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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/69

17. Wahlperiode

10.10.2019

 

69. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 10. Oktober 2019

Ansprache des Präsidenten André Kuper zu dem Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) am gestrigen Tage. 3

Mitteilungen des Präsidenten. 3

1   Semesterstart in NRW – Die Landesregierung muss mehr für bezahlbaren studentischen Wohnraum tun

Aktuelle Stunde
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7585. 3

Dietmar Bell (SPD) 3

Bernd Petelkau (CDU) 5

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 7

Stephen Paul (FDP) 9

Helmut Seifen (AfD) 10

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 12

Jochen Ott (SPD) 13

Guido Déus (CDU) 15

Johannes Remmel (GRÜNE) 17

Helmut Seifen (AfD) 18

Ministerin Ina Scharrenbach. 19

Dietmar Bell (SPD) 21

2   Bildungsgerechtigkeit herstellen und Lehrkräftemangel gemeinsam bekämpfen – Alle Akteure an einen Tisch!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7541. 22

Jochen Ott (SPD) 22

Martin Sträßer (CDU) 24

Martina Hannen (FDP) 26

Sigrid Beer (GRÜNE) 28

Helmut Seifen (AfD) 30

Ministerin Yvonne Gebauer 31

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD) 34

Sigrid Beer (GRÜNE) 35

Ergebnis. 35

3   Innovatives Bauen im 3D-Druckverfahren fördern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7544. 35

Jochen Ritter (CDU) 35

Stephen Paul (FDP) 36

Andreas Becker (SPD) 37

Johannes Remmel (GRÜNE) 38

Sven Werner Tritschler (AfD) 38

Ministerin Ina Scharrenbach. 39

Johannes Remmel (GRÜNE) 40

Ergebnis. 41

4   Rettet die Handschrift – eine Offensive für die menschliche Kommunikation!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7535. 41

Helmut Seifen (AfD) 41

Heike Troles (CDU) 42

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 43

Franziska Müller-Rech (FDP) 44

Sigrid Beer (GRÜNE) 45

Ministerin Yvonne Gebauer 46

Ergebnis. 46

5   Nachwuchsleistungssport in Nordrhein-Westfalen: Bessere Chancen für Talente durch mehr Qualität an den Sportschulen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7545. 46

Rüdiger Scholz (CDU) 47

Andreas Terhaag (FDP) 48

Rainer Bischoff (SPD) 48

Josefine Paul (GRÜNE) 50

Andreas Keith (AfD) 51

Ministerin Yvonne Gebauer 52

Ergebnis. 52

6   Gesetz zur Bildung von Vertretungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter 53

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7539

erste Lesung. 53

Sonja Bongers (SPD) 53

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 53

Dr. Werner Pfeil (FDP) 54

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 55

Thomas Röckemann (AfD) 56

Minister Peter Biesenbach. 56

Ergebnis. 57

7   Einstellung der finanziellen Förderung des Flüchtlingsrats NRW durch das Land Nordrhein-Westfalen – Beendigung der Zusammenarbeit durch die Landesregierung

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7536. 57

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 57

Heike Wermer (CDU) 58

Eva Lux (SPD) 59

Stefan Lenzen (FDP) 60

Berivan Aymaz (GRÜNE) 61

Minister Dr. Joachim Stamp. 62

Ergebnis. 63

8   Gamesförderung nachhaltig gestalten – Planungssicherheit für Spiele-Entwickler auf Bundesebene schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 63

Drucksache 17/7543 – Neudruck. 63

Florian Braun (CDU) 63

Thomas Nückel (FDP) 64

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 65

René Schneider (SPD) 66

Sven Werner Tritschler (AfD) 66

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 67

Ergebnis. 68

Entschuldigt waren:

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Minister Karl-Josef Laumann

Minister Dr. Joachim Stamp

Minister Hendrik Wüst

Dietmar Panske (CDU)

Dietmar Bell (SPD)      
(ab 14 Uhr)

Christina Kampmann (SPD)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Roger Beckamp (AfD)

Marcus Pretzell (fraktionslos)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

(Präsident André Kuper tritt an das Redepult.)

