieren will, der hat hier ganz klare, böse Absichten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme zu der Aussage, diese Menschen würden das Taschengeld zweckentfremden, missbrauchen. – Was ist das für eine Wortwahl? Dabei geht es darum, dass diese Menschen selbstständig darüber entscheiden, wie sie mit ihrem Taschengeld umgehen. Ich finde, das können Menschen auch. Sie können selbst darüber entscheiden, was sie damit kaufen, ob sie etwas kaufen, ob sie nichts kaufen, ob sie es sparen, ob sie es Menschen schenken oder sonst was. Das können Menschen selbstständig entscheiden. Diese Entscheidung dürfen wir ihnen nicht wegnehmen.

Hier von Missbrauchsmöglichkeiten zu sprechen, ist noch mal der Versuch, diese schutzsuchenden Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen und sie zu kriminalisieren. Das ist die Wortwahl, und das ist der Stil der Politik, die die AfD hier betreibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Abschließend, wenn wir doch auf die Forderung eingehen sollten, das Taschengeld zu streichen und ein Sachleistungsprinzip einzuführen: Wir Grüne haben zuletzt auf Bundesebene im Rahmen der Debatten zum geordneten Rückkehrgesetz deutlich gemacht, dass wir grundsätzlich gegen die schleichende Ausweitung des Sachleistungsprinzips sind. Es ist teurer als Barleistungen, und es bevormundet die Asylsuchenden, da von Amts wegen entschieden werden soll, was gegessen und eingekauft werden soll. Das geht nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Das war wirklich unterintellektuell!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Aymaz. – Jetzt spricht für die Landesregierung der Minister, Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp*), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich weiß, dass wir eine Geschäftsordnung haben und dass Sie Ordnungsrufe erteilen müssen. Aber angesichts dessen, was man an permanenten Zwischenrufen in einem Dauerfluss auf einem solchen Niveau zu hören bekommt, kann ich zumindest an dieser Stelle mein Verständnis für den Kollegen Lenzen äußern.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP – Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Ich mache es kurz: Wir haben in den Landeseinrichtungen in großen Teilen auf Sachleistungen umgestellt. Es geht jetzt um die Frage, was mit dem Taschengeld ist. Wir zahlen das Taschengeld wöchentlich aus. Dabei handelt es sich um 31,75 Euro.

Es gibt ein Pilotprojekt in einer einzelnen Einrichtung in Bayern, die auf vollständige Sachleistungen umgestellt hat. Diesen Piloten warten wir ab, um dann die dortigen Erfahrungen zu beurteilen.

Mehr kann ich zu diesem Zeitpunkt zu diesem Antrag nicht sagen und will es, ehrlich gesagt, auch nicht. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. Dafür kann ich noch etwas sagen. Es ist nicht Ihre Aufgabe als Minister, das sitzungsleitende Präsidium in irgendeiner Weise zu kommentieren. Das muss ich so deutlich sagen. Das ist quasi ein rügeähnlicher Hinweis, den ich Ihnen hiermit gebe. Wenn ich das so sage, dann gilt das hier. Das gilt auch für Sie.

Sie können dem Kollegen gegenüber persönlich Verständnis äußern, aber nicht hier in der Runde, weil Sie sich seine Formulierung damit quasi zu eigen machen. Das kann nicht das sein, was Sie wollen – das kann ich mir nicht vorstellen –, weil man doch versuchen muss, vernünftig mit diesen Begriffen umzugehen.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich, bei allem Verständnis für allen Streit, den wir miteinander haben. Aber es gibt bestimmte Begriffe, die werfen wir uns gegenseitig nicht an den Kopf, auch nicht indirekt. Ich möchte, dass das hier im Hohen Hause für alle gilt – für alle! – Danke schön.

Wir sind am Ende der Debatte. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7905 an den Integrationsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales vor. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf

5   Zweites Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/5978

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/7935

zweite Lesung

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7966

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden  zu Protokoll zu geben. (siehe Anlage)

Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt dem zu? – CDU, FDP, SPD und Grüne haben zugestimmt. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die AfD enthält sich. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 17/7966 einstimmig angenommen.

Wir stimmen zweitens ab über die Beschlussempfehlung Drucksache 17/7935. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 17/7935, den Gesetzentwurf Drucksache 17/5978 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung in der soeben genannten Fassung und nicht über den Gesetzentwurf. Wer stimmt der Beschlussempfehlung zu? – SPD, Grüne, CDU, FDP. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die AfD enthält sich. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/5978 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses Drucksache 17/7935  einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Digitaler Fortschritt für alle: Bildung, Arbeit und Teilhabe der Zukunft sicherstellen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7882

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt Frau Kollegin Kampmann.

Christina Kampmann*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Pinkwart, die Digitalpolitik der Landesregierung steckt im Stau, das wissen wir alle. Ganz viel wurde angekündigt, ganz viel wurde nicht weiter vorangetrieben, und bei vielen Dingen – wir haben im letzten Ausschuss nach der Digitalstrategie gefragt – weiß man auch gar nicht, wo man gerade steht.

Woran liegt das? Aus unserer Sicht hat das ganz viel mit der Haltung der Landesregierung, aber auch der regierungstragenden Fraktionen zum Thema „Digitalisierung“ zu tun. Wer in einem Antrag schreibt, dass alles, was digitalisiert werden könne, auch digitalisiert werden müsse, der macht damit deutlich, dass er Digitalisierung nicht verstanden hat und dass er das Thema eben nicht von den Menschen aus denkt, sondern dass er das Thema technologisch und ökonomisch getrieben denkt. Das ist der große Fehler dieser Landesregierung.

Deshalb haben wir Anfang dieses Jahres eine Digitalisierungstour durch Nordrhein-Westfalen gemacht. Wir haben mit Menschen in der Pflege, mit den Beschäftigten in der Industrie, mit Lehrerinnen und Lehrern gesprochen und sie gefragt, welche Erwartungen sie eigentlich an die Politik haben, wenn wir über den digitalen Wandel sprechen.

Daraus haben wir den Antrag entwickelt, der Ihnen allen vorliegt und der drei Schwerpunkte hat: digitale Bildung, die Zukunft der Arbeit und digitale Teilhabe. Wir wissen, das sind drei wesentliche Schwerpunkte, die die Menschen in diesem Land interessieren, für die wir politische Maßnahmen entwickeln müssen, damit der digitale Wandel am Ende zu einem Erfolg für alle wird.

Was bedeutet das? Wir erinnern uns an das Wahlkampfplakat der FDP: „Das Digitalste in der Schule dürfen nicht die Pausen sein“. Wenn wir uns die Schulen heute anschauen, dann stellen wir fest, dass es leider immer noch die Pausen sind, dass sich da ganz wenig getan hat.

Es musste erst ein Sozialdemokrat Bundesfinanzminister werden, damit ein wirklicher Meilenstein in der digitalen Bildung erreicht wurde. Mit dem DigitalPakt haben wir einen wichtigen Fortschritt geschaffen. Die FDP-Schulministerin hat dazu leider noch nicht viel auf den Weg gebracht.

Wir sind froh, dass es jetzt endlich die Plattform LOGINEO geben soll. Aber ich sage Ihnen: An den Schulen, an denen wir waren, haben wir festgestellt, dass ganz viele schon längst mit anderen Plattformen arbeiten, weil sie nicht warten wollten. Und sie haben ganz klar gesagt: Wir sind auch nicht bereit zu wechseln. – Das heißt, es ist schön, dass die Plattform jetzt da ist, aber ob sie überhaupt genutzt wird, steht auf einem anderen Stern.

Wir bitten aber auch, die Datenschutzbedenken bei dem Thema ernst zu nehmen. Dafür braucht es eine angemessene Ausstattung der Lehrerinnen und Lehrer. So viel zumindest sollte das der Landesregierung doch wert sein. Da muss noch einiges getan werden.

Gleiches gilt für das Thema „digitale Infrastruktur“. Florian Braun hat mich letztes Mal korrigiert und gesagt, es stimme gar nicht, dass nur 21 % der Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen seien. Ich habe es noch einmal nachgeschaut: Es steht leider in Ihren eigenen Unterlagen. Sie haben gesagt, wir seien bei 40 %. In der Gigabit-Strategie und in den aktuellen Zahlen von Oktober 2019 ist aber von 21 % die Rede. Mir fehlt, ehrlich gesagt, die Fantasie, wie so tatsächlich eine erfolgreiche digitale Bildung an den Schulen weiterentwickelt werden soll.

Das zweite große Thema für uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Zukunft der Arbeit. – Ich weiß, lieber Herr Minister Pinkwart, Sie können nicht alles in dieser Landesregierung machen. Aber es wäre schon erfreulich, wenn Minister Laumann aus seinem digitalen Winterschlaf erwachen und irgendetwas dazu anstoßen würde.

Denn wir wissen, die Beschäftigten in den Betrieben warten auf Antworten. Sie warten auf Lösungen, weil viele Angst haben, ihren Job zu verlieren, weil viele wissen, sie werden in Zukunft mit einer künstlichen Intelligenz oder mit einem Roboter zusammenarbeiten müssen. Dafür braucht es politische Maßnahmen.

Es gibt unglaublich viele Chancen, gerade in der Arbeitswelt – egal, ob wir über mobiles Arbeiten, über Qualifikationen oder auch über ganz neue Formen des Zusammenarbeitens sprechen. Wann wird Herr Laumann da endlich tätig? Es ist schön, dass er unserem Beispiel gefolgt ist und auch eine Digitalisierungstour durch unser Land gemacht hat. Die Konsequenzen und die Folgen daraus stehen aber weiterhin aus. Wir erwarten als SPD, dass Herr Laumann da endlich tätig wird und aus dem Winterschlaf erwacht, damit es kein Albtraum für uns alle wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegt ein drittes Thema sehr am Herzen – bei der Landesregierung sehe ich dieses Thema, ehrlich gesagt, noch überhaupt nicht angepackt –, nämlich das Thema „digitale Teilhabe“. Viele Menschen haben gerade das Gefühl, dass sie beim Tempo des digitalen Wandels nicht mehr mitkommen und immer stärker abgehängt werden.

Ich finde, dass es unsere Verantwortung als Politik ist, dafür zu sorgen, dass niemand auf dem Weg in die digitale Gesellschaft, auf dem wir uns befinden, zurückgelassen wird.

Deshalb müssen wir jetzt darauf achten, wenn wir die Verwaltung digitalisieren, dass die Menschen, die vielleicht noch nicht so digitalaffin sind, weiterhin analoge Angebote vorfinden. Vor allem müssen wir flächendeckende Angebote vorhalten, um auch alle fit für diese digitale Zukunft zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Ostwestfalen-Lippe ein richtiges tolles Projekt. Dieses Projekt mit dem Namen „Smart Country Side“ kann ich der Landesregierung nur zur Nachahmung empfehlen. Denn es zeigt, dass gerade in den ländlichen Gebieten viele Menschen die Chancen des digitalen Wandels wunderbar nutzen können, wenn sie auch eingebunden werden. Da gibt es Dorfkonferenzen, bei denen sich alle treffen und dann gemeinsam überlegen: Wo liegen eigentlich die Chancen für uns im ländlichen Raum? Wie können wir Mobilität neu organisieren? Wie können wir Nachbarschafts-Chats einrichten? Wie können wir vielleicht auch einmal einen Facebook-Gottesdienst für diejenigen organisieren, die selber nicht mehr so mobil sind?

Es gibt unglaublich viele Chancen. Wir sollten sie aber auch nutzen. Für uns bedeutet das, dass wir die digitale Bildung vorantreiben müssen, dass wir die Zukunft der Arbeit im Sinne der Beschäftigten gestalten müssen und dass wir uns vor allem um das Thema „digitale Teilhabe“ kümmern müssen, damit kein Mensch auf diesem Weg zurückgelassen wird.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diesem Beispiel folgen und unserem Antrag am Ende auch zustimmen würden. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Christina Kampmann, ich bin schon verwundert, weil Sie jetzt mehrfach den Vorwurf erhoben haben, wir würden behaupten, alles, was digitalisiert werden könne, müsse digitalisiert werden. Das ist tatsächlich einfach falsch zitiert. Wir sagen: Wir stellen fest, dass das, was digitalisiert werden kann, digitalisiert wird.

Das ist erst einmal eine Sachstandsbeschreibung dessen, dass technologischer Fortschritt stattfindet. Damit müssen wir uns politisch auseinandersetzen. Das ist unser Anspruch, den wir als NRW-Koalition verfolgen.

Ich will gerne auf die Themenblöcke eingehen, die in diesem Antrag angesprochen werden.

Erster Punkt im Antrag – gerade in der Rede nicht groß berührt –: Breitbandausbau. Die SPD erhebt den Vorwurf, es sei nicht viel passiert. Seien wir einmal ehrlich: Erst vor Kurzem ist die Fördersystematik auf reine Glasfaseranschlüsse geändert worden. Zuvor gab es jahrelang genau ein Ziel: 50 Mbit/s. Für diese bis dato zaghafte Förderung, vielleicht auch für eine schuldhafte Verzögerung des Gigabit-Ausbaus, können wir uns gemeinsam bei den Kollegen in Berlin bedanken – sprich: bei CDU und SPD.

Genauso können wir positiv attestieren, dass die Kollegen in Berlin zuletzt den Mut hatten, die Förderung auf Glasfaser zu fokussieren. Wenn Sie jetzt aber Fehler bei der Landesregierung suchen, stehen Sie in diesem Punkt auf verlorenem Posten.

Wir können das auch gerne anhand von Zahlen genauer betrachten. Schauen wir uns die Entwicklung der Hausanschlüsse mit mehr als 50 MBit/s an. In rot-grüner Regierungszeit ist die Versorgungsquote im Jahresschnitt um 3,5 % gewachsen. Seit die NRW-Koalition übernommen hat, liegen wir bei knapp 5 % Wachstum pro Jahr. 3,5 % Wachstum bei Rot-Grün, 5 % Wachstum bei CDU und FDP! So viel zu dem Vorwurf, die Landesregierung gehe zu langsam voran.

Was die Landesregierung tut, sehen wir auch, wenn wir uns konkret Schulen und Gewerbegebiete anschauen. Natürlich ist unser Anspruch, Schulen und Gewerbegebiete gigabitfähig zu machen. Immerhin haben wir, die NRW-Koalition, mit Regierungsübernahme erstmals diesen Anspruch formuliert und arbeiten tatkräftig daran. Ich will sagen: Das geht voran. Aber lassen Sie uns gleichzeitig auch keine Augenwischerei betreiben. Man darf nicht denken, dass das übermorgen abgeschlossen wäre.

Sie wollen stolz auf das sein, was Rot-Grün uns hinterlassen hat. Dann machen Sie sich zumindest einmal bewusst, dass bei Regierungswechsel über 52 % aller Schulen bereits mit über 100 Mbit/s versorgt waren und sogar 86 % mit über 50 Mbit/s. Ähnliches gilt für Gewerbegebiete. Seitdem zieht sich das Versorgungsnetz immer enger, und die Anschlussqualitäten steigen peu à peu.

Gerade haben Sie gesagt, ich hätte irgendeine Zahl in den Raum gestellt. Sie haben jedenfalls eben von 21 % der Schulen gesprochen, die ans Gigabitnetz angeschlossen sind. In Ihrem eigenen Antrag, den Sie vor zwei Wochen hier eingereicht haben, sprechen Sie noch von 17 %. Wenn wir in diesem Land offenbar eine Steigerung um 4 Prozentpunkte innerhalb von zwei Wochen hinbekommen haben, ist mir, ehrlich gesagt, nicht bange darum, dass es in der näheren Zukunft ebenfalls schnell vorangeht. Dann sind wir tatsächlich auf einem guten Weg und haben ein gutes Tempo drauf.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich glaube jedenfalls, dass wir mit den von uns geschaffenen Netzwerken von Gigabit-Geschäftsstellen in jedem Regierungsbezirk, mit den Gigabit-Koordinatoren in den Kommunen und mit den Bemühungen der ausbauenden Unternehmen – dank der Landesregierung konnten mittlerweile 900 Millionen Euro Fördergelder akquiriert werden – einen guten Weg beschreiten.

Liebe SPD, wenn Sie einen Beitrag zu einem noch zügigeren Ausbau im Land leisten wollen, sprechen Sie doch bitte mit Ihren Bürgermeistern, um Baugenehmigungen für entsprechende Vorhaben zu beschleunigen, oder laden Sie uns gerne in Ihre Wahlkreise ein, damit wir gemeinsam an den grauen Flecken arbeiten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie thematisieren in diesem Antrag die Bedeutung von digitaler Bildung. Kollege Jochen Ott wird dazu auch gleich noch in die Bütt gehen; so ist es zumindest angekündigt. Wahrscheinlich wird er in seinem Wortbeitrag mal wieder selbstkritisch betonen, dass die SPD digitale Bildung in ihrer Regierungszeit verschlafen habe, man aber jetzt endlich handeln müsse.

Ich darf einmal aus dem Antrag zitieren:

„Das Erlernen digitaler Kompetenzen ist für die Schülerinnen und Schüler unseres Landes von elementarer Bedeutung.“

Das trage ich voll und ganz mit. Deshalb begrüße ich den DigitalPakt mit über 1 Milliarde Euro für Nordrhein-Westfalen. Deshalb begrüße ich die Modernisierungsmittel für die Ausstattung der Klassenzimmer. Deshalb begrüße ich die Überarbeitung der Lehrpläne und des Medienkompetenzrahmens. Deshalb begrüße ich die Pläne der NRW-Koalition für die Lehrerfortbildung. Deshalb begrüße ich auch die Ankündigung der Bildungsministerin vom 19. November dieses Jahres zur Einführung des Schulfachs Informatik in allen Schulformen.

Die niedergeschriebene Forderung des Antrags ist damit obsolet. Der Vorwurf, man wolle Informatik nur an Gymnasien einführen, ist sogar schlicht falsch.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das war nicht so beabsichtigt!)

Dass der Kölner Schul-IT-Betrieb lobend erwähnt wird, freut mich als Kölner natürlich. Ich teile diese Ansicht. Andere Kommunen können sich da sicherlich manches abgucken. Ihre Fantasie bezüglich einer neuen Landesbehörde teile ich jedoch nicht.

Die SPD stellt im Antrag wieder die These in den Raum, durch die Digitalisierung würden Arbeitsplätze wegfallen. Auch hier lautet mein klarer Appell, liebe SPD, nicht weiter Ängste zu schüren und sich ehrlich mit den Fakten auseinanderzusetzen. Bisherige Entwicklungen und wissenschaftliche Prognosen sagen ganz deutlich aus, dass sich zwar Aufgabenbereiche ändern, aber insgesamt mehr Jobs entstehen werden. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch das einmal zur Kenntnis nähmen und darin vielleicht sogar eine Chance sähen.

Das Erstaunlichste ist in diesem Zusammenhang aber aus meiner Sicht Folgendes: Die SPD fabuliert in ihrem Antrag weitreichend über Bildung, Arbeit und Teilhabe. Nach Lesen des Antrags habe ich mir aber verwundert die Augen gerieben und festgestellt, dass im Antrag kein Wort zur Weiterbildung steht. Dabei ist gerade dies das relevante Stichwort, wenn man sich mit einer sich ändernden Arbeitswelt und deren Auswirkungen auseinandersetzen will.

Nun ja. Vielleicht hat es damit zu tun, liebe Christina Kampmann, dass die SPD bereits letzte Woche eine Kampagne zu dem Antrag gefahren hat. Es gab tolle bunte Posts und sogar einen Talk mit einem Bundesminister. Ein Schelm, wer denkt, dass dieser doch eher unkreative Antrag nur für die Buzzword Publicity gestellt wurde!

In Ihrer Pressemitteilung zu der Veranstaltung haben Sie die Weiterbildung sogar als Schlüssel genannt. Im Antrag und auch in Ihrer Rede haben Sie aber kein Wort darüber verloren.

In Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –, die Politik sei gefordert, eine neue Weiterbildungskultur zu etablieren.

Entweder ist der vorliegende Antrag, der höchste Ansprüche stellt, tatsächlich nur ein Werbestunt für die nächste Überschrift, oder Ihnen scheint Weiterbildung doch kein soziales Herzensanliegen für mehr digitale Teilhabe zu sein. Beides wäre schade.

Ich habe mich ernsthaft bemüht, mich über die vielleicht ausführlicheren Positionen der SPD auf Ihrer Fraktionshomepage zu informieren. Also habe ich die Homepage aufgerufen und bei der Themenauswahl „NRWsozialdigital“ angeklickt. Daraufhin ist mir eine leere Seite angezeigt worden.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ach!)

Also weder Werbemaßnahmen noch inhaltliches Anliegen! Das lässt mich dann doch ratlos zurück.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine weitere Passage im Antrag, die ich zweimal lesen musste. Sie wollen, dass wir Folgendes beschließen – ich zitiere erneut aus dem Antrag –:

„Die Ergebnisse der Enquetekommission ,Digitale Transformation der Arbeitswelt in Nordrhein-Westfalen‘ werden einen zentralen Beitrag zur Gestaltung des digitalen Wandels in NRW leisten.“

Ich wiederhole: werden leisten.

Ein anderes Zitat, das wir alle kennen, sodass ich den Urheber nicht explizit benennen muss, lautet: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. – So weit würde ich vielleicht nicht gehen. Aber dass die SPD-Fraktion offenbar über eine Glaskugel verfügt, mag ich doch anzweifeln. Sie wollen irgendwelche Ergebnisse loben und gutheißen, die überhaupt noch nicht vorliegen – Ergebnisse, die in der Enquetekommission noch gar nicht vorhanden sind. Loben Sie sich ruhig dafür, dass Sie die Enquetekommission beantragt haben. Hoffen wir gemeinsam erwartungsvoll, interessante Impulse zu erhalten.

Aber lassen Sie uns dabei bitte gemeinsam auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Dafür ist dieser Antrag nicht hilfreich. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP hat nun Herr Abgeordneter Hafke das Wort.

Marcel Hafke*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD legt hier ein merkwürdiges parlamentarisches Verständnis an den Tag. Zunächst beantragt man eine Enquetekommission zum Thema „Digitale Arbeitswelt“, um kurz danach einen Antrag zu stellen, Ergebnisse vorwegzunehmen und Meinungen ins Parlament einbringen zu wollen. Ich habe ein anderes Verständnis von parlamentarischer Debatte. Aber Frau Kollegin Kampmann hört ja noch nicht einmal zu. – So viel dazu.

Kommen wir auf die inhaltlichen Themen zu sprechen; denn sie sind tatsächlich wichtig. Wie sieht die digitale Infrastruktur im Land aus? Welche Zukunftsperspektiven können wir den Menschen hier in Nordrhein-Westfalen mit an die Hand geben?

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen Digitalminister haben – im Übrigen den Einzigen in der Bundesrepublik. Das ist in der Bundesregierung leider noch nicht angekommen. Es ist aber wichtig, weil es darum geht, das Thema der Digitalisierung als Regierung komplett zu leben und dies mithilfe einer Person nach vorne zu stellen und zu verkörpern.

(Beifall von der FDP)

Um es einmal klar zu sagen: Die erste Aufgabe nach Regierungsübernahme war, dafür zu sorgen, dass die digitale Infrastruktur in unserem Land auf ein gutes Niveau kommt. Da war man nämlich noch nicht angekommen. Deswegen war die erste Aufgabe und Hürde, den Breitbandausbau voranzubringen, insbesondere bei Schulen und in Gewerbegebieten. Nun sind 86 % der gut 5.500 Schulen mit gigabitfähigen Netzen erschlossen oder dafür vorgesehen. Von den Gewerbegebieten sind aktuell 66 % angeschlossen, und 16 % befinden sich in der Teilerschließung. Wir sind also schon fast auf der Zielgeraden angekommen. Das ist eine ganz wichtige Botschaft, weil die Zielrichtung bzw. die Schwerpunktsetzung, bei Bildung und Wirtschaft anzufangen, genau richtig ist. Damit sind wir übrigens deutlich schneller als der Bund.

Das sieht man auch im Bereich Mobilfunk. Wir haben 280 neue LTE-Standorte hinzugenommen und über 1.600 Standorte auf LTE umgestellt und nun eine Haushaltsversorgung von 99,3 % erreicht. Das kann sich sehen lassen. Damit sind wir das erfolgreichste Flächenland in der gesamten Bundesrepublik.

(Beifall von Florian Braun [CDU])

Die Tatsache, dass wir vor Kurzem in Nordrhein-Westfalen eine Digitalstrategie auf den Weg gebracht haben, ist auch Ausdruck dafür, dass die gesamte Landesregierung die Digitalisierung lebt. Als Opposition kann man sich darüber lustig machen und sagen, das sei alles kleinteilig. Aber es ist eben ein kleinteiliger Prozess mit vielen kleinen einzelnen Bereichen. Ich bin als Abgeordneter froh und dankbar, dass man sich jedes Themas annimmt und nicht mit Überschriften arbeitet und hantiert, bei denen im Ergebnis nichts herauskommt, wie es bei der damaligen Regierungserklärung von Hannelore Kraft der Fall war.

Ich möchte einmal Beispiele für die angebliche Kleinstaaterei nennen, die Sie in Ihrem Antrag aufführen, bei denen ich aber eigentlich sehr froh bin, dass es dort vorangeht.

Wir investieren 52 Millionen Euro in digitale Lern- und Lehrformate. Das ist ganz wichtig, um die Lehrer entsprechend mitzunehmen.

Wir haben einen digitalen Fahrschein getestet, damit es in Zukunft einen neuen, modernen ÖPNV gibt.

Wir setzen beim Thema „KI“ in Nordrhein-Westfalen Schwerpunkte, um Nordrhein-Westfalen auf diesem Feld führend zu machen.

Das sind drei Beispiele, mit denen wir zeigen können, wie wichtig es ist, auf die Details zu achten und dort hinzuschauen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, damit der Prozess der Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen erfolgreich abläuft, ist entscheidend, dass wir über digitale Bildung sprechen. Wir sind uns einig, dass es nicht damit getan ist, ein paar iPads in die Klassenzimmer zu stellen und zu glauben, dass es dann läuft. Wichtig ist vielmehr, dass es den DigitalPakt gibt. Daher ist es meiner Meinung nach zu kurz gesprungen, sich hier hinzustellen und zu sagen, man könne noch keine Erfolge sehen. Schließlich gibt es erst seit einigen Wochen die Möglichkeit für die Schulen, diese Mittel in einem digitalen Verfahren abzurufen.

Viel entscheidender ist, dass wir ausreichend Lehrkräfte haben, die entsprechend ausgebildet sind. Hier hat uns die rot-grüne Vorgängerregierung ein großes Chaos hinterlassen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ach, Herr Hafke, singen Sie doch mal ein anderes Lied!)

Eine Lehrerbedarfsprognose hat seit 2011 nicht mehr stattgefunden. Entsprechend wurden weder ausreichend Lehrer eingestellt noch Lehrer zielgruppenscharf auf die Schulen verteilt.

Genau das ändert unsere Schulministerin. Wir haben über 40 % zusätzliche Studienplätze für das Grundschullehramt geschaffen und für das Sonderpädagogiklehramt zusätzlich 750 Studienplätze auf den Weg gebracht, damit es vorangeht.

Eines möchte ich noch einmal betonen: Damit Lehrer digital arbeiten können, müssen sie die entsprechende Software dafür haben. Auch hier haben Sie uns etwas hinterlassen, was einem katastrophalen digitalen Zustand glich, nämlich „LOGINEO“. Es war nicht umsetzbar und vor Ort nicht handhabbar, sodass es erst einmal neu entwickelt werden musste. Vor Kurzem ist es dann an den Start gegangen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das können Sie doch keiner politischen Partei vorwerfen!)

– Doch, Frau Kollegin, das kann man der früheren Ministerin Löhrmann vorwerfen, die verantwortlich dafür war, dies auf den Weg zu bringen. Das ist komplett gescheitert. Wir mussten zwei Jahre lang Geld, Ressourcen und Arbeit investieren. Diese Zeit hätten wir nutzen können, um uns um andere zentrale Sachen zu kümmern. Das konnten wir nicht, weil Sie Ihre Hausaufgaben damals nicht gemacht haben. So sieht die Realität aus.

(Beifall von der FDP)

Herr Kutschaty hat gerade in der Diskussion zum Thema „digitale Bildung“ unzutreffende Ausführungen gemacht, die auch im Antrag entsprechend dargestellt sind. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir die Themen „Wirtschaft“ und „Informatik“ in die Schulen holen. Wir werden sie in alle Schulen holen. In jeder Schule werden sie ab der Sekundarstufe I zu einem Pflichtfach werden, damit Schülerinnen und Schüler entsprechend mitgenommen werden und in diesen neuen Themen unterrichtet werden.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Frau Beer, das ist Ihnen fremd. Das ist mir klar. Bei jemandem, der so im digitalen Off unterwegs war wie Ihre Partei, brauchen wir jetzt gar nicht darüber zu reden.

Meine Damen und Herren, ich will noch zwei Aspekte nennen. Beim Thema „digitale Arbeitswelt“ möchte ich die SPD dazu einladen – Ihnen ist das Thema ja sehr wichtig –, dass sie sich im Rahmen der Bundesregierung und in den SPD-geführten Bundesländern entsprechend einsetzt.

Wir haben das, was sich auf dem Arbeitsmarkt verändert, natürlich auch erkannt. Der Arbeitsminister hat entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundesrat eingebracht.

Beispielsweise geht es um eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Damit wollen wir dafür sorgen, dass ein Wechsel von der täglichen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit mit gleichwertigen Ausgleichszeiten ermöglicht wird. Wenn die SPD es mit der Digitalisierung ernst meint, ist es doch sicherlich in ihrem Sinne, sich für genau solche Änderungen einzusetzen.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, es gibt den Wunsch der Kollegin Beer nach einer Zwischenfrage.

Marcel Hafke*) (FDP): Sehr gerne, Herr Präsident.

Präsident André Kuper: Denn man tau!

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte vorweg kurz darauf hinweisen, dass wir es waren, die angemerkt haben, dass man ein Pflichtfach Informatik nicht nur am Gymnasium einführen könne.

Welche Gespräche haben bereits mit den Lehrstühlen für die Informatiklehrerausbildung vonseiten des Ministeriums stattgefunden, um diese Frage vorzubereiten?

Marcel Hafke*) (FDP): Frau Beer, ich finde es bemerkenswert, dass Sie die Vergangenheit einfach so abschütteln können.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es gibt keine Gespräche, Herr Hafke! Das ist das Problem!)

Sie haben in diesem Land sieben Jahre lang die Bildungsministerin

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– hören Sie doch einmal zu – gestellt und haben im Bereich Digitalisierung/Informatik nichts auf den Weg gebracht.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Denken Sie sich doch einmal ein neues Argument aus, Herr Hafke!)

Im Gegenteil: Sie haben einen katastrophalen Zustand beim Thema „LOGINEO“ hinterlassen, sodass es die Aufgabe …

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Hören Sie doch einmal zu, Frau Kollegin Beer. Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Jetzt hören Sie doch bitte einmal zu.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Doch, weil es damit zu tun hat. Jetzt ging es erst einmal darum, zwei Jahre lang das aufzuräumen, was Sie hinterlassen haben,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)

und eine Software auf den Markt zu bringen, mit der Lehrerinnen und Lehrer arbeiten können. Gleichzeitig bauen wir jetzt alle Lehrpläne Stück für Stück um, richten sie auf die neue Welt aus und führen Gespräche mit den Hochschulen. Das macht unsere Bildungsministerin

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein, das macht sie nicht! – Gegenruf von Marc Lürbke [FDP]: Das wissen Sie besser, oder? Sie wissen immer alles besser!)

und bringt sie entsprechend nach vorne,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es laufen keine Gespräche! Das ist Legendenbildung!)

so wie wir auch die anderen Baustellen, die Ihre Parteikollegin Sylvia Löhrmann uns hinterlassen hat, abarbeiten, damit Nordrhein-Westfalen beim Thema „digitale Bildung“ endlich vorankommt.

(Beifall von der FDP)

Etwas mehr Demut wäre an dieser Stelle angebracht, Frau Beer. Sie sollten sich einmal an die eigene Nase fassen und das eigene Versagen reflektieren. Das wäre der richtige Weg.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Unglaublich!)

– Das ist nicht unglaublich. Das sind die Realitäten in diesem Land.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal auf diesen Aspekt eingehen, weil ich ihn für entscheidend halte. Frau Kollegin Kampmann hat natürlich in einem Punkt recht – über den aber überhaupt kein Dissens besteht –: Die Digitalisierung wird nur funktionieren, wenn wir die Menschen in diesem Land mitnehmen und sie ein Teil dessen sind. Sie darf nicht von anderen Bereichen verordnet werden, erst recht nicht von der Wirtschaft oder aus Profitgründen.

Aber natürlich ist es so – alleine durch den Wandel, den wir in der Gesellschaft erleben –, dass nicht alles digitalisiert werden muss, was digitalisiert werden kann. Vielmehr wird automatisch alles digitalisiert.

(Christina Kampmann [SPD]: Das glaube ich nicht!)

Das geht beim Fernsehen und beim Einzelhandel los, weil sich das Konsumverhalten der Gesellschaft ändert. Deswegen gibt es dort gewisse Digitalisierungsprozesse.

Wir müssen die Digitalisierung gemeinsam gesellschaftlich so gestalten, dass jeder daran teilhaben kann. Das heißt: Sie muss so einfach sein, dass das Ganze für jeden handhabbar ist.

Deswegen ist das Thema „Weiterbildung“, das der Kollege Braun schon angesprochen hat, ganz entscheidend. Es geht aber auch darum, die Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass zum Beispiel im ländlichen Raum überhaupt eine digitale Teilhabe möglich ist.

Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar gewesen, wenn Sie wenigstens den Mut gehabt und uns die Chance gegeben hätten, das Thema im Ausschuss weiter zu diskutieren. Sie haben die Diskussion in der Enquetekommission offensichtlich in Teilen abgebrochen, weil Sie sie eher hier ins Parlament holen wollten.

Jetzt wird direkt über den Antrag abgestimmt. Da wir vieles davon schon machen und es in Teilen auch anders bewerten, werden wir den Antrag ablehnen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Möglichkeit gehabt hätten, noch einmal im Ausschuss darüber zu diskutieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Abgeordnete Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Hafke, ich habe bei Ihrer Rede den Eindruck gewonnen, dass Wuppertal in einem der großen Funklöcher liegt.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn sonst hätten Sie zum einen beim Thema „digitale Bildung“ mit mehr Fakten aufwarten können und zum anderen Herrn Professor Pinkwart nicht als den einzigen Digitalminister in Deutschland bezeichnet.

Herr Pinkwart, Sie sind Digitalminister; das ist richtig. Aber Sie haben eine ganze Reihe Amtskolleginnen und Amtskollegen. Ich erinnere zum Beispiel an Jan Philipp Albrecht in Schleswig-Holstein, Minister unter anderem für Digitalisierung in seiner Landesregierung und einer der Initiatoren – ich glaube, mit Ihnen zusammen, Herr Pinkwart – der Digitalministerkonferenz. Es gibt Digitalministerinnen in Hessen, in Bayern und in anderen Ländern.

Sie sollten sich einfach einmal informieren, bevor Sie wieder einen Superlativ aus der Tasche ziehen, der mit nichts unterlegt ist.

Sie haben hier über Ressortzuständigkeiten geredet. Gucken wir uns doch einmal an, was dieses Digitalministerium – außer dem Türschild – in der Praxis tut. Wir haben es ja in der letzten Sitzung des Digitalausschusses gehört. Das Ministerium von Herrn Pinkwart ist für Infrastrukturausbau und digitale Verwaltung zuständig.

Und wie geht es weiter? – Es gibt eine Digitalstrategie, die auch noch vom MWIDE verantwortet wird. Aber am Ende des Tages sind in den Mühen der Ebene nicht die digitalen Treiber zuständig, sondern das Thema wird irgendwo in der Ressortzuständigkeit der einzelnen Häuser ein bisschen abgetan, sodass der Digitalminister nicht einmal zum Fortschritt bei den einzelnen Themen der Digitalstrategie berichten kann. – So weit zum Digitalministerium in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Insgesamt – das haben wir in den Haushaltsdebatten in diesen Tagen immer wieder gehört – ist die Digitalisierung kein Ruhmesblatt dieser Landesregierung. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund dessen, was alles angekündigt worden ist. Was ist vor der Wahl angekündigt worden? Was ist in den ersten zweieinhalb Jahren bei irgendwelchen Gipfeln, bei irgendwelchen Pakten, bei irgendwelchen Masterplänen angekündigt worden? Und was kommt dann?

Wir reden hier immer wieder über den Infrastrukturausbau, auch gerade in dieser Debatte. Was ist aus „Glasfaser first“ geworden? Aus „Glasfaser first“ ist „glasfaserbasiert“, „gigabitfähig“ oder sonst irgendeine Variante von „alles kann, nichts muss“ geworden.

Statt dieses ewigen Verzögerns von zukunftsfähiger Infrastruktur brauchen wir „Glasfaser only“, und zwar flächendeckend und schnell. Dafür brauchen wir einen klaren Plan. Denn heute haben wir ein buntes Durcheinander von zahllosen Akteuren, die sich alle irgendwo durch die nordrhein-westfälische Erde buddeln – wenn sie überhaupt einmal an die Fördermittel herankommen.

Denn das ist das zweite Problem. Im Moment sehen wir, dass die Kommunen in diesem Prozess nicht als eigenständige Akteure wahrgenommen werden und dass sie nicht dabei unterstützt werden, die Prozesse zu vereinfachen, weil es nach wie vor nicht möglich ist, die Bürokratie an dieser Stelle nennenswert zu vereinfachen. Wir haben immer noch Hunderte Seiten Förderrichtlinien und Hunderte Seiten Leitfäden. Wenn man das durchgearbeitet hat, bekommt man am Ende noch eine Handlungsanleitung dazu.

Wen wundert es bei diesem Wirrwarr, dass von den 878 Millionen Euro, die für den Ausbau der digitalen Infrastruktur bewilligt sind, bisher erst 29 Millionen Euro verbaut sind? Wen wundert es, dass wir da nicht vorankommen?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dann feiert sich diese Landesregierung dafür, dass sie einen Mobilfunkpakt geschlossen hat – schon wieder eine schöne Ankündigung; schon wieder eine schöne Überschrift; schon wieder ein wunderbarer Pressetermin, den man einfach im Jahr danach wiederholt hat.

Eine konkrete Verpflichtung in diesem Mobilfunkpakt ist, dass alle Funklöcher an den Hauptverkehrswegen bis Ende dieses Jahres geschlossen werden sollen. Herr Minister, fahren Sie einmal mit Ihrem Auto auf der A46 oder setzen sich in einen ICE und fahren durchs Ruhrgebiet auf der Strecke nach Berlin, vielleicht sogar über Hamm hinaus. Dann werden Sie sehen, dass Sie der Funklochminister sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt bei der digitalen Bildung. Ich mache Ihnen, Herr Pinkwart, keinen Vorwurf, dass es beim DigitalPakt so lange gedauert hat, bis sich die Ministerpräsidenten auf ihrem Pavianhügel geeinigt hatten.

Aber es ist durchaus so, dass diese Landesregierung bei der digitalen Bildung nicht vorankommt. Auch da gab es wieder schöne Überschriften und schöne forsche Forderungen, auch von Ihnen. Bei der dbb-Jahrestagung im Mai dieses Jahres haben Sie die Ausstattung mit digitalen Endgeräten groß angekündigt. Und was passiert? Bisher passiert nichts.

Auch die Einführung des Pflichtfachs Informatik ist groß angekündigt worden. Es ist konzeptionell nicht unterlegt. Wieder eine Überschrift!

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt zu wenig Zusammenarbeit – wir haben es gerade gehört – mit den Hochschulen. Es ist nicht besprochen, wie das in der Lehramtsausbildung umgesetzt werden soll. Es gibt auch keinen konzeptionellen Rahmen, wie man kompetenzorientiertes Denken und kritische Reflexionen über die Macht von KI, von Algorithmen, bei diesem Thema voranbringt. Es bleiben die Überschriften.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, im Ziel sind wir uns einig: Kein Kind soll mehr ohne informatische Grundkenntnisse die Schule verlassen. Dieses Thema stellt sich – das gerät in dieser Debatte oft aus dem Blick – für die Hochschulen genauso. Auch dort passiert viel zu wenig. Wir müssen da sehr zügig vorankommen. Denn wir haben nicht nur zu wenig Geld, sondern auch zu wenig Druck im System, weil es zu wenige Lehrer und zu wenige Lehrende gibt.

Da müssen wir uns miteinander ganz schnell auf die Reise machen. Hierbei müssen wir nicht nur die Grundlagen in den Blick nehmen, sondern dürfen auch die Spitze nicht aus dem Blick verlieren, nämlich Studienplätze für IT, insbesondere für IT-Sicherheit, gegebenenfalls mit einer weiteren Spezialisierung. Das sind alles Themen, die wir voranbringen müssen, wenn wir digitale Bildung tatsächlich zusammendenken wollen.

Ich bin der SPD dankbar dafür, dass sie einen, wie ich finde, sehr relevanten Gedanken in diese Debatte hineingebracht hat, indem sie die Chancen der Digitalisierung für die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume thematisiert hat.

Ich habe dazu vor Kurzem selber ein Papier geschrieben, weil auch uns dieses Thema sehr stark umtreibt. Denn die Digitalisierung ist für die Regionen in unserem Land eine entscheidende Zukunftsfrage. Wie schaffen wir es, dass diese Regionen innovativ bleiben, dass diese Regionen wirtschaftlich stark bleiben und dass der Mittelstand, der bisher das Rückgrat dieser Regionen ist, den Weg in die digitale Gegenwart und in die digitale Zukunft schafft?

Da müssen wir gemeinsam ran. Wir dürfen nicht nur über die Infrastruktur reden, sondern wir müssen auch konzeptionell miteinander sprechen und dieses Thema in den Blick nehmen, statt immer nur vom „Rheinland Valley“ zu reden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Entweder wir gestalten die Digitalisierung oder wir werden von ihr gestaltet. Insofern geht es bei diesem Thema natürlich darum, dass das, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden muss. So steht es ja in Ihrem Antrag. In jedem Fall wird es digitalisiert werden – ich denke, da sind wir uns tatsächlich einig.

Es ist eine politische Gestaltungsaufgabe, dass wir diese Digitalisierung für den Menschen und für den Planeten nutzen und dass wir heute mutige politische Entscheidungen treffen, nachdem wir das so lange nicht getan haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Herr Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der SPD, beim Lesen Ihres Antrags hatte ich so ein bisschen den Eindruck, Sie hätten den alten August Bebel oder seinen Geist noch einmal belebt – aus der Zeit, als Sie noch eine Volkspartei waren – und ihn gebeten: Mach mal was mit Digitalisierung für uns.

Wenn Sie der Landesregierung und namentlich der FDP naive Fortschrittsdogmen vorwerfen, dann kann man dafür ja noch eine gewisse Sympathie empfinden. Dieses nicht enden wollende Ankündigen und Phrasendreschen von „Dies-und-das 4.0“ kommt wahrlich bald allen hier zu den Ohren heraus – vor allem, weil die Ergebnisse nach zweieinhalb Jahren doch eher überschaubar sind.

Ihre naive Sozialromantik ist auf der anderen Seite aber auch nicht besser. Sie scheinen immer noch zu glauben, die Digitalisierung sei etwas, das auf einen Runderlass eines Ministeriums oder eine EU-Richtlinie hin entstanden sei. Überall heißt es „die Digitalisierung muss“, „die Digitalisierung darf nicht“ usw.

Meine Damen und Herren, ich habe Nachrichten für Sie: Die Welt dreht sich weiter – auch ohne Sie, auch ohne uns. Sie werden die Digitalisierung nicht anhalten, wir werden die Digitalisierung nicht anhalten. Das kann nicht einmal Professor Pinkwart.

Meine Damen und Herren, nach Jahrzehnten sozial- und christdemokratischer Misswirtschaft geben wir in diesem Bereich auch längst nicht mehr den Ton an. Wir haben in der IT-Branche inzwischen in etwa das Gewicht von Afrika, und Sie kommen nicht einmal auf die Idee, dass das vielleicht mit Ihrer Politik zu tun hat. Nein, Sie feiern sich sogar noch für Ihr Versagen. Wörtlich heißt es im Antrag:

„Die SPD-geführte Landesregierung hat in Sachen Breitbandversorgung einiges erreichen können. Nordrhein-Westfalen war und ist der Spitzenreiter unter den Flächenländern.“

– Sensationell, meine Damen und Herren! Das Flächenland mit der mit Abstand größten Bevölkerungsdichte und den mit Abstand meisten Großstädten hat die meisten Breitbandanschlüsse. Vielen Dank, liebe Genossen. Wie habt ihr das nur hinbekommen?

(Beifall von der AfD)

Ansonsten kann einen bei der Lektüre des Antrags aber der Eindruck befallen, die SPD sei überhaupt nirgends in der Verantwortung oder auch nur in der Verantwortung gewesen. Vielleicht üben Sie das schon mal für die Zukunft. Die Gewerbegebiete sind schlecht versorgt, die Schulen sind schlecht versorgt usw. Ist das jetzt alles in zweieinhalb Jahren Schwarz-Gelb über uns hereingebrochen? – Natürlich ist das genauso das Erbe Ihrer eigenen Politik.

Dann beklagen Sie, dass die Fördermittel des Bundes für den Breitbandausbau kaum abgerufen werden. Auch das ist völlig richtig. Aber auch da: keine Spur von Selbstkritik. Reden Sie doch mal mit den Landräten und den Bürgermeistern. Die werden Ihnen sagen, dass die Förderprogramme, die Sie im Bund mitverantworten, überbürokratisch sind und dass viele Kommunalverwaltungen mit den komplexen Antragsverfahren überfordert sind.

Dann bemängeln Sie unzureichende Fortschritte in der sogenannten digitalen Bildung. Sie glauben offenbar – da stehen Sie der FDP wieder sehr nahe –, dass man die Qualität dieser Bildung an der Anzahl von Tablets und Breitbandanschlüssen ablesen kann.

Unbestritten gibt es da Defizite, und ich erspare uns jetzt den erneuten Verweis darauf, dass Sie auch da einen ordentlichen Anteil an der Verantwortung tragen.

Aber, meine Damen und Herren von der SPD und insbesondere von der FDP, die Vermittlung digitaler Fertigkeiten – denn das meinen Sie wohl mit digitaler Bildung – wird die klassische Bildung nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen. Eine solide Bildung in der Muttersprache, in Fremdsprachen, in Naturwissenschaften und insbesondere in der Mathematik ist gerade im Digitalzeitalter unabdingbar.

Sehen wir uns mal den IQB-Bildungstrend für 2008 an. Da schneiden die NRW-Schüler im Bereich Mathematik im Bundesvergleich weit unterdurchschnittlich ab. Das zieht sich eigentlich durch so ziemlich alle nennenswerten Studien. Noch schlechter schneiden nur Länder wie Bremen ab – also die, in denen Sie das Bildungswesen noch länger als in NRW herunterwirtschaften konnten.

Liebe Genossen, das Totalversagen Ihrer Bildungspolitik werden Sie auch nicht mit Digitalisierung beheben können. Dafür müssen Sie sich erst einmal von Ihrer Leistungsfeindlichkeit, von der Gleichmacherei und von Ihrem Akademisierungswahn verabschieden. Aber das ist nicht in Sicht.

Dann haben wir da noch das Thema „Arbeitswelt“. Da können Sie es gar nicht abwarten, was bei der Enquetekommission herauskommt, und fordern die Landesregierung schon einmal auf – Zitat –,

„Handlungsempfehlungen …, die von allen demokratischen Fraktionen mitgetragen werden, schnellstmöglich umzusetzen.“

Wie soll dann eigentlich mit Empfehlungen verfahren werden, die auch von nach Ihrer Definition undemokratischen Fraktionen mitgetragen werden? Sind die dann rechtspopulistisch kontaminiert und dürfen nicht mehr verwendet werden?

(Christian Loose [AfD]: Oder linkspopulistisch!)

Aber viel spannender ist noch ein weiterer Punkt. In diesem ganzen wortreichen Antrag kommt nur ein einziges Mal das Wort „Industrie“ vor – und das übrigens in einem negativen Zusammenhang. Stattdessen träumen Sie von irgendwelchen hippen Leuten, die im Café mit dem Laptop arbeiten.

Daran sieht man die ganze Misere Ihrer Partei: Fast ein Drittel der Arbeitslätze in Deutschland sind Industriearbeitsplätze, und die SPD, früher die Partei des Industriearbeiters, widmet diesen Leuten nicht einmal mehr einen Halbsatz.

Sie kloppen sich lieber mit der FDP und den Grünen und sonst wem um irgendwelche hippen Großstadtwähler – deren Stimmen Sie sowieso nicht bekommen werden –, weil Ihnen der Arbeiter offenbar nicht mehr cool genug ist. Aber der hat ja jetzt uns.

(Beifall von der AfD)

Wäre es nicht so traurig – man könnte das Popcorn rausholen und mit zoologischem Interesse dabei zusehen, wie Ihre Generation es schafft, eine einst stolze Volkspartei an die Wand zu fahren. Wir jedenfalls werden Ihrem Todeskampf weiter mit Interesse folgen. Diesen Antrag, den Sie ja nicht mal einer Ausschussberatung zuführen wollen, werden wir natürlich ablehnen.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich das Wort Herrn Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir Gelegenheit haben, auch heute das Thema „Digitalisierung“ in der Breite hier im Hohen Haus diskutieren zu können, weil es ein sehr zentrales Thema ist für unser Land.

Ich würde dringend dazu raten, dass wir nicht alles in Grund und Boden reden, was es hier in Nordrhein-Westfalen gibt. Das Land hat eine ganze Menge zu bieten, gerade auch auf diesem Gebiet, auch auf dem Gebiet der Mathematik. Im Übrigen ist Nordrhein-Westfalen eines der stärksten Länder – das hat auch die letzte Exzellenzinitiative wieder gezeigt –: Wir sind beim Cyberthema spitze, wir sind bei KI und auch bei anderen Themen vorne.

Ich würde gerade die Forschung auf dem Gebiet der Digitalisierung in den Mittelpunkt rücken. Dass Nordrhein-Westfalen wie Deutschland beim Thema Digitalisierung sicherlich vieles aufzuholen hat, ist keine neue Erkenntnis. Das wissen wir seit Jahren. Wir sind auch gezielt angetreten als NRW-Koalition, um diese riesigen Potentiale, die dieses Land hat, auf dem Gebiet der Digitalisierung im Kern wie auch in der Breite besser zu fördern und voranzutreiben.

Aber wir können, glaube ich, nicht die Chancen des Landes dadurch nutzbar machen, in dem wir erst einmal das, was wir können, schlechtreden, sondern wir sollten uns fragen, wie wir das, was wir gut können, durch gezielte Maßnahmen so verbessern, dass möglichst viele in diesem Land die Chancen der Digitalisierung für sich auch nutzbar machen können.

Und so sind wir angetreten. Deswegen haben wir das auch nicht isoliert betrachtet, sondern wir haben es in der Breite organisiert. Wir sind eines der wenigen Bundesländer, das eine Digitalstrategie in aller Breite mit der Bevölkerung und den Zielgruppen in der Rückkopplung entwickelt hat. Wir haben Handlungsfelder für Nordrhein-Westfalen beschrieben, die hier in dem Antrag zum Teil auch aufgerufen worden sind. Wir haben in der Digitalstrategie zu den zentralen Themen Bildung, Forschung, Arbeitswelt, Gesundheit und Verkehr deutlich gemacht, wie wir uns mit den Menschen in Nordrhein-Westfalen vorstellen, die Digitalisierung so voranzutreiben, dass sie den Menschen in den Mittelpunkt stellt, um seine Lebensbedingungen, seine Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern zu können.

Wir haben uns in der Digitalstrategie darüber verständigt, was bislang jedenfalls so in Nordrhein-Westfalen auch nicht üblich war, dass wir in der Strategie Teilziele definiert haben – 44 Teilziele, die in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen und die wir durch ein Monitoring abbilden. Ich hatte Ihnen, Herr Bolte-Richter, schon im Ausschuss dargelegt, dass wir nicht nach wenigen Monaten zu jedem Teilziel, das mit Jahreszahlen jeweils verbunden ist, schon Zwischenberichte vorlegen. Da bitte ich einfach um Verständnis.

Wir legen nach einem Jahr im nächsten Jahr ein Monitoring auf, in dem alle Teilziele zwischenevaluiert werden. Das dokumentieren wir auch gerne. Daraus wird deutlich, wie konsequent wir ans Werk gehen und wie sehr wir uns dort ambitionierte Ziele setzen und nicht nur, wie Sie meinen, Ankündigungen machen. Wir wollen uns konkret an dem messen lassen, was wir uns vorgenommen haben und dann erreichen.

Mir ist beim Thema „Bildung“ noch einmal sehr wichtig – ich muss das, mit Verlaub, auch hier sagen –: Wir haben hier eine Situation angetroffen, in der das Land noch nicht einmal wusste, wie viele Schulen es im Land gibt, geschweige denn, wie sie angeschlossen sind.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wie kann ich als Landesregierung sagen, wir wollen alle Schulen ans Gigabitnetz anschließen, wenn ich noch nicht einmal weiß, wie viele Schulen es im Land gibt und in welcher Qualität die angeschlossen sind?

(Nadja Lüders [SPD]: Das lässt aber tief blicken!)

Das muss man sich doch auch einmal fragen. Wenn man etwas ernsthaft betreiben will, muss man auch einmal die Ausgangsbasis analysieren und einen Prozess beschreiben, wie man dann Ziele erreichen will. Wir haben sie klar benannt: Bis 2022 wollen wir das erreichen.

Wir haben sehr systematisch die Daten erhoben. Wir wissen jetzt genau, welche Schulen schon angeschlossen sind, bei welchen die Maßnahme schon bewilligt oder im Bau ist, bei welchen sie in Planung ist und bei welchen Schulen noch keine Planung eingeleitet worden ist. Das können wir für die Gewerbegebiete ganz genauso darstellen. Das haben wir transparent gemacht.

Dann sieht man den Baufortschritt. Und wir können ganz gezielt schauen: Schaffen die das noch bis 2022 oder schaffen sie es nicht? Dort, wo wir sehen, dass es Gefahr läuft, nicht erreicht zu werden, steuern wir entsprechend nach, und zwar in enger Abstimmung mit den Beteiligten.

Herr Hafke hatte gesagt: der einzige Digitalminister. Er wollte sagen, es ist der erste Digitalminister in Deutschland, und das stimmt auch. Es gibt jetzt mehrere in den Ländern. Sie können sich damit befassen. Wir haben in einer netten Runde einmal ausgetauscht, wer sich womit beschäftigt. Ich glaube, wir können schon behaupten, dass wir das hier als Landesregierung sehr ernst nehmen und die Aufgaben sehr umfassend gebündelt haben.

Nichtsdestotrotz – das haben wir von Anfang deutlich gemacht – kann es nur gelingen, wenn alle Politikbereiche ihre digitalen Themen selbst definieren und in eigener Verantwortung mit umsetzen. Das machen wir in der Landesregierung, wie ich finde, in ganz hervorragender Weise.

Ich möchte auch das, was zu meinem Kollegen Karl-Josef Laumann gesagt worden ist, absolut zurückweisen. Der Gesundheitsminister hat für 2020 den flächendeckenden Ausbau Telematik, Telemedizin in der Digitalstrategie festgeschrieben. Er hat das virtuelle Krankenhaus in Planung. Ich kann Ihnen jetzt schon ankündigen: All diese Themen, die sich Karl-Josef Laumann als unser Gesundheitsminister im Bereich Digitalisierung vorgenommen hat, wird er punktgenau auch erfüllen,

(Beifall von der CDU und der FDP)

weil er an dem Thema mit der gleichen Leidenschaft arbeitet wie meine geschätzte Kollegin Frau Gebauer für den Bereich Schule. Hier muss man bitte noch einmal zwei Punkte festhalten. Das übrigens eine Erfahrung, die ich im Bereich Verwaltung genauso habe machen können.

(Unruhe – Glocke)

Es ist doch das eine, dass man sich etwas vornimmt zu tun; das andere ist, dass man das zu einer konkreten Umsetzung führt. Dann kann ich ein Pilotprojekt machen und kann so manches testen; auch das ist eine Phase, die wichtig ist. Aber das ist noch nicht der Praxistest. Der Praxistest ist, dass ich dann eine Software entwickelt habe, die wirklich in der Breite eingesetzt werden kann. Und das ist wahrlich eine große Herausforderung. Das hat auch die Vorgängerregierung feststellen müssen, weil im Bereich Bildung die dort geplante Software eben nicht funktioniert hat.

Wenn dann eine neue Ministerin ins Amt kommt, muss sie sich erst einmal damit auseinandersetzen, dass sie etwas tun möchte, wozu die Grundlagen fehlen. Diese müssen dann also erst einmal erarbeitet werden. Ich meine, die Fairness der Opposition, die zuvor in der Verantwortung war, würde es gebieten, anzuerkennen, dass nicht die Voraussetzung da war, es flächendeckend sofort ausrollen zu können, was wir sicherlich gerne gemacht hätten und Frau Gebauer allen voran gerne gemacht hätte.

Vielmehr mussten erst mal die Voraussetzungen erarbeitet werden, um das bei 200.000 Lehrerinnen und Lehrern flächendeckend ausrollen zu können.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Zum DigitalPakt Schule haben Sie sich differenzierter geäußert. Das war auch notwendig. Natürlich können wir nur dann Hand in Hand mit dem Bund handeln, wenn er in der Frage auch bereit ist, in eine Mitverantwortung zu gehen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So wie bei den Altschulden!)

Wenn mehr Zeit dafür vertan wird, ist das nicht unsere Verantwortung.

Aber umso wichtiger ist, dass dort, wo man handeln kann, konsequent gehandelt wird. Das geschieht in der Schule ganz systematisch, was die Kompetenzentwicklung bei den Lehrern und die Lehrerausbildung anbetrifft. Das Fach Informatik wird eingeführt. All das hätte sich Nordrhein-Westfalen sicherlich schon früher gewünscht. Frau Gebauer macht es jetzt möglich. Das ist der Unterschied zwischen dieser Regierung und der Vorgängerregierung.

(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU] – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema „Glasfaser“ sagen, lieber Herr Bolte-Richter. Wir waren der Meinung, wenn der Steuerzahler schon mit seinem kostbaren Geld bereitsteht, um Infrastruktur für die Zukunft, für das 21. Jahrhundert auszubauen, dann sollte er nicht mehr – wie noch bei Ihnen – in Kupfer investieren, sondern in Glasfaser. Das haben wir als Erste umgesetzt. Der Bund ist uns jetzt gefolgt. Darüber freuen wir uns sehr.

Die Zielrichtung, die wir uns vorgenommen haben, ist aber die Gigabit-Fähigkeit. Das haben wir in der Koalitionsvereinbarung deutlich gemacht. Das ist auch das Ziel für die Bundesrepublik Deutschland. Das wissen Sie auch. Genau an diesem Ziel – bis 2025 flächendeckend – arbeiten wir.

Beim Mobilfunkpakt haben wir uns vorgenommen, bis Ende dieses Jahres mindestens durch einen Anbieter eine Abdeckung von 99 % zu erreichen. Wir hatten schon im Januar eine Abdeckung von 99,3 %. Das gibt es in keinem anderen Bundesland in Deutschland.

Sie sagen, wir kündigten nur an. Ich sage: Wir kündigen nicht nur an, wir halten das Angekündigte auch. Wir sind ambitioniert und verlässlich. Und wir freuen uns immer wieder darüber, wenn wir das auch in statistisch verbrieften Daten zum Ausdruck bringen können. – Vielen Dank für die Gelegenheit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Kehrl das Wort.

Oliver Kehrl (CDU): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich über den heutigen Antrag der SPD natürlich nicht gewundert. Ich folge der geschätzten Kollegin Kampmann täglich auf Twitter, und dort wurde dieser Antrag schon marketingtechnisch sehr gut angeteasert.

(Heiterkeit von Christina Kampmann [SPD])

Wie viel Marketing und wie viel Inhalt darin steckt, wollen wir uns kurz anschauen.

Ich wundere mich schon sehr über den Inhalt des Antrags und darüber, dass sich die Digitalpolitiker der SPD offensichtlich nur sehr unzureichend mit den bisherigen Erkenntnissen unserer Enquetekommission „Digitale Transformation der Arbeitswelt in Nordrhein-Westfalen“ befasst haben.

Dort ist ganz klar die wichtigste Erkenntnis, dass Beschäftigung durch Digitalisierung und Automatisierung nicht weniger wird. Darin sind sich alle Experten, die wir bisher gehört haben – auch Ihre eigenen – einig. Es werden natürlich Jobs wegfallen, aber an anderer Stelle werden jede Menge neue Arbeitsplätze entstehen. Rund um die Automatisierung entstehen neue Berufsbilder. Wichtig für uns als Politik ist, dass wir dafür den Rahmen schaffen müssen.

Die zunächst von der Opposition mit Beginn der Enquetekommission in den Raum gestellten Befürchtungen, die Arbeitswelt der Zukunft werde nur noch aus Clickworking, digitalem Prekariat und Auflösung betrieblicher Beziehungen bestehen, wurde von allen Experten verneint.

Aber natürlich brauchen wir in der neuen Arbeitswelt klare Prinzipien. Die neuen Technologien – das klang hier eben auch schon an – dürfen niemals Selbstzweck sein, sondern müssen immer den Menschen dienen. Im digitalen Wandel liegen sehr viele neue Chancen gerade für die Beschäftigten, auf die wir uns konzentrieren müssen. Arbeitszeiten und Arbeitsplätze können auf Wunsch flexibler werden. Digitalisierung wird von allen Sachverständigen als Möglichkeit gesehen, Arbeit zu modernisieren, neu zu organisieren und damit leichter und erträglicher zu machen. Das gilt am Bau, in der Fabrik aber auch in Pflegeberufen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass mit dem gesellschaftlichen Wandel und der damit einhergehenden Individualisierung die Bindekraft der großen Sozialpartner und der Betriebsräte stark gesunken ist. Das wird auch so weitergehen.

Beschäftigung und Arbeitsverhältnisse werden also räumlich und zeitlich flexibler. Der Bedarf an Homeoffice wird steigen, entweder um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können oder wegen des Wunsches nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Aber – auch das haben wir herausgefunden – wir brauchen keinen Gewerkschaftsfunktionär, der im häuslichen Schlafzimmer die Arbeitsbedingungen kontrolliert.

