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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/71

17. Wahlperiode

14.11.2019

 

71. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 14. November 2019

Mitteilungen des Präsidenten. 5

1   Keine Geschenke der Schulministerin zum 100. Geburtstag der Grundschule – stattdessen unbesetzte Stellen, unfaire Besoldung und überlastete Lehrkräfte!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7857. 5

Jochen Ott (SPD) 5

Kirstin Korte (CDU) 6

Sigrid Beer (GRÜNE) 8

Franziska Müller-Rech (FDP) 10

Helmut Seifen (AfD) 12

Ministerin Yvonne Gebauer 13

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD) 15

Petra Vogt (CDU) 16

Sigrid Beer (GRÜNE) 18

Helmut Seifen (AfD) 19

Ministerin Yvonne Gebauer 20

Jochen Ott (SPD) 22

2   Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes in Nordrhein-Westfalen – Einführung einer paritätischen Aufstellung der Wahllisten mit Frauen und Männern

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7753

erste Lesung. 23

Regina Kopp-Herr (SPD) 23

Josefine Paul (GRÜNE) 24

Angela Erwin (CDU) 26

Angela Freimuth (FDP) 28

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 30

Marcus Pretzell (fraktionslos) 31

Minister Herbert Reul 32

Simone Wendland (CDU) 35

Formlose Rüge  
der Abgeordneten Britta Altenkamp [SPD]
s. Protokoll der 72. Plenarsitzung unter
Vor Eintritt in die Tagesordnung. 36

Anja Butschkau (SPD) 37

Josefine Paul (GRÜNE) 38

Ergebnis. 38

3   Binnenschifffahrt in Nordrhein-Westfalen stärken – Wasserwege leistungsfähig erhalten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/5366

Änderungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7863

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7866

Beschlussempfehlung und Bericht
des Verkehrsausschusses
Drucksache 17/7801. 39

Klaus Voussem (CDU) 39

Carsten Löcker (SPD) 40

Ulrich Reuter (FDP) 41

Johannes Remmel (GRÜNE) 42

Nic Peter Vogel (AfD) 43

Minister Hendrik Wüst 44

Ergebnis. 45

4   Die Friedens‑ und Konfliktforschung stärken

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7752. 45

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 45

Dr. Stefan Nacke (CDU) 46

Karl Schultheis (SPD) 47

Daniela Beihl (FDP) 48

Helmut Seifen (AfD) 49

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 50

Ergebnis. 51

5   Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7747

erste Lesung. 51

Markus Wagner (AfD) 52

Heinrich Frieling (CDU) 53

Hartmut Ganzke (SPD) 55

Marc Lürbke (FDP) 56

Berivan Aymaz (GRÜNE) 58

Minister Herbert Reul 59

Markus Wagner (AfD) 60

Minister Herbert Reul 60

Ergebnis. 60

6   Die Lehrerfortbildung zeitgemäß und passgenau weiterentwickeln  60

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7763. 60

Claudia Schlottmann (CDU) 60

Franziska Müller-Rech (FDP) 61

Gabriele Hammelrath (SPD) 62

Sigrid Beer (GRÜNE) 64

Helmut Seifen (AfD) 65

Ministerin Yvonne Gebauer 66

Ergebnis. 66

7   Ehrenamtliche Richterinnen und Richter wirksam unterstützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7760 – Neudruck. 66

Sonja Bongers (SPD) 66

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 67

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 68

Dr. Werner Pfeil (FDP) 69

Thomas Röckemann (AfD) 70

Minister Peter Biesenbach. 70

Ergebnis. 71

8   Olympische und Paralympische Spiele nach Nordrhein-Westfalen holen: Gemeinsam für eine Bewerbung der Städteregion „Rhein Ruhr City 2032

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7755

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7877. 72

Jens-Peter Nettekoven (CDU) 72

Rainer Bischoff (SPD) 72

Andreas Terhaag (FDP) 74

Josefine Paul (GRÜNE) 75

Roger Beckamp (AfD) 76

Ministerpräsident Armin Laschet 77

Ergebnis. 78

9   Stromversorgung sichern, Arbeitsplätze erhalten – notwendige Kraftwerksleistung als Grundlage des Wirtschaftsstandortes NRW erhalten!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7745. 79

Christian Loose (AfD) 79

Romina Plonsker (CDU) 79

Frank Sundermann (SPD) 81

Dietmar Brockes (FDP) 83

Wibke Brems (GRÜNE) 84

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 85

Dr. Christian Untrieser (CDU) 87

Christian Loose (AfD) 88

Ergebnis. 89

10 Gesetz zur Anpassung und Bereinigung schulrechtlicher Vorschriften (15. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7770

erste Lesung. 91

Ministerin Yvonne Gebauer 91

Frank Rock (CDU) 91

Jochen Ott (SPD) 93

Franziska Müller-Rech (FDP) 94

Sigrid Beer (GRÜNE) 95

Helmut Seifen (AfD) 96

Jochen Ott (SPD) 97

Ergebnis. 97


Entschuldigt waren:

Ministerin Ursula Heinen-Esser

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Minister Lutz Lienenkämper

Heike Gebhard (SPD)  
(ab 14 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)        
(bis 15:30 Uhr)

 


Beginn: 10:04

Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle sehr herzlich willkommen zu unserer heutigen, 71. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zwei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Damit rufe ich auf:

1   Keine Geschenke der Schulministerin zum 100. Geburtstag der Grundschule – stattdessen unbesetzte Stellen, unfaire Besoldung und überlastete Lehrkräfte!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7857

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 11. November 2019 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Ott das Wort. – Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um die entsprechende Ruhe und Aufmerksamkeit.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 100 Jahren wurde in die Weimarer Reichsverfassung geschrieben – ich zitiere aus Art. 146 –:

„Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf.“

In der Frankfurter Paulskirche hat Bundespräsident Steinmeier im September betont, was für ein großer gesellschaftlicher Schritt dies damals gewesen ist. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus der wirklich großartigen Rede des Bundespräsidenten zitieren:

„Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte sollten alle Kinder gemeinsam in die Schule gehen, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung oder dem Religionsbekenntnis ihrer Eltern.

Endlich sollte Schluss sein mit der Standesbildung des Kaiserreichs, wo Kinder aus wohlhabenden Schichten auf Vorschulen, Privatschulen oder von Hauslehrern aufs Gymnasium vorbereitet worden waren, während, wie es damals hieß, Armeleutekinder die Volksschulbank drückten, oft getrennt nach Geschlecht oder Konfession.“

Etwas später sagte der Bundespräsident dann Folgendes – Zitat –:

„Denn nun kamen, zumindest in den vier untersten Klassen – und so ist es in den meisten Bundesländern bis heute –, plötzlich Kinder aus den verschiedensten Elternhäusern zusammen. Kinder, die vorher oft nichts miteinander zu tun gehabt hatten. Und ich könnte mir vorstellen, dass das, was wir heute gern Heterogenität nennen, für die Lehrer schon damals eine Riesenherausforderung war.“

Diese Grundschule war damals der Versuch, Demokratie in der jungen Republik zu leben, nach vorne zu bringen. Ich zitiere ein letztes Mal den Bundespräsidenten:

„Es gibt Grundschulen“

– man muss ergänzen: heute –

„in Deutschland, an denen die Verschiedenheit in den Klassenzimmern stark zugenommen hat. … In solchen Klassen jeder Schülerin und jedem Schüler einzeln gerecht zu werden, Flüchtlingskindern die Ankunft zu erleichtern, Sprachdefizite, aber auch andere Benachteiligungen auszugleichen, die Leistungsstarken zu motivieren und die Klassengemeinschaft zu stärken, eng mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und Brücken zu den Eltern zu bauen – das ist wahrhaftig eine gewaltige Aufgabe.

Und es ist klasse, wie Lehrerinnen und Lehrer dieses Multitasking Tag für Tag bewältigen!“

(Beifall von der SPD)

Dem Bundespräsidenten kann man nur zustimmen. Die Landesregierung sah sich zu diesem 100‑jährigen Jubiläum nicht zu einem Festakt oder einer größeren Veranstaltung gedrängt, sondern hat darauf am 11. August mit einer Pressemitteilung reagiert. Darin heißt es: „Gute Schule 2020“, Vorgängerregierung gut gemacht. Das Kommunalinvestitionsfördergesetz sowie der DigitalPakt des Bundes sind erwähnt, und Sie sprechen tatsächlich noch von einer Erhöhung der Schul- und Bildungspauschale des Landes, was eigentlich Standard ist.

Wir können festhalten: Zum Geburtstag der Grundschulen gibt es von dieser Landesregierung kein Geschenk, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Am Dienstag waren wir in Dortmund. Der Grundschultag von GEW und Grundschulverband hat dort getagt. Ich sage ganz offen: Ich bin sehr beeindruckt gewesen, weil eins mir noch mal sehr deutlich klar wurde: Von Schröders „faulen Säcken“ über die ständigen Witze über Lehrerinnen und Lehrer: Die Kolleginnen und Kollegen haben den Hut auf.

Sie werden von uns, von Abgeordneten aus Landtag und Bundestag, beauftragt, alle Schwierigkeiten der Gesellschaft zu lösen: Sie sollen sich um die Demokratie kümmern, um den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus – was sehr wichtig ist. Darüber hinaus sollen sie Verkehrssicherheits- und Medienerziehung, Social-Media-Vorbereitung, Loverboys-prävention, Magersucht, gute Ernährung, Klimaschutz und und und leisten. Das alles sollen sie leisten.

In einer demokratischen Gesellschaft erwarten wir selbstverständlich, dass Lehrerinnen und Lehrer unsere Kinder im Sinne einer guten Bildung auf das Zusammenleben in dieser Gesellschaft vorbereiten. Aber wir müssen auch unseren Kolleginnen und Kollegen, unseren Lehrerinnen und Lehrern vertrauen und sie in die Lage versetzen, dass sie im Sinne ihres Schwurs auf die Verfassung des Landes Tag für Tag ihre Arbeit leisten können.

(Beifall von der SPD)

Dazu braucht es Respekt und Anerkennung, nicht nur für Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer, sondern für alle.

Der „Dortmunder Denkzettel“ zeigt, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer nicht ernst genommen fühlen, dass wir als Politik insgesamt weiterhin den Eindruck erwecken, dass wir nicht verstehen, was sie bewegt.

Eine Schulpolitik, die sehenden Auges in einen Bildungsnotstand hineinläuft – 26.000 Grundschullehrer und 30.000 Berufskolleglehrer fehlen –, wird von den Menschen im Schulsystem nicht mehr ernst genommen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wie reagiert die Regierung? Ganz einfach: Die Ministerin bemäkelt zunächst einmal den Begriff des Denkzettels, statt offen zuzugestehen: Ja, wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen.

Zu diesen Herausforderungen komme nun: Der Masterplan wurde erst für Ende 2018, dann für Anfang 2019, dann für vor den Sommerferien angekündigt, und jetzt ist er auf vor Weihnachten verschoben. Interessanterweise erwarten die Lehrerinnen und Lehrer gar nichts Gutes, weil sie bei „Masterplan“ eher die Alarmglocken schrillen hören. Das konnten wir am Dienstag verstehen.

Beim Thema „Ganztag“ wird mit dem Bund ums Geld gerangelt, aber ein Konzept für eine Neuausgestaltung gibt es nicht.

Beim Thema „Besoldung“ – A13 für alle – gibt es kein klares Signal an die Lehrerinnen und Lehrer der Grundschulen: Ja, wir schätzen eure Arbeit wert; ihr habt die gleiche Ausbildung; wir werden euch so bezahlen.

Beim Thema „Studienplätze“ erkenne ich an, dass Sie gestern mit der Ankündigung, zusätzliche Studienplätze zu schaffen, einen Schritt nach vorne gemacht haben. Aber glauben Sie allen Ernstes, dass 300 zusätzliche Grundschullehrkräfte unsere Bildungsmisere stoppen können, meine sehr verehrten Damen und Herren?

Wenn die aktuellen Studien richtig sind, muss man davon ausgehen, dass 30 % der Lehramtsstudierenden gar nicht in der Schule ankommen. Das bedeutet, es bleiben nur wenige übrig.

Das ist kein mutiger Schritt nach vorn. Aber mit dem Hochschulfreiheitsgesetz haben Sie sich vieles selbst eingebrockt, was wir jetzt mühsam wieder auslöffeln müssen.

Zum Thema „berufsbegleitende Ausbildung“ gibt es bis heute kein vernünftiges Konzept. Menschen mit nur einem Fach, Heilpädagogen und viele andere Gruppen mehr springen Tag für Tag an unseren Schulen ein und spielen Lückenfüller, aber sie haben keine Perspektive, dort zukünftig richtig arbeiten zu können. Das ist kein Respekt, keine Anerkennung.

Sozialindex, Inklusion, Zusammenarbeit zwischen den Ebenen – all das wird nicht angegangen. Deshalb ist es angesichts der Herausforderungen erschreckend, wenn Sie sagen, wir müssten in allererster Linie Ruhe an die Schulen bringen.

Ich sage: Es geht nicht darum, Ruhe an die Schulen zu bringen, sondern es geht darum, Zukunft zu organisieren. Es geht darum, den Grundschullehrerinnen und -lehrern deutlich zu machen: Wir stehen an eurer Seite. Wir wissen um die enorme Leistung, die ihr jeden Tag in den Klassenzimmern für den Zusammenhalt des Landes erbringt. Deshalb ist die Landesregierung bereit, die nötigen Schritte zu ergreifen.

Wir fordern die Landesregierung auf, endlich aufzuwachen und loszulegen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht nun die Abgeordnete Frau Korte.

Kirstin Korte (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Ott hat eben schon auf die Weimarer Reichsverfassung hingewiesen. Sie wurde am 11. August 1919 verabschiedet. Insofern kommen die Geburtstagsglückwünsche der SPD-Fraktion im Gewande einer populistischen Aktuellen Stunde verspätet.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Das wiederum passt zu der späten Erkenntnis der SPD zur Gesamtsituation unserer Grundschulen.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Schließlich haben Sie in den deutlich zu vielen Jahren Ihrer Regierungsverantwortung die Möglichkeiten und Chancen, für klare, strukturierende Verhältnisse zu sorgen, kläglich verpasst.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Wir kommen sicherlich noch auf mehrere Punkte.

Sie sprechen in Ihrer Begründung zu der Aktuellen Stunde von einer Bildungsmisere, die im „Dortmunder Denkzettel“ beschrieben wird – einer Misere, die die NRW-Koalition von Ihnen übernehmen durfte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Immer noch müssen wir Ihre Altlasten und schulpolitischen Trümmer mühsam beseitigen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Im „Dortmunder Denkzettel“ sowie in einem Interview von WDR 5 betonte der renommierte Bildungsforscher Professor Brügelmann, dass unsere Grundschulen ein Erfolgsmodell sind, wenn auch nicht ganz fehlerfrei.

Im Gegensatz zur SPD-Fraktion und dem bildungspolitischen Missmanagement Ihrer rot-grünen Regierungszeit hat die NRW-Koalition den nötigen Nachbesserungsbedarf erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen, um die landesweite Stärkung der Grundschullandschaft hinzubekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie partizipiert …

(Zuruf von der SPD)

– Hören Sie erst zu! – Sie partizipiert auch davon, dass erstens in den Haushaltsjahren 2018/2019 sowie im Haushaltsentwurf 2020 insgesamt mehr als 3.000 zusätzliche Stellen in Nordrhein-Westfalen geschaffen wurden,

(Zuruf von der SPD – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Zuhören!

zweitens die von Rot-Grün vorgesehenen 6.000 kw-Vermerke von uns gestrichen wurden, drittens eine Werbekampagne gestartet wurde, um für den Lehrerberuf zu werben und die Attraktivität dieses Berufes zu betonen. Auf der Website zur Kampagne wird schulform- und fachbezogen darauf hingewiesen, wo Lehrkräftebedarf besteht.

(Zuruf von der SPD: Wie viele Lehrer haben Sie denn jetzt?)

– Sie haben Redezeit, machen Sie es nachher.

Viertens. Bisher haben wir – beginnend zum Wintersemester 2018/19 – 419 Bachelorstudienplätze für den Bereich des Lehramtes an Grundschulen geschaffen. Dauerhaft werden zusätzlich – der Kollege Ott wies darauf hin – 300 Studienplätze im Bachelor sowie folgend im Master eingerichtet. Somit hat die NRW-Koalition seit 2017 mehr als 700 neue Studienplätze im Grundschullehramt geschaffen. Meine Damen und Herren, das ist ein Plus von 38 %.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Fünftens. Gleichzeitig wurden bisher 1.157 neue Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte an den Grundschulen ermöglicht. So erhalten die Lehrerinnen und Lehrer eine wichtige Unterstützung, um für die Schülerinnen und Schüler individuell angepasste Lernangebote bereitzustellen. Damit kann zum Beispiel auch die von Herrn Ott angesprochene Sprachförderung weiter intensiviert werden.

Die Würdigung der Arbeit der Grundschulen ist ein wichtiger Bestandteil unserer Schulpolitik. So haben wir beispielsweise die Besoldung von Konrektoren an Grundschulen sofort nach Regierungsübernahme verbessert – eine Maßnahme, die Sie in Ihrer Regierungszeit mal kurz verpennt haben.

Nun zum Thema „Besoldung“: Erinnern Sie sich noch daran, liebe Kollegen von SPD und Grünen, dass Sie den Lehrern 2013/2014 eine Nullrunde verpasst haben? War das Wertschätzung? Wir haben übrigens dagegen geklagt.

Die Gewinnung von neuen Lehrkräften hat für uns Priorität. Durch eine höhere Besoldungsgruppe wird man nicht automatisch den Lehrermangel beheben; das ist eindeutig zu kurz gesprungen. Die Grundvoraussetzung für den Lehrerberuf im Primarbereich muss immer die Begeisterung für junge Schülerinnen und Schüler sein – mit all ihren speziellen Herausforderungen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Das erkennen auch Studierende und wählen aus diesen Gründen einen anderen Weg. Sie nehmen beispielsweise den Sek.-II-Bereich. Ich selbst war Lehrerin aus Leidenschaft – an der Grundschule. Auch meine Tochter, die an einer Grundschule als Lehrerin tätig ist, hat sich ganz bewusst für diesen Weg – trotz A12 – entschieden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Erfreulich ist, dass 350 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Sekundarstufe-II-Bereich im laufenden Schuljahr das Angebot angenommen haben, für weitere zwei Jahre an der Grundschule zu arbeiten. Mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz, das wir heute einbringen werden, wird die laufbahnrechtliche Voraussetzung, dass diese Lehrkräfte dauerhaft an einer Grundschule unterrichten dürfen, gegeben sein. Auch diese Zahl ist ein Resultat der Maßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften an unseren Grundschulen.

Um den zusätzlichen kurzfristigen Personalbedarf an Grundschulen schnell zu befriedigen, wurden nach Übernahme der Regierungsverantwortung knapp 670 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger gewonnen. Die Zahl der erfahrenen Pensionäre im Schuldienst stieg um 400 in den letzten zwei Jahren auf jetzt 810 Personen.

Die Lehrergewinnung und die Lehrerreaktivierung ermöglichen eine schnelle Hilfe, deren Notwendigkeit uns Rot-Grün eingebrockt hat, weil Sie nicht vorausschauend gearbeitet haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie versuchen mit dieser Aktuellen Stunde von Ihren Versäumnissen abzulenken.

Es ist richtig: Bildung ist teuer. Nur eines ist teurer: keine Bildung. Das wusste auch schon Kennedy. Sie müssen erkennen, dass die NRW-Koalition bereits wichtige Ziele umgesetzt und zahlreiche Projekte angestoßen hat. Wir machen eine Politik nach Maß und Mitte.

Sie dagegen haben überwiegend mit der Brechstange agiert. Ich nenne stellvertretend nur das Thema „Inklusion“. Sie wissen ganz genau, dass der Masterplan Grundschule kurz vor seiner Veröffentlichung steht. Die Ministerin hat es mehrfach erklärt,

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

und trotzdem kommen Sie mit dem Thema an. Er wird Lösungsansätze beinhalten, die zu einer nachhaltigen Stärkung unseres Grundschulsystems beitragen, um die Grundschulen auch für den Weg in die nächsten 100 Jahre zukunftsfest aufzustellen. – Ich danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat nun die Abgeordnete Frau Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Kirstin Korte! Ja, ich freue mich ausdrücklich über jeden Cent, der mehr in den Bildungshaushalt geht. Ich freue mich ausdrücklich über mehr Sozialpädagoginnen in der Schuleingangsphase. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass es eine Perspektive für weitere Studienplätze gerade im Grundschullehramt gibt. Das ist prima.

Aber ich will Ihnen einen Bericht von Radio Hochstift von gestern nicht vorenthalten. Da ist Folgendes zu lesen:

„Die Paderborner Hochschule selbst hat noch keine näheren Informationen …“

über die zusätzlichen Studienplätze.

„NRW-Wissenschaftsministerin Pfeiffer-Poensgen … erklärte auf Nachfrage unseres Reporters, dass neben Paderborn fünf weitere Unis in NRW von ihren Plänen betroffen sind – darunter Bielefeld und Siegen. Weitere Einzelheiten stehen aktuell noch nicht fest. Deshalb wusste auch die Uni Paderborn … noch nichts von der vorgesehenen Aufstockung. In den nächsten Wochen laufen erst weitere Verhandlungen über die Verteilung der Plätze und die Finanzierung.“

Das ist die Realität.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist gut, dass Sie 115 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Aber die Hochschulen wissen noch von gar nichts, und in einer Pressemitteilung wird gesagt, das sei schon alles mit den Hochschulen vereinbart. Seriös und verlässlich geht anders!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will deutlich sagen, dass die letzte Sondervereinbarung zur Frage der Lehrämter 2015/2016 von der rot-grünen Landesregierung geschlossen worden ist. Es gibt immer noch keine Darlegung der Sondervereinbarung und jetzt das erste Mal Mittel. Offensichtlich sind die bisherigen Studienplatzkapazitäten von den Hochschulen bereitgestellt worden, aber es gibt keine Finanzierung dazu. – So viel zur Realität im Land und dazu, wie das Ganze unterfüttert ist.

Lassen Sie mich jetzt zu dem „Dortmunder Denkzettel“ und der Veranstaltung kommen. Die Frage ist: Was muss nun neben der Langfristoption für die Studienplätze passieren? Wer am Dienstag bei der Übergabe des „Dortmunder Denkzettels“ mit den Forderungen des Grundschulverbands und der GEW dabei war, der musste sich wundern, wie dünnhäutig die Ministerin reagierte.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ach!)

Diese Dünnhäutigkeit korrespondierte aber mit dem, was die Ministerin den Grundschullehrkräften mitgebracht hatte. Das war nämlich auch dünn. Weltbeste Bildung ist versprochen, aber es gibt leider für die Grundschulen nur weltbeste Vertröstung. Und wenn es nicht um das Gymnasium geht, bleibt Yvonne Gebauer die Ankündigungsministerin.

(Zuruf von der CDU: Ah!)

– Entschuldigung. Kennen Sie das? Das ist der Schweigefuchs aus der Grundschule.

(Bodo Löttgen [CDU]: Was ist das denn? – Die Rednerin zeigt mit den Fingern den Schweigefuchs.)

Bitte halten Sie sich da auch mal zurück. Das wäre gut.

Beim Gymnasium wurden schnell mal 500 Millionen Euro lockergemacht.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Dann hat uns die Ministerin erklärt, das Maßnahmenpaket „Masterplan Grundschule“ komme jetzt endlich, das hätte noch mal vom Sommer in den Herbst geschoben werden müssen. Aber diese Darstellung ist auch geschönt.

Schon vor 15 Monaten kündigte Ministerin Gebauer in den Mitteilungsblättern des iwd vollmundig an, dass der Masterplan im Herbst kommt. Das war im letzten Jahr. Dann kündigte der Ministerpräsident im Dezember an, er käme Anfang des Jahres 2019. Da kam er nicht. Er kam nicht im Frühjahr, er kam nicht im Sommer, er kam nicht im Herbst. Jetzt gibt es vielleicht eine Bescherung vor Weihnachten – wollen wir mal schauen – oder auch nicht.

Die Grundschulen haben sehr deutlich gemacht, was sie nicht brauchen, nämlich einen Masterplan, der erst mal meint, er müsste sie durchpflügen. In den Grundschulen muss nicht aufgeräumt werden. Sie brauchen nicht noch mehr Handreichungen. Sie wollen keinen Eingriff in ihre pädagogische Freiheit, sondern sie benötigen die notwendige materielle Unterstützung und Wertschätzung

(Beifall von den GRÜNEN)

und ein wertschätzendes Herzstück, Frau Kollegin Korte. Das ist mehr als nette Worte zu Beginn einer Rede. Das ist die A13-Besoldung. Die ist verdient, die muss kommen,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

und zwar jetzt für alle in einem verbindlichen Stufenplan. Sie, die regierungstragenden Fraktionen, werden im Haushalt Gelegenheit haben, diesen verbindlichen Stufenplan auf den Weg zu bringen. Dann müssen Sie endlich Farbe bekennen.

Jedenfalls war die Ministerin wieder einmal nicht sprechfähig, aber das war ja der stellvertretende Ministerpräsident in der Halbzeit-PK von Schwarz-Gelb, der deutlich offengelassen hat, ob eine Besoldungserhöhung in dieser Legislaturperiode überhaupt noch kommt.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Das ist die Realität von Schwarz-Gelb, und das muss man mal zur Kenntnis nehmen. Daher muss man ganz deutlich sagen: Die Ministerin ist nicht durchsetzungsfähig –

(Lachen von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

beim Finanzminister nicht und offensichtlich bei Ihnen auch nicht, Herr Stamp.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

Denn genau das haben Sie auf Nachfragen der Journalisten gesagt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

In Dortmund erzählte die Ministerin, dass bis jetzt 386 Lehrkräfte mit Sek.-II-Lehramt für die Grundschule gewonnen werden konnten:

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

28 in 2017, 152 in 2018, 206 bislang in 2019. Was sie nicht gesagt hat, ist, dass die ersten 180 schon bald wieder weg sein werden.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Stimmt doch gar nicht!)

Denn die sind gekommen unter der Parole „Wir kommen, um wieder zu gehen.“ Sie bieten ihnen ja keinen zukunftsfähigen Arbeitsplatz. Die haben doch die Besoldung A13 und den Platz am Gymnasium im Umfeld von 35 km sicher.

(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)

Das wissen Sie ganz genau. Auch das belegt: Eine höhere Besoldung ist eine Haltekraft, auch im Grundschullehramt. Negieren Sie das doch nicht!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei müssen die Grundschulen die Qualifikation dieser Kollegen und Kolleginnen stemmen, der Gymnasialkräfte in Warteschleife. Das ist nicht nachhaltig. Die Grundschulen und die Eltern sind wenig begeistert, wenn die Fluktuation im Kollegium mit dieser Maßnahme noch weiter dazugehört.

Es gab Kopfschütteln in der Halle, als die Ministerin dann die Integration als Zukunftsaufgabe bezeichnete.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Das ist nicht wahr!)

Das ist Gegenwart. Das ist eine Gegenwartsaufgabe der Grundschulen. Deshalb brauchen die Grundschulen jetzt den Schub: die Attraktivitätssteigerung, ein Programm zum Aufstocken von Teilzeit. Welche Antworten haben Sie für die Schulen, die mit hohen Zahlen von Seiteneinsteigerinnen den Schulalltag gestalten müssen?

Die Ministerin wurde auch direkt gefragt, ob sie als Nichtpädagogin sich denn wirklich in Schule auskenne, ob sie schon einmal länger an einer Grundschule gewesen sei und dort gearbeitet habe. Das waren die Fragen der Grundschulpädagoginnen.

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

Die Ministerin entgegnete, sie sei in ihrer politischen Tätigkeit auf der Kommunal- und der Landesebene schon – ich habe es wörtlich mitgeschrieben – in unzähligen Schulen gewesen, auch in Grundschulen.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Genau!)

Nun, als Ministerin sind diese Schulbesuche allerdings überschaubar. Ich habe das in einer Kleinen Anfrage jüngst abgefragt.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Also, Frau Beer, wenn Sie weiter nichts haben als solche Bemerkungen!)

In der Übersicht der Termine der Ministerin von Juli 2017 bis Ende September 2019 wurde alles aufgeschlüsselt. Sie haben bei 25 Grundschulen vorbeigeschaut, immerhin. Nun sind aber die Grundschulen mit über 2.700 Einrichtungen die größte Schulform in Nordrhein-Westfalen. Sie waren auch 25-mal in öffentlichen Gymnasien. Aber Sie waren viel häufiger bei Wirtschaftsverbänden unterwegs als in Grundschulen. Ich finde es interessant, welche Bilanzen da nebeneinandergelegt worden sind.

(Zuruf von Frank Müller [SPD)

Kinder brauchen Professionalität. Deshalb ist es dringend geboten, über die Vorbereitungen der begleitenden Qualifizierung nachzudenken. Das werde ich sicherlich im zweiten Redebeitrag weiter ausführen können. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP erteile ich der Abgeordneten Frau Müller-Rech das Wort.

(Zuruf – Frank Müller [SPD]: Herr Staatssekretär, atmen! Sie laufen ganz rot an! Wenn Sie reden wollen, können Sie sich ja wählen lassen!)

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 11. August 2019 feierten die Grundschulen in Deutschland ihren 100. Geburtstag. Ich habe schon damals gratuliert, möchte dies aber heute zum Anlass nehmen, noch einmal zu gratulieren und ein herzliches Dankeschön für den tagtäglichen engagierten Einsatz vorwegzuschicken.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Heute ist der 14. November – das sind drei Monate später –, und wir diskutieren auf Antrag der SPD-Fraktion in dieser Aktuellen Stunde darüber, den Grundschulen ein verspätetes Geburtstagsgeschenk zu machen. Geschätzte Kollegen der SPD-Fraktion, das größte Geschenk haben Sie den Grundschulen schon gemacht, indem Sie nicht mehr regieren!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der CDU: Bravo!)

Wenn wir schon über Geschenke sprechen: Diese Aktuelle Stunde ist kein Geschenk, sondern sie ist eine Farce – destruktiv und nicht zielführend.

Der Antrag der SPD-Fraktion, der das eigene, miserable bildungspolitische Erbe der rot-grünen Vorgängerregierung erstaunlicherweise gut zusammenfasst, bringt keine neuen Erkenntnisse oder Ideen zum Vorschein, sondern er ist nur eine Kapitulation der SPD-Fraktion,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

wenn es um bildungspolitische Fragen geht – ein erneutes Zeugnis der eigenen Ideenlosigkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Geschätzte Kollegen der SPD, es kann doch nicht Ihr Anspruch oder Ihre Vorstellung von Oppositionsarbeit sein, die gleichen Themen

(Zuruf von der SPD)

immer und immer wieder aufzuwärmen und damit in der Essenz nur auf Ihre eigenen Verfehlungen aufmerksam zu machen.

(Zurufe von Norwich Rüße [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Exemplarisch gehe ich auf zwei Themen ein,

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

die Sie in Ihrer Zusammenfassung an Verfehlungen der rot-grünen Vorgängerregierung aufgelistet haben.

Ich beginne mit dem Lehrkräftemangel. Ja, der Lehrkräftemangel ist die zentrale Herausforderung, besonders an den Grundschulen. Sie kritisieren heute, wir unternähmen nicht genug gegen den Lehrermangel. Im gleichen Atemzug üben Sie auch Kritik an zu vielen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern an unseren Grundschulen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Nein, nicht an zu vielen!)

Na klar, den Einsatz von Seiteneinsteigern kann man kritisieren, und jeder im Land

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

würde natürlich lieber grundständig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer einsetzen als Seiteneinsteiger, wenn wir die Wahl hätten und wenn vor allem Sie ausreichend ausgebildet hätten. Dass ausgerechnet die SPD, die heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat, das verschlafen hat, treibt das echt noch einmal auf die Spitze.

Die letzte Lehrerbedarfsprognose wurde von Ihnen 2011 veröffentlicht. Danach kam von der rot-grünen Landesregierung gar nichts mehr. Herr Ott, Sie haben eben von einem „offenen Auge“ gesprochen. Sie haben das nicht gemacht, sondern Sie haben stattdessen die Augen geschlossen. Das, meine Damen und Herren, war einer der schwersten Fehler in der Schulpolitik in der Geschichte unseres Bundeslandes.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die alte Landesregierung war nicht in der Lage, Schülerzahlen zu prognostizieren und daraus die zukünftig benötigten Lehrkräfte abzuleiten. Wenn man heute die Kollegen der SPD-Fraktion damit konfrontiert, zucken sie nur mit den Achseln und berufen sich auf Schweinezyklen, als wäre das etwas Gottgegebenes, etwas Schicksalhaftes, gegen das man nichts ausrichten könnte.

Der Begriff kommt im Übrigen aus der Betriebswirtschaftslehre und bezieht sich auf Produktions- und Absatzmarktprognosen. Im Gegenzug zu den meisten Absatzmärkten ist die Lehrerbedarfsprognose aber eher trivial. Allein aus den Geburtenzahlen können die künftig benötigten Lehrkräfte für die Primar- und Sekundarstufe treffsicher und zuverlässig abgeleitet werden und daraus wiederum die benötigten Studienplätze. – Keine Sorge, das wird jetzt keine Vorlesung zum Thema „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“, aber ich halte es für wichtig, das hier einmal zu sagen, weil das für viele in der SPD-Fraktion offenbar dringend nötig ist.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, es ist hinlänglich bekannt – die Kollegin Kirstin Korte hat es eben auch schon angeführt –, dass etliche Maßnahmen bereits auf den Weg gebracht sind und weitere folgen.

So haben wir unter anderem die Zahl der Studienplätze erhöht – Herr Kollege Ott hat das auch eben wertgeschätzt. Die Studienplätze für Grundschullehramt und Sonderpädagogik werden zum kommenden Sommersemester noch einmal deutlich ausgebaut. Mit den zusätzlichen 300 Studienplätzen für das Grundschullehramt und den 500 Studienplätzen für die Sonderpädagogik setzen wir ein wichtiges Zeichen, das sich nachhaltig auf unsere Schulen auswirken wird.

Um es auf den Punkt zu bringen und der Kritik der SPD-Fraktion ein Ende zu setzen: Die schwarz-gelbe Landesregierung hat seit ihrem Amtsantritt insgesamt über 700 neue Studienplätze im Grundschullehramt geschaffen. Ich wiederhole es noch einmal: Das ist ein Plus von 38 %, das sich sehen lassen kann.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich komme zum zweiten Punkt, den Sie anführen, der Inklusion. Die Inklusion führen Sie in der Zusammenfassung zu Recht als eine der großen Herausforderungen in der Grundschule auf. Ich muss Sie aber auch hier erinnern: Es waren auch Sie zusammen mit Ihrem Koalitionspartner, die die Inklusion mit der Brechstange eingeführt haben. Auf einen Schlag haben Sie Tausende von Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler von heute auf morgen ins kalte Wasser geworfen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aus einem Herzens- und Gewinnerthema für unsere Gesellschaft haben Sie durch schlampige Umsetzung ein Überforderungsthema gemacht und Enttäuschung auf allen Seiten provoziert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das lag vor allem daran, dass Sie Ihre Vorhaben im Hauruckverfahren umsetzen wollten. Dabei haben die berechtigten Zweifel und Anmerkungen der Experten in den entsprechenden Anhörungen Sie offenbar nur gestört. Sie haben dafür im Mai 2017 die Quittung erhalten,

(Josefine Paul [GRÜNE]: November 2019! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und wir arbeiten jetzt jeden Tag daran, dass die Schulen Ihre Fehlentscheidungen nicht mehr ausbaden müssen. Dabei sind wir auf einem sehr, sehr guten Weg.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn wir schon beim Thema Geschenke und Inklusion sind: Ich warte da auch noch immer auf ein Geschenk.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ja!)

Der Kollege Jochen Ott hat mir nämlich schon letztes Jahr für Weihnachten das neue Inklusionskonzept der SPD versprochen. Ich habe es immer noch nicht bekommen.

(Zuruf von der SPD: Vielleicht waren Sie nicht lieb genug!)

Wo ist denn mein Geschenk? Bekomme ich es dieses Jahr zu Weihnachten, oder bleiben Sie da auch hinter Ihren eigenen Versprechungen zurück?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Grundsätzlich möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit betonen, dass wir uns von unserem Weg nicht abbringen lassen

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist das Problem!)

und die Themen, die wir uns vorgenommen haben, weiterhin besonnen und gründlich anpacken und umsetzen werden. Außerdem setzen wir bei unserer politischen Vorgehensweise weiterhin auf Gründlichkeit statt auf Schnelligkeit und auf einen ganzheitlichen Ansatz. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Herr Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der SPD kreisen seit zwei Jahren immer um dieselben Themen: die Gleichheit bei der Lehrerbesoldung, die Erweiterung und Konzeptualisierung von Schulsozialarbeit, den Ganztag sowie den Lehrermangel.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau!)

In allen drei Bereichen hätte die Vorgängerregierung – also unter SPD-Führung – ihre Arbeit machen müssen; denn der Lehrermangel ist zum Beispiel wohl die Folge einer langfristig falschen Personalpolitik.

(Zuruf: Falsch!)

Die eigentlichen Ursachen des schlechten Abschneidens von Schülern aus NRW bei den zentralen Lernstandserhebungen sprechen die SPD-Anträge allerdings nie an. Es ist aber offensichtlich auch gar nicht die Absicht der SPD-Anträge, in der Schule etwas zu verbessern. Die eigentliche Absicht linker Schulpolitik besteht in dem Weitertreiben ihrer bisherigen Agenda, nämlich der Zerstörung traditioneller Bildungsstrukturen.

(Zurufe: Oh!)

Wirft man dann noch einen Blick auf den im Antrag erwähnten „Dortmunder Denkzettel“, wird das noch einmal sehr deutlich. In der Pressemitteilung zum „Dortmunder Denkzettel“ redet man wieder mit den gleichen Schlagworten wie vor 40 Jahren: Chancengleichheit herstellen, Schulen des Gemeinsamen Lernens stärken.

Oder im Zusammenhang mit dem Jubiläum der Gesamtschule heißt es dann – Zitat –:

„50 Jahre Gesamtschule NRW – Schluss mit der Benachteiligung der Gesamtschulen in NRW! Von der unsinnigen Vielfalt der Schulformen zur Schule der Vielfalt!“

Auch hier eine uralte ideologische Forderung linker Schulpolitik, die traditionell mit Freiheit und Ungleichheit nichts anfangen kann, sondern im Unterschied sofort die Diskriminierung vermutet. Die Linksideologen fordern die Vielfalt, aber sie dulden lediglich die Einfalt.

Die Klage einer Grundschulrektorin über die unhaltbare Arbeitsbelastung von Grundschullehrkräften wegen kindgerechter Gestaltung des Ganztags, der Entwicklung einer inklusiven Schule, des besonderen Unterstützungsbedarfs geflüchteter Kinder und einer umfassenden Sprachbildung nimmt man nicht etwa zum Anlass, diesen Zustand als Folge der eigenen verfehlten Schulpolitik anzuerkennen. Nein, man sieht sich nicht etwa als Verursacher dieser Misere, sondern man erstellt daraus die Forderung, eine Besoldungsanpassung vorzunehmen und damit die Unterschiede der Lehrämter aufzuheben. Das ist der einzige Grund, den Sie haben.

Es sind traditionelle Strukturen, die Linksideologen stets bekämpfen, auch wenn diese sich bewährt haben. Bedeutete früher der Begriff Reform eine Sache, die zu entgleiten drohte, wieder in ihre ursprüngliche Form zu bringen – Luther als großes Beispiel, der die Kirche reformieren wollte –, sie also zu befreien von allem zerstörerischen Beiwerk, das mit der Zeit die eigentliche Struktur deformiert hat, so verlegt sich der Reformbegriff der Gegenwart vordergründig auf das Neue und vor allem auf die angebliche Zukunft. Wenn Linksideologen diesen Begriff verwenden, dann meinen sie als Stoßrichtung ihrer Reformvorhaben die Destabilisierung institutioneller Rahmenbedingungen, gleichgültig wie recht und schlecht sie auch immer funktioniert haben.

Dass also nach den meisten Bildungsreformen die daran Beteiligten oder die davon Betroffenen stets den Eindruck haben – sofern ihr Urteilsvermögen nicht ganz getrübt ist –, nun einem Chaos ausgesetzt zu sein, in dem sinnvolle Arbeit immer schwieriger wird, indiziert die eigentliche Absicht: Das vorgeschobene Reformziel ist nicht das, was mit den Reformen erreicht werden soll. Vielmehr soll grundsätzlich der Abbau sinnvoller Strukturen erreicht werden.

So offenbart die Klage der Grundschulrektorin genau das, was ich gerade beschrieben habe. Die Beseitigung des AO-SF-Verfahrens in der Grundschule und das Verbot, Kinder mit besonderem Förderbedarf an Förderschulen abzugeben, war zum Beispiel solch eine Strukturreform, die für Chaos an den Schulen gesorgt hat.

Man überlegt jetzt natürlich nicht, dieses Chaos zu beseitigen. Richtige Linksideologen bestechen dann vielmehr die so Geschädigten mit Geld.

Sie glauben also wirklich, meine sehr verehrten Kollegen der SPD, es würden sich mehr Personen dafür entscheiden, Grundschullehrer zu werden, wenn die Besoldung angehoben würde? Glauben Sie mir, es wären nur wenige, welche sich deshalb auf den Lehrerberuf an den Grundschulen einließen. Denn 65,5 % der durch den Verband Bildung und Erziehung befragten Lehrkräfte fühlen sich gerade von der Aufgabe, inklusiven Unterricht zu leisten, herausgefordert oder überfordert.

Aber auch das Gerechtigkeitsproblem ist damit nicht beseitigt. Über die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder von Lehrkräften an unterschiedlichen Schulformen haben wir hier bereits mehrfach gesprochen. International gesehen liegen die Lehrergehälter in Deutschland nicht schlecht. Im Jahre 2018 betrug der Durchschnitt der monatlichen Bruttolöhne bzw. Bruttogehälter je Arbeitnehmer in Deutschland 2.948 Euro, der Nettoverdienst je Arbeitnehmer etwa 1.945 Euro. Wenn wir uns das durchschnittliche Jahresgehalt in US-Dollar von Lehrern in Europa anschauen, belegt Deutschland beispielsweise nach einer OECD-Studie – allerdings aus dem Jahr 2006 – mit rund 51.500 Euro Jahresgehalt die Spitzenposition.

Gerechtigkeit wird also nicht erzeugt. Die Arbeit wird auch nicht attraktiver. Aber man hat endlich wieder eine bewährte Struktur zerstört und die sinnvolle Unterscheidung der Lehrkräfte nach ihren Tätigkeitsfeldern eliminiert.

Nun zeigt sich, dass die Zerstörung der althergebrachten Strukturen der Lehrerausbildung im Rahmen des Bologna-Prozesses eine der größten Sünden war, die bildungspolitisch begangen werden konnten, wie der Bologna-Prozess überhaupt. Daran allerdings haben alle hier sitzenden Parteien mitgewirkt – außer der AfD.

(Zuruf von der SPD: Oi!)

Die Auflösung der Pädagogischen Hochschulen und die Aufstellung neuer Hürden für den Abschluss eines Grundschullehrerexamens ist neben der Arbeitsbelastung ein wichtiger Grund, dass wir unter solch einem großen Lehrermangel zu leiden haben. Herr Ott hat gerade darauf hingewiesen, wie viele Studentinnen und Studenten wir im Laufe des Studiums für Grundschullehrer und Grundschullehrerinnen verlieren. Ich hatte schon mehrfach darauf hingewiesen: Dieser Zwang zu der Kombination Deutsch/Mathematik und dazu noch Hürden in das Mathematikstudium einzubauen, die für manche nicht überwindbar sind, ist ein ganz maßgeblicher Grund dafür, dass das Studium von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern bei einigen leider Gottes nicht gelingt.

Das sind aber nur die Rahmenstrukturen, die man geändert hat.

Mindestens gleich wichtig sind die Zerstörungen, die bei den Unterrichts- und Erziehungsstrukturen angerichtet worden sind. Zu denen werde ich gleich noch etwas ausführen. Die Ausweitung des offenen Unterrichts, wie sie jetzt immer noch wieder gefordert wird, ist ein Hauptübel, das dazu beiträgt, dass die Lernerfolge eben nicht so sind, wie wir uns das wünschen.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun die Ministerin Frau Gebauer.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn kurz zu der Überschrift dieser Aktuellen Stunde: „Keine Geschenke der Schulministerin zum 100. Geburtstag der Grundschulen“ etwas sagen.

Das Wohl der Grundschulen darf nicht von einmaligen Geschenken zu besonderen Anlässen abhängen, sondern muss durch verlässliche Unterstützungsstrukturen gewährleistet werden, die im Dialog mit den Beteiligten erarbeitet werden müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Genau das tut diese Landesregierung. Wer mich kennt und meine Arbeit verfolgt, der weiß, dass mir die Grundschulen ganz besonders am Herzen liegen, auch wenn die Opposition etwas anderes behauptet. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass in der Grundschule das Fundament gelegt wird, nämlich das Fundament für eine erfolgreiche Bildungskarriere unserer jungen Menschen.

Für diese erfolgreiche Bildungskarriere sind unsere Grundschullehrerinnen und -lehrer tagtäglich im Einsatz. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, leisten sie gestern, heute, aber auch morgen mehr als sie leisten müssten und als sie leisten können.

Unsere Aufgabe ist es, sie tagtäglich bei dieser herausragenden Leistung zu unterstützen. An dieser Unterstützung arbeite ich mit Hochdruck zusammen mit meinem Ministerium und unterschiedlichen Bildungspartnern. Wie das genau aussieht, würde ich Ihnen gern einmal darlegen.

Ich habe die Beiträge der Opposition sehr aufmerksam verfolgt und kann mich an der einen oder anderen Stelle nur wundern. Ich wundere mich darüber, dass sich die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen heute als Robin Hood der Grundschulen aufspielen, obwohl sie die Hilfeschreie der wahrlich gebeutelten Grundschullehrerinnen und -lehrer über Jahre sehr wohl vernommen haben – ja, das haben sie –, aber erstens in ihrer Regierungsverantwortung nicht aus der Deckung gekommen sind und zweitens überhaupt nicht verantwortungsvoll gehandelt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich das am Beispiel der Studienplätze darlegen. Sie haben es zugelassen, meine Damen und Herren von Rot-Grün, dass im vergangenen Jahrzehnt zwei von drei Bewerberinnen und Bewerbern für das Grundschullehramt von den Universitäten abgelehnt wurden, weil mit den Hochschulen keine Absprachen über neue Studienplätze erfolgt sind.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Diese Absprachen wären jedoch dringend geboten gewesen, um Studienplätze, die bereits vor Jahren zwingend notwendig waren, einzurichten. Das Ergebnis Ihrer Politik war, dass man mitunter leichter einen Medizinstudienplatz bekommen hat als einen Grundschullehramtsstudienplatz. Das ist rot-grüne Bildungspolitik des vergangenen Jahrzehnts.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Neben den fehlenden Studienplätzen gibt es aber auch noch andere Gründe, zum Beispiel die gestiegene Geburtenrate und die Pensionierungswelle. Die Zahlen hierzu finden ihren Niederschlag in einer Statistik, auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen, und können jederzeit abgefragt werden.

Meine grüne Amtsvorgängerin war aber leider nicht an Zahlen, Daten und Fakten interessiert. Sie war eher an einer gefühlten Realität interessiert, wie sie es auch selbst einmal zum Ausdruck gebracht hat. Mit einer gefühlten Realität kann man als Ministerin jedoch weder eine vernünftige noch eine langfristig angelegte geschweige denn eine proaktive Personalplanung betreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ein Schulsystem mit 6.000 Schulen, 200.000 Lehrkräften und 2,5 Millionen Schülerinnen und Schülern kann man nicht mit Gefühl voranbringen. Gefühl und Empathie sind wichtig, auch in der Bildungspolitik, aber wir brauchen hier harte Zahlen, mit denen wir verlässlich arbeiten können. Mithilfe dieser harten Zahlen haben wir jetzt entschlossen gehandelt und eine Kabinettsvorlage entwickelt, um weitere Studienplätze einzurichten.

Diese Fahrlässigkeit, diese Nachlässigkeit und das damit verbundene Fehlverhalten von Rot-Grün in der Vergangenheit hat zu dem heutigen, eklatanten Missverhältnis zwischen den vorhandenen Stellen an den Grundschulen und den nicht vorhandenen Köpfen für das Grundschullehramt geführt. Das ist das Ergebnis siebenjähriger rot-grüner Personalpolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Lieber Herr Ott, Sie haben die Schulpauschale angesprochen und gesagt – ich habe sehr aufmerksam zugehört –, dass Sie diese Erhöhung der Schulpauschale, die wir vorgenommen haben, als Standard ansähen.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch kommunales Geld! Das hilft doch gar nichts! Das ist doch lächerlich! Was ist denn das für ein Beitrag! – Weitere Zurufe von der SPD)

Dann frage ich mich, warum Sie diesen Standard sieben Jahre lang nicht umgesetzt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben eine Schulpauschale vorgefunden, die sieben Jahre nicht erhöht worden ist. Sie müssen mir doch einmal erklären, wie sich das verhält.

(Jochen Ott [SPD]: Das Geld der Kommunen wird einfach umgeswitcht! Das kann man doch nicht als Erfolg verkaufen!)

Zum Abschluss dieser ersten Runde möchte ich noch ein paar nackte Zahlen nennen. Wir haben kurzfristige und langfristige Maßnahmen ergriffen, um die Situation an den Grundschulen für unsere Lehrkräfte zu verbessern.

Die langfristigen Maßnahmen haben wir bereits genannt, unter anderem die große Zahl der Erhöhung der Studienplätze für das Grundschullehramt.

Wir haben aber auch die Zahl der sozialpädagogischen Fachkräfte an den Grundschulen innerhalb von zwei Jahren fast verdreifacht, nämlich von 593 auf 1.750 Stellen. Auch das ist eine Unterstützung für die Grundschullehrkräfte in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Außerdem haben wir die fast 7.000 Stellen, die von Rot-Grün noch mit einem kw-Vermerk, einem Kann-wegfallen-Vermerk, im Haushalt versehen waren, jetzt im Haushalt gesichert. Sie stehen den Schulen somit auch weiterhin zur Verfügung.

Darüber hinaus haben wir die Hinzuverdienstgrenze, die ursprünglich Ende dieses Jahres auslaufen sollte, verlängert, um entsprechende Anreize für die Lehrkräfte zu schaffen.

Des Weiteren haben wir die Besoldung der stellvertretenden Schulleitungen an Grundschulen – das wurde bereits erwähnt –, die von Rot-Grün bei der Anhebung der Gehälter für Schulleiter schlicht und ergreifend vergessen wurden, mit dem Haushalt 2018 ebenfalls direkt angehoben. Auch das hat zu einer deutlichen Verbesserung der Besetzungsquote an den Grundschulen geführt.

Über die weiteren Maßnahmen werde ich in der zweiten Runde berichten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Voigt-Küppers das Wort.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Frau Ministerin, auch Sie waren am Dienstag in Dortmund und mussten sich der Auseinandersetzung mit den Lehrerinnen und Lehrern stellen. Allen, die nicht an dieser Konferenz bzw. Geburtstagsfeier teilgenommen haben, bei der die Lehrerinnen und Lehrer erklärten, ihnen sei gar nicht zum Feiern zumute, möchte ich zunächst die Stimmung schildern. Wenn ich das getan habe, möchte ich Ihnen sagen, warum wir nicht von Geschenken sprechen.

Lehrerinnen und Lehrer erzählten, welch schwierige Bedingungen sie täglich in den Schulen vorfänden, um die wir auch wissen: große Klassen, zum Teil größer als im Schulgesetz vorgesehen, eine große Heterogenität, Sprachdefizite, Kinder, die keinen Griffel halten können, Kinder, die kein Frühstück in die Schule mitbringen, Kinder, die sich nicht konzentrieren können – all das müssen sie neben der eigentlichen Vermittlung von Unterrichtsstoff täglich stemmen.

Diese Lehrerinnen und Lehrer haben sehr wohl sehr deutlich davon gesprochen, dass sie Wertschätzung unsererseits vermissen. Sie machten auch sehr deutlich, wie sie sich diese Wertschätzung vorstellen würden. Diese Wertschätzung stellen sie sich nicht als warme Worte und Dankesgesten vor, vielmehr sagten diese Lehrerinnen und Lehrer sehr, sehr deutlich: Wir haben diesen Beruf aus Idealismus ergriffen, weil wir mit Kindern arbeiten wollen und weil wir Kinder für die Zukunft bilden wollen. Aber wir wollen diesem Idealismus nicht noch eigene Geschenke hinterhertragen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wertschätzung bedeutet für uns, dass Lehrer, die die gleiche Aufgabe haben, genau die gleiche Wertschätzung in Mark und Pfennig bekommen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich glaube, warme Worte unsererseits sind zurzeit, und das schon länger, nicht mehr angebracht.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Im Übrigen wird das doch auch von Ihnen, Frau Ministerin, anerkannt; auch von Kolleginnen der CDU/CSU wird es anerkannt. Ich will berichten von einer Versammlung des VBE in der StädteRegion Aachen. Da hat der Städteregionsrat, ein CDU-Mitglied, sehr deutlich gesagt: Es ist endlich Zeit, dass wir A13 bekommen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da hat der FDP-Kollege Dr. Pfeil sehr deutlich gesagt: Es ist endlich Zeit, dass wir A13 bekommen.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Ich bin froh, dass wir in der StädteRegion mit einer Stimme reden und sagen: Wertschätzung bedeutet auch gleiche Bezahlung von gleicher Arbeit.

(Beifall von der SPD)

Deshalb ist es Zeit, dass das endlich umgesetzt wird.

Darüber hinaus will ich Folgendes sagen: Ich habe das Gefühl, dass wir immer, wenn wir Schuldebatten führen, gleich verteilte Rollen in diesen Debatten einnehmen. CDU und FDP sagen: Wir machen ja schon so wunderbar viel. – Wir sagen: Es könnte noch mehr sein.