Ansprache des Präsidenten André Kuper zu dem Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) am gestrigen Tage

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern das Parlament über die Ereignisse in Halle in Sachsen-Anhalt unterrichtet habe, zeichnete sich bereits ab, dass diese menschenverachtende Untat eine rechtsradikale, eine antisemitische, eine judenfeindliche Tat war. Das hat sich inzwischen bestätigt.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer dichten Begegnung und Erlebnisse als Präsidium in der Gedenkstätte Auschwitz Anfang dieser Woche sage ich: Hier geht es nicht um uns und nicht um vermeintliche politische Geländegewinne. Es geht darum, ob wir bereit sind, aufzustehen für ein vorurteilsfreies Miteinander, für eine Gesellschaft auf dem Boden unserer Verfassung, auch darum, ob wir endlich bereit sind, aufzuhören, mit zweideutigen Worten eine Saat auszubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für Worte hier im Parlament.

Es geht um unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es geht um nicht weniger als um unser Land und seine Zukunft.

Wir begrüßen deshalb heute Morgen als Parlament, aber auch ganz persönlich unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, von denen einige zu uns gekommen sind und oben auf der Besuchertribüne sitzen.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Wir sagen Ihnen sehr deutlich: Wir lassen euch nicht alleine. Wir lassen euch nicht im Stich. Wir sind froh, dass es euch gibt. Antisemitischer Hass und judenfeindliche Gewalt haben hier keinen Platz.

(Allgemeiner Beifall)

Unsere Gedanken und unsere Gebete sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Unser Herz ist bei den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wenn wir uns jetzt erheben im Gedenken an die Opfer von Halle, dann können wir das nicht tun – das ist ein Versprechen dieses Hohen Hauses –, ohne für das jüdische Leben in unserem Land aufzustehen.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Mitteilungen des Präsidenten

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer 69. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; die Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Wir treten damit in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Semesterstart in NRW – Die Landesregierung muss mehr für bezahlbaren studentischen Wohnraum tun

Aktuelle Stunde
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7585

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. Oktober dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Bell das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich darf Ihnen vorab – ich glaube, ich spreche im Namen aller Kolleginnen und Kollegen – für die guten Worte an dieser Stelle ganz herzlich danken.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 782.000 Studierende in Nordrhein-Westfalen, geschätzt 103.000 Studienanfänger im Wintersemester 2019 – das zeigt, dass Nordrhein-Westfalen mit seinem Hochschulangebot weiter ein attraktiver Studienort ist, der von vielen jungen Menschen aus der ganzen Republik, aber auch aus dem Ausland ausgesucht wird, um hier ihr Studium erfolgreich zu absolvieren.

Aber es gibt eine Schattenseite dieses Erfolgs. Immer mehr junge Menschen sind in den überhitzten Mietmärkten der Studienstandorte nicht in der Lage, eine Wohnung, ein Zimmer oder einen Wohnheimplatz zu bekommen.

Nach den aktuellen Zahlen des MLP Studentenwohnreports und des Moses Mendelssohn Instituts sind in Nordrhein-Westfalen erhebliche Preissteigerungen Realität. Nach Auskunft des MLP Studentenwohnreports haben sich die Preise für eine sogenannte studentische Musterwohnung seit 2010 in Düsseldorf um 27 %, in Köln um 30 % und in Münster um 26 % erhöht.

Besonders sollte uns der im letzten Jahr eingetretene Preisschub alarmieren. Das Moses Mendelssohn Institut konstatiert einen generellen Mietpreisanstieg für Zimmerpreise für Studierende von 6,2 % in Nordrhein-Westfalen. Die Preissteigerungsrate hat sich damit in einem Jahr mehr als verdoppelt. In Bonn wird sogar ein Anstieg um 13 % und in Düsseldorf um 9 % beschrieben.

Ein WG-Zimmer in Köln kostet zum Beispiel im Schnitt 445 Euro und wird damit nicht von dem gestiegenen BAföG-Satz in voller Höhe erfasst. Dabei stagniert das Durchschnittseinkommen der Studierenden seit Jahren bei um 900 Euro. Immer weniger Studierende können diese Mietsteigerungsraten einfach kompensieren. An den meisten Hochschulstandorten beträgt die Erwerbstätigenquote bei den Studierenden deshalb mittlerweile mehr als 70 %.