Aktuellste Studien sagen uns, dass weder Arbeitgeber noch Beschäftigte eine Entbetrieblichung oder die totale Individualisierung wünschen. Betriebsstätten, an denen hauptsächlich gearbeitet wird, bleiben als sozialer Raum zentral wichtig. Homeoffice sorgt gerade bei Frauen für höhere Löhne und mehr Zufriedenheit mit der Arbeit. Genauso richtig ist, dass wir Arbeitszeiten digital und sorgfältig erfassen und Mitarbeiter vor zu hohen Belastungen durch digitale Geräte schützen müssen.

„Digitaler Fortschritt für alle“ heißt der Antrag. Für uns ist von zentraler Bedeutung, dass auch im digitalen Wandel die soziale Marktwirtschaft nicht das Problem, sondern die Lösung ist. Auch sie kann in der Transformation der Arbeitswelt nämlich einen Ordnungsrahmen, sozialen Ausgleich und vielfältige Möglichkeiten an Mitbestimmung und Mitbeteiligung für die Beschäftigten bieten.

Nun, liebe SPD, kommt eine Überraschung: Daraus folgen unserer Meinung nach auch moderne Formen der Beteiligung an Unternehmen, als Chance, am wirtschaftlichen Erfolg einer Firma teilzuhaben – etwa in Form einer digitalen Dividende – und somit auch Beiträge zur besseren eigenen Altersvorsorge leisten zu können. Hier müssen wir noch tiefer in Möglichkeiten einsteigen, die Arbeitgeber und Mitarbeiter zufriedenstellen können.

Wesentlich für soziale Balance und Fairness ist aber ein anderer Punkt. Einerseits wird der Faktor Arbeit mit der Digitalisierung immer produktiver, andererseits steigen die Einkünfte aus Kapitalvermögen global wesentlich schneller als die Löhne. Weil wir Menschen darüber hinaus zum Glück immer älter werden, werden sich die Probleme der Altersvorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Auch vor diesem Hintergrund sollten wir über neue Entlohnungsmodelle und Vermögensbildungen für die Mittelschicht diskutieren, denn die soziale Marktwirtschaft wird nur dann als unser Wirtschaftsmodell akzeptiert,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

wenn die hart arbeitenden Menschen daran teilhaben und deren Löhne stärker steigen als die Inflation. Dafür müssen wir Modelle schaffen, die zu den Menschen passen und sie dort, wo das möglich ist, am unternehmerischen Erfolg beteiligen und sie gleichzeitig für das Alter zusätzlich und besser schützen.

(Andreas Kossiski [SPD]: Dafür brauchen wir Gewerkschaften!)

So könnten sie an der hohen Produktivität ihres Unternehmens partizipieren, und die Bindung innerhalb der Firma würde weiter gestärkt. Kapitalbeteiligung ist also sinnvoll, weil sie auch das Eigenkapital der Firmen erhöht und alle Beteiligten somit krisenfester macht, was schließlich auch zu sicheren Jobs führt.

Die Digitalisierung löst also nicht die soziale Marktwirtschaft ab. Das Gegenteil ist richtig. Nur die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft ist in der Lage, mit neuen fairen Partnerschaften und Beteiligungen der Belegschaften Wohlstand zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern.

Wir freuen uns, dass die SPD mit ihrem Antrag das Thema zumindest erkannt hat. Sie zieht aber – wie so oft in letzter Zeit – in der politischen Moderne die falschen Schlüsse. Ihre Antworten auf die digitale Transformation sind die falschen. Sie haben Phänomene im Blick, die eindeutig eine kleine Minderheit in der Arbeitswelt darstellen. Auch das ist derzeit ein typisches SPD-Problem, auch ein Grund, warum Ihnen die Wähler weglaufen. Zudem übersehen Sie die Chancen der Digitalisierung für mehr Teilhabe, eigentlich mal ein ehemaliges Anliegen der einst so stolzen SPD.

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Oliver Kehrl (CDU): Wir dagegen sehen die soziale Marktwirtschaft ohne vorauseilende bremsende Verbote und Gängelungen als die Basis, um den digitalen Fortschritt für alle umzusetzen und so die digitale Produktivität für ein faires und gut bezahltes Arbeiten zu erhalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Spanier-Oppermann das Wort.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Pinkwart! Die SPD kriegt ja immer so liebevolle Handlungsempfehlungen mit auf den Weg. In jeder Rede ist das jetzt so gewesen. Vielen Dank dafür.

(Heiterkeit von der SPD)

Herr Minister Pinkwart hat deutlich gemacht: Digitalisierung ist ein Querschnittsthema. Da sind wir auch beieinander. – Ich möchte ganz gerne das Thema „Bildung“ noch einmal kurz in den Fokus rücken.

An Herrn Hafke eine kurze Bemerkung, die ich meiner Rede voranstellen möchte. Es kann sein, dass ich durch den Schulausschuss schon so geprägt bin, dass ich nicht so eine defizitorientierte Sprache wähle. „Demut“ und „eigenes Versagen“ – immer dieses Versagen, Versagen. Ich würde dazu sagen: eine selbstkritische Auseinandersetzung. Dieser Begriff ist aber keine Einbahnstraße. Das kann man den regierungstragenden Fraktionen  auch mal mit auf den Weg geben. Das ist nicht immer nur unsere Aufgabe.

(Beifall von der SPD)

Das sollte auch eine Selbstverständlichkeit sein. Also: Versagen – da bin ich vielleicht auch ein bisschen empfindlich.

Die Digitalisierung hat Auswirkungen – das haben wir schon gehört – auf Schule und Bildung. Gerade die Diskussion um das Schulfach Informatik zeigt die Aktualität und Notwendigkeit dieser digitalen Bildung in den Schulen, und zwar – anders als ich das von Ihnen immer wahrgenommen habe – in allen Schulformen und auch wirklich als eigenständiges Fach und nicht in jedem Fach nur ein bisschen Digitales.

Wir brauchen eine informatische Bildung in der Form eines Unterrichtsfachs für alle Schülerinnen und Schüler. Denn diese Digitalisierung – das haben wir heute auch in den Reden schon gehört – hat ja auch wunderbare Seiten für die Schule, gerade für die Schülerinnen und Schüler. Sie bringt Motivation und Anknüpfung an die Freizeit. Die Schülerinnen und Schüler sind mehr Digital Natives als wir vielleicht manchmal alle zusammen ab einem gewissen Alter.. Im digitalen Off – das habe ich heute auch gelernt und fand es eigentlich ganz charmant – sehen wir uns, denke ich, alle gemeinsam auch nicht.

Die Digitalisierung eröffnet neue Welten. Denken Sie an die Stichworte Robotik, Augmented Reality, Virtual Reality und interaktive Gestaltung des Unterrichts, aber auch individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler. Das heißt konkret auch Chancengerechtigkeit.

Ganz wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler durch die Digitalisierung verantwortungsbewusst und selbstsicher den Umgang mit den Medien lernen – denken wir alle nur an dieses unsägliche Thema „Fake News“ –, aber eben auch vorbereitet werden auf Kompetenzen, die später in Ausbildung, Studium und Beruf benötigt werden, seien es Grundkenntnisse im Datenschutz, in der Datensicherheit und eben Grundkenntnisse im Bereich Programmieren.

Wenn Sie auch immer schimpfen: Es gab in der letzten Legislatur doch auch schöne Beispiele. Meine Kollegin Beer hat es vorhin erwähnt: das Programmieren in der Grundschule. Wir haben tolle Projekte gehabt wie Calliope. Das haben wir als Pilot in einige Grundschulen auch in meiner Heimatstadt, in Krefeld, gegeben, und das kam wunderbar an. Es ist auch ein positiv und schön besetztes Thema.

Uns allen hier ist sicherlich gemein die Auffassung,  dass wir die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer mit diesem doch anspruchsvollen Thema nicht alleine lassen dürfen. Denn wir können alle so viel gewinnen, wenn wir an den Rahmenbedingungen auch etwas tun. Der Mehrwert muss immer im Vordergrund stehen. Damit meine ich den pädagogischen. Der Einsatz digitaler Geräte oder Anwendungen alleine um des Nutzens willen ist noch kein Erfolgsgarant. Das haben aber auch meine Vorredner so bestätigt. Das ist auch die Rückmeldung der Lehrkräfte und der Schulen.

Wir müssen also sehr lösungsorientiert den Anforderungen für all die momentanen Probleme begegnen. Wir haben es auch von Herrn Minister Pinkwart gehört: In den einzelnen Kommunen ist der Stand der Dinge sehr unterschiedlich. Da müssen wir begleiten, und immer auch, wenn manches nicht schnell genug geht – denn dieses Thema kommt ja mit Wucht und Dynamik in unsere Kommunen –, den Kommunen zur Seite stehen.

Einige Punkte würde ich ganz gerne kurz aufgreifen.

Wir haben zu LOGINEO schon etwas gesagt. Auch das geht ja bald an den Start. Das wurde auch von meinen eigenen Fraktionskollegen noch einmal positiv bemerkt. Sie haben es ja auch ganz richtig gesagt, Herr Pinkwart. Da hilft es nicht, jetzt Schuldzuweisungen zu machen. Das Ding muss rollen. Das ist jetzt gelungen. Das finden wir gut und richtig. Es muss eben funktionieren.

Der Datenschutz zum Beispiel muss sichergestellt werden. Das haben wir hier auch ausgiebig diskutiert.

Bei den digitalen Endgeräten – das haben wir ja bei einer Befragung des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung gehört – schneiden wir im Land noch schlecht ab. Nur an jeder zehnten Schule verfügen alle Lehrkräfte über einen Dienst-PC. Bundesweit ist das an jeder fünften Schule der Fall.

Viel schlimmer noch ist aber, dass an jeder zweiten Schule in Nordrhein-Westfalen gar kein Pädagoge Zugang zu einem dienstlichen Computer hat. Das gehört bedauerlicherweise zur Wahrheit dazu.

Das Verfahren „Bring your own device“ kann zwar unterstützen, aber wir alle in diesem Hohen Haus wissen, dass das nicht die Lösung sein kann.

Meine Fraktion hat bereits vor einem Jahr einen Antrag eingebracht, dass die Landesregierung kurzfristig ein Konzept zur digitalen Ausstattung von Lehrerinnen und Lehrern vorlegen muss. Die Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben das in diesem Jahr ebenfalls mit einem Antrag unterstützt.

Hochproblematisch ist die Frage nach dem IT-Support für die Schulen. Wenn ich höre, dass in manchen Schulen PCs unbenutzt im Keller stehen, weil vor Ort niemand da ist, der sie adäquat bedienen oder warten kann, müssen wir uns alle fragen, was eigentlich schiefläuft.

Viele können auch mit dem Begriff des First-Level-Supports oder Second-Level-Supports nichts anfangen. Das Land ist der Arbeitgeber unserer Lehrerinnen und Lehrer, und wir muten ihnen mit dem First-Level-Support doch eine Menge zu.

Der Second-Level-Support erfolgt durch IT-Spezia-listen der kommunalen Schulträger, und Sie glauben doch wohl alle nicht, dass das in den Kommunen alles reibungslos funktioniert, denn wir haben in Nordrhein-Westfalen in dieser Hinsicht einen Flickenteppich.

Das ist in jeder Kommune ausgesprochen unterschiedlich. Die Kommunen, die über gute Finanzen verfügen, machen es besser als andere. Es darf und kann nicht in unser aller Sinne sein, dass die digitale Bildung unserer Kinder davon abhängt, in welcher Stadt sie leben. Ich hoffe, dass das die Zustimmung aller trifft.

Zum Schluss zur Lehrerfort‑ und ‑ausbildung. Neben den materiellen Ressourcen brauchen wir personelle Ressourcen nicht nur für den Support, sondern auch mit Blick auf die Lehrer. Es ist erschreckend und alarmierend, dass mehrere Tausend Lehrerinnen und Lehrer für den Informatikunterricht in unserem Land fehlen.

Wir verzeichnen darüber hinaus auch einen eklatanten Lehrermangel, und das wissen wir auch. Die Tausende Lehrerinnen und Lehrer werden morgen auch nicht unterrichten können. Nachqualifikationsprogramme, wie sie in Bayern oder Sachsen umgesetzt sind, könnten auch bei uns in Nordrhein-Westfalen die Not lindern.

Ich komme zum Schluss: Wir alle sollten solche Themen regelmäßig auf unsere Agenda im Plenum setzen, denn die digitale Bildung muss neu gedacht werden. Sie wird ja in der Enquetekommission neu gedacht, aber wir sollten uns auch darüber hinaus regelmäßig mit diesen Themen auseinandersetzen, um unserem Nachwuchs einen störungsfreien Weg in die Zukunft zu bereiten. – Ich bedanke mich ganz herzlich.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Spanier-Oppermann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, über den Antrag direkt abzustimmen. Also stimmen wir unmittelbar ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und AfD sowie Herr Neppe, fraktionslos, stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 17/7882 mit der Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Ich rufe auf:

7   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7200
Drucksache 17/7800 (Ergänzung)

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8000
Drucksache 17/8001
Drucksache 17/8002
Drucksache 17/8003
Drucksache 17/8004
Drucksache 17/8005
Drucksache 17/8006
Drucksache 17/8007
Drucksache 17/8008
Drucksache 17/8009
Drucksache 17/8010
Drucksache 17/8011
Drucksache 17/8012
Drucksache 17/8013
Drucksache 17/8014
Drucksache 17/8016
Drucksache 17/8020 – Neudruck

zweite Lesung

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7978

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7979

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7980

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7981

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7982

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7983

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7984

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7985

Und:

Finanzplanung 2019 bis 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 17/7201

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8019

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7203

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8018

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7202
Drucksache 17/7800 (Ergänzung)

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8017

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Unabhängige Beratung von Langzeitarbeitslosen ist ein bundesweites Vorbild – Arbeitslosenzentren (ALZ) und Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) über 2020 hinaus erhalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7903

(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Saal.)

– Jetzt geht es ums Geld, und alle gehen.

Ich rufe nun auf:

     Einzelplan 04
Ministerium der Justiz

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8004

Änderungsanträge
der AfD-Fraktion
Drucksache 17/7983
Drucksache 17/7984

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Bongers das Wort.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Beim Einzelplan 04 wird eines klar: Der Glanz des Neuen ist schnell verblasst.

(Beifall von Marc Herter [SPD])

Wo stehen wir? Wo steht die Justiz nach zweieinhalb Jahren Schwarz-Gelb? – Wir haben einen Haushalt ohne politischen Gestaltungswillen.

(Beifall von der SPD)

Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir Ihren ersten richtigen Haushalt 2018 nicht abgelehnt haben. Wir haben Ihnen eine echte und faire Chance gegeben.

Wir haben aber auch schon damals gesagt, dass wir genau beobachten werden, wie sich die Situation um die vielen neuen Stellen entwickeln wird, ob diese verstetigt und vor allem auch besetzt werden.

Leider haben Sie diese Möglichkeiten nicht genutzt. Seit dem Nachtragshaushalt 2017 bis zum Haushalt 2019 haben Sie insgesamt 1.683 neue Stellen geschaffen; das ist gut. Zugleich gibt es 2.029 unbesetzte Stellen in der Justiz; das ist schlecht.

(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD])

Damit ist rechnerisch noch nicht eine der neuen Stellen besetzt. Das haben die Menschen in der Justiz nun wirklich nicht verdient.

Über unbesetzte Stellen freut sich neben Ihnen, Herr Minister, nur noch der Finanzminister. Für ihn sind Sie ein guter Verhandlungspartner; kann er sich doch sicher sein, dass Stellen, die er Ihnen bewilligt, von Ihnen sowieso nicht oder nur sehr schlecht besetzt werden.

Der Richterbund hat in einer Stellungnahme sehr deutlich gemacht, dass diese Probleme struktureller Natur sind. Derzeit – Stand: 30. Juni 2019 – fehlen 460 Stellen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Um es klar zu sagen: Wir sind für neue Stellen in der Justiz, die auch wirklich zu Verbesserungen und Entlastungen führen. Herr Minister, bemühen Sie sich; Sie schaffen das. Wir sind da gar nicht so weit auseinander, aber tun Sie etwas; die Justiz wartet darauf.

Es gibt außerdem rund 1.480 befristete Stellen in der Justiz, davon sogar rund 1.200 ohne Sachgrund. So gerät die Justiz durch Sie in eine Schieflage.

Aus dem Justizmodernisierungsprogramm, das von Ihrem Amtsvorgänger auf den Weg gebracht wurde und durchfinanziert war, und dem Programm, für das sich Minister Biesenbach zu Beginn seiner Amtszeit in den Medien hat loben lassen, ist bislang nicht wirklich etwas umgesetzt worden. Drangvolle Enge in den Justizvollzugsanstalten ist die Folge.

Darüber hinaus beklagen die freien Träger zu Recht den Umgang dieses Ministeriums mit der Bewilligung und Finanzierung der Projekte im Bereich der freien Straffälligenhilfe. Die ersten Träger haben schon aufgegeben. Dafür tragen Sie eine große Mitverantwortung.

Sie lassen die Justiz auch allein, wenn es um strukturelle besoldungsrechtliche Verbesserungen geht. Die einzige in dieser Wahlperiode kam nach einem Gesetzentwurf der SPD zustande, dem Sie als Koalition beigetreten sind. Ich erinnere an die Strukturzulage für die Amtsanwälte.

(Beifall von Christina Kampmann [SPD])

Unsere Anträge für strukturelle besoldungsrechtliche Verbesserungen in der Justiz haben die Koalitionsfraktionen im HFA im Rahmen der Beratungen zum Haushalt abgelehnt. Richten Sie sich schon mal darauf ein, dass wir in dieser Frage nicht lockerlassen werden.

(Beifall von der SPD – Sven Wolf [SPD]: Genau!)

Ich fasse zusammen: Schwarz-Gelb ist gegen eine Verbesserung der Besoldung für Gerichtsvollzieher, gegen ein neues Eingangsamt für Beamtinnen und Beamte der Laufbahngruppe 1.2 bei Gerichten und Staatsanwaltschaften, gegen die Heraushebung der Leiterinnen und Leiter großer Wachtmeistereien und gegen ein neues Amt für Amtsanwältinnen und Amtsanwälte.

Sie sind dagegen, wir sind dafür; das ist der große Unterschied. Wir sind dafür, weil es diese Menschen in der Justiz wert sind, Anerkennung für diese wichtige, verantwortungsvolle und schwere Aufgabe zu erhalten. Dafür stehen wir als Sozialdemokraten.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister, der Glanz des Neuen ist nicht nur verblasst; vielmehr sind Sie eine Belastung für die Justiz geworden. Ein Haushalt ohne politischen Gestaltungswillen und ein Minister, der leider mehr Probleme macht, als er löst – wir werden den Haushalt ablehnen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Bongers. – Jetzt spricht Frau Erwin für die CDU-Fraktion.

Angela Erwin (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundlage für die konsequente Durchsetzung von Recht und Gesetz ist eine gute Personalplanung im Justizwesen.

Dringend notwendige Personalverstärkungen, die sich mittlerweile in sämtlichen Bereichen der Justiz wie ein roter oder, besser gesagt, wie ein schwarz-gelber Faden durch die verabschiedeten Haushalte der NRW-Koalition ziehen, sind eine Voraussetzung für den funktionierenden Rechtsstaat.

(Zuruf von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

So verhält es sich auch im Etatentwurf für das Jahr 2020. Nur beispielhaft nenne ich die wieder einmal 10 neuen Planstellen für Staatsanwälte.

Nicht zuletzt reagieren wir auch auf eine steigende Aufgabenbelastung. Um etwa der hohen Anzahl an Asylverfahren Rechnung zu tragen, verlängern wir bestehende kw-Vermerke an den Verwaltungsgerichten bis 2025.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn dieser Legislaturperiode habe ich den Justizminister Peter Biesenbach, damals noch frisch im Amt, zu einer Veranstaltung der CDU Düsseldorf eingeladen.

Herr Minister, dort haben Sie über die politischen Gestaltungsmöglichkeiten eines Justizministers referiert. Sie wollten sich nicht, so sagten Sie damals sinngemäß, auf die bloße Verwaltung des Justizapparates beschränken.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Vielmehr war und ist es Ihr politischer Anspruch und auch der Anspruch der gesamten NRW-Koalition, eigene Akzente zu setzen, eine gestalterische Rechtspolitik zu etablieren und vor allem, den Rechtsstaat hinsichtlich Zukunftsfragen zu rüsten.

So entspricht in der Tat jede Faser dieses Justizetats diesem Willen zur Zukunftsgestaltung. Ich erläutere das anhand einiger Beispiele:

Erstens. Wir investieren in die Stärkung der Ausbildung für die Justiz, denn nur so können wir die Justiz als attraktiven Arbeitgeber konkurrenzfähig machen und geeigneten Nachwuchs gewinnen.

Zweitens. Eine wichtige Rolle für die zukünftige Leistungsfähigkeit des Rechtsstaates spielt natürlich auch die Digitalisierung, in die wir erneut große Summen investieren. Nennenswert sind aus meiner Sicht vor allem zwei Projekte:

Gemeinsam mit Partnern aus der privaten Wirtschaft wollen wir eine Anwendung erproben, die durch künstliche Intelligenz frühzeitig suizidgefährdete Strafgefangene erkennen kann. Dieses Projekt ist ein Meilenstein innovativer Rechtspolitik, denn immerhin sprechen wir über Menschenleben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unter dem Eindruck der erschreckenden Kindesmissbrauchsfälle von Lügde und Bergisch Gladbach setzen wir große Hoffnung in ein KI-Modul, das den Strafverfolgungsbehörden die Auswertung digitaler Daten erleichtern soll.

Die Ermittler müssen Unmengen an kinderpornografischen Materialien auswerten; das wissen wir alle. Das bringt nicht nur die Personalkapazitäten an ihre Grenzen, sondern ist auch für die Menschen, für die Strafverfolger eine unvorstellbare psychische Belastung.

Die Auswertung des Materials mittels KI wäre daher ein erheblicher Gewinn für den Rechtsstaat und ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Kinderpornografie.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Drittens. Reformpolitik sehen wir auch im Justizvollzug. Nach dem Zellenbrand in der JVA Kleve haben wir eine Expertenkommission eingesetzt, die Optimierungsvorschläge für den Justizvollzug macht.

Zwar ist die Koordinierung der Vorschläge noch nicht endgültig abgeschlossen und läuft noch, aber indem wir vorsorglich 14 Millionen Euro in den Haushalt einstellen, senden wir das klare Signal, dass wir es mit unseren Reformbestrebungen ernst meinen und so schnell wie möglich mit der Umsetzung der Maßnahmen starten wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Justizetat 2020 bringt unseren Gestaltungswillen klar zum Ausdruck: bessere Ausbildungsvoraussetzungen für den Nachwuchs, Digitalisierung zentraler Prozesse und Personalverstärkungen in allen Bereichen. Der Justizhaushalt ist ein Zukunftshaushalt.

Dies wollen wir als CDU-Fraktion auch im Rahmen der weiteren Haushaltsberatungen flankieren und die Errichtung eines sogenannten Childhood-Hauses unterstützen. Bei diesem Projekt, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, handelt es sich um ein interdisziplinäres Zentrum für Kinder, die Opfer und Zeugen von Gewalt und Missbrauch geworden sind.

Der Teilaspekt, der die Justiz berührt, ist die Vernehmung der Kinder, die eine strafrechtliche Verfolgung der Täter gewährleisten soll. Maßgeblich dafür ist eine glaubhafte Aussage. Dank spezieller Videotechnik können diese Vernehmungen im Childhood-Haus in einem entsprechenden Strafprozess eingespielt werden und so gegebenenfalls eine erneute Vernehmung des Kindes im Prozess entbehrlich machen.

Gerade vor dem Hintergrund von Lügde und Bergisch Gladbach halten wir die Unterstützung dieses Projektes durch einen finanziellen Beitrag für die Vernehmungstechnik für ein wichtiges Signal und werden uns dafür einsetzen.

All diese Maßnahmen setzen wichtige Akzente für die zukünftige Ausrichtung der Rechtspolitik in unserem Land. Sie machen uns fit für das Jahr 2020. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zum Einzelplan 04. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Erwin. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Haushalt im Bereich der Justiz wird den Anforderungen der Justiz nur teilweise gerecht.

Es werden zwar immer weiter Stellen geschaffen; die Stellen können aber nicht besetzt werden – sowohl bei den Gerichten als auch in den Justizvollzugsanstalten und in allen anderen Bereichen der Justiz.

Vor allen Dingen sind derzeit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlastet. Es fehlt immer noch an geeignetem Personal. Die Entlastung der Justiz muss aber jetzt geschehen. Der Justizminister kann nicht immer weiter darauf warten, irgendwann doch noch genügend Personal für all die unbesetzten Stellen zu finden.

Entlastung muss ganz konkret zum Beispiel auch durch eine veränderte Prioritätensetzung geschehen. Die arbeitsüberlasteten Justizvollzugsanstalten, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte können beispielsweise deutlich durch Entkriminalisierung entlastet werden.

Wir sollten nicht nur über Stellenpläne diskutieren, sondern wir sollten einmal darüber diskutieren, ob diese Entlastung nicht über Entkriminalisierung des Schwarzfahrens möglich ist und ob wir nicht endlich einmal die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die weggeschmissene Lebensmittel aus Mülltonnen retten, einstellen sollten.

Wie sieht es denn mit der Entkriminalisierung von Cannabis aus? – Wenn man diese Bereiche angeht, würde man die Gerichte, die Justiz und auch die Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten erheblich entlasten.

Es wird viel über Opferschutz geredet, aber in diesem Haushalt – das muss ich konstatieren – lässt man die freie Straffälligenhilfe und die Projekte im Bereich der Täterarbeit mit ihrem Finanzierungsproblem immer noch allein; ein großes Manko in diesem Haushalt.

Neben den großen Herausforderungen für die Justiz gilt es auch, die Justiz personell bedarfsgerecht so auszustatten und angemessen zu finanzieren, dass es auch eine positive Wahrnehmung für die Justiz in der Öffentlichkeit gibt.

Da, Herr Justizminister, gibt es auch vonseiten der Landesregierung vielleicht die Möglichkeit, sich noch mehr zu engagieren, noch mehr Mittel bereitzustellen und sich persönlich noch einmal einzubringen, sodass das Ansehen unserer Justiz hier im Land Nordrhein-Westfalen verbessert wird. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Jetzt spricht Herr Mangen für die FDP-Fraktion.

Christian Mangen (FDP): Danke, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rechtsstaat findet sich in der Justiz widergespiegelt. Ziel und Zweck der NRW-Koalition ist es, diesen besonders zu stärken, und die Justiz ist davon der wesentliche Teil.

Laut der letzten Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr fühlen sich 87 % der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen im öffentlichen Raum sicher. Die NRW-Koalition ist mit dem Versprechen angetreten, das Sicherheitsempfinden zu steigern und das Land sicherer zu machen. Ich denke, wir sind da auf einem sehr guten Wege.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit insgesamt über 1.600 neuen Stellen für die Justiz und den Justizvollzug – es wurde gerade schon gesagt – haben wir sowohl die Gerichte als auch die Staatsanwaltschaften gestärkt und die Justizvollzugsanstalten sicherer gemacht.

Ferner haben wir mit der vollständigen Einführung der elektronischen Akte in der Finanzgerichtsbarkeit den ersten von fünf Gerichtszweigen vollständig digitalisiert.

Des Weiteren haben wir eine Beauftragte für den Opferschutz als zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straf‑ und Gewalttaten eingesetzt, und die neue Zentralstelle Terrorismusverfolgung NRW hat im April erfolgreich ihre Arbeit aufgenommen.

Außerdem haben wir das Projekt „Staatsanwalt vor Ort“ etabliert und die Bekämpfung der Clankriminalität deutlich verbessert. Die NRW-Koalition wird in diesem Bereich die Nulltoleranzstrategie konsequenter und weiter verfolgen.

Herr Kollege Engstfeld, es ist richtig, dass wir über Entkriminalisierung nachdenken können. Das müssen wir allerdings mit Bedacht und lediglich in Einzelfällen tun und nicht mit dem Rasenmäher über alle Straftatbestände hinweg. Die Zeit der weichen Welle, die es früher zu Ihrer Zeit gegeben hat, ist vorbei.

(Beifall von Arne Moritz [CDU])

Die NRW-Koalition wird sich nicht darauf ausruhen, denn an dem Ziel einer sicheren und personell gut ausgestatteten Justiz in Nordrhein-Westfalen halten wir klar fest.

Daher plant die NRW-Koalition für das kommende Haushaltsjahr über 5 % Mehrausgaben im Bereich der Justiz gegenüber dem Vorjahr, was überdurchschnittlich im Zusammenhang mit dem Gesamthaushalt ist – und das, ohne neue Schulden zu machen.

Frau Bongers, Sie können in diesem Zusammenhang in der Opposition gerne unbesetzte Stellen kritisieren und Lohnzuwächse fordern. Als Sie noch die Regierung waren, haben Sie dazu nichts unternommen. Die unbesetzten Stellen kommen unter anderem auch daher, dass es wenig geeigneten Nachwuchs gibt; daran arbeiten wir.

Sie haben doch zum Beispiel gesehen, dass wir eine Werbekampagne für die Justiz führen, die offensichtlich gut angenommen wird. Deswegen begegnen wir dem. Wir handeln und reden nicht nur.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Um die Justiz in diesem Land auch weiter zu stärken, werden wir einige Vorhaben umsetzen. Ich möchte daher gerne auf fünf Aspekte kurz eingehen:

Erstens. Um die Staatsanwaltschaften weiterhin personell zu stärken und die Arbeit zu beschleunigen, werden wir mehr als 300 Millionen Euro und somit mehr als 9 % gegenüber dem Vorjahr für die Staatsanwaltschaften ausgeben.

Bei der Generalstaatsanwaltschaft und den Staatsanwälten werden wir 28 neue Stellen schaffen, um die Verfahren zu beschleunigen und auch schneller Anklage erheben zu können.

Zweitens werden wir für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte neben der Bereitstellung des Personals Sachmittel in Höhe von insgesamt 56,7 Millionen Euro bereitstellen, damit auch die anderen fünf Gerichtszweige vollständig digitalisiert werden können, denn das spart Zeit. Die Akten müssen dann nicht mehr durch die Flure der Gerichtsgebäude hin‑ und hergeschoben werden.

Drittens werden wir mit insgesamt über 825 Millionen Euro mehr als 6 % mehr in den Justizvollzug investieren. Neben Sachleistungen und Investitionen in die Einrichtungen können damit 124 neue Stellen geschaffen werden. Damit können auch die Angebote für die berufliche Bildung der Inhaftierten ausgeweitet werden, was bei der Rehabilitation sehr helfen wird.

Viertens. Mit über 30 Millionen Euro werden wir über 17 % mehr Geld in die Aus‑ und Fortbildung investieren und 20 neue Stellen im Bereich der Ausbildung in der Justizverwaltung schaffen, denn die Damen und Herren, die in den Aus‑ und Fortbildungseinheiten arbeiten, machen eine hervorragende Arbeit, und Unterstützung tut da not.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Freien Demokraten haben sich schon lange für die Digitalisierung eingesetzt, weshalb ich als letzten Punkt die Ausgabensteigerung von rund 23 % im Bereich „Sonstige Investitionen“ nennen will, denn davon werden wir über 72 Millionen Euro in die IT-Ausrüstung investieren, damit Justiz auch digital gut für die Zukunft aufgestellt ist.

Deshalb werbe ich um Zustimmung zu diesem Haushaltsplan der Justiz . – Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Mangen. – Jetzt spricht für die AfD-Fraktion Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): „Es hilft nicht, das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen.“

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Zitat eines bekannten deutschen Kabarettisten wäre eigentlich schon das Wichtigste für den Einzelplan 04 des Haushaltsentwurfs 2020 gesagt, denn jedes Kind versteht, weshalb man eine funktionierende Justiz für einen funktionierenden Rechtsstaat benötigt. Da liegt einiges im Argen. Sehen wir uns einfach mal die Fakten an.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer an den Landgerichten hat wie folgt zugenommen: im erstinstanzlichen Verfahren von 7,9 Monaten im Jahr 2010 auf 10,3 Monate im Jahr 2018, in der Berufung in 2009 von 5,8 Monaten auf 6,7 Monate im Jahr 2018.

Bei Strafverfahren sieht es bei Weitem nicht besser aus: Im erstinstanzlichen Strafverfahren hat die Verfahrensdauer von 7,9 Monaten im Jahr 2009 auf 8,2 Monate im Jahr 2018 zugenommen, die Verfahrensdauer im Berufungsverfahren von 4,1 Monaten in 2010 auf 5,1 Monate im Jahr 2018. Dies ist insbesondere für die Opfer eine Zumutung.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Insgesamt klafft also eine erschreckende Lücke von knapp 350 Vollzeitrichterstellen bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Wie sieht es bei den Verwaltungsgerichten aus? – Wegen Ihrer Politik der offenen Grenzen ächzt diese Gerichtsbarkeit unter den anhängigen Asylverfahren; das ist kein Geheimnis. Gerade deshalb hat auch hier die Verfahrensdauer in Haupt‑ und Eilsachen erkennbar zugenommen.

Dieses Problem soll nun durch Abordnungen gelöst werden, und das ist der Anfang vom Ende und reine Augenauswischerei. Fragen Sie doch einmal die Richter, ob sie in ihren Stammdienststellen nicht auch dringend benötigt werden. Hier werden nicht die Probleme bekämpft, sondern lediglich die Symptome.

Zu alledem kommen nur noch Abordnungen an den Verfassungsgerichtshof aufgrund der seit diesem Jahr eingeführten Individualverfassungsbeschwerden. Wir haben schon damals im Rechtsausschuss darauf hingewiesen, dass der veranschlagte Personal‑ und Mitteleinsatz nicht ausreichend sein wird, von der nicht ausreichenden räumlichen Situation ganz zu schweigen.

Ähnlich trübe sieht es bei den Staatsanwaltschaften aus. Dort ist seit Jahren eine Zunahme an Verfahrenseingängen zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauer der Ermittlungsverfahren hat auch dort zugenommen.

In der Folge reichen die von Ihnen im Haushalt vorgesehenen Stellen natürlich vorn und hinten nicht. Warum? – Die potenziellen Kandidaten nehmen doch lieber Positionen in der Wirtschaft an. Dort verdienen sie zum einen auskömmlicher und müssen sich nicht die engen Dienstzimmer mit ihren Kollegen teilen.

Meine Damen und Herren Kollegen, kommen wir zur nächsten großen Baustelle im Einzelplan 04, dem Justizvollzug; der ist mit besonderen Problemen ausgestattet.

Die Zunahme von nichtdeutschen Gefangenen ist allen bekannt und stellt neue Anforderungen an unsere Justizvollzugsbeamten. Es gibt nicht nur sprachliche Barrieren, religiöse Barrieren – da gibt es noch andere Sachen.

Die Justizvollzugsbeamten stellen mit ihrer Arbeit das Rückgrat unserer Justiz dar. Wir als AfD wissen inzwischen – Sie als Altparteiler müssten es schon länger wissen –, dass in den nächsten Jahren viele lebensältere Bedienstete in den Ruhestand gehen werden.

Schon jetzt dringt aus dem Vollzugsdienst, dass unterhalb des Ersatzbedarfs ausgebildet und diese Problematik in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird.

Deshalb müssen wir hier ansetzen und eine hohe Anzahl an Beamten im Vorbereitungsdienst sicherstellen, was kaum gelingen wird bei der geradezu schäbigen Besoldung.

Ich wage die Prognose, dass es Ihnen nicht gelingen wird, die von Ihnen geschaffenen Planstellen mit Leben zu erfüllen. Damit stehe ich auch nicht ganz allein; das sehen andere auch so.

Schieben Sie lieber Leute ab, die hier nichts zu suchen haben und die Haftanstalten füllen.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Dann würden Sie nicht nur das vorhandene Personal entlasten. Aber dazu fehlt Ihnen leider der Mumm.

Dann greifen Sie vielleicht auf Ideen wie von den Grünen zurück. Wir werden alles entkriminalisieren: Schwarzfahren, Rauschgiftkonsum, Diebstahl. Das wird alles entkriminalisiert. Die Bürger werden dann diesen Verfahren, diesen Taten ausgesetzt.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Ich gebe Ihnen mal was mit. Vielleicht entkriminalisieren Sie – das ist vielleicht nicht ganz technisch – Ordnungswidrigkeitenverfahren. Lassen Sie doch Schnellfahren und Falschparken einfach mal wegfallen, sparen Sie da Ihr Personal.

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

– Ja, hat mit Justiz nicht so viel zu tun, aber spart nichtsdestotrotz. Auch Ihnen fehlt es hier natürlich neben Geld und Sachverstand wie immer an Mannstärke zur Umsetzung.

Ich ende mit Theodor Fontane aus „Die Brück' am Tay“:

„Tand, Tand        
Ist das Gebilde von Menschenhand.“

Genau wie Ihr Haushalt. Wir stimmen deshalb dagegen. – Auf Wiedersehen.

(Beifall von der AfD – Ralf Jäger [SPD]: Warum reden Sie mit uns?)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Röckemann. – Jetzt spricht Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Liebe Kolleginnen, liebe und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Wenn ich jetzt einmal die Ausführungen der versammelten Opposition für mich werte, dann

(Michael Hübner [SPD]: Sage ich nichts!)

danke ich allen, denn ich empfinde das, was Sie zu kritisieren hatten, als großes Kompliment für diesen Haushalt.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist ja wie heute Morgen! Das war auch immer ein großes Kompliment!)

– Es ist völlig richtig, Herr Hübner. Wenn ich höre, dass die Sprecherin Ihrer Partei mir zutraut, das zu schaffen, was wir uns vorgenommen haben, sage ich dafür vielen Dank. Es entspricht im Übrigen auch der Auffassung der regierungstragenden Fraktionen.

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Wenn ich dann weiter höre, dass Sie den größten Kritikpunkt darin sehen, dass wir beachtlich viele Stellen nicht besetzt haben, dann ist das aber ein Kompliment dafür, dass wir die Stellen überhaupt haben.

Herr Wolf, Sie riefen gerade: Wir haben immer besetzt. – Ja, klar. Vergleichen Sie mal die Zahlen. Ein Dutzend Stellen haben wir auch schnell besetzt. Nur reden wir von völlig anderen Zahlen.

Meine Damen und Herren, wir hätten unsere Stellen auch längst besetzt, wenn wir die Anforderungen senken würden. Das werden wir nicht tun. Die nordrhein-westfälische Justiz hat einen qualitativ guten Ruf – nicht nur zu verteidigen, sondern auch aufrechtzuerhalten. Wir werden daher nicht die Einstellungsvoraussetzungen mindern, nur damit wir die Stellen schneller besetzen können. Wir werden versuchen – und das dauert ein wenig länger –, die qualitativ hochwertigen Damen und Herren zu finden und für uns zu gewinnen, die die Stellen dann besetzen können.

Wenn Sie sagen: „Das ist uns alles zu wenig“, dann fragen Sie doch einfach mal die Betroffenen, die es angeht. Der Deutsche Richterbund ist anderer Auffassung. Die Bediensteten im Strafvollzug sind auch anderer Auffassung und sagen: Es gelingt uns doch, gute und viele neue Kräfte zu bekommen.

Zu den Punkten, die Sie hier als Kritik anmelden: einverstanden, richtig. Aber wenn das alles ist, was Sie zu kritisieren haben, dann sage ich: Die Koalition macht gerade in der Rechtspolitik zurzeit einen richtig guten Job. – Dafür herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Sie haben recht, dass uns das Personal natürlich wichtig ist. Deswegen stocken wir die in den ersten beiden Jahren der Legislaturperiode …

(Zuruf)

– Es sollte bitte nur jemand heftig maulen, der auch in der Sache steckt. Es hilft uns überhaupt nicht, wenn wir jetzt ganz viele Protestler haben, die noch nie an einer justizpolitischen Diskussion teilgenommen haben. Die sollten sich vielleicht fragen, ob sie qualitativ etwas beitragen können. Hier nur rumzukrähen, ist kein Weg, um uns beurteilen zu können. Ich finde, das sollten wir wirklich nicht tun.

Deswegen stocken wir die in den ersten beiden Jahren unserer Regierungszeit zusätzlich geschaffenen 1.635 Planstellen im nächsten Jahr noch einmal auf. 292 zusätzliche Planstellen und Stellen sowie die Verlängerung von insgesamt 224 kw-Vermerken setzen ein deutliches Signal,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass diese Landesregierung etwas für eine stärkere und effizientere Justiz tut.

Wir schaffen gerade zwei neue Ausbildungsstellen, eine in Hamm und eine in Essen, damit der Nachwuchs eingestellt werden kann, den wir – ganz simpel – brauchen. Ich sage noch einmal: Das ist die notwendige Vorsorge, um das hinzukriegen.

Das hören Sie jetzt sicher nicht gern, aber: Wenn wir im Justizvollzug manches nachzuholen haben, dann arbeiten wir einfach die Versäumnisse auf, die aus der Zeit vor unserer Regierungsverantwortung stammen.

(Thomas Kutschaty [SPD] schüttelt den Kopf.)

– Herr Kutschaty, Sie schütteln gerade den Kopf. Sie haben beispielsweise die Hoffnung gehabt, die Zahl der Strafgefangenen würde sinken. Deswegen haben Sie Kapazitäten im Strafvollzug abgebaut. Wäre die Annahme eingetreten, würde ich Ihnen zustimmen. Leider ist es andersherum. Wir haben nach wie vor eine Zunahme von mindestens 1 % pro Jahr. Das macht deutlich: Wir haben Not bei den Bauten, wir haben Not beim Personal, und wir haben auch Not in der Zusammensetzung der Gefangenen.

Die Herausforderungen sind deutlich anders geworden. Das macht der Bericht deutlich. Wir werden an all diesen Dingen etwas tun. Die Konzepte haben wir Ihnen bereits vorgestellt. Da bin ich allerdings den Damen und Herren der Opposition dankbar. Sie haben nämlich immer dann mitgemacht, wenn sie es für gescheit hielten. Das waren manche Stellen.

Heute haben Sie die Pflicht, Opposition zu sein. Das ist okay. Bleiben Sie so, wie Sie im Ausschuss still gesagt haben: Es geht, das machen wir mit, auch wenn wir pflichtgemäß dagegen sein müssen. – Dann werden wir weiterhin eine gute Arbeit machen.

Seien Sie sicher, die regierungstragenden Fraktionen wissen, was wir tun. Ich bin sicher, dass wir da die Unterstützung bekommen, um unsere Politik umzusetzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Wir haben jetzt drei Abstimmungen vor uns.

Erstens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD mit der Drucksachennummer 17/7983 ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und Grüne stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Damit ist dieser Änderungsantrag Drucksache 17/7983 mit breiter Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt.

Zweitens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD mit der Drucksachennummer 17/7984 ab. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen sind dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Niemand enthält sich. Damit ist auch der Änderungsantrag Drucksache 17/7984 mit breiter Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt.

Drittens stimmen wir über den Einzelplan 04 ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8004, den Einzelplan unverändert anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan. Wer stimmt dem zu? – CDU und FDP stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, AfD und Herr Neppe, fraktionslos, stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Die gibt es nicht. Damit ist der Haushalt des Justizministeriums im Einzelplan 04 in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich rufe auf:

Einzelplan 14
Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8014

Ich weise auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses in Drucksache 17/8014 hin. Wir haben in drei Abschnitten zu debattieren.

Ich rufe nun den ersten Teilbereich auf:

 

a) Wirtschaft

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Sundermann das Wort.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir auf den Haushalt des Einzelplans 14 schauen, schauen wir natürlich auch auf die Wirtschaft in unserem Land und stellen fest, dass wir uns aktuell in Nordrhein-Westfalen in einer Seitwärtsbewegung befinden. Wir haben im Prinzip kaum Wachstum in der Gesamtwirtschaft. Die Industrie hingegen befindet sich in einer Rezession. Das müssen wir leider gemeinsam feststellen.

Der Minister und auch die Kollegen von CDU und FDP definieren sich ja immer ein wenig darüber, wie der Abstand zum Bund ist. Früher hatte der Bund 2,5 % Wachstum, wir hatten 1,7 %. Das waren 0,8 % Unterschied. Jetzt haben wir 0,3 %, der Bund hat 0,4 %, Unterschied 0,1 %. Das ist natürlich nur Mathematik. Wenn andere Bundesländer Probleme haben, sinkt natürlich das Wachstum insgesamt im Bund.

Die Frage ist natürlich auch, ob dieser Abstand etwas mit der Stärke Nordrhein-Westfalens oder eher mit der Schwäche anderer Bundesländer zu tun hat. Wenn man schaut, wie es aktuell in Baden-Württemberg aussieht, dann findet man darauf sicherlich eine Antwort.

Die Baden-Württemberger haben im Moment große Probleme mit der Automobilindustrie. Es stellt sich die Frage, wie wir hier in Nordrhein-Westfalen mit dieser Problemstellung umgehen. Haben wir einen strategischen Ansatz, wie wir damit umgehen wollen?

Wir werden sicherlich gleich noch hören, dass es in diesem Bereich Einzelmaßnahmen gibt. Einen strategischen Ansatz gibt es aber nicht. Der Minister hat dem Ausschuss am 30. September einen solchen strategischen Ansatz angekündigt; weiter sind wir da noch nicht. Aus unserer Sicht ist einiges dort liegen gelassen worden.

Meine Damen und Herren, die Frage ist, was das Wachstum in Nordrhein-Westfalen aktuell stützt. Es sind die Dienstleistungen, der Konsum. Es ist aber auch und vor allem die Baubranche, die aktuell das Wachstum in Nordrhein-Westfalen stützt.

Schaut man allerdings auf den ifo-Index, dann sieht man, dass die Erwartungen der nordrhein-westfälischen Bauindustrie deutlich schlechter sind als die Erwartungen der Bauindustrie im Bund. Dann muss man natürlich überlegen, was das Land machen kann.

Ja, Sie geben das Geld, das Sie mehr haben, aus. Wir sagen Ihnen aber auch, dass das zu wenig ist. Es reicht nicht. Wir müssen aktuell mit Investitionen in die Infrastruktur klotzen, nicht kleckern. Die schwarze Null gehört an dieser Stelle nicht auf dem Prüfstand, sondern abgeschafft.

(Beifall von der SPD)

Sie haben an dieser Stelle eine Blaupause: Wir haben die Niedrigzinsphase genutzt – „Gute Schule 2020“, Investitionen in die Schulinfrastruktur –, machen Sie das an anderen Stellen auch. Stärken Sie die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen, und tun Sie auch etwas für die Menschen in Nordrhein-Westfalen!

Was gefährdet denn das Wachstum in Nordrhein-Westfalen? Eine Gefahr nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern auch für den Bund sind sicherlich die außenwirtschaftlichen Problemstellungen.

Aus aktuellem Anlass möchte ich noch einmal auf den Brexit zu sprechen kommen. Das ist – das möchte ich gerne vorwegschicken – keine grundlegende Kritik am Ministerium, auch nicht am Minister und schon gar nicht an seinen Abteilungen, die für die Außenwirtschaft tätig sind.

Es ist vielmehr eine organisatorische Fragestellung und ein Thema der Landesregierung, wie man das organisiert. Sie haben sich entschieden, dies mit einem Brexit-Beauftragten zu machen. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob ein Mensch, der für einen Finanzdienstleister arbeitet, der richtige Mann ist, um das für Nordrhein-Westfalen zu tun. Diese Frage kann man sich sicherlich stellen.

Man kann natürlich auch die Frage stellen – und das würde ich nach dem Parteitag der CDU, nach all dem, was vorher passiert ist, auch tun –, ob denn dieser Mensch neben seiner fachlichen Qualifikation, die ich auch in Abrede stellen möchte, persönlich geeignet ist, diesen Job auszuüben.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Für so eine Stelle für Nordrhein-Westfalen ist das erste Gebot Loyalität. – Und dass dieser Mann illoyal ist, haben wir, glaube ich, letzte Woche deutlich gesehen.

(Beifall von der SPD)

In diesem Zusammenhang müssen wir aufhören, von Ehrenamtlichkeit zu sprechen. Herr Merz verdient sein Geld damit, dass er Netzwerke pflegt.

(Zuruf von der CDU)

Er pflegt Netzwerke, und aus diesen Netzwerken heraus generiert er Vorteile für sich und zukünftige Aufträge. Dadurch, dass er das für Nordrhein-Westfalen macht, kann er sein Netzwerk verdichten. Insofern kann man sagen: Er macht das vielleicht umsonst, aber sicherlich nicht ehrenamtlich.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Abschließend möchte ich sagen, dass wir hier häufig über wirtschaftspolitische Ansätze diskutieren. Ihre Ansätze sind klassisch: weniger Regularien, mehr Fläche, weniger Steuern, mehr Markt, weniger Staat.

Wir sagen: Wir brauchen auch in Nordrhein-Westfalen klare Vorgaben und verlässliche Regularien. Der Staat muss aktiver werden. Er muss Leitplanken setzen, innerhalb derer sich Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich entwickeln kann. Dass dies funktioniert, hat doch gerade die Umweltwirtschaft in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt.

In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir abschließend die Frage: Was ist eigentlich aus dem Umweltwirtschaftsbericht geworden? – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Sundermann. – Herr Rehbaum spricht nun für die CDU-Fraktion.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Sundermann, Sie können über Herrn Merz sagen, was Sie wollen. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass wir seit den Brexit-Ankündigungen über 100 Ansiedlungen von Firmen aus Großbritannien in Nordrhein-Westfalen verzeichnen können.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Wo ist da der Beitrag von Herrn Merz? – Weitere Zurufe)

Bis zur Regierungsübernahme trug Nordrhein-Westfalen beim Wirtschaftswachstum regelmäßig die rote Laterne unter den Bundesländern. Die Arbeitslosigkeit betrug 7,5 %; 709.000 Menschen waren im Juli 2017 arbeitslos; Rot-Grün war krachend gescheitert.

Mit dem Regierungswechsel hat eine Aufholjagd begonnen. Trotz Handelskonflikten, Brexits, Manipulationsskandals in der Autoindustrie und abgeschwächter Konjunktur wächst die Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich.

Gegenüber Juli 2017 haben wir 83.000 Arbeitslose weniger. Das RWI spricht sogar von über 120.000 zusätzlichen Beschäftigten bis Ende 2019. Unser Wirtschaftswachstum liegt bei 0,3 % gegenüber 0,4 % im Bundesdurchschnitt, und, Herr Sundermann, die Industrie in Nordrhein-Westfalen wächst sogar überdurchschnittlich.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Horst Becker [GRÜNE] und Michael Hübner [SPD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Nordrhein-Westfalen hat die rote Laterne abgegeben. NRW ist wieder da.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck. Es geht um Beschäftigung für die Menschen, Zukunftssicherung für Familien. Eine starke Wirtschaft ist die Grundlage, um staatliche Aufgaben wie Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Verkehrswegebau, Kultur, Innovationen und Investitionen in Klimaschutz zu meistern. Deswegen ist Wirtschaftspolitik ein Kernstück der NRW-Koalition.

Wir wollen, dass alle Branchen ihre Potenziale entfalten: die Industrie mit Chemie, Stahl, Aluminium, Glas, Papier, Handwerk und Mittelstand, Maschinenbau, Autozulieferer, Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung, Energieanlagenbau, Tourismus, Gastronomie, Einzelhandel, Baugewerbe, Digitalwirtschaft, Kreativwirtschaft.

(Zuruf von der SPD)

Unsere Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen hat viele Standbeine, und jedes wird gebraucht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu einer guten Wirtschaftspolitik gehören eine klare Haltung und eine Willkommenskultur für Unternehmen. Unternehmen brauchen eine attraktive Infrastruktur: im Verkehr, bei der Energie und den Daten. Sie braucht Fachkräfte. Sie braucht Strom zu jeder Sekunde, viel Digitalisierung, wenig Bürokratie und schnelle Genehmigungen.

Ein Blick in die letzte Legislaturperiode zeigt, wie unterschiedlich Wirtschaftspolitik sein kann. Der Wirtschaftsminister der SPD sah sich gezwungen, seine wirtschaftspolitischen Leitlinien am ideologischen Widerstand im eigenen Kabinett vorbei ins Parlament zu bugsieren. Er sagte von sich selbst, er sei nur für rhetorische Aufgaben zuständig.

Die Wahrheit ist: Bei Rot-Grün war Wirtschaftspolitik immer nur Gedöns. Da nutzt es auch nichts, wenn die Grünen nun auf ihrem Parteitag beschließen, plötzlich Wirtschaft zu können. Wirtschaftskompetenz bekommt man nicht im Stuhlkreis beim Wochenendworkshop, man muss sie leben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den GRÜNEN: Tätä! Tätä!)

Wir in der NRW-Koalition von CDU und FDP leben das erfrischende Gegenmodell selbstbewusster Wirtschaftspolitik für das größte deutsche Bundesland. Unser industriepolitisches Leitbild wird vom kompletten Kabinett getragen, und wir stellen Wirtschaftsminister Pinkwart 30 % mehr Mittel für ordentliche Wirtschaftspolitik zur Verfügung.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Zum Beispiel: 550 Millionen Euro für Wirtschaftsförderung, für Mittelstand, Handwerk und viele andere, 14 Millionen Euro für die Steinkohlerückzugsgebiete, mehr als 10 Millionen Euro für das Netzwerk „it’s OWL“ mit dem Megathema „Industrie 4.0“. Im Rahmen der Ruhr-Konferenz wurde das „Spitzencluster für industrielle Innovationen“ aus der Taufe gehoben, das im ersten Jahr mit 15 Millionen Euro gefördert wird. Hier geht es darum, den Wandel der Industrie und des Energiesystems voranzutreiben und den industriellen Kern des Ruhrgebiets zu stärken.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Herzlichen Dank!)

Der Tourismus boomt, da gibt es 30 % mehr Mittel. Die Mittel für den Klimaschutz und die Energiewende werden mehr als verfünffacht.

Wirtschaftspolitik ist ein zentrales Arbeitsfeld der Landesregierung, NRW kommt voran.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die NRW-Koalition stattet Minister Pinkwart und sein Team auch für 2020 mit einem Haushalt auf hohem Niveau aus. So wollen wir etwas bewegen. So kommen wir unserem Ziel näher, NRW als Wirtschaftsstandort Nummer eins zu positionieren. Über „Klimaschutz made in NRW“ sprechen wir in der nächsten Runde. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rehbaum. – Jetzt spricht Herr Becker für Bündnis 90/Die Grünen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Unruhe)

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass dies der dritte Haushalt ist, den diese Koalition zu verantworten hat. Das heißt, Sie sind haushaltstechnisch über die Mitte Ihrer Zeit hinweg.

Wenn man dann schaut, was Sie alles versprochen haben und womit Sie gestartet sind – Sie wollten die Wachstumslokomotive in der Bundesrepublik sein, Sie wollten das Wirtschaftsland Nummer eins sein –, dann frage ich, wo Sie gelandet sind. Sie bedienen sich jetzt schon der Prognosen, Herr Rehbaum. Es sind nämlich keine Feststellungen, sondern es sind Prognosen des RWI – übrigens im Auftrag des Ministeriums –, das jetzt davon ausgeht, dass NRW 0,3 % Wachstum hat, der Bund 0,4 %. Ich wage das zu bezweifeln, und zwar begründet.

Das gleiche RWI hat nämlich als Schätzung – denn es läuft ja immer nach hinten, erst kommt die Schätzung, und zwei Jahre später folgen die richtigen Zahlen – im Sommer festgestellt: 0,1 % für NRW und 0,4 % für den Bund. Wenn jetzt im Jahresmittel als Prognose am Ende 0,3 % für die nordrhein-westfälische Wirtschaft herauskommen soll, müssten wir ja im zweiten Halbjahr weit über den Zahlen und dem Durchschnitt des Bundes liegen. Das wage ich zu bezweifeln.

Wir werden es ja im nächsten Jahr sehen. Dann werden wir diese Debatte weiterführen. Auf jeden Fall ist es eines nicht: Es ist nicht plötzlich ein Aufholen, es ist nicht plötzlich eine Lokomotive, sondern bestenfalls ein langsames Rollen auf das Abstellgleis. Das, was Sie uns immer vorgeworfen haben, praktizieren Sie hier und loben sich dafür. Das ist der Unterschied. Sie loben das, was Sie früher kritisiert haben.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN– Zuruf von der FDP: Unsinn!)

Meine Damen und Herren, das, was wir hier bei der Wirtschaft erleben, erinnert an die Sektoren Verkehr und Bildung. Sie sind im Verteidigungsmodus. Ich habe heute Morgen interessiert zur Kenntnis genommen, wie Herr Pinkwart bis hin zur Digitalisierung in den Schulen sozusagen den Rückgriff auf die Politik von vier, fünf Jahren machen musste, um zu begründen, warum er nach zweieinhalb Jahren nicht weiter ist, als er es ist, und die Koalition insgesamt nicht. Das ist auch hier der Fall.

Wenn Sie sich der Konjunktur und vor allem des Arbeitsmarktes rühmen, der – der Kollege Sundermann hat darauf hingewiesen – von bestimmten Sektoren getragen wird, dann gibt es allerdings ganz deutliche Warnzeichen, mit denen sich der Minister nach unserem Eindruck überhaupt nicht ausreichend beschäftigt.

Ich nenne thyssenkrupp: minus 6.000 Stellen, 4.000 davon in Deutschland, die meisten in NRW.

Bayer: minus 4.500 Stellen in Deutschland, die meisten in NRW.

Ford: minus 5.000 Stellen in Deutschland; wie viele in NRW, ist noch nicht ganz klar, aber es werden auch in NRW einige sein.

Conti: minus 7.000 in Deutschland.

Covestro: minus 900 Stellen.

E.ON, innogy, RWE: minus 5.000 Stellen.

Da würde man von einem Minister erwarten, dass er sich sozusagen die Hacken abläuft. Was erleben wir? Der Minister ist immer noch Wissenschaftsminister und redet hauptsächlich von Start-ups, die aber beispielsweise im Verhältnis zu Berlin auch deutlich ausbleiben. Existenzgründungen sind ausweislich des Instituts für Mittelstandsforschung deutlich zurückgegangen, Herr Rehbaum – nicht aufwärts, sondern zurückgegangen. Rückgang ist Ihr Markenzeichen in diesem Bereich, nicht Fortschritt. Das ist Tatsache.

(Zurufe von der CDU – Unruhe)

Und was haben Sie nicht alles beim Mittelstand und beim Handwerk versprochen? Am Ende des Tages ist eine Ladenöffnungszeit herausgekommen, mit der Sie den Versandhandel in den Griff bekommen wollten. Seitdem ist der Versandhandel gestiegen, im Einzelhandel, im Mittelstand ist das Geschäft weiter zurückgegangen.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

Was haben Sie denn da erreicht, außer dass Sie die Kommunen und die gesamte Szene ins Chaos gestürzt haben? Sie haben nichts erreicht. Überhaupt nichts ist in dem Bereich herausgekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben großk… – Ich wollte fast „großkotzig“ sagen, Herr Präsident, habe es aber nur fast gesagt, also nicht.

(Zurufe)

Sie haben großherrisch angekündigt, dass Sie die Grunderwerbsteuer abschaffen wollten; eine mittelstandsfeindliche Steuer haben Sie sie genannt. Was ist passiert? Sie haben sich hinter Berlin versteckt. Sie sitzen heute noch in der Furche und verstecken sich hinter Berlin.

(Ralph Bombis [FDP]: Wir wollen es aber familienfreundlich machen! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Da warten wir noch drauf!)

Nichts von alledem ist zustande gekommen. Sie sind in diesen Bereichen in Ankündigungen stecken geblieben. Das ist ein Desaster.

Ich will auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist. Herr Minister, Sie sind auch Energieminister. Das gehört auch zum Bereich Wirtschaft.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das machen wir in der nächsten Runde, Herr Becker!)

Ein Energieminister, der die Energie in Nordrhein-Westfalen abwürgt, zum Beispiel die Windkraft, und der jetzt eine Wasserstoff-Roadmap auf den Weg bringen will, von der man überhaupt nicht weiß, wann sie denn fertig werden soll – ich erinnere noch einmal daran, dass Sie bereits zweieinhalb Jahre regieren –, der bleibt weit hinter anderen Bundesländern zurück.

(Zurufe von der FDP)

Die norddeutschen Bundesländer beispielsweise

(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Sie liefern so viele Steilvorlagen!)

haben bereits eine gemeinsame Wasserstoffstrategie mit Anwendungen und Mustern auf den Weg gebracht, die sie bis Ende 2019 gemeinsam verabschiedet haben werden. Und Sie fangen gerade erst unbestimmt mit einer Roadmap an. Mehr passiert hier im Lande nicht.

Das gilt auch für die Elektromobilität. Tesla beispielsweise geht nach Brandenburg. Sie weinen der Zulieferindustrie für Tesla hinterher und sagen, die müsse auch bedient werden.

In diesen Bereichen haben Sie außer Ankündigungen nichts geschafft in diesem Land. Das ist Ihre Politik. Deswegen kommen Sie auch immer mehr dazu, sich zu verteidigen. Das wird im nächsten Jahr noch zunehmen, das sage ich voraus. Wir werden erleben, dass diese Landesregierung im Sumpf ihrer eigenen Ankündigungen stecken bleiben wird, weil sie sie nicht erfüllen kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Becker. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Herr Becker, Ihre Rede war ein Konglomerat unkorrekter Darstellungen, Falschbehauptungen und bewusster Irreführungen. Das müssten Sie wirklich besser wissen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wissen Sie, was mich stört? Ich weiß, dass Sie es besser wissen. Ihre Rede enthielt wirklich bewusste Falschdarstellungen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE] – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die NRW-Koalition verfolgt klare Ziele in der Wirtschaftspolitik. Wir fördern eine zukunftsorientierte Wirtschaft, die Wachstum schafft und Arbeitsplätze sichert. Wir treiben die Digitalisierung voran. Wir entlasten Betriebe und Mitarbeiter durch Entbürokratisierung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jetzt Fakten!)

Wir fördern Innovationen und Zukunftstechnologien, übrigens nicht zuletzt im Sinne des Klimaschutzes. Es ist weder damit gedient, zu behaupten, wie die Ewiggestrigen auf der rechten Seite dieses Hauses, es gebe kein Klimaproblem, noch ist damit gedient, nur mit Verboten zu arbeiten. Innovation schafft Klimaschutz, und zwar internationalen Klimaschutz. Das ist der Weg dieser Koalition.

