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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/70

17. Wahlperiode

13.11.2019

 

70. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 13. November 2019

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Änderung der Tagesordnung. 5

1   Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen: erfolgreichen Kurs fortsetzen, neue Ziele definieren

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7856. 5

Henning Rehbaum (CDU) 5

Ralph Bombis (FDP) 7

André Stinka (SPD) 8

Wibke Brems (GRÜNE) 10

Christian Loose (AfD) 12

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 13

Frank Sundermann (SPD) 15

Daniel Sieveke (CDU) 17

Monika Düker (GRÜNE) 18

Dietmar Brockes (FDP) 20

Christian Loose (AfD) 21

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 22

André Stinka (SPD) 24

2   Notstand der Bauern – Bundesweite Bauernproteste gegen die Agrarpläne der Bundesregierung

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7746

In Verbindung mit:

Leistung von Landwirtinnen und Landwirten anerkennen, mittelständische Betriebe stärken, Rahmenbedingungen für zukunftsfähige Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7762. 25

Bianca Winkelmann (CDU) 25

Markus Diekhoff (FDP) 26

Dr. Christian Blex (AfD) 27

Annette Watermann-Krass (SPD) 29

Norwich Rüße (GRÜNE) 30

Ministerin Ursula Heinen-Esser 31

Ergebnis. 33

3   Nie wieder! 9. November in der Erinnerung wachhalten – Schutz vor Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus verstärken

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7757

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7865. 33

Thomas Kutschaty (SPD) 33

Dr. Günther Bergmann (CDU) 34

Stephen Paul (FDP) 35

Verena Schäffer (GRÜNE) 36

Helmut Seifen (AfD) 38

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 39

Carina Gödecke (SPD) 41

Carina Gödecke (SPD)
(Erklärung gem. § 47 Abs. 1 GeschO) 41

Ergebnis. 41

4   Klimakrise: Mehr Unterstützung für die Kommunen bei Klimaschutz und Klimafolgenanpassung!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7751. 42

Wibke Brems (GRÜNE) 42

Jochen Ritter (CDU) 43

André Stinka (SPD) 44

Ralph Bombis (FDP) 46

Christian Loose (AfD) 48

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 49

Dr. Ralf Nolten (CDU) 51

Andreas Becker (SPD) 52

Johannes Remmel (GRÜNE) 52

Ralph Bombis (FDP) 53

Christian Loose (AfD) 53

Dr. Ralf Nolten (CDU) 54

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 54

Michael Hübner (SPD) 56

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 57

Ergebnis. 58

5   ‚Die Geister, die ich rief‘ – Der ‚Generation Antifa‘ an den Hochschulen muss Einhalt geboten werden!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7744. 58

Helmut Seifen (AfD) 58

Dr. Stefan Nacke (CDU) 60

Prof. Dr. Karsten Rudolph (SPD) 60

Daniela Beihl (FDP) 63

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 64

Marcus Pretzell (fraktionslos) 66

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 67

Ergebnis. 68

6   Fragestunde

Drucksache 17/7859. 68

Mündliche Anfrage 56

des Abgeordneten Sven Wolf (SPD)

Minister Peter Biesenbach. 69

Minister Herbert Reul 71

7   Revier. Heimat. Zukunft. Den Strukturwandel im Steinkohle- und Braunkohlerevier zum Erfolg führen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7759

In Verbindung mit:

Strukturbrüche beim Kohleausstieg vermeiden – Nordrhein-Westfalen als Energie- und Industrieland sichern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7764. 78

Dr. Patricia Peill (CDU) 78

Ralph Bombis (FDP) 79

Stefan Kämmerling (SPD) 81

Horst Becker (GRÜNE) 83

Christian Loose (AfD) 84

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 85

Ergebnis. 87

8   Nachhaltige Industriepolitik für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7758. 88

Ergebnis. 88

9   Stalking als neuen Straftatbestand ernst nehmen – Opferschutz durch Implementierung adäquater Hilfsangebote.

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7748. 89

Dr. Martin Vincentz (AfD) 89

Simone Wendland (CDU) 89

Anja Butschkau (SPD) 91

Susanne Schneider (FDP) 92

Josefine Paul (GRÜNE) 93

Ministerin Ina Scharrenbach. 94

Ergebnis. 95

10 Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7319

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/7792

zweite Lesung. 95

Bernd Krückel (CDU)
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Stefan Zimkeit (SPD)
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Ralf Witzel (FDP)
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Monika Düker (GRÜNE)
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Herbert Strotebeck (AfD)
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Minister Lutz Lienenkämper
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Ergebnis. 95

11 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7718

erste Lesung. 95

Minister Dr. Joachim Stamp
zu Protokoll (s. Anlage 2)

Ergebnis. 95

12 Staatsvertrag über die erweiterte Zuständigkeit der mit der Begleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betrauten Bediensteten in den Ländern

Antrag
auf Zustimmung
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 17/7726

erste Lesung. 95

Minister Dr. Joachim Stamp,
zu Protokoll (s. Anlage 3)

Ergebnis. 95

13 Beitritt des Landtags von Baden-Württemberg zum Versorgungswerk der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Landtags Brandenburg

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7754. 95

Ergebnis. 95

14 Effektive Kriminalprävention durch eine Stärkung der sozialraumorientierten Polizeiarbeit

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7750. 96

Ergebnis. 96

15 Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (Hackerangriff/Stabstelle)

Wahlvorschlag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7749. 96

Ergebnis. 96

16 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 24
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/7799. 96

Ergebnis. 96

17 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/28. 96

Ergebnis. 96

Anlage 1. 97

TOP 10 – „Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes“ – zu Protokoll gegebene Reden

Bernd Krückel (CDU) 97

Stefan Zimkeit (SPD) 97

Ralf Witzel (FDP) 97

Monika Düker (GRÜNE) 97

Herbert Strotebeck (AfD) 97

Minister Lutz Lienenkämper 98

Anlage 2. 99

TOP 11 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Dr. Joachim Stamp. 99

Anlage 3. 101

TOP 12 – „Staatsvertrag über die erweiterte Zuständigkeit der mit der Begleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betrauten Bediensteten in den Ländern“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Dr. Joachim Stamp. 101


Entschuldigt waren:

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Minister Lutz Lienenkämper

Georg Fortmeier (SPD)
(bis 16 Uhr)

Jochen Ott (SPD)

Christina Weng (SPD)  
(ab 13 Uhr)

Berivan Aymaz (GRÜNE)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)        
(ab 14 Uhr)

 


Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unserer heutigen, 70. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne und den anwesenden Vertretern und Vertreterinnen der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung:

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Tagesordnungspunkt 8 „Gesetz zur Einführung einer pauschalen Beihilfe“ – Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5620 – mit dem ursprünglich für Freitag vorgesehenen Tagesordnungspunkt 2 „Nachhaltige Industriepolitik für Nordrhein-Westfalen“ – Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/7758 – zu tauschen. Der neue heutige Tagesordnungspunkt 8 „ Nachhaltige Industriepolitik für Nordrhein-Westfalen – Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/7758 – soll sodann im umgekehrten Verfahren behandelt werden. – Ich sehe keinen Widerspruch dagegen. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf:

1   Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen: erfolgreichen Kurs fortsetzen, neue Ziele definieren

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7856

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 11. November 2019 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der CDU dem Kollegen Rehbaum das Wort.

Henning Rehbaum*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bewahrung der Schöpfung ist Teil der DNA der Christdemokraten, und die Klimaziele von Kyoto und Paris sind für uns als NRW-Koalition nicht verhandelbar.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Uns als NRW-Koalition verbindet mit dem größten Teil dieses Parlaments, mit Bürgern aller Generationen, mit Unternehmern, mit Landwirten, mit Forschung und Wissenschaft das Ziel, die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten, besser noch unter 1,5 Grad.

Entscheidend ist nicht, ob, sondern, wie wir dieses Ziel erreichen. Es gibt hierzu im Grunde zwei Denkschulen.

Nennen wir die eine Denkschule einmal „Denkschule der Radikalisierung des Klimaschutzes“. Kern dieser Denkschule der Radikalisierung sind Verbote, Populismus und Symbolpolitik.

(Beifall von der CDU)

Alles, was CO2 ausstößt, sei schlecht und gehöre beseitigt, finden die Anhänger dieses Klimaradikalismus. Die Folgen eines Klimaschutzes mit der Brechstange kann man sich an fünf Fingern abzählen – allen voran Carbon Leakage.

Die Industrie, nicht nur die energieintensive, sondern auch die mittelständische, wird mit überzogenen Auflagen und Kosten für CO2 aus der Wirtschaftlichkeit gedrängt. Die Unternehmen mitsamt ihren Arbeitsplätzen verschwinden aus Deutschland.

Da die Produkte aber weiterhin gebraucht werden – Spezialmaschinen, Windräder, Wasserstofftechnik, Metallerzeugnisse, Fahrzeuge, Lebensmittel –, wandert die Produktion samt Arbeitsplätze über die Grenzen ins Ausland.

Der CO2-Ausstoß in die Atmosphäre bleibt unverändert; die Arbeitsplätze in Deutschland sind weg. Das ist der falsche Weg.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Eine derart radikale Energiepolitik ist ein Strohfeuer. Sie hinterlässt nur Verlierer und ist alles, nur kein nachhaltiger Klimaschutz. Die Zukunft gehört nicht den Verhinderern. Sie gehört den Erfindern.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Deshalb liegt uns als Nordrhein-Westfalen-Koalition und sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern die zweite Denkschule deutlich näher. Nicht gegen, sondern nur mit einem florierenden Mittelstand, nur mit einer starken Industrie entstehen technische Innovationen, die die Welt jetzt braucht: Erfindungen für CO2-Effizienz und den sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen unserer Erde. Die Energiewende kann nur aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke heraus gelingen.

Vorgestern fand in NRW eine Weltpremiere statt, genauer gesagt bei thyssenkrupp in Duisburg, nämlich der weltweit erste Versuch der Stahlproduktion unter Wasserstoffeinblasung mit dem Ziel einen nahezu klimaneutralen Stahlherstellung.

Die Landesregierung von CDU und FDP fördert den sogenannten Klimastahl mit 1,6 Millionen Euro im Rahmen des Programms IN4climate. Wasserstoff bietet unglaublich viele Möglichkeiten in Industrie und Mobilität. Mehr als jedes andere Bundesland tragen wir in NRW die Forschung und Entwicklung hierzu systematisch voran.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

CO2 in der Industrie mit technischen Lösungen vermeiden: Das ist konkreter Klimaschutz der NRW-Koalition und ein starkes Bekenntnis zum Standort NRW, dem Industrie- und Energieland Nummer eins.

Seit 2017 haben wir den Haushalt für Energie und Klimaschutz massiv erhöht, um Themen wie „Speicher“, „Batterieforschung“, „Erdwärme“, „Energieeffizienz“, „Smart Grids“, „Kraft-Wärme-Kopplung“, „Power-to-X“ – ein großes Thema – und „Wasserstoff“ zu unterstützen.

CDU und FDP geben fünf Mal so viel Geld für Klimaschutz aus wie Rot-Grün. Das zeigt: Wir meinen es ernst mit der Energiewende.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von der SPD: Weniger CO2!)

Die rot-grüne Landesregierung hat 2013 ein Einsparziel von 25 % weniger CO2 in 2020 gegenüber 1990 ausgegeben. Wie wir jetzt erfuhren, wird Nordrhein-Westfalen 2020 wohl 30 % Einsparung erreicht haben. Das ist eine gute Nachricht für unser Klima. Ich möchte im Namen der NRW-Koalition allen danken, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und es geht weiter. Denn wir sind uns sicher: Da ist noch mehr drin. Bis 2030 hat der Bund 55 % Einsparung gegenüber 1990 ausgegeben. Wir trauen uns zu, diese Zahl für Nordrhein-Westfalen zu übernehmen. Über den Weg müssen wir diskutieren.

Wichtig ist, dass wir – anders als Rot-Grün – nicht nur auf die Einsparung durch die ohnehin anstehende Abschaltung von alten Kraftwerksblöcken setzen, sondern auch die Sektoren Verkehr und Gebäude beim CO2-Sparen einbeziehen.

Auch hier gilt: Mit dem moralischen Zeigefinger schreckt man viele Menschen ab. Mit Verboten und immer radikaleren Forderungen schürt man Existenzängste und Trotzreaktionen und benachteiligt Familien und Berufspendler, die aufs Auto angewiesen sind. So wird die Energiewende scheitern.

Klimaschutz muss Spaß machen. Klimaschutz muss von Begeisterung getragen sein – Begeisterung für technische Innovationen wie den klimaneutralen Stahl; Begeisterung für Photovoltaik auf dem Dach und die E-Ladesäule in der Garage;

(Zuruf von den GRÜNEN)

Begeisterung für neue Fenster, ein neues Dach oder eine sparsame Heizung; Begeisterung für ein sparsames Fahrzeug, ob Elektromobilität im Stadtverkehr, Wasserstoff im Eisenbahnverkehr oder sauberer, sparsamer Diesel für Langstreckenpendler; Begeisterung für neue Lösungen zu intelligenten Kombinationen von Auto, Fahrrad, Bus und Bahn.

(Zuruf von der SPD: Oder Hubschrauber!)

Jetzt heißt es: die Ärmel hochkrempeln, die Erneuerbaren wie Photovoltaik, Windkraft oder Geothermie ausbauen, den ÖPNV modernisieren, Radwege bauen, Häuser sanieren, Energie für Wärme, Haushaltsgeräte und Computer einsparen und die Stromversorgung der Unternehmen zu jeder Sekunde zu bezahlbaren Preisen sicherstellen.

(Zuruf von der SPD: Was ist denn eigentlich mit dem Stahl?)

Denn auch die Versorgungssicherheit für Firmen und Familien ist für uns nicht verhandelbar.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zwei Säulen tragen die Energiepolitik der schwarz-gelben Landesregierung: Energieverschwendung vermeiden und technische Innovationen für CO2-sparende Technik fördern, zur Marktreife bringen, industriell fertigen und in alle Welt exportieren.

Das stärkt Firmen und Arbeitsplätze und das Klima weltweit. Das ist Klimaschutz made in NRW.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Gegenrufe von der SPD: Begeisterung! – Dass man beim Schlafen klatschen kann!)

Wir werden gleich erleben, dass die Opposition wieder ihre Empörung zum Thema „Windkraft“ inszenieren wird. Die AfD will 0,0 Windräder. Die SPD und die Grünen, vor ihrem anstehenden Parteitag, werden sich in ihren Forderungen nach einem Zubau der kompletten Landschaft mit Windenergieanlagen gegenseitig überbieten – ohne Rücksicht auf Bedenken in der Bevölkerung und Mängel beim Leistungsausbau.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich empfehle Ihnen, insbesondere den Grünen, Ihre Energie einmal anders zu verwenden.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

– Ich bin sofort fertig. – Holen Sie Ihre Transparente, Schilder und Plakate von der letzten Hambi-Demo aus dem Fraktionsbüro, machen Sie Ihre nächste Fraktionsreise ins Reallabor grüner Klimapolitik nach Baden-Württemberg,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

und demonstrieren Sie für mehr Klimaschutz – vor der Staatskanzlei des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, vor dem Stuttgarter Rathaus des grünen Oberbürgermeisters Fritz Kuhn oder vor dem Tübinger Rathaus des grünen Oberbürgermeisters Boris Palmer.

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Statt groß angekündigter 25 % gegenüber 1990 hat die grün geführte Landesregierung in Baden-Württemberg gerade mal 11,6 % CO2 eingespart …

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit ist um.

Henning Rehbaum*) (CDU): … und im laufenden Jahr ganze zwei Windräder im gesamten Ländle ermöglicht. Sie könnet alles, außer Hochdeutsch. Doch des isch ganz arg wenig, Herr Kretschmann. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Bombis.

Ralph Bombis*) (FDP): Guten Morgen! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Diese NRW-Koalition hat sich von Beginn an zum Klimaschutz und zu den Pariser Klimaschutzzielen bekannt. Heute, zweieinhalb Jahre Regierungszeit später, können wir festhalten: NRW wird seine Klimaziele sogar übertreffen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Bevor Sie jetzt wieder unruhig werden: Wir haben immer gesagt, dass wir nicht bei null angefangen haben. Es gibt aber offenbar einen Unterschied zwischen einer erfolgreichen Klimapolitik dieser NRW-Koalition und anderen Ansätzen. Auch Baden-Württemberg mit seiner grün geführten Regierung hat sich die Erreichung von Klimaschutzzielen auf die Fahnen geschrieben, wird aber krachend scheitern.

Deswegen bleibt auch die Kritik an der rot-grünen Klimapolitik aus der letzten Legislaturperiode nach wie vor richtig. Ja, Sie haben vielleicht Ziele beschrieben. Ich bin auch bereit, zuzugestehen, dass Sie dadurch Impulse gesetzt haben. Das hat Baden-Württemberg eben auch getan. Das reicht aber nicht.

Schauen wir doch einmal genauer hin: Rot-Grün hat in der letzten Legislaturperiode den Klimaschutz als nordrhein-westfälischen Sonderweg, maximal noch als nationale Aufgabe begriffen. Für die Grünen war und ist das Thema ein lokales, nationales, politisches Geschäftsmodell. Rot-Grün hat von Anfang an den Gegensatz zwischen Klimapolitik einerseits und Wirtschaftspolitik andererseits aufgemacht,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das wart ihr!)

namentlich zur Industriepolitik.

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

– Frau Brems, die Gegensätze zwischen dem damaligen Umweltminister Remmel und dem damaligen Wirtschaftsminister Duin von der SPD

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist aber ganz lange her!)

waren doch für jeden mit den Händen zu greifen. Sie waren doch offensichtlich. Der Wirtschaftsminister konnte seine industriepolitischen Leitlinien nicht einmal ins Kabinett, geschweige denn durchs Kabinett bringen. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben immer gesagt, dass dieser Weg falsch ist. Wir haben immer gesagt, dass Klimaschutz nicht an Landes- oder Staatsgrenzen aufhört. Das ist nach wie vor richtig. Klimaschutz gegen Arbeitsplätze und Wirtschaft auszuspielen, lässt die Menschen zurück und gefährdet Akzeptanz. Deswegen sollte man Klimaschutz und Verbote eben nicht miteinander verbinden, wie das namentlich die Grünen immer wieder tun. Vielmehr sollten wir gemeinsam mit der Wirtschaft und mit den Mitarbeitern in den Betrieben den Klimaschutz voranbringen.

Ein wirksamer Klimaschutz durch Innovation für Wirtschaft und Arbeitsplätze: Das ist der Weg dieser NRW-Koalition.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es gibt auch ganz konkrete Beispiele, wie wir diesen Weg gehen. Das von der Landesregierung eingeführte Gründerstipendium unterstützt zum Beispiel ein Start-up mit dem Namen poligy. Hier wird eine neue Form der Energieerzeugung entwickelt, indem industrielle und solare Abwärme mittels Biopolymeren genutzt wird. Ein weiteres Beispiel ist thyssenkrupp. Die Landesregierung fördert den Einsatz von Wasserstoff bei der Stahlherstellung. Das verstehen wir unter Innovation.

Sie als rot-grüne Regierung haben unter Innovation solche grünen Progrämmchen wie „Mein Trockner ist eine Leine“ verstanden. Das ist der Unterschied zwischen der NRW-Koalition und Rot-Grün.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Noch lokaler, noch weniger ambitioniert und noch begrenzter kann man das nicht denken. Klimaschutz ist aber nicht lokal und nicht begrenzt. Klimaschutz muss international sein.

(Sarah Philipp [SPD]: Was für eine Erkenntnis!)

Diese Landesregierung treibt den Klimaschutz voran. Diese Landesregierung treibt den Klimaschutz gemeinsam mit der Wirtschaft voran. Durch die von Ihnen so viel gescholtenen Entfesselungspakete, durch Entlastungen bei der Entbürokratisierung,

(Monika Düker [GRÜNE]: Und der LEP?)

durch Perspektiven bei der Landesentwicklung – ja, durch Perspektiven bei der Landesentwicklung, Frau Düker –, durch die Digitalisierung und durch Erleichterungen bei Genehmigungsverfahren zeigen wir, dass Investitionen in Nordrhein-Westfalen willkommen sind.

(Unruhe – Glocke)

Investitionen in Nordrhein-Westfalen bedeuten Investitionen in Innovation und in Forschung und Entwicklung. Das bringt den Klimaschutz voran und behindert ihn nicht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Man kann es an den Zahlen des Landeshaushalts ganz konkret ablesen. Im Vergleich von 2017 – ein rot-grüner Haushalt – zu 2019 – ein schwarz-gelber Haushalt – haben wir die Ausgaben für Klimaschutz und Energieeffizienz verfünffacht. Wir verstetigen die Mittel in dieser Größenordnung.

Wir setzen uns auch weiter gehende Ziele. Durch die erneuerbaren Energien, die nicht nur im Bereich Windenergie, sondern auch bei Photovoltaik oder Geothermie ausgebaut werden, schafft man Akzeptanz und fördert den Klimaschutz. So nutzt man alle Potenziale. Und darauf kommt es an.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Wir gehen an anderen Stellen voran, indem wir den sektorenübergreifenden Ansatz endlich in den Blick nehmen. Es reicht eben nicht, nur über einen Bereich zu reden, nämlich nur über die Industrie, die in diesem Land schon einen überproportionalen Beitrag geleistet hat. Wir müssen natürlich auf die Gebäudeeffizienz gucken. Wir müssen natürlich auf den Verkehrsbereich gucken.

Wir müssen das auch vorantreiben und Signale nach Berlin senden, damit es hier weiter nach vorne geht. Das haben wir über diese Landesregierung getan. Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, das sich über eine Bundesratsinitiative zur Einführung einer marktwirtschaftlichen und einer sozial ausgewogenen CO2-Bepreisung klar positioniert hat. Das ist dann auch verfassungskonform. Und das ist der richtige Weg.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, im Ergebnis heißt das: NRW macht beim Klimaschutz mehr. NRW macht es beim Klimaschutz besser, als Rot-Grün es in der letzten Legislaturperiode gemacht hat, und besser, als es andere Bundesländer machen.

Wir sagen noch einmal: Wir wollen die Wirtschaft durch Innovation umbauen und damit stärken, und wir wollen Arbeitsplätze sichern. Dadurch wollen wir am Ende des Tages Klimaschutz exportieren. Denn die Bedrohung des Weltklimas ist keine lokale und keine nationale Aufgabe, sondern eine internationale Aufgabe.

Der Umbau der Wirtschaft ist für uns essenziell, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern um die Klimaziele schneller zu erreichen, was in einem sich verändernden Umfeld auch zwingend notwendig ist, um NRW gleichzeitig als Industrie- und Energiestandort Nummer eins langfristig zu sichern. Wir setzen hierbei auf eine Partnerschaft mit der Wirtschaft. Wir setzen auf eine Partnerschaft mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Betrieben.

(Zuruf: Aha!)

Wir setzen auch auf Innovation bei großen Unternehmen, bei kleinen und mittelständischen Betrieben und beim Handwerk. Deswegen wollen wir eine wirtschaftsfreundliche Grundstimmung – das zeigen die von Ihnen so hart kritisierten Entfesselungspakete –, damit Investitionen in Innovation und in Forschung und in Entwicklung wieder gewollt und möglich werden.

Mit dem erfolgreichen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft kann NRW dann auch als internationales Erfolgsmodell vorangehen und den Klimaschutz exportieren. Gleichzeitig können wir damit ein starkes und modernes Energie- und Industrieland sichern – für sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze in unserem Bundesland in allen Gliedern der Wertschöpfungsketten und für einen weltweit wirksamen Klimaschutz durch Innovation statt durch Verbote. Dafür steht diese NRW-Koalition. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Stinka das Wort.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rehbaum, wenn das, was Sie vorgetragen haben, mit Begeisterung zu tun haben sollte, dann müssen Sie dringend zum Arzt.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn das in der DNA der CDU steht, Herr Rehbaum, kann man nur von Totalversagen sprechen. Sie haben hier eine Rede gehalten, die Ihrer Regierungspolitik entspricht: Sie tun niemandem weh und verschieben alles auf übermorgen. – Sie haben hier eine Rede der 16. Wahlperiode gehalten und nichts anderes. Es war unterirdisch.

(Lebhafter Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was für ein Unsinn!)

Sie wollen den Menschen keinen klaren Weg aufzeigen und nicht sagen, wohin Sie wollen, weil Sie niemandem wehtun wollen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was verstehen Sie unter „wehtun“?)

Das zieht sich durch alle Ressorts Ihrer Regierung. Heute Morgen haben Sie mit Ihrer Rede wieder einmal einen wunderbaren Beleg dafür erbracht.

Sie sprechen von Begeisterung und beginnen mit Hunderten von Bedenken. Gehen Sie einmal in einen Rhetorikkurs. Das könnte helfen, damit es demnächst besser wird, Herr Rehbaum.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eingangs ist bereits deutlich geworden, dass wir über ein zukunftsfähiges Klimaprojekt reden müssen und dass der Klimawandel in den nächsten Jahren für die Menschen eine deutliche Bedrohung darstellen wird.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Es fällt mir aber wirklich schwer, hier heute Morgen von zukunftsorientierter Klimapolitik zu sprechen, wenn ich mir anschaue, was die Mitte-rechts-Regierung in Nordrhein-Westfalen bisher geleistet hat. Es ist ein Unding, sich hierhin zu stellen und mit fremden Federn zu schmücken, wie Sie es heute Morgen getan haben.

(Beifall von der SPD)

Nordrhein-Westfalen hat seine Klimaschutzziele für das Jahr 2020 bereits 2017 erreicht. Da waren Sie noch nicht einmal in der Regierung. In Nordrhein-Westfalen wurden 275 Millionen t CO2 ausgestoßen. Das entspricht der für 2020 von uns gesetzlich vorgeschriebenen Minderung von 25 % gegenüber dem Basisjahr 1990.

(Marc Herter [SPD]: Hört! Hört!)

Ich sage nur: Rot-Grün hat versprochen und gehalten. – Das ist nämlich die Realität, Herr Rehbaum.

(Beifall von der SPD)

Worauf ist das denn zurückzuführen? Nicht auf unendliche Diskussionsrunden, sondern auf Regieren! Regieren heißt lenken. Wir haben den Menschen gesagt, wohin es geht.

Ich will Ihnen nicht vorenthalten, was wir zu der Zeit getan haben:

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

2011 wurde das KlimaschutzStartProgramm beschlossen. 2013 wurde das Klimaschutzgesetz verabschiedet. 2014 folgte der Start der KlimaExpo.NRW. 2015 wurde der Klimaschutzplan hier in diesem Haus verabschiedet – ein Klimaschutzplan mit rund 154 Maßnahmen, 52 Strategien und zahlreichen Handlungsfeldern in sechs Sektoren.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Und Sie setzen mit Begeisterung über den Fenstereinbau dagegen! Wo leben Sie eigentlich, Herr Rehbaum? Das frage ich mich wirklich.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Es war die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft, die das auf den Weg gebracht hat und in Nordrhein-Westfalen vorausschauend gehandelt hat. Nur deshalb können Sie sich heute Morgen hierhin stellen und sich dafür feiern lassen, dass Nordrhein-Westfalen das CO2-Minderungsziel nicht nur erreicht, sondern sogar um 3 % überschreitet. Nur deshalb!

Schwarz-Gelb hat unsere damaligen Vorschläge mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht – das ist gar nicht so schwer –, in das Protokoll der Plenarsitzung zu schauen, in der der Klimaschutzplan hier vor vier Jahren beschlossen worden ist. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich die Hinweise des Kollegen Deppe dazu:

„Rot-Grün ist von Anfang an einen falschen Weg gegangen. Mit dem einerseits strikt und andererseits doch wieder unbestimmt formulierten Klimaschutzgesetz, mit der Vielzahl von Ermächtigungen, die Sie sich in das Gesetz haben hineinschreiben lassen, haben Sie Befürchtungen, Misstrauen und Ablehnung geradezu provoziert.“

Und heute berufen Sie sich darauf und rühmen sich für das Minderungsziel, Herr Rehbaum! Sie sollten einmal genau überlegen, was Sie damals gesagt haben und was Sie heute Morgen in Ihrer Rede vorgetragen haben. Das war 0,0. Gar nichts!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich frage mich wirklich, wie man sich vier Jahre später hierhin stellen und so tun kann, als habe man gehandelt. Sie hätten jetzt die Chance gehabt. Stattdessen hört man gleich wieder: Rot-Grün hat uns das hinterlassen, konkret am Klimaschutzplan weiterzuarbeiten. – Sie sprechen allerdings von einem Klimaschutzaudit, und man will mithilfe eines Monitorings noch einmal prüfen, ob alles effizient war.

Nein, Sie wollen als Regierung nicht lenken. Sie versagen auf diesem Gebiet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Regieren heißt, klare Linien vorzugeben und nicht jedem alles zu versprechen. Davor ducken Sie sich jedoch weg.

Schaut man sich nämlich Ihre eigenen Impulse an, sieht es wirklich dürftig aus. Im letzten Wirtschaftsausschuss haben wir Ihre Politik in Sachen Windkraft besprochen. Sie haben doch gegen eine Akzeptanz gearbeitet. Sie haben gesagt, die Initiativen würden sich dagegen beschweren. Es sind nicht die Initiativen, sondern es sind 60 Stadtwerke sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinden, die den Windkraftausbau wollen. Und Sie lassen sie in einem Zustand der Rechtsunsicherheit zurück.

Sagen Sie den Leuten doch ehrlich, woher der Strom kommen soll. Sie können es nicht. Denn Ihre Energiestrategie ist auf Sand gebaut. Wenn wir im Wirtschaftsausschuss darüber sprechen, hören wir immer nur: Mal schauen, ob irgendwo Photovoltaikanlagen an Baggerseen errichtet werden können.

Das ist keine Initiative für ein Industrieland, Herr Rehbaum. Das ist Totalversagen.

(Beifall von der SPD)

Sie wollen den Menschen nicht klar sagen, dass der Umbau zu einer klimafreundlichen Industriegesellschaft natürlich mit Änderungen der Lebensweise einhergeht und dass unter anderem im Rahmen des Baugesetzbuches natürlich auch Änderungen in der Landschaft vollzogen werden müssen.

Sagen Sie das den Menschen doch auch, und tun Sie nicht so, als würden Sie einerseits die erneuerbaren Energien ausbauen und andererseits jeder Initiative hinterherlaufen, die natürlicherweise beklagt, dass sich die Landschaft verändert.

Sie müssen regieren. Aber in diesem Fall tun Sie es nicht, Herr Rehbaum. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.

(Beifall von der SPD)

Es ist Ihre Pflicht – das erleben wir in vielen Bereichen –, von Freiwilligkeit und von Dialogrunden wegzukommen und klar zu sagen, in welche Richtung Sie wollen. In dieser Hinsicht ist der gesamte Klimabereich eine einzige Nullnummer.

Sie konnten bei der letzten Ausschusssitzung noch nicht einmal erläutern, wie „InnovationCity Ruhr“ weitergeführt wird. In der Vorlage war sogar noch das falsche Ende des Arbeitsvertrages des Geschäftsführers enthalten. So sehr interessieren Sie sich für „InnovationCity Ruhr“ in Bottrop – eine Initiative, deren Einfluss bis nach China ausstrahlt. Kümmern Sie sich darum, statt vom Fenstereinbau zu sprechen. Kümmern Sie sich in Bottrop darum, dass diese Initiative ordentlich weitergeführt wird, Herr Rehbaum.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass das Land Nordrhein-Westfalen sich in die Klimaschutzstrategie des Landes einordnen muss. Wir müssen unsere Ziele nachschärfen. Für uns Sozialdemokraten ist Innovation wichtig. Wir müssen in Klarheit mit den Menschen sprechen, um das nach vorne zu bringen.

Aber letztendlich ist es auch wichtig, Entscheidungen zu treffen. Das können wir Ihnen nicht abnehmen. Sie wollten in die Regierung. Dann müssen Sie jetzt auch als Regierung handeln. Sagen Sie den Leuten, wo es langgehen wird.

Klimapolitik ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Politik für viele. Wir wollen viele Menschen mitnehmen. Wir müssen ihnen klar die Perspektiven aufzeigen.

Es reicht nicht, von Begeisterung zu sprechen. Begeisterung entwickelt sich auf diese Weise, wie Sie es hier dargestellt haben, Herr Rehbaum, nicht. Gehen Sie weg von weißer Salbe, und handeln Sie als Regierung. Dann können wir uns im Ausschuss darüber streiten. Über die Rede von vorhin lohnt es sich nicht zu streiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen erteile ich nun der Abgeordneten Frau Brems das Wort.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der eine oder andere mag sich heute Morgen verwundert die Augen gerieben haben und sich fragen: Träume ich, oder versuchen CDU und FDP, sich hier als große Klimaschützer aufzuspielen und sich für rot-grüne Erfolge zu feiern?

Aber ich muss Ihnen ganz klar sagen, diese Augenwischerei lassen wir Ihnen nicht durchgehen, denn wenn wir uns Ihre Politik anschauen, wird unzweifelhaft klar: Sie sind und Sie bleiben die Zerstörer der Energiewende, Sie sind und Sie bleiben die Zerstörer eines ambitionierten Klimaschutzes.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Zunächst ein kurzer Blick zurück, warum das, was Sie hier abfeiern wollen, eben Augenwischerei ist. Als Rot-Grün hier vor neun Jahren angefangen hat, für ambitionierten Klimaschutz zu kämpfen, war das unter ganz anderen Voraussetzungen.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Damals gab es in Nordrhein-Westfalen einen Anteil von erneuerbaren Energien am Strom von unter 8 %; bis zum Jahr 2017 haben wir ihn auf 15,8 % verdoppelt.

Damals gab es beispielsweise noch nicht so etwas wie eine Sicherheitsbereitschaft für Kraftwerke, die allein dafür gesorgt hat, dass im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen zwei Kraftwerksblöcke abgeschaltet und damit CO2-Emissionen reduziert wurden, ein Punkt, den Sie sich gern auf die Fahnen schreiben.

Seitdem haben sich Börsenpreise so verändert, dass Kohlekraftwerke immer unwirtschaftlicher geworden sind. – Ich könnte noch so weitermachen.

Man muss schon wirklich ein gehöriges Selbstbewusstsein haben – um nicht zu sagen: eine Dreistigkeit besitzen –, um sich hier wie CDU und FDP dafür feiern zu lassen, dass die rot-grünen Klimaziele nicht erst im Jahr 2020, sondern bereits im Jahr 2017 erreicht wurden.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2017 haben Sie gerade mal ein halbes Jahr lang Regierungsverantwortung getragen. Sie haben eben gesagt, Sie hätten nicht bei null angefangen, das würden Sie zugestehen.

(Lachen von Marc Herter [SPD])

Sie haben aber null zum Erreichen der Klimaschutzziele beigetragen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Als wäre das alles nicht schon abstrus genug, wird es jetzt noch abstruser. Sie haben unsere Ziele damals bis aufs Messer bekämpft.

(Horst Becker [GRÜNE]: So ist das!)

Sie haben uns Deindustrialisierung vorgeworfen und noch vieles mehr.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Henning Höne beispielsweise hat in der Diskussion im Dezember 2015 unsere Ziele als überambitioniert bezeichnet. Daran sieht man doch, wie das damals gesehen wurde. Dass Sie es heute so hier wieder darstellen, ist doch einfach nur armselig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will nicht so sein. Schwamm drüber! Lassen Sie uns nach vorne schauen. Darum geht es doch.

(Lachen von der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD])

– Ich kann auch großzügig.

Worum geht es? Die Welt hat sich doch seit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes im Jahr 2013 weiter gedreht. Die Klimaforscher der Welt stellen fest, dass die Klimaveränderungen noch schneller und noch dramatischer zunehmen, als man es vorhergesagt hat. Die internationalen Klimaziele wurden mit dem Pariser Klimaschutzabkommen noch nach oben angepasst. Es reicht also nicht, wenn sich NRW auf kleinen Zwischenerfolgen ausruht.

Immer wenn wir Grüne das hier in der letzten Zeit gesagt und Konsequenzen gefordert haben, dass die Klimaschutzziele angepasst werden, dass Sie Ihr Handeln und Ihr Reden miteinander in Einklang bringen müssen, führte der Ministerpräsident hier immer einen seiner Rumpelstilzchentänze auf.

Aber auch da will ich mal nicht so sein. Wenn Sie wirklich zur Vernunft gekommen wären und jetzt wirklich ambitionierteren Klimaschutz wollen würden, wäre das schön.

Wir haben eben gehört, Sie wollen mehr erneuerbare Energien, Sie wollen ganz viel Wasserstoff für Stahl, Chemie und Industrie.

(Henning Rehbaum [CDU]: Nicht nur!)

– Ja, aber woher soll denn genau das kommen? Dafür brauchen wir eben die erneuerbaren Energien. Ich erkläre das gern noch mal:

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja, bitte!)

Die größten Potenziale liegen bei Photovoltaik und Windenergie. Darum geht es, dass genau das auch passieren muss. Mir ist absolut schleierhaft, wie Sie das alles unter den aktuellen Rahmenbedingungen hinbekommen wollen.

Schauen wir es uns doch noch mal an. In Berlin wird ganz aktuell mit dem Referentenentwurf für ein Kohleausstiegsgesetz – ich muss es so sagen – der Kohlekompromiss aufgekündigt, denn nichts anderes ist es doch, wenn ein Kohleausstiegsgesetz die komplette Braunkohle ausklammert und stattdessen ein Windenergieausstiegsgesetz daraus macht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Genau das bedeuten diese absurden Abstandsregelungen von Windenergie zu Kleinstwohnbebauung. Was hier in Nordrhein-Westfalen Schwarz-Gelb und die GroKo in Berlin machen, ist Akzeptanz durch Abschaffung, und das funktioniert eben nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wäre das nicht alles schon fatal genug für den Klimaschutz – dieser Branche geht es auch nicht gut. Dass der Branchenriese Enercon in der vergangenen Woche den Abbau von 3.000 Arbeitsplätzen angekündigt hat, würde bei jeder anderen Branche dazu führen, dass die Wirtschaftsminister der Länder und der Bundeswirtschaftsminister sich zu Krisengesprächen am besten noch im Kanzleramt treffen und sich fragen würden: Wie kann man dieser Branche unter die Arme greifen?

Bei der Erneuerbaren-Energien-Branche passiert genau das Gegenteil: Dieser Branche gibt man noch den Todesstoß. – So funktioniert das nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da muss ich klar sagen: Da kann ich die SPD auch nicht außen vor lassen.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Hier in Nordrhein-Westfalen und auch an anderen Stellen hören wir immer wieder aus der SPD, dass sie sich als Windenergiebefürworter darstellt und mehr Klimaschutz fordert, doch in Berlin in der GroKo hören wir dazu nichts weder zu Wind noch zum Klimaschutz.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Deswegen unser Appell an Sie als größter Landesverband im Energieland Nordrhein-Westfalen: Machen Sie Ihren Einfluss geltend, und machen Sie deutlich, dass es deutliche Korrekturen an diesen Gesetzen geben muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass der NRW-Wirtschaftsminister seinem Namen leider bei der Windenergiebranche keine Ehre macht, das kennen wir schon. Was macht der Ministerpräsident? Er spricht sich auch noch lieber für ein neues Kohlekraftwerk aus, das nichts mehr ist als ein Mahnmal für eine verfehlte Energiepolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen zum Abschluss sagen: Liebe CDU, liebe FDP, Herr Ministerpräsident, Herr Wirtschaftsminister, hören Sie endlich auf, alles zu zerstören, und fangen Sie an, unsere Zukunft mit erneuerbaren Energien zu gestalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Antrag zur Aktuellen Stunde steht, man solle Wirtschaftswachstum und Klimaschutz gemeinsam denken.

Dann verweisen Sie, liebe CDU und FDP, auf die angeblich guten Ergebnisse bei den CO2-Zielen in NRW im Vergleich zu Baden-Württemberg. Sie schreiben ich zitiere :

„Der Ländervergleich zeigt, dass sich unser Land auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele auf einem erfolgreicheren Kurs befindet als andere. Dieser Kurs muss deshalb weiterverfolgt werden.“

Sie beschreiben also einen angeblich erfolgreichen Kurs. Dann schauen wir uns doch mal Ihre Erfolgszahlen an und fragen uns, zu welchem Preis dieser Erfolg vorangetrieben wurde. Richtig ist, dass rein rechnerisch weniger CO2 in NRW ausgestoßen wurde. Das hat zwei Gründe:

Erster Grund. NRW ist Energieland Nummer eins, und in NRW befanden sich die meisten Steinkohlekraftwerke und Braunkohlekraftwerke. Dieses Bundesland hat nicht nur Strom für sich, sondern auch für viele andere Bundesländer produziert. NRW war damals der Energieversorger Nummer eins in Deutschland.

Was haben die vier Klimaangstparteien hier gemacht? – Richtig. Man hat unsere Kraftwerke in NRW geopfert. Aufgrund der Schließung dieser Kraftwerke hat man nun auch in NRW die höchsten Ersparnisse von CO2 erreicht.

Genau für diese Taten oder vielleicht auch Verbrechen lassen Sie sich feiern, obwohl damit in der EU praktisch nicht eine Tonne CO2 eingespart wurde, worauf ich im zweiten Teil meiner Rede kommen werde.

Somit komme ich zum zweiten Grund. – Durch das Missmanagement der vier Klimaangstparteien haben Sie NRW an das Ende der westdeutschen Flächenländer gebracht. Die Arbeitslosigkeit ist mit 6,4 % doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg mit 3,2 %. Wenn die Wirtschaft in Baden-Württemberg aber brummt und in NRW nicht vorankommt, ist auch klar, warum in NRW weniger CO2 verbraucht wird: Die Industrie in NRW braucht schlicht weniger Energie als in Baden-Württemberg.

Das lässt sich eindrucksvoll im Bund-Länder-Vergleich belegen. Dazu nehmen wir das Jahr 2010 als Basisjahr an, weil dafür Daten aus dem Statistikportal der Länder direkt vorliegen. Das Jahr 2010 beginnt somit mit einem Wert von 100.

Acht Jahre später, also im Jahr 2018, liegt das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in Baden-Württemberg bei 117,6 und in NRW bei schlappen 109,5 Punkten. Das heißt, Baden-Württemberg hatte fast durchgehend ein doppelt so hohes Wirtschaftswachstum wie NRW.

Bei der Arbeitsproduktivität sieht es für NRW noch schlimmer aus: Während Baden-Württemberg die Arbeitsproduktivität seit dem Jahr 2010 um 6,4 Punkte steigern konnte, war in NRW nur eine Steigerung von 2,4 Punkten erreicht worden.

Gerade die Arbeitsproduktivität ist ein Zeichen, wie innovativ die Länder sind. Hier fährt NRW seit Jahren einen innovationsfeindlichen Kurs. Statt Technologieoffenheit werden Denkverbote aufgebaut.

Wer nicht der Klimaangst der Regierenden folgt, spürt bald den Druck der Gesellschaft. Dieser Druck wird dann auch am Arbeitsplatz spürbar. Wer der Klimaangst nicht folgt, wer gar eine andere Meinung hat, wird mit staatlicher Unterstützung gemobbt.

So führt das Umweltbundesamt beispielsweise eine Liste oppositioneller Wissenschaftler, die aus Sicht des Umweltbundesamtes den Klimawandel leugnen. Wer nicht auf Regierungslinie ist, wird diffamiert.

So verwundert es nicht, dass die Chefin der Grünen, Frau Baerbock, fordert, dass auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Zeitungen beim Thema „Klimawandel“ zensieren sollen. Wo ihr Co-Chef Habeck noch China bewundert, ist Frau Baerbock schon einen Schritt weiter: Zensur für die gute sozialistische Idee.

Dabei hat Deutschland bereits massiv unter dem Sozialismus gelitten. Soll jetzt nach dem roten Sozialismus der grüne Sozialismus kommen, unterstützt von Schwarz-Gelb?

Zehntausende haben bereits ihren Arbeitsplatz bei RWE, E.ON und Steag verloren. Das waren alles Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung. Das waren alles Arbeitsplätze, für die kein Cent Subvention ausgegeben wurde.

Jetzt geht es bei der subventionierten Windkraft weiter. Aktuell verlieren nämlich durch das Zerplatzen Ihrer Subventionsblasen Zehntausende Mitarbeiter in der Windkraftbranche ihren Arbeitsplatz. In der Solarbranche ist das bereits vor ein paar Jahren passiert.

Doch die Subventionsblase der Windindustrie hat nicht nur Verlierer hervorgebracht. Ein Gewinner ist zum Beispiel der ENERCON-Chef. ENERCON ist der größte deutsche Windindustrieanlagenbauer, der gerade verkündet hat, 3.000 Mitarbeiter zu entlassen.

Der Gründer von ENERCON ist Aloys Wobben. Laut Gewerkschaften hat ENERCON seine Mitarbeiter all die Jahre unter Tarif bezahlt, viele Leiharbeiter genutzt und versucht, Mitarbeiter einzuschüchtern, die einen Betriebsrat gründen wollten.

Der Wobben muss aus Sicht von Rot-Grün ein echt feiner Kerl sein. Dieser feine Kerl ist dank der Subventionen inzwischen Multimilliardär. Das ist die Leistung der Klimaangstpartei.

Wir haben die höchsten Strompreise der Welt, und mehr als 300.000 Haushalten wird jährlich der Strom abgestellt, weil sich diese den schlichtweg nicht mehr leisten können.

Aber dafür haben wir jetzt auch Millionäre in der Windkraftindustrie, die entspannt mit ihrem Vermögen in der Sonne rumliegen können. Nur die Mitarbeiter werden mal wieder von der Regierung im Stich gelassen werden. Wird auch da kein Windkraftbetreiber ins Bergfreie, ins Windfreie fallen?

Kommen wir zum Fazit: Sie haben NRW zum kranken Mann in Deutschland gemacht und wollen die Zerstörung der Industrie noch vergrößern. Nichts anderes bedeutet Ihre Drohung in Ihrem Papier, wenn es heißt: Dieser Kurs muss deshalb weiterverfolgt werden.

Wir als AfD sagen aber Nein zur Ihrer Politik der Zerstörung, denn uns als AfD liegt das Wohl der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in NRW am Herzen. Unser Motto lautet: Herz für Malocher statt Klimaangst. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Professor Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt: Wir sind uns einig.

Ein entschlossenes Handeln beim Klimaschutz ist global, in der Europäischen Union, in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen dringend notwendig. Die Entkoppelung des Wachstums unserer Wirtschaft von der Emission klimaschädlicher Gase ist keine Zukunftsaufgabe mehr; sie ist eine Aufgabe für das Hier und Jetzt.

Angesichts des Ausmaßes der notwendigen Transformation ist sie längst keine Frage mehr, der sich nur die Politik verpflichtet sieht; es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Sie ist so groß, dass wir ihr nicht allein mit immer neuer Bürokratie, sondern viel stärker durch das eigenverantwortliche kreative Handeln von Bürgern und Unternehmen begegnen können.

Der Schlüssel für Arbeit, Wohlstand und Klimaschutz liegt vor allem in der Suche nach und in der Umsetzung von besseren Lösungen. Es geht um Innovation und beste Rahmenbedingungen für Investitionen in diese neue Lösung.

Ich nenne diese Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche bei der Suche nach besseren Lösungen für Mensch, Arbeit und Umwelt Neoökologie und freue mich darüber, dass sich die Industrie und die Sozialpartner in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Landesregierung entschlossen auf diesen Weg begeben haben.

Die Weltpremiere beim Einblasen von Wasserstoff am Hochofen von thyssenkrupp in Duisburg zu Beginn dieser Woche und das von der Unternehmensleitung angekündigte Ziel, das größte Stahlwerk Europas bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral umzubauen, bringen das für mich in beeindruckender Weise zum Ausdruck.

Gleiches gilt für die Erklärung des Verbandes der Chemie er wird uns dies am nächsten Montag auf Einladung des Landtagspräsidenten vorstellen , der sich für die Chemiebranche ebenfalls zum Ziel gesetzt, eine grundlegende Transformation bis 2050 hin zur klimaneutralen Produktion einzuleiten. LANXESS, ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, erklärt heute in einer Pressemitteilung, dass das Unternehmen dieses Ziel bereits 2040 erreichen will.

Beide Industrien arbeiten neben anderen seit zwei Jahren mit über 30 Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen in der von dieser Landesregierung gegründeten neuen Landesinitiative IN4climate.NRW zusammen. Damit leiten sie ein neues Verständnis von Klima‑ und Umweltschutz in Nordrhein-Westfalen ein.

Politik und Wirtschaft verfolgen ambitionierte Klimaziele, arbeiten bei deren Erreichung aber nicht länger gegen‑, sondern miteinander. Wir wollen Klimaschutz nicht dadurch erreichen, dass wir die Industrie behindern, sondern dadurch, dass wir ihr Anreize für die notwendigen Innovationen und Transformationen geben.

Wir wissen, dass Dekarbonisierung nicht zur Deindustrialisierung führen darf, und fördern daher neue Technologien und erleichtern durch unsere Entfesselungspakete Investitionen in modernere und umweltfreundlichere Anlagen.

Das Landesinstitut IT.NRW hat in der Statistik für 2018 gezeigt, dass die Investitionen in Nordrhein-Westfalen seit 2009 nicht mehr so hoch gewesen sind. Das zeigt, dass diese Politik bei der Wirtschaft offensichtlich ankommt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dies gilt gleichermaßen für den geordneten, energiepolitisch verantwortlichen und sozial verträglichen Rückzug aus der kohlebasierten Verstromung in unserem Land und den vorauslaufenden Aufbau neuer nachhaltiger Strukturen für Energieversorgungs‑ und Ressourcensicherheit. Deshalb begrüßen wir grundsätzlich, dass die Bundesregierung ihre Aktivitäten in Sachen „Klimaschutz“ ebenfalls erhöht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wo denn?)

Mit dem Klimaschutzgesetz gibt sie der Einsparung von Treibhausgasemissionen nun einen langfristigen Rahmen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist ja wohl ein Witz!)

Ein Kernelement des Klimaschutzgesetzes des Bundes ist die …

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist alles unverbindlich!)

– Dass Ihnen das nicht gefällt, kann ich mir schon vorstellen, Frau Düker. So ist das aber nun mal im politischen Wettbewerb: Manchmal läuft man voraus, manchmal läuft man hinterher.

(Beifall von der CDU und der FDP – Wibke Brems [GRÜNE]: Sie laufen immer hinterher!)

Das ist so, und es tut weh, wenn man die Rücklichter der anderen sieht. Damit müssen Sie sich jetzt aber auseinandersetzen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Bundesregierung setzt mit dem Ziel einer 55%igen Minderung für 2030 ein im internationalen Vergleich ambitioniertes Etappenziel für 2030.

Ganz klar ist: Ohne Nordrhein-Westfalen wird Klimaschutz in Deutschland kein Erfolg sein. Ohne einen angemessenen Beitrag aus Nordrhein-Westfalen ist das Ziel für 2030 nicht zu erreichen.

Wir sind das größte Bundesland und starker Standort einer Vielzahl energieintensiver Branchen. Fast ein Drittel der deutschen Treibhausgase entstehen hier in Nordrhein-Westfalen. Damit sind wir als Bundesland entscheidend für den Klimaschutz in Deutschland.

Tatsächlich gehen wir als Bundesland voran. Die Emissionen in Nordrhein-Westfalen sind rückläufig. Das bestehende Klimaschutzziel einer 25-%-Minderung von 1990 bis 2020 wurde bereits im Jahr 2017 erreicht. Das ist ein bemerkenswerter Klimaschutzerfolg.

Ich sage ganz klar, dass alle dazu beigetragen haben, die seit 1990 in Nordrhein-Westfalen in Regierungsverantwortung waren. Sie müssen sich aber leider korrigieren lassen: Sie haben 2013 ein Gesetz für einen Zeitraum von 1990 bis 2020 verabschiedet.

2000 bis 2005 haben Sie als rot-grüne Regierung 3 Prozentpunkte zur Zielerreichung beigetragen. Schwarz-Gelb hat dann in fünf Jahren 6 Prozentpunkte, und in den folgenden sechs Jahren haben Sie 6 Prozentpunkte beigetragen, 2017 – dies teilen wir uns vielleicht noch – und 2018 waren es 5 Prozentpunkte. Jeder hat also seinen Beitrag geleistet. Wir haben das Ziel aber nicht nur erreicht, sondern übererfüllt.

Sie tragen politisch seit 2011 mit einem grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg Verantwortung,

(Wibke Brems [GRÜNE]: Sie machen doch hier Politik! Warum reden wir nicht über NRW?)

der sich selbst mit der Mehrheit des Landtags ein Klimagesetz gegeben hat: minus 25 % bis 2020. 2017 hatte er minus 11,6 % erreicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Wibke Brems [GRÜNE], Monika Düker [GRÜNE] und Josefine Paul [GRÜNE])

Das ist Ihre Bilanz, mit der Sie sich doch bitte mal politisch auseinandersetzen sollten.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Wenn einem nichts mehr einfällt, argumentiert man so!)

Wir wollen jedenfalls die Erfolge, die wir erzielt haben, mit der Wirtschaft, mit der Gesellschaft in diesem Land fortsetzen. Wir müssen sie fortsetzen. Als Vorreiter beim Ausstieg aus der Kohleverstromung sollen die CO2-Emissionen allein bei der Kohleverstromung bis 2030 um bis zu 70 % reduziert werden.

Kernelemente unserer Energieversorgungsstrategie sind ein zügiger Netzausbau, moderne Speichertechnologien, eine flexiblere Nachfragegestaltung, der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Nutzung von Gas als Brückenenergie; wir haben das hier vorgetragen.

All das sind ambitionierte Ziele. Erreichen können wir sie in angemessener Zeit nur, wenn wir die Verfahren beim Auf‑ und Ausbau erneuerbarer Energien vereinfachen und beschleunigen. Dafür setzen wir uns, wie Sie wissen, auch beim Bund nachdrücklich ein.

Deshalb werden wir noch in diesem Jahr unser fünftes Entfesselungspaket vorlegen, mit dem wir die Energiewende in unserem Land unkompliziert, pragmatisch und beschleunigt umsetzen wollen.

(Marc Herter [SPD]: Werden dann die Entscheidungen der letzten Entfesselungspakete zurückgenommen? Das ist interessant!)

Dabei muss es selbstverständlich auch darum gehen, zusätzliche Potenziale zu erschließen und zu nutzen.

In gleicher Weise – das ist bereits gesagt worden – haben wir in Nordrhein-Westfalen die Mittel für Klimaschutz seit 2017 verfünffacht. Wir haben die Landesinitiative IN4climate.NRW eingerichtet, die Elektromobilität in Nordrhein-Westfalen massiv ausgebaut und unterstützen Städte und Gemeinden bei ihren Klimaschutzaktivitäten, indem wir Ihr Programm von 100 Millionen Euro fast verdoppeln: Wir haben es auf 180 Millionen Euro erhöht. Das sind konkrete Maßnahmen, mit denen wir handeln.

Wir haben uns außerdem ganz massiv in die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingebracht. Frau Brems, Sie werden sehen: Auch die Leerstelle im Entwurf zur Braunkohle wird noch gefüllt werden; da können Sie versichert sein.

Sie haben Datteln erwähnt. Daran zeigt sich doch erneut, wie sehr Ideologie daran hindert, CO2 wirksam abzubauen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn es nämlich jetzt gelänge, dass der Bund das modernste Steinkohlekraftwerk noch bis 2038 oder vielleicht nur bis 2035 ans Netz ließe und gleichzeitig die ältesten Steinkohlekraftwerke vom Netz gingen, könnten wir Millionen Tonnen CO2 einsparen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nur Ihre Ideologie lässt das nicht zu.