Aktuell sind Tausende von jungen Menschen zu Semesterbeginn auf Wohnungssuche. Ich habe mir die Berichterstattung des WDR in seiner „Aktuellen Stunde“ hierzu angeschaut. Die Gespräche mit jungen Studierenden in einer Kölner Notunterkunft, die zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gedacht ist und nicht zur Unterbringung junger Studentinnen und Studenten, hat mich zutiefst beschämt. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es beschämend, wenn ein Studierender in Nordrhein-Westfalen erzählt, dass er seine Eltern nicht über die eingetretene Situation informiert, weil diese sich sonst erhebliche Sorgen machen würden. In was für einem Land leben wir mittlerweile?

Die Landesregierung und auch wir als Parlament und damit als haushaltsgestaltende und ‑beschließende Kraft haben zwei Stellschrauben, die in dieser Situation bewegt werden können.

Die erste stellt die Schaffung und Sanierung von Wohnheimplätzen durch die Studierendenwerke in Nordrhein-Westfalen dar. Warum ist diese Stellschraube so besonders wichtig? Wohnheimplätze der Studierendenwerke stellen das soziale Korrektiv dar, damit nicht immer mehr Studierenden aus mittleren oder unteren Einkommenssegmenten die freie Wahl eines Studienstandorts schlichtweg aus finanziellen Gründen unmöglich gemacht wird.

Aktuell stehen in Nordrhein-Westfalen 39.000 Wohnheimplätze zur Verfügung. Damit werden zwar weniger als 10 % der wohnungssuchenden Studierenden erreicht, aber für diese liegt die Durchschnittswarmmiete deutlich unter dem marktüblichen Niveau.

Der Bedarf an Wohnheimplätzen ist deutlich höher. So standen allein in Köln im Oktober 2018 mehr als 2.000 Studierende auf der Warteliste des Studierendenwerks. Diese Studierenden konkurrieren auf dem völlig überhitzten Mietmarkt mit weiteren einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern um freie Wohnungen. Ohne diese Wohnheimplätze wäre die Situation noch wesentlich dramatischer.

Dass dieser Bestand dringend angepackt werden muss, ist bekannt. Die rot-grüne Vorgängerregierung hat vor vier Jahren insgesamt 40 Millionen Euro kurzfristig für dringendste Sanierungsmaßnahmen aus Haushaltsmitteln bereitgestellt. Spätestens seit dem Sommer 2018 wissen wir, wie hoch der Sanierungsbedarf im Bestand ist. Die Studierendenwerke haben ihn gegenüber uns Parlamentariern in einer Sitzung des Wissenschaftsausschusses mit insgesamt 350 Millionen Euro beziffert. Für konkrete Neubauprojekte wurden insgesamt 220 Millionen Euro gefordert.

Wir haben den Vorschlag unterbreitet, hierfür ein Programm analog zu dem Programm „Gute Schule 2020“ aufzulegen. Sie haben vor wenigen Monaten beschlossen, diesem pragmatischen Vorschlag nicht zu folgen und zunächst gutachterlich tätig zu werden. Sie tun das, obwohl Sie wissen, dass Planungsreife die Voraussetzung für die Beantragung einer Förderung durch das Programm „Gute Schule 2020“ war und die Studierendenwerke eine entsprechende Finanzierung ausdrücklich begrüßt haben.

Ich konstatiere: Sie werden Ihrer Verantwortung schlichtweg nicht gerecht.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Antwort an die jungen Menschen in diesem Land ist, dass Sie für die Studierendenwerke auch in den Haushalt 2020, Ihren dritten Haushalt, keinen Cent für Sanierung oder Neubau eingestellt haben. Damit wird auch im nächsten Jahr absolut nichts passieren.

Unterstellt man nur die Kostensteigerung durch den Baukostenindex von aktuell im Schnitt mehr als 5 % im Jahr, zeigt sich der gesamte Irrsinn. An dieser Stelle scheint mir wirklich ein Stück weit Realitätsverlust eingetreten zu sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht sollten Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, einen Abend lang auf den von Ihnen geschätzten Kunstgenuss verzichten, die von mir erwähnte Notunterkunft besuchen und das Gespräch mit diesen jungen Menschen suchen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das könnte zu einer Prioritätenverschiebung in Ihrem Haus führen. Lösen Sie endlich die dringendsten Probleme in diesem Land so pragmatisch, wie wir das mit dem Schulmodernisierungsprogramm getan haben, und handeln Sie!

Aber diese Handlungsweise deckt sich mit der generellen Geringschätzung der sozialen Belange der Studierenden, die durch den Umgang mit den Studierendenwerken erkennbar wird.