(Beifall von der FDP und der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann machen Sie doch mal!)

Wir werden das Rheinische Revier zu einer Modellregion machen.

Herr Becker, Herr Sundermann, es ist im Prinzip auch egal, ob wir über Zahlen diskutieren oder nicht. Fakt ist: Das, was Sie hier als Abstellgleis darstellen, bedeutet in Wahrheit, dass NRW aufgeholt hat. NRW liegt wieder nahe am Bundesdurchschnitt. Das haben Sie nicht geschafft. Was die Arbeitsplätze angeht, sind wir sogar besser als der Bundesdurchschnitt. Das kommt bei den Menschen in NRW an, und darauf kommt es an.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

In allen Bereichen – Mobilität, Stadtentwicklung, Standortentwicklung – sind wir stärker. Wir denken diese Bereiche zusammen. Ähnlich wie im Entfesselungspaket III fördert die Landesregierung durch den neuen Entwicklungsplan mit erhöhten Mitteln den Infrastrukturausbau.

(Horst Becker [GRÜNE]: Macht doch mal ein Entfesselungspaket für die Windkraft!)

Im Rheinischen Revier schaffen wir das zentrale Thema unserer Zeit: die Transformation der Wirtschaft zum Erhalt und zur Neuschaffung der Wertschöpfungsketten. Gerade das Rheinische Revier verfügt über das Potenzial, hier als Vorreiter voranzugehen. Das werden wir nicht nur mit den Mitteln aus Berlin finanzieren, die dann hoffentlich fließen werden, sondern das läuft insbesondere auch über die Kofinanzierungen, die diese Landesregierung zur Verfügung stellt: allein 12 Millionen Euro im Haushalt 2020, um die Anschubfinanzierung für die Projekte im Rheinischen Revier sicherzustellen.

Wir werden die Zukunftsagentur Rheinisches Revier als Kern dieses Prozesses stärken. Wir werden dafür sorgen, dass langfristig sichergestellt ist, dass diese Institution wirkt.

In den Bereichen Handwerk, Mittelstand und freie Berufe sind wir genauso unterwegs. Ich kann Ihnen aufgrund der Kürze der Zeit gar nicht alle Punkte auf meinem Zettel vorlesen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Können Sie uns ja zuschicken!)

Erwähnen möchte ich aber die Förderung des Instituts für Mittelstandsforschung, die institutionelle Förderung des Deutschen Handwerksinstituts, die Projektförderung und die Initiativen in den Bereichen Handwerk und Mittelstand oder die Handwerkspreise, die gerade wieder an vier besonders innovative Handwerksunternehmen vergeben worden sind.

All das zeigt, dass diese NRW-Koalition breit aufgestellt ist, bis hin zu Industrie und Start-ups.

Herr Becker, es ist übrigens wirklich lächerlich, dem Minister gegenüber zu behaupten, er agierte immer noch wie ein Wissenschaftsminister.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Das zeigt mir, dass Sie mit niemandem aus der Wirtschaft sprechen. Jeder, vom Handwerk über den Mittelstand und die Industrie bis hin zu Start-ups und Gründern, sagt, es sei unglaublich, wie dieser Minister in der Fläche vertreten sei.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Unglaublich, ja! Das stimmt!)

Ich sage Ihnen: Das macht dieses Land stark.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das gilt auch für den Tourismus und andere Bereiche. Sie sollten es besser wissen.

Eines gehört auch zur Wahrheit dazu – und das sage ich hier genauso offen –: Wir verschließen nicht die Augen vor den Herausforderungen, denen das Land begegnen muss, wie Sie es unter Rot-Grün getan haben.

Natürlich ist der Brexit eine große Herausforderung, und natürlich arbeitet die Landesregierung in allen Häusern daran, wenn es darauf ankommt. Auch der Brexit-Beauftragte Merz hat hier unterstützt und viel geholfen.

Das gilt zum Beispiel für den Bereich der Handelskonflikte. Nordrhein-Westfalen ist teilweise von den großen Trends in der Welt abhängig. Dementsprechend leiden wir als größtes Bundesland und auch als größtes Industrieland – dass Sie das erwähnen, ist auch lächerlich, Herr Becker – darunter, überproportional von bestimmten Trends betroffen zu sein.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ach nee! – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE] – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das sind doch jetzt Ausreden!)

Diesen Konjunkturdellen, diesen Risiken, die auch in der Fachkräfteproblematik begründet liegen, versuchen wir über alle Häuser hinweg und ganz sicher im MWIDE zu begegnen. Das gilt für die Steigerung der Erwerbstätigkeit – wir haben gerade noch über das KiBiz diskutiert –, den Wirtschaftsunterricht, der im MSB adressiert wird, die Mobilität oder den Klimaschutz durch Innovationen und andere Dinge, die im MWIDE auf der Tagesordnung stehen. Alle Häuser arbeiten hier gemeinsam Hand in Hand.

Stellvertretend zeigt insbesondere das Wirtschaftsministerium: Wir haben es geschafft, dass im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit wieder eine Willkommenskultur in diesem Land herrscht –

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Glauben Sie das alles eigentlich selber, was Sie da erzählen?)

eine Willkommenskultur für Investitionen und Innovationen. Darin liegt die Stärke.

Deswegen: NRW wird weiter aufholen. Wir werden NRW dahin bringen, wo es hingehört: auf Platz eins der Wirtschaftsländer in Deutschland. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Jetzt spricht Herr Loose für die AfD-Fraktion.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Industrieproduktion ist im Sinkflug, die Auftragseingänge sind im Sinkflug, und der Auftragsbestand ist ebenfalls im Sinkflug – so unternehmer nrw in ihrer aktuellen Studie.

Doch denken Sie jetzt bitte nicht, dass die Landesregierung daran Schuld habe. Nein, schuld sind natürlich immer die anderen: mal der böse Trump,

(Ralph Bombis [FDP]: Den mögen Sie ja!)

mal der Brexit oder auch mal die Konflikte am Persischen Golf. – Diese Nebelkerzen werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Die Probleme in NRW sind hausgemacht. Der letzte Strukturwandel ist gescheitert. Die Menschen im Ruhrgebiet werden im Stich gelassen: 12 % Arbeitslosigkeit in Duisburg-Nord, 12 % in Gelsenkirchen-Süd. Und jetzt kommt die Landesregierung darauf, auch noch den Kohleausstieg zu erzwingen – gegen die Interessen der Arbeiter, gegen die Interessen der Industrie.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Gegen die Interessen von RWE!)

Aber die Arbeiter werden besänftigt – zumindest die im Tagebau; denn sie sollen eine hohe Abfindung bekommen.

Auch die Industrie soll besänftigt werden und Rabatte auf den Strompreis erhalten.

Aber eines vergessen Sie immer: wer das Ganze bezahlen soll. Das ist die Krankenschwester, die jeden Morgen aufsteht und zur Arbeit fährt. Das ist der Malocher am Band. Das ist die Verkäuferin. Und das sind die Arbeiter in der energieintensiven Industrie, wenn nämlich deren Arbeitgeber Schritt für Schritt ins Ausland abwandern. Herr Becker hat viele Zahlen genannt.

Die Firmen investieren nicht mehr in Deutschland, sondern vornehmlich im Ausland, insbesondere in China. Am Ende werden die Mitarbeiter in Deutschland zurückgelassen – so zurückgelassen wie zum Beispiel die Bergleute, die Sie ebenfalls im Stich gelassen haben, wie wir im Sommer gesehen haben. Denn neue Jobs sind rar.

NRW ist nämlich führend bei den Arbeitslosenzahlen. Jeder dritte Arbeitslose kommt aus NRW. Besonders betroffen sind übrigens Ausländer. Von den 626.000 Arbeitslosen sind mehr als 200.000 Ausländer.

Aber statt sich um die Arbeitslosen zu kümmern, verteilen Sie lieber mit vollen Händen Geld. So freuen Sie sich unverhohlen über das Subventionsprogramm der EU. Das Ganze bezeichnen Sie auch noch als das bedeutendste Programm in Ihrem Haushalt. Dabei hat Deutschland – besser gesagt: haben die Steuerzahler in Deutschland – vorher den doppelten Betrag an die EU überwiesen. Sie freuen sich jetzt, wenn Sie die Hälfte davon zurückbekommen.

Dann werden in Sitzungen von 50 Leuten und mehr die Gelder von einem Topf in den anderen Topf geschoben. Dieses Förderprogramm namens EFRE ist eines der größten Bürokratiemonster der EU.

Beim EFRE-Programm soll es aber eigentlich darum gehen, dass diese Gelder den Regionen zukommen, die wirtschaftlich am schlechtesten dastehen. Wir würden jetzt erwarten, dass zum Beispiel Duisburg oder Gelsenkirchen Geld bekommt. Aber nein, die größte Summe geht natürlich an die Region des Herrn Ministerpräsidenten. Die Region Aachen erhält mit Abstand die meisten Gelder aus diesem Programm. Aber wahrscheinlich haben wir alle nur übersehen, dass Aachen das Armutshaus NRWs ist.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Sie haben doch gar keine Ahnung!)

– Ich bin im Begleitausschuss OP EFRE. Sie habe ich da noch nicht gesehen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Keine Ahnung!)

– Letzte Woche war die Präsentation. Sie hätten einfach da sein sollen. Dann hätten Sie es gewusst.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Ich lade Sie mal ein!)

– Ich war in der Sitzung des Begleitausschusses. Sie waren nicht da. Ich habe Sie nicht gesehen. Sie können aber gerne eine Frage stellen.

Gute konservative Politik heißt aber auch mal sparen. Stattdessen werden auch gut laufende Branchen mit Geld gefüttert, bis sie sich überfressen.

Deshalb bekommt auch Tourismus NRW mehr Geld. Dort holt man sich dann neue Berater, und heraus kommt eine neue Datenbank für Bilder von Hotels, also etwas, was die Bürger bereits kennen. Das nennt sich Booking.com, HolidayCheck oder Tripadvisor. Buchen sollen Sie mit dem System von Tourismus NRW allerdings nicht können. Sie sollen sich nur informieren. Ganz ehrlich: Wenn die Kunden einen Urlaub buchen wollen, wollen sie sich nicht auf einer Seite informieren und auf einer anderen Seite buchen. Sie wollen direkt wissen, welches Hotel überhaupt noch verfügbar ist, und dann direkt buchen. Das können sie mit dem System von Tourismus NRW nicht. Insofern ist das eine vorhersehbare Totgeburt, die viele Millionen Euro kosten wird.

Wir lehnen Ihre Geldverschwendung, Herr Pinkwart, und Ihren Subventionshaushalt ab und empfehlen Ihnen: Kommen Sie endlich zurück zum System der sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen ist das mit Abstand einwohnerstärkste Bundesland und auch das gemessen am Bruttoinlandsprodukt nach wie vor wirtschaftsstärkste Bundesland. Gleichwohl hat Nordrhein-Westfalen über längere Strecken nicht die Performance gezeigt, die dieses Land hätte zeigen können. Die Potenziale sind nicht in hinreichendem Maße genutzt worden.

Ich möchte nur die amtliche Abschlussbilanz, für die nicht wir bezahlt haben, sondern die offiziell vom RWI festgestellt worden ist, verlesen, Herr Becker. In Ihrem letzten vollen Regierungsjahr 2016 ist das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland um 1,9 % gewachsen; in Nordrhein-Westfalen waren es 0,9 %. Zwischen 2010 und 2017 ist das Wachstum jedes Jahr um im Durchschnitt 0,8 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt geblieben.

Das erklärt die höhere Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen und auch manch anderen Rückstand gegenüber anderen Bundesländern, den wir erlebt haben.

(Ralph Bombis [FDP]: So ist es!)

Dies hat viele Ursachen. Aber eines ist klar: Damit kann und darf sich dieses Land nicht zufriedengeben. Wir müssen hart daran arbeiten, dass es in den nächsten Jahren besser wird. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich empfinde es nicht als Beschimpfung, dass Sie mir bescheinigen, ich hätte vielleicht auch etwas mit den Wissenschaften zu tun. Ja, ich bin auch für Innovation zuständig. Innovation findet an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft statt. Ich arbeite mit meiner geschätzten Kollegin Frau Pfeiffer-Poensgen konkret daran, dass wir die Mittel, die das Land Nordrhein-Westfalen einsetzt, die Sie, das Hohe Haus, uns als Landesregierung dankenswerterweise zur Verfügung stellen, die die Steuerzahler dankenswerterweise bereitstellen und die wir für Forschung und Wissenschaft ausgeben, in Zukunft noch stärker mit der Praxis in Verbindung bringen und durch besseren Transfer, auch durch Förderung von Start-ups, nutzen können, um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger und die Arbeitsplätze zukunftsträchtiger zu machen.

Daran arbeitet diese Landesregierung. Wir sind technologieoffen. Wir haben keine ideologischen Scheuklappen, wie das vorher der Fall war. Wir nutzen die Chancen der Hochschul- und Forschungseinrichtungen

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

und versuchen, mit den Firmen zusammenzuarbeiten.

Das gilt auch für ein Kernthema, das gerade von Ihrer Fraktion, Herr Becker, über Jahre immer wieder propagiert wird, nämlich den Klimaschutz. Wir haben als erste Landesregierung – und nicht Sie – gesagt: Wenn wir zu den Pariser Klimaschutzzielen stehen – und das tun wir –, wenn die Industrie sich bis zur Mitte dieses Jahrhunderts in Richtung Klimaneutralität entwickeln soll und wenn wir alle als Gesellschaft uns in Richtung Klimaneutralität entwickeln wollen, dann werden wir das nicht erreichen können, indem wir nur inkrementelle Innovationen betreiben und Energieeffizienz weiter vorantreiben, wie wir das über Jahrzehnte durchaus erfolgreich hier am Standort Nordrhein-Westfalen getan haben; dann werden wir auch zu disruptiven Innovationen kommen müssen.

Wir haben eine Landesinitiative mit über 30 Industrieunternehmen gegründet, Herr Sundermann. Wir haben uns mit den Industrieunternehmen, mit den Betriebsräten und mit den Gewerkschaften abgestimmt und uns gefragt: Wie schaffen wir es in Nordrhein-Westfalen, unser Know-how an den Forschungseirichtungen in der Wissenschaft zu nutzen und zusammen mit der Industrie zu einer klimaneutralen Industrie in Nordrhein-Westfalen zu kommen?

Auf dieser Grundlage entwickeln wir unsere Wasserstoffstrategie – aber nicht nur als ein Papier. Denn wir setzen es schon um. Wir sind das erste Land der Welt, das zeigt, dass wir am laufenden Hochofen die Kohlenstoffreduktion durch Wasserstoffreduktion ersetzen können –

(Beifall von der CDU und der FDP)

eine weltweite Premiere hier in Nordrhein-Westfalen. Das treiben wir voran. Wir setzen mit IN4climate diese Initiative um.

Wir sprechen mit der Industrie – mit Chemie, mit Zement, mit Stahl, mit Glas. Wir reden mit allen auch über die Frage der Genehmigungsverfahren. Wie bekommen wir das hin, und zwar möglichst schnell? Und: Welche Technologien haben wir, um das tatsächlich umsetzen zu können?

Dann kommt uns doch wieder der eigene Standort zugute. Wir haben hier einen tollen Anlagenbau. Wir haben Maschinenbau, gerade in der Metropole Ruhr. Auch durch die gute Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften – das will ich unterstreichen –, mit den Betriebsräten und mit den Unternehmensleitungen haben wir die Initiative „Spitzencluster Industrielle Innovationen“ im Ruhrgebiet gestartet. Hier wollen wir die Elektrolyseure entwickeln. Hier wollen wir auch digitale Instrumente entwickeln, damit die Industrie und die verschiedenen Branchen diese Entwicklungen mit neuesten Technologien voranbringen können.

Wenn wir hier in Nordrhein-Westfalen zeigen können, wie das geht, dann schaffen wir für diese Industrien auch die internationalen Marktplätze, auf denen sie die Technologien später weltweit vertreiben können.

So begreifen wir unsere Arbeit in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen die großen Herausforderungen durch den Klimawandel. Wir sehen die Globalisierung. Wir sehen die Themen in der Digitalisierung und auch in der Demografie. Wir nutzen die Technologien, die wir haben. Wir bringen die Menschen zusammen. Mit ihnen zusammen arbeiten wir hier in Nordrhein-Westfalen daran, dass dieser Standort wieder seine Leistungsfähigkeit entfalten kann. Dafür machen wir unsere Entfesselungspolitik. Dafür machen wir unsere Forschungs- und Innnovationspolitik.

Ich danke den Regierungsfraktionen sehr herzlich für die tolle Unterstützung und für die Mittel, die uns hierfür im Haushalt bereitgestellt werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen zum Teilbereich a), Wirtschaft, nicht vor, sodass ich die Aussprache dazu schließe.

Wir kommen zum Teilbereich

 

b) Energie, Landesplanung

Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Sundermann für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte sehr.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen zum Teilbereich Energie beginnen, indem ich an den Teilbereich Wirtschaft anknüpfe. Was kann die Landesregierung in diesem Bereich noch mehr tun? Der Staat kümmert sich um Infrastruktur. Das ist eine aktive Wirtschaftspolitik und auch eine aktive Energiepolitik. Hier sehen wir an zwei Stellen ein deutliches Systemversagen.

Das Erste ist – das werden wir gleich unter dem Punkt „Digitales“ diskutieren –: Der Breitband- und Glasfaserausbau ist in Nordrhein-Westfalen privatisiert und funktioniert nicht.

Das Zweite ist – das ist jetzt unser Bereich – der Ausbau der Übertragungsnetze. Vier Netzbetreiber sollen diesen Netzausbau in Deutschland vornehmen. Wir stellen fest: Es klappt nicht. Wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen wir da. Wir initiieren Maßnahmen, schauen und fragen uns, was man tun kann, um die Energiewende zu gestalten. Aber einer der wichtigsten Bestandteile, vielleicht der wichtigste überhaupt, nämlich der Netzausbau, funktioniert an dieser Stelle nicht.

Meine Damen und Herren, was kann man denn dann tun? Natürlich fallen uns als Erstes die Genehmigungen ein. Die Genehmigungsverfahren müssen schneller werden. Der Minister hat letztes Mal in einem Halbsatz ein weiteres Deregulierungspaket angekündigt. Ich sage Ihnen: Ja, das ist wichtig. Natürlich ist es wichtig, dass auch wir hier die entsprechenden Dinge tun. Unterhalten Sie sich einmal mit den Leuten von Amprion. Aber es ist zu spät, Herr Minister. Sie haben sich als Erstes um die Hygieneampel gekümmert und kümmern sich erst jetzt um den Netzausbau. Das ist eine falsche Prioritätensetzung.

(Beifall von der SPD)

Als Zweites geht es um die Bereitschaft der Unternehmen, dieser vier Netzausbaubetreiber, mehr Geld in die Hand zu nehmen und schneller zu werden. Wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, ob sich der Staat nicht an diesen Netzagenturen, an diesen Unternehmen, beteiligt. Denn ich glaube, dass bei diesem wichtigen Infrastrukturprojekt der Staat es besser und schneller macht als die Unternehmen, die es heute tun. An dieser Stelle – das können wir, glaube ich, feststellen – unterscheidet sich unser wirtschaftspolitischer Ansatz sehr deutlich, meine Damen und Herren.

Damit komme ich zu dem nächsten Punkt, auf den ich eingehen möchte. Wir setzen uns immer zwei entscheidende Benchmarks, wenn wir über Energiepolitik reden. Die eine Benchmark ist das Klimaabkommen von Paris, das wir alle einhalten wollen. Die zweite Benchmark ist, dass wir die Ergebnisse der WSB-Kommission und die entsprechenden Maßnahmen hier umsetzen wollen.

An dieser Stelle muss ich Kritik an der Landesregierung üben. Wir sind der Meinung – und nicht nur wir –, dass genau das nicht funktioniert. Wir haben uns in der WSB-Kommission auf einen Ausstiegspfad festgelegt. Wie steigen wir aus der konventionellen Energieversorgung aus? Auf der anderen Seite brauchen wir dann natürlich einen Zuwachs an erneuerbaren Energien, die dieses Delta schließen.

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle aus einer Anhörung zitieren. Diese Anhörung hat sich mit den Maßnahmen beschäftigt, die Sie über Ihre Energieversorgungsstrategie aufgelegt haben. Der BDEW äußert sich zu Ihrer Energieversorgungsstrategie folgendermaßen:

„Kritisch sieht der BDEW allerdings die aus unserer Sicht weiterhin zu geringen Ambitionen der Landesregierung in Bezug auf den nötigen weiteren Ausbau der Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik.“

Der BDEW regt an, dass die Landesregierung ihre Haltung dort ändert.

Der VKU führt aus:

„Bei der Windenergie an Land bleibt die Strategie allerdings hinter unseren Erwartungen zurück. Hier gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch (Ausbauziele) und Wirklichkeit …“

Das stellen also nicht nur wir fest, sondern das stellen maßgebliche Akteure fest, die sich mit Energie in unserem Land beschäftigen.

Meine Damen und Herren, Sie bedienen sich immer wieder der Taktik, auf den Bund zu verweisen. An allen Stellen verweisen Sie auf den Bund. Jetzt sagen Sie: Der Bund legt 1.000 m fest; das hat auch Auswirkungen auf unsere Repowering-Aktivitäten. – Meine Damen und Herren, mit diesen Nebelkerzen werden Sie nicht durchkommen. Das wird nicht funktionieren.

Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich – ich habe Ihnen das schon im Ausschuss gesagt und wiederhole es hier gerne –: Diese Strategie hält bis zum 13.09.2020, bis zu den Kommunalwahlen.

Danach werden Sie diese Strategie einpacken müssen; denn sonst werden Sie den Energieausbau, den wir brauchen, nicht schaffen. Dann wird alles das scheitern, und dann werden genau die Benchmarks, die wir uns immer setzen – das Umsetzen des Klimaschutzabkommens und die Eins-zu-eins-Umsetzung der Ergebnisse der WSB-Kommission –, nicht erreicht. Ihre Energiepolitik wird genau an diesem Punkt scheitern. Deswegen lehnen wir sie auch ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Kollege Rehbaum das Wort.

Henning Rehbaum (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Energiewende erleben wir eine Operation am offenen Herzen der größten Volkswirtschaft Europas. Wir schalten bis Ende 2020 die sechs letzten Atomkraftwerke ab. Jedes dritte Kohlekraftwerk wird in den nächsten zwei Jahren geschlossen. 60 % der Kohlekraft werden bis 2030 vom Netz gehen, und der Rest wird 2038 oder eventuell sogar schon 2035 vom Netz gehen.

Gleichzeitig müssen wir die Erneuerbaren in gleichem Maße ausbauen, ebenso wie Gaskraftwerke, Leitungen und Speicher. Das ist eine riesengroße Aufgabe.

Wenn wir es falsch machen, werden wir nicht nur Stromausfälle erleben, sondern auch die Verteuerung von Strom, die Aufgabe von Unternehmen oder die Verdrängung der Produktion ins Ausland und Arbeitslosigkeit mit all ihren negativen Effekten für die Betroffenen und für die Gesellschaft. CO2 wird in diesem Falle im Ausland ausgestoßen, und dem Klima wäre nicht geholfen.

Wenn man es richtig macht – und das wollen wir –, ist die Energieversorgung für die Bürger, für die Unternehmen und zum Beispiel auch für die Krankenhäuser zu jeder Sekunde des Jahres sichergestellt. Dann sind die Strompreise für Familien und Firmen bezahlbar, ist der Strukturwandel erfolgreich gemeistert, produzieren die Unternehmen bei uns vor Ort mit gut bezahlten Arbeitsplätzen und halten wir die CO2-Ziele von Paris ein.

Wir als NRW-Koalition wollen, dass die Energiewende eine Erfolgsgeschichte wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Als Zwischenbilanz können wir festhalten, dass Nordrhein-Westfalen das Ziel eines um 25 % reduzierten CO2-Ausstoßes im Vergleich zu 1990 bereits deutlich erfüllt. Das reicht uns aber nicht. Mit dem Koalitionsvertrag und den Haushalten für Klimaschutz seit 2017 haben wir uns enorm ins Zeug gelegt.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle das außerordentlich niedrige Haushaltsniveau, das wir 2017 von Rot-Grün für den Bereich Energie und Klimaschutz übernommen haben. Wenn das die Leute wüssten! Die Grünen, diejenigen mit dem längsten moralischen Zeigefinger, geben am wenigsten Geld für den Klimaschutz aus. Miesepetrig die Menschen im Alltag gängeln, Einfamilienhäuser, Flugreisen und Luftballons verbieten, die Industrie aus dem Land ekeln,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wie wohnen Sie denn? Herr Rehbaum aus dem Kreis Warendorf, wie wohnen Sie denn?)

die Lasten der Energiewende völlig einseitig auf den Bürgern außerhalb der Großstädte abladen

(Beifall von der CDU und der FDP)

und vor Ort gegen Windräder und Stromleitungen demonstrieren, bis die Schwarte kracht: Das ist grüne Doppelmoral!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

So spaltet man das Land. So fährt man die Energiewende vor die Wand.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das tun Sie doch! Sie machen das!)

Es gibt Klima-Kipppunkte, die wir unbedingt vermeiden müssen. Es gibt aber auch gesellschaftliche Kipppunkte. Auch diese müssen wir sehr ernst nehmen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ja! – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Energiewende darf doch kein Strohfeuer sein. Sie muss nicht nur bis zur Kommunalwahl 2020, zur Bundestagswahl 2021 oder zur Landtagswahl 2022 wirken.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist das Einzige, was Sie interessiert: Die nächsten Wahltermine!)

Nein, Klimaschutz muss dauerhaft funktionieren.

Unternehmer und Arbeitnehmer müssen auf diesem steinigen Weg mitgenommen werden und begeistert dabeibleiben. Sie brauchen Begeisterung, damit die nächste Familienkutsche ein E-Fahrzeug wird, Begeisterung dafür, sich statt eines Zweitwagens ein Jahresabo für die reaktivierte Schienenstrecke zuzulegen, Begeisterung für die neue Photovoltaikanlage zu Hause auf dem Dach und Begeisterung für Innovationen wie die wasserstoffbasierte Stahlproduktion

(Horst Becker [GRÜNE]: Das habt Ihr doch alles kaputt gemacht!)

mit IN4climate in Duisburg, Flüssigsalz-Energiespeicher im Rheinischen Revier oder die Batterieforschungsfertigung in Münster.

Der Haushalt der CDU/FDP-Regierung für Energie und Klimaschutz spricht eine klare Sprache. Seit 2017 haben wir den Ansatz für Energie und Klimaschutz von Rot-Grün mehr als verfünffacht: insgesamt 165 Millionen Euro im Jahr 2020, mehr Geld für IN4climate und die treibhausgasneutrale Industrie der Zukunft, 40 Millionen Euro für Elektromobilität.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das stimmt doch alles nicht!)

Seit 2017 haben wir 11 Millionen Euro für 1.500 Anträge für stationäre Akkus bei Photovoltaikanlagen ausgegeben. Im nächsten Haushalt stehen 10 Millionen Euro für kommunalen Klimaschutz, 11 Millionen Euro für die Energieforschung zum Beispiel in Bezug auf Wasserstoff, 29 Millionen Euro Kofinanzierung für Maßnahmen im Rheinischen Revier und weitere 174 Millionen Euro für Verpflichtungsermächtigungen für diese große Aufgabe.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, gerade bei der Energiewende gilt: Reden ist Silber, Machen ist Gold.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von Wibke Brems [GRÜNE])

Nicht gegen die Unternehmen, Herr Becker, sondern nur gemeinsam mit unseren Unternehmen, mit Bürgerinnen und Bürgern, die wir mitnehmen, statt sie zu verprellen, und mit unseren Kindern, die uns immer wieder motivieren, für eine gute Zukunft in unserem Land zu sorgen, werden wir es schaffen: eine starke, wettbewerbsfähige, mittelständisch geprägte Wirtschaft, gut bezahlte Arbeitsplätze und Klimaschutz made in NRW. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Brems das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss jetzt einmal mit der einen oder anderen Aussage aufräumen.

Das Budget des Kapitels für Klimaschutz und Energiewende wird im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht reduziert. Das hörte sich gerade ein bisschen anders an. Zum einen sind die Aufwüchse, die Sie gerade genannt haben und ja immer im Namen des Klimaschutzes für sich reklamieren, nicht im aktuellen Jahr zu verzeichnen, sondern stammen aus vergangenen Jahren. Zum anderen möchte ich daran erinnern – wir haben das schon öfter miteinander debattiert –, dass es sich bei einem Großteil davon auch um Mogelpackungen handelt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Aha!)

Ich sage Ihnen gerne noch einmal, welche Mogelpackungen das sind. Die erste Mogelpackung betrifft den Aufwuchs von 2018 auf 2019. Da waren zum Beispiel 40 Millionen Euro bei dem Titel für die Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr vorgesehen. Dieses Projekt hat sich verschoben und wird auch im Jahr 2020 nicht realisiert werden. Das heißt: Diese Millionen stehen nur auf dem Papier. Damit ist erst einmal nichts weiter passiert. Sie wurden nicht beansprucht.

Deswegen sind diese Mittel jetzt für das nächste Jahr umgeschichtet worden – 20 Millionen Euro in die Forschungsfertigung Batteriezelle in Münster und 10 Millionen Euro in die Unterstützung des Strukturwandels im Rheinischen Revier.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das sind doch gute Sachen!)

– Ich wusste genau, dass der Einwand kommt, dass das gute Sachen sind. Dagegen sage ich auch kein einziges Wort, Herr Rehbaum. Dagegen sage ich nichts. Diese Sachen sind richtig und wichtig. Aber sie sind originär kein Klimaschutz. Denn den Strukturwandel müssen wir sowieso bewältigen. Dann können Sie das nicht als Aufwuchs im Klimaschutzbereich bezeichnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Sie sagen, dass Sie die Forschungsfertigung Batteriezelle jetzt fördern wollen und dass das Klimaschutz ist.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wir steigen aus der Kohle aus!)

Entschuldigung; dann müssten Sie doch alles, was im Bereich Forschung und Entwicklung passiert und Energiewende und Speicher angeht, in dieses Ministerium bringen. Genau dafür gibt es doch diese Aufteilung.

Das ist aber nur ein Teil. Die zweite Mogelpackung ist, dass ein anderer großer Batzen der Mittelaufstockung in den vergangenen Jahren in die Elektromobilität ging. Das haben Sie gerade auch selber gesagt.

(Henning Rehbaum [CDU]: Gute Sache!)

Ich möchte Sie noch einmal auf Folgendes hinweisen: Elektromobilität ist nur dann gut für den Klimaschutz, wenn wir auch etwas am Strommix ändern und stärker in Richtung erneuerbare Energien gehen. Das tun Sie aber wieder nicht. Das sehen wir an anderen Stellen immer wieder.

(Beifall von den GRÜNEN)

Solche Anstrengungen erkennen wir weder im Haushalt noch an sonstigen Stellen. Sie bauen die erneuerbaren Energien eben nicht entsprechend aus. Sie haben gerade gesagt, dass Sie sich bemühen. Das ist ja schön. An vielen Stellen reicht das aber nicht. Beim Klimaschutz reicht es nicht.

An einer Stelle bemühen Sie sich auch gar nicht. Denn bei der Windenergie wollen Sie nur den Deckel draufmachen, um ihr den Todesstoß zu versetzen. Und so funktioniert das einfach nicht.

Dann möchte ich zu dem kommen, was in diesem Jahr passiert. In diesem Jahr wird nämlich bei der klimaneutralen Landesverwaltung, obwohl es immer darum geht, dass wir eine Verantwortung haben und ein Vorbild sein müssen, das Budget statt einer dringend notwendigen Mittelerhöhung erneut reduziert.

Alles das ist kein klimapolitischer Aufbruch. Statt kurzfristig wirksamer Klimaschutzprojekte, die wir dringend bräuchten, sehen Sie wieder irgendwelche Langfristprojekte vor, die Sie dann in die Zukunft verschieben.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Brems, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Rehbaum möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie sie zulassen.

Wibke Brems (GRÜNE): Ja, natürlich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Henning Rehbaum (CDU): Liebe Kollegin Brems, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade von dem Todesstoß für die Windenergie gesprochen. Haben Sie denn mitbekommen, dass wir im Bundesrat erfolgreich einen Antrag durchgebracht haben, in dem es darum geht, zusätzliche Ausschreibungsvolumina in den Markt zu geben? Und was halten Sie eigentlich davon, dass bundesweit mittlerweile 234 Windenergieanlagen durch Artenschutzklagen verhindert werden sollen?

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Sie haben das Wort, Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank. – Das waren ja mal wieder zwei kombinierte Fragen; sehr spannend.

(Henning Rehbaum [CDU]: Ein Thema!)

– Wir kriegen das hier alles miteinander hin. – Ich habe Sie oder auch die Kollegen, die sich im Bundesrat für zusätzliche Ausschreibungsvolumina engagiert haben, dafür gelobt und gesagt: Das ist ein erster positiver Schritt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Aha!)

– Ich bin ja gerne bereit, das auch zu sagen, wenn es richtig ist. – Dann möchte ich Sie aber auch darauf hinweisen, dass das Ganze noch gar nichts gebracht hat. Wenn wir uns die Ausschreibungsergebnisse angucken, finden wir – ganz aktuell – am 1. November 2019 keine einzige Windenergieanlage bundesweit.

(Dietmar Brockes [FDP]: Also ist Nordrhein-Westfalen daran schuld!)

Dann hilft es auch nichts, wenn man die Volumina erhöht und sagt: Wir haben doch alles getan. – Nein, Sie haben nicht alles getan. Sie tun eben nicht alles. Sie machen mit Ihrer Debatte um Abstände den Leuten vor Ort dort Angst, wo es absolut nicht nötig ist. Das funktioniert so nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Das ist weit weg von der Realität, dass wir den Leuten Angst machen!)

Dann spielen Sie den Naturschutz dagegen aus. Das passt vorne und hinten nicht. Sie machen sich doch lächerlich. An dieser einen Stelle ist Ihnen der Naturschutz auf einmal wichtig, obwohl er Ihnen sonst vollkommen egal ist.

Ich finde, dass man Naturschutz und Klimaschutz auch beim Thema „Windenergie“ miteinander in Einklang bringen kann, wenn man dafür beispielsweise Mediationsangebote macht. Die entsprechenden Mittel hat diese Landesregierung auch gekürzt, weil sie gesagt hat: Den von der Vorgängerregierung eingeführten EnergieDialog brauchen wir nicht. – Doch, wir brauchen genau solche Mediationsangebote.

Aber Sie wollen das alles nicht. Sie wollen im Grunde genommen die Windenergie kaputtmachen. Leider gelingt Ihnen das ja auch.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Sie haben gesagt, dass Ihnen die toten Vögel völlig egal sind! Auf dem Podium in Aachen!)

– Herr Brockes, ich habe noch nie gesagt, dass mir Vögel oder die paar Vögel egal sind. Das ist einfach eine Lüge. Das stimmt nicht.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Herr Brockes, Ihnen sind Naturschutz und Artenschutz doch völlig egal! – Weitere Zurufe und Gegenrufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie sich in dieser Haushaltsdebatte auch – ergänzend zu den Beratungen in den Fachausschüssen – austauschen. Hier hat jetzt aber Frau Abgeordnete Brems in der Aussprache zu dem Einzelplan 14 und dem Teilbereich Energie und Landesplanung das Wort. Es ist ein Gebot der Wertschätzung und der Höflichkeit, hier eine Atmosphäre zu haben, in der ein Zuhören auch möglich ist. – Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich komme zurück zu den Punkten, die ich noch ansprechen wollte, da sie wichtig wären und in einen solchen Landeshaushalt hineingehören. Wir haben schon vor einigen Wochen angefangen, darüber zu debattieren.

Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen ein Investitionsprogramm für die Kommunen, denn vor Ort passiert Klimaschutz und dort passiert auch Klimafolgenanpassung.

Da passiert hier aber noch viel zu wenig. Die Kommunen haben eine viel zu langsame Anpassungsstrategie. Sie brauchen Unterstützung, sie schaffen das alleine einfach nicht. Deswegen sind wir für ein solches Investitionsprogramm. Für Klimaschutzmanagerinnen, Klimaschutzkonzepte und Klimaanpassungskonzepte wären mindestens noch 40 Millionen Euro zusätzlich notwendig, damit es auch da ankommt, wo es wirklich vonnöten ist.

Morgen werden wieder viele junge Menschen auf der ganzen Welt für mehr Klimaschutz streiken, auch hier vor dem Landtag.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Was Sie hier als Klimaschutz verkaufen, reicht diesen Menschen zu Recht nicht. Es reicht nicht, sich einfach nur zum Klimaschutz zu bekennen. Das ist schön und löblich und mehr, als hier manch andere tun. Aber Sie müssen auch danach handeln. Wir brauchen einen Kohleausstieg auf Bundesebene.

(Henning Rehbaum [CDU]: An uns soll es nicht liegen!)

Wir brauchen eine Stilllegung der Zertifikate. Das ist der eine Punkt, dafür sollten Sie sich auch einsetzen. Außerdem müssen Sie hier vor Ort die erneuerbaren Energien ausbauen, denn wenn man Wasserstoff in einen Hochofen einblasen will – und das in Zukunft vermehrt –, braucht man dafür erneuerbare Energien.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das können Sie nicht unabhängig voneinander sehen. Sie müssen die Kommunen unterstützen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Genau das haben wir vor, Kollegin!)

Sie müssen eigene Förderprogramme daraufhin überprüfen, ob sie auch wirklich mit dem Klimaschutz vereinbar sind. Zu einer nachhaltigen Finanzpolitik gehört, die nächsten Generationen im Blick zu behalten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ein ständiger Prozess!)

Die nächste Generation steht morgen wieder buchstäblich vor Ihrer Tür und fordert statt ewiger Ausflüchte Ihr engagiertes Handeln beim Klimaschutz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Brems. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Freynick das Wort.

Jörn Freynick (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Brems! – Sehr geehrte Frau Kollegin Brems, schade, dass Sie es leider nicht schaffen, kurz zuzuhören.

(Wibke Brems [GRÜNE] wendet sich dem Redner zu.)

– Frau Brems, jetzt habe ich auch Ihre Aufmerksamkeit. Hervorragend. Ich will deutlich sagen: Wir können uns nicht allein auf Windenergie und Windräder konzentrieren, wenn wir über erneuerbare Energien sprechen.

(Beifall von der FDP – Wibke Brems [GRÜNE]: Das habe ich doch überhaupt nicht getan!)

Wir haben alle erneuerbaren Energien im Blick. Die Vorgängerregierung hatte hier falsche Prioritäten und hat allein auf Windenergie gesetzt. Das fällt Ihnen, fällt uns allen heute auf die Füße.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die NRW-Koalition verfolgt eine intelligente

(Zuruf von den GRÜNEN: Ooh! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Energie- und Klimaschutzpolitik, die Impulse für Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit setzt und gleichzeitig den Herausforderungen des Klimawandels erfolgreich begegnet.

Für uns als NRW-Koalition ist klar, dass die Minderung der Treibhausgasemissionen eine ökologische Notwendigkeit darstellt und gleichzeitig als wichtiger Treiber zur Modernisierung wirtschaftlicher Strukturen beiträgt.

Hierbei messen wir dem Rheinischen Revier eine große Bedeutung zu. Mit unserem Sofortprogramm, das in diesem Jahr gestartet wurde, haben wir die Förderung des Bundes landesseitig ergänzt. Dadurch haben wir in der Region eine Aufbruchsstimmung erzeugt, die erste Früchte trägt.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Freynick, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Kollegin Müller-Witt. Wo ist sie? – Ah, sie sitzt ordnungsgemäß auf ihrem Platz, wunderbar. – Werden Sie die Zwischenfrage zulassen?

Jörn Freynick (FDP): Ich lasse sie zu, ja.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Kollegin Müller-Witt, Sie haben das Wort.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herzlichen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Landesregierung eine so intelligente Strategie auflege.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Gestern hat das DIW eine Studie zu den erneuerbaren Energien, ihrer Akzeptanz und ihrer Umsetzung veröffentlicht. Darin ist Nordrhein-Westfalen von Platz 13 auf Platz 16 gefallen. Können Sie mir den Zusammenhang zwischen der intelligenten Strategie und Platz 16 erklären?

(Ralph Bombis [FDP]: Akzeptanz!)

Jörn Freynick (FDP): Frau Müller-Witt, ich finde, wir müssen uns einfach mal ansehen, was in der Vergangenheit passiert ist.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Es gab hier in Nordrhein-Westfalen einen massiven einseitigen Ausbau der Windenergie.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Quatsch!)

Das ist es, was die Bürgerinitiativen und die Bürger in diesem Land auch heute noch beschäftigt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das stimmt so nicht!)

Und das ist der Grund für eine sinkende Akzeptanz und dafür, dass die Menschen sagen: Wir wollen das in dieser Form nicht, wir wollen auch andere Energieträger haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das haben wir mit dem neuen Landesentwicklungsplan, aber auch mit anderen Entscheidungen deutlich gemacht, indem wir beispielsweise mehr auf die Photovoltaik setzen und dem hier auch Rechnung tragen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich war gerade beim Rheinischen Revier und bleibe noch ein bisschen dabei: Das geplante Wärmespeicherkraftwerk

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Keine Antwort ist auch eine Antwort!)

und die Entwicklung der Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland sind ein deutlicher Ausdruck dessen, was wir im Rheinischen Revier machen.

Darüber hinaus leistet die Zukunftsagentur Rheinisches Revier hervorragende Arbeit dabei, den dortigen Strukturwandel zu verwirklichen. Unser Ziel ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Beschlüsse der Kohlekommission.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Für diese Aufgabe schaffen wir als Land allein bei der Zukunftsagentur Rheinisches Revier 20 weitere Stellen.

Sie können es nicht ertragen, dass wir in NRW das CO2-Minderungsziel von 25 % gegenüber 1990 schon heute erreicht haben und voraussichtlich übertroffen werden.

(Zuruf von Sebastian Watermeier [SPD])

In Baden-Württemberg schafft es Ihr grüner Ministerpräsident nicht, diese Ziele zu erreichen.

(Beifall von der FDP)

Dort sind es lediglich 11 %. Wir hier in NRW haben unsere Hausaufgaben gemacht. Der Haushaltsentwurf 2020 verfolgt das Ziel eines innovativen, intelligenten und internationalen Energiesystems. Mit der in diesem Jahr von Minister Professor Pinkwart vorgelegten Energieversorgungsstrategie schaffen wir in NRW das, woran Berlin bisher gescheitert ist.

Wir sorgen für Planungssicherheit bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen. Unsere Strategie für eine effektive und effiziente Energieversorgung beinhaltet zügigen Netzausbau, Gewährleistung gesicherter Erzeugungskapazitäten und moderner Speichertechnologien und die Nutzung nachhaltiger Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien. Wir wollen die Dekarbonisierung unseres Landes und saubere Unternehmen. Die Umstellung und der Weg dorthin darf jedoch in keiner Weise den Industriestandort Nordrhein-Westfalen gefährden.

Um die Entwicklung einer treibhausgasneutralen Industrie voranzutreiben, bündeln wir in der von uns gestarteten Landesinitiative IN4climate das bestehende Know-how aus Wirtschaft und Wissenschaft, um die notwendigen Rahmenbedingungen für klimafreundliche Technologien in 2030 zu ermöglichen.

Landesplanung: In dem neuen Landesentwicklungsplan schaffen wir es, dass Kommunen einfacher und schneller Wohnraum vorsehen können. Wir werden damit für Unternehmen als Standort wieder attraktiver. Der neue LEP übervorteilt nicht allein mehr die Windenergie, sondern setzt auf eine größere Vielfalt, die auch die verstärkte Förderung von Photovoltaik und Geothermie einschließt.

Lieber Professor Pinkwart, ich danke Ihnen ganz herzlich für die ausgewogenen Änderungen am Landesentwicklungsplan. Das war ein hartes Stück Arbeit.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE] – Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber nicht gleich ausrutschen!)

Diese Beispiele zeigen: Mit dem Haushalt 2020 sorgen wir als NRW-Koalition dafür, unser Land zu modernisieren und klimafreundlicher zu machen und als Industriestandort Europas weiter zu sichern. Wir wollen ein modernes NRW gemeinsam und nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger gestalten, wie es die Vorgängerregierung mit dem Ausbau der Windkraft getan hat. Wir wollen die Menschen in unserem Land bei diesem generationenübergreifenden Prozess mitnehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Freynick. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Frau Brems: Morgen mögen Tausende von Menschen weltweit für das Klima hüpfen. Morgen werden aber auch 8.640 Kinder an Hunger sterben – ein Problem, das wir jetzt schon lösen könnten, und dafür brauchen Sie nicht für das Klima zu hüpfen, sondern Sie könnten vor Ort helfen.

Jetzt zum Haushalt: Wieder einmal plant der Minister mit Luftschlössern. Alle Experten wissen: Es gibt keine wirtschaftlich verfügbaren Standorte für Pumpspeicherkraftwerke in NRW. Nur die Landesregierung will es nicht wissen oder verstehen. Die Landesregierung braucht nämlich diese Luftschlösser namens Pumpspeicherkraftwerke, denn für die Verhinderung von Blackouts, die unweigerlich mit dem Fortschreiten der Energiewende kommen werden, braucht man halt große Speicher. Also täuschen Sie, lieber Herr Pinkwart, die Menschen und sagen: Na klar werden Pumpspeicherkraftwerke gebaut. Schließlich fördert das ja die Landesregierung mit zwei Millionen Euro.

(Dietmar Brockes [FDP]: Es gibt auch andere Möglichkeiten!)

Ihre Bürgertäuschung decken wir jedes Jahr aufs Neue mit unseren Anfragen, lieber Herr Brockes, auf. Wir haben auch bei der Haushaltsaufstellung wieder einmal gefragt, ob es denn überhaupt einen einzigen Interessenten in NRW gibt, der solch ein Pumpspeicherkraftwerk bauen will. Die Antwort der Landesregierung war wie schon im letzten Jahr: Es gibt keinen. – Trotzdem steht diese Lüge immer noch in Ihrem Haushalt.

Luftschlösser und Lügen – das ist der Grundstein Ihrer sogenannten Energiewende, und damit keiner diese Lügen aufdecken kann, gibt man das Geld der Steuerzahler lieber für Pseudowissenschaftler aus. Das von Ihnen geförderte Wuppertal Institut widmet sich dann so wichtigen Themen wie „Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik“.

Ihre sogenannte Klimapolitik ist eine Bankrotterklärung für eine ehemals freiheitliche Politik. So urteilte vor einigen Wochen der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, über die deutsche Klimapolitik – ich zitiere –:

„Die Politik setzt sich im Klimabereich immer ehrgeizigere Ziele, ohne sich um die Antworten zu scheren, wie wir dies industrie- und auch gesellschaftspolitisch erreichen können.“

Sie scheren sich nicht mehr um die Probleme der Bürger. Luftschlösser und Lügen. Sie ignorieren schlichtweg die Sorgen der Bürger.

Die Blackouts in der Industrie nehmen zu. Ihre Antwort darauf: versorgungssichere Kohlekraftwerke abschalten.

Mehr als 300.000 Haushalten wird der Strom abgestellt, weil diese den nicht mehr bezahlen können. Ihre Antwort darauf: noch höhere Strompreise, nämlich aufgrund Ihrer teuren Subventionen für KWK, Photovoltaikanlagen, Geothermie usw.

Die Menschen können sich nicht einmal mehr ein gebrauchtes Auto leisten. Ihre Antwort darauf: Förderung von überteuerten E-Autos, damit die Millionäre als Drittauto endlich ein E-Auto fahren können, und der Millionärssohn darf dann hier in Düsseldorf die Umweltspur nutzen, während der Malocher im Stau stehen darf.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja! Da war er wieder!)

Sie fördern auf dem Rücken unserer Bürger die Technologien des letzten Jahrtausends: Elektroautos, eine Technik, die im 19. Jahrhundert erfunden wurde und die von fortschrittlicheren Autos mit Verbrennermotoren abgelöst wurde. Inzwischen ist sogar die neueste Dieseltechnologie in der Lage, den Feinstaub in stark belasteten Städten wie Stuttgart aus der Luft zu filtern.

Auch Windkraftanlagen wurden schon vor Jahrhunderten genutzt, nämlich um Korn zu mahlen. Aber auch diese Anlagen wurden durch den technischen Fortschritt überholt.

Aber das schert Sie alles nicht. Sie wollen weiter die Techniken subventionieren, die bereits unsere Großväter nicht mehr haben wollten.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Oh Gott!)

Keine Frage: Wenn die Chinesen E-Autos haben wollen, dann verkaufen wir den Chinesen natürlich auch E-Autos. Nur dafür müssen wir doch nicht die Deutschen zwingen, ebenfalls E-Autos zu kaufen. Übrigens kaufen die Chinesen jedes Jahr etwa 22 Millionen Autos mit Verbrennermotor und nur eine Million E-Autos.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Immerhin!)

Und, Herr Pinkwart und liebe Grüne: Die Chinesen bauen inzwischen Kernkraftwerke direkt neben ihren Großstädten und nutzen die Abwärme als Fernwärme für ihre Bürger. Ich habe das aber noch nicht von Ihnen gehört, Herr Pinkwart, dass Sie jetzt ebenfalls Kernkraftwerke fördern wollen, weil die Chinesen die ja auch haben. Das wäre sogar CO2-neutral.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wo kommt der Müll hin?)

– Wenn es um Müll geht: Sie interessiert ja auch nicht, wie die Batterien hergestellt werden und wo das Kobalt herkommt. Oder sollen wir lieber „Kobold“ sagen? Das ist ja bei den Grünen eher der Begriff dafür.

(Beifall von der AfD)

Fragen Sie mal Frau Baerbock.

Bei den sogenannten Klimaschutzausgaben hauen Sie 164 Millionen Euro raus, und da sind noch nicht die fünf Milliarden Euro dabei, die die NRW-Bürger ohnehin über die EEG-Kosten zu tragen haben.

Doch was wurde in den letzten 14 Jahren deutschlandweit erreicht? – 239 Millionen Tonnen CO2 wurden eingespart, eine Menge, die in China in neun Tagen rausgehauen wird, emittiert wird. Das haben Sie alle in 14 Jahren gespart mit Ausgaben in Höhe von 189 Milliarden Euro.

Eine Zertifikatelösung wäre viel billiger gewesen. Ich habe Ihnen das mal vorgerechnet: etwa 2,5 Milliarden Euro. Die FDP behauptet immer, dass sie das wollte. Sie hätten es zwischen 2009 und 2013 selbst durchsetzen können, haben es aber nicht gemacht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Christian Loose (AfD): Herr Lindner redet von der Zertifikatelösung, während Sie den Irrsinn weiterführen.

Wir müssen endlich die Dauersubventionen durch EEG, KWK-Förderung und anderen Blödsinn beenden. Wir brauchen keinen Ökosozialismus, wir brauchen technologieoffenen Wettbewerb und Marktwirtschaft für den Energiemix der Zukunft.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Christian Loose (AfD): Sie können heute damit anfangen, Herr Pinkwart. Streichen Sie das Kapitel 14 300 und ersparen Sie den Bürgern 164 Millionen Euro. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Abgeordneter Loose für die Fraktion der AfD. – Als nächster Redner hat nun für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kurz zum Faktencheck: Herr Loose, der Verbrennungsmotor war vor dem Elektromotor da. Er geht auf Entwicklungen, die in Köln stattfanden, zurück: 1863 Otto und Langen, 1886 Carl Benz und 1905 die Radnabentechnologie von Ferdinand Porsche.

(Christian Loose [AfD]: Die Brennstoffzelle ist von 1838!)

Der Verbrenner war früher da, dann kam Elektro. Der Verbrenner hat sich aber durchgesetzt.

Jetzt erleben wir einen neuen Wettbewerb, und wir werden sehen, wie dieser entschieden wird. Wir sind nicht ideologisch, sondern gehen technologieoffenen ans Werk.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Davon merkt man aber nichts!)

Das gilt für Antriebstechnologien genauso wie für andere Technologien. Nur wäre es naiv, anzunehmen, dass wir in Deutschland alleine definieren könnten, wie die Welt fahren will. Um uns herum und auch in Europa haben manche Länder sich schon längst entschieden, ab einem gewissen Datum aus der Verbrennungstechnologie sogar ganz auszusteigen, was ich nicht empfehlen würde. Große Länder wie China, aber auch viele Bundesstaaten in Amerika haben sich dazu entschieden, andere Akzente zu setzen.

Wir leben davon, dass wir nicht nur die besten Autos der Welt erfinden und bauen, sondern auch davon, sie weltweit zu verkaufen. Deshalb müssen wir hier einen ganz starken Akzent setzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In Nordrhein-Westfalen tun wir das aus Gründen des Klimaschutzes, und deswegen ist hier auch, Frau Brems, die Batteriezellenfertigung völlig richtig verortet.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Das habe ich aber nicht gesagt!)

Dabei geht es nicht um den Forschungsanteil – der ist bei Frau Pfeiffer-Poensgen verortet –, sondern hier geht es um den Transfer bei den Themen der Speichertechnologie. Es geht nicht nur um den Speicher beim Elektroauto, sondern es geht bei der Batteriezellenforschungsfabrik um Batteriespeicher generell. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen ergründen, wie wir insbesondere Erneuerbaren-Strom speichern können; denn die Herausforderung bei der Weiterentwicklung unseres Energiesystems besteht doch darin, dass wir Schritt für Schritt von den fossilen Energien auf nachhaltige, erneuerbare Energien umstellen wollen.

Es ist nun einmal so, dass die Sonne nachts weniger scheint und der Wind nicht verlässlich 24 Stunden, sieben Tage in der Woche weht. Das ist keine neue Erkenntnis.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir müssen es schaffen, ein volatileres Energieangebot mit einer Nachfrage korrespondierend zum Ausgleich zu bringen. Wir müssen die Nachfrage flexibilisieren und Netze intensivieren, und wir brauchen Speicher im System, sowohl dezentral als auch überregional.

Genau das tun wir, und daran arbeiten wir gemeinsam mit allen anderen Bundesländern und dem Bund sehr intensiv. Das hätte in Deutschland vielleicht schon früher viel intensiver gemacht werden können. Aber wir haben in den letzten anderthalb, zwei Jahren bundesländerübergreifend noch einmal die Abstimmung intensiviert, und das ist auch dringend nötig.

Natürlich haben wir uns hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt ambitionierte Ziele gesetzt, das ist keine Frage. Aber warum sollten wir die Ziele nicht erreichen, wenn wir sie konsequent im Blick haben und die Maßnahmen umsetzen? Daran arbeiten wir auch.

Dafür können wir selbst eine Menge an Voraussetzungen schaffen; vieles davon ist bereits von Herrn Rehbaum und von Herrn Freynick sehr ausführlich und fundiert benannt worden, und es ist im Haushalt verankert. In dieser Hinsicht können wir vieles tun. Wir können die Rahmenbedingungen verbessern, aber wir sind natürlich auch darauf angewiesen, dass der Bund und andere Beteiligte ihre Rahmenbedingungen richtig setzen.

Reflexhaft sprechen Sie immer von dem Thema „Windkraft“: der Wind, der Wind. – Wenn es an Nordrhein-Westfalen läge, dann müssten alle anderen Länder in Deutschland beim Wind so was von dynamisch vorauseilen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das geschieht aber leider nicht, weil die Rahmenbedingungen bundesweit schwierig waren. Wir haben mitgeholfen, sie zu verbessern. Sie werden auch weiter besser werden, aber im Moment haben wir es mit Nachlaufeffekten zu tun. In diesem Jahr, einschließlich Oktober, ist Nordrhein-Westfalen in Deutschland auf Platz drei beim Windkraftausbau. In diesem Jahr sind achtmal mehr Windkraftkapazitäten ans Netz gegangen als im grün regierten Baden-Württemberg.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen: achtmal mehr!

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wir sind hier in NRW! – Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE] – Monika Düker [GRÜNE]: Es gibt auch welche, die besser sind!)

– Die Fläche ist gleich groß. – Im Brandenburger Wahlkampf plakatieren die Grünen: mindestens 1.000 m Abstand.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Habeck sagt im Fernsehen bei Lanz – ich habe mir den Mitschnitt kommen lassen –: Auf dem Land brauchen wir einen Mindestabstand, weil wir an die Akzeptanz denken müssen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wir haben das nicht in den LEP geschrieben, sondern Sie!)

Ich kann Ihnen den Ausdruck schicken.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Sie sind für NRW zuständig, meine Güte! – Weitere Zurufe)

– Aber entschuldigen Sie mal: Ihr Bundesvorsitzender, den Sie gerade wiedergewählt haben, ist für ganz Deutschland zuständig.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Wir sind in NRW!)

Ist der denn nicht auch für Sie relevant? Haben Sie den wegdefiniert?

(Beifall von der CDU, der FDP und Sven Werner Tritschler [AfD])

Er sagt, wir bräuchten einen Mindestabstand zur Akzeptanz und plädiert für Offshorewind.

(Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Pscht!

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Er plädiert für starken Netzausbau.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wir können Ihnen auch jeden Tag Herrn Lindner vorhalten!)

Ich bin nicht geneigt, Herrn Habeck in allen Punkten zuzustimmen, aber wenn er mal recht hat, dann ist es auch nicht verkehrt, das zu erwähnen. Sie sollten aber auch zu dem stehen, was aus Ihrer Partei zum Ausdruck gebracht wird. Das gehört doch mit dazu.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit Blick auf die knappe Zeit möchte ich sagen: Wir haben eine Menge zu tun. Wir haben gute Voraussetzungen, und wir müssen intensiv daran arbeiten. Wir wissen, dass wir noch viel zu tun haben, auch bei den Erneuerbaren.

Letzter Faktencheck, Frau Beer: Nordrhein-Westfalen ist laut dieser Studie nicht von Platz 13 auf 16 zurückgefallen, sondern von Platz 10 auf 13. Beim Anteil der EE an der Stromerzeugung haben wir uns von Platz 11 auf 10 verbessert, bei der Fernwärme von Platz 13 auf 7, bei der Primärenergie von Platz 15 auf 12. Bei der Zunahme der Windkraft, wo wir dramatisch zurückgefallen waren, haben wir uns von Platz 9 auf Platz 6 verbessert.

Ich habe mir das genau angeguckt: In dem qualitativen Teil, in dem die Verbände der Erneuerbaren-Industrien befragt werden, haben wir schlechtere Noten bekommen, als Sie sie bekommen haben.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ach!)

Das halte ich für verschmerzbar. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zum Teilbereich b) Energie und Landesplanung nicht vor, sodass ich hierzu die Aussprache schließe.

Ich rufe auf:

 

c) Innovation, Digitalisierung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD der Kollegin Kampmann das Wort.

Christina Kampmann*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns gehen regelmäßig zu Fußballspielen oder anderen Sportveranstaltungen. Fußball und viele andere Sportarten pausieren in der Mitte der Spielzeit, die Mannschaften, die Einzelsportlerinnen und Einzelsportler kommen zusammen und überlegen, was in der ersten Halbzeit schlecht und was gut gelaufen ist.

In der Politik, auch hier im Landtag, ziehen wir ebenfalls eine Halbzeitbilanz nach zweieinhalb Jahren schwarz-gelber Landesregierung. Die Bilanz für die Digital- und die Innovationspolitik ist ziemlich eindeutig:

(Zurufe von Henning Rehbaum [CDU] und Daniel Sieveke [CDU])

Die erste Halbzeit verlief so, dass man die zweite Hälfte eigentlich überhaupt nicht mehr anpfeifen möchte.

(Beifall von Sebastian Watermeier [SPD])

– Danke, Sebastian.

(Heiterkeit von der SPD)

Während sich die Landesregierung dabei in ihrer eigenen Bilanz mit Selbstlob überhäuft – das haben wir heute den ganzen Tag über hören dürfen – und der Ministerpräsident schon damit beschäftigt ist, sich auf seine Kanzlerkandidatur vorzubereiten, warten die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wo waren denn Sie in den letzten zwei Monaten?)

– Bitte lassen Sie mich sagen, worauf die Bürgerinnen und Bürger warten. Sie warten immer noch auf eine digitale Verwaltung und einen Breitbandausbau.

(Zurufe von der CDU)

Vielleicht sollten Sie lieber zuhören, damit Sie es dann umsetzen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Die Schülerinnen sowie die Lehrerinnen und Lehrer warten darauf, dass die Landesregierung endlich den DigitalPakt umsetzt und sie eine zeitgemäße digitale Ausstattung erhalten.

Arbeitnehmerinnen, Angestellte, Selbstständige und Beamte warten darauf, dass die digitale Transformation der Arbeitswelt endlich gestaltet wird. Darüber haben wir eben schon diskutiert.

Teile der Landesregierung haben aber noch gar nicht mitbekommen, dass auch sie etwas für die Digitalisierung tun müssen. Frau Gebauer und Herr Laumann ignorieren das Themenfeld gerne und setzen darauf, dass Herr Pinkwart als Digitalminister alles richten wird.

(Zuruf von Lorenz Deutsch [FDP])

Dieser wiederum ist unglaublich eifrig im Land unterwegs, um alle möglichen Start-ups zu besuchen und möglichst viel Wirtschaft zu entfesseln. Aufgrund dieser umfangreichen Entfesselung ist die Wirtschaft im ersten Halbjahr 2019 um sage und schreibe 0,1 % gestiegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Sozialdemokratin ist man natürlich immer wieder voller Hoffnung und Zuversicht, dass die riesigen Herausforderungen der Digitalisierung angepackt werden. Im täglichen Austausch mit vielen Bürgerinnen und Bürgern stehen dabei ganz unterschiedliche Fragen im Mittelpunkt – zum Beispiel, wie wir die Digitalisierung für mehr Teilhabe nutzen können, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit sich Beschäftigte noch besser und intensiver weiterbilden, und wo wir noch mehr Unterstützung leisten müssen, damit sich niemand beim digitalen Wandel zurückgelassen fühlt.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Aufgabe der Politik muss es sein, genau diese Fragen zu beantworten. Der Haushalt wäre dafür ein geeignetes Instrument. Seit über zwei Jahren hofft man also, dass Herr Laschet und Herr Pinkwart das für den nächsten Haushalt endlich verstanden haben.

Mit fast schon vorweihnachtlicher Vorfreude schaut man dann in den Haushalt für das Jahr 2020 und ist wieder voller Erwartungen.