Ich glaube, Frau Ministerin, wir tun uns alle keinen Gefallen, wenn wir dieses Spiel zum wiederholten Mal und zum anscheinend nicht enden wollenden Mal weiter betreiben und sich vor Ort nichts ändert.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich habe Sie bei der letzten Debatte schon gefragt, Frau Ministerin: Wie oft wollen Sie die Fehler, die wir eingestanden haben – wir haben hier mehrfach „Mea culpa, mea maxima culpa“ gesagt –,

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

noch als Entschuldigung benutzen? Wir haben in dieser Woche die Halbzeitbilanz gehabt, und ich denke, eine halbe Legislaturperiode, die wir Ihnen zur Verfügung gestellt haben, ist genügend Zeit,

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Genauso ist das!)

um endlich die Situation vor Ort, die anerkanntermaßen schlecht ist, zu ändern. Und es ist auch Zeit, endlich Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall von der SPD – Marc Herter [SPD]: So ist es!)

Unseren Anteil der Verantwortung haben wir übernommen. Wir haben gesagt: Wir machen eine Revision unserer Regierungszeit. Und wir haben gesagt: Ja, es ist ein Teil unsere Schuld und zum Teil haben die Bedingungen sich geändert.

Wir könnten hier noch mal auf die Schülerzahlen eingehen, aber ich denke, auch das ist eine Diskussion, die wir nicht zum 120. Mal führen müssen.

Wir haben gesagt: An den Schulen herrscht eine Situation, die wir nicht von einer Seite und auf einen Schlag ändern können, sondern wir müssen ein Konzept schulpolitischer Maßnahmen haben, die zur Qualität an den Schulen beitragen.

Dazu haben wir Ihnen nicht nur einmal, sondern häufiger die Hand gereicht. Beim letzten Mal habe ich mir von Frau Müller-Rech in Form eines Zwischenrufs auch noch folgende Äußerung gefallen lassen müssen: Wie oft wollen Sie denn noch kommen und sich anbieten? Wir kennen Ihre Konzepte, wir wollen davon gar nichts wissen.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das ist der Vorwurf von unserer Seite. Sie wollen unsere Hilfsangebote und unsere Maßnahmen nicht zur Kenntnis nehmen und schon gar nicht umsetzen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Ich will Ihnen sagen, warum Sie sie nicht umsetzen wollen: Das kostet Geld. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, wir haben zwei Gesetzentwürfe vorgelegt. Zur gleichen Bezahlung für gleich ausgebildete Lehrer sagt die Ministerin: wunderbar. – Der Finanzminister sagt: Kommt jetzt nicht, machen wir später.

Wir haben Ihnen vorgeschlagen, einen Ganztagsgipfel durchzuführen. Anerkanntermaßen ist bei allen Erziehungswissenschaftlern klar, dass, wenn wir Chancengleichheit verbessern wollen, ein guter Ganztag notwendig ist. Ich bin stolz darauf, dass wir die alte Vokabel „Chancengleichheit“ noch kennen

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

und dass wir uns dazu bekennen, diese Chancengleichheit umsetzen zu wollen. Bei der Einberufung des Ganztagsgipfels hat die Ministerin gesagt: Brauche ich nicht, ich brauche Ihren Rat nicht, ich brauche auch Ihre Konzepte nicht, ich rede mit den Verbänden. – Ende der Diskussion.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Wir haben ebenso vorgeschlagen, dass wir uns an einen Tisch setzen und ein neues Konzept für Ganztagsschulen machen. Es ist nicht auf unserem Mist gewachsen, dass wir dieses Konzept brauchen, vielmehr drängen alle Wohlfahrtsverbände fast täglich darauf. Wir brauchen ein Konzept, das in ganz Nordrhein-Westfalen, von der Eifel bis Paderborn, gleich ist.

Es ist unmöglich, dass es Kinder gibt, die einen Ganztag haben, der sie Gott sei Dank betreut, und dass es andere Kinder gibt, die mannigfaltige Bildungsangebote im Ganztag haben. Die Wohlfahrtsverbände sagen uns an dieser Stelle: Guter Ganztag darf keine Glückssache sein. – Und ich sage an dieser Stelle: Zukunft darf nicht von der Herkunft abhängen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Einen weiteren Punkt will ich anführen: Wenn wir uns damit auseinandersetzen, wie wir die Situation in den Griff kriegen können, wird von der Regierungsseite immer entgegnet: Wir haben Mehrausgaben, in diesem Haushalt werden es 6,5 % sein; wir haben mehr Stellen geschaffen. – Da kann ich Ihnen zum wiederholten Mal diesen alten Satz zitieren: Stellen sind keine Köpfe, und Stellen unterrichten nicht.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Bewiesenermaßen haben wir immer wieder erfahren, dass die Stellen nicht besetzt worden sind. Auch dazu gibt es einen Antrag von uns: Kapitalisierung der Lehrerstellen, das Geld den Schulen zur Verfügung stellen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Frau Kollegin.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Auch diesen Antrag haben Sie liegenlassen.

Ich will abschließend sagen: Schade, dass ich nicht länger reden kann,

(Zurufe von der CDU: Oooh!)

ich könnte Ihnen noch eine ganze Menge anderer Initiativen, die wir eingebracht haben, vorstellen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Summa summarum sage ich: Sie wollen keine gemeinsamen Initiativen zur Verbesserung der Situation unseren Grundschulen. Ich finde es schade, weil die Kinder in diesem Land darunter leiden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Voigt-Küppers. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Vogt.

Petra Vogt (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte am heutigen Morgen hat gezeigt, dass es unsinnig ist, zum jetzigen Zeitpunkt diese Diskussion zu führen, anstatt auf den Masterplan zu warten und dann anhand von Fakten zu diskutieren.

Aber wenn Sie das gerne möchten, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün, können wir gerne noch einmal auf die Ursachen der schwierigen Situation unserer Grundschulen eingehen.

Vorab möchte ich aber eine kleine Anmerkung zur Rede von Frau Voigt-Küppers machen, die ich mir wirklich nicht verkneifen kann. Frau Voigt-Küppers, haben Sie bitte Verständnis dafür, auch wenn Sie als SPD sich noch so viel Mühe mit Ihren schulpolitischen Konzepten machen: Wir möchten sie nicht übernehmen; wir möchten nämlich auch die nächste Landtagswahl gewinnen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Dito! – Jochen Ott [SPD]: Dafür braucht man aber ein Konzept!)

Dass der Masterplan Grundschule erst so spät kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt mit Sicherheit nicht an der aktuellen Landesregierung, sondern an Rot und Grün.

Sie haben offenkundig während Ihrer Regierungszeit im Grundschulbereich nur wenige Probleme gesehen. Lehrermangel hat Sie nicht interessiert. Eine Lehrerbedarfsprognose haben Sie schlicht und ergreifend nicht erstellt. Unterrichtsausfall hat Sie auch nicht interessiert; den wollten Sie nicht erheben.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ist auch nicht besser geworden!)

Als wir vehement darauf gepocht haben, den Unterrichtsausfall zu erheben, sind Sie uns im Ausschuss mit einem Gutachten gekommen, das uns erklärt hat: Eigentlich hat Unterrichtsausfall auf den Bildungserfolg keinen Einfluss, wird überbewertet und ist nicht so wichtig.

Wir dachten: Das kann doch nicht die Lösung sein. Wir machen die Augen zu, ignorieren die Probleme, und alles wird gut.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Wir brauchen die Zukunft, nicht die Vergangenheit!)

Ich habe im Schulausschuss Ihre Ministerin Löhrmann gefragt, was sie gegen den Lehrermangel insbesondere in den strukturschwachen Regionen zu unternehmen gedenkt. Daraufhin hat sie mit den Schultern gezuckt und gesagt: Im Zweifel müssen wir mit Abordnungen arbeiten.

Wie kann man auf so eine Idee kommen, wenn man gar nicht weiß, dass auch an den anderen Schulen in Nordrhein-Westfalen ein dramatischer Lehrermangel herrscht? Das ist ein Totalversagen Ihrer Politik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hätten Sie Ihre Hausaufgaben gemacht, hätte man rechtzeitig gegensteuern können. Das ist aber nicht erfolgt. Nun beklagen Sie lautstark die Misere, die Sie selbst zu verantworten haben. Dabei wissen Sie doch ganz genau, wie lange die Lehrerausbildung dauert. Das geht nicht in zwei Jahren und auch nicht in vier oder fünf Jahren, und das wissen Sie. Wir können Ihre Fehler nicht von heute auf Morgen beheben.

Welche Kraftanstrengungen diese Landesregierung unternimmt, um unseren Kindern den Unterricht zukommen zu lassen, der ihnen zusteht, haben meine Vorrednerrinnen bereits deutlich gemacht.

(Jochen Ott [SPD]: Na ja!)

Für die Zukunft investiert die NRW-Koalition seit Beginn dieser Legislaturperiode in 700 neu geschaffene und dauerhaft eingerichtete Studienplätze im Grundschullehramt; das wurde schon erwähnt. Warum haben Sie das nicht gemacht? Wenn Sie das gemacht hätten, wären wir heute deutlich weiter.

Diese Frage haben wir uns als CDU-Fraktion bereits in der vergangenen Legislaturperiode mehr als deutlich gestellt. So haben wir als CDU-Fraktion im Jahr 2016 einen Antrag eingebracht, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, einen Masterplan Grundschule vorzulegen, da wir damals die Probleme im wichtigen Bereich der Grundschulen deutlich gesehen haben und gegensteuern wollten. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin eine Forderung aus unserem damaligen Antrag:

„Der ‚Masterplan Grundschule‘ muss auch die Lehrerversorgung im Blick haben. Die Landesregierung sollte daher mit den Universitäten in einen Dialog treten, damit entsprechend der Prognosen zur Entwicklung der Schülerzahlen und der anstehenden Pensionierungen auch entsprechende Studienkapazitäten für den Primarbereich vorgehalten werden können.“

(Jochen Ott [SPD]: Warum habt ihr das 2017 nicht direkt umgesetzt?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wissen Sie noch, was Sie damals mit unserem Antrag gemacht haben? – Sie haben ihn abgelehnt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben keine Notwendigkeit gesehen, sich um die Grundschulen zu kümmern, und werfen uns heute dreist Untätigkeit vor. Das ist einfach nur schäbig, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Statt die Grundschulen zu stärken, haben Sie sie unvorbereitet, ohne die notwendigen Ressourcen und ohne jegliche Qualitätsstandards in den inklusiven Unterricht geschickt mit dem Ergebnis, dass viele Kinder nicht die ihnen zustehende Förderung erhalten haben und viele Lehrerinnen und Lehrer an dieser Aufgabe, für die sie nicht ausgebildet waren, verzweifelt sind.

(Jochen Ott [SPD]: Thema verfehlt!)

Das, sehr geehrte Damen und Herren, hat in hohem Maße zur Arbeitsüberlastung der Beteiligten geführt, was diesen eigentlich wunderschönen Beruf für viele unattraktiv gemacht hat. Das müssen wir heute einmal so deutlich sagen.

Ich kann Ihnen noch die Brandbriefe, die ich damals aus der Grundschule bekommen habe, zeigen, wonach sich die Lehrer alleingelassen gefühlt haben: 29 Kinder in einer Klasse. Es gab mehrere Kinder, bei denen der Förderbedarf gar nicht mehr festgestellt wurde und die Lehrerin ohne jegliche sonderpädagogische Expertise sagt: Wie soll ich da noch das machen, was eigentlich meine Aufgabe ist, nämlich die Grundlagen für Bildungserfolg zu legen?

Das machen wir heute wieder: Konzentration auf Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Vorbereitung auf das künftige Leben. – Das haben Sie völlig vernachlässigt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das wissen Sie auch ganz genau. Deswegen ist die heutige Aktuelle Stunde so unverschämt.

Das Chaos, das Sie aus ideologischen Gründen im Schulbereich angezettelt haben, hat für Sie eine Konsequenz gehabt. Ich sage ganz klar: Es hatte nur ein Gutes, nämlich dass Sie dafür abgewählt worden sind. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde FDP und CDU einen Edding schenken, denn dann können Sie auf Ihren Spiegel schreiben: „Wir regieren“, damit man das jeden Morgen sieht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Wie wäre es mit einem Spiegel für Sie, damit Sie mal sehen, was Sie gemacht haben?)

Herr Hovenjürgen, Herr Löttgen, ich will es einmal für alle Zeiten sagen: Wir als Grüne haben einen sehr intensiven Prozess durchlaufen, der im Sommer in einen LDK-Beschluss, einen Parteitagsbeschluss eingeflossen ist. Lesen Sie das noch mal durch. Das habe ich jetzt schon mehrfach angeführt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hätten Sie mal Ihre Arbeit zu Regierungszeiten gemacht!)

Darauf wollen wir keine Minute verschwenden; das ist nämlich überhaupt nicht der Kern. Herr Löttgen war es, der, wie auch der Kollege Kaiser, im Wahlkampf überall auf jedem Podium versprochen hat: A13 kommt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Löttgen als Fraktionsvorsitzender hat das beim VBE wiederholt.

(Jochen Ott [SPD]: Der kann sich aber nicht mehr erinnern! – Bodo Löttgen [CDU]: Ihr schafft es ja nicht mal, richtig zu zitieren!)

Das Versprechen ist gebrochen, um das deutlich zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit der Halbzeitbilanz ist das ans Tageslicht gekommen. Sie denken offensichtlich gar nicht mehr daran.

Jetzt wollen wir uns einmal den Fakten widmen, wie intensiv die Grundschule – auch bei der Schulministerin – wirklich im Fokus steht. Inklusion war bisher kein Thema für die Grundschulen. Es muss deutlich gesagt werden: Die Diskussion hat sich auf die Sek I beschränkt.

(Jochen Ott [SPD]: Richtig!)

Man mag zu den Talentschulen stehen, wie man will: Dabei hatten die Grundschulen auch keine Chance hineinzukommen. Grundschulen im Fokus – wie sieht es denn damit eigentlich aus?

Sie haben offensichtlich vergessen – oder Sie waren noch nicht hier; Frau Vogt jedenfalls war schon hier –, dass wir bei den Schulleitungen der Grundschulen angefangen hatten zu entlasten.

Wir haben gemeinsam mit der CDU – Amnesie, Frau Vogt? – dafür gesorgt, dass die kleinen Grundschulstandorte erhalten geblieben sind und die Klassenfrequenzrichtwerte bei der Grundschule auf unter 23 abgesenkt wurden. Das ist genau der Punkt, den wir gemeinsam umgesetzt haben.

Auch die Klassenfrequenzrichtzahl bei den kleinen Grundschulen, um die Lehrerversorgung besser handeln zu können, haben wir mit Ihnen gemeinsam angepasst.

Das alles ist perdu, ist aus dem Gedächtnis irgendwie verloren gegangen. Wir werden ab und zu noch davon erzählen.

Wir haben für die Grundschullehrkräfte die Qualifikation VOBASOF auf den Weg gebracht, damit sie auf A13 kommen und zusätzlich sonderpädagogische Qualifikationen entwickeln konnten – vergessen.

Wir haben die Schulleitungsentlastung zuerst in den Grundschulen angesetzt – vergessen.

Aber das ist nicht mein Punkt. Ich stimme Ihnen zu: Da hätte noch mehr kommen müssen, gar keine Frage.

Aber was machen Sie denn zurzeit? Sie sitzen es aus. Sie sitzen auch die Frage nach A13 aus. Das ist ein Vertrauensbruch,

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

und genau das brauchen die Grundschulen in diesem Land nicht.

Unterhalten wir uns darüber, was wir denn eigentlich brauchen. Die Schulministerin wird damit konfrontiert, dass in Ostwestfalen keine Lehrerstellen mehr ausgebracht worden sind. Es sind der Bezirksregierung keine Stellen zugebilligt worden.

Von dort kommen jetzt die Beschwerdebriefe der Kolleginnen, die fragen, warum sie keine Stelle bekommen. Es reicht nicht zu sagen „Wir wollen aber, dass die Stellen im Ruhrgebiet besetzt sind“, weil die nur darauf warten müssen, dass eine Vertretungsstelle frei wird. So macht man keine Steuerung. Das zieht so nicht, aber frustriert zusätzlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Warum haben wir damals Ihren Antrag auf einen Masterplan Grundschule nicht mitgetragen? Weil auch da die Substanz und die konkreten Maßnahmen gefehlt haben, weil Sie sich um die Frage A13 herumgedrückt haben. Bis heute machen Sie das.

(Petra Vogt [CDU]: Unsinn!)

Es kommt nichts dazu; das ist doch ganz deutlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Petra Vogt [CDU]: Was für ein Schwachsinn!)

Die inhaltlichen Dinge haben Sie, Frau Vogt, gar nicht unterfüttert. Wie positionieren Sie sich denn zu der Frage, wie wir mit der Qualitätsanalyse umgehen sollen? Das ist doch unfair gegenüber den Grundschulen, die in so hoher Zahl mit Seiteneinsteigerinnen arbeiten müssen.

Da müssen wir uns doch gemeinsam etwas einfallen lassen: Wie sieht es denn damit aus? Wie kann man das in direkte Unterstützung umsetzen? Was ist mit einem Programm, das Teilzeitkräfte dafür gewinnt, Stunden aufzustocken? Legen Sie doch mal konkrete Maßnahmen vor. Da kommt von Ihnen nichts, nichts, nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zwei Jahre Vertröstung in Bezug auf diesen Masterplan und nichts Konkretes, was Sie in die Landschaft bringen. Das hat die Stimmung auf dem Grundschultag von GEW und Grundschulverband ausgemacht.

Auch beim VBE ist es nicht anders. Im Oktober 2018 ist allen schulpolitischen Sprecherinnen die Broschüre mit der Mahnung überreicht worden: Das sind die Dinge, die jetzt dran sind und die umgesetzt werden müssen. – Davon ist leider nichts passiert.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Sigrid Beer (GRÜNE): So ist die Situation bis zum heutigen Tage, und das ist traurig für die Grundschulen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Kollege Seifen das Wort.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogt, ich stimme Ihnen in allem vorbehaltlos zu,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Darauf wäre ich stolz!)

möchte aber daran erinnern, dass schon zu Zeiten des Staatssekretärs Winands und der Schulministerin Sommer Inklusion eingeleitet worden ist, allerdings nicht mit dieser Brachialgewalt, wie wir sie ab 2010 erlebt haben.

Damit komme ich auch gleich zu dem entscheidenden Punkt: Die Herausforderungen an den Grundschulen in der heutigen Zeit sind vor allem bestimmt von dieser Form der totalen Inklusion durch Rot-Grün und jetzt natürlich auch von der Integration sehr vieler Kinder ohne hinreichende Deutschkenntnisse.

(Karl Schultheis [SPD]: Die haben Sie auch hier!)

– Ja. – Immer wieder muss man darauf hinweisen, dass diese Situation die Kolleginnen und Kollegen überfordert, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Frau Vogt eine Reihe von Brandbriefen bekam. Selbst in der „WN“ konnte man im Jahr 2014 die Hilferufe der Grundschullehrer veröffentlicht lesen. Aber seitdem schweigt alles wieder darüber.

Hinzu kommt, dass die Inklusion mit einer Situation zusammenfiel, die in besonderer Weise ungünstig war, nämlich mit der Demontage des Lehrers als Erzieher und Autoritätsperson. Nach den Vorstellungen einiger Bildungsforscher soll er ja nur noch Moderator sein. Erziehungsmaßnahmen wurden immer mehr zurückgefahren, Sanktionierungen nach den Vorstellungen einiger Pädagogen als kontraproduktiv verbannt.

Das Ergebnis kann man leider heute feststellen: Im Jahr 2018 sind an den NRW-Schulen 283 Lehrer Opfer von Körperverletzungen geworden. Zu Schulbeginn nach den Sommerferien wurde ein Schulleiter aus Duisburg von einem Vierzehnjährigen geschlagen und schwer verletzt. Die Gewalt unter den Schülerinnen und Schülern ist leider Gottes an einigen Schulen sehr groß.

Noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Schulleiter in NRW im vergangenen Jahr in einer Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung angab, es habe an ihrer Schule in den zurückliegenden fünf Jahren Fälle von psychischer Gewalt gegeben: Es wird geschimpft, bedroht, beleidigt, belästigt und nicht zuletzt zugeschlagen.

Wann begreifen Sie endlich, dass jungen Tätern zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenzen gezeigt werden? Das klappt nämlich wunderbar, und man muss keinen großen Aufwand betreiben, wenn man sofort und konsequent einschreitet.

(Beifall von der AfD)

Nehmen Sie die Signale endlich wahr. 70,1 % der Lehrkräfte betrachtet die hohe psychische Belastung als die größte Herausforderung ihres Berufs – und nicht das geringe Gehalt. Dieses Ergebnis einer Umfrage steht in einer neuen Veröffentlichung des Verbandes der Bildungswirtschaft.

Das ist auch kein Wunder, denn ihr besonderes Gewicht erhalten diese speziellen Herausforderungen doch dadurch, dass sie mit den untauglichen Unterrichtsformen des offenen Unterrichts bewältigt werden sollen.

Zwei Jahrzehnte lang haben Sie den Eltern suggeriert, Schule sei ein Spaßraum, quasi ein ständiger Kindergeburtstag, von dem die Kinder immer glückselig nach Hause kommen müssten.

Die Propagierung dieser infantilen Wohlfühlpädagogik gerade von Linksideologen auf bestimmten pädagogischen Lehrstühlen hat die Arbeit der Lehrkräfte ungemein erschwert.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Unter anderem sind auch diese offenen Unterrichtsformen verantwortlich für das schlechte Abschneiden von NRW-Schülern bei den verschiedenen Tests.

Die Berliner Erziehungswissenschaftlerin Sabine Gruehn nennt folgende Bedingungen für gelingenden Unterricht – Frau Beer, hören Sie jetzt mal zu; da können Sie noch etwas lernen –:

(Angela Lück [SPD]: Unverschämt!)

–   eine effiziente Klassenführung, die sich durch hohe Disziplin und geringe Zeitverschwendung auszeichnet,

–   geringer Leistungsdruck,

–   niedriges Interaktionstempo,

–   ein in sich schlüssiger Gedankengang mit stufigem Erkenntnisfortschritt,

–   eher geringe Mitbestimmungsmöglichkeit der Schüler,

–   ein relativ geringer Individualisierungsgrad des Unterrichts und der Aufgaben,

–   klar verständlicher Gedankengang und dessen Sicherung,

–   individuelle Bezugsnormenorientierung des Lehrers,

–   positive Schülerorientierung und

–   sozialdiagnostische Kompetenz des Lehrers.

Das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat eine Studie mit dem Namen „Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter“ erstellt. Darin ist ausdrücklich festgehalten – ich zitiere :

In den Positivklassen wird eine deutlich geringere Schülerpartizipation und ein geringerer Individualisierungsgrad wahrgenommen als in den Negativklassen. Es wird weniger Zeit vergeudet für nichtfachliche Aktivitäten, was mit einer höheren Disziplin einhergeht. Der Unterricht ist weniger sprunghaft und klarer strukturiert. Trotzdem sind die Schüler mit ihren Lehrerinnen bzw. Lehrern insgesamt wesentlich zufriedener. Zitatende.

Dieser Unterrichtsführung bedürfen besonders diejenigen Schülerinnen und Schüler, die zu Hause oder in ihrem sonstigen Umfeld nicht gelernt haben, sich strukturiert und diszipliniert einer Aufgabe zuzuwenden.

Die Tatsache, dass diese Form des offenen Unterrichts, der für viele Schüler geeignet ist, die aus geordneten Verhältnissen kommen, in einer Zeit praktiziert wird, in der wir Inklusion sowie Schüler und Schülerinnen aus Kulturen, die diesen Schulunterricht nicht gewohnt sind, haben, verschlimmert das Ganze noch.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Helmut Seifen*) (AfD): Ich bitte Sie und auch die Ministerin, dringend an dieser Stellschraube zu drehen und innerschulisch zu einer Reform – einer wirklichen Reform – zu kommen, die den Namen auch verdient. Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Seifen. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Beer, ich habe mal gelernt: Wer schreit, hat nicht grundsätzlich recht.

(Heiterkeit von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Ich blicke mal in die Vergangenheit: Vor ziemlich genau zweieinhalb Jahren gab es eine Studie des VBE zur Situation der Grundschulen hier bei uns in Nordrhein-Westfalen. Diese war folgendermaßen übertitelt: Die Grundschule ist das Stiefkind der rot-grünen Landesregierung. – Und das bei einer Studie, die vom VBE in Auftrag gegeben worden ist und am 1. Juni veröffentlicht wurde.

Diese Studie hatte gravierende Mängel zum Inhalt, nämlich: weniger Lehrerinnen und Lehrer als nach dem Stellenschlüssel vorgesehen, keine personellen Reserven, häufiger Unterrichtsausfall und flächendeckend unbesetzte Leitungsstellen.

Die Schulen wiesen darauf hin, dass unter diesen Rahmenbedingungen eine individuelle Förderung der Schüler, die Umsetzung der Inklusion und die Beschulung von Flüchtlingskindern verantwortungsvoll nicht möglich sei.

Die Lehrkräfte schilderten damals in der Umfrage, dass sie sich von der Landesregierung schamlos ausgenutzt und abgehängt fühlten.

Meine Damen und Herren, das war der Zustand vor zweieinhalb Jahren.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Vor zweieinhalb Jahren!)

So viel zum Thema „wir sprechen davon, wie sich Grundschullehrkräfte heutzutage fühlen“.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Frau Voigt-Küppers, Sie sprachen davon, ich solle Ihre Fehler, die Sie damals unter Rot-Grün gemacht haben, nicht als Entschuldigung nutzen. Nein, ich nutze sie nicht als Entschuldigung. Vielmehr muss ich aufgrund Ihrer Fehler handeln; das ist meine tägliche Arbeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Das tue ich. Der Aufgabe stelle ich mich als Ministerin.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

In diesem Zusammenhang wundert mich der heutige Schulterschluss der Fraktion der SPD mit den Grünen. Ich kann mich nämlich noch an ein Zitat von Herrn Kutschaty erinnern, der vor ganz kurzer Zeit in Sachen Schulpolitik gesagt hat:

„Wir haben auch Fehler gemacht, indem wir den Grünen damals zu viel Raum eingeräumt haben. Das wird uns nicht noch einmal passieren.“

Hört, hört! Das wundert mich am heutigen Tage dann doch.

(Zuruf von Frank Müller [SPD] Unruhe)

Lassen Sie mich noch eins sagen: Unser Blick, mein Blick richtet sich nicht vorwurfsvoll nach hinten. Er beschränkt sich auch nicht auf die Kritik an rot-grüner Vergangenheit. Aber, weil das heute mehrfach angeklungen ist:

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Die Glaubwürdigkeit rot-grüner Aussagen hier und heute, im Jahr 2019, hat auch etwas mit Ihren Taten in der Zeit von 2010 bis 2017 zu tun.

(Beifall von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Das ist der Grund, weswegen wir, weswegen ich als Mitglied der Landesregierung die Zusammenarbeit in der Bildungspolitik mit Rot-Grün scheue.

Auf eine Maßnahme möchte ich noch eingehen, weil Frau Beer sie angesprochen hat, und zwar die Möglichkeit, dass Lehrkräfte, die das Lehramt für eine Oberstufe besitzen, auch an einer Grundschule unterrichten dürfen.

Der aktuelle Stand hat sich noch einmal seit dem vergangenen Dienstag, über den heute schon so viel gesprochen worden ist, verbessert; da waren es 386 Stellen. Heute kann ich vermelden: 391 Stellen. Ich kann noch einmal sagen, dass ich sehr erfreut bin über die permanent steigende Zahl.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die Hälfte ist bald wieder weg!)

391 Stellen konnten hier mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden. Das sind Stellen, die ohne diese Maßnahmen leergelaufen wären; das muss man einmal ganz deutlich sagen.

(Zuruf von der SPD)

Wir schaffen jetzt – ich bin schon einmal von Ihnen darauf angesprochen worden, liebe Frau Beer – mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz, das heute welch Zufall ins Parlament eingebracht wird, die Möglichkeit des Verbleibs der Lehrkräfte an den Grundschulen. Es wundert mich schon, dass Sie als verantwortungsvolle Bildungspolitikerin anscheinend nicht wussten, dass es diese Möglichkeit jetzt im 15. Schulrechtsänderungsgesetz gibt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Darüber reden wir heute!)

Ich kann Ihnen auch sagen, dass ich sehr erfreut darüber bin, dass bereits eine Vielzahl von diesen Lehrkräften an den Grundschulen mit einer Sek-II-Befähigung angekündigt hat, davon im kommenden Jahr auch erstmalig Gebrauch zu machen.

Ich kann Ihnen auch versichern: Meine Arbeit, die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses ist damit noch lange nicht getan. Die Versäumnisse der Vorgängerregierung sind massiv und gravierend. Somit haben wir alle Hände voll zu tun, gerade für die Grundschulen weitere spürbare Erleichterungen zu schaffen sowohl personell als auch sachlich und fachlich. Dazu wird auch der Masterplan entsprechend Auskunft geben.

Eine Schlussbemerkung sei mir noch erlaubt, weil ich dachte, dass die demokratischen Fraktionen hier im Hause sich darauf verständigt, sich darauf geeinigt hätten, dass wir unsere Schulen generell nicht mit dem Begriff „Brennpunktschulen“ stigmatisieren wollen:

Dass Sie, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, diesen Begriff nun offiziell in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde verwenden, wundert und betrübt mich auch.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen möchte ich meine Bitte heute noch einmal äußern: Lassen Sie uns bei allen Unterschieden, die wir haben, bitte das gemeinsame Ziel verfolgen, dass es hier um Schulen in Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen geht und dass wir sie durch Begrifflichkeiten wie „Brennpunktschulen“ nicht an den Pranger stellen. Darum werbe und bitte ich heute noch einmal ganz eindringlich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Ott jetzt das Wort.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich: Zweieinhalb Jahre regiert diese Regierung, und Sie schreiben und reden heute die ganze Zeit über die Vergangenheit. Keine Idee, kein Konzept für die Zukunft. Das ist einer Regierung unwürdig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin es ja auch gewohnt, Frau Vogt, Frau Korte: Sie können auch kloppen und ganz tolle Begriffe wählen. Ich habe einen breiten Rücken, ich kann das alles aushalten. Mir persönlich ist das egal. Arbeiten Sie sich an mir ab; soll so sein.

Das Problem, das Sie verstehen müssen, ist, dass die Menschen da draußen das nicht mehr hören können. Denen ist völlig egal, wenn wir hier stundenlang Schuldzuweisungen von uns geben. Das interessiert sie nicht. Sie sehen ein Problem, und ihr löst es nicht. Das ist das Problem der Menschen in diesem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Kirstin Korte [CDU])

Deshalb müsst ihr den Ernst der Lage erkennen. Ich habe deshalb ganz bewusst eben in meiner Rede keine Beschimpfungen vorgenommen. Ich habe ganz bewusst über meine Erfahrung von dem Dienstag gesprochen.

Ich persönlich hätte den Begriff „Masterplan“ gar nicht als negativ empfunden. Demgegenüber sagen aber 500 anwesende Lehrerinnen und Lehrer: Wir empfinden das als eine Zumutung.

Wenn sie sogar die Vorschläge zur Rechtschreibempfehlung vor dem Hintergrund ihrer Arbeit als Unverschämtheit des Ministeriums beziehungsweise des Parlaments wahrnehmen, müssen wir das als politisches System zur Kenntnis nehmen. Die Leute haben es über, wollen Antworten und keine gegenseitigen Schuldzuweisungen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb will ich mich aber trotzdem an dieser Stelle noch einmal an die AfD wenden: Wenn die AfD hier zum wiederholten Male über das Thema spricht, von der „totalen Inklusion“, dann sage ich Ihnen: Unser Bekenntnis gilt den Menschenrechten und der Chance, dass jeder Mensch in seinem Leben was machen kann. Solche alten Kampfbegriffe lehnen wir entschieden ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin stolz darauf, jeden Tag an einer Gesellschaft mitzuarbeiten – bei allen Rückschlägen –, die die Menschen nicht aus religiösen, nicht aus Herkunftsgründen, nicht aus Gründen ihres Geschlechtes und ihres Glaubens aussortiert oder wegpackt. Das sind Ihre Antworten; für die stehen wir nicht.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Das ist erbarmungslos!)

Über Menschenrechte lasse ich nicht mehr mit mir diskutieren; das ist eine Errungenschaft über Jahrhunderte.

Wir müssen über Folgendes reden: Diese Demokratie in der Bundesrepublik, die Zusammenhalt und Aufstieg, Leistung und Anerkennung von Leistung als Erfolgsrezept nach 1945 hatte, diese Gesellschaft, diese deutsche Demokratie, dieses Versprechen müssen wir wieder in unsere Herzen nehmen. Dazu gehört die Schulpolitik.

Deshalb will ich nur einen Punkt herausgreifen, nämlich die Grundschulen in Brennpunkten oder Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen. Frau Gebauer, ich finde, es ist schwierig, hier als Fraktionen Krokodilstränen zu vergießen, die monatelang über No-go-Areas gesprochen und damit ganze Stadtteile abqualifiziert haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Uns das vorzuwerfen, ist schon dreist.

Um es mit aller Klarheit zu sagen: Wenn es denn so ist, dass Sie die Regierung stellen, dann handeln Sie. Dann schlagen Sie konkrete Lösungen vor.

Wenn in Schulen in Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen besonders wenig Lehrer unterrichten, der Lehrermangel besonders groß ist, und in Stadtteilen, in denen besonders viele gut verdienende Menschen leben, besonders viele Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, muss diese Landesregierung handeln, weil es um die Zukunft unseres Landes geht, und zwar nicht nur humanistisch, sondern auch ökonomisch. Da muss man handeln.

Wenn Sie dann am Dienstag der versammelten Gemeinde erzählen, wir hätten in Nordrhein-Westfalen nur 10 % Quereinsteiger – in Berlin sind es 61 % –, dann müssen Sie sich entscheiden: War das in der Vergangenheit alles schlecht, oder war es vielleicht an manchen Stellen auch gar nicht so schlecht? Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass wir Quereinsteiger nicht wollen, Frau Müller-Rech.

Wir wissen doch, dass es sieben Jahre dauert, bis die neuen Studierenden, die viel zu wenig sind, an die Schulen als ausgebildete Lehrkräfte kommen.

Wir brauchen jetzt eine berufsbegleitende Qualifizierung. Wir brauchen jetzt eine Idee, wie wir mit multiprofessionellen Teams dort entlasten können, wo die Lehrer schlicht ihre Arbeitszeit und Kompetenz nutzen müssen, um Kindern etwas beizubringen.

Das müssen wir jetzt angehen. Da fehlt von Ihnen jeder Impuls. Das reicht einfach nicht. Das ist einfach zu wenig.

Weil wir wissen, dass das eine große Herausforderung ist, sage ich Ihnen hier zum Schluss noch eines. Sie werden auch noch ein Jahr sagen können: Es gab mal sieben schlechte Jahre. – Aber irgendwann wird die Frage kommen: Was habt ihr denn getan? – Sich dann immer noch auf die Vorgängerregierung zu konzentrieren, das löst die Probleme nicht. Die Menschen sind das satt.

Deshalb lassen Sie uns an diesen Stellen, die wirklich eine Katastrophe sind, wie wir sehen, wenn wir weiterdenken, nämlich an das, was da in drei, vier Jahren auf uns zukommt, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Jochen Ott (SPD): … zum Wohl der Menschen und vor allen Dingen der Kinder in diesem Land zusammenarbeiten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1, der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf:

2   Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes in Nordrhein-Westfalen – Einführung einer paritätischen Aufstellung der Wahllisten mit Frauen und Männern

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7753

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin für eine der beiden antragstellenden Fraktionen ist Frau Kollegin Kopp-Herr.

Regina Kopp-Herr (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Zurzeit findet anlässlich des 100. Geburtstags der Arbeiterwohlfahrt eine Ausstellung in der Bürgerhalle des Landtags statt, die einen Rückblick in die Geschichte der AWO in den vergangenen 100 Jahren zeigt. Viele von uns sind ja gestern Abend auch auf Einladung der AWO NRW beim Parlamentarischen Abend gewesen.

Diese Ausstellung wäre unvollständig ohne Marie Juchacz, die AWO-Gründerin, und Frieda Nadig, die sich Zeit ihres Lebens in der AWO engagiert und für sie gearbeitet hat.

Beide Frauen sind darüber hinaus untrennbar mit der Geschichte der Gleichberechtigung und der Sozialdemokratie verbunden.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Marie Juchacz hat gemeinsam mit vielen anderen Frauen aus unterschiedlichen Verbänden für das Frauenwahlrecht gekämpft.

1919 wurde sie mit weiteren 36 Frauen in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Dort sprach sie als erste gewählte Frau am 19. Februar. Sie sagte sinngemäß, dass die deutschen Frauen der Regierung im althergebrachten Sinne nicht Dank schuldig sind, sondern dass das, was die Regierung getan habe, eine Selbstverständlichkeit gewesen sei.

Sie hat den Frauen das gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden war: das Frauenwahlrecht.

(Beifall von der SPD)

Frieda Nadig war 30 Jahre später Mitglied des Parlamentarischen Rates, der aus 61 stimmberechtigten Männern und vier stimmberechtigten Frauen bestand. Gemeinsam haben sich diese vier Frauen für den Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes starkgemacht und einen großen parlamentarischen Widerstand organisiert, als die Männer den Artikel wachsweicher formulieren wollten. Die Frauen waren erfolgreich, wie wir heute wissen.

Doch trotz der Errungenschaft des Frauenwahlrechts und des Grundrechts der Gleichberechtigung, das 1994 im Zuge der Wiedervereinigung um den Satz „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ erweitert wurde, ist der Frauenanteil in unserem Parlament, dem Landtag Nordrhein-Westfalen, nie über 31 % hinausgekommen. Diese 31 % bedeuteten in der Legislaturperiode von 2000 bis 2005 in absoluten Zahlen 72 weibliche und 159 männliche Abgeordnete. Das spiegelt den Frauenanteil in der Bevölkerung nicht wider. Ganz im Gegenteil! Der Anteil von Frauen im Landtag Nordrhein-Westfalen hat 2005 die 30 % nicht mehr überschritten – und das mehr als 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und 70 Jahre nach Erlass des Grundgesetzes.

Blicken wir in die Fraktionen dieses Hohen Hauses, ist der Frauenanteil sehr unterschiedlich. Auch in meiner Fraktion ist da noch Luft nach oben. Das will ich selbstkritisch anmerken.

Um das deutlich zu verändern, legen wir gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer paritätischen Aufstellung von Wahllisten vor. Denn ohne eine Gesetzesinitiative wird eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Landespolitik nicht erreicht werden. Schließlich zählt an dieser Stelle nicht nur der Wählerinnenwille, sondern auch die Kandidierendenaufstellung der Landeslisten der Parteien.

Frankreich hat übrigens so den Frauenanteil von unter 25 % in nur wenigen Jahren auf über 40 % anheben können. Das ist ein gutes Beispiel. Wir sollten es Frankreich hier in NRW nachtun.

Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir das politische Engagement und den Blick von Frauen und Männern brauchen. Das bereichert die politische Arbeit, fördert darüber hinaus auch die Identifikation und zeigt gute Auswirkungen auf die Landespolitik.

Unser Gesetzesvorhaben verpflichtet uns darüber hinaus, in unseren Parteien dafür Sorge zu tragen, Frauen für Politik und Mandat zu gewinnen, damit Landeslisten in allen Parteien paritätisch besetzt werden können.

Wir sollten uns gemeinsam anstrengen, das mehrere Jahrzehnte alte Zitat von Elisabeth Selbert zu widerlegen. Sie hatte nämlich festgestellt:

„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“

Wir sollten auf die Erfahrungen von Frieda Nadig setzen, die feststellte:

„Im Parlamentarischen Rat ist die deutsche Frau zahlenmäßig viel zu gering vertreten. Das Grundgesetz muss aber den Willen der Staatsbürger, die überwiegend Frauen sind, widerspiegeln.“

Sehr geehrte Damen und Herren, was Frauen erreichen können, wenn sie sich zusammentun, um für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen, habe ich am Beispiel der Formulierung des Art. 3 Grundgesetz benannt. Wir wissen um eine breite Unterstützung für unser Vorhaben bei Gewerkschaften und unterschiedlichsten Frauenverbänden. Das sollten wir wertschätzen und annehmen.

Ich will hinzufügen: Solche Gesetzesvorhaben lassen sich immer nur gemeinsam von Männern und Frauen umsetzen. Auch wenn Frauen vielleicht den Anstoß zu solchen Initiativen geben, ist es immer eine gemeinsame Umsetzung. Das war bei 100 Jahre Frauenwahlrecht und 70 Jahre Grundgesetz so und ist jetzt bei der paritätischen Besetzung von Landeslisten nicht anders.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine gemeinsame weitere Beratung in den Ausschüssen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Kopp-Herr. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor mehr als 100 Jahren haben mutige Frauen das Wahlrecht endlich erstritten, endlich durchgesetzt.

Die schon erwähnte Marie Juchacz kommentierte das in ihrer ersten Rede im Reichstag wie folgt:

„Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“

Leider fasst das die Situation 100 Jahre später auch noch ziemlich gut zusammen. Blicken wir jetzt, 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, denn auf eine absolute Gleichstellung politischer Erfolgsgeschichte zurück? Ich glaube, davon kann auch im Jahr 2019 leider keine Rede sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In den ersten Wahlen unter Beteiligung von Frauen am 19. Januar 1919 gaben rund 82 % der Frauen ihre Stimme ab. 37 Frauen – das waren ungefähr 8 % – wurden dann auch in den Reichstag gewählt.

Die Frage nach der gleichstellungspolitischen Erfolgsgeschichte beantwortet sich relativ gut, wenn man sich anschaut, wie sich der Anteil der Frauen in Parlamenten entwickelt hat. Bis in die 80er-Jahre hinein waren es nämlich immer nur ungefähr diese 8 % oder 9 % – mit dem negativen Highlight, dass im 7. Deutschen Bundestag die Frauen quasi fast die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hätten; denn ihr Anteil betrug nur 5,8 %.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Geschichte der Gleichberechtigung – das wurde auch in der Vorrede von Frau Kopp-Herr deutlich – ist kein Selbstläufer. Selbst längst sicher geglaubte Erfolge müssen immer wieder verteidigt und immer wieder neu erstritten werden.

Nicht zuletzt die vier Mütter des Grundgesetzes mussten die Erfahrung machen, dass einmal in der Weimarer Republik Erkämpftes bei der Aufsetzung des Grundgesetzes bei Weitem keine Selbstverständlichkeit war. Es kostete sie sehr viel Kraft und sehr viel Durchsetzungsstärke, um überhaupt und ohne Wenn und Aber die Gleichberechtigung im Grundgesetz zu verankern.

Vor 25 Jahren wurde der Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz dann durch einen weiteren wegweisenden Satz ergänzt:

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Wenn man sich den Anteil der Frauen im Landtag Nordrhein-Westfalen ansieht, der bei unter 28 % liegt und leider nach den letzten Landtagswahlen noch einmal gesunken ist, muss man sagen: Von tatsächlicher Durchsetzung und von Beseitigung bestehender Nachteile kann doch nicht ernsthaft die Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es reicht aber auch nicht, dies in Jubiläumsreden zu 100 Jahren Frauenwahlrecht, zu 70 Jahren Grundgesetz oder zu 25 Jahren Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 um Satz 2 zu bedauern.

Wir brauchen endlich wieder die mutigen Frauen und auch die mutigen Männer, die dafür streiten, dass wir jetzt endlich gesetzliche Rahmenbedingungen bekommen, die tatsächlich auch die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen ermöglichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ursula von der Leyen hat einmal im Zusammenhang mit der Frage der Unterrepräsentanz von Frauen in Wirtschaftsgremien gesagt, dass es sich bei allem, was unterhalb von gesetzlichen Quotenregelungen ist, nur um weiße Salbe handeln würde.

Aber ich finde, sehr geehrte Damen und Herren, dass Frauen mehr verdienen als politische Placebos und Jubiläumsreden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb legen wir heute ein Paritätsgesetz vor, damit der bestehende Widerspruch aufgelöst wird. Denn das ist doch das entscheidende Problem. Wir haben nach wie vor einen Widerspruch zwischen formaler, auch durch die Verfassung garantierter Gleichheit und heute immer noch vorhandener materieller Ungleichheit von Frauen und Männern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen, um diesen Widerspruch endlich zugunsten tatsächlicher gleichberechtigter Teilhabe aufzulösen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 verpflichtet den Staat, Maßnahmen zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu ergreifen. Das unterscheidet ihn im Übrigen auch von anderen Verfassungsgrundsätzen; denn hier wird der Staat explizit aufgefordert, etwas zu tun. Regina Kopp-Herr hat es gerade schon angesprochen. Tut er dies nicht, könnte man mit Elisabeth Selbert sagen, dass die Unterrepräsentanz von Frauen dann ja wohl Verfassungsbruch in Permanenz ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ja, Paritätsgesetze sind juristisches Neuland. Deshalb sind sie juristisch umstritten – um schon einmal zu antizipieren, welche Argumente gleich vorgetragen werden. Ja, wir haben in Deutschland nur zwei Paritätsgesetze, und zwar in Brandenburg und in Thüringen, und es liegt noch keine abschließende Beurteilung durch ein Verfassungsgericht vor. Es ist aber bei allen juristischen Neuerungen so, dass es vorher keine Sicherheit darüber gibt; denn nur Verfassungsgerichte können am Ende des Tages entscheiden, ob etwas verfassungskonform oder auch nicht verfassungskonform ist.

Nimmt man sich aber die Verfassung dieses Landes, das Grundgesetz und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 zu Herzen und schaut es sich ganz genau an, dann kann man aus meiner Sicht zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, dass Paritätsgesetze verfassungskonform sind, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ja, Frauen sehen sich auch immer mit Vorurteilen konfrontiert. Das haben die Frauen leider während ihres gesamten Kampfes für ihre Gleichberechtigung immer wieder mit auf den Weg bekommen. Ein gängiges Vorurteil ist jetzt auch: Wenn wir eine Quotenregelung einführen, dann kommen ja lauter ungeeignete Frauen ins Parlament. – Das würde unterstellen, dass erstens Frauen selber schuld daran sind, dass sie unterrepräsentiert sind, und dass zweitens Frauen offenbar zu schlecht sind. Denn sonst wären ja nicht nur knapp 28 % der Abgeordneten in diesem Hause weiblich. Wenn sich Frauen nur ein bisschen mehr anstrengen würden, dann würden sie es vielleicht auch in die Parlamente schaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren, das verschleiert offensichtliche strukturelle Benachteiligung, die in diesem Land leider auch 2019 immer noch Realität ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Klar ist auch, dass eine Quote noch keine Gleichberechtigung macht. Aber 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, 70 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes und 25 Jahre nach Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 müssen wir doch feststellen, dass eines klar ist: Keine Quote macht erst recht keine Gleichberechtigung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Erwin.

Angela Erwin (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann beklagen, dass zu wenige Frauen in politischen Mandaten sind. Man kann auch beklagen, dass zu wenige DAX-Vorstände von Frauen besetzt sind. Man kann beklagen, dass Frauen eher seltener Führungsaufgaben in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft übernehmen.

Die Gleichberechtigung von Frau und Mann – das gilt für die Politik wie auch für alle anderen gesellschaftlichen Ebenen – ist kein ideologischer Trend, der eines Tages wieder vorübergeht. Die Förderung der Gleichberechtigung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle zu stellen haben.

Bereits im Grundgesetz – wir haben es schon gehört – ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verankert. In Art. 3 Abs. 2 Satz 2 heißt es nämlich:

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Das Grundgesetz spricht von einer „Beseitigung bestehender Nachteile“. Genau darüber ist der politische Diskurs zu führen: über die Beseitigung von strukturellen Nachteilen – aber dies bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, sachlich, fachlich und vor allem ganzheitlich.

Sicherlich ist der gleichberechtigte Zugang von Männern und Frauen zu politischen Ämtern nicht unerheblich für die Akzeptanz unseres demokratischen Systems. Denn notwendiges Vertrauen in politische Prozesse kann nur bestehen, wenn sich die Bevölkerung von ihren Volksvertretern angemessen repräsentiert fühlt.

Doch wie sieht es in der Realität aus? Wie sieht es hier im Landtag aus? Wir haben es eben schon gehört: Lediglich 27 % aller Abgeordneten im Landtag sind Frauen. Insgesamt stagniert der Anteil der Frauen seit dem Beginn des Jahrhunderts bei rund 30 %.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, Frau Kollegin Erwin, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Kopp-Herr würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Angela Erwin (CDU): Ja, das kann sie gerne machen.

Regina Kopp-Herr (SPD): Danke schön, Frau Präsidentin. – Danke schön, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben gerade gesagt, die Auseinandersetzung sollten wir – ich habe Ihre Originalworte nicht mehr genau im Ohr – fachlich, fair und im Ton angemessen führen. Wo genau sind wir nicht fair gewesen? Wo genau sind wir nicht fachlich in der Auseinandersetzung um die paritätische Besetzung der Listen gewesen? Das möchte ich gerne wissen.

Angela Erwin (CDU): Ich kann es noch einmal wiederholen. Ich habe gesagt, dass wir die Diskussion sachlich, fachlich und vor allem ganzheitlich führen sollten. Ich habe nichts von fair oder unfair gesagt.

Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, warum ich denke, dass wir verschiedene Aspekte berücksichtigen müssen, um eine ganzheitliche und vor allem fachliche und auch juristische Diskussion führen müssen. Dazu später in meiner Rede mehr.

Einen grundlegend höheren Frauenanteil herbeizuführen, sollte daher bereits aus politischen Gründen im Interesse von uns allen, im Interesse aller Parteien sein. Für mich liegt jedoch angesichts dieser Zahlen auch die Annahme eines strukturellen Nachteils für Frauen durchaus nahe.

Hüten sollten wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vor einem falschen Verständnis unserer Demokratie und des freien Mandats. Unser Parlament ist nämlich gerade keine Ständeversammlung. Eine Gleichberechtigung meint natürlich nicht, dass jede Wählerin oder jeder Wähler ausschließlich und am besten durch Angehörige der eigenen sozialen Gruppe repräsentiert werden kann. Nicht die paritätische Gleichheit im Wahlergebnis, sondern der gleichberechtigte Zugang zur Kandidatur ist nach unserer Verfassung entscheidend.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf soll strukturelle Nachteile für Frauen mit einer Geschlechterquote bei der Aufstellung von Kandidatenlisten beseitigen. Dies stellt – das verschweigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, auch gar nicht – einen tiefen Eingriff in elementare Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar.

(Beifall von Alexander Langguth [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Weil das so ist, ist es für mich umso unverständlicher, dass Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs die rechtlichen Argumente der wohl überwiegenden und teils prominenten Mehrheit der juristischen Literatur völlig ignorieren. Im Übrigen sind es sowohl Frauen als auch Männer, die an Quotenregelungen zweifeln.

Kein Wort verlieren Sie auch zu den fachlichen Bedenken der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags. Dies darf aber gerade nicht unberücksichtigt bleiben, wenn man die Diskussion fundiert und sachlich und eben nicht nur emotional führen möchte.

Lassen Sie mich die rechtliche Bewertung des vorliegenden Entwurfs daher jetzt gerne für Sie nachholen:

Erstens. Wie schon erwähnt, steht der Gesetzentwurf zunächst mit dem Demokratieprinzip sowie dem Grundsatz des freien Mandats in einem Spannungsverhältnis.

Zweitens. Eine Quotenregelung schränkt darüber hinaus die in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 bzw. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz aufgestellten Wahlrechtsgrundsätze der freien und gleichen Wahl ein.

Drittens. Mit einer gesetzlichen Quotierungsregelung könnte zudem das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts betroffen sein.

Viertens. Ob die vorgenannten Einschränkungen dieser Verfassungsprinzipien gerechtfertigt sind, dürfte zumindest fraglich sein. Eine Rechtfertigung könnte nämlich nur Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz darstellen. Eine Beschränkung dadurch müsste jedoch verhältnismäßig sein. Sprich: Die Regelung müsste geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Wo ist aber der praktische Nutzen für den verfolgten Zweck? Eine Geschlechterquote auf Kandidatenlisten würde den Frauenanteil in Parlamenten tatsächlich zwar insofern erhöhen, als dass insbesondere kleinere Parteien, deren Kandidatinnen und Kandidaten hauptsächlich über Landeslisten in die Parlamente einziehen, hiervon betroffen wären.

Dass eine solche Regelung aufgrund der Eigenarten unseres Wahlsystems jedoch ausgerechnet die größeren Parteien in geringerem Maße in die Pflicht nehmen würde,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

nimmt dem Gesetz aber seine strukturelle Durchschlagskraft.

Dafür ist, wenn ich einmal in die Reihen der SPD schaue, Ihre Fraktion das beste Beispiel.

(Zuruf von der SPD)

Sowohl in dieser als auch in der vergangenen Wahlperiode haben die Sozialdemokraten ihre Landesliste weitgehend paritätisch aufgestellt. Respekt dafür!

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Trotz sehr unterschiedlicher Zweitstimmenergebnisse bei den Landtagswahlen 2012 und 2017 war und ist aber jeweils nur ein Drittel Ihrer Fraktion weiblichen Geschlechts.

(Sarah Philipp [SPD]: Das hat sie doch gerade gesagt!)

Eine ähnliche Problematik ergibt sich im Übrigen auch für meine Fraktion, die CDU. Bei der vergangenen Wahl hat die Landesliste aufgrund eines Überhangs an Direktmandaten überhaupt nicht gezogen.

Wollten Sie also grundlegend etwas ändern, müssten Sie schon auch an die Direktmandate heran. In Ihrem Gesetzentwurf weisen Sie aber nur lapidar in einem Satz darauf hin, dass die Regelungen zur Aufstellung der Wahlkreiskandidatinnen und ‑kandidaten durch das Gesetz unberührt bleiben soll.