Herr Ministerpräsident, die Studierendenwerke haben Sie Ende August dieses Jahres angeschrieben und um eine aufgabengerechte Finanzierung nachgesucht. Hintergrund ist, dass diese Landesregierung und die sie tragende Koalition den Studierendenwerken zum dritten Mal hintereinander keine Steigerung ihres Zuschusses zugesteht – drei Nullrunden hintereinander.

Das Schreiben muss man als Hilferuf werden. Ich zitiere hieraus mit Erlaubnis des Präsidenten:

Die Studierendenwerke sehen sich als Dienstleister für weit über 600.000 Studierende in ihrem Zuständigkeitsbereich und als Partner der Hochschulen auf Augenhöhe. Doch dieser positiven und leidenschaftlichen Eigenwahrnehmung tritt zunehmend das Gefühl von fehlender Wertschätzung entgegen. Die Studierendenwerke fühlen sich ein Stück weit im Stich gelassen mit ihren Aufgaben und Herausforderungen. Es stellt sich für viele die Frage, ob das Land seine Landesanstalten von untergeordneter Wichtigkeit betrachtet.

Und weiter:

Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, warum unsere eindeutigen Fakten nicht verstanden werden wollen und stattdessen nur die Hochschulen mit Zuschusssteigerungen bedacht werden. Weder lässt sich für die Studierendenwerke eine Strategie erkennen noch sind sowohl das Haushaltsverfahren als auch die Ergebnisse für die Studierendenwerke transparent.

Herr Ministerpräsident, 2006 hat das erste Kabinett, dem Sie angehört haben, unter Federführung des damaligen Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart den Zuschuss an die Studierendenwerke um 20 % gekürzt. „Maß und Mitte“ sehen jetzt augenscheinlich so aus, dass nun wieder Kürzungen sukzessive über den fehlenden Ausgleich von Preisindexsteigerungen erfolgen.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Dietmar Bell (SPD): Ich komme gleich zum Schluss. – Das ist beschämend und führt zu Steigerungen der Semestergebühren der Studierenden, weil die Studierendenwerke keine andere Chance haben, entsprechende Preissteigerungen zu kompensieren.

So sieht die soziale Verantwortung dieser Landesregierung für die Studierenden in Nordrhein-Westfalen aus, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Zum Schluss: Die zweite Stellschraube, die die Landesregierung hat, ist das Instrument der öffentlichen Wohnraumförderung. Hier konstatieren wir, dass 10 Millionen Euro pro Jahr, nämlich insgesamt 50 Millionen Euro, zur Verfügung stehen. Nach unserer Information beträgt der Abfluss aktuell 40 Millionen Euro, allerdings weit überwiegend an private Investoren, nicht aber an die Studierendenwerke. Damit wird gerade das von mir angesprochene Marktsegment nicht erreicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht! Handeln Sie! Schöne Worte werden die Studierenden in diesem Land nicht mit Wohnplätzen versorgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Petelkau das Wort.

Bernd Petelkau*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als direkt gewählter Abgeordneter von Köln-Lindenthal, dem Wahlbezirk in Köln, in dem die Universität liegt, werde ich regelmäßig auf die schwierige Situation auf dem Kölner Wohnungsmarkt angesprochen.

Deshalb sage ich klar: Ja, in den Universitätsstädten besteht eine erhöhte Nachfrage insbesondere nach gebundenem und preisgedämpftem Wohnraum, die das momentan vorhandene Angebot deutlich übersteigt.

(Zuruf von der SPD: Was ist Ihre Antwort?)

Ist dies eine Entwicklung, die über Nacht gekommen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen? – Nein, es ist das Ergebnis einer über Jahre verfehlten Wohnungspolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und wer hat diese Fehler zu verantworten?

(Zuruf von der SPD: CDU und FDP!)

Es sind die Antragsteller unserer heutigen Aktuellen Stunde.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Es war die SPD-geführte Landesregierung, die von 2012 bis 2017 keinerlei nachhaltige Akzente für den Wohnungsbau in unserem Bundesland gesetzt hat. Das ist doch die Realität. Das ist die Wahrheit, und das muss man hier auch ansprechen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Zehntausende von Wohnungen sind während dieser Zeit aus der Sozialbindung rausgefallen, und Sie haben nicht für Ersatz gesorgt.