Deswegen kann ich hier nur raten: Wir können nur gemeinsam Erfolge erzielen. Wir haben Chancen dazu, wir müssen nur die Vernunft nutzen und die Ideologie zur Seite stellen. Es wäre schön, wenn das im Hohen Hause insgesamt gelingen könnte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächstem Redner erteile ich für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Sundermann das Wort.

Ich weise darauf hin, dass allen Fraktionen aufgrund der Redezeitüberschreitung der Landesregierung 1:30 Minuten mehr zur Verfügung stehen.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen Ball aufnehmen, den Herr Rehbaum gespielt hat; das war vielleicht der einzige Pass, der angekommen ist.

(Henning Rehbaum [CDU]: Danke!)

Sie haben gesagt, dass Sie sich bei allen Beteiligten bedanken wollen. Ich möchte das an dieser Stelle auch tun, und die Adressaten meines Dankes eindeutig benennen:

Ich möchte mich bei der ehemaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, bei Johannes Remmel und bei Garrelt Duin bedanken, denn die haben es geschafft, dass wir die Ziele erreicht haben.

(Beifall von der SPD)

Ich kann das auch an dem einen oder anderen Beispiel deutlich machen; wir können es auch an anderer Stelle noch einmal intensiv diskutieren.

Zum Bereich „Windkraft“, der sicherlich dazu beigetragen hat, dass deutlich mehr erneuerbare Energie ins Netz kommt: Wir haben schon häufig darüber diskutiert, dass Sie die Windkraft in Ihrer ersten Regierungszeit von 2005 bis 2010 abgewürgt haben. Wir haben in diesem Bereich für einen Neustart gesorgt und deutlich angezogen. Nun haben wir aus vielerlei Gründen keine Windkraft mehr.

Wenn Sie jetzt sagen, dass wir die Ziele erreicht haben, müssen wir doch feststellen – jedenfalls ist das eine Frage, die Sie vielleicht beantworten können –: Ich habe den Eindruck, dass aktuell keine Kilowattstunde in Ihrer Regierungszeit ans Netz gegangen ist, für die Sie auch den Genehmigungsrahmen geschaffen haben. Darüber müsste man vielleicht auch einmal sprechen. Sie haben da im Prinzip nichts bewirkt.

Wenn Sie jetzt Krokodilstränen vergießen und sagen, dass der böse Bund es Ihnen nicht erlaubt, nimmt Ihnen das doch niemand ab. Sie sind doch angetreten, wie auch schon 2005, um die Windkraft in diesem Land kaputtzumachen.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Was für ein Unsinn!)

– Das ist kein Unsinn, Herr Laschet, das ist doch Ihre Intention gewesen. So sind doch Ihre Leute auch unterwegs gewesen. Das ist kein Unsinn, sondern die Wahrheit, und das ist ein Unterschied. Da können Sie tausendmal abwinken – Ihre Leute lassen sich da draußen dafür abfeiern, dass Sie die Windkraft in diesem Land abgewürgt haben. Das ist die Wahrheit.

(Unruhe – Ralph Bombis [FDP]: So ein Quatsch! – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Armin Laschet, Ministerpräsident: Auf Menschen Rücksicht zu nehmen, ist nicht „abschaffen“! – Ralph Bombis [FDP]: Sonst sind die Populisten die Profiteure!)

Wir können über das Thema „Windkraft“ gerne noch mal intensiver diskutieren, aber Wahrheit bleibt eben Wahrheit.

(Beifall von der SPD)

Ich würde gerne noch auf einen weiteren Bereich eingehen, dem wir uns als Landesregierung unter rot-grüner Ägide gewidmet haben – die Kollegin Brems hat ihn auch schon angesprochen –, und zwar die Sicherheitsbereitschaft. Die Sicherheitsbereitschaft in der Braunkohle gilt nun durchaus als Blaupause für das, was wir im Zuge der WSB-Umsetzung machen müssen.

Alle, die diese Prozesse begleitet haben, wissen, dass das nicht ganz einfach war. Diese fünf Blöcke mit 1,4 Gigawatt, die wir vom Netz genommen haben, sorgen dafür, dass 7 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen werden. Dafür gilt der Dank Herrn Gabriel und Herrn Duin, die das – übrigens sehr dialogisch – durchgezogen haben. Am Ende des Tages hat es uns allen auf dem Weg geholfen, die Klimaziele zu erreichen.

Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu dem Ziel von 55 %, das Sie jetzt auflegen: Das findet unsere volle Unterstützung. Man müsste aber natürlich danebenlegen, wie viel von dem schon eingepreist ist, was wir über die WSB machen. Da haben wir natürlich schon eine Menge getan.

In Zukunft werden wir auch darüber diskutieren – vielleicht auch im Zuge einer Fortschreibung der Versorgungsstrategie –, was wir als Nordrhein-Westfalen über das hinaus, was die WSB-Kommission festgelegt hat, noch tun müssen, um diese 55 % zu erreichen.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Gedanken einpflegen. Ich gehe davon aus, lieber Ralph Bombis, dass ich Sie vorhin falsch verstanden habe. Sie haben so eine alte Argumentation wiederholt, die häufig von Ihrem Kollegen Brockes und teils auch von Ihnen angebracht wird, dass wir vor einem globalen Problem stünden und es im Grunde nichts bringe, auf Länderebene oder auf lokaler Ebene Regelungen zu treffen.

(Ralph Bombis [FDP]: Nein, man muss es richtig tun!)

– Sehen Sie, dann haben Sie eben nicht verstanden, dass wir es richtig gemacht haben.

(Lachen von Ralph Bombis [FDP])

Dann liegen wir hier wenigstens nicht weit auseinander. Wir haben so viele engagierte Leute in ganz vielen lokalen Gruppen. Wenn Sie denen im Grunde den Nutzen ihres Engagements absprechen würden, würde ich das sehr schade finden.

(Ralph Bombis [FDP]: Ach bitte, Herr Kollege!)

– Wenn Sie das gerade korrigiert haben, nehme ich es erfreut zur Kenntnis.

(Ralph Bombis [FDP]: Das ist ja unterirdisch!)

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas Allgemeines dazu sagen, wie wir Ihre Klimaambitionen einschätzen. Es ist immer auch eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Es geht um ein Thema, das aktuell stark en vogue ist, und das Sie auch belegen. Das ist politisch erst einmal nicht verkehrt, aber entscheidend ist ja gerade bei diesem Thema, wie nachhaltig und glaubwürdig Sie es tun.

Da lohnt sich ein Blick in Ihren Koalitionsvertrag. In dem haben Sie das Thema „Solarenergie“, das Sie heute immer wieder ins Schaufenster stellen, vergessen. Das Klimaschutzgesetz findet fast überhaupt keine Erwähnung; Sie erwähnen es lediglich unter dem Spiegelstrich „Bürokratieabbau“.

Sie haben hier in ganz vielen Debatten immer wieder den Zusammenhang geleugnet, dass Klimaschutz Innovationen auslöst. Mittlerweile ist das Ihr Hauptthema; Sie sagen das immer wieder. Sie haben es immer wieder geleugnet. Sie haben nie gesagt, dass der Klimaschutz Innovationen fördert.

Letztlich ist es doch so: Wenn wir im Klimaschutz innovativ sind, steigern wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Das haben Sie heute auch verstanden; damals hatten Sie es offenbar nicht verstanden.

Vor diesem Hintergrund nehme ich Ihnen das Wollen nur bedingt ab. Ob Sie es können, müssen Sie beweisen. –

(Dietmar Brockes [FDP]: Haben wir schon!)

Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.

Daniel Sieveke*) (CDU): Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! So eine Aktuelle Stunde dient auch dazu, dem anderen zuzuhören, aktuell einzugehen. Sehr geehrte Frau Brems, es ist Fairness, dem Redner zuzuhören. Sie haben dem Kollegen Rehbaum knapp dreieinhalb Minuten nicht zugehört, indem Sie durch den Saal gerannt sind, hinter die Balustrade gegangen sind.

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

Wenn das Ihr Beitrag ist, sich in die aktuelle Debatte einzuschalten und sich mit der Rede vom Kollegen Rehbaum auseinanderzusetzen, dann weiß ich es auch nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Genau das ist es nämlich. So eine Aktuelle Stunde dient dazu, dem Redner zuzuhören, auch den feinen Nuancen, nicht wie in den typischen Parteitagsreden – da haben Sie ja genug noch zu tun in den nächsten Wochen –, sondern zuzuhören: Was deutet er an?

Ich bin davon überzeugt, Sie haben immer noch ein Problem mit der Wirtschaft. Für Sie ist Wirtschaft dieser große, alte Mann, der die Taschen voll Geld hat, sich nicht um seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert.

Gerade Herr Rehbaum hat es fein herausgearbeitet. Wenn er von Begeisterung spricht, von Gewinnern, dann spricht er bei der Wirtschaft, beim Mittelstand nicht nur den Firmenchef, die Führungsetage an, sondern vor allem auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die das erwirtschaften, was wir hier als Politiker, als Landtag von Nordrhein-Westfalen auskehren und letztendlich auch mit unterstützen. Und das ist der Unterschied.

(Beifall von der CDU)

Herr Stinka, ich wollte gerade schon sagen, Sie haben Ihrem Namen alle Ehre gemacht. Man kann ruhig stänkern in so einer Rede. Aber das, was Sie gemacht haben, ist ein Beispiel für Verrohung der Sprache.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben dem Redner Rehbaum eben gesagt, er möge zum Arzt gehen bei so einer Rede. Ich glaube, das ist schon Anlass genug, um sich hier vor diesem Parlament und bei Herrn Rehbaum öffentlich zu entschuldigen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Warum das? – Ja, da lachen Sie.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Wissen Sie, Herr Rehbaum spricht die ganze Zeit von Begeisterung. Und das ist der Unterschied zwischen dieser Landesregierung, diesen regierungstragenden Fraktionen und Ihrem Regierungshandeln:

Begeisterung auslösen bedeutet nämlich auch – da danke ich dem Wirtschaftsminister –, von Entfesselung zu sprechen, davon, dass die Wirtschaft Spaß daran hat, in Nordrhein-Westfalen zu bleiben, sich an den Klimaaktivitäten zu begeistern, weil sie die Notwendigkeit sieht, aber auch Spaß daran hat, sich an diesem Fortschritt zu beteiligen, technische Innovationen zu leisten – all das haben die Vorredner von CDU und FDP gesagt, da haben Sie auch nicht zugehört – und nicht mehr die Frage zu stellen, ob es den Klimawandel gibt, sondern zu sagen, es gibt den Klimawandel, also nicht zu fragen, ob es notwendig ist, in diesem Bereich etwas zu tun – dazu komme ich gleich –, sondern, wie man es machen kann. Und das Wie ist der entscheidende Part.

Gestern gab es übrigens die dpa-Meldung: Nordrhein-Westfalen will grüner als die Grünen werden. – Hoffentlich nicht. Wir wollen hier nicht in baden-württembergischen Verhältnissen landen, dass man die Ziele nicht erreicht, sondern wir wollen besser werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Maß und Mitte bedeutet nämlich, mit Vernunft die Menschen zu begeistern, den notwendigen Weg zu gehen. Liebe Vertreterinnen von Bündnis 90/Die Grünen – oder darf ich gar nicht mehr Bündnis 90 sagen? –, das bedeutet, den Menschen reinen Wein einzugießen. Denn Ihre Bevormundungspolitik führt nicht zu Akzeptanz in der Bevölkerung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann komme ich zur Windkraft. Ich bin Ihnen zunächst, Frau Brems, dankbar. Denn Sie haben eben gesagt, wo auch ein Problem liegt, nämlich beim Exportschlager der nordrhein-westfälischen SPD, bei Svenja Schulze. Denn die könnte das alles unterstützen und untermauern. Sie brauchen gar nicht die größte Gruppe, die NRW-Gruppe, anzusprechen, sondern einzig und allein Svenja Schulze. Ihr tolles Bild!

(Monika Düker [GRÜNE]: Den Wirtschaftsminister stellen aber schon Sie! Herr Altmaier ist bei der CDU!)

Was hat sie gemacht? – Sie torpediert letztendlich dort, wo es notwendig ist, den Windkraftausbau, was nicht zur Akzeptanz führt.

(Michael Hübner [SPD]: Quatsch!)

Ich darf Ihnen auch mal Zahlen vorlesen, weil Sie, Herr Sundermann, eben gesagt haben, wir würden vor Ort den Windkraftausbau torpedieren. Ich komme gleich dazu. Als Paderborner kann ich Ihnen dazu einiges sagen und möchte Ihnen auch einiges dazu sagen.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

– Hören Sie doch erst einmal zu! Von 325 Rechtsstreitigkeiten gegen Windkraftanlagen in ganz Deutschland sind 234 auf Artenschutzproblematiken zurückzuführen. Jetzt können wir uns gerne mal darüber unterhalten, ob das die Vorortorganisationen der CDU und der FDP sind.

(Zurufe von der SPD)

– Also, BUND und NABU werden jetzt dem CDU-Lager und FDP-Lager zugesprochen? Okay, wir werden uns davon überzeugen.

Nein, vor Ort machen Sie das über diese Initiativen, um das zum Windkraftausbau deutlich zu machen. Was Sie erreicht haben – weswegen diese Koalition auch mit einem Windkraftausbau mit Maß und Mitte angetreten ist –, ist, dass Sie die Akzeptanz beispielsweise im Sauerland und in Ostwestfalen-Lippe, ganz voran Höxter und Paderborn, nicht erreicht haben. Sie haben die Menschen gegeneinander aufgebracht –

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

mit einem zügellosen Windkraftausbau, wozu selbst der Landesverband Erneuerbare Energien sagt: So, wie man es dort gemacht hat, darf man es nicht machen; so wird man keine Akzeptanz finden. – Kommen Sie doch einmal vor Ort und sprechen Sie mit den Menschen!

(Wibke Brems [GRÜNE]: Ich bin doch da! Da gibt es nicht das Problem, das Sie behaupten, Quatsch!)

Ich spreche nicht gegen die Windkraftbauern, die letztendlich das machen, was Ihnen erlaubt wurde, sondern: Sie haben nicht regiert. Herr Stinka, Sie haben es eben gesagt: Regieren bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen. Sie haben eine Entscheidung getroffen, nämlich die Länderöffnungsklausel einfach nicht zu ziehen. Sie haben nämlich nicht gelenkt, Sie haben in Ihrem Regierungshandeln nicht die Entscheidungen getroffen,

(Christof Rasche [FDP]: Mutlos!)

um die Kommunen in die sichere Situation zu bringen, auch zu entscheiden, wo es Sinn macht und wo es keinen Sinn macht.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, schenken Sie den Menschen doch reinen Wein ein. Eben habe ich mich gewundert: der Hambacher Forst, eine Entscheidung auch dieses Ministerpräsidenten? – Wissen Sie, was diese Koalition ausmacht? Dass man miteinander auch um die besten Positionen ringt, dass dieser Ministerpräsident eben nicht jedem nach dem Mund redet und auch in den eigenen Reihen für Positionen werben muss, Akzeptanz auch in den eigenen regierungstragenden Fraktionen erreichen muss – genauso, wie es die FDP auch in ihren Reihen machen muss. Das bedeutet das.

Aber Sie haben Entscheidungen getroffen und letztendlich auch um Akzeptanz bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rheinischen Revier geworben und dann durch Populismus und die Art, wie Sie beim Hambacher Forst agiert haben, letztendlich die Menschen vor Ort im Regen stehen gelassen, allein gelassen, bis dahin, dass Sie gegen die Polizei und alle anderen antreten.

Woran mache ich das fest? Auf der Seite „Wir sind Systemwandel“ liked die grüne Jugend das auch noch: Aktivitäten gegen die Polizei, Gewalt gegen die Polizei. – Ist das Ihr Klimawandel? Wenn das Ihr Klimawandel ist, dann sage ich: Hoffentlich wird dieses Land Nordrhein-Westfalen nicht grüner als die Grünen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn wir wollen die Akzeptanz in der Bevölkerung haben, um die notwendigen Schritte gemeinsam zu gehen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Kollege Sieveke.

Daniel Sieveke*) (CDU): Ich komme zum Schluss.

Das macht erfolgreiche Politik aus: gemeinsam mit der Wirtschaft und vor allem gemeinsam mit den Menschen in diesem Land. – Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal finde ich es ja positiv – um mal mit etwas Positivem einzusteigen –, dass sich hier offenbar inzwischen alle im Parlament am Überbietungswettbewerb beteiligen, wer denn nun der beste Klimaschützer ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

– Alle demokratischen Fraktionen, sagen wir es einmal so. Da sind schon einmal ein Stück weiter, als wir es noch vor Jahren waren.

Aber, Herr Pinkwart und die Kollegen von FDP und CDU, Ihren Anspruch, den Sie hier heute formuliert haben, nun die allergrößten Vorreiter beim Klimaschutz in NRW zu sein – beim besten Willen, Herr Pinkwart, die Fakten sprechen dagegen –, können Sie nicht erfüllen, allen Bekenntnissen und allem Selbstlob, das Sie sich heute wieder selbst ausgesprochen haben, zum Trotz.

Die Fakten: Herr Laschet, wo waren Sie denn, wo war denn das Energieland NRW in Berlin, als dieses mickrige Klimapäckchen auf den Weg gebracht wurde? Nein, Herr Pinkwart, mit diesem Klimapäckchen werden die Pariser Klimaschutzziele nicht erreicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Fakten sprechen doch dagegen. Das Klimapaket wird nur maximal – und das sind optimistische Berechnungen – ein Drittel der vorgeschriebenen Einsparungen mit diesen Maßnahmen erreichen.

In dem Klimaschutzgesetz, das Sie hier eben so gelobt haben, steht: Die Sektoren müssen regelmäßig im Kabinett berichten. – Eine Berichtspflicht. Wow! Und was passiert, wenn im Bericht steht: „Wir haben die Ziele nicht erreicht“? – Gar nichts. Dieses Klimaschutzgesetz ist ein zahnloser Tiger und wird nicht dazu beitragen, dass die Ziele erreicht werden können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt kommt es noch besser bei der CO2-Bepreisung. Die Anhörung im Bundestag hat es doch gezeigt. Es geht nicht nur darum, dass 10 Euro zu wenig sind. Die Anhörung im Bundestag hat gezeigt: Das ist nicht verfassungsfest, ist verfassungsrechtlich hochproblematisch. Dieses Gesetz wird Karlsruhe wahrscheinlich nicht überstehen.

Also: Mit diesem Klimaschutzpaket lassen sich die Pariser Klimaschutzziele hier in Deutschland nicht umsetzen.

Herr Laschet, das Allerschlimmste, was wir jetzt gerade in den Straßenbahnen finden konnten, ist dieser Referentenentwurf zum Kohleausstieg. Wo waren Sie denn da? Sie haben angekündigt: Ich setze mich in Berlin für eine Eins-zu-Eins-Umsetzung des Kommissionsberichtes ein.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Das, was wir im Referentenentwurf aus dem Hause Altmaier – das ist kein Grüner, sondern Ihr Parteikollege – jetzt lesen konnten, ist das Gegenteil. Mit diesem Referentenentwurf wird das Kommissionsergebnis nicht umgesetzt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch hier wieder ein Faktencheck. Man muss sich das mal vorstellen: Da sitzt eine Kommission aus Unternehmen über Greenpeace bis zu den Gewerkschaften und einigt sich auf einen Kompromiss, und dann braucht diese Regierung, weil sie vorher nicht geliefert hat, über neun Monate, um diesen Referentenentwurf vorzulegen, in dem zu dem zentralen Element, nämlich dem Braunkohleausstieg, nichts steht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das stimmt doch gar nicht!)

Da stehen ein paar Pünktchen. Das hat doch Herr Pinkwart gerade gesagt: Das wird dann irgendwie im Gesetzgebungsverfahren eingebracht.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Ja!)

Neuneinhalb Monate schafft es diese Bundesregierung nicht, diesen eindeutigen Beschluss dieser Kohlekommission in ein Gesetz zu gießen.

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Das ist Politikversagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da hat NRW in Berlin offenbar keine Rolle gespielt. Dann können Sie hier doch nicht Ihre altbekannten Bekenntnisse zur Eins-zu-Eins-Umsetzung vortragen. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr. Also: zur Braunkohle gar nichts.

Herr Laschet, die Menschen im Rheinischen Revier erwarten eine Antwort. Die liefert die Bundesregierung hier nicht. Sie vertreten das größte Bundesland. Wir sind das Energieland Nummer eins. Die Menschen im Rheinischen Revier, die Menschen in den Dörfern, die von Umsiedlung bedroht sind, brauchen jetzt eine Antwort. Liefern Sie sie. Setzen Sie sich in Berlin dafür ein, dass das auch umgesetzt wird, was die Kommission entschieden hat! Und wenn wir das umsetzen – das zeigen alle Berechnungen –, dann können die Dörfer erhalten werden, kann der Wald erhalten werden,

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

und dann können wir hier endlich anfangen, in den Strukturwandel einzusteigen. Das dauert doch alles viel zu lange. Machen Sie da mal Druck in Berlin!

(Beifall von den GRÜNEN)

Offenbar hat der designierte Kanzlerkandidat bei seinen eigenen Parteifreunden doch nicht so viel zu sagen.

Auf den 1.000-Meter-Abstand ist die Kollegin Brems eingegangen.

Herr Pinkwart, Sie sprechen von thyssenkrupp und vom klimaneutralen Stahl. Dieser klimaneutrale Stahl wird vielleicht irgendwann nicht wegen, sondern trotz Ihrer Politik an den Start gehen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Denn für diesen klimaneutralen Stahl brauchen Sie genau die erneuerbaren Energien, die Sie hier sowohl auf Landesebene wie auch jetzt auf Bundesebene zum Erliegen bringen

(Beifall von den GRÜNEN)

mit dem Abwürgen der Windenergie. Genau diese erneuerbaren Energien werden für diesen Stahl gebraucht.

(Ralph Bombis [FDP]: Für Sie sind Erneuerbare immer nur Wind! Aber das ist mehr!)

Letzte Bemerkung zum Steinkohleausstieg: Hierzu sind die verbindlichen Rahmenbedingungen aus dem Referentenentwurf offenbar irgendwie verschwunden. Da darf sich jetzt jeder bewerben, ein Kohlekraftwerk abzuschalten. Aber am Ende fehlt auch hier ein verbindlicher Rahmen.

Dieser Referentenentwurf, Herr Laschet, ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich in der Kommission für einen breiten gesellschaftlichen Konsens für einen sozialverträglichen Kohleausstieg, für einen ökologischen Kohleausstieg und für einen wirtschaftspolitisch verantwortbaren Kohleausstieg eingesetzt haben.

Wenn dieser Referentenentwurf in der Großen Koalition durch das Kabinett geht, dann sage ich auch in Richtung SPD: Wo ist da Ihre Umweltministerin? Wenn sich die GroKo, wenn sich die SPD an diesem Referentenentwurf beteiligt, na dann gute Nacht. Das ist auch für NRW eine schlechte Lösung. Damit werden wir die Energiewende nicht schaffen.

Ich sage sowohl in Richtung SPD als auch in Richtung CDU: Übernehmen Sie Verantwortung. Nehmen Sie das Ergebnis der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ endlich ernst!

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): Machen Sie das, was Sie ständig sagen, und setzen Sie es eins zu eins um! – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockes.

(Michael Hübner [SPD]: Jetzt kommt Atomkraft!)

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Frau Düker, auch wenn Sie eigentlich gar nicht zu dem Thema der Aktuellen Stunde gesprochen haben,

(Beifall von der FDP und der CDU)

lassen Sie mich doch einen Satz dazu sagen: Es ist gerade wieder einmal sehr deutlich geworden, wie händeringend Sie nach einem Weg suchen, um aus diesem hervorragenden Kohlekompromiss auf Bundesebene auszusteigen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist Ihr eigentliches Ziel. Sie wollen dort raus, Sie wollen etwas anderes, als es dort vereinbart ist. In der heutigen Debatte zu der Aktuellen Stunde, die wir beantragt haben, im Zusammenhang mit diesen Fakten, die wir Ihnen vorgelegt haben, aus Ihren Redebeiträgen, aber auch nach dem, was Sie im Vorfeld der Presse zugespielt haben, ist deutlich geworden, wie groß Ihre Verärgerung darüber ist, dass wir unsere Ziele so deutlich einhalten und sogar übertreffen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da werden extra Praktikanten ins Archiv geschickt, um für die Presse Reden aus 2013 herauszusuchen, aus Zeiten, in denen es zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen noch gar nicht gab.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das hat doch mit dem Klimaabkommen nichts zu tun!)

Wenn hier einzelne Ausschnitte herausgegriffen werden – zum Beispiel aus einer Rede des Kollegen Höne –, dann muss man an dieser Stelle deutlich machen, dass wir Liberale immer gesagt haben, dass wir alleine, regional dem Problem nicht gerecht werden können, sondern dass wir globale Lösungen brauchen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deswegen ist es doch gut und richtig, meine Damen und Herren, dass wir das Pariser Klimaabkommen haben. Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass auch wirklich alle dabei mitmachen, und das geht über die Energiepolitik hinaus, da sind wir nämlich bei der Außenpolitik. Das ist Sache der Bundesregierung, und da hilft es natürlich nicht, wenn man zum Beispiel die großen Leistungen der USA für die deutsche Wiedervereinigung mal eben so vergisst. Hier ist die Außenpolitik gefragt, diplomatisch daran zu arbeiten, dass auch die Staaten, die sich nicht am Pariser Klimaabkommen beteiligen, noch mitmachen. Denn damit erreichen wir deutlich mehr für das Klima als mit den Punkten, die Sie heute angeführt haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Das haben Sie 2013 schon erzählt!)

Ich bin stolz und froh, dass wir in den Koalitionsvertrag so deutlich hineingeschrieben haben, dass Nordrhein-Westfalen zum Pariser Klimaabkommen steht und dass wir dazu unseren Beitrag leisten.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Mit 1.500 m Abstand!)

Da ist genau der Unterschied zu der vorherigen, grün-roten Politik in Nordrhein-Westfalen. Damals wurde auf eine reine Verbotspolitik gesetzt.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie machen nur Lippenbekenntnisse!)

Wir bringen Ökonomie und Ökologie in Einklang, und das auch mit sozialer Verantwortung. Das ist der richtige Weg, auf dem wir gemeinsam zum Ziel kommen.

Meine Damen und Herren, sehen wir uns an, was wir – wir haben es in dem Antrag zu der Aktuellen Stunde formuliert – geleistet haben. Wenn andere Bundesländer so ambitioniert an das Klimaziel herangegangen wären wie Nordrhein-Westfalen, wenn andere sich daran ein Beispiel genommen hätten, dann wäre es trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie vielleicht sogar auch möglich gewesen, auf Bundesebene die 2020-Ziele zu erreichen.

Wir haben das Beispiel von Baden-Württemberg angeführt. Baden-Württemberg hat von seinem Ziel der CO2-Minderung in Höhe von 25 % nur 11,6 % erreicht. Das ist ein Skandal. Wenn ich mir ansehe, wofür hier im Parlament teilweise Parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingerichtet werden, dann kann ich meinen Kollegen in Baden-Württemberg nur raten, zu dieser Frage, wie es sein kann, dass grüne Politik so erfolglos agiert, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will mich gar nicht so sehr an der Vergangenheit abarbeiten. Mich ärgert viel mehr, dass dort auch mit Blick auf die Zukunft nicht besser agiert wird. Im August kam die aus meiner Sicht erschreckende Nachricht, dass zum ersten Mal seit den 70er-Jahren in Deutschland wieder ein Ölkraftwerk gebaut wird. Ich sage es ganz deutlich: Aus meiner Sicht ist es klimatechnisch die größte Sauerei, die man sich vorstellen kann, ein Ölkraftwerk zu bauen. Dies geschieht durch den baden-württembergischen Konzern EnBW, an dem das Land 47 %, also fast die Mehrheit, hält.

Dieses Ölkraftwerk – auch in Bayern werden Kraftwerke gebaut, aber auf Gas-Basis – wird in Marbach mit grüner Regierungsverantwortung gebaut. Das ist wirklich ein Skandal. So etwas brauchen wir in Deutschland heute nicht mehr.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist so ein Irrsinn! An dem Standort in Marbach klagt gerade die Deutsche Umwelthilfe auf ein Dieselfahrverbot, um den erhöhten Stickstoffbelastungen in dieser Kleinstadt gerecht zu werden. Meine Damen und Herren, was ist das für eine grüne Politik, die dem kleinen Bürger das Auto verbieten will und gleichzeitig eine klimapolitische Dreckschleuder dorthin baut?

(Widerspruch von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist real existierende grüne Klimapolitik, und die wollen wir nicht haben! – Vielen Dank.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Das ist eine Lüge! – Monika Düker [GRÜNE]: Was für ein Niveau, das dürfen auch nur Männer! – Josefine Paul [GRÜNE]: Faktenfrei! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Leitsatz der AfD ist: Verstand statt Ideologie.

(Lachen von der SPD – Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Potzblitz!)

Sie aber, liebe Klimaangst-Parteien, gefährden mit Ihrer Ideologie die Existenz von 125.000 gut bezahlten Arbeitsplätzen in der energieintensiven Industrie: 125.000 Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung, 125.000 Familien, die Angst um ihre Existenz haben.

Denn in Ihrer blinden Klimaangst sehen Sie alle die einfachen Lösungen nicht. Sie wollen CO2 reduzieren, um damit die Welt zu retten. – Okay. Dann machen wir das doch ganz einfach. Aber dafür müssen Sie kein einziges Kohlekraftwerk abschalten, auch müssen Sie dafür kein einziges Windrad bauen, denn es gibt den EU-weiten Zertifikatehandel.

Jedes Unternehmen, das in der EU CO2 in die Luft pusten möchte, um Strom zu produzieren, muss dafür ein Zertifikat kaufen. Die Zertifikatemenge in der EU ist begrenzt und wird jedes Jahr reduziert. Wenn es weniger CO2-Zertifikate gibt, dann gibt es auch weniger CO2-Emissionen in der EU.

Sie müssen als Staat also einfach nur mit der EU in Verhandlungen treten, eine Vereinbarung schließen und die gewünschten Mengen, die Deutschland reduzieren möchte, aus dem Handel nehmen. Deutschland kauft also die CO2-Zertifikate auf und vernichtet sie. Das ist so einfach, dass es jedes Kind versteht.

Doch in Ihrer Klimaangst wollten Sie all die Jahre diese Lösung nicht sehen. Deshalb wurden stattdessen Kohlekraftwerke abgeschaltet und Windräder gebaut. Nur was hat Deutschland damit an CO2-Einsparungen erreicht? – Schauen wir uns dazu einfach mal die offiziellen Zahlen an: Laut Tabelle des Umweltbundesamtes wurden 2005 im Stromsektor 330 Millionen t CO2 in die Luft gepustet. Danach gingen die CO2-Emissionen zunächst sogar ein paar Jahre nach oben, beispielsweise auf 351 Millionen t im Jahr 2007. Dann ging es ein paar Mal auf und ab, und am Ende, im Jahr 2018, wird ein Wert von 273 Millionen t CO2 geschätzt.

Das sind, wie gesagt, Zahlen vom Umweltbundesamt. In den 14 Jahren von 2005 bis 2018 wurden in Deutschland in Summe ganze 239 Millionen t CO2 im Stromsektor eingespart. 239 Millionen t. Das hört sich nach einer richtig großen Zahl an.

Zum Vergleich: Weltweit werden pro Jahr aus natürlichen Quellen etwa 550 Milliarden – nicht Millionen–, 550 Milliarden t CO2 in die Luft gepustet, aus menschlichen Quellen kommen noch mal etwa 35 Milliarden t jährlich dazu. Und Deutschland hat es geschafft, in 14 Jahren in Summe ganze 239 Millionen t CO2 einzusparen. Wohlgemerkt, nicht pro Jahr, sondern in 14 Jahren.

Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: Was haben wir in Deutschland dafür bisher ausgegeben? – Die Antwort: 189 Milliarden Euro. 189 Milliarden Euro an Zusatzkosten für Windräder und Solaranlagen. Das sind die Mehrausgaben gegenüber Strom aus anderen Kraftwerken. Das Ganze hätte Deutschland aber auch viel billiger haben können.

Deutschland hätte einfach nur CO2-Zertifikate kaufen und vernichten müssen. Der Zertifikatepreis lag in all den Jahren im Durchschnitt bei 10 Euro. Die Gesamtkosten hätten damit bei 239 Millionen t mal 10 Euro, also bei 2,39 Milliarden Euro, gelegen.

Zum Vergleich: etwa 190 Milliarden Euro EEG-Kosten gegenüber 2,4 Milliarden Euro über eine Zertifikatelösung. Die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Sie hätten genau 239 Millionen t CO2 gespart. Stattdessen aber haben Sie sich für die EEG-Lösung entschieden und die gleiche CO2-Wirkung erreicht, indem sie 80 mal so viel Geld ausgegeben haben. Geld der Steuerzahler für Millionäre der Windindustrie – das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie gehen an das Thema mit Moral, Ideologie und Angst heran; wir von der AfD mit Verstand. Sie haben 187 Milliarden Euro an Volksvermögen vernichtet.

(Zuruf: Uuuh! – Lachen von Matthias Kerkhoff [CDU])

Sie hätten in all den Jahren die deutsche Entwicklungshilfe, das sind etwa 8 Milliarden Euro pro Jahr, verdoppeln können

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

und hätten immer noch 75 Milliarden Euro Volksvermögen eingespart. Wenn man also die Welt hätte retten wollen, hätte man das für einen Bruchteil des Geldes machen können. Doch um Weltrettung geht es Ihnen nicht, sondern nur um die Durchsetzung Ihrer Ideologie.

Wir bleiben lieber beim Verstand. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Verstand schon bemühen will, dann muss man auch zur Kenntnis nehmen,

(Karl Schultheis [SPD]: Man muss ihn gebrauchen!)

dass beim Windkraftausbau mittlerweile die Chinesen weltweit führend sind, dann kommen die Amerikaner – denen wir oft nicht viel zutrauen beim Klimaschutz –, und dann kommt die Bundesrepublik Deutschland.

Von hier aus sind viele Technologien entwickelt worden – auch im Bereich PV –, die den Weltmarkt erreicht haben und mit dazu beitragen, dass künftig siebeneinhalb bis acht Milliarden Menschen ihre Zukunft zunehmend auf erneuerbaren Energien aufbauen können. Wir haben in Deutschland Gott sei Dank die guten Köpfe, wir haben das Know-how, und wir können neue Technologien für Nachhaltigkeit weltweit entwickeln und an den Start bringen.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU], Matthias Kerkhoff [CDU] und Henning Rehbaum [CDU])

Das ist auch unser Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele. Deswegen reden wir nicht nur über Nordrhein-Westfalen. Wir reden über Deutschland, wir reden über Europa, wir reden über die globalen Herausforderungen unserer Zeit und wir überlegen uns, wie wir unsere Beiträge leisten können. Es ist völlig klar, dass wir – das habe ich einleitend gesagt – nur mit der Industrie und mit den Menschen zusammen diese Ziele werden erreichen können.

Deswegen stimmen wir uns mit der Bundesregierung eng ab, und wir stimmen uns eng ab mit der Europäischen Kommission. Wir wollen dort faire Regelungen für unsere Industrie haben, damit sie, wenn sie sich frühzeitiger als andere an höhere Standards anpasst, ein Level Playing Field bekommt, Carbon Leakage vermieden wird und vieles mehr. Das gehört mit zu unserer heutigen Debatte. Es ist natürlich sehr gut, wenn deutlich gemacht wird, dass sich alle oder zumindest große Teile des Hauses zum Klimaschutz bekennen.

Liebe Frau Düker, Sie tragen hier vor, die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung seien für das Erreichen der großen Ziele eher geringzuschätzen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Genau! Das ist so!)

Dann frage ich Sie und Ihre Fraktion, liebe Frau Düker: Warum sind Sie denn bei dem Klimaschutzgesetz 2013, das ich für eine gute Grundlage halte, hingegangen … Ich will das gar nicht in Richtung der SPD sagen, weil die dort 2008 etwas kritischer aufgestellt war.

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

Meine geschätzte Kollegin Christa Thoben hat für die damalige schwarz-gelbe Landesregierung im Jahre 2008 hier im Hohen Hause eine Energie- und Klimaschutzstrategie für Nordrhein-Westfalen mit einem CO2-Minderungsziel bis 2020 von minus 32 %

(Zuruf von Christof Rasche [FDP] – Zurufe von den GRÜNEN)

und einen Maßnahmenplan vorgelegt. Sie haben sich dann 2013 in Ihrer Koalition ein bisschen hasenfüßig von so einem ambitionierten Ziel verabschiedet und gesagt: Nehmen wir mal lieber 25 %. Dann haben wir vielleicht bessere Chancen, es zu erreichen.

Ich will das nicht kritisieren, besser ein weniger ambitioniertes Ziel erreichen als ein ambitioniertes Ziel nicht erreichen. Aber Sie können sich doch jetzt nicht hier hinstellen und sagen, Sie hätten den Klimaschutz nicht nur erfunden, sondern auch massiv vorangetrieben. Sie sind unter den Zielen geblieben, die sich Schwarz-Gelb damals für Nordrhein-Westfalen vorgenommen hatte.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Das gilt nicht nur mit Blick auf Nordrhein-Westfalen – das ist der entscheidende Punkt –,

(Zuruf: Pinocchio!)

sondern weil wir wussten, dass Deutschland sich ein ehrgeiziges Ziel für 2020 in Europa setzen wollte, mussten wir ehrgeiziger sein. Das war uns klar, das war vorgegeben.

Ich habe vorhin schon gesagt: Wir tragen ein Drittel dazu bei. Es ist völlig klar: Wenn wir da nicht mitmachen, wird auch Deutschland sein Ziel nicht erreichen können. Deswegen müssen wir hier noch einmal festhalten: Wenn ein Industrieland wie Baden-Württemberg nicht mitmacht, fällt es Deutschland schwer, Ziele zu erreichen.

Statt jetzt hier also neue Vorhaben als unzureichend zu beklagen, geht es erst einmal darum, sich selbst zu fragen, ob man hinreichend gehandelt hat.

Wir waren damals ambitioniert, wir bleiben ambitioniert, und wenn wir Glück haben und alle zusammenarbeiten, kommen wir bis 2020 vielleicht sogar in die Nähe des damaligen Zieles von Christa Thoben. Ich würde mich riesig freuen, wenn das – mit der Industrie und mit den Menschen in diesem Land – gelänge.

Dazu trägt ganz sicher bei – das ist in der Debatte richtig gesagt worden –, dass wir jetzt das Ergebnis der WSB-Kommission erhalten. Der Ministerpräsident hat zu Recht gesagt, das werde eins zu eins umgesetzt und das komme in diesem Paket. Ich habe es hier vorgetragen: Was Sie in der Straßenbahn vorgefunden haben, hat zur Braunkohle natürlich noch eine Leerstelle.

Sie stellen sich hin, liebe Frau Düker, und erzählen uns, es wäre ein Skandal, dass dies in neuneinhalb Monaten noch nicht vorliege. Da kommt der Kollege Sundermann und feiert sich, dass Herr Gabriel und Herr Duin diese Sicherheitsbereitschaft danach durchgesetzt hätten,

(Monika Düker [GRÜNE]: Das sehen wir anders!)

das sei ein toller Coup.

Wissen Sie, worum es damals ging? – Es ging um 2,5 GW Kohleverstromung. Dafür haben Sie, Rot-Grün, und Herr Gabriel damals zwei Jahre gebraucht.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Jetzt geht es um 42 GW Strom, und die Bundesregierung mit dem Land und allen Beteiligten legt das in weniger als einem Jahr vor.

Anerkennen Sie doch bitte einmal, was andere bereit sind, auch für Ihre Ziele, die Sie anstreben, zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben eine Chance, ambitioniert zu bleiben, für diese Periode, aber auch mit Blick auf 2030. Ich hatte gesagt, wir als Landesregierung versuchen wie der Bund in Richtung 55 % zu gehen. Bevor wir das aber hier beschließen, wollen wir mit allen Beteiligten im Land darüber reden. Wir wollen versuchen, die Menschen, die Unternehmen dafür zu gewinnen, durch Innovation, durch die Bereitschaft zur Transformation einen Beitrag dazu zu leisten, dass auch über diesen Weg die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen weltweit gestärkt werden kann.

Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt und dass wir hier mutig an einem wirksamen Klimaschutz aus und für Nordrhein-Westfalen weiterarbeiten können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Professor Dr. Pinkwart. – Für die SPD-Fraktion hat noch einmal Herr Kollege Stinka das Wort.

André Stinka (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, ich möchte mich nicht entschuldigen. Herr Rehbaum hat vorhin mit dem Thema „DNA im Erbgut der CDU“ angefangen, dass die Schöpfungsbewahrung so hoch steht. Davon konnten wir leider nichts sehen. Und dann muss man, wenn man Probleme hat, zum Arzt. Dabei bleibe ich auch. Von daher wird sich da nichts ändern.

(Beifall von der SPD)

Herr Pinkwart, zu Ihrer Rede – ich bin damals dabei gewesen, und Hannelore Kraft ist ja auch hier im Raum –: Warum haben wir uns als rot-grüne Landesregierung damals auf 25 % verständigt? – Weil Sie schon damals, nämlich zwischen 2005 und 2009, den gleichen Fehler gemacht haben wie heute: Sie haben den Menschen viel versprochen – 33 % – und in der gleichen Sitzung die Windkraft beschnitten.

(Marc Herter [SPD]: Genau so ist es!)

Ich sehe noch, wie Herr Wittke hier saß. Das ist Sand-in-die-Augen-Streuen. Seitdem hat sich Ihre Politik nicht geändert. Sie scheuen den Konflikt,

(Beifall von der SPD)

den Menschen zu sagen, in welche Richtung die Politik gehen soll.

Herr Sieveke war ja entlarvend, als er vorhin von einem zügellosen Windkraftausbau sprach. Es herrscht immer noch Recht und Gesetz.

Ich komme aus dem Münsterland. Da sind wunderbare Windvorranggebiete organisiert worden. Wir haben das mit den Menschen gemacht. Das ist kein einfacher Weg – das ist klar –, aber man muss den Leuten klar sagen, in welche Richtung es geht. Ein Abstand schafft keine Akzeptanz, sondern er schafft Unsicherheit bei den Gemeindeverwaltungen,

(Beifall von der SPD)

Unsicherheit bei den Regierungspräsidien und streut den Leuten Sand in die Augen. Welchen Weg will man denn beschreiten, wenn man klimaneutral – was der Minister hier immer wunderbar ausführt – sein will?

Ich habe vorhin gesagt: Ein Ansatz Baggersee mit Photovoltaik ist ja schön – ich stelle mir das bei mir in Haltern wunderbar vor –, aber wie soll das alles organisiert werden? Sie bekommen ja nicht einmal den Leitungsausbau hin. Wie wollen Sie das denn organisieren?

(Beifall von der SPD)

Das müssen Sie den Menschen sagen.

Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt, dass es natürlich Konflikte gibt, wenn sich Landschaft ändert, wenn sich die Stromversorgung ändert. Aber man muss doch ein Ziel vor Augen haben, in welche Richtung man gehen will.

Sie haben seit 2005 kein Ziel. Das haben wir heute hier gesehen, und Herr Sieveke hat das auch noch einmal deutlich gemacht. Sie müssen sich Ihre Reden noch einmal anhören. Sie reden zwar immer von Begeisterung, führen dann aber 100 Bedenken auf, was alles passieren könnte.

Wir haben – Norbert Römer ist auch im Saal – den Fortschrittsmotor Klimaschutz hier auch mit der Industrie besprochen. Ich selbst bin IG-BCE-Mitglied. Was meinen Sie, wie kompliziert das mit den energieintensiven Unternehmen war. Aber man muss sich der Aufgabe stellen.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Dafür ist man gewählt. Dafür muss man den Rücken gerade machen. Sie hingegen formulieren Ziele und hinterlegen diese nicht. Das zerstört Akzeptanz. Dann ist die Enttäuschung nachher umso größer, wenn Sie die Ziele nicht erreichen.

(Beifall von der SPD)

Die ganze Aktuelle Stunde – Sie haben ja von Zuhören gesprochen; das habe ich gerne gemacht – hat dazu beigetragen, dass ich mir gesagt habe: André, da hast du schön zugehört, aber gelernt haben wir nichts über die Regierungskunst dieser Regierung.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Der Ministerpräsident war ja bis gerade im Saal. Er ist der Chef dieser Landesregierung. Er sollte lieber den Industriestandort NRW und nicht so viele Hubschrauberflüge organisieren.

(Zurufe von der CDU)

Das ist mühevoll. Aber Regieren heißt, mit den Menschen gemeinsam etwas zu organisieren und nicht noch einen Erlass herauszugeben, der die Menschen durcheinanderbringt.

Sie haben – wir haben das auch im Umweltausschuss diskutiert – das Thema „Geothermie“ angesprochen. Wo ist das denn heute Morgen geblieben? Was war Ihre Aussage zu „InnovationCity“? – Nichts, in allen Reden, die Sie hier gehalten haben. Was ist mit der KlimaExpo, die wir damals auf den Weg gebracht haben? Was ist mit den Innovationen? Sie haben heute Morgen nur Bedenken vor sich hergetragen.  

(Zuruf von der FDP: Was?)

Damit lässt sich der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen nicht organisieren.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Daran kommen Sie gar nicht vorbei.

Ich war in meiner ersten Wahlperiode in einer Enquetekommission, die sich um Energiepreise gekümmert hat. Da gab es noch Formulierungen der CDU über Kugelkopfreaktoren. Schauen Sie mal ins Archiv hier im Landtag. Dann werden Sie das sehen. So war der Stand damals, so war die Debatte.

Meine Damen und Herren, das, was wir heute Morgen gehört haben, ist doch nicht zukunftsorientiert. Das ist im Grunde ein Totalausfall.

Wenn Sie bei der Innovation die Menschen mitnehmen wollen, dann heißt das Ackern,

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

dann heißt das, mit den Leuten auch unangenehme Debatten führen, nichts anderes. Das ist Kern hier in Nordrhein-Westfalen, damit wir Energieland Nummer eins bleiben, und nicht wegducken.

(Zuruf von der CDU)

Abschließend zur AfD noch einen Satz: Zu Ihrer Wahrheit gehört auch, dass Sie den Menschen hier oben sagen müssen, Sie sind für Kernenergie mit allen Folgekosten. Das haben Sie in jedem Wahlprogramm. Sie zerstören Innovation. Auf Ihrem Rücken werden Menschen arbeitslos. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Dann können wir die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1 schließen.

Ich rufe auf:

2   Notstand der Bauern – Bundesweite Bauernproteste gegen die Agrarpläne der Bundesregierung

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7746

In Verbindung mit:

Leistung von Landwirtinnen und Landwirten anerkennen, mittelständische Betriebe stärken, Rahmenbedingungen für zukunftsfähige Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7762

Ich eröffne die Aussprache. – Frau Kollegin Winkelmann hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Bianca Winkelmann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Eines sollt ihr nie vergessen, Bauern sorgen für das Essen.“

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist in der Tat die Kernaufgabe der Landwirtschaft – in Nordrhein-Westfalen, deutschlandweit und weltweit. Ich sage es ganz klar: Ein immer voller Kühlschrank und ein immer satter Bauch lassen offensichtlich vergessen, dass es die Bauern, die Landwirte in unserem Land sind, die dafür sorgen, dass wir täglich und zu bezahlbaren Preisen mit Brot, Käse, Butter, Obst, Fleisch und Gemüse versorgt werden.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle von Mirko, Carolin und Dominik berichten. Sie sind junge Landwirte und Organisatoren der Initiative „Land schafft Verbindung“, die sich mit vielen anderen, meist jungen Berufskollegen in meinem Heimatkreis Minden-Lübbecke am 22. Oktober zu friedlichen Protesten auf den Weg gemacht haben. Warum? – Weil sie es leid sind, als Landwirte Prügelknaben der Nation zu sein, und vor allem, weil sie Sorge haben um ihre Existenz, weil sie nicht wissen, ob sie in Zukunft ihre Betriebe weiterführen können. Gerade gestern haben wir hier vor dem Landtag erste Proteste von Landwirten erleben können.

Immer mehr und immer höhere Auflagen sorgen dafür, dass immer mehr Betriebe aufgeben müssen, seit 1990 mehr als die Hälfte aller Betriebe in Deutschland. Wir Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen erkennen an, dass die Bauern in unserem Land seit Generationen Verantwortung für unsere Umwelt und im wahrsten Sinne des Wortes für unser täglich Brot tragen, und das jeden Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr.

Deshalb lassen wir wohlmeinenden Worten in Anträgen und Reden auch Taten folgen, zum Beispiel mit der Nutztierhaltungsstrategie. Am 14. Mai dieses Jahres waren auf Einladung der CDU-Fraktion über 160 Landwirte im Landtag und haben mit uns im Rahmen eines Werkstattgesprächs über die Nutztierhaltung der Zukunft diskutiert.

Schnell war klar: Wenn die Gesellschaft es wünscht, dann sind unsere Landwirte auch bereit, ihre Ställe umzubauen. Wenn ein staatliches Tierwohllabel auf den Weg gebracht wird, dann sind unsere Landwirte trotz Freiwilligkeit auch bereit, mitzumachen. Sie brauchen aber vor allem eines: verlässliche Rahmenbedingungen, unter denen sie die Produktion überhaupt erst einmal umstellen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Genau hier setzt die Nutztierhaltungsstrategie an. Denn es braucht verlässliche Regelungen im Baurecht, in Umwelt- und Tierschutzgesetzen, bevor die Landwirte ihre Ställe überhaupt umbauen können. Dieses begleiten wir in Nordrhein-Westfalen beispielsweise mit der Errichtung eines Versuchsstalls auf „Haus Düsse aktiv“. Wir lassen unsere Landwirte nicht allein, wir lassen Taten auf Worte folgen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Oder nehmen wir das Thema „Düngeverordnung“. Wie kommen die roten Grundwasserkörper, in denen die Landwirte zukünftig ihre Pflanzen nicht mehr bedarfsgerecht düngen dürfen, überhaupt zustande? Und wo muss genauer hingesehen werden?

Auch hier geht NRW voran, auch hier setzen wir schon jetzt auf Taten. Denn zum einen werden die Messstellen im Land auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft, zum anderen arbeiten die Behörden intensiv daran, das Instrument der sogenannten Binnendifferenzierung anzuwenden. Hier sollen mittels geeigneter Modellierungen innerhalb roter Grundwasserkörper sowie aufgrund der Bewirtschaftungsformen und der tatsächlich ausgebrachten Düngemenge differenziertere Betrachtungen vorgenommen werden.

Lassen Sie uns nach Berlin schauen. Wenn das Bundesumweltministerium dort mit einem Aktionsprogramm Insektenschutz ein Programm auflegt, das einseitig einen Großteil der Lasten einmal mehr auf die Landwirtschaft verlagert, dann darf man bestimmte Kriterien nicht aus dem Blick verlieren.

Einerseits wird noch viel zu wenig über die Ursachenforschung diskutiert. Andererseits muss man Folgendes wissen:

Allein an die Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen grenzen 30.000 km landwirtschaftliche Nutzfläche. Wenn man den Abstand für Pflanzenschutzmaßnehmen und Düngemitteleinsatz von 5 auf 10 m erhöhen will, dann darf das keiner Enteignung gleichkommen. Deshalb fordern wir für unsere Landwirte: kein Eingriff ohne Ausgleich!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zur gemeinsamen Agrarpolitik und zu der Diskussion um die Ausstattung der ersten und der zweiten Säule. Durchschnittlich 40 % des gesamten Betriebseinkommens erzielt ein landwirtschaftlicher Betrieb über die Agrarförderung aus der ersten Säule. Ja, diese Förderung ist eine Subventionierung. Die EU subventioniert damit aber nicht das Leben der Landwirte, sondern die Preise für Lebensmittel. Ohne Einkommen kann kein Landwirt produzieren. Wer Lebensmittel aus Deutschland – am besten aus regionaler und biologischer Erzeugung – fordert, muss bereit sein, wenn schon kein marktgerechter Preis aufgrund der Bedingungen am Weltmarkt möglich ist, Einkommen teilweise abzusichern.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Bianca Winkelmann (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU in Nordrhein-Westfalen will, dass die Betriebe von Mirko, Carolin und Dominik und allen anderen Landwirten in Nordrhein-Westfalen auch in Zukunft noch existieren. Wir nehmen ihre Sorgen ernst, denn wir werden nie vergessen, dass sie für unser Essen sorgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmann. – Für die FDP spricht jetzt Herr Kollege Diekhoff.

Markus Diekhoff*) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gesellschaftliche und politische Anforderungen wandeln sich ständig. Die Landwirtschaft ist davon wie keine andere Branche in Deutschland betroffen.

Wer gerne von Strukturwandel spricht, kommt um eine intensive Betrachtung der Landwirtschaft nicht herum, denn seit dem Krieg ist der Anteil der Menschen, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind, von knapp 30 % auf 1,5 % und damit von 5 Millionen auf rund 266.000 Menschen gesunken. Das ist der Strukturwandel, den die Landwirtschaft aushält und den sie jeden Tag ausgehalten hat.

Ein Landwirt ernährt heute fast 140 Menschen; als ich geboren wurde, waren es nur 30 Menschen. Die Produktivität hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Die Ausgaben der Menschen für Lebensmittel sind von rund 50 % des Einkommens auf 15 % gefallen.

Meine Damen und Herren, all das leistet die Landwirtschaft auf einer immer kleiner werdenden Fläche, weil die Fläche, die wir zum Leben, für unseren Verkehr, für Industrie, aber auch für den Naturschutz brauchen, immer bei den Landwirten abgezogen wird. Trotzdem leisten sie das. Für diese Leistung möchte ich mich heute gerne bei allen Bäuerinnen und Bauern bedanken.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft taugt nicht zum Prügelknaben der Nation. Die Landwirtschaft ist Initiator und Motor des deutschen Wirtschaftswunders und unseres heutigen Wohlstands. Ohne eine leistungsfähige Landwirtschaft ist eine moderne Gesellschaft unmöglich.

Sie sehen, dass die Landwirtschaft den steigenden Anforderungen durchaus gewachsen war und ist. Veränderungen scheuen unsere Bauern – anders, als der Volksmund es manchmal glauben machen möchte – überhaupt nicht. Was sie jedoch stört, ist, wenn die Anforderungen an die Landwirtschaft von Menschen gestaltet werden, die keine Ahnung von der Materie haben, die nicht Fakten in den Fokus ihrer Ideen rücken, sondern Ideologie und Zeitgeist.

Was vor wenigen Jahren noch dringend gewünscht war, wird heute von Teilen der Politik und Gesellschaft als völlig falsch und schädlich gebrandmarkt. Wir können es in Nordrhein-Westfalen sehen.

Erst 2013 wurde hier vom damaligen grünen Umweltminister Remmel der sogenannte Filter-Erlass durchgeboxt, wonach Ställe hermetisch abgeriegelt werden sollten und die Abluft der Ställe in einer Reinigungsanlage behandelt werden sollte. Zur Begründung hieß es damals in der Pressemitteilung des Ministeriums:

„Von diesen Ställen gehen Schadstoffe wie Stäube und Ammoniak sowie Gerüche aus, die die Nachbarschaft und die Umwelt erheblich belasten können. Auch können von Tierhaltungsbetrieben Pilze, Bakterien und Viren in die Luft gelangen und die Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner beeinträchtigen.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landwirte haben die Kredite für diese Filteranlagen noch nicht abbezahlt, da kommen die gleichen Schlaumeier um die Ecke und sagen: Du musst dich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen anpassen. Klopp‘ doch bitte die Wand aus deinem Stall raus, die Tiere brauchen einen Außenklimareiz. Moderne Ställe mit Filtern und industrielle Landwirtschaft sind böse und die Bauern alle von gestern. – Meine Damen und Herren, das ist doch nicht normal!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn sich die Anforderungen innerhalb von nur sechs Jahren um 180 Grad drehen – und das nicht zum ersten Mal und auch nicht nur auf einem Gebiet –, dann ist nicht die Landwirtschaft unbeweglich und von gestern, sondern die Politik, die solche Forderungen stellt, ist unfähig und nicht zukunftsfähig. Keine Branche kann solche Brüche und Widersprüche in so kurzer Zeit schultern, ohne Schaden zu nehmen. Angesichts dieses Hin und Her ist das Geschäftsmodell von Facebook fast schon ein Dinosaurier.