Ein weiterer Punkt ist sicherlich, dass die Wahlfreiheit der Wählerinnen und Wähler ohnehin bereits durch die Aufstellung gebundener Kandidatenlisten eingeschränkt wird.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Erwin, Entschuldigung, dass ich Sie ein zweites Mal unterbreche. Jetzt gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Herrn Mostofizadeh.

Angela Erwin (CDU): Jetzt rede ich erst einmal weiter. – Eine weitere Einschränkung durch Geschlechterquoten, die nunmehr selbst bei Aufstellung der Liste keine vollständig freie Wahl mehr zulässt, dürfte daher eher unangemessen sein.

Auch praktische Fragen bleiben offen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wie wollen Sie verfahren, wenn es nicht genügend Frauen gibt, um die Listen paritätisch zu besetzen?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ihre Antwort einer Zurückweisung der entsprechenden Listenteile halte ich jedenfalls für unverhältnismäßig.

Letztlich kann man nur zu dem Schluss kommen, dass zumindest begründete Zweifel an der Angemessenheit und Geeignetheit einer Geschlechterquote bestehen. Der Gesetzentwurf ist folglich verfassungsrechtlich zumindest bedenklich, wenn nicht gar verfassungswidrig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von den verfassungsrechtlichen Bedenken bleibt aber gerade auch das politische Kernproblem durch ihren Gesetzesentwurf aus meiner Sicht völlig unberührt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Ja, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir uns als Parteien zukünftig nicht nur inhaltlich, sondern auch personell aufstellen wollen. Vor diesem Hintergrund wird natürlich auch in meiner Partei über Möglichkeiten einer besseren Beteiligung von Frauen an politischen Prozessen diskutiert und gestritten.

Ich möchte nicht verschweigen, dass es durchaus auch Strömungen innerhalb der CDU gibt, die sich für eine Quote auf Wahllisten ausgesprochen haben. Der große und entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass diese Stimmen einen ganzheitlichen und strukturellen Ansatz gefordert haben, der sich nicht nur auf eine Quotenregelung für die Landeslisten versteift.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wenn wir ernsthaft etwas verbessern wollen, dann müssen wir uns alle anstrengen. Es geht darum, auch die persönliche und berufliche Situation von Frauen und Kandidatinnen, aber auch – ich sage das ganz bewusst – von Männern und Kandidaten zu berücksichtigen und die Parteistrukturen so zu gestalten, dass politische Teilhabe – egal, ob bei Mandaten oder der Mitwirkung an inhaltlichen Entscheidungen – möglich wird und in ein jedes Lebensmodell passt.

Vor der gleichen Herausforderung stehen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, übrigens ebenso bei jungen qualifizierten Menschen, egal welches Geschlechts, deren persönliche Lebensentscheidungen sich häufig nur schwer mit der Übernahme von politischen Funktionen vereinbaren lassen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Auch hier müssen wir alle – und ich meine alle Parteien – an uns arbeiten und Mittel und Wege finden. Wir brauchen eine kluge und durchdachte Personalpolitik und müssen schauen, wie wir attraktiv bleiben und uns zukunftsfähig aufstellen wollen.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass eine Quotenregelung völlig außer Acht lässt, dass auch fachliche Qualifikation, Leistungsbereitschaft, Führungsstärke und Erfahrungswerte von Frauen eine Rolle spielen und spielen sollten. Ein gesamtheitliches Konzept, das alle Faktoren und Ansätze verbinden kann, ist daher notwendig.

Eine Geschlechterquote, wie SPD und Grüne sie heute fordern, ist jedoch nicht das geeignete Mittel. Der Gesetzentwurf ist fragwürdig, wenn nicht gar verfassungswidrig und daher heute für mich und meine Fraktion auch kein gangbarer Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Josefine Paul [GRÜNE]: Haben Sie auch eigene Vorschläge? – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Die ganze vordere CDU-Reihe ist männlich besetzt und applaudiert am lautesten!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Erwin. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist eine Selbstverständlichkeit. Frau Kollegin Kopp-Herr hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass das nicht immer so war. Aber immerhin ist in den vergangenen Jahrzehnten doch vieles erreicht worden.

Auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht müssen wir mit Bedauern feststellen, dass Frauen in politischen Ämtern und bei politischen Aufgaben nach wie vor unterrepräsentiert sind. Wie schon erwähnt worden ist, bilden wir auch in unserem Landtag mit lediglich 27 % weiblichen Abgeordneten keine Ausnahme.

In den unterschiedlichen Parteien wurden und werden unterschiedliche Konzepte versucht, wie Männer und Frauen „gleicher“ repräsentiert werden können. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir bei diesen ganzen unterschiedlichen Konzepten die von Frauen oftmals angeführten Hinderungsgründe, warum sie sich zum Beispiel nicht um ein politisches Amt oder ein politisches Mandat bewerben, ausreichend aufgreifen. Wir haben es auch nach wie vor mit der Überwindung tradierten Rollenverhaltens zu tun.

Über alle diese Fragen können wir vielleicht im Rahmen der Ausschussberatung – Frau Kollegin Erwin hat gerade auch einige Punkte angesprochen – auch diskutieren. In der Enquetekommission „Zukunft der Parlamentarischen Demokratie“ diskutieren wir ebenfalls diese Fragen, zum Beispiel mit Blick auf die kommunalpolitische Arbeit.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf unterstellen die Kolleginnen und Kollegen der einbringenden Fraktionen, es sei nicht zu erwarten, dass Frauen ohne Hilfe des Gesetzgebers einen Sitzanteil erreichen würden, der ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an den für das Land zu treffenden politischen und gesetzgeberischen Entscheidungen eröffne.

Die mit dem Gesetzentwurf verbundenen Einschränkungen anderer Verfassungsrechte, zum Beispiel des Rechts der Parteien auf freie Kandidatenaufstellung, seien – so jedenfalls die Antragsteller – gerechtfertigt und verhältnismäßig.

Ich kann nur sagen: Wir kommen zu einem anderen Ergebnis.

Einigkeit dürfte ohne jeden Zweifel darüber bestehen, dass das derzeitige Landeswahlgesetz weder Männer noch Frauen benachteiligt. Einer Listenaufstellung im Verhältnis von 50 zu 50 nach Geschlecht oder auch unter Heranziehung anderer Kriterien steht auch heute überhaupt nichts im Weg. Die Mitglieder der Parteien entscheiden nach den Grund-sätzen der freien und gleichen Wahl – das gilt nämlich nicht nur am Wahlsonntag an der Wahlurne, sondern auch bereits bei der Aufstellung der Bewerberinnen und Bewerber – souverän über die Kandidatinnen und Kandidaten für die 181 Abgeordnetenmandate hier im nordrhein-westfälischen Landtag, sei es auf den Reservelisten der Parteien oder für die zwei Drittel des Parlaments ausmachenden 128 Direktmandate in den Wahlkreisen.

Der hier in erster Lesung debattierte Gesetzentwurf greift genau in diese Wahlrechtsgrundsätze und insbesondere auch in das freie Wahlvorschlagsrecht massiv ein.

Kollegin Paul hat gesagt, dass es sich um eine neue Rechtsmaterie handelt und dazu noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt.

Aber man kann natürlich auch einmal schauen, wie das Bundesverfassungsgericht denn bisher zur Einschränkung von Wahlrechtsgrundsätzen entschieden hat. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Grundsätze der Wahl nur durch einen zwingenden Grund, also auf der Grundlage einer besonderen Rechtfertigung, durchbrochen werden – zum Beispiel, wenn eine durch die Verfassung gerechtfertigte Legitimation vorläge und dies zur Sicherung der mit einer demokratischen Wahl verfolgten staatspolitischen Ziele geboten wäre.

Der überwiegende Teil der verfassungsrechtlichen Literatur sieht in gesetzlich angeordneten paritätischen Listen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Wahlgrundsätze. Selbst jene, die von einer Verfassungskonformität ausgehen, verlangen eine Ausnahmeklausel für genau die Fälle, in denen zum Beispiel nicht genügend weibliche oder männliche Bewerber zur Verfügung stehen.

Eine solche Ausnahmeregelung sieht Ihr Gesetzentwurf nicht vor. Daher entstände gerade für kleinere Parteien oder Wählergruppen durch das Landeswahlgesetz in der von Ihnen intendierten Fassung eine ausschließende Wirkung. Im Extremfall würde sogar Unmögliches gefordert.

An der rechtlichen Erforderlichkeit haben wir ebenfalls unsere Zweifel. Ist der Förderungsauftrag der Gleichberechtigung von Männern und Frauen nur durch diesen Eingriff in die Wahlgrundsätze und in keiner anderen Weise zu erfüllen?

Ich habe gerade schon gesagt, ich fände es wirklich spannend – das Beratungsverfahren wird die Möglichkeiten dazu eröffnen –, einmal genauer hinzuschauen, was zum Beispiel die Hinderungsgründe sind, die von vielen Frauen angeführt werden. Dann können wir uns gerne mit Fragen der Organisation politischer Repräsentanzen und politischer Entscheidungsprozesse beschäftigen und uns über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen austauschen. Vielleicht finden wir sogar einige gute gemeinsame Ansätze.

Das Prinzip der repräsentativen Demokratie erfordert, dass die staatlichen Entscheidungen den Willen des Volkes repräsentieren müssen. Es besagt aber gerade nicht, dass Parlamente das Volk in seiner Zusammensetzung zu repräsentieren haben. Wie sollten wir auch in 181 Abgeordnetenmandaten die Heterogenität unserer Gesellschaft von 18 Millionen Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich abbilden? Kommen als nächste Wahllistenregeln dann Fragen der religiösen Zugehörigkeit, von Familienständen,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Da gibt es einen Unterschied! – Zuruf von Frank Müller [SPD])

von Lebensalter, Berufsständen und Ähnlichem?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf – die gute Absicht dahinter bestreite ich gar nicht –

(Zuruf von Frank Müller [SPD] – Unruhe – Glocke)

enthält viele Merkwürdigkeiten. Warum zum Beispiel sollen die Diversen, die lange und letztlich erfolgreich dafür gestritten haben, sich personenstandsrechtlich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen zu müssen, genau das bei einer Listenaufstellung, wie hier beschrieben, doch tun?

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wenn von den 181 Sitzen unseres Landtags zwei Drittel, nämlich 128, aus den Wahlkreisen hervorgehen, dann könnte das doch einen viel größeren Effekt entfalten. Aber genau diese Regelungen bleiben bei Ihnen komplett außen vor,

(Michael Hübner [SPD]: Machen Sie doch einen Vorschlag!)

vielleicht weil die Einschränkungen der Wahlfreiheit dort den Bürgerinnen und Bürgern in besonderer Weise entgegenträten?

Gleichheit als Grundsubstanz einer liberal verfassten Gesellschaft ist das Recht des Individuums und nicht das Recht der einen oder anderen Identität auf politische Repräsentanz. Gleichheit und Demokratie gründen auf der Ergebnisoffenheit von freien Wahlen. Auch mit einer guten Zielsetzung sollten wir in diese Wahlrechtsfreiheit nicht leichtfertig eingreifen.

Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor uns liegt ein Gesetzentwurf der Linksfraktion, der vorsieht, dass alle Parteien in Zukunft ihre Landesliste geschlechterparitätisch zu besetzen haben,

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

eine Geschlechterquote also. Die Länder Brandenburg und Thüringen als zweifelhafte gleichstellungspolitische Avantgarde sollen hier als Vorbild herhalten.

Dass die Genossen im Osten die Einwände des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Brandenburg übergangen haben, überrascht weniger. Dass aber auch Sie hier im Westen die Einschätzung, dass dieses Vorhaben verfassungsfeindlich ist, mit ein, zwei Sätzen im Antrag lapidar abtun, das ist schon beachtlich.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Der linksideologische Zeitgeist schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran. Haben wir erst gestern die Rednerinnen der FDP über die Meinungsfreiheit schwadronieren hören,

(Michael Hübner [SPD]: Schwadronierend ist Ihre Rede!)

wobei jedem Verfassungsrechtler vermutlich die Haare zu Berge gestanden hätten, debattieren wir heute über einen massiven Eingriff in die Wahlfreiheit.

Unser hervorragendes Grundgesetz,

(Michael Hübner [SPD]: Ihr Grundgesetz? – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

dessen Jubiläum wir alle gemeinsam aus Überzeugung gefeiert haben, verkommt zunehmend zu einem lästigen Vehikel auf dem Weg in Ihre schöne neue Welt.

Aber nun gut! Lassen wir mal außer Acht, dass diese Initiative mit unserem Grundgesetz nicht übereinzubringen ist. Was wollen Sie denn erreichen?

(Josefine Paul [GRÜNE]: Mit Ihrem Grundgesetz? – Michael Hübner [SPD]: Sie im Westen und Ihr Grundgesetz! – Markus Wagner [AfD]: Hören Sie doch auf!)

Sie wollen mehr Frauen im Parlament, im Idealfall die Hälfte. 128 Wahlkreise werden von den Kandidaten direkt gewonnen. Der Löwenanteil des Parlaments setzt sich in der Regel aus Direktkandidaten zusammen.

Zu Beginn der Legislaturperiode – Frau Erwin hat es gerade gesagt – hat beispielsweise die CDU-Fraktion keinen Parlamentarier über die Liste gestellt. Wenn wir auf die letzte Wahlkreisprognose von Ende April schauen, wird der Anteil der CDU-Direktmandate auf 90 ansteigen. Das heißt, eine Quotierung der CDU-Landesliste und somit der eindeutig stärksten Fraktion im Land Nordrhein-Westfalen wird nicht mehr Frauen ins Parlament befördern.

Bei der Grünenfraktion hingegen wird es spannend. Bisher zog ja ausschließlich Ihre quotierte Liste. Schauen wir uns Köln an, wo ich herkomme: Von sieben Direktkandidaten wurde in der vergangenen Landtagswahl lediglich eine Frau aufgestellt, nämlich Berivan Aymaz; die restlichen sechs waren Männer.

Wenn die Prognosen stimmen, werden die Grünen bei der nächsten Landtagswahl in Köln drei Wahlkreise direkt holen. Das ist schlimm genug, aber sehr interessant vor diesem Hintergrund. Ein Wahlkreis kann nun mal nur eine Person nominieren.

Wie handhaben Sie das denn zukünftig in Ihrer Partei? Schreiben Sie Ihren Mitgliedern vor, wen sie wählen dürfen oder nicht? Wahlkreise mit gerader Zahl müssen eine Frau nominieren, Wahlkreise mit ungerader Zahl einen Mann, oder wie stellen Sie sich das vor? Oder bleiben Sie einfach stur bei einer paritätischen Listenbesetzung, und künftig machen dann die Männer über das Direktmandat ihr Glück? Möglicherweise wird die nächste Fraktion der Grünen also die erste sein, in der das Geschlechterverhältnis nicht mehr so eindeutig geregelt ist.

Liebe SPD, Sie treiben ebenfalls diesen zumindest verfassungskritischen Feldzug für mehr Frauen im Parlament voran. Bisher hat auch Ihre Partei die Mehrheit ihrer Mandate über gewonnene Wahlkreise gestellt. Das wird sich zwar sukzessive ändern, aber warum stellen Sie denn so viel mehr männliche Direktkandidaten?

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Gerade mal 16 Frauen sind über ein Direktmandat in den Landtag eingezogen. Hat es sich an Ihrer Basis noch nicht herumgesprochen, dass sie den Frauen den Vorrang in den Wahlkreisversammlungen schenken sollen?

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Oder wollen womöglich gar nicht so viele Frauen an so exponierter Stelle direkt in den Wahlkampf ziehen? Das wäre auch eine Überlegung.

(Sarah Philipp [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)

Ihr Engagement ist an dieser Stelle völlig unglaubwürdig, weil Sie sonst auch heute schon viel mehr Direktkandidatinnen in den Wahlversammlungen gewählt hätten.

Letzten Endes beträfe eine Quotierung der Landesliste vor allen Dingen die FDP und die AfD. Würde das Gesetz verabschiedet, wären wir die einzigen Fraktionen, die künftig merklich mehr Frauen in die Politik befördern würden. – Nein, vielen Dank.

Bei der CDU würde sich nichts ändern und bei der SPD auch nicht, weil Ihre Liste ohnehin schon paritätisch besetzt ist. Bei den Grünen haben wir durch die Verschiebung der Wahlergebnisse, durch das Gewinnen von Direktmandaten künftig möglicherweise weniger Frauen im Parlament. Das ist durchaus möglich. Ihr Gesetzentwurf ist also gar kein geeignetes Mittel, um mehr Frauen den Weg ins Parlament zu ebnen.

(Sarah Philipp [SPD]: Ihre Rede auch nicht!)

Es gibt auch Gründe, warum sich weniger Frauen für das Berufspolitikertum entscheiden. Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat es auch festgestellt: Frauen leisten einen höheren Anteil an der sogenannten Care-Arbeit, also der Fürsorge für Kinder, Eltern usw. Das gilt es doch erst einmal ganz wertfrei festzustellen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Was ist denn daran wertfrei?)

Der persönliche Fokus liegt bei zahlreichen Frauen woanders. Sie sind nicht so flexibel. Sie haben andere Schwerpunkte und können sich nicht gleichermaßen der Politik widmen wie ihre unabhängigen Mitstreiter.

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Das ergeht allerdings nicht nur ihnen so. Es gibt auch einen Grund, warum so wenige erfolgreiche Unternehmer in den Parlamenten zu finden sind.

(Zurufe)

Der Einsatz im eigenen Betrieb fordert von Unternehmern beispielsweise die eigene Ressource und die Zeit zum Netzwerken. An der eigenen Parteikarriere zu feilen ist bei allen, die neben der Politik eine ernst zu nehmende Verpflichtung haben, deutlich weniger möglich als bei denen, die keine haben.

Es würde sich in der Tat lohnen, eine öffentliche Debatte darüber anzustoßen: Welchen Typus Politiker fördert unser hiesiges Parteiensystem? Trägt es tatsächlich dazu bei, dass alle die gleichen Chancen haben, Politik zu gestalten? Heute sprechen wir aber nur über die Teilhabe von Frauen.

Vermutlich würden banale Dinge wie ein familienfreundlicher Landtag, ein Spielzimmer, eine optionale stundenweise Kinderbetreuung vor Ort etc. den Vätern und Müttern im Parlament ihre Arbeit deutlich erleichtern. Viele von Ihnen sind schon seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten Landtagsabgeordnete. Warum Sie solche pragmatischen Erleichterungen bis heute nicht eingerichtet haben, ist unserer Fraktion wirklich schleierhaft.

Die Arbeitsgruppe familienfreundlicher Landtag hat es bis heute nicht geschafft, einen Termin zu finden, und Sie wollen gleich das Grundgesetz aushebeln – darunter geht es ja nicht –, um mehr Frauen in den Landtag zu holen.

(Zurufe von Sarah Philipp [SPD] und Josefine Paul [GRÜNE])

Es ist typisch, anderen mit Gesetzen und Bestimmungen das Leben schwer zu machen – völlig unabhängig davon, ob der gewünschte Effekt erreicht wird oder nicht –, anstatt erst einmal pragmatische Lösungen umzusetzen. So kennen wir die Sozialisten.

Ich sage Ihnen: Wir werden uns mit Händen und Füßen gegen dieses Vorhaben wehren. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Sarah Philipp [SPD]: Das haben wir uns fast gedacht!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dworeck-Danielowski. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Herr Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Die Idee einer paritätischen Besetzung von Listen ist natürlich konsequent und, wenn man insbesondere die Politik Grünen verfolgt, insofern vielleicht wieder einer dieser Momente, in denen Sie, liebe SPD, den Grünen zu viel Raum geben.

Sie berufen sich auf Art. 3 Grundgesetz. Darin steht aber nicht nur etwas vom Geschlecht, sondern auch etwas von der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, dem Glauben, der Behinderung und von religiösen und politischen Anschauungen.

Es wäre besonders interessant, wenn Sie auf Ihren Listen die politischen Anschauungen gleichberechtigt zu Wort kommen lassen. Man könnte sich dann auch noch über das Alter und die sexuelle Orientierung Gedanken machen. Vielleicht fordern Sie die Kandidaten vorher in einem kleinen Fragebogen auf, sich vollständig zu bekennen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD] – Weitere Zurufe)

Wenn Sie damit beginnen, wissen Sie nicht, wo Sie aufhören. Irgendwann können Sie dann die Listenaufstellung beenden und nachsehen, wer exakt der Quote entspricht, die Sie für diesen Listenplatz benötigen.

Frau Erwin und Frau Freimuth haben hier dankenswerterweise schon sehr vernünftig ausgeführt, wie das Ganze juristisch zu bewerten ist.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Frau Paul, es ist eben nicht so, dass man hier machen kann, was man will, und dann schaut, ob das Verfassungsgericht irgendwann sagt: Da sind Sie zu weit gegangen. – Genau bis an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren muss man politisch eben mitnichten immer gehen.

(Lachen von Michael Hübner [SPD])

Fakt ist: Die Abgeordneten der SPD-, der Grünen-, der CDU-, der FDP- und der AfD-Fraktion entsprechen ungefähr dem Verhältnis der Mitglieder in ihren jeweiligen Parteien. Bei der SPD und bei den Grünen sind Frauen leicht überrepräsentiert, bei der CDU, der FDP und der AfD leicht unterrepräsentiert. Das ist aber marginal.

Viel interessanter ist aber, sich Gedanken über die Wähler zu machen; denn Sie repräsentieren ja nicht Ihre Parteimitglieder, sondern Sie repräsentieren im Wesentlichen Ihre Wähler. So sollte es jedenfalls sein.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Die Grünen bräuchten interessanterweise eigentlich eine Frauenquote von über 60 %. Warum fangen Sie also so klein an? Warum nicht 60 %?

(Josefine Paul [GRÜNE]: Es ist Schwachsinn, was Sie hier erzählen!)

– Nein, die grüne Fraktion repräsentiert mit Ihren Wählern über 60 % Frauen. Das ist so. Das ist Fakt.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Haben Sie damit ein Problem?)

Wenn Sie wirklich darangehen wollen, dann müssen Sie es bei den Direktkandidaten machen. Wenn Sie aber bei den Direktkandidaten wirklich ans Eingemachte gehen, dann landen Sie bei etwas ganz anderem.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Aber das hat doch nichts miteinander zu tun!)

Dann landen Sie, wenn Sie konsequent sind, bei einem Klassenwahlrecht. Dann müssen Sie schon bei den Wählern anfangen, zwischen Männlein und Weiblein usw. usf. zu trennen. Dass Sie die Diversen hier so schändlich untergehen lassen, dass Sie ihnen keine Quote zubilligen …

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

– Nein. Es steht drin, dass sie kandidieren können, wie sie wollen. Das können sie heute aber auch schon; Männlein und Weiblein können das heute auch schon. Was Sie Ihnen nicht zubilligen, ist eine Quote. Das ist doch interessant. Das muss man einmal erwähnen. – Danke schön.

(Beifall von Alexander Langguth [fraktionslos])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Pretzell. – Jetzt hat das Wort der Minister des Innern, Herr Reul.

Herbert Reul*), Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen … Nein, ich fange umgekehrt an: Das Problem, dass Frauen in unserer Gesellschaft und auch in den politischen Parteien, Ämtern und Mandaten nicht genug repräsentiert sind, ist unstrittig. Die Analyse ist klar.

Ich kann hinzufügen – das ist eine Vorbemerkung –, dass ich in meinem früheren Leben als Generalsekretär einer größeren deutschen Volkspartei versucht habe, daran zu arbeiten, dass Frau stärker repräsentiert sind. Ich habe auch ein paar Sachen erreicht. Ich habe Sachen angepackt, die sehr strittig waren. Aber eines habe ich dann auch gelernt – und das gehört zu den Fakten –: So einfach ist es nicht, wie man es heute hier darstellt.

Erstens ist es objektiv viel mühsamer, Frauen dafür zu gewinnen, sich politisch zu engagieren, warum auch immer. Dafür gibt es ganz viele Gründe. Eine Zahl allein ist noch keine Lösung. Dahinter stecken viel mehr Probleme, als man denkt. Ich selbst bin manchmal fast daran verzweifelt, wie mühsam das ist.

Zweitens: Der Hinweis auf die Kandidatur für den Wahlkreis, der von mehreren Rednern vorgetragen worden ist, ist völlig richtig. Was nützt es uns bei der Lage, die wir politisch im Moment haben – keiner weiß, wie sie morgen oder übermorgen sein wird –, wenn wir das für die Aufstellung der Listen so reglementieren, aber bei der Aufstellung der Kandidaten für die Wahlkreise nicht? Denn bei den Wahlkreisen ist das Interessante – wenn ich zumindest für eine große Volkspartei reden darf –, dass die Frauen bei der Kandidatur immer geringere Chancen haben, warum auch immer. Da nützt also diese Veränderung bei der Aufstellung der Liste gar nichts.

Drittens. Als Minister, der für Verfassungsfragen zuständig ist, komme ich nicht daran vorbei, nicht nur zu sagen, was ich mir wünsche, sondern auch zu schauen, ob das überhaupt geht und wo dabei Probleme oder Bedenken bestehen. In dieser Hinsicht finde ich die Debatte schon ein bisschen oberflächlich.

Es gibt ganz ernsthafte Bedenken dagegen, dass man so vorgeht, wie Sie es hier vorgetragen haben. Insofern werden wir andere Überlegungen anstellen müssen.

Die gesetzliche Vorgabe zur paritätischen Besetzung würde zunächst einmal einen Eingriff in die aktive und passive Wahlgleichheit darstellen. Warum? Weil Parteimitglieder dann erstens nicht mehr die gleichen Chancen haben, für einen Listenplatz zu kandidieren.

Zweitens. Das Verfahren würde gleichzeitig die Wahlvorschlagsfreiheit der Parteimitglieder für Landeslisten einschränken. Denn dann kann nicht mehr jeder für jede Position einen Kandidaten vorschlagen.

Drittens. Das Gesetz würde auch in die Wahlfreiheit eingreifen. Denn die aufstellungsberechtigten Parteimitglieder könnten nicht mehr frei entscheiden, wo sie eine Person auf der Liste platzieren möchten.

Viertens. Es läge ein Eingriff des Gesetzgebers in die Freiheit der Parteien vor, ihre innere Ordnung selbst zu bestimmen. Auch das ist nicht ganz unwichtig. Denn aus der Parteienfreiheit leitet sich schließlich das Recht der Parteien ab, nach ihren eigenen politischen Vorstellungen und Überzeugungen über die Bewerberaufstellung entscheiden zu können, natürlich unter Beachtung grundsätzlicher innerparteilicher Demokratie, aber eben ohne jede Vorgabe. Parteien dürfen selbst darüber entscheiden, wie sie ihre Leute aufstellen wollen.

Meine Damen und Herren, die vorgenannten verfassungsrechtlichen Zusammenhänge sind nun einmal dafür verantwortlich, dass die wahlrechtlichen Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlvorschlägen traditionell absolut neutral gehalten sind. Auf diese Art und Weise gewährleisten die Wahlgesetze für alle teilnahmeberechtigten Personen die formale Chancengleichheit, und das völlig unabhängig von Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf, Einkommen, Migrationshintergrund, Behinderung, Stellung in der Partei oder was auch immer.

Jetzt sagen Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag, implizit führen Sie das Demokratieprinzip an. Aber auch daraus lässt sich kein Recht einzelner Bevölkerungsgruppen ableiten, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil proportional mit Mandatsträgern vertreten zu sein.

(Monika Düker [GRÜNE]: Frauen sind eine Gruppe?)

Das Parlament sollte zwar – dafür bin ich sehr –, aber es muss kein genaues Spiegelbild der Bevölkerung sein. Will man durch gesetzliche Einschränkungen diese formale Chancengleichheit ändern, um zum Beispiel ein gesellschaftspolitisches Ziel zu erreichen, wie hier, dann bedarf es einer besonderen Rechtfertigung.

Jetzt sind wir an dem spannenden Punkt, der Rechtfertigung, die eine Vereinbarkeit mit den genannten Verfassungsgrundsätzen sicherstellt. Das gilt dann, sagt zumindest die Rechtsprechung, wenn in das Prinzip der Wahlrechtsgleichheit eingegriffen wird. Dann gibt es weitere Hürden. Jeder dieser besonders gerechtfertigten Eingriffe müsste verhältnismäßig sein.

Nun verweisen Sie salopp auf Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördert und auf die Beseitigung von bestehenden Nachteilen hinwirkt. Genau dieser Absatz des Grundgesetzes rechtfertigt aber nach herrschender Auffassung der verfassungsrechtlichen Literatur diese Eingriffe eben nicht.

Wieso? Ich verweise auf Literaturaussagen: Faktisch gegebene zahlenmäßige Ungleichheit sei grundsätzlich keine rechtlich relevante Benachteiligung von Frauen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, die eine Differenzierung gegenüber der streng formalen Wahlrechtsgleichheit begründen würde.

Eine Rechtfertigung scheitere auch an der fehlenden Verhältnismäßigkeit, weil eine gesetzlich verbindliche Frauenquote eine unangemessene Diskriminierung männlicher Bewerber darstellt und damit die Wahlrechtsgleichheit verletzt.

Also weder der seinerzeitigen Begründung des 1994 eingefügten Art.3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes noch dem Wortlaut selbst sei eine generelle Zielsetzung einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern bei Parlamentswahlen zu entnehmen. Dem Begriff „demokratische Wahlen“ sei jede kompensatorische Ungleichbehandlung bzw. Privilegierung angeblich benachteiligter Gruppen wesensfremd.

So weit das, was die herrschende Lehre ist. Nun kann man sagen: Die herrschende Lehre muss nicht richtig sein, wir probieren jetzt einfach mal fröhlich drauflos.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Gerade nicht fröhlich drauflos!)

Die beiden Fraktionen, die den Antrag gestellt haben, haben gute Erfahrungen mit Verfassungsgerichtentscheidungen, wie man beim Verfassungsgericht klarkommt und wie man dort scheitert. Ich will, weil mir jetzt die Zeit wegläuft …

(Zurufe von der SPD: Na, na!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Herbert Reul*), Minister des Innern: Lassen Sie mich eben zu Ende ausführen, dann gern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte.

Herbert Reul*), Minister des Innern: Es gibt noch die Frage des sogenannten dritten Geschlechts. Dürfen die dann auf beiden Listen kandidieren? Dann würde die Frage der Gleichbehandlung … Ich will es nicht weiterführen.

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN – Michael Hübner [SPD]: Nicht vom Manuskript abweichen, Herr Reul!)

Sie kriegen ganz große Schwierigkeiten, die ich nur benennen will.

Sie haben die Landesregierung und mich als Person 100%ig auf Ihrer Seite, wenn es darum geht, was wir tun können, um dieses richtig beschriebene Problem zu lösen – 100%ig. Ich befürchte nur, das, was Sie hier vorschlagen, wird nicht gehen, wird nicht funktionieren wegen der Frage der Wahlkreise.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister …

Herbert Reul*), Minister des Innern: Insofern macht das keinen Sinn. Wir werden uns mehr einfallen lassen müssen, als mal eben so einen Gesetzentwurf hinzulegen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie inzwischen zwei Zwischenfragen?

Herbert Reul*), Minister des Innern: Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann ist aber auch bald gut. Ich sage ganz offen: Ich bin kein Freund davon, Zwischenfragen am Schluss von Reden zu stellen. Aber das ist meine sehr persönliche Meinung von hier oben. Wir machen das jetzt.

Frau Düker will eine Zwischenfrage stellen. Bitte schön, Frau Düker. Der Herr Minister möchte gern antworten.

Monika Düker (GRÜNE): Ich hätte auch auf eine Kurzintervention umswitchen können, Herr Präsident, wenn Ihnen das lieber ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Richtig.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Minister, ich würde Sie gern mit einem Zitat von Elisabeth Selbert konfrontieren, einer der vier Mütter des Grundgesetzes. Sie hat an dem Grundgesetz mitgeschrieben. Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1981. Ich lese es Ihnen jetzt vor und würde Sie bitten …

Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, Frau Düker, das ist keine Zwischenfrage. Dann müssen wir uns darüber verständigen, ob es eine Frage oder eine Kurzintervention sein soll.

Monika Düker (GRÜNE): Ich muss erst das Zitat vorlesen, um dann die Frage zu stellen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, Sie sollen fragen.

Monika Düker (GRÜNE): Was hätten Sie Elisabeth Selbert 1981 auf diesen Satz geantwortet: „Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz“? Was hätten Sie Elisabeth Selbert im Jahr 1981 darauf geantwortet?

Herbert Reul*), Minister des Innern: Ich bin zwar kein Jurist, aber nach meiner Auffassung ist das nicht richtig.

Monika Düker (GRÜNE): Gut.

Vizepräsident Oliver Keymis: Gut. Vielen Dank. – Es gibt noch eine Zwischenfrage von Herrn Hübner.

(Monika Düker [GRÜNE]: Sie hat ja nur das Grundgesetz geschrieben!)

Bitte schön, Herr Hübner.

Michael Hübner*) (SPD): Herr Präsident! Herr Minister, danke, dass Sie die Zwischenfrage am Ende der Debatte zulassen.

Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört und verstanden, dass Sie als ehemaliger Generalsekretär einer großen Volkspartei eine Meinung vertreten. Sie haben außerdem Ihre Meinung als Minister in Bezug auf die Zuständigkeit für Wahlen deutlich gemacht.

Mit Überraschung habe ich zur Kenntnis genommen, dass die für Gleichstellung zuständige Ministerin so gut wie gar nicht an der Debatte teilgenommen hat. Darf ich denn davon ausgehen, dass die Meinung, die Sie hier vorgetragen haben, mit der Meinung der für Gleichstellung zuständigen Ministerin abgestimmt ist?

Herbert Reul*), Minister des Innern: Davon können Sie ausgehen. Übrigens war Frau Kollegin Scharrenbach während der Hälfte der Zeit anwesend. Sie musste eben mal raus.

(Michael Hübner [SPD]: Nein!)

– Natürlich war sie hier.

(Michael Hübner [SPD]: Aber das habe ich gesagt!)

– Entschuldigung, aber lassen Sie uns doch jetzt nicht über die Zeit streiten. Das können Sie nachher selber checken. Sie wollen doch eine Frage beantwortet haben. Das ist viel bedeutsamer.

(Michael Hübner [SPD]: Ja!)

Das ist abgestimmt. Das ist nicht die Auffassung eines einzelnen Herrn, sondern die Auffassung der Landesregierung. Ich habe versucht, den Unterschied zu erklären.

(Frank Müller [SPD]: Die Auffassung von elf Männern und vier Frauen in der Landesregierung!)

– Um Gottes willen. Herr Hübner hat eine Frage gestellt und möchte gern eine Antwort haben. Jetzt hindern Sie sich untereinander daran, dass ich sie beantworten kann. Das kann man machen, aber das bringt doch nichts.

Ich habe die Unterscheidung deshalb so pointiert vorgetragen, Herr Abgeordneter, weil ich deutlich machen wollte, dass die damit verbundene Zielsetzung total berechtigt ist und dass sowohl ich sie teile als auch die Landesregierung. Das habe ich gesagt.

Ich habe dann aber darauf hingewiesen, dass das Instrument, das Sie vorschlagen, aus den von mir vorgetragenen Gründen nach Auffassung der Landesregierung nicht funktioniert. Darüber hinaus haben wir natürlich die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie es funktionieren kann. Das ist nicht so simpel. Ein plakativer Antrag und eine Gesetzesänderung, mit denen man eine öffentliche Wirkung erzeugt, die am Ende aber in der Sache nichts ändern, machen mir Kummer.

(Beifall von der CDU)

Entweder scheitern Sie damit vor dem Verfassungsgericht, oder Sie scheitern später an der Wirklichkeit. Das kann die Wahlkreisaufstellungen, sofern Sie diese nicht auch noch reglementieren wollten, leider komplett konterkarieren. Dann haben Sie heute zwar eine fröhliche Debatte geführt, haben aber nichts gewonnen und verändert. Das macht mir Kummer, denn ich möchte, dass sich in der Sache etwas ändert.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, dann machen Sie doch einen Vorschlag!)

Ich befürchte, das, was Sie vorschlagen, hilft uns für zwei Tage, aber in der Wirklichkeit wird es nichts verändern.

(Beifall von der CDU – Josefine Paul [GRÜNE]: Aber Sie tun ja gar nichts!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Als Nächste hat Frau Kollegin Wendland für die CDU-Fraktion das Wort.

Simone Wendland (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine abgewählte Koalition in die Opposition muss, heißt es oft, man wolle sich erneuern, innovativ sein und neue Ideen auf den Weg bringen. Hier in NRW sieht das offensichtlich ganz anders aus.

Wenn es um das Ziel geht, den Anteil von Frauen in den Parlamenten zu steigern, sind sich alle demokratischen Parteien einig.

Aber alles, was Sie von SPD und Grünen tun, und zwar befreit von Regierungszwängen, ist, bei anderen abzuschreiben. Denn das, was Sie vorschlagen, ist ja nichts anderes als das, was die mittlerweile abgewählte rot-rote Koalition im Landtag von Brandenburg zu Beginn des Jahres beschlossen hat. Dort hat man inhaltlich genau das Gleiche beschlossen, was Sie jetzt fordern: die paritätische Besetzung der Listen für die Landtagswahl.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Was ist jetzt da das Problem?)

Dass man sich dabei über die Einschätzung des eigenen parlamentarischen Beratungsdienstes hinweggesetzt hat, dass eine solche Regelung verfassungswidrig sei, sei hier nur am Rande erwähnt.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das entscheidet auch nicht der Wissenschaftliche Dienst!)

Dennoch lohnt ein Blick nach Brandenburg, denn das Gesetz wurde im Februar beschlossen, gilt aber erst für die nächste Landtagswahl im Jahr 2024.

Jetzt könnte man ja meinen, dass Parteien, die eine solche Wahlrechtsreform sogar gegen verfassungsrechtliche Bedenken beschließen, die entsprechenden Regelungen schon anwenden,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Übergangsweise!)

bevor sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, mit gutem Beispiel vorangehen. Das Ergebnis ist indes ernüchternd, denn im neuen Brandenburger Landtag sind von 25 SPD-Abgeordneten nur sieben Frauen. Wenn etwas auf den ersten Blick ganz nett aussieht, bei näherem Hinsehen aber keinen Sinn oder keine Funktion hat, dann nennen wir das im Münsterland ein Tüchsken fürs Auge.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das trifft auch auf diesen Gesetzentwurf zu.

Weil der Verfassungsverstoß sonst allzu offensichtlich wäre, beschränken Sie die beabsichtigte Paritätsregelung sinnvollerweise auf die Listen. Gucken wir uns das einmal an.

Der Landtag hat normalerweise 181 Abgeordnete, von denen 128 direkt gewählt sind und 53 über die Listen kommen. Das heißt, Ihr Gesetzentwurf würde gerade einmal 26 von 181 Mandaten für Frauen garantieren. Deshalb bleibt es dabei: Wenn der Frauenanteil hier im Landtag steigen soll – und das wollen wir eigentlich alle –, dann ist nicht der Gesetzgeber gefragt, sondern wir sind gefragt, die Parteien.

Aus Münster kann ich Ihnen berichten, dass man in dieser Hinsicht durchaus etwas bewegen kann. Wir haben in Münster zwei Landtagswahlkreise, und sowohl die CDU als auch die SPD, die Grünen und die FDP haben jeweils einen Mann und eine Frau aufgestellt. Die SPD hingegen hat in Wuppertal das Kunststück fertiggebracht, in drei Wahlkreisen drei Männer aufzustellen. In Duisburg war es in vier Wahlkreisen nur eine Frau. Da ist wohl noch Luft nach oben.

Wir können und müssen selber regeln, dass mehr Frauen in Mandatsverantwortung kommen, und zwar nicht nur für den Landtag. Dazu müssen die Parteien aber zunächst attraktiver für Frauen werden. Wenn mehr Frauen in die Parteien eintreten, dann wird es auch mehr Mandate für Frauen geben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Gödecke?

Simone Wendland (CDU): Nein, das können wir im Anschluss machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. Bitte schön.

Simone Wendland (CDU): Dazu können wir in den Parteien viel beitragen. Dabei geht es um Arbeitsstrukturen, Sitzungszeiten und ‑dauern oder Betreuungsangebote für Kinder – vielleicht auch um Betreuungsangebote für Männer?

(Beifall von der CDU)

Da können wir alle mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu brauchen wir keinen Gesetzgeber. Das nennt man Subsidiaritätsprinzip. Das ist übrigens ganz im Sinne unseres Grundgesetzes.

Wir stimmen der Überweisung natürlich gerne zu und diskutieren im Ausschuss weiter. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Kommt noch etwas?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ist die Zwischenfrage noch erwünscht, Frau Kollegin? – Dann müssen Sie Ihr Mikrofon aktivieren. Bitte schön.

Carina Gödecke (SPD): Sehr gerne. Ich dachte, die Kollegin sei noch nicht am Ende ihres Redebeitrags. – Vielen Dank, Frau Wendland, dass Sie mir noch die Möglichkeit eröffnen.

Ich habe schon eine Weile zugehört und auch Ihren Redebeitrag sehr aufmerksam verfolgt. Darf ich denn auch Ihren Redebeitrag so verstehen, dass Sie sich für eine Quotierung der Direktwahlkreise aussprechen, starkmachen und mit den Antragstellerinnen gern darüber sprechen würden?

Simone Wendland (CDU): Frau Gödecke, erst mal wollen wir festhalten, dass alle Frauen der CDU-Fraktion ihre Wahlkreise direkt gewonnen haben. Darauf sind wir außerordentlich stolz. Wir freuen uns, und wir danken den Wählerinnen und Wählern an dieser Stelle noch einmal.

(Beifall von der CDU)

Sie können sicher sein, dass das eine Wahnsinnsmotivation ist, die uns auch weiter beflügelt. Wir arbeiten im Gegensatz zu Ihnen nicht mit Zwängen und Druck. Das haben Sie in sieben Jahren nicht gelernt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Im Münsterland ist es so: Je höher das Ross, desto tiefer fällt man! Arrogante Ziege!)

Es geht immer nur über Motivation von Menschen. Das werden wir auch weiter tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Wendland. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Butschkau.

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es wurde heute bereits von meinen Kolleginnen thematisiert: Auch nach 100 Jahren, in denen Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht zusteht, ist der Anteil von weiblichen Abgeordneten in den allermeisten Parlamenten auf einem niedrigen Niveau.

Beunruhigen sollte uns vor allem, dass der Trend seit wenigen Jahren sogar in die falsche Richtung geht. Der Frauenanteil sinkt. Das ist in unseren Augen mit der Gleichstellung von Frauen und Männern nicht vereinbar. Das muss uns doch wachrütteln, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Frauen machen etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Das ist keine Minderheit, von der wir sprechen. Frauen haben das im Grundgesetz verankerte Recht, gleichberechtigt an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilzuhaben – und das nicht nur als Wählerinnen, sondern auch als Gewählte.

(Beifall von der SPD)

Am 27. Oktober 1994, also vor rund 25 Jahren, hat der Bundestag die Änderung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes beschlossen. Meine Kollegin Regina Kopp-Herr hat ihn gerade zitiert, daher verzichte ich jetzt darauf.

Demnach haben wir den verfassungsgemäßen Auftrag, auch dafür zu sorgen, dass Frauen beim passiven Wahlrecht nicht benachteiligt werden. Es ist daher nur logische Konsequenz, dass im Bundestag und in vielen Bundesländern eine Bewegung in Gang tritt, die mehr Frauen in den Parlamenten fordert. Dies wird, wenn man die historische und die aktuelle Entwicklung betrachtet, ohne gesetzliche Verankerung nicht möglich sein.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns gemeinsam mit den Grünen auf den Weg gemacht. Heute liegt Ihnen unser Entwurf für ein Paritätsgesetz vor. Weil wir es mit diesem Gesetz sehr, sehr ernst meinen, haben wir uns die Zeit genommen, einen handwerklich sauberen Entwurf zu entwickeln. Wir haben dafür Pro und Kontra mit erwiesenen Expertinnen und Experten erörtert. Da von Oberflächlichkeit … – Herr Reul, können Sie mir kurz zuhören?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Ja, natürlich!)

– Danke.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da von Oberflächlichkeit zu sprechen, finde ich nicht lauter, oder, um Sie zu zitieren: Das kann man machen, bringt uns aber nicht weiter.

Am Ende dieses langen konstruktiven Prozesses, für den ich mich bei allen Sachverständigen, den Vertreterinnen und Vertretern der grünen Fraktion und bei meiner eigenen Fraktion bedanken möchte, steht für uns fest:

Wir wollen, dass alle Parteien die Listen für die Landtagswahl zukünftig paritätisch besetzen. Für Bündnis 90/Die Grünen und für meine Partei ist das bereits eine Selbstverständlichkeit. Ich sage bewusst, ich sage das ganz bewusst: Wir wollen zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bei allen Bedenken, die gerade in der Debatte thematisiert wurden – die haben mich ehrlich gesagt nicht wirklich überrascht, und ich möchte auf einzelne Punkte gerne noch mal eingehen –, muss unser heutiges politisches Signal an die Menschen da draußen lauten: Wir meinen es ernst mit der Gleichstellung in der Politik. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen einen Meilenstein für die Gleichstellung von Frauen und Männern setzen.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit der Appelle ist vorbei. Es ist Zeit, Stopp zu sagen und gegen die ungerechte Verteilung von politischen Mandaten anzugehen. Wir wollen diese strukturelle Benachteiligung auflösen. Dazu nehmen wir die Parteien in die Pflicht, die Chancengleichheit von Frauen und Männern zu verbessern.

Ja, ich habe Ihre Bedenken heute gehört. Ja, vielleicht haben Sie auch in Teilaspekten recht, vielleicht aber auch nicht. Wir sind schließlich kein Verfassungsgericht. Wir entscheiden hier heute politisch und nicht juristisch. Und politisch ist das Paritätsgesetz der einzig gangbare Weg.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich kenne die Kritik, dass durch diese gesetzliche Einschränkung nicht mehr die Fähigsten aufgestellt würden.

(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD])

Aber das kann ich so nicht stehen lassen, denn wer so etwas behauptet, sagt im Umkehrschluss auch, dass Frauen weniger fähige Politikerinnen seien als Männer.

(Beifall von der SPD)

Das ist Diskriminierung. Männer werden durch das Gesetz auch nicht benachteiligt, wie Kritiker gerne behaupten und wie es heute auch wieder thematisiert wurde. Sie werden lediglich durch das Gesetz genauso geschützt wie Frauen. Sie müssen also nicht befürchten, dass sie durch das Gesetz zukünftig nur noch eine Minderheit im Parlament sind, so wie es die Frauen heute sind.

Dann gibt es kritische Stimmen, die behaupten, dass überhaupt nicht genügend Frauen kandidieren wollten. – Wir haben das auch heute mehrere Male gehört. – Dadurch könnten die Listen nicht paritätisch besetzt werden, und das könnte man auch mit einem Paritätsgesetz nicht erzwingen.

Dazu kann ich nur sagen: Mich persönlich hat dieses Argument noch nie überzeugt. Ganz im Gegenteil. Für mich sind das alles Argumente oder besser Gründe, warum es so wichtig ist, sich für ein Paritätsgesetz einzusetzen. Denn diese Gründe, meine Damen und Herren, sind Teil einer konservativen Erzählung – einer Erzählung, die dazu beitragen soll, dass Frauen sich schlecht fühlen, wenn sie einfordern, was ihnen zusteht.

Nicht anders kann ich mir erklären, wie der Begriff „Quotenfrau“ überhaupt entstanden ist. Von einer Frau kann er jedenfalls nicht stammen, denn er hat zum Ziel, dass Frauen sich dafür schämen, vermeintlich wegen einer Quote in eine Position zu kommen.

(Zuruf von der SPD: Buh!)

Es gibt Frauen, die sich engagieren wollen, die auch politisch richtig was drauf haben. Man muss sich natürlich auch um diese Frauen bemühen, keine Frage. Aber die gegenwärtige politische Kultur in vielen Parteien lässt das zurzeit noch nicht zu.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sehe der weiteren Debatte in den Ausschüssen positiv entgegen. Über Parteigrenzen hinweg gibt es Befürworterinnen einer paritätischen Besetzung der Wahllisten. Viele Verbände haben uns ihre Unterstützung angeboten – und das, Frau Erwin, fachlich, sachlich und ganzheitlich.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns für einen Fortschritt in der Gleichstellungspolitik in Nordrhein-Westfalen eintreten, und stimmen Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf zu! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Butschkau. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es einigermaßen erstaunlich, dass in diesen Debatten immer über ein Verfassungsgebot, nämlich das Gleichstellungsgebot, so einfach hinweggegangen wird. In jeder Debatte, in der es darum geht, in welcher Art und Weise man wirklich Frauen zur tatsächlichen Gleichberechtigung verhelfen kann, und in der man sich dann auf dieses Verfassungsgebot beruft, heißt es anschließend, dass fast jedes andere Verfassungsgut höherrangiger ist als das. Ich habe mal gelernt, dass Verfassungsgüter miteinander in Ausgleich zu bringen sind. Warum das für das Gleichstellungsgebot nicht gelten soll, ist mir nicht klar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das haben Sie jetzt auch wieder gemacht. Sie konnten nicht darlegen, in welcher Art und Weise dieses Verfassungsgebot zum Ausdruck gebracht werden soll. Warum haben denn – Monika Düker hat gerade Elisabeth Selbert zitiert – die Frauen damals die Gleichstellung von Frauen und Männern in die Verfassung geschrieben? – Weil sie der Auffassung waren, dass das ein Staatsziel sein muss. Weil sie der Auffassung waren, dass es wichtig ist, genau das festzuschreiben.

Sie mussten aber auch feststellen – deswegen ist Art. 3 Abs. 2 1994 ergänzt worden –, dass es einen Unterschied zwischen formaler und materieller Gleichheit gibt. Weil das ein elementarer Unterschied ist und weil man der Auffassung war, dass der Gesetzgeber handeln muss und handeln darf, hat man die Verfassung ergänzt. Nichts anderes schlägt dieser Gesetzentwurf vor. Deshalb ist er verfassungskonform und eben nicht verfassungswidrig.

Noch eine Bemerkung zu der Frage, ob wir demnächst ein Ständeparlament haben. Dieses Argument habe ich schon öfter gehört. Es gibt aber einen Unterschied zwischen dem Minderheitenschutz in Art. 3 Abs. 3, der Gruppen definiert, und Art. 3 Abs. 2, wo es um eine gesellschaftliche Struktur geht. Frauen werden in Art. 3 Abs. 2 eben nicht als Gruppe definiert, anders als in Art. 3 Abs. 3. Das muss man doch mal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist ein materieller juristischer Unterschied. Auf den bezieht es sich. Deswegen läuft der Vorwurf eines Ständeparlaments absolut ins Leere und ist schlicht und ergreifend so nicht haltbar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich nehme aber mit, Frau Erwin: Wir bilden demnächst gemeinsam eine Bande, und dann ergänzen wir den Gesetzentwurf um die Wahlkreise. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7753 an den Hauptausschuss – federführend –, den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen sowie den Innenausschuss und den Rechtsausschuss. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides nicht der Fall. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

3   Binnenschifffahrt in Nordrhein-Westfalen stärken – Wasserwege leistungsfähig erhalten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/5366

Änderungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7863

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7866

Beschlussempfehlung und Bericht
des Verkehrsausschusses
Drucksache 17/7801

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt für die CDU-Fraktion Herr Kollege Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein intaktes und leistungsfähiges Wasserstraßennetz ist Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft in Nordrhein Westfalen. Seine Nutzung stellt die umweltfreundlichste Form des Gütertransportes dar. Ein modernes Großgüterbinnenschiff ersetzt 105 20-t-Lkw und verursacht im Vergleich dazu lediglich ein Fünftel an CO2-Emissionen pro Tonnenkilometer.

Dennoch wurde die Infrastruktur der Wasserstraßen zu Zeiten der rot-grünen Vorgängerregierung massiv vernachlässigt.

Unsere Landesregierung hat demgegenüber in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Schifffahrt erste gute Erfolge bei der stärkeren Berücksichtigung unseres Landes beim Bund erzielt.

Aber, meine Damen und Herren, vor uns liegen noch viele Aufgaben. Wir müssen den Sanierungsstau weiter angehen. Experten betonten im Rahmen der Anhörung Anfang September, dass unser Antrag in die dringend notwendige und richtige Richtung geht. Auch wenn wir vieles auf den Weg gebracht haben, sind wir uns der zu bewältigenden Aufgaben sehr wohl bewusst.

Was meine ich damit? – Das Problem Niedrigwasser müssen wir weiter angehen und Lösungskonzepte hierfür erarbeiten. Ebenso fehlen uns Planer. Personalknappheit ist ein bekanntes und anzugehendes Problem. Seitens der Industrie wird diese Forderung ausdrücklich unterstützt.

Der gegenwärtige Verfall birgt ein nicht mehr kalkulierbares Risiko für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen, so der Vertreter des Verbandes der Chemischen Industrie, VCI, Herr Gerd Deimel, in der Anhörung. Allein für die Modernisierung des 1915 bis 1930 gebauten Wesel-Datteln-Kanals fehlen bei den zuständigen Bundesbehörden 42 Stellen. Es drohen jahrelange Verzögerungen.

Es sind dringend mehr Planungskapazitäten notwendig. Die wenigen Versuche, sie aufzustocken, waren in der Vergangenheit nur zum Teil erfolgreich. Wir müssen dringend Ingenieure anwerben, die Planungen auf mehrere Schultern verteilen und der WSV unterstützend zur Seite stehen. Es wird als Soforthilfe eine Abordnung von Fachleuten aus anderen Bundesländern geben. All dies sind notwendige erste Schritte.

In der Vergangenheit hat all dies keine Priorität gehabt. Über die Gründe können wir heute nur spekulieren.

Das ist anders geworden. Schon in unserem Koalitionsvertrag haben wir auch den Fokus auf die Wasserstraßen in unserem Land gelegt. Dort haben wir unter anderem festgehalten, uns gegenüber dem Bund mit Nachdruck für eine Sanierung der Schleusenbauwerke einzusetzen sowie auf die Anhebung der Fluss- und Kanalbrücken hinzuwirken.