Sie haben die Erschließung von Bauland durch eine überbordende Bürokratie nicht nur deutlich verteuert, sondern auch die Erschließungszeit deutlich verlängert. Gleiches gilt für die Baugenehmigungsprozesse. In regelmäßigen Abständen haben Sie immer mehr Bürokratie draufgesattelt.

(Zuruf von der SPD)

In einigen Städten wie in Köln kommt noch hinzu, dass die damaligen SPD-geführten Stadtvorstände ebenfalls nichts unternommen haben, um Prozesse zu beschleunigen. Zu wenig Personal und veraltete Technik kombiniert mit antiquierten Prozessen – das ist Ihre Welt. Da kommen Sie her.

In Köln hat die schwarz-grüne Kooperation zusammen mit unserer Oberbürgermeisterin Henriette Reker diesem Trauerspiel ein Ende bereitet.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Wir haben eine Wohnungsbauoffensive gestartet, über die wir in den nächsten Jahren fast 30.000 neue Wohnungen schaffen werden. Zu nennen sind hier insbesondere unsere Großprojekte Deutzer Hafen, Mülheim-Süd, Rondorf Nord-West, Kreuzfeld und die Parkstadt Süd,

(Zuruf von der SPD)

aber auch die 16.000 Einheiten aus dem Stadtentwicklungskonzept Wohnen, die wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben.

Hinzu kommen Stellenzusetzungen in den betroffenen Ämtern, mehr Geld für die Einbeziehung von externer Expertise, verschlankte Bearbeitungsprozesse und die vom Land – das ist an der Stelle auch besonders wichtig – eingeführte Förderung der elektronischen Bauakte.

(Marc Herter [SPD]: Herr Sieveke würde gerne etwas über Paderborn hören!)

Gerade Letzteres wird zu deutlichem Zeitgewinn fühlen, weil damit endlich die Parallelbearbeitung möglich ist und nicht mehr die sequenzielle stattfindet, die so viel Zeit kostet.

Wir haben in Köln das Kooperative Baulandmodell.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch keine Ratssitzung hier! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU)

Man muss allerdings anerkennen, dass Sie da mitgestimmt haben. Wir haben dafür gesorgt, dass bei allen Bauprojekten ein Drittel, entsprechend dem sozialen Wohnungsbau, einbezogen wird.

(Zurufe von der SPD)

Das sind konkrete Maßnahmen, um den Preisdruck aus dem Markt zu nehmen, und genau das kommt den Studierenden zugute.

(Zurufe von der SPD)

– Vielleicht kann der Herr Präsident netterweise für ein bisschen Ruhe sorgen,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das müssen Sie schon dem Präsidenten überlassen! – Weitere Zurufe von der SPD)

damit auch die Seite der SPD in der Lage ist, die Realität anzuerkennen.

(Zurufe von der SPD)

Wir tun in Köln eine ganze Menge,

(Michael Hübner [SPD]: Das ist keine Ratssitzung! – Zuruf von der SPD: Wir sind nicht der Kölner Rat!)

und das ist in vielen anderen Kommunen genauso. Wir tun einiges, um der Zweckentfremdung entgegenzutreten.

(Unruhe – Glocke)

All diese Themen tragen dazu bei, dass sich die Situation verbessert. Das ist ein Beispiel.

Jetzt kommen wir zur Landesebene.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Sie müssen schon anerkennen, dass Köln als größte Kommune in NRW und größte Universitätsstadt eine besondere Bedeutung für die Behandlung der Problematik hat. Genau das haben Sie vergessen, aber darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Auf der Landesebene hat die CDU-geführte Landesregierung im Jahr 2017 einen Neustart in der Bau- und Wohnungspolitik vollzogen.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist mir aber neu!)

Statt blumiger Sonntagsreden, die von Ihrer Seite so gerne kommen, hat unsere Landesregierung die Rahmenbedingungen für höhere Investitionen in studentisches Wohnen im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung bereits deutlich verbessert. Jedes Jahr stehen 50 Millionen Euro im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung für die Schaffung studentischen Wohnens zur Verfügung. Über dieses Geld können alle Studierendenwerke und privaten Investoren verfügen.