Doch schon nach dem Öffnen des Pakets ist man sehr schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen, und es wird sofort klar, dass auch der Haushalt für das kommende Jahr keine wichtigen Impulse für die Zukunft unseres Landes enthält. Er enthält keine Impulse zur Zukunft der Arbeitswelt, während die Verunsicherung bei vielen Beschäftigten wächst, keine Impulse zur digitalen Bildung, obwohl es so wichtig ist, dass auch zukünftige Generationen digitale Kompetenzen erwerben, und keine Impulse, die zu mehr Teilhabe führen, damit am Ende niemand abgehängt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon zu Beginn Ihrer Amtsperiode haben Sie den vorrangigen Ausbau von Glasfaseranschlüssen für Gewerbegebiete und Schulen versprochen. Auch das war heute schon Thema. Geschafft haben Sie das bislang immer noch nicht. Laut Ihrer sogenannten Gigabit-Strategie sind von den 3.674 Gewerbegebieten in Nordrhein-Westfalen aktuell nur 14 % mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Im Bereich der Schulen – darüber haben wir heute schon gesprochen – sind es 21 %. Auch das ist nicht wirklich eine Erfolgszahl.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

– Lieber Florian Braun, ich erinnere an dieser Stelle daran, dass Sie bis zum Jahr 2022 alle Gewerbegebiete und Schulen anschließen wollen. Fangen Sie doch endlich mal damit an! Wir warten jetzt schon ziemlich lange darauf.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ist der Beifall ernst gemeint?)

Die schwarz-gelbe Landesregierung hat die Themenfelder „künstliche Intelligenz“ und „Blockchain“ als die Zukunftsthemen für sich identifiziert. Leider scheint es Ihnen aber an Mut zu fehlen, diese entsprechend zu finanzieren.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Christina Kampmann*) (SPD): Für künstliche Intelligenz werden im kommenden Jahr gerade einmal 18 Millionen Euro bereitgestellt. Schauen Sie mal nach Bayern; da ist es sehr viel mehr. Und wenn Sie sich anschauen, wieviel die großen privaten Firmen dafür zur Verfügung stellen, dann wissen Sie, dass das kein wirklicher Schwerpunkt dieser Landesregierung sein kann.

Uns überzeugt das Ganze nicht. Deswegen werden wir diesem Haushalt und dem Einzelplan nicht zustimmen und hoffen mal wieder auf das kommende Jahr. Vielleicht wird ja dann alles besser. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Kampmann. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Braun.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kolleginnen! Liebe Christina Kampmann, die Debatte von vor gut zwei Stunden brauchen wir wohl nicht zu wiederholen. Da habe ich schon einiges zu den Ausbauzahlen gesagt. Das wollten Sie aber nicht so richtig hören.

Kommen wir also zum Abschnitt „Innovation und Digitalisierung“ des Einzelplans 14. Seit zweieinhalb Jahren arbeiten wir daran, den Nutzen für die Menschen in Nordrhein-Westfalen in den Mittelpunkt der Finanzplanung zu stellen.

Im vorliegenden Haushaltsentwurf finden wir einen klugen Finanzierungsmix, mit dem wir als NRW-Politik in relevanten Bereichen Verantwortung tragen und tragen wollen: digitale Infrastruktur als Grundlage für eine moderne Gesellschaft und Wirtschaft, Transformationsprozesse in Handwerk und Mittelstand für Arbeitsplätze der Zukunft, Digitalisierung der Verwaltung für einen modernen und effizienten Staat, Unterstützung von innovativen Start-ups für Nachhaltigkeit im eigenen Land sowie Ausbau von Forschung und Entwicklung, um das Ohr an den Trends der Zeit zu haben.

Das sind fünf Bereiche, die ich persönlich für sehr bedeutsam für die Menschen, die Wirtschaft und unser Land halte. Es sind fünf Bereiche, die sich im vorliegenden Haushaltsentwurf wiederfinden. Auf ein paar Aspekte möchte ich konkreter eingehen.

Ich begrüße außerordentlich den neuen Haushaltsposten zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Dafür sind 27 Millionen Euro neu mit einer Verpflichtungsermächtigung von weiteren 35 Millionen Euro eingeplant.

Das ist ein ganz wichtiger Posten, mit dem wir flächendeckend Angebote digitaler Verwaltungsleistungen des Landes schaffen, die den Kommunen zugutekommen.

Schon in den letzten zwei Jahren hat das Ministerium mit den Service‑ und Vergabeportal Gewerbe.NRW zentrale Angebote bereitgestellt, von denen die Kommunen profitieren. Ein wichtiger, ein richtiger Schritt, den das MWIDE nun weitergehen kann.

Ich weiß, dass auch die Opposition mit dem Erfolgsprojekt „Gründerstipendium“ zufrieden ist. Ab und zu hört man das tatsächlich auch. Das freut uns natürlich. Das ist vor einem Jahr gestartet. Im Sommer dieses Jahres wurde bereits das tausendste Stipendium vergeben.

Erst am Montag war ich mit ein paar Kollegen in der Digital Church in Aachen. Wir konnten uns da von weiteren Stipendiaten überzeugen, denen die 1.000 Euro im Monat geholfen haben, am Ball zu bleiben, um ihre Ideen weiterentwickeln zu können. Nun suchen sie fünf zusätzliche Mitarbeiter.

So haben wir uns das vorgestellt: Sie schaffen Innovation und Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Es ist nur folgerichtig, dass wir dafür weitere 3 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

Stichwort: Unterstützung der Forschung in unserem Land. Die KI ist ein Zukunftsfeld für die Weiterentwicklung des Industriestandorts NRW. Kollege Matthi Bolte-Richter wird sicherlich die eingeplanten Millionen als zu wenig titulieren und gerne den Vergleich mit Bayern ziehen.

Ich hingegen bin zufrieden mit der Entwicklung des Kompetenznetzwerkes KI in NRW. Führende Professoren aus NRW schließen sich zusammen.

Es wurde bereits ein KI-Readiness-Check für Unternehmen entwickelt, eine Zertifizierung für nachvollziehbare und sichere KI zudem.

Ich bin daher den Ministern Pfeiffer-Poensgen und Pinkwart für die Initiative zu dem Netzwerk sehr dankbar.

Gerade wird die Plattform um einen KI-Graduierten-kollegen und ein Förderfonds KI-Starter für frische Absolventen ergänzt. Dafür gibt es weitere sinnvolle 7 Millionen Euro.

Diese Konzepte zeigen mir, dass wir in der deutschen KI-Landschaft vorne mitspielen und dass die Idee und das Konzept mehr zählen als die Höhe der Summe.

Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind auch sonst gern genommene Maximen der Grünen. Wenn man das auf die Haushaltspolitik überträgt, habe ich die Hoffnung, dass vielleicht an der Stelle noch Zustimmung erfolgt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Aufgaben der Funklochschließung befinden wir uns mitten in der spannenden Debatte um den nächsten Standard 5G. Auch da beteiligen wir uns als Land.

Im Ausschuss stand dazu der Vorwurf im Raum, dass die 5G-Haushaltsmittel gekürzt werden würden. Abgesehen davon, dass es vor der Regierungsübernahme gar keine Gelder dafür gab, werden sie jetzt aus rein fördertechnischen Gründen für 2020 gekürzt.

Over all bleibt es bei den 90 Millionen Euro für über drei Jahre; das hat der Minister klar zugesagt. Soweit, so gut.

Dann kam die SPD. Sie stellte genau einen Änderungsantrag im Ausschuss für Digitalisierung, nämlich 10 Millionen Euro mehr für die Titelgruppe für 5G.

Auf Nachfrage des Kollegen Matthi Bolte-Richter und vor dem Hintergrund des Erläuterten, was die SPD mit diesen 10 Millionen Euro eigentlich erreichen will, machte sich eine große Ideenlosigkeit bei der Kollegin Christina Kampmann breit.

Die einzige Antwort lautete dann: Da die SPD hier eine haushalterische Verantwortung trage, hätten sie nicht mehr gefordert. Das war also nicht mehr als eine aus der Hüfte geschossene Ausrede, um zu übertünchen, dass man offenbar keinerlei Plan hat, aber mal fresh 10 Millionen Euro für 5G fordern wollte.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mir bereitet es Sorge, wenn man so verantwortungslos mit Steuergeldern umgeht. Das ist sicherlich keine haushalterische Verantwortung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Es bleibt festzustellen, dass wir uns nach den Sitzungen des Digitalausschusses und des Haushalts- und Finanzausschusses nun in der zweiten Lesung befinden.

In Summe wurde im Bereich Digitalisierung genau ein Änderungsantrag seitens der Opposition eingereicht. Wie gehaltvoll der war, habe ich gerade beschrieben.

Das lässt für mich nur eine Schlussfolgerung zu: So schlecht scheint der Einzelplan nicht zu sein, so schlecht scheint die Bilanz nicht zu sein. Deswegen empfehle ich die Annahme. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Florian Braun, ich habe gerade schon gedacht, ob wir uns vielleicht im nächsten Jahr nicht einfach gegenseitig die Reden schreiben sollten. Das war schon gut antizipiert, was bei uns an Kritikpunkten zu diesem Einzelplan anzumerken ist.

Ich finde es interessant, dass wir uns an einer Stelle einig sind, denn Sie haben am Ende gesagt: Na ja, vielleicht doch gar nicht so schlecht. – Das war ja recht ostwestfälisch. Daher scheint es eventuell zu klappen.

Wir sollten uns an einer Stelle aber durchaus – es hat sich durch die ganze Debatte gezogen, dass da eine gewisse Einigkeit besteht – klar darüber sein, dass wir vor einem enormen Transformationsprozess stehen.

Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen, dass uns dieser Transformationsprozess, dass uns die Bekämpfung der Klimakrise nur dann gelingen wird, wenn wir das digital gestalten.

Dafür brauchen wir Innovationen, dafür brauchen wir ganz großes Engagement. Wir haben einfach noch mehr zu tun, als das, was bisher passiert.

Was passiert bisher? – Wir bewundern im Moment ausschließlich die Investitionen, die es in künstliche Intelligenz in China und in Amerika gibt, ohne selbst einmal einen europäischen gemeinsamen Weg, der irgendwo zwischen den beiden „Anything goes“ – entweder radikal libertär oder radikal autoritär – liegt, zu definieren.

Das gelingt, wenn wir Algorithmen demokratisch zu kontrollieren lernen. Das gelingt auch, wenn wir IT-Sicherheit und Datenschutz als den Markenkern der deutschen IT-Wirtschaft definieren, stärken und nicht länger die deutsche Innenministerkonferenz das größte Risiko für den IT-Standort Deutschland ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten heute Mittag schon eine kleine digitalpolitische Generaldebatte. Ich will aus dieser Debatte mitnehmen, dass wir noch eine ganze Menge zu tun haben.

Über das Thema „Infrastrukturausbau“ haben wir sehr viel gesprochen. Ich würde mir da deutlich mehr Akzente wünschen, wenn es darum geht, die Kommunen wirklich zu unterstützen.

Das ist nicht nur eine Frage von Fördermitteln, sondern vor allem, wie es uns gelingt, dass die Fördermittel auch tatsächlich vor Ort ankommen. Es ist doch eine Quote, die uns allen gemeinsam Sorge machen muss:

Wenn 870 Millionen Euro bewilligt sind und davon nur 29 Millionen Euro ankommen, muss doch irgendetwas im System nicht funktionieren. Dann muss man wirklich die Vereinfachung des Verfahrens angehen und Bürokratie abbauen.

Das ist genauso bei der Gründungsförderung. Ich hoffe, dass die Gründungsförderung bei Schwarz-Gelb auch jetzt noch im Fokus bleibt. Dem letzten Start-up-Monitor konnten wir nämlich entnehmen, dass Gründerinnen und Gründer zu 43,6 % die Grünen als die Start-up-Partei wählen.

Hoffentlich bleiben Sie an dem Thema trotzdem dran, weil gerade jedes dritte Start-up, was in dieser Untersuchung befragt wurde, ein grünes Geschäftsmodell hat, das aktiv diese Transformation, von der ich eben gesprochen habe, mitgestalten will.

Diese Start-ups brauchen eine Unterstützung, die darüber hinausgeht, dass man schöne Fotos mit ihnen macht, man bewundert, was da passiert, und sie dann darauf verweist, dass es irgendwie eine allgemeine Gründungsförderung gibt, aber keine speziellen Angebote für sie.

Da erwarten wir tatsächlich ein deutliches Vorankommen. Bisher haben Sie alle Anträge von uns abgelehnt; vielleicht klappt es ja beim nächsten Anlauf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte gern noch einen Punkt herausheben, nämlich die digitale Verwaltung – zum einen, weil wir bei der digitalen Verwaltung die Erfahrung machen, dass Verwaltung für viele Menschen der einzige Zugang zur Staatlichkeit ist und wir insofern diesen Digitalisierungsprozess als einen Demokratierevitalisierungsprozess nutzen müssen.

Zum anderen – das ist etwas, was wir wirklich von Estland lernen können; es ist in Deutschland immer eine gewagte These, wenn man das sagt – kann öffentliche IT eine Top-Runner-Funktion haben und den Digitalstandort tatsächlich voranbringen, wenn man es gut macht, wenn man es sicher macht und wenn man es mit funktionierenden Infrastrukturen aufbaut, vor allem, wenn man digitale Administration nicht allein als ein Kostensparmodell versteht, sondern so aufbaut, dass diese digitale Verwaltung agiler, schneller bürgernäher ist und besser und effizienter für die Bürgerinnen und Bürger funktioniert.

Da hat Schwarz-Gelb die Hausaufgaben eindeutig nicht gemacht. Herr Minister, Sie haben dreimal Zeitpläne angekündigt, Sie haben sie dreimal gerissen.

Wir haben immer noch keinen Entwurf für das E-Government-Gesetz im Parlament. Es ist schön, dass Sie dazu noch eine weitere Konsultation machen; aber machen Sie da bitte endlich etwas.

Vor allem unterlegen Sie das tatsächlich mit einer wirklichen Finanzausstattung, die dann auch dazu führt, dass dieses Ziel erreicht wird. Wenn es schneller gehen soll, habe ich überhaupt nichts dagegen, aber es muss dann auch finanziell unterlegt sein, sodass es für die Verwaltung, für die Beschäftigten und am Ende des Tages auch für die Bürgerinnen und Bürger funktioniert.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Bolte-Richter. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Matheisen.

Rainer Matheisen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt gerade von Ihrer Seite aus eine ganze Menge darüber gehört, dass der Staat doch mehr Geld ausgeben soll, um Innovationen voranzutreiben. Da sieht man einen ganz fundamentalen Unterschied zwischen dem, was wir als FDP und CDU machen, und dem, was Sie machen wollen:

Innovationen werden nicht vom Staat gemacht, Innovationen werden von Menschen gemacht, die ihre Ideen, ihren Spirit, ihren Unternehmergeist einbringen,

(Marc Herter [SPD]: Genau! So entstand das iPhone!)

und die wollen wir unterstützen. Wir wollen keinen Staat, der Innovationen staatlich verordnet, sondern wir wollen fleißige Gründerinnen und Gründer, fleißige Unternehmerinnen und Unternehmer. Dafür stehen wir ein, und dafür steht auch dieser Haushalt, dieser Einzelplan.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die brauchen wir auch dringend, um wichtige gesellschaftliche Bereiche voranzutreiben. Beim Thema „Klima“ beispielsweise den wollen Sie mehr Steuern erheben, Sie wollen mehr reglementieren und verbieten. Wir wollen mit Innovationen,

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Oh! Das ist viel besser!)

wir wollen mit neuen digitalen Modellen das Klima und die Umwelt schützen. Das ist der richtige Weg.

Beim Verkehr wollen Sie Spuren sperren, Sie wollen Autos aussperren. Das ist der falsche Weg. Wir wollen Innovationen vorantreiben, um den Verkehr besser laufen zu lassen.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE] – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Beim Thema „Teilhabe“ geht es darum, dass Sie an verschiedenen Stellen die Menschen bemitleiden und betüddeln wollen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Wir wollen ihnen gleichberechtigte Chancen geben. Das ist aber nur möglich mit den besten Ideen, und die werden von Erfindern und Erfinderinnen, von Gründerinnen und Gründern, von innovativen Unternehmen gemacht.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Den Wettbewerb um die besten Ideen wird NRW nur dann gewinnen, wenn wir diese Leute nach Nordrhein-Westfalen holen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Deswegen haben wir jetzt ein Drittel mehr für Gründerstipendien in diesen Haushalt eingestellt, ein Drittel mehr Mittel für das kommende Jahr, um jedem zu ermöglichen, sich selbstständig zu machen, ohne sich sorgen zu müssen, wie er seinen täglichen Lebensunterhalt bestreiten soll.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir stellen mehr Geld für Digital Hubs, für Exzellenz-Start-up-Center zur Verfügung. Wir geben mehr Geld, um die Vernetzung der Szene nach vorne zu treiben.

Wir wollen – das ist ein ganz wichtiger Punkt – alle, die in diesem Land etwas machen, die Innovationen nach vorne treiben, von unnötiger Bürokratie entlasten. Wir wollen ihnen das Leben einfach machen. Deswegen haben wir jetzt 15 % mehr an Mitteln für die Umsetzung des E-Government-Gesetzes eingestellt.

Es kann nicht sein, dass alle, die hier in diesem Land etwas unternehmen, etwas tun wollen, daran scheitern, dass Sie Formulare ausfüllen und sich mit überflüssigen Regelungen auseinandersetzen müssen. Das muss einfacher gehen. Da ist diese Landesregierung gut unterwegs, und das drückt auch dieser Haushalt aus.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen eine starke innovative Wirtschaft statt eines entmündigenden überbordenden Staats. Das ist der Schwerpunkt dieses Einzelplans, dieses Haushalts, das voranzutreiben, das nach vorn zu bringen. Deswegen bitte ich für diesen Einzelplan um Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Matheisen. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann beim Thema „Digitalisierung“ nicht unbedingt behaupten, das spiele in der Selbstdarstellung der Regierungskoalition eine untergeordnete Rolle.

Nun muss man aber zur Halbzeit der Regierung vom Betrachten der Ankündigungen, Pläne und Strategien so langsam dazu übergehen, Ergebnisse oder zumindest Zwischenergebnisse zu bewerten. Da kann man der Landesregierung kein besonders gutes Zeugnis ausstellen.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Beispiel Mobilfunk. Noch immer klaffen riesige Lücken in der Versorgung mit 4G, nicht nur in der Peripherie, sondern auch entlang wichtiger Verkehrsachsen oder sogar in den Ballungsräumen.

Frau Düker hat das gestern und heute Morgen schon angesprochen. Freilich hat sie natürlich vergessen zu erwähnen, dass es meist ihre Parteifreunde vor Ort sind, die aus jedem neuen Sendemasten eine strahlende Umweltkatastrophe machen. Da liegt nämlich das Hauptproblem.

Die Genehmigungsverfahren sind viel zu langsam, um mit dem Bedarf der Sendestandorte Schritt zu halten. Das ist kein Geheimwissen, aber eine Initiative, hier Abhilfe zu schaffen, kommt von der Landesregierung bisher nicht.

Jetzt kommt 5G, eine Technologie, die noch viel mehr Sendestandorte braucht. Das Problem wird sich vermutlich weiter verschärfen.

So werden wir, so werden Deutschland und NRW wahrscheinlich noch auf lange Sicht Mobilfunkentwicklungsland in einer Liga mit Ländern wie Albanien und Kasachstan bleiben.

Auch der Glasfaserausbau kommt nicht so recht in Schwung. Am Anfang war da sehr viel zu hören – Fiber First usw. Inzwischen ist es sehr ruhig geworden – auffallend ruhig.

Die Koalition beschränkt sich darauf, wohlklingende und folgenlose Anträge zu Mikroaspekten der Digitalisierung zu produzieren, hat aber offenbar die harten Fakten aus den Augen verloren.

Meine Damen und Herren, für den Staat ist Digitalisierung zuallererst eine Infrastrukturaufgabe. Man muss Kabel vergraben, regulatorische Rahmenbedingungen schaffen und Kapital bereitstellen. Das ist viel Arbeit, Kärrnerarbeit, und nicht besonders sexy. Da kommt aber nichts.

Deshalb kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ihre Digitalisierungspolitik tatsächlich die Tiefe und Nachhaltigkeit eines FDP-Wahlplakats hat, Herr Professor Pinkwart.

Dann hört man immer: Wir wollen hier die Größten und Besten werden. – Ich und meine Fraktion wären schon zufrieden, wenn wir international noch einigermaßen mithalten könnten.

Das Problem sehen Sie irgendwie ja auch, aber an die Lösung trauen Sie sich wohl nicht. Sie bedienen sich lieber des etatistischen Instrumentariums Ihrer Vorgänger. Das heißt, Sie stellen fest: Wir haben zu wenige Unternehmer, zu wenige Innovationen, zu wenige neue Produkte.

Dann denken Sie nicht darüber nach, dass zu hohe Steuern, zu hohe Energiepreise, zu viele Regulierungen, ein innovationsfeindliches Umfeld und zu wenige gut ausgebildete Leute das Problem sind.

Nein, Sie ersinnen das tausendste Förderprogramm für dieses und jenes. Das ist nett für den Minister, weil er große Schecks übergeben und vermeintlich imposante Fallzahlen präsentieren kann. An der Grundmisere im Land ändert das aber nichts. Das ist weiße Salbe – mehr nicht.

Herr Minister Pinkwart, Sie haben jetzt noch eine Halbzeit vor sich. Im Gegensatz zu Frau Kampmann bin ich durchaus der Meinung, dass man sie anpfeifen kann. Im Interesse unseres Landes wünsche ich Ihnen ehrlich, dass Sie noch ein bisschen was im Ärmel haben.

Sollte es dabei bleiben, wird man Ihnen am Ende wohl ein „Ungenügend“ attestieren müssen. Ihrem Einzelplan werden wir jedenfalls schon aus diesen Gründen nicht zustimmen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Professor Dr. Pinkwart jetzt das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das mit der Halbzeitbilanz ist ja ein schönes Bild.

Frau Kampmann hat es in Worte gekleidet. Sie hatte gesagt, die erste Halbzeit verlief so, dass man die zweite Halbzeit nicht mehr anpfeifen möchte. Da Sie das ja aus Sicht der Opposition gesagt haben, empfinde ich das als Kompliment.

(Beifall von der FDP)

Dass Sie nicht noch mehr Erfolge sehen wollen, kann ich ja nachvollziehen, aber wir wollen sicherlich daran weiterarbeiten. Da uns Herr Tritschler ja auch eine Freigabe erteilt hat, wollen wir das versuchen.

Wir haben bei der Digitalisierung – das haben wir heute schon mal diskutiert – sicherlich noch eine Menge zu tun. Umso wichtiger ist es mir auch beim Thema „Innovationen“, dass wir hier zusammen diskutieren und versuchen, das so strategisch geordnet wie möglich und auch so transparent nachvollziehbar wie möglich zu tun.

Wenn wir uns schon so ehrgeizige Ziele setzen – daran wollen wir uns messen lassen –, bis 2022 gigabitfähige Anschlüsse an Schulen und Gewerbegebieten zu schaffen, ist es doch gerade beim Infrastrukturausbau entscheidend, dass wir wissen, mit welchen Schulen und Gewerbegebieten wir es zu tun haben und zeigen können, wann wir wo sind.

Wir können Ihnen durch die vorhandenen Abfragen und Aufnahmen belegen, dass wir jetzt schon 21 % der Schulen am Netz haben. Sie hatten damals eine Umfrage gemacht, die gar nicht fundiert war; das war eine externe Abfrage. Danach waren Sie bei 13 % bei den Schulen.

Bei den Gewerbegebieten können wir jetzt gesichert sagen: Wir haben 14 %. – Bei Ihnen wussten wir grob: Es waren vielleicht 6 %. Das war die Ausgangslage. Das ist das, was erreicht ist.

(Zuruf)

– Ja, so ist die Lage.

Wir wissen aber eben auch, dass wir zu Beginn des Jahres 2019 für 59 % der Schulen entweder schon den Anschluss oder eine klare Bewilligung und eine Planung hatten.

Jetzt haben wir das für 91 % der Schulen, weil entweder gebaut ist, bewilligt ist oder die Planung dafür vorliegt, weil es nicht nur ein geförderter Ausbau ist, sondern auch privatwirtschaftlicher Ausbau stattfindet.

Das Gleiche gilt für die Gewerbegebiete. Da haben wir es sogar überwiegend mit einem eigenwirtschaftlichen Ausbau zu tun. Hier wissen wir jetzt sicher: 14 % sind angeschlossen.

Es sind nicht mehr wie zu Anfang des Jahres 58 % insgesamt, die angeschlossen, bewilligt oder in Planung sind, sondern 83 %. Wir müssen uns also noch um die 17 % der Nichtgeplanten kümmern und bei den anderen mit dazu beitragen, dass jetzt die bewilligten oder im Bau befindlichen Maßnahmen zum Abschluss kommen.

Dafür haben wir jetzt 2020, 2021 und 2022 Zeit, also drei Jahre. Wir halten das nach und Sie auf dem Laufenden darüber, wo wir sind. Das ist ein ganz klar angelegter strategischer Prozess.

Das Gleiche gilt beim Mobilfunk. Wir haben erstmalig in Nordrhein-Westfalen mit Mobilfunkunternehmen … So viel zur sozialen Marktwirtschaft und auch zur Ordnungspolitik: Nicht der Staat baut hier, sondern die Privaten bauen.

Wir haben die Privaten angesprochen und gefragt: Wo steht ihr? Wo wollt ihr hin? Wo ist euer Beitrag? – Dann haben wir eine freiwillige Vereinbarung getroffen, die wir jetzt arbeiten. Dabei sehen wir ganz klare Fortschritte. Ich glaube, so kommt man voran. Man muss sich was vornehmen, aber man muss das auch nachhalten. Das tun wir.

Das Gleiche gilt für das Thema „KI“; das ist hier dankenswerterweise angesprochen worden. Natürlich kann ich mich hinstellen und große Summen verkünden. Es ist doch nicht so, als stünden wir bei KI am Anfang.

Maschinelles Lernen ist in Nordrhein-Westfalen seit über 20 Jahren eine Forschungsdisziplin und wird in der Praxis gemacht. Wenn ich alle Forschungsbereiche, Lehrstühle und Forschungsaktivitäten der Unternehmen addiere, komme ich heute schon auf dreistellige Millionenbeträge in Nordrhein-Westfalen.

Die Frage ist doch: Wie entwickle ich das weiter? – Dazu haben wir ein Kompetenznetzwerk KI aufgebaut, um die Stärken in diesem Land zu bündeln, Forschung – wo immer möglich – noch weiter zu präzisieren und zu profilieren und dann die Anwendung in der Industrie voranzubringen.

Eine der größten Anwendungsbereiche für KI, die vom Landtag schon 2018 auf den Weg gebracht worden ist, ist die Weiterförderung von „it’s OWL“ mit 53 Millionen Euro für die nächsten Jahre, denn dort spielen KI und maschinelles Lernen eine der ganz zentralen Rollen.

Das Gleiche gilt für das Thema „5G“. Hier haben wir ein Kompetenznetz aufgelegt und sind mit dem Mittelstand im Austausch. Hier haben wir 90 Millionen Euro für die nächsten Jahre an ganz konkreten Transfermöglichkeiten, damit wir 5G für den Mittelstand nutzbar machen können.

Das Gleiche gilt für das Thema „Cybersecurity“, bei dem wir die Stärken dieses Landes nutzen. Wir haben hier alle Möglichkeiten. Wir sind neben Israel hier im Herzen der Welt die führende Region für Cybersecurity. Das machen wir über alle Bereiche: Forschung, Lehre, Transfer.

(Unruhe)

Wir freuen uns, dass wir das neue Max-Planck-Institut für Cybersecurity nach Nordrhein-Westfalen holen können.

Wir haben im Bereich terrestrischer Systeme ein weiteres DLR-Forschungsinstitut hier nach Nordrhein-Westfalen geholt.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Wann haben Sie denn zu Ihrer Regierungszeit je so viele Institute nach Nordrhein-Westfalen geholt?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir bringen diese Infrastruktur mit der Wirtschaft zusammen und treiben damit Digitalisierung ganz gezielt voran. Wir nutzen die Möglichkeiten, über die Start-up-Förderung, Gründerstipendien, Start-up-Exzellenzzentren zu den innovativen Ausgründungen zu kommen, die wir mit dem Mittelstand und den großen Unternehmen verpartnern, damit wir auch die Früchte dieser Arbeit ernten können. Ich danke herzlich für die Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Der Minister hat für die Landesregierung die Redezeit um gut eine Minute überzogen.

(Zuruf von der CDU: Gibt’s doch nicht!)

Gibt es den Wunsch nach weiteren Wortmeldungen aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zum Einzelplan 14.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts‑ und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8014, den Einzelplan 14 unverändert anzunehmen. Wir stimmen also über den Einzelplan ab. Wer dem Einzelplan seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. – Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Einzelplan 14 in zweiter Lesung angenommen.

Ich rufe auf:

Einzelplan 08
Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen

 

a) Kommunales, GFG

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haus-haltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungsgesetzes

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Kämmerling das Wort.

Stefan Kämmerling (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Herr Déus, Herr Höne und Frau Scharrenbach werden jetzt gleich etwas ausführen zu den Themen „Kommunalfreundlichkeit“ und „echte Verbundsätze“, zum Volumen und dazu, was alles ein Erfolg der Mehrheit hier im Haus sei.

Ich will versuchen, im Vorgriff auf diese drei Reden schon einmal eine Bewertung zum GFG vorzunehmen: Nach meiner Auffassung ist das GFG 2020 kein großer Wurf.

Ich will beginnen mit der Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale – einer Erfindung von Frau Scharrenbach und der Mehrheit hier im Haus.

Diese Erfindung ist gegriffen und systemfremd. Die Pauschale wird jetzt auch noch überproportional angehoben. Sie folgt dem Prinzip, dass finanzstärkere gegenüber finanzschwächeren Kommunen bevorzugt werden.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das sehe nicht nur ich so. Ich darf mich eines Gutachters, Herrn Holler vom Städtetag Nordrhein-Westfalen, bedienen und aus der Anhörung zitieren:

„Die Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale ist im GFG systemfremd, weil sie zum einen finanzkraftunabhängig ist, auf der anderen Seite aber nicht zweckgebunden.“

Herr Holler spricht in diesem Zusammenhang von einem Umverteilungsvehikel. Ich glaube, damit ist das, was Sie da erfunden haben, treffend beschrieben.

Zum Thema Einwohnergewichtung haben Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, hier am Pult, aber auch im Ausschuss in den vergangenen Monaten viele Reden geschwungen. Dann haben Sie ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dann haben Sie angekündigt, Sie würden die Grunddaten aktualisieren. – Passiert ist aber bis heute nichts.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Auch hier ist wieder interessant, einmal in die Anhörung zu schauen. Auch da darf ich wieder einen der Gutachter zitieren:

„Man kann, wenn man will, so lange Gutachten in Auftrag geben, bis man das politisch gewünschte Ergebnis erzielt. Die Frage ist, ob man sich damit einen Gefallen tut und ob man damit auch diesem Instrument der finanzwissenschaftlichen Begutachtung des GFG einen Gefallen tut.“

Schöner kann ich das auch nicht beschreiben, als der Sachverständige des getan hat.

Ich komme zum Thema „Hebesätze“. Auch bei diesem Thema bleiben Sie sich treu. Sie nehmen auch 2020 wieder künstliche Abschlagsregelungen vor. Argumente dafür gibt es keine. Das sehen auch alle kommunalen Spitzenverbände so, aber auch hier lassen Sie sich von Expertise nicht beeindrucken.

Das GFG kann man mit Blick auf die Kommunen nicht isoliert diskutieren. Darum will ich etwas zum Flüchtlingsaufnahmegesetz ausführen. Im Dezember 2015 hat Rot-Grün mit den kommunalen Spitzenverbänden die Umstellung auf eine echte Kopfpauschale vereinbart. Es folgte dann das allen bekannte Gutachten von Professor Lenk.

Seit 2018 sind den Kommunen mindestens 300 Millionen Euro entgangen. Die befinden sich nicht in Ihrem Landeshaushalt, für den Sie sich hier heute und in den vergangenen Tagen so gefeiert haben.

Die Kommunen selber sagen, dass sie 70 % der Flüchtlingskosten selbst tragen und das Land nur 30 % ersetzt. Dem können Sie, meine Damen und Herren, hier nicht viel entgegenhalten. Es müssen jetzt dringend rückwirkend die FlüAG-Sätze angehoben werden.

In dem Zusammenhang kommen wir auch nicht umhin, einmal auf das zu blicken, was meinem Kollegen Ibrahim Yetim gestern von Herrn Stamp entgegnet wurde. Es ging um eine Pressemitteilung des Städte‑ und Gemeindebunds zu dem Thema. Dazu sagte Herr Stamp, da hätte er die Veranstaltung, auf der die Pressemitteilung beruht, anders verstanden.

Deswegen habe ich mir die Pressemitteilung noch einmal herausgesucht. Der Städte‑ und Gemeindebund berichtet gestern in einer Pressemitteilung über den Besuch von Herrn Stamp. Der Hauptgeschäftsführer Dr. Schneider führt in der Pressemitteilung Folgendes aus: „Derzeit haben wir es mit einer Lücke in Höhe von jährlich mindestens 750 Millionen Euro zu tun“.

(Zuruf von der SPD: Genau! So ist das!)

Und ich zitiere Herrn Dr. Schneider weiter:

„Schon ein ganzes Jahr lang stellt sich das Land taub und ignoriert das Ergebnis eines selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens der Universität Leipzig: Schwarz auf weiß ist dort nachzulesen, dass Städte und Gemeinden für jeden einzelnen Geflüchteten jährlich 2.500 Euro mehr bezahlen, als sie vom Land zurückbekommen.“

Und dann führt er fort:

„Das Land muss zu seinen Zusagen stehen und die Kosten rückwirkend zum 1. Januar 2018 vollständig erstatten.“

Ich darf Sie noch einmal an Ihre eigene Kritik erinnern, als Sie noch Opposition waren, an das, was Sie zu Beginn Ihrer Regierungsverantwortung …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Stefan Kämmerling (SPD): … der kommunalen Familie versprochen haben. Wenn Sie sich nicht selber Lügen strafen wollen,

(Zuruf von der CDU – Gegenruf von Michael Hübner [SPD])

dann müssen Sie entweder aufhören, davon zu berichten, dass Sie kommunalfreundlich handeln würden, oder es dann endlich wirklich tun. Bis hierhin. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Déus.

(Zuruf von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Das richte ich gerne aus!)

Guido Déus*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste, auch wenn uns die meisten schon verlassen haben! Wir beraten seit gestern den Landeshaushalt für das Jahr 2020 in zweiter Lesung, und ich hoffe, Sie haben auch noch ein Ohr für den Kommunalhaushalt.

Unsere Landesregierung hat einen Haushalt mit einem Gesamtvolumen von rund 80 Milliarden Euro vorgelegt, der keine neuen Schulden enthält und die Maxime der schwarzen Null beibehält. Das ist finanz- und haushaltspolitisch verlässlich, es ist seriös und auch generationengerecht.

Mit dem Einzelplan 08 und dem Gemeindefinanzierungsgesetz, kurz: GFG, setzen wir zwei Schwerpunkte: Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger – dazu gleich noch mehr –, und wir setzen einen verlässlichen Rahmen für die kommunale Familie in unserem Land, damit sie seriös wirtschaften kann, sich Städte und Gemeinden weiterentwickeln und für die Zukunft rüsten können.

(Beifall von Bodo Löttgen [CDU] – Christian Dahm [SPD]: „Vereinzelt Beifall von Bodo Löttgen“ kommt ins Protokoll!)

Die kommunale Familie in NRW wird 2020 stolze 12,8 Milliarden Euro und damit nahezu 440 Millionen Euro mehr als in 2019 erhalten. Damit stehen den Kommunen rund 2,2 Milliarden Euro mehr Finanzmittel aus der Gemeindefinanzierung zur Verfügung als im Jahr 2017, als wir die Regierung übernommen haben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zur Erinnerung: Bei der Regierungsübernahme hatte die NRW-Koalition einen maroden Landeshaushalt und eine Neuverschuldung von über 1,6 Milliarden Euro vorgefunden. Das war Faktenlage im Mai 2017 und das Erbe der rot-grünen Landesregierung, das wir übernommen haben.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD] – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Seit der Regierungsübernahme und erst recht mit der Gemeindefinanzierung 2020 erhält die kommunale Familie in NRW endlich wieder Rahmenbedingungen und auch Möglichkeiten, die die Bezeichnung wirklich verdienen. Unsere Kommunen benötigen diese, um für die Menschen vor Ort nach Jahren des Stillstands unter Rot-Grün wieder verlässlich planen und aktiv gestalten zu können.

Hierzu zählen Themen wie Kindertagesstätten und Schulen, Wasserversorgung, öffentlicher Nahverkehr, Kultur, Sport, Feuerwehr, Rettungsdienst, Straßenbau, Radwege und vieles mehr. Zu diesen Themen haben meine Kolleginnen und Kollegen sich heute schon deutlich geäußert.

Die Konjunktur in NRW hat sich stabilisiert. Die Beschäftigung wächst schneller als in Deutschland insgesamt, bestätigt das gerade veröffentlichte Gutachten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. NRW-Kommunen profitieren von den durch uns deutlich erhöhten Schlüsselzuweisungen.

Was heißt das im GFG konkret? An Schlüsselzuweisungen stellen wir insgesamt 10,8 Milliarden Euro zur Verfügung, an pauschalierten Zuweisungen fast 2 Milliarden Euro und für Sonderbedarfe über 37 Millionen Euro.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Die Aufwands- und Unterhaltungspauschale in Höhe von 130 Millionen Euro ist eben schon angesprochen worden. Sie ist keineswegs systemfremd oder spricht gegen das bisherige System. Das haben uns die Anhörungen gezeigt. Die Sachverständigen haben das in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht als systemfremd angesehen. – Es ist falsch, Herr Kämmerling, was Sie gerade gesagt haben.

(Beifall von der CDU)

Zudem werden wir die Schul-, Bildungs- und Sportpauschale deutlich erhöhen. Wir haben eine Öffnung der Schul- und Bildungspauschale für konstruktive Digitalisierungsbedarfe eingesetzt, und über den Aufwuchs hinaus haben wir diese auch noch gegenseitig deckungsfähig gemacht. Das bedeutet Freiheit und Vertrauen für und in die kommunale Familie.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Jetzt wird es langsam albern!)

Das GFG beinhaltet erstmals seit 2006 wieder echte 23 % der Einnahmen des Landes aus seinem Anteil an Körperschafts-, Einkommen- und Umsatzsteuer. Wir haben den rot-grünen unfairen Kommunalsoli ersatzlos gestrichen.

(Zuruf von der SPD: Was war denn da unfair?)

Betrachtet man die allgemeinen Deckungsmittel und die eigene Finanzkraft, bedeutet das im Ergebnis, dass keine unserer Städte und Gemeinden an Finanzkraft verlieren werden. Nicht nur das: In NRW standen der kommunalen Familie noch niemals zuvor derart hohe Finanzmittel zur Verfügung.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch keine Entscheidung von Ihnen!)

Sie erwarten sicherlich auch das Thema „Kommunalabgabengesetz und Anliegerbeiträge“. Da will ich Sie nicht enttäuschen. In NRW werden die Bürgerinnen und Bürger zukünftig massiv entlastet werden.

(Zuruf von der SPD: Die feiern gerade alle!)

Obwohl als Land eigentlich nicht für kommunale Straßen zuständig, nehmen wir jährlich 65 Millionen Euro in die Hand. Das sind 65 Millionen Euro mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit zur Verfügung gestellt haben, liebe SPD und Grüne. Kein Bürger in NRW wird zukünftig mit mehr als maximal 40 % der Kosten als Anlieger belastet, viele mit weit weniger.

Unsere Koalition verfolgt seit 2017 einen haushalts- und finanzpolitisch unverkennbaren und verlässlichen Kurs. Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und Freien Demokraten hat der kommunalen Ebene endlich wieder den Stellenwert eingeräumt, der ihr verfassungsrechtlich zugewiesen und garantiert ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Déus. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In keinem anderen Bereich ist die Landesregierung so an ihren Maßstäben gescheitert wie im Bereich der Kommunen. Die Kommunen sind die großen Verlierer dieser CDU/FDP-Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will das sehr deutlich machen. Sie verpassen es an allen wichtigen Punkten, die Aufgaben der Zukunft zu lösen.

Thema „Altschulden“: Es ist fast schon verheerend, wie die Ministerin hier immer wieder nach dem Bund ruft. Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Sie versteckt sich hinter Herrn Scholz, macht noch eine Veranstaltung in Berlin, für die 90 Leute von NRW nach Berlin transportiert werden, und es kommt kein Millimeter Fortschritt zustande. Das ist erbärmlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eigentlich müssten wir schon viel weiter sein. Die 440 Millionen Euro, die für den Stärkungspakt im Haushalt stehen, hat der Finanzminister offensichtlich schon für sich einkassiert. In der Mittelfristigen Finanzplanung findet sich kein Cent zur Entschuldung der Kommunen mit besonders hoher Verschuldung. Das ist die Wahrheit über den Landeshaushalt in Richtung Kommunen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wissenschaftlich durchgerechnet und belegt ist, dass in Krisenphasen Städte mit besonders hohen Sozialleistungen noch mehr unter den Disparitäten leiden. Im Ruhrgebiet – es wundert nicht, dass die CDU dort wenig leistet – sind leider viel zu wenige Abgeordnete unterwegs. Sie machen ihren Job schlicht nicht.

Habe ich das richtig verstanden, Herr Kollege Schrumpf? Ich bitte hier um Aufklärung, ob das wahr ist. Gestern haben wir in Bezug auf die Integrationspauschale ein Schauspiel erlebt. Ich habe den Einzelplan 20 extra mitgebracht. Kein einziger Cent wird von der Landesregierung an die Kommunen weitergeleitet. Das ist der heutige Stand nach der zweiten Lesung. Das ist die Wahrheit. So sieht es hier in Nordrhein-Westfalen aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben nach der Entwicklung gefragt – und damit, Frau Ministerin, komme ich zum nächsten Punkt –, was Kommunen und Land betrifft.

Zunächst zum Flüchtlingsaufnahmegesetz: Das Land Nordrhein-Westfalen gibt 2 Milliarden Euro weniger für die Unterbringung und Integration von Geflüchteten aus. 2 Milliarden Euro! Und Sie erzählen den kommunalen Kämmerern, wir müssten noch mal nachrechnen, ob wir sie entlasten können. Die Finanzierungslücke bei den Kommunen beträgt pro Jahr 750 Millionen Euro.

Herr Kollege Schrumpf, wissen Sie, was das für Essen bedeutet? Das sind, je nach Verteilung, 30 bis 50 Millionen Euro. Das entspricht der zweifachen Menge des Sportetats. Die zweifache Summe des Sportetats enthält diese Landesregierung der Stadt Essen vor, und Sie sagen auch noch Ja dazu. Was sich hier in Nordrhein-Westfalen abspielt, ist abenteuerlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Fabian Schrumpf [CDU]: Sie werden trotzdem nicht Oberbürgermeister! – Zuruf von der CDU: Das ist eine Wahlkampfrede!)

– Ach, das ist eine Wahlkampfrede? Das werde ich den Menschen in Essen und im übrigen Land berichten. Es ist also eine Wahlkampfrede, wenn ich Ihnen sage, dass Sie Ihre Versprechen nicht einhalten, dass Sie hier mit großem Getöse angetreten sind und keinen einzigen Cent weiterleiten? Das ist doch die Wahrheit. Das hat mit Wahlkampfrede nichts zu tun, sondern mit Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Landesregierung. Sie machen sich zum Handlanger, weil Sie diesen Haushalt beschließen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Klaus Voussem [CDU]: Das tun wir auch!)

Ich möchte ausdrücklich zustimmen, was die Aspekte der Strukturierung des GFG anbetrifft. Die Aufwandspauschale ist sachfremd. Sie gehört dort nicht hinein. Wir bräuchten 130 Millionen Euro, um die Disparitäten im Krisenfall abbauen zu können.

Frau Ministerin, ich wiederhole: Wenn wir als Land mit der höchsten Altverschuldung Deutschlands – diese macht 60 % des Kassenkreditvolumens aus – jetzt nicht anfangen, ein Konzept auf den Tisch zu legen und den Bund damit unter Druck zu setzen, wird nichts passieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird dazu führen, dass die Stärkungspaktkommunen, aber auch andere Städte wie Dortmund oder Bonn, die hohe Kassenkreditvolumina haben und zunehmend in Schwierigkeiten geraten, in der Krisenphase vor dem Bankrott ihrer Haushalte stehen, weil das Land nicht handelt.

Deswegen ist heute ein finsterer Tag für die Kommunen, und ich wette, Herr Kollege Schrumpf, dass Sie Druck bekommen werden, auch hier von den Kommunen. Wenn Sie, die Koalitionsfraktionen, es nicht schaffen, zur dritten Lesung – und das ist das Mindeste, von dem ich ausgehe – 150 Millionen Euro bei der Integrationspauschale nachzusteuern – dann fehlen immer noch 750 Millionen Euro für die Kosten im Rahmen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes –, dann ist das ein ziemlich klarer Offenbarungseid.

Aber hören Sie bitte auf, zu sagen, Sie würden Geld für die Integrationspauschale an die Kommunen weiterleiten. Denn das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine schlichte Lüge.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mostofizadeh, man kann inhaltlich durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Fraglich ist, ob diejenigen, die die eigene Meinung nicht teilen, gleichzeitig Handlanger anderer sind statt frei gewählte Abgeordnete. Über den Stil dieses Ausdrucks sollten Sie vielleicht noch einmal in Ruhe nachdenken.

(Beifall von der FDP und der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Stellen Sie es doch klar!)

Meine Damen und Herren, nach dem Regierungswechsel 2017 hat die NRW-Koalition eine Kurskorrektur in der Kommunalpolitik eingeleitet, und dieser korrigierte Kurs wird mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 auch fortgesetzt.

Der Kommunalsoli ist eben schon angesprochen worden. Das war das Stichwort für den Kollegen Hübner, der sofort gefragt hat, was daran unfair gewesen sei. Ich kann Ihnen sagen, was daran unfair war:

(Michael Hübner [SPD]: Ja, bitte!)

Kommunen haben 90 Millionen Euro aus größtenteils nicht ausgeglichenen Haushalten gezahlt, weil sie vermeintlich im Überfluss gelebt haben.

(Michael Hübner [SPD]: Monheim, oder was?)

Das ist keine echte Solidarität, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: So wie Monheim!)

Die Vorwegabzüge zur Finanzierung des Stärkungspaktes sind angesprochen worden. Sie wissen, dass die Freien Demokraten zumindest die erste Stufe des Stärkungspaktes mitgemacht haben, diese überhaupt erst ermöglicht haben, wie ich mit Blick auf die Kollegen, die hier von 2010 bis 2012 gesessen haben, sagen darf. Wir halten auch fest, dass die Hälfte der Summe, die in den Stärkungspakt gekommen ist, kein Geld des Landes war, sondern Geld der kommunalen Familie.

Man hört immer Aussagen wie: Wie viel ist das, wenn die Vorwegabzüge weg sind, wenn solch ein Kommunalsoli da ist? Das ist alles gar nicht so viel. Das ist alles gar nicht so schlimm.

Ich kann Ihnen sagen, wohin das führt: Aus den Jahren 2018, 2019 und 2020 kommen fast 700 Millionen Euro zusammen, und das hat nichts damit zu tun, dass die Steuereinnahmen gestiegen sind und dass jetzt auch die Kommunen ohne ihr Zutun davon profitieren. Nein, das sind Entscheidungen, die von dieser Landesregierung getroffen worden sind. Diese vielen Hundert Millionen Euro wären nicht in der kommunalen Familie gelandet, wenn es keinen Regierungswechsel gegeben hätte.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Was so technisch klingt, diese „echten“ 23 % vom Verbundsatz, das hat für mich schon eine größere Bedeutung. Ich will jetzt gar nicht in die Frage einsteigen, wer wann wo was beim Verbundsatz abgesenkt hat. Der Punkt ist doch: Wenn wir uns hier im Hause einig sind, dass die kommunale Familie langfristig insgesamt finanziell wieder gestärkt werden soll, dann ist es ein richtiger Zwischenschritt, auch wieder bei „echten“ 23 % zu sein. Denn damit ist eine politische Hürde eingezogen. Damit verbinde ich auch das Ziel, davon nicht wieder abzurücken.

Im Gegenteil: Ich persönlich würde mir wünschen – und das gilt wahrscheinlich fraktionsübergreifend für viele Kolleginnen und Kollegen –, dass der Weg langfristig eher wieder in die andere Richtung führt, nämlich nach oben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die NRW-Koalition stärkt auch weiterhin die Investitionsfähigkeit der Kommunen; die gegenseitige Deckungsfähigkeit ist eben auch angesprochen worden.

Zur Investitionspauschale möchte ich kurz etwas sagen. Ich darf Herrn Professor Döring aus Darmstadt zitieren, der in der Anhörung auf die Frage, ob diese Pauschale nicht systemwidrig sei, sagte – ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin –:

„Warum sollte sie systemwidrig sein? Dann sind alle Pauschalen im GFG oder auch die Sonderbedarfe systemwidrig …“

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, in aller Kürze: Wir haben die Altschuldenproblematik im Blick. Sie können noch so oft behaupten, dass das nicht so sei, aber das ändert nichts an der Tatsache, also dem

(Monika Düker [GRÜNE]: Im Blick behalten reicht aber nicht!)

Koalitionsvertrag, den Debatten hier und Weiterem.

Ich möchte noch einmal Folgendes ganz deutlich sagen – da appelliere ich in aller Ernsthaftigkeit an alle hier im Haus vertretenen Fraktionen –: Sie handeln hier nach dem Oppositionsmantra „höher, schneller, weiter“. Das ist ja das Glück der Opposition: Mit diesen drei Worten

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Da kennen Sie sich aus, nicht wahr?)

können Sie eine Haushaltsdebatte über zwei Tage führen. Sie wollen die Landesregierung in die Pflicht nehmen. Das ist völlig in Ordnung. Denn ohne die Landesregierung wird es nicht gehen.

Wenn Sie hier fordern, die Landesregierung müsse mehr tun, dann wird Folgendes passieren: Wir können in das Boot, das langsam vollläuft, um einmal ein solches Bild zu nutzen, noch so viel Pumpen stellen, ich hätte gern vom Bund das Material, um die Löcher zu stopfen. Dieses Material fehlt im Moment insbesondere bei den Soziallasten.

(Beifall von der FDP)

Olaf Scholz hat viel angekündigt. Das hatte aber deutlich mehr mit der Mitgliederbefragung der SPD zu tun als mit dem Bundeshaushalt und den dort abgebildeten Zahlen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir können uns hier noch so sehr wünschen, dass es mehr geben müsste. Diese Landesregierung hat im Bundesrat einen Vorschlag zum Thema „KdU“ gemacht. Das wäre nicht nur ein kleines Einmalprogramm, sondern das wäre eine dauerhafte Entlastung insbesondere der Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die unter besonders hohen Soziallasten leiden, die unter besonders hoher Verschuldung leiden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Das wollte der Bund nicht mitmachen. Insofern fordere ich Sie auf: …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Höne, darf ich Sie unterbrechen?

Henning Höne (FDP): … Machen Sie doch mit. Holen Sie nicht nur irgendwo neue Pumpen ab, sondern lassen Sie uns gemeinsam die Löcher stopfen. Wir sind dazu gerne bereit. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Stefan Kämmerling [SPD]: Thema verfehlt! Setzen!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bereich Kommunalfinanzen/GFG ist schwerlich in fünf Minuten umfassend zu behandeln. Im Wesentlichen geht es hier um Verteilungskämpfe zwischen den eher linken Parteien, die lieber mehr Geld in den Ballungsräumen sehen würden, und den eher bürgerlichen Parteien, die mehr Geld an den ländlichen Raum überweisen möchten. Irgendwer ist immer unglücklich, und im Jahr vor der Kommunalwahl wird es dann etwas schriller. So weit ist das nichts Neues.

Auf zwei aktuelle Themen, die in diesem Zusammenhang gerade schon angeklungen sind, möchte ich allerdings eingehen.

Mein erstes Stichwort lautet „Straßenausbaubeiträge“. Wir haben im Ausschuss eine Reihe eindrucksvoller Anhörungen dazu erleben dürfen, und irgendwie sieht man hier besonders anschaulich die Unglaubwürdigkeit dieses Betriebs.

SPD und Grüne entdecken in der Opposition plötzlich ihr Herz für den Häuslebauer und Steuerzahler und wollen die Beiträge abschaffen. Das ist eine Idee, auf die sie freilich in Regierungsverantwortung nie gekommen wären und auch nicht gekommen sind.

CDU und FDP, in der Opposition stets aufseiten genau dieser Gruppen, zieren sich nun plötzlich vor der Abschaffung.

Stattdessen kommt jetzt von der Landesregierung ein halbgares Programm, das immerhin 65 Millionen Euro kostet und – das muss man anerkennen – zumindest die schlimmsten sozialen Härten abfedern dürfte.

Unsinnig ist es freilich trotzdem, wenn man sich die Zahlen vor Augen führt. Das landesweite Aufkommen der Abgabe beträgt etwa 130 Millionen Euro. Davon verbrauchen die Kommunen in etwa die Hälfte für die Erhebung. Es bleiben also 65 Millionen Euro Ertrag für die Kommunen. Die Landesregierung könnte also auch einfach 65 Millionen Euro an die Kommunen ausschütten. Stattdessen wird jetzt eine neue Bürokratie geschaffen, um die alte Bürokratie am Leben zu erhalten. Die Menschen bleiben weiter belastet. Das können Sie doch niemandem erklären, meine Damen und Herren.

Ein anderes Stichwort – und auch das klang eben schon an – ist die Altschuldenproblematik, ein besonders Herzensanliegen von Rot-Grün, vermutlich auch deshalb, weil die Problematik da besonders groß ist, wo die Sozialdemokratie besonders lange ungestört misswirtschaften durfte. Es ist schon bezeichnend, dass der oberste Haushälter der SPD-Fraktion ausgerechnet aus der Schuldenhochburg Nordrhein-Westfalens kommt.

Im Grunde ist das Anliegen des Altschuldenabbaus berechtigt. Unabhängig davon, wer die Verantwortung für die Misere trägt: Sie muss irgendwann und irgendwie beseitigt werden. Eine Zeit niedriger Zinsen und immer noch üppiger Steuereinnahmen wäre genau die richtige dafür.

Im Unterschied zu meinen Vorrednern rede ich hier nicht von einer Umverteilung der Schulden. Im Gegenteil: Wir wollen die Kommunen ertüchtigen, ihre Altlasten zu bewältigen und abzubauen,

(Michael Hübner [SPD]: Sagen Sie mal, wie viele Jahre das dauern soll!)

aber auch in die Pflicht nehmen, damit in Zukunft nur nachhaltig gewirtschaftet werden kann und darf.

(Michael Hübner [SPD]: Wie lange dauert das denn?)

Hier ist die Landesregierung und im Besonderen die Ministerin, die sonst gerne vom hohen Ross Haltungsnoten an andere verteilt, bisher ein ziemlicher Totalausfall. Man schiebt die Verantwortung nach Berlin ab, wo die CDU auch regiert. Der Föderalismus wird als Verantwortungsentsorgungseinrichtung genutzt.

Frau Scharrenbach, wenn Sie darauf warten, dass andere Bundesländer die Altschulden der NRW-Kommunen übernehmen, dann werden Sie vermutlich noch lange warten. Denn andere Bundesländer haben diese Probleme gar nicht oder nicht in diesem Ausmaß, und sie werden nicht für den Schlendrian unserer Kommunen aufkommen.

Wieder andere Bundesländer, die ähnliche Probleme haben, haben inzwischen gehandelt und Lösungen gefunden, beispielsweise Hessen mit der sogenannten HESSENKASSE.

(Michael Hübner [SPD]: Wenn man keine Ahnung hat, sollte man mal schweigen!)

Frau Scharrenbach und die NRW-Regierung warten dagegen in der Mitte ihrer Amtszeit auf Anrufe ihrer Parteifreunde in Berlin. Herr Höne hat das Problem im Blick, wie er eben sagte; er bewundert es also.

So bleibt es bei einigen wenigen richtigen, aber auch schwachen Impulsen im Bereich der Kommunalfinanzen, wir sehen jedoch keinen grundlegenden Paradigmenwechsel, keinen Lösungsansatz für die großen und längerfristigen Probleme. So wird das auf jeden Fall nichts. Daher stimmen wir diesem Haushalt auch nicht zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tritschler. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! 2017 war das erste Jahr seit 2008, in dem die Kommunen in den Kernhaushalten wieder schwarze Zahlen geschrieben haben. Offen gesagt: 2018 hat sich das sogar fortgesetzt. – Herr Mostofi-zadeh, ein schwarz-gelber Tag ist für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen tausendmal besser als ein rot-grüner Tag zur Zeit der vorangegangenen Regierung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Kämmerling [SPD]: Ist ja lächerlich!)

Diese Landesregierung hat die Finanzierungslasten beim Unterhaltsvorschuss geändert. Unter Ihrer Zeit mussten sich die Kommunen mit 53,3 % an der Finanzierung des Unterhaltsvorschussgesetzes beteiligen. Diese Landesregierung hat das auf 30 % abgesenkt.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Die freuen sich besonders über die Altfälle!)

Diese Landesregierung hat dafür Sorge getragen, dass die Kommunen beim Unterhaltsvorschuss vom Bürokratieaufwand und Durchführungsaufwand entlastet wurden. Nicht Sie haben das getan, diese Regierung hat es getan. Alleine 2018 betrug der Aufwuchs im Landeshaushalt Nordrhein-Westfalens 110,6 Millionen Euro.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin Scharrenbach, entschuldigen Sie …

(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, winkt ab.)

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Die erhöhte Gewerbesteuerumlage zur Mitfinanzierung der Einheitslasten des Landes fällt zum Jahresende weg. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat diese Landesregierung gesagt: Wir tragen sie nicht vor. Ab 2020 sind das plus 950 Millionen Euro in den Kommunalhaushalten.

Wir haben das Programm „Moderne Sportstätte 2022“ auf den Weg gebracht: plus 300 Millionen Euro.

Die Weiterleitung der Integrationspauschale 2018: 100 Millionen Euro, 2019: 432,8 Millionen Euro, vorher bei Ihnen leider null aus dieser Weiterleitung heraus.

Selbst für die kommunalen Theater und Orchester werden 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das GFG 2020 ist im Vergleich zum GFG 2017 um rund 2,2 Milliarden Euro aufgewachsen. Das steht den Kommunen mehr aus der kommunalen Finanzmasse und der Verteilmasse zur Verfügung.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Ist ja peinlich!)

Das sind plus 21 % gegenüber Ihrer Regierungszeit, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Kämmerling [SPD]: Ist das peinlich!)

Diese Landesregierung hat im GFG zentrale Entscheidungen getroffen. Wir leiten nicht nur Bundesmittel, die uns zur Verfügung stehen, eins zu eins an das GFG weiter, immerhin 216 Millionen Euro, auch im kommenden Jahr haben wir – das ist bereits bei den Vorrednern angeklungen – die Kommunen von Befrachtungen befreit, die Sie als SPD und Grüne vorgenommen haben. Diese Befreiungen machen bis 2022 rund 690 Millionen Euro aus. Dieses Geld belassen wir den Kommunen, während Sie es ihnen weggenommen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Stimmt überhaupt nicht!)

Diese Landesregierung hat die goldenen Zügel bei den Investitionspauschalen abgeschafft und gesagt, dass die Kommunen selber entscheiden – Stichwort „kommunale Selbstverwaltung“ –, wo sie Gelder investieren. Deshalb wurde eine gegenseitige Deckungsfähigkeit hergestellt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir tragen für das GFG 2020 vor, dass die Schul- und Bildungspauschale auch für konsumtive Ausgaben im Zusammenhang mit der Digitalisierung in den Schulen unserer Städte und Gemeinden verwendet werden darf. Das haben nicht Sie gemacht, das haben wir gemacht.

Ich kann Ihnen noch viele weitere Bausteine nennen, zum Beispiel eine Stärkung der Abwassergebührenhilfe für die ganz kleinen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, um Gebührensätze stabil zu halten. Das sind Entscheidungen dieser Landesregierung. Daran merken Sie: Ein schwarz-gelber Tag ist für die Kommunen tausendmal besser als ein rot-grüner Tag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Oppositionsfraktionen, Sie haben auf das FlüAG abgehoben.

(Stefan Kämmerling [SPD]: „Abgehoben“ ist das Stichwort!)

Das Erstaunliche ist, dass das FlüAG nicht Gegenstand dieses Haushaltes ist. Das ist nicht Gegenstand des Einzelplans 08, über den wir hier debattieren.

(Christian Dahm [SPD]: Als Abgeordnete können wir reden, was wir wollen!)

– Wir reden hier über den Einzelplan 08. Sie können natürlich auch über die Staatskanzlei sprechen. Das können Sie gerne tun.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Sie reden auch nicht zum Tagesordnungspunkt! – Unruhe – Glocke)

– Das Thema „FlüAG“ ist nicht Gegenstand des Einzelplans 08. Deshalb sehen Sie es mir nach, dass ich mich zu diesem Themenbereich an dieser Stelle nicht äußere, sondern das bei anderen Sachverhalten tue.

(Christian Dahm [SPD]: Sie haben eben zur Integrationspauschale gesprochen! – Michael Hübner [SPD]: Und zum Unterhaltsvorschussgesetz!)

Sie haben die Altschulden angesprochen. Ich glaube, Sie geben mir gleich zumindest inhaltlich recht, auch wenn Sie das mündlich nicht tun können. Die Bereinigungssitzung im Deutschen Bundestag hat stattgefunden. Die regierungstragenden Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben im Bundeshaushalt 2020 kein Geld für eine Altschuldenhilfe zur Verfügung gestellt.

(Henning Höne [FDP]: Was? Olaf Scholz nicht?)

Der Bundeshaushalt 2020 ist zu. Dieser Landeshaushalt ist offen. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen nicht mit Herrn Scholz über die Zeitung reden. Wenn Herr Scholz seine pressetechnischen Ankündigungen zu einer irgendwie gearteten Altschuldenhilfe für den SPD-internen Wahlkampf braucht, dann möge er das tun, aber er ermöglicht nicht gescheite Lösungsfindungen zum Thema „Altschulden“.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist die Sachwalterin der NRW-Kommunen! Parteipolitischer Mist ist das!)