Zudem wollen wir ein Abkommen zur Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen und den ZARA-Häfen – Zeebrügge, Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen – schließen, eben weil die relevanten Seehäfen für Nordrhein-Westfalen in den Niederlanden und in Belgien liegen. Entsprechende Letters of Intent zur besseren Zusammenarbeit mit Flandern und den Niederlanden hat das Verkehrsministerium bereits Ende 2018, Anfang 2019 abgeschlossen.

Die Stärkung der Korridore zwischen den ZARA-Häfen und dem Hinterland in Nordrhein-Westfalen steht im Mittelpunkt der gemeinsamen Erklärung. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Anbindung zwischen Schiene und Binnenschiff.

Gut, dass die Wasserstraßen wieder in den Fokus gerückt sind und nun die Aufmerksamkeit erhalten, die sie tatsächlich benötigen. Es wurden in Nordrhein-Westfalen alleine in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt, die durch die Initiative der Wirtschaft und den Einsatz unseres Verkehrsministers entstanden sind.

Unser Verkehrsminister hat darüber hinaus bereits zum Bundeshaushalt 2018 15 zusätzliche Stellen für Planer verhandelt, die jetzt schnell besetzt werden müssen.

Auch im Ausschuss haben wir viel über das Thema diskutiert. Drei Anträge, diverse Berichte und eine Anhörung zeugen von einer konstruktiven Auseinandersetzung.

Nun liegt im Ergebnis ein gemeinsamer Änderungsantrag der NRW-Koalition und der SPD-Fraktion vor. Diesen muss man auch im Kontext mit den Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz vom 9. und 10. Oktober 2019 sehen. Dort wurde der von Nordrhein-Westfalen eingebrachte Beschlussvorschlag zu TOP 8 im Hinblick auf die Personalausstattung und Verstärkung der Planungsressourcen der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung einstimmig angenommen. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Wege sind.

Wichtig ist, dass eine Erhöhung des Investitionsumsatzes, durch welches Modell auch immer, zum Beispiel durch eine stärkere Einbindung Dritter in die Bauherrenaufgaben oder durch die kombinierte Vergabe von Planung und Bau, erreicht wird. Ich finde, dass wir alle Möglichkeiten zur Gewinnung zusätzlicher Planungskapazitäten ausschöpfen müssen. Das muss Priorität haben.

Der Etatentwurf der Bundesregierung erkennt diese Bedeutung noch nicht in vollem Umfang an. Die bisherige Herangehensweise wird der Bedeutung der Wasserstraßen und auch der akuten Problemlage bzw. dem Sanierungsstau noch nicht gerecht. Ich hoffe, dass mit unserer Debatte auch ein Umdenken auf Bundesebene erfolgt. Das geht vor allen Dingen auch in Richtung des SPD-Bundesfinanzministers Olaf Scholz.

Ich möchte damit feststellen: Die Wasserstraßen sind für Nordrhein-Westfalen von großer Bedeutung. Das Binnenschiff ist klimafreundlich, leistungsstark und in Nordrhein-Westfalen zu Hause. Nordrhein-Westfalen ist Binnenschifffahrtsland Nummer eins: Fast 30 % der Gütertransporte laufen – vergleichsweise umweltfreundlich – über das Wasser, bundesweit sind es nur rund 8 %. Insoweit sind wir hier Vorreiter.

Ich hoffe, dass unser gemeinsamer Appell, unser gemeinsames Signal in Richtung Bund und unser Schulterschluss als Zeichen gewertet wird, das zu einem Umdenken auch beim Bund führen wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Voussem. – Nun spricht Herr Löcker für die SPD-Fraktion.

Carsten Löcker*) (SPD): Herzlichen Dank für die Worterteilung. Meine Damen und Herren! NRW ist das Binnenschifffahrtsland Nummer eins in Deutschland. Das Binnenschiff trägt in besonderem Maße zur Versorgung der rohstoffintensiven Industriestandorte und damit auch zur Sicherheit des Wohlstands in Nordrhein-Westfalen bei.

Richtig ist aber auch, dass in den Binnenschifffahrtskanälen gegenwärtig ein akuter Pflegenotstand herrscht. Das kann man sicherlich so formulieren. Daran besteht auch mit Blick auf die Gespräche, die wir seit Monaten geführt haben, kein Zweifel. Es geht also jetzt darum, das Kanalnetz zu sanieren und an den zukünftigen Bedarfen ausgerichtet anzupassen.

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun auch mit ganz konkreten Maßnahmen und parlamentarischen Initiativen dafür zu sorgen, dass die Zukunft des Dortmunder Hafens und des Wesel-Datteln-Kanals sich positiv entwickeln kann. Der Wesel-Datteln-Kanal verbindet den Rhein mit dem Dortmund-Ems-Kanal, er ist eine bedeutende Binnenschifffahrtstraße im Ruhrgebiet. Die Schleusen befinden sich aber, wie wir alle wissen, in einem desolaten Zustand, und die Transportkapazitäten haben sich in den letzten Jahren faktisch halbiert. Dieser Zustand muss dringend geändert werden, will man auch den Chemiestandort Marl nicht gefährden.

Gleiches gilt auch für den Dortmunder Hafen, den ich ausdrücklich noch einmal erwähne. Er ist eine wichtige Logistikdrehscheibe, auch wenn das hier und da anders gesehen wird. Außerdem ist er ein bedeutsamer Hinterlandhafen, der den Kontakt, die Verbindung zu den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen sichert, welche die wichtigsten Hochseehäfen für Nordrhein-Westfalen sind.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Für den Betrieb des Dortmunder Hafens ist eine uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der Schleuse in Henrichenburg von elementarer Bedeutung, und deshalb legen wir Wert auf die Feststellung, dass Vollsperrungen, monatelange Grundinstandsetzungsarbeiten und vielfache Notbetriebe in der Form nicht mehr weitergehen können. Das gehört zu dem Pflegenotstand, den ich soeben beschrieben habe.

Heute bringen wir, Herr Kollege Voussem, einen gemeinsamen Antrag ein. Nicht dass wir mit dem gemeinsamen Antragstext hundertprozentig zufrieden wären; das will ich ausdrücklich sagen: Für uns bleibt der Neubau einer zweiten Schleuse in Henrichenburg wichtig und richtig. Aber der gemeinsame Antrag schien uns eben auch wichtig und richtig, und deshalb wollen wir ihn heute in dieser Form gemeinsam einbringen.

(Beifall von der SPD)

Umso gespannter schauen wir in diesen Tagen nach Berlin. Das Klimaschutzprogramm 2030 wirft seine Schatten voraus, die Genehmigung von Verkehrsprojekten durch das Bundesgesetz soll schnellere Baumaßnahmen und Sanierungen ermöglichen. Insofern liegt der entsprechende Entwurf bereits vor, der uns auch zugesandt worden ist. Schaut man in die Liste der zwölf wichtigsten Projekte, so ist das westdeutsche Kanalnetz dort auf jeden Fall aufgeführt und der Wesel-Datteln-Kanal genannt.

Wir sehen in unserer Arbeit der letzten Monate einen positiven Anteil an den Entwicklungen in Berlin. Wir wollen heute ein kräftiges Signal nach Berlin senden und damit die Anforderung formulieren, dass dieser Versuch, mit einem Maßnahmengesetz Geschwindigkeit in die Sanierung zu bekommen, nicht eine Eintagsfliege – Eintagsschiff müsste man eigentlich sagen – sein darf, sondern darüber hinaus auch daran gearbeitet wird, dass wichtige zusätzliche Projekte, die immer wieder Teil der Debatte sind, auch mit einem zweiten Maßnahmengesetz Einfluss finden können.

In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich zum Schluss gerne noch eine Erwartungshaltung äußern. Neben dem Projekt der Binnenschifffahrtsstraßen würden wir im Rahmen der Debatte um eine Verkehrswende gerne auch eine Reaktivierung von Schienenstrecken gemeinsam hier einbringen. Das ist auch ein Teil der wichtigen Debatte um die Verkehrswende. Wenn wir das gemeinsam auf die Schiene bringen können, nachdem wir dieses Projekt bewegt haben, dann ist uns nicht bange, dass wir in Nordrhein-Westfalen die richtigen Beschlüsse für eine gute Zukunft unseres Landes herbeiführen können. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Löcker. – Nun spricht für die FDP Herr Reuter.

Ulrich Reuter (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, dass wir heute abschließend über einen umfassenden Antrag zur Binnenschifffahrt abstimmen können, mit dem wir uns erstmals am 20.03. dieses Jahres befasst haben.

Für das System Wasserstraße ist er der zentrale Antrag in dieser Legislaturperiode. Er hat den Charakter eines Generalantrags, der versucht, die Problematik in unserem Wasserstraßensystem umfassend aufzubereiten und – wichtiger noch – Lösungen zu finden.

Demgemäß haben wir uns intensiv mit diesem Antrag auseinandergesetzt. So haben wir im Rahmen einer Anhörung die relevanten Akteure im Bereich der Wasserstraßen in den Landtag geladen, damit sie uns ihre Einschätzung zu diesem Antrag geben. Die Anhörung hat den Antrag vollumfänglich bestätigt und unsere grundsätzliche Herangehensweise unterstützt.

Ich darf hier kurz die tragenden Elemente dieses Antrags verdeutlichen. Vorrangig brauchen wir zunächst die nachholende Sanierung der Wasserstraßeninfrastruktur und dabei eine Priorisierung der besonders akuten Baunotwendigkeiten bei Schleusen, Spundwänden und Wehren. Das gilt besonders für den Wesel-Datteln-Kanal. Es ist zu begrüßen, dass diesbezüglich der Bund mit dem Instrument des Maßnahmengesetzes die Voraussetzungen für schnelles Handeln schafft.

Zum anderen müssen wir das System gezielt ausbauen, um mehr Güterverkehr von der Straße auf das Binnenschiff zu verlagern. Hierzu sind die überfälligen BVWP-Projekte umgehend umzusetzen. Der Antrag benennt die Vielzahl der Maßnahmen einschließlich der Beschaffung des erforderlichen Personals bei den ausführenden Behörden.

Die Anhörung hat uns diese Vorgehensweise bestätigt. Sie hat uns aber auch verdeutlicht, wie schwierig und schwerfällig die für uns so wichtige Arbeit der Wasserschifffahrtsverwaltung ist. Wir haben volles Vertrauen in die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Verwaltung, mussten aber doch zur Kenntnis nehmen, dass ein derartig gewaltiger Apparat klare Schwachstellen hat. Das betrifft die Umsetzungsstärke, die Geschwindigkeit und mitunter auch die Priorisierung. Letztere ist regelmäßig das Ergebnis politischer Entscheidungen des Bundes.

Auch an dieser Stelle sei noch einmal betont: NRW ist über Jahre und Jahrzehnte zu kurz gekommen, was die Bereitstellung von Mitteln und Personal anbelangt. Wir sind das Binnenschifffahrtsland Nummer eins. Bei uns werden 30 % der Güter über die Wasserstraße transportiert, während der Bundesschnitt bei rund 8 % liegt. Diese Vernachlässigung klagen wir in diesem Antrag ebenso an wie wir eine umgehende Verbesserung der Situation einfordern.

Gerade die Anhörung hat uns eindrucksvoll beispielhaft die unbefriedigende Situation im Dortmunder Hafen vor Augen geführt. Es ist erschreckend, wenn ein solcher Hafen über mehr als 100 Tage abgeschnitten ist, weil die WSV mit Arbeiten an der Schleuse Henrichenburg befasst ist. Und es ist völlig inakzeptabel, dass die wirtschaftlich Betroffenen darüber nicht einmal angemessen informiert wurden.

Deshalb freut es mich, dass wir einige gute Aspekte, auf die die SPD mit ihren ursprünglich vorgelegten Anträgen aufmerksam gemacht hat, in einen gemeinsamen Änderungsantrag der NRW-Koalition und der SPD haben aufnehmen können. So kommen wir zu einem gemeinsamen Vorgehen im Sinne der Sache. Dafür spreche ich unseren ausdrücklichen Dank aus. Dies ist ein starkes und wichtiges Signal – auch in Richtung Berlin.

(Beifall von Thomas Nückel [FDP])

Wenn wir als NRW mehr Berücksichtigung in Berlin erreichen wollen, dann müssen wir gemeinsam vorgehen und über Legislaturperioden hinausdenken. So stellen wir uns ausdrücklich gegen eine Absenkung der Haushaltsmittel des Bundes in Höhe von 200 Millionen Euro, wie sie in Berlin diskutiert wird. Sowohl für diese Mittel als auch für das zum Verbauen der Mittel notwendige Personal in NRW müssen wir streiten.

Ein Wort zu den Grünen: Es ist bedauerlich, dass wir nicht auch mit Ihnen zusammen, meine Damen und Herren, diesen Antrag einbringen konnten. Sie sind erst spät in inhaltliche Fragen eingestiegen. So war auch aus Zeitgründen keine Einigung mehr möglich. Nun haben Sie unseren gemeinsamen Änderungsantrag mit der SPD schlicht kopiert und in einigen Punkten ergänzt.

Dabei sehe ich im Grunde eine weitgehende Übereinstimmung zwischen unseren Positionen – mit einer Ausnahme. Hinsichtlich des zentralen Projektes der Abladeoptimierung und Sohlstabilisierung im Rhein wollen Sie eine Art Vorverfahren mit den Umweltverbänden. Ich glaube daher, dass Ihr Angebot verwässert ist. Wenn es darum geht, ein solches Projekt schneller, transparenter und unter angemessener Beteiligung der Umweltverbände und sonstiger Stakeholder zu realisieren, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wenn es aber darum geht, nur neue Hürden aufzubauen, dann trennt uns der Rhein. Das ist Ihre Vorstellung von Infrastrukturpolitik: verzögern und verschleppen.

Abschließend möchte ich – insbesondere aufgrund der beschriebenen Wichtigkeit dieser Punkte für NRW – vorschlagen, dass wir den Prozess der Ertüchtigung des Wasserstraßensystems in NRW insgesamt auch in Zukunft intensiv parlamentarisch begleiten. Ich schlage deshalb die Einrichtung einer „Parlamentarischen Gruppe Binnenschiff“ vor. Dazu werde ich in nächster Zeit gerne auf die Fraktionen zukommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Reuter. – Jetzt spricht Herr Remmel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Johannes Remmel*) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte das Gemeinsame und Verbindende an den Anfang meiner kurzen Rede stellen.

In der Tat sind Wasserwege und die Binnenschifffahrt in der Verkehrspolitik für Nordrhein-Westfalen zentral. Die Binnenschifffahrt ist die umweltfreundlichste Möglichkeit, Güter in großem Umfang zu transportieren. Es ist für die Versorgung von Menschen, aber insbesondere auch der Wirtschaft von existenzieller Bedeutung, dass diese Verkehrswege funktionieren und die Möglichkeiten und Kapazitäten erweitert werden. Da sind wir uns über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg einig. Ich bedauere es außerordentlich, dass wir es nicht geschafft haben, dies in einem gemeinsamen Änderungsantrag zum Ausdruck zu bringen.

So weit, so gut. Sie müssen mir gestatten, unseren eigenen Änderungsantrag, der im Wesentlichen die Kernforderungen der antragstellenden Fraktionen noch ergänzt, kurz zu erläutern.

Es ist, wenn man inhaltlich eine solche Breite im Parlament hat, nicht hilfreich, diese nicht abzubilden. Herr Voussem hat im Gegenteil dazu auch in seiner heutigen Rede die Gelegenheit genutzt, wieder mit dem Finger in die Vergangenheit zu zeigen: Rot-Grün sei verantwortlich dafür, dass es einen Sanierungsstau bei den Wasserstraßen gebe.

Diese Hand zeigt mit mindestens vier Fingern zurück, weil für die Bundeswasserwege die Bundesebene zuständig ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier in letzter Zeit nicht ausschließlich konservative Politikerinnen und Politiker Verantwortung getragen haben. Dort ist also die Adresse für die Versäumnisse in der Vergangenheit.

Im Übrigen – damit sind wir wieder bei der Sache – hat es verschiedene Organisationsreformen der Schifffahrtsverwaltung gegeben, die dazu geführt haben, diese Verwaltung zu schwächen. Das Ergebnis haben wir in der Anhörung gehört: Über 400 Stellen sind dort nicht besetzt.

Insofern ist es ja gut, dass neue Stellen durch den Minister veranlasst werden, aber sie müssen dann eben auch in der Gesamtheit besetzt werden. Das ist einer unserer Änderungsvorschläge: mit mehr Nachdruck nicht nur die 15 neuen Stellen zu besetzen, sondern insbesondere auch auf die 400 unbesetzten Stellen ein Augenmerk zu legen.

Bezogen auf die Wasserstraße Rhein ist unser Vorschlag, bereits eine Vorfeldkommunikation zu machen und zu versuchen, im Sinne einer Mediation zu einer Verständigung zu kommen, denn auch Ihnen muss klar sein: Nicht die Grünen, sondern dass europäische Recht und insbesondere die Europäische Wasserrahmenrichtlinie stellen hohe Anforderungen und Hürden dar, wenn es darum geht, Veränderungen an unseren Gewässern vorzunehmen.

Die Richtung der Wasserrahmenrichtlinie ist nämlich eine ganz andere. Andere Projekte in Deutschland haben Beispiele dafür geliefert, welche langen Rechtsstreitigkeiten möglicherweise damit verbunden sind.

Auch wir sehen Notwendigkeiten, am Rhein zu Sohlstabilisierungen und zu Vertiefungen zu kommen, aber man sollte dies möglichst frühzeitig abklären, um lange Rechtsverfahren zu vermeiden. Das ist ein anderer Teil unseres Ergänzungsvorschlags.

Am Ende können wir in der Tat keinem Antrag zustimmen, der sozusagen das Glaubensbekenntnis dieser Koalition ellenlang wiedergibt. Glaubensbekenntnisse gebe ich gerne in der Kirche ab, aber nicht im Parlament.

(Henning Höne [FDP]: Man kennt die Grünen ja!)

Deshalb bitte ich darum, diese Versuche künftig zu vermeiden. Dass die SPD nun diesem Glaubensbekenntnis beitritt, muss die SPD mit sich selbst ausmachen. Wir werden das aber nie und nimmer tun. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Carsten Löcker [SPD]: Bis auf den letzten Satz hat mir alles andere gut gefallen! So schlecht war die Rede nicht, aber der letzte Satz war echt mies!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Remmel. – Für die Fraktion der AfD hat Herr Vogel das Wort.

Nic Peter Vogel*) (AfD): Danke schön, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen hat tatsächlich eine Sonderstellung: Wir sind das Transitland im europäischen Verkehr. Das gilt gerade im Güterverkehr und für alles, was aus dem Hamburger Raum in Richtung Genua geht oder vice versa, und für alles, was aus den osteuropäischen Ländern die großen Seehäfen erreichen soll.

Wir haben die höchste Verkehrsdichte und die höchste Lkw-Dichte in ganz Europa. Die Prämisse, mehr und mehr Güter vom Lkw auf Schiff und Schiene zu bringen, ist allgemeiner Konsens. Das sollte auch unsere Prämisse sein und bleiben.

Es liegt aber natürlich an der Technik und der Infrastruktur. Unser Güterschienennetz ist in den letzten Jahren maßgeblich vernachlässigt worden. Da müssen wir natürlich genau hinschauen, denn es gibt einen riesigen Investitionsstau.

So sieht es auch bei unseren Wasserwegen aus. Unsere Brücken sind beispielsweise so marode, dass die meisten gar nicht mehr erhöht werden können. Da gilt nur noch das Gebot des Neubaus.

Die Schleusen sind, so muss man es sagen, tickende Zeitbomben. Die Erneuerung und die Ertüchtigung der Spundwände ist an sich schon eine Mammutaufgabe. Die Poller sind zum Teil über 100 Jahre alt.

An all dem ist zu arbeiten. Sie tragen dem in Ihrem Antrag Rechnung – und somit auch unserem Antrag im November letzten Jahres.

Die Stabilisierung der Sohlen, die partielle Rheinvertiefung und das Reporting finden wir auch hier wieder. Damit könnten wir zufrieden sein – auch mit dem Wunsch der SPD, dem Dortmunder Hafen mal wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Im Grunde genommen könnte man sagen: Das ist eine runde Sache.

Was bleibt aber unter dem Strich? – Im Grunde genommen ist es doch nur eine Handlungsempfehlung an die Regierung von den regierungstragenden Fraktionen. Was übrig bleibt, ist eine reine Einkaufsliste, eine Wunschliste oder ein Glaubensbekenntnis, wie es vorhin bezeichnet wurde.

Wir alle wissen, dass diese Forderungen, die alle gut und richtig sind, jetzt überhaupt nicht in Gänze zu leisten sind. Das große Damoklesschwert ist der Personalschlüssel, und da müssen wir – das wurde mehrfach gesagt – immer wieder nachfordern.

Wir sind immer noch das Industrieland Nummer eins, und wir befördern 30 % unserer Güter über die Schiffswege. Dem muss Berlin endlich Rechnung tragen.

Ich weiß nicht, ob ich dafür eine große Flasche Sekt aufmachen darf, dass wir jetzt 15 neue Ingenieurstellen für die WSV haben; das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Da muss auf jeden Fall massiv nachgefordert werden. Das sollte die Priorität sein. Berlin muss wirklich mal aufwachen, denn ansonsten wird es irgendwann einen großen Knall geben.

Man sollte jetzt dafür sorgen, dass man mit den bescheidenen zur Verfügung stehenden Kapazitäten tatsächlich etwas konkreter wird. Das vermisse ich an diesem Glaubensbekenntnis – oder wie ich es nenne: an dieser Einkaufsliste.

Ich hätte mir nicht gewünscht, dass nach zweieinhalb Jahren irgendwelche Aktionspläne auf den Tisch kommen; das kann man parallel machen. Es geht jetzt aber darum, endlich mit den bescheidenen Mitteln, die wir haben, tätig zu werden.

Das wären beispielsweise die Projekte W 25 und W 27, die Sohlstabilisierung, die partielle Rheinvertiefung. Das letzte Jahr hat uns doch gezeigt, zu welchen Ausfällen es kommen kann.

Des Weiteren sollte man mal einen Blick darauf werfen, wo es denn am meisten wehtut, wenn es irgendwann knallt. Da müssen wir unsere Schifffahrtswege und auch die Kanalnetze mal im Gesamten denken.

Herr Löcker, wenn beispielsweise im Wesel-Datteln-Kanal eine der großen Schleusen ausfällt, ist auch im Dortmunder Hafen nicht mehr viel los – und auch nicht in Hamm oder im Industriepark Marl, dem drittgrößten Chemiestandort Deutschlands.

Die Firmen wissen das, und sie wissen, dass es ein Vabanquespiel ist. Jederzeit kann es knallen. Das bedeutet, sich nicht nach zweieinhalb Jahren darüber zu wundern, was alles auf der Wunschliste steht, sondern sofort tätig zu werden. Das wäre unser großer Wunsch und: weiterhin in Berlin Druck machen. Das wäre eine schöne Sache.

Ihre Anträge und Ihre Änderungsanträge sind sachlich alle richtig, aber noch ist es viel zu unkonkret. Wir müssen endlich beginnen; dann wird es eine runde Sache. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. – Als nächste Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Wüst das Wort. Bitte sehr.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass die Wasserstraße heute einen prominenten Platz in der Debatte hat.

Sie ist die Infrastruktur, die am wenigsten in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Deswegen ist sie vermutlich auch im schlechtesten Zustand. Ich freue mich, dass der Verkehrsausschuss schon sehr konstruktiv darüber beraten und auch eine Sachverständigenanhörung dazu stattgefunden hat.

Die Wasserstraßen sind die einzige Infrastruktur, auf der noch Platz ist. Deswegen können und deswegen müssen sie einen Beitrag leisten und in Zukunft mehr Verkehre übernehmen.

Ich bin froh, in der Debatte gehört zu haben, dass alle Fraktionen diesen Befund, aber auch den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf mit Blick auf den Zustand dieser Infrastruktur teilen.

Sind wir zuständig? – Nein. Können wir deshalb die Hände in den Schoß legen? – Nein.

Deswegen haben wir in den letzten zwei Jahren mit Nachdruck Klinken geputzt. „Klinken putzen“ ist vielleicht kein Wort, das man in den Tätigkeitszuschreibungen einer Landesregierung vermutet, aber manchmal muss man eben Klinken putzen und lobbyieren in Berlin.

Ich bin mir dafür überhaupt nicht zu schade; wir haben das in Teilen ja auch in Berlin schon gemeinsam getan. Ich bin sehr dankbar dafür, dass auch Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen an den Veranstaltungen, die wir in Berlin dazu mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft machen, teilnehmen.

Auch aus der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag sind ja immer Kollegen dabei, Ihr Landesvorsitzender Hartmann zum Beispiel. Das finde ich wirklich prima. Ich finde es deshalb auch toll, dass es heute einen gemeinsamen Antrag der regierungstragenden Fraktionen mit der SPD gibt.

Herr Vogel, Sie sagen: Die 15 Stellen und die weiteren zehn Stellen, die wir jetzt zusätzlich kriegen, das sei doch alles nix. – Ja, aber sie sind erst einmal mehr als das, was vorher da war.

Bitte ignorieren Sie nicht, was beispielsweise in den letzten zehn Jahren bei der Straße passiert ist und was ich jetzt auch gerne bei der Wasserstraßen‑ und Schifffahrtsverwaltung sehen möchte, nämlich dass man einen schnellen Planungshochlauf hinkriegen kann auch mit Hinzunahme externer Planungskapazitäten.

Das haben wir bei der Straße sehr intensiv gemacht: Wir werden in diesem Jahr für externe Planer in Richtung 100 Millionen Euro ausgeben. Ich erwarte das auch bei der Wasserstraße. Da ist also eine ganze Menge unterwegs, damit es dann konkret wird.

Wenn wir hier sagen „Morgen muss Baubeginn sein“, lachen die Hühner Entschuldigung. Sie müssen Sie ja erst einmal Planungen und Vorbereitungen durchführen; daran mangelt es ja an vielen Stellen. Deswegen ist es eben sehr, sehr wichtig, dass die Planer nach Nordrhein-Westfalen kommen.

Mir ist darüber hinaus wichtig – das haben Sie eben auch so abgetan –, dass wir in der Planung konkret werden, in den Planungsabläufen in den nächsten Jahren bei all den Projekten bei Sanierung und Neubau, die uns wichtig sind.

Ich nenne das „Aktionsplan“. Das kann man auch anders nennen. Pläne haben immer schöne Namen, aber wichtig ist, dass nachher auf Papier steht, wann der Bund was macht, damit wir es als Land in unserer Nichtzuständigkeit ein Stück weit auch controllen können – wenn Sie es so schön neudeutsch haben wollen –, dass es konkret wird. Sonst sind das immer lange Listen, und das eine wird angepackt, wenn das andere fertig ist.

Ich möchte das so konkret haben, wie wir uns selber auch am Revers fassen lassen mit unserem Masterplan zur Umsetzung der Bundesverkehrswegeplanmaßnahmen, die wir jedes Jahr neu vorlegen und bei denen Sie als Parlament auch gucken können, wann was passiert ist.

Das möchte ich gegenüber dem Bund bei Wasserstraßen auch haben, damit wir sehr konkret Projektabläufe monitoren und begleiten können. Das ist das Wichtige daran und nicht, dass wir irgendeinen schönen Plan haben mit einer PR-Nummer, sondern dass wir gucken können, obwohl wir nicht zuständig sind: Wann ist was passiert? Ist das so, wie im Plan versprochen, oder muss man nachsteuern?

Das Tempo bei Planung und Umsetzung ist sicherlich zu gering, aber wir haben eben auch beschrieben, wie es vorangehen kann, übrigens mit einem Beschluss auf unseren Antrag hin in der Verkehrsministerkonferenz – da sind ja außer von der AfD alle Arten von Parteibüchern vertreten –, auch das im Übrigen einstimmig. Das ist auch ein gutes Signal gegenüber dem Bund, dass man da aus den Puschen kommen muss.

Ich will noch einmal ein herzliches Dankeschön sagen für die weit über die Regierungskoalition hinausgehende Gemeinsamkeit hier. Das ist mit Blick auf die Zuständigkeit des Bundes und die dort regierende GroKo ja nicht zu verachten. Ich finde es wirklich gut, dass man selbst, wenn einem nicht jedes Glaubensbekenntnis passt, sagt: Das Glaubensbekenntnis lasse ich mal beiseite. Ich stimme zu; in der Sache ist das richtig.

Herr Löcker, ich will den Satz nicht ignorieren. Ich könnte den schlabbern, aber wenn das auch für andere Themen gewünscht und möglich ist, soll es an mir nicht scheitern. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/7863. Ich darf fragen, wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von FDP und CDU. Gibt es Enthaltungen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Damit stelle ich fest, dass der Änderungsantrag Drucksache 17/7863 vom Hohen Hause abgelehnt wurde.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD und FDP Drucksache 17/7866 und darf hier fragen, wer zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Das ist bei den Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 17/7866 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich lasse drittens abstimmen über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/5366. Das Plenum schlägt die soeben angenommene Änderung des Antrags vor, sodass wir nun zur Abstimmung über diesen Antrag in der geänderten Fassung kommen können und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Antrag in der soeben geänderten Fassung zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Die Fraktion der AfD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthalten sich. Damit ist der Antrag Drucksache 17/5366 in der geänderten Fassung angenommen worden.

Wir kommen damit zu:

4   Die Friedens‑ und Konfliktforschung stärken

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7752

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Abgeordneten Bolte-Richter das Wort. Bitte schön.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir leben in global immer unruhigeren Zeiten: Der Irankonflikt droht zu eskalieren, der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien. Das sind nur zwei Beispiele aus den letzten Wochen.

Wir erleben in allen Teilen der Welt akute gewaltsame Konflikte und eine Krise unserer multilateralen Ordnung. Konflikte irgendwo auf unserem Erdball haben nicht mehr nur eine lokale Auswirkung, sondern sie können zu tiefgreifenden Veränderungen führen: regional, kontinental und global. Außenpolitik ist heute mehr denn je Weltinnenpolitik.

Eine solche Weltinnenpolitik braucht eine starke wissenschaftliche Grundlage, um dauerhaften Frieden zu sichern. Sie folgt einem klaren Wertekompass. Dafür leistet die Friedensforschung einen unerlässlichen Beitrag, weil sie Ursachen von Konflikten offenlegt und diese überwinden will.

Seit Langem werden die großen Potenziale, die wir aus der deutschen Friedensforschung haben, verschenkt, weil die Friedensforschung selbst nur unzureichend gefördert wird und die Forschungsergebnisse zu wenig in Politik einbezogen werden.

Das haben die aktuellen Empfehlungen des Wissenschaftsrats aus dem Sommer gerade offengelegt. Der Wissenschaftsrat hat auch uns als politischen Akteurinnen und Akteuren kluge Handlungsempfehlungen mitgegeben.

Wir Grüne bringen diese Impulse jetzt hier ins Parlament ein und fordern, dass die Friedens‑ und Konfliktforschung endlich angemessen gestärkt wird.

Der Wissenschaftsrat hat im Sommer wichtige Impulse dafür vorgelegt. Er fordert unter anderem eine starke Vernetzung innerhalb des Forschungsfeldes und insbesondere auch zu den Nachbardisziplinen, denn klar ist:

Wenn wir uns so ein Thema wie die Bewältigung und vor allem die Prävention von Konflikten und Gewalt im globalen Level vornehmen, ist das nicht nur Sache einer Disziplin und darf es auch nicht sein gerade in einer Zeit, in der viele Gewissheiten der globalen Zusammenarbeit infrage gestellt werden. Verfahren der multilateralen Zusammenarbeit werden immer wieder blockiert, teilweise auch einfach nur noch per Twitter.

Regionale Konflikte werden zu dauerhaften Krisen und entfalten eine große globale Wirkung, die sich dann natürlich auch hier bei uns niederschlägt.

Klimakrise und Digitalisierung führen zu gesellschaftlichen Veränderungen, die natürlich nicht konfliktfrei ablaufen. Beispiele gibt es heute schon zuhauf, auch Beispiele, wo sich Kriege durch neue Technologien verändern und zum Teil sogar noch verschärfen.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist mit Blick auf die Friedens‑ und Konfliktforschung ein ganz wichtiger Standort: mindestens im bundesweiten Vergleich, aber auch in Europa. Weil wir in Europa so stark sind, legen wir Ihnen heute einige Ansätze dafür vor, wie wir die Friedens‑ und Konfliktforschung an den Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen noch weiter stärken können.

Diese Stärkung muss durch die Länder, den Bund und durch die Europäische Union gemeinsam erfolgen, aber nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern vor allem durch eine stärkere ideelle Unterstützung.

Vieles von dem, was wir heute vorschlagen – wir haben es an der Stelle auch jeweils sehr vorsichtig formuliert –, liegt natürlich im Bereich wissenschaftlicher Eigenständigkeit, aber das bedeutet eben nicht, dass man sich jetzt zurücklehnen kann und Bemühungen nicht unterstützen könnte.

Nordrhein-Westfalen hat an mehreren Standorten etwa Forschungsbereiche der naturwissenschaftlich-technischen Friedens‑ und Konfliktforschung. Der Wissenschaftsrat rät insbesondere dazu, diese Felder, weil sie bisher noch zu wenig gefördert sind, zu stärken und bundesweit drei Standorte auszubauen.

Wir finden, Nordrhein-Westfalen sollte mindestens einen dieser Standorte haben, denn das Potenzial ist vorhanden. Lassen Sie uns einen gemeinsamen Appell an den Bund richten, aber auch hier bei uns auf der Landesebene die notwendigen Weichen stellen.

Wir brauchen eine Kartierung der Friedens‑ und Konfliktforschung, wie wir sie schon von den kleinen Fächern kennen. Das verschafft ungemeine Sichtbarkeit und stärkt die Vernetzung mit anderen Akteuren und Disziplinen. Nicht zuletzt verschafft es auch diesem wichtigen Forschungsfeld eine Sichtbarkeit gegenüber der Politik.

In Zeiten, in denen die Rüstungsausgaben und Exporte immer neue Rekordwerte erreichen, muss auch die Förderung der Friedens‑ und Konfliktforschung und insbesondere auch der Konfliktprävention neue Rekorde erreichen.

Wir brauchen in einer Welt, die unübersichtlich geworden ist, Alternativen. Wir brauchen Strategien, um zu deeskalieren, um langfristig Stabilität durch Friedens‑ und Entwicklungspolitik zu erreichen, denn den Nährboden von Konflikten trocknen wir nur aus, wenn wir international kooperieren.

Dafür stehen unsere wissenschaftlichen Think Tanks hier in Nordrhein-Westfalen. Sie stehen dafür, Ansätze zu entwickeln, wo multilaterales Handeln durch starke multilaterale Institutionen möglich ist.

Klar ist: In der heutigen Zeit können wir diese riesengroßen Herausforderungen nicht mehr alleine in den Nationalstaaten lösen. Wir müssen globale Kooperationen eingehen.

Nordrhein-Westfalen hat sich verpflichtet, diese sozial-ökologische Transformation, die nachhaltige menschenrechtsbasierte Zukunft voranzutreiben.

In dieser immer komplexer werdenden Welt brauchen wir Wissen und Kompetenz. Wir legen Ihnen heute Maßnahmen dazu vor, wie das aussehen kann. Ich freue mich sehr auf eine Debatte, die wir hoffentlich sehr stark parteiübergreifend führen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Dr. Nacke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Stefan Nacke*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli dieses Jahres hat der Wissenschaftsrat nach eingehender Befassung mit dem Themenfeld Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens‑ und Konfliktforschung vorgelegt. Er war dazu vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gebeten worden.

Dieses Forschungsfeld ist im hohen Maße multi‑ und interdisziplinär aufgestellt: internationale Beziehungen, Politikwissenschaft, Soziologie, Völkerrecht, Ethnologie usw.

Es geht um eine umfassende Betrachtung der Ursachen, Formen und Dynamiken, um die Folgen von Konflikten und Gewalt und insbesondere um das Nachdenken über Prävention, Einhegung und Beilegung sowie um Perspektiven einer dauerhaften Stabilisierung von Frieden.

Besonders interessant und sehr wichtig finde ich dabei die zunehmende Einbeziehung der sicherheitspolitischen Forschung in diese Überlegungen. Angesichts neuer technischer Formen von Gewalt und Kriegsführung ist der Bereich der naturwissenschaftlichen und technischen Friedens‑ und Konfliktforschung besonders weiterzuentwickeln.

Der Wissenschaftsrat konstatiert im Forschungsfeld eine starke praktische Ausrichtung. Der Bund ist naturgemäß aufgrund seiner außenpolitischen Aufgaben stark involviert; geht es doch in großem Maße um wissenschaftliche Politikberatung.

Es gibt bundesweit 32 Professuren, die das Thema in ihrer Denomination explizit genannt haben. In den über ganz Deutschland verteilten universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen arbeiten momentan ca. 95 Wissenschaftler. In der Arbeitsgemeinschaft für Friedens‑ und Konfliktforschung AFK, die sich als Fachgesellschaft versteht, gibt es ca. 300 Mitglieder.

Die nordrhein-westfälischen Einrichtungen, auf die wir stolz sind, sind im vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aufgeführt. Hervorzuheben ist vielleicht das große Friedensgutachten, das als Jahrespublikation gemeinsam vom BICC aus Bonn, dem Leibniz-Institut der Hessischen Stiftung Friedens‑ und Konfliktforschung, dem Institut für Entwicklung und Frieden und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg herausgegeben wird. Man sieht schon die bundesweite Zusammenarbeit.

Hier werden aktuelle Gewaltkonflikte analysiert, Trends der internationalen Außen‑, Sicherheits‑ und Entwicklungspolitik aufgezeigt und Empfehlungen für die Politik gegeben. Wir haben es mit einem wichtigen Forschungszusammenhang zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist evident, dass die Bedeutung des Forschungsfelds „Friedens‑ und Konfliktforschung“ wächst und dass wir weiterhin und vermehrt wissenschaftlich abgesicherte Beratung brauchen, um in unserer nicht friedlicher, sondern eher unübersichtlicher werdenden Welt politisch angemessen und weitsichtig agieren zu können.

Wir sehen auch, dass in einer globalisierten Welt die Grenzen von Außen‑ und Innenpolitik verwischen, Stichwort: Migration.

In einer Zeit, in der die Politik als Aushandlung von Deals propagiert wird, in der Wahrheit eine Frage von Interpretation zu sein scheint und Fakten behauptet oder geschaffen werden, brauchen wir umso mehr eine Zusammenarbeit von Politik und methodisch reflektierter ideologiefreier Wissenschaft.

In den Konflikten geht es natürlich um Interessensausgleich. Vor allem aber sollte Politik das Gemeinwohl, das Weltgemeinwohl im Blick haben.

Papst Paul VI. hat bereits vor über 50 Jahren in seiner Enzyklika „Populorum progressio“ gesagt: „Entwicklung ist der neue Name für Frieden.“

Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Wissenschaftsgutachten nun eine wichtige Diskussionsgrundlage haben, auf deren Basis wir das Gespräch mit unseren nordrhein-westfälischen Forschungseinrichtungen suchen können.

Es ist besser, miteinander zu reden, als übereinander. Deswegen schlage ich vor, dass wir die Vertreter der NRW-Institutionen bald zu uns in den Ausschuss einladen, um gemeinsam über die Schlüsse, die aus dem vorliegenden Gutachten des Wissenschaftsrats zu ziehen sind, zu diskutieren.

Es geht natürlich um Internationalisierung, Sichtbarkeit, Vernetzung und Forschungsförderung insbesondere der technischen und naturwissenschaftlichen Forschung – das ist gerade auch schon gesagt worden.

Dabei ist es sehr wichtig zu sehen, welche Aufgaben wir als Land haben, welche Aufgaben der Bund haben muss und was eine europäische Perspektive ist.

Dafür hätten wir den Antrag eigentlich nicht gebraucht. Wir finden dieses Thema sehr wichtig; wir stimmen natürlich der Überweisung zu. Ich freue mich sehr auf diese Debatte. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Dr. Nacke. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Schultheis das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Karl Schultheis*) (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! In der heutigen unübersichtlichen globalen Lage beschäftigt sich die Friedens‑ und Konfliktforschung mit Themen, die uns in NRW direkt, aber auch natürlich indirekt betreffen. Die Themen wurden genannt, Stichworte: bewaffnete Konflikte, Klima, Nutzung natürlicher Ressourcen und Migration.

Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das nicht neu ist. Deshalb ist es wichtig, den Aspekt der Umsetzung von Friedens‑ und Konfliktforschung mit in den Mittelpunkt zu nehmen.

Im wissenschaftlichen Diskurs der Bundesrepublik taucht die Friedens‑ und Konfliktforschung in den späten 50er‑ und frühen 60er-Jahren als Reaktion auf die Pläne der atomaren Wiederbewaffnung auf. Schließlich ist es Gustav Heinemann, der sich 1969 in seiner Antrittsrede als Bundespräsident für eine Stärkung der Forschung auf diesem Gebiet ausspricht.

Wie Sie sehen, ist die Friedensforschung schon immer auch ein sozialdemokratisches Thema gewesen. Es ist unser innerstes Anliegen. Ich sage das auch deswegen, weil es diese große Übereinstimmung, die heute herrscht, nicht immer gab – ich denke insbesondere an die Anfeindungen gegen das Stockholmer SIPRI-Institut. Da war es gerade von konservativer Seite aus nicht selbstverständlich, dass man die Friedens‑ und Konfliktforschung gemeinsam vorantreiben wollte.

In der Folge wird der Wissenschaftsrat um Empfehlungen für ein geeignetes Instrument gebeten. Die Umsetzung erfolgt dann 1970 mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Friedens‑ und Konfliktforschung, welche 1983 in die Senatskommission für Friedens‑ und Konfliktforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft übergegangen ist.

Ebenfalls 1970/71 erfolgte die Gründung außeruniversitärer Forschungsinstitute in Hessen und Hamburg. 1994 folgte schließlich die Gründung des BICC in Bonn, an der die damalige Wissenschaftsministerin Anke Brunn sehr hohen Anteil hatte. Da ging es auch im Rahmen des Bonn-Berlin-Ausgleichs darum, neue Institute auf den Weg zu bringen.

Im universitären Bereich beteiligen sich neben den Hochschulen und den inneruniversitären Instituten auch eine Reihe von Professoren mit Lehrveranstaltungen und Forschungen aus den verschiedensten Disziplinen; darauf wurde bereits hingewiesen.

Das sind im Kern natürlich Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften, Soziologie, außerdem auch Sozial‑ und Kulturwissenschaften, Pädagogik, Sozialpsychologie, aber eben auch Naturwissenschaft und Technik – ein wichtiges Feld, das sicherlich viel stärker noch in den Fokus genommen werden muss.

Die Friedens‑ und Konfliktforschung ist seit jeher ein Thema unterschiedlicher Disziplinen. Ihre komplexen Forschungsgegenstände umfassen ein breites Spektrum aktueller, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich relevanter Themen.

Deshalb sprechen wir uns für die Einrichtung einer interdisziplinären Plattform des Austauschs aus. Vernetzung ist gefordert. In der Tat ist das auch die Einschätzung des Wissenschaftsrats. Hier ist auch erhebliches Verbesserungspotenzial, das es zu nutzen gilt – einmal um die Ressourcen zu bündeln, aber auch, um die Themenstellungen einander zuzuführen. Die interdisziplinäre Arbeit bedeutet auch Methodenpluralität; denn die Vielzahl der Fragestellungen erfordert eine interdisziplinäre Bearbeitung.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist es Aufgabe des Landes, beispielsweise regionale Kooperationen zu fördern und standortübergreifende Forschung und Projekte zu unterstützen.

Wir teilen den Antrag der Grünen im Kern und fordern insbesondere, wie schon gesagt, Vernetzung und Kooperation.

Die finanziellen Auswirkungen, die damit verbunden sein werden, hat hier bisher niemand quantifiziert. Es gibt auch keinen Haushaltsantrag der Grünen zu diesem Thema im Landtag. Allerdings werden wir in der weiteren Beratung darüber zu befinden haben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor globalen Herausforderungen, internationalen Konflikten, aber auch nationalen Herausforderungen, deren Folgen auch wir spüren, die Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben in Deutschland und Europa haben – wie die Klimakrise oder nationalistische Bewegungen, die internationale Abkommen und Institutionen infrage stellen.

Deshalb braucht Politik klare Analysen, um kluge und informierte politische Entscheidungen treffen zu können. Das heißt: Wir müssen das, was erforscht wird, auch umsetzen wollen und es nicht nur als wissenschaftliche Arbeit begreifen, sondern als aktive Politikberatung, die politische Entscheidungen begleitet. Darum wird es auch gehen, wenn wir eine stärkere Vernetzung herbeiführen.

Wir werden selbstverständlich der Überweisung des Antrages zustimmen und hoffen auf eine gute Beratung im zuständigen Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schultheis. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Beihl das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Daniela Beihl (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann nicht oft genug betonen, in was für einer privilegierten Zeit wir in unserem Land leben. Denn wir leben in Freiheit, Wohlstand und vor allem Frieden. Dafür können wir sehr dankbar sein.

Dennoch beschäftigen uns zahlreiche internationale Konflikte. Diese Konflikte sind nie eindimensional, sondern hochkomplex – mit verschiedenen Akteuren, multiplen Interessen und vielschichtigen historischen Determinanten.

Unsere Institutionen der Friedens- und Konfliktforschung leisten für das Verständnis dieser Konflikte einen essenziellen Beitrag – zum einen für die Zivilgesellschaft, zum anderen aber auch für die deutsche Politik.

Wir sind in NRW in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. Unser Bundesland gehört zu einem der vier forschungsstärksten regionalen Zentren. Sowohl im Rheinland als auch im Ruhrgebiet gibt es universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen und Institute, die zu Frieden und Konflikten forschen.

An der Ruhr-Universität Bochum und an der Universität Duisburg-Essen können Studierende in international anerkannten Studiengängen ihren Studienschwerpunkt auf Friedens- und Konfliktforschung legen.

Als Ostwestfälin freue ich mich darüber, dass wir an der Universität Bielefeld das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung haben. Dort forschen derzeit rund 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an evidenzbasierten Vorschlägen und formulieren praktische Handlungsoptionen.

Das bereits 1996 gegründete Institut beschäftigt sich nicht nur mit Konflikten und deren Prävention, sondern auch mit Aussöhnung und Friedensstiftung. Dies zeigt beispielhaft, wie weit das Forschungsfeld reicht.

Vor dem Hintergrund dieser enormen Bedeutung haben wir als NRW-Koalition den Bericht des Wissenschaftsrats, der ja auch Grundlage des vorliegenden Antrags ist, mit großem Interesse gelesen. Das gute Zeugnis, das diesem wichtigen Forschungszweig ausgestellt wird, freut uns sehr, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Schaut man sich aber Ihren Antrag genauer an, so stellt man fest, dass er eine Sammlung von Forderungen beinhaltet, die aus unserer Sicht nicht zielführend sein können.

Zunächst ergibt sich aus dem Bericht des Wissenschaftsrats nämlich keine spezifische Forderung an das Land NRW. Die Forderungen sind mehrheitlich direkt an den Bund gerichtet.

Wir Freien Demokraten begrüßen, dass NRW bereits eigenverantwortlich Schwerpunkte in diesem Forschungsfeld setzt.

Wir können Ihrer Forderung, die Hochschulen in ihrer Mittelvergabe und ihrem Schwerpunksetzen zu beeinflussen, wenig abgewinnen. Das schaffen die Hochschulen selbst.

Dies macht auch der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen deutlich. Ein erheblicher Teil richtet sich nämlich an die Wissenschaft selbst und nicht an die Politik. Der Bericht definiert – mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich –:

„Dabei sollten Bund und Länder insbesondere Selbstorganisationsprozesse des Forschungsfeldes unterstützen.“

Genau das machen wir hier in NRW. Durch die Novellierung des Hochschulgesetzes haben wir es auch noch einmal gestärkt.

Hinzu kommt, dass Ihre Forderungen sehr allgemein und unspezifisch sind. Es fehlt an konkreten Zahlen, Zeiträumen und Maßnahmen. Sie vermengen auch unterschiedliche Zuständigkeiten und Ebenen.

Wir als NRW-Koalition sind der Meinung, dass auch das eigenständige Thema des Gaststaatgesetzes für sich behandelt werden muss.

Wir begrüßen die Idee der Fraktion der CDU, Expertinnen und Experten in den Ausschuss einzuladen, und werden deshalb der Ausschussüberweisung zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beihl. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Seifen das Wort.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie sehr der linksideologische Zeitgeist rot-grüner Provenienz die Ausrichtung der Wissenschaft prägen kann, sehen wir aktuell in ihren sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern am Boom der sogenannten Genderforschung.

Die deutschsprachigen Länder leisten sich derzeit an die 250 Lehrstühle und Zentren für Gender Studies, einschließlich der neuen Fachrichtung innerhalb der Genderforschung, der Porn Studies. Ja, Sie hören recht: der Pornografie-Studien. – So viel an dieser Stelle zum Zustand eines einstmals führenden Wissenschafts- und Industrielandes.

Eine Generation zuvor – im Gefolge der von den Grünen angeführten Proteste gegen die NATO-Nachrüstung und des Aufkommens der Friedensbewegung in der 80er-Jahren – entstanden an den Universitäten eine Reihe von Instituten, die sich mit dem Thema der innen- und außenpolitischen Ursachen internationaler Konflikte befassten. – So weit, so gut.

Zeitgleich mit der Gründung eines der ersten unter ihnen, des Bonn International Center for Conversion, im April 1994, mussten wir in Zentralafrika den größten ethnisch begründeten Völkermord nach 1945 erleben. Innerhalb von drei Monaten wurden in Ruanda schätzungsweise 800.000 Menschen aus der Volksgruppe der Tutsi von der aufgehetzten Mehrheit der Hutu hingemetzelt. Die Tragödie in Ruanda leitete zugleich Wasser auf die Mühlen der Vertreter der neuen Fachrichtung. Das Thema erhielt auf diese traurige Weise wissenschaftliche Konjunktur.

Seitdem sind zahlreiche weitere blutige innenpolitische Konflikte auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft entstanden.

Ich erinnere nur an den jugoslawischen Bürgerkrieg, an den Libyen-Krieg 2011, an den 2014 begonnenen Krieg in der Ostukraine und an den syrischen Bürgerkrieg, der uns in seinen Folgen bis heute beschäftigt.

Dies waren stets innere Konflikte, die von äußeren Mächten angeheizt wurden – leider immer wieder auch von westlichen Staaten. Auch die Bundesregierung spielte dabei, um es vorsichtig zu sagen, nicht immer die glücklichste Rolle.

Wie viel oder vielleicht eher wie wenig die Friedensforschung dazu beitragen konnte, die Ursachen dieser Konflikte zu erforschen und Einfluss auf die Haltung der deutschen Politik zu nehmen, entzieht sich natürlich hier unserer Bewertung. Es wäre nur schön gewesen, wenn es so wäre.

Festzuhalten ist aber, dass die Ergebnisse dieses Forschungszweigs ganz offenkundig in den Zuständigkeitsbereich der Sicherheits- und Außenpolitik des Bundes fallen und somit nicht viel mit Ländersache zu tun haben.

Auf die Zuständigkeit des Bundes nimmt auch das von den grünen Antragstellern bemühte Gutachten des Wissenschaftsrates Bezug. Dort heißt es – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Der Bund, der die Beratungsleistungen dieses Forschungsfelds intensiv in Anspruch nimmt, sollte hierbei mit einer zeitlich befristeten Fördermaßnahme unterstützend tätig werden.“

Zwar sollten auch die Bundesländer prüfen – so heißt es in dem Gutachten weiter –,

„ob sie regionale Kooperationen der Friedens- und Konfliktforschung durch komplementäre Programme weiter stärken können.“

Ein Forderungskatalog wie in dem hier vorliegenden Antrag der Grünen geht über die Stellungnahme des Wissenschaftsrates aber weit hinaus.

Es ist schon einmal gar nicht so, dass, wie von den Antragstellern suggeriert, der zunehmenden Anzahl internationaler Konflikte am besten durch eine zunehmende Stellenzahl im Bereich der Friedensforschung beizukommen wäre.

Es wäre schön, wenn das gelänge. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Leider Gottes ist Forschung nicht das geeignete Mittel, um gewaltbereiten Menschen Einhalt gebieten zu können. Da kann ich nur sagen: Oh himmlische Einfalt! Wenn die Dinge doch bloß so einfach liegen würden!

Nicht einmal die innerstaatliche Gewalt in unserem Land konnte von den Friedens- und Konfliktforschern minimiert werden. Vergewaltigungen, Messerstechereien und bald wieder verpollerte Weihnachtsmärkte gehören trotz Konfliktforschung zu unserem so tollen linksideologisch gestalteten Leben der Vielfalt und Buntheit.

(Dietmar Bell [SPD]: Haben Sie Angst?)

Aufgrund dieser gefährlichen Naivität ist es schließlich nicht weiter verwunderlich, dass das Verhalten global tätiger Akteure den Grünen als – Zitat – „unberechenbar“ erscheint.

Die Regierungen anderer Länder halten sich hingegen noch an das, was auch in unserem Grundgesetz steht, nämlich an das Wohl des eigenen Volkes. Dem allein fühlen wir uns verpflichtet – und nicht der träumerischen grünen Weltrettung.

Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen. Aber selbstverständlich freuen wir uns auf die Diskussion im Wissenschaftsausschuss. Vielleicht trägt diese Diskussion dazu bei, Sie in Ihren Vorstellungen möglichst dahin zu lenken und Sie von Ihrer traumseligen Vorstellung einer friedlichen Welt, in der das Schaf beim Löwen weidet, abzulenken. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Deutlich ist, dass doch die große Mehrheit dieses Hauses unstreitig davon überzeugt ist, dass das interdisziplinäre Forschungsfeld Friedens- und Konfliktforschung von großer Bedeutung ist, um Ursachen und Folgen von gewaltsamen Konflikten sowie Mechanismen der dauerhaften Stabilisierung von Frieden zu verstehen und dann entsprechend zu handeln.