Damit kommen wir zu dem entscheidenden Unterschied. Der Kollege hat gerade das 40-Millionen-Paket für die Sanierung von ausgewählten Studierendenwohnungen angesprochen. Das haben Sie aber auf vier Studierendenwerke begrenzt, und Köln war gar nicht einbezogen.

(Michael Hübner [SPD]: Schon wieder Köln!)

Köln als größte Universitätsstadt war nicht dabei.

Es geht hier um die Sanierung des Bestandes. Das Programm haben wir fortgesetzt, und das ist auch gut so. Aber wir hören damit nicht auf. Auf der Landesebene ist ein weiterer wichtiger Baustein das vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung geschaffene Format des runden Tisches: studentisches Wohnen fördern, Grundstücke mobilisieren, Partnerschaften organisieren.

(Unruhe – Glocke)

Das sind doch die Themen, die wichtig sind. Wir brauchen Bauland. Gerade in den großen Ballungszentren ist das ein knappes Gut. Es liegt ja nicht an der Geldversorgung. Wir haben private Investoren, wir stellen öffentliches Geld zur Verfügung. Das sind die vorhandenen Rahmenbedingungen.

Es fehlt in vielen Fällen an konkretem Bauland, und das gilt es zu mobilisieren: über landeseigene Grundstücke, über die regionale Einbindung. Wenn Sie immer an den kommunalen Grenzen anhalten, werden Sie das Problem nicht lösen. Wir versuchen, das in vielen Teilen Nordrhein-Westfalens umzusetzen.

(Zuruf von der SPD: In Köln!)

Ich habe ein Kölner Beispiel gebracht, das sich auf viele Gemeinden und Universitätsstädte übertragen lässt.

(Michael Hübner [SPD]: Das waren drei Beispiele aus Köln!)

– Wenn Sie die größte Stadt Nordrhein-Westfalens jedes Mal ignorieren,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was ist mit den anderen 395 Städten? Das ist Ignoranz, was Sie machen!)

dann wissen Sie, warum die Situation der SPD in Köln so ist, wie sie aktuell ist.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie – und das ist die Wahrheit – haben jahrelang den Zug verpasst. Jetzt hat er Fahrt aufgenommen. Ich kann nur sagen: Weiter so! Die Landesregierung handelt hier richtig, und diesen Kurs sollten wir fortsetzen.

Sie haben es in diesem Jahr noch nicht einmal geschafft, einen vernünftigen Antrag auf die Reihe zu bringen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Ratsfraktion von Köln!)

Die NRW-Koalition hat zu Beginn des Jahres konkrete Forderungen gestellt. Sie wollen wieder nur darüber reden, ohne konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Auch Ihr Kollege hat das heute Morgen nicht dargelegt.

Deshalb ganz klar: Weiter so! Wir wollen arbeiten. Wenn Sie das Thema verschlafen, ist das Ihr Problem. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Kölle Alaaf!)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun der Abgeordnete Herr Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich sage erst einmal: Herzlich willkommen zurück aus dem Kölner Stadtrat hier im nordrhein-westfälischen Landtag!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, über 100.000 Studierende starten in diesen Tagen in das neue Semester, in ihr neues Studium. Für viele bedeutet das auch, in eine neue Stadt zu ziehen, neue Menschen kennenzulernen, in einen unglaublich prägenden Lebensabschnitt zu starten. Dafür haben sie beste Bedingungen verdient. Die explodierenden Mieten, gerade in den Hochschulstädten, machen ihnen das Leben schwer.

Es fehlen Wohnplätze, es fehlen im Übrigen, Herr Petelkau, natürlich auch in Köln Wohnplätze. Auch wenn Sie jetzt alles so blumig und so toll dargestellt haben, kommen auf 3.000 Wohnheimplätze in Köln 10.000 Bewerberinnen und Bewerber. Sie haben zwar die Kölner Situation sehr hochgehalten, aber auch dort ist nicht alles super. Tun Sie nicht so, als wäre das Problem in Köln erledigt. Das gibt es in Köln, das gibt es in Aachen. Da warten zu Semesterbeginn noch 5.000 Studierende auf einen Wohnheimplatz.

Manche Wohnheime sind so kaputt, dass ihnen die Schließung droht. Immer weniger Studierende können sich noch private Wohnungen in der Nähe der Hochschulen leisten.