Man sagt, Landwirte seien Umwelt- und Klimasünder. Es heißt auch häufig, sie legten keinen Wert auf Tierwohl. Diese emotional geführte Debatte verdrängt sachliche Auseinandersetzungen von vornherein.

Massentierhaltung – auch so ein Zauberwort der wortgewaltigen Kritiker –, Überproduktion, böse Exporte, zu viele Tiere in Deutschland! Meine Damen und Herren, im Jahr 1900, also in der guten alten Zeit, in der die Bauernhöfe noch so aussahen wie heute im Bilderbuch, wurden in Deutschland 20,7 Millionen Großvieheinheiten gehalten; heute gibt es nur noch 13 Millionen. Das Gegenteil der täglichen Behauptungen ist also richtig, aber Vorurteile und Verunglimpfungen dieser Art machen den Landwirten das Leben schwer und das Überleben fast unmöglich.

Die FDP-Landtagsfraktion widmet sich diesem Thema daher mit einer eigenen Initiative. Unter dem Titel „Gesundes Essen, gesunde Umwelt, gesunde Betriebe“ diskutieren wir in unterschiedlichen Formaten mit Landwirten, Verbrauchern und dem Handel, um Lösungswege für alle Beteiligten zu finden. Die FDP will eine neue, verlässliche Basis für die Landwirtschaft entwickeln, denn wir wollen den Landwirten in unserem Land eine Perspektive für die Zukunft geben.

Wir können und wollen auf eine leistungsfähige Landwirtschaft nicht verzichten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir setzen auf regionale und auf hochwertige Lebensmittel und nicht auf vermeintliche Bioerdbeeren aus China, Ägypten oder Marokko. Es muss hier in Nordrhein-Westfalen angebaut werden – egal ob bio oder konventionell. Wir haben die hohen Standards, und wir wollen qualitativ hochwertige Lebensmittel aus unserer Heimat.

Deswegen haben wir heute diesen Antrag eingebracht. Wir wollen die Landwirte unterstützen. Wir setzen auf Digitalisierung. Wir setzen auf Bürokratieabbau. Wir als FDP und auch als NRW-Koalition …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Markus Diekhoff*) (FDP): … werden mit unserer Ministerin Heinen-Esser weiterhin für eine verlässliche und faire Landwirtschaftspolitik einstehen und kämpfen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 22. Oktober fand die bislang größte Kundgebung von Landwirten in Bonn statt. Die Landwirte demonstrierten dabei gegen die Agrarpläne der Bundesregierung, also der CDU-Agrarministerin Klöckner. Was sie hier machen, ist scheinheilig. Sie demonstrierten gegen eine weitere Verschärfung der Düngeverordnung, gegen weitere Einschränkungen beim Pflanzenschutz und gegen die weitere Umschichtung der EU-Agrarsubventionen.

Kurz gesagt: Die Landwirte demonstrierten gegen Ihre Politik. Sie alle hier sind der Grund dafür, dass die Landwirte auf die Straße gegangen sind. Sie und gerade die Laschet-Partei haben die Landwirte jahrelang im Stich gelassen und sind über jedes giftgrüne Stöckchen gesprungen. Also sollten gerade Sie von der CDU bei keinem anderen die Schuld suchen als bei sich selbst. Wir sprechen übrigens nur das aus, was die Landwirte Ihnen völlig zu Recht um die Ohren hauen.

Nitrate gehören zu den wichtigsten Grundbausteinen der Nahrungsmittelproduktion. Ohne Nitrate gibt es keine fruchtbaren Böden, kein Pflanzenwachstum und vor allen Dingen keine Lebensmittel. Ohne Nitrate gibt es kein Leben. Jeden Tag nimmt der Verbraucher Nitrat über die Lebensmittel auf, das meiste – über 60 % – durch Gemüse.

Herr Diekhoff, nach Ihrer Rede habe ich die große Sorge, dass irgendjemand einmal auf die Idee kommen könnte, wegen möglicher Gesundheitsgefahren den Verzehr von Gemüse zu verbieten.

(Markus Diekhoff [FDP]: Was habe ich denn gesagt?)

– Sie wollen eine Initiative dazu starten. Davor graut es mir.

Das vermeintliche Problem zu hoher Nitratwerte ist nichts weiter als ideologische Spiegelfechterei. Vor gut 30 Jahren herrschte noch die Wissenschaft. Damals wurde auf Grundlage toxikologischer und wissenschaftlicher Ergebnisse der Grenzwert für Nitrate – man beachte – im Trinkwasser auf 90 mg/l festgeschrieben. Bis zu diesem Grenzwert führen Nitrate nachweislich zu keinerlei Gesundheitsschädigungen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Außer bei Säuglingen!)

– Das ist nicht ganz richtig. Würden Säuglinge bis zu einem halben Jahr in hohem Maße zu stark belastetes Grundwasser trinken, könnte das eventuell dazu führen.

(Lachen von Ministerin Ursula Heinen-Esser)

Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Kinder großgezogen haben, aber sie werden in den ersten sechs Monaten sicher nicht am Wasserhahn gehangen und sich mit Wasser zugeschüttet haben.

Nitrate – das hat das Bundesumweltministerium nachgewiesen – führen zu keinen nachweisbaren gesundheitlichen Schädigungen. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!

Aufgrund einer hysterischen Ökokampagne wurde dieser festgelegte Grenzwert praktisch halbiert. Die größte Dummheit haben jedoch wie immer die Eurokraten begangen. Sie haben nämlich den EU-Grenzwert für Trinkwasser einfach auf das Grundwasser übertragen. Den Unterschied mögen manche von Ihnen hier nicht kennen. Grundwasser und Trinkwasser sind nicht dasselbe.

Weil Landwirte ihre Felder düngen, war das ein Problem mit Ansage, wie die Stickoxiddebatte in den Innenstädten, nur noch schlimmer. Ihre grüne Umweltministerin, Frau Heinen-Esser, hat es gesagt: 10 % der Nitratmessstellen sind fehlerhaft. – Die Dunkelziffer ist noch größer. Das ist ein Skandal.

Nitrate sind kein agrarpolitisches, sondern ein selbstgemachtes statistisches Problem. Es geht hier schon längst nicht mehr um eine wissenschaftliche Risikobewertung. So ist auch die Debatte um Pflanzenschutzmittel längst vergiftet worden. Dabei sollte jedem klar sein, dass Einschränkungen beim Pflanzenschutz unweigerlich zu höheren Ertragseinbußen führen werden. In dieser Folge müssten die Anbauflächen größer werden, doch das wird politisch verhindert.

Die Greening-Auflagen bleiben in Kraft, obwohl selbst der Europäische Rechnungshof sagt, sie seien unwirksam. Von diesen Auflagen profitieren vor allen Dingen landwirtschaftsfremde Spekulanten. In Zeiten der Nullzinspolitik kaufen sie wertvolle Agrarflächen auf und kassieren dann EU-Agrarsubven-tionen. Im Kern betreibt die EU keine Politik zum Schutz der Insekten, sondern eine Politik zum Abbau von Produktionsüberschüssen.

Immer mehr Landwirte erkennen das ursächliche Problem, das dahinter steckt. Zu tief stecken Altparteienpolitker in den Verbänden der Bauernschaft und gehören selbst zu den größten Profiteuren des Systems. Unter den größten Subventionsempfängern sind Ministerien, Behörden und Unternehmer, und zwar in dieser Reihenfolge, aber kein einziger Landwirt.

Auch der Familienbetrieb des Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Johannes Röring, erhält EU-Agrarsubventionen in Form einer Basisprämie, einer Umverteilungsprämie, einer Greening-Prämie und einer Erstattung nicht genutzter Mittel der Krisenreserve. Röring ist auch CDU-Spitzenpolitiker im Bundestag und erhält zu seinen Diäten …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD) … auch noch Nebeneinkünfte, über 620.000 Euro jedes Jahr. Diese Zahlen sind für jedermann einsehbar.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Durch CDU-Politiker wie Röring wird die finanzielle und politische Unabhängigkeit der Bauernverbände immer wieder infrage gestellt.

Ein Systemwechsel wird nötig. Merkel muss weg und Röring auch! – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Watermann-Krass.

Annette Watermann-Krass (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es liegen zwei Anträge vor. Die Ausführungen zum Antrag der sogenannten Alternative für Deutschland haben wir gerade gehört. Sie wollen den Notstand bei den Bauern ausrufen und sich beim Berufsstand der Landwirte anbiedern.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Einschleimen!)

Sie nehmen Ängste, Stimmungen und Kritik auf und verstärken sie,

(Helmut Seifen [AfD]: Ganz anders als Sie!)

um sie gegen die EU-Politik und die Umweltpolitik zu richten. – Das, meine Damen und Herren, ist durchschaubar, und das lehnen wir ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit ihrem Antrag wollen sich CDU und FDP als Partner gerieren. Das haben Sie sehr gut zum Ausdruck gebracht, Frau Winkelmann. Ich habe mir ebenfalls die Protestaktionen unter dem Motto „Land schafft Verbindung“ angesehen. Ich bin ja bei denen.

Sie wollen aber doch endlich einmal eine Antwort. Sie wollen eine ganz klare Aussage, wie es bei ihnen in Zukunft weitergehen soll.

Denn bei all dem, was sie da aufgeführt haben, geht es doch im Kern darum, dass sie merken, dass die industrielle Landwirtschaft an ihre Grenzen kommt. Der Kapitaleinsatz – das gibt es in keinem anderen Berufsstand – für Investitionen, aber auch für die hohen Pacht- und Bodenpreise ist enorm. Auf der anderen Seite ist das, was Landwirte erlösen, einem so großen Preisdruck ausgesetzt, dass beides nicht mehr zusammengeht. Sie erwarten eine Antwort darauf, wie das in Zukunft wieder funktionieren kann.

Zu Ihrem Antrag: Ihre Forderungen sind nicht zielführend, zum Teil sogar widersprüchlich. In diesem Zusammenhang möchte ich nur das 5-Hektar-Ziel erwähnen, das Sie ansprechen, aber im LEP gecancelt haben. Sie bieten überhaupt keine Perspektive. Das ist in meinen Augen weiße Salbe, um sich als Partner darzustellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was will die SPD? – Wir wollen drei Bereiche ändern: erstens die Modifikation der Agrarpolitik, zweitens die Förderung und den Ausbau des Ökolandbaus – Frau Winkelmann, wir haben auf Bundesebene das 10-Prozent-Ziel; ich finde, da sollten wir in NRW jetzt einmal Gas geben, damit wir hier den Anschluss halten –, drittens die Stärkung der regionalen Wertschöpfungsräume. Da versprechen Sie viel; aber da passiert wenig.

Zur EU-Agrarpolitik: Wir sagen, dass das Geld anders verteilt werden muss, nicht nach Fläche. Wir wollen als Sozialdemokraten ganz klar nach dem Motto „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“, also für nachhaltiges Handeln und Bewirtschaften, vorgehen. Die Mittel sollen sich nicht an Fläche binden, sondern an den Schutz des Klimas, des Wassers, des Bodens, der Insekten und der landwirtschaftlich gehaltenen Tiere. Das muss im Mittelpunkt der Förderung und der EU-Agrarpolitik stehen.

(Beifall von der SPD)

Eine Landwirtschaft, die nachhaltig ist, wird sich neben der Wirtschaftlichkeit auch an ökologischen und sozialen Zielsetzungen orientieren müssen. Deswegen ist ein Ausschütten mit der Gießkanne anhand der Fläche nicht richtig.

Zum Ausbau des Ökolandbaus: Die Nachfrage ist riesig. Der Bedarf steigt ständig. Das passt aber nicht mit den Angeboten aus eigener Produktion zusammen. Da geht jede Menge Wertschöpfung verloren. In Ihrem Antrag steht dazu kein Wort.

Zum Ausbau der regionalen Wertschöpfungskette: Der Wunsch nach regionalen Produkten nimmt zu. Zwei Drittel der Menschen wünschen sich das auch. Ich habe einmal in den Koalitionsvertrag von CDU und FDP geschaut, Frau Winkelmann. Darin steht:

„Wir werden die Förderung ökologischer Landwirtschaft prüfen und angemessen fortführen. Wir werden die Vermarkungsstrukturen gleichermaßen für Bio- und konventionelle Erzeugnisse verbessern.“

Aber in den letzten zweieinhalb Jahren ist hier nichts passiert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die SPD hat derzeit einen schönen Antrag im Schulausschuss.

(Henning Höne [FDP]: Das kann ich mir nicht vorstellen!)

Ich kann nur darum bitten, diesem Antrag zuzustimmen. Darin geht es um gute Kita- und Schulverpflegung. Darin steht: Wir wollen, dass unsere Kinder regional und saisonal, möglichst mit ökologischen Produkten, natürlich auch irgendwann kostenlos, mit einem Mittagessen versorgt werden.

(Henning Höne [FDP]: Natürlich kostenlos! – Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein: Unterstützen Sie diesen Antrag. Denn dann kann ich, Frau Winkelmann, mit meinen Landwirten vor Ort Lieferverträge über das ganze Jahr abschließen. Das ist für sie dann eine Möglichkeit.

Aber, wie gesagt: Wo ist das Programm für regionale Wertschöpfung? Wo ist die Antwort zur Schnittstelle Produktion/Lieferung? Auch dazu findet sich kein einziges Wort.

Wir freuen uns in diesem Sinne auf die weitere Beratung. Vielleicht wird die Ministerin dazu ja noch etwas sagen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Und der Redner!)

Ansonsten kann ich nur festhalten: falsche Richtung.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Watermann-Krass. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Rüße das Wort. Bitte sehr.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ist ungefähr so gelaufen, wie ich mir das vorher vorgestellt hatte. Auch der Antrag von CDU und FDP, über den ich reden möchte, geht in die Richtung, dass er auf die aktuellen Demonstrationen der Bäuerinnen und Bauern draußen reagiert und sagt: Mehr Wertschätzung und mehr Anerkennung müssen sein, und moderne Technik muss sein.

(Bianca Winkelmann [CDU]: Aber nicht von den Grünen!)

Liebe Frau Winkelmann, ich finde, da springen Sie mit dem Antrag deutlich zu kurz und landen im Wassergraben.

Denn wenn eine Branche in den letzten 30 Jahren wirklich alles versucht hat, Technik zu nutzen und mit Technik die Produktivität weiter zu steigern, dann ist es die Landwirtschaft.

(Bianca Winkelmann [CDU]: Das bestreite ich doch nicht!)

Sie werden keine andere Branche finden, die so technikaffin ist. Sie werden keinen Arbeitsplatz in diesem Land finden, der so teuer ist wie der des Landwirts.

Aber Sie werden auch keine Branche finden, in der die Relation von Gewinn zu eingesetztem Kapital so niedrig ist wie in der Landwirtschaft. Niemand würde diese Kapitalverzinsung ansonsten akzeptieren. Jeder Einzelhändler würde sagen: Ich gebe lieber auf, bevor ich das weiter so mache.

Damit sind wir beim Kern des Problems angelangt.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

In der Landwirtschaft sind die Einkommen und die Erlöse deutlich zu niedrig. Ich finde, dass es an dieser Stelle gerade Ihre Partei gewesen ist, die die Debatte in den letzten 20 Jahren nicht zielführend geführt hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben hier im Landtag die GAP 2013 diskutiert. Wir haben hier im Landtag über die Frage der Milchpreise debattiert. Wir hatten die Proteste der Milchbäuerinnen und Milchbauern dazu, welchen Milchpreis sie brauchen, um davon existieren zu können.

Ihre Antwort der letzten 20 Jahre war dagegen immer: Dann müsst ihr noch einen Stall bauen; dann müsst ihr den Kuhstall spiegeln. – Das ist die Position gewesen. Das ist die Position der Offizialberatung der Landwirtschaftskammer: von 60 Kühen auf 120 Kühe, und wenn das nicht reicht, auf 180 Kühe, und wenn das nicht reicht, auf 500 Kühe. Das ist die Entwicklung zum Beispiel im Kreis Kleve.

Und das lässt die Bäuerinnen und Bauern verzweifeln, weil sie nicht wissen, was ihre Perspektive über 20 oder 30 Jahre ist.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Wer in den 80er-Jahren einen Kuhstall für 60 Kühe gebaut hat, wusste, dass er davon leben kann. Heute weiß er das nicht mehr. Die Landwirtschaft ist zu einer total getriebenen Branche geworden.

Daran tragen Sie erhebliche Mitschuld. Denn in Ihrer Verantwortung als CDU liegt das Bundeslandwirtschaftsministerium in 90 % der Zeit der gesamten Bundesregierung. Und Sie haben zusammen mit dem Bauernverband gesagt: Der Weltmarkt ist unser Ziel. Wir wollen die Welt ernähren. – So hieß es auf der Grünen Woche.

Weltmarkt bedeutet aber Wettbewerb um die Kostenführerschaft. Dann müssen Sie billig erzeugen können. Das können unsere Landwirte nicht. Die Arbeitsstunden hier in Deutschland sind viel zu teuer, und für die Traktoren und den Boden ist ein viel zu hoher Kapitaleinsatz erforderlich. Niemand, außer auf den richtigen Grundstandorten in der Börde, kann hier für den Weltmarkt produzieren.

Deshalb bräuchten wir eine Rückbesinnung auf den europäischen, auf den heimischen Markt. Das wäre der richtige Weg.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich erwarte von Ihnen, Frau Winkelmann, dass Sie, was die Ausrichtung auf den Weltmarkt angeht, auch einmal klar sagen, dass es ein Fehler für die Landwirtschaft war, diesen Weg einzuschlagen.

(Rainer Deppe [CDU]: Das haben doch Sie mit Frau Künast eingeführt!)

– Nein, das hat Frau Künast überhaupt nicht eingeführt. Das ist völliger Quatsch. Völliger Blödsinn ist das.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir als Grüne haben immer gesagt: Wer an den Weltmarkt gehen will, soll das tun. Wir bieten aber die Alternativen an: regionale Vermarkung, Ökolandbau und die Möglichkeit, über die Vertragsnaturschutzprogramme mehr für den Naturschutz zu machen. – Ich glaube, dass das am Ende auch der richtige Weg ist.

Sie dagegen wickeln ja auch noch unsere kleinen Pflänzchen im Bereich der Vermarktung von regionalen Produkten und ökologischen Produkten ab.

(Bianca Winkelmann [CDU]: Wieso?)

Wo ist das 100-Kantinen-Programm geblieben? Dieses Programm hätten Sie ausbauen müssen. Das wäre die richtige Antwort auf die Krise der Landwirtschaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was wir jetzt bräuchten, meine Damen und Herren, wäre ein Pakt für die Landwirtschaft, ein Pakt zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft. Das wäre richtig. Es wäre richtig, zu sagen: Wir werden erheblich mehr Mittel in die Hand nehmen müssen. Wir werden uns endlich auf den Weg machen müssen, das Gutachten des WBA zur Nutztierhaltung umzusetzen. Dafür brauchen wir Gelder.

Das muss man so ehrlich sagen. Und dafür muss die Landwirtschaft bereit sein, Tiere so zu halten, wie es die Gesellschaft erwartet,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ist die Gesellschaft bereit, die Preise dafür zu bezahlen?)

um Umwelt und Natur weniger zu belasten.

Wenn wir über Nitratwerte reden, dann sage ich Ihnen auch einmal: 25 mg sind der Richtwert. 50 mg sind der Grenzwert, der gar nicht überschritten werden soll. Ich finde, Gesundheit geht an dieser Stelle vor.

Ich sage es noch einmal: Wir brauchen einen Pakt für die Landwirtschaft. Wir brauchen einen Masterplan, den wir endlich umsetzen müssen. Eine Abkehr vom Weltagrarmarkt ist notwendig. Wir müssen endlich in eine Landwirtschaft einsteigen, die gesellschaftlich wieder umfassende Akzeptanz findet.

Machen Sie sich auf den Weg, Frau Heinen-Esser, und überzeugen Sie vor allem unsere Bundeslandwirtschaftsministerin davon, hier endlich Fahrt aufzunehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rüße. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute Morgen eine so lebhafte Debatte haben. Das zeigt auch das Ringen um den richtigen Weg für unsere Landwirtinnen und Landwirte hier in Nordrhein-Westfalen. Die Diskussion um die Anträge bringt uns ja auch wieder ein großes Stück weiter.

Ich darf mich jedenfalls vor allen Dingen bei der CDU und der FDP für ihren Antrag bedanken, der dafür sorgt, dass wir uns heute Morgen intensiv darüber auseinandersetzen und dass aufgezeigt wird, in welche Richtung wir mit unserer Landwirtschaft bei uns in Nordrhein-Westfalen tatsächlich gehen wollen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, Tag für Tag arbeiten die Landwirte für unsere Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln. Sie leisten ihren Beitrag für unsere Kulturlandschaft. Stellen Sie sich einmal vor, wie unser Land aussehen würde, wenn wir nicht die Landwirtschaft hätten. Dann würde es bei uns ganz anders aussehen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Landwirtschaft ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor: 400.000 Beschäftigte. Markus Diekhoff hat gesagt, dass sie vom Strukturwandel betroffen sind. Aber es sind 400.000 Beschäftigte, die wir in Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft haben. Damit ist auch die Land- und Ernährungswirtschaft ein großer Wirtschaftszweig bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Aber worum geht es in der augenblicklichen Diskussion? In der augenblicklichen Diskussion geht es in der Tat – und das dürfen wir nicht einfach wegwischen – um Respekt und Anerkennung für die Leistung der Landwirte, und es geht um den Dialog.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Diese Landesregierung steht für diesen Dialog. Wir setzen uns mit den Landwirten zusammen. Wir besprechen die großen Themen, die hier auch genannt wurden.

Das ist als Allererstes die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Sie ist die Grundlage für die Arbeit der Landwirte. Dann kommt eine Anti-Europa-Partei wie die AfD daher und macht sich bei den Landwirten lieb Kind. Gleichzeitig zittern die Landwirte in Großbritannien vor dem Brexit, weil sie wissen, dass fast 50 % der Landwirte einen Ausstieg aus der Europäischen Union, einen Ausstieg aus dem europäischen Agrarsystem, nicht verkraften werden. Und das unterstützen Sie!

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Meine Damen und Herren, deshalb haben wir uns in Nordrhein-Westfalen mit den Umweltverbänden und den Landwirtschaftsverbänden zusammengesetzt, um unsere Position zur europäischen Agrarpolitik festzuzurren.

Wir stehen zu dem System der Basissicherung. Die Landwirte brauchen eine Basissicherung. Wir stehen aber auch zum System der zweiten Säule. Wir benötigen beides, die erste und die zweite Säule. Und wir brauchen Europa für die Landwirte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Welche Themen sind es noch, die die Landwirte umtreiben? Der Klimawandel ist ein Thema. Wer hat es denn zu spüren bekommen, dass wir im Klimawandel sind?

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

– Ihre Partei, Herr Dr. Blex, leugnet das. – Es waren die Landwirte, die es zu spüren bekommen haben. Sie haben unter der Dürre gelitten. Wir mussten sie mit Hilfen unterstützen, die vielleicht bei Weitem noch nicht ausreichend waren.

Sie sagen im Ausschuss – und das muss ich noch einmal zitieren –: Wenn es zu heiß wird, machen Sie die Klimaanlage an. – Das ist Ihre Klimapolitik. Diese Politik hilft den Landwirten überhaupt nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Was tun wir? Frau Watermann-Krass hat eben gefragt, was die Landesregierung unternimmt. Ich sage Ihnen –

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sie können ja eine Zwischenfrage stellen –: Ein ganz wesentlicher Punkt ist die Nutztierhaltungsstrategie. Wir haben es doch überall angesprochen. Wir müssen unter den Stichworten „Planbarkeit“ und „Verlässlichkeit“ den Landwirten helfen, umzusteigen. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir machen Dialogveranstaltungen mit Landwirten und Tierschützern. Wir haben die Stelle eines Tierschutzbeauftragten geschaffen, der sie am 1. Januar 2020 antreten wird, sofern der Haushalt entsprechend genehmigt wird.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wir entwickeln Systeme, wie die Landwirte sich umstellen können. Wir geben der Landwirtschaftskammer in Haus Düsse 2 Millionen Euro, damit sie zeigen kann, wie Stallumbau funktioniert.

Im Übrigen hat auch die Landwirtschaftskammer Schwierigkeiten damit, so wie jeder Betrieb auch, und braucht zwei Jahre für das Genehmigungsverfahren. Aber wir wissen hinterher, was wir im Genehmigungsverfahren ändern müssen, an welchen Stellen wir schneller werden müssen und wo wir den Landwirten helfen müssen.

Wir stellen in unserem Haushalt Geld dafür zur Verfügung, wenn er denn so verabschiedet wird. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass das tatsächlich passiert.

Natürlich gibt es eine Frage, die schwierig ist. Sie betrifft die Düngeverordnung. Die Europäische Kommission hat das kritisiert. Es bleibt uns nichts anderes übrig – jedenfalls all denjenigen, denen sauberes Grundwasser am Herzen liegt –, als hier Änderungen herbeizuführen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Um das zu schaffen, müssen wir erst einmal prüfen, ob die Messstellen wirklich alle intakt sind.

(Beifall von der CDU)

10 % waren nicht intakt. Was glauben Sie, was die Kollegen aus den Großstädten, Olaf Lehne usw., mit mir gemacht hätten, wenn ich gesagt hätte, dass 10 % der Messstellen der Luftreinhaltung nicht in Ordnung sind? Sie hätten mich ja – ich sage einmal – stark kritisiert, und zwar völlig zu Recht.

10 % der Messstellen bei dem Grundwasser sind nicht in Ordnung. Da müssen wir etwas tun. Und daran arbeiten wir.

Wir sorgen uns um die Binnendifferenzierung, die Bianca Winkelmann eben angesprochen hat.

(Beifall von der CDU)

Wir schaffen es, die roten Gebiete um 30 % zu verkleinern.

Wir arbeiten. Wir sind eine Landesregierung, die die Probleme abarbeitet, die dort bestehen. Wir machen keine billige Stimmungsmache wie andere Parteien und vor allen Dingen eine Partei in diesem Raum.

(Helmut Seifen [AfD]: Meinen Sie die Grünen?)

Wir arbeiten für die Landwirtinnen und Landwirte. Ich danke allen, die sich daran beteiligen, um einen wirklich guten Kurs zu ringen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung hat ihre Redezeit um 42 Sekunden überzogen. Obwohl alle Fraktionen in ihren Redebeiträgen zuvor diese Redezeitüberziehung fast vorweggenommen haben, frage ich gleichwohl, ob es im Einzelfall noch den Wunsch gibt, 6 oder 7 Sekunden Redezeit zu nutzen. – Das ist nicht der Fall. Damit liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass wir am Schluss der Aussprache angelangt sind.

Wir kommen zur Abstimmung – erstens über den Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7746. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage, ob es Zustimmung zu dieser Überweisungsempfehlung gibt. – Es ist Zustimmung von allen Fraktionen sowie dem fraktionslosen Abgeordneten Neppe erkennbar. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Zweitens lasse ich über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/7762 abstimmen. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage, ob es auch dazu die Zustimmung des Hauses gibt. Ich bitte, mir das jetzt mit einem Handzeichen anzuzeigen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung mit Zustimmung aller Fraktionen sowie des fraktionslosen Abgeordneten Neppe angenommen. Die Anträge sind damit so überwiesen.

Nun sind wir bei:

3   Nie wieder! 9. November in der Erinnerung wachhalten – Schutz vor Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus verstärken

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7757

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7865

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD dem Fraktionsvorsitzenden Kutschaty das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der 9. November ist der Tag der republikanischen Revolution von 1918 sowie der Tag der friedlichen Revolution von 1989. Er wird aber auch immer der Tag der Reichspogromnacht von 1938 sein.

Es ist wichtig, dass wir Demokratinnen und Demokraten in diesem Landtag einmal mehr ein gemeinsames Zeichen setzen. Wir alle – Grüne, Liberale, Sozial- und Christdemokraten – sind fest entschlossen, alten und neuen Nazis das Handwerk zu legen, rassistische Pogrome zu verhindern und Menschen jüdischen Glaubens zu schützen. Das ist der Konsens aller Demokraten in diesem Parlament. Davon bin ich fest überzeugt.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dennoch: Am 9. Oktober, am Jom Kippur 2019 verübte ein Rechtsextremist einen Terroranschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale. Zwei Menschen wurden ermordet, viele Menschen wurden verletzt. Es hätte ein Vielfaches an Mordopfern gegeben, wenn der Täter nicht an den Sicherheitsbarrieren der Synagoge gescheitert wäre. Das war großes Glück in großem Unglück. Wir alle waren schockiert. Der Bundespräsident hat das, wie ich finde, sehr treffend für uns zum Ausdruck gebracht.

Aber hätten wir nicht wissen müssen, dass ein solcher Anschlag auch bei uns in Deutschland jederzeit möglich ist? Unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger wissen das seit Langem. Deshalb ist jede Synagoge in unserem Land mindestens genauso gut mit Beton und Panzerglas geschützt wie dieser Landtag.

Schon vor 89 Jahren haben viele deutsche Juden die Gefahr besser erkannt als wir heute – ohne das Wissen um die sich daran anschließende Geschichte.

Zum Beispiel Teddy, eine junge jüdische Frau, über die ihr damaliger Freund in den späten 30er-Jahren schrieb – ich darf zitieren –:

„Teddy schwand schon früh aus unserem Kreis, … Schon 1930 ging sie fort nach Paris, schon damals mit dem Vorsatz, nicht umzukehren. Sie war vielleicht die erste Immigrantin. Sie spürte, ahnungsvoller und empfindlicher als wir, schon längst vor Hitler das Anwachsen und das Bedrohlichwerden des Dummen und Bösen in Deutschland.“

„Wir fragen uns gegenseitig, wohin der oder die andere gehen würde. Wir tauschen uns über Visabestimmungen und Arbeitsmöglichkeiten in anderen Ländern aus. Dinge, die vor fünf Jahren für mich undenkbar waren.“

Meine Damen und Herren, was Sie jetzt nicht wissen können, ist, dass ich nicht nur ein Zitat vorgetragen habe, sondern zwei Zitate.

Das erste Zitat stammt von dem Publizisten Sebastian Haffner, der sich 1939 im englischen Exil an seine Freundin Teddy erinnerte.

Der zweite Abschnitt über die Visabestimmungen und die Arbeitsmöglichkeiten in anderen Ländern stammen von der deutschen Jüdin Juna Grossmann. Sie schreibt über ihre persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland im Jahre 2018.

Mit anderen Worten: Die Angst und die Fluchtgedanken deutscher Juden in den frühen 30er-Jahren sind den Ängsten deutscher Juden heute so ähnlich, dass ich sie nahtlos aneinanderhängen kann, ohne dass es weiter auffällt.

Meine Damen und Herren, diese Erkenntnis ist wie ein Stich ins Herz. Wir müssen unsere jüdischen Landsleute nicht nur schützen wollen, sondern auch schützen können. Und wir müssen unsere Synagogen schützen.

Jede Form des gewalttätigen Antisemitismus verlangt nach der gleichen Härte, gleichen Repression und gleichen Unnachgiebigkeit des Staates wie die Bekämpfung des Linksterrorismus in den 1970er-Jahren.

Dazu müssen wir uns auch ein realistisches Bild der Lage machen. Endlich muss die Öffentlichkeit wissen, wie stark unsere offene und freie Gesellschaft durch Antisemiten bedroht wird. Kurzum: Nordrhein-Westfalen braucht ein Lagebild „Antisemitismus“. Wir sollten gemeinsam die Landesregierung beauftragen, regelmäßig ein solches Lagebild zu erstellen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben in diesem Land eine Antisemitismusbeauftragte bekommen. Das war eine gute Idee des Parlaments. Ich danke der Landesregierung dafür, auch eine ausgezeichnete Persönlichkeit ausgewählt zu haben. Wir sollten aber vielleicht schon damit beginnen, im Zuge der Haushaltberatungen in den nächsten Wochen zu schauen, wie man die Arbeit der Antisemitismusbeauftragten noch besser stärken kann und ihr zu noch mehr Wirkung und Geltung verhelfen kann.

(Beifall von der SPD)

Ich habe noch einen weiteren Vorschlag, der mir sehr am Herzen liegt. Am vergangenen Wochenende haben 14.000 Menschen sich in Bielefeld einem Neonaziaufmarsch entgegengestellt. Das war ein starkes Zeichen. Die Anzahl der Anständigen ist größer – viel größer – als die Zahl der Rechtsradikalen in Nordrhein-Westfalen.

Aber ich finde es unerträglich, dass am Jahrestag der Pogromnacht Rechtsradikale für die Freilassung einer verurteilten Holocaustleugnerin demonstrieren dürfen. Das ist wirklich unerträglich.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich weiß, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein hohes Rechtsgut ist. Ich weiß auch, dass ich manche Meinung ertragen muss, die ich selbst nie teilen würde. Aber ich kann und will solche Naziaufmärsche an einem 9. November nicht länger ertragen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle ein: Lassen Sie uns gemeinsam neue gesetzliche Grundlagen schaffen. Lassen Sie uns die Option ziehen, ein landeseigenes Versammlungsrecht zu schaffen, in dem solche Demonstrationen an Holocaust-Gedenktagen in Nordrhein-Westfalen untersagt werden.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Bayern hat ein solches Gesetz. Auch wir sollten ein solches Gesetz gemeinsam auf den Weg bringen.

(Beifall von der SPD)

Ich habe zu Beginn meiner Rede betont, wie wichtig es ist, dass Demokratinnen und Demokraten ein Zeichen gegen Judenfeindlichkeit setzen. Aber Zeichen reichen nicht aus. Wir müssen handeln, meine Damen und Herren. Dazu gibt es auch Möglichkeiten. Ergreifen wir sie bitte, und zwar möglichst alle gemeinsam. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und Henning Rehbaum [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Dr. Bergmann das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich möchte erst einmal der SPD ganz herzlich dafür danken, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Es ist natürlich ein wichtiges Thema, und wir haben immer und immer wieder daran zu erinnern.

Ich will allerdings auch meiner Enttäuschung Ausdruck verleihen. Sie haben zwar versucht, es in Ihrer Rede rhetorisch zu glätten; das konzediere ich. Aber in Ihrem Antrag steht zunächst nur „9. November“, dann etwas über den 9. November 1938 und dann etwas über den 9. Oktober 2019.

Die anderen 9. November, die Ambivalenz dieses Tages in unserer deutschen Geschichte, haben Sie trotz der gewählten Überschrift nicht aufgenommen. Das halte ich für ein Defizit, weil von Ihnen auch 1848 nicht berücksichtigt wurde. 1918 ist noch nicht einmal in Ihrer Rede erwähnt worden.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Doch!)

– Dann nehme ich das zurück. – Auch dieser traurige Tag 1923, der erste Versuch, den Mussolini-Marsch auf Rom bei uns in Deutschland zu imitieren: Alles das findet in Ihrem Antrag leider nicht statt. Deshalb ist der Antrag für uns etwas zu kurz gesprungen.

Bei all dem, bei dem ich Ihnen nicht nur dezidiert zustimme, sondern vorhin auch applaudiert habe, und all dem, was Sie an richtigen Punkten aufgeschrieben haben, finde ich es etwas zu schwach, wie der 9. November 1938 in seiner Bedeutung auch in der heutigen Gemengelage zum besseren Verständnis dieses Tages dort geschildert wird.

Zu diesem Zeitpunkt 1938 war etwa ein Viertel der deutschen jüdischen Bevölkerung geflüchtet. Gefühlt ging es um Millionen in Deutschland lebende Juden. So viele waren es jedoch nie. Es war immer weniger als 1 Prozent der Bevölkerung. Bei der sogenannten Machtergreifung, die de facto ja nur die Übernahme eines Regierungsauftrages durch den Reichspräsidenten in Form einer Koalitionsregierung war – leider wird es in unserer Wortwahl weiterhin als Machtergreifung stilisiert –, war von den 520.000 Juden zu diesem Zeitpunkt schon ein Viertel ausgereist – leider nur ein Viertel.

Das entspricht leider nicht dem, was Sie vorhin geschildert haben. Wäre von den jüdischen Deutschen nur stärker gefühlt worden, dass sie früher gehen müssten! Erst in den Jahren 1937, 1938 und 1939, als sie merkten, dass es keinen Ausweg mehr gab – auch nach Berlin –, sind die Zahlen extrem angestiegen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Konferenz von Évian 1938 kurz vor den Pogromen stattgefunden hat. Da merkten die Juden letztendlich, dass die Auswege, die sie noch hatten, immer weniger wurden.

Die Zahl ist dann, wenn ich es so salopp formulieren darf, künstlich aufgeblasen worden, weil die österreichischen Juden hinzugezählt wurden. In der Summe ergab das eine Zahl, die größer war als die Zahl derer, die vorher im Deutschen Reich waren.

Es gab nur einen ganz großen Unterschied, der für unser Bewusstsein auch sehr wichtig ist – deswegen unterscheiden wir uns in der Wahrnehmung auch von den Österreichern –: 80 % der österreichischen Juden lebten damals in Wien. In Deutschland lebten nur 30 % der Juden in Berlin.

Das heißt, dass das Landjudentum und die kleinen Gemeinden dann auch dem Zugriff der Nazis ausgesetzt waren – in meiner Heimatstadt nicht am 9. November, sondern am 10. November, weil die Schergen erst dann Zeit hatten, sich um die kleinen Gemeinden zu kümmern.

Diese Auswirkungen zeigen, wie nah Freud und Leid in der deutschen Geschichte – wenn man 1989 als Gegenpol heranzieht – beieinanderliegen.

Wir sind sehr Ihrer Meinung, dass dieser Tag und die Entwicklungen, die damit in der heutigen Zeit leider zusammenhängen, ganz klar in unserem Blickfeld bleiben müssen. Wir müssen bei der Antisemitismusbeauftragten etwas tun. Das ist schon in Planung. Auch in Bezug auf die junge Generation müssen wir etwas tun und entsprechende Möglichkeiten bieten – trotz des Wegfalls der Erlebnisgeneration und bald auch der tatsächlich bewussten Kindergeneration.

Deswegen haben wir einen Antrag eingebracht, der den 9. November in einen größeren Zusammenhang stellt. Die Defizite aus unserer Sicht in Bezug auf Ihren Antrag habe ich gerade formuliert. Der 9. November hat nämlich nicht nur 1938 stattgefunden, sondern in der deutschen Geschichte auch zu vielen anderen Zeitpunkten. Das haben wir, soweit man das in einem Antrag von wenigen Seiten tun kann, fundiert herausgearbeitet. Wir haben Forderungen aufgestellt, die in Ihrem Antrag leider fehlen.

Lassen Sie es mich deshalb so formulieren: Wir werden eine wohlwollende Ablehnung Ihres Antrags vornehmen und bitten um Unterstützung unseres Antrags, weil darin die Punkte enthalten sind, die für die Zukunft genau in dem Sinne, den auch Sie hier geschildert haben, wahrscheinlich viel effektiver sind. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bergmann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Paul das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Stephen Paul (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch gestern Abend rang ich um eine Antwort auf eine kleine Zuschrift, die es aber in sich hatte, die vielleicht auch beispielhaft für die Furcht einer zunehmenden Zahl von Menschen in unserem Land steht, eine Furcht vor den Umtrieben der Antidemokraten, der Verfassungsfeinde, eine Furcht, die zumindest Minderheiten in unserem Land längst erfasst hat – alle, die vielleicht etwas anders sind als die meisten.

Da schrieb mir also ein in meiner Heimatstadt Herford geborener alter Bekannter, ein Mann übrigens mittleren Alters: Herr Paul, was raten Sie mir? Wie ist es auf den Straßen und Häusern in Deutschland? Wie ist die Stimmung? Kann ich als Jude mit meinem Ehemann wirklich wieder in die alte Heimat zurückkehren? Nach einigem Zögern und vielen Bildern im Kopf hab ich ihm schließlich zugeraten.

Am Montagabend saßen einige von uns beim Freundschaftsmal der Verbände der Bauindustrie zum Sankt-Martinstag zusammen. Wie in jedem Jahr war für gute Zwecke eine stattliche Spendensumme zusammengekommen.

Nach alter christlicher Tradition aßen wir gemeinsam, tauschten uns an den Tischen im persönlichen Gespräch aus und hörten kluge Ansprachen. Eindringlicher als je zuvor beschworen die Unternehmer an diesem Abend die Notwendigkeit, für die gesellschaftliche Stabilität zu arbeiten, und mahnten uns politische Vertreter zu entschiedenem Handeln zugunsten unserer Gesellschafts‑ und Werteordnung. Ich habe dies so deutlich und sorgenvoll noch nicht gehört.

Ich bin davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle könnten vergleichbare, vielleicht auch eindrucksvollere Geschehnisse dieser Art aus Ihrer täglichen Arbeit in den letzten Wochen berichten.

Mit Blick auf die vorliegenden Anträge der CDU, der FDP und der SPD stelle ich fest: Die allermeisten Mitglieder unseres Landtags eint doch der Wunsch, in diesen Tagen zum 9. November passende Worte zu finden – Worte, denen dann auch Taten in unserem Land folgen müssen, Worte, mit denen wir unsere Wertschätzung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zum Ausdruck bringen, Worte, mit denen wir uns als Demokraten gemeinsam gegen alle Gegner unserer gesellschaftlichen Ordnung wenden können.

Eine Mehrheit von Abgeordneten hat den Antrag vorgelegt mit dem Titel „Der 9. November in der deutschen Geschichte – ein Tag des Innehaltens, Mahnens und Nachdenkens über das, was wir waren, was wir sind und was wir sein wollen!“. Dieser Antrag bietet eine geeignete Grundlage für einen starken, öffentlichen Appell unseres Landtages an alle demokratisch gesinnten Menschen in unserem Land. Eine Mehrheit der Abgeordneten steht bereits dahinter.

Seine Stärke ist auch, dass er den deutschen Schicksalstag in allen seinen Dimensionen beleuchtet – das hat Kollege Bergmann schon deutlich gemacht –: vom folgenreichen Scheitern der demokratischen März-Revolution über die anderen im Antrag dargestellten Ereignisse der Jahre 1918 Max von Baden, Abdankung des Kaisers , den Putschversuch 1923, die herzzerreißenden leidvollen Ausschreitungen und Morde gegen und an den Juden in der Pogromnacht 1938, den Vorabend des Jahres 1939 Georg Elser bis hin zum wohl fröhlichsten 9. November in der deutschen Geschichte, dem Freiheitstag an der Mauer.

Dieser mehrheitlich bereits getragene Beschlussvorschlag verdient die Unterstützung aller Demokraten in unserem Haus. Ich bitte und lade Sie alle ein im Namen meiner freien demokratischen Fraktion: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie mit.

Erinnern wir uns: Es war die Schwäche der ersten Demokratie auf deutschem Boden, dass Demokraten angesichts der Bedrohung durch kommunistische, aber vor allem durch nationalsozialistische Hetzer nicht zueinanderfanden. Die Demokratie wurde schließlich zerrieben. Den Ausgang kennen wir.

Wir haben daraus heute gelernt, angesichts moderner Bedrohungen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht erneut den fatalen Fehler zu begehen, uns im kleinlichen Parteienstreit, etwa über Formulierungen, zu verheddern.

Stimmen Sie doch alle mit. Setzen wir Demokraten gemeinsam heute ein starkes Zeichen zum 9. November, dem Schicksalstag der deutschen Geschichte. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Paul. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Schäffer das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 9. November 1938 markierte einen vorläufigen Höhepunkt des Antisemitismus in der NS-Zeit. Der Antisemitismus der Nationalsozialisten wurde in dieser Nacht für alle deutlich sichtbar, doch nur wenige gingen dagegen aktiv an.

Der 9. November ist für alle Demokratinnen und Demokraten ein wichtiger Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus und gleichzeitig auch eine Mahnung, jeden Tag Haltung zu zeigen gegen Rassismus und Antisemitismus.

Auch 81 Jahre später ist der Antisemitismus in unserer Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet – er war ja auch nie weg. Es gibt eine erschreckende Kontinuität des Antisemitismus in Deutschland.

Ich hatte letzte Woche eine Veranstaltung zum Thema „Antisemitismus“. Dort stellte Professorin Dr. Julia Bernstein ihre Studie vor zu der Perspektive von Jüdinnen und Juden auf das Thema „Antisemitismus“.

Ich finde es wichtig, sich tatsächlich auch mit der Perspektive und den Erfahrungen derjenigen zu beschäftigen, die mit Antisemitismus tagtäglich konfrontiert werden.

Die Studie hat ergeben, dass Antisemitismus ein alltägliches Phänomen für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist, dass Antisemitismus von unterschiedlichen Personen, verschiedenen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen ausgeht.

Erschreckenderweise fühlen sich über 80 % der befragten Jüdinnen und Juden in Deutschland bedroht. Über 90 % der befragten Jüdinnen und Juden sehen Antisemitismus als großes Problem in Deutschland an. Über 40 % der Jüdinnen und Juden in Deutschland denken sogar über eine Auswanderung nach.

Das sind, wie ich finde, sehr erschreckende Ergebnisse aus einer Studie, die im Jahr 2016 gemacht wurde. Ich glaube, heute im Jahr 2019 würden ganz andere Ergebnisse bei so einer Studie herauskommen.

Was ist denn in den letzten drei Jahren in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen passiert? – Wir mussten einen deutlichen Rechtsruck der AfD erleben. Wir mussten erleben, dass sich der organisierte und militante Rechtsextremismus weiter radikalisiert. Auch der NRW-Innenminister sagt ja inzwischen, dass die größte Gefahr neben dem Islamismus vom Rechtsextremismus ausgeht.

Allein in diesem Jahr haben wir die rechtsextreme Amokfahrt im Ruhrgebiet erleben müssen. Im Juni 2019 wurde Dr. Walter Lübcke grausam ermordet, und am 9. Oktober – ausgerechnet an Jom Kippur – beging ein Rechtsterrorist einen Anschlag auf die Synagoge in Halle; zwei Menschen wurden getötet.

Der Anschlag in Halle zeigt auch noch einmal sehr deutlich, dass Antisemitismus nach wie vor ein zentraler Bestandteil des Rechtsextremismus ist.

Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass antisemitische Einstellungen in der gesamten Gesellschaft vorhanden sind. Deshalb müssen wir endlich auch über diese antisemitischen Vorurteile und Stereotype in der Mitte der Gesellschaft reden, denn nur dann können wir den Antisemitismus wirklich bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die eben schon zitierte Studie hat gezeigt, dass Schule ein zentraler Ort von antisemitischer Diskriminierung ist. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer handlungsfähig im Umgang mit Antisemitismus sind.

Wir brauchen eine bessere Erfassung und eine Dunkelfeldstudie über antisemitische Vorfälle.

Die Berichte der Betroffenen machen auch deutlich, dass auch die Ermittlungs‑ und Sicherheitsbehörden Nachholbedarf haben bezüglich der Sensibilität für das Thema.

Was das Thema „Versammlungsrecht“ angeht: Ich persönlich finde es verfassungsrechtlich hochproblematisch, das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht einzuschränken.

Die Antwort auf solche Demonstrationen, die wir alle – wirklich alle hier – für unerträglich erachten, wie wir sie am Samstag in Bielefeld erlebt haben, muss doch sein, die Zivilgesellschaft zu stärken, die Zivilgesellschaft dazu zu ermächtigen, die Versammlungsfreiheit zu nutzen, um ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu zeigen.

Das ist in Bielefeld ja auch gelungen mit 14.000 Menschen, die auf die Straße gegangen sind. Es geht darum, auch diese Zivilgesellschaft weiter zu stärken und zu stützen, um gemeinsam jeden Tag gegen antidemokratische, gegen antisemitische und rassistische Einstellungen Haltung zu zeigen.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Dem vorliegenden Antrag der SPD werden wir gleich zustimmen.

Ich möchte noch ein paar Worte sagen zu dem Entschließungsantrag von CDU und FDP und unser Abstimmungsverhalten auch ein Stück weit erläutern.

Wir wissen um Ihre Haltung gegen Antisemitismus und gegen Demokratiefeindlichkeit. Aber ich meine, dass die Aneinanderreihung der verschiedenen Ereignisse am 9. November in der deutschen Geschichte in diesem Antrag einer Debatte, die wir heute über die Reichspogromnacht, über den 9. November 1938 führen, so nicht angemessen ist. Deshalb werden wir den Antrag gleich auch ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Trotzdem – das möchte ich hier auch noch einmal sagen, weil ich das wichtig finde –: Ich bin froh darüber, dass wir hier gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten ein Signal gegen Antisemitismus senden. Ich glaube, man kann hier so deutlich sagen, dass das heute von dieser Debatte ausgeht. Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 9. November ist tatsächlich kein Tag wie jeder andere. Der 9. November ist in der Tat ein Datum, das uns Deutsche aufruft zur Besinnung, zur Reflexion, ja zur Theoria, also zur betrachtenden Schau unserer Geschichte, denn es ist ein Datum, an dem sich die gesamte Tragik der Geschichte unseres Volkes und Landes wie unter einem Brennglas fokussiert.

Im Entschließungsantrag der CDU findet man dies alles dargestellt. Deswegen werden wir uns diesem Antrag anschließen, auch wenn Sie im dritten Teil natürlich wieder Bemerkungen machen müssen, die man falsch verstehen könnte.

Der Antrag der SPD dagegen greift viel zu kurz. Letztlich instrumentalisieren Sie wieder einmal ein wichtiges politisches Ereignis, um Ihre niederen politischen Beweggründe, nämlich politisches Kapital aus aktuellen Ereignissen zu erzielen, zu verfolgen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Die Morde in Halle und der dortige Anschlag auf die Synagoge sind schreckliche Taten und sollten uns dringend dazu führen, darüber nachzudenken, was hier in diesem Land katastrophal falsch läuft.

Aber eine Analogie zum 9. November 1938 lässt sich in keiner Weise herstellen. Sie vergewaltigen damit die geschichtlichen Ereignisse, um diese für Ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Man sollte nicht von sich auf andere schließen!)

Vom 9. November 1938 aus lassen sich ganz andere Analogien zu unserer Gegenwart herstellen. Ich denke da eher an die Aufmärsche von Antifatruppen, die jede missliebige Personengruppe niederbrüllen und mit Gewalt daran hindern, sich zu versammeln oder sich zu artikulieren.

Die Ereignisse des 9. November 1938 waren nämlich letztlich der Gipfelpunkt einer Entwicklung, wie man sie ja bereits aus der Weimarer Republik kannte.

In der gesamten Zeit seit dem 9. November 1918 mit der Ausrufung der Republik durch Scheidemann erlebte Deutschland Straßenterror zunächst durch die Kommunisten, später dann ab 1923 auch durch die braunen Sozialisten. Zusammen mit den Kommunisten, ihren Brüdern und Schwestern im Geiste, haben sie für Mord und Verbrechen in der Weimarer Republik gesorgt und die Wut und die Niedertracht zum Werkzeug ihrer politischen Einflussnahme gemacht.

(Karl Schultheis [SPD]: Unglaublich!)

So ging der Mob der braunen Sozialisten, die SA, am 9. November 1938 so vor, wie sie es jahrelang gewohnt waren. Angestachelt durch eine jahrelange Diffamierungskampagne der übelsten Art gegen Juden konnten sie ihr schändliches Werk in der Nacht vom 9. auf den 10. November durchführen.

Diese braunen Sozialisten gingen wie gewöhnliche Räuber und Totschläger gegen unbescholtene Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor und zerquetschten die zivilisatorischen Errungenschaften einer hochstehenden Kulturnation unter ihren Stiefeln und Gewehrkolben.

Nach dem 9. November 1989 und der Beseitigung des verbrecherischen DDR-Regimes glaubten nun alle hier in Deutschland, dass diese Form der politischen Auseinandersetzung endgültig vorbei sei.

Die friedliche Entwicklung, die man sich erhofft hatte, wollte sich aber nur für eine kurze Zeit einstellen. Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, 81 Jahre nach der Pogromnacht, erleben wir ein Land, in dem die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 9. November 1989 nur noch mit erhöhtem Sicherheitsaufwand begangen werden können.

Wir erleben ein Land, in dem marodierende Banden unter dem Vorwand des Antifaschismus ganze Stadtteile verwüsten wie in Hamburg, rechtsbrecherisch Eigentümerrechte verletzen und dabei schwerste Verbrechen begehen wie im Hambacher Forst.

Wir erleben ein Land, in dem Juden sich nicht mehr als Juden auf der Straße zu erkennen geben dürfen – Herr Paul hat gerade ein Beispiel genannt –, ohne dass sie Gefahr laufen, belästigt oder bedroht zu werden, ein Land, in das Antisemitismus mit der massenhaften Einschleusung junger Männer aus dem afrikanisch-arabischen Raum noch zusätzlich importiert wird.

(Zuruf von der SPD: Unwürdig!)

Das alles wollen Sie nicht wahrhaben. Das ist für Sie der rosa Elefant im Porzellanladen. Ich weiß es: Sie wollen das nicht wahrhaben, und genau darin versagen Sie schmählich.

(Beifall von der AfD – Heike Gebhard [SPD]: Unerträglich! – Ibrahim Yetim [SPD]: So peinlich!)

Wir müssen mit Kopfschütteln feststellen, dass die Polizei Israelfahnen aus Fenstern entfernt, wenn Demonstrationen von Palästinensern die Straße entlang ziehen.

Wir mussten 2014 voller Entsetzen aus einem Demonstrationszug von Muslimen heraus die gegrölten Rufe „Juden ins Gas“ mit anhören.

Wir können der Presse und zahlreichen Berichten entnehmen, dass jüdische Schüler in der Schule gemobbt werden.

Sie beschimpfen Orbán und sein Regime; dort leben Juden aber zigmal sicherer als in unserem Land.

(Frank Müller [SPD]: Das ist unerträglich!)

Es ist eine Schande, dass Sie durch Ihre Nachlässigkeit und Mithilfe dem Antisemitismus in Deutschland wieder zu einem schrecklichen Comeback verholfen haben.

Dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen, versagen Sie bei der Verfolgung extremistischer Gewalttaten, wenn sie von der linken Seite kommen. Da haben Sie Beißhemmungen, und schon gar nicht gehen Sie gegen die hasserfüllten Antisemiten aus islamischen Kreisen mit staatlicher Gewalt vor.

Lieber stellen Sie falsche Analogien zu historischen Ereignissen her, um Ihr Versagen zu kaschieren. Die SPD hatte in den Revolutionswirren der Jahre 1918 und 1919 starke Politiker in ihren Reihen, welche das Recht und das staatliche Gewaltmonopol durchsetzten.

Mit diesen Politikern, mit Ihren ehemaligen Parteiführern Ebert, Scheidemann und Noske haben Sie nichts mehr gemein. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Seifen für die Fraktion der AfD. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Pfeiffer-Poens-gen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es ist heute mehrfach gesagt worden: Der 9. November ist ein besonderer und auch ambivalenter Tag in der deutschen Geschichte.

Er erinnert an Ereignisse, die mit Unrecht, Gewalt und Leid für viele Menschen verbunden waren. Gleichzeitig ist der 9. November mit dem Mauerfall 1989 mit den ersten Schritten in ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit verbunden.

Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP hebt diese sehr vielschichtige Bedeutung des 9. November hervor und gibt einen Überblick über die ganzen historischen Verläufe seit 1848.

Der 9. November ist also Mahnung, sich auf die Werte des Zusammenlebens in Frieden und Freiheit zu besinnen und sich für ihre Verankerung in unserer Gesellschaft einzusetzen. Das habe ich, Herr Seifen, bei Ihrem Beitrag gerade wirklich vermisst.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Wie wichtig es heute immer noch ist, sich dafür einzusetzen, hat der bereits mehrfach angesprochene antisemitische Anschlag in Halle auf schreckliche Weise gezeigt. Der Antisemitismus ist keinesfalls überwunden; er ist heute noch genauso präsent und stellt eine ständige Bedrohung in unserer Gesellschaft dar.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Entschuldigen Sie …

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Die Landesregierung stellt sich gegen jegliche Form rechtsextremistischer, antisemitischer und rassistischer Tendenzen. Für Hass und Gewalt darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum geben.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau …

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: In Nordrhein-Westfalen haben wir ein weltoffenes und vielfältiges Land, und so verstehen wir uns alle in dieser Gesellschaft. Religiöse und kulturelle Toleranz haben auch eine lange Tradition, und sie sind die Grundlage unseres Zusammenlebens. Diese klaren Positionierungen haben die Landesregierung, aber auch dieses Parlament immer wieder bekräftigt.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beer.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Vielleicht könnten wir das am Schluss abhandeln. Ich würde gerne erst einmal zu Ende sprechen.

Auf rechtsextremistische und antisemitische Taten muss entschieden mit klaren staatlichen und auch repressiven Maßnahmen reagiert werden, aber das alleine reicht eben nicht aus; das geht manchmal hier ein bisschen unter.

Darüber hinaus geht es um gesamtgesellschaftliches Engagement in der Prävention gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, das wir unbedingt unterstützen müssen.

Im Sommer 2018 hat der Landtag einstimmig beschlossen, dass für Nordrhein-Westfalen eine Antisemitismusbeauftragte eingesetzt wird. Frau Bundesministerin a. D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nimmt seit November 2018 diese Aufgabe wahr.

Sie koordiniert präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung und ist Ansprechpartnerin für Opfer von antisemitischen Taten. Auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass es einen solchen Ort gibt. Am 8. November hat sie den Jugendkulturpreis gegen Antisemitismus verliehen, um auch auf diese Weise auf diesen besonderen, wichtigen Tag hinzuweisen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ein weiteres Element in der Arbeit gegen Antisemitismus ist das integrierte Handlungskonzept des Landes Nordrhein-Westfalen gegen Rechtsextremismus und Rassismus aus dem Jahr 2016. Hier bilden die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und die Stärkung der Präventionsarbeit ein wichtiges Ziel. Zurzeit wird dieses Konzept evaluiert. Anfang 2020 wollen wir es basierend auf diesen Entwicklungen erneuern und weiter betreiben.

Auch die Landeszentrale für politische Bildung unternimmt zahlreiche Aktivitäten in dem Bereich der Präventionsarbeit. Um Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen wirksam entgegentreten zu können, ist die lokale Arbeit, also die Arbeit vor Ort, wichtig.

Das heißt nicht nur, dass wir uns gegenseitig dieser Haltung versichern, sondern wir müssen auch wirklich vor Ort dort, wo Dinge entstehen, wo solches Gedankengut bei jungen Leuten Eingang findet etwas tun. Deswegen sind es oft auch kleinteilige Programme, aber nur damit werden wir von Anfang an diesem Gedankengut begegnen können.

Die Landeszentrale unterstützt seit 2017 im Rahmen des Programms „NRWeltoffen“ Kreise und kreisfreie Städte dabei, passgenaue, lokale Handlungskonzepte zu erarbeiten. Im Moment werden 23 Kommunen gefördert.

Es gibt auch ein breites Angebot an Beratungsstrukturen. Das ist, glaube ich, sehr wichtig. Fünf mobile Beratungsteams sind im Land unterwegs, es gibt zwei Opferberatungsstellen und natürlich ein Projekt zum Ausstieg.

Das mag Ihnen an einem solchen Tag kleinteilig erscheinen, aber ich glaube, dass die Prävention eine ganz entscheidende Rolle für die zukünftigen Entwicklungen spielen wird. Insofern müssen wir uns neben den grundsätzlichen Debatten über das Thema auch örtlich engagieren.

Das tun übrigens auch die 29 NS-Gedenkstätten und NS-Erinnerungsorte, die es in Nordrhein-Westfalen gibt. Sie sind sehr oft von der Zivilgesellschaft getragen, und wir wollen sie in Zukunft damit haben wir schon begonnen stärker unterstützen, weil auch das Orte sind, an denen wir mit diesem Thema arbeiten und vielleicht zum Abwenden von der falschen Ideologie beitragen können.

Der 9. November wird uns also in dieser Vielschichtigkeit jedes Jahr wieder beschäftigen, aber eben auch zwischendurch. Die Lehren aus diesem Tag und den Ereignissen, die sich mit diesem Tag verbinden, dürfen wir nie aus den Augen verlieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Sie hatten angekündigt, die Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer am Ende der Rede beantworten zu wollen bzw. ihr die Gelegenheit zum Fragen zu geben. – Das wollen wir jetzt ermöglichen. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. Danke schön, Frau Ministerin. Ich möchte angesichts eines vorherigen Beitrags hier im Haus gerne folgende Frage an Sie stellen:

Der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, hat zur Haltung der AfD zum Holocaust Folgendes ausgeführt: Mehrere Male habe ihr Führungspersonal Dinge gesagt, die er als hochgradig beleidigend für Juden, für Israel und für das ganze Thema des Holocaust empfinde. Viele Deutsche hätten über die Jahre eine sehr respektvolle Erinnerungskultur entwickelt. Und – Zitat –: „Diese Qualität würde ich der AfD nicht zuschreiben.“

Ist es richtig, dass dies auch in dem Zusammenhang gesagt worden ist, dass Besuche von AfD-Politikern hier aus dem Land von Yad Vashem und Jerusalem untersagt worden sind und dass der jüdische Staat Israel keine Besuche in diesem Zusammenhang zulässt?

(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Das ist falsch!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben die Möglichkeit, diese Frage zu beantworten oder es auch nicht zu tun, wenn Sie das nicht können oder nicht wollen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Wollen schon, aber können nicht. – Es ist eine klare Haltung des Staates Israels, die über den Botschafter kommuniziert wird, und das kann man nur unterschreiben.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der guten Ordnung halber weise ich darauf hin, dass die Landesregierung, bevor wir zu der Zwischenfrage kamen, ihre Redezeit um 57 Sekunden überzogen hat; das haben aber fast alle anderen Fraktionen ebenfalls getan. Gleichwohl frage ich, ob es den Wunsch nach einer Wortmeldung gibt. – Das ist nicht der Fall.

Bevor wir am Schluss der Aussprache zur Abstimmung kommen: Von Frau Abgeordneter Gödecke ist angezeigt worden, dass sie eine Erklärung zu ihrem Abstimmungsverhalten gemäß § 47 Abs. 1 Geschäftsordnung geben möchte. Dafür hat sie jetzt das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Gödecke.

Carina Gödecke (SPD):: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion wird sich beim Entschließungsantrag von CDU und FDP gleich enthalten. Ich will sehr deutlich sagen, dass das für mich nicht infrage kommt und dass ich das nicht tun kann und auch nicht tun werde. Ich werde dagegen stimmen.

Und das nicht etwa, weil ich etwas in dem Antrag für falsch halte oder weil ich es so, wie es formuliert worden ist, nicht mittragen könnte. Meine große Sorge, die sich beim Redebeitrag des von mir sehr geschätzten Kollegen Herrn Dr. Bergmann ergeben hat, ist vielmehr, dass die Koalitionsfraktionen, ohne es zu wollen, an dieser Stelle Reaktionen hervorrufen werden, die nicht richtig sind; dass sich diese Sorge bewahrheitet hat.

Wir alle miteinander wissen doch, dass es Tage bzw. Situationen gibt, bei denen politisch differenziertes Verhalten und Argumentieren ausnahmsweise nicht richtig sind, weil eindeutige Positionierungen und eindeutige Haltungen zu einem Punkt gefragt sind

(Beifall von der SPD)

und man den Blick darauf fokussieren muss.

Der 9. November, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gerade mal vier Tage vorbei. Viele von uns waren bei den Gedenkveranstaltungen, viele von uns haben dort geredet, viele von uns haben jüdische Freundinnen und Freunde und haben gehört, wo die Sorgen liegen und was dort mit großer nachvollziehbarer Beängstigung erzählt wird.

Ich will daran erinnern, was Herr Dr. Horowitz, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde hier in Düsseldorf und der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Nordrhein, am Freitag bei der Gedenkveranstaltung – sehr nüchtern, sehr kühl, sehr kalt für seine Verhältnisse – gesagt hat: Die Situation sei so, dass sie drei Tage bräuchten, um alle Juden aus Deutschland zu evakuieren. – Das erschreckt mich zu Tode.

Deshalb will ich sagen, dass ich jetzt nicht anders argumentieren und nicht anders abstimmen kann, als dagegen zu sein. Sie wissen vielleicht, dass ich Trägerin der Josef-Neuberger-Medaille bin, und Sie wissen vielleicht sogar, dass ich am Sonntag mit der Dr.-Ruer-Medaille ausgezeichnet worden bin. So klar, wie ich mich da geäußert habe, wünsche ich mir das auch im Parlament, und deshalb werde ich nicht mit meiner Fraktion stimmen.

Es seien mir noch ein oder zwei Sätze zu dem unsäglichen Redebeitrag von dieser Seite gestattet.

(Carina Gödecke [SPD] deutet in Richtung der AfD-Fraktion.)

Der Kampf der vier demokratischen Fraktionen gegen Antisemitismus ist in keinem Fall ein niedriger politischer Beweggrund.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das ist nicht nur falsch; das so zu sagen, instrumentalisiert.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie verfälschen meine Aussage!)

Herr Seifen, Nationalsozialisten sind Nationalsozialisten

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und keine braunen Sozialisten.

Herr Dr. Bergmann, auch wenn ich das, was Sie gesagt haben, nachvollziehen kann, auch wenn ich Sie persönlich ausgesprochen hoch schätze und mag: Eine „wohlwollende Ablehnung“ bei diesem unseren Antrag kann ich nicht akzeptieren. Ich bitte Sie: Überdenken Sie Ihr Abstimmungsverhalten,

(Bodo Löttgen [CDU]: So geht es nicht! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

weil ich meines auch gerne überdenken würde.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gödecke.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Erklärungen sind nicht angezeigt.

Daher können wir jetzt zur Abstimmung kommen – zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD mit der Drucksachennummer 17/7757. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich jetzt über den Inhalt des Antrags abstimmen lasse. Ich darf fragen, wer dem Antrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU,

(Zurufe von der SPD)

der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Pretzell.

(Zuruf: Das muss doch wehtun!)

Ich frage, ob es Enthaltungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 17/7757 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis nicht angenommen wurde.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Zweitens lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP mit der Drucksachennummer 17/7865 abstimmen. Ich darf fragen, wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Pretzell. Ich darf fragen, wer dagegen stimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

(Zuruf: Unglaublich!)

und zahlreiche Abgeordnete der Fraktion der SPD, unter anderem Frau Abgeordnete Gödecke, die das ja auch ausdrücklich erklärt hat. Ich frage, wer sich der Stimme enthalten möchte. – Das sind die übrigen Abgeordneten der Fraktion der SPD. Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 17/7865 mit Mehrheit vom Hohen Hause angenommen wurde.

Damit sind wir am Schluss der Beratung zu Tagesordnungspunkt 3 und kommen zum Tagesordnungspunkt

4   Klimakrise: Mehr Unterstützung für die Kommunen bei Klimaschutz und Klimafolgenanpassung!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7751

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordneter Brems das Wort. Bitte sehr.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir brauchen mehr Unterstützung für die Kommunen bei Klimaschutz und Klimafolgenanpassung. Denn ohne die Kommunen wird der Klimaschutz nicht gelingen. Gerade bei Verkehr, Gebäude und Energie ist es essenziell, dass in den Kommunen das, was an unterschiedlichen Stellen an Zielen ausgerufen wird, auch umgesetzt wird.

Man muss ganz klar sagen: Die Klimakrise ist in den Kommunen schon längst angekommen. Dort – das sieht man an vielen Stellen an den Diskussionen, beim Thema Klimanotstand beispielsweise – merkt man schon heute die Auswirkungen von Hitze und Starkregen. Selbst wenn wir unsere Klimaschutzanstrengungen noch so sehr erhöhen: Diese Auswirkungen werden in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen.

Wir sehen also, dass über Klimaschutz und Klimafolgenanpassung in den Rathäusern von Nordrhein-Westfalen diskutiert wird. Aber es ist noch nicht so, dass entsprechendes Handeln folgt. Die Frage ist, warum. Da gibt es in den einzelnen Kommunen viele unterschiedliche Gründe. Wir haben in vielen Kommunen einen Investitionsstau. Wir haben einige Kommunen, die von Altschulden erdrückt werden. Wir haben kleinere Kommunen, die einfach nicht genug Personal haben. An der einen oder anderen Stelle mag es auch an der fehlenden Priorisierung liegen.

Das heißt, es braucht dringend eine Unterstützung durch Bund und Land. Auch der Städte- und Gemeindebund hat sich in den letzten Wochen und Monaten in mehreren Pressemitteilungen genau dazu geäußert. Die letzte Pressemitteilung stammt vom 05.11. Da hat Hauptgeschäftsführer Dr. Schneider aus NRW gesagt: „Mit kurzatmigen Förderprogrammen werden wir langfristige Ziele nicht erreichen.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Was folgt nun aus dieser Forderung und aus diesen Problemen? – Wir haben in unserem vorliegenden Antrag eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie wir die entsprechenden Kommunen unterstützen können.

Unser erster und größter Punkt ist unser Programm „Gutes Klima 2030“. Darin geht es darum, dass Investitionen in kommunale Klimaschutz- und Klimafolgenanpassungsmaßnahmen umgesetzt werden können. Wir wollen, dass dafür jedes Jahr 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, und zwar über die nächsten zehn Jahre. Das wären 5 Milliarden Euro bis 2030 über vom Land zu tilgende Kredite.

Wir wollen, dass ganz flexible, einfache Förderbedingungen dazu führen, dass in den Kommunen das, was eigentlich schon an Ideen da ist, auch endlich umgesetzt wird. Denn dafür ist es jetzt wirklich Zeit. Es ist Zeit, dass Klimaschutz umgesetzt wird, dass Kämmerinnen und Kämmerer das Geld nicht irgendwo liegen lassen, sondern genau dieses Geld dafür nutzen, dass die entsprechenden Maßnahmen endlich in den Kommunen auf die Straße kommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Aspekt, den wir fordern, ist, dass Konzepte für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung noch stärker umgesetzt werden müssen. Wir brauchen hier eine Verpflichtung ab dem Jahr 2022.

Es gibt schon viele Kommunen, die entsprechende Konzepte haben. Aber an manchen Stellen fehlt dann ein entscheidender Punkt, dass die Konzepte nicht in irgendeiner Schublade verschwinden, sondern dass es eine regelmäßige Überprüfung vor Ort gibt. Es muss geguckt werden, welche Klimaschutzziele man hat, welche Maßnahmen dafür umgesetzt werden und ob das auch geschieht. Und falls das nicht geschieht, muss entsprechend nachgesteuert werden. Denn einfach nur Ziele und entsprechende Maßnahmen in der Schublade zu haben – das wissen wir –, reicht eben nicht. Das kennen wir ja auch aus der nordrhein-westfälischen Ebene.

Dann möchte ich noch weitere Aspekte benennen, die wir auch weiterhin fordern. Wenn wir uns anschauen, welche Förderprogramme wir brauchen, ist es das Erste, dass es in einigen Kommunen schon Klimaschutzmanagerinnen und -manager gibt. Diese werden aber vom Bund maximal fünf Jahre gefördert. Danach ist ganz häufig Schluss. Das heißt, in den meisten Kommunen hört dann die Umsetzung der Klimaschutzkonzepte auf, und deswegen ist unsere Forderung, diese Klimaschutzmanager weiter zu unterstützen, und zwar, solange das vom Bund nicht geschieht, von der Landesebene.

Der zweite Aspekt: Die Klimafolgenanpassung wird in den Kommunen häufig nicht gemanagt, und auch hier brauchen wir entsprechende Personen, die das unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auf den großen Komplex der Förderprogramme eingehen. Wir haben in NRW natürlich schon einige Förderprogramme. Einige gibt es schon sehr lange, andere wurden jetzt ergänzt.

Nun müssen wir dahin kommen, dass nicht mehr nicht nur eine Kommune, die besonders gut und schnell ist, eine Unterstützung erhält, sondern jetzt ist es Zeit, dass der Klimaschutz in der Breitenförderung ankommt. Das heißt, bestehende Förderprogramme müssen genau dahin aufgebaut werden. Es reicht eben nicht, so sehr ich beispielsweise Kreise wir den Kreis Steinfurt dafür schätze und toll finde, wie sehr er Vorreiterarbeit geleistet hat, die Programme immer nur in eine bestimmte Region zu bringen, denn dann ist insgesamt für den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen nicht genug getan, und deswegen brauchen wir eine entsprechende Breitenförderung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Genauso muss es eben sein, dass bestehende Förderprogramme des Landes überprüft werden. Denn manchmal kann es doch sein, dass entsprechende Förderungen für Kommunen auch dazu führen, dass vor Ort Dinge gefördert werden, die beispielsweise einem bestehenden Frischluftschneisenkonzept oder einem bestehenden Klimaschutzkonzept entgegenstehen. Solche Sachen müssen vermieden werden.

Das heißt, Förderprogramme des Landes dürfen nicht den Klimaschutzinteressen der entsprechenden Kommunen entgegenstehen.

Last but not least – ich habe jetzt nur die größten Punkte herausgenommen – ist für uns auch noch ein Unwetterfonds wichtig. Das heißt, Kommunen, die alles getan haben, von Verwundbarkeitsanalysen über Klimaanpassungskonzepte, und trotzdem unter Extremwetterschäden leiden, müssen unterstützt werden, und genau dafür muss das Land die Unterstützung bieten.

Wir brauchen also diese Bandbreite. Ich freue mich auf eine breite Diskussion hier und in den entsprechenden Ausschüssen und auch darauf, dass wir diese Unterstützung dann hoffentlich auch von Bund und Land bekommen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Ritter.

Jochen Ritter*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich mit der ersten Hälfte des Antrages auseinandergesetzt, der – neutral formuliert – Fragen zur Finanzierung von Maßnahmen und zum Klimaschutz in den Kommunen zum Gegenstand hat. Man könnte es auch konfrontativer ausdrücken: Nachdem Sie uns in der Sache nicht widerlegen konnten – siehe Aktuelle Stunde von heute Morgen –, versuchen Sie es nun über den Umweg der Gemeindefinanzierung. Aber auch das überzeugt nicht.

Sie steigen ein mit einer Binsenweisheit: All Business is lokal. Das heißt, die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in den nordrhein-westfälischen Gebietskörperschaften angekommen. Allerdings haben die Kommunen auf die Entwicklung des Klimas einen zwar nicht unerheblichen, aber selten unmittelbaren Einfluss, jedenfalls wenn es um CO2-Emissionen geht. Das ist die Quintessenz zweier Klimaschutzkonzepte, die ich in meiner letzten beruflichen Station vor dem Wechsel in den Landtag für eine Stadt mit ca. 50.000 Einwohnern betreut habe.

Die Energieverbräuche in ihrem Gebiet verteilen sich jeweils zu einem Drittel auf die Wirtschaft, die Haushalte und den Verkehr. Ein kleiner Anteil von ca. 2 % blieb übrig, und das sind die kommunalen Einrichtungen, auf die die Stadt unmittelbaren Einfluss hat. In anderen Bereichen sind sie auf die Kooperation, auf Akzeptanz angewiesen, und da sehe in der Bürgerschaft für Ihren Weg alles andere als die Begeisterung, die eben die Herren Stinka und Sundermann reklamiert haben.

Deshalb hat sich besagte Stadt in zwei vom Bund geförderten Teilkonzepten darauf konzentriert, die für ihre Zwecke genutzten Gebäude und die Straßenunterhaltung mit Einsparpotenzialen von 45 % bei Wärme und 39 % bei Strom zu optimieren. Die dafür erforderlichen Maßnahmen konnten seinerzeit – 2014 bis 2017 – tatsächlich aus finanziellen Gründen nicht alle auf einmal umgesetzt werden. Die Schwierigkeiten lagen allerdings – anders als im Antrag beschrieben – weniger bei den Investitionen als im Aufwand. Die Investitionen lassen sich bei knappen Kassen in kommunalen Haushalten zuweilen einfacher darstellen als die laufende Unterhaltung.

Mittlerweile hat sich die kommunale Finanzausstattung erheblich geändert, sowohl im konsumtiven wie auch im investiven Bereich. Über das GFG 2020 sollen die Kommunen über ein Fünftel mehr Mittel als nach Ihrem letzten GFG erreichen. Von den 47 Millionen Euro, die im Entwurf des Etats für Radwege veranschlagt sind – das ist im Übrigen so viel, wie bisher für Straßenbau vorgesehen war –, sollen den Kommunen 17 Millionen Euro zufließen. Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass die These, es sei vor dem Hintergrund für viele Kommunen in NRW praktisch unmöglich, ihrer Verantwortung für den Klimaschutz nachzukommen, nicht zu halten ist.

Deshalb kann von einem historischen Versäumnis, das Sie uns unter Bezugnahme auf das Klima sozusagen an den Hals hängen wollen, weil wir in den vergangenen zweieinhalb mehr oder weniger fetten Jahren viele, aber noch nicht alle finanziellen Herausforderungen der Kommunen geregelt haben, keine Rede sein.

Dann haben Sie auch noch die Chuzpe, vorzuschlagen, dieses historische Versäumnis gelte es nun in einem sich verschlechternden konjunkturellen Umfeld schnellstmöglich zu beseitigen. Wenn das dann so leicht möglich wäre, stellt sich schon die Frage, warum Sie das in der letzten Legislaturperiode, als NRW unter Ihrer Regierung wirtschaftlich vor sich hin dümpelte, nicht bereits erledigt haben.

Auch die nächste vorgetragene Idee ist nicht viel besser, nämlich mit der Systematik von „Gute Schule 2020“ für gutes Klima 2030 zu sorgen, denn ob weitere Schulden die richtige Antwort auf Fragen sind, bei denen es auch um Nachhaltigkeit geht, darüber kann man auch bei verlockend günstigen Kapitalmarktzinsen geteilter Meinung sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Weniger Risiko – gleichwohl nicht minder erfolgreich – ist dann doch die gezielte Förderung von Projekten wie zum Beispiel die Ausrüstung der Caritas mit Elektrofahrzeugen. 24 Stück davon wurden unlängst in meinem Wahlkreis in Betrieb genommen – auch nicht „kurzatmig“, Frau Brems, sondern auf mittlere Sicht –, und jedes einzelne wurde neben dem Umweltbonus des BAFA mit 2.700 Euro aus der Landeskasse gefördert.

Apropos „Förderung durch den Bund“: Diese Förderung würde im Falle von Klimaschutzmanagement wahrscheinlich entfallen, wenn wir kommunale Klimaschutzkonzepte zur Pflicht machen würden. Zudem geht es auch freiwillig. Die meisten Kommunen kennen ihre Potenziale zur Vermeidung von CO2 bereits seit Längerem oder sind sich derer spätestens in den letzten Monaten bewusst geworden. Sie brauchen niemanden, der ihnen sagt, wo es langgeht. Herr Stinka, da haben wir sein anderes Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung.

Die Kommunen heben ihre Potenziale in eigener Verantwortung teils auf der Grundlage von Klimaschutzkonzepten, teils in anderem Kontext. Der Kreis, bei dem ich meinen beruflichen Werdegang begonnen habe, erfasst seine Verbräuche an Gas und Strom schon jahrzehntelang akribisch und hat daraus für seine Schulen schon vor Langem – als von Klimaschutzkonzepten noch gar keine Rede war – die entsprechenden baulichen und technischen Konsequenzen gezogen und so tonnenweise CO2 gespart.

Auch die Stadt, in deren Rat ich sitze, hat in den vergangenen Jahren in unterschiedlicher Hinsicht Beträchtliches für den Klimaschutz bewirkt, ohne dafür ein eigenes Konzept zu entwerfen. Sie hat die Mittel, die dafür aufzuwenden gewesen wären, in Fachplanungen oder unmittelbar in Maßnahmen fließen lassen. So geht es auch.

Ich habe in Englisch begonnen und will es auch in Englisch zu Ende bringen. Die Kommunen sind im Weltmaßstab nicht die Big Player auf dem Feld des Klimaschutzes, aber relevante, mündige und kundige Akteure, die mit den vorhandenen Mitteln und ohne Zwang einiges bewirken können. Das Land NRW ist kein Big Spender, der mit der Gießkanne – Sie haben es Breitenförderung genannt – zusätzliche Mittel verteilt, sondern die Kommunen auf einer soliden Basis gezielt unterstützt.

Wiederstehen Sie bitte auch der Versuchung, wie in dem Film „The Big Short“ mit billigem Geld große Räder zu drehen. Damit meine ich gar nicht einmal Windräder, sondern die Finanzierung vermeintlich oder tatsächlich überragender Zwecke auf Pump, denn damit verengen Sie auf der einen Seite die Spielräume für die Zukunft, die sie auf der anderen Seite eigentlich schaffen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Ritter. – Jetzt spricht Herr Stinka für die SPD-Fraktion.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ritter, bei uns Sozialdemokraten hieß es früher immer: Stadt und Land Hand in Hand. Ich glaube, dagegen ist nichts einzuwenden. Wir haben hier aber von Ihnen wieder eine Rede gehört, die mehr defensiv war, anstatt sich den Fragen des Antrags auch einmal zu stellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir debattieren heute hier bereits zum zweiten Mal über das Thema „Klimapolitik“ und merken ganz klar, dass sich die Prioritäten, die Überlegungen, wie wir auf die Klimafolgenanpassung, auf den Klimawandel eigentlich eingehen wollen, geändert haben. Die Herausforderungen des Klimawandels sind unausweichlich und stellen uns vor große Fragen. Diesen Fragen müssen wir uns stellen.

Bei Ihnen höre ich dann aber immer „Freiwilligkeit“ und „Die machen doch schon.“ – Ja, die Kommunen machen das gut.

Sie sind aber eine Landesregierung, die das vielleicht einmal bündeln sollte und die stolz darauf sein sollte, dass es so viele Initiativen gibt, die man dann aber gemeinsam mit Ihnen organisiert.

Wenn Sie über die Finanzierung von Kommunen reden, will ich noch einmal deutlich machen, dass wir in unserer Regierungszeit das Thema „Altschulden“ und das Thema „Stärkungspakt“ aufgelegt haben, damit die Kommunen handeln können, Herr Ritter. Da sollte doch mehr Offensive drin sein.

Wir konnten erst in dieser Woche auf dem Waldkongress der Umweltministerin erleben, wie Professor Schellnhuber auf die Gefahren des Klimawandels eindringlich hingewiesen hat, Kolleginnen und Kollegen, und ein schnelleres Handeln auch von der Landesregierung eingefordert hat. Es sind ja Ihre Veranstaltungen, über die wir hier berichten.

Damit wir unsere Klimaziele erreichen, sind die Kommune zentrale Akteure und Partner. Sie entwickeln schon heute Klimaschutzkonzepte und setzen diese gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern mit vielen Maßnahmen um. Im Mittelpunkt stehen hier die Förderung von erneuerbaren Energien, die Steigerung der Energieeffizienz – sie kommt meiner Einschätzung nach häufig zu kurz, auch in Ihrer Betrachtungsweise – durch energetische Gebäudesanierungen und, was heute gezielt wichtig ist, die Stadt- und Quartiersentwicklung.

Im Bereich des Klimaschutzes fördern Städte, Gemeinden und Kreise eine nachhaltige Flächennutzung – ich erinnere nur an Ihre Entscheidung zum LEP –, eine umweltverträgliche Wasserversorgung und Abwasserbehandlung und eine effiziente Abfall- und Ressourcenwirtschaft.

Große Punkte werden in den nächsten Jahren auch eine klimafreundliche Mobilität und eine nachhaltige Beschaffung sein. Hierdurch wird die regionale Wertschöpfung, die Sie immer wieder gerne auf den Lippen führen, und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen gerade in Richtung Mittelstand und Handwerk gestärkt.

In Zukunft werden die Aufgaben der Anpassung an die Folgen des Klimawandels in den Kommunen aber eine immer größere Rolle spielen. Bei Extremwetterereignissen – dazu gab es eine Veranstaltung in Münster – wie Starkregen, Hochwasser und Stürmen ebenso wie Hitze- und Dürreperioden ergibt sich eine Aufgabe für die Kommunen, Herr Ritter, bei der das Land gemeinsam – und da rede ich nicht nur immer über Geld – mit den Kommunen überdenken muss, wie hier gearbeitet werden soll.

Die mit Hitze und Extremwetterereignissen verbundenen Risiken sind für die Lebens-, Umwelt- und Wirtschaftsbereiche Risikofaktoren vor Ort. Wenn – wie in meiner Heimatstadt zweimal – eine Überschwemmung passiert, leiden auch mittelständische Betriebe darunter. Das kann das Land nicht einfach wegschieben. Maßnahmen zum Umgang mit diesen Risiken und zur Vermeidung der Verwundbarkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels sind deshalb auf lokaler Ebene umzusetzen, aber mit der Landesregierung gemeinsam zu bearbeiten.

Als konkrete Beispiele nenne ich für die SPD-Fraktion den Hitzestress und Hitzeinseln; dazu haben wir schon eine Debatte geführt. Die Durchschnittstemperatur ist im Regierungsbezirk Detmold im Zeitraum von 1981 bis zum Jahr 2010 von 8,5 Grad auf 9,3 Grad Celsius angestiegen. Das wird unter anderem dadurch sichtbar, dass eine steigende Zahl von Sommertagen mit einer Temperatur von über 25 Grad Celsius feststellbar ist. Dies erzeugt Hitzestress, und die Belastungen werden im Regierungsbezirk Detmold von ungefähr 270.000 Menschen zu erleiden sein.

Wenn wir über Lebensqualität und darüber sprechen, wie Menschen langfristig in ihren Wohnquartieren eine lebenswerte Zukunft haben, haben Land und Kommune gemeinsam Strategien zu entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sie haben sich auch Gedanken darüber zu machen – wir hatten eine Anhörung dazu –, wie man diesen Extremwettereignissen begegnen kann.

Das kann die Kommune mit dem Land organisieren, und dabei muss sich die Kommune auf das Land verlassen können. Sie haben doch auch Veranstaltungen dazu durchgeführt. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich da immer wegstehlen.

Diese Belastungen konzentrieren sich dabei auf die größeren Städte. In Bielefeld wären etwa 65.000 Menschen betroffen, in Minden 30.000 und in Gütersloh 25.000. Durch den fortschreitenden Klimawandel wird sich die Anzahl der betroffenen Menschen bis Mitte des Jahrhunderts verdreifachen.

Die Kommunen stehen aktuell vor der Herausforderung, neben der Umsetzung der Klimaschutzziele auch konkrete Strategien zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu entwickeln. Dabei wird das Klimaschutzpaket der Bundesregierung die Aktivitäten und die Handlungsmöglichkeiten maßgeblich bestimmen und beeinflussen. Die Beschlüsse der Bundesregierung sehen erstmalig gesetzliche, verbindliche Klimaziele für die Sektoren Verkehr, Energie, Industrie und Gebäude vor.

Auch hier sind die Kommunen handelnde Akteure, die aber – und das macht die Bundesregierung deutlich – nicht allein gelassen werden können, weshalb klare Hilfen für die Kommunen notwendig werden – Freiwilligkeit hin oder her.

Diese Ziele werden in einem Klimaschutzgesetz und in einem jährlich sinkenden Treibhausgasbudget festgeschrieben. Der Druck auf alle Akteure wird also steigen. Alle in diesem Bereich sind von kommunaler Bedeutung. Die vorgegebenen Ziele, beispielsweise die Reduktion von CO2 um 60 % im Verkehrsbereich, haben zwangsläufig Auswirkungen auf das Leben in den Kommunen. Dies lässt sich kaum allein durch Erweiterungen von Fußgängerzonen erreichen, sondern setzt eine Verkehrswende voraus.

Diese Verkehrswende muss gemeinsam mit einem großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen erarbeitet werden, weil der kommunale Blick allein nicht reicht, Herr Ritter. Deswegen sollten wir uns darüber unterhalten, wie das Land gemeinsam mit den Kommunen arbeiten soll.

Die deutliche Reduktion von CO2 im Wärmebereich hat ähnliche Konsequenzen. Die Gebäudesanierung, eine andere Gebäudeausstattung sowie die Raumplanung sind ganz entscheidende Punkte. Heute Morgen haben Sie in der Debatte deutlich gemacht, dass Sie vorhaben, die Klimaziele höherzuschrauben bzw. sich an die Bundesregierung anzupassen.

Das setzt doch zwangsläufig voraus, dass Sie mit den Kommunen in einen Dialog treten müssen und mit ihnen darüber reden müssen, wie man diese Ziele verfolgt. Schließlich sind Sie Player in diesem Spiel.

Das Modellprojekt InnovationCity, das von der rot-grünen Landesregierung initiiert worden ist, zeigt eindrucksvoll, dass Politik und Verwaltung gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Veränderungen und Fortschritte im Hinblick auf die Klimawende herbeiführen können. Wir haben dieses Projekt initiiert, um die Kommunen eben nicht allein zu lassen und deutlich zu machen, dass Innovation und Beratungstätigkeiten durchaus im Interesse des Landes sind. Das ist übrigens auch der Hintergrund für meine Kritik an Ihrem Umgang mit InnovationCity heute Morgen.

Anpassungsaspekte des Klimawandels sollten und müssen verstärkt in die kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozesse integriert werden. Klimaanpassung muss fester Bestandteil kommunaler Planungs- und Investitionsentscheidungen werden. Diese systematische Integration erfordert ein koordiniertes strategisches Vorgehen. Ich erwähne das, weil Sie diejenigen sind, die diese Ziele benennen wollen. In vielen Kommunen gibt es diese Klimaanpassungskonzepte bereits.

Wenn wir aber von einem strategischen Vorgehen sprechen wollen, ist es langfristig unbedingt notwendig, nicht nur sektoral zu arbeiten – das habe ich gerade ausgeführt –, sondern regionale Strategien bzw. ein regional koordiniertes Vorgehen anzustreben. Es bedarf daher einer koordinierten Maßnahmensetzung auch des Landes.

Es muss unser Ziel sein, die Kommunen in die Lage zu versetzen, komplexe Klimaanpassungsmaßnahmen fachbereichs- und städteübergreifend zu planen, zu organisieren und umzusetzen. Hierfür müssen wir auf Landesebene eine Grundlage schaffen, um den Kommunen mit Blick auf adäquate Personalressourcen und geeignete Organisationsformen in den Kommunen und in den Regionen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.

Ich freue mich auf eine spannende Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stinka. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Bombis.

Ralph Bombis*) (FDP): Guten Tag! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Der vorliegende Antrag erwähnt es nicht mit einem Wort, aber er fordert die Einführung eines gesetzlichen Klimavorbehalts. Diesmal ist diese Forderung heimlich verpackt in einem Antrag zur Förderung des Klimaschutzes in den Kommunen.

Sie fordern nicht nur, die Kommunen zur Einführung eigener Klimaschutzkonzepte zu verpflichten, sondern Sie verlangen auch, dass die Kommunen dort verbindliche CO2-Einsparziele festsetzen. Sie machen dort aber nicht halt, sondern verlangen faktisch, geradezu sämtliche Fördermaßnahmen des Landes und der Kommunen unter einen Klimavorbehalt zu stellen.

Damit das klar ist: In der Sache sind wir uns einig. Erfolgreiche Maßnahmen für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung sind angesichts des Klimawandels dringend nötig.

Wir sind allerdings der Auffassung, dass Ihr Ansatz wirklich effektiven Klimaschutz und Klimafolgenanpassung an vielen Punkten eher hemmt. Eine Politik, die auf Quoten und starre Vorgaben setzt, ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, den Städten und Gemeinden und auch gegenüber den Unternehmerinnen und Unternehmern. Das ist nicht unser Weg.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir stehen zu einer strengen Deckelung des jährlichen CO2-Ausstoßes zur Erfüllung der Pariser Klimaschutzziele. Wie das Einsparziel am besten erreicht wird, sollen Bürger und Unternehmen bestimmen und es soll unter der Überschrift von Freiheit und Innovation stehen.

Klimaschutz ist das Ziel, Innovation ist der Weg. Dies braucht Rahmenbedingungen für Investitionen und Entfaltungsmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung, gerade auch in den Kommunen, um zu kreativen Lösungen zu kommen.

Deshalb gilt: Statt den Handlungs- und Entscheidungsspielraum von Kommunen durch starre Vorgaben einzuschränken und ihnen Vorschriften zu machen, sollten wir unseren Städten und Gemeinden zutrauen, selbstständig zu entscheiden, welche Instrumente auf kommunaler Ebene jeweils geeignet sind, um ihren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten. Das kann nämlich durchaus unterschiedlich sein, je nachdem, wie die Situation vor Ort ist.

Wir sollten den kommunalen Entscheidern trauen. Wir wollen doch das kommunale Ehrenamt stärken. Trauen wir den kommunalen Entscheidern mehr zu, trauen wir der Selbstverwaltung mehr zu. Lassen Sie den Kämmerern, die Sie angesprochen haben, ihre Entscheidungsbefugnis.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Das können sie doch! Sie können doch selbst entscheiden!)

Ganz abgesehen davon – das ist hier überhaupt noch nicht thematisiert worden, soweit ich den Reden aufmerksam gefolgt bin – wird das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, natürlich für das Land auch unmittelbare Konnexitätswirkungen haben, wenn wir das so konsequent durchhalten. Das sind Forderungen, die an der Stelle wirklich nicht der richtige Weg sind.

Oft sind die Dinge nicht so einfach, wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen. Schon die Sperrung einzelner Straßen für den Autoverkehr – das erleben wir ja – führt nicht zwangsläufig zu weniger, sondern unter Umständen sogar zu mehr Verkehr, zu mehr Emissionen, weil Umwege gefahren werden, weil Autos länger im Stau stehen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal, was geht und was nicht geht! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP])

Kommunaler Klimaschutz sollte deswegen nicht aus purem Aktionismus redundant zu bestehenden Klimaschutzinstrumenten des Bundes oder gar der Europäischen Union sein, sondern stets mit Blick für Wechselwirkungen mit der bestehenden Klimaschutzpolitik in Angriff genommen werden. Sonst besteht die Gefahr von Wirkungsverlusten und von Ressourcenverschwendung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Beispiele hierfür sind kommunale Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Stromversorgung oder kommunale Förderprogramme zur Erhöhung der Stromeffizienz, die über die Anreizwirkung des Zertifikatshandels im Rahmen des EU-Emissionshandels hinausgehen. Diese Maßnahmen verursachen zwar für die Kommunen oder möglicherweise für das Land über eine Konnexität hohe Kosten, aber sie haben de facto keinen zusätzlichen Klimaschutzeffekt. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

Mehr Geld für kommunale Klimamaßnahmen, wie Sie sie vehement fordern, bedeutet also nicht zwingend automatisch einen besseren Klimaschutz, sondern manchmal sogar Verschwendung von Geld, das dann woanders fehlt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Glaubwürdige Klimapolitik bedeutet aber, Klimaschutz und Daseinsvorsorge miteinander zu vereinbaren. Das ist mir ein ganz wichtiger Punkt. Denn da geht es wieder um die Akzeptanz. Wir wissen doch aus unseren Gemeinden und Städten, dass soziale Projekte, Bildung und Infrastruktur ebenfalls ausreichend finanziert werden müssen. Wenn Sie die Mittel an einer Stelle verknappen, ohne den kommunalen Vertretern die Möglichkeit zu geben, die Entscheidungen zu treffen, drohen wir, bei den Menschen den Rückhalt für die notwendige Klimaschutzpolitik zu verlieren.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Schauen Sie in Ihren Antrag! Da steht das überhaupt nicht drin!)

Dann treiben Sie wieder den Leugnern des Klimawandels die Menschen in die Arme. Das ist nicht unser Weg.

Sie fordern Unterstützung der Kommunen. Ich sage Ihnen: Diese Landesregierung hat die Kommunen doch in beispielhafter Weise unterstützt.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE]

Für die Kommunen in NRW sind in der Gemeindefinanzierung 2020 rund 438 Millionen Euro mehr vorgesehen als noch 2019.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Das sind doch die Fakten. Herr Mostofizadeh, akzeptieren Sie doch die Fakten.

438 Millionen Euro mehr auf der kommunalen Seite! Der Klimaschutz hat Priorität. Die Mittel für den Klimaschutz und für die Energiewende wurden – wir haben heute Morgen darüber gesprochen – im Vergleich zu 2017 insgesamt verfünffacht. Das Förderprogramm „Kommunaler Klimaschutz NRW“ wurde zusätzlich mit 180 Millionen Euro ausgestattet. Das sind doch konkrete Maßnahmen, um den kommunalen Klimaschutz zu fördern. Das müssen Sie doch endlich mal akzeptieren.

Wir wollen den Kommunen ihre Handlungsfreiheit belassen. Hierzu haben wir der kommunalen Seite viel Unterstützung gegeben. Beispielsweise werben wir für eine Bundesbeteiligung beim Altschuldenfonds, den Sie auch thematisiert haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie machen da gar nichts! Das einzige Land, das nichts macht! Gar nichts machen Sie da!)

Wir entlasten die Kommunen beim Unterhaltsvorschuss. Wir geben die Mittel aus der Integrationspauschale weiter. – All das sind Maßnahmen, die die kommunale Finanzseite stärken und den Kommunen Möglichkeiten geben, auch und gerade in den Klimaschutz zu investieren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Das sollten Sie endlich mal anerkennen, statt hier immer nur herumzukrakeelen, Herr Mostofizadeh.

Hören Sie endlich auf, sich als Ein-Themen-Partei zu gerieren. Legen Sie den Kommunen keine zusätzlichen Steine in den Weg, sondern unterstützen Sie uns, den Herausforderungen des Klimawandels mit Vernunft, mit Einfallsreichtum und eben auch mit Effektivität gemeinsam mit den Vertretern vor Ort zu begegnen. Die NRW-Koalition und diese Landesregierung werden das jedenfalls tun. Die Ergebnisse beim Klimaschutz geben uns schließlich recht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Jetzt spricht Herr Loose für die AfD-Fraktion.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal geht es um mehr Geld, mehr Geld für die Kommunen, damit diese sich Hunderte von sogenannten Klimaschutzmanagern leisten können. Allein Bochum hat vier Klimaschutzmanager, die aber letztendlich null an der CO2-Emission in Bochum geändert haben.

Das Land – so sagen die Grünen – solle jetzt dafür Geld geben. Aber das Land selbst hat auch kein Geld. Denn das Geld kommt von den hart arbeitenden Steuerzahlern. Doch das ist den Grünen egal. Diese fordern einfach mal weitere 5 Milliarden Euro für die Kommunen, weil diese nicht ordentlich gewirtschaftet und Schulden gemacht haben.

Aber, sehr geehrte Damen und Herren, wer Schulden macht, ist auch in der Verantwortung, diese zu begleichen. Wenn die Kommunen Steuergelder verschwenden, dann ist es nicht die Aufgabe des Steuerzahlers, für diese Schulden geradezustehen. Schauen Sie sich nur das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler an. Dort werden Sie viele Beispiele für Verschwendung in den Städten finden, gerade bei Leuchtturmprojekten, bei Bauten etc. Aber Städte wie Bochum, Dortmund, Hagen, Essen, Duisburg zocken auch gerne mal mit Aktien, mit Beteiligungen oder mit Zinswetten und haben so bereits Hunderte von Millionen Euro versenkt.

Allein der Kauf der Steag wird weitere mehr als 100 Millionen Euro für den Steuerzahler bedeuten. Der Maurer geht arbeiten, die Ärztin geht arbeiten, die Friseurin geht arbeiten. Alle zahlen ihre Steuern und erfüllen damit ihre Bürgerpflicht. Es kann nicht sein, dass die Kommunen die Gelder verprassen, sich damit verschulden und jetzt noch mehr Geld von unseren hart arbeitenden Bürgern verlangen. Doch genau das fordern die Grünen in ihrem Antrag. Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden hart arbeitenden Malocher, der jeden Morgen aufsteht, um zur Arbeit zu gehen.

Jeder weiß, der erste Schritt aus einer Verschuldung ist ein Kassensturz, und zwar ein ehrlicher. Es muss klar werden, welche Gelder zur Verfügung stehen und wofür das Geld jeden Monat ausgegeben wird. Das gilt für den Friseur genauso wie für eine Kommune. Die Schulden der Kommunen begleichen zu wollen, ohne verstanden zu haben, warum die Kommunen in die Verschuldung geraten sind, wird nur dazu führen, dass weiterhin Steuergeld verschwendet wird.

Aber die Analyse der Ursachen wollen die Grünen eben nicht. Rekordsteuereinnahmen, Niedrigzinsen, und es reicht immer noch nicht für die Kommunen, endlich ihre Schulden zurückzuführen. Stattdessen wollen diese grünen Sozialisten einfach immer nur mehr Geld, weil das letzte Geld aufgebraucht ist. Doch wir werden weder einem Sozialisten noch einem Spielsüchtigen weiteres Geld geben.

Zur Begründung kommen die Grünen in den Kommunen häufig mit einem neuen Zauberwort namens Klimanotstand. Dabei gibt es viel wichtigere Dinge in Deutschland, zum Beispiel einen Bildungsnotstand oder in den größeren Städten einen Wohnungsnotstand und leider auch in vielen Orten in Deutschland einen Sicherheitsnotstand. Da könnten wir tatsächlich etwas tun.

Stattdessen geht es mal wieder um das Klima, Klimanotstand. Am liebsten sollen es nach den Grünen Notstandsgesetze sein. Jede Kommune soll dazu gezwungen werden, ein Klimaschutzmanagement zu installieren. Und dann will man Geschenke verteilen. E-Busse sollen gekauft werden, die dreimal so teuer sind wie Dieselbusse. Man wird Fahrradboxen kaufen, die fünfmal so teuer sind wie normale Fahrradboxen. Dann ist zum Beispiel auf dem Dach eine Photovoltaikanlage installiert, um beispielsweise E-Fahrräder aufzuladen. So geschehen in Bochum. Dort waren die Kosten nicht fünfmal, sondern achtmal so hoch. Etwa eine halbe Million Euro wird in Bochum für Fahrradgaragen verschwendet, auf denen eine Photovoltaikanlage ist, wo man E-Bikes aufladen kann. Die werden allerdings so gut wie gar nicht genutzt.

Aber Geld spielt bei den Grünen keine Rolle mehr. Denn die Grünen befinden sich in einem Krieg. Sie führen einen Krieg gegen das Wetter. Und wer gegen diesen Krieg ist, der muss aus Sicht der Grünen wie ein Staatsfeind behandelt werden. Deshalb wundert es nicht, dass der Vorsitzende der Grünen, Herr Habeck, das sozialistische China so lobt, und die andere Vorsitzende, Frau Baerbock, darauf drängt, dass Klimarealisten kein Rederecht im deutschen Fernsehen mehr erhalten.

(Helmut Seifen [AfD]: Unglaublich!)

Willkommen im totalitären System der Habecks und Baerbocks!

(Helmut Seifen [AfD]: In welcher Partei bewegen die sich eigentlich?)

Wir werden uns aber gegen dieses System wehren. Wir werden weiter an der Seite der Malocher stehen, die unseren Wohlstand erwirtschaften. Wir stehen weiter an der Seite der Steuerzahler, die möchten, dass ihre Gelder sinnvoll ausgegeben werden,

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie sind in der gleichen Partei wie Herr Höcke!)

zum Beispiel für gute Schulen für unsere Kinder, gerne auch für ein Bildungsprogramm in Afrika, vor allen Dingen für Frauen, aber sicher nicht für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für grüne Studienabbrecher, die dann zu Klimamanagern gemacht werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Jetzt spricht für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei allem Respekt vor der Bedeutung der Kommunen für den Klimaschutz: Der überwiegende Teil der Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen – wir haben es heute Morgen diskutiert –, nämlich rund 70 %, kommt nach wie vor aus Anlagen der Energiewirtschaft und der Industrie. Diese unterliegen dem europäischen Emissionshandel. Diese werden dort geregelt und bringen die Anpassungen hervor, über die wir heute früh diskutiert haben, nämlich einen nachhaltigen Transformationsprozess, den wir als Landesregierung sehr eng begleiten.

Es sind kaum Anlagen der Kommunen dabei. Die Hauptursache für die Treibhausgasemissionen den Kommunen zuzuschreiben, ist daher aus meiner Sicht nicht sachgerecht, erst recht nicht, wenn Sie das im Kontext mit der Klimakrise intonieren und vor Ort Klimanotstände reihenweise ausrufen lassen.

Natürlich sind die Kommunen für die Landesregierung beim Thema „Klimaschutz“ wichtige Partner; das steht außer Frage. Selbstverständlich müssen wir hier für entsprechende Handlungsspielräume sorgen. Die finanzielle Entlastung von Kommunen zugunsten aller wesentlicher Aspekte kommunalen Handelns ist ein prioritäres Ziel gerade dieser Landesregierung.

Mittlerweile wurde eine Vielzahl wirksamer Maßnahmen initiiert. Ich nenne nur wenige: die im Jahr 2017 beschlossene Abschaffung der seit 2014 von besonders finanzstarken Gemeinden erhobene Solidaritätsumlage, die in den Jahren 2018/2019 erfolgte schrittweise Verringerung des zugunsten des Stärkungspaktes geleisteten Vorwegabzuges aus dem kommunalen Finanzausgleich, die Entlastung der nordrhein-westfälischen Kommunen im Zusammenhang mit dem Unterhaltsvorschussgesetz und die im Jahr 2018 erfolgte erstmalige Beteiligung der Kommunen an der Integrationspauschale des Bundes bzw. deren vollständige Weiterleitung an die Kommunen im Jahr 2019.

Diese und weitere Maßnahmen schaffen den notwendigen Spielraum für kommunalen Klimaschutz, den die Landesregierung in vielfältiger Weise darüber hinaus unterstützt.

Mit dem Projektaufruf „Kommunaler Klimaschutz Nordrhein-Westfalen“ werden 180 Millionen Euro Fördermittel für die Umsetzung von umfassenden und integrierten kommunalen Klimaschutzstrategien durch das Land Nordrhein-Westfalen bereitgestellt. Das ist annähernd doppelt so viel wie das, was Sie in Ihrer Regierungszeit vorgesehen hatten.

Aufgrund ihres modellhaften Charakters geht von diesen Projekten ein Multiplikatoreffekt auf andere Kommunen, die lokale Wirtschaft und auch auf die Bürgerinnen und Bürger aus.

Des Weiteren hat die Landesregierung das Förderprogramm progres.nrw – Programmbereich emissionsarme Mobilität – aufgelegt, ein umfassendes Programm zur Förderung der klimafreundlichen Mobilität insbesondere in den durch den Individualverkehr stark belasteten Innenstädten unseres Landes.

Zur Finanzierung von Ladepunkten und Elektrofahrzeugen stellen wir allein im Jahr 2019 einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung. Ebenfalls über progres.nrw – Programmbereich Markteinführung – wird die Reduzierung von Treibhausgasen im Gebäudesektor gefördert.

Insgesamt sind die Haushaltsmittel für Klimaschutzthemen von 23,7 Millionen Euro im Jahr 2017, für die Sie als rot-grüne Landesregierung noch verantwortlich waren, auf 128,3 Millionen Euro im Haushalt 2019 erhöht worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Brems und liebe Vertreter der Grünen, es ist immer schön, wenn man als Opposition wolkenreiche Anträge stellt. Es kommt aber darauf an, tatkräftig zu arbeiten, wenn man in der Regierung ist. Hier stellt sich der Unterschied dar.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darüber hinaus haben wir im Rahmen der Ruhr-Konferenz das Thema „integrierte energetische Quartierskonzepte“ aufgegriffen. Herr Stinka hatte das angesprochen. Wenn die Bottroper, die eine tolle Sache gemacht haben, sich an einem Wettbewerb beteiligen, bei dem sie die Kriterien der Jury und nicht irgendwelche Kriterien der Landesregierung nicht erfüllt haben, dann tut mir das sehr leid. Das schmälert auch nicht die Erfolge der InnovationCity für Bottrop, die ich unlängst vor Ort noch einmal gelobt habe. Aber es gibt auch andere Initiativen, die in diese Richtung zielen und in solchen Wettbewerbsverfahren den Vorzug bekommen können.

Das heißt aber nicht, dass wir dieserlei Projekte in Nordrhein-Westfalen nicht verstärkt durchsetzen wollen. Im Gegenteil: Wir haben es zum Schwerpunkt der Ruhr-Konferenz gemacht, weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir die Wohnraummodernisierung in hervorragender Weise in Verbindung mit einem stärkeren Einsatz der Erneuerbaren bringen können – von Photovoltaik über Kraft-Wärme-Kopplung bis hin zu Elektromobilität. Das wollen wir zusammen mit den Kommunen, aber auch mit den Wohnungsgesellschaften in dieser Metropole beispielgebend vorantreiben und es dann auf das ganze Land Nordrhein-Westfalen ausweiten.

Beim kommunalen Klimaschutz ist aber nicht nur die finanzielle Förderung entscheidend. Durch die im Auftrag des Landes arbeitende EnergieAgentur.NRW werden den Kommunen und Regionen zahlreiche Angebote aus den Bereichen „Beratung“, „Information“ und „Vernetzung“ zur Verfügung gestellt, um das notwendige Know-how zur Umsetzung von kommunalen Klimaschutzmaßnahmen zu gewährleisten.

Neben der EnergieAgentur.NRW ist zunehmend die Kommunal Agentur NRW mit dem landesfinanzierten Projekt PlattformKlima.NRW speziell damit beauftragt, die nordrhein-westfälischen Kommunen dabei zu unterstützen, die Vielzahl der teilweise mit großem Finanzvolumen ausgestatteten Bundesförderprogramme in Anspruch zu nehmen und so die Gelder, die der Bund bereitstellt, auch für unsere Ziele hier in Nordrhein-Westfalen wirksam werden zu lassen.

Darüber hinaus stellt die Landesregierung den Kommunen unter anderem eine Lizenz zur Nutzung eines CO2-Bilanzierungstools zur Erfassung und zum Monitoring der kommunalen Treibhausgasemissionen kostenfrei zur Verfügung.

Die Landesregierung setzt ihre Instrumente damit effektiv und effizient ein, anstatt wohlfeil ungedeckte Schecks für den kommunalen Klimaschutz zu versprechen.

Erlauben Sie mir abschließend eine weitere Anmerkung. Sie fordern den Erlass einer Verordnung nach § 5 Klimaschutzgesetz NRW zur Verpflichtung der Kreise und Kommunen, regelmäßig Klimaschutz- und Klimafolgenanpassungskonzepte zu erstellen. Dafür wollen Sie dann entsprechende Mittel bereitgestellt sehen.

Während Ihrer Regierungszeit hatten Sie 2013 die Ermächtigung dazu ins Klimaschutzgesetz geschrieben, jedoch fünf Jahre lang, bis zum Ende der Legislaturperiode keinerlei Gebrauch davon gemacht. Das möchte ich gar nicht kritisieren.