Das, Herr Seifen, ist nämlich der Sinn der Forschung in diesem Feld.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD] – Gegenruf von Dietmar Bell [SPD]: Herr Seifen, immer Panzer rollen!)

Der vorgelegte Antrag beruft sich nun auf die umfassende Evaluation des Forschungsfeldes Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland durch den Wissenschaftsrat. Im Wesentlichen stellt das Gutachten des Wissenschaftsrates fest,

(Dietmar Bell [SPD]: Panzerforschung!)

dass dieser wichtige Forschungsbereich bundesweit insgesamt gut aufgestellt ist.

Wir müssen konstatieren – das sage ich hier dann auch einmal –, dass die großen Player in diesem Feld seit Langem die sehr angesehenen Institute in Hamburg und Darmstadt sind.

Bezogen auf das Land Nordrhein-Westfalen möchte ich die Leistungsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Forschungseinrichtungen, unterstützt durch Förderimpulse des Landes, ausdrücklich betonen. Exemplarisch seien genannt – Herr Schultheis hatte es schon angeführt – das Bonn International Center for Conversion, das als außeruniversitäre Forschungseinrichtung des Landes gemeinsam mit Brandenburg sehr erfolgreich ist und erst vor Kurzem sein 25-jähriges Bestehen feierte. Vom Land Nordrhein-Westfalen wird es jährlich mit 1 Million Euro unterstützt.

Das Ministerium seinerseits fördert – und das auch schon seit einer ganzen Weile – im Bereich der Gesellschaftswissenschaften elf Forschungsprojekte im Bereich „Flucht und Integration“.

Die Hochschulen setzen eigene Schwerpunkte, zum Beispiel an der Universität Duisburg-Essen – das wurde eben auch erwähnt – das Institut für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik oder an der Universität Bonn das Zentrum für Entwicklungsforschung; alles Themenbereiche, die unter diesen Oberbegriff fallen.

Das BICC und das INEF, wie man sie abkürzt, sind zudem – das ist auch ein sehr wichtiger Hinweis – an der Herausgabe des seit 1987 jährlich erscheinenden Friedensgutachtens beteiligt, das aktuelle Gewaltkonflikte analysiert und Handlungsempfehlungen gibt.

Selbstverständlich gilt es, bei der Weiterentwicklung dieser Bereiche auch die Handlungsempfehlungen des Wissenschaftsrates zu berücksichtigen.

Allerdings ist der vorliegende Antrag, wenn es darum gehen soll, die Empfehlungen des Wissenschaftsrates für das Land Nordrhein-Westfalen nutzbar zu machen, insgesamt nicht wirklich zielführend. Denn zu beachten ist, dass die wesentlichen Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung den Bund betreffen.

Der Wissenschaftsrat empfiehlt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag beispielsweise, die finanzielle Ausstattung der Deutschen Stiftung Friedensforschung durch eine angemessene Aufstockung des Stiftungskapitals zu verbessern. Wenn der Bundestag das macht, schlägt es sich natürlich auch in einer verbesserten Forschungsförderung positiv für nordrhein-westfälische Einrichtungen nieder, die sich dann dort bewerben können.

Um die Stiftung Entwicklung und Frieden, kurz SEF, deren Unterstützung der Antrag fordert, geht es allerdings bei den Empfehlungen des Wissenschaftsrats nicht. Das beruht offensichtlich auf einem Missverständnis.

Die an die Länder gerichteten Empfehlungen zum Beispiel in Bezug auf Grundausstattungen sind eher allgemein gehalten und auch nicht speziell für uns als Land Nordrhein-Westfalen ableitbar.

Im Übrigen ist es – das wissen Sie – eine zentrale Leitlinie der Wissenschaftspolitik der Landesregierung, dass die Hochschulen über ihre wissenschaftlichen Schwerpunktsetzungen autonom entscheiden. Die Stärke Nordrhein-Westfalens auf dem Feld der Friedens- und Konfliktforschung ist ein Beleg dafür, dass genau dieser Ansatz erfolgreich ist.

Sollte es in Einzelfällen doch einen Bedarf für weitere Schritte oder für Maßnahmen, die mögliche Bundesinitiativen flankieren, geben, werden wir uns das natürlich immer sehr genau ansehen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache angelangt sind.

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/7752 an den Wissenschaftsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die Überweisungsempfehlung mit Zustimmung des Hohen Hauses einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

5   Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7747

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion dem Abgeordneten Wagner das Wort. Bitte sehr.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Rauschgifthandel, Betrug in Spielhallen, Autoschiebereien, Zwangsprostitution: Das sind nur einige der Geschäftsfelder der Organisierten Kriminalität, mit der die mehrheitlich ausländischen Täter Jahr für Jahr Millionen machen. Als Politik, als Staat ist es unsere Aufgabe, dagegen immer und mit allen Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet, vorzugehen.

Wir als AfD-Fraktion wollen heute wie an jedem Tag unser Land ein Stück weit sicherer und damit natürlich auch besser machen.

(Beifall von der AfD)

Genau darum legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Organisierte Kriminalität deutlich effektiver bekämpfen können. Dabei erfinden wir das Rad nicht neu, sondern orientieren uns sachlich und ideologiefrei an dem, was andere Bundesländer besser machen.

Dabei stellen wir fest, dass in Bayern und in Hessen der Verfolgungsdruck auf die organisierten Kriminellen bereits höher ist; denn dort wird nicht nur die Polizei mit ihren Mitteln aktiv, sondern es werden zusätzlich natürlich die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes genutzt. Das ist es, was wir auch in NRW benötigen.

Mit unserer Gesetzesinitiative beauftragen wir endlich auch das Landesamt für Verfassungsschutz, den Bereich der Organisierten Kriminalität zu observieren.

Das Lagebild Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamtes, für das ich seinen Erstellern ausdrücklich dankbar bin, geht alleine für NRW von mindestens 188 Millionen generierten Euro als Tatertrag aus.

In die Drogengeschäfte involviert waren – ich zitiere das LKA – vor allem kriminelle Angehörige türkisch-arabischer Clans, italienische Mafiaangehörige, Rocker und albanische Banden.

Knapp 66 % der Täter sind Ausländer – hinzu kommen noch die Ausländischstämmigen mit deutschem Pass oder doppelter Staatsangehörigkeit –, und das bei einem Ausländeranteil von knapp 13 % im Allgemeinen.

Sie können es gerne rechtspopulistisch nennen, wenn ich die amtlichen Zahlen zitiere, also die Realität wiedergebe. Aber Ausländer sind demnach mindestens fünffach überproportional an Verbrechen der Organisierten Kriminalität beteiligt, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspräche.

Einen zunehmenden Anteil an der Organisierten Kriminalität hatten dabei gerade auch die in den 80er-Jahren als vermeintliche Flüchtlinge eingewanderten Clans, die über den Umweg des Libanon aus der Türkei nach Deutschland kamen.

Das wird sich infolge Ihrer Politik, die Sie in trauter Eintracht von Schwarz bis Grün als weltoffen und vielfältig bezeichnen, die aber in Wahrheit weltfremd und einfältig ist, noch verschlimmern. Denn das, was wir leider jetzt schon in unseren Großstädten erleben, drängt immer weiter in die kleinen Städte und in die Kreise vor. Es ist die schiere Masse, die ungeordnet ins Land strömt.

Wenn wir diese Clans aufbrechen wollen, müssen wir jedes, aber auch wirklich jedes Mittel nutzen, das der freiheitliche Rechtsstaat bietet. Dazu gehört die konsequente Umsetzung des bestehenden Rechts. Dazu gehört ein deutlich stärkeres Problembewusstsein bei Verurteilungen schon bei kleineren Delikten. Dazu gehört – leider sind wir damit die Einzigen – die konsequente Abschiebung, wo immer sie rechtlich irgendwie möglich ist. Dazu gehören dann eben auch nachrichtendienstliche Mittel.

Es ist klar, dass wir bei einer Ausweitung nachrichtendienstlicher Aufgabenfelder den Kern des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten natürlich nicht antasten. Vor dem Hintergrund unserer geschichtlichen Erfahrungen mit der verbrecherischen Gestapo der Nationalsozialisten und der linken Stasi verbietet sich das von selbst.

(Beifall von der AfD)

Unser Antrag ist auch an dieser Stelle rechtssicher, also verfassungsrechtlich sauber; denn wir übernehmen die Legaldefinition aus den Ländern Bayern und Hessen, in denen der Verfassungsschutz die Organisierte Kriminalität längst im Blick hat.

Wie so häufig sind wir dabei wieder einmal einer Meinung mit den Praktikern der Deutschen Polizeigewerkschaft, die das schon seit Längerem fordern.

Hinzu kommt, dass das auch hier im Haus die CDU schon einmal 2005 in einem Antrag, der damals von allem etwas hatte, gefordert hat.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört! Hört!)

Liebe Kollegen von der CDU, wir helfen Ihnen gerne ein wenig auf die Sprünge, damit das, was Sie als Opposition gefordert haben, nun auch in der Regierung umgesetzt wird.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Es ist ja eine klassische Funktion der AfD, das, was einstmals klassische CDU-Politik war, heute in den Parlamenten als bürgerliche Volkspartei zu vertreten. Vielleicht kann ich der CDU im Haus mal wieder ein bisschen Lust an eigentlicher CDU-Politik machen.

Wenigstens Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, der Kollege Golland, ließ sich in der „Rheinischen Post“ vor Kurzem so zitieren, dass ich zunächst dachte, es sei von mir.

Dort sagte er:

Organisierte Kriminalität, die den Rechtsstaat verachtet, Behörden infiltriert, Menschen bedroht, einschüchtert und korrumpiert, ist ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere staatlichen Institutionen und stellt damit eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung dar.

Jawohl, Herr Golland! Sie haben völlig recht. Genau so ist es!

(Beifall von der AfD)

Nun können Sie alle hier und heute beweisen, ob das nur heiße Luft war oder ob Sie es ernst meinen und folgerichtig mit uns stimmen. Denn wir meinen es ernst mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Sie können mit uns Nordrhein-Westfalen heute sicherer machen; dann dankte ich es Ihnen als Bürger. Oder Sie lehnen fadenscheinig ab und lassen uns als AfD das nächste Alleinstellungsmerkmal; dann müsste ich Ihnen als Parteimitglied für die zusätzlichen Wähler danken.

Aber für mich ist Parteipolitik immer erst in zweiter Linie interessant. Mein Ziel und das Ziel meiner Fraktion sind das sachlich Richtige und das Wohl der Bürger. Unser Gesetzentwurf steht dafür. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war Herr Abgeordneter Wagner für die Fraktion der AfD. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Frieling das Wort. Bitte sehr.

Heinrich Frieling (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen bringt die AfD-Fraktion ein besonders sensibles Thema auf die Tagesordnung.

(Helmut Seifen [AfD]: In der Tat!)

Gefordert wird die Ausweitung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes auf den Bereich der Organisierten Kriminalität. Besonders im Fokus steht dabei die Bekämpfung der Clankriminalität.

Bevor wir einen genaueren Blick auf den Gesetzentwurf selbst werfen, möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist ein zentrales Ziel der NRW-Koalition. Dieses Ziel wird von Minister Herbert Reul konsequent verfolgt und umgesetzt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Anders, als es Vorgängerregierungen getan haben, ducken wir uns nicht weg,

(Gregor Golland [CDU]: So ist es!)

sondern sorgen für Transparenz und stellen uns der Herausforderung.

Das zeigt bereits die Erstellung des bundesweit ersten Lagebildes zur Clankriminalität, auf das Sie in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf regelmäßig Bezug nehmen.

Die von Minister Reul durchgesetzte Nulltoleranzstrategie, seine Initiative zur Stärkung gesetzesübergreifender Kooperationen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung sowie die personelle Verstärkung und verbesserte sächliche Ausstattung der Polizei sind nur einige der konkreten Maßnahmen, mit denen die schwarz-gelbe Landesregierung bereits viel für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen verbessert hat.

Dass nun mit Michael Schemke ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Organisierten Kriminalität zum Inspekteur der Landespolizei gemacht wird, steht sinnbildlich dafür, welche Bedeutung die Landesregierung diesem Themenfeld beimisst.

Erste Erfolge der Arbeit sind in den Daten des Landeskriminalamtes abzulesen, die einen Rückgang entsprechender Straftaten in den Brennpunkten des Ruhrgebiets ab 2017 ausweisen.

Vor diesem Hintergrund ist nun die Frage zu betrachten, ob es einer zusätzlichen Ausweitung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes für den Bereich der Organisierten Kriminalität bedarf.

Angestoßen hat diese Diskussion – Sie haben es selbst gesagt – die Deutsche Polizeigewerkschaft.

Die AfD-Fraktion versucht nun, mit einem schnell formulierten Gesetzentwurf politisch Kapital daraus zu schlagen. Dabei war bloßes Abschreiben noch nie eine besondere Leistung.

(Zurufe von der AfD)

Und gerade hier ist besondere Sorgfalt gefragt. Immerhin geht es um einen höchst sensiblen Rechtsbereich. Denn bei der Tätigkeit des Verfassungsschutzes handelt es sich regelmäßig um grundrechtsrelevante Eingriffe, die einer ausreichend differenzierten Betrachtung und Rechtsgüterabwägung bedürfen.

Sie haben selbst auf den geschichtlichen Hintergrund hingewiesen, Herr Wagner. Aber ich widerspreche Ihnen: Nachhilfe brauchen wir als CDU an dieser Stelle nicht. Selbst der Kollege Golland, den Sie richtig zitiert haben … Es ist immer gut, sich an profilierten CDU-Rechts- und ‑Innenexperten zu orientieren.

(Beifall von der CDU)

Allerdings hätten Sie ihn dann auch richtig zu Ende zitieren müssen. Denn auch er macht keinen politischen Schnellschuss. Sie haben darauf hingewiesen, dass die CDU-Fraktion mal einen Antrag dazu gestellt hat, aber keinen Gesetzentwurf eingebracht hat. Auch der Kollege Golland sagt, dass dies gründlich zu prüfen ist.

Wenn man so etwas macht, dann muss man es richtig machen und die Rahmenbedingungen beachten – hier vor allem das Trennungsgebot zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten als wichtiges Element, das Ausfluss unserer gewachsenen Rechtstradition ist. Es stützt sich im Kern auf das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und den allgemeinen Schutz der Grundrechte. Das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgeführt.

Das Trennungsgebot verlangt eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz einerseits und Polizei und Staatsschutz andererseits. Daraus folgt das Verbot der Ausübung polizeilicher Befugnisse oder Weisungsrechte durch den nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz. Gleichzeitig dürfen der Polizei nachrichtendienstliche Mittel nicht zur Verfügung stehen.

In der Begründung zu Ihrem vorgelegten Entwurf wird zwar oberflächlich, nämlich in einem Satz, behauptet, das Trennungsgebot werde gewahrt, weil der Verfassungsschutz keine polizeilichen Exekutivbefugnisse erhalte. Hier bedarf es aber einer deutlich genaueren Betrachtung und Erläuterung, wie dem verfassungsrechtlichen Gebot dauerhaft Rechnung getragen werden kann. An dieser Stelle weist der Gesetzentwurf handwerkliche Defizite auf.

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob eine Erweiterung der Befugnisse des Verfassungsschutzes zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt den notwendigen Mehrwert an Sicherheit schafft. Durch die konsequente personelle und sächliche Stärkung der Polizei durch die NRW-Koalition sowie das neue, auf breiter Basis verabschiedete Polizeigesetz ist die Polizei in die Lage versetzt worden, konsequent gegen Strukturen Organisierter Kriminalität vorzugehen.

Die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität ist zunächst originäre Aufgabe der Polizei, die dafür in Nordrhein-Westfalen einen Bekämpfungsschwerpunkt gesetzt hat. Es darf im Ergebnis nicht zu einer Doppelzuständigkeit kommen, die die Schlagkraft der Behörden beeinträchtigen kann.

Unabhängig davon ist die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes bereits heute schon gegeben, wenn Berührungspunkte oder Überschneidungen mit extremistischen Bestrebungen vorliegen. In diesem Fall erfüllt der Verfassungsschutz seine originären Aufgaben unter Verwendung nachrichtendienstlicher Mittel. Auch ohne Verstoß gegen das Trennungsgebot ist die Übermittlung von Erkenntnissen zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung möglich und auch gelebte Praxis. Polizei und Staatsanwaltschaft, die wiederum anders als der Verfassungsschutz an das Legalitätsprinzip gebunden sind, müssen dann tätig werden. Eine offene Lücke kann ich daher zurzeit nicht erkennen.

Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass gegen die im Jahr 2018 in Hessen in Kraft getretene Novelle des Verfassungsschutzgesetzes bereits Verfassungsbeschwerde erhoben worden ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleibt in diesem sensiblen Bereich abzuwarten.

In Sachsen wurde die uneingeschränkte Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch den Verfassungsschutz nach 2006 auf Überschneidungen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen reduziert.

Die gesetzessystematische Betrachtung unseres Verfassungsschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen zeigt zudem, dass sich die Zuständigkeiten des Verfassungsschutzes an den zu schützenden Rechtsgütern orientieren. Geschützte Rechtsgüter sind nach § 3 unter anderem die freiheitlich-demokratische Grundordnung, der Bestand und die Sicherheit von Bund und Ländern, die Amtsführung und die Integrität der Verfassungsorgane, auswärtige Belange der Bundesrepublik und die Völkerverständigung.

Der vorgelegte Gesetzentwurf will diese Systematik nun durchbrechen und stellt nicht auf ein konkretes Rechtsgut ab, sondern auf einen Täterkreis. Rein gesetzessystematisch ist dies eine unsaubere Lösung in der Formulierung, die neue Fragen der Abgrenzung aufwirft.

Der Versuch, durch eine nachgeschobene Definition der Organisierten Kriminalität Rechtssicherheit herzustellen, offenbart weitere handwerkliche Schwächen. Der von Ihnen vorgeschlagene neue Abs. 7 zu § 3 ist systematisch fehlplatziert. Eine Ergänzung des Abs. 5 um einen Buchstaben d wäre der deutlich bessere Weg. Das ist vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber es zeigt:

Der Gesetzentwurf ist nicht mehr als ein politischer Schnellschuss. Das wird dem sensiblen Thema des Verfassungsschutzes und der damit verbundenen angesprochenen Grundrechtsproblematik nicht gerecht und kann schon deshalb bei uns keine Zustimmung finden.

Den Beratungen im Ausschuss sehen wir mit Interesse entgegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Frieling. – Sie haben wahrscheinlich gesehen, dass der Abgeordnete Wagner eine Kurzintervention angemeldet hat. Es steht Ihnen frei, diese am Rednerpult oder an Ihrem Sitzplatz entgegenzunehmen und darauf zu erwidern.

Jetzt hat der Abgeordnete Herr Wagner das Wort für 90 Sekunden Kurzintervention.

Markus Wagner (AfD): Lieber Kollege Frieling, zwei Dinge: Zum einen weisen Sie immer wieder darauf hin, der Gesetzentwurf sei handwerklich schlecht gemacht. Wir haben nichts anderes getan, als hier die bayerische Lösung einzubringen, die auch in Hessen Anwendung findet, die seit Jahren besteht und verfassungsrechtlich niemals infrage gestellt worden ist.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Damit stelle ich fest, dass Sie gerade festgestellt haben, dass die entsprechenden Gesetze in Bayern und Hessen handwerklich schlecht gemacht sind. Das irritiert mich ein wenig.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! Da steht doch was anderes!)

Des Weiteren kaprizieren Sie sich auf das Trennungsgebot bzw. auf das Rechts- und Organisationsprinzip, das unter dem Begriff „Trennungsgebot“ firmiert. Dieses hat vier Bausteine: die Befugnistrennung, die organisatorische und personelle Trennung, die funktionelle Trennung und die Rechtsfolgen für die informationelle Zusammenarbeit. Das sind die vier Bausteine des Trennungsgebots.

Diese vier Bausteine sind in dem Gesetzentwurf entsprechend den Vorlagen aus Bayern und Hessen berücksichtigt, und Sie sagen hier, das Trennungsgebot sei unzureichend verwirklicht. Dann wäre es das in Bayern und Hessen auch und verfassungsrechtlich schon längst infrage gestellt worden. Das ist aber nicht so. Dementsprechend kann es auch bei uns nicht so sein.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Abgeordneter Frieling, Sie haben für bis zu 90 Sekunden das Wort zur Erwiderung.

Heinrich Frieling*) (CDU): Herr Kollege Wagner, Sie springen an der Stelle etwas zu kurz. Wenn man abschreibt, ist das keine besondere Leistung.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Im reinen Abschreiben findet sich auch noch nicht die Lösung. Sie müssen auch die Ursprungsgesetze und deren Systematik betrachten, wenn Sie rechtssicher und sauber arbeiten wollen. Das sollten Sie tun.

(Beifall von der CDU)

Ich habe zum Trennungsgebot schon viel gesagt. Sie haben auch viel dazu gesagt.

Wir müssen auch in der Begründung sauber sein, denn – das wissen Sie – die Anforderungen der Verfassungsgerichte an die Rechtsgüterabwägung als solche sind hoch. Dass das passiert, muss man deutlich machen, wenn man solch einen Gesetzentwurf formuliert, statt einfach nur im Ergebnis festzustellen, wie Sie es getan haben, dass das so sei. Deswegen meine ich tatsächlich, dass das unsauber gemacht ist.

Ihr Gesetzentwurf ist und bleibt schlecht abgeschrieben, weil er nicht zu der ursprünglichen Aufgabenstellung passt. Dementsprechend handelt es sich letztendlich um einen handwerklich schlechten Gesetzentwurf und somit um einen politischen Schnellschuss.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Frieling. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Ganzke das Wort. Bitte sehr.

Hartmut Ganzke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eines vorwegsagen: Die SPD-Fraktion wird der Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfes zur Beratung im Innenausschuss zustimmen.

Das ist einerseits parlamentarischer Brauch. Andererseits bietet sich uns, aber sicher auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen im Innenausschuss die Möglichkeit, im betreffenden Fachausschuss intensiver darüber zu diskutieren, warum dieser Gesetzentwurf jedenfalls unseres Erachtens die Probleme im Bereiche der Organisierten Kriminalität, die Sie ansprechen, nicht löst. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion im Fachausschuss.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie das Gesetz über den Verfassungsschutz ändern. Es soll geändert werden, so die Verfasser – ich zitiere aus Ihrem Antragstext –, damit der Verfassungsschutz „mit Staatsanwaltschaften, Polizei-, Ordnungs-, Justiz‑, Finanz- und Kommunalbehörden in ein komplementäres und synergetisches Arbeitsverhältnis treten“ kann. Das stammt direkt aus Ihrem Antragstext.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin seit sieben Jahren Mitglied des Innenausschusses und muss Ihnen sagen: Das findet heute schon statt. Das ist nichts Neues. Der Verfassungsschutz ist keine Abteilung, die nur für sich und in ihrem Saft arbeitet. Der Verfassungsschutz arbeitet nicht allein für sich, sondern er arbeitet gemeinsam mit anderen Behörden – das ist ein wichtiger Aspekt – für das Weiterbestehen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unserer Ansicht nach bedeutet Zusammenarbeit gerade nicht Aufgabenvermischung. Das ist jedoch zu befürchten, wenn der vorgelegte Gesetzentwurf Gesetz werden würde. Wir glauben, dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf Zuständigkeiten verschoben, erweitert und neu geordnet werden, was in Nordrhein-Westfalen aber nicht notwendig ist.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, einen Blick in die Historie zu werfen und sich zu fragen, warum Polizei und Verfassungsschutz seit nunmehr über 70 Jahren klar abgegrenzte Zuständigkeiten haben.

Die Diskussion um die Aufgabenerweiterung des Verfassungsschutzes ist ja nicht neu. Die haben Sie nicht heute erfunden, vielmehr wird sie schon sehr lange geführt, unter anderem war das im Jahr 2001 der Fall.

Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin möchte ich aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 23.05.2001 zitieren. Es geht um die damalige Diskussion, ob man vor dem Hintergrund des Aufkommens der Organisierten Kriminalität nicht darüber nachdenken sollte, den Verfassungsschutz auch mit polizeilichen Aufgaben zu befassen. Ich zitiere:

„Kein Zweifel: Die Sicherheitsapparate sind verunsichert, nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation gibt es Veränderungen – und die Suche nach neuen Aufgaben. Konkret wird die Debatte vor allem, wenn es um Aufgabenverschiebungen zwischen Polizei und Verfassungsschutz geht.“

2001 wurde der Zusammenbruch der Ost-West-Konflikte zum Anlass genommen, darüber nachzudenken, ob man dem Verfassungsschutz nicht polizeiliche Aufgaben geben könnte.

Heute wird diskutiert, ob man dem Verfassungsschutz vor dem Hintergrund der Organisierten Kriminalität neue Aufgaben geben könnte. Ich zitiere weiter:

„Ernst Uhrlau, Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, ist ebenfalls skeptisch. ‚Für mich ist nicht ersichtlich, wie mit dem bayerischen Modell‘“

– das seit 1994 dabei ist –

„‚Erfolge erzielt worden sind, die mit normalen polizeilichen Mitteln nicht auch hätten erzielt werden können.‘ Auch BKA-Chef Ulrich Kersten hatte zuvor betont, er trete nicht für eine Erweiterung der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes ein. Er sehe dafür ‚keine Notwendigkeit und auch keinen irgendwie gearteten Zugewinn für die Bekämpfung der Kriminalität.‘“

Warum habe ich auf die Diskussion im Jahr 2001 Bezug genommen? – Ich glaube, auch hier war klar, dass man versucht hat, einen Anhaltspunkt zu finden. Damals wollte man dem Verfassungsschutz wegen des Zusammenbruchs der Ost-West Konflikte neue Aufgaben geben. Nun ist es wegen der Organisierten Kriminalität: Wir haben doch den Verfassungsschutz, kann der nicht mehr machen?

Ich meine, das ist falsch, weil das Problem woanders liegt. Dazu möchte ich konkret auf die Innenausschusssitzung der vergangenen Woche eingehen. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass es Aufgabe der zurzeit tätigen Landesregierung ist, durch organisatorische und personelle Maßnahmen die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen.

Im Rahmen der Haushaltsplanberatungen haben wir einen Antrag zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gestellt, lieber Kollege Lürbke. 100 Polizeibeamtinnen und -beamte mehr einzustellen, ist unserer Ansicht nach der richtige Ansatz, um zu zeigen, dass wir die Organisierte Kriminalität bekämpfen.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie viele haben Sie denn eingestellt?)

Wir halten es nicht für den richtigen Ansatz, dem Verfassungsschutz neue Aufgaben zu geben. Deshalb freue ich mich auf die weiterhin guten Diskussionen – auch mit dem Kollegen Lürbke – im zuständigen Ausschuss. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Der Überweisung stimmen wir zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Abgeordnetenkollegen Lürbke das Wort.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Der freut sich auch! – Marc Lürbke [FDP]: Immer!)

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wagner, um das vorwegzustellen, damit es keine Unklarheiten gibt: Diese schwarz-gelbe Koalition, diese Landesregierung setzt einen ganz klaren Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Das sollte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein.

Wir setzen Schwerpunkte bei der Bekämpfung von Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Zwangsprostitution, Drogenhandel, Waffenhandel. Der Unterschied ist tatsächlich, dass das unter Rot-Grün in diesem Hause, in diesem Land einige Zeit sträflich vernachlässigt worden ist bzw., noch schlimmer, dass unsere Behörden bei diesem Kampf gegen OK nicht entsprechend unterstützt und vielfach alleingelassen worden sind.

Es gab kein nordrhein-westfälisches Lagebild zur Clankriminalität, die Probleme wurden ein Stück weit verleugnet. Wir haben jetzt eine andere Vorgehensweise, und ich glaube, auch die Bürger im Lande bekommen mit, dass im Kampf gegen kriminelle Clans in Nordrhein-Westfalen ein anderer Wind weht.

Das ist gut. Es ist gut, dass wir unsere Behörden, unsere Polizei, unsere Justiz hier mit mehr Personal und mit modernerer Ausstattung viel stärker unterstützen, auch mit einem rechtlichen Rahmen, wo es erforderlich ist. Das ist ja schon angesprochen worden.

Herr Kollege Ganzke, jetzt haben Sie noch eine Erhöhung um 100 weitere Stellen beantragt. Wir haben bereits im Innenausschuss diskutiert, wie wir die Stellenzahl erhöht haben. Ich frage mich, was Sie zu Ihrer Zeit gemacht haben.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Erhöht! – Weitere Zurufe)

Wo waren wir denn da bei den Einstellungen? Wir haben es oft genug diskutiert.

(Beifall von der CDU)

Wir sind jetzt auf einem absoluten Rekordniveau, wir machen sehr viel beim Personal. Das dürfte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein.

(Michael Hübner [SPD]: Zwischen 2005 und 2010 ist auch nicht verborgen geblieben, dass Sie das reduziert haben!)

Das ist die eine Seite. Im Kampf gegen Organisierte Kriminalität brauchen wir gut aufgestellte Polizeibehörden.

Auf der anderen Seite erleben wir natürlich die Herausforderungen durch den Extremismus. Dafür brauchen wir einen wehrhaften Verfassungsschutz.

In Zeiten, in denen wir auf schreckliche Art und Weise mit vielen Arten von Extremismus von links und von rechts, mit Antisemitismus und mit rechtem Terror konfrontiert sind, ist es richtig, auch über Zuständigkeiten und die Arbeit des Verfassungsschutzes zu diskutieren und zu überlegen, wie man diesen womöglich noch fitter für die Bekämpfung von Extremismus machen kann.

Aber ich sage Ihnen auch, Herr Wagner, dass wir das ganz sicher nicht erreichen, indem wir dem Verfassungsschutz auch noch die Ausforschung und Beobachtung von Kriminalitätsphänomenen aufbürden, die nichts mit Extremismus zu tun haben, sondern ureigene Polizeiaufgabe sind.

Was den Rechtsstaat und die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen jetzt ganz sicher nicht stärkt, ist, diese beiden Säulen miteinander in einen Topf zu werfen, umzurühren und am Ende zu hoffen, dass etwas Gutes und Schmackhaftes dabei herauskommt. Das ist nicht der Fall.

Für die Trennung der beiden Säulen Polizei und Verfassungsschutz gibt es sehr viele gute Gründe. Es gibt sehr gute historische Gründe; Herr Kollege Ganzke hat das gerade dankenswerterweise richtig ausgeführt.

Wir werden es natürlich im Ausschuss diskutieren. Aber ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir nicht allzu viel von diesem Vorschlag halten. Das ist eben keine einfache Ausweitung der Befugnisse, sondern das würde ganz grundsätzlich an der Zuständigkeitsaufteilung zwischen Polizei und Verfassungsschutz rütteln.

Ich weiß, dass Sie das anders sehen. Das haben Sie gerade dargestellt, das schreiben Sie auch in Ihrem Gesetzentwurf.

Ich bin der Meinung, dass es selbstverständlich das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendienst tangiert, wenn die Schnittmenge zwischen beiden durch eine Zuständigkeitserweiterung vergrößert wird. Denn jedes Mal, wenn der Verfassungsschutz für einen Phänomenbereich zuständig wird, der auch im Strafgesetzbuch auftaucht und deswegen Sache der Polizei ist, wird ein Feld ausgewiesen, auf dem die beiden Behörden zusammenarbeiten und Informationen austauschen.

Das soll ja auch passieren, aber eben immer nur dann – das ist der Knackpunkt –, wenn es um den Schutz unserer Verfassung geht. Das ist vielleicht bei politisch motivierter Kriminalität oder Terrorismus der Fall, aber ob der im großen Stil agierende Drogendealer regelmäßig verfassungsfeindlich gesinnt ist, darf doch zumindest einmal bezweifelt werden. Der ist hoch kriminell, verstößt gegen das Strafgesetzbuch, gegen das Betäubungsmittelgesetz, gehört ins Gefängnis, aber Drogendealer, Menschenhändler haben nicht unbedingt ein Problem mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und wollen diese abschaffen. Solche Pläne hegt eher ein durchschnittlicher Extremist von rechts, links oder woher auch immer. Auf solche Extremisten soll sich bitte der Verfassungsschutz konzentrieren. Davon haben wir nämlich leider genug.

Deshalb begrüßen wir die Aussage des Innenministers in der letzten Sitzung des Innenausschusses, dass das Innenministerium nicht plant, den Verfassungsschutz auch für Organisierte Kriminalität ohne Extremismusbezug zuständig werden zu lassen.

Meine Damen und Herren, das Problem Clankriminalität – wir haben darüber öfter gesprochen – werden wir sicher nicht dadurch schneller lösen können, indem wir das Trennungsgebot infrage stellen. Die entscheidende Frage ist vielmehr, was unsere Polizei braucht, um noch besser gegen Organisierte Kriminalität vorgehen zu können. Daran haben wir bereits massiv gearbeitet. Das werden wir auch weiter tun.

Meiner Meinung nach müssen wir darüber diskutieren, wie wir unsere Polizei weiter stärken, wie wir den Verfassungsschutz stärken, seine Analysefähigkeit verschärfen und den Informationsaustausch zwischen den Behörden effizienter gestalten können.

Ich glaube nicht, dass es der Weg zum Erfolg ist, dem Verfassungsschutz weitere Zuständigkeiten aufzudrücken. Liebe AfD, das macht Nordrhein-Westfalen nicht sicher. Eher macht es den Verfassungsschutz schwächer und Bürgerrechte kleiner. Das mag Ihnen als Anspruch genügen, für uns Freie Demokraten ist das aber ganz sicher nicht der richtige Weg.

(Beifall von der FDP)

Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren, aber ich habe meine Zweifel, ob dieser Gesetzentwurf von Erfolg gekrönt sein wird. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege  – Für die Fraktion der Grünen spricht die Abgeordnete Frau Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Lieber Kollege Lürbke, zunächst zu Ihnen: Ich war sehr verdutzt, als Sie sagten, diese schwarz-gelbe Landesregierung habe das Lagebild zur Organisierten Kriminalität installiert, vorher habe es das nicht gegeben. Da habe ich gedacht: Ups, habe ich etwas anderes in Erinnerung? Dann habe ich schnell nachgeschaut und festgestellt: Das gibt es mindestens seit der 13. Wahlperiode, also seit den 2000er-Jahren.

(Marc Lürbke [FDP]: Das würde mich sehr erstaunen!)

– Gut, dann habe ich es missverstanden. Aber das wollte ich einmal klarstellen.

Der Gesetzentwurf der AfD ist nicht gerade sehr originell. Er nimmt schlicht eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Forderung der Deutschen Polizeigewerkschaft auf, der Verfassungsschutz solle auch Organisierte Kriminalität beobachten.

Der Gesetzentwurf ist, um es gleich vorwegzusagen – das haben bereits einige Vorredner gesagt –, auch aus unserer Sicht fachlich falsch. Deshalb werden wir ihn am Ende ablehnen.

Auf unsere Beantragung hin wurde dieses Thema in der vergangenen Innenausschusssitzung diskutiert. Das Fazit des Innenministers war ganz klar: Einen Änderungsbedarf gibt es in der Sache nicht.

Organisierte Kriminalität ist, wie es der Name schon sagt, ein Oberbegriff für ein weites Spektrum an besonderen Kriminalitätsformen, zum Beispiel Rauschgiftschmuggel und -handel, Eigentumskriminalität, Gewaltkriminalität, Menschenhandel und, und, und.

Organisierte Kriminalität ist nicht auf den Wechsel des bestehenden Staatswesens und nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet. Sie gehört damit eindeutig nicht zum Zuständigkeitsbereich des Verfassungsschutzes. Für die Bekämpfung von Kriminalität ist einzig und allein die Polizei zuständig. Die Polizei kann auch heute schon verdeckt ermitteln. Diese Befugnis hat sie bereits. Das blendet die AfD in ihrem Gesetzentwurf aber bewusst aus.

In der Gesetzesbegründung steht, dass die Erweiterung des Aufgabenbereichs des Verfassungsschutzes eine Überwachung der Organisierten Kriminalität erst ermöglicht. Das ist schlicht falsch. Die Polizei ist tagtäglich damit beschäftigt, sie gibt – das hatten wir eben aufgegriffen – jährlich, und zwar nicht erst unter Schwarz-Gelb, ein Lagebild dazu heraus. Im Gesetzentwurf jedoch wird so getan, als gäbe es all das nicht. Auch das ist falsch.

Schließlich sehen wir in dem Gesetzentwurf eine Vermischung von Kriminalitätsbekämpfung und Aufklärung durch geheimdienstliche Stellen weit im Vorfeld der Zuständigkeit der Polizei, das heißt weit im Vorfeld konkreter Straftaten. Damit soll das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz weiter aufgeweicht werden. Das Trennungsgebot ist eine wichtige Lehre aus der Existenz der Gestapo während des NS-Regimes. Es darf in Deutschland keine Geheimpolizei mehr geben. Daran zu erinnern, ist uns Grünen besonders wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine kritische Anmerkung zur CDU-Fraktion sei mir an der Stelle erlaubt. Dass Gregor Golland, bezeichnenderweise ja Mitglied der WerteUnion, …

(Gregor Golland [CDU]: Das stimmt nicht! Das ist eine Lüge! Das ist falsch! Das nehmen Sie zurück!)

– Was ist falsch?

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

– Lassen Sie mich zu Ende zitieren!

… diese Forderung nach Ausweitung der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes unterstützt, verwundert mich nicht. Dass er sich aber in der „Rheinischen Post“ indirekt mit den Worten zitieren lässt, Organisierte Kriminalität infiltriere die Behörden in NRW, ist sehr bedenklich. Denn das ist einfach falsch. Das hat der Innenminister glücklicherweise in der vergangenen Sitzung des Innenausschusses sehr deutlich gesagt.

Solche Behauptungen aufzustellen, finde ich sehr fraglich. In Teilen der Bevölkerung werden damit Ängste geschürt, die nicht begründet sind. Die AfD jedenfalls müsste nach dem klaren Ergebnis in der vergangenen Innenausschusssitzung ihren Gesetzesentwurf eigentlich zurücknehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Reul.

Herbert Reul*), Minister des Innern: Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Organisierte Kriminalität ist Schwerpunkt der NRW-Landesregierung, übrigens seit zweieinhalb Jahren. Das ist nicht ganz neu. Wir lassen nicht zu, dass irgendjemand, irgendeine Gruppe versucht, die Regeln des Staates zu unterlaufen oder eigene Regeln aufzustellen. Das ist glasklar.

Wir haben dafür im Landeskriminalamt und auch in den Kriminalhauptstellen speziell ausgebildete Fachleute. Wir haben 489 Planstellen zur OK-Bekämpfung in den Hauptstellen und 47 Ermittlerinnen und Ermittler im LKA 2019.

Wir sorgen dafür, dass alle Akteure eingebunden werden, und wir versuchen das mit Methoden, die in der Arbeit einfach effektiver sind, zum Beispiel mit der Methode „Taskforce“. Wir haben im LKA eine Taskforce eingerichtet, um die Finanzierungsquellen zu überprüfen und zu bekämpfen.

Wir haben uns für eine Strategie entschieden, die hier sehr umstritten war, aber offensichtlich nicht wenig erfolgreich, nämlich die sogenannte Nulltoleranzstrategie. Wir werden konsequent dagegen vorgehen, wie übrigens gegen alle Regelverstöße.

Deswegen haben wir nicht aus Versehen den Fokus auf die Bekämpfung von Banden, Rockern und Familienclans gesetzt. Das Lagebild ist schon erwähnt worden, das muss ich nicht noch einmal wiederholen.

Die Ermittlungserfolge einzelner Verfahren gegen Gruppierungen der italienischen Organisierten Kriminalität im internationalen Handel mit Betäubungsmitteln, gegen Gruppierungen der albanischen Organisierten Kriminalität oder gegen die Outlaw Motorcycle Gangs können sich sehen lassen.

Ich habe ein Beispiel aus dem letzten Jahr mitgebracht, bei dem es um Grundstofflieferungen für niederländische Drogenlabore ging. Hier konnte in einem Fall mithilfe nach März 2018 begonnener Ermittlungen der Nachweis erbracht werden, dass 5.000 Liter Aceton zur Herstellung von Drogen in die Niederlande geliefert wurden. Damit lassen sich, abhängig von Produktionsverfahren und der Drogenqualität, 100 bis 500 kg Amphetamine oder ca. 500.000 bis 2,5 Millionen Ecstasytabletten herstellen. Das ist der Unterschied: nicht rumschwätzen, sondern handeln und entscheiden.

(Beifall von der CDU und Franziska Müller-Rech [FDP])

Wir haben uns vorgenommen, vom Ziel her zu denken: Wie kann man die Sache wirkungsvoller machen? Deswegen wird es Sie nicht überraschen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen, und zwar aus unterschiedlichen Gründen.

Erstens. Das Land Sachsen hatte Anfang der 2000er-Jahre eine ähnliche Regelung, die dann Mitte 2006 wieder abgeschafft wurde. Warum? Weil das Verfassungsgericht damals gesagt hat: So könnt ihr das nicht machen. Organisierte Kriminalität darf zwar beobachtet werden, aber nur bei Überschneidungen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. – Das macht der Verfassungsschutz übrigens heute schon, auch in Nordrhein-Westfalen.

Zweitens. Hessen hat die Beobachtung der Organisierten Kriminalität im letzten Jahr in das Verfassungsschutzgesetz aufgenommen. Dagegen gibt es Verfassungsbeschwerde, und ich denke, wir sollten erst einmal abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache entscheidet. Denn gerade bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität müssen wir rechtssicher handeln.

Drittens hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zur Antiterrordatei im Jahr 2003 deutlich gemacht, dass es eine Trennung zwischen Behörden, Polizei und Verfassungsschutz geben muss. Darauf ist hingewiesen worden, aber es ist nicht unwichtig. Nach den Erfahrungen aus den totalitären Regimen des letzten Jahrhunderts sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die Regelung einen guten Grund hat und man deshalb, wenn man etwas ändert, dies sehr gut überlegen muss.

Viertens – das ist das Wichtigste –: Es besteht im Moment gar keine Lücke in der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, zumindest keine Lücke in dem hier beschriebenen Sinne. Wenn es Überschneidungen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen gibt, dann darf der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen die Organisierte Kriminalität bereits jetzt in den Blick nehmen. Das kann zum Beispiel im Bereich des Rockermilieus der Fall sein. Es ist kein Zufall, dass sich die Polizei darum besonders kümmert.

Wichtig bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist übrigens die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, und die ist zwischen Verfassungsschutz und Polizei vorhanden. So sitzen zum Beispiel LKA und Verfassungsschutz regelmäßig zusammen und tauschen sich zu den Berührungspunkten ihrer Aufgaben aus. Und da ist natürlich das Thema „Organisierte Kriminalität“ nicht ganz unwichtig, soweit es sich um politisch motivierte Taten handelt.

Aus Rechtssicherheitsgründen, aus grundsätzlichen politischen Gründen, aber vor allen Dingen aus den vorhandenen praktischen Alltagsgründen sehen wir keinen Handlungsbedarf. Lasst uns das Urteil abwarten. Lasst uns abwarten, ob der Weg, den wir gehen, erfolgreich ist. Bisher sehe ich keinen zusätzlichen Handlungsbedarf, und deshalb ist die Landesregierung der Auffassung, dass wir eine solche Erweiterung nicht brauchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die AfD-Fraktion hat sich noch einmal der Abgeordnete Herr Wagner zu Wort gemeldet.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Händen halte ich den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion vom 16.02.2005 mit dem Titel „Kriminalitätsbekämpfungsgesetz“. Dort fordern Sie unter anderem unter „Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde“: „Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Rahmen der Vorfeldbeobachtung“.

(Zurufe von der AfD: Ui! – Helmut Seifen [AfD]: Das war eine andere CDU!)

Unter Art. 2 nehmen Sie nahezu identische Gesetzesänderungen an dem Verfassungsschutzgesetz vor, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf anstreben, und Sie machen klar, dass der Verfassungsschutz im Rahmen seiner Vorfeldbeobachtung in keiner Konkurrenz zur Polizei gesehen wird. Auch das Trennungsgebot sahen Sie seinerzeit unverletzt. Heute ist das alles plötzlich handwerklich schlecht gemacht, weil es aus unserer Feder kommt. Es kommt von Ihnen, und Sie wollen heute nichts mehr von dem wissen, was Sie in der Opposition gemacht haben.

(Helmut Seifen [AfD]: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!)

Frau Aymaz, ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn Sie noch nicht einmal das Lagebild „Organisierte Kriminalität“ vom Lagebild „Clankriminalität“ unterscheiden können, dann sagt das alles über die Kompetenz der Grünen im Bereich der inneren Sicherheit aus, nämlich null Komma null. Danke für dieses plastische Beispiel.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Wagner. – Für die Landesregierung hat der Innenminister noch einmal um das Wort gebeten.

Herbert Reul*), Minister des Innern: Ich möchte nur kurz und schmerzlos darauf hinweisen, dass nach dieser Zeit, die Sie eben genannt haben, bis heute eine Menge an neuer Rechtsprechung erfolgt ist. Genau deshalb müssen wir die Sache sorgfältig prüfen. Man kann nicht einfach etwas übertragen, was man vor fünf Jahren für richtig befunden hat.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Gegen den Hinweis, dass die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden intensiv sein müssen und intensiver werden können, hat kein Mensch hier im Parlament etwas einzuwenden. Insofern war der Hinweis von Gregor Golland auch richtig und berechtigt. Nur: Wie man es macht – das ist der Punkt, in dem wir uns unterscheiden.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Damit sind wir, weil mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7747 an den Innenausschuss. Ist jemand im Rund, der dagegen ist? – Ist jemand da, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Damit haben wir die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Die Lehrerfortbildung zeitgemäß und passgenau weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7763

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Fraktion der CDU der Abgeordneten Frau Schlottmann das Wort.

Claudia Schlottmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen heute mitteilen kann, dass wir den ersten Schritt zur Einlösung des Versprechens im Koalitionsvertrag zur Evaluierung der Lehrerfortbildungen erreicht haben. Seit Oktober dieses Jahres liegen die Erkenntnisse der beauftragten Expertengruppe vor. Nun ist es an uns, die Situation für die Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen zu verbessern.

Zunächst, meine Damen und Herren, nutze ich aber sehr gerne die Gelegenheit und bedanke mich bei den Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen für ihren unermüdlichen Einsatz für die Kinder und Schulen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Lehrer sind an unseren Schulen neben den Kindern, den Schülern, die Hauptakteure. Ihre Arbeit ist von großer Wichtigkeit und ermöglicht überhaupt erst eine gute Schulbildung für Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen.

Dabei besteht – und das ist Ihnen sicherlich nicht neu – die Aufgabe der Lehrer längst nicht mehr nur darin, Wissen zu vermitteln. Vielmehr besteht sie darin, schulische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Kinder einen möglichst guten Start erhalten. Herausforderungen wie Inklusion, digitale Medien oder Integration gehören mittlerweile genauso zum Alltag eines Lehrers.

Ebenso möchte ich den Lehrkräften danken, die das bereits umfangreiche Angebot der Lehrkräftefortbildung gestalten. Insgesamt 53 Kompetenzteams bieten im Rahmen der Fortbildungsinitiative NRW Weiterbildungen unter anderem in den Bereichen „Unterrichtsentwicklung“, „Lernmittel“, „Medienberatung“ oder „Inklusion“ an.

Unser Ziel ist es, ihre wichtige Aufgabe und ihre wichtige Arbeit besser an aktuelle Bedarfe anzupassen, die Qualität zu steigern und das Angebot zu erweitern, um die Lehrkräftefortbildung in Nordrhein-Westfalen besser aufzustellen und damit unsere Lehrer besser auf ihre tägliche, häufig herausfordernde Arbeit vorzubereiten.

Diesen Handlungsbedarf hat die NRW-Koalition nach der Regierungsübernahme schon früh erkannt und sich ihm gestellt. Im Gegensatz zur Vorgängerregierung, welche auch diesbezüglich wieder ihre altbewährte Taktik der Tatenlosigkeit gewählt hat, haben wir uns der Thematik direkt angenommen – wie wir es auch im Koalitionsvertrag versprochen haben.

Bereits 2017 gab Ministerin Yvonne Gebauer die umfangreiche Evaluation mit Handlungsempfehlungen zum Thema „Lehrkräftefortbildung“ in Auftrag. Nun liegen die ersten Ergebnisse vor und zeigen deutlich, dass die bisherige Fortbildungspraxis deutliche Mängel aufweist und es einer umfassenden Reform bedarf. So heißt es in der Stellungnahme der Expertengruppe – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Das System der Lehrerfortbildung in NRW wird als suboptimal eingeschätzt. Die Strukturen sind unübersichtlich mit unklaren Zuständigkeiten, die Effekte der Fortbildungsanstrengungen sind unbefriedigend.“

Meine Damen und Herren, daran zeigt sich doch ganz deutlich, dass wir handeln müssen. Wir müssen transparente und klare Strukturen schaffen und somit eine adäquate, aktuelle Fortbildung ermöglichen. Das ist das langfristige Ziel unserer Arbeit.

Das Zusammenspiel von Steuerung und Organisation von Lehrerfortbildung, der Qualität der Fortbildungsangebote und der Qualifizierung der Fortbildungskräfte ist für uns besonders wichtig.

Diese Stellungnahme ist eine erste Zusammenfassung. Deshalb ist es absolut notwendig, dass wir bei diesem Thema viel mehr in die Tiefe gehen und uns mit dem vorliegenden Bericht intensiv beschäftigen. Es ist unsere Pflicht, den Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen eine qualifizierte Weiterbildung zu ermöglichen, um Defizite in der Fortbildung zu beseitigen, die bestehenden Strukturen zu verbessern und damit den Lehrkräften das Rüstzeug zu geben, ihre aktuell schwierige Situation und die Inhalte in ihrem Alltag zu meistern.

Die Reform der Lehrkräftefortbildung ist eine umfangreiche Aufgabe. Sie fordert viele Ressourcen – vom Personal bis zur Finanzierung. Davon sollten wir uns aber nicht einschüchtern lassen. Wenn wir nämlich Geld in unsere Schulen, unsere Lehrer investieren, dann investieren wir in die Zukunft des Landes. Es geht hier um nicht weniger als die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Qualität unseres Schulsystems.

Darüber hinaus geht es zum einen um die Würdigung der Lehrkräfte in unseren Schulen vor Ort. Es geht darum, sie ernst zu nehmen, sie bei all ihren täglichen Herausforderungen zu unterstützen und ihnen das Rüstzeug für ihre tägliche Arbeit zu geben. Zum anderen geht es um die Bildung unserer Kinder; denn nur mit gut geschulten Lehrern, die auf aktuellem Stand sind, können wir diesen eine hochwertige Bildung ermöglichen.

Schule ist Landesaufgabe. Lassen Sie uns gemeinsam diese Aufgabe ernst nehmen und unseren Auftrag erfüllen, damit die Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen die Chance haben, sich umfangreich weiterzubilden und dieses Wissen an ihre Schüler weiterzugeben, damit die Schulen in diesem Land wieder ein Aushängeschild für Nordrhein-Westfalen werden können. Ich habe großes Vertrauen in unser Ministerium, dass wir diese Herausforderung gemeinsam meistern werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Müller-Rech das Wort.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Lehrerinnen und Lehrer in NRW leisten jeden Tag wichtige und herausragende Arbeit, um den Schülerinnen und Schülern die besten Chancen für ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu schaffen. Sie haben sich für den Schuldienst entschieden, um unsere Welt zum Besseren zu ändern, einen Unterschied zu machen und jungen Menschen zu helfen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Was die Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich auszeichnet, ist, dass sie nicht nur tagtäglich und leidenschaftlich an der Bildung ihrer Schülerinnen und Schüler arbeiten, sondern auch eine hohe Bereitschaft zeigen, wenn es um ihre eigene Fort- und Weiterbildung geht.

Denn eine Fortbildung bringt so viel mehr als neues Wissen und Kompetenzen. Sie bringt auch die Möglichkeit zu schulübergreifendem Austausch und die Befähigung, positive Entwicklungen der Schulen mitzugestalten – zumal sich sowohl schulische als auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen kontinuierlich verändern.

Die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte ist ein sehr wichtiges Thema, das leider aber während der rot-grünen Regierungszeit sträflich vernachlässigt wurde. Gerade im Bereich der Inklusion wäre damals eine ausreichende, systematische und treffsichere Fort- und Weiterbildung für alle Lehrkräfte wichtig gewesen.

Stattdessen wurden die Lehrerinnen und Lehrer ins kalte Wasser geworfen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen scheinen immer noch nicht einsehen zu wollen, welche fatalen Auswirkungen ihr Handeln auf die Lehrkräfte unseres Landes hatte, als sie mit der Brechstange an dieses sensible und wichtige Thema herangegangen sind. Das hat auch die heutige Aktuelle Stunde sehr eindrücklich gezeigt.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für uns Freie Demokraten ist die Fort- und Weiterbildung unserer Lehrkräfte ein wichtiges Thema. Denn – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag –: „Für besten Unterricht braucht es bestens aus- und fortgebildete Lehrerinnen und Lehrer.“

Daran hat sich nichts geändert, und folgerichtig hat unsere Schulministerin Yvonne Gebauer bereits zwei Monate nach der Regierungsübernahme eine spezifische Evaluation der Lehrerfortbildung in Auftrag gegeben. Es wurden zahlreiche Interviews sowie eine Onlinebefragung durchgeführt, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihre Erfahrungen berichten konnten. Das Ergebnis dieser Evaluation war verheerend. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Experten:

„Das System der Lehrerfortbildung in NRW wird als suboptimal eingeschätzt. Die Strukturen sind unübersichtlich mit unklaren Zuständigkeiten, die Effekte der Fortbildungsanstrengungen sind unbefriedigend.“

Auch die Kollegin Schlottmann hat dies vorhin vorgetragen; es ist aber wirklich wichtig, es sich genau anzusehen und zu Herzen zu nehmen. Denn so kann und darf es nicht weitergehen. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir wollen, dass die Lehrkräfte in NRW nun die Fort- und Weiterbildungen bekommen, die sie verdienen.