Seit 2017 sind die Liquiditätskredite in Nordrhein-Westfalen um 3,2 Milliarden Euro gesunken. Das macht man nur, wenn eine Landesregierung zusammen mit den Kommunen im Vertrauen arbeitet, wenn wir uns darauf verlassen können, dass Liquidität genutzt wird, Liquiditätskredite unten zurückgeführt werden. Gleichzeitig schaffen wir, wie es sich für eine bürgerlich-liberale Koalition gehört, Erleichterungen und Freiheiten, damit kommunale Selbstverwaltung stattfinden kann. All das haben wir getan. Die Kommunen wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.

An dieser Stelle darf ich noch zwei weitere Punkte ansprechen. Diese Landesregierung setzt sich aktuell dafür ein, dass die Optionsfrist im Zusammenhang mit dem Umsatzsteuergesetz verlängert wird und nicht jede interkommunale Kooperation im Bundesgebiet durch die Umsatzbesteuerung, die ab 2021 droht, torpediert wird.

(Michael Hübner [SPD]: Das hat die Vorgängerregierung auch gemacht! Was ist das für ein Unsinn!)

Wir tragen Verlängerungen, Erleichterungen für Kommunen im Bundesrat vor, die komischerweise von SPD-geführten Ländern permanent blockiert werden.

Die Kommunen wissen also – das sage ich ganz offen –, was sie an einer CDU-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Zwei Vorbemerkungen:

Erstens. Frau Ministerin hat die Redezeit um 1 Minute 29 Sekunden überzogen. Diese Zeit kann von den Fraktionen genutzt werden.

Zweitens. Es sind zwei Kurzinterventionen angemeldet worden, die erste vom Kollegen Hübner von der SPD-Fraktion und die zweite vom Kollegen Mostofizadeh von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich frage zuerst, ob jemand die zusätzliche Redezeit von 1 Minute 29 Sekunden nutzen möchte? – Herr Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Auffassung, dass die Ministerin zum GFG gesprochen hat, hat sie hier im Raum relativ exklusiv.

Ich will kurz etwas zum Thema „Altschulden“ sagen. Ich muss Ihnen, Frau Ministerin, mal in aller Deutlichkeit vorwerfen, dass Sie sich auf ein sehr hohes Ross gesetzt haben. Ich kann Sie nur auffordern, endlich abzusteigen.

(Beifall von Christian Dahm [SPD])

Denn ich frage mich: Was bilden Sie sich eigentlich mit Blick auf Berlin ein? Glauben Sie, dass der Bundesfinanzminister Ihnen zuliebe etwas entwickelt, damit auf dem Präsentierteller nach Düsseldorf reist und Sie bittet, das Geld anzunehmen? – Es ist Ihre Aufgabe, ein Modell zu entwickeln.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland, das von einer Altschuldenlösung am meisten profitieren würde. Ihre Aufgabe als Landesregierung wäre es, nicht nur ein Modell zu entwickeln und den Bundesfinanzminister zu überzeugen, sondern auch Mehrheiten bei den anderen Ländern zu schaffen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wer hat denn 18 Milliarden Euro angekündigt? Olaf Scholz!)

Das ist Ihre Aufgabe – und nicht, hier über einen Bundesfinanzminister zu meckern, der längst erklärt hat, bereit zu sein, zu helfen.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was hat er denn gesagt? – Henning Höne [FDP]: 0,00 Euro!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kämmerling. – Das war die zusätzliche Redezeit. Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte sie nutzen. Herr Mostofizadeh hat darum gebeten.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will es sehr präzise ausdrücken, Frau Ministerin – das kann ich auch Sie fragen, Herr Kollege Höne –: Sind Sie beim Altschuldenfonds der Meinung, dass Nordrhein-Westfalen nur handeln soll, wenn der Bund aus dem Quark kommt?

Ich habe nämlich folgenden Eindruck: CDU und SPD tun immer so, als würde keiner von Ihnen beiden im Bund regieren. Sie regieren aber gemeinsam. Das ist Ihre gemeinsame Verantwortung. Wenn Herr Scholz das macht, ist es auch Frau Merkel. Sonst müsste Frau Merkel von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen.

Insofern ist das unangemessen, Frau Ministerin. Sie machen sich nicht zur Sachwalterin der NRW-Kommunen, sondern Sie machen parteipolitische Spielchen auf Kosten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen, wenn Sie den Altschuldenfonds nicht endlich auf den Weg bringen. – Das war die erste Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Das Zweite ist – und das macht mich mittlerweile wirklich fuchsig –: Beim Flüchtlingsaufnahmegesetz enthalten Sie den Kommunen 750 Millionen Euro vor, weil Sie die Bearbeitung des Gutachtens in die Länge ziehen und nicht zum Abschluss kommen. Jetzt verstecken Sie sich auch noch hinter Minister Stamp. Auch da sind Sie nicht Sachwalterin der Kommunen.

Wenn CDU und FDP in drei Wochen diesen Haushalt so beschließen, haben Sie aus meiner Sicht in zwei Punkten Wahlversprechen wirklich gebrochen. Erstens. Sie haben nicht für die Weiterleitung der Integrationsmittel gesorgt. Zweitens. Sie lassen die Kommunen bei der Unterbringung der Geflüchteten im Regen stehen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sagt der, der nichts gegeben hat!)

obwohl das Land 2 Milliarden Euro weniger Ausgaben hat.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Hovenjürgen, es ist ein Desaster, was Sie hier anrichten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sagen die, die nichts gegeben haben!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Sie haben gesehen, dass ich mit der Verwaltung diskutiert habe. Das liegt daran, dass wir, glaube ich, noch nie die Situation hatten, dass Redezeitüberziehungen mit angemeldeten Kurzinterventionen zusammengefallen sind. Wahrscheinlich müssen wir im Nachgang noch einmal klären, ob es mein Fehler war, dass ich nicht erst die Kurzinterventionen zugelassen habe, sondern gedacht habe, dass die Redezeitüberziehung vorgeht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die Kurzinterventionen sind weg!)

Daher muss ich es erstens auf mich nehmen, dass ich wahrscheinlich einen Fehler bei der Reihenfolge gemacht habe.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist nicht der erste!)

Zweitens frage ich, ob es dennoch möglich ist, die Kurzinterventionen zuzulassen, weil die Kurzintervention ein Recht ist, das sich aus der Geschäftsordnung ergibt. Damit ist auch ein Recht derjenigen verbunden, die sich zu einer Kurzintervention gemeldet haben, welches ich nicht auf diese Weise kappen kann.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nach der Rede!)

Sind Sie unter Akzeptanz meines Fehlers einmal damit einverstanden, dass wir die Kurzinterventionen jetzt noch nachholen? – Danke.

(Christian Dahm [SPD]: Wir beantragen keine Sitzungsunterbrechung!)

– Wenn Sie das möchten, müssten Sie das jetzt beantragen.

(Christian Dahm [SPD]: Nein, nein! – Michael Hübner [SPD]: Der Kollege ist sich nicht so sicher! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein!)

– Nicht einverstanden?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein! – Michael Hübner [SPD]: Nein, alles ist gut!)

– Gut; alles in Ordnung. Ich will heute ja nicht noch einen Fehler machen.

(Petra Vogt [CDU]: Nein, wir sind nicht einverstanden!)

Dann hat jetzt Herr Kollege Hübner das Wort und danach die Frau Ministerin – entsprechend den üblichen Regeln bei Kurzinterventionen.

(Petra Vogt [CDU]: Wir sind nicht einverstanden! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir sind nicht einverstanden! Es gibt Regeln! An die hat man sich zu halten! – Michael Hübner [SPD]: Frau Präsidentin, die CDU ist nicht einverstanden!)

– Entschuldigung. Deshalb habe ich ja gefragt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist jetzt zweite Mal! – Gegenruf von Michael Hübner [SPD]: Entschuldige mal! – Christian Dahm [SPD]: Das ist doch peinlich!)

Ich habe ja gesagt, dass wir diesen Fall so gut wie noch nie hatten. Wahrscheinlich habe ich jetzt einfach in der Auslegung der Geschäftsordnung einen Fehler gemacht. Wenn Sie widersprechen, ist das …

(Unruhe)

Vielleicht darf ich einfach einen Vorschlag machen. Da die beiden Fraktionen, die eine Kurzintervention angemeldet hatten, zu ihrem Recht gekommen sind …

(Michael Hübner [SPD]: Nein!)

– Dann muss ich wirklich einen kleinen Moment … Der Präsident ist ja da, um mich abzulösen.

(Heiterkeit – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Nein, nein, nein. Ich wollte nur sagen: Es ist gut, dass er da ist. Ich würde ihm gerne die Sachlage kurz schildern. Dann entscheiden wir innerhalb einer Minute, wie es weitergeht.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Leute, was seid ihr peinlich! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich hatte das Recht! – Michael Hübner [SPD]: Und ich auch! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Nach der Geschäftsordnung geht es nach der Rede! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nein, ich hätte sofort die Kurzintervention haben müssen! – Monika Düker [GRÜNE]: Eine Kurzintervention ist ja ein anderes Instrument, als eine Rede zu halten! – Ibrahim Yetim [SPD]: Kann einmal einer den Ton lauter stellen? Das ist hier ja wie Kino! – Weitere Zurufe)

Ich sage es noch einmal: Es war wahrscheinlich mein Fehler. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir diese Situation schon einmal hatten.

Ich habe es jetzt gerade mit dem Präsidenten besprochen und schaue noch einmal zu meinen beiden Schriftführern. Wir lassen in diesem Fall wie üblich abstimmen. Anders geht es nicht, weil jemand widersprochen hat.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Wer war das denn? Sie da vorne, oder?)

– Die CDU-Fraktion. Das haben Sie doch mitbekommen.

(Stefan Kämmerling [SPD]: So viel Angst?)

Ich schlage also noch einmal vor, dass die Kurzinterventionen ausnahmsweise jetzt erfolgen. Wer sich dem anschließen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU und FDP.

(Andreas Becker [SPD]: Das sind aber weniger! Hammelsprung!)

– Dafür bestimmt nicht.

(Michael Hübner [SPD]: Da bin ich jetzt einmal gespannt!)

– Wir zählen gerade durch.

(Unruhe – Christian Dahm [SPD]: Das ist peinlich! Wir wären schon lange durch! – Michael Hübner [SPD]: Das ist doch jetzt nicht euer Ernst! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Peinlich ist, was da vorne gelaufen ist! – Christian Dahm [SPD]: Kleinkariert!)

Die beiden Schriftführer haben gezählt. Die Ablehnung des Vorschlags hat eine Mehrheit gefunden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Frau Präsidentin! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Das geht nur zur Geschäftsordnung!)

– Bitte schön, Herr Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin, wir würden unsere Bedenken zurückstellen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Hören Sie doch einfach einmal zu. Einmal zuhören, lieber Kollege! – Wir würden unsere Bedenken zurückstellen, möchten das aber im Ältestenrat behandelt wissen. Denn ich glaube, so geht es eigentlich nicht. Wir stellen aber unsere Bedenken für heute zurück.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Peinlich! Sie sind peinlich!)

– Nein, peinlich ist das, was da gelaufen ist, Herr Kämmerling. Und Sie sind übrigens auch peinlich.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Hovenjürgen, es ist doch selbstverständlich, dass wir eine Situation, die relativ einmalig ist, auch im Nachgang besprechen und klären müssen.

Ob das peinlich ist? Es mag sein, dass Sie jetzt meinen wahrscheinlichen Fehler als Peinlichkeit bezeichnen. Aber ich glaube nicht, dass ich mich an dieser Stelle über das Parlament hinweggesetzt habe.

Ich danke Ihnen aber sehr herzlich dafür, dass Sie die Bedenken zurückziehen.

Damit sind wir jetzt bei den Kurzinterventionen. Herr Hübner, bitte.

Michael Hübner (SPD): Frau Ministerin, die Altschuldenfrage – das haben die beiden Kollegen schon deutlich gemacht – ist weiterhin ungelöst. Sie ist deshalb dramatisch ungelöst, weil das Innenministerium in der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse bereits in den Sommerferien einen Vorschlag vorgelegt hat, mit dem Sie nicht umgegangen ist und mit dem der Finanzminister in Nordrhein-Westfalen entsprechend auch nicht umgegangen ist.

Es liegen Modelle auf dem Tisch. Ich habe mir gerade zur Vorbereitung dieser Debatte auch noch einmal angeschaut, was Martin Junkernheinrich dazu geschrieben hat. Da gibt es zwei Modelle. Dazu könnten Sie sich ja gleich in der Antwort auf die Kurzintervention noch einmal äußern.

Schockiert bin ich über Ihre Aussage zum Unterhaltsvorschussgesetz. Dass Sie allen Ernstes behaupten, beim Unterhaltsvorschussgesetz habe es eine Entlastung der Kommunen gegeben, ist wirklich dreist. Das grenzt an eine Lüge. Wir haben dieses Jahr sehr klar herausgearbeitet, dass in allen Städten, die über ein Jugendamt verfügen, die Kosten seit 2016 enorm explodiert sind. Das liegt daran, dass Sie ein fundamental schlechtes Gesetz vorgelegt haben und die Kommunen massiv belasten.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Stadt Recklinghausen hatte für das Unterhaltsvorschussgesetz im Jahre 2016 Ausgaben in Höhe von 664.984 Euro. Jetzt, im Jahr 2018, hat sie Ausgaben von 1.094.695 Euro.

Präsident André Kuper: Herr Hübner, die Redezeit ist überschritten.

Michael Hübner (SPD): Das ist knapp eine halbe Million Euro mehr. Sich hier hinzustellen und zu behaupten, das sei eine Entlastung, ist, ehrlich gesagt, ein Skandal. Das zeigt, wie Sie als schwarz-gelbe Politik mit den Kommunen und den Interessen umgehen.

Präsident André Kuper: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter Hübner, das Problem bei Ihren Aufbereitungen ist schlicht und ergreifend, dass Sie vergessen, dass die Bundesebene den Empfängerkreis beim Unterhaltsvorschuss deutlich ausgeweitet hat. Das ist die Wahrheit an dieser Stelle, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Michael Hübner [SPD]: Das waren Sie! Das Gesetz haben wir letztes Jahr Weihnachten hier gelesen! Sie wissen, dass das falsch ist! – Unruhe – Glocke)

Sie haben schlicht und ergreifend in Ihrer Regierungszeit die Kommunen mit 53,3 % am UVG beteiligt. Wir haben das abgesenkt.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist nicht richtig! Das Gesetz haben wir letztes Jahr Weihnachten hier debattiert!)

– Herr Hübner, ich glaube, ich habe jetzt das Wort. Sonst drücken Sie sich noch einmal neu ein oder melden sich vorne an.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD] – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Seit Jahren disziplinieren Sie Abgeordnete! – Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch miteinander ein vernünftiges Verfahren gefunden. Wir sollten jetzt sowohl die eine wie die andere Seite bitte ausreden lassen.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Fakt ist schlicht und ergreifend, dass diese Regierung und dieser Landtag die Beteiligung der Kommunen von 53,3 % auf 30 % abgesenkt haben. Wenn Sie durch eine Verbreiterung des Empfängerkreises gegenläufige Tendenzen haben, kommen Sie am Ende des Tages natürlich zu anderen Ergebnissen.

(Unruhe)

– Vielleicht ist es ja doch nicht von Interesse.

(Michael Hübner [SPD]: Natürlich ist das von Interesse! Das bewerten nicht Sie!)

– Sie haben ja Fragen gestellt. Sie gestatten, dass ich sie Ihnen beantworte, Herr Abgeordneter.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Zur Frage der Altschulden: Niemand kennt das Konzept des Bundesfinanzministers.

(Christian Dahm [SPD]: Vielleicht hat er im Gegensatz zu Ihnen wenigstens eines!)

Niemand kennt es. Und wir haben ein sehr erfolgreiches …

(Unruhe)

Herr Landtagspräsident, eine Beantwortung ist offenkundig nicht erwünscht. Insofern gestatten Sie mir, an dieser Stelle zu enden.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt haben wir noch eine zweite Kurzintervention und keine – ich mache noch einmal darauf aufmerksam – Zwischenfrage, und zwar vom Abgeordneten Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Prinzip ist es mehr eine Frage als eine Kurzintervention; das ist mir aber auch freigestellt.

Die Stadt Dortmund, die nicht Stärkungspaktkommune ist, hat nach meinem Kenntnisstand 1,5 Milliarden Euro Kassenkredite, die Stadt Duisburg über 1 Milliarde Euro und die Stadt Essen 2 Milliarden Euro. Wenn sie das, wie man es für richtig halten würde, nach 30 Jahren abbezahlen müssten, müsste die Stadt Essen jährlich 70 Millionen Euro konsolidieren. Das entspricht ungefähr dem dreieinhalbfachen Zuschussbedarf im Sportbereich.

Wird die Landesregierung, Frau Ministerin, handeln, auch wenn die Koalition aus CDU und SPD, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, kein eigenes Entschuldungskonzept vorlegt?

Präsident André Kuper: Bitte.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Abgeordneter Mostofizadeh, vielen Dank für die sachliche Frage. Wir beide kriegen das ja immer gut hin.

(Zurufe)

Wir beide haben es schon im Fachausschuss sehr intensiv, ruhig und vernünftig ausgetauscht. Deswegen können wir das hier durchaus fortsetzen.

Sachstand ist unverändert, dass innerhalb der Bundesregierung ein Altschuldenkonzept nicht konsentiert ist. Sachstand ist unverändert, dass eine mögliche Vorstellung des Bundesfinanzministers innerhalb der Bundesregierung nicht bekannt ist – ob es eine Übernahme einer Bundesschuld ist, die bei der Altschuldentagung vom Staatssekretär aus dem BMF als Option genannt wurde, oder ob es ein Finanzierungsfonds über einen mehrjährigen Zeitraum ist. Auch das ist nichts Neues. Das haben wir alles miteinander ausgetauscht.

Es hängt aber am Ende von den Konditionen ab. Und wir kommen als Länder nicht mit dem Bund in eine Rechnung, wenn keine offiziellen Gespräche stattfinden. Dazu rufen wir auf. Wir sind am Dienstag bei der Veranstaltung, die übrigens von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchaus sehr positiv gewertet wurde, in der Art auseinandergegangen, dass wir gesagt haben: Auch wenn der Bundeshaushalt 2020 jetzt zu ist – die Bereinigungssitzung ist erledigt –, sind wir nach dem Haushalt auch vor dem Haushalt.

Insofern werden die nächsten Wochen und Monate im neuen Jahr 2020 von uns bewusst genutzt werden, um diese Gespräche zu führen. Sie kennen den Koalitionsvertrag von CDU und FDP auf der Landesebene, in dem wir gesagt haben: Wir werden den kommunalen Stärkungspakt zu einer kommunalen Kredithilfe weiterentwickeln. – Und der Koalitionsvertrag gilt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegt jetzt noch eine weitere Wortmeldung vor. Für die FDP spricht der Abgeordnete Herr Höne.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da dankenswerterweise noch Redezeit vorhanden ist, gehe ich noch einmal auf das eine oder andere ein.

Zum Unterhaltsvorschuss: Diejenigen von Ihnen, die wie ich das Glück hatten, auch in der letzten Legislaturperiode dem Kommunalausschuss anzugehören, müssten sich eigentlich an die eine oder andere Debatte zu diesem Thema erinnern.

Fakt war: Der Bund hat 20 % der Kosten beim UVG getragen, 80 % entfielen auf die Länder. Die Länder konnten selber entscheiden, wie viel sie an die Kommunen weitergeben. Unter Rot-Grün hatte sich das Land dafür entschieden – zumindest haben Sie es über sieben Jahre hinweg nicht geändert –, zwei Drittel dieser 80 %, also knapp 53 %, an die Kommunen zu überwälzen.

Wir haben das hier mit der damaligen Ministerin Kampmann mehrfach diskutiert. Zum Beschluss der GroKo zur Leistungsausweitung – Ende der Altersgrenze von 12 Jahren, Ende der maximalen Bezugsdauer von 72 Monaten – haben wir gesagt: Da kommt etwas auf uns zu, und der Bund übernimmt die Kosten nicht. Der Bund bestellt mal wieder eine – wie ich finde – wünschenswerte Leistungsausweitung. Aber der Bund bezahlt sie nicht.

Nur können Sie immer noch sagen: höher, schneller, weiter. Ich habe es eben gesagt, dass es Ihr Privileg ist, sich das so einfach zu machen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Hätten wir das rot-grüne Modell fortgesetzt, würden die Kommunen nicht 30 %, sondern weiterhin 53 % dieser jetzt noch höheren Kosten tragen.

Das muss auch der Kollege Hübner akzeptieren. Sie können ja selber noch einmal den Faktencheck machen.

(Beifall von der FDP)

Dann will ich noch kurz auf die Altschulden eingehen. Olaf Scholz hat das im Bundeshaushalt nicht nur mit genau 0,00 Euro hinterlegt, sondern auch gesagt, dass er bei den Bundesländern gerne ein 16:0-Einverständnis mit einer Lösung haben möchte.

Dazu frage ich Sie: Wie wollen Sie diesen Bail-out, diesen Schuldenschnitt, der Ihnen in Wahrheit vorschwebt, mit Bayern, Baden-Württemberg und anderen Ländern eigentlich 16:0 beschließen?

Weil diese Länder davon kaum bis gar nicht profitieren würden, kann ich Ihnen nur sagen, dass der Vorschlag dieser Landesregierung – ein deutlich erhöhter Anteil des Bundes an den Kosten der Unterkunft – wirklich etwas bringen würde.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Henning Höne (FDP): Das würde Nordrhein-Westfalen insbesondere bei den sozial schwächsten Städten mit den höchsten Sozialkosten deutlich entlasten, und alle Länder könnten davon profitieren – anders als bei einem Schuldenschnitt.

Insofern lautet meine herzliche Einladung und Bitte: Machen Sie doch einfach dabei mit, anstatt hier in Richtung Landesregierung herumzuplärren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Teilbereich vor. Daher schließe ich die Aussprache zum Teil a).

Ich rufe auf:

b) Heimat, Bauen und Wohnen

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Becker das Wort. Bitte schön.

Andreas Becker (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der knappen Zeit werde ich mich auf das konzentrieren, auf das es im Bereich Bauen und Wohnen ankommt: Was kommt am Ende dabei herum?

Wir müssen feststellen: viel zu wenig. Wir müssen zur Halbzeit der Legislaturperiode feststellen, dass die Versorgung weiter Teile der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum nicht mehr gesichert ist. Insbesondere in den Hotspots besteht ein erheblicher Mangel an Mietwohnungen. Die Mietpreisspirale dreht sich dabei immer schneller in immer neue Höhen. Unter Schwarz-Gelb sinkt die Zahl der neu gebauten mietpreisgebundenen Wohnungen auf immer neue Rekordtiefen herab.

Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Von 2016 bis 2018 gab es im geförderten Mietwohnungsbau einen Rückgang von 34 %. Eine Trendwende ist auch nicht in Sicht, zeigen doch die Zahlen zum Mittelabruf zur Wohnraumförderung, dass dieser bis Ende Oktober im Vergleich zum Vorjahreszeitraum noch einmal um 20 % eingebrochen ist.

Das ist Ihre Bilanz. Sie können noch so oft beschwören, dass Sie 1,1 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

(Zuruf von der CDU: Milliarden!)

Es hilft nichts, wenn sie nicht abgerufen werden. Entscheidend ist, was am Ende dabei herauskommt. Und das sind bei CDU und FDP weniger Wohnungen und höhere Mieten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Entscheidend ist auch die Frage, welche Schlüsse Sie daraus ziehen. Da fällt Ihnen auch nichts Besseres ein, als zu sagen: Gut; wenn wir keine mietpreisgebundenen Wohnungen bauen können, dann fördern wir halt Eigentum. – Auch an dieser Stelle sei klar gesagt: Wir Sozialdemokraten haben nichts gegen ein Eigenheim. Im Gegenteil: „Oma ihr klein Häuschen“ ist unsere Erfindung.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Heiterkeit von Regina Kopp-Herr [SPD])

Aber doch bitte keine Erhöhung dieser Mittel, wenn bezahlbarer Wohnraum massenhaft fehlt!

(Zuruf von Stephen Paul [FDP])

Dann muss doch die Förderung auf den mietpreisgebundenen Wohnungsbau konzentriert werden. Bei dem wollen Sie allerdings in den nächsten Jahren kürzen.

Deshalb sollten Sie die letzten Endes 611 – 611! – geförderten Wohnungseinheiten, die Sie mit Maßnahmen der Eigentumsförderung geschaffen haben, nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen, sondern sich der sozialen Realität und dem Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen in unseren Städten zuwenden.

Sie sollten sich lieber fragen, warum die Förderergebnisse bei der Mietraumförderung unzureichend sind. In dieser Frage kann man sich übrigens auch beraten lassen. Dann hätten Sie vielleicht hören können, dass Sie mit Ihrer verfehlten Absenkung der Mietstufen den sozialen Wohnungsbau in zahlreichen Kommunen vollständig abgewürgt haben, weil die Förderkonditionen dort schlichtweg unrentabel sind.

Aber beraten lassen Sie sich nicht. Anstatt die Modifizierung des Eckwertevorschlags zum Wohnraumförderprogramm auf die Tagesordnung des Beirats für Wohnraumförderung am 7. November dieses Jahres zu setzen und darüber zu diskutieren, leiten Sie vier Werktage später ein Umlaufverfahren zur Zustimmung ein und geben den Mitgliedern sage und schreibe über das Wochenende Zeit, dem zuzustimmen.

Was ist das für ein Niveau? Ich finde, so geht das nicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb sage ich auch hier klar und deutlich: Sie haben nichts gelernt. Ihre Modifizierung des Förderprogramms ist ein verkapptes Weiter-so, lediglich mit einer Harmonisierung der Zinskonditionen über alle Programmbestandteile hinweg. Diese ist dann sinnvoll, wenn sie mit einer Ausweitung der Bindungsfristen verbunden wird. Aber als alleinige Veränderung bleibt das völlig unzureichend, um auf die Anforderungen des Wohnungsmarktes angemessen zu reagieren.

Einen Umschwung zu mehr mietpreisgebundenem Wohnungsbau werden wir mit Ihrer Politik jedenfalls nicht erreichen. Sie verharren im Gestern.

Was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Überarbeitung der Förderrichtlinien. Wir brauchen Flexibilisierung im Hinblick auf die Förderfähigkeit und die Rentabilität des öffentlich geförderten Geschosswohnungsbaus in allen Landesteilen; denn Bodenpreise, Baukosten und Mietpreise halten sich nicht an Straßen- oder Stadtgrenzen.

Wir brauchen darüber hinaus einen neuen, zusätzlichen, gemeinwohlorientierten Förderweg, der es Kommunen ermöglicht, zeitlich unbefristete Mietpreis- und Belegungsbindungen einzugehen, wenn sie Grundstücke günstig auf Basis von Erbpacht zur Verfügung stellen.

Deshalb brauchen wir kein Weiter-so einer verfehlten Wohnungsbaupolitik. Vielmehr müssen wir mehr gemeinwohlorientierte Wohnungsbaupolitik wagen. Nordrhein-Westfalen braucht eine neue Wohnungsbaupolitik für die vielen, nicht für die wenigen. Wir brauchen mehr Zukunft statt Weiter-so. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU hat der Abgeordnete Schrumpf das Wort.

Fabian Schrumpf (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Becker, Sie sind in zweieinhalb Jahren Opposition bereits der dritte bau- und wohnungspolitische Sprecher der SPD unter Herrn Ott, der hier zum Teilbereich Heimat, Bauen und Wohnen spricht. Daher zunächst meinen Glückwunsch zu Ihrer ersten und, ich hoffe, auch nicht einzigen Haushaltsrede in dieser neuen Funktion.

Doch leider verbindet Sie, Herr Kollege, mit Ihren Vorgängern dasselbe gestörte Verhältnis zum Heimatbegriff – Sie gehen ja gar nicht erst darauf ein –

(Beifall von der CDU und der FDP)

sowie die Tatsache, dass auch Sie überhaupt nicht verstehen, wie die öffentliche Wohnraumförderung funktioniert – Stichwort „gegenseitige Deckungsfähigkeit der einzelnen Etats“. Kein gefördertes Eigenheim führt dazu, dass eine einzige mietpreisgebundene Wohnung im Geschosswohnungsbau weniger gebaut wird, Herr Kollege.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir stellen also fest: Wenn nicht in personeller Hinsicht, besteht zumindest in polemisch-ideologischer Hinsicht bei der Sozialdemokratie nach wie vor Kontinuität.

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Ort, der das Zuhause eines Menschen ersetzen kann.

Vor zweieinhalb Jahren sind wir daher als NRW-Koalition mit dem Ziel angetreten, ein Klima für Neubau in Nordrhein-Westfalen zu schaffen, damit wir mehr Wohnraum in allen Segmenten schaffen. Dazu haben wir die Rahmenbedingungen in den vergangenen zweieinhalb Jahren erheblich verbessert, zum Beispiel durch Modernisierung und Entbürokratisierung des Baurechts.

(Beifall von Stephen Paul [FDP])

Statt Vermieter und Investoren durch Regulierungswahn und Zwangsmaßnahmen zu verschrecken oder zu beschimpfen – wie Rot-Rot-Grün das etwa in Berlin tut – und dadurch Wohnungsneubau und Investitionen abzuwürgen, haben wir Vorschriften entschlackt und so Investitionsanreize gesetzt.

Mit der modernisierten öffentlichen Wohnraumförderung in beachtlicher Größenordnung – die Zahl von bis zu 1,3 Milliarden Euro ist ja mehrfach genannt worden – haben wir zudem ein klares Bekenntnis zum geförderten Wohnungsbau abgegeben, und zwar ganz gleich, ob mietpreisgebundener Geschosswohnungsbau oder Wohneigentum. Kein gutes Projekt in diesem Land wird am Geld scheitern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wissen, dass neue Wohnungen nicht über Nacht entstehen. Wir wissen, dass Flächen und Baugrundstücke begrenzt sind. Wir können jedoch für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen, um Bauen zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu vergünstigen. Wir ergehen uns dazu nicht wie Sie in Enteignungsfantasien, sondern arbeiten Tag für Tag hart daran, den Menschen in unserem Land ein bezahlbares Zuhause zu ermöglichen und ihnen damit nicht zuletzt Heimat zu geben.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Hübner.

Fabian Schrumpf (CDU): Ja, gerne. Bitte.

Michael Hübner (SPD): Herr Kollege Schrumpf, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin noch ganz fasziniert von Ihrer Auffassung dazu, was die Landesbauordnung in Nordrhein-Westfalen alles möglich gemacht hat. Ich habe aber gerade sehr genau zugehört, auch dem Kollegen Becker. Die Anzahl – das ist auch die bekannte Zahl, die ich habe – der Baugenehmigungen ist in den letzten Jahren aber nicht gestiegen, und es gibt da auch keinen kausalen Zusammenhang. Oder sehe ich das falsch? Oder haben Sie einfach andere Statistiken zur Verfügung?

Präsident André Kuper: Bitte schön.

Fabian Schrumpf (CDU): Danke. – Herr Hübner, Sie wissen, dass eine Vereinfachung des Baurechts zum 01.01.2019 in Kraft getreten ist und wir jetzt in diesem Jahr erstmalig die neue Landesbauordnung anwenden.

(Michael Hübner [SPD]: Dann müsste das ja schon entfesselt sein!)

Ich bin mir sicher: Wir werden im nächsten Jahr an dieser Stelle dann wieder diskutieren und werden dann auch die konkreten Auswirkungen dieses neuen Gesetzes sehen.

Fakt ist jedenfalls: Wäre Ihre rot-grüne Landesbauordnung in Kraft getreten, würden wir heute hier über ganz andere Zahlen reden, weil das nämlich dazu geführt hätte,

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Das ist Spekulation! – Michael Hübner [SPD]: Das ist reine Spekulation!)

Bauwillige zu gängeln und mit überbordender Bürokratie zu belasten.

Deshalb ist es gut, dass es nicht dazu gekommen ist, sondern wir eine moderne, unbürokratischere, vereinfachte Landesbauordnung beschlossen haben,

(Michael Hübner [SPD]: Zwölf Monate hat die Landesbauordnung keinen Effekt!)

die Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich komme zurück zu meiner Rede. Ich war beim Begriff „Heimat geben“. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird auch hier durch den vorliegenden Einzelplan deutlich. Denn im Mittelpunkt aller Maßnahmen steht der Mensch, und zwar unabhängig davon, ob er im ländlichen Raum oder in der Stadt zu Hause ist. Die große Herausforderung bei der Schaffung von Wohnraum ist und bleibt dabei die Verfügbarkeit von bebaubaren Grundstücken.

Deshalb wird in diesem Jahr die Landesinitiative Bau.Land.Leben gestartet, um alle Unterstützungsinstrumente des Landes zur Mobilisierung und Entwicklung von Bauland unter einem Dach zusammenzufassen. So stellen wir im Bereich der Baulandentwicklung insgesamt rund 17,7 Millionen Euro zur Verfügung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Herausforderungen in unserem Land adäquat bewältigen zu können, sind wir auf starke Städte, Gemeinden und Kreise angewiesen. Denn sie sind nicht nur Zuhause und Heimat für die Menschen in Nordrhein-Westfalen, sondern bilden auch das Fundament für eine starke Gesellschaft in einem starken Nordrhein-Westfalen.

Mit unserem Dorferneuerungsprogramm stärken wir das Leben auf dem Land. Nachdem das Programm schon in diesem Jahr gegenüber 2018 deutlich ausgebaut wurde, wird es im Haushaltsjahr 2020 eine Steigerung um weitere 5 Millionen Euro erfahren. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, ob in der Stadt oder auf dem Land.

Auch im Jahr 2020 werden wir mit unserem Heimat-Förderprogramm das fördern, was Menschen verbindet.

Mit großer Freude haben wir zur Kenntnis genommen, dass das große Interesse am Heimat-Scheck nach wie vor anhält. So konnten bislang mehr als 1.500 gute Ideen direkt vor Ort mit diesem Möglichmacher gefördert und auch umgesetzt werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um kreative, heimatverbundene Köpfe und Vereine auch über 2019 hinaus zu unterstützen, wird es im Haushaltsjahr 2020 daher weitere rund 4 Millionen Euro für den Bereich Heimat geben. Wir wollen das Leben in unserer Heimat lebenswert gestalten.

Eine weitere wichtige Weichenstellung hierfür haben wir zügig nach Regierungsübernahme vorgenommen, indem wir die Versäumnisse der Vorgängerregierung behoben und die finanziellen Mittel für die Denkmalförderung im Jahr 2019 auf 16 Millionen Euro deutlich erhöht haben. Diesen Betrag schreiben wir auch 2020 weiter fort.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt festzuhalten: Mit dem Haushaltsentwurf 2020 setzen wir unseren ganzheitlichen Ansatz konsequent fort,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das finde ich auch gut!)

schaffen Planungssicherheit und stärken all das, was unsere Heimat lebenswert macht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Abgeordnete Herr Remmel das Wort.

(Fabian Schrumpf [CDU]: Ein bisschen was vom Geissenpeter haben Sie auch! – Sarah Philipp [SPD]: Werden Sie mal nicht frech, Herr Kollege! – Zuruf von der SPD: Setzen!)

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gerade wieder ein Erlebnis der dritten Art gehabt. Wenn man auf die großen Fragen – zur zukünftigen Stadtentwicklung und zur Bereitstellung von ausreichendem Wohnraum brauche ich nicht zu erläutern, dass das die großen Fragen der Zukunft, unserer Städte und der Menschen sind – nichts zu sagen hat, dann muss man mittels der jeweiligen kleinen Förderprogramme präsentieren, was man an Gutem für das Land tut.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Darauf will ich mich in den fünf Minuten meiner Rede konzentrieren, muss aber zu Beginn meiner Rede ceterum censeo auch noch zwei Sätze zur Landesbauordnung sagen. Leider, muss ich das an dieser Stelle bemerken, denn ich hätte gerne Unrecht gehabt.

Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Verzögerung und Neuauflage des Prozesses der Landesbauordnung einen Attentismus gibt, weil in der Folge einer Neuauflage der Landesbauordnung auch Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen. Diese aber, sehr geehrte Frau Ministerin, liegen bis heute nicht vor.

Wir haben immer davor gewarnt, das zu tun, weil am Ende noch die Verwaltungsvorschriften kommen müssen. Sie waren schon für Anfang des Jahres 2019 angekündigt, nun liegen sie immer noch nicht vor. Das führt dazu, dass mit Blick auf diese Verwaltungsvorschrift an vielen Stellen nicht gehandelt wird und das dringend Notwendige nicht geschieht.

Ich will mich einem ganz anderen Bereich widmen, der leider schon gar nicht mehr in der Überschrift der Haushaltsberatungen vorkommt, geschweige denn in der Überschrift Ihres Hauses, nämlich die Frage nach der zukünftigen Entwicklung unserer Städte, der Stadtentwicklung.

Nun könnte man grüne Forderungen ganz oben auf die Tagesordnung setzen und sie als Maßstab durchdeklinieren. Ich will mich aber an einem aktuellen Bericht der Europäischen Kommission orientieren, der unter der Überschrift „The Future of Cities Report“ erstellt und im Oktober 2019 vorgelegt worden ist.

Der Bericht führt aus, dass die Herausführung der Städte in Europa und das zukünftige Leitbild für die Zukunft der Stadt die dringenden Antworten in den Handlungsfeldern „Bereitstellung von bezahlbaren Wohnungen“, „bürgernahe, digitalisierte Dienstleistungserbringung“, „Förderung umweltfreundlicher, klimafreundlicher Mobilitätsangebote“, „Umgang mit der Alterung der Gesellschaft“ und „Gesundheit der Stadtbevölkerung“ sowie insbesondere in den Bereichen „Umwelt“ und „Klima“ in die zukünftige Stadtentwicklung integriert darstellen muss.

Hier komme ich zu dem, was wir in Nordrhein-Westfalen nicht haben: Wir haben keine Stadtentwicklungspolitik, die auf diese dringenden Herausforderungen der Zukunft irgendeine Antwort gibt. Wir haben business as usual, Heimatprogramme – das ist gut und schön –, aber die Antworten auf die Kernfrage, wie die Herausforderungen der Zukunft mit einer aktiven nordrhein-westfälischen Stadtentwicklungspolitik bewältigt werden sollen, suchen wir vergebens.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es handelt sich um nichts Geringeres als um die Frage, wo die hehren Ziele der Klimapolitik umgesetzt werden sollen, wenn nicht in einer Kommune. Dort läuft doch alles zusammen: Sektorkopplung, die Verbindung von Verkehr und Energie, die Frage, wie unsere Städte sich zukünftig klimaangepasst orientieren, sowie die Frage, wie der Wohnungsbau klimafreundlich organisiert wird. All das muss doch durch eine präventive Landespolitik beantwortet werden. Hier haben wir eine bedeutende Leerstelle.

Nähern wir uns aber konkret dem Wohnungsbau, dann entdecken wir auch dort große Lücken. Die Kommunen sind nicht ertüchtigt, eine aktive Flächenpolitik zu betreiben. Auch da ist wieder die Frage nach den Finanzen und den Altschulden zu stellen. Ohne eine ordentliche finanzielle Grundlage können Kommunen keine aktive Flächenpolitik betreiben. Zur Nachverdichtung müssten sie erst aufgefordert werden. Und wenn es darum geht, den sozialen Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen zu realisieren, dann müssen wir feststellen, dass sie sich aufgrund einer Verzettelung eben nicht darauf konzentrieren.

Auf die Gretchenfrage, wie Sie bei zurückgehenden Sozialraumbindungen und gleichzeitig zu wenig Neubau die Frage nach sozialen Belegungsmöglichkeiten von Wohnungen beantworten wollen, haben Sie auch keine Antwort.

Wir kritisieren nicht, was an Zahlen im Haushalt steht, sondern das, was Sie nicht tun bzw. unterlassen, obwohl es dringender Veränderungen bedürfte. Dazu fordere ich Sie auf. Sie haben gleich Gelegenheit, eine Kehrtwende einzuleiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP hat nun der Abgeordnete Paul das Wort.

Stephen Paul*) (FDP): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Haushalt mit einem Umfang von fast 80 Milliarden Euro macht unser Einzelplan für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen „nur“ 1,4 Milliarden aus. Aber wir verzeichnen einen ordentlichen Aufwuchs von diesem auf das nächste Jahr um 11 %. Das zeigt, wie wichtig unserer Landesregierung diese Bereiche sind. In die politische Betrachtung muss sicherlich auch das milliardenschwere Wohnraumförderprogramm der NRW.BANK einbezogen werden.

„Versöhnen statt spalten“, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD – Ihr Fraktionsvorsitzender hat es heute Vormittag schon bemüht –, das war einmal das Credo des früheren Ministerpräsidenten Johannes Rau. Heute bringt die Mehrheit der Mitte, die NRW-Koalition aus CDU und FDP, die Menschen im Land zusammen und sorgt für den notwendigen gesellschaftlichen Kitt und den Zusammenhalt.

(Zurufe von der SPD: Och!)

So versöhnen wir Stadt und Land. Einst guckten die Millionen Menschen in den mittleren und kleinen Städten und in den Dörfern neidisch auf die Metropolen in Nordrhein-Westfalen. Sie schüttelten den Kopf und ärgerten sich über eine rot-grüne Landtagsmehrheit, die offensichtlich einseitig das Leben in den großen Städten bevorzugte.

Heute spüren die 18 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen, dass wir das ganze Land brauchen und auf alle Regionen setzen. Das kommt im Förderprogramm „Heimat. Zukunft. Nordrhein-Westfalen“ zum Ausdruck. Wir fördern mit rund 150 Millionen Euro bis 2022, was Menschen in Nordrhein-Westfalen verbindet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Allein im kommenden Jahr stellen wir Kommunen und ehrenamtlichen Heimatgestaltern rund 33 Millionen Euro zur Verfügung. Neben unserer Kofinanzierung für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gibt es insgesamt rund 18 Millionen Euro für das Landesprogramm Dorferneuerung.

Die Städtebauförderung – Herr Remmel, Sie sagten gerade, Sie fänden dazu nichts – erhöhen wir im kommenden Jahr auf rund 390 Millionen Euro. Mit der Städtebauförderung gestalten wir die Zukunft unserer Städte, vor allen Dingen auch unserer Innenstädte. Wir stärken damit die kommunale Selbstbestimmung und die bürgerschaftliche Selbsthilfe überall im Land.

So versöhnen wir zweitens Eigentümer und Mieter, damit immer mehr Menschen in unserem Land so wohnen können, wie sie es brauchen und sich wünschen. Dafür brauchen wir ein gutes gesellschaftliches Klima für das Vermieten. Wenn nämlich mehr als jeder Zweite in unserem Land zur Miete wohnt, dann ist es für verantwortungsvolle Politik eine Pflicht, das Miteinander von Mietern und Vermietern zu pflegen und zu fördern. Stattdessen erleben die Anbieter von Wohnraum in unserem Land aber ständig politische Misstrauensbekundungen und Attacken auf die von Ihnen so genannte Vemieterlobby.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Oder wie nennen Sie sie noch? – „Miethaie“ haben wir hier im Landtag schon gehört und anderes, was die kleinen privaten Vermietern in Nordrhein-Westfalen sich sonst noch so von Ihnen anhören müssen.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Wir haben angestoßen, dass die Auswirkungen der Landesverordnung auf die Wohnungsmärkte in NRW begutachtet werden. Was machen Sie? – Sie wollen das nicht. Das haben Sie auch im Ausschuss schon oft gesagt. Es ist, als hätten Sie Angst vor den Ergebnissen dieser Begutachtung, weil dadurch ihr gesamtes wohnideologisches Kartenhaus zusammenbrechen könnte. Wenn man das Wohnen in Nordrhein-Westfalen bereits zum Kampagnenthema für die nächsten Wahlen auserkoren hat, dann kann eine unabhängige Expertenmeinung nur noch stören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und Fabian Schrumpf [CDU])

Wir dagegen tun alles für ein gutes Miteinander an den Wohnungsmärkten – mit der landesweiten Allianz für mehr Wohnungsbau und ähnlichen Foren. Aber auch an diesem Haushalt, über den wir heute beraten, ist das ablesbar – beispielsweise an der Steigerung des Ansatzes für das Wohngeld um rund 28 Millionen Euro auf bedarfsorientierte rund 318 Millionen Euro für die Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Wir unterstützen die Eigentümer denkmalgeschützter Objekte, nehmen sie endlich wieder ernst und geben Ihnen echte Zuschüsse. Für die Denkmalpflege gibt es rund 13 Millionen Euro.

Vor allem zu nennen ist da auch unsere großzügige Wohnraumförderung in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro jährlich, die bundesweit ihresgleichen sucht. Nächstes Jahr sind es sogar 1,28 Milliarden Euro, weil wir noch Reste aus diesem Jahr übertragen können. Im Haushalt selbst sind Bundes- und Landesmittel in Höhe von 307 Millionen Euro für die Wohnraumförderung veranschlagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, leider hat der Bund die Mittel für die Wohnraumförderung um 86 Millionen Euro gekürzt. Diese stehen uns in Nordrhein-Westfalen nächstes Jahr weniger zur Verfügung. Wir ersetzen diese fehlenden Bundesgelder durch Landesmittel in Höhe von über 97 Millionen Euro und tun damit sogar noch etwas mehr.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da bin ich schon beim nächsten Punkt: Wir versöhnen drittens auch unser Ziel, mehr preisgünstigen Wohnraum in Nordrhein-Westfalen zu erreichen, mit unserem Ziel, umwelt- und klimaschonend zu bauen; etwa indem wir in den Städten und Gemeinden viel enger zusammenarbeiten, um eine flächenschonende Baulandentwicklung zu fördern – denken Sie an unsere Landesinitiative „Bau.Land.Leben“ –, aber auch, indem wir die Forschung und die Anwendung von 3D-Druck für Häuser in Nordrhein-Westfalen fördern und dem Holzbau mehr Freiheit geben. Damit versöhnen wir weiter.

Sie sehen, das alles steckt hinter den Zahlen dieses Einzelplans im Landeshaushalt. Stimmen Sie mit, werden auch Sie Versöhner statt Spalter!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD spricht nun der Abgeordnete Herr Beckamp.

Roger Beckamp*) (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem obersten Brückenbauer der FDP zu sprechen ist gar nicht so einfach. Da muss ich auch etwas Schönes sagen.

Herr Paul, Heimat – wie schön. Heimat ist in diesem Ministerium mit fünf Bausteinen angesiedelt. Das heißt, dass Sie Geld für verschiedene Projekte verteilen, die Sie für Heimat halten. Die Gelder werden im nächsten Jahr noch mal um und rund 4 Millionen Euro auf dann etwa 33 Millionen steigen.

Heimat ist ja sozusagen die DNA der AfD. Insofern müssten wir das, was Sie tun, ja eigentlich gut finden. Nicht kleckern, sondern klotzen bei der Heimat – das wäre gut. Wir finden es aber nicht so toll – nicht so, wie Sie das machen; denn für Sie, Frau Ministerin, ist Heimat schließlich ein grenzenloser, völlig offener Begriff. Ich zitiere Sie: Heimat ist, was für jeden Menschen da ist, weil jeder Mensch Heimat in sich trägt, egal wo er herkommt, egal wo er hinkommt. – Das ist irgendwie ein Zirkelschluss. Heimat ist alles – aha. Man könnte auch sagen: „Zwei mal drei macht vier und drei macht neune. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ – Das Pippilotta-Prinzip. Es hört sich nett an, ist aber leider Quatsch.

Diese Beliebigkeit schafft Begehrlichkeiten. Sie fördern ohne wirkliche Kriterien und lassen diese irgendwie im Genehmigungsverfahren entwickeln. Davon sprechen auch die hohen Ablehnungszahlen. 758 Anträge wurden bisher abgelehnt. Das wundert nicht. Das eine Mal werden Anschaffungen mangels Heimatbezug nicht gefördert, das andere Mal wird genau die gleiche Anschaffung aber sehr wohl gefördert. Das eine Mal ist ein Treffpunkt heimatrelevant und wird gefördert, das andere Mal nicht. Eine schlüssige Behandlung von Anträgen liegt also nicht vor. Ihre Vergabepraxis ist gewissermaßen ein ironischer Kommentar zum Zustand der Großen Koalition im Bund. Alles kann mit allem kombiniert werden und mit etwas Glück kommt dabei sogar ein recht vernünftiges Ergebnis heraus. Ein tieferer Sinn ist aber nicht erkennbar.

Heimat ist für Sie beliebige Verfügungsmasse. Dazu ein Beispiel: Auf meine Frage an Sie, ob Sie auch die finanzielle Förderung von Moscheevereinen unter den Heimatbegriff fallen lassen, sagten Sie: Ja, natürlich. – Moscheevereine sind förderungsfähig unter dem Heimatbegriff NRW. Herzlichen Glückwunsch!

Bisher haben es anscheinend die Moscheevereine noch nicht richtig verstanden. Bisher gibt es wohl keine Förderung, vielleicht noch nicht. Es bleibt abzuwarten, wundern sollte uns das nicht.

Genau deswegen, weil Sie beliebig mit dem Begriff als Verfügungsmasse umgehen, sind wir gegen eine Aufstockung des Titels, nicht weil wir gegen, sondern weil wir für Heimat sind; denn für uns ist Heimat nicht irgendetwas, sondern konkreter, da, wo ich mich nicht erklären muss, wo ich mich wiedererkenne und nicht das, was Heimat bedrängt, verdrängt und verschwinden lässt. Genau unter Ihrem Heimatbegriff müssen wir das immer mehr befürchten.

Zum Thema „Bauen“. In das Bauen ist viel Geld geflossen, fließt immer noch viel Geld, Bauland wird mobilisiert, Wohnbau wird gefördert, alles ist gut. Die Genehmigungszahlen steigen nicht, das ist so, dafür können Sie nicht unbedingt etwas.

Sie müssen eingestehen, wir haben kein Geldproblem, wir haben Engpässe an anderen Stellen, insbesondere im Planungs- und Baubereich und natürlich viel zu wenige und viel zu teure Flächen. Aber auch dafür können Sie nichts. Die Politik baut keine Wohnungen, und die von Ihnen beeinflussbaren Rahmenbedingungen sind gut hergestellt. Sie tun an der Stelle, was Sie können.

Aber Sie tun an anderer Stelle, was Sie nicht sollten. Sie schaffen nämlich Nachfrage am Wohnungsmarkt. Das trifft jetzt nicht Sie als Ministerin, das betrifft Sie als Kabinett und die ganze Regenbogenfraktion, die hier vor mir sitzt. Sie schaffen Nachfrage am Wohnungsmarkt. Ich meine damit Hunderttausende Fernwanderungsgewinne, ja, genau, das alte Thema, die alte Leier: über 200.000 Personen mit dem Status von Schutzberechtigten, über 70.000 Geduldete allein in NRW. Das sind diejenigen, die den Wohnungsmarkt verengen. Das ist der Druck auf Sozialwohnungen und so weiter.

Dann erklären Sie uns bitte, wie viele Ihrer Zuwanderer ein Wohnungsmarkt verträgt. Wie viele verträgt denn auch Heimat, ohne dass beides Schaden nimmt? – Diese Antworten bleiben Sie schuldig. Sie schaffen also die Probleme an der einen Stelle, die Sie an der anderen gar nicht lösen können. Das ist Politik, die zu kurz springt, und daher können wir der Sache nicht zustimmen.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Nach dem Abgeordneten Beckamp spricht nun für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Landesregierung ist stolz darauf, Heimat in Nordrhein-Westfalen zu haben, und diese Heimat in Nordrhein-Westfalen ist bunt, und sie ist offen. Das sind wir, seitdem es dieses wunderbare Bundesland gibt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist unsere Heimat, und die verteidigen wir auch. Die verteidigen wir auch gegen Parteien und Menschen, wie Sie es sind, die

(Roger Beckamp [AfD]: Aussatz! – Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch alles!)

die Menschen danach unterscheiden, welche Religion sie haben, welches Aussehen sie haben, welche Herkunft sie haben, welches Geschlecht sie haben, welches Alter sie haben, was auch immer. Das ist eben nicht das Verständnis und der Geist des Grundgesetzes. Ich wiederhole das immer wieder. Das Grundgesetz ist im Lichte von 60 Millionen Toten aus zwei Weltkriegen, nach einem Massenmord an den Juden geschrieben worden. Dem Grunde nach wissen Sie das alles, weil Sie zum Teil, und das ist für mich das Unfassbare, auch noch Geschichtslehrer sind. Das ist unglaublich.

(Helmut Seifen [AfD]: Da können Sie mal sehen! Da weiß ich mehr als Sie!)

In diesem Lichte ist das Grundgesetz geschrieben. Es ist ein wunderbares Gesetz geworden, was eben im besten Sinne auch christlich ist, weil Christen eben Menschen

(Helmut Seifen [AfD]: Reden Sie bitte nicht von Christen!)

nicht danach unterscheiden, wo sie herkommen, welche Religion sie haben, welches Aussehen sie tragen oder was auch immer, sondern der Mensch im Mittelpunkt dieses Grundgesetzes steht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deswegen fördern wir als Landesregierung nicht, was wir unter Heimat verstehen, sondern was die Menschen vor Ort unter Heimat verstehen, was ihre Identität und Identifikation ist. Das ist das, was wir fördern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der AfD.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Können wir das am Ende machen?

Präsident André Kuper: Gut.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Das ist der wesentliche Unterschied, weil wir vom Menschen aus denken, weil dieses Land Nordrhein-Westfalen viele Regionen mit jahrhundertealten Traditionen, mit Identifikationspunkten hat. Wir geben den Menschen die Möglichkeit, diese Heimat zu gestalten. Das ist etwas ganz Besonderes, was es in Nordrhein-Westfalen über viele Jahre, Jahrzehnte nicht gegeben hat. Es ist unser Land, und dieses Land wird von Menschen in demokratischer Tradition gestaltet, und darauf legen wir Wert.

Wir sind als Landesregierung Nordrhein-Westfalen – und jetzt ist es ein spannender Übergang – auf dem Weg dahin, nachhaltige Städte zu entwickeln und nachhaltige Städte zu prägen, und zwar sowohl im ländlichen wie im städtischen Raum, weil diese Landesregierung eben nicht Land und Stadt gegeneinander ausspielt, wie es über viele Jahre in Nordrhein-Westfalen der Regelfall war,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch Quatsch!)

sondern beide Räume haben ihre Herausforderungen, die entsprechend auch durch eine Landespolitik zu beantworten sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadt fördern wir – der Verkehrsminister ist da, insofern darf ich ihn gerne hier anführen – Mobilitätskonzepte in vielen verschiedenen Arten und Weisen,

(Stefan Kämmerling [SPD]: Er will sogar die Straßenausbaubeiträge abschaffen!)

ob das die Förderung von Nahmobilität ist, ob das Mobilitätsstationen sind, ob das die Förderung von schienengebundenem Personennahverkehren ist, ob das NE-Bahnen sind, ob das natürlich auch kommunale Straßen- und Wegeverbindungen sind. Vergleichbares kommt aus dem Umweltressort – Frau Kollegin Heinen-Esser ist nicht da –; es gibt viele verschiedene Initiativen zur Stärkung der Nachhaltigkeit in der Stadt und auch der nachhaltigen Entwicklung in der Stadt.

Dazu gehören natürlich auch die Fragen einer nachhaltigen Städtebauförderung und einer nachhaltigen Wohnraumversorgung. Das ist doch vollkommen klar, und so greift eines in das andere, was entsprechend zusammengehört auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadt.

Dazu gehört auch unser Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, insbesondere für die Menschen, die über eine geringe Zahlungsfähigkeit am Markt verfügen. Dafür stellt diese Landesregierung pro Jahr 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir haben aus fünf Modernisierungsrichtlinien eine gemacht. Es funktioniert, es läuft.

Wir haben die Herausforderung „Mietwohnungsneubau“ ohne Frage im Besonderen in den Städten, die in der Mietenstufe 4 bzw. 4 plus sind, also die hochpreisigen Städte, weil sie kaum noch über Grundstücke verfügen, die bezahlbar sind. Es gibt eine einfache kausale Kette: Ohne Grundstück können Sie nicht bauen, und wenn das Grundstück nicht bezahlbar ist, können Sie nicht bezahlbar bauen. Das ist die Herausforderung, die Sie in den hochpreisigen Städten haben. Da greift aber zunehmend die Modernisierungsförderung, über die wir dann neue, preisgebundene Bestände in diesen Städten auch erreichen.

Ich darf Sie auf eines hinweisen, Herr Abgeordneter Becker. Sie haben mit mehreren Worten aus Sitzungen aus der NRW.BANK zitiert, die, offen gesagt, nichtöffentlich sind. Ich weise Sie lediglich darauf hin, aber, und daran merkt man, dass ... – Nein, das darf ich nicht formulieren.

(Sarah Philipp [SPD]: Wahrscheinlich nicht! Besser lassen!)

Präsident André Kuper: Das würde ich auch nicht sagen.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Nein, ich halte mich an die Nichtöffentlichkeit. Ich habe ja geschworen, dass ich mich daran halte.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Zahlen zum Mittelabruf, die Sie zitiert haben, in jedem Jahr bis einschließlich Oktober schlecht sind, weil der Hype immer im dritten und vierten Quartal eines Jahres kommt, was die Wohnraumförderzahlen angeht.

Ich weiß noch nicht einmal, ob Sie Mitglied in den Gremien der NRW.BANK sind. Das sehen Sie mir jetzt nach; ich weiß es aus dem Kopf nicht. Vielleicht haben Sie es gehört, aber der, der es Ihnen erzählt hat, hat Ihnen offenkundig diese Beantragungsweise, die es seit ewigen Jahrzehnten in Nordrhein-Westfalen gibt, nicht mitgegeben.

(Sarah Philipp [SPD]: Mein Gott! – Michael Hübner [SPD]: Was soll das jetzt?)

Insofern sollten Sie sich bei ihm für diese schlechte Wiedergabe von Fakten bedanken.

Wir passen die Wohnraumförderkonditionen stetig an, und wir sind, offen gesagt, optimistisch, dass wir das auch hinbekommen, und werden gestützt durch aktuelle Entwicklungen am Mietmarkt.

(Sarah Philipp [SPD]: Lächerlich!)

Da darf ich aus der „Rheinischen Post“ vom 26. November – also gar nicht so lange her – zitieren:

„Die Mieten in Düsseldorf sind in den vergangenen drei Jahren angestiegen – allerdings moderater, als es der Mangel an Wohnraum vermuten ließ.“

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Das erleben wir derzeit durchaus landesweit. Wir haben Städte, in denen die reale Mietenentwicklung heute niedriger ist als im Jahr 2005. Die Mieten sinken auch in Großstädten in Nordrhein-Westfalen. Dass Sie das nicht sehen wollen, kann ich nachvollziehen, weil es nicht in das politische Konzept passt. Aber die Landesregierung Nordrhein-Westfalen tut alles dafür, dass Menschen in unserem wunderschönen Bundesland auch Wohnraum finden.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Ja? – Sarah Philipp [SPD]: Ja, wann denn?)

Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Die Zwischenfrage war noch zugelassen, Herr Beckamp.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

– Die Zwischenfrage wollten Sie noch stellen.

Roger Beckamp*) (AfD): Frau Ministerin, Sie beziehen sich ja regelmäßig, so auch gerade eben, auf das Grundgesetz – das ist ja grundsätzlich eine gute Idee –

(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Danke!)

und insbesondere auf das Thema „Menschenwürde“. Ich habe die Frage, woraus Sie genau ableiten, dass es grundgesetzlich verankert ist, insbesondere mit Blick auf die Menschenwürde, dass Geduldete in diesem Land auf dem freien Wohnungsmarkt untergebracht werden.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch nicht ernst gemeint!)

Oder ist es vielleicht auch zumutbar, anders untergebracht zu werden? Es wird ja immer schnell davon gesprochen, in Massenunterkünften und darüber hinaus untergebracht zu werden, sei alles nicht zumutbar. Woraus leiten Sie solche Dinge ab?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Menschenwürde! – Michael Hübner [SPD]: Können Sie uns das noch mal erklären?! – Zuruf von Roger Beckamp [AfD] – Stefan Kämmerling [SPD]: Was denn? Sie haben doch ein Mikro!)

Präsident André Kuper: Frau Ministerin hat das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für diese Frage. Sie wissen doch, Nordrhein-Westfalen ist seit jeher ein Einwanderungsland, und wir haben ganz viele Menschen in diesem Land aufgenommen, die mitgeholfen haben, mit aufgebaut haben, die wir integriert haben.

Die Menschen, die zu uns kommen, letztendlich aus Krieg und Gewalt fliehen – das müssten Sie an und für sich kennen; die Genfer Flüchtlingskonvention müssten Sie ertragen –, unterzubringen, ist eine völkerrechtliche Verpflichtung. Auch ohne diesen Vertrag ist es eine menschliche Verpflichtung, Menschen, die aus Krieg und Gewalt kommen, letztendlich zu helfen.

Dazu gehört auch, dass man ihnen einen Zugang in unsere Gesellschaft gewährt. Das wissen wir alle, die sich über viele Jahre mit Politik beschäftigen. Das gelingt am besten mit dezentralen Unterbringungen in ganz normalen Wohnungen, ganz normalen Wohnumfeldern,

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

am besten im Kontakt mit Deutschen, die offenen Herzens sind, und nicht die, die einen Stacheldraht um das Herz tragen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Roger Beckamp [AfD]: Da klatschen nur die Grünen!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache zum Teilbereich b) und eröffne die Aussprache zum Teilbereich

 

c) Gleichstellung

Hierzu hat für die SPD-Fraktion Frau Butschkau das Wort.

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt. Wir alle kennen Frauen, die bereits Opfer wurden, auch wenn uns das oft nicht bewusst ist. Denn immer noch sind eigene Gewalterlebnisse ein Tabuthema, umso mehr, wenn der Täter der eigene Ehemann oder Lebenspartner ist.

Am letzten Montag haben wieder Millionen Menschen weltweit an die Frauen erinnert, die Opfer von Gewalt wurden. Städte erstrahlten in orange. Es gab unzählige Solidaritätsbekundungen in den Medien, auf der Straße und in den Social-Media-Netzwerken.

Ein solches Zeichen ist wichtig. Es bricht das Schweigen, und es zeigt den von Gewalt betroffenen Frauen: Ihr seid in eurer Not nicht allein, wir stehen solidarisch hinter euch!