Sie haben nämlich aus gutem Grund keinen Gebrauch davon gemacht; denn eine derartige Verpflichtung durch das Land würde die nordrhein-westfälischen Kommunen von der bestehenden Förderung durch den Bund ausschließen, da eine Förderung bei einer gleichzeitigen gesetzlichen Verpflichtung nicht zulässig wäre. Zudem wäre die Landesregierung nach dem Konnexitätsprinzip – das hatte Kollege Bombis bereits angesprochen – verpflichtet, den Kommunen die durch die Übertragung der neuen Aufgabe entstehenden Kosten zu erstatten.

Eine grobe Schätzung ergab für Klimaschutz- und Anpassungskonzepte Kosten in Höhe von rund 50 Millionen Euro. Die Landesregierung müsste also Kosten übernehmen, für die sonst der Bund im Wege der Förderung größtenteils Gelder bereitstellen würde.

Verehrte Vertreterinnen und Vertreter der Grünenfraktion, wie wollen Sie das mit dem Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Landeshaushaltsordnung vereinbaren? Wir als Landesregierung lehnen den Antrag jedenfalls ab, weil wir ganz fest davon überzeugt sind, dass die richtigen Maßnahmen längst implementiert sind und wir nicht zulassen können, dass Bundesmittel, die von nordrhein-westfälischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mit geleistet werden, am Ende an Nordrhein-Westfalen vorbeifließen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Jetzt hat für die CDU-Fraktion Herr Dr. Nolten das Wort.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vor einem halben Jahr Anträge zum sogenannten Klimanotstand bei den Kommunen dieses Landes eingereicht wurden, haben viele Räte und Verwaltungen in ihren Mitteilungen, Resolutionen und Beschlüssen betont, dass der Klimaschutz auf kommunaler Ebene keine neue Aufgabe sei.

Es folgten zumeist individuelle Auflistungen der Maßnahmen, die auch unter Zuhilfenahme der Konjunkturprogramme I und II, des kommunalen Investitionsförderungsgesetzes lokal umgesetzt wurden – von der Umstellung der Straßenbeleuchtung bis hin zu Maßnahmen der Energieeinsparung und der Gebäudesanierung, von der Ausweisung von Windkraftkonzentrationszonen bis hin zu PV-Anlagen und BHKW. Es wurde auf die Änderung beim öffentlichen Grün ebenso verwiesen wie auf die Freihaltung der Frischluftschneisen im Rahmen der Landschaftsplanung oder die multimodale Nahverkehrsplanung. Gefördert wurden dezentrale Nahwärmenetze, Faktor-X-Häuser und alternative Antriebskonzepte im ÖPNV.

Brauchte es dazu allumfassende Klimaanpassungsstrategien? Einige Kommunen wie unsere Landeshauptstadt Düsseldorf mit ihrem KAKDUS oder die Stadt Soest haben sich für solche Konzepte entschieden.

Wenn ich von der Quartiers- über die Stadtteil- in die Gesamtplanung einsteigen muss, erscheint für einzelne Themenfelder eine solche Vorgehensweise geboten. So werden Konfliktpotenziale und Werkzeugkisten für Laien, Räte und Fachplaner gleichermaßen deutlich. Zahlreiche Praxisleitfäden von Bundes- und Landesministerien und -einrichtungen, von kommunalen Spitzenverbänden, Fachverbänden und Instituten existieren. Das BBSR und das Difu führen seitenlange Listen dazu auf.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Läuft ja alles prima mit dem Klima!)

Wenn der Klimaschutz und die Klimafolgenanpassung als Querschnittsaufgabe in den Köpfen von Bürgern, Verwaltung und auch der Politik verankert sind, braucht es dann noch einen speziellen kommunalen Klimaschutzmanager? Die Kommunen haben ihre Erfahrungen mit Demografiebeauftragten gemacht, als vor Jahren das Schlagwort „demografischer Wandel“ das allumfassende Thema war. Einige haben es fortgeführt, andere nicht.

Muss ich, wie von den Grünen ebenfalls gefordert, verpflichtende Klimaschutzkonzepte mit vergleichbaren Mindestanforderungen, Quantifizierungen und Erfolgsmessungen verordnen? Da ist augenscheinlich ein Misstrauen den lokalen Akteuren gegenüber vorhanden. Anders kann ich den Satz – ich zitiere – „nicht nur von Privatpersonen und Unternehmen, sondern auch von Kommunen kann erwartet werden, dass sie sich mit den Gefahren des Klimawandels auseinandersetzen und die Erkenntnisse in ihren Planungen berücksichtigen“ nicht werten.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch kein Misstrauen!)

– Das steht so in Ihrem Antrag.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aber das ist doch kein Misstrauen!)

– Natürlich. Was denn sonst?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Nein!)

Lokale Akteure in Münster, Aachen oder anderswo haben in Stadtteilen und Quartieren nach lokalen Lösungen gesucht, zum Beispiel bei Überschwemmungen nach Starkregenereignissen mit Niederschlägen von über 30 mm in einer halben Stunde.

Realisiert wurden dann der Wasseranstau im Wurzelbereich von Stadtbäumen, Flutmulden, Staubereiche in Kanälen, Regenüberlauf- bis hin zu Mischwasserstreckungsbecken. Überschwemmungsbereiche sind ausgewiesen, Niederschlagswasserbeseitigungskonzepte wurden ebenso erarbeitet wie Fluthilfekonzepte der Feuerwehr und der Wasserverbände. Wenn sich der Grunderwerb zum Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens hinzieht, hilft aber auch kein Landesprogramm.

Was sollten wir tun? – Der Antrag verweist zu Recht auf die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von möglichst kleinräumigen Informationskarten und die Entwicklung von Modellierungstools. Ob zur Niederschlagsverteilung und zu Flutgefahren, ob zur Hitzeentwicklung in den Städten oder zum Vorhandensein von Frischluftschneisen und zur Windhäufigkeit – hier hat das LANUV schon gute Arbeit geleistet.

Wir könnten Pilotprojekte und Beratungs- und Informationsplattformen für Best-Practice-Beispiele fördern. Wir könnten rechtliche Klarstellungen vornehmen: Wenn offen ist, ob die Schaffung zusätzlicher Volumina zum Regenwassereinstau in Nebenanlagen von Straßen im Rahmen von KAG-Maßnahmen beitragspflichtig ist, dann müssen wir das klären.

Natürlich gehört auch eine auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen zu den Herausforderungen. Ein Sachverständiger hat seinerzeit auf die Frage nach der wichtigsten Maßnahme zur Bewältigung des demografischen Wandels gesagt: Betreiben Sie Haushaltskonsolidierung. Dann haben Sie die notwendigen finanziellen Ressourcen, um in der Zukunft das zu tun, was Sie nach dem aktuellen Stand des Wissens in der Sache tun müssen. – Recht hat er.

Denn neben dem Klima und der Demografie spielt auch der soziale Wandel in diese Themen hinein. Auch zukünftig werden unerwartete, tiefgreifende Veränderungen und Phänomene auftreten, die rasches kommunales Handeln erfordern – siehe Flüchtlingsaufnahme und -integration oder der dürrebedingte Waldverlust dieser Tage.

Deswegen bedarf es nicht zwingend eines neuen Förderprogramms oder eines Unwetterfonds, der mit einer wachsenden Ausstattung Begehrlichkeiten weckt, hinsichtlich des Auszahlungsmodus aber auch nur den geltenden Vorgaben folgen kann. Es gilt: mehr Zutrauen in den kommunalen Handlungswillen und in die Handlungsfähigkeit anstatt goldener Zügel durch Landesprogramme. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Nolten. – Jetzt spricht Herr Kollege Becker für die SPD-Fraktion.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die in den Beiträgen von CDU und FDP zum Ausdruck kommende beharrliche Weigerung, über die Rolle der Kommunen in Fragen des Klimawandels, des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung zu diskutieren, verwundert mich schon sehr. Dabei wollen wir den Antrag ja an die Fachausschüsse überweisen.

Ich will deshalb für unsere Fraktion klarstellen: In Fragen des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung den Fokus auf die Kommunen zu richten, ist aus unserer Sicht ein richtiger Ansatz. Es ist nicht der einzige Ansatz, aber ein richtiger und bedeutender.

Zum einen beißen bekanntlich den Letzten die Hunde. Insofern dürfen wir die Städte und Gemeinden mit den Problemen nicht alleinlassen. Zum anderen beginnen Veränderungen gerade in diesen Bereichen im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür, im Quartier, im direkten Lebensumfeld der Menschen.

Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir freuen uns auf die Debatte in den Fachausschüssen. Wir diskutieren gerne über ein mögliches Förderprogramm „Gutes Klima 2030“ und dessen konkrete Ausgestaltung.

Wir diskutieren auch gerne über die Frage, wie wir Kommunen bei der Analyse und Planung von Klimaschutz und Klimafolgenanpassung besser unterstützen können – sei es über die Lieferung von Daten, das Vorschlagen von Methoden oder das Durchforsten aller Förderprogramme, um Mittel zu konzentrieren oder Programme auf Widersprüche und gegenseitige Wirkungen zu untersuchen und diese Widersprüche zu beseitigen. Wir diskutieren also gerne darüber, weil die Bedeutung der Kommunen in Fragen des Klimawandels wirklich entscheidend ist. Wir dürfen sie da nicht alleinlassen.

(Beifall von der SPD)

Wir sind uns, denke ich, einig in der Frage der Erreichung der Klimaschutzziele. Insbesondere der Gebäudesektor spielt da eine wichtige Rolle. Mir ist wichtig, klarzustellen, dass die Entscheidung, ob wir diese Klimaschutzziele erreichen, nicht beim Neubau fällt, sondern eindeutig beim Bestand.

Natürlich müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir den mietpreisgebundenen Wohnungsneubau mit den gegenwärtigen energetischen Standards ankurbeln können, jedoch lag die Neubauquote bei Wohnungen im Jahr 2017 bei nur knapp 5 %. Deshalb ist klar: Ob wir die Klimaschutzziele erreichen, entscheidet sich bei den 3,8 Millionen Wohngebäuden, die wir schon in unserem Land haben.

Angesichts dieser Dimensionen ist aus unserer Sicht klar: Der energetische Rolls-Royce ist ein Irrweg. Wir brauchen Maßnahmen für die vielen, die schon in ihren Wohnungen wohnen, und nicht für die wenigen, die sich gerade ein neues Zuhause bauen. Wir können nicht überall die technisch beste Lösung anstreben und fordern, sondern wir müssen die Wirtschaftlichkeit im Blick haben, weil die Menschen danach ihre Investitionen tätigen. Das gilt aus Sicht eines Investors oder Hauseigentümers genauso wie für Mieterinnen und Mieter.

Klar ist: Leuchtturmprojekte sind wichtig, was technische Spitzenlösungen angeht, für die alltägliche Praxis taugen sie jedoch nicht. Wir brauchen Wirtschaftlichkeit. Damit steht und fällt jede Investition. Deshalb ist der Beratungsansatz auf Basis des Konzepts von InnovationCity aus unserer Sicht zielführend und vorbildlich.

Wie gesagt: Eine Diskussion um die stärkere Unterstützung der Kommunen ist aus unserer Sicht sehr sinnvoll.

In diesem Sinne freuen wir uns auf die weiteren Diskussionen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Becker. – Jetzt spricht für die grüne Fraktion Herr Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will jetzt gar keine zusätzlichen Argumente in die Diskussion einführen, sondern nur Fragen stellen oder Bitten äußern.

Das, was ich bisher jedenfalls von den Koalitionsfraktionen und auch von Ihnen, Herr Minister, in dieser Frage gehört habe, ist eher ritualisiert. Zuerst macht man den politischen Gegner oder das Anliegen schlecht, und dann stellt man seine eigenen Erfolge dar.

Aber Sie beantworten im Kern nicht die Frage, die im Raum steht: Wer soll es denn zukünftig machen bei der Problemlösung dessen, was auf dem Tisch liegt? Dass wir nationale Regelungen brauchen, dass wir Regelungen auf Landesebene brauchen, dass wir eine europäische Einbindung brauchen, ist gar keine Frage. Aber wo treffen sich die verschiedenen Systeme? Und wo muss es im bestehenden System von Stadt und Gemeinde zu Veränderungen kommen, um letztlich das gemeinsame Ziel von Paris, nämlich Klimaneutralität, zu erreichen?

Da sehen wir in der Tat die Kommunen im Fokus. Wo finden die meisten Verkehre – unter 10 km – statt? 70 % der Verkehre finden in unseren Kommunen statt. Wenn man den Verkehr bzw. die Mobilität klimaneutral gestalten will, dann sind die Kommunen zentrale Gestaltungsakteure.

Wo stehen denn die Gebäude? Das sind die höher hängenden Früchte des Klimaschutzes. Die bestehenden Gebäude stehen in unseren Städten und Kommunen. Und wer soll denn die Wärme- oder Kälteversorgung im Quartier planen, wenn nicht die Kommunen? Wer ist für die Flächenplanung zuständig?

Das sind nur einige Fragen, die Sie beantworten müssen. Sie müssen ja nicht unserem Antrag zustimmen. Aber wer soll es denn machen, was die Energiewirtschaft angeht? Ein altes Kraftwerk durch erneuerbare Kraftwerke zu ersetzen, ist einfach. Aber wer soll die Sektorenkopplung organisieren? Wärme, Mobilität, Stromerzeugung zusammen in einem System zu denken, und das im bestehenden System von Stadt und Gemeinde: Darauf müssen Sie hier in Nordrhein-Westfalen eine Antwort geben – möglicherweise nicht auf Grundlage unseres Antrags.

Aber geben Sie bitte eine eigene Antwort, ohne auf die Vergangenheit und gemachte oder nicht gemachte Fehler zu verweisen. Das haben Sie bis heute versäumt. Dazu bietet vielleicht die Debatte im Ausschuss Anlass. Wir fordern Sie jedenfalls dazu auf.

Es reicht nicht, Herrn Professor Töpfer – zu Recht; er hat ihn verdient – den Staatspreis zu verleihen. Dann muss man auch das, was Herr Professor Töpfer in der Vergangenheit sehr erfolgreich gemacht hat, nämlich zum Beispiel in Sachen Abwasserbehandlung die Kommunen tatsächlich zu ertüchtigen und zum zentralen Akteur zu machen, auch bei anderen Feldern anwenden wollen. Da fordere ich mehr „Professor Töpfer“ und weniger „Professor Pinkwart“. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Jetzt hat sich die FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Bombis hat das Wort.

Ralph Bombis*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich hatte eigentlich gar nicht vor, noch einmal in die Debatte einzusteigen. Herr Remmel, Sie haben aber gefragt, wer es denn machen soll. Natürlich sind wir alle gemeinsam gefordert. Natürlich ist auch das Land gefordert. Alle politischen Ebenen sind gefordert. Natürlich muss vor Ort eine Umsetzung erfolgen.

Tatsache ist aber – das ist das, was ich auch kritisiere –, dass dieser Antrag eine grundlegend andere Haltung zeigt. Das müssen und sollten wir den Menschen auch deutlich machen. Sie wollen durch starre Vorgaben, durch Bindungen der Menschen vor Ort, die Dinge lösen.

Wir sagen hingegen: Mit den entsprechenden Rahmenbedingungen, die wir setzen, vertrauen wir der Kreativität in den Kommunen mit den kommunalen Entscheidern. Wir vertrauen stärker auf diese Kreativität. Wir setzen den Rahmen, und die kommunalen Entscheider kennen die Wege, weil überall vor Ort die Voraussetzungen unterschiedlich sind.

Das ist die Antwort auf die Frage, wer es machen soll. Wir müssen es zusammen machen. Aber die Leute vor Ort wissen besser, was in Münster, in Ostwestfalen oder in Köln los ist, als wir das von hier aus wissen können. – Das ist die Antwort.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD erteile ich Herrn Loose noch einmal das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal muss ich Herrn Bombis loben. Sie haben tatsächlich verstanden, dass die einzige Wirkung nur durch ein Zertifikatesystem erreicht werden kann. Nur leider zeigen die Handlungen Ihrer Partei dann, dass das ansonsten keiner von Ihnen verstanden hat.

Liebe Frau Brems, Sie sprachen von Hitzeinseln.

(Frank Sundermann [SPD]: Das war Herr Stinka!)

Nun sind aber gerade die Hitzeinseln nicht durch den Klimawandel entstanden. Denn Hitzeinseln gibt es nur in größeren Städten. Es sind nämlich die baulichen Bedingungen, die eine Hitzebildung in der Stadt befördern. Hierzu gehören die Versiegelung von Flächen und die Verdrängung von Grünflächen. Je weniger Bäume in den Innenstädten vorhanden sind, desto schlechter ist das sogenannte Mikroklima. Auch fehlende Frischluftschneisen sind ein Problem in den Städten. Eine Lösung wäre beispielsweise, den Bürgern mehr Flächen in den Randgebieten der Städte zur Verfügung zu stellen.

Auch die Einrichtung von sogenannten Umweltspuren hat dazu geführt, dass die Autos auf den verbliebenen Fahrspuren nun länger im Stau stehen und in dieser Zeit natürlich ihre Abwärme in die Umgebung emittieren. Statt einen schnelleren Verkehrsfluss in den Städten durch grüne Wellen oder Ähnliches zu gewährleisten, versuchen Sie, den Individualverkehr zu verhindern, wo Sie nur können, als ob dann der Individualverkehr automatisch verschwinden würde.

Die Lösung all dieser Probleme liegt in der Verantwortung der Kommunen. Aber gerade in den Kommunen verweigern sich die Grünen, wo sie in Verantwortung sind. Sie, liebe Grüne, sind nicht Teil der Lösung; Sie sind Teil des Problems.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal der Abgeordnete Dr. Nolten zu Wort gemeldet.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Ich bin dem Kollegen Bombis sehr dankbar dafür, dass er die unterschiedliche Perspektive gerade noch einmal sehr deutlich gemacht hat. Man muss lokale Probleme unten auch wirklich von unten angehen und lösen und nicht von oben herab. Das ist genau der Unterschied in der Herangehensweise.

Ich bin seit 30 Jahren Kommunalpolitiker, Fraktionsvorsitzender bei mir vor Ort, 20 Jahre im Kreistag und stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ich weiß, was wir kommunal unten tun und was wir von oben an Unterstützung bekommen oder in der Vergangenheit auch nicht bekommen haben.

Wenn es um Gebäudesanierung geht, kann ich Ihnen sagen: Ich habe bei mir zu Hause genauso wie auch in der Kommune immer nach dem Motto gehandelt: Das, was ich bei mir nicht mache, mache ich auch im öffentlichen Raum nicht.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage aus den Reihen der Grünen, und zwar von Frau Brems. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?

Dr. Ralf Nolten (CDU): Bitte.

Präsident André Kuper: Bitte schön.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Dr. Nolten, herzlichen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie Kommunalpolitiker sind. Das bin ich auch. Ich glaube, viele, die hier sitzen, sind das entweder vorher gewesen oder sind es zum Teil auch noch.

Dann sind Sie vielleicht bereit, anzuerkennen, dass unsere Sichtweise genau aus dieser Richtung kommt und wir an vielen Stellen die Erfahrung machen, dass es zwar Klimaschutzkonzepte gibt, aber hinterher nicht danach gehandelt wird.

Genau darum geht es uns. Die Frage ist, ob Sie bereit sind, anzuerkennen, dass wir genau das wollen – nämlich, dass Klimaschutzkonzepte nicht nur erstellt werden, sondern hinterher auch umgesetzt werden. Das ist ein Aspekt. Da geht es nicht darum, dass wir hier vom Land aus sagen: Ihr müsst genau das und das umsetzen. – Das wird schon vor Ort entschieden. Es geht um die andere Herangehensweise.

Präsident André Kuper: Bitte schön.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Frau Kollegin, ich gebe mein Votum für die Erstellung eines solchen Konzeptes. Dann liegt es auch an mir bzw. an meinen Kollegen im Rat, nachzuhaken, wenn bestimmte Teilbereiche nicht umgesetzt werden. Das kann ich aber nicht von oben regulieren und will ich auch nicht von oben mit einer entsprechenden Verordnung regulieren.

Ich möchte aber auch noch einen Satz zur Gebäudesanierung loswerden, Herr Kollege Becker. Ich bin Bediensteter der Universität Bonn. Wir haben einen Sanierungsstau von über 300 Millionen Euro. Ich habe einen Hörsaal erlebt, in dem ich mit der Hand durch den Holzrahmen durchgreifen konnte, und ich habe in einem Büro mit einer Einfachverglasung gesessen. Macht es wirklich Sinn, Geld des Landes dann so nach unten zu geben? – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Professor Pinkwart noch einmal zu Wort gemeldet. Er hat nun das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass sich Herr Remmel noch einmal in die Debatte eingebracht hat, damit wir auch den Unterschied in unserem Verständnis deutlich machen können, wie wir Klimaschutzpolitik für Nordrhein-Westfalen, für Deutschland und für Europa begreifen.

Das klang eben schon einmal an. Wir sind sehr dafür, dass jeder auf seiner Ebene auch ein Stück Verantwortung selbst übernimmt. Das habe ich für das Land Nordrhein-Westfalen am Freitag auch in der Bundesratsdebatte zum Klimaschutzgesetz des Bundes gesagt.

In dieser Debatte im Bundesrat hat Ihr grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Bundesregierung unglaublich kritisiert, aber mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass er in Baden-Württemberg selbst seine eigenen gesetzlichen Ziele offensichtlich verfehlen wird.

Das ist eine Politik, mit der wir nichts anfangen können. Jeder soll sich einen Plan machen. Er soll sich dann aber selbst daran halten und vor die Bürger treten und dafür einstehen, dass er die Ziele auch einhält,

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

anstatt zu meinen, man könne das par ordre du mufti oder über den goldenen Zügel alles viel besser entscheiden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das Ergebnis werden Sie bei der Kommunalwahl sehen, gerade die FDP!)

Wir sind ein großes Land. Wir haben große Städte, mittlere Städte und viele kleine Kommunen. Wir haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die vor Ort am besten wissen, wie sie die Herausforderungen bewältigen können. Wir wollen den Menschen hier nicht alles vorschreiben.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Wir wollen ihnen aber vieles ermöglichen. Dafür brauchen sie eine vernünftige Mittelausstattung. Dazu habe ich hier eine Menge gesagt. Sie hat sich unter dieser neuen Landesregierung für die Kommunen deutlich verbessert. Es ist Geld da. Sie können ihre Pläne aufstellen, und sie können dann die Maßnahmen ergreifen, die für ihre jeweilige Kommune, ihre jeweilige Stadt auch geeignet sind.

Präsident André Kuper: Herr Minister, ich muss Sie …

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Darüber hinaus legen wir Programme auf, um auch im Wettbewerb deutlich zu machen, dass wir neue Ideen und Konzepte haben, die ausgetestet sind und dann auch von anderen übernommen werden können. Die Beispiele habe ich Ihnen genannt.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Können!)

Präsident André Kuper: Herr Minister, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich möchte das gerne zu Ende führen. Entschuldigung, Herr Präsident. Das können wir gleich noch machen.

Präsident André Kuper: Gut.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Die Sektorenkopplung haben Sie auch angesprochen. Was stand denn bisher der Sektorenkopplung entgegen? Das war die von Ihrem damaligen Umweltminister Trittin eingeführte EEG-Umlage, die den Strombereich einseitig belastet. Ja, das ist doch unser Hauptproblem.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Mein Gott!)

– Sie sagen: Mein Gott. – Versuchen Sie doch einmal, jemanden zu gewinnen, der den Strombereich mit dem Wärmebereich und dem Mobilitätsbereich verbinden will. Überall stoßen Sie darauf, dass sich das nicht rechnet, weil dann die EEG-Umlage, die Stromsteuer und die Netzentgelte zu bezahlen sind, sodass es wirtschaftlich nicht tragfähig ist.

Deswegen haben wir gesagt: Lassen Sie uns sektor-übergreifend steuern und über CO2-Zertifikate die Sektoren einbeziehen.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Nordrhein-Westfalen war das erste Bundesland, das einen entsprechenden Bundesratsantrag eingebracht hat. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung das jetzt aufgreift – leider erst 2026, weil die SPD nur unter dieser Voraussetzung bereit war, einen Kompromiss einzugehen. Aber immerhin: Es kommt. Dann laufen die Sektoren zusammen, und dann gelingt es uns viel besser, die Übergänge zu gestalten.

Ein weiterer zentraler Punkt: Wenn Sie Sektorenkopplung wollen, gerade dezentral, brauchen Sie intelligente Netze. Dann brauchen Sie Smart Meter. Dann brauchen Sie all die Innovationen, die wir in Nordrhein-Westfalen einführen, weil wir beim Thema „Digitalisierung“ vorangehen und mit den Kommunen, auch mit den digitalen Modellkommunen, all diese Themen aufgreifen, zu denen Sie jedenfalls noch keinen Beitrag haben leisten können. Denn Smart Meter werden ja jetzt erst eingeführt, da sie jahrelang in Deutschland zwar hergestellt und exportiert wurden, aber bei uns im Land nicht eingesetzt werden konnten. Das holen wir jetzt nach und schaffen damit die Infrastruktur, die zwingend notwendig ist, damit wir die Sektoren koppeln können und Digitalisierung als Treiber von Klimaschutz auch tatsächlich nutzbar machen können.

Dazu dient auch die Energieversorgung in den Quartieren sowie die Verbindung von Photovoltaik und anderen Erneuerbaren.

Das alles sind Themen, die wir anstoßen. Wir haben sie zum Teil unserer Energieversorgungsstrategie gemacht. Hier stimmen wir uns mit dem kommunalen Bereich sowie mit den anderen Energieversorgern natürlich eng ab.

Meine Damen und Herren, das ist unser Verständnis. Wir haben eine klare Strategie für Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier klare Ziele. Wir halten sie auch nach. Gleichzeitig unterstützen wir die anderen, damit sie ihre Ziele auch erreichen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Die Zwischenfrage kommt jetzt von Herrn Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, vielen Dank. – Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage noch zulassen.

Sie haben vor einigen Minuten darauf hingewiesen, dass Sie die Kommunen als Landesregierung finanziell besser ausstatten und dann die Gelegenheit besteht, entsprechende Maßnahmen vor Ort zu ergreifen.

Das haben wir ja auch im Kommunalausschuss nachgefragt. Da ist uns mitgeteilt worden, dass die Landesregierung 2 Milliarden Euro weniger für die Unterbringung von Geflüchteten ausgibt, aber die Kommunen mit 1 Milliarde Euro mehr belastet sind und weder durch das Flüchtlingsaufnahmegesetz noch durch das Gesetz zur Integration von Flüchtlingen auch nur 1 Cent zusätzlich an die Kommunen fließt.

Können Sie mir noch einmal die Rechnung erläutern, die Sie im Kopf hatten, als Sie das geäußert haben?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich habe mich jetzt nicht auf diese Frage vorbereiten können, um auf Ihre Zahlen zu erwidern. Nach meinem Kenntnisstand war es allerdings so, dass die Mittel, die der Bund den Ländern für die Unterbringungsleistungen bereitgestellt hat, von Ihrer Landesregierung erst gar nicht an die Kommunen weitergereicht wurden

(Beifall von der CDU und Henning Höne [FDP])

und es unserer Landesregierung bedurfte, um das nachzuholen. Das ist mein Kenntnisstand.

Aber ich nehme gerne Ihr Zahlenspiel noch einmal auf und kann Ihnen Ihre Frage im Nachgang gerne auch schriftlich beantworten.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Hübner zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen, dass ich über den Verlauf der Debatte hinlänglich überrascht bin – auch darüber, wie Sie gerade agiert haben, Herr Minister Pinkwart. Sie meinen, die Äußerungen der Grünen im Hinblick darauf, dass Kommunen unterstützt werden sollten, seien ein staatswirtschaftlicher Vortrag.

Ich will keinen zu tiefen Einblick in meine Gefühlslage dazu geben, muss mich aber schon sehr wundern. Erstens haben wir in Nordrhein-Westfalen nicht viele kleine Kommunen; Sie hatten das gerade auch noch einmal ausgeführt. Nordrhein-Westfalen ist doch das Land mit den größten Kommunen deutschlandweit. Wir sind das Land, in dem seit Jahren in den Städten Klimaschutzmanager eingestellt worden sind, die regionale und städtische Konzepte auf den Weg gebracht haben.

Sie wissen vielleicht, dass wir bei „InnovationCity Ruhr“ nicht nur mit Landesunterstützung, sondern auch mit Unterstützung des Bundes und Europas schon seit langer Zeit auf dem Weg sind. Und Bottrop gehört – deutschlandweit betrachtet – nicht zu den ganz kleinen Kommunen.

Ich weiß nicht, welchen Zwiespalt Sie hier aufbauen wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, nicht angemessen. Ich finde, man muss das Engagement in den Kommunen loben, dass sie sich für den Klimaschutz einsetzen wollen.

Heute ist auf der ersten Seite meiner Gladbecker „WAZ“ ein Projekt aufgeführt, bei dem es um die Entkopplung des Schmutzwassers von normalem Regenwasser geht, und zwar relativ großflächig. Warum tun wir das? Weil es einen „InnovationCity Ruhr“-Rollout gibt, an dem sich ganz viele Städte engagiert beteiligen wollen, und weil es gute Förderprojekte auch aus dem Bund gegeben hat, bei denen regionale Klimamanager für jede Stadt auf Antrag zur Verfügung gestellt werden.

Sie sagen, es bestehe ein Widerspruch zwischen denjenigen, die staatswirtschaftliche Elemente auf den Weg bringen wollen, und denjenigen, die durch geschicktes, kluges und vorausschauendes Handeln in den Kommunen schon längst engagiert sind. Das verstehe ich so, dass Sie offensichtlich noch ordentlich nachzuarbeiten haben. Die vorhandenen positiven Beispiele betreffen nämlich nur ganz selten landeseigene Immobilien, aber ganz häufig kommunale Immobilien.

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: In dieser Hinsicht kann man eine ganze Menge von den Kommunen lernen. Ich bin immer – auch als Landespolitiker – überzeugter Kommunalpolitiker geblieben. Meines Erachtens gehört so viel Wahrheit dann auch zu der Debatte – und nicht eine künstliche Auseinandersetzung, die es in Wahrheit gar nicht geben kann.

Die Kommunen sind viel weiter, als die Landesverwaltungen es häufig sind. Daraus kann man vieles ziehen. Den künstlichen Widerspruch, den Sie hier aufgebaut haben, kann ich, ehrlich gesagt, nicht akzeptieren. Nur deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Landesregierung hat noch einmal um das Wort gebeten. Herr Professor Pinkwart, bitte.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Da gehe ich noch einmal an das Mikrofon. Ich habe ja noch anderthalb Minuten Redezeit.

(Michael Hübner [SPD]: Ich habe zum Glück auch noch ein bisschen Redezeit!)

Sie konstruieren jetzt selbst einen Widerspruch, um dagegen zu argumentieren. Zunächst einmal habe ich doch selbst hervorgehoben, dass wir auf die Kommunen bauen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Entweder wollten Sie mir einfach noch einmal zustimmen, oder Sie wollten hier etwas unterstellen, was ich gar nicht gesagt habe.

(Michael Hübner [SPD]: Doch!)

Wir bauen doch auf die Kommunen. Wir sind stolz darauf, dass wir tolle Städte – große, mittlere, kleine – und die Gemeinden haben.

(Michael Hübner [SPD]: Nehmen Sie sie doch mit!)

Da passiert doch auch eine Menge. Wir bauen aber darauf, dass dort die Verantwortung auch wahrgenommen wird. Und sie wird ja – Sie sagen es selbst – wahrgenommen. Warum sollen wir es von der Landesebene denen, die ohnehin schon handeln, noch vorschreiben?

(Michael Hübner [SPD]: Das steht doch gar nicht in dem Antrag!)

Das fragen wir doch hier nur laut.

(Beifall von der CDU)

Sie können es doch selbst. Sie haben die Mittel, es zu tun, und sie haben das Know-how. Natürlich unterstützen wir, der Bund und die Europäische Union – das habe ich auch bereits dargelegt – sie dabei.

Wir machen nur auf Folgendes aufmerksam: Wenn der Bund schon hilft – und so haben wir das bei allen Themen immer gehandhabt –, müssen wir nicht noch ein zusätzliches Programm auflegen oder Regelungen treffen, die verhindern, dass der Bund fördern kann mit der Folge, dass wir selbst fordern müssen. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir mit den Mitteln des Landes auch umzugehen haben. Aber auf jeden Fall wollen wir, dass das auch Unterstützung findet, wo immer möglich. Das gilt auch für die Konzepte, die Sie gerade angesprochen haben.

Lassen Sie uns keinen Popanz aufbauen, sondern sagen: Wir, die Parlamente, die Regierungen, müssen auf allen Ebenen – die Kommunen, die Länder, der Bund, Europa – auf unserem jeweiligen Verantwortungsfeld unsere Hausaufgaben machen.

Sie sprachen die Landesliegenschaften an. Da muss ich Ihnen nun wirklich sagen

(Michael Hübner [SPD]: Kommen Sie mir jetzt nicht mit einem Rückblick! Sagen Sie jetzt nicht: zwischen 2005 und 2010!)

– doch, das muss ich schon sagen –: Sie haben 2013 ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Sie haben auch der Landesverwaltung eine Vorgabe gemacht. Es bedurfte aber unseres Landesfinanzministers Lienenkämper, der erstmalig in einem Landeskabinett eine Vorlage eingebracht hat, wie das für die Landesliegenschaften überhaupt geregelt werden soll. Das haben Sie über sieben Jahre jedenfalls nicht hinbekommen. – Nur so viel zur Sachverhaltsaufklärung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Daher schließe ich die Aussprache.

(Michael Hübner [SPD]: Ich könnte jetzt auch Herrn Nolten aufgreifen: 2005 bis 2010 hat man die Immobilien vergammeln lassen! Das ist nicht besser geworden! – Gegenruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7751 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend –, an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss erfolgen. Gibt es jemanden, der gegen diese Überweisungsempfehlung ist? – Das ist nicht der Fall. Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Das ist auch nicht der Fall. Damit haben wir die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

5   ‚Die Geister, die ich rief‘ – Der ‚Generation Antifa‘ an den Hochschulen muss Einhalt geboten werden!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7744

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von Ihnen kennen die Ballade Goethes vom Zauberlehrling, der bei Abwesenheit seines Meisters seine bereits bescheidenen Zauberkräfte ausspielen und den dienstbaren Besen für sich als Knecht arbeiten lassen will.

Anfangs von oben herab die Situation betrachtend, spielt er sich als Herr auf, der die Abwesenheit seines Meisters als Gelegenheit nutzen will, andere unter seinen Willen zu zwingen. Bald jedoch steht der Lehrling vor den Trümmern seiner Selbstüberschätzung; denn der ehemalige Sklave lässt sich nicht mehr aufhalten, überflutet mit seinen Wasserladungen das Haus und lässt den Lehrling wieder auf Normalmaß schrumpfen.

Der Lehrling findet kein Mittel, um wieder die Macht über den Besen zu erlangen. Selbst als er mit Gewalt gegen ihn vorgeht und den Besen spaltet, setzt dieser sein Werk doppelt weiter fort. Erst der Meister weiß den Besen zu stoppen.

(Dietmar Bell [SPD]: Und dafür brauchen wir Block II?)

Und so sind dieser Zauberlehrling und sein verzweifelter Ruf ein geflügeltes Wort geworden für alle Situationen, in denen jemand aus Ignoranz oder Selbstüberschätzung eine Entwicklung angestoßen hat, die er auch dann nicht mehr stoppen kann, wenn sich ihre unseligen Auswirkungen zeigen.

In dieser Situation sehe ich vor allem die sogenannten bürgerlichen Parteien, die CDU und die FDP.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

Wie sehr haben auch Mitglieder Ihrer Partei in der Vergangenheit demokratische Politiker ausgeschlossen und Politiker zum Beispiel der AfD, aber auch andere, in die Nähe nationalsozialistischen Gedankenguts gerückt!

Herr Spahn meinte bereits 2013, an einer Podiumsdiskussion mit mir nicht teilnehmen zu brauchen, zu dürfen oder zu wollen, weil er sonst Gefahr laufe – so seine Aussage –, zum Beispiel auch an Podiumsdiskussion mit NPD-Vertretern teilnehmen zu müssen.

Herr Laschet tönte noch vor nicht allzu langer Zeit vor Mitgliedern der Jungen Union, die AfD müsse man bis aufs Messer bekämpfen. Bis aufs Messer bekämpfen: Das ist schon erstaunlich für einen Ministerpräsidenten.

Herr Tauber, seinerzeit Generalsekretär der CDU, wollte denjenigen gleich Grundrechte absprechen, die seiner Meinung nach gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpften. Das waren für ihn natürlich auch Vertreter der AfD. Welch eine Unverschämtheit!

Christian Säfken teilte in einem – jetzt natürlich schon längst gelöschten – Tweet mit, dass man AfD-Vertreter auch mit Gewalt bekämpfen müsse, wenn sie vor der Machtergreifung stünden. Mit „Machtergreifung“ wählte er bewusst einen Begriff, der mit dem verbrecherischen System der Nationalsozialisten verbunden ist.

Nur damit es alle wissen: Wir ergreifen niemals die Macht, sondern wir werden vom Wähler gewählt, und zwar immer mehr.

(Beifall von der AfD)

Folgerichtig standen auch – das muss ich leider sagen – einige von Ihren Leuten feixend am Straßenrand, als die linken Kampftruppen der Antifa mit ihren Hassangriffen gegen AfD-Vertreter und AfD-Veranstaltungen starteten.

SPD, Grüne, Gewerkschaften und Kirchen riefen zu solchen Protesten auf. Von CDU und FDP kein Wort der Mäßigung! Anträge von AfD-Vertretern in Kreistagen – ich habe selbst einen solchen Antrag im Kreis Borken gestellt –, sich für Gewaltlosigkeit in der politischen Auseinandersetzung auszusprechen, wurden gerade auch von bürgerlichen Mehrheiten weggebügelt.

Nun spüren Sie plötzlich, dass Sie die Geister, die Sie riefen, um einen politischen Konkurrenten loszuwerden, nicht mehr bändigen können. Sie selbst werden jetzt Opfer der Gewalt, die Sie zumindest billigend in Kauf genommen oder vielleicht sogar mit klammheimlicher Schadenfreude begleitet haben.

Jetzt müssen Sie erleben, wie Thomas de Maizière, der übrigens auch in meinem Gymnasium aufgetreten ist, von linken Chaoten in Göttingen am Reden gehindert wurde.

Das Gleiche widerfuhr Christian Lindner. Bei einer Veranstaltung der Parteijugendorganisation bereits im Juli 2017 an der Ruhr-Universität Bochum wurde er ebenfalls von linken Demonstranten gestört, die auf die Bühne stürmten, Transparente entrollten und gegen die mögliche Wiedereinführung von Studiengebühren für EU-Ausländer protestierten.

Herrn Lindners Bemerkung – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „Das Problem bei den Linken ist, dass nur sie glauben, Wahrheit zu besitzen“ wurde mehrfach durch schreiende Studenten auf der Bühne und im Publikum unterbrochen. Das brachte Herrn Lindner dazu, empört zu entgegnen – ich zitiere ihn nochmals –: „Wo kommen wir eigentlich dahin, dass ihr nur glaubt, andere Argumente niederbrüllen zu können? Wir sind in einer Demokratie.“

Tja. Da kann ich nur sagen: Sehr geehrter Herr Lindner, Sie machen jetzt die Erfahrung, die wir seit 2013 machen. Damals haben Sie geschwiegen und nichts gesagt, und jetzt jammern Sie herum.

(Christian Mangen [FDP]: Er hört Sie nicht!)

Am Institut für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt wurde im Mai 2019 von der Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam, Professor Susanne Schröter, eine Konferenz mit dem Thema „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ einberufen.

Eine studentische Initiative, die Schröter im Vorfeld vorgeworfen hatte, Rassismus gegen Muslime zu schüren – man darf da also offenbar gar keine Fragen mehr stellen –, versuchte nicht nur, die Konferenz zu verhindern, sondern auch, Frau Schröter ihres Amtes als Dozentin zu entheben. Das muss man sich einfach einmal vorstellen.

Im November 2017 organisierte die Juniorprofessorin für Strafrecht an der Universität zu Köln, Elisa Hoven, eine Diskussionsveranstaltung mit Rainer Wendt, dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Wendt hatte zuvor vor Ausländerkriminalität gewarnt. Oh, ganz schlimm!

Sogleich wurden Proteste laut, und die einladenden Dozenten wurden beschimpft. Kaum sagte Wendt etwas, kamen Zwischenrufe. Ich zitiere – verzeihen Sie, Herr Präsident –: „Halt die Fresse!“ Noch ein Zitat: „Du Penner!“ Es werden Transparente mit der Aufschrift „Antifa Zone“ enthüllt. Die Störer brüllen – Zitat –: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“ Das brüllen sie gegen einen Polizeigewerkschafter. Einer der Störer beklagt in der Aula, der Gewerkschafter vertrete – Zitat – „teilweise rechtsradikale, faschistische, gewaltfetischistische Positionen, und deswegen sehen wir nicht ein, dass er hier reden darf.“

Heike Schmoll nahm die Situation an den Universitäten und Hochschulen in ihrem Leitartikel in der „FAZ“ vom 4. November 2019 auf. Dort schreibt sie unter dem Titel „Selbstzerstörung der Wissenschaft“ – ich zitiere –:

„Ausgerechnet im 70. Jahr der grundgesetzlich gesicherten Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit scheint diese so bedroht zu sein wie selten zuvor. In Berlin sind es Baberowski und Münkler, in Frankfurt Schröter, Schönecker in Siegen und nun in Hamburg Lucke. An all diesen Orten war es eine kleine Minderheit von ‚Gesinnungspolizisten‘, die ihre Mitstudenten und die gesamte Universität in Geiselhaft ihrer Ansichten nahm.“

Der Fall Lucke war dann besonders prominent. Man kannte ihn. Verräterisch war vor allem die Aussage des 32-jährigen – ich wiederhole: des 32-jährigen – AStA-Vorsitzenden, man wolle Lucke nicht nur als ehemaligen AfD-Politiker verhindern, sondern – jetzt kommt es – auch nicht seine wissenschaftlichen Ansichten an der Universität gelehrt wissen.

Wo kommen wir hin, wenn AStA-Vorsitzende, die 32 Jahre alt sind, bestimmen wollen, was an der Universität gelehrt wird? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn wir so weit kommen, dass AStA-Vorsitzende das bestimmen, dann ist unser Land am Ende.

(Beifall von der AfD)

Gerade deshalb ist diese Situation so wahnsinnig bedrohlich. Das wilhelminische Kaiserreich mag keine Demokratie nach unserem Zuschnitt gewesen sein. Aber die Wissenschaftsfreiheit war in dieser Zeit gesichert – wesentlich mehr gesichert, als wir das heute kennen.

Ich kann nur schließen und sagen:

(Josefine Paul [GRÜNE]: Oh ja, schließen finde ich gut!)

Gegen diese Übergriffe müssen sich Staat und Universitätsleitungen wehren, wenn sie nicht die Grundlage ihrer eigenen Existenz untergraben wollen.

Der Antrag der AfD hat das Ziel, dass der Landtag den Universitätsleitungen ein deutliches Signal gibt, in dieser Richtung ihre Pflichten zur Wahrung der Wissenschaftsfreiheit wahrzunehmen.

Ich weiß, dass Vorgesetzte Rückendeckung von den Behörden, in diesem Falle vom Gesetzgeber, brauchen. Wir tun gut daran, den Kolleginnen und Kollegen, die in den Universitäten ihren Dienst verrichten, den Rücken zu stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Fraktion der CDU hat Herr Dr. Nacke das Wort.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. November schreibt Matthias Drobinski, dass die Gesellschaft die Kunst zivilisierter Auseinandersetzung wieder erlernen müsse.

In Deutschland sei nicht Meinungsfreiheit das Problem – jeder könne frei sagen, was er wolle –, sondern dass es einigen sehr schwerfalle, die Meinung anderer auszuhalten.

Der Journalist konstatiert eine Unfähigkeit zum Streit, eine Unfähigkeit zu einer guten Gegnerschaft. Wer nicht in der Lage sei, fremde Gedanken auszuhalten, wer immer nur bestimmen wolle, ob jemand mitreden dürfe oder den Mund zu halten habe, befinde sich in einer harmoniesüchtigen Blase der Selbstbestätigung. Ein konstruktiver Streit ist so nicht möglich.

Dann fragt Drobinski, ob man üben könne, Gegnerschaft oder sogar Feindschaft auszuhalten, ohne den anderen moralisch oder physisch vernichten zu wollen.

Die Feindesliebe, die beispielsweise Jesus predigte, bedeute nicht, so Drobinski, Gegnerschaften zu negieren, sondern vielmehr zu akzeptieren, dass Feindschaften manchmal unausweichlich werden. Menschenverachtung sei zum Beispiel alle Feindschaft wert.

Feindesliebe nötige aber dazu, den Feind als Menschen in seiner Würde zu achten, vom Ross einer höheren Moral herabzusteigen auf die Augenhöhe des Gegners und sich dem Streitgegenstand inhaltlich zuzuwenden.

Ich füge dem hinzu, dass diese Semantik der Feindesliebe allen, die sich einem wie auch immer gedachten christlichen Abendland verschreiben, geläufig sein müsste.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum vorliegenden Antrag möchte ich nur folgende drei Bemerkungen machen:

Erstens. Es ist selbstverständlich nicht hinnehmbar, dass öffentliche Veranstaltungen, Lesungen oder Vorlesungen durch Protestaktionen gesprengt und verunmöglicht werden. Das gilt für linke wie für rechte Proteste gleichermaßen.

Die demokratische Debatte, die die Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaft ist, lebt vom Austausch von Argumenten. Das weiß jeder – das bestreitet hoffentlich hier im Haus keiner – und ist auch normale Selbstverständlichkeit an unseren nordrhein-westfälischen Hochschulen.

Zweitens. Es gibt zwei unterschiedliche Formen von Politikern. Die Fachpolitiker vertiefen sich in die Probleme der Bürger. Sie suchen Lösungen und verhandeln Kompromisse, um letztlich Konflikte zu befrieden. Sie sind die Brückenbauer, die unsere Gesellschaft nach vorne bringen.

Die Erregungspolitiker dagegen schüren die Konflikte. Sie reiten begierig jede ihnen entgegenkommende Welle in der Hoffnung auf die Hoheit über die Stammtische. Es geht ihnen nicht um die Menschen, sondern nur um sich und um die eigene Macht.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Sie hören sich einfach zu gerne selbst reden.

Drittens. Mir ist neu, dass Hamburg, Göttingen und Berlin in Nordrhein-Westfalen liegen. Davon, dass bei uns irgendwo die akademische Freiheit eingeschränkt sei, habe ich noch nichts mitbekommen. Der Gegenstand dieses Antrags ist konstruiert, man könnte sagen: an den Haaren herbei an den Rhein gezogen.

(Nic Peter Vogel [AfD]: Das ist doch scheiße!)

Ich debattiere nicht über T-Shirts. Ich finde es so peinlich wie demagogisch, eine aktuelle Studierendengeneration zu diffamieren. Ich weise unsere autonomen Hochschulen, mit denen wir auf Augenhöhe reden wollen, nicht auf Selbstverständlichkeiten hin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten besonnen und gelassen bleiben. Meine Eltern hatten früher einen erziehungsratgeberischen Aufkleber in der Küche kleben: Toben Sie nicht, wenn Ihre Kinder toben.

Das ist auch ein guter politischer Rat. Natürlich lehnt die CDU-Fraktion den Antrag ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Professor Rudolph das Wort.

Prof. Dr. Karsten Rudolph*) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab sei gesagt, dass wir – das ist Ihnen bekannt – jede Form von Gewalt ablehnen. Dazu zählt auch ausdrücklich verbale Gewalt.

Wir verteidigen hier auch die Freiheit der Wissenschaft, das heißt von Forschung und Lehre. Aber darum geht es eigentlich gar nicht in dem Antrag der AfD.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

Es ist schon bemerkenswert, Herr Kollege Seifen, wie Sie versuchen, sich mit Balladen von Goethe einen bildungsbürgerlichen Anstrich zu verpassen

(Lachen von Helmut Seifen [AfD])

– hören Sie zu – und sich dann wundern, dass andere Sie in die Nähe von Rechtsextremisten und Neonazis rücken. Das machen Sie selbst. Sie selbst, Ihre Partei rückt sich in die Nähe von Neonazis und Rechtsextremisten.

(Helmut Seifen [AfD]: Unverschämtheit!)

Wir haben doch alle Ihr Video gesehen, in dem Sie vor Höcke warnen in der eigenen Partei und deutlich machen, wie das Auftreten von Höcke mit dem Auftreten von Hitler zusammengeht.

Also wird es Ihnen nicht gelingen, immer wieder bildungsbürgerliche Tunke über eine Partei zu gießen, die so antibürgerlich ist, wie man nur sein kann. Da hilft Ihnen auch Goethes Ballade nicht weiter.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Wenn man sich die Beispiele, die Sie nennen, jetzt mal im Einzelnen anguckt, muss man sagen: Sie versuchen einen Zusammenhang zu konstruieren, den es gar nicht gibt, weil jede einzelne Veranstaltung und jede einzelne Störung einer solchen Veranstaltung – die wir ebenfalls verurteilen – in einem ganz anderen Kontext steht.

Bei der Veranstaltung mit Thomas de Maizière, die in dem Antrag steht, ging es um einen sogenannten Protest gegen die türkische Invasion in Syrien.

Dass Sie übrigens Herrn Lucke so verteidigen, finde ich auch interessant. Das ist parteigeschichtlich ein bemerkenswerter Vorgang. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten ihn gegen die Rechtsradikalen verteidigt, als er abgewählt und aus der Partei rausgedrückt wurde.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Es geht um die Freiheit der Lehre!)

Herr Lucke wird sich noch nachträglich für Ihre Unterstützung hier in diesem Landtag zu bedanken wissen.

(Zuruf von der AfD: Die Freiheit der Wissenschaft!)

Im Übrigen stimmt es auch nicht, dass die Universitätsleitung nichts gemacht habe. Sie hat die Störung nicht nur verurteilt; vielmehr hat sie einen privaten Sicherheitsdienst eingesetzt und die Polizei alarmiert. Also ist Ihre Unterstellung schlichtweg falsch.

Das Zitat der Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität, Sabine Kunst, reißen Sie auch aus dem Zusammenhang. Sie müssen schon sagen, worum es ging. Es ging damals um die Konflikte, die in der Kontroverse um den Osteuropahistoriker Jörg Baberowski entstanden waren. Aber es ging nicht um einen allgemeinen Trend oder um Antifa; darum ging es überhaupt nicht.

Auch der nächste Argumentationsbaustein fällt bei genauerer Betrachtung in sich zusammen, denn die von Ihnen genannte Resolution des Deutschen Hochschulverbandes bezog sich ebenfalls auf bestimmte Ereignisse der Humboldt-Universität zu Berlin.

Jetzt kommt aber in Ihrem Antrag immerhin noch etwas zu Nordrhein-Westfalen. Zum Beleg der Behauptung, die Universitäten unterstützen die, wie Sie schreiben, hypermoralisierende Generation Antifa, greifen Sie auf die in diesem Haus sattsam bekannten Taschenspielertricks zurück.

Das heißt, Sie führen eine Kleine Anfrage an, die Sie selbst gestellt haben. Diese Anfrage ist durch die Landesregierung beantwortet worden, und die Antwort zeigt, dass Ihre Behauptung, die Universität Köln vernachlässige die ihr obliegende Pflicht zur politischen Neutralität, schlicht falsch ist. Trotzdem behaupten Sie nach dieser ganz klaren Antwort, nach dieser Tatsache, jetzt wieder das Gegenteil.

Wissen Sie, das kann man ja Verdrehung von Fakten nennen, vielleicht hat es aber auch mit einer Form von sekundärem Analphabetismus zu tun, an dem Sie dringend arbeiten müssen, sonst erreichen Sie die bildungsbürgerlichen Ziele nicht. Das ist so.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Thematisierung der Neutralitätspflicht der Universitäten erinnert daran, dass Sie diesen Ausdruck als politischen Kampfbegriff benutzen und immer benutzt haben.

(Helmut Seifen [AfD]: Nein!)

– Doch. So kurz ist die Erinnerung von Demokraten nicht. Wir wissen, dass Sie diesen Begriff eingeführt haben, als Sie angefangen haben, im Schulbereich sogenannte Prangerportale zu errichten, weil Sie den Schulen vorgeworfen haben, sie würden ihrer Neu-tralitätspflicht nicht nachkommen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Auf diesen Prangerportalen sollten Schüler AfD-kritische Äußerungen von Lehrern melden, die angeblich nicht dem Neutralitätsgebot genügen.

Der Datenschutzbeauftragte in Mecklenburg-Vorpommern hat zum Glück mit dazu beigetragen, dass Ihr Denunziationsportal im September 2019 geschlossen werden musste.

In seiner Pressemitteilung finden Sie folgenden bemerkenswerten Satz – ich zitiere hier aus der Pressemitteilung des Datenschutzbeauftragten : Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Lehrer, für die Demokratie, das Grundgesetz und die darin geleistete Menschenwürde einzutreten. Dann kommt der Satz:

„Dabei sollen sie keine Angst haben, von selbst ernannten AfD-Aufpassern behelligt zu werden.“

Das ist der Punkt,

(Beifall von der SPD)

weil Sie hier und heute wieder den Aufpasser spielen wollen. Dabei taugen Sie als Demokratiepolizei oder als Verfassungsschutz nun wirklich nicht. Das Neutralitätsgebot bedeutet ja nicht, sich neutral gegenüber denjenigen zu verhalten, die unsere Werteordnung und den demokratischen Rechtsstaat untergraben.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Sie und Ihre Partei sind ein Prüffall des Verfassungsschutzes.

(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

– Zu Recht.

Wenn Ihr Parteivorsitzender einen lupenreinen Faschisten in der Mitte Ihrer Partei sieht, finde ich, ist der Punkt gekommen, wo darüber nachgedacht werden muss, dass Ihre Partei zu einem Verdachtsfall für den Verfassungsschutzes werden muss.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Deswegen gehen Sie ganz beruhigt davon aus: Wenn es zu Störungen des Lehrbetriebs kommt, werden wir dem entgegenwirken, wie das Demokraten in diesem Haus und an anderer Stelle in Deutschland tun.

Aber verlassen Sie sich auf eines: Wir werden nicht zulassen, dass eine Partei, die Probleme mit dem demokratischen Rechtsstaat hat, nun meint, sich zu einem Verteidiger, zu einem Bewahrer des Rechtsstaates aufschwingen und hier die Demokratiepolizei spielen zu können.

So weit sind wir in diesem Land zum Glück nicht. So weit wird es auch nicht kommen, weil wir eine wehrhafte Demokratie haben und sehr genau beobachten, was Sie tun. Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. Es gibt eine Kurzintervention der AfD-Fraktion. Herr Seifen hat das Wort. Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Professor Rudolph, Sie haben eigentlich wenig zum Antrag gesagt, sondern sich mehr an der AfD abgearbeitet; aber das ist in Ordnung.

Zum Portal kann ich nur sagen: Ich kann mich erinnern, gelesen zu haben, dass der Verfassungsschutz jetzt auch Leute auffordert, ihm irgendetwas zu melden. Sind das jetzt auch ganz böse Leute?

Es gibt genügend Beispiele dafür, dass es an Schulen durchaus vorkommt – ich bin erst letzte Woche davon betroffen gewesen –, dass unfair und falsch über die AfD berichtet wird.

(Zuruf von der SPD: Oh! Oh!)

Das sollte nicht passieren, genauso wenig wie unfair und falsch über andere Parteien berichtet werden soll.