Was dürfen wir denn nun von unserer Landesregierung erwarten? – Erstens. Die wichtigsten Handlungsfelder sind die Bereiche Inklusion, Integration und Digitalisierung. Ganz besonders in diesen Feldern, aber natürlich auch in anderen, müssen wir die Lehrerfortbildung überarbeiten und qualitativ weiterentwickeln. Damit setzen wir einen weiteren wichtigen Punkt unseres Koalitionsvertrags um.

Zweitens. Wir müssen dringend die Zuständigkeiten klären und vereinfachen. Bisher sind viele Stellen beteiligt, und man verliert den Überblick: Neben dem Ministerium für Schule und Bildung sind noch die Bezirksregierungen, das Landesinstitut QUA-LiS, die Kompetenzteams bei den Schulämtern und die einzelnen Schulen bei der Fortbildung involviert. Wir wollen dafür sorgen, dass zukünftig die Zuständigkeiten der Beteiligten klar definiert und aufeinander abgestimmt sind. Daher wollen wir die komplexen Strukturen der Lehrerfortbildung überprüfen und optimieren.

Drittens. Wir fordern die Landesregierung auf, zu prüfen, ob nicht auch weitere relevante schulexterne Akteure bei der Lehrerfortbildung berücksichtigt werden können. Ein ganz wichtiges Beispiel dafür sind unsere Hochschulen. Außerdem – so steht es auch im Evaluationsbericht – kann es sinnvoll sein, auch zusätzliche Akteure in die Bedarfs- und Qualitätskommunikation des Fortbildungssystems einzubeziehen. Dabei kann zum Beispiel auch die Sicht der Schülerinnen und Schüler hilfreich sein.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich die Gelegenheit nutzen, unseren Lehrkräften für ihren Einsatz und ihr Engagement ein großes Danke zu sagen. Auf Sie kommt es weiterhin an. Wir wollen Sie bestmöglich stärken und unterstützen.

Ich freue mich, dass wir dieses Thema im Schulausschuss weiter diskutieren werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Hammelrath das Wort.

Gabriele Hammelrath (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns auf dem Weg von der Industriegesellschaft über die Wissensgesellschaft zur Bildungsgesellschaft. Alle Experten – übrigens unabhängig von ihrer politischen Couleur – sind sich einig: Wichtigstes Element dazu ist das lebenslange oder, besser noch, das lebensbegleitende Lernen.

Kürzlich habe ich bei einem Schulbesuch ein großartiges Motto dazu gehört: Live life, love learning. Damit Schülerinnen und Schüler das Lernen lieben und damit eine gute Grundlage für ihr Leben und für eine ständige Weiterentwicklung legen können, braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die auch das Lernen lieben und dies auch vorleben.

Nach dieser Vorrede ist es doch ganz einfach: Brauchen wir eine Lehrerfortbildung? – Na klar. Muss diese klar strukturiert sein und trotzdem flexibel auf die Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer eingehen? – Na klar. Muss auch die Fortbildungseinrichtung lernen und sich weiterentwickeln? – Na klar.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, lieben ja den Rückblick – so auch hier; wir haben es soeben von Frau Müller-Rech noch einmal gehört.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Wenn das sonst schon zumindest ermüdend, wenn nicht auch inhaltlich falsch ist, so ist es in diesem Fall geradezu abenteuerlich.

Das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest und damit die zentrale Einrichtung der Lehrerfortbildung wurde 1983 von uns gegründet. Genau diese Einrichtung haben Sie zum Ende des Jahres 2006 aufgelöst.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Hört, hört!)

War keine zentrale Lehrerbildung mehr notwendig? – Das ist sehr erstaunlich.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schwarz-Gelb! – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Dass Sie das nicht gemacht haben, Frau Müller-Rech, ist klar!)

Wir haben dann wiederum zum 1. Dezember 2013 das Institut QUA-LiS neu aufgebaut, modifiziert und weiterentwickelt, weil wir daran glauben, dass Lehrerfortbildung zentral und mit Standards organisiert und durchgeführt werden muss.

Im Koalitionsvertrag haben wir das genau beschrieben:

„Die Qualität des Lernens steht weiterhin im Zentrum schulischer Arbeit. Wir wollen Schulen zu pädagogischer Innovation ermutigen. Dabei stehen das erfolgreiche Lernen der Schülerinnen und Schüler sowie die Unterrichtsentwicklung im Fokus.“

Das war die Begründung für den Aufbau von QUA-LiS. Wir haben des Weiteren die Aufgabe wie folgt beschrieben:

„Eine Kernaufgabe des Instituts bleibt die systematische Qualitätsentwicklung und Unterstützung der Schulen, u. a. im Zusammenhang mit der Lernplanentwicklung, Standardsicherung und Fortbildung. Das steigert die Professionalität.“

Und auf der Website, in dem entsprechenden Runderlass, wird sehr deutlich, dass es hier ein Zielprogramm gegeben hat und dass selbstverständlich auch von Beginn an Evaluationen zur Steuerung und Weiterentwicklung vorgesehen wurden.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Denn wir alle wissen: Das Bessere ist der Feind des Guten. Selbstverständlich gehört auch zu einer Fortbildungseinrichtung, dass sie sich fortbildet.

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Dazu gehört übrigens auch die Auswertung und Bereitstellung von Daten und Ergebnissen aus landesweiten Verfahren wie zum Beispiel der Qualitätsanalyse, zentraler Abschlussprüfungen und des Zentralabiturs im Sinne eines Bildungsmonitorings. Auch das ist eine Art, zu evaluieren.

Wenn diese Inhalte und unsere Positionierung noch nicht klar sind, nur mal ganz grob einige Zahlen: 2013 war durch Schwarz-Gelb die Summe bei null. Dann haben wir angefangen und haben zweieinhalb Millionen eingesetzt für damals noch die Unterstützungsagentur, die wir dann im nächsten Jahr schon „QUA-LiS“ nennen konnten und für die wir dann schon in 2014 fast fünf Millionen ausgegeben haben. Diese Summe haben wir in den nächsten Jahren gesteigert, bis wir 2017 bei fast 13 Millionen waren. Das heißt, wir sind von null auf 13 Millionen für die Lehrerfortbildung gegangen in den Jahren unserer Regierung.

Deshalb lassen wir uns an dieser Stelle nicht vorwerfen, dass wir für die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern nichts unternommen hätten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, ich gebe gerne zu – und wir freuen uns darüber –, dass Sie in den letzten Jahren noch einmal 500.000 draufgelegt haben und im nächsten Jahr noch einmal 800.000. Bei den vielen Aufgaben, die für unsere Lehrerinnen und Lehrer eine große Herausforderung darstellen, sind wir selbstverständlich sehr dafür, diesen Betrag auszuweiten.

Auch wenn Ihr Antrag vor Geschichtsklitterung nur so strotzt – viele der Forderungen unterstützen wir. Denn wir wollen in die Zukunft schauen, wir wollen Fortschritt. Vor allen Dingen aber wollen wir unsere Lehrkräfte in NRW unterstützen. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat nun die Abgeordnete Frau Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte der Kollegin Hammelrath danken, weil sie schon einmal sehr ausführlich dargestellt hat, was wir in die Lehreraus- und -fortbildung investiert haben. Das muss ich jetzt nicht alles wiederholen. Es lohnt sich aber, das nachzulesen.

Zu Beginn will ich deutlichen sagen: Ich finde den Bericht außerordentlich gut. Ich finde es richtig, dass er in Auftrag gegeben worden ist. Ich finde, da ist wirklich Expertise zusammengekommen. Auf der Grundlage können wir gut weiter beraten, so wie wir Evaluation auch angelegt haben. Natürlich muss man sich dann auch immer die kritische Frage nach der Wirksamkeit stellen.

Um an anderer Stelle auch mit der Legendenbildung aufzuräumen: Natürlich haben wir mit den Universitäten zusammengearbeitet. Ich möchte als eine Person stellvertretend für viele Professor Hennemann von der Uni Köln nennen, der die Frage der Inklusion und einer Fortbildung mit bearbeitet hat.

Ich wünsche mir, dass wir dann gemeinsam im Ausschuss – ich hoffe, auch in einer Anhörung – einmal aufbereiten, wie zum Beispiel die Fragen von Fortbildung transportiert worden sind. Es hat einen Hauptpersonalrat gegeben, nämlich den für die Gymnasien, der die Teilnahme an den Fortbildungen blockiert hat –

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Hört, hört!)

reden wir gemeinsam darüber –, um dann hinterher diese Melodie zu singen: Wir sind ja unvorbereitet in Prozesse hineingegangen. – Da müssen wir dann also auch ein bisschen aufrichtig sein.

Ich bin sehr dafür, dass wir miteinander beraten, wie wir es hinkriegen, dass die Fortbildung auch wirklich dort ankommt und welche Stolpersteine es auf dem Weg geben kann. Die können vielfältig sein.

Es ist in der Tat so, dass wir das Qualitätsinstitut, das Landesinstitut, erst wieder aufbauen mussten. Es ist ja schon interessant, dass wir jetzt bei dem zweiten Punkt sind, bei dem wir schulpolitische Initiativen von CDU und FDP aus den Jahren 2005 bis 2010 rückabwickeln. Ich erinnere an G9. Die Zerschlagung der Fortbildungslandschaft mit einem Jahr Fortbildungsbrache war das Ergebnis der Regierungszeit von CDU und FDP zwischen 2005 und 2010.

Wir haben damals bewusst – die Erfindung der Kompetenzteams liegt ja auch in dieser Zeit – gesagt: Wir müssen jetzt an die Weiterentwicklung gehen und das Institut aufbauen, um anschließend Strukturen wieder systemisch und systematisch in die Landschaft zu bringen. Denn diese Wildblumenwiese, die Sie in der Frage der Lehrerfortbildung damals hinterlassen hatten, hat ja auch Entwicklungsbedarfe mitgebracht. Trotzdem müssen wir immer weiter daran arbeiten.

Deswegen sage ich: Der Bericht ist gut. Die Evaluation ist gut, und wir müssen gucken: Wo liegen die Wirksamkeiten?

Mich wundert aber dieser Antrag sehr. Das Ministerium arbeitet jetzt nicht automatisch daran? Was fehlt denn in diesem Antrag wieder? Ich sage das, damit Sie uns in einem Jahr nicht fragen: Wir hatten doch so einen schönen Antrag, warum konntet ihr den nicht mittragen? – Wo ist die Komponente Zeit, damit wir darüber reden können und damit das in den Schulen entsprechend implementiert werden kann? Wie sieht es mit der Unterstützung durch Mittel aus? Was wird denn in Zukunft bereitgestellt?

Wenn dies das Signal ist, dass wir in einer Anhörung und im Ausschuss auch darüber miteinander reden können, wie es denn strukturell unterfüttert wird, dann bin ich sehr bei Ihnen. Dann sollten wir uns die Zeit nehmen, wie ich hoffe, auch für eine Anhörung, damit wir das gemeinsam tragen. Denn das brauchen die Schulen in Nordrhein-Westfalen nicht: nach dem „Kommando Pimperle“ fünf Jahre so und fünf Jahre so.

Deswegen bin ich sehr interessiert an einer gemeinsamen Fortentwicklung, an einer guten strukturellen Aufstellung, an der Qualifizierung derjenigen, die qualifizieren sollen. Das ist genau der Punkt. Lassen Sie uns noch einmal draufschauen. Ich glaube, es wäre ein gutes Signal, wenn man das gemeinsam machen kann.

Aber lassen Sie bitte diese Geschichtsklitterung und Legendenbildung. Das ist nicht hilfreich.

Herr Rock, ich hätte erwartet, dass Sie als schulpolitischer Sprecher hier auch mal Position dazu beziehen. Nur da oben zu sitzen und den Kopf zu schütteln, hilft den Schulen leider nicht weiter.

(Beifall von den GRÜNEN – Matthias Kerkhoff [CDU]: Das ist Sache der Fraktion, wer redet! Ich weiß gar nicht, was das soll!)

Ich würde mir mal konzeptionell etwas wünschen. Aber wir haben im Ausschuss ja noch eine hervorragende Gelegenheit für den fachlichen Austausch.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die AfD-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Seifen das Wort.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im CDU/FDP-Antrag wird die Situation der Lehrerfortbildung durchaus richtig analysiert, wenn auch der pathetische Wortschwall, mit dem die Bedeutung der Lehrerfortbildung gewürdigt wird, etwas unangemessen ist und wohl eher die Erhabenheit des Antrags der CDU/FDP-Koalition unterstreichen soll.

Wir nehmen das amüsiert zur Kenntnis, beschäftigen uns gleichwohl ernsthaft mit dieser Thematik. Lehrerfortbildung kann tatsächlich ein wichtiges Element sein, um die linksideologische Fehlsteuerung der letzten Jahre zu beenden. Dabei muss man sich davor hüten, die Lehrerfortbildung als ein Mittel zu sehen, was als beliebiges Instrument für die Bereinigung falscher schulpolitischer Entscheidungen eingesetzt werden kann.

Ich habe das in den zurückliegenden Jahren erlebt. Auf die zahlreichen Hinweise, dass die totale Inklusionspolitik, also die vollständige Eingliederung von Schülern und Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf von den Lehrkräften der Regelschule nicht geleistet werden könne – das haben alle Kolleginnen und Kollegen gesagt –, weil ein Regelschullehrer eben nicht das dementsprechende Wissen haben könne wie ein Förderschullehrer, der immerhin ein achtsemestriges Studium mit anschließendem Referendariat hinter sich habe, wurde dann von den beamteten Boten der Ministerin Löhrmann auf die Lehrerfortbildung hingewiesen: Machen Sie sich keine Sorge, die Lehrer bekommen eine Lehrerfortbildung und können selbstverständlich auch mit Kindern umgehen, die einen besonderen Förderbedarf haben.

Dass das schiefgegangen ist, haben wir heute Morgen schon erläutert. Vor allem die Rückmeldungen aus den Schulen weisen auf die katastrophale Situation hin. Ein achtsemestriges Studium kann nicht durch Lehrerfortbildung kompensiert werden. Ein derartiger Missbrauch dieses wertvollen Instrumentes darf nicht wieder geschehen. Außerdem ist es ein Betrug an Lehrkräften, aber auch an Eltern und Schülern, wenn man zu falschen Entscheidungen des Gesetzgebers, die zu den chaotischen Situationen führen, wie wir sie teilweise an einigen Schulen feststellen können, mit dem Hinweis auf die Möglichkeit stillehält, das alles durch Lehrerfortbildungen bereinigen zu können.

Lehrerfortbildung muss sich nach dem richten, was an Herausforderungen von den Lehrern zu bewältigen ist. Das sind einmal fachliche Anforderungen im Unterricht, Erziehungsanforderungen und Kommunikationsstrategien mit Eltern.

Die fachlichen Anforderungen sind zunächst einmal durch das Studium abgedeckt, aber selbstverständlich können im Studium nicht alle Sachverhalte eines Studienfaches erfasst werden. Deshalb findet innerhalb eines Lehrerkollegiums immer auch Austausch über fachliche, didaktische und methodische Fragen statt, also sozusagen die Fortbildung im Kleinen, die täglich geschieht.

Belebt werden sollten aber auf jeden Fall wieder die Bezirksfachkonferenzen, in denen die Fachlichkeit und die didaktische Kompetenz der Lehrkräfte über die einzelnen Schulen hinweg einen Abgleich erfahren, eine wertvolle Einrichtung, die allerdings nicht mehr existiert, soweit ich informiert bin.

Gerade in Zeiten zentraler Lernstandserhebungen und zentraler Prüfungen ist auch eine Fortbildung im fachlich-didaktischen Bereich notwendig, um auch hier eine Qualitätssicherung zu forcieren.

Genauso wichtig, vielleicht aber sogar noch wichtiger, ist die Fortbildung im Bereich des pädagogischen und kommunikativen Handelns von Lehrern. Erziehungshandeln verlangt einen eigenen, souveränen Standpunkt, eine eigene emotionale Stabilität und vor allem die Fähigkeit zu einer Empathie, aber zu einer distanzierten, professionellen Empathie, wie sie für das Gelingen von Erziehungsprozessen Voraussetzung ist. Hier ist sicherlich eine Reihe von Bedarfen festzustellen. Ich denke, die Bedarfe sind da sehr groß.

Fortbildung sollte die Lehrkräfte darin schulen, ihre Rolle in der Klassenführung zu stärken, Anwendung von Autorität in sozial-integrativer Form anwenden zu können und vor allem persönlichkeitsstärkende Strategien zu erwerben. Lehren und Erziehen sind eine Führungsaufgabe, und für Führungsaufgaben gegenüber Menschen müssen Menschen und Personen vorbereitet und immer wieder geschult werden.

Überflüssig dagegen sind Fortbildungen zur Anwendung von offenen Unterrichtsformen, wie sie in den letzten Jahren landauf, landab bis zum Erbrechen durchgeführt worden sind.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Hier wurde in der Vergangenheit viel Geld und Zeit verschleudert sowie ein hohes Maß an Unterrichtsausfall produziert. Frau Müller-Rech, es wurde zehn Jahre lang nach einem bestimmten Modell „geklippert“, es ist in keiner Schule angewandt worden. Es sind dafür Unterrichtsstunden ausgefallen, es ist dafür Geld verschwendet worden. Ich bin wirklich für Lehrerfortbildungen, aber das muss vernünftig eingestielt werden, damit der Unterricht davon profitiert, damit die Lehrer und die Schüler dann auch profitieren. Fast alles, was man in Fortbildungen zur offenen Unterrichtsform erfahren hat, war kaum alltagstauglich und anwendbar. Da können Sie auch gerne meine Kolleginnen und Kollegen fragen, die politisch nicht involviert sind. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD )

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die Landesregierung hat nun die Ministerin Frau Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine zeitgemäße, passgenaue, klar strukturierte und qualitativ hochwertige Lehrerfortbildung ist genau das, wofür sich die Landesregierung einsetzt.

Nach einer umfangreichen Evaluation der staatlichen Lehrerfortbildung liegt nun der bekannte Abschlussbericht vor. Dieser wurde durch renommierte Bildungsexperten, überwiegend auch landesexterne Bildungsexperten verfasst. Er kommt zu einer ernüchternden Erkenntnis, nämlich dass dem Bereich der Lehrerfortbildung in den vergangenen Jahren nicht ausreichend Beachtung zugekommen ist, dass Probleme nicht erkannt, nicht angefasst und notwendige Korrekturen nicht auf den Weg gebracht worden sind.

Wir mussten feststellen, dass das Fortbildungssystem trotz – und da sage ich jetzt ganz ausdrücklich: trotz – des großen Engagements aller beteiligten Fortbildnerinnen und Fortbildner an Strukturen und Verfahren krankt, die verhindert haben, dass der Bereich der Fortbildung wirkungsvoll arbeiten konnte.

Meine Damen und Herren, diese ernüchternde Erkenntnis darf mich als verantwortliche Ministerin für Schule und Bildung nicht ruhen lassen. Aber ich gehe davon aus, dass sie uns alle gemeinsam als bildungspolitisch affine Politiker nicht in Ruhe lassen darf.

Wir wollen eine umfassende Reform der Fortbildung auf den Weg bringen. Eine solche systematische Neuorganisation der Lehrerfortbildung ist zwingend notwendig. Für diese qualitativ hochwertige Unterstützung unserer Lehrkräfte werden wir absehbar auch zusätzlich investieren müssen. Die geforderten Schritte zur Weiterentwicklung der Lehrerfortbildung werden wir auch konsequent gehen. Wir werden für diese grundlegende Reform der Lehrerfortbildung hier bei uns in Nordrhein-Westfalen umgehend einen intensiven Diskussions- und Beteiligungsprozess starten, und wir werden die bisherigen, auch sehr komplexen Strukturen der Lehrerfortbildung komplett auf den Prüfstand stellen.

Es ist auch wichtig, die Fortbildungen von Lehrerinnen und Lehrern mit dem Ziel der Nachhaltigkeit und der Wirksamkeit im Unterrichtsalltag neu zu strukturieren. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch eine stärkere Einbeziehung der Hochschulen zu prüfen.

Gerade angesichts der vielfältigen Herausforderungen im Bereich der Inklusion, Integration oder der Digitalisierung bedarf die Lehrerfortbildung auch einer intensiven qualitativen Weiterentwicklung.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, wenn der Landtag unser Vorhaben, diese passgenaue und qualitativ hochwertige Lehrerfortbildung auf den Weg zu bringen, unterstützt.

Die Reform ist überfällig. Die nun vorgelegten Empfehlungen bilden eine gute und solide Grundlage, um gemeinsam mit allen Beteiligten den Weg zu gehen und dieses Ziel fest in den Blick zu nehmen.

Es gehört zur Wahrheit auch dazu, dass wir das alles nicht von heute auf Morgen schaffen werden; das ist ein Prozess. Aber nur durch einen umfassenden Reformprozess erreichen wir die gewünschte Nachhaltigkeit und Wirksamkeit. So können wir dann wiederum einen weiteren Beitrag hin zu bester Bildung leisten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7763 an den Ausschuss für Schule und Bildung; die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall: Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   Ehrenamtliche Richterinnen und Richter wirksam unterstützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7760 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache. Frau Kollegin Bongers hat für die antragstellende Fraktion zuerst das Wort.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sorgen, Anliegen und Vorschläge von Menschen ernst zu nehmen, zuzuhören und zu prüfen, ob und wie man diese umsetzen kann, ist der Anspruch an Rechtspolitiker, so wie wir ihn verstehen.

Wir wollen die Vorschläge der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ernst nehmen, weil die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter es wert sind. Sie haben es verdient, dass wir alles tun und alles versuchen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter leisten einen wichtigen Beitrag zur Gerechtigkeit in unserem Land. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 24.000 Personen, die diesen Dienst mit großem persönlichem Einsatz verrichten. Für die Erfüllung dieser staatsbürgerlichen Aufgaben sind sie laut § 45 des Deutschen Richtergesetzes von ihrem Arbeitgeber von ihrer Arbeitsleistung freizustellen.

Problematisch ist derzeit aber, dass ihnen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs‑ und Bundesarbeitsgerichts nur die Kernarbeitszeit, aber keine Gleitzeit angerechnet wird. Das führt dazu, dass in einigen Fällen die Arbeitszeit, die durch das Ehrenamt während der Gleitzeit verloren geht, nachgearbeitet werden muss.

Wir finden das sehr ungerecht, weil es dem eigentlichen Gedanken der Gutschreibung von ehrenamtlichem Engagement auf Arbeitszeitkonten widerspricht dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sowieso schon sehr viel Zeit und Energie in dieses Ehrenamt stecken.

Ebenfalls ungerecht ist, dass Beamten diese Gleitzeit unter bestimmten Voraussetzungen teilweise bereits gutgeschrieben wird.

Hier kommen jetzt die Interessen der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ins Spiel. Uns hat der Landesverband eben dieser ehrenamtlichen Richter darauf aufmerksam gemacht und uns gezielt angesprochen. Wir haben dies dann zum Thema im Rechtsausschuss gemacht. Dabei haben wir leider den Eindruck gewinnen müssen, dass sich Minister Biesenbach des Themas noch nicht annehmen möchte.

(Frank Müller [SPD]: Wenig überraschend!)

Als Zeichen der Wertschätzung möchten wir mit dem vorliegenden Antrag die Landesregierung dazu auffordern, eine Bundesratsinitiative einzuleiten, die die Anrechnung von Zeiten der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter verbessert, und zwar insofern, dass auch Zeiten außerhalb der Kernarbeitszeiten berücksichtigt werden.

Als konkretes Modell könnte hierfür § 44 der Gemeindeordnung NRW dienen, wonach Mandatsträger innerhalb eines vorgegebenen Arbeitszeitrahmens über Lage und Dauer der Arbeitszeit selbst entscheiden können.

Darüber hinaus möchten wir uns hier konkret für eine eigene landesgesetzliche Regelung einsetzen. Wir bitten die Landesregierung, hierzu einen Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen.

Sie fragen sich, warum auch der Weg über ein Landesgesetz? – § 45 Abs. 1a Deutsches Richtergesetz, in dem diese Freistellungsklausel festgeschrieben ist, sieht im letzten Satz Folgendes vor: „Weitergehende landesrechtliche Regelungen bleiben unberührt.“

Wir möchten mit Ihnen allen zusammen gerne im Rechtsausschuss ins Gespräch kommen, ob die Landesregierung die Möglichkeit einer landesgesetzlichen Freistellungsregelung sieht. Wenn ja, sollte dieser Weg auch gegangen werden, bis man sich vielleicht irgendwann einmal auf Bundesebene geeinigt hat.

Wir sollten aber nicht warten, bis irgendwann vielleicht eine einvernehmliche Regelung unter allen Justizministern gefunden werden kann. Wir sollten jetzt, zeitnah, handeln, weil die Menschen es wert sind.

Ich bitte Sie, der Überweisung in den Rechtsausschuss zuzustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Bongers. – Laut Redeliste haben wir jetzt Stefan Engstfeld für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu erwarten.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang den Dank an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion aussprechen – nicht nur für diesen Antrag und diese Initiative.

Als wir den Antrag auf den Tisch bekommen und bei uns in der Fraktion beraten haben, waren wir der Ansicht, dass es eine sehr gute und richtige Initiative ist. Wir wollen dem nicht nur zustimmen, sondern wir würden dem gerne auch als antragstellende Fraktion beitreten. Die SPD-Fraktion hat dem zugestimmt. Insofern vielen Dank,

(Sven Wolf [SPD]: So sind wir!)

weil es so jetzt möglich ist, dass dieser Antrag von zwei Fraktionen, nämlich SPD und uns, Bündnis 90/Die Grünen, gestellt werden kann.

Warum haben wir das getan? Wir sind der Ansicht, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter einen wichtigen Beitrag leisten, einen wichtigen Dienst in der Justiz und für die Justiz, aber auch für unsere Gesellschaft. Sie sichern unter großem persönlichen Einsatz die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind Vertreter der Zivilgesellschaft in der Justiz.

Wir sind der Auffassung gewesen, dass man dieser Personengruppe, diesen Menschen, die dort ihrer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht nachkommen, keine Steine in den Weg legen, sondern vielmehr alles dafür tun sollte, ihnen Steine aus dem Weg zu räumen.

Ein Stein, der da liegt, ist natürlich die Anrechnung der Arbeitszeit. Wir haben gesehen, dass es da Probleme gibt. Wir finden, die Initiative, die hier beschrieben wird, nämlich eine Verbesserung der Anrechnung der Zeiten außerhalb der Kernarbeitszeit – meine Kollegin Sonja Bongers hat das ja gerade ausgeführt –, wäre eine Hilfestellung und sollte Berücksichtigung finden bei der Ausübung dieses wichtigen Dienstes.

Insofern können wir der Landesregierung nur anraten, diesen Ball doch aufzunehmen, sie bitten, im Bundesrat initiativ zu werden, nicht länger darauf zu warten, dass es eine Einigung zwischen den Justizministerinnen und Justizministern gibt, sondern selber und womöglich auch auf der Landesebene eigenständig gesetzgeberisch aktiv zu werden.

Ich glaube, die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter haben es nicht nur verdient, sondern würden sich auch sehr freuen. Dann hätten wir wieder einen kleinen Stein beiseite geräumt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. Bevor ich Herrn Kollegen Dr. Geerlings von der CDU-Fraktion das Wort und das Redepult freigebe, möchte ich mich beim Herrn Kollegen Engstfeld ganz herzlich für die charmante Art und Weise, in der er mich darauf hingewiesen hat, dass ich vielleicht noch etwas nachzuholen hätte, bedanken.

In der Tat, Sie haben es gemerkt: Ich habe gestutzt, als ich die Redeliste gesehen habe. Redeliste und aktuelle Tagesordnung, die Sie im Internet finden, stimmen überein. Es ist in der Tat mittlerweile aktuell ein gemeinsamer Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Deshalb für das Protokoll: Es handelt sich um den Antrag Drucksache 17/7760 in der Fassung des Neudrucks. Lediglich der Sprechzettel für die sitzungsleitenden Präsidentinnen und Präsidenten war nicht korrekt ausgefüllt. Ich bitte deshalb um Entschuldigung.

Herr Dr. Geerlings hat jetzt das Wort für die CDU-Fraktion.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schon vor einem Monat, so beschäftigen wir uns heute auch wieder mit den ehrenamtlichen Richtern und ihrer Situation.

Rund 24.000 Menschen – das wurde Ihnen auch schon gesagt – arbeiten in unserem Bundesland als ehrenamtliche Richter, als Schöffen und Jugendschöffen, als Handelsrichter oder in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Tag für Tag engagieren sie sich. Sie wirken als Privatpersonen an der Rechtsprechung mit, vertreten dabei unsere Gesellschaft und sorgen dafür, dass die Rechtsprechung tatsächlich im Namen des Volkes ergeht.

Klar ist – ich denke, da sind wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig –, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter eine wichtige und wertvolle Arbeit leisten. Wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet und sollten ihnen mit Wertschätzung begegnen.

Diese Wertschätzung sollte aber auch darin zum Ausdruck kommen, wie wir hier im Parlament mit den Belangen der ehrenamtlichen Richter umgehen. Wir sollten dies sachlich tun, gut vorbereitet und mit Sorgfalt.

Da muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und – wie jetzt auch ergänzt – der Grünen, nun sagen, dass Ihr Antrag zum Thema „Richterräte“ im Oktober schon mangelhaft begründet war. Ich habe damals von einem Schnellschuss gesprochen. Ich finde, es ist heute nicht viel besser. Lassen Sie mich das an drei Punkten deutlich machen:

Erstens. Sie berufen sich auf Urteile des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Bundesarbeitsgerichts aus den Jahren 2009 und 2011, nach denen ehrenamtliche Richter nur diejenige Arbeitszeit, die in die Kernzeit fällt, als Arbeitszeit angerechnet bekommen, nicht aber die Stunden, die in die Gleitzeit fallen. Immerhin acht bzw. zehn Jahre nach diesen Urteilen greifen Sie das Thema auf ein atemberaubendes Tempo.

Vor lauter Eile haben Sie aber vergessen, die praktischen Auswirkungen dieser Rechtsprechung zu erwähnen. Gibt es infolge der Urteile wirklich tatsächliche Probleme, und, wenn ja, wie sehen diese aus? In welchem Ausmaß treten sie auf? Einen ausführlichen Nachweis bleiben Sie bislang schuldig. Der interessiert mich aber, wenn wir über die möglichen Maßnahmen sprechen.

Zweitens. Sie fordern eine Bundesratsinitiative. Zugleich weisen Sie aber darauf hin, dass die Justizminister der Länder sich in der Vergangenheit mehrfach mit der Thematik befassten, sich allerdings nicht auf eine Änderung der Rechtslage verständigen konnten. Glauben Sie, dass eine Bundesratsinitiative jetzt den Gordischen Knoten durchschlägt und den Durchbruch bringt? Oder soll das eine Kritik an der Bundesjustizministerin, die von der SPD gestellt wird, sein?

Drittens. Sie wollen die Landesregierung auffordern, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, sobald es eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Landes gibt. Da frage ich mich: Was soll denn in diesem Gesetzentwurf stehen? In welche Richtung soll er gehen? Vorschläge bleiben Sie auch hier schuldig, Ideen haben Sie da offenbar kaum.

Auch heute komme ich nicht daran vorbei, es deutlich zu sagen: Ihre Fraktionen bleiben mit ihrem Antrag im Ungefähren und liefern keine gute Begründung. Er soll vielleicht Wertschätzung und Unterstützung suggerieren – das können wir sicherlich unterstützen –, aber er bewirkt leider das genaue Gegenteil, weil die Antragsteller sich nicht vernünftig mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Vielleicht bessern Sie Ihren Antrag noch auf und überlegen sich für die Beratung im Ausschuss neue Ideen und Argumente.

(Sven Wolf [SPD]: Herr Dr. Geerlings, wie bewerten Sie dann den Bericht der Landesregierung zu diesem Thema? Der ist genauso dünn!)

– Ja, schreien Sie ruhig, Herr Wolf. Das kennen wir von Ihnen, Argumente leider weniger.

Ich bin jedenfalls auf die Diskussion gespannt und freue mich darauf im Rechtsausschuss. Der Verweisung stimmen wir natürlich zu. Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Pfeil.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wir befassen uns heute im Landtag mit einem Thema, das durch bundesgerichtliche Entscheidungen vor geraumer Zeit geklärt wurde und bei dem der Bundesgesetzgeber eigentlich tätig werden müsste, wenn eine andere Regelung gewünscht wird. Dies haben alle Vorredner eben schon erklärt und erkannt.

Worum es geht, wurde auch von den Vorrednern kurz dargestellt: Es geht um die Frage, ob die Anrechnung von Zeiten, die Bürgerinnen und Bürger für die Ausübung des Ehrenamts als ehrenamtliche Richterinnen und ehrenamtliche Richter aufwenden, in der Anerkennung geändert werden soll, wenn es sich um Teilzeitbeschäftigte handelt.

Das ist schwierig genug zu verstehen, wenn man kein Jurist ist. Wir sind uns in allem, wie eben schon die Vorredner gesagt haben, einig, dass es um ehrenamtliche Richterinnen und Richter geht und um die Stärkung des Ehrenamtes als solches.

Wo liegt also das Problem? Das Problem liegt – das wurde auch schon genannt – in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2009 und einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.

In dem Urteil wurde festgestellt, dass aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Regelung nur die in die Kernzeit fallenden Stunden bei Gericht dem Arbeitszeitkonto als entschuldigtes Fehlen gutgeschrieben werden, also nicht die Stunden von Teilzeitbeschäftigten, die in die Gleitzeit fallen. Das ist das Problem des vorliegenden Antrags, um das es geht.

Das Bundesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass in Teilzeit tätige Personen versuchen können, ihre Tätigkeit möglichst außerhalb der Arbeitszeit zu legen. Gleichzeitig hat es darauf hingewiesen, dass Gleitzeit gerade Vorteile bringe und daher die ehrenamtlichen Stunden nicht dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden können.

Einen Anspruch auf Zeitgutschrift für die Zeit der Tätigkeit als ehrenamtliche Richter und Richterinnen während der Gleitzeit scheitert daran, dass außerhalb der Kernarbeitszeit die Arbeitsbefreiung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. – Das möchte Frau Bongers ändern.

Dies wäre wünschenswert, zumal der Gesetzgeber zum 1. Januar 2005 bereits Änderungen gesetzlich vorgenommen hat, um die Situation ehrenamtlicher Richterinnen und Richter in der Arbeitswelt zu verbessern. Jedoch hat der Bundesgesetzgeber in den letzten zehn Jahren – darauf hat Herr Geerlings schon hingewiesen – nichts gemacht, denn so lange gibt es diese Rechtsprechung. Unternommen worden ist in dieser Zeit nichts.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber entschieden, dass zur Ausübung des Amts als ehrenamtlicher Richter Gleitzeit in Anspruch zu nehmen, nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Also liegt keine Verletzung des Benachteiligungsverbots vor, es liegt keine Leistungsstörung im Arbeitsrecht vor, es liegt keine Verletzung des Verbots der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten vor. All dies ist in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nachzulesen.

Gleichwohl – da stimme ich wieder mit Frau Bongers überein – sollte man schauen, das Amt der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zu stärken, und dazu würde dies möglicherweise beitragen.

Ich bin deswegen gespannt, welche Gründe im Ausschuss vorgebracht werden, die bisher auf Bundesebene wohl nicht dazu geführt haben, dass man innerhalb der letzten zehn Jahre das Gesetz geändert hat.

Trotzdem möchte ich noch auf etwas hinweisen. Mich überrascht, dass wir uns gerade hier im Landtag damit beschäftigen, weil es ein Bundesthema ist. Frau Bongers hat noch auf den zweiten Teil, die landesrechtliche Regelung, hingewiesen, aber seit zehn Jahren ist das Problem bekannt, und auch in den letzten Jahren, in denen das Bundesjustizministerium von der SPD geführt wird, ist nichts in dieser Hinsicht unternommen worden.

Wäre es nicht einfacher gewesen, die Kollegen der SPD auf Bundesebene einmal daraufhin anzusprechen und um eine Änderung genau dieser Vorschrift, die seit 2009 bekannt ist, zu bitten? Zumindest wäre es eine weitere Möglichkeit neben einer Änderung des Landesgesetzes. – Vielen Dank. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Pfeil. – Für die AfD spricht Herr Kollege Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ohne alle unsere fleißigen und aufopferungsvollen Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren, würde unser Land vermutlich zusammenbrechen.

Es ist ja schön, dass die geschätzten Kollegen von SPD und Grünen sich nun die ehrenamtlichen Richter als zu würdigende Gruppe besonders herausgesucht haben, doch damit ist es natürlich bei Weitem nicht getan.

Laut Bundesinnenministerium betätigen sich in Deutschland rund 31 Millionen Menschen in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Allein das Deutsche Rote Kreuz geht von 17 Millionen Freiwilligen und Ehrenamtlichen aus.

Gerade aus den sozialen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens, aber auch aus den Freiwilligen Feuerwehren, Rettungsdiensten und dem Katastrophenschutz sind Freiwillige und Ehrenamtliche hierzulande nicht mehr wegzudenken. Viele gemeinnützige und wohltätige Einrichtungen wie Caritas und Diakonie, aber auch Sportvereine und die Jugendarbeit würden ohne sie in ihrer heutigen Form nicht mehr existieren.

Ohne unsere ehrenamtlichen Richter wäre unser Rechtssystem, das Sie, meine Damen und Herren Kollegen von den alten Parteien, an die Grenzen der Funktionsfähigkeit kaputtgespart haben, wohl schon längst zusammengebrochen.

Die AfD steht voll und ganz hinter Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Sie sind die wahren Helden unserer Zeit, und sie vergegenwärtigen uns: Trotz der Ellbogengesellschaft, trotz der gewaltigen Erwerbszwänge, denen sich die Menschen in unserem Land wegen der ihnen aufgezwungenen massiven Steuerlasten ausgesetzt sehen, und trotz der antisozialen und auf die Zerstörung des Wir-Gefühls abzielenden Politik der Kartellparteien ist das Gemeinschafts‑ und Zusammengehörigkeitsgefühl des deutschen Volks noch nicht erloschen.

Viele unserer Mitbürger sehen sogar im Ehrenamt ihre eigentliche Lebensaufgabe und finden im Dienst am anderen ihre Erfüllung. Dabei ist jedoch auch die ökonomische Bedeutung des Ehrenamts kaum genug einzuschätzen.

Deshalb ist es höchste Zeit, Freiwillige und Ehrenamtliche auch und gerade im Rechtssystem ähnlich wirtschaftlich besserzustellen, ihnen eine angemessene Kompensation für entstandene Kosten und eine deutlich größere gesellschaftliche Anerkennung zukommen zu lassen.

Zwar erhalten in Deutschland Freiwillige oft Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Versicherungskosten oder gegebenenfalls Kindergeld, doch all das kann bei Weitem nicht die Verdienst‑ oder Zeitausfälle kompensieren, die viele von ihnen auf sich nehmen gerade angesichts der gesellschaftlich lebenswichtigen Aufgaben, die viele unserer Ehrenamtlichen überhaupt und gerade auch in der Judikative übernehmen.

Deshalb sagen wir als AfD: Es ist höchste Zeit, die Rolle und Bedeutung des Ehrenamts endlich politisch neu zu denken. Machen wir das Ehrenamt doch auch gesetzlich zu dem, was es längst ist: zu einem der wichtigsten und unverzichtbarsten Tätigkeitsfelder unserer Gesellschaft.

Kompensieren und honorieren wir die Ehrenamtlichen und Freiwilligen mit deutlichen Steuererleichterungen und der Befreiung von Zwangsabgaben wie der unsäglichen GEZ. Dann hätten sie nämlich wirklich etwas davon und würden nicht nur mit den leeren Ankündigungen und blutleeren Forderungen Ihres Schaufensterantrags abgespeist.

Wir stimmen natürlich der Überweisung in den Ausschuss zu und freuen uns über die Beratung. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Röckemann. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir sind uns alle einig bei der Bedeutung ehrenamtlicher Richter. Die Beteiligung ist von großer Bedeutung, sogar auch für unsere Rechtskultur.

Ehrenamtliche Richter und Richterinnen leisten für unsere Gesellschaft einen wesentlichen und wertvollen Beitrag in der Justiz, denn sie können in besonderem Maße dazu beitragen, die Akzeptanz von gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen sowohl bei den Verfahrensbeteiligten als auch in der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen.

Ich will deshalb gerne, wie auch meine Vorredner, all denjenigen herzlichen Dank sagen, die in ihrer Freizeit und in der Zeit, für die sie dann freigestellt werden, helfen, die Verfahren, an denen sie beteiligt sind, so zu führen.

Es muss daher auch ein Anliegen des Parlaments und der Regierung sein, diese Bedeutung zu stärken. In diesem Sinne verstehe ich den von Ihnen, Frau Bongers, gemeinsam mit Herrn Engstfeld gestellten Antrag.

Bei der Lösung sind wir uns allerdings noch nicht ganz einig. Zum Ausgleich für die Erfüllung dieses Ehrenamtes hat der Gesetzgeber in § 45 Abs. 1a des Deutschen Richtergesetzes vorgesehen, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter für die Zeit ihrer Amtstätigkeit von ihrem Arbeitgeber von der Arbeitsleistung freizustellen sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Regelung so auszulegen, dass bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur die in die Kernzeit fallenden Zeiten der Amtstätigkeit als Ehrenamtliche dem Arbeitszeitkonto als entschuldigte Fehlzeit gutzuschreiben sind, nicht aber die Zeiten, die in die Gleitzeit fallen. Zur Begründung wird angeführt, dass diese Zeiten zur freien Disposition des Arbeitnehmers stünden und damit nicht der Arbeitszeit zuzurechnen seien.

Das Bundesverwaltungsgericht legt die Regelung in seiner zu Beamtinnen und Beamten ergangenen Rechtsprechung hingegen leicht modifizierend dahingehend aus, dass die während der Gleitzeit angefallenen Zeiten dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben seien, soweit sie mehr als drei Wochenstunden betragen.

Uns allen sind die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hervorgerufenen unterschiedlichen Auswirkungen sowie die hieraus entstandene Kontroverse bekannt. So hat sich – auch das wurde hier schon mitgeteilt – der Rechtsausschuss, ebenfalls auf Antrag der SPD-Fraktion, mit dieser Thematik der Freistellungsregelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter in seiner Sitzung am 11. September 2019 befasst.

Die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hervorgerufenen unterschiedlichen Auswirkungen – auch das kann ich nur wiederholen – waren bereits mehrfach Gegenstand von Konferenzen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder. In diesem Zusammenhang ist unter anderem das Erfordernis nach einem gesetzgeberischen Tätigwerden diskutiert worden. Eine Einigung auf eine bundeseinheitliche Regelung konnte allerdings bisher nicht gefunden werden.

Vor diesem Hintergrund, liebe Frau Bongers, soll aus der Sicht der Landesregierung gegenwärtig von einer Gesetzgebungsinitiative des Landes abgesehen werden. Warum?

Herr Wolf fragt ab und zu, warum ich bei bestimmten Themen noch nicht weiter sei. Auch bei diesem Thema konnten wir uns noch nicht einigen, und ich halte es für schädlich, jetzt eine Initiative zu starten, von der wir wissen, dass sie keine Mehrheit findet, weil das Thema damit ein Stückchen abgenutzt wird. Wenn etwas zu oft beantragt und immer abgelehnt wird, verliert es an Bedeutung. Wir haben dann nicht mehr die Möglichkeit zu sagen: Wir starten noch einmal richtig durch.

Ich will das Anliegen aber gerne mitnehmen und erneut nachfragen, wenn sich die Situation ändert. Wir bekommen wahrscheinlich drei neue Kolleginnen oder Kollegen in den Rat der Justizminister, und auch im jetzigen Bestand haben sich einige neue Kolleginnen und Kollegen gefunden.

Ich nehme das einfach als Anliegen mit, weil ich das für ebenso wichtig halte wie andere Themen, bei denen wir auch noch keine Einigung erzielen konnten. Lassen Sie uns dann sehen, ob es gelingt, zu hören bzw. herauszufinden, wie viele Stimmen es dafür gibt, um zu sagen, sobald sich eine Chance ergibt: Wir diskutieren das erneut und auch im Bundesrat. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, würde ich die Debatte zu Tagesordnungspunkt 7 gerne schließen. Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7760 – Neudruck – an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung wird dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

8   Olympische und Paralympische Spiele nach Nordrhein-Westfalen holen: Gemeinsam für eine Bewerbung der Städteregion „Rhein Ruhr City 2032

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7755

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7877

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Kollege Nettekoven das Wort.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Olympische und Paralympische Spiele 2032 in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen, in der Metropolregion Rhein-Ruhr: ein Traum, eine Vision oder unser gemeinsames Ziel, nach Berlin 1936 und nach München 1972 die dritten Olympischen Spiele 2032 in Deutschland auszutragen.

1894 standen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit als Treffen der Jugend der Welt unter dem Zeichen der Völkerverständigung. Seitdem haben sich die Spiele immer weiter verändert. Es sind viele Sportarten hinzugekommen; einige Ausrichter haben die Chance genutzt, andere wiederum nicht.

Weiße Elefanten, die nur für die Olympischen und Paralympischen Spiele gebaut wurden, explodierende Kosten und die schwindende Akzeptanz für die Sportverbände wie IOC, FIFA und UEFA haben in der Öffentlichkeit dazu geführt, dass Sportgroßveranstaltungen nicht den besten Ruf genießen.

Für die beiden zuletzt vergebenen Olympischen und Paralympischen Sommerspiele gab es mit Paris und Los Angeles nur zwei Bewerber, sodass die Spiele 2024 und 2028 in städtischen Metropolen stattfinden.

Meine Damen und Herren, das IOC fordert in der Agenda 2020 ein Umdenken und möchte kostenbewusste und nachhaltige Spiele. Erstmals ist durch das IOC auch die Bewerbung von Regionen möglich. Diese Chance sollten wir für Deutschland, für Nordrhein-Westfalen und für die Metropolregion Rhein-Ruhr nutzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn in der Metropolregion Rhein-Ruhr leben mehr als 10 Millionen Menschen. Damit ist sie die fünftgrößte Metropolregion Europas. Die 14 Städte, die derzeit am Sportstättenkonzept der Initiative „Rhein Ruhr City 2032“ beteiligt sind, verfügen bereits heute über eine tolle Sportinfrastruktur.

Aber ein solches Sportgroßereignis benötigt nicht nur moderne Sportstätten, sondern verlangt auch eine gut funktionierende smarte Infrastruktur im direkten Umfeld der Spiele.

Nicht für Olympia, sondern durch Olympia können unsere Investitionen in Infrastruktur, vernetzte Mobilität und Digitalisierung noch schneller vorangetrieben werden.

Meine Damen und Herren, heute senden wir mit unserem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ein starkes Signal der Geschlossenheit.

Ich war im letzten Jahr bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang und habe mir damit einen Traum erfüllt. Ich habe schon viele Sportveranstaltungen besucht. Aber das war definitiv mein Highlight: tolle Wettkämpfe; begeisterte Zuschauer; Sportler, die sich für den Traum eines jeden Sportlers qualifiziert und an den Olympischen Winterspielen teilgenommen haben; manche haben sogar eine Medaille mit nach Hause genommen.

Meine Damen und Herren, Olympische und Paralympische Spiele 2032 dürfen keine Insel und kein singuläres Ereignis sein. Vielmehr müssen wir unsere Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass wir eine kostenbewusste und ökonomisch nachhaltige Ausrichtung hinbekommen.

(Beifall von der CDU)

Das olympische Feuer könnte 2032 in NRW entzündet werden. Den olympischen Geist können wir bereits heute entfachen. Denn nur wer sein Ziel kennt, findet einen Weg. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem schönen gemeinsamen Antrag. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bischoff.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist, weil wir einen gemeinsamen Antrag haben, kein guter Zeitpunkt, mit Kritik anzufangen. Ich gucke Frau Milz an. Beim letzten Mal, als ich hier stand, habe ich schon gesagt, dass ich Frau Milz als Fachfrau schätze. Sie darf hier aber nicht sprechen.

Wir reden jetzt über einen gemeinsamen Antrag zu Olympischen Spielen, mit dem wir Herrn Laschet Rückendeckung geben wollen. Herr Laschet steht als Redner auf dem Plan. Ich fürchte, der Sportpolitiker, der gleich sprechen wird, heißt Biesenbach. Das ist irgendwie kein Zustand.

Ich bitte die Landesregierung, zu überlegen, wie man damit umgeht. Beim vorletzten Mal war die Heimatministerin die Sportpolitikerin; davor war der Europaminister mal der Sportpolitiker. Sie lesen immer nur Reden herunter, die ihnen aufgeschrieben worden sind. Das ist keine Debattenkultur.

(Zurufe von der CDU: Zum Thema!)

– Das Hineinrufen finde ich völlig okay. Das ist ja eine Debattenkultur.

(Zurufe von der CDU)

Aber wenn auf das, was ich sage, niemand eingehen kann, weil die Rede schon vorher gefertigt worden sein muss, weil der, der hier steht, vom Thema gar keine Ahnung hat, dann ist das schlecht. Das will ich wiederholen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und von der FDP)

Jetzt aber zum Antrag und zum Thema: Herr Nettekoven, was Sie gesagt haben, kann ich nur unterstreichen. Dass wir einen gemeinsamen Antrag zu dem Thema haben, ist gut. Das ist großartig; das ist toll. Wir haben darüber verhandelt. Wir haben das hingekriegt.

Ich überlege, was ich jetzt noch sagen soll, was Sie nicht schon gesagt haben. Es ist relativ klar, dass sich bei vier antragstellenden Fraktionen viele Dinge doppeln werden. Das versuche ich zu vermeiden.

(Zurufe von der CDU – Unruhe – Glocke)

Ich will den gemeinsamen Antrag würdigen und sagen, was uns besonders wichtig ist. Uns ist die Frage der Bürgerbeteiligung besonders wichtig. Sie taucht zweimal in dem Antrag auf. Es geht darum, dass wir die Menschen mitnehmen und sie von den Olympischen Spielen überzeugen – vor allem vor dem Hintergrund dessen, was wir nach den Umfragen in München, Garmisch-Partenkirchen und Hamburg erlebt haben. Es ist uns ganz wichtig, dass wir von vornherein das Signal in die Bürgerschaft senden, dass wir sie mitnehmen wollen und ihre Meinung ernst nehmen wollen.

Die Frage der Nachhaltigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Bewerbung. Das ist uns ebenso wichtig. Ich nehme das einmal mit einem Satz auf, der von Los Angeles, glaube ich, geprägt worden ist: Wir laden die Menschen der Welt in Sportanlagen ein, die wir haben; sie können sie drei Wochen lang mitnutzen, und danach nutzen wir sie weiter. – Das muss das Ziel sein. Das ist die Nachhaltigkeit, die wir anstreben. Das ist toll.

Wir verbinden mit der Bewerbung große Hoffnungen für die Strukturentwicklung der Region. Lassen Sie mich das als Duisburger ruhig laut sagen: Die Stadt Duisburg wird nach außen hin mit einem durchaus schlechten Image verbunden. Ich habe die Hoffnung, dass wir dieses Image und diese Außenwirkung mit den Olympischen Spielen deutlich verbessern können und auch die Strukturentwicklung vorantreiben können. Beispielsweise regnet es im Duisburger Hauptbahnhof seit Jahren durch das Dach. Das dürfte bei Olympischen Spiele kein Problem mehr sein. Dann werden wir das, glaube ich, relativ schnell geregelt haben. Denn niemand will, dass dieses Image in die Welt hinausgeht. Das alles sind positive Begleiterscheinungen, die wir gut finden.

Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass es am letzten Dienstag im Sportausschuss eine sehr intensive Debatte darüber gegeben hat, dass wir eine Machbarkeitsstudie für erforderlich und für eilig halten. Ich will das an dieser Stelle nicht vertiefen, weil wir in zwei Wochen die Haushaltsdebatte haben werden. Dort sollten wir uns dann geflissentlich darüber streiten, ob diese Forderung richtig ist.

(Armin Laschet, Ministerpräsident, nimmt auf der Regierungsbank Platz.)

Übrigens ist der Ministerpräsident jetzt da. Das will ich auch sagen. Ich habe eben kritisiert, dass Sie nicht hier waren. Jetzt will ich auch erwähnen, dass Sie da sind.

(Unruhe von der CDU – Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Ich sage das genauso ehrlich. Jetzt ist er da. Das ist gut. – Wir halten also eine Machbarkeitsstudie für erforderlich und für eilig. Das will ich noch einmal laut sagen. Ich will es aber hier nicht vertiefen, weil wir jetzt über einen gemeinsamen Antrag diskutieren.

Als Fazit bleibt: Wir nehmen jetzt eine gemeinsame Position ein. Der DOSB wird im Dezember dieses Jahres tagen. Insofern ist es auch vom Zeitpunkt her ganz wichtig, dass wir gleich abstimmen und den Antrag nicht mehr in die Ausschüsse überweisen.

Ein nächster Schritt wird aber sein, den DOSB zu überzeugen. Das will ich an dieser Stelle auch ganz laut sagen. Herr Hörmann, der DOSB-Präsident, fällt mir in seinen letzten Interviews dadurch auf, dass er die Sportstadt Berlin so toll findet. Ich finde, man müsste im Nachgang einmal ein Gespräch mit ihm führen, Herr Laschet. Vielleicht wäre das eine Idee.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

– Mit Herrn Hörmann, dem Präsidenten des DOSB.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Ich rede doch mit ihm!)

– Er erzählt aber in jedem Interview, Berlin sei eine tolle Sportstadt. Es wäre gut, wenn man ihm beibringen könnte, dass wir auch eine gute Region sind. Das ist ein bisschen mein Gefühl, wenn ich die Interviews von ihm lese. Das wäre der nächste Schritt, nachdem wir unseren Antrag heute verabschiedet haben.