(Beifall von der SPD)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Solidarität darf sich nicht nur auf Worte beschränken, wir brauchen Taten. Wir wollen sehen, dass Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, geholfen wird. Das Land finanziert daher die Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen. Die engagierten Mitarbeiterinnen in den Einrichtungen wissen, was zu tun ist, wenn Frauen bei ihnen Zuflucht suchen.

Es ist richtig und wichtig, dass die Frauenhäuser weiter ausgebaut werden. Es ist auch richtig und wichtig, dass die Sach- und Personalkostenzuschüsse der Frauenhaus- und Frauenberatungsträgerinnen angepasst wurden. Trotz dieser Anstrengungen stellen wir jedoch fest, dass immer noch zu viele Frauen keinen Platz im Frauenhaus finden. Die zusätzlichen Plätze, die bis 2022 entstehen sollen, werden das Problem nicht lösen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf nicht sein. Wir wollen, dass Frauen, die von ihren Partnern misshandelt werden, nicht länger in Angst leben müssen, wir wollen, dass jeder Frau ein Hilfsangebot unterbreitet wird, und wir wollen, dass jede Frau in Not einen Frauenhausplatz findet.

(Beifall von der SPD)

Wir sind der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey dankbar, dass sie das Thema anpackt. NRW erhält aus dem Aktionsplan „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ 7,4 Millionen Euro. Damit kann man schon etwas anfangen. Das Land darf sich aber nicht auf dem Engagement des Bundes ausruhen. Deshalb schlagen wir vor, die Mittel für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen um weitere 8,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist ein erster Schritt für eine solide Finanzierung der Frauenhausinfrastruktur und für den Ausbau der anonymen Spurensicherung, die dringend flächendeckend angeboten werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine zweite Herausforderung unserer Zeit ist die ausreichende Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. Der Wohnungsmangel ist in weiten Teilen unseres Landes mittlerweile akut und führt dazu, dass die Zahl wohnungsloser Frauen stetig ansteigt. Wir haben das Thema ja bereits mehrere Male ausführlich in diesem Hohen Haus behandelt.

Das Thema findet sich zwar im Einzelplan 11 wieder; als Mitglied des Frauenausschusses halte ich es dennoch für angebracht, auf dieses Thema genau an dieser Stelle besonders hinzuweisen. Wohnungslosigkeit trifft vor allem Frauen. Es trifft Frauen in prekären Lebenssituationen, es trifft Frauen mit niedrigem Einkommen, und es trifft alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern.

In einer reichen Gesellschaft wie der unseren ist das ein Skandal.

(Beifall von der SPD)

Auch hier wollen wir nachsteuern. Wir fordern daher eine Erhöhung der Mittel zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit von Frauen um 1 Million Euro.

Zuletzt noch ein Wort zum Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen: Es hat uns verwundert, dass die Mittel nicht angepasst wurden. Das hätte man in Anbetracht der gefassten Beschlüsse erwarten müssen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Gleichstellungshaushalt löst bei uns nun wirklich keine Begeisterungsstürme aus. Nach wie vor spielen die Weiterentwicklung der Gleichstellung von Frauen und Männern und die Stärkung von Frauenrechten bei CDU und FDP nur eine untergeordnete Rolle.

Eigene Ideen? – Fehlanzeige. Die schwarz-gelbe Gleichstellungspolitik trägt keine eigene Handschrift. Sie ist allenfalls Pflichterfüllung und bringt die Gleichstellung in Nordrhein-Westfalen nicht weiter. Deshalb verwundert es nicht, wenn ich sage, dass wir den vorliegenden Haushaltsentwurf ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Butschkau. – Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Troles jetzt das Wort.

Heike Troles (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Diese beiden an sich schlicht daherkommenden Sätze sind weit mehr als nur zwei zitierte Sätze aus unserer Verfassung. Für die NRW-Koalition sind sie Antrieb und Maßstab zugleich, und zwar ressortübergreifend, denn seit dem letzten Landeshaushalt von SPD und Grünen im Jahr 2017 werden wir die bereitgestellten Mittel mit einem frauenpolitischen Bezug von 81,7 Millionen Euro auf 95,8 Millionen Euro im Landeshaushalt 2020 erhöhen.

(Beifall von der CDU)

Das ist ein Plus um 14,1 Millionen Euro bzw. 17,2 %; dies aber nur vorweg.

Der Einzelplan 08 – Gleichstellung – bestätigt, dass die Landesregierung zuhört, versteht und handelt. Es werden wichtige neue Akzente gesetzt und die bereits gesetzten Schwerpunkte der Haushalte 2018 und 2019 selbstverständlich in nachhaltiger Art und Weise fortgeführt. Was heißt das konkret?

Mit rund 24,5 Millionen Euro umfassen der Schutz und die Hilfe für gewaltbetroffene Frauen den überwiegenden Anteil für das Haushaltsjahr 2020. Das sind nochmals 400.000 Euro mehr als im Jahr 2019.

Das, meine Damen und Herren, ist klipp und klar der richtige Weg, denn mit Blick auf die am Montag vorgestellte Auswertung des Bundeskriminalamtes zum Thema „Partnerschaftsgewalt“ ist der Gewaltschutz zu Recht weiterhin ein zentraler und wichtiger Faktor.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 122 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden. Insgesamt wurden mehr als 114.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, Bedrohungen oder Nötigungen durch ihre Ehemänner, Partner oder Ex-Partner.

Es ist also richtig und wichtig, dass unsere Ministerin hier Gespür für die notwendigen Akzente beweist und die Mittel an dieser Stelle fokussiert.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Außerdem ist es richtig, die bereits bestehenden Strukturen zu verstetigen und da, wo es notwendig ist, weitere Angebote zu schaffen.

Grundlage dafür ist jedoch zuerst einmal eine solide und tragfähige Finanzierung. Nur so können die Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen ihre so wichtige Arbeit fortführen und gleichzeitig zukunftsorientiert planen.

Auch das ist im vorgelegten Haushaltsentwurf klar zu erkennen: Mit rund 10,8 Millionen Euro werden 64 und damit übrigens zwei Frauenhäuser mehr als im letzten Jahr unterstützt.

Mit rund 10,2 Millionen Euro werden die 120 Frauenberatungsstellen gestärkt.

Mit rund 3,5 Millionen Euro wird die Umsetzung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen einschließlich der Maßnahmen zur anonymen Spurensicherung in Fällen sexualisierter Gewalt verstetigt.

Hinweisen möchte ich auch darauf, dass wir auch die Mittel für von Gewalt betroffene Männer erhöhen werden. Damit tragen wir zu einer dringend notwendigen Enttabuisierung in diesem Feld bei.

(Beifall von der CDU)

Auch das ist nämlich Gleichstellung.

Außerdem möchte ich das 2019 produzierte Video zur Loverboy-Methode, das übrigens außerordentlich große Resonanz bekommen hat, in Erinnerung rufen.

Zusätzlich werden derzeit zwei Aufklärungsfilme zum Thema „Genitalbeschneidung“ gefördert. Solche Investitionen, meine Damen und Herren, sind genau richtig, da sie zur Prävention beitragen.

(Beifall von der CDU)

Wir müssen einerseits weiterhin Aufklärungs‑ und Informationsarbeit leisten, damit Fehlentwicklungen schon in ihrer Entstehung abgewendet werden können.

Andererseits müssen wir für die Betroffenen da sein, Hilfe anbieten und einen gemeinsamen Weg bei der Verarbeitung gehen. Der geplante Landeshaushalt für 2020 schafft genau die notwendigen Grundlagen, um dies meistern zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gleichstellungshaushalt für 2020 trägt eine klar erkennbare, christlich-liberale Handschrift. Dies ist verantwortungsbewusste Politik der NRW-Koalition. Dies ist verantwortungsbewusste Politik unserer Ministerin Ina Scharrenbach, und dies ist Politik für die Gesellschaft, für Frauen wie für Männer. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Troles. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Montag haben wir den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen begangen.

Die Zahlen, die da noch einmal breit durch die Presse gegangen sind, müssen uns in der Tat schockieren, obwohl es leider keine neuen Zahlen sind; es ist keine neue Erkenntnis. Leider ist die Gewalt, die in Partnerschaften oder im häuslichen Kontext passiert, auch nicht rückläufig.

Das zeigt, dass – völlig zu Recht – der Bereich „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen“ ein ganz zentraler Bereich des Haushaltes ist. Es ist auch wichtig, dass das immer auch eine haushalterische und politische Kontinuität in diesem Haus gewesen ist.

Natürlich begrüßen wir auch, dass es einen Mittelaufwuchs in diesem Bereich gibt und dass zwei neue Frauenhäuser bzw. zwei bestehende Frauenhäuser neu in die Landesförderung aufgenommen werden konnten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nichtsdestotrotz muss man allerdings sagen: Von der Erfüllung der „Zielvereinbarung über die Zukunftssicherung der Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen“ sind wir noch weit entfernt.

Denn schaut man auf die Karte der autonomen Frauenhäuser, wird man leider feststellen, dass die meisten Ampeln auf dieser Karte, die anzeigen, wo noch Frauenhausplätze frei sind, leider auf Rot stehen. Das bedeutet, dass es dort eben keine freien Plätze gibt.

Wenn wir uns anschauen, welche Anzahl an Schutzplätzen wir zur Umsetzung der Istanbul-Konvention eigentlich vorhalten müssten, wird deutlich, welche immense Kraftanstrengung wir hier noch vor uns haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auf Deutschland gerechnet bedeutet das: Wir brauchen über 21.000 Plätze. Zur Verfügung stehen in Deutschland derzeit 6.400 Plätze. Bricht man das auf Nordrhein-Westfalen herunter, bräuchten wir alleine hier um die 4.800 Plätze.

Durch die Landesförderung refinanziert sind derzeit 609 Plätze. Das ist eine immense Diskrepanz, die deutlich macht, dass wir hier noch einen ganz weiten Weg vor uns haben. Das kann das Land sicherlich nicht alleine schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen in diesem Bereich auch eine höhere Anstrengung des Bundes, weil klar ist, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und auch eine gesamtpolitische Verantwortung gibt.

Das Programm von Ministerin Giffey ist sicherlich zu begrüßen, aber es ist eben mal wieder ein Programm. Was wir brauchen, ist eine strukturelle Einbeziehung des Bundes auch bei der Finanzierung.

Dazu liegen – wir haben im Ausschuss schon einmal kurz darüber gesprochen – auch Modelle vor. Ein individueller Rechtsanspruch ist mittlerweile überfällig, damit Bund, Land und Kommunen gleichermaßen dazu beitragen können, dass wir die Schutzlücke, die real eine Gefahr für Frauen darstellt, endlich füllen können.

Das bedeutet aber gleichermaßen, dass natürlich auch das Land höhere Kostenanstrengungen bei der Personalfinanzierung in den nächsten Jahren wird vornehmen müssen. Das bedeutet mehr Engagement der Regierung.

Wenn Sie das weiter fortsetzen und ordentlich an Mitteln aufsatteln, haben Sie uns auch an dieser Stelle an Ihrer Seite.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein wichtiger Punkt, der in diesem Haushalt angesprochen ist, bei dem aber die Perspektive unklar ist, ist die Frage von Second-Stage-Modellen. Ich glaube, die Second-Stage-Modelle sind eine sehr erfolgreiche Weiterentwicklung der Frauenhilfeinfrastruktur. Sie sind bis 2020 gesichert.

Was passiert nach 2020? – Ich hoffe nicht, dass Sie diese nach 2020 nicht mehr weiter finanzieren. Vielmehr müssen sie ausgebaut werden, und in der Perspektive müssen sie in die Flächendeckung kommen.

Was ist eigentlich der Handlungsauftrag des Ministeriums? – Auch die Ministerin erklärt, dass Art. 3 Abs. 2 Handlungsauftrag des Ministeriums ist. Das ist gut und richtig; das teilen wir. Nur allein in der Umsetzung scheint es Differenzen zwischen unseren Einstellungen zu dem Handlungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 zu geben.

Denn was passiert beispielsweise im öffentlichen Dienst? – Ehrlich gesagt passiert nach wie vor nichts. Es passiert, Frau Ministerin, kurzfristig nichts, es passiert mittelfristig nichts. Und langfristig? – Na ja.

Wir können uns noch einmal über die Jahreszahlen austauschen und was das jetzt bedeutet, aber wir stellen fest, dass Sie die Quote rückabgewickelt haben.

Bezüglich der strukturellen Benachteiligungen in Ihren Ministerien haben Sie einmal kurz die Decke gelüftet, festgestellt, dass alles gar nicht so schlimm sei, und damit ist der Auftrag für Sie offensichtlich erfüllt. Das, Frau Ministerin, ist zu wenig für die Umsetzung des eigenen Anspruchs.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir uns die Diskussion um mehr Frauen in den Parlamenten an. Die Frauen-Union fordert jetzt die paritätische Besetzung von Listen.

(Beifall von den GRÜNEN)

– Genau, Beifall dafür.

Aber der Beifall ist hier leider etwas verfrüht, denn das fordert ja nur die Bundesvorsitzende, Frau Widmann-Mauz.

Die Landesvorsitzende und gleichzeitig Gleichstellungsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen ist eine erklärte Gegnerin derartiger Paritätsregelungen.

Auch da frage ich mich, wie weit es mit dem Handlungsauftrag und dem Gestaltungsanspruch nach Art. 3 Abs. 2 her ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber ein konkreter Gesetzentwurf zur Parität liegt vor. Sie können sich diesem in Diskussion mit der Frauen-Union noch anschließen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Josefine Paul (GRÜNE): Ich glaube, das wäre ein gutes Signal im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fahrplanmäßig setzen wir im Bereich „Gleichstellung und Frauen“ unsere im Koalitionsvertrag gesteckten Ziele in die Tat um.

Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr 2020 werden knapp 38 Millionen Euro in die Beseitigung bestehender Nachteile der Geschlechter investiert. Der Haushaltsentwurf besteht aus den drei Schwerpunkten „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen“, „Gleichstellung und Potenzialentwicklung in Beruf und Gesellschaft“ und „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Männer“.

Das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie gegen Männer und Jungen – mit und ohne Handicap – ist nach wie vor ein zentrales Handlungsfeld der Gleichstellungspolitik. Wir beschäftigen uns weiterhin ausgiebig und schwerpunktmäßig mit der Bekämpfung der Gewalt.

(Unruhe)

Im Vordergrund stehen und standen im Bereich Frauen und Mädchen drei Maßnahmen, auf die ich heute eingehen möchte.

Erstens: der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Die im Verborgenen praktizierte weibliche Genitalbeschneidung müssen wir offen ansprechen und behandeln, damit wir die betroffenen Communitys und unsere gesamte Gesellschaft für dieses Thema sensibilisieren

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

und ein wirkungsvolles Umdenken erreichen.

Ich bin deshalb froh, dass im kommenden Jahr neben den bestehenden Beratungs‑ und Unterstützungsangeboten und Aufklärungs‑ und Informationsmaßnahmen konkrete weitere Planungsmaßnahmen zur Verhinderung und Vermeidung der weiblichen Genitalverstümmelung anstehen.

Ich halte es für wichtig, dass wir im Rahmen des frisch angelaufenen Pilotprojektes herausfinden, wie wir Mädchen und junge Frauen über die Gefahren der Genitalbeschneidung aufklären können. In dem Projekt setzen wir auf die Ausbildung von Schlüsselpersonen in den Communitys, um dort mehr Aufklärung zu schaffen.

Dabei halte ich auch die zwei Aufklärungsfilme für besonders hilfreich. Ein Film richtet sich direkt an die betroffene Community und der andere an die breite Öffentlichkeit. Dieses zweigleisige Vorgehen wird präventive Wirkungen erzielen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zweitens möchte ich auf die Loverboy-Methode eingehen. Sie ist bisher noch wenig bekannt, aber sehr gefährlich für minderjährige Mädchen und junge Frauen.

Die Täter täuschen ihnen eine Liebesbeziehung vor und machen die Frauen emotional von ihnen abhängig. In der Folge zwingen sie die Frauen in die Prostitution.

Diese perfide Methode fügt den Opfern lebenslange Verletzungen zu, psychisch und physisch. Die Anhörung, die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, wird mir – und ich glaube, auch vielen von uns – noch lange in Erinnerung bleiben.

Vor einer solchen Gefahr dürfen wir nicht die Augen verschließen – ganz im Gegenteil: Es war richtig, unverzüglich durch unseren Antrag „Sensibilisierung, Aufklärung und Prävention“ zu handeln.

Nur durch Prävention und besonders durch Primärprävention ist die Loverboy-Methode zu bekämpfen und einzudämmen. Die Präventionsansätze werden jetzt durch den neuen Gleichstellungshaushalt intensiviert.

Drittens: die anonyme Spurensicherung. Neben den geplanten Maßnahmen gegen Menschenhandel bin ich sehr froh, dass wir im Rahmen der anonymen Spurensicherung einen großen Schritt vorwärtsgekommen sind.

Neben den künftigen Standardisierungsmaßnahmen der Spurensicherungssets auf Landesebene ist auf Druck NRWs nun das letzte fehlende Glied für eine flächendeckende Versorgung der anonymen Spurensicherung in die Kette eingesetzt worden. So werden künftig die ärztlichen und labortechnischen Leistungen als Kassenleistungen anerkannt.

Damit stärken wir die anonyme Spurensicherung als wertvolles und erfolgreiches Instrument im Kampf gegen Gewalt und vor allem konsequentes Vorgehen gegen Gewalttäter.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber im Gleichstellungshaushalt befassen wir uns neben der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch mit weiteren Handlungsfeldern. Deswegen möchte ich gerne den Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Jungen und Männer und LSBTI-Menschen ansprechen.

Gewalt an Jungen und Männern ist sehr vielschichtig, und Unterstützungsmaßnahmen sind überfällig. Bisher sind Jungen und Männer mit dem Gewaltproblem fast allein gelassen worden, und deswegen ist es völlig richtig, dass wir den Etat von 100.000 auf 200.000 Euro im kommenden Jahr verdoppeln, damit nicht nur der Aufbau des Landesaktionsplans weiter fortgeführt werden kann, sondern auch Erste-Hilfe-Maßnahmen für Akutsituationen realisiert werden können. Dazu zählt der Aufbau einer Hotline für von Gewalt betroffene Männer und die Einrichtung von Schutzunterkünften für Männer.

Im kommenden Jahr werden wir uns also weiter intensiv mit dem Themenspektrum Schutz und Gewalt befassen – an Mädchen und Frauen sowie an Jungen und Männern. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse der derzeit laufenden Landesanalyse über die Bedarfsgerechtigkeit der Frauenhilfeinfrastruktur.

Ebenso verspreche ich mir Erkenntnisgewinne aus der noch laufenden Dunkelfeldstudie über das Phänomen „Gewalt gegen Frauen, Mädchen, Jungen und Männer“.

Wir werden bei der Vorlage der Analysen eine Auswertung vornehmen und dann entscheiden, welche Stellschrauben zu einer Optimierung der Hilfestruktur gedreht werden müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Rech. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch in diesem Jahr verfehlt der Haushaltsplan für das Jahr 2020 im Bereich Gleichstellung das eigentliche Ziel, etwas Wesentliches zur Gleichberechtigung von Mann und Frau gemäß Art. 3 Grundgesetz beizutragen.

Das fängt schon bei der Verwaltung an. Wie kann es sein, dass immer noch die 375 kommunalen Gleichstellungsbeauftragten Frauen sind? – Klar, weil es im Landesgleichstellungsgesetz so vorgeschrieben ist.

Das Gleichstellungsgesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Diese Grundhaltung ist nicht mehr zeitgemäß und führt zu Recht dazu, dass die Akzeptanz von Frauen‑ oder Gleichstellungsbeauftragten zunehmend schwindet oder eher belächelt wird.

Wenn Sie die Gleichstellung ernst nähmen – so als Weiterentwicklung der guten alten Frauenförderung –, wäre es an der Zeit, diese Stelle völlig unabhängig von Sex und Gender auszuschreiben.

Gesellschaft verändert sich. Es wird immer selbstverständlicher, dass Männer sich in Kindererziehung einbringen, dass sich Männer Vaterschaftsurlaub nehmen usw.

Wäre es in manchen Betrieben oder Behörden nicht sogar eher der Mann, der Unterstützung und Beratung bräuchte, weil es bei seinen Vorgesetzten eben noch nicht als selbstverständlich angesehen wird, dass auch er mal zu Hause bleiben muss, wenn das Kind krank ist?

Genauso antiquar sind Ihre gleichstellungspolitischen Bemühungen, Mädchen und Jungen für Berufsfelder jenseits von Geschlechterstereotypen zu gewinnen. Girls-and-Boys-Days etc. – es hat schon fast eine gewisse Komik.

Sie schrieben selber im Erläuterungsband im letzten Jahr: Trotz all dieser Maßnahmen über viele Jahre hinweg hat sich das Wahlverhalten von Jungen und Mädchen nicht signifikant geändert.

Was machen Sie? – Immer weiter, anstatt einfach mal zu akzeptieren, dass junge Frauen und junge Männer selber sehr gut wissen, was sie wollen. Mädchen und Jungen können heute jeden Beruf ergreifen, den sie wollen.

Frauen können zum Militär. Sie können sogar Panzer fahren, sodass es zu diesen absurden Werbespots der Bundeswehr gekommen ist, für die sie auch ziemlich in die Kritik geraten ist – zum Girls-Day „Platz da, jetzt kommen die Girls“ –, ein Video, wie eine junge Frau mit einem Panzer den Pkw von einem Mann zermalmt.

Ja, und auch männliche Alten‑ und Krankenpfleger sind schon lange keine Exoten mehr.

Trotzdem scheinen die Interessen der Jungen und Mädchen resistent gegenüber Ihren gleichstellungspolitischen Bemühungen zu sein. Auch die Shell-Studie hat in der Presse für großes Entsetzen gesorgt:

Ei der Daus! Die heranwachsenden jungen Frauen möchten, wenn sie Mutter werden, am liebsten maximal Teilzeit arbeiten, und die jungen Männer wünschen sich ebenfalls eine Frau an ihrer Seite, die im Falle der Mutterschaft temporär beruflich zurücktritt.

Da der Mensch sich offenkundig an diesen grundlegenden Wesenszügen nicht so einfach umerziehen lässt, sollten Sie vielleicht einfach umdenken.

Lassen wir doch die jungen Leute selber ihre Berufe wählen, ihre Interessen verwirklichen. Wenn wir die daraus resultierenden Risiken abfangen wollen, brauchen wir gute Rückkehrmöglichkeiten in den Beruf nach der Elternzeit, Teilzeitausbildung, bessere Berücksichtigung von Kindern bei der Rente usw.

Apropos Shell-Studie: Bei der Frage danach, wer das Gymnasium schaffen könnte, war die Antwort so eindeutig wie erschreckend. Der junge Mann aus der Unterschicht ist nach wie vor der Bildungsverlierer. Was uns im Sinne der Gleichstellung fehlt, ist ein Konzept zur Jungenförderung.

Immerhin positiv hervorzuheben ist, dass mittlerweile auch Gewalt gegen Jungen und Männer in Ihrem Haushalt ein Thema ist.

Insgesamt begrüßen wir Ihre Leistung für den Bereich Gewaltprävention. Der Ausbau der Frauenhäuser kommt den erschreckend hohen Bedarfen zwar immer noch nicht nach, aber Sie bauen aus, und das finden wir gut.

Das Engagement gegen Zwangsheirat, Beschneidung von Mädchen finden wir sehr richtig und wichtig. Ob es allerdings ausreicht, mit Multiplikatorinnen einen – wie Sie schreiben – Bewusstseinswandel anzuregen, bezweifeln wir.

So eine gravierende Körperverletzung von jungen Mädchen ist kein Kavaliersdelikt. Wir fordern neben Ihren präventiven Bemühungen auch ganz klar eine strafrechtliche Verfolgung dieser Form von Gewalt.

Das Kapitel zu Gewaltprävention, Frauenhäusern und Beratungsstellen, Gewalt gegen Jungen, Zwangsheirat etc. findet unsere Zustimmung. Gäbe es keinen Gleichstellungsausschuss, könnte man diese Position bestimmt auch im Bereich „Soziales“ oder „Gesundheit“ ansiedeln.

Darüber hinaus halten wir die Erziehung der Geschlechter hin zu bestimmtem Verhalten für falsch. Richtig wäre es, Bedingungen zu schaffen, in denen Männer und Frauen sich so entfalten können, wie sie es wünschen. – Wir lehnen Ihren Haushaltsentwurf ab.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Eine erstmalige landesweite Analyse über die Auskömmlichkeit der Hilfeinfrastruktur für von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen.

Eine Landesregierung, die das erste Mal 60.000 Bürgerinnen und Bürger zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt, um herauszufinden, ob Straftaten zur Anzeige gebracht worden sind und, wenn nein, warum nicht.

Eine Landesregierung, die das erste Mal seit ganz vielen Jahren zwei neue Frauenhäuser in die Landesförderung aufnimmt.

Eine Landesregierung, die das erste Mal seit ganz vielen Jahren überhaupt wieder Schutzplätze für Frauen in Frauenhäuser aufbaut.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine Landesregierung, die in den Neubau von Frauenhäusern investiert; immerhin 3,3 Millionen Euro, seit wir im August 2018 die Wohnraumförderung genau hierfür geöffnet haben.

Eine Landesregierung, die Sachmittel flexibilisiert, die mehr Geld für Personal zur Verfügung stellt und das erste Mal Personalmittel dynamisiert.

Eine Landesregierung, meine sehr geehrten Damen und Herren, die zum ersten Mal das Thema der Gewalt gegen Männer in den Blick nimmt und zusammen mit Bayern eine Hotline einrichtet, die das erste Mal Opferschutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Männer aufbauen wird.

Eine Landesregierung, die – ebenfalls zusammen mit Bayern – das erste Mal ein Onlineunterstützungsangebot für von Gewalt betroffene Männer aufbauen wird.

Eine Landesregierung, die es das erste Mal nicht bei einem einzigen Girls’Day bzw. Boys’Day belässt, sondern sagt: Wir versuchen einen anderen, stetigen Ansatz, um Mädchen für – in Anführungszeichen – klassische Berufe von Jungen zu interessieren und umgekehrt.

Eine Landesregierung, die das erste Mal eine Dynamisierung der Frauenberatungsinfrastruktur vornimmt.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Eine Landesregierung, die sozialen Medien das erste Mal im Internet Informationsmaterialien zum Thema „Genitalverstümmelung und Menschenhandel“ zur Verfügung stellt.

(Zuruf: War es das?)

– Ja, das ist alles, meine sehr geehrten Damen und Herren

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Frau Butschkau, das sind die Impulse dieser Landesregierung in zweieinhalb Jahren. Ich habe immer gesagt, das sei das erste Mal, dass es diese Dinge gibt. Daran merken Sie, dass es das in Ihrer Regierungszeit alles nicht gegeben hat.

Insofern ist Ihr Verhalten offen gesagt vermessen, und das wissen Sie auch. Ich weiß, dass Sie hier als Abgeordnete der Opposition manche Dinge vortragen müssen, obwohl Sie diese Auffassung innerlich vielleicht gar nicht teilen, weil Sie als Sozialdemokraten mit der Politik von CDU und FDP im Gleichstellungsbereich eigentlich ganz zufrieden sind. Sagen dürfen Sie es natürlich nicht; das habe ich verstanden.

(Zuruf von der SPD: Nein, wollen wir auch nicht! – Unruhe)

Wir bieten eine ungeheuer hohe Verlässlichkeit und eine Weiterentwicklung im System, im Besonderen für von Gewalt betroffene Mädchen, Frauen, Jungen und Männer. Vergleichbares hat es in Nordrhein-Westfalen bislang nicht gegeben.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Sie haben gerade auf das neue Bundesinvestitionsprogramm von Frau Giffey abgehoben. Es gab vorher schon Bundesregierungen, die Aktionspläne in Zusammenhang mit dem Schutz für von Gewalt betroffenen Frauen auf den Weg gebracht haben. In diesem Fall wäre es das Aktionsprogramm III.

Das Investitionsvolumen, das hierfür zur Verfügung steht, ist noch nicht einmal geklärt. Wer am Ende die Betriebskosten für die Investitionen zahlt, die der Bund zur Verfügung stellt, ist ebenfalls völlig ungeklärt. Es ist auch völlig ungeklärt, inwieweit sich die Träger am Ende binden.

Wir haben das pragmatisch gelöst und gesagt: Wir öffnen die öffentliche Wohnraumförderung, weil wir neue Frauenhäuser bauen und auch umbauen wollen – Stichwort: Barrierearmut bzw. Barrierefreiheit –, weil es sich um eine Aufgabenstellung handelt, die sich heute genauso wie morgen ergeben wird. So pragmatisch gehen wir hier vor.

(Beifall von der CDU)

Jetzt möchte ich noch etwas in Bezug auf den immer erfolgenden Anwurf zum Rechtsanspruch, zur Ausfinanzierung und zur Auskömmlichkeit von Aufenthalten in Frauenhäusern sagen.

In Ihrer Regierungszeit gab es zwei Sachverständigenanhörungen mit unterschiedlich besetzten Expertengremien. Beide Sachverständigenanhörungen in Ihrer Regierungszeit sind zu ein und demselben Ergebnis gekommen, was immer auch ein bisschen für die Validität spricht.

In beiden Anhörungen ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass das System, das wir in Nordrhein-Westfalen haben, vernünftig ist, weil ein Rechtsanspruch die Rechtsposition von Frauen, die Schutz brauchen, sogar eher verschlechtert als das offene System, das wir heute haben.

Wenn wir aus der Perspektive von Frauen denken, die Opfer von Gewalt geworden sind, haben wir ihnen den bestmöglichen Schutz zu bieten, anstatt irgendwelche Rechtsansprüche zu schaffen, die sie am Ende sogar schlechter dastehen lassen. Deshalb ist dieser Rechtsanspruch eine Schimäre.

(Beifall von der CDU – Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist einfach Unfug!)

Gestatten Sie mir, noch einen weiteren Aspekt zu erwähnen. Hier wird immer auf die Bundesinitiative abgehoben. Es gibt eine klare Zuständigkeit des Bundes, die es im Bereich Gewalt gegen Frauen und Männer übrigens nicht gibt. Dafür sind nach dem föderalen Aufbau die Länder und Kommunen zuständig.

Aber eine Zuständigkeit gibt es, und ich würde mich sehr freuen, wenn Frau Bundesministerin Giffey ihrer Zuständigkeit und ihrer Verantwortung gerecht werden und sich darum kümmern würde: Es geht um die Finanzierung von Frauenhäusern gemäß SGB II. Da haben wir nämlich Lücken. Dafür ist sie zuständig, aber leider kommt von ihrer Seite kein Lösungsvorschlag dazu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich höre gerade, dass mit dem letzten Wort von Frau Ministerin Scharrenbach eine Kurzintervention angemeldet worden ist, und zwar von Frau Kollegin Paul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. Ich wollte hier nicht für das nächste protokollarische Problem sorgen. Gott sei Dank konnten wir das jetzt noch ohne weitere Irrungen und Wirrungen klären.

Frau Ministerin, ich wundere mich ein bisschen, dass Sie hier etwas verteidigen oder glauben, etwas verteidigen zu müssen, weswegen ich Sie eigentlich gar nicht angreifen wollte. Es geht mir darum, dass wir als Land dafür sorgen müssen, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird.

Frau Ministerin, Sie springen eindeutig zu kurz, genauso wie es schon Kristina Schröder als Bundesministerin Ihrer Partei getan hat, als sie gesagt hat: Wir müssen nur das SGB II vernünftig regeln. – Das ist kein effektiver Schutz. Ein Rechtsanspruch würde alle Schutzlücken schließen, weil er nämlich mit Ausnahmetatbeständen für Meldepflichten, für asylrechtliche Auflagen etc. versehen sein müsste, um allen Frauen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und unabhängig von anderen Schutzlücken, zum Beispiel wenn sie studieren etc., zu helfen.

Genau darum muss sich der Bund kümmern. Die Zuständigkeit, Frau Ministerin, ergibt sich daraus, dass wir in diesem Land einen absoluten Flickenteppich haben, was die Frauenhausfinanzierung angeht. Wann immer die Gleichheit der Lebensverhältnisse in diesem Land nicht gewährleistet ist, was hier der Fall ist, ergibt sich daraus die Möglichkeit des Bundes, mitregulierend einzugreifen. Nichts anderes sehen wir hier vor, und nichts anderes ist der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt.

Insofern würde ich mich im Sinne der Frauen freuen, wenn Sie das unterstützen würden. Denn wir brauchen das Geld. Das Land muss dann schließlich immer noch ausreichend Personalfinanzierungsmittel zur Verfügung stellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Frau Ministerin Scharrenbach, Sie haben das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Paul, bitte vollziehen Sie noch einmal die Sachverständigenanhörung aus der 16. Legislaturperiode nach, in der gerade diese Frage „Rechtsanspruch, ja oder nein?“ sehr dezidiert und nachvollziehbar von der Vorgängerregierung beantwortet worden ist. Unser System in Nordrhein-Westfalen wurde in dieser Anhörung als gut bezeichnet. Ich sage das ausdrücklich.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das bezweifelt auch niemand! Aber es ist unterfinanziert!)

Zweitens. Es ergibt sich keine Zuständigkeit des Bundes. Der Bund hat keine Zuständigkeit. Die Länder in der Bundesrepublik Deutschland sind sehr engagiert in der Frage der Opferschutzsysteme für von Gewalt Betroffene, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Frauen oder Männer handelt; Nordrhein-Westfalen und Bayern sind im Moment übrigens Wegbereiter im Bereich Gewalt gegen Männer.

Ich glaube, wir täten alle gut daran, wenn diejenigen, die für Dinge zuständig sind, auch die Verantwortung tragen und die Aufgabenstellungen lösen würden. Insofern trifft Frau Bundesfamilienministerin oder die Bundesregierung die Aufgabenstellung, die immer noch vorhandenen Lücken im Zusammenhang mit der SGB-II-Finanzierung bei bestimmten vulnerablen Gruppen endlich einer Lösung zuzuführen. Denn das fehlt, offen gesagt.

Es ist uns aus nordrhein-westfälischer Sicht an anderer Stelle gelungen, für eine Lösung auf der Bundesebene zu sorgen, Stichwort „anonyme Spurensicherung/Refinanzierung ärztlicher und/oder labortechnischer Leistungen“. Das wird kommen, und dafür können Sie Nordrhein-Westfalen danken.

Ich bin mir sicher, dass wir auch bei der SGB-II-Refinanzierung im Zusammenhang mit Frauenhausaufenthalten noch auf das wohlwollende Gehör der Bundesfamilienministerin stoßen werden.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit kann ich die Debatte zum Einzelplan 08 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8008, den Einzelplan 08 unverändert anzunehmen. Wer dem Einzelplan 08 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Ich frage vorsorglich, ob es auch Stimmenthaltungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Einzelplan 08 in zweiter Lesung angenommen.

Ich rufe auf:

Einzelplan 11
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8011

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7985

a) Arbeit, Soziales

In Verbindung mit:

Unabhängige Beratung von Langzeitarbeitslosen ist ein bundesweites Vorbild – Arbeitslosenzentren (ALZ) und Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) über 2020 hinaus erhalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7903

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Neumann von der SPD-Fraktion hat als Erster das Wort.

Josef Neumann (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche jetzt zum Themenbereich „Arbeit und Soziales“ des Einzelplans 11, der uns hier vorliegt. Herr Minister Laumann, der Haushaltsansatz zu „Arbeit und Soziales“ zeichnet sich durch Enttäuschung und Stillstand aus.

(Beifall von der SPD)

Es fehlen ein klares Konzept und eine Strategie, wie Sie die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen, die in Nordrhein-Westfalen existieren und zukünftig noch auf uns zukommen, gestalten wollen. Das große Zukunftsthema „Digitalisierung“ in der Arbeits- und Sozialpolitik findet im Haushalt nicht statt. Heiße Luft bis gar nichts!

Dabei erwarten insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land klare Antworten und Strategien, wenn es um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze und die soziale Sicherheit ihrer Familien geht.

Aus- und Weiterbildung, Teilhabe an den Dividenden der Digitalisierung, die Frage von Mitbestimmung und Sonstiges – all das sind Aspekte, die zu diesem Thema gehören, die im Haushalt entsprechend abgebildet sein müssten, aber nicht vorkommen.

Aber noch viel schlimmer ist, dass gerade im Bereich Arbeit und Soziales die globalen Minderausgaben in Ihrem Ressort mit 66 Millionen Euro zu den höchsten im Haushalt gehören. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet Sie im Bereich Arbeit und Soziales diesen globalen Minderausgaben zustimmen.

Bis heute bleiben Sie die Antwort darauf schuldig, wo und welche Landesprogramme Sie zusammenstreichen werden. Herr Minister Laumann, das ist nicht nur unseriös, das ist auch unfair gegenüber den Menschen und den Beschäftigten in den vielen Projekten und Maßnahmen. Sie haben es verdient, von Ihnen zu erfahren, wohin die Reise geht und welche Maßnahmen Sie streichen werden.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich drei Beispiele zum Haushalt nennen:

Das eine betrifft die Streichung der Mittel der ZWAR-Beratungsstellen. Das ZWAR-Netzwerk gibt es seit 30 Jahren. Es ermöglicht Teilhabe, Mitgestaltung und bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels stärken solche Projekte wie ZWAR die Quartiersentwicklung und die Unterstützung der Menschen in den Stadtteilen, in den Kommunen vor Ort. Die SPD hat mit dem Änderungsantrag eine Fortführung des Projekts vorgeschlagen. Das ist von CDU und FDP abgelehnt worden. Auch das ist ein Beispiel für das, was im Bereich Soziales nicht nachvollziehbar ist.

Zweites Beispiel: die wertvolle und wertschätzende Arbeit der Betreuungsvereine. Wer nicht bereit ist, den Betreuungsvereinen mehr Geld zu bezahlen, wird an anderer Stelle mehr finanzieren müssen, auch aus dem Landeshaushalt. Auch hier eine Ablehnung durch CDU und FDP.

Drittes Beispiel – Herr Minister, Ihr ehemaliges Steckenpferd –: die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung. Insgesamt ist festzustellen, dass die Mittel zur Förderung der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung stagnieren. Warum die Landesregierung nicht deutlich mehr Geld für Investitionen in diesem Bereich zur Verfügung stellt, ist nicht nachvollziehbar.

Mit der Einführung des Bundesteilhabegesetzes sollten hier klare und deutliche Signale gesendet werden. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bei den sogenannten anderen Anbietern wäre für das Land Nordrhein-Westfalen eine gute Möglichkeit gewesen, mit gutem Beispiel voranzugehen und haushaltstechnisch einiges auf den Weg zu bringen. Fehlanzeige, und das obwohl Menschen mit Behinderung seit Jahren wesentlich mehr von Arbeitslosigkeit betroffen sind als alle anderen. Dadurch, dass da nichts passiert, verhindern Sie die Teilhabe dieser Menschen am Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Teilhabe.

Fazit: Jeder der diesen Einzelplan 11 sieht, stellt fest: wenig Neues, nichts Innovatives, nichts Strategisches. Wir brauchen den sozialen Fortschritt auch in diesem sozial- und arbeitspolitischen Haushalt für die vielen und nicht die wenigen. Davon sieht man wenig. Die SPD-Fraktion kann und wird diesem Einzelplan nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schmitz.

Marco Schmitz (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Neumann, es hätte mich gewundert, wenn Sie dem Einzelplan zustimmen würden, denn Sie haben noch keinem einzigen Einzelplan heute zugestimmt. Aber das nur am Rande.

Ich komme zum Einzelplan 11. Mehr als 6 Milliarden Euro stellen wir in diesem Etat zur Verfügung. Mit diesem Geld tun wir gute Dinge und kümmern uns um die Menschen, denn dafür ist dieser Haushaltsposten da.

Zum Thema „Wirtschaft“ hat der Kollege Becker dargestellt, wie viele Arbeitsplätze überall abgebaut werden. Das ist tragisch für jeden einzelnen Arbeitsplatz, der abgebaut wird, ob es bei thyssenkrupp, bei Ford oder bei allen anderen ist.

Aber man muss sich auch einmal die Gesamtsituation in unserem Land anschauen. Wir haben derzeit einen historischen Höchststand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit inzwischen mehr als 7 Millionen Beschäftigten. Wir haben eine stagnierende Arbeitslosigkeit, aber auf einem niedrigen Niveau. Und wir haben nach wie vor mehr als 400.000 gemeldete offene Arbeitsstellen. Hier muss sich das Land Nordrhein-Westfalen sicherlich nicht verstecken.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das ist sicherlich nicht alleine ein Verdienst der NRW-Koalition,

(Josef Neumann [SPD]: Ganz bestimmt nicht!)

aber mit unseren Entfesselungspaketen haben wir zu einem Klima der Investitionen beigetragen, wodurch Arbeitsplätze generiert werden.

Ein weiterer Punkt ist das Teilhabechancengesetz. Mit diesen Bundesmitteln haben wir vielen Bürgerinnen und Bürgern, die lange Jahre arbeitslos gewesen und von vielen abgeschrieben worden sind, die Möglichkeit gegeben, einen Job zu bekommen. Das ist etwas, worauf man stolz sein darf und wofür man den Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern danken muss,

(Beifall von der CDU)

die Menschen vermitteln, die es alleine nicht mehr geschafft hätten, in Arbeit zu kommen.

Auch den Unternehmerinnen und Unternehmern, die diese Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, ist zu danken. Denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man jemanden einstellt, auch wenn man das komplett finanziert bekommt, der mehr als sechs Jahre lang arbeitslos gewesen ist und dann versucht, wieder in Arbeit zu kommen.

Ich komme nun zu den weiteren Aktivitäten im Bereich Arbeit. Es war sicherlich eine große Aufgabe, die wir in diesem Jahr hatten. Viele von uns haben Gespräche mit den verschiedenen Trägern geführt. Es geht um die Berufseinstiegsbegleitung in Nordrhein-Westfalen. Es war ein großer Kraftakt, den wir aus dem Haushalt finanzieren mussten, mit ESF-Mitteln, mit Landesmitteln. Das war für uns eine sehr wichtige Aufgabe, und wir haben am Ende eine Vereinbarung zusammen mit der Regionaldirektion, mit der Agentur für Arbeit hinbekommen, dass wir dieses Programm weiterlaufen lassen.

Wir werden auch im nächsten Jahr 14 Millionen Euro für „Kein Abschluss ohne Anschluss“ zur Verfügung stellen.

Das Werkstattjahr und Ausbildungsprogramm bekommen über 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Wir haben nach wie vor Bau und Ausstattung der über 120 überbetrieblichen Bildungsstätten von Handwerk, Industrie, Landwirtschaft im Rahmen des Modernisierungspakts Berufliche Bildung vor uns. Auch dafür gibt es 8 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt.

Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung wird weitergefördert. Für die betriebliche Ausbildung in der „Aktion 100“ von Jugendlichen mit Behinderung haben wir 2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Ich wundere mich, Herr Neumann, dass Sie gesagt haben, wir würden gerade für die Menschen mit Behinderung die Chance nicht nutzen. Wir tun es ja. Wir kümmern uns auch um Menschen mit Behinderung.

(Josef Neumann [SPD]: Nicht nach BTHG! Einfallslos!)

Sie stellen es immer negativ dar. Wir nutzen die Gelder, die wir haben, um sie in der Gesamtheit für die Bevölkerung einzusetzen,

(Josef Neumann [SPD]: Einfallslos!)

um Gutes zu tun, um Menschen zu helfen. Und Sie stellen es so dar, als würden wir die Mittel kürzen und Menschen zurücklassen. Das ist falsch. Ich finde es schade, dass Sie das so darstellen. Aber das ist Ihre Entscheidung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Letzter Punkt: Wir stellen für den Bildungsscheck NRW, die Potenzialberatung, die Beratung zur beruflichen Entwicklung und die Fachberatung zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen weitere 19 Millionen Euro zur Verfügung.

Aus Sicht der NRW-Koalition kann ich nur sagen: Unterstützen Sie diesen Haushalt. Stimmen Sie mit uns zu. Es ist für die Menschen. Es ist gut für unser Land. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Sozialausschuss haben wir zahlreiche Anträge zum Regierungsentwurf gestellt, und Herr Schmitz, ich hätte erwartet, dass heute etwas dazu kommt, weil Sie im Ausschuss nichts dazu gesagt haben.

Es kam aber kein Wort dazu, und deshalb müssen Sie sich nicht wundern, dass wir den Einzelplan nicht nur ablehnen, sondern auch sehr erstaunt darüber sind, dass diese Regierungskoalition sich selbst feiert und keine Worte darüber verliert, wie eine alternative Arbeitsmarktpolitik aussehen kann. Das hat nur sehr überschaubar etwas mit einer sachlichen Auseinandersetzung zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will ein paar Punkte anführen, die aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung sind. Natürlich ist es gut, dass wir ein Gesetz auf Bundesebene haben, das sich um den sozialen Arbeitsmarkt kümmert. Da finde ich Ihre Einordnung für Nordrhein-Westfalen aber einigermaßen abenteuerlich. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen, und zwar jenseits der Grenze von 300.000 Personen. Sie sagen, wir hätten eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit und seien ganz zufrieden damit.

Nein, ich bin nicht zufrieden damit – gerade weil ich aus einer Region komme, in der die Sockelarbeitslosigkeit viel zu hoch ist und die Menschen schon viel zu lange ohne Perspektive sind. Wir versuchen, den Menschen eine neue Perspektive zu vermitteln und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Man kann damit nicht zufrieden sein, Herr Kollege Schmitz.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Kollege Neumann hat, wie ich finde, völlig zu Recht gesagt, dass man sich angesichts der Millionen- und teilweise Milliardenbeträge fragen muss, ob eine Ideologie dahintersteckt und nicht nur der Grund, dass gespart werden soll.

Bei den Betreuungsvereinen wären 2 Millionen Euro nötig, um sie wieder auf ein vernünftiges Maß zu bringen. Genau das haben wir, wie auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD, beantragt. Es wurde im Ausschuss von der Regierungskoalition aus CDU und FDP kommentarlos abgelehnt. Sie hätten doch heute mal erklären können, warum Sie das für falsch halten. Wir haben eine Gegenfinanzierung auf den Tisch gelegt.

(Zuruf von Marco Schmitz [CDU])

Auch beim Thema „inklusiver Arbeitsmarkt“ gibt es natürlich gute Ansätze im Bundesteilhabegesetz. Aber bundesweit ist Nordrhein-Westfalen leider im negativen Sinne spitze: Bei der Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung liegen wir deutlich über dem Durchschnitt. Da müssen wir doch Akzente setzen und nicht sagen, dass wir mit der stagnierenden Arbeitslosigkeit ganz zufrieden sind.

Menschen mit hoher Qualifikation, die eine Behinderung haben, werden in Nordrhein-Westfalen aber offensichtlich schlechter integriert, als es nötig ist. Das muss uns stören, da müssen wir ansetzen, und da müssen wir Gegenprogramme auf den Weg bringen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und ich stimme dem Kollegen Neumann auch zu, was die anderen Anbieter und das Budget für Arbeit anbetrifft. Wir haben im Ausschuss Vorschläge gemacht, denen Sie nicht gefolgt sind. Und heute sagen Sie, dass Sie ganz zufrieden mit der Gesamtsituation sind. Ich finde, das kann man nicht sein.

Herr Minister, ich will auch an Punkte anknüpfen, bei denen ich finde, dass Sie in Ansätzen nicht auf dem falschen Weg sind. Das gilt für das Thema „Wohnungslosigkeit“ und für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit insbesondere von Frauen. Ich finde das Programm richtig, mit welchem 20 Gebietskörperschaften – es sind ja Kreise und Städte – in besonderer Weise gefördert werden.

Aber wir brauchen mehr. Wir brauchen auch im ländlichen Raum Zufluchtsmöglichkeiten für Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind – gerade für Frauen. Deswegen haben wir einen entsprechenden Antrag im Ausschuss gestellt. Der wurde kommentarlos abgelehnt, und auch heute haben Sie nichts dazu gesagt, Herr Kollege Schmitz. Da hätte ich mir deutlich mehr Austausch und eine fachliche Debatte gewünscht. Aber offensichtlich ist die Regierungskoalition dazu heute weder bereit noch in der Lage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der wichtigste Aspekt, den ich ansprechen möchte, hatte ebenfalls einen Antrag von uns zur Folge: die Arbeitslosenzentren und die Erwerbslosenberatungsstellen. Auf Bundesebene ist das Gesetz zum sozialen Arbeitsmarkt jetzt da, und wir haben seit elf Monaten Erfahrung damit.

Wir werden uns sicherlich noch intensiv dazu austauschen; denn so rosig, wie es geschildert wird, ist es im Einzelnen leider nicht. Gerade die Integration im Bereich der nichtöffentlichen Anbieter funktioniert zumindest meiner Kenntnis nach sehr unterschiedlich, um es vorsichtig auszudrücken.

Nachdem es 2008 schon ein Fehler war, meinen Sie nun, im Bereich der Erwerbslosenberatungsstellen und der Arbeitslosenzentren wieder an der Substanz schrauben und sie umetikettieren zu müssen. Sie sagen, dass die Beratungsstellen jetzt ranmüssen, weil es beim Arbeitsschutz hapert. Das ist eine faktische Kürzung, weil sie sich nicht mehr um die Arbeit, die sie eigentlich machen müssten, kümmern können: sich um die Menschen zu kümmern, zu beraten und für soziale Integration zu sorgen.

Dass Sie das wieder machen, kann ich nur noch als Ideologie bezeichnen. Denn um die Kohle, die paar Euro, die da notwendig sind, kann es nicht wirklich gehen. Deswegen werden wir den Einzelplan in Gänze ablehnen.

Warum wir das im Gesundheitsbereich tun, diskutieren wir gleich noch.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die aktuell vorgelegte Sozialberichterstattung zeigt durch erfreuliche Entwicklungen, dass sich die NRW-Koalition von FDP und CDU auf dem richtigen Kurs befindet.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP] und Marco Schmitz [CDU])

Wir haben es ja schon von dem Kollegen Schmitz gehört: Die Zahl der Erwerbstätigen und insbesondere die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

ist nicht nur in 2018 weiter gestiegen, sondern der Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. Die gute Arbeitsmarktlage hat eben auch die Langzeitarbeitslosen erreicht und vermehrt dabei geholfen, wieder Fuß zu fassen.

An der Stelle machen wir mal einen kurzen Faktencheck. Herr Kollege Mostofizadeh, Sie sprachen von mehr als 300.000 Langzeitarbeitslosen. Sie haben recht: Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen lag noch zu Ihrer Regierungszeit und bei Amtsantritt der NRW-Koalition bei etwa 300.000. Aber wenn Sie sich die Daten von Ende Oktober dieses Jahres anschauen, dann stellen Sie fest, dass wir diese Zahl auf 240.000 gesenkt haben.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP], Peter Preuß [CDU] und Marco Schmitz [CDU])

Die Zahl 300.000 war also noch ein Überbleibsel, das wir von Rot-Grün übernommen haben. Jetzt sind wir bei 240.000. Das bestätigt unseren Kurs einer Arbeitsmarktpolitik, die alle Menschen im Land mitnimmt.

Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind um 3,3 % gestiegen. Dabei ist auch die Ungleichheit der Einkommensverteilung zurückgegangen. Das relative Armutsrisiko ist spürbar auf 16,6 % gesunken. Und auch die Anzahl der Transferleistungsempfänger ist zurückgegangen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann ist ja alles prima!)

Gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen gibt es also auch in diesem Punkt Verbesserungen.

(Josef Neumann [SPD]: Paradies!)

Für uns ist Arbeit der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Wir halten eine abgeschlossene Berufsausbildung für den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit, und danach handeln wir als NRW-Koalition auch.

Deswegen haben wir die Landesförderung im Bereich der ESF-Programme neu ausgerichtet und den klaren Schwerpunkt darauf gelegt, mehr junge Menschen, Jugendliche in eine Ausbildung zu bringen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

So haben wir auch ein Ausbildungsprogramm auf den Weg gebracht, mit dem wir gerade Jugendlichen mit mehreren Vermittlungshemmnissen eine Chance geben. Seit Herbst 2018 haben wir dafür 1.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen, gerade in den Regionen, in denen es eine ungünstige Bewerber-Stellen-Relation gibt.

Wir haben auch für 2020 beim Rückzug des Bundes die wichtige Arbeit der Berufseinstiegsbegleitung aus ESF-Mitten des Landes abgesichert. Mit der Fortführung und Ausweitung dieses bewährten Instruments unterstützen wir Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Startchancen beim Übergang in eine Ausbildung.

(Beifall von der FDP)

Wenn das nicht genug ist – man wollte ja hören, wie die NRW-Koalition aus FDP und CDU eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreibt –, ließe sich das weiter fortsetzen. Lassen Sie uns das gerne tun.

Sprechen wir über das Thema „Erwerbslosenberatung und Arbeitslosenzentren“; das zählt ja auch mit zu den ESF-Programmen.

(Zurufe von der AfD)

– Ja, die AfD darf sich ja nachher noch zu Wort melden. Dann werden wir hören, wie Ihr Arbeitsmarktkonzept aussieht.

Wenn wir bei dem Thema „Erwerbslosenberatungsstellen“ sind: Diese werden wir in der ESF-Förder-periode auch weiter unterstützen. Das haben wir klar zum Ausdruck gebracht, auch durch unseren Minister: Es wird einen neuen Baustein geben, der in die Beratungstätigkeit aufzunehmen ist. Es geht um die Zielgruppe der prekär Beschäftigten, der von Arbeitsausbeutung betroffenen Menschen. Die sollen dort hineingenommen werden, es soll dort eine niedrigschwellige Anlaufstelle geben. Die Probleme kennen wir, wir haben es gehört. Gerade im Bereich der Schlachthöfe – das ist, glaube ich, allseits bekannt – werden wir diese Herausforderung angehen.

Die Verknüpfung einer Funktion mit einem sozialen Treffpunkt, mit einer Beratung halten wir für sinnvoll. Arbeitslosenzentren ohne Beratungsangebote – ich betone: ohne Beratungsangebote – halten wir für weniger sinnvoll. Wichtig ist: Wir wollen kombinierte Angebote fördern. Darauf werden wir unsere Mittel konzentrieren und gezielt dafür einsetzen.

Ein Thema zu guter Letzt, das auch sehr wichtig ist – daran merkt man, welche Probleme die NRW-Koalition anpackt, bei denen die Vorgängerregierung einfach nur zugeschaut hat –: Obdachlosigkeit. Wir haben mitbekommen, dass es sich um ein zunehmendes Problem handelt. Im Jahre 2018 waren mehr als 44.000 Personen wohnungslos gemeldet. Wir konnten den Anstieg in den letzten Jahren weiterverfolgen. Aber dafür brauchte es erst die NRW-Koalition aus FDP und CDU, die die Mittel von weniger als 2 Millionen Euro mit den Haushalten in den Jahren 2019 und 2020 auf bis zu 7 Millionen Euro anhebt.

Wir packen die Probleme in verschiedenen Bereichen an, etwa was wohnungslose Frauen und weitere Zielgruppen betrifft, was das Thema „Suchthilfe“ oder die Landesinitiative „Endlich ein ZUHAUSE!“ angeht. Mit den Mitteln …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Stefan Lenzen (FDP): … können wir mit den Kooperationspartnern der Wohnungswirtschaft Wohnungsverluste vermeiden und wohnungslose Menschen besser und schneller mit Wohnraum versorgen. Deswegen ist es richtig, diese Angebote noch gezielter auszubauen, wie ich eben erwähnt habe, auch für wohnungslose Jugendliche oder Frauen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Stefan Lenzen (FDP): Das zeigt ganz klar: Die NRW-Koalition packt konkret die Probleme an ohne ideologische Scheuklappen. Wir helfen mit gezielten Maßnahmen.

An dieser Stelle darf ich trotz allem für die konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuss und mit dem Ministerium danken. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Bereich Soziales ist der milliardenschwere Haushaltsanteil nur ein durchlaufender Posten, der der Gestaltung durch den Landesminister letztlich eigentlich entzogen ist. Hier beruhen Verfügbarkeit und Ausgestaltung der verausgabten sozialstaatlichen Ressourcen auf bundesrechtlichen Festlegungen. Eine Gestaltung durch das Land erfolgt nicht.

Im Bereich Arbeit spielt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eigentlich auch nur die zweite Geige. Sehen wir die Beträge der Arbeitsagentur im Land Nordrhein-Westfalen in Höhe von 6 Milliarden Euro jedes Jahr, scheinen die immerhin dreistelligen Millionenbeträge, die das MAGS im Jahre 2020 für den Arbeitsbereich – kofinanziert mit EU-Mitteln – einsetzen kann, nicht die Welt zu sein. Ihnen ist es aber trotzdem seit der Übernahme des Ministeriums durch Ihre Entscheidungen gelungen, die eigene Handschrift deutlich werden zu lassen.

Auch in Ihrer Einbringungsrede wurde deutlich, wie wichtig es Ihrem Ministerium ist, junge Menschen auszubilden und in Arbeit zu bringen – Menschen, die am Beginn ihrer Erwerbsbiografie stehen und noch alles vor sich haben. Nicht alle haben die gleichen Voraussetzungen, manche haben es schwerer.

Deshalb begrüßen wir das Werkstattjahr, das Ausbildungsprogramm und die Berufseinstiegsbegleitung, damit diese junge Menschen etwas lernen, eine Qualifikation erlangen und somit später auf eigenen Füßen stehen können. Das ist die beste Armutsprävention. Wir sehen darin eine der wichtigsten Aufgaben.

Die Teilzeitberufsausbildung finden wir ebenfalls eine wunderbare Möglichkeit, zum Beispiel trotz früher Elternschaft den Anschluss nicht zu verlieren. Das ist nicht nur, aber besonders für Alleinerziehende eine wichtige Perspektive. Kinder kommen nicht immer geplant, und es ist gut zu wissen, dass es Ideen und Möglichkeiten gibt, das Mutterwerden nicht gegen einen Berufsabschluss abwägen zu müssen. Beides ist möglich. Das sollte vielleicht noch viel mehr in den Köpfen ankommen. Das sind Unterstützungsmaßnahmen, die wir für sehr sinnvoll halten. Eine gute Ausbildung ist die beste Voraussetzung für eine gute Beschäftigung.

Zwei Drittel aller Langzeitarbeitslosen haben nämlich keine abgeschlossene Berufsausbildung. Mehr als die Hälfte hat das 45. Lebensjahr deutlich überschritten. Ihr Ansatz, viele Ressourcen dahinein zu investieren, dass Menschen erst gar nicht in diese Situation geraten, halten wir für den richtigen Weg.

In Bezug auf das Teilhabechancengesetz allerdings oder den, kurz gesagt, sozialen Arbeitsmarkt haben wir große Bauchschmerzen. Wir sehen das nicht so optimistisch wie Sie. Ein Arbeitsverhältnis, das über einen so langen Zeitraum in so hohem Maße gefördert wird, ohne dass der Arbeiter im Anschluss auch regulär beschäftigt werden muss und ohne dass die herkömmlichen Befristungsregelungen greifen, ohne dass der Beschäftigte einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I erlangt, finden wir alles, aber nicht sozial.

Ob dieser soziale Arbeitsmarkt am Ende des Tages arbeitslose Menschen in echte Beschäftigung bringen wird, ist ungewiss. Das werden wir erst in Jahren beurteilen können.

Allerdings muss man an dieser Stelle auch sagen, Herr Mostofizadeh: Sie haben sich gerade über die 300.000 Arbeitslosen echauffiert. Aus Ihrem Mund erscheint das für mich immer, ehrlich gesagt, sehr bigott. Die Politik insbesondere Ihrer Partei trägt maßgeblich dazu bei, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Und wenn es um Ihre Ideologie geht, ist Ihnen der Verlust der Arbeitsplätze auch relativ wurscht. Anschließend weinen Sie dann hier die Krokodilstränen.

Dabei ist es auch egal, ob es 300.000 oder 240.000 sind. Sie haben natürlich recht: Es sind viel zu viele. – Und es sind auch keine Überbleibsel, Herr Lenzen.

Insgesamt ist es aber eine wohltuende Abkehr vom Weltbild des rot-grünen Sozialuntertans, der in Nordrhein-Westfalen permanenter Sozialpädagogisierung bedarf, weil er sein Leben eigentlich selber gar nicht mehr führen kann.

Aufgrund dieser Melange aus Zustimmung und Ablehnung werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsberatungen zum Bereich Arbeit und Soziales finden in einer Zeit statt, in der wir sehr gute Daten zur Entwicklung in Nordrhein-Westfalen haben.

Im Jahresdurchschnitt 2018 waren bei uns 9.550.000 Menschen in Erwerbsarbeit. Allein in dem Jahr hatten wir eine Zunahme der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um 2,3 % auf 6,85 Millionen zu verzeichnen.

Jahrelang hatten wir eine öffentliche Diskussion, die von wachsender Armut und Ungleichheit der Einkommen geprägt war. Die Entwicklung im vergangenen Jahr ist ein Lichtblick. Im Jahr 2018 lag das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte bei 22.263 Euro und damit um 3,3 % höher als im Vorjahr. Von 2012 bis 2017 hat sich die Einkommensverteilung kontinuierlich angeglichen. Zum ersten Mal ist in Nordrhein-Westfalen die Schere bei der Einkommensverteilung zwischen Armen und Reichen wieder zusammengegangen.

Das Armutsrisiko hat in diesem Land erheblich abgenommen. Die Zahl der Grundsicherungsempfänger in unserem Land ist erheblich zurückgegangen – um rund 87.000 allein in den vergangenen zwölf Monaten von 2018.

Das zeigt, dass Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal seit vielen Jahren, in denen wir immer über die Armutsentwicklung diskutiert haben, in wichtigen Fragen eine positive Entwicklung nimmt.

(Beifall von der CDU und Stefan Lenzen [FDP])

Ich halte es für das Entscheidende, dass die politischen und wirtschaftlichen Instrumente auch bei den Benachteiligten in unserer Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen wirken.

Jetzt zu den Zahlen im Haushalt, die mir wichtig sind:

Wir stellen auch im kommenden Jahr für das Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“, das für junge Menschen in der Phase des Übergangs von Schule zu Beruf von großer Bedeutung ist, 14 Millionen Euro zur Verfügung.

Für das Werkstattjahr und das Ausbildungsprogramm stellen wir 20 Millionen Euro zur Verfügung.