Ich glaube, Sie haben in Ihren Ausführungen völlig übersehen, dass wir vor einem ernsthaften Problem stehen. Sie haben das verharmlost. Der Historiker Niall Ferguson hat in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ ausgeführt:

„Ich bin seit den 1980er Jahren in der Akademie unterwegs, ich habe seither an vielen Elite-Unis unterrichtet: Cambridge, Oxford, New York, Harvard. Der Stimmungswandel, der in den letzten dreissig Jahren stattgefunden hat, ist tiefgreifend. Ich muss es so direkt wie simpel sagen: Die Linken haben die Macht übernommen. Und sie, die sich in der Theorie für die Inklusion starkmachen, haben in der Praxis alle Andersdenkenden konsequent exkludiert.“

Zweitens. Frau Schmoll führt in Ihrem Leitartikel in der „FAZ“ noch weiter aus, dass Studenten sogar bereit sind – nach Befragungen, die wohl durchgeführt worden sind –, Bücher verbieten zu lassen, Bücher zu verbrennen, Bücher auszusortieren, Wissenschaftler ihres Amtes zu entheben, wenn sie nicht das lehren, was sie lehren sollen.

Ich glaube, Herr Professor Rudolph, Sie sind der Sache einfach nicht gerecht geworden, und das finde ich sehr schade, weil wir im Parlament wirklich Lösungen für die Menschen finden und nicht parteipolitisches Klein-Klein abhandeln sollten. Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. Herr Professor Rudolph.

Prof. Dr. Karsten Rudolph (SPD): Ich will nur eine kurze Reaktion geben, weil ich wieder einmal gemerkt habe, dass Sie nicht wirklich in der Demokratie angekommen sind.

Sie beklagen sich darüber, dass andere Leute nicht so über Sie sprechen, wie Sie es haben möchten.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)

Wissen Sie, ich könnte Ihnen tausend Beispiele nennen an Schulen, Hochschulen und im öffentlichen Leben, wo ich auch finde, dass meine Partei nicht so dargestellt wird, wie ich es gerne möchte.

Aber das ist Demokratie. Sie sind in der Demokratie nicht angekommen, denn sonst würden Sie sich darüber nicht beschweren.

(Zuruf von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Beihl das Wort.

Daniela Beihl*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde zunächst gerne einen Aspekt vor meiner eigentlichen Rede anbringen und mich bei Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen bedanken, denn die NRW-Koalition hat heute den deutlichen Ausbau der Studienplätze unter anderem für das Lehramt an Grundschulen und Sonderpädagogik vereinbart. Aus meiner Sicht ist das ein wichtiger Schritt, um die vielen freien Lehrerstellen zu besetzen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit unseren Partnern, den Hochschulen, haben wir diese Herausforderung lösen können. Dafür möchte ich mich bedanken, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

Daran wird deutlich – und damit komme ich zu meiner eigentlichen Rede –: Wir arbeiten konkret daran, die Chancen für die Menschen in unserem Land zu verbessern, während die AfD mit ihrem Antrag zur angeblichen Generation Antifa nur Themen vorlegt, die aus fachlicher Sicht überflüssig sind, die wieder einmal nur stigmatisieren und die Konflikte an unsere Hochschulen tragen, die gar nicht da sind.

(Beifall von der FDP und CDU – Markus Wagner [AfD]: Die Konflikte sind schon da!)

Zu echten Hochschulthemen hören wir von Ihnen aber nichts. Darüber habe ich heute noch keinen Ton von Ihnen gehört; gar nichts.

(Markus Wagner [AfD]: Es ist unglaublich, was Sie hier von sich geben! – Zuruf: Die Mutter aller Konflikte sind Sie! – Unruhe – Glocke)

Schauen wir uns die Forderungen aus Ihrem Antrag einmal genau an. Sie fordern die Landesregierung auf, die nordrhein-westfälischen Hochschulen auf ihre politische Neutralitätspflicht hinzuweisen.

Das ist aber nicht die Aufgabe einer Landesregierung. Wie wir als NRW-Koalition die Aufgabenverteilung und das Verhältnis zwischen Land und Hochschulen einschätzen, haben wir mit der Novellierung des Hochschulgesetzes deutlich gemacht.

So haben wir beispielsweise überflüssige Rahmenvorgaben abgeschafft, das Optionenmodell beim Hochschulbau geschaffen und den Landeshochschulentwicklungsplan zurückgenommen. Damit haben wir deutlich gemacht: Unsere Hochschulen sind für uns Partner auf Augenhöhe, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das heißt auch, dass unsere Hochschulen in ihren Räumlichkeiten selbstverständlich das Hausrecht genießen. Sie organisieren eigenverantwortlich die Raumvergabe und die Vermietung, und sie sind in der Lage, Herausforderungen und Konflikte mit Studierenden und Lehrenden selbstständig zu lösen.

Ergänzend dazu fordern Sie, das Land solle die Hochschulen dabei unterstützen, den neu geschaffenen Art. 51a entschieden anzuwenden. – Auch diese Forderung ist obsolet. Die Schaffung des Artikels unterstützt die Hochschulen bereits, und Sie verkennen, dass das Ordnungsrecht nicht dazu dient, unliebsamen Protest, Demonstrationen oder andere Formen der Meinungsäußerungen zu unterdrücken oder sogar ein Drohpotenzial gegen Studierende zu schaffen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieser Paragraf wurde geschaffen, um den Hochschulen ein effektives Instrument gegen Gewaltstraftaten wie beispielsweise sexualisierte Gewalt oder Mobbing und Stalking an die Hand zu geben.

Dabei gilt wie im gesamten Ordnungsrecht das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der Paragraf trägt diesem Prinzip Rechnung, indem er eine differenzierte und flexible Abstufung sowohl auf der Tatbestandsseite als auch auf der Seite der Rechtsfolge schafft.

Wir lassen deshalb garantiert nicht zu, dass diese sinnvolle neu geschaffene Regelung in irgendeiner Form von Ihnen instrumentalisiert wird, nur weil Ihnen die Meinungen anderer nicht passen.

(Beifall von der FDP und Daniel Sieveke [CDU])

Abschließend fordern Sie, die Hochschulen darin zu bestärken, Hochschullehrer in jeglicher gebotenen Weise zu unterstützen, wenn sie von Studenten innerhalb wie außerhalb der Universität angefeindet werden.

Diese Forderung ist doppelt obsolet.

Erstens. Es liegt nicht im Aufgabenbereich der Hochschule, sich auch außerhalb des Hochschulsystems um seine Mitglieder zu kümmern.

Zweitens. Unsere Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer werden bereits genügend durch unsere Gesetze und Verordnungen geschützt.

Ich möchte betonen, dass wir Freie Demokraten die Meinungs‑ und Redefreiheit als essenzielles Gut unserer gesellschaftlichen Grundordnung begreifen, auch wenn sie uns nicht gefällt oder nicht unseren Vorstellungen entspricht. Ein offener, argumentativer Meinungsaustausch an den Hochschulen ist ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dafür hat auch Christian Lindner geworben. Sie sollten sich in erster Linie aber genau anschauen, inwiefern sich die Fälle Lindner und Lucke unterscheiden und um was es eigentlich genau geht. Christian Lindner hat in NRW an zig Universitäten gesprochen, mit Studierenden diskutiert und diesen Widerspruch auch ausgehalten.

Es wird deshalb schnell klar, was Sie hier versuchen, nämlich ein Problem, das es an unserer Hochschullandschaft nicht gibt, zu importieren. Auch, wenn man über unsere Landesgrenzen hinausschaut: Ich kann kein strukturelles Problem sehen, sondern Einzelfälle, die auch so behandelt werden müssen.

Darf also ein Politiker oder eine Politikerin an einer Hochschule nicht sprechen, muss man sich diesen Vorgang genau ansehen und darf nicht mit der Keule eine allumfassende Verletzung der Meinungsfreiheit bemängeln.

Abschließend möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich noch einmal zur offenkundigen Strategie dieses Antrags äußern. Wir alle wissen, dass Ihr Ausspruch „Das wird man doch noch sagen dürfen“ quasi zum Leitsatz der AfD geworden ist.

(Zuruf)

Einher geht das mit einem Feldzug gegen die sogenannte Political Correctness; dies wird in diesem Antrag wieder deutlich. Für mich bedeutet Political Correctness den Versuch, im Rahmen der Meinungsfreiheit eine diskriminierungsfreie Sprache zu verwenden. Man könnte es auch Anstand, Respekt oder Benehmen nennen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Natürlich darf Political Correctness aber nicht zum Diskriminierungs‑ und Diskreditierungsinstrument verkommen. Es muss offene Debatten, den Austausch von Argumenten und Streit geben, aber – und das möchte hier noch einmal deutlich betonen – es muss auch Regeln geben.

Die AfD gibt gerne vor – so auch in diesem Antrag –, gegen ein angebliches Sprachverbot zu kämpfen. Sie tun so, als wären Sie die einzigen wahren Verteidiger der Meinungsfreiheit.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Gleichzeitig überschreiten Sie Mal um Mal die Grenzen dessen, was im Rahmen der Meinungsfreiheit erlaubt und redlich ist. Sie geben in Ihrem Antrag wieder einmal vor, sich um Meinungsfreiheit und demokratische Grundsätze zu bemühen und benutzen gerade diese Errungenschaften unserer Gesellschaft, um sie auszuhöhlen, zu reizen, zu schwächen und Ihren rückwärtsgewandten Positionen Raum zu geben. Gleichzeitig stilisieren Sie sich auch Mal um Mal zum Opfer.

Wir entlarven aber Ihre Strategie, und wir entzaubern Ihre Argumentation. Wir stellen Sie inhaltlich in der Sache, und das werden wir so lange machen, wie es Sie gibt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung machen: Es ist schon fast amüsant, dass Sie die Vorfälle in Bezug auf die Vorlesung Ihres Parteigründers Bernd Lucke heranziehen. Ob er wohl auch manchmal an den Goethe-Vers „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los“ gedacht hat?

Wir werden den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz feiert in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag. Es garantiert uns allen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und unveräußerliche Grundrechte gegenüber dem Staat.

Dieses Grundgesetz ist die beste Verfassung, die die Deutschen jemals hatten. Es garantiert, dass niemand in unserem Land Repressalien zu befürchten hat, nur weil er oder sie seine oder ihre Meinung vertritt.

Es ist ein Treppenwitz, dass wir ausgerechnet in diesem Jubiläumsjahr über Meinungsfreiheit sprechen müssen, denn Meinungsfreiheit ist und bleibt gegeben. Aber – und das scheinen einige in diesem Haus gerne ausblenden zu wollen – Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Wer eine Meinung hat, muss damit leben, dass andere eine andere Meinung haben. Das nennt man Demokratie,

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

und das ist der Wert, für den alle demokratischen Kräfte in unserem Land gemeinsam streiten müssen.

(Helmut Seifen [AfD]: Sagen Sie das mal den Antifaleuten!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anlass der heutigen Debatte sind Vorfälle bei den ersten beiden Vorlesungen von Bernd Lucke an der Universität Hamburg in diesem Wintersemester.

Zum Diskurs an einer Universität gehört es, Meinungen zu debattieren und Meinungen und Positionen auszuhalten. Das Niederbrüllen von Meinungen gehört nicht dazu. Wer brüllt, hat unrecht.

Das Aushalten politischer Positionen bedeutet jedoch nicht, dass man ausblenden kann und sollte, welches die Geister waren, die Bernd Lucke rief, die er schließlich nicht mehr loswurde und denen er sich nicht entgegengestellt hat, sondern vor denen er weggerannt ist.

Die AfD war nie die harmlose Professorenpartei, auch nicht unter Professor Bernd Lucke. Lucke selbst bezeichnete unsere Demokratie als – Zitat – entartet. Er ließ Parteifreunde vom Schießbefehl auf Kinder an der Grenze fabulieren, ohne sich davon zu distanzieren.

(Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

Er ließ zu, dass rechte Narrative wie Staatsmedien, Blogparteien und Multikultiumerziehung Eingang in die offizielle AfD-PR fanden, und er selbst bezeichnete Geflüchtete als – Zitat – Bodensatz. Von einer solchen Wortwahl ist es nicht mehr weit bis zu Björn Höcke und seinen ein ums andere Mal entlarvenden Deportationsfantasien.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Kritik, meine Damen und Herren, muss Bernd Lucke aushalten unter keinen Umständen mit Gewalt, aber mit deutlichen und klaren Worten, denn Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.

Auch ein Herr Gauland muss es aushalten, Herr Seifen, dass man an sein Zitat aus einer Rede am 18.08.2019 in Brandenburg an der Havel erinnert, in der er von der Machtergreifung fabuliert hat.

Herr Gauland muss es aushalten, dass man daran erinnert und ihm an dieser Stelle klar widerspricht, denn unser Grundgesetz ist das Grundgerüst für die wehrhafte Demokratie, und eine wehrhafte Demokratie ist selbstverständlich auch eine Demokratie, die der Meinungsfreiheit verfassungsrechtliche Grenzen setzt, nämlich wenn eine Meinung sichtbar gegen die Grundgerüste der Demokratie geht, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören oder die Meinungsfreiheit anderer einzuschränken. Das sind die Grenzen, und das muss wieder demokratischer Konsens sein.

Wer versucht, sich diesem demokratischen Konsens zu entziehen, kann sich nicht als Opfer darstellen, wie es die AfD in diesem Antrag versucht, denn es ist doch die AfD selbst, die immer wieder versucht, Meinungen einzuschränken, die Hass und Hetze befeuert und auf diese Weise Menschen vom politischen Diskurs ausschließt.

Gucken Sie sich doch einmal die Statements – nicht zuletzt von heute – im Deutschen Bundestag an, in dem Journalisten nach den Vorgängen im Rechtsausschuss gefragt haben. Diese Fragen wurden, begleitet von einer Welle von Beschimpfungen, beantwortet.

Es ist die AfD, die selbst vor der Wissenschaft nicht haltmacht. Sie wollen Wissenschaftler, die nicht in Ihr rückwärtsgewandtes Weltbild passen, ausschließen und missliebige Disziplinen einfach abschaffen. Sie fahren regelmäßige Frontalangriffe auf die wissenschaftliche Debatte, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wissenschaft ist nicht neutral. Universitäten waren immer ein Ort gesellschaftlicher Debatte und des gesellschaftlichen Fortschritts.

Auch Hochschulen sind nicht dazu verpflichtet, bei Diskussionen Personen zu berücksichtigen, die demokratiefeindliche, menschenfeindliche oder völkisch-rassistische Ideologien verbreiten, sei es direkt oder unterschwellig. Keine öffentliche Einrichtung weder in unserem Land, noch in der Bundesrepublik  darf neutral sein, wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Es gibt eine Kurzintervention der AfD-Fraktion. Der Abgeordnete Seifen hat das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bolte-Richter, ich finde es gut, dass wir uns einig sind, dass Wissenschaftsfreiheit unbedingt sein muss.

Sie haben natürlich versucht, meinen Antrag und meine Rede zu relativieren; das ist in Ordnung. Schließlich entspricht das dem politischen Geschäft in diesem Parlament. Insofern finde ich Ihre Rede wesentlich fundierter als das, was ich vorher gehört habe.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Aber trotzdem sind Sie ausgewichen. Sie sprechen dauernd davon, Meinungsfreiheit müsse Meinung ertragen können. Es geht hier um die Wissenschaftsfreiheit. Auch die Leute in Hamburg müssen ertragen, dass ein Herr Lucke egal, wie man ihn sonst so findet seine – Zitat – neoliberalen Wirtschaftsansichten vorbringt.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Ja, und dem kann man auch widersprechen!)

Das möchte ich ganz deutlich sagen. Diese Leute, die dort randaliert haben, haben in erster Linie gar nicht von der AfD gesprochen – das haben Sie nebenbei auch gesagt –, sondern dezidiert davon, dass Herr Lucke seinen wissenschaftlichen Standpunkt nicht darlegen darf. – Das geht auf keinen Fall. Sie wissen ganz genau, dass wir das nicht verharmlosen dürfen.

Selbst Bodo Ramelow hat in Bezug auf die Antifaschisten die Nerven verloren und gesagt: „Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid.“ – Das sagte er bei einem Auftritt in Halle zu den linken Autonomen.

Frau Beihl, das hat übrigens nichts mehr mit Political Correctness zu tun, das ist Meinungsdiktatur. Dagegen verwahren wir uns. Wir würden vom Landtag ein sehr gutes Signal in die Hochschullandschaft senden, nämlich dass wir völlig hinter den Professoren stehen, die für die Wissenschaftsfreiheit sind.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Zur Reaktion auf diese Kurzintervention hat der Abgeordnete Bolte-Richter wieder das Wort.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter Seifen, es gibt in diesem Land keine Meinungsdiktatur. Deutschland hat insbesondere im 20. Jahrhundert schmerzlichste Erfahrungen mit Diktaturen gemacht, und wir sollten uns da auch mäßigen, wenn wir mit diesem Begriff hantieren. Es gibt in diesem Land keine Meinungsdiktatur, es gibt in diesem Land keine Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit.

Ich sage Ihnen auch ganz klar: Zu den Vorfällen bei der Vorlesung von Herrn Lucke ist durch die Wissenschaftssenatorin alles gesagt worden. Sie hat ganz klar gesagt:

„Ich verurteile aufs Allerschärfste die … Störung und Unterbrechung der Vorlesung von Herrn Lucke.“

Das hat sie in der Hamburgischen Bürgerschaft gesagt. Sie hat auch ganz deutlich gesagt:

„Wie im Hörsaal mit Herrn Lucke umgegangen wurde, widerspricht den Regeln fairer politischer und demokratischer Auseinandersetzung.“

Das waren die beiden Zitate dazu.

Insofern inszenieren Sie hier etwas, was es nicht gibt. Sie warnen vor etwas, was nicht passieren wird, und Sie tun das mit einer Folie, die für unsere Demokratie nicht gut ist.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter, für die Erwiderung. – Jetzt fahren wir in der regulären Redeliste fort. Der Nächste ist der fraktionslose Abgeordnete Pretzell, der jetzt das Redepult für sich hat.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Eigentlich wollte ich heute tatsächlich etwas zur Antifa sagen und zum in der Sache völlig richtigen Antrag der AfD-Fraktion, weil ich den durchaus für ausgewogen und richtig in der Sache empfinde. Das ist auch der Grund, warum ich dem nachher zustimmen möchte.

Aber die Redebeiträge hier haben mich doch dazu veranlasst, zu fast jedem Beitrag noch etwas zu sagen.

Zum einen. Herr Dr. Nacke hat so schön diesen Begriff der autonomen Hochschule verwendet. Ob die Doppeldeutigkeit nun gewollt oder nicht gewollt war, jedenfalls war sie richtig. Denn in der Tat, die Hochschulen sind unterwandert, und man muss ganz klar sagen: Die studentische Mitbestimmung an den Hochschulen ist in weiten Teilen als gescheitert zu betrachten und politisch instrumentalisiert.

Dann zu dem, was hier über Lucke alles so gesagt worden ist. Ich bin nun weit davon entfernt, persönlich, politisch oder sonst wie ein besonders großer Freund von ihm zu sein, aber was ihm hier wissenschaftlich passiert ist …! Ich glaube, dass es darum geht. Es geht nicht um politischen Diskurs an der Hamburger Hochschule. Den kann jeder führen, wie und wo er möchte. Das ist überhaupt nicht das Problem; dafür gibt es genug freien Raum. Was aber nicht geht, ist, dass eine Makroökonomievorlesung verwendet wird, um politisch missliebige Wissenschaftler anzugreifen und ihnen zu versagen, sich wissenschaftlich zu äußern. Das ist nicht in Ordnung. Ich verteidige Herrn Lucke nicht politisch, nicht persönlich, aber ich verteidige ihn als Wissenschaftler.

Im Übrigen, Herr Professor Rudolph, nur das sei Ihnen gesagt: Ihn gegen die furchtbaren Rechten, die ihn stürzen wollten, zu verteidigen, ist insofern interessant, weil Herr Höcke einer von zwei Menschen war, denen Herr Lucke auf seinem Abwahlparteitag 2015 noch persönlich gedankt hat.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Das nur mal so nebenbei. Aber das ist eher ein Thema der Medien gewesen.

Was aber hochinteressant war, war der Redebeitrag der Kollegin Beihl von der FDP. Also, wie Sie hier Meinungsfreiheit definiert haben, das ist für eine Freie Demokratin beachtlich bis erschreckend. Denn es geht gerade nicht um irgendwelche wachsweichen Grenzen von Anstand und ich weiß nicht was alles, die Sie glauben bei der Meinungsfreiheit ziehen zu müssen.

Bei der Meinungsfreiheit geht es eben gerade darum, dass Leute Dinge sagen können, die in Ihren Ohren unerträglich sind. Darum geht es. Hier werden ganz viele Dinge ständig und immer wieder gesagt, die in meinen Ohren unerträglich sind, und trotzdem muss man die sagen dürfen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Das ist ja gerade Meinungsfreiheit, und die Meinungsfreiheit endet nur an einer Stelle: an den deutschen Strafgesetzen. Da endet die Meinungsfreiheit und nirgendwo sonst. Ich hoffe, dass das so bleibt an deutschen Universitäten und an nordrhein-westfälischen Universitäten im Speziellen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Ich kann das beurteilen. Ich habe an einigen Universitäten politische Auftritte gehabt. Ich kann Ihnen sagen: Keiner hier in Nordrhein-Westfalen ist ohne gravierenden Polizeischutz ausgekommen. Freie politische Debatte findet an deutschen Universitäten tatsächlich nicht mehr statt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Das hat nichts damit zu tun, dass Leute keinen Widerspruch vertragen, sondern das hat was mit Sachbeschädigung zu tun, mit körperlichen Angriffen, Bedrohungen etc. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD, Alexander Langguth [fraktionslos] und Frank Neppe [fraktionslos])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Pretzell. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen jetzt das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Bereits im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage 2855 habe ich zusammen mit meinem Kollegen Herrn Minister Reul für die Landesregierung darauf hingewiesen, dass die Landesregierung es begrüßt, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen die Meinungs- und Redefreiheit als essenzielles Gut begreifen.

Es ist wichtig, dass sie sich dafür einsetzen, einen offenen argumentativen Meinungsaustausch in den Hochschulen zu sichern und zu fördern. Der freie wissenschaftliche Austausch, gewissermaßen die Grundlage allen wissenschaftlichen Arbeitens, ist unabdingbare Grundvoraussetzung für Forschung und Lehre.

Das Land und die Hochschulen stellen dabei sicher, dass die Mitglieder der Hochschulen die Freiheit der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz, insbesondere auch die Freiheit, wissenschaftliche Meinungen zu verbreiten und auszutauschen, wahrnehmen können. So steht es übrigens auch im Hochschulgesetz.

Den Hochschulen steht es dabei frei, Maßnahmen gegen störende Handlungen einerseits auf das Hausrecht und andererseits auf den neu eingeführten § 51a – der hier schon zitiert wurde – des Hochschulgesetzes zu stützen, sodass die Sicherung des Lehrbetriebs und der Meinungsfreiheit ausreichend gewährleistet ist.

Bei störenden Handlungen kann zum Schutz des Lehrbetriebs und der Meinungsfreiheit zuwiderhandelnden Personen durch die Hochschule beispielsweise ein Hausverbot ausgesprochen werden. Personen, die gegen ein rechtmäßig ausgesprochenes Hausverbot verstoßen, stellen im juristischen Sinne eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Die Ordnungsverwaltung kann dann die notwendigen Maßnahmen treffen, um diese im Einzelfall bestehende Gefahr abzuwehren. Das ist die Rechtslage.

Im Übrigen kann die Hochschule gegen Studierende, die etwa Gewalt anwenden – das wurde hier gesagt – oder mit Gewalt drohen und dadurch zum Beispiel auch den Studienbetrieb empfindlich stören, Ordnungsmaßnahmen verhängen, wobei die Maßnahmen – das sei an dieser Stelle deutlich gesagt – stets nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geprüft werden und diesem Prinzip auch genügen müssen.

Für alle Hochschulen in staatlicher Trägerschaft ergibt sich als Teil der staatlichen Verwaltung übrigens auch noch ein Gebot parteipolitischer Neutralität. Insbesondere das Neutralitätsgebot sowie das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot sind zu beachten. Darüber hinaus hat das Ministerium die Universitäten, Universitätskliniken, Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Kunst- und Musikhochschulen und sonstige Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft zuletzt anlässlich der Europawahl mit Rundschreiben vom 25. Januar dieses Jahres noch einmal deutlich genau auf diese Punkte hingewiesen.

Im Antrag wird unter anderem auf einen Einzelfall an der Universität zu Köln Bezug genommen, der eben auch schon Gegenstand der Kleinen Anfrage war. In dem vorliegenden Plenarantrag wird behauptet, dass die Beantwortung der Kleinen Anfrage ergeben habe, dass die Universität Köln die Einhaltung der ihr obliegenden Pflicht zur politischen Neutralität vernachlässigt habe.

Diese Ausführungen entsprechen nicht der Auskunft, die in der Antwort auf die Kleine Anfrage gegeben wurde. Vielmehr wurde, wie Sie nachlesen können, dargelegt, dass die Durchführung einer antifaschistischen Veranstaltungsreihe bei der Universität zu Köln nicht beantragt und damit auch nicht genehmigt wurde. Auch für das angesprochene Aktionstraining war von der Universität kein Raum zugewiesen worden. Die Gruppe wurde stattdessen vom Studierendenausschuss der Uni Köln in einem vom AStA verwalteten Raum untergebracht. Ein Rechtsverstoß der Universität ist folglich nicht ersichtlich.

Generell wird die Aufsicht über die Studierendenschaft übrigens von den Rektoraten wahrgenommen. Dabei werden diese Überlegungen immer eine Rolle spielen, aber ein Rechtsverstoß liegt hier nicht vor.

Das Verhalten einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurde hier auch angesprochen. Dienstvorgesetzte Stelle der Professorinnen und Professoren ist die Rektorin oder der Rektor der Hochschule. Es liegt in der Zuständigkeit dieser Personen zu prüfen, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Von solchen Anhaltspunkten ist uns nichts bekannt, sodass eine solche Prüfung auch nicht in gebotener Weise zu erfolgen hatte. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Hochschulen von dem vorgenannten rechtlichen Instrumentarien eigenverantwortlich und angemessen Gebrauch machen.

Dass sich die Hochschulen mit den in Rede stehenden Themen verantwortungsvoll und gewissenhaft befassen und unter den Hochschulen und in der Wissenschaft hierzu ein differenzierter Austausch stattfindet, zeigt im Übrigen ja auch gerade die im Antrag angesprochene Resolution des Deutschen Hochschulverbandes aus dem Jahr 2017.

Nach dieser Vorrede lehnt natürlich die Landesregierung den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich schaue in die Runde. Es gibt Fraktionen, die noch Redezeit hätten. Möchten diese Fraktionen die Redezeit noch nutzen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt über den Inhalt des Antrages Drucksache 17/7744 durch. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Stimmt jemand dagegen? – Das sind CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 17/7744 abgelehnt worden.

Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt

6   Fragestunde

Drucksache 17/7859

Mit dieser Drucksache liegt Ihnen die

Mündliche Anfrage 56

des Abgeordneten Sven Wolf von der Fraktion der SPD vor, die ich jetzt auch aufrufe.

Das Thema lautet: Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Bergisch Gladbach?

Ich darf wie immer darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet. Die Landesregierung hat uns mitgeteilt, dass zwei Minister diese Anfrage beantworten werden, nämlich Herr Minister Reul und Herr Minister Biesenbach. Allerdings wird Herr Minister Biesenbach beginnen.

Aufgrund der Erfahrungen aus den letzten Fragestunden will ich auch darauf hinweisen, dass es sich korrekterweise und zulässigerweise um eine Mündliche Anfrage mit zwei Unterfragen handelt. Ich würde Sie bitten, beide Unterfragen gemeinsam in Ihre Antwort einzubeziehen, sonst wird das bei zwei Ministern und zwei Unterfragen unheimlich schwierig, die ganze Fragestunde zu handhaben. – Die beiden Minister nicken.

Ich schalte erst einmal das Mikrofon für Herrn Minister Biesenbach frei und gehe davon aus, dass Herr Minister Reul im Anschluss sofort fortfahren wird. Dann schalte ich das zweite Mikro frei. Wenn Sie beide einverstanden sind, würde ich auch beide Mikros auflassen, weil wir nicht genau wissen, wer bei nachfolgenden Fragen zuerst antwortet oder generell antwortet.

Herr Minister Biesenbach, Ihr Mikro ist frei.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hintergrund der aufgeworfenen Fragen sind Ermittlungsverfahren, die schwerpunktmäßig bei der Staatsanwaltschaft Köln wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und weiterer Vorwürfe geführt werden. Die Verfahren waren bereits Gegenstand einer umfangreichen medialen Berichterstattung. Die Ereignisse in Wesel, Bergisch Gladbach und anderen Orten, die mittlerweile zur Festnahme von mehreren Beschuldigten geführt haben, machen zutiefst betroffen.

Das ist eine Fragestunde, die ich verständlicherweise ungern mache, weil das Thema so ist, dass ich nach wie vor sage, dass es mich immer noch fassungslos macht. Ich kann nicht verstehen, dass Väter ihre eigenen Kinder missbrauchen.

Deshalb sage ich auch, und Herr Kollege Reul hat es in einem anderen Fall auch gesagt: Die Staatsanwaltschaften des Landes und jetzt vor allem die Staatsanwaltschaft Köln einschließlich der von mir seit jeher massiv geförderten zentralen Ansprechstelle Cybercrime gehen mit aller Kraft an die Aufklärung dieser Ereignisse und betreiben auch die Ermittlungen mit großem Nachdruck.

Die erste Frage: Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Bergisch Gladbach?

Die Staatsanwaltschaft Köln führt in dem Ermittlungskomplex zunächst ein Verfahren gegen einen Beschuldigten aus Bergisch Gladbach. Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft genommen worden, und im Rahmen der Ermittlungen wurde auch seine Wohnanschrift durchsucht.

Zum aktuellen Stand des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten aus Bergisch Gladbach hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln meinem Haus gestern berichtet, dass die Sicherung und Auswertung sämtlicher aufgefundener Datenträger andauere und auch die Auswertung eines sichergestellten Spurenträgers bisher nicht abgeschlossen sei. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln richten sich ferner insbesondere gegen Chatpartner des Beschuldigten aus Bergisch Gladbach sowie der Teilnehmer von Gruppenchats.

Hierzu hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln meinem Haus ebenfalls gestern im Wesentlichen wie folgt berichtet – ich zitiere –:

Mittlerweile konnten die Identitäten von 17 Kontaktpersonen des ursprünglich Beschuldigten ermittelt werden. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden durch die Staatsanwaltschaft Köln neun Verfahren wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs unter anderem mit Tatort in Nordrhein-Westfalen eingeleitet. In vier dieser Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Köln durch die jeweiligen örtlichen Amtsgerichte Haftbefehl erlassen und in der Folge vollstreckt. In fünf weiteren Fällen liegen derzeit die Voraussetzungen für den Erlass eines Untersuchungshaftbefehls nicht vor.

Bezüglich der bereits durch die Staatsanwaltschaften Düsseldorf und Kleve – Zweigstelle Moers – auf der Grundlage der im Rahmen der Auswertung erlangten Erkenntnisse eingeleiteten Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Köln ebenso wie in dem zwischenzeitlich nach Köln übernommenen Verfahren der Staatsanwaltschaft Krefeld ihre Bereitschaft zur Übernahme erklärt.

In den zur Übernahme erwarteten und dem bereits übernommenen Verfahren befinden sich die Beschuldigten jeweils in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen in diesen Verfahren und in den Verfahren zur Identifizierung weiterer Chatteilnehmer dauern an.

In fünf Fällen führten die Ermittlungen zur Feststellung von außerhalb Nordrhein-Westfalens ansässigen Tatverdächtigen. Die entsprechenden Erkenntnisse wurden unmittelbar an die örtlich zuständigen Polizeibehörden übermittelt. Bei der Staatsanwaltschaft Köln sind derzeit fünf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit der Bearbeitung der Verfahren betraut.

Ende des Zitats.

Ich fasse zusammen, dass nach der soeben vorgetragenen Berichtslage bislang der Beschuldigte aus Bergisch Gladbach sowie 17 seiner Kontaktpersonen identifiziert werden konnten und sich in dem Verfahrenskomplex in Nordrhein-Westfalen insgesamt acht Personen in Untersuchungshaft befinden.

Der Generalstaatsanwalt in Köln hat meinem Haus gleichfalls am gestrigen Tage berichtet, dass er gegen die Sachbehandlung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln keine Bedenken habe. Außerdem werde zur personellen Verstärkung der Staatsanwaltschaft Köln ein Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, der mit Wirkung zum 1. Januar 2020 an die Staatsanwaltschaft Köln versetzt worden sei, bereits ab kommender Woche bei der ZAC NRW eingesetzt.

So weit zur ersten Frage.

Die zweite Frage: „Wie erklärt sich der in der Presse berichtete Zeitraum, Übergabe von Akten an die Staatsanwaltschaft Kleve am 10.06. und Festnahme eines Tatverdächtigen am 25.10.2019?“

Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Kleve hat hierzu unter dem 8. November 2019 im Wesentlichen Folgendes mitgeteilt – ich zitiere –:

Erstens zu den Tatvorwürfen: Die Staatsanwaltschaft Kleve – Zweigstelle Moers – hat am 24. Oktober 2019 den Erlass eines Haftbefehls gegen einen 26-jährigen Beschuldigten aus Wesel erwirkt und am 25. Oktober 2019 vollstreckt.

Dem Beschuldigten, bei dem es sich um einen Zeitsoldaten der Bundeswehr handelt, wird darin zur Last gelegt, im Zeitraum zwischen April und Oktober 2019 unter anderem in mehreren Fällen Kinder sexuell missbraucht und hiervon teilweise Aufnahmen gefertigt zu haben. Zudem besteht der Verdacht, der Beschuldigte habe diese Aufnahmen an einen Tatverdächtigen in Bergisch Gladbach per Messengerdienst weitergegeben.

Ende des Zitats.

Zu den zeitlichen Abläufen und den ergriffenen Maßnahmen zitiere ich ebenfalls aus der genannten Pressemitteilung:

Am 5. Juni 2019 wurde die Staatsanwaltschaft Kleve durch das zuständige Fachkommissariat der Kreispolizeibehörde Wesel telefonisch unterrichtet, dass polizeiliche Ermittlungen gegen den Beschuldigten wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs an Kindern eingeleitet worden seien. Diesen Ermittlungen lag zugrunde, dass sich der in häuslicher Gemeinschaft lebende Stiefsohn des Beschuldigten seiner Mutter – Ehefrau des Beschuldigten – offenbart hatte. Das zuständige Jugendamt in Kamp-Lintfort sei informiert. Der Beschuldigte habe hiervon Kenntnis.

Noch am Abend desselben Tages erschien der Beschuldigte bei der Polizeiwache in Wesel und zeigte sich selbst an. In der am 7. Juni durch das zuständige Fachkommissariat durchgeführten Vernehmung räumte der Beschuldigte ein, seinen Stiefsohn und seine Tochter in fünf Fällen während der Abwesenheit seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung sexuell missbraucht zu haben, indem er die Kinder im Genitalbereich berührt habe.

Die von der Polizei übersandten Akten gingen am 17. Juni 2019 bei der Staatsanwaltschaft in Moers ein. Aus dem Inhalt der Akten ergab sich, dass sich die Ehefrau des Beschuldigten gegenüber dem Jugendamt verpflichtet hatte, keinen Kontakt des Beschuldigten zu den Kindern zuzulassen, und der Beschuldigte erklärt hatte, sich an das Kontaktverbot zu halten.

Nach Einschätzung der Polizei war der bisher weder vorbestrafte noch sonst strafrechtlich in Erscheinung getretene Beschuldigte reumütig und therapiebereit. Der Beschuldigte, der sich dem Verfahren nicht entzogen hatte, erklärte in seiner Vernehmung bei der Polizei, reinen Tisch machen zu wollen. Bei dieser Sachlage waren keine weiteren Taten zum Nachteil des Stiefsohn und der Tochter zu erwarten.

Konkrete Hinweise, der Beschuldigte habe von dem Missbrauch der Kinder Aufnahmen gefertigt oder sei Teil eines Chatrings zum Austausch von Kinderpornografie, lagen nicht vor. Da weder Gründe für die Annahme von Flucht noch Wiederholungsgefahr bestanden und damit nach Einschätzung des Dezernenten die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren, sah er von der Beantragung eines Untersuchungshaftbefehls ab und setzte die Ermittlungen fort.

Die Bewertung der Verdachtslage änderte sich erst Ende Oktober 2019, als durch Mitteilung der Kreispolizeibehörde Bergisch Gladbach bekannt wurde, dass der Beschuldigte in Kontakt zu einem dortigen Tatverdächtigen stand. Mit diesem hatte der Beschuldigte nach Auswertung dortigen Datenmaterials unter anderem kinderpornografische Aufnahmen getauscht und außerdem über ein Treffen zum Zwecke des gemeinsamen sexuellen Missbrauchs seiner Nichte (drei Jahre) gesprochen.

Auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse wurden auf Antrag der Staatsanwaltschaft Kleve am 24. Oktober 2019 durch das Amtsgericht Moers ein Untersuchungshaftbefehl sowie Durchsuchungsbeschlüsse für die zwischenzeitlich von dem Beschuldigten bezogene Wohnung und seine Unterkunft in der Kaserne erlassen.

Ende des Zitats.

Die zweite Frage lässt sich zusammenfassend dahin gehend beantworten, dass sich die Erkenntnislage in dem bei der Staatsanwaltschaft Kleve anhängigen Verfahren erst durch einen am 23. Oktober 2019 durch die Polizei in Bergisch Gladbach erfolgten Hinweis derart verdichtet hatte, dass die Staatsanwaltschaft Kleve nunmehr genügenden Anlass zur Beantragung von Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten sah und einen entsprechenden Beschluss erwirkte, der seit dem 24. Oktober 2019 vollstreckt wird.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit jeher einen bewährten dreistufigen Aufbau der Dienst- und Fachaufsicht in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unterliegen zunächst der Aufsicht und Leitung durch ihre Behördenleitung, dann durch den zuständigen Generalstaatsanwalt oder die zuständige Generalstaatsanwältin und erst in letzter Instanz durch mein Haus. So sieht es das Gerichtsverfassungsgesetz vor.

Zur Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Sachbehandlung im vorliegenden Fall hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Kleve in einem meinem Haus am 8. November übermittelten Bericht erklärt, dass er den Zeitpunkt der Beantragung von Untersuchungshaft und Durchsuchungsmaßnahmen im Ergebnis nicht beanstanden könne.

Diese Einschätzung hat er unter dem 12. November gegenüber dem Generalstaatsanwalt in Düsseldorf bekräftigt und unter umfassender Darlegung seiner Erwägungen ergänzend unter anderem ausgeführt, dass eine zeugenschaftliche Vernehmung der bislang bekannten Opfer noch nicht durchgeführt worden sei und er die Sachbehandlung auch insoweit nicht zu beanstanden vermöge.

Demgegenüber hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf nach entsprechender Überprüfung mit Bericht vom heutigen Tage unmissverständlich unter anderem Folgendes erklärt – ich zitiere –:

Die Bewertungen des Leitenden Oberstaatsanwalts hinsichtlich der Entscheidungen, zeitnah nach dem 17. Juni 2019 keine Durchsuchungsmaßnahme zu beantragen und eine zeugenschaftliche Vernehmung der geschädigten Kinder erst nach Bekanntwerden der Erkenntnisse aus der Übersendung der Chatverläufe durch die Kreispolizeibehörde Bergisch Gladbach am 23. Oktober 2019 für erforderlich zu erachten, teile ich nicht.

Aufgrund des sich aus den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO ergebenden Verfolgungszwangs und mangels erfolgversprechender anderer Ermittlungsansätze hätte deshalb jedenfalls nach dem 4. Juli 2019 die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses für die Räumlichkeiten des Beschuldigten nahegelegen, um den bestehenden Anfangsverdacht des Besitzes kinderpornografischer Schriften aufzuklären. Daran ändert nichts, dass der Beschuldigte Kenntnis von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren hatte.

Bedenken bestehen auch, soweit eine Vernehmung der geschädigten (Stief-)Kinder des Beschuldigten entgegen dem Beschleunigungsgebot der Nr. 221 Abs. 1 RiStBV über mehrere Monate nicht durchgeführt worden ist.

Unabhängig von der Frage der Vernehmung der geschädigten Kinder, sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bis zum Bekanntwerden der von der Kreispolizeibehörde Bergisch Gladbach übermittelten Erkenntnisse wenig stringent geführt worden. Es erschließt sich etwa nicht, weshalb keine Zweitakten zur Abwicklung der Akteneinsichtsgesuche angelegt worden sind. Gleichfalls wäre es angezeigt gewesen, frühzeitiger auf eine DNA-Untersuchung des gesicherten Spurenmaterials hinzuwirken.

Ich habe deshalb den Leitenden Oberstaatsanwalt in Kleve gebeten, die mit entsprechenden Ermittlungsverfahren befassten Dezernentinnen und Dezernenten hinsichtlich der besonderen Anforderungen derartiger Verfahren in geeigneter Weise zu sensibilisieren. Die nächste Dienstbesprechung mit den Behördenleitungen meines Geschäftsbereichs am 29. November 2019 werde ich zum Anlass nehmen, auch diese entsprechend zu sensibilisieren.

Ende des Zitats.

In dem von mir bereits skizzierten dreistufigen Aufbau der Dienst- und Fachaufsicht in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ist der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt. Er hat zwei handwerkliche Fehler festgestellt, die ich sehr bedaure.

Dass einschlägige Ermittlungsverfahren konsequent und mit dem gebotenen Nachdruck zu führen sind, werde ich aus Anlass dieses Einzelfalls in der kommenden Woche auf der jährlichen Dienstbesprechung mit den Leitungen sämtlicher Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften des Landes intensiv erörtern.

Zudem habe ich das Thema für die kommende Sitzung des Rechtsausschusses am 20. November, also heute in einer Woche, angemeldet. Ich kann dort ergänzend informieren, soweit dies im Hinblick auf die andauernden Ermittlungen und deren mögliche Gefährdung sowie die Schutzbedarfe und Interessen der Geschädigten möglich ist.

Eine Anmerkung möchte ich noch machen, weil die Frage auftauchen könnte, wie es mit einem Haftbefehl ausgesehen hätte: Dass vor Ende Oktober 2019 kein Haftbefehl beantragt worden ist, hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf nicht beanstandet. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls sind natürlich auch andere als die für eine Durchsuchung.

Hiermit ende ich und gebe weiter an den Kollegen Reul.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Herr Minister Reul hat das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Nach der sehr detaillierten Schilderung der einzelnen Abläufe möchte ich mich auf einige Ergänzungen konzentrieren.

Sie wissen, dass mich das Thema, das wir heute verhandeln, seit geraumer Zeit umtreibt, genauer gesagt seit Oktober 2018, als wir uns damals im Landeskriminalamt die Auswertung von Kinderpornografie angeschaut haben und ich für mich selber festgestellt habe, dass ich es mir eigentlich nicht vorstellen kann, wie mit den Schwächsten unserer Gesellschaft, den Kindern, umgegangen wird. Ich habe festgestellt, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft, das heißt, auch in der Polizei, nicht den Stellenwert eingeräumt bekommen hat, wie es nötig war.

Dann kam Lügde, ein Fall, in dem viel zu lange niemand hingesehen hat, ein Fall, in dem das Treiben dieser Verbrecher viel zu lange nicht wahrgenommen wird, zu viele Hinweise nicht ernst genommen wurden. Die Aufarbeitung der Defizite aus diesem Fall beschäftigen uns bis heute.

Im Rahmen dieser Aufarbeitung – das gehört auch dazu – wurde schon einiges umgesetzt. Wir haben die Stabsstelle „Kindesmissbrauch, Kinderpornografie“ eingerichtet. Da will ich etwas klarstellen: Man könnte bei dem Namen auf die Idee kommen, hier würde operativ ermittelt. Darum ging und geht es bei dieser Stabsstelle nicht. Die in der Stabsstelle arbeitenden Kollegen sollen strukturelle Defizite bei der Ermittlung systematisch aufarbeiten und uns für die Zukunft Antworten geben, wie wir das besser machen können.

Das heißt, in dem Moment, in dem – um einen Namen zu nennen – Herr Wünsch die Bearbeitung in Lügde beendet hatte und in die Stabsstelle kam, hatte er keine Aufgabe mehr, die mit Aufsicht zu tun hat. Ich glaube, da sind ein paar Missverständnisse entstanden, vielleicht auch wegen des Namens. Gerade die Aufgabe, die er jetzt wahrnimmt, ist von Bedeutung, weil es um die Frage geht: Was ändern wir?

Wir setzen mittlerweile operativ mehr Personal ein. Heute arbeiten mehr als doppelt so viele Mitarbeiter an der Aufklärung von sexuellem Missbrauch und Kinderpornografie. Im März des Jahres waren es 104, heute sind es 220 Menschen. Die zentrale Auswertungs- und Sammelstelle „Kinderpornografie“ in unserem LKA hat 24 Stellen mehr bekommen. Wir haben allein in diesem Jahr zusätzlich 331 Fortbildungsplätze für unser Personal eingerichtet. Wir haben 453 neue Auswertungsrechner beschafft, um mit neuester Hard- und Software auswerten und ermitteln zu können. Darüber hinaus hat die Polizei NRW mittlerweile eigene Datenträgerspürhunde, die, wie wir jetzt gelernt haben, im aktuellen Fall schon sehr geholfen haben.

Wir haben auch – damit komme ich zu der Frage zurück – unser Führungspersonal für dieses Thema sensibilisiert. Am 27. Februar hat beispielsweise eine Dienstbesprechung mit allen Leitern der Direktionen Kriminalität stattgefunden. Am 17. Juni des Jahres habe ich alle Polizeipräsidenten und Landräte eingeladen und die klare Ansage gemacht: Macht die Themen „sexuelle Gewalt gegen Kinder“ und „Kinderpornografie“ in den Behörden zur Chefsache!

Trotz all der Veränderungen, die wir nach Lügde angegangen sind, lassen Sie mich eines klarstellen: Der Fall Lügde hat viele wachgerüttelt und steckt uns noch allen in den Knochen. Auch der aktuelle Fall geht einem unter die Haut, macht fassungslos.

Aber beide Fälle sind nicht vergleichbar. Was sind die Unterschiede?

In Lügde – ich will das jetzt für das polizeiliche Handeln erklären – handelte es sich um einen kleinen, deutlich beschränkten Täterkreis und um Taten, die über viele Jahre an einem Ort stattfanden. Die Opfer, zum Teil im Kindergartenalter, waren Pflegekinder, bekannte Kinder. Sie alle wurden zu spät in Sicherheit gebracht. Zu lange wurde nichts gemacht. Das alles macht uns auch heute noch betroffen.

Beides ist in dem aktuellen Fall anders. Beim Täter in Wesel handelt es sich in erschreckender Weise um einen Ehemann, um einen Familienvater, der seine eigenen Kinder, wie eben vorgetragen, missbraucht und sogar zum Missbrauch angeboten hat. In der eigenen Wohnung, in der auch die ganze Familie lebt, ist das passiert. Die Aufnahmen dieser Missbräuche wurden mit anderen Pädokriminellen in einem riesigen Kinderpornonetzwerk getauscht, mit Chatgruppen, in denen sich bis zu 1.800 Teilnehmer entsprechende Bilder und Filme von Missbräuchen zusenden, also, wie wir heute wissen, viele Täter aus allen Ecken Deutschlands.

Und es gibt noch einen Unterschied: Das Polizeihandeln in Wesel entspricht zwar auch nicht meinem hohen Qualitätsanspruch – man hätte hier mehr machen können; das will ich klar sagen –, trotzdem hat in dem Fall die Polizei schnell gehandelt, anders gehandelt als in Lügde. Zwischen dem Erstkontakt der Polizei mit der Mutter des Opfers am 4. Juli bis zur Information an den Staatsanwalt am 5. Juli sind nur gut 24 Stunden vergangen. In dieser Zeit waren die Kinder vor dem Täter sicher untergebracht, wurden ärztlich betreut. Es wurde vom Jugendamt – das ist jetzt nicht unsere Zuständigkeit, aber das gehört, glaube ich, zur Vollständigkeit dazu – sofort eine Kontaktsperre für den Vater gegenüber seinen Kindern ausgesprochen. Am darauf folgenden Montag, dem 10. Juli, wurde die Ermittlungsakte dann an die Staatsanwaltschaft übermittelt.

Trotzdem haben wir das Thema heute auf der Tagesordnung, und zwar zu Recht. Ich fürchte, ich kann für die Zukunft so etwas nicht ausschließen. Wir haben es hier leider mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun. Es ist gut, dass wir darüber reden, dass wir sensibel machen.

Bei der WHO gibt es Schätzungen, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die Opfer von sexueller Gewalt waren oder sind. So unglaublich diese Zahl erscheint, so bedrückend ist sie auch. Sie zeigt, dass wir mit der Sensibilisierung für dieses Thema – ich will es noch einmal sagen – erst am Anfang stehen. Da dürfen wir uns nichts vormachen.

Deswegen ist klar: Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen. Wir haben die richtigen Konsequenzen gezogen. Wir haben die erste Konsequenz gezogen. Aber es wird ein langer, steiniger Weg bleiben. Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon. Das sind unsere Bemühungen.

Dass unsere Bemühungen schon erste Erfolge zeigen, kann man auch beobachten – trotz allem, was einen dann auch stört. Beispielsweise wurde in Bergisch-Gladbach – die Fälle hängen zusammen – nach ersten Hinweisen schnell reagiert. Handys wurden beschlagnahmt und ausgewertet, Wohn- und Arbeitsräume durchsucht. Innerhalb weniger Tage gab es mehrere Festnahmen, und die Kinder sind in Sicherheit. Das ist genau der Unterschied. Man hat sich sofort auf das Handy gestürzt, hat sich das angeguckt, ausgewertet und dann die Konsequenzen gezogen.

Die Leitung des Falles wurde nach Bekanntgabe der Dimension noch am Abend des 30. Oktober von Bergisch-Gladbach nach Köln übertragen, wo das jetzt auch behandelt wird.

Eines ist mittlerweile klar geworden: Wo Kinderpornografie ist, da ist sehr oft auch sexueller Missbrauch. Deswegen muss man beiden Verdachtsmomenten mit großer Intensität nachgehen, so wie das jetzt auch in den Fällen passiert ist.

Zu dem aktuellen Ermittlungsstand muss ich, glaube ich, nichts mehr sagen, vielleicht nur eine Ergänzung machen, die der Kollege Peter Biesenbach noch nicht vorgetragen hat: Wir haben bis heute alleine 30 Terabyte an Daten auf mehr als 2.400 Datenträgern sichergestellt. Das sind etwa 7,5 Milliarden Schreibmaschinenseiten, die 600.000 Aktenschränke füllen würden, nur für diesen einen Fall, bis jetzt.

Alleine die Vorstellung, dass 1.800 Menschen in einem Chat Kinderpornos tauschen, haut einem ja die Füße weg. Mehr als 250 Kräfte der Polizei arbeiten derzeit mit Hochdruck an diesem Mammutfall – das darf ich Ihnen versichern; das ist genau wie bei der Staatsanwaltschaft –, und zwar mit diesen Zielen:

Ziel eins ist, möglicherweise noch laufende Missbräuche aufzudecken und möglichst schnell zu stoppen. Ich sage bewusst: möglichst schnell. Denn man weiß: Bei den Kapazitäten wird das nicht so schnell passieren, wie wir uns das alle erträumen oder wünschen.

Ziel zwei ist, die Opfer der Missbräuche professionell zu betreuen, um eine Aufarbeitung zu ermöglichen.

Ziel drei ist, alle Straftaten beweissicher aufzuklären.

Da es sich bei diesen Ermittlungen – das hat der Kollege Biesenbach auch schon gesagt – um laufende Ermittlungen handelt, kann ich dazu nicht mehr sagen. Aber erschreckend genug sind die Informationen schon, die ich Ihnen gegeben habe oder die wir auch schon gelesen haben.

Ich habe eine Bitte an uns alle. Vielleicht klingt das komisch, aber ich habe diese Bitte immer wieder geäußert, auch als ich mit den Obleuten geredet habe. Ich habe einen Appell oder eine Bitte: Lassen Sie uns die Staatsanwälte und die Polizei ihren Job machen. Das ist ein schwieriger, ein belastender Job, aber einer, der sich lohnt, wie man jetzt in diesen Tagen sieht. Es lohnt sich, wenn man die arbeiten lässt und sie Stück für Stück die Sache aufrollen. Das Wort „lohnen“ ist schon komisch. Denn das klingt ja positiv. Ich befürchte, es kommt noch mehr zutage. Das ist nicht das Ende. Aber das muss weiter betrieben werden.

Ich möchte mich bei all denen, die daran arbeiten – das geht bei solchen Debatten oft unter –, egal, an welcher Stelle, Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendämter, dafür bedanken, dass sie sich so engagiert da reinklemmen und arbeiten. Ich hoffe, dass sie durchhalten. Wir versuchen, wie Sie der Presse entnehmen können, die so zu begleiten, dass man das einigermaßen ertragen kann.

Also: Kein Wunder, dass die Geschichte weitergeht.

Wir dürfen auf keinen Fall in der Intensität nachlassen, die Sachen aufzubereiten, und genauso nicht in der Intensität, unsere Arbeitsweisen zu verändern und anzupassen, immer, wenn neue Erkenntnisse kommen, dafür zu sorgen, dass wir besser werden, genauer werden, exakter werden, und da, wo einer es noch nicht ganz verstanden hat, den auch noch einmal aufzuklären.

Manchmal hofft man – ich habe es ja auch gedacht –, das passiert einmal, und dann ist – Simsalabim – alles in Ordnung. Aber das ist leider komplizierter. Dafür möchte ich ein Stück werben. – Danke sehr.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Bevor ich Herrn Kollegen Wolf von der SPD-Fraktion das Mikro freischalte für die erste Nachfrage, will ich rein vorsorglich darauf hinweisen, dass selbstverständlich auch in der Fragestunde der Datenschutz gilt und einzuhalten ist. Das bezieht sich sowohl auf diejenigen, die gleich Fragen stellen, als auch auf die beiden Minister, die Antworten geben. Wenn wir uns nicht daran halten, haben wir alle miteinander ein wirklich ernsthaftes Problem.

Herr Kollege Wolf, bitte.

Sven Wolf (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte zunächst an die Vorbemerkungen der beiden Minister anschließen, wenn Sie gestatten. Auch für mich führt dieser Fall zu Sprachlosigkeit. Ich glaube, alle hier im Haus sind von diesem Thema tief bewegt, weil man es so schwer greifen und verstehen kann.

Eine zentrale Frage steht für uns im Mittelpunkt. Das entnehme ich jetzt auch den Schilderungen von Ihnen, Herr Minister Biesenbach. Sie haben das ja ergänzt, Herr Minister Reul. Der verdächtige oder beschuldigte Kinderschänder zeigt sich an und räumt ein, dass er sich den Kindern nicht mehr nähert.

Nach der jetzt aktuellen Berichterstattung soll er sich noch dahin gehend eingelassen haben – wenn ich hier die Berichterstattung zitieren darf –, dass er sich bereits in den Jahren 2012 und 2013 kinderpornografisches Material angesehen habe. Womöglich – das wird auch in der Presseberichterstattung berichtet – hätte es bereits im Jahr 2018 Hinweise aus dem Kindergarten gegeben. Das ist das, was ich der aktuellen Presseberichterstattung entnehme. Das ist der Sachverhalt, den ich lediglich wiedergebe.

Trotzdem sahen Polizei und Staatsanwaltschaft keinen Grund zur Eile oder auch zur Überprüfung der Angaben.