Aber noch einmal, weil auch durch die Bemerkung des Ministerpräsidenten jetzt ein Gefühl herüberkam, dass da eine Missstimmung herrscht: Wir sind für den gemeinsamen Antrag. Wir finden den gemeinsamen Antrag richtig. Wir wollen Ihnen Rückendeckung geben. Jetzt geht es darum, die Rückendeckung mitzunehmen. Dass wir den Antrag heute gemeinsam verabschieden, ist ein guter Gedanke. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme, möchte ich noch einen kurzen Hinweis geben. Lieber Herr Bischoff, Sie waren in der letzten Wahlperiode auch hier. Da ist Ihnen bestimmt auch aufgefallen, dass die zuständige Ministerin Kampmann aus Ihren Reihen bei 14 Reden zum Sport nur fünfmal anwesend war und nur ein einziges Mal den Sportausschuss besucht hat. Das sollten man auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich freue mich, dass wir heute aus dem nordrhein-westfälischen Landtag heraus ein breites proolympisches Signal für Olympische und Paralympische Spiele in der Städteregion „Rhein Ruhr“ senden.

Mein Dank gilt insbesondere der Initiative „Rhein Ruhr City 2032“ unter der Führung von Michael Mronz;

(Beifall von der FDP und der CDU)

denn ohne die Idee und den Einsatz dieser Initiative würden wir heute nicht über eine Bewerbung sprechen.

Ich ziehe den Hut davor, dass es der Initiative gelungen ist, eine solche Begeisterung hervorgerufen zu haben. Auf zahlreichen Veranstaltungen und Terminen in unserem Land hat sie es geschafft, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen.

Diese wollen wir heute gerne unterstützen. Ich bin optimistisch, dass diese Aufbruchsstimmung ein breites Bündnis in der Bevölkerung finden wird.

Herr Mronz und sein Team haben für dieses gemeinschaftliche Sportprojekt 14 Städte an Rhein und Ruhr gewinnen können, die alle an einem Strang ziehen. Es soll ein zukunftsweisender, neuer Weg beschritten werden. Dieser demokratisch geführte Weg, der nur in breitem Konsens mit der Bevölkerung unseres Landes gegangen werden kann, wird von einer klaren Abkehr von teurem Gigantismus gekennzeichnet sein und somit ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit darstellen, bei dem Ökonomie und Ökologie ineinandergreifen.

Mit unserem heutigen fraktionsübergreifenden Antrag wollen wir diesen positiven Aufwind unterstützen; denn wir sind überzeugt, dass die Austragung Olympischer und Paralympischer Spiele für alle Einwohner Nordrhein-Westfalens einen Gewinn darstellt, weil es zu einer Beschleunigung von Investitionen in infrastrukturelle Kernthemen wie vernetzte Mobilität und Digitalisierung kommen wird.

Wir wollen und können Olympische und Paralympische Sommerspiele im Jahr 2032 in Nordrhein-Westfalen austragen.

Auch stellen wir uns gerne einer Bewerbungskonkurrenz, sei es mit dem australischen Brisbane, der indonesischen Millionenmetropole Jakarta oder einem nord- und südkoreanischen Bündnis. Als bedeutender Ballungsraum in Europa – bezogen auf Bevölkerung, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Kapital, Medien, Infrastruktur und globale Verflechtungen – verfügt Nordrhein-Westfalen über ideale Voraussetzungen in diesem Bewerbungswettbewerb.

Des Weiteren ist Nordrhein-Westfalen in Deutschland das Sportland Nummer eins mit über 5 Millionen Sportlern und Sportlerinnen in rund 19.000 Vereinen. Wir verfügen damit über ein facettenreiches, breites und festes Fundament im Sport. Hieraus haben sich qualitativ hervorragende Spitzenathleten entwickelt. Das wird auch weiterhin der Fall sein.

Diese ideale Voraussetzung gibt uns die Chance, der Ort zu werden, in dem Denken und Handeln in größeren Zusammenhängen zu neuen Ideen für zukunftsweisende Investitionen führen kann. Vor diesem Hintergrund bin ich davon überzeugt, dass der DOSB mit einer Bewerbung keine Bauchlandung erleben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werben heute aus dem Landtag heraus für Olympische und Paralympische Spiele in der Städteregion Rhein-Ruhr im Jahr 2032 und setzen damit ein proaktives Zeichen in Richtung aller verantwortlichen Entscheidungsträger.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Damit sind nicht nur der Deutsche Olympische Sportbund und der Bund selber, sondern alle Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen gemeint.

Die Strahlkraft des größten Sportfestes der Welt wollen wir mehrfach nutzen, nämlich erstens im Sport für alle Sportlerinnen und Sportler mit und ohne Handicap, gleich welches Alters und Geschlechts, zweitens im Alltag als Antriebskraft für Infrastrukturmaßnahmen, von denen alle Bürgerinnen und Bürger profitieren werden, und drittens auf der internationalen Bühne als Imagegewinn. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE):Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns eint in diesem Haus der Gedanke, dass Olympische und Paralympische Spiele in Nordrhein-Westfalen eine Chance für Nordrhein-Westfalen sein können und dass sie Nordrhein-Westfalen begeistern können.

Andersherum können wir als Nordrhein-Westfalen aber vielleicht auch mit einem eher – ich möchte jetzt niemandem auf die Füße treten – etwas provinzielleren Charme als beispielsweise Los Angeles begeistern. Das kann Nordrhein-Westfalen einbringen.

Die Spiele können eine Chance darstellen, weil wir mit dieser Bewerbung die Chance haben, die neue Agenda 2020 des IOC – wider den Gigantismus und für Spiele in Regionen – tatsächlich mit Leben zu füllen. Diese Bewerbung kann die Chance sein, zu zeigen, dass es tatsächlich auch anders geht.

Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass sich das IOC und der internationale Sport allgemein durchaus in einer Glaubwürdigkeitskrise befinden. In diesem Zusammenhang seien die Korruptionsaffären erwähnt, ebenso der Gigantismus in Bezug auf die Sportstätten, die anschließend niemand mehr braucht, aber auch die Frage von Doping, der Umgang mit Athletinnen und Athleten sowie – das sei an dieser Stelle auch gesagt – die Bedeutung von Menschenrechten im Kontext von Sportgroßveranstaltungen.

Die Olympischen Spiele hier können aber auch eine Chance sein, weil sie wahrhaft nachhaltige Spiele sein können. Das ist ein Aspekt, den Sportgroßveranstaltungen zunehmend in den Blick nehmen müssen und der für uns im Übrigen die Voraussetzung für eine Zustimmung ist. Wir können in Nordrhein-Westfalen ein Programm auflegen, das ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig ist – ein Programm, das keine weißen Elefanten hinterlässt; ein Programm, das Kostentransparenz schafft und damit auch transparent darstellt, wie viel diese Spiele kosten können. Denn uns muss auch bewusst sein: Olympische Spiele gibt es nicht zum Nulltarif.

Das ist ein Aspekt, den wir in unserem gemeinsamen Antrag aufgeführt haben und den ich noch einmal besonders betonen möchte. Ich glaube nicht, dass die Leute noch weitere Diskussionen führen wollen. Man kann ihnen nicht erst sagen, das habe einzig und allein einen Nutzen, koste uns eigentlich gar nichts und bedeute nur noch mehr Steuereinnahmen. Die Leute wissen, dass das Geld kostet und man in Sportstätteninfrastruktur investieren muss. Sie wollen aber nicht, dass man ihnen anschließend eine große Rechnung für die Allgemeinheit präsentiert und sagt: Das war doch alles ganz schön; wir haben alle zusammen Spaß gehabt; dagegen kann jetzt doch niemand etwas haben.

Es ist wichtig, Kostentransparenz zu schaffen, damit man den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, eine informierte Entscheidung zu treffen.

(Beifall von den GRÜNEN und Roger Beckamp [AfD])

Dann werden sie möglicherweise eine Entscheidung für Olympische Spiele treffen, weil ein gewisser Mehrwert für die Gesellschaft gegeben ist. Möglicherweise wenden sie sich aber auch dagegen.

Ich bin der Meinung, dass Bürgerbeteiligung nicht allein über eine Abstimmung zu generieren ist. Vielmehr müssen wir Formate entwickeln, wie wir die Bürgerinnen und Bürger bereits jetzt mitnehmen und dafür sorgen können, dass es auch ihre Spiele sind. Dafür sollten wir die Ideen von Bürgerinnen und Bürgern mit in die weiteren Planungen einbeziehen.

Zu diesen weiteren Planungen gehört auch, dass wir eine Planungstransparenz brauchen. Stand heute haben wir viele gute Ideen. Wir haben allgemeine Ideen von Olympischen und Paralympischen Spielen, hinter denen wir vielleicht alle gemeinsam stehen. Aber es gibt noch große Fragen zu beantworten.

Ja, wir haben eine gute Sportinfrastruktur, und wir haben bereits viele Sportstätten. Aber es fehlen eben noch einige. Was ist mit einem Leichtathletikstadion? Was ist mit einem Olympiastadion bzw. einem Stadion, in dem eine Eröffnungsfeier stattfinden kann? Wohin kommt das Olympische Dorf? Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wie machen wir unsere Verkehrsinfrastruktur für Olympische Spiele fit?

Die Frage der Infrastrukturprojekte darf im Übrigen auch nicht alleine von Olympischen Spielen abhängen. Unsere Verkehrs- und Sportstätteninfrastruktur müssen wir so oder so, unabhängig von Olympischen Spielen, fit machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein letzter Punkt: Natürlich bewirbt sich unter Umständen mit der Rhein-Ruhr-Region eine Region aus Nordrhein-Westfalen, bewerben wir in Nordrhein-Westfalen uns. Aber eine Bewerbung für Olympische Spiele in Deutschland muss auch immer eine gesamtdeutsche Bewerbung sein. Das bedeutet: Wir brauchen jetzt die konkreten Zusagen des Bundes, sich an der Finanzierung Olympischer Spiele zu beteiligen.

Unter anderem dieser Punkt hat dazu geführt, dass der Bürgerentscheid in Hamburg negativ ausgefallen ist; denn Bund und Land haben bei der Kostenfinanzierung so lange herumgeeiert, dass die Leute sich nicht sicher waren, wer am Ende eigentlich die Zeche zahlt.

Im Sinne von Bürgerbeteiligung und im Sinne von Kostentransparenz, aber auch im Sinne von Planungstransparenz sind wir jetzt aufgefordert, dass aus den schönen Hochglanzbroschüren für eine ernsthafte Bewerbung auch wirklich ein richtiger, mit Geldmitteln und Zeiträumen hinterlegter Plan wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Beckamp.

Roger Beckamp (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr viele Menschen in NRW sind sportbegeistert – ich auch, auch wenn ich bis jetzt keine Medaillen nach Hause gebracht habe.

Die Olympischen und Paralympischen Spiele nach NRW zu holen, ist durchaus überlegenswert. Stimmen die Rahmenbedingungen für ein solches milliardenschweres Mammutprojekt, könnte man sich bewerben. Stimmen sie nicht, sollte man es sein lassen.

Aber wer kann das jetzt schon sagen? Die Vergabekriterien sind jedenfalls noch nicht veröffentlicht. Insofern kann man auch keine Kosten absehen. Wer eine Kostenschätzung anstellen würde, wäre unseriös.

Sehen Sie es mir nach; aber unseriös fängt der vorliegende schwarz-gelb-grün-rote Antrag auch an. Dort heißt es, der Landtag begrüße die Initiative aus der Bürgerschaft für die Bewerbung um Olympia. Fake News! Es gibt keine Initiative aus der Bürgerschaft.

Die bisherigen Unterstützer sind einige Oberbürgermeister und illustre Namen aus der Wirtschaft: Daimler, Deutsche Post, RheinEnergie usw. Natürlich sind auch Entscheidungsträger aus der Politik, die ins Rampenlicht wollen, dabei. Und hinter allem steht ein in der FDP bestens bekannter Geschäftsmann, Herr Mronz, mit besten Verbindungen in die Politik.

Ich darf zitieren, Herr Laschet: „Wir haben Großes vor.“

(Armin Laschet, Ministerpräsident, lächelt und nickt.)

Das ist schön. Die Frage ist nur: Haben Rhein und Ruhr keine anderen Probleme?

Von einem Wunsch der Menschen nach Olympia kann derzeit jedenfalls keine Rede sein. Bislang ist es eine Sache von Politik und Wirtschaft. Dass die Olympiaträume von München und Hamburg durch Referenden abgeschmettert wurden, ficht Sie bisher gar nicht an.

Wie lautet denn Ihre Antwort auf die Frage, inwiefern die Menschen durch die Olympischen und Paralympischen Spiele einen persönlichen nachhaltigen Nutzen haben? Und das alles bei milliardenschweren Kosten! Spiele für die wenigen, Kosten für die vielen, liebe SPD.

Werben Sie doch erst einmal um das Vertrauen der Bürger. Fragen Sie die Menschen in NRW, ob sie Olympia wollen. Dann wissen Sie es.

Zur Finanzierung, dem lieben Geld: Herr Laschet hofft laut Deutschlandfunk auf hohe Zuwendungen vom Bund und meint – ich zitiere –:

„Man wird natürlich die Verträge mit dem IOC so gestalten müssen, dass auch Geld in der Region, im Land bleibt, …“

Ob das so kommt, hängt also von den Verhandlungen mit dem IOC ab, das für seine Orientierung am Gemeinwohl berühmt und berüchtigt ist. Das wissen wir alle.

Der vom IOC beibehaltene sogenannte Host-City-Vertrag – also das, was an Verträgen noch abgeschlossen wird – wird im Deutschlandfunk wie folgt beurteilt:

„Der fordert von den Ausrichtern umfangreiche Finanzgarantien und bürdet den Städten das finanzielle Risiko auf. Das würde auch auf die Region Rhein-Ruhr zukommen. Letztlich haftet der Steuerzahler für Olympia.“

Also: Wer trägt die Kosten? Das müssten Sie uns schon sagen.

Auch in der „Rheinischen Post“ wird auf das finanzielle Risiko hingewiesen:

„Einer Studie der Universität Oxford zufolge werden Olympische Spiele mit …“

Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden sie teurer? Was glauben Sie? Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden die Spiele teurer? Genau!

„… 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit teurer als geplant. Die Forscher untersuchten alle Spiele zwischen 1960 und 2012 und fanden heraus, dass die durchschnittliche Kostenüberschreitung 252 Prozent betrug.“

Professor Wolfgang Maennig, Olympiasieger im Rudern 1988 und Verfasser von Gutachten zur Finanzierbarkeit der Olympischen Spiele, meint dazu – Zitat –:

„Leider hat die olympische Familie zu lange beim Irrglauben mitgemacht, Olympia sei ein Stadtentwicklungsprogramm.“

Das ist falsch.

Im „SPIEGEL“ hingegen wird die finanzielle Lage passend so beschrieben:

„In Nordrhein-Westfalen haben 270 Kommunen keinen ausgeglichenen Haushalt. Vor allem die Ausgaben im Sozialbereich steigen, in keinem anderen Bundesland gibt es so viele Langzeitarbeitslose und so viele Flüchtlinge. Sollte man vor diesem Hintergrund diese Verträge mit dem IOC abschließen? Verträge, die festlegen, dass der Ausrichter bezahlt, wenn die Kosten explodieren?“

Herr Laschet weiß das alles natürlich. Aber wie soll das funktionieren? Das müssen Sie uns gleich erklären.

Ein konkretes Beispiel aus der Vergangenheit mit Erkenntnissen für die Zukunft gefällig? Der SPD-Beauftragte für großspurige Ankündigungen, Wolfgang Clement, im Nebenberuf einst NRW-Ministerpräsident, verkündete Anfang des Jahrtausends, dass zur Fußball-WM 2006 der Metrorapid, eine Magnetschwebebahn, als S-Bahn im 10-Minuten-Takt zwischen Köln und dem Ruhrgebiet verkehren solle. Die WM 2006 ist jetzt ein paar Tage her. Der Metrorapid verkehrt immer noch nicht.

Ich komme zum Ende. Seien Sie so mutig und bringen eine wirkliche und verbindliche Volksabstimmung auf den Weg, Herr Laschet. Sollten die Menschen in NRW sich für Olympia in unserem Land aussprechen, unterstützen wir das jedenfalls gerne. Wir haben eine erste Idee für eine neue olympische Disziplin: Bäume klettern im Hambacher Forst. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Beckamp. – Für die Landesregierung spricht jetzt der Ministerpräsident.

Armin Laschet*), Ministerpräsident: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass es heute gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag von vier Fraktionen des Landtags zu einem Thema einzubringen, das vermeintlich weit weg zu liegen scheint. 2019 über 2032 nachzudenken, mag vielleicht verfrüht sein. Aber wir wissen, wie lang Planungsprozesse für solche großen Vorhaben sind.

Ich erinnere an die Spiele, die die letzten Jahrzehnte geprägt haben. Vielen sind noch die Münchener Spiele 1972 in Erinnerung. Sie haben die Stadt selbst vorangebracht. Bis heute profitiert München beispielsweise von einem öffentlichen Personennahverkehr. Keine Stadt in der Moderne hat wie München in den 70er-Jahren mit dem U- und S-Bahn-System bei null begonnen.

1992 wurden die Spiele in Barcelona ausgetragen, einer Metropole am Mittelmeer, die sich neu positioniert hat und seither ein Touristenmagnet in Europa geworden ist. In London haben im Osten der Stadt durch kräftige Investitionsschübe ehemals abgehängte Stadtteile einen neuen Aufwind erfahren, ebenfalls rund um die Olympischen Spiele.

Das muss nicht so kommen. Es können auch Spiele sein, die nicht nachhaltig sind. Aus den letzten Jahren gibt es auch Beispiele, wo für 1 Milliarde ein Stadion gebaut wurde, in dem heute niemand mehr Sport treibt – im Süden der Erde zum Teil, in Rio, in Peking und anderswo.

Deshalb ist die Frage: Schaffen wir es in einem weltoffenen Land, einer modernen Demokratie, ein solches Großereignis hinzukriegen, oder können Großereignisse demnächst nur noch in Katar oder wo auch immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit tief in der Nacht ohne Zuschauer stattfinden? Aus meiner Sicht ist, wenn man das allzu oft macht, der Sport ruiniert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese Idee ist aus der Bürgerschaft entstanden. Sie stammt nicht von Politikern. Sie ist entstanden von jemandem, der eine Idee hat, der Menschen dafür begeistert hat, der 14 Städte zusammengebracht hat – es gelingt in Nordrhein-Westfalen ja nicht immer, dass 14 Städte gleichermaßen sagen: Wir sind mit dabei –, der dann kein öffentliches Geld bekommen hat, sondern bei Sponsoren Geld eingeworben hat, um die Idee zu unterstützen, und den Landessportbund mit einbezogen hat, der wiederum gesagt hat: Ja, da sind wir dabei; wir haben allerdings die Erwartung, auch an den Breitensport zu denken.

Deshalb haben wir gesagt: „Ja, es ist unser Programm für 2022, 300 Millionen Euro bereitzustellen, damit auch der Breitensport profitiert“, um eine solche Bewegung zu untermauern. Das ist der richtige Weg. Bisher ging der Weg immer umgekehrt: Irgendein Ministerpräsident oder Oberbürgermeister verkündete irgendwo in der Welt, dass man sich bewirbt, und danach hat der ganze Prozess begonnen. Hier in Nordrhein-Westfalen war es umgekehrt.

Der Schritt des Landtags ist ein kleiner Baustein, nämlich zu sagen, dass bei den Themen, die wir gemeinsam aufgeschrieben haben, prinzipiell vier Fraktionen bereit sind, diesen Weg mitzugehen – mit noch einer Menge Fragen.

Herr Bischoff hat ja einige Fragen gestellt. Ob ich noch ins Plenum komme oder nicht, hätte er nicht fragen müssen, weil ich auf der Rednerliste stand. Aber andere Fragen waren berechtigt.

(Zuruf)

– Einige Debatten sind schneller, und manchmal gibt es Menschen, die gerne ein Gespräch führen, bei dem sie nicht einfach aufstehen und gehen können.

Die Frage, ob wir eine Machbarkeitsstudie brauchen, kann man stellen. Man kann sie aber erst dann beantworten, wenn die Details des IOC vorliegen. Daran arbeiten sie dort im Moment. Wenn diese Details vorliegen, können wir den nächsten Schritt gehen. Heute wäre es zu früh.

Dann fragen Sie: Reden Sie mit Herrn Hörmann vom DOSB? – Ja, ich rede auch mit Herrn Hörmann, zuletzt vor wenigen Wochen in unserer Berliner Vertretung. Er hat viel Sympathie erkennen lassen, muss als Präsident aber natürlich neutral sein, nachdem Berlin plötzlich gesagt hat, man könne es sich doch vorstellen – manchmal sogar mit der aus meiner Sicht etwas absurden Idee „Berlin 2036“. Das finde ich geschichtlich keine besonders sensible Entscheidung.

(Beifall von der CDU, der FDP, den GRÜNEN und Rainer Bischoff [SPD])

Aber was auch immer! Wenn Berlin in den Wettbewerb einsteigt, wenn der rot-rot-grüne Senat mit der gleichen Begeisterung wie die Menschen in Nordrhein-Westfalen Ja sagt, dann gehen wir in den Wettbewerb um die besten Ideen. Insofern kann Herr Hörmann jetzt nicht erklären, dass er für Nordrhein-Westfalen sei.

Der Bundesinnenminister hat sich allerdings schon bekannt und geäußert, dass er unser Konzept für sehr überzeugend hält. Insofern ist es gut, dass wir diesen Schritt heute hier gemeinsam gehen.

Eine Menge Fragen bleiben offen. Frau Paul hat einige genannt. Die Frage der Bürgerbeteiligung fand ich, wenn ich das so bewerten darf, in der Herangehensweise etwas intelligenter formuliert, als in einer Volksabstimmung schlicht die Frage „Ja oder nein?“ zu stellen. Denn auf dem Weg dahin neue Formen der Bürgerbeteiligung zu finden, wie die Grünen es im Hinblick auf viele Großprojekte angeregt haben, gerade aus der Erfahrung mit Stuttgart 21, ist eine gute Idee. Wir machen alle unsere Planungsprozesse, und am Ende wird abgestimmt. Dann ist aber schon so viel Zeit vergangen, dass ein Riesendesaster entsteht, wenn man Ja oder Nein sagt. Deshalb sollte man durchaus den Prozess früh beginnen und neue Formen finden. Das ist etwas, was wir uns auch hier vorstellen können.

Es wird nicht ohne die Begeisterung der Bürger funktionieren. In meinen bisherigen Gesprächen habe ich erlebt, dass, wenn man es erklärt, viele sagen: Das kann ein Schub für unser Land werden. – Das kann uns auch bei der Mobilität, für die wir ohnehin planen müssen, helfen, uns auf ein solches Großereignis einzustellen.

Wenn wir das alles miteinander verknüpft bekommen und bei allem Streit über Sachfragen, den wir ansonsten haben, hier versuchen, möglichst lange möglichst intensiv gemeinsam voranzugehen, werden wir auch die Bürger überzeugen, glaube ich. Dann werden es am Ende wirklich Spiele, und zwar nicht von irgendjemandem, der sie dann im Jahr 2032 eröffnet, sondern bei denen sagen kann, dass der Landtag einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, diesen großen Konsens hinzubekommen. Deshalb Dank von mir für diese Initiative am heutigen Plenartag!

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Der guten Ordnung halber will ich Ihnen mitteilen, dass der Ministerpräsident – und damit die Landesregierung – die Redezeit um 2:27 Minuten überzogen hat. Wünscht noch jemand das Wort? Möchte jemand die damit verbundene zusätzliche Redezeit nutzen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/7755. Wir haben es mehrfach gehört: Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache 17/7755 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7877. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Stimmt jemand dagegen? – Das sind CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7877 abgelehnt.

Ich rufe auf:

9   Stromversorgung sichern, Arbeitsplätze erhalten – notwendige Kraftwerksleistung als Grundlage des Wirtschaftsstandortes NRW erhalten!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7745

Für die antragstellende Fraktion hat Herr Abgeordneter Loose das Wort.

Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern habe ich Ihnen erklärt, warum der von Ihnen staatlich verordnete Ausstieg aus der Kohleverstromung keine einzige Tonne CO2 auf der Welt einspart. Nur die Reduzierung der CO2-Zertifikate im EU-weiten Zertifikatehandel bewirkt eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Sie müssen also nichts weiter tun, als die gewünschten Zertifikate aufzukaufen und zu vernichten.

Dafür muss kein einziges deutsches Kraftwerk geschlossen werden, dafür muss kein einziger Mitarbeiter von RWE, E.ON, STEAG oder anderen Energiekonzernen seinen Arbeitsplatz verlieren. Dafür muss auch keiner der 125.000 Mitarbeiter in der energieintensiven Industrie entlassen werden. 125.000 Schicksale sind CDU und FDP anscheinend völlig egal. Die SPD hat sich ohnehin schon vom Arbeitnehmer abgewendet.

Deshalb bedarf es einer neuen Partei, die sich für die Bedürfnisse der Arbeiter einsetzt. Wir brauchen Arbeitsplätze statt Klimaangst, wir brauchen Energie mit einer hohen Versorgungssicherheit statt Blackouts.

Dennoch gibt es ein paar weltfremde Blackout-Leugner, die die Zunahme der Zahl der Blackouts bestreiten. Sie verweisen darauf, dass die Statistik der Bundesnetzagentur das nicht zeige. Ja, das kann sie auch nicht, denn die Statistik der Bundesnetzagentur erfasst nur Blackouts, also Stromausfälle, von mehr als drei Minuten.

Hochpräzise Maschinen in der Industrie aber, zum Beispiel des Walzwerks in Grevenbroich, verkraften nicht einmal einen Stromausfall im Millisekundenbereich. Dadurch stürzen die Prozessrechner ab, und es droht eine Produktionsunterbrechung von mehreren Stunden, die entsprechend Produktionsausfälle und Mitarbeiterkosten – Löhne müssen ja weiterbezahlt werden – von mehreren 100.000 Euro zur Folge haben kann.

Dieses Problem hatte Hydro Aluminium bereits vor acht Jahren, 2011, auf ihrer Homepage beschrieben. Auch die Zeitung „WeLT“ titelte bereits 2011 – ich zitiere –: „Seit Energiewende mehr Stromausfälle in Industrie“. Das ist seit 2011 bekannt.

Wer aber unserer Industrie die Lebensgrundlage nimmt, der nimmt sie auch den Beschäftigten in der Industrie. Seit 2011 hat sich die Situation nicht verbessert, sondern dramatisch verschlechtert. Dies zeigt die Entwicklung der sogenannten Redispatch-Kosten. Kennen Sie die?

(Zuruf von der FDP: Ja!)

Das sind die Kosten für die Eingriffe in das Stromnetz, weil Wind und Sonne stark schwankend Strom liefern. Betrugen diese Kosten noch im Jahr 2009 weniger als 40 Millionen Euro, so waren es im Jahr 2011 schon 120 Millionen Euro. Schon damals, 2011, haben die Industriebetriebe geklagt, dass es zu viele Stromausfälle gibt, und das bei 120 Millionen Euro. Inzwischen liegen die Kosten bei über 1 Milliarde Euro pro Jahr, bei dem 25-Fachen von vor zehn Jahren – jedes Jahr, nur um die schlimmsten Netzausfälle zu verhindern.

Bezahlt wird das alles über die Netznutzungsentgelte beim Strompreis, also von allen Bürger dieses Landes. Das schlägt die Bäckerei beim Brötchenpreis auf, das schlägt der Tischler auch bei seinen Produkten auf.

Aber es ist ja nicht allein das Geld für das Stromnetz, das Problem sind auch die drohenden Produktionsausfälle. Warum sollen die Unternehmen dann nicht einfach Deutschland dauerhaft verlassen? Warum sollen sie sich das immer wieder gefallen lassen?

Und wenn die Unternehmen abwandern, dann gehen auch die Arbeitsplätze verloren. Wer also ein Interesse an gut bezahlten Industriearbeitsplätzen in Deutschland hat, der muss die Versorgungssicherheit des Stromnetzes und die Bezahlbarkeit des Stroms zur Chefsache machen. Genau dafür steht unser Antrag.

Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie im Interesse der Arbeitnehmer in Deutschland und in NRW zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Abgeordnete Plonsker das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Antrag, die Kohlekraftwerke zu erhalten. So ganz verstehe ich den Ansatz des Antragstellers nicht, aber ich möchte ihn auch nicht verstehen.

(Christian Loose [AfD]: Das glaube ich!)

Aktuell schauen wir doch alle gespannt nach Berlin und erwarten das Kohleausstiegsgesetz.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Ich appelliere noch mal an die Kollegen der SPD-Fraktion: Das Rheinische Revier braucht Planungssicherheit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es kann doch nicht sein, dass das Gesetz zum Kohleausstieg durch irgendwelche parteipolitischen Machtspiele verzögert wird.

Liebe SPD-Fraktion, ich kann Sie daher nur darum bitten, sich in Berlin für das Rheinische Revier, für die Planungssicherheit einzusetzen. Sprechen Sie mit Ihren Ministern Scholz und Schulze, damit das Kohleausstiegsgesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird. An uns liegt es nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann hätten wir auch Klarheit für die Menschen im Rheinischen Revier.

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Beschäftigten von RWE, den Zulieferunternehmen und den energieintensiven Betrieben bedanken. Sie stehen morgens auf, um sich für unsere Energieversorgung, für Versorgungssicherheit und Wohlstand in der Industrie, für Wertschöpfung bei uns im Land einzusetzen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Im Namen meiner Fraktion, aber auch im Namen der NRW-Koalition ein herzliches Dankeschön und Glückauf für Ihre und eure Leistung, für Ihre und eure Arbeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die wichtigste Forderung bei dem politisch bedingten Kohleausstieg, ein Anpassungsgeld zu erhalten, haben wir als NRW-Koalition auch in den vielen persönlichen Gesprächen mit den Beschäftigten unterstützt. Aus Berliner Kreisen darf man vernehmen, dass es so im Referentenentwurf fixiert ist. Die genaue Ausgestaltung werden wir uns dann anschauen.

Meine Fraktionskollegen aus dem Rheinischen Revier sind vor Ort und hören sich die Ängste und Sorgen der Menschen an. Im Rheinischen Revier herrschen Aufbruchsstimmung und Zuversicht. Sie von der AfD-Fraktion allerdings instrumentalisieren Familien und Beschäftigte. Sie schüren Ängste,

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

präsentieren aber keine Lösung.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch! Schauen Sie doch mal hin!)

Ihr Thema ist nur: bloß keine Veränderungen. Aber: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Fortschritt im Rheinischen Revier bedeutet Veränderung und Anpassung. Dabei unterstützen wir das Rheinische Revier.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Auf diesen Weg haben sich die Region und vor allem die Akteure vor Ort gemacht.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist kein Fortschritt, das ist Zerstörung!)

Von unten nach oben wird der Strukturwandel angepackt. Als Land wissen wir nicht alles besser. Vielmehr bringen sich die Akteure selber – in den Revierknoten, in den Kommunen –, aber auch die Kammern und die Gewerkschaften sowie, um es dem Antragsteller noch mal zu verdeutlichen, die Beschäftigten ein.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Da ich im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur tätig sein darf, will ich noch einen besonderen Fokus auf die Revierknoten legen. Am 6. September fand mit fast 500 Teilnehmern die Auftaktveranstaltung der Revierknoten in Bergheim statt. 500 Menschen haben allein an dem Tag gezeigt: Uns liegt die Zukunft des Rheinischen Reviers am Herzen. Wir wollen die Zukunft mitgestalten.

Bereits im Dezember sollen erste Ergebnisse der sechs Revierknoten präsentiert werden. Aus den Ergebnissen wird das Wirtschafts- und Strukturprogramm erarbeitet. Und ich verdeutliche: In diesen Revierknoten darf jeder mitarbeiten, der möchte.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Auch wenn in Berlin noch nicht alles in trockenen Tüchern ist, arbeiten wir hier mit Hochdruck an den Vorbereitungen. Geld für die Kofinanzierung der Bundesmittel – mit 29 Millionen Euro – sowie die Verpflichtungsermächtigung für die kommenden Jahre sind in den Haushalt eingestellt. Damit treffen wir im Land ausreichend Vorsorge für die Mittel des Strukturstärkungsgesetzes.

Mit Blick auf die Kommunen möchte ich gerne noch das „Entlastungspaket Kernrevier“ herausstellen, das derzeit vorbereitet wird. Ziel ist unter anderem, ein kommunales Strukturförderprogramm zu entwickeln, das kurzfristig umsetzbar ist und strukturell bedeutsame Investitionen der Kommunen ermöglichen soll.

Ich will ein paar Stichworte nennen: 8,9 Millionen Euro für die Zukunftsagentur, das Entfesselungspaket IV mit ähnlichen Rahmenbedingungen wie für die Sonderwirtschaftszone, Änderungen am Landesentwicklungsplan und zusätzliche Hilfestellung bei der Bereitstellung von Gewerbeflächen.

Ministerpräsident Armin Laschet, Wirtschafts- und Innovationsminister Andreas Pinkwart und die gesamte Landesregierung setzen sich für das Gelingen des Strukturwandels ein – im Bund, im Land und vor Ort, mit einer Stimme für die Region und vor allem für die Zukunft des Rheinischen Reviers. Ich ergänze noch: auch für die Zukunft des Ruhrgebiets. Denn die NRW-Koalition spielt die beiden Reviere nicht gegeneinander aus, wir wollen beiden die Zukunft ermöglichen.

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP])

Eine Rolle rückwärts, wie im Antrag gefordert, ist weder sinnvoll noch wird dies den Menschen bei uns im Rheinischen Revier gerecht.

Noch einmal: Solche Anträge schüren Ängste, obwohl ihm Revier Hoffnung und Zuversicht vorhanden sind.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Die Region krempelt die Ärmel hoch. Das sollten auch wir tun, wir sollten nicht auf der Bremse stehen – für das Gelingen des Strukturwandels und der Energiewende. Dementsprechend können wir diesem Antrag keinesfalls zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Plonsker. – Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Kollege Sundermann das Wort.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren im Rahmen dieser Plenartage heute zum wiederholten Male – gestern schon zweimal – über Energie- und Klimapolitik. Das kann man – das haben wir gestern unter Beweis gestellt – sehr kontrovers tun.

Wir diskutieren beispielsweise über Dinge wie: Ist es richtig, dem Markt die Konstruktion, die Strukturierung des Klimawandels zu überlassen, oder ist es besser, wenn wir regulierend eingreifen?

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Außerdem diskutieren wir darüber, was das entscheidende Kriterium ist. Ist Schnelligkeit das entscheidende Kriterium, oder ist es besser, die ganzen Prozesse langsamer zu machen und Brüche zu vermeiden?

Darüber diskutieren wir hier sehr kontrovers, aber immer am Ergebnis und am Ziel orientiert. Am Ergebnis orientiert: Es muss gelingen. Am Ziel orientiert: Wir haben ein klares Ziel. Das Ziel ist: Die CO2-Emissionen müssen sinken, damit die Folgen des Klimawandels reduziert werden.

Genau da ist der Unterschied zwischen den Fraktionen, die bis zu dieser Schnittstelle dort im Plenarsaal sitzen, und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD. Sie negieren nämlich den Klimawandel.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

Sie sagen: Es gibt keinen anthropogen verursachten Klimawandel.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist richtig! Aber das müssen Sie unterscheiden!)

Das unterscheidet uns. Deswegen diskutieren wir hier ziel- und ergebnisorientiert und Sie eben nicht, weil Sie eine falsche Basis als Ausgangspunkt Ihrer Diskussionen haben.

Ausgehend von dieser falschen Annahme, von dieser Leugnung treffen Sie bewusst negative und falsche Feststellungen, was die Maßnahmen anbelangt, die wir ergreifen müssen und auch ergreifen wollen, um unser Ziel zu erreichen. Das sieht man auch sehr schön an Ihrem Antrag. Für all die Maßnahmen, die wir ergreifen, stellen Sie die Auswirkungen dar, und die sind eben nicht richtig.

Insofern liegen Sie zweimal falsch: Sie liegen falsch in der Annahme, dass es keinen anthropogen verursachten Klimawandel gibt, und Sie liegen in Ihren Feststellungen dazu falsch, welche Auswirkungen unsere Maßnahmen haben.

Ich will es Ihnen gerne an einem mir als Sozialdemokraten sehr wesentlichen Punkt deutlich machen: am wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Und zwar geht es um die Auswirkungen auf die Region – auf das Rheinische Revier und auf das Ruhrgebiet – und auch auf die einzelnen Menschen.

Ja, durch diesen Prozess werden Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren – in den Kraftwerken und in den Tagebauen. Das muss man ihnen ehrlich sagen. Das können wir uns, denke ich, nicht zum Vorwurf machen. Wir sagen es ihnen.

Es ist aber so: Natürlich verlieren Menschen ihre Arbeitsplätze, aber wir sorgen dafür, dass die Menschen ihre Arbeit nicht verlieren. Wir sorgen dafür, dass sie Arbeit im Revier erhalten. Das ist unsere Aufgabe, und daran arbeiten wir.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Frau Plonsker hat es ja vorhin bereits ausgeführt: Die ganze Region ist doch schon auf dem Weg. Ich komme zwar nicht wie sie aus der Region, aber alle Gespräche, die ich führe, und alle Begegnungen, die ich dort habe, zeigen, dass die Menschen zwar erst einmal betroffen sind, aber es herrscht eine Aufbruchsstimmung im Land. – Ich hoffe, Sie können das bestätigen.

Die Menschen wollen doch etwas mit ihrer Region erreichen. Und sie merken doch auch, dass wir uns – die Landesregierung, der Landtag, die Bundesregierung und auch der Bundestag – um sie kümmern, dass wir verstanden haben, dass es eine Aufgabe ist und dass wir die Leute nicht alleinlassen dürfen. Das machen wir doch. Und wir spüren auch, dass das auf fruchtbaren Boden fällt.

Man muss auch sagen: Natürlich wird sich die Region verändern. Sie wird ihr heutiges Gesicht nicht behalten können. Aber, meine Damen und Herren, das ist doch eine Chance. Wir haben eine Chance, dort etwas zu gestalten. Das ist unsere Aufgabe.

Unsere Aufgabe ist es auch, über den richtigen Weg zu streiten. Ihre Herangehensweise an die Problematik ist, die Basis und alles Entscheidende zu negieren.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie verweigern es!)

Sie sagen den Menschen: Es kann alles so bleiben, wie es ist.

(Helmut Seifen [AfD]: Nein!)

Damit streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Sie vergehen sich an der Region und an jedem einzelnen Menschen.

(Christian Loose [AfD]: Das machen Sie!)

Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Damit lassen wir Sie nicht durchkommen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir werden immer wieder dagegenhalten, weil wir den richtigen Weg gehen, während Sie sich an den Menschen versündigen. – Danke, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sundermann. Sie haben es vermutlich schon angezeigt gesehen: Es ist eine Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Loose von der Fraktion der AfD angemeldet worden.

(Michael Hübner [SPD]: Und es sinkt wieder eines: das Niveau!)

Es steht Ihnen selbstverständlich frei, diese von Ihrem Platz aus entgegenzunehmen und von dort aus darauf zu erwidern.

Nun hat für 90 Sekunden Kurzintervention Herr Abgeordneter Loose das Wort.

Christian Loose*) (AfD): Danke, Frau Präsidentin. – Es ist richtig: Wir haben gestern darüber diskutiert, ob es der Markt oder die Planwirtschaft besser kann. Ich habe es Ihnen relativ einfach erklärt. Vielleicht haben Sie aber immer noch nicht verstanden,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Eijeijei!)

dass man mit dem Kauf und der Vernichtung von Zertifikaten für 2,4 Milliarden Euro die gleiche Menge an CO2 hätte einsparen können.

(Michael Hübner [SPD]: Wir können dem tiefsten Niveau nicht folgen!)

Ihr planwirtschaftlicher Ansatz hat dazu geführt, dass wir mit den EEG-Kosten bereits 189 Milliarden Euro ausgegeben haben – Mehrkosten.

(Michael Hübner [SPD]: Wenn Sie das EEG nicht verstanden haben, kann ich Ihnen nicht helfen!)

Das ist das, was Sie verschwendet haben: 187 Milliarden Euro. Wie rechtfertigen Sie eigentlich gegenüber den Bürgern diese Art der Verschwendung?

Und Sie wollen jetzt, wie in der DDR, neue Arbeitsplätze schaffen. Das hat die DDR planwirtschaftlich wunderbar hinbekommen. Und das haben Sie in Ihrer Regierungsverantwortung auch wunderbar in Duisburg-Nord und in Gelsenkirchen hinbekommen. 12 % Arbeitslosigkeit! Sie haben sich an den Arbeitern versündigt!

(Beifall von der AfD – Michael Hübner [SPD]: Es sinkt einfach nur das Niveau! – Gegenruf von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Sundermann hat nun für bis zu 90 Sekunden das Wort für eine Erwiderung. Bitte sehr.

Frank Sundermann (SPD): Vielen Dank, Herr Loose, für diese Kurzintervention. Ich glaube, sie hat allen hier im Saal noch einmal deutlich gemacht, wes Geistes Kind Sie sind.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Antworten Sie doch mal! – Zuruf von Christian Loose [AfD] – Michael Hübner [SPD]: Jetzt ist er auch noch beleidigt, oder was?)

Der Vorwurf, dass ich mich persönlich, dass sich die deutsche Sozialdemokratie oder auch die anderen hier vertretenen demokratischen Parteien an Arbeitern, an Menschen versündigt hätten, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das machen Sie seit 30 Jahren!)

Sehen Sie sich mal um, dann wissen Sie, was da los ist.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Die Bergleute!)

Sie sollten sich schämen, wenn Sie dazu in der Lage sind. Schämen Sie sich für solche Aussagen! – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren Kurzintervention und Erwiderung. – Jetzt hat für die FDP-Fraktion Herr Abgeordneter Brockes das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der AfD-Fraktion macht wieder einmal deutlich, dass Sie den Klimaveränderungen tatenlos zusehen wollen. Sie bestreiten auch wieder einmal, dass der Mensch Einfluss auf die Veränderungen nehmen kann.

Diese Meinung, das sage ich in aller Deutlichkeit, teilen wir ausdrücklich nicht. Deshalb ist klar, dass wir Ihren Antrag,

(Christian Loose [AfD]: Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen, Herr Brockes?)

den Sie ja gar nicht tiefgehend behandelt wissen wollen und deshalb zur direkten Abstimmung stellen, ablehnen werden.

(Beifall von der FDP, der CDU und Michael Hübner [SPD])

Wir stellen uns ausdrücklich unserer Verantwortung, und wir sind bereit dazu, dass Nordrhein-Westfalen als starkes, großes Industrieland seinen Beitrag zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens leistet.

Unsere sehr intensive Debatte gestern hier hat deutlich gemacht, dass Nordrhein-Westfalen bereits jetzt 28 % CO2-Minderung im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990 erreicht und damit das rot-grüne Ziel von 25 % bereits überschritten hat und dass wir sehr wahrscheinlich sogar das ambitioniertere Ziel der CDU/FDP-Regierung von 2005 bis 2010 mit über 30 % auch erreichen werden.

Meine Damen und Herren, das zeigt, dass wir bereit sind, auf die globalen Herausforderungen einzugehen, uns diesen Herausforderungen stellen und unseren Beitrag leisten.

(Beifall von der FDP)

Wir stehen auch zum Kompromiss der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung.

Ich sage an der Stelle auch, da dies die Kommission der Großen Koalition in Berlin war: Auch wenn dies nicht unser Weg gewesen wäre, den wir eingeschlagen hätten – es ist ein sehr teurer Weg –, so erkennen wir doch den gesellschaftlichen Konsens an, der als Grundlage für das weitere Vorgehen gilt. Ich erwarte von allen, die sich auf diesen Konsens eingelassen haben, dass sie den Weg gemeinsam mitgehen werden.

Wie wichtig ein solcher gesellschaftlicher Konsens ist – den Sie natürlich nicht wollen, denn Sie wollen ja unser Land spalten –,

(Zuruf von der AfD: Worthülsen!)

ist mir zu Beginn dieser Woche sehr klar geworden, meine Damen und Herren. Ich hatte nämlich hier im Landtag Anfang der Woche eine Delegation aus vielen europäischen Regionen zu Gast: liberale Kolleginnen und Kollegen aus den Städten und Regionen Litauens, Frankreichs, Spaniens, Finnlands, Großbritanniens und Dänemarks. Wir hatten dafür den Fraktionssaal der SPD etwas umfunktioniert und mit Dolmetscherkabinen versehen.

Bei dieser Tagung haben wir dargestellt, wie wir den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen angehen, wie wir unseren Beitrag zur Energiewende leisten wollen. Wir sind von unseren Freunden, die aus anderen Ländern kamen, die eine völlig andere Mentalität haben, ausdrücklich gelobt worden. Sie waren beeindruckt davon, wie wir den gesellschaftlichen Konsens suchen und gerade auch mit den Gewerkschaften solche Veränderungsprozesse angehen.

Deshalb, meine Damen und Herren, denke ich, ist es richtig, dass wir diesen Weg weitergehen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie von der AfD leben in der Vergangenheit, und Sie wollen auch in der Vergangenheit bleiben. Wenn es nach Ihnen geht, dann darf sich nichts verändern. Jeder muss seinen Arbeitsplatz halten, und alle Betriebe müssen so weitermachen wie bisher. Das ist natürlich völlig irre.

Mit den Parolen, Herr Loose, die Sie hier zu dreschen versuchen, erreichen Sie die Mitarbeiter, die Beschäftigten in den Betrieben nicht. Denn diese sind viel weiter als Sie. Sie sind bereit, diesen Weg mitzugehen.

Es ist die Aufgabe der Politik, die Menschen mitzunehmen. Deren Bereitschaft dazu ist vorhanden. Wir müssen sie mitnehmen. Wir müssen ihnen offen und ehrlich sagen, welche Veränderungen herbeigeführt werden müssen. Herr Sundermann hat es ja eben auch gesagt. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

Meine Damen und Herren, wir stellen uns diesen Herausforderungen. Wir stellen uns auch unserer globalen Verantwortung. Wir wissen, dass wir dies mit technischem Fortschritt erreichen können. Wir wissen aber auch, dass es ein ambitionierter Weg ist, den wir dort gehen.

Deshalb ist es gut, dass die Landesregierung eine Energieversorgungsstrategie mit 17 Handlungsfeldern vorgelegt hat. Denn es muss sich natürlich noch vieles ändern. Wir haben im Moment noch nicht die Voraussetzungen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten. Es bedarf vieler neuer und anderer Regelungen. Das ist ganz klar. Wir brauchen auch neue technologische Entwicklungen. Wir müssen die Digitalisierung nutzen, damit wir unser Ziel erreichen. Das alles ist Teil der 17 Handlungsfelder.

Ich glaube, es ist der richtige Weg, dass wir gemeinsam unseren Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten. Wir gehen diesen Weg. Wir sorgen dafür, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, und wir gucken nicht nur in die Vergangenheit, wie es die AfD macht.

Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes. – Es ist eine Kurzintervention des Abgeordneten Loose von der Fraktion der AfD angemeldet worden, der jetzt das Wort für 90 Sekunden zur Kurzintervention erhält. Bitte.

Christian Loose*) (AfD): Danke, Frau Präsidentin. – Herr Brockes, einen gesellschaftlichen Konsens kann man zwar herbeireden, aber den gab es nicht. Die Regierung hat eine Kommission von oben herab eingesetzt, und die Opposition wurde nicht eingeladen.

Was wurde in diesem sogenannten Kompromiss erreicht? Die Unternehmerverbände haben mitgemacht, weil ihnen Rabatte versprochen wurden, bezahlt von der Allgemeinheit. Die Gewerkschaften der Energiekonzerne haben mitgemacht, weil die Abfindungen der Mitarbeiter von der Allgemeinheit bezahlt werden sollen. RWE hat mitgemacht, weil sie Entschädigungen bekommen sollen, bezahlt von der Allgemeinheit.

Das heißt, die Verbände, die Gewerkschaften haben sich kaufen lassen. Und wer bezahlt das am Ende? – Der Bürger, der Malocher, der seine Steuern dafür hergibt, der jeden Tag arbeiten geht, um das Land aufrechtzuerhalten. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Brockes, Sie haben das Wort für 90 Sekunden zur Erwiderung. Bitte sehr.

Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Loose, wenn Sie als gelernter Bankkaufmann von „Malocher“ reden, dann kommt es immer unheimlich glaubwürdig herüber,

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD – Zuruf von Christian Loose [AfD])

aber das brauchen wir den betroffenen Menschen nicht zu sagen, denn Ihr Auftreten zeigt die Glaubwürdigkeit einmal mehr sehr deutlich.

Ich habe eben in meinen Ausführungen – und das ist natürlich typisch, da Sie Ihre Intervention ja wieder vorbereitet und nicht frei formuliert hatten – sehr deutlich gemacht, dass die FDP nicht an der Kommission, die von der Großen Koalition eingesetzt wurde, beteiligt war. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

– Wir hatten keine Vertreter; das ist Blödsinn, was Sie da erzählen. Die FDP ist in der Kommission nicht vertreten gewesen. Es ist diese Landesregierung, die eine beratende Funktion, aber kein Stimmrecht in der Kommission hatte. Hören Sie auf, die Fakten hier falsch darzustellen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen, dieser gesellschaftliche Konsens kam nicht nur zustande, weil die Kommission breit gesellschaftlich besetzt war. Schauen Sie sich an, wie dieser Konsens in der Gesellschaft, in der Bevölkerung aufgenommen wurde. Da muss man eben sagen, dass eine deutliche Mehrheit in der Bundesrepublik bereit ist, diesen teuren Weg mitzugehen.

Deshalb sagen wir als Liberale, dass wir unseren Beitrag auch dazu leisten. Wir hätten vorneweg einen anderen Weg eingeschlagen, aber die Regierung, die Mehrheiten waren andere und haben einen anderen Weg beschritten. Wir wollen, dass am Ende ein vernünftiges Ziel erreicht wird. Deshalb stellen wir uns der Verantwortung und ducken uns nicht wie die AfD weg. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Brems das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, der Kohleausstieg ist notwendig, und zwar aus Klimaschutzsicht.

Wir wissen, es ist technisch klar, dass eine Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien möglich ist. Sie ist eben auch klimapolitisch und wirtschaftlich geboten.

Wenn wir in dem AfD-Antrag lesen müssen, was die Allgemeinheit an schlimmen Dingen doch alles tragen muss, dann möchte ich gerne auch erklären, was die Allgemeinheit in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon alles an Kosten für fossile und atomare Energieträger getragen hat.

Alleine die Subventionen für Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Kohle, Öl und Gas haben in den letzten Jahrzehnten 46 Milliarden Euro bedeutet.

Die genauen Folgekosten der Braunkohlegewinnung wurden noch nie unabhängig ermittelt. Die Rückstellungen, die RWE in Höhe von 2,53 Milliarden Euro gemacht hat, werden nicht im Ansatz reichen.

Die Umweltkosten, die die Stromerzeugung nach sich zieht, wurden vom Umweltbundesamt erst vor einiger Zeit dargestellt.

Wenn man sich das ansieht und wirklich darauf achtet, was die Braun- oder auch die Steinkohle an wirklichen Umwelt- und Klimafolgenkosten haben, dann läge die Braunkohle bei über 20 Cent zusätzlich pro Kilowattstunde, die Steinkohle bei fast 19 Cent.

Das alles, was da zusammenkommt, trägt die Allgemeinheit, das tragen der Steuerzahler und die Steuerzahlerin, und das, was Sie hier machen, ist einfach nicht redlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Werfen wir einen weiteren Blick auf die Braunkohle. Sie hat uns alle im Jahr 2017, so hat eine Studie ergeben, insgesamt schon 27,9 Milliarden Euro an Klimaschäden, Gesundheitsschäden und staatlichen Förderungen gekostet.

Dann schauen wir uns auch noch das an, was Sie immer so klammheimlich gerne unterstützen: die Atomkraft. Das ist genau das, womit wir wieder in ganz große Schwierigkeiten geraten, was finanziell nicht im Ansatz irgendwie darstellbar ist. Die Atomkraft hat alleine in Deutschland zwischen 1970 und 2014 219 Milliarden Euro gekostet. Dann haben wir noch nicht darüber geredet, was mit der Endlagerung und mit allen sonstigen Kosten ist, die auf uns zukommen.

Und Sie wollen uns hier sagen, dass ein Kohleausstieg mit 15 Milliarden Euro hier viel zu teuer für Nordrhein-Westfalen sei, dass sich das alles doch nicht lohne? Ich finde, das ist wieder einmal nicht ehrlich. Sondern: Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird uns an vielen Stellen Kosten sparen und viele positive Effekte haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir uns dann noch an, welche Auswirkungen das auf die Menschen hat. Auch das stellen Sie hier nur sehr einseitig dar.

Alleine im Rheinischen Revier wurden in den letzten Jahrzehnten 45.000 Menschen umgesiedelt, wie es immer so schön heißt. Man muss ganz klar sagen: Das bedeutet, dass diese 45.000 Menschen ihre Heimat verloren haben. Wenn wir uns dann ansehen, wie diese Menschen da leben und arbeiten – und dazu haben viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner schon etwas gesagt –, geht es doch darum, dass diesen Menschen eine Perspektive geboten werden muss.

Wir sehen, dass es eine gute Perspektive sein kann. Es gilt, diese Perspektive hier gemeinsam politisch zu gestalten. Diese Menschen brauchen uns, die brauchen unsere Zuversicht, und die brauchen ganz bestimmt nicht die Angst und die Panikmache der AfD.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Brems. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung hat im Januar ihren Abschlussbericht mit Empfehlungen an die Bundesregierung vorgelegt. Es liegt ein Ergebnis vor, das wesentliche Bedingungen erfüllt, die die Landesregierung an einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleverstromung gestellt hat.

Aufgrund des fast einstimmigen Votums der Kommission erlangt der Bericht für alle Beteiligten und ganz besonders für die Bundesregierung eine hohe Bindungswirkung und trifft infolge einer breiten Mitwirkung zudem auf hohe Akzeptanz aller Akteure.