Um die Berufseinstiegsbegleitung, aus dessen Finanzierung sich der Bund zurückgezogen hat, in Nordrhein-Westfalen auch für 2020 sicherzustellen, stellen wir 20 Millionen Euro zur Verfügung.

Wir machen weiter mit der Teilzeitberufsausbildung, die vor allem für alleinerziehende Mütter, die noch keinen Beruf haben, ein wichtiges Instrument ist, und stellen dafür 2,8 Millionen Euro zur Verfügung.

Im Haushalt stehen 8 Millionen Euro für die Ausstattung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten, insbesondere im Handwerk. Weil der Landesanteil immer knapp ein Drittel beträgt und zwei Drittel von anderen kommen, bedeutet das, dass in Nordrhein-Westfalen ab dem kommenden Jahr rund 24 Millionen Euro für den Aufbau der ÜBS zur Verfügung stehen. Wir reden also nicht nur über die duale Ausbildung, sondern tun auch etwas dafür, dass es moderne Räume für die duale Ausbildung gibt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich kann Ihnen auch sagen, dass wir die Erwerbslosenberatungsstellen über den derzeitigen Förderzeitraum hinaus – bis 2020 ist ja alles genehmigt – weiter fördern werden.

Aber Sie müssen mich auch verstehen. Vor einigen Wochen haben wir in Nordrhein-Westfalen 30 Schlachthöfe gleichzeitig mit Zoll und Arbeitsschutz kontrolliert. Dabei sind wirklich schlimme Dinge zutage gekommen, was mit osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmern in der nordrhein-westfälischen Fleischindustrie passiert. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass ich keine Bevölkerungsgruppe in Nordrhein-Westfalen kenne, die unter so schlechten Bedingungen leben und arbeiten muss wie die Werkvertragsarbeitnehmerinnen und ‑arbeitnehmer in der Fleischbranche; das gilt auch für einen Teil der Paketdienste.

(Beifall von der CDU und Martina Hannen [FDP])

Als Arbeitsminister kann ich nicht einfach so tun, als ob da nichts wäre. Ich brauche eine flächendeckende Beratung. Die Stellen, die es heute gibt – ich glaube, zwei in Dortmund und ein paar in Ostwestfalen –, reichen vorne und hinten nicht, da alleine in der Fleischindustrie über 17.000 Werkvertragsarbeitnehmer tätig sind.

Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich muss doch vor Ort sein. Also habe ich gesagt, dass die Mitarbeiter in den Erwerbslosenberatungsstellen, die sich schon immer um Menschen in prekären Lagen gekümmert haben, auch diese Aufgabe übernehmen können. Natürlich geben wir Geld für Rechtsberatung und Dolmetscher. Das ist eine weitere Aufgabe. Damit nutzen wir aber eine vorhandene Struktur auch für diese Menschen.

Ich kenne viele, die in Erwerbslosenberatungsstellen beschäftigt sind und sich auf diese neue Aufgabe freuen. Sie sagen: Natürlich werden wir auch das aus unserem Selbstverständnis heraus machen.

Wir können also feststellen, dass dieser Haushalt in der Arbeitsmarktpolitik sehr viel bewirkt.

Eine Sache will ich noch klarstellen. In den vergangenen drei Jahren haben wir die Zuschüsse für die Betreuungsvereine in Nordrhein-Westfalen von 2,7 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro gesteigert. Angesichts dieser Steigerung zu behaupten, wir hätten nichts für die Betreuungsvereine getan, finde ich populistisch und unehrlich.

Insofern bin ich davon überzeugt, dass das ein guter Haushalt für die Menschen in Nordrhein-Westfalen ist. Er stellt die Handlungsfähigkeit der Abteilungen Arbeit und Soziales für das kommende Jahr sicher. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Der guten Ordnung halber teile ich mit, dass die Landesregierung ihre Redezeit für diesen Bereich um eine Minute überzogen hat. Ich frage, ob es noch Wortmeldungen zu diesem Teilbereich gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zu diesem Teilbereich.

Wir kommen zum Teilbereich

 

b) Gesundheit

Ich erteile dem Kollegen Yüksel für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte sehr.

Serdar Yüksel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar grundsätzliche Worte zum Schwerpunkt Ihres Haushaltes, Herr Laumann, sagen. Denn der Haushalt macht deutlich, dass gerade auch der Themenbereich, den wir jetzt miteinander zu besprechen haben, bei Ihnen keine Priorität besitzt. Dieser Bereich ist am härtesten von globalen Minderausgaben betroffen, und das trotz Rekordsteuereinnahmen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es gleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht der Herausforderungen, die uns bei diesen Themen erwarten und auch jetzt schon spürbar sind, einem Kunststück, hier überhaupt noch einen Haushaltsentwurf vorlegen zu können. Ich will das auch ganz konkret an den einzelnen Maßnahmen festmachen, damit es nicht abstrakt bleibt.

Für die Umsetzung des Nationalen Krebsplans werden künftig 200.000 Euro weniger zur Verfügung stehen, obwohl wir gerade bei der Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung oder der onkologischen Versorgungsstrukturen eine höhere Qualitätssicherung brauchen.

Für den Themenbereich „Diabetiker“ sehen Sie auch eine Kürzung vor – genauso bei der Sterbebegleitung. Bei den Hospizen sind es sogar 615.000 Euro.

Der wichtige Aktionsplan Hygiene wird um über 380.000 Euro gekürzt. Mit dem Aktionsplan Hygiene waren wir Vorreiter in Deutschland. Jeder, der Angehörige im Krankenhaus hat, weiß, was für eine Bedrohung die multiresistenten Keime oder die nosokomialen Infektionen in den Krankenhäusern darstellen. Da auf die Idee zu kommen, 380.000 Euro zu kürzen, ist wirklich ein Witz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim Kinderschutz wird kein Halt gemacht. Wir haben bei der letzten Plenardebatte ja auch zu Recht über den Kinderschutz gesprochen.

Ich will Sie, Herr Laumann, einmal zitieren. Sie haben erklärt:

„Der Kinderschutz ist mir ein wichtiges Anliegen. Belastungssituationen in Familien, mögliche Zeichen von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch müssen frühzeitig erkannt werden. Hierzu braucht es auch im Gesundheitswesen passende Strukturen.“

Da frage ich Sie: Wie kommen Sie dann allen Ernstes auf die Idee, in diesem Bereich 700.000 Euro einzusparen?

(Beifall von der SPD)

Ich frage mich auch, ob Sie, als im Kabinett darüber gesprochen wurde, anwesend waren oder was Sie während der Zeit gemacht haben, als der Finanzminister Ihnen diese Kürzung in Ihren Etat hineingeschrieben hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was bringt es eigentlich, sich mit Pressemitteilungen zur Kinderschutzkommission als vermeintliche Familienpartei in Szene zu setzen, wenn in der Regierungsverantwortung dann bei dem entscheidenden Kinderschutz die Mittel im Haushalt derart gekürzt werden?

(Beifall von der SPD)

Doch nicht nur die Kinder werden im aktuellen Haushaltsentwurf vernachlässigt. Auch das Thema „Pflege im Alter“ kommt zu kurz. Mein Kollege Josef Neumann hat gerade die ZWAR-Landesstellen, die Kürzungen erfahren oder abgeschafft werden, angesprochen. Unser dazu gestellter Haushaltsantrag ist von Ihnen ja auch weggewischt worden.

Ich möchte in Anbetracht der kurzen Redezeit nicht auf alle einzelnen Kürzungen und Probleme des Haushaltes im Hinblick auf das Thema „Gesundheit“ eingehen, will aber zum Thema „Krankenhausfinanzierung“ noch etwas sagen, weil wir dort wirklich vor großen Herausforderungen stehen. Auch dieses Thema hat bei Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, nicht oberste Priorität. Ich stelle diesbezüglich leider fest, dass weiterhin im Klein-Klein an diesen Herausforderungen gearbeitet werden soll.

Wir haben als SPD bereits in unserem Wahlprogramm für diese Legislaturperiode geschrieben, dass wir im Hinblick auf den enormen Investitionsstau in Höhe von 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr eine grundsätzlich neue Art der Investitionsfinanzierung benötigen.

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Wir hatten Ihnen damals vorgeschlagen, nach dem Vorbild „Gute Schule 2020“ ein Investitionsprogramm aufzulegen. Sie können sich sicher sein, dass dieses Investitionsprogramm für die Krankenhäuser auch gekommen wäre, wenn wir die Wahl 2017 gewonnen hätten.

(Beifall von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] – Lachen von der CDU und der FDP)

Sie merken doch jetzt auch schon in den Gesprächen, wenn Sie mit Krankenhausträgern mal sprechen, wohin Ihr kleinliches Reparieren am Ende führen wird: Es wird am Ende teurer als ein grundsätzliches Sanieren der Investitionsförderung.

(Beifall von der SPD)

Das ist keine Strategie.

Ich zitiere einmal die Antwort auf die von uns gestellte Frage, wie es mit den Schwerpunkten bei der Krankenhausförderung aussieht. Zu den Förderzielen für das nächste Jahr sagt der Minister – man muss sich das einmal vorstellen –:

„Die Förderschwerpunkte für das Jahr 2020 werden derzeit erarbeitet. Die Bekanntgabe soll noch in diesem Jahr erfolgen.“

Wir haben fast 2020. Wenn Sie im November noch nicht wissen, wie die Förderschwerpunkte für das kommende Jahr aussehen werden, dann frage ich mich, was für eine Strategie Sie bei der Krankenhausförderung tatsächlich verfolgen.

Ich erlebe Sie, Herr Minister, immer wieder bei Veranstaltungen, auf denen Sie dann beklagen, was alles nicht geht. Dann denke ich: Recht hat er. Aber irgendjemand sollte ihm auch einmal sagen, dass er seit fast drei Jahren zuständiger Minister ist

(Anja Butschkau [SPD]: Genau!)

und die Verantwortung dafür trägt, nicht nur die Dinge zu beklagen, sondern auch zu handeln. – Das ist auch unsere Erwartungshaltung.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Als nächster Redner hat für die CDU Herr Kollege Preuß das Wort.

Peter Preuß (CDU): Herr Kollege Yüksel, wissen Sie, was Investitionsstau ist bzw. bedeutet? Das sind ausgebliebene Investitionen, die eigentlich schon längst hätten vorgenommen werden müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dadurch entsteht Stau. Und Sie haben über sieben Jahre die Investitionskostenförderung eingefroren.

(Frank Müller [SPD]: Was für ein innovativer Redeeinstieg! Großartig! Diese Kreativität!)

Das wollen wir doch einmal festhalten.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2020 der NRW-Koalition ist nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass die Krankenhäuser noch nie so viel Geld bekommen haben wie jetzt durch die NRW-Koalition, sondern auch durch die Strukturveränderungen, die wir seit zweieinhalb Jahren eingeleitet haben.

Wir wollen die medizinische Versorgung der Menschen in Nordrhein-Westfalen sicherstellen und verbessern. Das bedeutet eine höchstmögliche medizinische Qualität mit Schwerpunktbildung und Spezialisierung, aber auch Erreichbarkeit der Krankenhäuser im Akutfall.

Mit dem neu ausgerichteten Krankenhausplan wird die NRW-Koalition leistungsfähige Krankenhausstrukturen schaffen. Da kommt es nicht mehr auf die Bettenzahl an, sondern auf die Versorgung, auf die Versorgungsstrukturen und auf die Qualität.

Das vorliegende Gutachten zur Krankenhauslandschaft NRW zeigt, dass die Veränderungen in Richtung kooperative Strukturen, Zusammenschlüsse, Spezialisierungen und dergleichen zwingend notwendig sind, um Fehl-, Über- und Unterversorgung auszugleichen.

Wir werden für die Krankenhausförderung im kommenden Jahr insgesamt rund 760,6 Millionen Euro ausgeben. Für die Investitionskostenförderung und die Einzelförderung stellen wir insgesamt 39,36 Millionen Euro mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Für die Kofinanzierung des Krankenhausstrukturfonds sind bis zum Jahr 2022 jährlich 95 Millionen Euro vorgesehen. Der Bund stellt jährlich rund 105 Millionen Euro zur Verfügung.

Eine weitere wichtige Säule der Gesundheitsversorgung ist das mit 2,5 Millionen Euro hinterlegte Aktionsprogramm „Hausärztliche Versorgung“, das seinerzeit von Karl-Josef Laumann eingeführt worden ist und seitdem stets fortgeführt wurde.

Zu nennen ist im Übrigen auch die Landarztquote. Das entsprechende Gesetz haben wir hier beschlossen. Wir sind das erste Bundesland, das eine Landarztquote zur Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum eingeführt hat, und haben damit Pionierarbeit geleistet. Andere Bundesländer sind dabei, uns nachzueifern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist ein Erfolgsmodell. Es gibt für 145 Studienplätze inzwischen 1.300 Bewerbungen.

Mit der Gründung der Medizinischen Fakultät OWL in Bielefeld wollen wir die Folgen des demografisch bedingten Fachkräftemangels in der Ärzteschaft abfedern. An der Universität Witten/Herdecke wurde die Zahl der Studienplätze zum vergangenen Sommersemester verdoppelt. Dort haben nun jährlich 168 junge Menschen die Möglichkeit, ihr Medizinstudium aufzunehmen. In Bielefeld werden es 300 Studierende pro Jahr sein.

Auch spielt die Digitalisierung im Gesundheitswesen eine zunehmend wichtige Rolle. In Zukunft soll es in Nordrhein-Westfalen eine flächendeckende telemedizinische Versorgungslandschaft geben. Mit einem virtuellen Krankenhaus wird ein telemedizinisches Netzwerk aufgebaut, das die fachärztliche Expertise der im Land verteilten medizinischen Spitzenzentren für die gesamte Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen verfügbar macht.

Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sollen über das virtuelle Krankenhaus spezielle Expertisen zur Verfügung gestellt werden. Für das virtuelle Krankenhaus werden wir im Haushalt bis zu 2 Millionen Euro pro Jahr vorsehen.

Der Kinderschutz liegt uns ebenfalls sehr am Herzen. Es gehört zu unseren Pflichten, die Jüngsten in unserer Gesellschaft zu schützen. Aus diesem Grund wird seit April 2019 das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen gefördert, dessen Aufgabe darin besteht, die Akteure im Gesundheitswesen bei Fragen zu medizinischem Kinderschutz zu beraten.

Zugleich werden wir vor Ort auch die Kinderschutzambulanzen finanziell unterstützen,

(Beifall von der CDU und der FDP)

die sich um Kinder und Jugendliche kümmern, die Gewalt, Misshandlung oder Missbrauch erlebt haben.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Insgesamt stellen wir für das kommende Jahr im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitshilfe für Maßnahmen des Kinderschutzes 1,8 Millionen Euro zur Verfügung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der vorliegende Haushaltsentwurf für 2020 legt im Gesundheitsbereich einen deutlichen Schwerpunkt auf die Krankenhäuser und die Bekämpfung des Hausärztemangels.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Wie lange war die Redezeit?)

Für die Interessen der Menschen in Nordrhein-Westfalen setzen wir damit den vor zweieinhalb Jahren eingeschlagenen erfolgreichen Weg fort.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Peter Preuß (CDU): Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Preuß, Sie sind etwas unorthodox in Ihre Rede eingestiegen. Ich möchte aber noch einmal auf 2011 zurückschauen. – Jetzt ist Herr Witzel nicht mehr da.

(Henning Höne [FDP]: Sollen wir ihn wieder reinholen? – Heiterkeit von Josef Hovenjürgen [CDU])

Die Haushaltssituation von damals ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Herr Minister, Sie waren zwischen 2005 und 2010 schon einmal im Amt. Damals waren die Investitionen in die Krankenhäuser auch nicht so hoch, wie wir uns das vorstellen.

Ich hätte auch zwischen 2010 und 2017 gerne mehr gehabt. Sie haben damals mehr für das Krankenhaus gefordert. Ich kann mich noch gut erinnern. Sie waren Fraktionsvorsitzender, Herr Minister Lau-mann, als wir den Beschluss gefasst haben, dass 50 % der Sozialkosten vom Bund übernommen werden sollen. Gleichzeitig haben wir gesagt, das Land müsse ein Stück weit einspringen, wenn das nicht funktioniere. Daraufhin forderte die CDU, das müsse aber eins zu eins im Landeshaushalt eingespart werden. Es ist immer ein bisschen schwierig, sich an das zu halten, was man zu Oppositionszeiten gesagt hat, wenn man dann regiert.

Jetzt behaupten Sie, dass die Krankenhausinvestitionen explodieren, nachdem sie auf einen niedrigen Stand heruntergeschraubt worden waren. Schauen Sie sich einmal an, woher die Mittel – ich finde das gut – stammen: Das allermeiste sind Bundesmittel, die aus NRW gegenfinanziert werden. Das ist in Ordnung. Aber so in die Vergangenheit zu schauen, ist haushaltspolitisch nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN – Heike Gebhard [SPD]: Das ist für Leute, die keine Ahnung haben!)

So viel zur Einordnung dieses Themas. Ich möchte mich auch einigermaßen kurz fassen.

Beim Krankenhausplan möchte ich direkt mit dem Positiven anfangen. Ich will Ihnen deutlich sagen: Sie haben uns bei einer Diskussion über eine neue Krankenhausstruktur an Ihrer Seite, weil auch wir der Auffassung sind – da beißt die Maus keinen Faden ab –, dass wir mehr konsolidieren müssen, wenn wir weniger Pflegekräfte haben, wenn wir eine Konzentration brauchen, wenn wir mehr Qualität in den Krankenhäusern benötigen. Das kann gar nicht anders funktionieren.

Wie wir es dann am Ende machen, werden wir diskutieren. Dazu liegt ein Gutachten vor. Darüber findet eine fachliche Auseinandersetzung statt. Dabei wird sich auch der eine oder andere Lokalpolitiker einmischen. Das müssen wir alles durchstehen.

Dass wir das weiterhin angehen müssen, ist aber richtig. Da stimmen wir Ihnen grundsätzlich zu. Wir werden das auch diskutieren. Aber dann müssen wir wirklich darauf achten, dass das unter Beachtung fachlicher Kriterien geschieht.

Sie haben das Thema „Betreuungsvereine“ angesprochen. Wir haben nicht gesagt, dass nichts gemacht wird. Aber angesichts der steigenden Zahlen und des vertretbar geringen Aufwandes, der erforderlich wäre, um diese wichtige Arbeit zu unterstützen, hätten Sie diese 2 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt einstellen müssen. Das ist eine hochqualitative Arbeit, die dazu führt, dass Menschen im Alter im Betreuungsfall unterstützt und auch rechtlich unterstützt werden. Das zahlt sich für den Landeshaushalt und für die Menschen in Nordrhein-Westfalen vielfach aus. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Regierungsfraktionen dem nicht zugestimmt haben.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] und Josef Neumann [SPD])

Nun komme ich zu dem wichtigsten Punkt, der uns auch wirklich trennt, nämlich der Thematik „Alter und Pflege“. Die Themen „ZWAR“ und „Quartiersentwicklung“ sind hier schon angesprochen worden. Ich kann es nur wiederholen: Warum Sie aus ideologischen Gründen aus dem Landesförderplan 5 Millionen Euro herausstreichen – da ist ZWAR schon dabei – und die Fokussierung auf die Pflegestationen wieder vornehmen, verstehe ich einfach nicht.

Wir haben hinsichtlich der häuslichen Pflege ganz viel Luft nach oben. Wir müssen die Quartiersentwicklung stärken, weil wir schlichtweg viel zu wenige Leute haben, die die Pflege abwickeln können. Wir brauchen die Menschen im Quartier. Wir brauchen Beratung und eine verbindliche Pflegeplanung vor Ort. Im Rahmen der Quartiersentwicklung muss auch die Barrierefreiheit in den Häusern hergestellt werden. Das müssen wir vor Ort entwickeln.

Dass Sie sich bei diesem Thema von der FDP vor sich hertreiben lassen, ist wirklich ein Fehler. Ändern Sie den Kurs, und setzen Sie den anderen Schwerpunkt. Dann können wir auch wieder ein Stück weit zusammenkommen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mostofizadeh. – Für die Fraktion der FDP hat Herr Kollege Matheisen das Wort.

(Zuruf von der FDP: Herr Witzel ist wieder da! – Gegenruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Schön für ihn! – Heiterkeit)

Rainer Matheisen (FDP): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß jetzt nicht, was die Heiterkeit hervorruft. Ich vermute aber, dass es der vorliegende Einzelplan ist, weil er so positiv, schön und gut ausgestaltet ist, dass sich alle hier freuen.

Eben haben wir vom Kollegen Preuß zu den Themen „ärztliche Versorgung im ländlichen Raum“ und „Krankenhausplanung und Investitionen“ schon das eine oder andere gehört. Deswegen werde ich jetzt eher etwas zu den Bereichen „Prävention“ und „Aufklärung“ sagen.

Am Sonntag ist Welt-AIDS-Tag. Ich sehe hier auch etliche Kolleginnen und Kollegen, die eine rote Schleife tragen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den in der Aidshilfe Aktiven – seien es Hauptamtler oder Ehrenamtler – ganz herzlich für ihre wertvolle Arbeit, die sie jeden Tag für die Betroffenen leisten, und für die vielfältigen Hilfs- und Präventionsangebote, die dort bereitgestellt werden, zu danken.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir stärken aus diesem Grund die zielgruppenspezifische Prävention und erhöhen die Mittel um 400.000 Euro. Das ist eine großartige Sache und meines Erachtens ein gutes Zeichen in diese Richtung.

Neben zusätzlichen Mitteln, die vom Kollegen Preuß bereits erwähnt wurden, setzen wir auch unsere Initiativen aus den vergangenen Jahren fort. Ich greife da zwei Punkte heraus.

Erstens: Diabetes bei Kindern. Eine chronische Diabeteserkrankung bedeutet für Kinder viele Einschränkungen und Verunsicherungen. Die Kinder werden oft von Ausflügen, von Klassenfahrten und vom Sport ausgeschlossen und haben dort keine Möglichkeiten. Da gibt es große Unsicherheiten.

Deswegen haben wir mit unseren Partnern, der Deutschen Diabetes-Hilfe und der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie, eine Koordinierungsstelle eingerichtet und ein Handlungskonzept entwickelt. Dafür haben wir Mittel eingestellt, weil dort gute Arbeit geleistet wird und jetzt ein landesweites Schulungsprogramm für das Personal in Kindertagesstätten und Schulen aufgebaut wird. Das führen wir in diesem Jahr natürlich fort. Damit setzen wir in diesem Haushalt auch ein schönes Zeichen.

Zweitens: iGOBSIS. Wer mit dieser Abkürzung nichts anfangen kann: Sie steht für „intelligentes Gewaltopfer-Beweissicherungs-Informationssystem“. Es ist vom Institut für Rechtsmedizin hier in Düsseldorf gestaltet und entwickelt worden und ein spannendes Beispiel dafür, wie Digitalisierung tolle Fortschritte ermöglicht.

Dort gibt es beispielsweise eine Suchmaske für Frauenberatungsstellen, um die einfache Vermittlung eines Ansprechpartners für die Opfer zu ermöglichen. Hier nutzen wir die Digitalisierung wirklich, um den betroffenen Menschen zu helfen, und auch, um präventiv weitere Fälle in Zukunft zu verhindern, weil durch die Beweissicherung entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Diese Leistung soll zwar in Zukunft über die Krankenkassen abrechenbar werden. Wir sorgen aber jetzt mit Landesmitteln dafür, dass der Übergang von der Projektphase in die reguläre Versorgung vernünftig gelingen kann.

Das waren schöne Beispiele dafür, was wir an verschiedenen Stellen, gerade in den Bereichen „Prävention“ und „Aufklärung“, machen. Daher bitte ich Sie, dem Einzelplan zuzustimmen. Ich weiß, dass das vielleicht nicht jeder von Ihnen tun will. Das hat man aus den Wortbeiträgen schon herausgehört. Aber betrachten Sie diesen Einzelplan wohlwollend. Er ist gut geworden.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir stehen für eine gute Gesundheitsversorgung für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Matheisen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Kollege Dr. Vincentz das Wort. Bitte sehr.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nunmehr fast eine Art Tradition, dass wir uns beim Einzelplan des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales enthalten. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass wir das Ganze nicht trotzdem kritisch begleiten würden, sondern ist Folge einer Abwägung.

Das, was wir hier gerade von den anderen Oppositionsparteien erlebt haben – nämlich im Prinzip, im Rahmen einer Haushaltsdebatte die Mangelverwaltung, die für das Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik chronisch ist, tatsächlich dahin gehend auszuspielen, den regierungstragenden Parteien zu unterstellen, sie würden sich nicht für das Wohl misshandelter Kinder einsetzen –, ist schlicht unredlich. Jeder weiß, dass das Geld nun einmal knapp ist und verteilt werden muss.

In dieser Legislaturperiode sind viele große Dinge angestoßen worden, die nun einmal ihr Geld kosten werden. Wenn wir in die Zukunft schauen und den demografischen Wandel betrachten, sehen wir, dass sie sicherlich auch nötig sind.

Zu den Dingen, die angestoßen worden sind, gehört die Landarztquote. Wir haben jetzt neue Zahlen dazu erhalten. Dieses Programm erfährt tatsächlich eine hohe Nachfrage. Wie sich das letztlich auf den im Land bestehenden Bedarf auswirken wird, ist natürlich noch fraglich. Auch das werden wir im Weiteren kritisch begleiten.

Morgen wird hier der Gesetzentwurf zur Errichtung der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen eingebracht. Das ist sicherlich eines der Gesetze, die im Folgenden weiter kritisch betrachtet werden müssen – insbesondere, wenn man sich die Vorgänge in Niedersachsen vor Augen führt, wo die Politik nun entschieden hat, eine Beitragsfreiheit zu gewähren. Was diese Absprache unter den anderen Parteien angeht, werden wir als AfD sehr kritisch betrachten, wie sich das in Nordrhein-Westfalen entwickeln wird, ob auch hier bei politischem Gegenwind am Ende eine Beitragsfreiheit stehen wird und was andere Kammern dann dazu sagen werden.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Meiner Meinung nach ist hier auch noch der Umgang des Ministeriums mit den verschiedenen bislang aufgetretenen Skandalen anzusprechen. Dazu gehören der Apotheker-Skandal und auch – wobei das kein Skandal war – die Handfehlbildungen bei Neugeborenen, die sich in diesem Jahr gezeigt haben. Da hat das Ministerium, meine ich, sehr vorbildlich reagiert und alle Parteien sehr schnell und zügig mit allen vorliegenden Daten versorgt, sodass wir auch da eigentlich keine Kritik üben können.

Oppositionspolitik bedeutet im Rahmen des Haushalts ja immer, die Regierung zu kontrollieren. Wenn es nicht viel zu kritisieren gibt, dann muss man manchmal auch einfach einen Haken daran machen und es sagen.

Weswegen wir dem Einzelplan nicht zustimmen können, sind ein paar andere Punkte. Ich meine, im Laufe auch dieses Jahres haben wir wieder mit einigen Anträgen gezeigt, dass Gesundheitspolitik mit uns einige etwas andere Akzente hätte. Der Haushaltsänderungsantrag, der heute eingereicht wurde, zeigt auch, dass in dem von uns vorgestellten gesamthaushalterischen Konzept die Krankenhäuser mit uns einen dreistelligen Millionenbetrag mehr bekommen hätten. Das ist das, was es mit uns an Änderungen gegeben hätte. Wir denken, dass dies sicherlich notwendig ist; denn gerade im Rahmen der Krankenhausplanung wird es sicherlich den in den vergangenen Jahren eher unterfinanzierten Krankenhäusern sehr schwerfallen, das in der Art und Weise aufzufangen.

Uns haben einige Nachrichten der vergangenen Wochen und Tage ein bisschen kritisch begleitet, besonders was die Nachrichten aus dem Gesundheitssystem betrifft. Wir stellen fest, dass die Krankenhäuser immer öfter fordern, sie doch bitte schön auch zu unterstützen, was Security-Dienste in den Notaufnahmen und in den Ambulanzen angeht, denn dort gibt es prolongiert Probleme, die es so vor einiger Zeit noch nicht gegeben hat. Da die Krankenhäuser durchaus auch an anderer Stelle eine Finanzierung bekommen, ist es sicherlich folgerichtig, sie dabei zu unterstützen, sie nicht im Regen stehen zu lassen, wenn dort Krankenschwestern und Ärzte nachts den Notdienst verrichten, sie dort nicht im Stich zu lassen und Gefahren auszusetzen, die schlichtweg nicht zu diesem Beruf gehören sollten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Gesundheitspolitik der Landesregierung ist es natürlich, dass unsere Bürgerinnen und Bürger bestmöglich mit leistungsfähigen Krankenhausstrukturen, mit leistungsfähigen medizinischen Versorgungsstrukturen im Falle der Erkrankung versorgt werden.

Deswegen ist es natürlich für das nächste Jahr wirklich eine Mammutaufgabe, den sogenannten Krankenhausrahmenplan für Nordrhein-Westfalen zu erstellen, vor allen Dingen, weil wir das Ziel haben, eine Krankenhausplanung weg vom Bett zu machen und mehr über Leistungsgruppen und Leistungsbereiche zu reden. Wir wollen vor allem dahin kommen, dass es nicht auf engstem Raum Doppel- und Dreifachstrukturen gibt, die wir zurzeit zuhauf in Nordrhein-Westfalen haben und für die wir vorne und hinten das Personal nicht mehr haben. Solche Doppel- und Dreifachstrukturen können wir künftig nicht mehr aufrechterhalten.

Der zweite Punkt ist, dass wir für die Krankenhausinvestitionen im nächsten Jahr 760 Millionen Euro zur Verfügung haben. Wir steigern das noch einmal um knapp 40 Millionen Euro. Ich möchte nur einmal sagen: Wir haben für Krankenhausinvestitionen heute rund ein Drittel mehr zur Verfügung, als es unter Zeiten von Rot-Grün der Fall war. Ich hätte auch gerne mehr, aber 760 Millionen Euro, die wir Jahr für Jahr jetzt für Krankenhausinvestitionen geplant haben, sind auch schon ein Wort.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich denke, man darf schon sagen, dass wir die ärztliche, vor allem die hausärztliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen zum Thema gemacht haben. Sie wissen alle, dass wir vor allem auf dem Land eine Altersstruktur bei den Hausärzten haben, die dazu führt, dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren in eine schwierige Situation kommen werden. Ich finde, dass diese Landesregierung als eine der wenigen Landesregierungen in Deutschland mit den Hausarztaktionsprogrammen, mit Quereinstieg, mit der Landarztquote, mit dem Ausbau von neuen medizinischen Ausbildungsplätzen in Witten/Herdecke und Bielefeld in dieser Frage nun wirklich kräftig versucht, diese Problematik beherrschbar zu machen und die Versorgungsfrage zu lösen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen freue ich mich auch darüber, dass die Bewerbungsquote für die Studienplätze, die wir im Rahmen der Landarztquote zur Verfügung stellen, heute höher ist als die für die regulären Studienplätze. Wir bekommen viele Bewerbungen von Menschen, die Landarzt werden wollen, vor allem aus den Dörfern aus den ländlichen Regionen. Das, finde ich, ist eine klasse Entwicklung. Wahrscheinlich haben wir mit der Landarztquote wirklich richtig gelegen, um die Menschen in ein Medizinstudium zu holen, die sich eben vorstellen können, in einer dörflichen Gemeinschaft hausärztliche Versorgung auch in Zukunft in Nordrhein-Westfalen sicherzustellen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden das virtuelle Krankenhaus umsetzen. Sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund sind viele Hunderte Millionen für Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen ausgegeben worden.

Das Problem ist immer nur: Wenn die Projektlaufzeit zu Ende war, war das Projekt tot, dann wurde es evaluiert, und dann fing die ganze Sache wieder von vorne an. Da Sie ja wissen, dass ich von Projekten nicht sehr viel halte, will ich jetzt einfach eine nachhaltige Finanzierung dieses Prozesses, bei dem die Krankenkassen dann die Leistungen eines virtuellen Krankenhauses, zum Beispiel die Beratung aus einer Schwerpunktklinik für Ärzte eines kleineren Krankenhauses, bezahlt.

Natürlich muss die Schwerpunktklinik diese Beratung so vergütet bekommen, als wenn sie in der Ambulanz stattgefunden hätte. Sonst ist es auf Dauer nicht zu leisten. Wir haben hier die Zusagen der Krankenkassen, dass sie das auch so machen werden.

Deswegen steht auch für das virtuelle Krankenhaus eine dauerhafte Förderung zur Verfügung. Wir werden das in den nächsten Monaten auch errichten.

Die Klinikstellen für den Krankenversicherungsschutz bleiben auch im nächsten Jahr mit 5,2 Millionen Euro finanziert.

Jetzt will ich etwas zum Kinderschutz anmerken. Es wurde angedeutet, wir würden beim Kinderschutz nichts tun. Ich will nur sagen: Wir haben jetzt eingeführt, dass alle Kinderschutzambulanzen in Nordrhein-Westfalen eine Förderung vom Land erhalten. Vorher haben die null bekommen! Wir haben es eingeführt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU: So ist das!)

Wir haben zusammen mit der Kinderklinik in Datteln und der Gerichtsmedizin in Köln jetzt ein vernünftiges Konzept entwickelt, dass Ärzte dann, wenn sie vermuten, dass eine Verletzung eines Kindes auch mit Gewalt zu tun haben könnte, einen vernünftigen rechtlichen wie medizinischen Beratungshintergrund haben, um hier besser zu agieren. Auch diese Förderung ist neu eingeführt worden und wird einem alten Wunsch vieler Haus- und Kinderärzte, in dieser Frage eine fachliche Unterstützung zu erhalten, gerecht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn ich auch das mal sagen darf: Wir stellen 15 Millionen Euro für die Berufsausbildung von Hebammen, für die Berufsausbildung von Physiotherapeuten und für die Berufsausbildung von Logopäden zur Verfügung. Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, dass es nicht mehr so ist wie zu Ihrer Regierungszeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bei Ihnen war es ja so, dass Sie die Studiengebühren abgeschafft haben, sodass alle die, die im Gesundheitswesen über 100.000 Euro verdient haben, in Nordrhein-Westfalen vom Staat ausgebildet wurden, und alle, die unter 30.000 Euro verdient haben, ihre Ausbildung selbst bezahlt haben. Das war Ihre Politik!

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Das war ein Skandal! – Weitere Zurufe)

Dann ist es doch auch so, dass wir jetzt erhebliche Mittel einsetzen, um Pflegeschulen auszubauen, nämlich 8 Millionen Euro, und 4 Millionen Euro mehr für die Schulen der Pflegeassistenz.

(Unruhe – Glocke)

Also: Ich setze nicht auf Quartier, aber ich setze auf Ausbildung in der Pflege. Da ist Nordrhein-Westfalen zurzeit das erfolgreichste Land der Bundesrepublik Deutschland.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Frank Müller [SPD] und Gordan Dudas [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister Laumann, es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage, der mittlerweile aber wieder zurückgezogen worden ist.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Auch gut! – Frank Müller [SPD]: Ganz vertraulich!)

Ich weise darauf hin, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 1:25 Minuten überschritten hat.

(Weitere Zurufe)

Ich weise ferner darauf hin, dass Fraktionen in Teilen noch Redezeiten haben. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat für Herrn Abgeordneten …

(Erhebliche Unruhe – Glocke)

So, Leute, bei aller Wertschätzung:

(Michael Hübner [SPD]: Leute, hört mal zu!)

Wir versuchen hier, eine ordentliche parlamentarische Haushaltsdebatte durchzuführen, und dazu gehört auch, dass Sie mir zuhören, damit ich den Kollegen der Fraktionen, die noch Redezeiten haben, dann auch das Wort geben kann. – Das hat jetzt Herr Abgeordneter Mostofizadeh für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, herzlichen Dank. Es war nicht nachzuvollziehen, warum so eine Stimmung aufkam.

(Prof. Dr. Rainer Bovermann [SPD]: Wir sind auf dem Schützenfest im Münsterland!)

Herr Minister, den Punkt kann ich Ihnen nicht ersparen: Wenn Sie schon über Studiengebühren reden und diese wieder einführen wollen, dann sagen Sie es den Menschen hier im Lande.

Aber mir ist ein anderer Punkt wichtig. Sie haben in der akademischen Altenpflegeausbildung sehr viele Versprechungen gemacht, unter anderem dass Sie zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung stellen, haben das auch mit verschiedenen Hochschulen, unter anderem mit Bochum, mit Münster, mit Bonn, besprochen. Jetzt sitzt mit der Frau Ministerin die richtige Person neben Ihnen.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Die ist ja da!)

Ohne dass Geld zur Verfügung gestellt wurde, wurden Master-Studienplätze von den Hochschulen abgefordert. Es sind viel zu wenige; das wissen wir. Aber ohne dass Sie Geld zur Verfügung stellen, haben Sie Versprechungen auf dem Rücken der Hochschulen gemacht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ist die Seriosität dieser Landesregierung. Das finden wir nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war Herr Abgeordneter Mostofizadeh für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich frage der guten Ordnung halber, ob es noch weitere Wortmeldungen gibt. – Das ist nicht der Fall und bleibt auch beim Blick in die Runde so, sodass wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun am Ende der Aussprache zum Teilbereich b) Gesundheit sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7985.

(Bodo Löttgen [CDU] hebt die Hand.)

Ich darf fragen, wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten …

(Heiterkeit von der CDU)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, es ist spät, und wir haben zwei anstrengende Parlamentstage hinter uns. Aber wir sind jetzt in der Abstimmung. Ich habe Zustimmung bei den Abgeordneten der Fraktion der AfD gesehen und herzliches Zuwinken und Begrüßungen bei anderen. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP sowie der Fraktion Bündnis 90/Di Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung beim fraktionslosen Abgeordneten Neppe. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der  Änderungsantrag Drucksache 17/7985 nicht angenommen, sondern abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse zweitens abstimmen über den Einzelplan 11. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8011, den Einzelplan 11 unverändert anzunehmen, sodass ich nun über diesen Einzelplan abstimmen lasse und frage, wer ihm zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Wie angekündigt die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Damit stelle ich fest, dass der Einzelplan 11 in zweiter Lesung angenommen wurde.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Frank Müller [SPD])

Aber wir haben noch eine weitere Abstimmung durchzuführen, und zwar über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/7903. Hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dann nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen. Ich darf fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zu:

     Einzelplan 06
Ministerium für Kultur und Wissenschaft

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts‑ und Finanzausschusses
Drucksache 17/8006

Wir sind beim ersten Teilbereich:

 

a) Kultur

Ich darf die Aussprache eröffnen. Das Wort hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Schultheis. Alle anderen bitte ich, etwas ruhiger zu sein.

Karl Schultheis (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich an die gestrige Debatte zum Kulturförderplan anschließen. Sie wissen, auch die Beratungen im Ausschuss für Kultur und Medien haben deutlich gemacht, dass die SPD-Fraktion die Stärkung der Haushaltsmittel für die Kulturförderung und auch die zugesagte verlässliche Weiterfinanzierung dieser Förderbereiche wirklich begrüßt und ausdrücklich würdigt. Der vorliegende Kulturhaushalt spiegelt dies auch wider.

Ich möchte an dieser Stelle allerdings einen Zusammenhang zum vorletzten Punkt, dem Einzelplan 08, herstellen. Als FDP und CDU regiert haben und der Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff hieß, hatten wir schon einmal die Situation hier im Landtag, dass der Kulturhaushalt erheblich gewachsen ist, aber gleichzeitig die Belastungen der Kommunen gestiegen sind.

(Michael Hübner [SPD]: So ist es!)

Es gab hier also wirklich ein Ungleichgewicht, sodass es auf der einen Seite zwar sehr gut aussah, einen ordentlichen Kulturhaushalt zu haben, auf der anderen Seite aber eine Belastung der Kommunen stand.

Dieser Zusammenhang ist deshalb wichtig, weil die Kultureinrichtungen natürlich im Wesentlichen von den Städten und Gemeinden in unserem Land getragen werden. Insofern ist die Diskussion über den Altschuldenfonds durchaus in dem Kontext zu sehen, ob unsere Städte und Gemeinden in der Lage sind, die Kultureinrichtungen zu tragen, auch wenn das Land gleichzeitig den Kulturhaushalt erhöht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Richtig!)

Nehmen Sie das bitte ernst. Das ist in der Tat ein Makel der Kulturpolitik von Schwarz-Gelb zwischen 2005 und 2010 gewesen. Wir wissen, dass die Konsolidierung der Kulturhaushalte der Kommunen hier ausschlaggebend ist.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Beratung des Kulturhaushalts im zuständigen Fachausschuss ist aufgefallen, dass die Kultur des Zusammenarbeitens ein Stück gestört ist. Die Anträge der SPD-Fraktion sind alle ohne große Debatte negativ abgestimmt worden, obwohl diese Anträge eine Vielzahl von Anregungen enthielten, die für die Weiterentwicklung der kulturpolitischen Position unseres Landes unbedingt erforderlich sind.

Wenn Sie sich die Äußerungen des Deutschen Kulturrates und des Landeskulturrates anschauen, dann ist es einfach wichtig, dass wir an den kulturpolitischen Positionen dieses Landes weiterarbeiten. Ob wir die Frage der interkulturellen Integration nehmen oder ob wir die Digitalisierung nehmen: Es sind übergeordnete Themen, die aus dem Kulturförderplan und auch aus dem Haushalt, dem dieser Plan unterliegt, nicht hervorgehen. Ich kann Sie nur für die SPD-Fraktion auffordern, dass wir in diese Diskussion einsteigen und hier auch konzeptionell an den kulturpolitischen Positionen unseres Landes weiterarbeiten.

Meine Damen und Herren, das können wir nur gemeinsam tun. Wir sind dennoch bereit, uns bei der Abstimmung über den Kulturhaushalt als Teilplan des Einzelplanes 06 zu enthalten. Bei der anschließenden Abstimmung über den gesamten Einzelplan 06 werden wir den Einzelplan natürlich ablehnen. Das ist ein Zeichen, dass wir sehr wohl würdigen, dass die Haushalte für die Kultur in den letzten Jahren erheblich angestiegen sind. Aber einen kulturpolitischen Diskurs erwarten wir in den nächsten Jahren. Wir werden dazu weiter Initiativen ergreifen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Kollege Petelkau das Wort.

Bernd Petelkau*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser fortgeschrittenen Stunde kann man schon sagen, dass die NRW-Koalition auch in diesem Jahr wieder mit Stolz feststellen kann, dass wir über den größten Kulturhaushalt in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen beraten. Das ist jetzt bereits das dritte Mal. Mit dem geplanten Zuwachs um 20 Millionen Euro in 2020 haben wir den Kulturhaushalt gegenüber dem Ansatz der Vorgängerregierung dann insgesamt bereits um 60 Millionen Euro gesteigert. Das ist ein wichtiger Baustein, um Kultur im Lande wieder sichtbar zu machen.

In den letzten beiden Jahren standen vor allem die Weiterentwicklung der Förderkonzepte für die kommunalen Theater und Orchester sowie die freie Szene und die Förderung von Kunst und Kultur im ländlichen Raum im Mittelpunkt der Stärkungsinitiativen. Diese wichtigen Bereiche werden auch im Haushalt 2020 fortgeschrieben. Weitere Bereiche werden zusätzlich einbezogen. Fortgeschrieben wird beispielsweise die Unterstützung der kommunalen Theater und Orchester, die in 2020 insgesamt 13 Millionen Euro von den 60 Millionen Euro Stärkungsmitteln bekommen werden. Ebenso werden die Mittel für die freie Szene um weitere 1,5 Millionen Euro ausgeweitet werden. Das Programm zur Entwicklung von „Dritten Orten“ war in 2019 so erfolgreich, dass es in 2020 um eine halbe Million Euro ausgeweitet wird.

Ich möchte jetzt an die Rede meines Vorredners anschließen. Wenn es um die Zukunft geht, ist es selbstverständlich, dass wir weitere Teile der Kultur diskutieren müssen und auch entsprechend weiterentwickeln. Uns unterscheidet von allen Vorgängerregierungen, dass wir Kultur eben nicht nur immer wieder von der politischen Seite diskutieren. Wir wollen auch vernünftige Förderkonzepte. Hier ist einer der Markenkerne der Landesregierung, dass wir das Ganze partizipativ gestalten. Das heißt, der Dialog zwischen den einzelnen Teilnehmern der Sparten ist genauso wichtig wie die politische Diskussion hier im Hohen Hause. Ich glaube, dass sich das auch sehen lassen kann.

In den letzten zwölf Monaten sind die Gespräche weiter vorangeschritten. Wir haben es im Kulturausschuss ja auch in vielen Fällen bereits diskutiert. Wenn ich mir anschaue, dass für das nächste Jahr mit dem Stärkungspaket „Kunst und Sammlungen“ insbesondere die Museen gestärkt werden, dann sind das wichtige weitere Bausteine, die notwendig sind.

Es geht nicht nur darum, Sammlungen neu zu präsentieren, neue Anschaffungen zu tätigen und den Museen damit die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln. Es betrifft auch das Thema „Forschung“. Es geht nicht nur um Provenienz-Forschung, sondern auch darum, dass man die teilweise in den Archivalien liegenden Sammlungen weitergehend untersucht und damit die Potenziale hebt. Das ist etwas, was sicherlich sehr wichtig ist. Hier gibt es weitere Ideen wie Forschungsvolontariate an Kunstmuseen in NRW. Das sind Programme, die bereits entwickelt sind. Ich glaube, dass das auch ein weiterer wichtiger Baustein ist.

Um die Kultur in NRW wieder richtig sichtbar zu machen, ist es vor allem das Thema „kulturelle Bildung“, das entsprechend weiter gefördert werden soll. Zu nennen sind hier insbesondere auch die Musikschulen. Hierfür stehen in 2020 anderthalb Millionen Euro zusätzlich bereit.

Hier geht es nicht nur um die Zahl der Festangestellten – das ist auch eine lang bestehende Forderung von ver.di, um die Kontinuität und damit auch die Qualität zu sichern –, sondern auch darum, weitere sinnvolle Weiterentwicklungen zu berücksichtigen und anzustoßen – egal ob es Themen wie Digitalisierung oder eine gezieltere Talentförderung sind.

Zum Abschluss noch der Hinweis auf einen weiteren wichtigen Glanzpunkt des Kulturjahres 2020: Das ist sicherlich das Beethoven-Jahr in Bonn, das mit 6 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt gefördert wird. Ich glaube, dass wir – nach dem glanzvollen Offenbach-Jahr, das sich jetzt dem Ende zuneigt – mit dem Beethoven-Jahr für die nationale und internationale Präsentation des Kulturstandorts Nordrhein-Westfalen einen ganz wichtigen Schritt nach vorne machen.

Wir haben – da möchte ich ebenfalls an der Rede des Vorredners anschließen – eine ganze Reihe von Themen, die noch abzuarbeiten sind, egal ob es um die Literatur, die noch besser als Sparte der Kunst herausgearbeitet werden kann, oder um Archive und Bibliotheken geht, wo wir regulatorisch bereits einige Verbesserungen beschlossen haben. Ich glaube, dass auch hier noch einiges zu tun ist.

Das gleiche gilt für die Themen „Digitalisierung“ oder „Musicboard NRW“, mit dem wir die zeitgenössische Musik weiter voranbringen müssen. Ebenso zu nennen wäre hier das Thema Entbürokratisierung.

Ich glaube, dass das Ministerium hier eine gute Vorlage geliefert hat. Für die Kulturpolitik in unserem Land ist das ein weiterer wichtiger Meilenstein. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung für diesen Haushaltsentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Petelkau. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Keymis das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können das relativ kurz machen, weil der Kulturetat der wirklich einzig erfreuliche Lichtblick im gesamten Haushalt ist – nein, um Gottes willen, was sagen dann die Kollegen?

(Heiterkeit)

Er ist auf jeden Fall ein erfreulicher Lichtblick im Haushalt, weil der Haushalt 2020 hier einen weiteren Aufwuchs – wie von Ihnen vorher geplant – ausweist. Darüber freut sich auch die grüne Fraktion. Deshalb haben wir im Kulturausschuss auch für diesen Einzelteil des Haushalts gestimmt. Das Gesamtpaket werden wir natürlich ablehnen, weil wir als Oppositionsfraktion dem 06er-Haushalt genauso wenig zustimmen können wie all den anderen Haushalten – aus den gesammelten Gründen.

Der Kulturetat ist deshalb erfreulich, weil er in der Kontinuität steht, aufzuwachsen. NRW ist damit noch lange nicht an der Spitze der Bundesländer. Ich nehme zum Vergleich das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg. Die sind bei ungefähr 450 Millionen Euro Landesetat. Daran müssen wir noch arbeiten. Die machen Kultur auch etwas anders als wir. – Nicht grimmig gucken, Frau Ministerin. Ich weiß ja, das Land ist da stärker engagiert, zum Beispiel beim Staatstheater und ähnlichem. So etwas haben wir hier nicht; insofern verändert sich das von der Perspektive her.

Gleichwohl, was Kollege Schultheis angesprochen hat, hängt damit zusammen: Ein Staatstheater, das vom Land bezahlt wird, muss dann eben nicht von der Kommune bezahlt werden. Insofern ist der Druck in Stuttgart ein anderer als hier – unabhängig davon, dass die jetzt Sanierungsfragen diskutieren.

Ich will nur sagen, dass es erfreulich ist, dass wir eine Steigerung haben. Wir sind in all den Baustellen weiter unterwegs, die Rot-Grün in einer langen Phase der Konzeptionierung von Kulturpolitik angelegt hat. Deswegen muss ich etwas Wasser in diesem Wein gießen, lieber Herr Petelkau. Es ist natürlich nicht so, dass die Partizipation, die Teilhabe, die Diskussion mit den Kulturschaffenden unter Ihrer Ägide gerade erst begonnen hätte. Dafür ist die Ägide viel zu kurz.

(Bernd Petelkau [CDU]: Habe ich nicht gesagt!)

Nach zweieinhalb Jahren zu behaupten „Wir machen das jetzt“ – ja, aber wir haben das natürlich vorher auch schon gemacht. Wir waren immer im Gespräch mit der Szene, und wir, Rot und Grün, haben mit der Szene zusammen unter anderem das Kulturfördergesetz entwickelt und all die Grundlagen gelegt, auf denen Sie, Gott sei Dank, jetzt kraftvoll aufbauen können. Das tut der Kultur im Lande auch gut.

Interessant ist, dass etwas entsteht, was immer entsteht, wenn man einen Garten gut pflegt. Dann wächst der auch besonders gut. Das ist etwas, was wir im Kulturbereich merken: Es gibt einen steigenden Bedarf; es gibt immer mehr Kreativität, es gibt neue Ideen, Szenen, die sich weiter entfalten wollen, womit auch der Bedarf an weiteren Mitteln wächst.

Es ist interessant, dass es in einem Land, in dem wir uns – auch hier im Parlament – über alles Mögliche den ganzen Tag streiten, immer noch einen Bedarf von vielen Menschen gibt, sich mit kulturellen Angeboten auseinanderzusetzen. Die Museen sind gut besucht; unsere Theater und Konzerthäuser sind durchweg sehr gut besucht. Wir haben eine enorm aktive freie Szene, die sehr viel Zuspruch erhält – natürlich in unterschiedlichen Varianten, aber immer so, dass man sagen kann: Es findet im Land ein enormes Angebot an kulturellen Veranstaltungen statt, von Ausstellungen über Museumsangebote bis hin zu freien Galerieangeboten usw.

All das wird von Menschen in unserem Land besucht. Die Leute interessieren sich für diese Kunst und Kulturdinge. Das ist ein Punkt, den man sich politisch merken muss, damit man auch künftig weiterhin kraftvoll in diese Etats hinein investiert. Denn natürlich hat die Investition in die Kultur immer auch einen gesellschaftspolitischen Aspekt. Ich muss jetzt nicht alles aufzählen, was hier auch schon genannt wurde, von der Integration über die Inklusion bis hin zu den Fragen, wie offen wir für andere Kulturen sind, und umgekehrt, wie wir unsere eigene Kultur gut kennenlernen.

Auch da gibt es immer mehr Nachholbedarf, denn bei aller Digitalisierung gehen offensichtlich die Inhalte etwas verloren. Viele Leute wissen gar nicht mehr, ob man Goethe noch mit „ö“ schreibt oder schon mit „oe“. – Da stutzt unsere Protokollation. Aber das ist nicht schlimm, Sie wissen wie ich es gemeint habe; ich sehe es Ihnen an.

Da muss man klar sagen, dass man hier gar nicht genug investieren kann, weil Investition in die Kultur letztlich auch Investition in Bildung ist. Wenn wir es in dem Zusammenhang sehen und dann gemeinsam auf dem Weg – so wie wir das in unserem Ausschuss über weite Strecken auch tun – diese Dinge sehr konsensual miteinander diskutieren und weiterentwickeln, dann, glaube ich, ist Nordrhein-Westfalen kulturpolitisch auf einem nach wie vor interessanten Weg.

Ich freue mich, dass wir das hier in dieser Debatte noch einmal so gemeinsam zum Ausdruck bringen konnten. Danke schön.

Wir werden also den Etat ablehnen, so wie wir das angekündigt haben,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein!)

aber wir wissen natürlich, dass der Kulturetat eine wohlige Ausnahme ist.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Keine Widerrede, Herr Hovenjürgen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Allgemeine Heiterkeit)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Keymis, vielen Dank. – Herr Abgeordneter Deutsch, Sie haben das Wort für die Fraktion der FDP. Bitte sehr, lieber Kollege.

Lorenz Deutsch (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sofort mit einem Widerspruch anfangen, lieber Herr Keymis: Das ist bei Weitem nicht der einzige Lichtblick in diesem Haushaltsberatungen, aber ich würde doch sagen: zumindest ein besonders strahlender.

Ich möchte aber auch ein bisschen ernsthafter widersprechen. Sie haben so eine schöne Formulierung zur Beschreibung der sieben rot-grünen Jahre gewählt, das sei eine – wie hieß es – lange Phase der Konzeption gewesen. Das ist ein schöner Ausdruck dafür, dass in Sachen Steigerung von Kulturförderung leider nichts möglich war.

Das ist nur eine pekuniäre Betrachtung, können Sie jetzt einwenden. Aber wenn das eine lange Phase der Konzeption gewesen wäre, müssten eigentlich mehr Konzepte sozusagen umsetzungsbereit vorgelegen haben. So war das nicht, und ich möchte mal auf die Dinge eingehen, die Ihnen so wichtig sind.

In Sachen Diskurs und Konzept wird gesagt: Integration, Diversität. Wo ist das gewesen? – In Diversität haben wir die „zakk“ gehabt, getragen von einer Stiftung und einem städtischen Theater mit einem Zuschuss von Landesebene. Mit besonderem landespolitischem Konzept ist das nicht gesegnet gewesen. Wir müssen das jetzt neu aufstellen, nachdem die Stiftung weggeht.

Wir können das diskutieren: Entwicklung neuer Publikumsschichten, Ansprachen. Wo sind die Konzepte in den Museen? – Wir fangen das jetzt an, wir haben entsprechende Anträge auf den Weg gebracht. Aber dass wir da auf lang erarbeitete Konzepte zurückgreifen könnten, so ist das nicht. Die werden jetzt Stück für Stück erarbeitet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das macht gerade die Qualität dieser neu aufgebrochenen Kulturpolitik aus; das ist eine Seite. Wir machen eine Ermöglichung über Geld – 20 Millionen Euro jedes Jahr –, aber dann muss eben auch Stück für Stück darüber nachgedacht werden, was wir damit eigentlich Sinnvolles machen. Da muss man eben mit den Museen sprechen, da muss man mit den Theatern sprechen.

Zum Stichwort „Kommunen“, Herr Schultheis, das Sie angesprochen haben.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

– Da werden wir uns einig sein.

Wir werden dieses Problem nicht über den Kulturhaushalt lösen. Da können wir kleine Entlastungen organisieren angesichts der Probleme, die die Kommunen haben. Das tun wir.

Die Förderung von Theatern und Orchestern ist eine elementare Hilfe für diese kommunalen Einrichtungen. Das ist im Rahmen dessen, was in einem Kulturhaushalt möglich ist, ganz klare Hilfe für kommunale Einrichtungen.

(Karl Schultheis [SPD]: Deshalb gibt es den Zusammenhang mit 08! In 06 finden Sie das nicht geregelt!)

– Klar. Ja, sicher, das muss man schon woanders machen. Wenn wir über Altschulden von Kommunen reden, sind andere Kollegen gefragt, aber nicht der Einzelplan 06.

(Karl Schultheis [SPD]: Das habe ich auch nicht behauptet!)

Dann noch ein letzter Hinweis. Wir haben eine Reihe von Änderungsanträgen der SPD; die haben Sie auch angesprochen, Herr Schultheis. Herr Bialas hat gestern, als wir den Kulturförderplan besprochen haben, über den Begriff „Haltung“ gesprochen.

An der Art und Weise, wie wir mit den angewachsenen Mitteln umgehen, kann man eben auch eine Haltungsdifferenz erkennen. Die SPD sieht, dass jetzt mehr Geld da ist, und dann gibt es einen politischen Plan, der sozusagen diese Mittel vollständig ausschöpft.

Man kann das nachrechnen: Das ist genau die Menge, die in der Stärkungsinitiative ist, die jetzt auf Fraktionsüberlegungen basierend ausgegeben werden soll.

Genauso machen wir das nicht; das ist der Haltungsunterschied. Wir setzen finanziell diesen Rahmen, und wir möchten dann im geordneten Verfahren – organisiert vom Ministerium, in den Fachabteilungen und Referaten – mit den Akteuren in den jeweiligen Szenen Schritt für Schritt sinnvoll vorgehen. Das ist genau das umgekehrte Verfahren. Da wird dann tatsächlich ein Haltungsunterschied deutlich.

Ich glaube, die Kultur ist im Moment in guten Händen. Sie macht einen Aufbruch, sie hat einen Aufwuchs. Beides gehört zusammen. Dann werden wir am Ende der Legislatur sehen, wo wir damit hingekommen sind. Das ist dann sicherlich auch ein guter Weg, genauso weitermachen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Deutsch. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der AfD Frau Abgeordnete Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dank des kürzlich verabschiedeten Bibliothekenstärkungsgesetzes dürfen Bibliotheken nun auch sonntags öffnen.

Dieses Angebot steigert nicht nur die Attraktivität der öffentlichen Bibliotheken, es schafft auch neue Herausforderungen, die bewältigt werden müssen: zusätzliche Öffnungszeiten, die Ausstattung für automatische Ausleihen und auch zusätzlicher Personalbedarf müssen geschafft werden.

In den ersten Städten mussten die Stadträte ihren Büchereien den Wunsch, möglichst bald die neuen Öffnungsmöglichkeiten auch zu nutzen, schon negativ bescheiden, denn das Geld für den zusätzlichen Personalbedarf kann nicht aufgebracht werden.

Der Verband der Bibliotheken und der Berufsverband Information Bibliothek haben Ihnen die Notwendigkeiten dargelegt. Ich kann das auch noch drastischer: Manche Bibliotheken pfeifen längst aus dem sprichwörtlich letzten Loch.

Der Bücherbestand ist veraltet, die Gebäude, teils aus den 70er-Jahren, sind innen und außen stark sanierungsbedürftig. Die Einrichtungen laden in den seltensten Fällen zu längerem Verweilen ein. Von den Beständen der digitalen Medien will ich gar nicht reden.

Und die Musikbibliotheken? – Für diese Abteilung fehlt offensichtlich eine Lobby, sie scheinen überhaupt aus jedem Fokus rausgefallen zu sein, denn die finanziellen Rahmenbedingungen der öffentlichen Musikbibliotheken sind vielerorts so desaströs, dass Bestände massiv reduziert oder sogar ganz aufgelöst werden.

Tatsächlich sind das eigentlich alles Aufgaben der Kommunen selbst. Dass das Land hier helfen muss, ist traurig.

Dass das Land nicht ausreichend hilft, ist für mich aber auch eindeutig. Daher gab es sowohl von der SPD als auch von der AfD einen Antrag, den kommunalen Bibliotheken 3 Millionen Euro mehr zur Verfügung zu stellen, als Sie geplant haben.

Wir haben ganz pragmatisch natürlich dem Änderungsantrag der SPD zugestimmt, die SPD, sehr geehrte Damen und Herren, hat das nicht so mit dem Pragmatismus, wenn es um sinnvolle Anträge der AfD geht.

Einen weiteren Bedarf sehen wir bei den Museen. Für Nordrhein-Westfalen ist es von besonderer Bedeutung, die vorhandenen Museen zu Kulturorten mit niedrigschwelligem Zugang zu machen. Investitionen in Museen insbesondere im Bereich des Investitionsprogramms dürfen nicht gekürzt werden.

Im Haushaltsjahr 2019 waren bis zu 3 Millionen Euro für dieses Programm vorgesehen. Gemäß Haushaltsplan 2020 soll diese Finanzierung trotz anhaltender struktureller Erfordernisse gestrichen werden.

Viele Museen müssen nicht nur die Gebäude, sondern auch die Ausstellungs‑ und Lagerbereiche dringend sanieren und modernisieren. Wir haben auch daher für diesen Bereich 3 Millionen Euro mehr in den Haushalt einzustellen gefordert.

Dieses zusätzliche Geld stärkt die Museenlandschaft in Nordrhein-Westfalen bei der Wahrnehmung ihrer Kernaufgaben. Das sind zusammen also 6 Millionen Euro mehr, als von Ihnen geplant.

Aber wer ausgeben will, muss entweder auch sagen, woher das Geld kommen, soll oder an anderer Stelle sparen. Genau dazu haben wir ebenfalls Vorschläge gemacht.

Den Aufwuchs in der Finanzierung der freien Szene halten wir für absolut überdimensioniert. Es sollte nicht Aufgabe des Landeshaushaltes sein, einen Wildwuchs vieler kleiner Projekte zu fördern.

Ebenso muss es nicht Aufgabe des Landeshaushaltes sein, Sonderprojekte für Migranten zu finanzieren. Die Teilhabe an Kultur, ob mitwirkend oder als Konsument, steht jedem offen. Daher ist es nicht erforderlich, für einzelne Gruppen ganz besondere Programme aufzulegen. Integration in Kultur heißt aus unserer Sicht Teilhabe am Angebot für alle und nicht besondere Angebote für wenige.