Sie, Herr Minister Biesenbach, haben das aufgrund der Erläuterungen und der Überprüfungen durch den Generalstaatsanwalt wiedergegeben. Ich habe jetzt daraus geschlossen, dass Sie sich diese Rechtsansicht des Generalstaatsanwaltes zu Eigen machen, diese Beanstandung der nicht beschleunigten Beschlagnahme von Daten.

Mich würde trotzdem interessieren: Warum sahen sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft keinen Grund zur Eile?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wolf. – Auch wenn das eine wirklich sehr erschütternde Thematik ist und ich nachvollziehen kann, dass man Fragen in diesem Zusammenhang nicht einfach so in den Raum stellen kann, weil man sie herleiten muss, will ich noch einmal für alle, die noch fragen, darauf aufmerksam machen, dass wir uns nicht in einer Debatte, sondern in der Fragestunde befinden.

Ich vermute, dass Sie Ihre Frage zunächst an Herrn Minister Biesenbach gestellt haben. Und dann gucken wir mal, wie es weitergeht. – Herr Biesenbach, bitte.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Kollege Wolf, das, was mein Haus im Augenblick weiß, habe ich vorgetragen. Wir haben den Bericht heute bekommen, und Dr. Burr war bis 13 Uhr damit beschäftigt, mich ganz schnell zu informieren. Alles andere ist noch ungesichert. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich hier irgendetwas vortrage, das wirklich erst dann zu machen, wenn ich belastbar etwas dazu sagen kann.

Ebenso steht unsere Bewertung noch aus. Denn auch wir kennen erst seit wenigen Stunden die Bewertung des Generalstaatsanwaltes. Deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich jetzt nicht aus dem Lamäng heraus eine Bewertung abgebe. Aber ich kann eines sagen: Ich habe erst einmal keinen Anlass, dem Generalstaatsanwalt nicht zu folgen.

Wir haben am nächsten Mittwoch Rechtsausschusssitzung. Ich habe den Tagesordnungspunkt bereits angemeldet und werde dann möglicherweise weitere Details in einer nichtöffentlichen Sitzung nennen, die ich öffentlich nicht nennen darf. Denn die Staatsanwaltschaften – sowohl Kleve als auch die Generalstaatsanwaltschaft – haben ausdrücklich darauf hingewiesen.

Wegen der andauernden Ermittlungen und deren möglicher Gefährdung sowie der schutzbedürftigen Interessen der minderjährigen Geschädigten habe ich gegen die öffentliche Erörterung auch in parlamentarischen Gremien Bedenken.

Nächste Woche – nichtöffentlich – sind wir weiter und können dann auch Dinge berichten, die wir selbst im Augenblick erst einmal zur Kenntnis genommen haben, aber noch nicht in irgendeiner Form verarbeiten können.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Herr Reul bitte.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Abgeordneter Wolf, Sie haben nach der polizeilichen Seite gefragt. Ich kann wie Peter Biesenbach die Berichterstattung der Presse weder bestätigen noch dementieren, erstens aus grundsätzlichen Gründen und zweitens … Bleiben wir bei den grundsätzlichen Gründen, das reicht.

Wir haben am 04. und am 06.11., nachdem wir die Information bekommen haben, die Leitung der Polizei Wesel bei uns im Haus gehabt, und der Landrat des Kreises Wesel hat umgehend eine Taskforce eingesetzt, um die genauen Abläufe zu klären, die noch zu klären sind. Es kann sein, dass es da neue Erkenntnisse gibt, es kann aber auch sein, dass es keine gibt.

Das andere ist in den Abläufen so gewesen, wie soeben von mir und Herrn Biesenbach vorgetragen. Das ist unser jetziger Stand.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Nun stellt Herr Kollege Engstfeld von Bündnis 90/Die Grünen die nächste Frage.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank auch, Herr Minister Biesenbach und Herr Minister Reul, für Ihre Ausführungen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, befinden wir uns zum jetzigen Zeitpunkt in einer Phase, in der die Ermittlungen andauern und sich auf mögliche weitere Taten, Opfer und Täter beziehen. Wahrscheinlich sind Zugriffe – und das wäre meine Frage – zum jetzigen Zeitpunkt noch möglich bzw. könnten noch vollzogen werden.

Wenn dem so ist, würde ich in der heutigen Fragestunde – und ich vermute, das kann ich im Namen meiner anwesenden Kolleginnen und Kollegen sagen – von weiteren Fragen absehen,

(Beifall von der CDU)

nicht weil wir nicht viele Fragen hätten – gerade nach der aktuellen Berichterstattung, da kann ich an den Kollegen Wolf anknüpfen, sind noch sehr viel mehr Fragen entstanden –, sondern für mich und für uns steht in dieser Phase, zum heutigen Zeitpunkt, der Ermittlungserfolg im Vordergrund, und wir wollen die Behörden arbeiten lassen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Wir werden sicherlich – wir haben das schon angedeutet – nicht nur im Rechtsausschuss nächste Woche, sondern auch im Innenausschuss, im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend und im Plenum diese Vorgänge aufzuarbeiten haben. Das tun wir dann nächste Woche.

Meine Frage ist, ob es richtig ist – das wäre die Prämisse –, dass die Ermittlungen noch laufen und Zugriffe noch möglich wären.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Ich schalte nun das Mikrofon für Herrn Minister Biesenbach frei.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Engstfeld, so ist es, und ich fürchte, dass wir uns damit noch sehr lange beschäftigen müssen. Wenn meine Infos stimmen, dann hat alleine ein Chat, in dem derjenige aus Bergisch Gladbach unterwegs war, etwa 1.800 Kontaktpersonen gehabt. Insbesondere die ZAC in Köln versucht intensiv, zu ermitteln, wer das ist, denn die Personen melden sich nicht mit Klarnamen und einer ladungsfähigen Anschrift an. Die Namen lauten etwa „Pinguin“ oder „Herzblatt 3“. Das sind alles Geschichten, mit denen wir gar nichts anfangen können.

Jetzt ist es wichtig, ob wir über die Spur, die wir haben, an denjenigen herankommen. Das wird bei allen nicht gelingen, wenn der Server im Ausland steht. Je nachdem wo der Server steht, sind Rechtshilfeersuchen oft Monate unterwegs. Meine Sorge ist, dass wir aus technischen Gründen längst nicht alle werden ermitteln können. Und ansonsten müssen wir – und das wollen wir auch – richtig viel Arbeit investieren, um das aufzuklären.

Herbert Reul hat soeben die Zahlen genannt – mich hauen sie um –: 600.000 Blätter in Aktenordnern. Diese Dinge – und sie machen uns alle betroffen – werden uns noch lange beschäftigen, gemeinsam mit dem, was wir da noch aufzuklären haben und auch aufklären werden. Das schließt aber nicht aus, dass wir auch zwischendurch schon Gerichtsverfahren beginnen; denn wenn neue Sachen kommen, können wir ja auch nachschieben. Daran wird es nicht mangeln.

Wenn Sie jetzt ganz viele Fragen haben: Wir werden sie dann, wenn wir sie beantworten können, auch gerne beantworten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Herr Kollege Wolf von der SPD-Fraktion.

Sven Wolf (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir sind uns, glaube ich, alle einig – so habe ich Herrn Kollegen Engstfeld und auch Sie, Herr Minister Biesenbach und Herr Minister Reul, verstanden –, dass wir bei diesem Fall die Ermittlungen abwarten wollen und sie nicht durch die parlamentarische Kontrolle in irgendeiner Weise dem Risiko aussetzen wollen, dass etwas nicht ermittelt werden kann.

Insbesondere Ihre, Herr Minister Biesenbach, Ausführungen zu den Bewertungen durch den Generalstaatsanwalt und auch die Tatsache, dass das Parlament gegenüber der Exekutive eine Kontrollfunktion auszuüben hat, gebieten es, dass wir uns mit dem Thema weiterhin beschäftigen.

Ich will noch eine Frage zu dem Zeitraum zwischen Juni und Oktober formulieren, weil das eine Frage ist, die uns alle umtreibt. Haben Sie – ich richte die Frage an Sie beide – Verdachtsmomente, dass der Verdächtige bzw. Beschuldigte in diesem Zeitraum weitere Taten begangen hat?

(Gregor Golland [CDU]: Genau das sind die Fragen, die die Ermittlungen gefährden!)

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Ich will gerne zu der Frage etwas sagen, denn sie beschäftigt natürlich auch uns, völlig klar. Herr Wolf, bis jetzt liegen mir keine weiteren Hinweise vor. Das wird sich möglicherweise dann ergeben, wenn in diesem Fall weitere Ermittlungen erfolgen. Wenn wir etwas erfahren, werden wir es natürlich mitteilen. Ich schaue noch einmal meinen Abteilungsleiter an.

(Peter Biesenbach, Minister der Justiz, tauscht sich mit einem Mitarbeiter aus.)

– Ich höre gerade, dass Hinweise auf eine Tat vorliegen, von der wir noch nicht wissen, wann genau sie sich ereignet hat. Das könnte vor dem Datum gewesen sein, es könnte aber auch nach dem Datum gewesen sein. Dahin gehend werden wir erst weiter ermitteln müssen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Herr Minister Reul hatte sich auch bemerkbar gemacht, und ich schalte sein Mikro frei.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich bedanke mich sehr. – Herr Abgeordneter Wolf, Kolleginnen und Kollegen, bevor der Sachverhalt „Wesel“ überhaupt öffentlich wurde, habe ich bereits die Obleute informiert und gebeten, es nicht öffentlich zu diskutieren. Die Absicht dahinter war genau die, die Herr Engstfeld hier gerade vorgetragen hat. Wir wussten schon damals – das ist ja schon einige Tage her –, dass das erst der Anfang ist.

Um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie lange, wie kompliziert und wie vielfältig die Sache sein kann, habe ich Ihnen die Quantitäten eben benannt. Deswegen kann heute keiner – ich zumindest kann es nicht – seriös die Frage beantworten, ob dazwischen noch irgendetwas passiert ist. Unter Garantie wird dazwischen noch irgendwo irgendetwas passiert sein. Die Frage ist nur, bei wem und wo. Deswegen halte ich es für ganz, ganz wichtig und bitte ich Sie darum – als Abgeordnete können Sie natürlich immer machen, was Sie mögen –, in diesem Prozess der Ermittlungen keine Störungen hervorzurufen.

(Beifall von der CDU)

Die Polizisten, die jetzt da dran sind – wir brauchen kein Klatschen –, werten jede Stunde neue Daten aus. Die Berge, die ich eben erwähnte, werden dazu führen, dass sie immer wieder auf etwas Neues stoßen. Das kann jetzt schon anders sein als noch vor einer Stunde, als ich telefoniert habe. So ist das.

Manchmal wird etwas ermittelt, das erst der Anfang für einen nächsten Schritt ist – ich beschreibe das mal ganz plakativ –, und aus dem folgt dann wieder ein nächster. In dieser Kette kann es insofern auch passieren, als man nach vier, fünf oder zehn Schritten wieder am Anfang landet und dann doch etwas sieht, von dem man dachte, das wäre gar nichts.

Wenn wir ernsthaft damit umgehen wollen, müssen wir jetzt in Ruhe und solange es irgend geht ermitteln lassen. Wir müssen nämlich die Namen der Täter oder möglichen Täter ermitteln, um die dann vor Gericht stellen zu können.

Wenn ich aus Lügde etwas gelernt habe, dann, dass es klug ist, auch mal ein bisschen zu schweigen und die arbeiten zu lassen. So hat die systematische Arbeit der Polizisten in Bielefeld am Schluss in dieser letzten Runde dazu beigetragen, dass die zwei Haupttäter so sauber, schnell und zügig verurteilt worden sind. Das war granatenmäßig, wie schnell das gelaufen ist und wie Polizei, Staatsanwalt und Gerichte gearbeitet haben, sodass am Ende das passiert ist, was die Menschen erwarten, nämlich dass der Staat wirkungsvoll handelt und diejenigen, die so etwas tun, zügig zur Verantwortung zieht.

Ich bin ganz sicher – und das muss unser aller Wunsch sein –, dass wir es auch in diesem Fall hinkriegen. Allerdings wird die Menge größer sein. Es wird nicht mit zwei oder drei Tätern getan sein. Schon jetzt ist offenkundig, wo wir bisher stecken.

Ich sage es mal salopp: Das Thema wurde von vielen – ich will keine Einzelnen oder Institutionen benennen – nicht so ganz ernst genommen. Es war nirgendwo das Topthema und auch kein Thema, bei dem man intensiv hingeschaut hat.

Insofern war Lügde – das klingt komisch – ganz wichtig dafür. Dadurch, dass wir Lügde so begonnen und behandelt haben, wie wir es behandelt haben, haben wir einen Einstieg dafür geliefert, dass wir damit insgesamt ganz anders umgehen und viel mehr erreichen werden, als ich vor ein paar Monaten noch für möglich gehalten habe.

Jedes Mal, wenn man einen Anruf und wieder einen neuen Hinweis bekommt, wo noch etwas aufgedeckt worden ist, ist man erschrocken und beunruhigt. Aber in Wirklichkeit bin ich auch zufrieden, weil ich merke, dass der Staat, die Polizei und die Justiz funktionieren.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe noch eine Frage von Frau Kollegin Kapteinat von der SPD-Fraktion. Ihr Mikro ist offen.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben in Ihrer Antwort gerade die Stabsstelle Kinderpornografie erwähnt. Ist diese mit den Vorgängen konfrontiert worden, oder war sie involviert? Ist die Stabsstelle bei den Untersuchungen auf den Fall in der Kreispolizeibehörde Wesel gestoßen, oder wie ist das aufgepoppt?

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Kollegin, ich hatte eben schon ausgeführt, tue es aber gerne noch einmal, dass da ein dickes Missverständnis besteht.

Diese Stabsstelle … Nein, ich muss genauer sein, damit das ganz klar wird: Derjenige, der die Aufgabe jetzt als Leiter betreut, war zuvor damit betraut, Lügde zu klären. Dazu hatte er auch im Ausschuss vorgetragen. Dann ist diese Aufgabe von ihm an andere abgegeben worden, und er hat die Aufgabe Stabsstelle übernommen. Dort geht es darum, strukturelle Antworten zu finden, also – salopp gesagt – aus Fehlern zu lernen und Zukunftskonzepte zu erarbeiten.

Was wir schon geändert und wozu ich hier vorgetragen habe, geht alles auf die Arbeit der Stabsstelle zurück. Mit den laufenden Fällen beschäftigt sich die Stabsstelle lediglich so wie die meisten: Sie werden zur Kenntnis genommen oder, wenn sie dort zusätzliche Erkenntnisse gewinnen, die uns helfen, Sie nehmen es auf und sagen, dass es da noch ein Loch oder ein Problem gebe.

Aber dort ist man nicht damit beschäftigt, sich darum zu kümmern und die Fälle aufzuarbeiten. Das machen die zuständigen Stellen; in diesem konkreten Fall in Köln, wo alles gebündelt ist. Ich bin dankbar, dass das an einer Stelle gebündelt ist. Das macht den Überblick mit Sicherheit leichter.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich schalte jetzt das Mikro für Herrn Kollegen Wolf von der SPD-Fraktion frei. Damit sind dann auch Ihre Fragemöglichkeiten erschöpft.

Sven Wolf (SPD): Ich will nur zu den beiden Berichten ergänzende Verständnisfragen stellen. Sie haben, Herr Minister Reul und Herr Minister Biesenbach, über unterschiedliche Zeitpunkte berichtet, wann Sie selber angefangen haben, die Obleute zu informieren und wann Sie informiert waren.

Vielleicht können Sie mir, jeweils getrennt natürlich, mitteilen, wann Sie im Zusammenhang mit den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen über entsprechende WE-Meldungen ins Haus informiert worden sind.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wolf. – Wer möchte?

Herbert Reul, Minister des Innern: Jetzt brauche ich – und ich vermute auch der Kollege Biesenbach – ein paar Minuten Zeit, um das herauszusuchen. Es sind unterschiedliche WE-Meldungen gewesen. Ich vermute, Sie wollen das bezüglich Wesel wissen. Oder das Ganze? – Dann dauert es länger.

Es gab natürlich WE-Meldungen zu Bergisch Gladbach; das war ein Datum. Es gab natürlich auch eine WE-Meldung zu Wesel. Und es gab den Hinweis – das Datum habe ich im Moment nicht präsent, bekomme es aber gleich –, mit dem wir auf das Problem in Wesel hingewiesen worden sind. Vermutlich interessiert Sie das?

(Sven Wolf [SPD] nickt.)

Als wir den Hinweis bekommen haben … Wann war das?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Darf ich einen Vorschlag machen, Herr Minister Reul? Ich glaube, Herr Biesenbach könnte schon für seinen Bereich eine Antwort …

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich kann auch antworten: Am 25.10. kam der Hinweis, dass es ein Problem gibt. Am 04. und am 06.11. war der Behördenleiter bzw. der Polizeichef bei uns im Haus.

Das mit den Obleuten wollten Sie noch wissen. – Das war am 05.11. Wie Sie hören und sehen, haben wir die Obleute schon vor geraumer Zeit informiert.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Ich schalte jetzt das Mikrofon von Herrn Minister Biesenbach frei.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Wolf, wenn ich mich jetzt richtig erinnere – ich bitte Herrn Dr. Burr, zu protestieren, wenn ich mich falsch erinnern sollte –, sind wir durch eine Presseanfrage darauf aufmerksam geworden.

Denn – oh Wunder! – es gibt in dieser Situation ohnehin einige auffällige Zusammenarbeitsmöglichkeiten mit der Presse. Mehr will ich dazu heute aber nicht sagen. Das klären wir später.

Bei uns ging also eine Presseanfrage ein, ob wir sieben oder acht Fragen beantworten könnten. Dadurch haben wir davon erfahren.

Dann hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Kleve am Freitag letzter Woche einen Bericht geschickt, von dem mir Herr Dr. Burr am Samstagmorgen fernmündlich berichtet hat.

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

– Nein, die Pressemitteilung ist rausgeschickt worden. Die haben wir veranlasst – nach dem Motto: Die Presse will etwas wissen.

Er hat aber weiterhin einen Bericht angekündigt und ihn am Freitag reingeschickt. Da ich aber am Freitag in Berlin beim Bundesrat war, hat mir Herr Dr. Burr am Samstag fernmündlich davon berichtet.

Ich hatte die Obleute kurz vor der letzten Rechtsausschusssitzung kurz über das informiert, was wir wussten. Das war im Wesentlichen aber nur der Inhalt der Presseanfrage. Dann habe ich diejenigen am Wochenende noch einmal angerufen und habe ihnen gesagt: Am Montagmorgen schicken wir die Pressemitteilung noch jedem zu.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, würde aber trotzdem Herrn Minister Biesenbach noch einmal ergänzend das Wort erteilen.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Kurze Ergänzung: Ich höre gerade, dass auch bei uns WE-Meldungen eingegangen sind. Von denen habe ich aber nichts gesehen. Wir sind ja auch im Verteiler der WE-Meldungen drin. Meistens oder oft werden sie mir weitergeleitet. Das ist aus unserer Sicht mit den WE-Meldungen aber nicht so fassbar gewesen, wie wir das heute wissen. Obwohl: Das ist eine Vermutung, weil ich sie nämlich nicht bekommen habe.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich schaue noch einmal in die Runde. – Es bleibt dabei, dass keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Damit stelle ich fest, dass die Mündliche Anfrage 56 mit den Informationen, die heute in einer öffentlichen Sitzung und zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegeben werden konnten, beantwortet ist. Das weitere Verfahren ist von beiden Ministern angekündigt worden. Es ist angekündigt worden, dass in nichtöffentlichen Sitzungen dazu berichtet wird.

Ich möchte, weil das eine sehr außergewöhnliche Fragestunde war, allen Beteiligten für die hohe Sensibilität und den Kolleginnen und Kollegen für die andauernde Ruhe im Plenarsaal ganz herzlich danken.

Mit der Feststellung, dass die Mündliche Anfrage 56 zurzeit beantwortet ist, schließe ich den Tagesordnungspunkt 6.

Ich rufe auf:

7   Revier. Heimat. Zukunft. Den Strukturwandel im Steinkohle- und Braunkohlerevier zum Erfolg führen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7759

In Verbindung mit:

Strukturbrüche beim Kohleausstieg vermeiden – Nordrhein-Westfalen als Energie- und Industrieland sichern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7764

Ich eröffne die Aussprache. Entgegen der aufgerufenen Antragsfolge gibt es für die Redenreihenfolge eine andere Verabredung. Frau Dr. Peill beginnt für die CDU-Fraktion.

Dr. Patricia Peill*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute, am 13. November 2019, sind wir fast auf der Zielgeraden zur Eins-zu-eins-Umsetzung der WSB-Empfehlungen.

Nun gilt es wirklich, die Kräfte zu bündeln und sich hier nicht noch zu verzetteln. Unser gemeinsamer Auftrag ist doch, den Ausstieg aus der Kohle zu organisieren und zeitgleich einen Strukturwandel ohne Brüche zu gewährleisten.

Das ist eine Jahrhundertaufgabe. Es ist eine Riesenherausforderung. Dazu gibt es wirklich viele Faktoren, die wir bedenken, einsetzen, umsetzen und ermöglichen müssen. Einige davon sind dringend; sie müssen sofort passieren. Andere sind auch wichtig; sie sind sehr weitreichend in ihrer Entscheidung. Aber alles ist auf der großen Matrix präventiver Strukturwandelpolitik zu finden.

Im obersten Quadranten gibt es allerdings zwei Faktoren, die zugleich wichtig und dringend sind.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das sind erstens der Zeitfaktor und zweitens die Absicherung der finanziellen Zusagen.

Daher geht heute von hier ein ganz starker Appell an die Bundesebene, erstens das Kohleausstiegsgesetz noch in diesem Monat vorzulegen und zweitens das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen zeitlich mit den Mitteln im Bundeshaushalt 2020 zu synchronisieren und im Rahmen eines Sondervermögens über 20 Jahre abzusichern.

Das gibt nämlich den Kommunen die Möglichkeit, jetzt mit startklaren Projekten loszulegen. Das schafft Arbeitsplätze. 2023 ist bald.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das ist heute dringend und wichtig. Gerne hätten wir diesen Appell mit der SPD gemeinsam gemacht, um ein starkes Zeichen für die Region nach Berlin zu senden.

Stattdessen befassen wir uns hier mit einem kleinteiligen Antrag, mit Details über zukünftige Umsetzungen. Da wird zum Teil der Schritt drei vor dem Schritt zwei gemacht; denn manche Dinge haben wir noch gar nicht in der Hand.

Ich glaube, das ist gerade nicht hilfreich für unser Revier. Ich sehe den SPD-Antrag eher als ein Schattenboxen im Plenum von NRW zu einem falschen Zeitpunkt mit Appellen an den falschen Adressaten.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich denke, das ist für die Menschen im Revier gerade nicht verständlich. Ich fände es gut, wenn Sie diese Zeit, in der Sie einen Gegenantrag geschrieben haben, genutzt und mit Ihrem Bundesfinanzminister geredet hätten. Das hätte den Menschen im Revier wirklich geholfen.

(Beifall von der CDU)

Sie haben in Ihrem Antrag eine To-do-Liste für NRW vorgetragen – wohl wissend, dass die Landesregierung die meisten Dinge eigentlich schon in die Wege geleitet oder umgesetzt hat. Schauen wir doch einmal auf die Fakten:

Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier hat fast 9 Millionen Euro bekommen, um die Koordination der Revierknoten zu beginnen.

Es werden von Anfang an alle Beteiligten einbezogen: die Gemeinden, die Kammern, die Gewerkschaften, die Wirtschaft, die Landwirtschaft, die Sozialverbände, die Kirchen, die Zivilgesellschaft und die Wissenschaft.

In einer breiten Beteiligung wird am 13. Dezember 2019 das erste Leitbild vorgestellt.

Ich war auf diesen Konferenzen und war beeindruckt, was da in der Basis geschieht.

Wir setzen bei der Eins-zu-eins-Umsetzung aber auch sehr auf die Bedürfnisse der Anrainer. Wir wollen diese beachten und die Abstände zum Tagebau im Dialog mit den Menschen großzügig regeln. Auch die Böschungskante haben wir im Auge.

Es wird ein „Entlastungspaket Kernrevier“ geben, sodass die Anrainerkommunen schnell und kurzfristig ihre Projekte beginnen können. Damit wird ihnen auch bei der Finanzierung geholfen.

Wir schaffen durch den LEP und unser Entfesselungspaket IV Erleichterungen – die Rahmenbedingungen sind ähnlich wie in einer Sonderwirtschaftszone –, indem wir beschleunigte Genehmigungen, ein attraktives Gewerbeflächenangebot und ein überzeugendes Standortmarketing schaffen.

Zur Stabsstelle: Frau Landsberg und ihr Team machen einen Superjob. Die Bürgermeister dort sagen unisono, dass das so ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe SPD, Sie sehen: Die Landesregierung hat nicht nur ihre Hausaufgaben gemacht, sondern geht sogar in Vorleistung. Die Kofinanzierung der ersten Förderperiode ist schon sichergestellt. Die Bezirksregierung ist laut Frau Walsken sehr froh über die personelle Verstärkung und sagt, so könne sie im Prozess gut an der Seite des Reviers stehen.

Noch einmal zurück zu dem, um das es heute wirklich geht, nämlich unserem Appell nach Berlin: „Eins zu eins“ heißt für uns auch Strompreisstabilität und Versorgungssicherheit, heißt Sonderabschreibungen für die Firma, heißt beschleunigter Netzausbau, heißt neue Speicher und heißt Staatsvertrag oder Bund-Länder-Vertrag.

Das sind Dinge, über die wir seit einem Jahr immer wieder miteinander geredet haben. Liebe Kollegen der Sozialdemokratie, wir hätten das zusammen im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung unterschreiben können. Sie sind aber – für mich nicht verständlich – abgesprungen. Ich glaube, die Menschen im Revier verstehen wirklich nicht, dass Sie sich dieser Verantwortung entzogen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Noch einmal zu den Grünen: Frau Brems hat im Ausschuss am 4. September dieses Jahres gesagt, dass wir eine gemeinsame Anstrengung unternehmen, ergeht sich aber seitdem in der Überbietung des WSB-Kompromisses – immer noch ein Schippchen auf das Eins-zu-Eins drauf.

Ihr Vorgehen erinnert mich ein bisschen an das Gleichnis von Heinrich Böll „Die Waage der Baleks“, in dem die Waage versteckt einseitig immer ein bisschen erschwert wird und auf der anderen Seite immer mehr draufgesetzt wird, aber niemand weiß, warum das passiert. Die Folge in Heinrich Bölls Geschichte ist Zwietracht im Lande.

Und genau das wollen wir nicht. Wir wollen alle mitnehmen, von Anfang an eins zu eins umsetzen und einen starken Strukturwandel für das Rheinische Revier erreichen. Stimmen Sie doch noch unserem Antrag zu. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Peill. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Kollege Bombis das Wort.

Ralph Bombis*) (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Zunächst einmal möchte ich zu Beginn meiner Rede die Gemeinsamkeiten betonen, die beim Thema des Kohleausstiegs inzwischen in grundlegenden Fragen in wesentlichen Teilen dieses Hauses herrschen.

Wir diskutieren heute leider zwei Anträge, einmal von den regierungstragenden Fraktionen und einmal von der SPD-Fraktion.

Beide Anträge sind in der Zielrichtung klar. Der Kohleausstieg muss planbar sein. Die Menschen in den Kohleregionen müssen mitgenommen werden. Wir müssen neue Wirtschaftsstrukturen aufbauen, neue Wertschöpfungsketten aufbauen oder alte umbauen, um keine Verluste für die Menschen hinzunehmen, bevor wir die alten verlieren. Das ist mittlerweile weitgehender Konsens hier im Haus, zumindest unter den konstruktiven Fraktionen. Darüber freue ich mich wirklich.

Ich finde es schade – das will ich ähnlich wie Frau Kollegin Dr. Peill auch deutlich sagen –, dass die SPD am Ende nicht bereit war, hier einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, sehe ich auch inhaltlich keinen Ansatz, warum wir nicht weiter gehen und zu einem gemeinsamen Antrag finden konnten. Das ist wirklich bedauerlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich finde das umso bedauerlicher, als dass wir doch alle wissen, dass bis zum endgültigen Ausstiegsdatum 2038 – oder welches Jahr es am Ende sein wird – noch eine lange Zeit vergeht. In dieser Zeit wird es natürlich so sein, dass auch wir hier potenziell noch mit der einen oder anderen politischen Variante werden arbeiten müssen. Deswegen ist die Betonung der grundlegenden Gemeinsamkeiten doch wichtig.

Wir sind als NRW mittlerweile – ich will die Diskussion von heute Morgen nicht zu lange aufwärmen – besser als zum Beispiel Baden-Württemberg. Wir erreichen unsere Klimaziele 2020, während sie in Deutschland insgesamt, auch in grün regierten oder mitregierten Ländern, klar verfehlt werden. Wir gehen beim Klimaschutz mit gutem Beispiel voran. Der Wirtschaftsminister hat heute Vormittag deutlich gemacht, dass über die Jahre weite Teile dieses Hauses an diesen Bemühungen beteiligt waren. Das heißt: Wir reduzieren die Emissionen klimawirksamer Gase.

Wir sorgen aber auch dafür, dass Energie sicher, sauber und auch bezahlbar ist. Außerdem sorgen wir dafür, dass es durch den Kohleausstieg nicht zu Strukturbrüchen kommt.

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hat deswegen richtigerweise auch einen Weg aufgezeigt, wie die Herausforderungen durch den Kohleausstieg positiv für den Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen und Wertschöpfungsketten nutzbar zu machen sind.

Deshalb muss man das Kohleausstiegsgesetz auf der einen Seite und das Strukturstärkungsgesetz auf der anderen Seite immer zusammendenken. Der Bundestag sollte diese Gesetze auch zusammen beschließen und zeitnah zusammen in Kraft treten lassen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich hoffe sehr, dass der Bundestag auch in den kommenden Wochen in der Lage sein wird, diese Gesetze zu beschließen, und kann nur dafür werben, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der SPD alles dafür in die Waagschale werfen – im Sinne von Nordrhein-Westfalen und im Sinne der Menschen im Rheinischen Revier und in den anderen Kohleregionen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Für meine Fraktion ist klar: Wir halten, genau wie die gesamte NRW-Koalition es immer wieder deutlich sagt, an der Eins-zu-eins-Umsetzung des WSBK-Beschlusses und der daraus folgenden Gesetze hier in Nordrhein-Westfalen fest. Wir wollen keine Abschläge, aber auch keine bürokratischen Aufschläge und Sonderwege. Wir erwarten zusätzliche Mittel für den politisch gewollten Strukturwandel aus Berlin und nicht nur einen Verschiebebahnhof der Titel im Bundeshaushalt, und wir erwarten eine planbare und sichere Unterstützung des Bundes, am liebsten im Rahmen eines Staatsvertrags oder einer Bund-Länder-Vereinigung. Hier müssen wir alle, alle konstruktiven Fraktionen, unsere Verantwortung wahrnehmen.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist gut aufgestellt, um den Strukturwandel erfolgreich meistern zu können. Wir haben die Ideen, wir haben die Projekte, und wir haben die Mittel dafür. Wir haben sie vor Ort entwickelt. Es geht nicht ohne die Bundesregierung. Aber wir haben hier in Nordrhein-Westfalen und in den Revieren vor Ort sichergestellt, dass eine Zusammenarbeit aller Akteure kommen wird.

Das, was Sie in Ihrem Antrag kleinteilig fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, ist entweder längst schon beschlossene Sache, etwa in der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, oder wir haben uns lange dazu bekannt, dass das kommen wird.

Wir werden die Gewerkschaftsvertreter mitnehmen. Wir werden alle entscheidenden Verbände mitnehmen. Die Anrainerkommunen werden eingebunden. Wir haben eine Finanzierung sichergestellt.

Es gibt wirklich keinen Grund dafür, dass wir hier unterschiedliche Wege gehen. Die politische Erfahrung zeigt, dass Sie Ihren Antrag trotzdem aufrechterhalten werden. Ich sage Ihnen aber: Lassen Sie uns den Weg gemeinsam gehen.

Ich appelliere auch ausdrücklich an die Fraktion der Grünen, Frau Düker. Bis 2038 ist es ein langer Weg. Lassen Sie uns in den konstruktiven Fraktionen hier weiterhin das Gespräch suchen – im Sinne der Mitarbeiter und im Sinne der Menschen vor Ort –, damit wir sicherstellen können, dass es nicht zu plötzlichen, schnellen Bewegungen auch auf politischer Ebene kommt. Das sind wir den Menschen in der Region schuldig. Das sind wir Nordrhein-Westfalen schuldig.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Wir als NRW-Koalition sind bereit, diese Generationenaufgabe in diesem Sinne zu lösen. Ich fordere Sie auf: Kommen Sie zurück! Denn wir sollten uns nicht in einem solchen politischen Klein-Klein verzetteln. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes – Entschuldigung, Bombis.

(Heiterkeit und Zurufe)

Es gibt den Wunsch der Abgeordneten Frau Kollegin Düker nach einer Zwischenfrage. Herr Bombis lässt das zu. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Düker. Sie haben das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Danke, dass Sie das noch zulassen, Herr Bombis. – Auf der einen Seite finde ich das richtig, was Sie als Ziel formuliert haben – nämlich, dass bei einer so wichtigen Aufgabe die demokratischen Fraktionen und Parteien untereinander gesprächsbereit sein müssen, um in der Zukunft hier gemeinsam zu arbeiten.

Auf der anderen Seite haben wir aber auch das Ergebnis der sogenannten Kohlekommission, der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, und eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Daran ist eine gemeinsame Resolution ja gescheitert; denn wir definieren „Eins-zu-eins-Umsetzung“ anders.

Deswegen frage ich Sie: Sehen Sie in dem, was jetzt als Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums vorgelegt wurde, eine Eins-zu-eins-Umsetzung? Schließlich reduziert man die potenziellen Flächen für den Ausbau der Erneuerbaren um bis zu 80 %. Sehen Sie in dem, was die Bundesregierung gerade tut, die von Ihnen immer wieder geforderte Eins-zu-eins-Umsetzung?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. Vielen Dank auch dafür, dass Sie letztlich doch noch den Schwenk zur Frage gefunden haben. – Bitte sehr, Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis*) (FDP): Frau Kollegin Düker, ich halte es für wichtig, dass wir beim Umbau der Wirtschaft und beim Umbau der Energiestruktur in Nordrhein-Westfalen den Weg gehen, dass wir auch beim Umbau zu und Aufbau von erneuerbaren Energien – wir führen hier an verschiedenen Stellen die Diskussion darüber, wie man das am besten macht – sicherstellen, dass wir weiterhin eine bezahlbare, sichere Stromversorgung haben. Was letztendlich im Gesetz der Bundesregierung stehen wird, wird man sehen und bewerten müssen. Es kommt dann bei uns darauf an, das hier entsprechend umzusetzen.

Ich sage Ihnen aber auch: Lassen Sie uns nicht den Fehler machen, uns jetzt an einzelnen kleinteiligen Punkten auseinanderdividieren zu lassen. Wir werden auf dem Weg – das ist auch richtig so – unter konstruktiven demokratischen Fraktionen in Einzelheiten immer unterschiedliche Auffassungen haben. Es ist meiner Auffassung nach immer in Ordnung, dass wir über verschiedene Punkte und darüber, wie intensiv wir bestimmte Wege gehen wollen, streiten.

Die grundsätzliche Linie der Gemeinsamkeit sollten wir aber nicht verlassen. Wenn wir uns als grundsätzliche Linie auf diese Eins-zu-eins-Umsetzung einigen und dabei bleiben können, haben wir hier eine Chance. Vor allem treiben wir den Populisten, die das Thema insgesamt leugnen, keine Menschen in die Arme. Denn damit würden wir uns allen und insbesondere den Demokraten in diesem Land einen Bärendienst erweisen. Lassen Sie uns also im Gespräch bleiben und genau diese gemeinsame Linie suchen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bombis. – Jetzt hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Kämmerling das Wort. Bitte sehr.

Stefan Kämmerling (SPD): Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich dachte, innerhalb der FDP sei mittlerweile geklärt, wer für das Thema zuständig ist, Herr Bombis oder Herr Brockes.

(Ralph Bombis [FDP]: Wir können alle etwas dazu sagen!)

Wenn aber sogar die Präsidentin durcheinanderkommt, darf ich das in Zukunft bestimmt auch noch.

Gerichtet an die geschätzte Kollegin Frau Dr. Peill: Ich spreche Ihnen überhaupt nicht ab, dass Sie im Thema sind. Sie sind das absolut; wir sehen uns vor Ort häufig genug bei Terminen. Ich mache Ihnen aber einen freundlichen Vorschlag. Wenn Sie unseren Antrag nicht mehr als kleinteilig bezeichnen, biete ich an, dass ich Ihren Antrag nicht als oberflächlich bezeichne.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Oh!)

Ich glaube, das wäre der etwas nettere Umgang miteinander.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen kurz unsere fünf Leitgedanken vorstellen.

Leitgedanke 1: Erfolgreicher Wandel braucht einen starken und aktiven Staat.

Beim Strukturstärkungsgesetz nimmt der Bund unzweifelhaft eine aktive Rolle ein. Er stellt rund 14 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit sollen Investitionen in den Bereichen Forschung, Innovation und Infrastruktur gefördert werden. Neue und gut bezahlte Arbeitsplätze sollen entstehen. Dazu ist aber die Aktivität der öffentlichen Hand auf allen Ebenen erforderlich.

Bund und Kommunen nehmen diese aktive Rolle auch ein. Was macht aber diese Landesregierung? Wir hören immer viele schöne Worte und Versprechungen, sehen aber wenig konkretes Handeln. Im Haushalt 2020 fehlen zum Beispiel Finanzzusagen zur Übernahme des Eigenanteils der Kommunen, wenn diese Projekte aus dem Strukturstärkungsgesetz finanzieren sollen. Deswegen appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren: Setzen Sie ein Zeichen und stellen Sie die Mittel im Haushalt 2020 bereit.

(Beifall von der SPD)

Leitgedanke 2: Erfolgreicher Wandel braucht die Kommunen, die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft.

Besonders in der eben schon angesprochenen Zukunftsagentur Rheinisches Revier, in der das Struktur- und Wirtschaftskonzept erarbeitet wird, müssen die Anrainerkommunen eine tragende Rolle bekommen. Ohne sie geht nichts. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg. Es ist daher zu begrüßen, dass den Kommunen nun endlich zumindest drei Sitze im Aufsichtsrat zugestanden werden.

Meine Damen und Herren, was haben sich CDU und FDP genau bei dieser Frage in den vergangenen Monaten angestellt!

(Ralph Bombis [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Es hat Ewigkeiten gedauert, bis endlich durchgesetzt war,

(Ralph Bombis [FDP]: Wir haben das in der ZRR völlig konstruktiv geregelt!)

dass die Kommunen hier ein Mitspracherecht in Form von Aufsichtsratsplätzen bekommen.

Jetzt appelliere ich einmal an Sie. Es geht ja auch noch um die Frage, ob die Anrainerkommunen Gesellschafter werden dürfen. Stellen Sie sich in dieser Frage nicht genauso an, sondern folgen Sie da direkt dem Ruf der Anrainerkommunen und der SPD-Fraktion. Das stände Ihnen gut zu Gesicht.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Leitgedanke 3: Erfolgreicher Wandel braucht eine gute Organisation.

Mit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, dem Regionalverband Ruhr und anderen Planungsverbünden haben wir vor Ort schon diverse Strukturen. In der Landesregierung gibt es mittlerweile immerhin einen Planungsstart im Wirtschaftsministerium.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch in der Staatskanzlei einen Revierbeauftragten ansiedeln. Denn aus unserer Sicht müssen der Umbau der Energiewirtschaft, der Wandel der Industrie und die Gestaltung des Strukturwandels in den Revieren Chefsache sein.

In keinem Fall – Frau Dr. Peill hat das auch angesprochen – darf der Faktor Zeit unterschätzt werden. Wenn bis zum Jahr 2022 massiv Kraftwerkskapazitäten im Rheinischen Revier abgeschaltet werden, bleiben nicht einmal mehr drei Jahre, um sich vor Ort auf den Wandel vorzubereiten. Es müssen deshalb unverzüglich Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren sofort spürbar zu beschleunigen.

Wir brauchen Sonderregelungen und einen Vorrangplan für die betroffenen Kommunen, damit sie schnell neue Flächen planen und erschließen können.

Zudem müssen die finanziellen Mittel aus dem Strukturstärkungsgesetz mit einem Staatsvertrag oder einer Bund-Länder-Vereinbarung dauerhaft rechtlich abgesichert werden.

Leitgedanke 4: Erfolgreicher Wandel braucht innovative Unternehmen.

Bund und Land werden den Wandel in den Revieren nicht alleine schaffen. Dafür brauchen wir innovative Unternehmen, die sich im Rheinischen Revier und im Ruhrgebiet ansiedeln. Die Fördersummen im Strukturstärkungsgesetz sollen Anreize für weitere private Investitionen setzen.

Dafür bedarf es für Unternehmen aber auch steuerlicher Anreize. Sonderabschreibungen für Unternehmen und Betriebe, die sich in den beiden Revieren ansiedeln, könnten dabei eine Möglichkeit sein. Die Landesregierung muss sich im Bundesrat für entsprechende Instrumente einsetzen.

Leitgedanke 5 – damit darf ich auch gleich schließen –: Erfolgreicher Wandel braucht schlussendlich auch eine starke Mobilität.

Lassen Sie uns die Mittel des Strukturstärkungsgesetzes nutzen und neue Formen der Mobilität in den Revieren erforschen, erproben und auch zur Marktreife bringen. Lassen Sie uns aber auch die Mittel nutzen, um im Besonderen das Schienennetz im Rheinischen Revier auszubauen. Dazu müssen teilweise neue Schienenanbindungen geschaffen, Taktungen erhöht und Kapazitäten erweitert werden.

Was wir nicht wollen, ist ein Verschiebebahnhof zwischen dem Strukturstärkungsgesetz und dem Bundesverkehrswegeplan. Wir wollen neue Maßnahmen fördern bzw. Maßnahmen, die im aktuellen Bundesverkehrswegeplan keine Chance auf Realisierung haben. Auch hier, meine Damen und Herren, ist die Landesregierung gefragt.

Meine Redezeit ist zu Ende. Da Herr Bombis aber auch ein bisschen überzogen hat, möchte ich – vielleicht mit der freundlichen Genehmigung von da oben – noch einen abschließenden Satz sagen.

Herr Bombis und Frau Dr. Peill, wir haben Ihnen die Hand ausgestreckt. Wir haben uns inhaltlich mit Ihrem Antrag auseinandergesetzt. Wenn Sie ein gemeinsames Beschreiten des Weges fordern, darf ich Sie bitten, das auf Augenhöhe zu tun. Dann sind wir dazu bereit. So, wie das bis jetzt passiert ist, war es für uns nicht möglich, den Weg mitzugehen. Das heißt für die Zukunft aber nichts. Die Hand ist ausgestreckt. Die Aufgabe groß. Lassen Sie uns dort, wo es sich anbietet, gerne gemeinsam marschieren. Aber dann muss es auch inhaltlich stimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kämmerling. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Becker das Wort. Bitte sehr.

Horst Becker (GRÜNE): Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Ich sage auch nicht „da oben“; schließlich sitzen Sie auf Ihrem angestammten Platz.

Meine Damen und Herren! Schaut man sich die Anträge an, fällt zunächst auf, dass wir uns, seitdem im Januar dieses Jahres der Beschluss der Kommission gefällt worden ist, immer noch in einem Stadium bewegen, in dem wir Forderungen an den Bund stellen. Insbesondere bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen fällt auf, dass darin nicht ein einziges Mal die Landesregierung erwähnt ist, aber gezählte fünf Mal von einer Forderung an den Bund die Rede ist.

Zudem sprechen Sie immer wieder von einer Eins-zu-eins-Umsetzung. Da wären wir ganz bei Ihnen. Schaut man aber genauer hin, fällt auf, dass Sie sich in der Sache immer weiter von einer Eins-zu-eins-Umsetzung entfernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Koalition, die Gründe dafür sind natürlich hier im Land zu suchen. Sie fußen aber ganz offensichtlich auch auf dem Wissen, dass das Erreichen einer Eins-zu-Eins-Umsetzung im Bund schwierig ist.

Ich möchte Ihnen das auch erläutern. Es ist ein großer Unterschied, ob Sie einen Staatsvertrag oder eine Bund-Länder-Vereinbarung einfordern. Ein Staatsvertrag ist viel weitergehend. Das wissen Sie auch. Aber Sie leiten bereits in Ihrem Antrag das erste Mal den Abschied von einem Staatsvertrag ein und konzentrieren sich auf eine Bund-Länder-Vereinbarung –

(Stefan Kämmerling [SPD]: Oder auf ein Sondervermögen!)

ausgerechnet bei dem Bundesland, das im Verhältnis zu den Ostländern mit Abstand am meisten davon betroffen ist. Darin sind wir uns hoffentlich wieder einig. Das ist ein verheerendes Signal.

Sie sagen doch immer: Wir wollen gemeinsam vorgehen. – Dann sollten Sie, unabhängig von allen anderen Unterschieden, wenigstens Abstand von einer einfachen Bund-Länder-Vereinbarung nehmen, diese Passage wieder streichen und sich auf den Staatsvertrag konzentrieren.

Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. In dem Entwurf zum Kohleausstieg von gestern Abend ist erstens nur der Zeitraum bis 2026 beschrieben. Zweitens ist darin von der Braunkohle faktisch überhaupt nicht die Rede. Das ist eine Leerstelle. Drittens sagt man etwas zur Steinkohle. Im Übrigen ist auch in Bezug auf die Abschaltungen überhaupt nichts Konkretes erwähnt. Vielmehr lässt man mehr oder weniger eine formulierte Bitte an die Unternehmen im Raum stehen, in der nächsten Zeit bis zu acht Kraftwerke abzuschalten.

Jetzt könnte man denken, dass Sie, wenn Sie darum werben, dass wir uns gemeinsam beim Bund für die Durchsetzung einer Eins-zu-eins-Umsetzung bemühen, auch tatsächlich betonen: Das sind Dinge, die so nicht gehen. – In dieser Hinsicht hören wir aber nichts von Ihnen. Das meinen Sie mit „gemeinsam“ also offensichtlich nicht. Vielmehr meinen Sie damit – ich interpretiere das einmal –, dass wir Seit an Seit mit Ihnen sagen sollen, dass der Bund im Zweifelsfall schuld ist und Sie hier alles richtig gemacht haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das können wir nicht machen.

Wir können Sie aber darauf hinweisen, dass Sie – da war der Kollege gerade nicht auf dem neuesten Stand – für das nächste Haushaltsjahr im Veränderungsnachweis eine Summe von 29 Millionen Euro eintragen wollen und für die Folgejahre noch einmal knappe 200 Millionen Euro vorsehen, sodass Sie für die sieben Jahre auf jeweils 29 Millionen Euro kommen.

Aber Sie teilen uns nicht mit, was Ihr Anteil als Land ist, außer möglicherweise den 10-%-Anteil, den die Kommunen nicht erbringen können, wenn sie im Haushaltssicherungskonzept sind, zu übernehmen, was der Eigenanteil des Landes ist.

Herr Minister, das Sofortprogramm ist nun wirklich – Entschuldigung, dass ich es so deutlich sage – ein Sammelsurium von Sowieso-Maßnahmen des Bundes und von den Hochschulgeschichten, an denen Sie hängen – das weiß ich –, die ich auch durchaus nicht falsch finde, aber die in der Substanz nun überhaupt nicht ausreichen.

Deswegen können wir das am Ende des Tages aus guten Gründen nicht mitmachen. Wer eins zu eins von uns fordert, sollte dann auch wirklich eins zu eins meinen und auch gemeinsam leben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch wenige Sätze zum SPD-Antrag sagen. Den SPD-Antrag abzutun als Forderungen, die alle schon erfüllt seien, halten ich und meine Fraktion für schlicht falsch. Wir stimmen den meisten Forderungen zu.

Wir würden sogar zustimmen, wenn man präzise beschreiben würde, welche Planungsbeschleunigungen gemeint sind, und darüber reden würde, wie die aussehen würden, dass man die eventuell machen kann.

Aber eine pauschale Forderung an den Bundesgesetzgeber, das Baugesetz und andere Gesetze so zu ändern, dass man bei Infrastrukturvorhaben alles beschleunigt, egal, durch was man es beschleunigt, erscheint uns doch zu weitgehend. Wir bitten umgekehrt die SPD, noch mal darüber nachzudenken.

Auf jeden Fall können wir diesem Punkt nicht zustimmen, danken aber dafür, dass Sie die getrennte Abstimmung möglich gemacht haben. Das ermöglicht uns wiederum, den anderen Punkten außer diesem vierten Punkt auf Seite 5 zuzustimmen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Loose das Wort.

Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beiden Anträgen ist eines gemein: Ihnen, liebe SPD, geht es nicht um die 10.000 Arbeitnehmer im Tagebau, und Ihnen, liebe CDU und FDP, geht es nicht um die 125.000 Arbeitnehmer in der energieintensiven Industrie.

So zitiere ich zunächst aus dem Antrag der SPD:

„Städte, Gemeinden, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und die gesamte Zivilgesellschaft müssen in diesem massiven Transformationsprozess mitgenommen werden.“

Und nun CDU und FDP dazu:

„müssen Städte, Gemeinden, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und die gesamte Zivilgesellschaft als Beteiligte in diesem herausfordernden Transformationsprozess mitgenommen werden.“

Merken Sie was? Ja, ich weiß, es liest sich, als wenn es keine Unterschiede zwischen den Parteien gibt.

Aber noch etwas: Weder der SPD noch der CDU und schon lange nicht der FDP kommt noch das Wort „Arbeiter“ über die Lippen. Statt also die Arbeiter im Tagebau, statt also die Arbeiter bei Thyssen oder bei Ford mitzunehmen, soll eine ominöse Zivilgesellschaft mitgenommen werden. Arbeiter und Malocher – dafür kämpft inzwischen nur noch die Alternative für Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Denn genau um diese Arbeiter geht es beim staatlich erzwungenen Kohleausstieg. Uns allen muss es darum gehen, Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, statt sie zu vernichten.

Aber da sind Sie sich alle vier inzwischen einig: Sie wollen gemeinsam vernichten, wie ich es heute gelernt habe. 125.000 Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie sind 125.000 gut bezahlte Arbeitsplätze. Das sind 125.000 Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung. Das sind 125.000 Familien, die aufgrund Ihrer Politik Existenzängste haben.

Aus Sicht von CDU und FDP sowie der SPD ist Arbeit aber nicht mehr so wichtig. Die Angst vor dem Klimawandel ist wichtiger, und das, obwohl die Nahrungsmittelproduktion in der Welt aufgrund des steigenden CO2-Gehalts in der Luft seit Jahrzehnten zunimmt, und das, obwohl Warmperioden in der Menschheitsgeschichte immer ein Segen für den Wohlstand und für die Menschen bedeuteten. Die größten Hungersnöte, die größten Seuchen, die größten Krankheiten fanden in Kaltperioden statt.

Doch jetzt wird behauptet, dass Warmperioden etwas Schlechtes seien. Jeder in der Presse und im Fernsehen soll das gefälligst unterstützen, denn Sie wissen ja: Die Partei, die Partei, die hat immer recht.

Deshalb möchte eine Frau Baerbock auch, dass im Staatsfernsehen keine Kritiker mehr zu Wort kommen. Wer nicht die Klimatheorien der vier Klimaangstparteien unterstützt, darf nicht mehr ins Fernsehen.

Auch anderswo darf es keine Kritik mehr geben. Deshalb wird die Opposition, wie zuletzt in Mülheim, niedergeschrien. Willkommen in der nächsten sozialistischen Diktatur.

(Michael Hübner [SPD]: Den Debatten sind Sie heute nicht gefolgt!)

Alle Klimaangstparteien wollen schließlich ungestört das Geld zum Fenster hinauswerfen, eine Verschwendung von Volksvermögen und Wohlstand in einem nie da gewesenen Ausmaß, denn der Kohleausstieg wird am Klimawandel nichts ändern, und auch das CO2 wird in der EU dadurch nicht weniger.

Das einzige Instrument, das eine Reduktion des CO2 auf EU-Ebene bewirken kann, ist die Vernichtung von CO2-Zertifikaten. Das haben endlich auch mal die CDU und FDP auf Seite 3 ihres Antrags erkannt. Dort heißt es, dass es entscheidend sei, dass die frei werdenden Emissionszertifikate innerhalb des EU-ETS neutralisiert werden, sprich: Zertifikate sollen vernichtet werden.

Die Vernichtung von Zertifikaten in diesem System ist auch tatsächlich das einzige Instrument, um wirksam CO2 in der EU zu reduzieren. Doch dafür müssten Sie kein einziges – ich wiederhole: kein einziges – Kohlekraftwerk abschalten. Sie müssten keine Arbeitsplätze vernichten, aber Sie wollen es ja.

(Beifall von der AfD)

Wie ich schon heute Morgen in der Aktuellen Stunde ausgeführt habe, hätten Sie für die gesamte CO2-Reduktion der letzten 14 Jahre nur Zertifikate im Wert von 2,4 Milliarden Euro vernichten müssen. Stattdessen haben Sie viele neue Windmillionäre geschaffen, alles bezahlt durch die Steuern und Abgaben der hart arbeitenden Malocher.

Aber die Wahrheit, liebe Kollegen, setzt sich am Ende durch. Wir werden Ihre weitere soziale Spaltung, wir werden Ihre weitere Arbeitsplatzvernichtung, wir werden Ihre weitere Industrievernichtung nicht unterstützen.

Wir setzen uns als AfD für die Arbeiter in Deutschland ein, egal, ob es der Malocher bei Thyssen, bei Ford oder im Tagebau ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose für die Fraktion der AfD. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen ist der im Rahmen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ verhandelte beschleunigte Kohleausstieg eine enorme Herausforderung.

Der ausgehandelte Kompromiss stellt für die Region aber auch eine Chance für die Entfachung einer neuen Entwicklungsdynamik und die Schaffung nachhaltiger Zukunftsperspektiven dar.

Damit diese Chance realisiert werden kann, braucht es Klarheit über den konkreten Zeitplan des Kohleausstiegs sowie eine sichere Finanzierung der geplanten strukturpolitischen Maßnahmen.

Die Landesregierung erwartet daher von der Bundesregierung eine zügige Realisierung der hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen, insbesondere die Verabschiedung des angekündigten Strukturstärkungsgesetzes und des Kohleausstiegsgesetzes.

Erfreulich ist, dass auf Bundesebene hinsichtlich der gesetzlichen Rahmenbedingung weiter Fahrt aufgenommen wird. Wir haben es heute Morgen schon angesprochen: Wir haben im Bundeskabinett bereits das Strukturstärkungsgesetz gesehen.

Wie wir wissen, sieht das Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen bis zum Jahr 2038 ein Gesamtvolumen von bis zu 40 Milliarden Euro vor. Hiervon entfallen 37 %, also bis zu 14,8 Milliarden Euro, auf das Rheinische Revier.

Der Referentenentwurf setzt die Empfehlung der WSB-Kommission weitgehend um. Gleichwohl gibt es aus unserer Sicht Optimierungsbedarfe, um eine effektive Förderung zu ermöglichen. Diese haben wir im Bundesratsverfahren zum Strukturstärkungsgesetz geltend gemacht. Ich bin auch dankbar für den Antrag der Fraktionen, in dem diese Punkte auch noch einmal entsprechend unterstützt werden.