Wie Sie wissen, sehen die Empfehlungen der WSB-Kommission vor, die Kohleverstromung in Deutschland bis zum Jahr 2038 zu beenden. Durch die stufenweise Herausnahme von Kraftwerksblöcken soll es bei gleichzeitigem Ausbau der erneuerbaren Energien gelingen, dass der Energiesektor bereits im Jahr 2022 45 % weniger CO2 ausstößt als 1990. Damit würde ein Sonderbeitrag zur Kompensation der Zielabweichung bei Wohnen und Mobilität geleistet.

Diese Empfehlungen der Kommission haben zweifellos weitreichende Folgen für die Menschen in den betroffenen Regionen, für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit auch für Nordrhein-Westfalen.

Insbesondere unser Bundesland mit seiner bedeutenden energieintensiven Industrie ist auf eine sichere, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung angewiesen.

Die Landesregierung hatte daher im Vorfeld klare Bedingungen an die Kommission gestellt.

Ein vorzeitiger Rückzug aus der Kohleverstromung ist danach nur akzeptabel, wenn das Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz in der Balance bleibt.

Zudem haben wir stets deutlich gemacht, dass ein vorzeitiger Ausstieg auf keinen Fall zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Zukunftsperspektive der Menschen im Revier sowie der Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Wirtschaft erfolgen darf.

Zu unseren Gelingensbedingungen, die im Abschlussbericht als Empfehlungen an die Bundesregierung klar benannt werden, gehören insbesondere zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit die Einführung eines Stresstests, schnellerer Netzausbau, die Einführung von Revisionsklauseln, die Prüfung eines Investitionsrahmens für neue gesicherte Kapazitäten, sofern nicht ausreichend zugebaut wird, zur Bezahlbarkeit der Energieversorgung eine Reduzierung der Netzentgelte und Senkung der Stromsteuern sowie die Fortführung und Weiterentwicklung der Strompreiskompensation für die energieintensive Industrie.

Aktuell ist die Bundesregierung gefordert. Sie verhandelt mit den Unternehmen über die Stilllegung der Braunkohlekraftwerke und bündelt die Ergebnisse in einem Kohleausstiegsgesetz, welches zeitnah erscheinen soll. Ende August hat das Kabinett das Strukturstärkungsgesetz beschlossen, um einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Förderung für den Strukturwandel und die Verkehrsinfrastruktur im Revier zu schaffen.

Meine Damen und Herren, der beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung ist eine mit ernst zu nehmenden Risiken verbundene Aufgabe und damit zweifellos eine Jahrhundertherausforderung für Nordrhein-Westfalen. Diese wird sich nur dann erfolgreich meistern lassen, wenn der energie- und strukturpolitisch äußerst ambitionierte Bericht der Kommission auch in allen seinen Teilen entschlossen umgesetzt wird.

Zudem muss die Bundesregierung den erforderlichen Finanzrahmen für die ehrgeizigen Zukunftsprojekte langfristig und verlässlich zur Verfügung stellen und die bisherigen Fehler der Energiewende durch marktwirtschaftliche Anreize, angemessene Strukturmittel und die Beseitigung des Umsetzungsstaus korrigieren.

Nur so können neue Geschäftsmodelle, Innovationen und schließlich auch Arbeitsplätze entstehen, derer es zur Transformation des Energiesystems dringend bedarf.

Um sich diesen Herausforderungen bestmöglich zu stellen und gegenwärtige Chancen zu nutzen, haben wir die Energieversorgungsstrategie Nordrhein-Westfalen erarbeitet, die wir Ihnen im Landtag im Juli dieses Jahres vorgelegt haben.

Grundlage dieser Strategie war ein breiter Beteiligungs- und Dialogprozess mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern von Energiewirtschaft, Industrie, Verbänden und Gewerkschaften.

Mit der Energieversorgungsstrategie Nordrhein-Westfalen werden energiepolitische Schwerpunkte gesetzt und durch konkrete Instrumente und Maßnahmen ausgestaltet. Hierzu gehören die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, ein schneller und bedarfsgerechter Ausbau der Energieinfrastruktur sowie eine Entlastung der privaten und gewerblichen Verbraucher durch eine Reduzierung des Strompreises, unter anderem die Reduzierung der Stromsteuer, anteilige Verlagerung der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt.

Wir streben unter anderem an, dass an den bereits genehmigten Kraftwerksstandorten in Nordrhein-Westfalen hochmoderne Gaskraftwerke als Ersatz für Kohlekraftwerke zum Erhalt der Versorgungssicherheit gebaut werden. Diese Kraftwerke können zunächst auf der Basis von Erdgas betrieben und langfristig auf synthetisches Gas, besonders Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen, umgestellt werden.

Wir sind davon überzeugt, dass wir auf diesem Wege – in Kombination mit Speichern und einer zunehmenden Flexibilisierung des Systems – die hohe Versorgungssicherheit in Nordrhein-Westfalen auch ohne Kohle- und Atomkraftwerke langfristig gewährleisten können.

Ein weiterer zentraler Baustein sind die Instrumente zur Entlastung beim Strompreis für die energieintensive Industrie. Insbesondere die Strompreiskompensation für die vierte Handelsperiode des europäischen Emissionshandels stellt ein wichtiges Instrument dar, das verstetigt und weiterentwickelt werden muss.

Diese Entlastungen tragen dazu bei, dass bestehende Arbeitsplätze nicht unnötig gefährdet werden. Darüber hinaus setzen wir uns auch für Anreize durch die Europäische Union und den Bund ein, dass Transformationsprozesse in diesen Industrien nachhaltig unterstützt werden.

Hier ergeben sich durch dieses zukünftig digitale und sektorenübergreifende Energiesystem zahlreiche neue Geschäftsfelder für Energieversorger, Anlagenhersteller, Handwerk, Gewerbe, Industrie, Dienstleistung, Privathaushalte. Hierzu zählen Speicher, Power-to-X-Technologien und virtuelle Kraftwerke, bei denen Nordrhein-Westfalen bereits komparative Vorteile besitzt. Mit diesen neuen Technologien und Geschäftsmodellen gehen zweifellos auch neue Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen einher.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn alle beteiligten Akteure die aktuellen Herausforderungen als Chance begreifen, wird Nordrhein-Westfalen mit seinen zahlreichen innovativen Unternehmen, seiner industriellen Basis und seinen vielen Forschungsinstitutionen die Transformation des Energiesystems erfolgreich umsetzen können.

Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung machen, die sich auf die Kurzintervention, der ich eben lauschen durfte, bezieht. In der Kurzintervention sagte der Abgeordnete Loose – das hat mich doch gewundert –, dass hier die Steuerzahler in Anspruch genommen würden, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer keine Nachteile für sich erleiden müssen.

Ich hatte gestern selbst eine Kurzintervention des Abgeordneten Loose zu beantworten. Darin haben Sie der Regierung den Vorwurf gemacht, dass wir in der Vergangenheit die Bergleute hätten ins Bergfreie fallen lassen. Das habe ich zurückgewiesen, weil es nicht den Fakten entsprach.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Heute sagen Sie, der Steuerzahler sollte keinen Beitrag leisten, damit – wenn wir aus übergeordneten Zielen,

(Widerspruch von Christian Loose [AfD])

die von der Mehrheit der Bevölkerung auch so getragen werden, Anpassungen vornehmen – wir uns auch um die Beschäftigten kümmern, dass sie neue Arbeitsplätze bekommen und dass sie sozialverträglich Anpassungen vornehmen können.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Das ist ein Widerspruch in sich.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir sind in einer sozialen Marktwirtschaft, und wenn wir derartige Veränderungsprozesse vornehmen, ist es die Aufgabe der Politik, sich um die Menschen zu kümmern, die jahrzehntelang in diesem Land dafür Sorge getragen haben, dass die Energieversorgung immer sicher zur Verfügung stand.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Das werden sie auch die nächsten Jahre tun, und deswegen haben sie unsere volle Solidarität. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und der SPD – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Es hat nun als nächster Redner für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Dr. Untrieser das Wort.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir gerade überlegt, ob es überhaupt noch Sinn macht, hier nach vorne zu gehen und zu reden, weil ich das Gefühl habe, es sind nicht alle an einer ordentlichen Debatte interessiert.

(Beifall von der CDU – Helmut Seifen [AfD]: Ja, das kennt man von Ihnen!)

Wir merken das heute Abend, und ich glaube, auch alle anderen Zuschauer – auch die Leute, die das zuhause am Bildschirm verfolgen – sehen, dass es eine Taktik der AfD ist, die sich hier darin gefällt, der Außenseiter zu sein, immer gegen alle anderen zu sein.

(Zuruf von der AfD)

So hat es auch Herr Gauland diese Woche formuliert. Er hat gesagt, die Leugnung des menschengemachten Klimawandels ist neben Euro und Flüchtlingen das große Thema der AfD.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Das hat er gesagt. Und Sie versprechen sich davon – ganz taktisch – Stimmen, Posten und unter anderem auch Sitze in diesem Parlament.

(Helmut Seifen [AfD]: Die Stimme der Vernunft versprechen wir uns! – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wenn man nur taktisch überlegen würde, kann ich das vielleicht noch einigermaßen nachvollziehen.

(Weiterer Zuruf von der AfD)

Aber was mir fehlt, ist – und diese Frage müssen Sie sich stellen lassen –, ob das eigentlich richtig ist, ob das vernünftig ist, ob das auch ethisch ist, was Sie hier tun.

(Helmut Seifen [AfD]: Sehr sogar!)

Meine Kollegin Frau Plonsker hat noch einmal ausgeführt, dass die Bergleute gerade im Rheinischen Revier viel geleistet haben für Nordrhein-Westfalen, dass sie dafür sorgen und gesorgt haben, dass wir hier Strom haben, dass wir Wärme haben, nicht nur in der Industrie, auch zu Hause, jeder für sich im Kühlschrank, im Toaster oder Fernseher, überall. Dafür sind wir diesen Bergleuten sehr dankbar. Wir stehen deswegen auch an ihrer Seite.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Zweiten ist es aber auch richtig – ich glaube, das erkennt auch jeder im Rheinischen Revier –, dass nun mal Braunkohle die CO2-intensivste Form der Stromerzeugung ist und dass wir, wenn wir die Pariser Klimaziele und das, was uns Wissenschaftler sagen, ernst nehmen, zu Veränderungen kommen müssen und sich im Rheinischen Revier Veränderungen ergeben müssen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Kollegen der AfD, das ist halt Ihre Taktik: Sie sagen aus taktischen Gründen, es gibt diesen Einfluss des Menschen auf den Klimawandel nicht.

(Zuruf von der AfD)

Ich konzediere, dass es Stimmen und Wissenschaftler gibt, die noch sagen, sie haben Zweifel, ob das insgesamt so ist, oder die vielleicht auch sagen, so ganz sicher ist sich die Wissenschaft noch nicht, ob ein menschengemachter Klimawandel da ist. Aber die große Mehrheit der Wissenschaftler – und da können wir jetzt wieder über Prozentzahlen diskutieren –,

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

sagt uns: Es gibt diesen menschengemachten Klimawandel, den Einfluss des Menschen.

Deswegen muss man sich als Politiker fragen: Was folgt daraus? Sie haben einige Naturwissenschaftler in Ihren Reihen, Sie haben auch Abgeordnete, die Kinder oder Enkel haben.

Wenn wir das Ganze auf die gerade aufgeworfene Frage komprimieren,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

handle ich dann politisch so, dass ich den Wissenschaftlern glaube, die in der großen Mehrheit sind und sagen, es drohe eine große Gefahr, oder folge ich dem kleinen Teil von Wissenschaftlern, die sagen, wir wissen es nicht genau, macht einfach mal weiter, und dann schauen wir, was kommt? Aus ethischen Gründen muss ich doch, wenn ich meine politische Verantwortung wirklich ernst nehme, erst mal den Wissenschaftlern folgen, die sagen: Achtung, da droht eine große Gefahr.

Dass Sie das nicht machen, das ist in hohem Maße unverantwortlich. Das ist unethisch, und man merkt, dass es Ihnen hier gar nicht um die Zukunft des Landes geht, auch nicht der Menschen. Es geht Ihnen einfach um ein taktisches Spielchen, um Posten, um Sitze und Stimmenanteile, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich finde, dass die anderen Parteien – bei allem Streit, den wir haben – vernünftig damit umgehen. Wir streiten sehr viel. Viel könnte man noch sagen. Wir werden wahrscheinlich immer wieder Folgediskussionen zu führen haben.

Versorgungssicherheit ist uns ein wichtiges Gut in Deutschland. Wir arbeiten daran, dass Versorgungssicherheit immer gewährleistet wird. Wir arbeiten für die Menschen im Rheinischen Revier, wir lassen uns von Ihnen nicht aufhalten, und wir werden die Energiewende gemeinsam zum Erfolg führen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Untrieser. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Loose das Wort. Bitte sehr.

(Zuruf von der CDU)

Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fangen wir erst einmal bei Herrn Untrieser an. Es ist unethisch, 187 Milliarden Euro Volksvermögen zu vernichten. Das ist aber das Ergebnis Ihrer Politik, denn man kann Zertifikate kaufen, und deren Vernichtung hätte den gleichen Effekt auf Ihren sogenannten Klimawandel, den gleichen Effekt. Aber das wollen Sie nicht. Sie wollen diese Arbeitsplätze vernichten.

Herr Pinkwart, erst die Leute zu entlassen und ihnen dann einen dicken Scheck zu geben und zu sagen, ihr Arbeitsplatz ist jetzt weg, aber wir schaffen bestimmt irgendwas in der Region, etwas Neues – das haben Sie doch auch in Duisburg-Nord und in Gelsenkirchen nicht geschafft.

Herr Brockes, ich bin nicht nur Bankkaufmann, ich bin auch Diplom-Kaufmann.

(Zurufe: Ui, ui! – Weitere Zurufe)

Mit 14 habe ich bei der Firma Lang die Ärmel von Anzügen gebügelt – die Firma Lang kennt Herr Sundermann vielleicht noch –, bis die Firma ins Ausland abgewandert ist. Mit 18 habe ich bei McDonald’s gearbeitet. Auch dafür war ich mir nicht zu schade – übrigens während meines Abiturs. Mein Vater hatte Konti-Schicht im Industriebetrieb. Ich komme aus einem Malocherhaus, und ich weiß, was Malochen bedeutet, Herr Brockes. Sie vielleicht nicht, das müssen Sie selber entscheiden.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Nun zur Versorgungssicherheit. Glauben Sie denn wirklich, dass es noch sinnvoll ist, in Deutschland weitere Kraftwerke abzuschalten? Schauen wir uns doch mal an, was gerade in Deutschland passiert. Am 28.10. dieses Jahres hat die Bundesnetzagentur die Stilllegung des Münchener Kohlekraftwerks verboten. Grund: Das Kraftwerk ist systemrelevant.

(Zuruf von der SPD)

Weiter heißt es im Bescheid: Ein stillgelegtes Kraftwerk könnte die Stromversorgung in der Stadt gefährden, weil es keine Alternative gibt.

(Zuruf von der AfD: So ist es!)

Hier erkennt man mal wieder: Die Realität schlägt Träumereien. Und es geht noch weiter. Im Frühjahr hat Uniper die Ausschreibung für den Bau eines neuen Gaskraftwerks gewonnen.

(Zuruf von der SPD: Wow!)

Der Bau wird nicht von Uniper bezahlt, sondern vollständig von den Bürgern. Abgerechnet werden diese Subventionen versteckt über die Netzkosten. Denn der Netzbetreiber hat diesen Bau beauftragt, Netzbetreiber TenneT. Das Gaskraftwerk wird nämlich von diesem als Sicherheitspuffer benötigt, damit das Netz nicht zusammenbricht.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Die Bundesnetzagentur, die Netzbetreiber, kämpfen damit gegen Blackouts. Da dürfen auf der einen Seite keine Kraftwerke abgeschaltet werden, und auf der anderen Seite gibt es noch Subventionen für den Bau von konventionellen Kraftwerken. Aber all das ignorieren FDP und CDU und wollen weiterhin massiv Kraftwerke in NRW abschalten, alles zum Schaden der Industrie und der Arbeitsplätze. Mit Ihrer ignoranten Abschaltpolitik wird Deutschland zum Dunkeldeutschland.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. – Das bleibt auch beim Blick in die Runde so. Dann sind wir am Schluss der Aussprache

Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der AfD hat zu diesem Antrag Drucksache 17/7745 gemäß § 42 Abs. 2 der Geschäftsordnung Einzelabstimmung zu den Abschnitten IIFeststellungsteil – und IIIForderungsteil – beantragt. Da die Fraktion auch selbst Antragsteller ist, findet diese Einzelabstimmung nun so statt.

Ich lasse erstens abstimmen über Ziffer 1 des Feststellungsteils in Abschnitt II. Ich darf fragen, wer dieser Ziffer des Feststellungsteils zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Neppe, Langguth und Pretzell. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine Enthaltung. Damit stelle ich fest, dass mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Ziffer 1 des Feststellungsteils in Abschnitt II keine Mehrheit gefunden hat.

Ich lasse zweitens abstimmen über Ziffer 2 des Feststellungsteils in Abschnitt II. Ich darf fragen, wer hier zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell, fraktionslos. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine Enthaltung. Dann ist die Ziffer 2 des Feststellungsteils in Abschnitt II mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich lasse drittens abstimmen über Ziffer 3 des Feststellungsteils in Abschnitt II und darf fragen, wer hier zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine Enthaltung.

(Vizepräsidentin Angela Freimuth spricht kurz mit einem Mitarbeiter der Landtagsverwaltung.)

– Wir sind jetzt bei der Abstimmung zu Ziffer 3 des Feststellungsteils in Abschnitt II. Gemäß der Bestimmungen unserer Geschäftsordnung wurde gerade von der Fraktion der AfD beantragt, dass wir zur Klarheit die Textpassagen vorlesen. Das werde ich selbstverständlich dann auch tun. Ich frage die antragstellende Fraktion: Das gilt aber jetzt für die zukünftigen Abstimmungen? – Gut. Für Wiederholungen wäre der Antrag auch zu spät bei uns eingegangen.

Ziffer 3 des Feststellungsteils in Abschnitt II lautet:

„Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland führt aufgrund des EU-weiten CO2-Zertifikate-Handels zu keinen CO2-Minderungen in der EU.“

Ich frage, wer diesem Abschnitt zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine Enthaltung. Ich hatte gerade schon mal darüber abstimmen lassen, aber das Ergebnis noch nicht verkündet. Deswegen jetzt hier die Feststellung des Ergebnisses: Ziffer 3 des Feststellungsteils in Abschnitt II hat keine Mehrheit gefunden.

Ich lasse viertens abstimmen über Ziffer 4 des Feststellungsteils in Abschnitt II, die lautet:

„Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung führt zu weiteren Preissteigerungen beim Strompreis.“

Ich frage, wer Ziffer 4 zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Pretzell. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung beim Abgeordneten Langguth. Dann stelle ich auch hier fest, dass Ziffer 4 des Feststellungsteils in Abschnitt II keine Mehrheit gefunden hat.

Wir kommen fünftens zur Abstimmung über Ziffer 5 des Feststellungsteils in Abschnitt II, die lautet:

„Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung führt zu weiteren Versorgungsengpässen und weiter steigenden Redispatch-Kosten.“

Ich darf fragen, wer dieser Ziffer zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung bei den Abgeordneten Langguth und Pretzell. Dann stelle ich fest, dass auch Ziffer 5 des Feststellungsteils keine Mehrheit des Hohen Hauses gefunden hat.

Wir kommen sechstens zur Abstimmung über Ziffer 6 des Feststellungsteils in Abschnitt II, die lautet:

„Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung gefährdet 120.000 qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze in der stromintensiven und in der kohleabhängigen Industrie.“

Ich darf fragen, wie das Hohe Haus darüber zu votieren wünscht. Wer dem zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung bei den fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth. Damit hat auch die Ziffer 6 des Feststellungsteils II keine Mehrheit des Hohen Hauses gefunden.

Ich komme zu Ziffer 7 des Feststellungsteils in Abschnitt II, die wie folgt lautet:

„Der staatlich erzwungene Abbau von Arbeitsplätzen mit hoher Wertschöpfung führt zu sozialen Verwerfungen im Rheinischen Revier.“

Ich darf fragen, wer sich dieser Feststellung anschließen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung der fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Pretzell. Damit stelle ich fest, dass auch Ziffer 7 in Abschnitt II keine Mehrheit gefunden hat.

Ich lasse nun über Ziffer 8 des Feststellungsteils in Abschnitt II abstimmen, die wie folgt lautet:

„Die Kosten für die Stromrabatte für die Industrie, für die Entschädigungszahlungen an die Energiekonzerne und für die Abfindungen der entlassenden Mitarbeiter tragen die hart arbeitenden Steuerzahler, die bereits jetzt die höchsten Steuerlasten aller Zeiten tragen müssen.“

Ich darf fragen, wer sich dieser Feststellung anschließen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der guten Ordnung halber frage ich auch hier, wer sich der Stimme enthalten möchte. – Keiner. Dann stelle ich fest, dass auch Ziffer 8 des Feststellungsteils in Abschnitts II keine Mehrheit des Hohen Hauses gefunden hat.

Jetzt sind wir bei Abschnitt III, dem Forderungskatalog, und zwar hier bei Ziffer 1, die lautet:

„sich bei der Bundesregierung und im Bundesrat für einen Ausstieg aus dem staatlich erzwungenen ‚Kohleausstieg‘ einzusetzen“.

Ich darf fragen, wer sich dieser Forderung anschließen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Enthaltung der fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Pretzell. Ich stelle fest, dass auch Ziffer 1 des Forderungskataloges in Abschnitt III keine Mehrheit des Hohen Hauses gefunden hat.

Jetzt lasse ich über Ziffer 2 des Forderungskataloges in Abschnitt III abstimmen, die lautet:

„die Erforschung von CO2-freien modernen und inhärent sicheren Reaktortypen wie beispielsweise Dual-Fluidreaktoren zu unterstützen.“

Ich darf fragen, wer hier zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine Enthaltung. Ich stelle auch hier fest, dass Ziffer 2 des Forderungskataloges keine Mehrheit gefunden hat.

Jetzt haben wir die Situation, dass alle Teile in Einzelabstimmung abgelehnt wurden. Damit ist eine Gesamtabstimmung über den Antrag Drucksache 17/7745 nicht mehr erforderlich. – Dem wird nicht widersprochen. Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 17/7745 insgesamt abgelehnt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende von Tagesordnungspunkt 9.

Ich rufe auf:

10 Gesetz zur Anpassung und Bereinigung schulrechtlicher Vorschriften (15. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7770

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs darf ich Frau Ministerin Gebauer für die Landesregierung das Wort erteilen. Bitte sehr.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung bringt heute ihren Entwurf zum 15. Schulrechtsänderungsgesetz ein. Diesen Gesetzentwurf prägen drei wesentliche Elemente:

Erstens. Er legt weitere rechtliche Grundlagen, um wesentliche Punkte aus dem zweiten Maßnahmenpaket gegen den Lehrermangel umzusetzen. Das heißt, wir halten Wort und lassen nichts unversucht, um die Schulen dabei zu unterstützen, freie Lehrerstellen so schnell wie möglich zu besetzen.

Mit dem Gesetzentwurf werden im Lehrerausbildungsgesetz die Voraussetzungen geschaffen, dass Oberstufenlehrkräfte, die an einer Grundschule tätig sind, dort auch berufsbegleitend ein Lehramt für die Schulform Grundschule erwerben können. Damit unterstützen wir ganz gezielt die Schulform Grundschule.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden auch die Möglichkeiten für den Seiteneinstieg erweitern. Künftig werden für den berufsbegleitenden zweijährigen Seiteneinstieg Masterabsolventinnen und Masterabsolventen von Fachhochschulen zugelassen. Bisher stand dieser Weg nur Absolventinnen und Absolventen von Universitäten offen.

Darüber hinaus wollen wir die Anerkennung ausländischer Lehramtsbefähigungen von Staaten außerhalb der EU erleichtern.

Der zweite Punkt beschäftigt sich mit der Änderung von § 82 des Schulgesetzes. Damit setzen wir den Beschluss des Landtags vom 27. November 2017 um. Es geht darum, die Fortführung von zweizügigen Sekundarschulen in Zukunft zu ermöglichen. Damit sorgen wir für mehr Flexibilität, aber auch für mehr Sicherheit und Stabilität in unserer Schullandschaft in Nordrhein-Westfalen.

Drittens. Ein weiterer Gegenstand sind die notwendigen Anpassungen des schulischen Datenschutzes. Hierbei handelt es sich vorwiegend um die Umsetzung einzelner Aspekte der Datenschutz-Grundverordnung.

In diesem Zusammenhang nutzen wir die Gelegenheit zu einigen weiteren Änderungen. So ist nun auf Anregung der Landesdatenschutzbeauftragten klarstellend aufgenommen worden, dass datenschutzrechtlich erforderliche Einwilligungen freiwillig erfolgen müssen und den betroffenen Personen keine Nachteile entstehen dürfen, wenn sie diese Einwilligung nicht erteilen.

Dies folgt zwar bereits aus der Datenschutz-Grundverordnung; die Notwendigkeit der Freiwilligkeit soll aber auch im Schulverhältnis ausdrücklich noch einmal betont werden.

Daneben haben wir eine weitere Anregung der Landesdatenschutzbeauftragten aufgenommen: So wird ausdrücklich klargestellt, dass der Einsatz digitaler Lehr‑ und Lernmittel, beispielsweise unter Nutzung von LOGINEO, datenschutzrechtlich auch zulässig ist.

Darüber hinaus verbessern wir mit dem Entwurf die datenschutzrechtliche Situation der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Bild‑ und Tonaufzeichnungen des Unterrichts. Auch solche Aufnahmen bedürfen künftig der ausdrücklichen Einwilligung der Betroffenen.

Der Gesetzentwurf enthält schließlich noch einige Anpassungen, die den schulischen Alltag erleichtern, oder kleinere gesetzliche Bereinigungen. Weitere Details erläutere ich und diskutiere ich gern mit Ihnen im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Gebauer. – Jetzt spricht Herr Rock für die CDU-Fraktion.

Frank Rock*) (CDU): Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen mit einem Schulthema begonnen und enden auch mit einem Schulthema. Liebe Frau Beer, ja, bei uns reden alle und nicht nur eine Person, die für sich in Anspruch nimmt, alles zu wissen und alles zu können. Und das ist auch gut so.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unsere Schulen sind sich ständig verändernde Lernorte, die sich aufgrund sich wandelnder Gesellschaftsprozesse immer wieder neu erfinden und aufstellen müssen. Aus diesem Grund ist die Schulentwicklung die zentrale Grundlage für die Bildung unserer Schülerinnen und Schüler.

Die Sicht auf unsere Schulen ist aber sehr different. Dies ist nicht nur ein Phänomen der Neuzeit. So sagte schon Maria Montessori Anfang des letzten Jahrhunderts – ich zitiere –:

„Die Schulen, so wie sie heute sind, sind weder den Bedürfnissen der jungen Menschen noch denen unserer jetzigen Epoche angepasst.“

So richteten auch die Bildungsexperten in frühen Zeiten kritisch den Blick in die Schulen. Jetzt war der reformpädagogische Ansatz von Maria Montessori für die damalige Schulstruktur ein Stück mehr Revolution.

Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss man sich kritisch die Frage stellen: Wollen wir ständig glauben, am System Schule grundlegend etwas ändern zu müssen? Warum glauben wir, dass grundsätzliche Veränderungen für Schülerinnen und Schüler, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer das Lernen und Lehren verbessern würden?

Die SPD nennt das „New Deal“, und die GRÜNEN in NRW und vor allem Sie, Frau Beer, möchten die Hauptschulen, Realschulen und Förderschulen einfach mal so abschaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die NRW-Koalition konzentriert sich auf die wesentlichen Punkte und bemüht sich, so wenig wie möglich und so viel wie nötig zu ändern. Wir regieren mit Maß und Mitte und mit intensiver Beteiligung aller Institutionen, die die notwendigen Umsteuerungsprozesse mitgestalten müssen. Dieses Ziel verfolgt die NRW-Koalition im Bildungsbereich seit der Regierungsübernahme.

Ein weiteres und gutes Beispiel hierfür ist das vorliegende 15. Schulrechtsänderungsgesetz. Gegenstand sind notwendige Anpassungen des schulischen Datenschutzrechts an die Datenschutz-Grundverordnung. Im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens werden darüber hinaus weitere schulrechtliche Vorschriften bereinigt und angepasst.

Ich muss vor dem Hintergrund der vielen Vorgespräche mit Vertretern von Schulen und Verbänden feststellen, dass eine große Zahl von Anregungen aus den Gesprächen in diesem Schulgesetz Beachtung findet.

Wir freuen uns auch, dass die Gewerkschaften das 15. Schulrechtsänderungsgesetz im Gesamten in ihren Veröffentlichungen positiv bewerten. Ich zitiere von der Homepage der GEW NRW: „Reparaturen am Schulgesetz auf den Weg gebracht“. Weiter: „Gute neue Regelungen für Versuchsschulen und Rechtsrisiken für Lehrkräfte“.

„Der VBE NRW begrüßt grundsätzlich den Entwurf des Gesetzes zur Anpassung und Bereinigung schulrechtlicher Vorschriften (15. Schulrechtsänderungsgesetz), da erforderliche Klarstellungen vorgenommen werden, die die Rechtsanwendung und den schulischen Alltag in einigen Bereichen erleichtern, und auch notwendige Anpassungen an geltende Rechtsverordnungen folgen.“

Einige der in meinen Augen sehr notwendigen, wichtigen und richtigen Veränderungen möchte ich kurz aufzählen; die Ministerin hat sie zum Teil schon genannt:

Wir schaffen die Möglichkeit der zweizügigen Fortführung von Sekundarschulen, um Eltern, Lehrern und Gemeinden Planungssicherheit zu geben.

Wir schaffen Klarstellungen bei der Mitwirkung, wir schaffen Klarstellungen im Hinblick auf einen besseren Wechsel vom öffentlichen Schuldienst in den Ersatzschuldienst und umgekehrt, wir schaffen Klarheit für die Arbeit im Lehrerrat.

Ferner schaffen wir eine Erweiterung für einen berufsbegleitenden Seiteneinstieg auch für Masterabsolventinnen und Masterabsolventen von Fachhochschulen und die Anerkennung von ausländischen Lehramtsbefähigungen.

Schließlich schaffen wir die rechtliche Grundlage für alle Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Abschluss für das Lehramt an Gymnasien dauerhaft an Grundschulen arbeiten wollen. Wir unterstützen hier gezielt unsere Grundschulen. Dies ist eine weitere Maßnahme, um dem Lehrermangel zu begegnen.

Wie man der Debatte in der Aktuellen Stunde heute früh entnehmen konnte, ist der Lehrermangel ein Hauptpunkt. Dass die Oppositionsparteien diesen gravierenden Lehrermangel, ohne eigene Vorschläge zu haben, immer geißeln, hat eher etwas mit Selbstgeißelung zu tun.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)

In der neulich ausgestrahlten und ganz frischen ARD-Fernsehdokumentation werden folgende Gründe genannt: Pensionierungswelle, fehlende Studienplätze und Referendarstellen sowie die seit 2012 gestiegene Geburtenrate.

2012, 2013, 2014, 2015, 2016 – eine kontinuierliche und zielgerichtete Lehrerbedarfsprognose hätte uns die Anforderungen schon früh dargestellt. Sie haben völlig versagt leider wie so oft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Kommen wir auf den vorliegenden Gesetzentwurf zurück. Wie Sie meiner Aufzählung entnehmen konnten, sind im vorliegenden Entwurf eine Vielzahl kleiner und notwendiger Änderungen enthalten, die wir mit Maß und Mitte umsetzen wollen.

Mit der heutigen ersten Lesung beginnen wir die parlamentarische Befassung und freuen uns auf den Austausch. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rock. – Jetzt spricht Herr Ott für die SPD-Fraktion.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rock, ich habe mich sehr gefreut, Ihre Stimme zu hören. Aber ich muss Sie auf zwei Dinge hinweisen:

Wenn Sie hier aus Verbändeanhörungen der Regierung zitieren, die wir formal gar nicht kennen, ist das sehr problematisch und verdeutlicht Ihren Regierungsstil.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Tja!)

Das Parlament und die Debatte scheinen Sie nicht besonders zu interessieren.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] – Zuruf von Frank Rock [CDU])

Aber noch viel schlimmer ist, dass Sie anscheinend nicht verstanden haben, worum es beim New Deal geht. Es geht nicht um ein neues Schulsystem oder um neue Schule, sondern es geht darum, dass die Mehrzahl der Menschen – und ich behaupte, das gilt auch für die Mehrzahl der anwesenden Abgeordneten – überhaupt nicht mehr auseinanderhalten kann, wer was mit welchem Anteil finanziert, und dass bei den Betroffenen nur ankommt, dass es nicht vernünftig funktioniert.

Deshalb haben wir – und das werden wir in der Anhörung im Dezember diskutieren – gesagt: Wir brauchen eine neue Verantwortungsgemeinschaft über die Länder, den Bund und die Kommunen hinaus. Ansonsten werden Digitalisierung, Ganztag und mehr auf Dauer nicht funktionieren. Das ist offensichtlich.

Da alle auf allen möglichen Ebenen regieren, macht es extrem viel Sinn, miteinander zu sprechen. Das wollte ich zur Erläuterung in Bezug auf den New Deal sagen.

Wenn man die Frage beantworten möchte, ob man Schule verändern muss oder nicht, sollten wir uns einfach nur die Frage stellen: Gibt es andere CDU-Politiker in Ihrem Kreis, die das Schulsystem Nordrhein-Westfalens erklären können? Ich meine damit die vielen Möglichkeiten, Abitur zu machen, sowie die vielen Schulformen.

Bei 39 verschiedenen Kombinationen von Schulformen in Nordrhein-Westfalen muss man einfach festhalten: Wir haben ein Problem, weil niemand mehr ein System erkennen kann.

(Zuruf von der CDU)

Da sind andere Bundesländer mittlerweile weiter. Darüber sollte man eigentlich reden.

Der Gesetzentwurf zum 15. Schulrechtsänderungsgesetz enthält einige wirklich wichtige Änderungen – und das ist auch gut –, aber der viel zitierte große Wurf bleibt weiter aus. Sie nehmen minimalinvasive Eingriffe vor. Das wird der Lage aber nicht gerecht.

Wir werden in der Debatte im Ausschuss und in der Anhörung sicherlich eine ganze Menge Punkte finden, die wir mittragen können wie natürlich auch den betreffend den erweiterten Einsatz von Oberstufenlehrkräften an Schulen der Sekundarstufe I und die Möglichkeit, das Lehramt berufsbegleitend zu erwerben.

Das ist sicherlich auch die gute Idee, die Grundschule auf diese Weise zu stärken, wobei man in dem Zusammenhang auch die Frage der Besoldung berücksichtigen muss.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Öffnung des Seiteneinstiegs für bestimmte Abschlüsse. Alles das ist vernünftig. Das haben wir schon heute Morgen diskutiert. Es wird aber nicht ausreichen, um das Gesamtproblem zu lösen.

Wir stellen uns zudem die Frage, ob man das 15. Schulrechtsänderungsgesetz nicht nutzen sollte, um beispielsweise auch bei den Sekundarschulen eine grundsätzliche Debatte zu führen, wie es weitergehen soll, oder ob das nicht derselbe Prozess ist. Ist das wirklich Sicherheit, wie die Ministerin gerade gesagt hat?

Auch in der Diskussion um die PRIMUS-Schulen fragen wir uns: Haben wir wirklich Sicherheit, bzw. könnten wir diese nicht herstellen?

Herr Rock hat dem zwar schon vorgegriffen, indem er die Anhörung der Regierung bereits zur Parlamentsanhörung gemacht hat, aber auch wir möchten darauf hinweisen, dass wir das Schulrechtsänderungsgesetz im Ausschuss und in einer stattfindenden Anhörung sehr intensiv diskutieren und besprechen werden. Im nächsten Jahr werden wir dann sehen, welche Punkte vielleicht noch zu ergänzen sind. – Herzlichen Dank und einen schönen Abend.

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Nun spricht für die Fraktion der FDP Frau Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz, das heute ins Plenum eingebracht wird, sollen neben den erforderlichen Änderungen im Zuge der Datenschutz-Grundverordnung auch weitere Anpassungen vorgenommen werden, die die Schulen in Nordrhein-Westfalen weiter nach vorne bringen werden. Das sind ganz viele Änderungen, aber keine Sorge, ich werde mich nur auf zwei konzentrieren.

Ich möchte aber noch eine kleine Anmerkung voranschicken, Stichwort: Besserwisserei. Lieber Kollege Ott, dass Sie die Änderungen als minimalinvasiv bezeichnen, ist eigentlich ein ganz tolles Kompliment für uns. Schließlich bedeutet es auch, dass eine große und wichtige Operation so durchgeführt wird, dass das Verletzungsrisiko und die verbleibenden Narben minimal sind. Vielen Dank für dieses Kompliment.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Wenn der Patient kurz vor dem Sterben ist, ist das natürlich zu wenig!)

Jetzt möchte ich auf zwei Aspekte zu sprechen kommen. Ich beginne mit den Maßnahmen gegen den Lehrermangel. Der Lehrermangel ist noch immer die größte Herausforderung im Schul‑ und Bildungsbereich; das haben wir eben besprochen.

(Jochen Ott [SPD]: Wenn der Patient im Sterben liegt, ist das zu wenig!)

– Ach, Herr Ott. Dass ich etwas besser wusste als Sie, können Sie jetzt wohl nicht vertragen.

(Lachen von der SPD)

Das spricht, glaube ich, auch wieder Bände.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Zu glauben ist besser, als zu wissen! – Zurufe von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] und Jochen Ott [SPD])

Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht mit der Beseitigung des Lehrkräftemangels beschäftigen. Weil das Thema so wichtig ist, hat die Landesregierung auch längst zwei Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht.

Mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz sollen nun die wesentlichen Punkte aus dem letzten Maßnahmenpaket schulrechtlich verankert werden – ich zitiere aus der Pressemitteilung des Ministeriums für Schule und Bildung –:

„Wir werden weiter an allen Stellschrauben drehen und nichts unversucht lassen, um die Schulen dabei zu unterstützen, freie Lehrerstellen so rasch wie möglich zu besetzen. Schritt für Schritt gehen wir gegen den Lehrermangel vor.“

Eine wichtige Maßnahme, die Frau Gebauer vorgenommen hat, war der erweiterte Einsatz für Oberstufenlehrkräfte an Grundschulen. Das sind derweil schon 391 Oberstufenlehrkräfte, die tagtäglich ihr Bestes leisten, um den Grundschulkindern eine ausgezeichnete Bildung mitzugeben und den Weg für ein selbstbestimmtes Leben zu ebnen. Das war für sie kein gewöhnlicher Schritt. Umso glücklicher dürfen wir alle uns hier schätzen, dass sie diesen besonderen Einsatz zeigen.

In diesem Zusammenhang beschwor unsere Kollegin Sigrid Beer von den Grünen auch heute Morgen immer wieder Unheil herauf und sagte, diese Lehrerinnen und Lehrer seien gekommen, um wieder zu gehen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Genau!)

Liebe Kollegin, spätestens nach dieser Einbringung müsste es Ihnen doch klar sein. Der berühmte Songtext der Band „Wir sind Helden“, auf den Sie hier anspielen, lautet ganz anders. Er lautet: „Gekommen, um zu bleiben“. Und genau das machen wir jetzt.

(Beifall von der FDP)

In den letzten Wochen und Monaten habe ich nämlich zahlreiche Rückmeldungen erhalten, dass die allermeisten aus unterschiedlichen Gründen dauerhaft an der Grundschule bleiben und eben nicht nach zwei Jahren auf eine Sek-II-Stelle wechseln möchten.

Mit diesem 15. Schulrechtsänderungsgesetz schaffen wir jetzt die Bedingungen dafür, dass die Oberstufenlehrkräfte berufsbegleitend ein Lehramt für die Schulform Grundschule erwerben und dann auch in ein Beamtenverhältnis kommen können.

Mit einer weiteren Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes werden wir auch die Möglichkeiten des Seiteneinstiegs erweitern. Masterabsolventinnen und Masterabsolventen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften werden zukünftig ebenfalls die Chance erhalten, für den berufsbegleitenden zweijährigen Seiteneinstieg zugelassen zu werden. Diese Möglichkeit konnten bisher nur Absolventinnen und Absolventen von Universitäten in Anspruch nehmen. Es ist sehr gut, dass wir diese Lücke jetzt schließen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich komme zum nächsten Punkt: der Fortführung der Sekundarschulen. Wir setzen uns nach wie vor für ein vielfältiges und sicheres Angebot der unterschiedlichen Schulformen in NRW ein und wollen dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler sei es in der Stadt oder auf dem Land einen möglichst kurzen Schulweg haben und nicht tagtäglich auf Weltreise gehen müssen, um ins Klassenzimmer zu kommen auch wenn das nicht heißt, dass es in jeder Kommune automatisch jeden Bildungsgang geben kann.

In den letzten Jahren sind viele Sekundarschulen in NRW gegründet worden, und mancherorts bilden sie das letzte weiterführende Schulangebot für die Sekundarstufe I.

In letzter Zeit unterlagen die Schüler‑ und Anmeldezahlen aber leider starken Schwankungen. Für viele Sekundarschulen wurde es immer schwieriger, die Mindestgröße von 60 Schülern zu erreichen, damit sie fortgeführt werden können. Dadurch waren viele unmittelbar von der Schließung bedroht.

Deswegen hatten wir hier im Hohen Haus auf Initiative von CDU und FDP schon 2017 einen Antrag beschlossen, um die Fortführung der Sekundarschulen zu gewährleisten.

Dabei ist auch egal, wer diese Schulen begründet hat, denn mit diesem Antrag wollen wir zeigen, dass es für uns zweitrangig ist, welches Schild oder welcher Name am Schuleingang steht. Uns geht es vielmehr darum, passende und gute Schulangebote in Stadt und Land bereitzustellen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Mit einer Änderung von § 82 Schulgesetz wird nun der Beschluss des Landtags vom November 2017 umgesetzt, um die Möglichkeit der Fortführung für zweizügige Sekundarschulen zu bieten.

Noch ein letztes Zitat aus der Pressemitteilung dazu, weil sie das eigentlich sehr gut beschreibt:

„Grundsätzlich müssen Sekundarschulen drei Parallelklassen pro Jahrgang haben. In Ausnahmefällen kann eine Sekundarschule, die diese gesetzliche Mindestgröße dauerhaft nicht erreicht, auch zweizügig fortgeführt werden, um vor Ort ein schulisches Angebot in der Sekundarstufe I zu erhalten.“

Ich komme zum Schluss. Mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt – den werden wir weiter diskutieren; ich freue mich auf die Diskussion – und zusammen weiter in Richtung weltbeste Bildung hier in NRW. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Rock, ich bin mir bewusst, dass Sie für heute Abend schon auf der Redeliste standen und nicht auf meinen Impuls hin nach vorne gegangen sind.

Herr Ott hat es schon gesagt: Wenn Sie meinen, parlamentarische Debatten sind mit der Verbändebeteiligung beim Ministerium beendet, erklärt das auch einiges in den Ausschussbefassungen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Wir werden hier noch einen intensiven Prozess miteinander haben.

Vom 15. Schulrechtsänderungsgesetz habe ich mir ein bisschen mehr versprochen. Es gibt eine Menge Dinge, die unstrittig sind, Frau Ministerin; das sind größere oder kleinere. Die Datenschutz-Grundverordnung ist das eine.

Es gibt aber auch Dinge aus dem Schulalltag, um die wir schon lange, auch in der letzten Legislaturperiode, ringen. So gilt es zum Beispiel, die Frage nach den Schülerfächern zu regeln. Das sind ganz wichtige Dinge.

Im Augenblick gibt es für die Schulträger und für die Schulen einen Graubereich, welche wirtschaftliche Betätigung und ob es zulässig ist. Es ist längst Alltag an den Schulen. Da wird Rechtssicherheit geschaffen; das kann ich nur begrüßen.

Heute Morgen haben wir schon auf die Frage des Lehramtsumstiegs angespielt. Wenn sich Kollegen oder Kolleginnen dazu bereit erklären – das sind meine Rückmeldungen –, wird das auch mit der Erwartung verbunden sein, dass A13 kommt. Wenn das nicht der Fall ist, werden sie sich den Umstieg überlegen und darüber nachdenken, ob sie sich dann die entsprechenden Fortbildungen noch zu Gemüte führen.

Darin liegt also eine Chance. Aber dann müssen Sie bitte bei der Besoldung nachlegen, weil das sonst eine hohle Nuss ist. Das muss man deutlich sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Es wurde schon auf die §§ 25 und 132b verwiesen. Wir können uns über die Frage nach der Fortführung von PRIMUS verständigen. Für die Mindener PRIMUS-Schule ist das besonders wichtig, weil sie dort ein Jahr im Vorlauf sind.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Richtig!)

Darüber sollten wir uns miteinander unterhalten. Ich würde es nicht auf die Frage nach Oberstufenkolleg und Laborschule begrenzen, sondern da auch mehr Sicherheit hineinbringen.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Wir können uns gerne auch über andere Schulversuche miteinander unterhalten.

Zur Zukunft der Sekundarschule: Ich würde mir wünschen, dass jetzt auch wirklich mit auf den Weg gebracht wird, dass Sekundarschulen sich in einem Schritt in Gesamtschulen oder in Teilstandorte von Gesamtschulen umwandeln können.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Das hätte auch einen ganz großen Vorteil bei der Schüleraufnahme in einer Region: Dann käme es nämlich nicht mehr zu den Verschiebungen, die wir im Augenblick zum Teil haben, dass die Anmeldungen an Gesamtschulen und Sekundarschulen unterschiedlich und separat behandelt werden müssen, weil es sich um verschiedene Schulformen handelt.

Schließlich will ich noch einen Punkt ansprechen, der noch gar nicht zum Tragen gekommen ist: die Zukunft des Hauptschulbildungsgangs an Realschulen.

Es ist Ihnen doch angetragen worden – und Herr Rock wird das genau wissen, weil er die Verbändebeteiligung kennt –, dass es an allen Realschulen in Nordrhein-Westfalen möglich sein sollte, den Hauptschulbildungsgang zu machen, und nicht nur an der letzten Realschule im Ort. Das ist wirklich eine notwendige Weiterentwicklung.

Wir haben im gemeinsamen Schulkonsens mit der CDU Folgendes in der Landesverfassung geschaffen: Es gibt das gegliederte Schulwesen, und es gibt die integrierten Schulformen. Die Eltern, die sich entscheiden, die Schullaufbahn ihres Kindes im gegliederten Schulwesen anzulegen, haben auch ein Recht darauf, dass diese dort beendet wird.

Vor allem haben die integrierten Schulen ein Recht darauf, dass in ihren Klassen nicht wieder alles durcheinandergewirbelt wird und dann die Seiteneinsteiger kommen, weil sie von Realschulen und von Gymnasien weggeschickt werden.

Diese Form der Regelung, dass Kinder in der Schule, in der sie ihre Bildungslaufbahn begonnen haben, auch zum ersten Abschluss geführt werden, auch in allen Realschulen im Land, steht hier noch nicht drin. Sie ist von Verbänden angemahnt worden. Darüber werden wir in der Anhörung miteinander reden.

Daher ist in diesem 15. Schulrechtsänderungsgesetz doch mehr Musik drin, als man gedacht hat. Aber wir werden die Punkte ausführlich miteinander debattieren. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Es spricht Herr Seifen für die AfD-Fraktion.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegen! Dass die AfD in Sachen Schule heute das letzte Wort hat, ist vielleicht ein gutes Signal für die Entwicklung in diesem Land Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der AfD)

Die Änderung des Schulgesetzes ist der Tatsache geschuldet, dass Nachbesserungen aufgrund einer geänderten Gesetzeslage und natürlich auch aufgrund bestimmter Problemlagen notwendig sind. Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben es in Ihren Begründungen ausgeführt.

Vor allem die Regelungen zum Datenschutz sind erforderlich. Auch die Bestimmungen, die einen flexiblen Personaleinsatz ermöglichen, sind angesichts der Notlage nicht groß zu kritisieren.

Da Sie den Erwerb des Altlehramtes Grundschule, Hauptschule und Realschule einigen Kolleginnen und Kollegen ermöglichen, sollten Sie direkt darüber nachdenken, ob nicht der Erwerb dieses Lehramtes generell ermöglicht werden kann; denn heute Morgen haben wir ausgeführt, dass der Grund für den Mangel an Grundschullehrerinnen und ‑lehrern sicherlich auch in der letzten Änderung der Lehrerausbildung zu suchen ist.

Ich möchte allerdings meine Skepsis gegenüber der Regelung ausdrücken, Lehramtsbefähigungen auch dann anzuerkennen, wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs der Regelungen der Europäischen Union erworben worden sind. Die Voraussetzungen in den außereuropäischen Ländern sind sehr unterschiedlich. Da kommt es wirklich darauf an, ob die Behörden, die die Abschlüsse prüfen, die Vorlagen tatsächlich unbestechlich – ich meine das natürlich im übertragenen Sinne – prüfen und nicht auf den Druck hin, unbedingt Lehrer haben zu wollen, zwei Augen zudrücken.

In gleicher Weise bedenklich sind die Bestimmungen in § 13 Abs. 2, Masterstudenten der Fachhochschulen für den Vorbereitungsdienst zuzulassen. Aber ich will gerne zugestehen, dass die fachliche Expertise der Masterstudenten an den Fachhochschulen mindestens dazu ausreicht, an den verschiedenen Schulen zu unterrichten.

Nach Ansicht unserer Fraktion hätten Sie natürlich Gelegenheit gehabt, die Gesetzesnovellierung zu nutzen, um andere wichtige Weichenstellungen für eine wahrhafte Reform des Schulwesens vorzunehmen – für eine Reform, wie ich sie vom Begriff her für richtig halte.

Herr Rock, ich tue das nicht gerne; aber ich möchte Ihnen deutlich widersprechen. Möglicherweise nehmen Sie unsere Partei gar nicht als Oppositionspartei war. Sie haben gesagt, die Oppositionsparteien hätten keine Lösung. Damit haben Sie hoffentlich nur die Fraktion der Grünen und die Fraktion der SPD gemeint, die tatsächlich keine Lösung haben – und wenn, dann nur ihre Uraltklamotten, mit denen sie


schon gescheitert sind, aus der Schublade holen. Wenn Sie gleich oder nächste Woche im Protokoll nachlesen, was ich heute Morgen gesagt habe, werden Sie feststellen, dass es eine ganze Reihe von Lösungen war.

Diese Lösungen will nur keiner hören, weil sie darauf hinweisen, dass bezogen auf die Schulen hier in der Vergangenheit sehr viel Schlimmes und Falsches entschieden worden ist. Dahin will natürlich niemand von denen, die diese Entscheidungen getroffen haben, zurück. Das kann ich verstehen.

Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen – und das gilt für alle –: Jeder von uns kann sich irren. Jeder von uns kann Fehler machen. Ich finde, wenn man die Situation betrachtet und feststellen muss, dass die Betroffenen, nämlich die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch die Eltern zu Hause, einen gewissen Leidensdruck empfinden aufgrund von Verhältnissen, die durch eine Schulveränderung zu verantworten sind – ich möchte das Wort „Reform“ nicht benutzen –, dann muss man so weit sein, zu sagen: Wir haben es versucht. Wir wollten das Beste. Wir haben uns geirrt. Wir ändern es.

In diesem Zusammenhang, Frau Ministerin – ich wende mich an Sie, weil Sie den Gesetzentwurf eingebracht haben –, könnte ich mir vorstellen, dass man in § 11 in Bezug auf das Grundschulgutachten und den Übergang in die weiterführenden Schulen an der Stellschraube dreht – nicht in der Art, dass plötzlich alleine das Grundschulgutachten gelten soll, sondern in der Art, dass beim Übergang der Beratungsprozess ganz anders stattfinden soll, also das Gutachten plus die aufnehmende Schule eine Rolle spielt. Denn alleine die Eltern entscheiden zu lassen oder alleine die Grundschullehrer entscheiden zu lassen, halte ich nach wie vor für falsch. Ich finde, es sollte ein Dreiergremium entscheiden: Eltern, Grundschullehrer und aufnehmende Schule.

Darüber hinaus interessiert mich – diese Frage werde ich möglicherweise im Schulausschuss stellen –, warum Sie in § 68 nicht mehr den Satz mit aufgenommen haben, dass bei der Lehrerkonferenz der Schulleiter den Vorsitz führt. Sie werden sich dabei etwas gedacht haben. Soll jetzt jeder führen können? Die SPD möchte gerne einen Schulsozialarbeiter dort sitzen haben. Das weiß ich wohl. Mir ist jetzt nicht bekannt, ob Sie das auch wollen. Aber das werden Sie sicherlich noch verraten.

Es gibt noch viele andere Dinge, gerade was das gemeinsame Lernen angeht. Sie haben es gerade in dem Wortbeitrag von Frau Beer gehört, die natürlich schon wieder das gegliederte Schulwesen aufgeben will. Weil sämtliche Studien sagen, dass gemeinsames Lernen nicht so effizient ist wie das getrennte Lernen, will sie es ja aufgeben. – Satire Ende.

Da hätte man also einiges machen können – weg von den integrativen Schulformen hin zu kooperativen Gesamtschulen, individuelle Förderempfehlungen und manches mehr. Diese Dinge werden wir im Ausschuss diskutieren. Ich bin gespannt auf die Diskussionen.

Herr Rock, hören Sie gut zu: Wir haben Lösungen! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Nun spricht für die SPD-Fraktion noch einmal Herr Kollege Ott.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist jetzt aber nicht schön, Herr Ott!)

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bildungspolitik können wir sehr viel miteinander streiten. Frau Müller-Rech, wenn Sie einmal recht haben, dann will ich das auch zugeben. Da bin ich ganz frei. Oft ist das allerdings nicht der Fall. Dann streiten wir darum. Das ist der Sinn der Demokratie. – Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Ott.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7770 an den Ausschuss für Schule und Bildung. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist einstimmig so überwiesen.

Wir sind nun am Ende der heutigen Sitzung angelangt.

Meine Damen und Herren, das Plenum berufe ich wieder ein für morgen, Freitag, 15. November 2019, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:38 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.