(Beifall von der AfD)

In diesen Bereichen schlagen wir daher Einsparungen in Höhe von 7,6 Millionen Euro vor. Somit könnten 1,5 Millionen Euro in die Rückzahlung der Schulden unseres Landes fließen – ein Beitrag für unsere Kinder und Enkelkinder.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Walger-Demolsky. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Etat des Einzelplans 06 konnte weiter gestärkt werden. Insgesamt belaufen sich die vorgesehenen Gesamtausgaben des Einzelplans 06 für das Jahr 2020 auf rund 9,5 Milliarden Euro.

Während der gesamte Landeshaushalt einen Zuwachs von 2,5 % verzeichnet, steigt der Etat des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft in diesem Entwurf überproportional um 3,2 % und ist, wie schon in den Vorjahren, der zweitgrößte aller Ressorts der Landesregierung.

Gegenüber dem Vorjahr erhöht sich das Volumen um 292 Millionen Euro. Im Vergleich zum Haushaltsjahr 2017, dem letzten der vorherigen Landesregierung, haben sich die originären Landesmittel damit um fast 1 Milliarde Euro erhöht.

Für die Kultur sind für das kommende Jahr im Einzelplan rund 273 Millionen Euro vorgesehen. Der Kulturhaushalt ist damit der größte in der Geschichte des Landes. Die Kultur in Nordrhein-Westfalen erhält so eine echte und konsequent fortgesetzte Stärkung.

Konzeptionell getragen wird sie insbesondere von der Stärkungsinitiative Kultur, die wie zugesagt einen weiteren Aufwuchs um 20 Millionen Euro erfährt.

Die Stärkungsinitiative Kultur umfasst aufwachsend etwa die Förderung der kommunalen Theater und Orchester, wie wir gehört haben, aber auch die Stärkung der freien darstellenden Künste und der freien Musikszene sowie die Förderung von Kunst und Kultur im ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen.

Jeder Bereich wird zielgerichtet mit verschiedenen Programmen gestärkt, die sich an den Bedarfen der Kulturschaffenden und der Kulturinstitutionen ausrichten. Neben den programmatischen Förderungen umfasst die Stärkungsinitiative Kultur verschiedene Einzelmaßnahmen für Institutionen und Projekte des Landes.

In den Jahren 2018 und 2019 wurden so insbesondere die kommunalen Theater und Orchester auf der Basis gemeinsamer Fördervereinbarungen dauerhaft und verlässlich mit zusätzlichen Mitteln unterstützt.

Die für die Unterstützung bei den Betriebskosten dieser Einrichtung, also der Theater und Orchester, im Jahr 2020 aus der Stärkungsinitiative zusätzlich vorgesehenen Mittel wurden gegenüber 2019 wie angekündigt erneut erheblich gesteigert und betragen nun insgesamt 13 Millionen Euro.

Eine hohe Bedeutung für die Kultur in Nordrhein-Westfalen kommt auch der riesigen freien Szene zu. Die zusätzlichen Mittel für diesen Bereich mit ihren international profilierten Theater‑ und Tanzensembles werden um weitere 1,5 Millionen auf knapp 4,3 Millionen Euro angehoben.

Für die Entwicklung von Dritten Orten – ein weiteres, wirklich wesentliches Projekt – ist gemeinsam mit den bisherigen regionalen Fördermitteln rund eine halbe Million Euro eingeplant.

Auch in den folgenden Haushaltsjahren soll die Verlagerung der Mittel der Stärkungsinitiative in die Fachtitelgruppen fortgesetzt werden. Dafür ist es aber notwendig – auch das wurde hier schon mehrfach angesprochen –, im Dialog mit den beteiligten Akteuren gute und tragfähige Konzepte zu entwickeln. Erst wenn diese stehen, kann die Verwendung der Mittel konkret für einzelne Bereiche nachvollziehbar im Haushalt dargestellt werden. Wie das funktioniert, kann man auch jetzt schon im Entwurf ablesen.

An dieser Stelle möchte ich noch sagen, dass wir von Anfang an angekündigt haben, hier Schritt für Schritt vorzugehen. Ehrlich gesagt gab es strukturell einen ziemlichen Nachholbedarf. Ich danke den regierungstragenden Fraktionen sehr dafür, dass mir diese fachlich begründete Möglichkeit eingeräumt worden ist.

Entsprechend werden wir mit dem Haushaltsplan 2020 alle Förderprogramme und Einzelprojekte, die sowohl kulturfachlich als auch finanziell für die kommenden Jahre konzipiert sind, spartenbezogen veranschlagen.

In diesem Kontext ist vielleicht auch noch erwähnenswert: All diese Programme sind nachhaltig und dauerhaft angelegt. Es handelt sich somit nicht um wilde Projektitis, sondern um auf Dauer angelegte Förderungen.

In der Stärkungsinitiative für 2020 ist so unter anderem auch die schon angesprochene Stärkung der Museen vorgesehen. Die Kunstmuseen in Nordrhein-Westfalen – und das war eine Initiative, die ganz stark aus der Runde der über 40 Museen für bildende Kunst kam – werden mit dem Programm Forschungsvolontariat Kunstmuseen NRW gefördert. Im Mittelpunkt steht dabei die verstärkte Zusammenarbeit mit den kunsthistorischen Lehrstühlen des Landes.

Insgesamt werden wir mit rund 500.000 Euro 25 Volontariate jeweils für die Dauer von zwei Jahren fördern und damit ganz konkret die Sammlungen in den städtischen Museen nicht nur wieder auf Vordermann bringen, sondern sie auch nach modernen Gesichtspunkten auf der Grundlage dieser Forschung ausstellbar machen.

Weiterhin beinhaltet die Stärkungsinitiative Kultur eine Offensive zur Förderung der öffentlichen Musikschulen – ein ewig altes Thema, das jetzt unbedingt vorangebracht werden muss.

Im Jahr 2020 sind 1,5 Millionen Euro unter anderem zur Steigerung des Anteils der Festangestellten in den Musikschulen vorgesehen. Sie alle wissen sicher aus Ihren Kommunen, dass es Kommunen gibt, die keinen einzigen festangestellten Musiklehrer in ihren Reihen haben oder hauptsächlich mit Honorarkräften arbeiten. Das müssen wir schrittweise ändern.

Wir wollen damit die dauerhafte Sicherung der Qualität in den Musikschulen, die eine außerordentlich wichtige Aufgabe in den Kommunen erfüllen, unterstützen. Auch sollen damit den Musikschulen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung etwa in den Bereichen Talentförderung, Interkultur und Digitalisierung eröffnet werden.

Besonders hervorheben möchte ich zudem ein Projekt, dessen Förderung wir außerhalb der Stärkungsinitiative erfolgreich in der Ergänzungsvorlage absichern konnten: Für den Projektvorschlag „Entwicklung der neuen Künste Ruhr“ aus der Ruhr-Konferenz konnten dank eines ziemlich guten Konzeptes 1,5 Millionen Euro eingestellt werden. Auch das ist eine echte Stärkung der Kultur.

In der Künstler-Metropole Ruhr soll, angestoßen von dieser gezielten Förderung, ein Ökosystem der neuen Künste im Ruhrgebiet entstehen, das internationale Sichtbarkeit und Anziehungskraft für ganz Nordrhein-Westfalen schafft.

Neben all diesen einzelnen Projekten, größeren Programmen und Mittelaufwüchsen ist – das wird uns das nächste Jahr beschäftigen – das Thema der Entbürokratisierung und Vereinfachung des Zuwendungsrechts in der Vorbereitung. Künstler und Kulturschaffende sollen neben der Förderung auch den nötigen Freiraum für ihre künstlerische Tätigkeit erhalten.

Es gilt, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern – das verstehe ich auch unter Kulturpolitik –, indem wir notwendige Investitionen vorantreiben und konzeptionell überzeugende Projekte fördern.

Weitere Themen stehen an. Was Bibliotheken, Literatur, Archive angeht, so sind wir mitten in der Planung; das werden wir Stück für Stück in den nächsten Sitzungen des Kulturausschusses vorstellen.

Ich bitte um die Unterstützung dieses Parlaments für diese Vorhaben und die Vollendung dieser Arbeit, damit wir voranschreiten können. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Der guten Ordnung halber weise ich darauf hin, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 2 Minuten 46 Sekunden überzogen hat. Besteht seitens der Fraktionen noch der Wunsch nach Aussprache zum Kulturteil des Einzelplans 06? – Das ist nicht der Fall.

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss der Aussprache zum Teil „a) Kultur“ und kommen zum Teil

 

b) Wissenschaft, Weiterbildung

Ich darf auch hier die Aussprache eröffnen und dem Abgeordneten Dietmar Bell für die Fraktion der SPD das Wort erteilen. Bitte sehr, Herr Kollege.

Dietmar Bell*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wissenschaftspolitik ist aus meiner Sicht die Königsdisziplin in diesem Haus.

Warum? – Hier reden wir über die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Spitzenforschung in Grundlagen‑ und angewandter Wissenschaft ist der Eckpfeiler zukünftiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen in diesem Land.

Deshalb sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Debatte über diesen Haushalt mit Leidenschaft, Ambition und Sachkompetenz geführt werden. – Nichts davon ist zu spüren.

Die Haushaltssteigerungen setzen den Hochschulvertrag der rot-grünen Landesregierung um, mit dem im Herbst 2016 die Grundfinanzierung der Hochschulen gestärkt und Preis‑ und Lohnsteigerungen ausgeglichen wurden und der eine Laufzeit bis 2021 hat. Das sind die von Ihnen, Frau Ministerin, avisierten Steigerungen für den Bereich der Hochschulen. Wo sind im Bereich der Wissenschaftspolitik Ihre eigenständigen Initiativen?

Wie das geht, zeigt aktuell der bayerische Ministerpräsident. In der „Süddeutschen Zeitung“ konnte man am 19.09. Folgendes lesen: Eine Milliarde für die Forschung. Ministerpräsident Markus Söder kündigt eine große Innovationsoffensive für Hochschulen an. – Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

„Söders Konzept, das er mit Wissenschaftsminister Bernd Sibler ausgearbeitet hat, basiert auf vier Säulen: der Förderung von Spitzentechnologie wie Künstliche Intelligenz (KI), Robotik und Quantenforschung, mehr Tempo bei Bau und Sanierung von Hochschulen, einer Hochschulreform zur Anwerbung neuer Spitzenkräfte sowie einer Mittelstandsoffensive. (…) Insgesamt sollen im Freistaat in den kommenden fünf Jahren 1.000 neue Professuren (…) entstehen.“

Das, sehr geehrte Frau Ministerin, werte Kolleginnen und Kollegen, ist der föderale Benchmark, den wir betrachten müssen: ein Ministerpräsident, der erkannt hat, dass Zukunft nur durch mutige Investitionen im Bereich Wissenschaft und Forschung gewonnen werden kann.

(Lorenz Deutsch [FDP]: SPD-Beispiele haben Sie dabei vergessen?)

In Nordrhein-Westfalen setzen wir uns dagegen mit spannenden Fragen wie der Abschaffung von Rahmenvorgaben oder Studiengebühren für ausländische Studierende auseinander.

Zweieinhalb Jahres hat diese Landesregierung benötigt, um den Irrweg des Koalitionsvertrags zu verlassen, der ja zu einer Verbesserung der Betreuungsrelation an den Hochschulen führen sollte. Gut Ding will eben auch im Bereich der Wissenschaftspolitik Weile haben.

Das Kernversprechen des Koalitionsvertrages an die Hochschulen und Studierenden, die Betreuungsrelation zu verbessern, wird aber nicht eingelöst. Wollen Sie die Studierenden und die Hochschulen mit dem Vorschlag aus dem neuen Pakt, für Studien und Lehre 50 Millionen Euro zusätzlich als Qualitätsverbesserungsmittel auszuweisen, veralbern und das als wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Betreuungsrelation bezeichnen?

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Sie bleiben aus unserer Sicht weiterhin den Nachweis schuldig, dass Ihnen das Thema „Wissenschaftspolitik“ wirklich am Herzen liegt und Priorität hat.

Ich hatte von Ihnen bereits vor einiger Zeit mehr Leidenschaft für dieses Thema gefordert. Sie haben mir damals geantwortet, dass ich das vielleicht gar nicht erleben möchte, wenn Sie Leidenschaft entwickeln.

Ich überwinde einfach meine Angst ob der Ankündigung und würde mich aufrichtig freuen, wenn ich mich nächstes Jahr in der Einschätzung korrigieren müsste.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich noch kurz einige Stichworte zum Thema „Weiterbildung und Landeszentrale für politische Bildung“ verlieren. Wir haben als Anträge unter dem Strich ein Demokratiepaket mit einem Volumen von fast 8 Millionen Euro geschnürt.

Wir haben diverse Änderungsanträge zum Haushalt eingereicht, unter anderem mit mehr Maßnahmen zur Demokratieförderung und zur politischen Bildung, zur Begründung eines gemeinsamen Aktionsbündnisses und um die Arbeit gegen Rechtsextremismus zu stärken, konkret das kommunale Förderprogramm NRWeltoffen auszuweiten.

Lediglich bei der Stärkung der Arbeit der Antisemitismusbeauftragten scheinen Sie aktuell gesprächsbereit. Wir hoffen, da gemeinsam etwas voranbringen zu können.

Wir würden uns aber sehr freuen, wenn Sie bis zur dritten Lesung des Haushalts Ihre Meinung zu diesen Fragen noch einmal überdenken und unsere Anträge in diesen Fragen unterstützen würden, weil sie aus unserer Sicht eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz haben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Bell. – Jetzt spricht für die CDU Herr Kollege Dr. Nacke.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der zweiten Lesung des Haushaltes ist es wie im richtigen Leben: Das Beste kommt zum Schluss, also last but not least und zur vorgerückten Stunde: der Einzelplan 06 unter den Gesichtspunkten Wissenschaft und Weiterbildung.

Grundsätzlich können wir festhalten, dass sich das Volumen unseres Einzelplans wieder einmal überproportional gesteigert hat. Die NRW-Koalition zeigt den Stellenwert, den sie der Wissenschaft, der Weiterbildung, der politischen Bildung, der Kultur zumisst, indem sie unser Budget um fast 1 % mehr steigert als den Gesamthaushalt der Landesregierung. So verzeichnen wir ein neues Rekordniveau von 9,5 Milliarden Euro und reden weiterhin vom zweitgrößten Einzelplan aller Ressorts.

Die Hochschulen erhalten im Vergleich zum Vorjahr rund 161 Millionen Euro mehr, womit im Besonderen die Besoldungs- und Tarifsteigerungen abgedeckt werden können.

Das Land gibt weitreichende Zusagen für die Kofinanzierung der neuen Bund-Länder-Vereinbarung „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ und den Pakt für Forschung und Innovation. Damit erreichen wir ein neues Niveau der Planungssicherheit für unsere Hochschulen.

Der Aufbau der Hochschulmedizin Ostwestfalen-Lippe in Bielefeld wird mit einer weiteren Erhöhung um 17,5 Millionen Euro unterstützt. Die Förderung der außeruniversitären Forschung erfährt einen Aufwuchs um rund 28 Millionen Euro.

Besonders freut mich, dass der Aufwuchs für die gemeinwohlorientierte Weiterbildung um weitere 2 Millionen Euro auf nunmehr 4 Millionen Euro jährlich verdoppelt und damit die Dynamisierung dieser Mittel fortgeschrieben wird.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren der Opposition, Sie reden in letzter Zeit häufig von zu erkennenden Handschriften. Während ich mich, wenn ich an die Zeit Ihrer Regierungsverantwortung zurückdenke, nur an krakeliges Sütterlin erinnere, sehen unsere Buchstaben wie gedruckt aus.

Wenn Sie wissen wollen, wie wir Wissenschafts- und Weiterbildungspolitik betreiben, blicken Sie nur ins Gesetzblatt. Mit unserem Hochschulgesetz haben wir die Autonomie der Hochschulen wiederhergestellt. Wir reden wieder auf Augenhöhe miteinander.

Ein schönes Beispiel für unseren partnerschaftlichen Ansatz ist die Offensive für mehr Lehrkräfte, mit der es gemeinsam mit den Hochschulen gelungen ist, weitere 1.000 neue Studienplätze für so wichtige Bereiche des Grundschullehramts sowie der Sonder-, Pflege- und Sozialpädagogik zu schaffen.

In enger Zusammenarbeit mit den Landesrektorenkonferenzen der Universitäten und der Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben wir in kurzer Zeit beträchtliche Steigerungen der Studienplatzkapazitäten organisieren können.

Dass dies so rasch und umfassend geschehen sei, so die Vorsitzenden dieser Konferenzen in einer Pressemitteilung, resultiere nicht zuletzt aus der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Ministerium sowie der klaren Unterstützungszusage des Landes.

Als weiteres Beispiel für unseren kooperativen Ansatz nenne ich den breit angelegten Dialogprozess in Sachen Novellierung des Weiterbildungsgesetzes, bei dem in partnerschaftlicher Weise gleichermaßen das Ministerium kommuniziert wie auch im Landtag in guter Zusammenarbeit der Fraktionen unsere vielfältige und plurale Weiterbildungslandschaft zu Wort kommt und ernst genommen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zuhören, entscheiden, handeln – das ist unsere Handschrift, partnerschaftlich und auf Augenhöhe, ganz leicht zu erkennen.

Deswegen sind wir auch nach sorgfältiger Abwägung der zu erwartenden Einnahmen einerseits und der entstehenden Kosten andererseits zu dem Entschluss gekommen, dass wir keine Studiengebühren für Drittstaatenstudierende einführen werden.

Ich freue mich sehr über dieses Signal der Weltoffenheit für unsere Hochschulen. Ich freue mich auch, dass wir gleichzeitig zur Kompensation zusagen können, die sogenannten Qualitätsverbesserungsmittel ab 2021 um 51 Millionen Euro zu erhöhen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich kurz auf die gestrigen medialen Reaktionen unserer politischen Mitbewerber auf diese sorgsam abgewogene Entscheidung eingehen.

Zum einen hieß es zum Beispiel vom Kollegen Bolte-Richter, wir würden keine eigenen Mittel investieren, es handele sich um eine Mogelpackung und Haushaltstricks.

Das ist falsch. Die Kofinanzierung des ZSL sorgt dafür, dass zur Hälfte Landesgeld in diese geförderten Maßnahmen und Projekte einfließt.

Gleichzeitig wird im Verweis auf die von uns erstmals seit ihrer Einführung 2011 erhöhten Qualitätsverbesserungsmittel gesagt, sie müssten noch deutlicher gesteigert werden. Das ist allerdings eine wohlfeile Forderung, da Sie sich in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung stets aus einer Erhöhung der QVM herausgeredet haben.

So sieht das auch die Hochschullandschaft. Professor Baumann von den Hochschulen für angewandte Wissenschaften erklärt in der Pressemitteilung vom gestrigen Tage, dass er sich freue, dass das Land die Qualitätsverbesserungsmittel für die Hochschulen um mehr als 50 Millionen Euro erhöhe.

Dieses Geld komme durch die Verbesserung der Lehre und Studienbedingungen unmittelbar den Studierenden an unseren Hochschulen zugute. Das war eine sehr gute Nachricht für die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, so Baumann.

Während also die Opposition damit beschäftigt ist, von Luftschlössern, Schnapsideen und Mogelpackungen zu schwadronieren, machen wir ganz sachlich unsere Arbeit,

(Beifall von der CDU)

nämlich Politik mit den Menschen und für die Menschen in der Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Nacke. – Jetzt spricht Herr Bolte-Richter für Bündnis 90/Die Grünen.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Gestern früh um 7 Uhr ging ein unrühmliches Kapitel der nordrhein-westfälischen Wissenschaftspolitik zu Ende.

Der Protest von Studierenden, Hochschulleitungen und Studierendenwerke hat gewirkt: Die Landesregierung beerdigt endlich ihre bürokratische Schnapsidee der Campusausländermaut.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie war von Anfang an ein fauler Formelkompromiss, wo sich erst die FDP, jetzt die CDU durchgesetzt hat. Es ist insgesamt gut, und wir begrüßen es sehr, dass die Landesregierung jetzt endlich einen Rückzieher bei den Ausländerstudiengebühren macht.

Aber auf Schnapsidee folgt Mogelpackung. Die Ministerin sagt den Hochschulen 51 Millionen Euro aus dem Zukunftsvertrag Studium und Lehre zu, also aus dem Nachfolgevertrag des Hochschulpakts.

Und was haben Sie versprochen? Jetzt muss man sich festhalten: 100 Millionen Euro. Was steht im Koalitionsvertrag? – 100 Millionen Euro. Was kommt jetzt? – 51 Millionen Euro. Da kann man ganz klar sagen: versprochen – gebrochen.

Und es kommt ja noch schlimmer; denn das Geld kommt nicht sofort, wie Sie es versprochen haben, sondern es kommt erst 2021, also auch noch weit später. Es ist also weniger, und es kommt später. Zu mehr ist schwarz-gelbe Wissenschaftspolitik offensichtlich nicht in der Lage.

Dann nehmen Sie noch nicht einmal eigene Mittel, sondern Sie nehmen sie aus dem Zukunftsvertrag. Und da sind, das haben wir im Ausschuss schon gesehen, die nächsten Haushaltstricks zu erwarten. Bei Ihrer Pressekonferenz zum Semesterauftakt gingen Sie davon aus, dass die Mittel aus dem ZSL genauso hoch sind wie im Hochschulpakt. In der Haushaltsberatung ging es um Mittel in ähnlicher Höhe. Jetzt sind es noch einmal 50 Millionen Euro, die anders verteilt werden. Wir sind gespannt, wie Sie das alles in allem noch verkaufen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Nacke, es ist doch einfach so – das muss man ganz eindeutig sehen –: Ihre Fraktion, die CDU, hat in der Opposition immer gefordert, die Qualitätsverbesserungsmittel zu dynamisieren. Was tun Sie? – Sie machen das nicht. Sie machen genau das nicht, und jetzt werfen Sie uns vor, dass Sie nicht umsetzen, was Sie selber gefordert haben. Es stimmt doch hinten und vorne nicht, was Sie da tun.

(Lorenz Deutsch [FDP]: Nein, das stimmt nicht!)

Wir brauchen diese Dynamisierung, damit wir die Mittel der gestiegenen Studierendenzahl anpassen können.

(Lorenz Deutsch [FDP]: Das haben Sie sieben Jahre lang nicht gemacht!)

Wenn Sie 2009 als Berechnungsgrundlage heranziehen, dann sehen Sie, dass die Anzahl der Studierenden um über 270.000 gestiegen ist. Das sind mehr als 54 %. Die Mittel müssten eigentlich noch stärker ansteigen, als Sie es ursprünglich versprochen haben. Dafür brechen Sie jetzt nicht nur Ihr Versprechen, sondern Sie machen das alles nicht. Sie brechen radikal Ihre eigenen Versprechen, und Sie scheitern an allem, was Sie in der Oppositionszeit formuliert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Lorenz Deutsch [FDP]: Warum haben Sie das selbst nie gemacht?)

Diese Posse um die Ausländerstudiengebühren und die Pressemitteilungen aus der Koalition zu ihrem Ende sind doch ziemlich bizarr. Herr Dr. Nacke spricht bei dem Ende der Campusausländermaut von einem Signal der Weltoffenheit und deutet die Tatsache, dass Sie Ihren eigenen Koalitionsvertrag an dieser unsinnigen Stelle nicht umsetzen, als einen großen schwarz-gelben Erfolg.

Jetzt frage ich mich: Wie werden denn die Erfolgsmeldungen weitergehen? Wenn es demnächst in den Hörsaal hineinregnet, wird das wahrscheinlich ein Signal der Wetteroffenheit sein.

(Karl Schultheis [SPD]: Nein, der Segnung!)

Und wenn die Studierenden in den vergammelnden Wohnheimen in der Abstellkammer wohnen müssen, dann loben Sie wahrscheinlich auch noch die Komprimierungsoffenheit der nordrhein-westfälischen Studierenden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das alles sind die Hausaufgaben, die Sie nicht gemacht haben. Das sind die Hausaufgaben, die Sie machen müssten, wenn Sie den Wissenschaftsstandort voranbringen wollten.

Wohnheime werden in unserem Land geschlossen, weil der Sanierungsstau so groß ist. Die Studierendenwerke haben oft genug gesagt, dass das, was Sie liefern, nicht ausreicht, sondern dass sie echte Zuschüsse brauchen.

Die Studierendenwerke bekommen erneut keinen Zuschuss zu ihren allgemeinen Leistungen, obwohl sie mehrfach im Ausschuss und an jeder anderen Stelle klargemacht haben, dass diese Zuschüsse notwendig wären. Und wer bezahlt das am Ende des Tages? – Die Studierenden bezahlen es über höhere Sozialbeiträge. Es ist also auch noch zutiefst unsozial, was Sie hier machen.

Wie es dann beim Hochschulbau weitergehen wird, wenn das Hochschulkonsolidierungsprogramm ausläuft, weiß niemand – am wenigsten diese Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Schwarz-Gelb hat mit dem Studierendengängelungsgesetz gezeigt, dass Studierende und Hochschulbeschäftigte bei Ihnen keine Lobby haben. Das wird bei diesem Haushalt in Zahlen gegossen, und deshalb lehnen wir ihn mit voller Überzeugung ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ralf Jäger [SPD]: Zugabe!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte-Richter. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Beihl.

Daniela Beihl (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren gute zweieinhalb Jahre für den Wissenschafts- und Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So wird es auch in Zukunft weitergehen. Auch im kommenden Haushaltsjahr spiegelt der Einzelplan 06 unsere Wertschätzung für die nordrhein-westfälische Wissenschaft wider.

(Ralf Jäger [SPD]: Gut abgelesen!)

So ist für den Einzelplan 06 ein Gesamtetat von 9,5 Milliarden Euro angesetzt. Das ist ein Rekord, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit einem Anteil von 11 % am Globalhaushalt ist dies der zweitgrößte Einzelposten aller Ressorts. Die Steigerung ist mit 3,2 % überproportional. Wir investieren 292 Millionen Euro mehr in Wissenschaft, Forschung und Kultur – und das, ohne neue Schulden zu machen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Lorenz Deutsch [FDP]: Hört, hört!)

Als Ostwestfälin freut es mich besonders, dass ein Herzensthema der NRW-Koalition nun immer weiter Formen annimmt. Denn seit 2017 wird an der Gründung der medizinischen Fakultät in Bielefeld gearbeitet.

(Beifall von Lorenz Deutsch [FDP])

Die Investitionen für den Aufbau steigen 2020 von 6,5 Millionen Euro auf 24 Millionen Euro. Mit dieser Summe werden wir unter anderem mehr als 20 neue Stellen schaffen. Und mit dieser Verankerung der Ausbildung vor Ort werden wir die medizinische Versorgung in OWL nachhaltig verbessern.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ein weiterer Meilenstein war in diesem Jahr die Novellierung des Hochschulgesetzes. Damit haben wir als NRW-Koalition die Hochschulen wieder zu selbstbestimmten Partnern gemacht. Wir haben sie von unnötigen Regelungen und Vorschriften befreit, und wir haben ihnen Freiheit und Autonomie zurückgegeben.

Mehr Freiheit für unsere Hochschulen bedeutet für die NRW-Koalition auch, den Hochschulen mehr Entscheidungsfreiheit in Sachen Hochschulbau zu geben. Mit der Einführung des Optionenmodells zur Übernahme der Bauherreneigenschaft wird einem wichtigen Ansinnen der Hochschulen Rechnung getragen. Es sind doch die Hochschulen vor Ort, die am besten wissen, welche Bedarfe sie haben. Man könnte zahlreiche weitere Maßnahmen anführen, die wir nun umsetzen.

Erfreulich ist auch: Immer mehr junge Menschen entscheiden sich nach der Schule für ein Studium. Knapp 775.000 Studierende sind es in diesem Wintersemester, 2009 waren es noch 484.000. Was für eine Veränderung in einer Dekade!

In den letzten Jahren war der Studienplatzausbau von zentraler Bedeutung, um der gesteigerten Nachfrage nachkommen zu können. Nun ist es aber wichtig, die Qualität von Studium und Lehre in den Blick zu nehmen. Dazu hat die Ministerin am Mittwoch bereits die Erhöhung der Qualitätsmittel verkündet: 51 Millionen Euro mehr. Damit passen wir die Qualitätsverbesserungsmittel endlich an die steigenden Studierendenzahlen an.

Und ja, Herr Bolte, ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, aber Sie hatten jahrelang Zeit genug, diese Mittel zu erhöhen. Sie haben es aber nie getan.

(Beifall von der FDP – Lorenz Deutsch [FDP]: Hört, hört! – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Die Mittelverstetigung, der Ausbau der Studienqualität und die zweckmäßigen Stellenentfristungen sind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Mit dieser erhöhten Planungssicherheit und dem Wissen, mit der NRW-Koalition einen Partner zu haben, auf den man sich verlassen kann, bin ich davon überzeugt, dass unsere Hochschulen noch besser werden.

Ein weiteres sehr wichtiges Vorhaben ist die Schaffung von 1.000 neuen Studienplätzen für das Grundschullehramt, Sonder-, Pflege- und Sozialpädagogik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, begegnen wir dem Lehrermangel. Besonders freut es mich, dass wir auch im Bereich der Weiterbildung weiter am Ball bleiben. Die bereits in diesem Jahr begonnene Dynamisierung wird 2020 fortgeführt. Das bedeutet: Wir investieren auch 2020 wieder 2 %, also insgesamt 4 Millionen Euro mehr, in die Weiterbildung.

Ich möchte diesen Moment auch nutzen, um mich bei denen zu bedanken, die diese Zahlen täglich mit Leben füllen – bei den Hochschulleitungen, den Verwaltungsmitarbeitern, den Lehrenden, den Forschenden und den Studierenden, die unsere Hochschullandschaft zu dem machen, was sie ist: einmalig und leistungsstark –, und nicht zuletzt bei den zahlreichen Weiterbildungsinstitutionen, die tagtäglich wichtige Arbeit leisten.

Meinen herzlichen Dank richte ich auch an Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium für die Aufstellung des Haushalts. Mit den jetzt auf den Weg gebrachten Vorhaben werden auch die kommenden zweieinhalb Jahre für die Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Weiterbildungsinstitutionen NRWs zweieinhalb gute Jahre werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beihl. – Jetzt spricht Herr Seifen für die AfD-Fraktion.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu den Herzensanliegen der AfD gehört seit ihrer Gründung im Jahre 2013 der Einsatz dafür, die Qualität des Bildungssystems in Deutschland respektive in NRW wiederherzustellen. Deshalb freuen wir uns über jeden Euro, der für Wissenschaft und Bildung eingesetzt wird.

Aber wir benennen natürlich dann auch das Grundübel der Verwerfungen in unserem Bildungs- und Wissenschaftssystem. Das Volumen des Einzelplans 06 stellt sich auf den ersten Blick als beträchtlich dar. So schwelgt die Landesregierung im Erläuterungsband ganz glückselig im Superlativ – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Die gegenüber dem Gesamthaushalt (+ 2,5 %) überproportionale Steigerung unterstreicht die Bedeutung, welche die Landesregierung der Kultur, der Wissenschaft … beimisst.“

Was die Wissenschaft angeht, stellt die Landesregierung den Hochschulen jährlich 5,6 Milliarden Euro, ohne die Hochschulmedizin, zur Verfügung. Davon entfallen mehr als 4 Milliarden Euro auf die Grundfinanzierung. Diese Zahlen sagen für sich alleine genommen jedoch erst einmal nur wenig aus. Sie gewinnen erst an Relevanz, setzt man sie in Relation zur Anzahl der Studenten und den Ausgaben, die andere Bundesländer für die Wissenschaft unternehmen.

Entsprechend ihren Vorgaben im Bildungsbereich haben wir seit Jahren einen massiven Zulauf von Studenten an unsere Hochschulen. Im Wintersemester 18/19 waren in Nordrhein-Westfalen 772.300 Studenten eingeschrieben, mittlerweile sind es 775.000.

Schauen wir uns an, was die Landesregierung an Mitteln zur Verfügung stellt, damit die Hochschulen diese große Anzahl an Studenten adäquat ausbilden können, so kommen wir zu dem Ergebnis, dass die durchschnittlichen Ausgaben pro Student in NRW gerade einmal bei 7.284 Euro liegen. Das ist im Vergleich zu allen anderen 16 Bundesländern die geringste Summe, die in Deutschland aufgewendet wird. Das ist, leider Gottes, der letzte Platz.

Im Bundesdurchschnitt gab jedes einzelne Bundesland beinahe das Doppelte aus, exakt 13.300 Euro pro Student. So verwundert es auch nicht, dass NRW seit Jahren in der Betreuungsrelation von Studenten zu Universitätsprofessoren im Ländervergleich bei Weitem abgeschlagen den letzten Platz einnimmt. Während in Nordrhein-Westfalen 90 Studenten auf einen Professor kommen, liegt das Betreuungsverhältnis in Thüringen um die Hälfte besser, bei gerade einmal 45 Studenten pro Professor oder Professorin. So viel zum Thema gute Lehre – ein Problemfeld, das verschärft wird durch ein seit Jahren skandalöses Ausmaß an prekärer Beschäftigung an unseren Universitäten.

Wir haben bei über 90 % alle Mitarbeiter des wissenschaftlichen Mittelbaus nur mehr eine befristete Anstellung, in 42 % der Fälle sogar noch nicht einmal über ein Jahr hinaus. Wer wie Sie das System der Finanzierung universitärer Forschung immer mehr auf Drittmittel umstellt, dem scheinen die Arbeitsbedingungen der in der Wissenschaft Beschäftigten herzlich egal zu sein.

Hätten wir nicht eine strukturelle Unterfinanzierung der Universitäten, die in keinem anderen Bundesland so groß ist wie in NRW, dann wären die Universitäten und Lehrstühle weniger händeringend auf Drittmittel angewiesen und folglich auch wählerischer in ihrer Annahme, insbesondere von industrieller Seite, und bei den damit verbundenen Erwartungen.

Seien wir doch ehrlich, und machen Sie den Bürgern nichts vor: Für jeden Euro aus industriell-privatwirtschaftlichen Mitteln wird eine entsprechende Gegenleistung erwartet, in der Regel das gewünschte Testat eines angesehenen Wissenschaftlers. Das versteht sich von selbst.

Damit haben wir es mit einem Umstand zu tun, der fundamental und prinzipiell dem Grundsatz der Unabhängigkeit und Ergebnisoffenheit jeder wissenschaftlichen Forschung widerspricht. Hier wird deutlich, von wem die eigentliche Gefahr ausgeht, der die Wissenschaft in unserem Bundesland ausgesetzt ist.

Darüber hinaus, Frau Ministerin, haben Sie jetzt auch noch auf die Studiengebühren für Nichteuropäer verzichtet. Sie sind letztlich doch eingeknickt vor dem Druck, der von den rot-grünen Parteien ausgegangen ist. Das finde ich sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen – ja, da kommt der Applaus von der Partei Die Grünen, das wissen wir – pflegen sämtliche Altparteien durch die Bank weg über die Jahre den unwissenschaftlichen Klimbim eines von oben verordneten Staatsfeminismus an den Universitäten

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

in Form der Genderforschung und räumen dem weiterhin bedeutsame Priorität ein –

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Herr Rüße, ich wollte Sie einfach nicht enttäuschen –, so auch im vorliegenden Haushaltsplan, indem Sie nicht müde werden, Hochschulen zur Förderung des Diversity Managements Mittel zuzuweisen.

Wir fordern hier ein Umsteuern der finanziellen Ausstattung. Deswegen können wir diesen Plan, leider Gottes, nicht annehmen. Wir lehnen ihn ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Jetzt hat das Wort die Ministerin, Frau Pfeiffer-Poensgen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Ja, das ist jetzt der letzte Beitrag. Bei so viel Leidenschaft meiner Vorredner mache ich es jetzt mal wieder ganz sachlich.

(Zurufe – Beifall von der CDU)

– Das ist langweilig, liegt mir aber mehr.

(Unruhe – Glocke)

Bildung ist einer der Schwerpunkte der Landesregierung im Etat des Jahres 2020. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft hat daran mit Wissenschaft, kultureller und politischer Bildung sowie Weiterbildung einen gewichtigen Anteil.

Für die Hochschulen ist mit 5,6 Milliarden Euro der größte Teil dieses Etats vorgesehen. Davon fließen 4,2 Milliarden Euro in die Globalhaushalte der Hochschulen und werden von ihnen eigenverantwortlich verwendet. Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten der Hochschulen werden auch durch das neue Hochschulgesetz gestärkt, das nach Einbindung aller Beteiligten im Sommer verabschiedet wurde.

Für die, die es noch nicht mitbekommen haben, würde ich gerne darauf hinweisen, dass wir damit etwas geschaffen haben, wovon die Bayern gerade träumen – das ist Ihnen vielleicht entgangen –, und das sind die Strategien. Die Bayern träumen von einem erfolgreichen Abschneiden in der Exzellenzstrategie, das war da nämlich nicht so toll. Insofern können wir durchaus auf Augenhöhe miteinander umgehen. – Lieber Herr Bell, denken Sie sich doch mal ein neues Narrativ aus, langsam wird es langweilig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Gemeinsam mit den Hochschulen und anderen Beteiligten hat die Landesregierung in der Ruhr-Konferenz zudem vier Projektvorschläge erarbeitet, für die über die Ergänzungs…

(Unruhe)

Herr Präsident, können Sie ein bisschen für Ruhe sorgen? Wenn sich alle wieder beruhigt haben, können wir weitermachen.

(Michael Hübner [SPD]: Das sind doch eure Leute!)

– Das ist mir völlig egal. Wir sind hier nicht in einer Karnevalssitzung.

Gemeinsam mit den Hochschulen

(Unruhe)

– ich hoffe, das geht nicht zulasten meiner Redezeit – und anderen Beteiligten hat die Landesregierung in der Ruhr-Konferenz zudem vier Projektvorschläge erarbeitet, für die über die Ergänzungsvorlage Mittel in Höhe von 11,9 Millionen Euro eingestellt werden. Sie sollen dabei helfen, Strukturen im Hochschulbereich weiterzuentwickeln und damit eine große Chance für das Ruhrgebiet zu entwickeln.

Ebenfalls im Rahmen einer Ergänzungsvorlage wurde die Grundlage für eine Studienplatzoffensive für die Lehrkräfte von morgen geschaffen. Die Landesregierung wird gemeinsam mit den Hochschulen insgesamt 1.000 zusätzliche Studienplätze

(Michael Hübner [SPD]: 1.000?)

für Grundschulen, Sonderpädagogik, Pflegepädagogik und Sozialpädagogik dauerhaft einrichten. Die Landesregierung leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels in NRW und sorgt so in einem gesellschaftlich höchst relevanten Berufsfeld für den dringend benötigten Nachwuchs.

Noch einige Worte zu den 51 Millionen Euro für die Qualitätsverbesserungsmittel: Sie, lieber Herr Bolte-Richter, hätten das alles längst machen können. Seit 2011 sind diese Mittel nicht erhöht worden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Es war in der Zeit Ihrer Regierung, als 2013/2014 mit dem doppelten Abiturjahrgang der große Studentenansturm kam, und Sie haben einfach nichts gemacht. Auf diese Weise haben Sie die Pro-Kopf-Vergabe von Qualitätsverbesserungsmitteln einfach runtergehen lassen – egal.

Jetzt schreien Sie plötzlich, es müssten 137 Millionen Euro sein. Ich finde, Sie sollten sich mal über 51 Millionen Euro freuen. Das ist wenigstens ein Anfang. Diese Mittel sind, wie Sie wissen, nicht kapazitätswirksam und daher sehr gut für die Betreuungsrelation.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Habe ich 100 Millionen versprochen, oder haben Sie 100 Millionen versprochen?)

Das nur, falls es noch nicht jeder verstanden hat. Es schien mir neulich so, als ob das in Ihren Köpfen nicht ganz klar ist.

Noch ein Wörtchen zu den Studierendenwerken: Auch hier haben wir bereits 2018 eine Zuschusserhöhung von 2,5 Millionen Euro umgesetzt. Für 2021 haben wir weitere 4 Millionen Euro vorgesehen. Das alles kann man in dem Haushaltsplanentwurf nachlesen.

Im Rahmen der Ergänzungsvorlage können wir zudem – und das ist für uns natürlich auch enorm wichtig – den Aufbau der neuen Medizinischen Fakultät OWL mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 47,5 Millionen Euro weiter voranbringen. Wir haben damit nicht nur die Betriebskosten, um den Personalbestand erheblich zu erhöhen, und zwar plangemäß, sondern auch die Sicherheit für den Aufbau und den Bau der notwendigen Räume für die Bielefelder Fakultät.

Dass wir mit der Entwicklung der Universitätsmedizin in NRW auf einem guten Weg sind – das darf an solch einem Abend auch einmal gesagt werden –, hat jüngst die Begutachtung der Hochschulmedizin in NRW durch den Wissenschaftsrat bestätigt.

Der Landesregierung ist es ein zentrales Anliegen, die Leistungsfähigkeit der Universitätskliniken zu erhalten und natürlich vor allen Dingen zu verbessern. Zur Sicherung der Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre sind für die Universitätsmedizin im Haushalt daher insgesamt 70 Millionen Euro zusätzlich eingeplant.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ein Schwerpunkt liegt auch auf dem Ausbau der außeruniversitären Forschungsförderung. Die Ansätze steigen hier aufgrund verschiedener Investitionen um 28 Millionen Euro. Die neuesten Vorhaben werden der Aufbau des Max-Planck-Instituts für Cybersicherheit und Schutz der Privatsphäre in Bochum und des Fraunhofer-Instituts für Geothermie und Energieinfrastruktur sein.

(Unruhe – Josef Hovenjürgen [CDU]: Pst!)

Für das ab dem 1. Januar 2020 neu zu gründende Institut wurde mit der Ergänzungsvorlage jetzt die haushaltstechnische Voraussetzung zur Realisierung geschaffen. Das ist nicht so schlecht. Ich weiß nicht, wie viele außeruniversitäre Institute zu Ihrer Zeit gegründet worden sind. Ich glaube aber, die Zahl ist überschaubar.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Im Bereich der allgemeinen Weiterbildung setzt die Landesregierung ihren Kurs fort,

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Volkshochschulen und andere nach dem Weiterbildungsgesetz anerkannte Einrichtungen finanziell zu stärken. Die 2019 begonnene Dynamisierung der gesetzlichen Mittel – das war übrigens auch ein ziemlicher Quantensprung – soll 2020 fortgeführt werden. Für den erneuten jährlichen Zuwachs von 2 % sind insgesamt rund 4 Millionen Euro zusätzliche Mittel veranschlagt.

Auch inhaltlich haben wir auf dem Weg, das Weiterbildungsgesetz in dieser Legislaturperiode weiterzuentwickeln, einen wichtigen Schritt getan. Aus einem breiten Dialog mit der sehr pluralen Trägerlandschaft und den Einrichtungen ist ein Eckpunktepapier entstanden, das noch weitererörtert wird. Bis zum Frühjahr nächsten Jahres soll daraus ein Vorschlag für eine Änderung des Gesetzes erarbeitet werden.

Die Landeszentrale für politische Bildung hat die wichtige Aufgabe, die demokratische Kultur und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land zu fördern, indem sie Bürgerinnen und Bürger zu demokratischem Engagement motiviert und demokratische Handlungskompetenzen fördert. Als Etat sind im Jahr 2020 insgesamt 24,3 Millionen Euro vorgesehen.

Vor dem Hintergrund der seit 2018 steigenden Zahlen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten soll die Förderung der etablierten Beratungsstrukturen gegen Rechtsextremismus und Rassismus gestärkt werden. Konkret geht es unter anderem um die Beratung für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt sowie das zivilgesellschaftliche Ausstiegsprojekt NinA NRW. Darüber hinaus befinden sich zurzeit zusätzliche Projekte im Bereich rassismuskritischer bzw. antisemitismuskritischer Bildungsarbeit sowie Demokratiestärkung in Planung und Abstimmung.

Sie sehen, dass die Landesregierung mit zahlreichen Maßnahmen und gemeinsam mit den Beteiligten die Weiterentwicklung in den Bereichen Wissenschaft, Weiterbildung und politische Bildung sehr stark vorantreibt, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor, es sei denn, es würde noch das Wort gewünscht. Die Landesregierung hat ja Ihre Redezeit ein wenig überzogen. – Es meldet sich niemand mehr zu Wort.

Damit können wir dann zur Abstimmung kommen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8006, den Einzelplan 06 unverändert anzunehmen. Wer also stimmt dem Einzelplan 06 zu? – CDU und FDP stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, AfD und Herr Neppe, fraktionslos, stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Gibt es nicht. Damit ist der Einzelplan 06 in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.

Jetzt haben wir noch zehn Abstimmungen vorzunehmen.

Nachzuholen ist die Abstimmung über den Einzelplan 20, zu dem wir bereits gestern die Aussprache durchgeführt haben, sowie über die dazugehörigen Änderungsanträge der Fraktion der AfD. Das sind die Drucksachen 17/7978 bis 17/7982.

Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7978. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und Grüne stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Änderungsantrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Zweitens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7979. Wer stimmt dem zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – Der Rest des Parlaments stimmt dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit hat die Mehrheit des Hohen Hauses den Änderungsantrag abgelehnt.

Drittens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7980. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – Wiederum die übrigen Fraktionen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehen wir nicht. Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Viertens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7981. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – Der übrige Teil des Hohen Hauses. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Fünftens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7982. Wer stimmt dem zu? – Wiederum die AfD-Fraktion und Herr Neppe, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und Grüne stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehen wir nicht. Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Sechstens stimmen wir nun ab über den Einzelplan 20. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8020 – Neudruck –, den Einzelplan 20 unverändert anzunehmen. Wer stimmt diesem Einzelplan zu? – CDU und FDP stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und AfD stimmen dagegen sowie Herr Neppe, fraktionslos. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Einzelplan 20 in zweiter Lesung angenommen.

Damit sind alle Einzelpläne beraten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir kommen nun zu den weiteren Abstimmungen.

Erstens: Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 – auch Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 genannt; für die Feinschmecker unter uns: GFG 2020 – und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes Drucksachen 17/7202 und 17/7800. Ich darf auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 17/8017 hinweisen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8017, den Gesetzentwurf Drucksachen 17/7202 und 17/7800 unverändert anzunehmen. Wir stimmen also nun über den Gesetzentwurf und nicht über die Beschlussempfehlung ab. Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? SPD, Grüne, AfD und Herr Neppe, fraktionslos. Gibt es Enthaltungen? – Die gibt es nicht. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Zweitens: Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020, das Haushaltsgesetz 2020, Drucksachen 17/7200 und 17/7800. Ich weise auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 17/8000 hin. Die Aussprache hierüber haben wir bereits gestern im Rahmen der Generaldebatte geführt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/8000, den Gesetzentwurf Drucksachen 17/7200 und 17/7800 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Gesetzentwurf selbst zu? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, AfD und Herr Neppe, fraktionslos. Gibt es Enthaltungen? – Die sehen wir nicht. Damit ist das Haushaltsgesetz 2020 Drucksachen 17/7200 und 17/7800 in zweiter Lesung mit allen Anlagen mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Drittens stimmen wir über die Rücküberweisung des Haushaltsgesetzes 2020 Drucksachen 17/7200 und 17/7800 und des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2020 Drucksachen 17/7202 und 17/7800 an den Haushalts- und Finanzausschuss zur Vorbereitung der dritten Lesung ab. Wer stimmt der Rücküberweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die Rücküberweisungen einstimmig beschlossen.

Viertens rufe ich nun noch die Finanzplanung 2019 bis 2023 Drucksache 17/7201 auf. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 17/8019, die Finanzplanung zur Kenntnis zu nehmen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Widerspruch nehmen wir nicht wahr. Dann kann ich feststellen, dass die Kenntnisnahme der Mittelfristigen Finanzplanung hiermit erfolgt ist.

Das Haushaltsbegleitgesetz 2020 benötigt nur zwei Lesungen. Die Beratung in zweiter Lesung wurde gestern in der Grundsatzdebatte durchgeführt, aber noch nicht geschlossen. Die Abstimmung in zweiter Lesung zum Haushaltsbegleitgesetz findet erst nach der dritten Lesung des Haushaltsgesetzes 2020 statt. Die dritten Lesungen der soeben zurücküberwiesenen Haushaltsvorlagen sind für die Plenarsitzungen am 18. und 19. Dezember 2019 vorgesehen.

Es ist genau 22 Uhr. Das ist Zeit, Schluss zu machen. Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 29. November 2019, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und eine gute Nacht.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 22:00 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

     Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

 

Anlage

zu TOP 5 – Zweites Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes – zu Protokoll gegebene Reden

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales:

Das Heilberufsgesetz vom 9. Mai 2000 bedurfte – ohne Zweifel – nach knapp 20-jähriger Geltungsdauer einer umfassenden Novellierung.

Der vorliegende Entwurf stellt nun das Ergebnis eines Reformprozesses dar, der durch einen intensiven Dialog mit den beteiligten Kreisen, zuallererst mit den Vertreterinnen und Vertretern der Heilberufskammern in Nordrhein-Westfalen, begleitet wurde.

Denn das Heilberufsgesetz bildet jetzt wie in Zukunft den Rahmen

-      einerseits des landesrechtlich geregelten          Berufsrechts der approbierten Heilberufe        und

-      andererseits der Aufgaben, Befugnisse und      Instrumente, die den Heilberufskammern        auferlegt beziehungsweise

       zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch           den Landesgesetzgeber übertragen wer-       den.

Mit dem vorliegenden Entwurf ist die Modernisierung des Heilberufsgesetzes unter Beibehaltung der guten und sinnvollen Elemente einer starken und handlungsfähigen Selbstverwaltung gelungen.

Unter anderem sind Anpassungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben des europäischen sowie des Bundesgesetzgebers erfolgt. Beispielhaft enthält der Entwurf Änderungen datenschutzrechtlicher Vorschriften, die durch die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung erforderlich wurden.

Die Heilberufskammern selbst haben insbesondere auf Änderungsbedarf hingewiesen, der durch veränderte tatsächliche Rahmenbedingungen – wie beispielsweise steigende Mobilität der Kammerangehörigen – notwendig geworden ist.

Daher gibt es zukünftig eine gesetzliche Grundlage, die einen Informationsaustausch zwischen Kammern über Landesgrenzen hinweg ermöglicht. Dies wird eine effektive Berufsaufsicht auch bei Umzügen von Kammerangehörigen in andere Bundesländer sicherstellen, da sich niemand mehr etwaigen berufsrechtlichen Verfahren durch Ortwechsel entziehen kann.

Auf Anregung des Oberverwaltungsgerichtes des Landes Nordrhein-Westfalen sind zudem die Vorschriften über das berufsgerichtliche Verfahren überarbeitet worden. Ziel ist es, dass berufsgerichtliche Verfahren zukünftig zügiger, effizienter und rechtssicherer durchgeführt werden können.

Auch konkrete Erfahrungen, die in den vergangenen Jahren im Rahmen der Kammeraufsicht im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gesammelt wurden, sind in die Novelle eingeflossen:

Wiederkehrende Patientenbeschwerden haben den Anlass geboten, die Ergebnisse berufsrechtlicher wie -gerichtlicher Verfahren transparenter zu gestalten. Beschwerdeführende erhalten daher zukünftig das Recht, zu erfahren, ob in ihrem Fall eine Berufspflichtverletzung durch die Kammer festgestellt worden ist. Dies durchbricht den bisherigen Grundsatz, dass es sich bei berufsrechtlichen Verfahren um rein interne Verfahren zwischen Kammerangehörigen und Kammer handelt. Dritten kamen in dieser Konstellation bisher keine Informationsrechte zu.

Diese Regelung erscheint nicht mehr angemessen. Festzuhalten ist daher, dass mit der beabsichtigen – relativ kleinen – gesetzlichen Anpassung hier viel für die Stärkung einer vertrauensvollen Behandler-Patienten-Beziehung erreicht werden kann – und das ist gut für alle Patientinnen und Patienten und alle Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Tierärztinnen und Tierärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Nordrhein-Westfalen.

Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sich in der vergangenen Woche bereits ein breiter Konsens für das Gesetz abgezeichnet. Es ist ein gutes Gesetz, durch das der Selbstverwaltung starke Instrumente zur Verfügung gestellt werden, um in Nordrhein-Westfalen auch in den kommenden Jahren die ihr übertragenen Aufgaben zielgerichtet und effektiv wahrnehmen zu können.

Peter Preuß (CDU):

Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung beinhaltet eine umfassende Novellierung des Heilberufsgesetzes.

Die Novellierung ist notwendig, umfassend und gut.

Sie ist erforderlich und richtig, denn die Anforderungen an die Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben der Heilberufskammern haben sich aufgrund gewandelter tatsächlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen verändert.

Mit der Novellierung soll ein bedarfsorientierter Rahmen für die zukünftige Aufgabenerfüllung der Heilberufskammern geschaffen werden und sollen insbesondere die berufsgerichtlichen Vorschriften den Anforderungen an ein praxisgerechtes Verfahren angepasst werden.

Durch die Expertenanhörung wurde auch deutlich, dass es noch weiteren Anpassungsbedarf gibt.

Zentraler Punkt sind die vorgeschlagenen Regelungen zur Anerkennung der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes und zu den erforderlichen Kenntnissen der deutschen Sprache für die Ausübung der Berufstätigkeit. Zudem muss eine exakte Festschreibung von Löschungsfristen nach datenschutzrechtlichen Vorgaben erfolgen.

Diesen Klarstellungen trägt unser Änderungsantrag Rechnung.

Unsere Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung daher zu.

Serdar Yüksel (SPD):

Seit dem Inkrafttreten des Heilberufsgesetzes haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert, und das nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene – man denke hier nur an die Datenschutz-Grundverordnung.

Die neue Datenschutz-Grundverordnung hat zu Unsicherheiten vor Ort geführt, wie mit personenbezogenen Daten und deren Speicherung und Verwendung umzugehen sei. Auch der Datenaustausch mit den Krankenkassen war gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Die Gesetzesnovellierung schafft hier Klarheit und Rechtssicherheit.

Allein schon vor diesem Hintergrund ist die vorgelegte Novellierung des Gesetzes notwendig und überfällig. Mit der Novellierung wird der Aktualisierungs- und Anpassungsbedarf vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben nunmehr umgesetzt.

Eine wichtige Änderung betrifft die Ermöglichung von Ethikkommissionen, wie sie sich bei den Ärztekammern als Beratungsorgane etabliert haben. Hierzu gab es explizite Nachfragen seitens der Kammern bzw. der Kammerangehörigen.

Auch die Informationsmöglichkeit von beschwerdeführenden Personen im Rahmen von berufsrechtlichen- und -gerichtlichen Verfahren sorgt für mehr Transparenz und stärkt die Kammern in ihrem Auftritt nach innen und nach außen.

Bisher war es den beschwerdeführenden Personen nämlich nicht ohne weiteres möglich, einzusehen, ob weitere Maßnahmen – insbesondere berufsgerichtliche – vor dem Hintergrund ihrer Beschwerden eingeleitet worden waren. Das entsprechende Verfahren bei den Kammern war rein intern, und es gab keine Kommunikationspflicht gegenüber den Betroffenen.

Dies führte aber zu kafkaesken Situationen, in denen der Beschwerdeführer teilweise hinterher gar nicht wusste, was seine Beschwerde am Ende konkret bewirkt hat.

Mit der Gesetzesnovellierung ändert sich dies, und Betroffene werden in ihren Rechten bestärkt. Das ist ein wichtiges und richtiges Signal an alle Betroffenen.

Konkretisiert werden auch die Vorgaben bei der Weiterbildung, um das Einhalten von Qualitätsstandards gesetzlich sicherzustellen. Durch die Novellierung wird nunmehr festgelegt, dass Weiterbildungsmaßnahen grundsätzlich mindestens zwölf Monate stattfinden müssen.

Bei einer Unterschreitung dieser Mindestzeit muss die zuständige Kammer entscheiden, ob hier die Qualitätsstandards eingehalten worden sind und die Weiterbildung somit als qualifizierte Maßnahmen anerkannt werden kann. Damit wird gleichzeitig auch die Autonomie der Kammern gestärkt, die die Qualität von einzelnen Maßnahmen am besten beurteilen können.

Dies sind die – aus meiner Sicht – wichtigsten Änderungen, die sich, neben den zahlreichen redaktionellen Änderungen, aus der Novellierung ergeben.

Vor dem Hintergrund dieser notwendigen Anpassungen stimmen wir der Gesetzesnovellierung zu.

Susanne Schneider (FDP):

Die Anforderungen an die Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben der Heilberufskammern haben sich aufgrund gewandelter tatsächlicher wie rechtlicher Rahmenbedingungen verändert. Einerseits sind die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung zu beachten, anderseits sind Verfahrensanpassungen im Bereich der durch die Heilberufskammern ausgeübten Berufsaufsicht erforderlich. Diesen Änderungsbedarf setzen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um. Die Novellierung des Heilberufsgesetzes ist nötig und richtig.

Mit dem im Ausschuss behandelten Änderungsantrag greifen wir Anregungen der Heilberufskammern aus der Anhörung auf. Dies betrifft technische Anpassungen hinsichtlich der Weiterbildungsordnungen und der gutachterlichen Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Abschlüsse. Zudem verzichten wir auf die generellen Löschungsfristen von fünf Jahren bei berufsrechtlichen Verfahren und verweisen stattdessen auf die Anwendung der bestehenden Vorgaben zum Datenschutz.

Änderungsantrag und Gesetzentwurf wurden im Ausschuss einstimmig angenommen. Mit einem zusätzlichen, heute abzustimmenden Änderungsantrag wollen wir einen redaktionellen Übertragungsfehler korrigieren. Unsere Fraktion wird deshalb auch heute zustimmen.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE):

Nicht nur die europarechtlichen Vorgaben bei der Datenschutzgrundverordnung haben sich in den letzten Jahren verändert, auch die Regelungen zur Berufsaufsicht. Dies hat entsprechende Änderungen im Heilberufsgesetz notwendig gemacht.

Die Befugnis zur Datenverarbeitung im Rahmen der Qualitätssicherung, die Speicherdauer personenbezogener Daten von Kammerangehörigen für die Berufsaufsicht wie auch die Anpassung der Regelungen an die Erfordernisse des Patientenschutzes sind Kernpunkte des Änderungsgesetzes.

Mit den Änderungen im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales wurden noch mal die Regelungen zur Anerkennung der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes und zu den erforderlichen Kenntnissen der deutschen Sprache für die Ausübung der Berufstätigkeit konkretisiert. Zudem wurde eine exakte Festschreibung von Löschungsfristen nach datenschutzrechtlichen Vorgaben mit aufgenommen. Beide Änderungen fußen auf Hinweisen aus der Anhörung zum Gesetzentwurf, die am 04.09.2019 durchgeführt wurde.

Die Grüne Landtagsfraktion wird dem Änderungsgesetz zum Heilberufsgesetz in der nun vorliegenden Fassung zustimmen.

Dr. Martin Vincentz (AfD):

Der hier und heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf ist nicht unbedingt ein Highlight nordrhein-westfälischer Gesetzgebung.

Er bringt weder bahnbrechende Veränderungen im Verhältnis von Regierung und Bürger noch ist er unter den Verbänden und Vorfeldorganisationen so umstritten, dass er die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen hätte.

Und trotzdem ist er von Bedeutung, denn er ist für die Praxis der Aufgabenerledigung und die Erledigung der Pflichten und Aufträge wichtig, die das Land Nordrhein-Westfalen an die einschlägigen Kammern übertragen hat.

Hier speziell geht es um die Heilberufskammern, deren zugrunde liegendes Gesetz den - wie es so schön auf dem Deckblatt heißt - gewandelten rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden soll.

Damit soll sichergestellt werden, dass die von den Kammern ausgeübte Berufsaufsicht veränderten und neuen Erfordernissen gerecht werden kann.

So wichtig aus verfassungstheoretischer Sicht die jetzige Novellierung der Handlungsvorgaben und -vorschriften für die Kammern sind, ich verhehle nicht, dass bei diesem Thema ein Abgeordneter durchaus gefühlt im Grenzbereich seiner Möglichkeiten agiert.

Denn er kann, wenn ihm nicht Verbände und sogenannte Vorfeldorganisationen zuarbeiten, kaum die Materie allumfassend würdigen - die Materie eines Gesetzentwurfs, der sich immerhin auf nahezu 90 Seiten breitmacht.

Und nicht selten Sachverhalte betrifft, mit denen man selbst nie Kontakt hatte, auch wenn man wie ich selbst in einem Heilberuf tätig gewesen ist.

Ich habe in meinen bisher zwei Jahren als nordrhein-westfälischer Abgeordneter des Öfteren bei parlamentarischen Vorlagen gedacht, dass eine dazu beschlossene Anhörung nicht unbedingt hätte sein müssen.

Dieses Mal war ich dankbar, dass wir auf diesem Wege Einschätzungen der von den neugefassten Regeln Betroffenen hören konnten.

Der Tenor dieser Stimmen der Betroffenenebene war bis auf nachrangige Punkte überwiegend positiv.

Niemand hat die vorgeschlagenen Neuregelungen prinzipiell verworfen.

Erst recht hat niemand die Kammern und ihre Regelungsbefugnis als solche infrage gestellt.

Letzteres war für mich ein wichtiger Fingerzeig, denn in dieser Woche wird auch der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Verkammerung in der Pflege ins parlamentarische Verfahren eingebracht.

Hier ist die Einrichtung einer Kammer noch eher ein offener Kampfplatz - um nicht zu sagen: ein Schlachtfeld - zwischen noch unversöhnlichen Befürwortern und Gegnern der Verkammerung.

So sehr die eine Partei von der segensreichen Notwendigkeit der Konstituierung einer Kammer überzeugt ist, so sehr fürchtet die Gegenpartei, dass sich die Verkammerung als ein für den Einzelnen teures Unterfangen wie in Niedersachsen und auch als Beschränkung seiner Handlungs- und Entscheidungsfreiheit entpuppen könnte.

Diese Stimmen haben wir aus dem Kreis der Betroffenen aber bei der parlamentarischen Behandlung dieses Zweiten Gesetzes zur Änderung des Heilberufsgesetzes nicht gehört.

Vorherrschender Eindruck - und ich denke, das trifft auf alle Fraktionen zu - war es, dass das Ministerium eine gute Vorlage erarbeitet hat

Und weil wir das genauso sehen, wird die Fraktion der AfD diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Aber was die Verkammerung des Pflegebereichs betrifft: Dafür ist unsere Entscheidung heute vielleicht ein Fingerzeig, aber gewiss noch keine Vorentscheidung.