Der weit überwiegende Anteil der von Nordrhein-Westfalen eingebrachten Anträge hat im Rahmen der Sitzung des Bundesratsplenums am 11. Oktober eine Mehrheit erhalten. Besonders hervorzuheben ist, dass es eine Mehrheit für eine Finanzierung des 40 Milliarden-Euro-Budgets aus zusätzlichen Verstärkungsmitteln wie auch eine Mehrheit für die Einrichtung eines Sondervermögens, das die langfristige Bereitstellung der Mittel sichern soll, gab.

Die Landesregierung hat diesen Prozess von Beginn an intensiv begleitet und sich für die Belange des Rheinischen Reviers eingesetzt. Sie wird dies auch weiterhin mit großem Engagement tun und eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Empfehlung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ von der Bundesregierung einfordern.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich hier eine Bemerkung zu dem, was Sie, lieber Herr Becker, gemacht haben, ausführen. Wir beide erinnern uns ja auch noch an Bonn-Berlin. So sehr die Parteien unterschiedlicher Auffassungen zu manchen Punkten in der Region und damals auch im Landtag und in der Landesregierung waren, so haben die betroffenen Regionen und die Landesregierung in der Frage des Bonn-Berlin-Gesetzes die gemeinsamen Interessen vertreten.

Der Staatsvertrag steht tatsächlich in den Empfehlungen des WSB-Kommissionsberichts. Dann muss es natürlich das Ziel des Ministerpräsidenten, mein Ziel und das Ziel der Landesregierung sein, dass wir auch diese Punkte realisieren können.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Dann ist es doch umso wichtiger, dass man hier im Landtag zusammen versucht, sich hinter die Ziele zu stellen, als wenn man sich schon wieder

(Beifall von der CDU und der FDP)

mit einem Bein davonstiehlt und sagt: Naja, da ist nicht alles so, wie wir es uns gewünscht hätten.

Ich will das einmal mit unserer damaligen Situation vergleichen: Wenn wir nach neun Monaten damals bei dem Bonn-Berlin-Gesetz schon so weit gewesen wären, eine nahezu 90%ige Erreichung aller Ziele zu haben, und es ginge jetzt nur noch um die letzten 10 %,

(Horst Becker [GRÜNE]: Wie kommen Sie denn auf 90 %?)

wären wir wirklich alle mit großem Engagement dabei gewesen, im Schulterschluss auch diesen letzten Weg gemeinsam zu gehen, um für die nächsten 20 Jahre – und über die reden wir hier für die Region und die Menschen – das Beste aus dieser Vereinbarung für das Land, für die Menschen und für die Region herausverhandeln zu können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das Rheinische Revier hat sich zum Ziel gesetzt, eine europäische Modellregion für Energieversorgungs‑ und Ressourcensicherheit zu werden. Ein Wirtschafts‑ und Strukturprogramm zur Umsetzung dieser Vision wird derzeit aus der Region heraus von der Zukunftsagentur Rheinisches Revier und den Revierknoten erarbeitet.

Parallel hierzu hat die Landesregierung ihre notwendigen Vorkehrungen getroffen. So hat sie eigene effektive organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen, um den Strukturwandel im Rheinischen Revier erfolgreich zu gestalten.

Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier wird zu einem zentralen Knotenpunkt zur Steuerung und Koordinierung des Strukturwandels ausgebaut. Auf der Ebene des Landes habe ich in meinem Haus den Stabsbereich „Strukturwandel Rheinisches Revier“ eingerichtet, der den Prozess strategisch begleitet und die Verwaltungsbehörde zur Abwicklung der Förderung sein wird.

Die Bezirksregierung Köln wird für die Projektbewilligung zuständig sein. Dafür baut sie gerade eine eigene Einheit zur Begleitung des Strukturwandels auf.

Innerhalb der Landesregierung findet per Kabinettsbeschluss eine enge Abstimmung über die IMAG „Rheinisches Revier“ statt.

Hinsichtlich des Ziels, Innovations‑ und Ansiedlungsanreize für Unternehmen zu schaffen, prüft die Landesregierung auf der Basis des Entfesselungspaketes IV weitere Erleichterungen für Investoren ähnlich den Rahmenbedingungen in einer Sonderwirtschaftszone etwa bei Genehmigungen, aber auch durch ein attraktives Gewerbeflächenangebot und ein überzeugendes Standortmarketing.

Nicht zuletzt liegen der Landesregierung die Belange der Tagebauanrainerkommunen am Herzen. Dazu ist zurzeit ein Entlastungspaket Kernrevier in Bearbeitung, das den Kommunen im Rheinischen Revier eine wichtige Hilfestellung geben wird.

Die Landesregierung steht ebenfalls im engen Austausch mit den betroffenen Kommunen und Kreisen der Steinkohlekraftwerkstandorte in Nordrhein-Westfalen.

Kommunen und Kreise werden in einem durch die Businessmetropole Ruhr moderierten Strategieprozess gemeinsam ein regionales Handlungskonzept für die Verwendung der geplanten Strukturhilfen erarbeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat all diese Prozesse angeschoben und dazu im Haushalt auch entsprechende Mittel bereitgestellt. Wir haben uns auch in einer Ergänzungsvorlage darauf eingerichtet, dass der Bund seine Programme wie geplant ab dem nächsten Jahr zur Umsetzung bringen wird.

Wir stehen vor großen Herausforderungen, aber auch vor riesigen Chancen. Wir wollen die Chancen mit Ihnen gemeinsam nutzen. Wir danken Ihnen sehr für Ihre Unterstützung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Professor Dr. Pinkwart, auch dass Sie die Redezeitüberziehungen der Fraktionen zuvor mit der Überziehung der Redezeit der Landesregierung wieder ins rechte Licht gerückt haben.

Sie haben vielleicht auch gesehen, dass eine Kurzintervention von der AfD-Fraktion vom Abgeordneten Loose angemeldet worden ist. Es steht Ihnen frei, diese an Ihrem Platz oder hier am Redepult zu beantworten, ganz nach Belieben.

Jetzt hat Herr Abgeordneter Loose das Wort für 90 Sekunden Kurzintervention.

Christian Loose*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Duisburg-Nord, Gelsenkirchen-Süd: 12 % Arbeitslosigkeit. Diese Regionen haben schon den letzten Strukturwandel nicht verkraftet.

Sie haben gesagt, Sie danken für den Antrag der Fraktionen. In dem wird wieder die Forderung von CDU und FDP gestellt: Kein Kumpel darf ins Bergfreie fallen. – Das steht auf Seite 2 des CDU-Antrages. Wir haben im Sommer erlebt, wie hier 80 Bergleute auf der Tribüne saßen

(Zuruf von der SPD: Ihre Leute!)

von 200 Bergmitarbeitern, denen im Juni zum Ablauf des Jahres gekündigt wurde.

Wäre es jetzt nicht zunächst an der Zeit, sich um diese Bergleute zu kümmern, bevor Sie neue Versprechen machen, dass andere Bergleute ebenfalls nicht ins Bergfreie fallen, wo doch das letzte schon gescheitert ist? Danke.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Herr Minister Professor Dr. Pinkwart, Ihr Mikrofon ist freigeschaltet.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Abgeordneter, ich will hier – auch als früheres Regierungsmitglied, das am Zustandekommen des sozial verträglichen Ausstiegs aus dem subventionierten Steinkohlebergbau beteiligt war – unterstreichen: Damals haben wir nicht nur gesagt, es fällt keiner ins Bergfreie; es ist auch keiner ins Bergfreie gefallen.

Die 100 Menschen, die Bergleute, auf die Sie sich beziehen,

(Andreas Keith [AfD] und Markus Wagner [AfD]: 200!)

haben alle eine gleichwertige und entsprechend besoldete Aufgabe bei der RAG angeboten bekommen, die sie so nicht annehmen wollten. Das ist mein Kenntnisstand.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich stelle hier mal klar: Wenn Sie versuchen – das haben Sie auch im Europäischen Parlament getan –, an solchen Beispielen, die ich auch als gefakt bezeichnen würde, öffentlich zu unterminieren und abzuwerten, welch große Anstrengungen in Deutschland, in einer sozialen Marktwirtschaft, Gott sei Dank, unternommen werden, um den Strukturwandel für die Betroffenen und ihre Familien, wie es sonst nirgendwo auf der Welt gelingt, abzufedern, und damit miese Stimmung in diesem Land zu machen,

(Zurufe von Christian Loose [AfD] und Markus Wagner [AfD])

halte ich das nicht nur für unseriös, sondern auch für fatal für die Menschen in diesem Land, weil Sie einen Eindruck vermitteln, der erstens nicht zutreffend ist,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

zweitens aber auch Ängste weckt, die die Menschen daran hindern, die notwendigen Schritte in die Zukunft zu gehen, die jedoch für sie und ihre Familien zwingend notwendig sind, damit sie auch in Zukunft gut bezahlte und sozial verträgliche Arbeit finden. Insofern weise ich das hier scharf zurück.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Eben habe ich darauf hingewiesen, dass die Landesregierung ihre Redezeit überzogen hat. Deshalb frage ich jetzt, ob es seitens der Fraktionen noch Aussprachebedarf gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich den Schluss der Aussprache fest.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat ebenso wie die Fraktionen von CDU und FDP direkte Abstimmung beantragt, sodass wir jetzt zu den Abstimmungen über die Inhalte der Anträge kommen können, zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/7759.

Die Fraktion der SPD hat zu diesem Antrag gemäß § 42 Abs. 2 der Geschäftsordnung Einzelabstimmung zum Abschnitt VIII beantragt. Da die Fraktion selbst Antragstellerin ist, findet nun die Einzelabstimmung statt.

Ich lasse nunmehr über den ersten Spiegelstrich des Forderungskatalogs im Abschnitt VIII des Antrags abstimmen. Wer möchte diesem ersten Spiegelstrich zustimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der FDP, der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der erste Spiegelstrich im Forderungskatalog ohne eine Mehrheit dieses Hauses geblieben.

Ich lasse weiterhin über den zweiten Spiegelstrich des Forderungskatalogs im Abschnitt VIII abstimmen. Wer diesem zweiten Spiegelstrich bzw. dem Inhalt zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der FDP, der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch dieser zweite Spiegelstrich vom Hause nicht angenommen worden.

Ich lasse über den dritten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII abstimmen und bitte auch dazu um das Votum des Hohen Hauses. Wer dem zustimmen möchte, gibt bitte jetzt ein Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der FDP sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Ich stelle damit fest, dass auch der dritte Spiegelstrich keine Unterstützung des Hohen Hauses gefunden hat.

Ich lasse über den vierten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII abstimmen. Auch dazu bitte ich um das Votum des Hohen Hauses. Wer dafür stimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – CDU, FDP, AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch der vierte Spiegelstrich des Forderungskatalogs ohne eine Zustimmung des Hohen Hauses geblieben.

Der fünfte Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII steht nun zur Abstimmung. Ich darf auch hier um das Votum bitten. Wer zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der CDU, der FDP, der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch der fünfte Spiegelstrich ohne eine Mehrheit des Hauses geblieben.

Der sechste Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII steht nun zur Abstimmung. Wer möchte dem Inhalt der Forderung im sechsten Spiegelstrich zustimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD und der AfD. Gegenstimmen? Das sind die Abgeordneten der CDU, der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch dieser Spiegelstrich bzw. die darin enthaltene Forderung ohne Zustimmung des Hohen Hauses geblieben.

Ich lasse nun über den siebten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII abstimmen. Wer möchte dem Inhalt dieser Forderung zustimmen? – Das sind die Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der CDU, der FDP, der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch diese Forderung nicht mit der Unterstützung des Hauses versehen worden.

Nun lasse ich über den achten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII abstimmen. Wer stimmt diesem zu? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der CDU, der FDP sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Damit ist auch dieser achte Spiegelstrich nicht angenommen worden.

Ich lasse nun abstimmen über den neunten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII. Wer stimmt zu? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten von CDU und FDP sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Enthaltungen? – Enthaltung der AfD-Fraktion. Damit ist auch diese Forderung nicht angenommen.

Ich lasse nun über den zehnten Spiegelstrich des Forderungskatalogs in Abschnitt VIII. abstimmen. Wer stimmt diesem zu? – Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Inhalt dieses Spiegelstrichs? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist auch der zehnte Spiegelstrich nicht angenommen.

Da alle Teile in der Einzelabstimmung abgelehnt wurden, frage ich, ob Sie mit mir übereinstimmen, dass sich eine Gesamtabstimmung über den Antrag Drucksache 17/7759 erübrigt. – Das ist der Fall. Dann ist diese nicht mehr erforderlich; dazu sehe ich auch keinen Widerspruch.

Wir kommen somit zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/7764. Wer stimmt dem Inhalt dieses Antrags zu? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Bei Enthaltung der drei fraktionslosen Abgeordneten ist der Antrag Drucksache 17/7764 vom Hohen Hause angenommen worden.

Wir sind damit am Schluss von Tagesordnungspunkt 7 angelangt, und ich rufe auf:

8   Nachhaltige Industriepolitik für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7758

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt heute nicht erfolgen soll.

Wir kommen damit direkt zur Abstimmung über die Empfehlung des Ältestenrats, den Antrag Drucksache 17/7758 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur‑ und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation zu überweisen.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich ferner darauf verständigt, dass die abschließende Beratung und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses im Plenum erfolgen soll. Gibt es Gegenstimmen gegen diese Überweisungsempfehlung? Enthaltungen? – Damit stelle ich die einstimmige Zustimmung des Hohen Hauses zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Wir kommen zu:

9   Stalking als neuen Straftatbestand ernst nehmen – Opferschutz durch Implementierung adäquater Hilfsangebote.

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7748

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD Herrn Abgeordneten Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren! Stalking ist den meisten mittlerweile wahrscheinlich ein Begriff. Der Straftatbestand an sich ist allerdings nicht sonderlich alt: Erst 2017 wurde er im Strafgesetzbuch in seiner jetzigen Form aufgenommen. Das ist, wie ich finde, ein mehr als überfälliger Schritt, denn vorher galt das sogenannte obsessive Nachstellen eher als eine Art besonderen Bemühens um die Angebetete.

Zum Glück ändert sich diese Ansicht, denn spätestens seit die niederländischen Forscher Kamphuis und Emmelkamp herausfanden, dass Stalkingopfer demselben psychischen Stress ausgesetzt sind wie die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes, sollte eigentlich jedem bewusst sein, dass es sich hierbei nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.

Psychische sowie physische Beschwerden wie Schlafstörungen, Panikattacken, Depressionen, Gereiztheit, Essstörungen, Misstrauen gegenüber anderen Menschen und sogar Beziehungsunfähigkeit und Suizidgedanken können die Folgen von exzessivem Stalking sein.

Auch die schiere Größe des Problems verdeutlicht, was es dort noch zu tun gibt: Allein im Jahr 2018 gab es 5.159 registrierte Fälle in NRW. Das ist ein erneuter Anstieg um 5,4 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Übrigens ist das fünfmal so viel wie im gesamten Bereich der sexuellen Nötigung.

Das Dunkelfeld dürfte derweil noch erheblich größer sein: Laut einer Studie des Justizministeriums der Vereinigten Staaten wurden 8 % der amerikanischen Frauen bereits Opfer von Stalking. Auf NRW heruntergerechnet wären das 700.000 Frauen.

Sowohl die Schwere als auch die Größe des Problems, das nach wie vor viel zu sehr im Schatten liegt, verdeutlichen, wie groß auch weiterhin der Handlungsbedarf in diesem Bereich ist – trotz runden Tisches und bestehender Präventionsangebote.

Der WEISSE RING warnt seit Langem, hat häufig aber nur insuffiziente Mittel zur Hand. Auch die Plätze in der Psychotraumatologie sind – wenn die Opfer den Weg dorthin erst einmal finden – viel zu rar.

Wenn wir uns über das vermeintliche Fehlverhalten männlicher Kollegen unterhalten, über blöde Sprüche oder über angestaubte Rollenverhältnisse, kann man das von mir aus absolut tun. Das mag wichtig sein. Aber dann blenden wir doch bitte nicht die Problemfelder aus, bei denen Menschen schwer zu Schaden kommen – psychisch und leider allzu oft auch physisch.

Lassen Sie uns die Opfer mehr ermutigen, sich zu wehren. Lassen Sie uns den Opferschutz ausbauen und verbessern. Lassen Sie uns die Vernetzung aus Strafverfolgung und Hilfsangeboten dichter weben. Es geht hier nicht um ein Kavaliersdelikt oder um eine Gender-Kolumne aus dem „SPIEGEL“. Hier geht es darum, die Opfer zu schützen und ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen.

Lassen Sie uns an dieser Stelle geschlossen als Landtag den Tätern entgegenrufen: Bis hierhin und nicht weiter! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Vincentz. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Abgeordnete Wendland das Wort. Bitte sehr.

Simone Wendland (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Bundestag laufen gerade die Beratungen über ein neues soziales Entschädigungsrecht. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass erstmals auch Stalkingopfer Anrecht auf Entschädigung haben.

Wenn man den hier vorliegenden Antrag der AfD liest, könnte man meinen, dass die AfD ein solches Gesetz begrüßen würde. Tatsächlich aber hat der AfD-Abgeordnete Sichert das geplante Gesetz „Blutgeldgesetz“ genannt und damit für einen Eklat gesorgt.

Auch sonst erstaunt mich Ihr Antrag. Sie haben erst vor drei Wochen auf Ihre Anfrage hin erfahren, dass es das, was Sie heute für Stalkingopfer fordern, schon längst gibt. Folgerichtig fordern Sie eigentlich auch nur mehr davon, wenn Sie von Ausweiten und Erweitern sprechen.

Ich denke aber, tatsächlich brauchen wir weniger. Wir brauchen keine persönlichen, verbalen Angriffe im Netz oder anderswo. Wir brauchen keine Aggressionen, und ganz sicher brauchen wir auch keinen Hass und keine Hassreden, oder, um es anders auszudrücken: Wir brauchen weniger von alledem, was Respekt vor anderen Menschen vermissen lässt.

(Beifall von der CDU)

Da haben wir als Politiker eine Vorbildfunktion. Natürlich gibt es nicht mehr Stalker, weil die Politiker in Parlamenten sich häufig im Ton vergreifen. Leider erleben wir das viel zu oft, leider auch in diesem Parlament. Aber wenn wir als Politiker mangelnden Respekt vor anderen Menschen vorleben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Respekt auch anderswo verloren geht. Denn letztlich ist Stalking eine Form mangelnden Respekts vor der Privatsphäre eines anderen Menschen, letztlich auch vor seinem Selbstbestimmungsrecht.

Wie wichtig dieser Respekt ist, zeigen ja die Folgen des Stalkings, die Sie richtigerweise beschreiben. Es muss nicht immer zu körperlichen Übergriffen kommen, damit das Leben eines Stalkingopfers zerstört wird. Deshalb ist es wegen der Signalwirkung zwar richtig, dass der ermittelte und gefasste Täter zügig verurteilt wird und dass dies in öffentlicher Hauptverhandlung geschieht; aber noch wichtiger ist die Prävention.

Es gibt – das hat die Landesregierung in ihrer Beantwortung der Anfrage deutlich gemacht – zahlreiche Informations- und Beratungsangebote, wie man sich vor Stalking schützen kann und wie man reagieren sollte, wenn man Opfer ist, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Es gibt Informationsangebote im Internet. Es gibt Flyer, und es gibt Opferschutzbeauftragte und auch Einrichtungen bei den Kreispolizeibehörden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Vincentz?

Simone Wendland (CDU): Nein, ich bin sofort fertig. Da kommt sicher noch eine Intervention.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage, bitte schön.

Simone Wendland (CDU): Doch die Informationen müssen die Opfer natürlich auch erreichen, und zwar möglichst schon, bevor sie überhaupt zum Opfer werden. Das hört sich jetzt ein bisschen merkwürdig oder seltsam an, aber tatsächlich ist es so, dass die meisten Opfer die Täter kennen und dass Stalking häufig nach einer Trennung oder nach einer gescheiterten Beziehung begangen wird.

Ich habe zum Beispiel meine Zweifel, ob jeder Anwalt, der Mandanten in einem Scheidungsverfahren vertritt, auch im Blick hat, dass er seinen Mandanten oder seine Mandantin als mögliches Stalkingopfer beraten wird und entsprechende Informationen parat hat.

Daher glaube ich, dass wir besser beraten sind, uns zu bemühen, Informationen so zu transportieren, dass Stalkingfälle vermieden oder frühzeitig unterbunden werden, statt, wie die AfD es hier fordert, sie noch akribischer zu zählen, als es ohnehin schon getan wird.

Auch das vom Bundestag vor etwas mehr als zwei Jahren geschlossene Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist ein Instrument im Kampf gegen Stalking, auch wenn es noch besser gewesen wäre, wenn der § 238 StGB ausdrücklich aufgenommen worden wäre. Aber einige andere Möglichkeiten zum Schutz von Stalkingopfern sind enthalten. Allerdings war die AfD auch hier dagegen und hat die Meinungsfreiheit bedroht gesehen.

Wenn wir das alles zusammennehmen, den Antrag der AfD hier im Landtag zum Thema Stalking und die Haltung der AfD zu Bundesgesetzen, die Opfern helfen und Stalking verhindern sollen, sowie die erheblichen Bemühungen des Landes NRW zu diesem Themenbereich, dann drängt sich mir eine Empfehlung an die AfD-Fraktion auf: Stellen Sie Ihren Antrag doch einfach in einem anderen Parlament!

Der Überweisung werden wir wohl zustimmen müssen. – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Wendland. – Jetzt gibt es eine Kurzintervention, angemeldet von der AfD-Fraktion. Herr Dr. Vincentz hat sich schon eingeloggt. Jetzt hat er 1:30 Minuten zum Intervenieren. Bitte schön, Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass Ihre Ausführungen, die Fälle würden jetzt schon absolut akribisch erfasst, für viele Betroffene draußen, die sich bisher nicht getraut haben, in die Polizeidienststelle zu gehen – denen zu raten ist, dies zu tun –, wie ein Schlag ins Gesicht sein müssen. Für all diejenigen, die sich aktuell nicht trauen, sich der Polizei anzuvertrauen, bzw. mit ihren Problemen im Stich gelassen werden, muss das wirklich ein Schlag ins Gesicht sein, was Sie hier gerade vorgetragen haben.

Zum Zweiten: Wenn Sie sagen, es gebe schon genügend Angebote, es gebe schon genügend Präventionsangebote, es gebe schon genügend Opferberatungsstellen, dann kann ich Ihnen als regierungstragende Partei nur dazu gratulieren, dass Ihre gute Arbeit in der Regierung dazu geführt hat, dass die Fälle in diesem Jahr im Vergleich zum letzten Jahres wieder um 5,4 % gestiegen sind. Vielen Dank dafür.

(Beifall von der AfD)

Simone Wendland (CDU): Zwei Anmerkungen dazu, Herr Dr. Vincentz. In Ihrer Anfrage zitieren Sie den § 238 StGB falsch. Sie haben noch nicht mitbekommen, dass die Änderung 2017 so erfolgt ist, dass die Handlungen lediglich eine Beeinträchtigung ermöglichen müssen. Sie müssen lediglich zu einer Beeinträchtigung geeignet sein. Und es muss keine schwerwiegende Beeinträchtigung des Opfers erfolgt sein.

Das heißt, die Schwelle ist vom Gesetzgeber so herabgesenkt worden, dass sich wirklich jeder mit einer solchen Bedrohung an Behörden oder andere Institutionen, Beratungsstellen wenden kann.

Zweites Argument: Ich glaube, wir haben hier ein Déjà-vu. Wir hatten das schon bei den Schwangerschaftsabbrüchen. Es geht Ihnen immer nur um Zahlen, um Zahlen und Statistik. Uns in der NRW-Koalition geht es um die Menschen. Und das machen wir auch weiter so.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Wendland. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Butschkau.

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Stalking ist eine Straftat, die in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert werden darf. Das Nachstellen schränkt die betroffenen Opfer in ihrer Lebensweise massiv ein, und die psychischen Folgen sind immens.

Insofern war es wichtig und richtig, dass der Bundestag 2007 und 2017 den § 238 des Strafgesetzbuchs verschärft hat. Frauenverbände und Gleichstellungspolitikerinnen aller demokratischen Fraktionen haben hart dafür gekämpft.

Die Verschärfung des Strafrechts hat in diesem Fall Wirkung gezeigt. In Nordrhein-Westfalen sind die Fälle des Nachstellens nach § 238 von 2008 bis 2018 von 7.657 auf 5.159 Fälle gesunken. Herr Dr. Vincentz, ich empfehle einen Blick in die Antwort auf die Kleine Anfrage, die ja auch von Ihrer Fraktion gestellt wurde.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Sie haben das nicht verstanden!)

– Sie können ja eine Kurzintervention anmelden. Jetzt rede ich.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Auch wenn wir wissen, dass es in diesem Bereich ein hohes Dunkelfeld gibt, so haben die betroffenen Frauen durch die Einführung dieses Gesetzes die Möglichkeit, sich gegen ihre Peiniger strafrechtlich zur Wehr zu setzen. Damit wird Stalking zu einer Straftat und bleibt keine Bagatelle.

Auch wenn es wichtig und richtig ist, sich mit dem Thema „Stalking und Gewalt gegen Frauen“ auseinanderzusetzen, so hat der vorliegende Antrag der AfD bei uns jedoch nur Kopfschütteln verursacht. Er geht überhaupt nicht, an keiner Stelle, auf die bereits bestehende Frauenhilfeinfrastruktur ein. So setzen sich spezialisierte Gewaltschutzzentren, aber auch Frauenberatungsstellen für genau diese Frauen, die Opfer von Stalking werden, ein. Genau diese Frauenhilfeinfrastruktur gilt es zu stärken, sie zu unterstützen und weiter auszubauen.

(Beifall von der SPD)

Dann ist auch den Frauen in unserem Land, die Opfer von Gewalt werden, geholfen.

Mit dieser Thematik befassen wir uns sehr ausführlich im Ausschuss für Frauen und Gleichstellung. Hier sind unter anderem die Förderung von Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern, die anonyme Spurensicherung und Upskirting immer wieder Thema.

Mich wundert, dass Sie das Thema „Stalking“ nicht in die aktuelle Haushaltsdebatte eingebracht haben, wenn es Ihnen doch so wichtig ist. Wenn Sie mehr Prävention und Beratungsangebote wollen, brauchen Sie doch auch Geld dafür.

Ihren Antrag könnte ich sogar noch ernst nehmen, wenn ich im Gleichstellungsausschuss das Gefühl hätte, dass Sie an dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ oder anderen gleichstellungspolitischen Themen irgendein Interesse hätten. Aber Sie beteiligen sich dort an keiner Diskussion, von konstruktiven Ideen ganz zu schweigen. Der Einsatz für die Rechte von Frauen scheint für Sie doch überflüssig zu sein. Mehr Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen bedeutet viel mehr als nur die Zurschaustellung der Frau in einer Opferrolle. Von Gleichberechtigung und Gleichstellung erkenne ich bei Ihnen wenig.

(Beifall von der SPD)

Im Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen – darauf möchte ich noch einmal hinweisen – hat die rot-grüne Landesregierung in der letzten Legislaturperiode zudem den Grundstock zu dem Thema gelegt und dort auch das Thema „Stalking“ berücksichtigt. Vielleicht sollten Sie in diesen Landesaktionsplan doch einfach mal hineinschauen.

Zwei Aspekte greift Ihr Antrag gar nicht oder kaum auf.

Das ist erstens das Thema „Cyberstalking“. Dieses benennen Sie zwar kurz, leiten aber keine Maßnahmen ab. Aber auch hierzu hat Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode mit einem Antrag im Plenum bereits eine Grundlage gebildet.

Der zweite Aspekt, den Sie vergessen haben, ist die Täterarbeit. Wenn wir nachhaltig die Situation der Betroffenen verbessern wollen, dann muss genau hier angesetzt werden.

Über die psychosoziale Prozessbegleitung, die auch ein wichtiger Aspekt ist, werden wir am Freitag noch diskutieren. Ich bin gespannt, ob die AfD in dieser Debatte politisch besser aufgestellt ist.

Dem vorliegenden Antrag können wir inhaltlich nicht zustimmen, stimmen aber der Überweisung an die zuständigen Ausschüsse zu und freuen uns auf eine lebendige Diskussion dort. – Herzlichen Dank und Glückauf.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Butschkau. – Die AfD-Fraktion hat eine Kurzintervention angemeldet. Herr Dr. Vincentz, bitte schön.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Butschkau, das, was Sie gerade ausgeführt haben, kann einfach nicht unwidersprochen bleiben. Denn Sie haben entweder aus Unwissen oder aber aus Böswilligkeit eine Unterstellung unterbreitet, die schlichtweg falsch ist. In der Tat sind die Zahlen des obsessiven Nachstellens bis 2017 zurückgegangen. Das ist genau der Grund, warum man sich für den neuen Straftatbestand des Stalkings eingesetzt hat. Genau das war der Grund, weil der bisherige Paragraf des obsessiven Nachstellens derart fluffig gefasst war, dass eben extrem viele Opfer dadurch nicht abgedeckt waren.

Wenn Sie das jetzt tatsächlich als vernünftige Präventionsarbeit darstellen, dass Sie einfach Opfer im Stich lassen und eben nicht mehr erfassen, und auch noch in Abrede stellen, dass es absolut sinnvoll war, genau diesen Straftatbestand Stalking eben einzuführen, wo seit seiner Einführung die Zahlen steigen,

(Zurufe von der SPD: Luft holen! Atmen!)

dann entschuldigen Sie!

Anja Butschkau (SPD): Ich habe die Frage nicht verstanden.

(Zurufe von der AfD: Das war eine Kurzintervention!)

– Vielleicht habe ich das auch wieder nicht verstanden. Alles gut. Sie erklären mir das ja. Das ist ja wunderbar.

(Zurufe von der AfD – Gegenrufe von der SPD)

Ich kann nur auf die Antwort auf die Kleine Anfrage vom 21.10. verweisen. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir das noch einmal durchzulesen. Damit ist, glaube ich, Ihre Kurzintervention auch beantwortet. – Danke schön.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Butschkau. – Als Nächstes spricht für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen den Film „Fatal Attraction“ oder – wie er auf Deutsch hieß – „Eine verhängnisvolle Affäre“. Der Film ist, glaube ich, so um die 30 Jahre alt und ist vielleicht vielen in Erinnerung geblieben durch grandiose Hauptdarsteller wie Michael Douglas oder Glenn Close. In dem Fall war der Mann das Stalkingopfer. Das soll auch mal vorkommen. Dieser Film hat damals eine gesellschaftliche Debatte in Gang gebracht über das Thema „Stalking“.

Dieses Stalking kann auch ganz nah sein. Eine Freundin von mir hat das erlebt: andauernde Versuche von Kontaktaufnahme über Telefon, per E-Mail trotz eindeutiger Ansage, dass kein weiterer Kontakt erwünscht sei, Aufsuchen von Arbeitsplatz oder Wohnort trotz angeordneten Kontaktverbots, nächtliche Drohanrufe und die Gefahr körperlicher Übergriffe. So ein Verhalten kann, wenn es nicht durch polizeiliche Maßnahmen gestoppt wird, bis hin zu Gewalttaten führen.

Aus wissenschaftlichen Erhebungen wissen wir, dass rund 11 % der Menschen einmal im Leben Opfer von Stalkinghandlungen werden. Über 80 % der Stalker sind Männer im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die Opfer meistens Frauen. Stalking bedeutet für die Opfer eine tiefgreifende Verletzung ihrer Privat- und Intimsphäre und kann zu gravierenden psychischen Schädigungen wie Angstsymptomen, Schlafstörungen und Depressionen führen.

Im Hohen Haus wurde über einen Straftatbestand für Stalking debattiert, wie er dann 2007 mit dem § 238 zur Nachstellung eingeführt und 2017 nochmals erweitert wurde. Stalking als Komplex ist ein durch viele unterschiedliche Handlungen gekennzeichnetes Verhalten und lässt sich nur schwer vom deutschen Strafrecht mit seinem Bestimmtheitsgebot und der Ahndung von Einzelhandlungen erfassen. Mit der Neufassung des § 238 von 2017 muss eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers nicht mehr tatsächlich erfolgt sein, vielmehr reicht es aus, dass Handlungen zu einer solchen Beeinträchtigung geeignet waren.

Die Zahlen der in NRW erfassten Straftaten waren nach der 2007 erfolgten Einführung des Straftatbestandes erst rückläufig und lagen in den letzten Jahren dann bei etwas über 5.000. Auch der Anteil der Verurteilungen war rückläufig und pendelte zuletzt auf einem niedrigen Niveau. Insofern bleibt abzuwarten, ob der erweiterte Straftatbestand tatsächlich Wirkung entfaltet.

Für die Opfer von Stalking gibt es Ansprechpartner, einerseits bei unserer Polizei in den Kreispolizeibehörden, die mithilfe von Gefährderansprachen, der Androhung von Strafe und der Anordnung von Kontaktverboten dem Verhalten des Stalkers entgegentreten können. Andererseits stehen die Frauenberatungsstellen als Anlaufstellen für die Beratung zum Gewaltschutz zur Verfügung.

Es gibt also in unserem Land bereits viele geeignete Strukturen zur Prävention und zur Beratung von Stalkingopfern. Auch einen runden Tisch zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen, dessen Ausweitung Sie gefordert haben, gibt es. Dort wird seit Jahren an dem Thema gearbeitet. Wir initiieren jetzt auch noch einen runden Tisch zur Gewalt gegen Jungen und Männer und LSBTI.

Sie sehen also: Diese Landesregierung und die NRW-Koalition handeln. Ich bin gespannt, in welchem Ausschuss wir diesen Antrag letztendlich beraten, und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Jetzt spricht Frau Paul für die grüne Fraktion.

Josefine Paul*) (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Stalking ist ein Gewaltdelikt, 80 % der Opfer sind Frauen. Somit lässt sich sagen, dass auch Stalking eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt ist. Es geht hier zumeist um die Ausübung von Macht. Oftmals sind es Ex-Partner, es können auch Kollegen oder Freunde sein, aber ganz häufig handelt es sich um Täter – möglicherweise Täterinnen – aus dem sozialen Nahfeld.

Es ist schon angesprochen worden: Die Umwandlung des Straftatbestands der Nachstellung von einem Erfolgsdelikt, bei dem das Leben tatsächlich beeinträchtigt wurde oder ist, zu einem Eignungsdelikt ist deswegen so wichtig, weil es noch einmal deutlich macht, dass das Selbstbestimmungsrecht insbesondere auch von Frauen keine Verhandlungsmasse ist. Es gibt nicht ein bisschen Verletzung des Selbstbestimmungsrechts, sondern das gilt absolut.

Es ist erfreulich, dass der Gesetzgeber in den letzten Jahren nicht nur an diesem Punkt, sondern auch beispielsweise im Bereich des Sexualstrafrechts das Selbstbestimmungsrecht insbesondere von Frauen noch einmal massiv gestärkt hat, auch durch die gesetzliche Festschreibung des Prinzips „Nein heißt Nein“.

Ein weiterer gesetzlicher Punkt kann dabei helfen, Opfer zu stärken. Es ist eben auch möglich, nach § 1 des Gewaltschutzgesetzes eine Schutzanordnung zu erwirken, also ein Kontakt- oder Näherungsverbot zu erwirken.

Aber all diese Dinge stehen und fallen damit, ob die Frauen – oder die Opfer, die aber in den meisten Fällen Frauen sind – auch wirklich für sich das Gefühl haben, ein Recht darauf zu haben. Es geht darum, Opfer bzw. potenzielle Opfer zu stärken, ihre Anzeigebereitschaft zu erhöhen, denn – das ist schon angeklungen – es gibt ein hohes Dunkelfeld.

Aber nicht alle steigenden Zahlen deuten auch wirklich darauf hin, dass es mehr Fälle gibt. Unter Umständen steht auch dahinter – und das wäre ja erfreulich –, dass mehr Opfer sich ermutigt fühlen, Anzeige zu erstatten und von ihrem Recht Gebrauch zu machen und sich deswegen möglicherweise höhere Zahlen ergeben.

Wir müssen also weiterhin auf eine Sensibilisierung von Opfern hinwirken, damit sie nicht mehr das Gefühl haben, sie seien möglicherweise selbst schuld daran, damit sie keine Scham empfinden oder Angst haben, es handele sich ohnehin nur um eine Bagatelle, und es für sich selbst nur als Bagatelle abtun. Nein, das ist keine Bagatelle. Nachstellung, Stalking ist eine Gewalttat, ein Gewaltdelikt, und dementsprechend haben Frauen und alle Opfer von Stalking ein Recht auf Schutz durch die Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will auch noch darauf hinweisen, dass Opferschutz und Prävention nur im Netzwerk funktionieren. Einerseits spielt dabei die Polizei eine wichtige Rolle, andererseits natürlich auch die Justiz. Auch hier geht es darum, dass diejenigen sensibel dafür sind, die Besonderheiten solcher Delikte gegen die Selbstbestimmung von Menschen auch so einzuordnen. Es geht aber auch ganz stark darum, dass wir eine Hilfeinfrastruktur brauchen, die Menschen begleitet, unterstützt, aber auch Präventionsarbeit leistet.

In Ihrem Antrag vermisse ich einen dezidierten Hinweis auf die Frauenhilfeinfrastruktur, denn diese ist sehr gut ausgebaut und stellt eine ganz entscheidende Säule im Bereich der Prävention, der Beratung und der Unterstützung dar. Ich hätte mir in der Tat einen direkten Hinweis darauf gewünscht.

Auch wenn Sie darauf hinweisen, dass der runde Tisch weiterarbeiten müsste, sei auch mir der Hinweis erlaubt, dass im bereits existierenden Landesaktionsplan zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt bereits an mehreren Stellen Stalking, Prävention, Schutz und Begleitung explizit benannt sind, so etwa in den Abschnitten zu Gewalt im digitalen Raum, aber auch im Kapitel zu häuslicher Gewalt oder im Kapitel zur Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.

Ich verstehe das Ansinnen der Ministerin so, dass konsequent an diesem Landesaktionsplan weitergearbeitet werden und auch noch einmal weiter untersucht werden soll, an welchen Stellen gegebenenfalls noch Erweiterungs- und Nachholbedarfe bestehen. Denn klar ist: Wir müssen die Netzwerke weiter stärken, wir müssen die Hilfeinfrastruktur weiter ausbauen, und das bezieht sich nicht nur auf die Frauenhilfeinfrastruktur, sondern natürlich auch auf die Frage, ob unsere Struktur der Gewaltschutzambulanzen schon gut genug ausgebaut ist oder wir dort weiterhin verstärken müssen.

All diese Dinge müssen weiter diskutiert werden. Nichtsdestotrotz ist dieser Antrag aus meiner Sicht an vielen Stellen zu undifferenziert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Nun spricht Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stalking ist seit 2007 strafbar. Der Bundesgesetzgeber hat zehn Jahre später reagiert, weil wir alle gemerkt haben, dass das, was bis einschließlich 2017 geregelt war, dem Grunde nach die Ahndung von Stalking nicht unbedingt erleichtert hat. Insofern gab es im Jahr 2017 eine entsprechende Veränderung in dem Bundesgesetz von einem Erfolgsdelikt hin zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt.

Bis 2017 stand vorrangig die Frage im Raum, ob die Tat die Lebensgestaltung des Opfers tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt hat. Diese Fragestellung stand im Vordergrund. Seit der Gesetzesänderung durch den bundesdeutschen Gesetzgeber steht die Frage im Raum, ob die Tat abstrakt geeignet ist, das Opfer in der Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Insofern kommen mögliche – ich betone bewusst: mögliche – Stärke und Unerschrockenheit eines Opfers, das sich nicht beeindrucken lässt, dem Täter nicht mehr zugute.

Außerdem kommt mit der Gesetzesänderung auf Bundesebene Folgendes hinzu: Zuvor waren knapp 70 % der Fälle auf den Privatklageweg verwiesen worden. Mit der Änderung wurde aus einem Privatklagedelikt ein Offizialdelikt.

Wenn Sie die Statistik bemühen, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden Sie feststellen, dass von 2014 bis 2017 bei den Frauenberatungsstellen – zu denen auch „Stalking“ als Themenbereich gehört – durchschnittlich 4 % der Beratungsinhalte Stalking betrafen. 2018 waren es rund 5 %.

Wir selbst führen – auch das ist gerade schon erläutert worden – den Anstieg auf die Erweiterung des Straftatbestandes zurück. In der Tat ist es das, worum wir in demokratischen Bereich gemeinsam werben, dass Menschen, die Opfer von Gewalt werden, diese auch zur Anzeige bringen. Auch die Politik der Landesregierung ist darauf ausgerichtet, weder Gewalt gegen Mädchen und Frauen noch gegen Jungen und Männer in Nordrhein-Westfalen zu dulden und sehr deutlich zu machen, dass wir keine Gewalt wollen. Wenn trotzdem Gewalt eintritt, soll sie angezeigt werden, weil Täter verfolgt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund sind – auch das ist schon von mehreren Damen Abgeordneten angesprochen worden – die Beratungsstrukturen in Nordrhein-Westfalen auch mit dem Thema „Stalking“ – leider, muss man sagen – als einem von vielen Themen konfrontiert.

Auch im Rahmen des Landesaktionsplanes, den wir als Landesregierung Nordrhein-Westfalen aktuell zur Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen fortschreiben, wird das Thema „Stalking“ in verschiedenen Facetten – wie gerade ausgeführt – aufgegriffen.

Die Landesregierung fördert die Arbeit örtlicher runder Tische gegen Gewalt an Frauen in Kreisen und kreisfreien Städten. Wir fördern auch Veranstaltungen zum Thema „Stalking“ und die zugehörige Öffentlichkeitsarbeit, um dieses Thema immer weiter präsent zu halten.

Das gilt auch für viele andere Deliktsbereiche, ob das Menschenhandel, Genitalverstümmelung, das Ausbeuten zum Zwecke der Arbeit oder des sexuellen Missbrauches oder vergleichbare Formen dessen, was Menschen einander antun, sind. Es gilt, immer wieder das Thema hervorzuheben, zu sensibilisieren, und deutlich zu machen, dass die Gesellschaft hinzugucken hat, wenn Gewalt oder Formen von Gewalt stattfinden.

In diesem Jahr etwa findet im Märkischen Kreis der vom Land geförderte runde Tisch zum Thema „Stalking“ statt; dort wird eine Fachtagung angeboten. 2018 hat das Ganze in Paderborn stattgefunden. Damit verbunden sind entsprechende Auflagen von Informationspublikationen, Broschüren und Vergleichbarem.

Sie merken, meine sehr geehrten Damen und Herren, Bundes- und Landesregierung sind seit vielen Jahren im Bereich „Stalking“ unterwegs. In der Tat betrifft es vornehmlich Frauen, es ist eine geschlechtsbezogene Gewalt. Dagegen stellen wir uns im demokratischen Spektrum alle miteinander auf. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7748 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen. Die abschließende Beratung und Abstimmung finden im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung statt. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Die sehen wir nicht. Gibt es Enthaltungen? – Auch nicht. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

10 Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7319

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/7792

zweite Lesung

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden  zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. (siehe Anlage 1)

Damit kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/7792 einstimmig, den Gesetzentwurf Drucksache 17/7319 unverändert anzunehmen. Daher kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Gesetzentwurf Drucksache 17/7319 einstimmig angenommen und in zweiter Lesung einstimmig verabschiedet.

Ich rufe auf:

11 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7718

erste Lesung

Herr Minister Dr. Stamp hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen. (siehe Anlage 2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7718 an den Integrationsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es dazu Gegenstimmen? – Nein. Gibt es dazu Enthaltungen? – Nein. Dann ist einstimmig so überwiesen. Danke.

Ich rufe auf:

12 Staatsvertrag über die erweiterte Zuständigkeit der mit der Begleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betrauten Bediensteten in den Ländern

Antrag
auf Zustimmung
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 17/7726

erste Lesung

Herr Minister Dr. Stamp hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen. (siehe Anlage 3)

Wir stimmen also ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag nach Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung Drucksache 17/7726 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Integrationsausschuss mitberatend. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es nicht. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann ist einstimmig so überwiesen, und es wird so verfahren wie beschlossen.

Ich rufe auf:

13 Beitritt des Landtags von Baden-Württemberg zum Versorgungswerk der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Landtags Brandenburg

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7754

Hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir können also unmittelbar zur Abstimmung kommen. Die antragstellenden Fraktionen von CDU,


SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/7754 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? – CDU, SPD, FDP, Grüne, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Herr Neppe und Herr Langguth.

(Marcus Pretzell [fraktionslos] geht zu seinem Platz.)

– Und da kommt noch einer. Herr Pretzell auch. Danke schön. Dann sind wir vollständig. Wer ist dagegen? –

(Marcus Pretzell [fraktionslos]: Die Fraktionen sind nicht vollständig!)

– Dann sind wir hier abstimmungsmäßig vollständig. Wie ich das sage, so ist das hier. – Keine Gegenstimmen. Gibt es Enthaltungen? – Gibt es auch nicht. Dann ist der Antrag Drucksache 17/7754 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

14 Effektive Kriminalprävention durch eine Stärkung der sozialraumorientierten Polizeiarbeit

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7750

Hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung.  Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7750 an den Innenausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

15 Nachwahl eines ordentlichen Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (Hackerangriff/Stabstelle)

Wahlvorschlag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7749

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir stimmen ab. Wer stimmt dieser Nachwahl zu? – Die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung von CDU, SPD, FDP, Grünen und der drei fraktionslosen Abgeordneten ist der Wahlvorschlag Drucksache 17/7749 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

16 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 24
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/7799

Die Übersicht 24 enthält sechs Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Beratungsabläufe und Abstimmungsergebnisse sind aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun über  die Bestätigung der Übersicht 24 abstimmen. Wer bestätigt? – Gibt es Gegenbestätigungen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in der Drucksache 17/7799 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig bestätigt.

Ich rufe auf:

17 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/28

Gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen.

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir haben nun  über die Bestätigung abzustimmen. Wer stimmt der Bestätigung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die Beschlüsse in Übersicht 17/28 einstimmig bestätigt.

Damit sind wir um 17:32 Uhr am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum für morgen, Donnerstag, 14. November 2019,10 Uhr wieder ein.

Bis dahin wünsche ich Ihnen einen schönen restlichen Tag und einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:32 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

     Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 


Anlage 1

TOP 10 – „Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes“ – zu Protokoll gegebene Reden

Bernd Krückel (CDU):

Die CDU-Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Kirchensteuergesetzes.

Die Änderung des § 152 Abgabenordnung (AO) hat zur Folge, dass die Festsetzung eines Verspätungszuschlages sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach obligatorisch geworden ist.

Da das Kirchensteuergesetz des Landes Nordrhein-Westfalen die Anwendung der AO zwingend vorsieht, wäre ein Verzicht auf einen Verspätungszuschlag nicht möglich.

Der Gesetzentwurf sieht die Abkopplung des Kirchensteuergesetzes in diesem Punkt von der AO vor.

Die CDU Fraktion begrüßt diese Änderung ausdrücklich und stimmt dem Gesetzentwurf der Landesregierung zu.

Stefan Zimkeit (SPD):

Beim vorgelegten Entwurf zur Änderung des Kirchensteuergesetzes handelt es sich um eine nachvollziehbare Neuregelung. Die SPD Fraktion stimmt daher dem Gesetzentwurf zu.

Ralf Witzel (FDP):

Die Landesregierung hat dem Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Veränderung des Kirchensteuergesetzes vorschlägt, damit zukünftig auf die Erhebung möglicher Verspätungszuschläge verzichtet wird. Die Beratungen im zuständigen Ausschuss für Haushalt und Finanzen haben ergeben, dass diese Änderung sinnvoll erscheint. Deshalb stimmt die FDP-Landtagsfraktion dem Gesetzentwurf zu.

Monika Düker (GRÜNE):

Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung thematisiert die Anwendung des Verspätungszuschlags bei der Kirchensteuer.

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wurde die Abgabenordnung insofern geändert, als dass der in § 152 AO definierte Verspätungszuschlag nicht mehr im Ermessen der Finanzämter individuell festgelegt wird, sondern obligatorisch ist. Die Änderung betrifft Steuererklärungen, die ab dem 31.12.2018 einzureichen sind und verspätet abgegeben werden.

Diese Änderung betrifft auch die Kirchensteuerfestsetzung unmittelbar. Im Widerspruch hierzu steht allerdings, dass die Anwendung von Vorschriften über Verzinsung, Säumniszuschläge sowie Straf- und Bußgelder bei der Kirchensteuer gesetzgeberisch ausgeschlossen ist. In diesem Bereich sind entsprechende Sanktionen nicht vorgesehen.

Daher ist es folgerichtig, diesen gesetzgeberischen Widerspruch aufzulösen, indem die Anwendung des Verspätungszuschlags auf die Kirchensteuer ausgeschlossen wird. Genau dies geschieht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung. Die Grünenfraktion stimmt dem Gesetzentwurf vollumfänglich zu.

Herbert Strotebeck (AfD):

Mit der Frage, ob Steuern gerechtfertigt sind, musste sich bereits Jesus beschäftigen. Er hatte dazu eine sehr pragmatische Einstellung: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“

Das Eintreiben von Steuern hat alle Kaiser und Könige überlebt. In Deutschland erheben die Kirchen bzw. die zuständigen Finanzämter seit dem 19. Jahrhundert sogar selbst eine Steuer, die Kirchensteuer. Eine Steuer, die es so in anderen christlichen Ländern wie zum Beispiel Italien und Polen nicht gibt.

Die beiden großen Kirchen in der Bundesrepublik haben im vergangenen Jahr einen neuen Rekord an Steuereinnahmen verzeichnen können: rund 12,4 Milliarden Euro haben beide zusammen eingenommen – die katholische Kirche 6,6 Milliarden und die evangelische 5,8 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den insgesamt 12,1 Milliarden von vor zwei Jahren ist das ein Anstieg um ca. 2,7 %. Dass dies trotz sinkender Kirchenmitglieder erreicht wurde, liegt an der guten Konjunktur in Deutschland.

Ein Bürger, der die Kirchensteuer zu spät zahlt, soll auch zukünftig nicht dafür bestraft werden. So der Wunsch der Kirchen. Ein Grund für diesen Wunsch mag gewiss auch sein, dass etwaige Sanktionen zu noch mehr Kirchenaustritten führen könnten. Im vergangenen Jahr verließen mehr als 200.000 Gläubige die Katholische Kirche. Es war das Jahr mit den zweitmeisten Kirchenaustritten seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Bei den Protestanten sind 2018 etwa 220.000 Gläubige ausgetreten.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll es auch zukünftig keinen Verspätungszuschlag bei der Kirchensteuer geben. Dieser Zuschlag ist seit 2019 für alle anderen Steuerarten obligatorisch. Ohne den vorliegenden Gesetzentwurf würde dies auch für die Kirchensteuer gelten, da der Ermessensspielraum der Finanzämter abgeschafft wurde.

Da bislang auf Druckmittel verzichtet wurde und es der Wunsch der Kirchen ist, dies beizubehalten, stimmt die AfD-Fraktion dem Gesetzentwurf zu.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen:

Bisher stellte die Festsetzung eines Verspätungszuschlages sowohl dem Grunde als der Höhe nach eine Ermessenentscheidung dar. Das heißt: Die Finanzverwaltung ließ die Kirchensteuer nicht in die Bemessungsgrundlage des Verspätungszuschlages einfließen. Dies entsprach dem Wunsch der Religionsgemeinschaften.

Ab dem Veranlagungszeitraum 2018 ist jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Festsetzung eines Verspätungszuschlages obligatorisch. Daraus folgt, dass bei einer verspäteten Abgabe der Steuererklärung die Finanzämter auch bei der Kirchensteuer einen Verspätungszuschlag festsetzen müssten.

Um dem ausdrücklichen Wunsch der Religionsgemeinschaften weiterhin nachzukommen, ist die Neuregelung im Kirchensteuergesetz erforderlich.

Der vorliegende Gesetzesentwurf regelt nun, dass die Vorschriften der Abgabenordnung hinsichtlich des Verspätungszuschlages nicht anzuwenden sind, sowie es beispielsweise bereits bei Zinsen oder Säumniszuschlägen der Fall ist.

Der von den Kirchen gewünschte bisherige Zustand wird so wiederhergestellt.

Insofern bitte ich um Ihre Zustimmung.


Anlage 2

TOP 11 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration:

Die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes obliegt den Ländern. Das Land Nordrhein-Westfalen hat hierfür das „Gesetz zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ (AG AsylbLG) erlassen. Es regelt die Zuständigkeiten des Landes und der Kommunen. Das Ausführungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz muss in einigen Punkten an die Entwicklung angepasst werden:

Wir stellen klar, dass die Bezirksregierungen für alle Leistungsberechtigten zuständig sind, die in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes untergebracht sind. Bislang sind im Gesetz ausdrücklich Asylbewerberinnen und Asylbewerber als Leistungsberechtigte genannt. In den Aufnahmeeinrichtungen des Landes können weitere Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG untergebracht sein, die nicht oder nicht mehr Asylbewerber sind: zum Beispiel vollziehbar Ausreisepflichtige oder Folgeantragstellerinnen und Folgeantragsteller. Für alle Leistungsberechtigten in den Landeseinrichtungen soll einheitlich die jeweilige Bezirksregierung die zuständige Behörde sein.

Wir passen außerdem eine Zuständigkeitsregelung der Landschaftsverbände an geändertes Bundesrecht an. Die Regelung betrifft Leistungsempfänger im sogenannten Analog-Leistungsbezug. Das sind Leistungsberechtigte, die seit 18 Monaten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Für diese gilt dann das Zwölfte Sozialgesetzbuch analog. Unser Ausführungsgesetz legt in diesen Fällen die Zuständigkeit der Landschaftsverbände für die Aufgaben fest, für die sie auch bei unmittelbarer Anwendung des SGB XII zuständig sind. Diese Regelung muss an eine zum 1. Januar 2020 in Kraft tretende Änderung des Bundesrechts angepasst werden.

Durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – Bundesteilhabegesetz – werden die bislang im SGB XII enthaltenen Regelungen zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zum 1. Januar 2020 in das Neunte Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – überführt. Diese bundesgesetzliche Änderung muss im Ausführungsgesetz systemkonform umgesetzt werden.

Die kommunalen Spitzenverbände und auch die Landschaftsverbände haben im Rahmen der Anhörung keine Bedenken gegen diese Anpassung mitgeteilt.

Das Ausführungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz ist ein notwendiges und für die Praxis vor Ort wichtiges Gesetz. Klare Zuständigkeitsregelungen sind eine wesentliche Voraussetzung für rechtmäßiges und rechtssicheres Verwaltungshandeln. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung für die vorgesehene Überweisung an die zuständigen Landtagsausschüsse.


Anlage 3

TOP 12 – „Staatsvertrag über die erweiterte Zuständigkeit der mit der Begleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen betrauten Bediensteten in den Ländern“ – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration:

Bereits im Juni 2018 ist die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder übereingekommen, einen Staatsvertrag zum länderübergreifenden Einsatz von Verwaltungsvollzugspersonal bei der Begleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzuschließen.

Insbesondere im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf dem Luftweg kann es erforderlich werden, ausreisepflichtige Personen zu Flughäfen anderer Bundesländer zu bringen.

Während in den Polizeiorganisationsgesetzen der Länder die Befugnisse von Polizeivollzugskräften anderer Länder ausdrücklich geregelt sind, fehlen vergleichbare ausdrückliche Bestimmungen für die mit der Begleitung von Rückführungen beauftragten sonstigen Bediensteten in den Ländern.

Der nun vorliegende Staatsvertrag schafft insoweit Rechtsklarheit: sowohl im Verhältnis der Länder untereinander als auch für die mit dem Vollzug des Aufenthaltsgesetzes beauftragten Bediensteten der Ausländerbehörden.

Vor diesem Hintergrund bitte ich um Ihre Zustimmung für die vorgesehene Überweisung an die zuständigen Landtagsausschüsse.