Die Studierendenzahlen steigen. Das ist gut so, aber damit erhöht sich natürlich die Zahl derjenigen, die eine Wohnung benötigen. In diesem Semester haben wir mehr als 770.000 Studierende in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein neuer Rekord. In Wuppertal gibt es nur für 4,6 % der Studierenden einen öffentlich geförderten Wohnplatz. Selbst beim Bestplatzierten, in Bochum, sind es lediglich 8,7 %. Da haben wir dringenden Handlungsbedarf. Dann hilft es nichts, wenn Sie das hier im Landtag ignorieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Zahlen, diese Daten, die ich gerade vorgetragen habe, meine Damen und Herren insbesondere von der Landesregierung, müssten Sie doch in höchste Alarmstimmung versetzen. Die Lage ist dramatisch. Die Hilferufe werden immer lauter. Aber was sehen wir? – CDU und FDP schieben das Problem vor sich her. Sie schreiben Anträge, die voll von Prüfaufträgen sind. Das, was Sie hier beschlossen haben, enthielt noch keine konkreten Maßnahmen, es ist einfach eine Ansammlung von Prüfaufträgen gewesen.

Auch Frau Scharrenbach, die sonst eigentlich nie um eine forsche Antwort verlegen ist, hat runde Tische organisiert. Runde Tische? – Da war doch was, Herr Ministerpräsident. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie Sie hier an diesem Pult gestanden und angekündigt haben, dass es, wenn Sie erst regieren, keine runden Tische, kein Blabla mehr geben wird. Was ist die Antwort? – Ein runder Tisch mit viel Blabla. Denn diese runden Tische haben das Problem des studentischen Wohnens nicht gelöst. Genauso wie beim Hochschulgesetz haben Sie sich auch in diesem Fall kaum für die Probleme der Studierenden interessiert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Rechnung ohne Frau Scharrenbach gemacht!)

Wir haben doch kein Erkenntnisproblem im Land. Die Studierendenwerke haben die Zahlen vorgelegt. Sie haben ausgeführt, dass es einen Sanierungsstau in Höhe von 350 Millionen Euro gibt und einen konkreten Bedarf von 213 Millionen Euro für Neubauten bis zum Jahr 2020.

Schwarz-Gelb wischt diesen Hilferuf einfach so weg, formuliert Prüfaufträge und hält blumige Reden, aber es kommt nichts Konkretes an. Die Studierendenwerke – Sie haben es eben schon angedeutet – haben klar zum Ausdruck gebracht, dass all die Kredit- und Zuschussprogramme nicht helfen, sondern sie brauchen konkrete Zuschüsse. Mit den Kreditprogrammen, auf die Sie in Ihren Reden sicherlich verweisen werden, kommen sie nicht weiter. Sie brauchen tatsächliche Hilfe und keine netten Ankündigungen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Landesregierung hat nicht die Absicht, den Sanierungsstau ordentlich abzuarbeiten. Sie wollen nur da etwas machen, wo es absolut notwendig ist. Bei diesem Thema setzen Sie einfach die falschen Prioritäten.

Wir haben Zeiten höchster Steuereinnahmen. Wir haben Möglichkeiten, jetzt endlich mal in wichtige Infrastruktur zu investieren. Was machen Sie? Sie sanieren Ihren Haushalt auf Kosten der Studierenden.

(Zuruf: Unglaublich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben in dieser Debatte unsere Forderungen immer wieder klar auf den Tisch gelegt.

Wir brauchen natürlich ein höheres BAföG, das zum Leben reicht und das auch zum Wohnen reicht. Immerhin reicht die Wohnkostenpauschale aus dem BAföG jetzt aus, damit sich förderberechtigte Studierende einen Studierendenwohnheimplatz auch in Bonn oder Paderborn leisten können; da sind es im Durchschnitt 295 Euro Miete.

Aber das wäre natürlich nur dann ausreichend, wenn es auch tatsächlich für alle Studierenden einen Wohnheimplatz bei den Studierendenwerken gäbe. Da sind wir eben nicht.

Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Haus immer wieder über konkrete Forderungen sowohl aus der SPD-Fraktion als auch aus unserer Fraktion diskutiert. Von Ihnen kommt eine große Bewunderung für das Problem, aber keine Zustimmung zu den Lösungen.

Es wäre doch einfach: Es wäre möglich, ein Bündnis für studentisches Wohnen mit allen Akteuren aus der öffentlichen und aus der privaten Wohnungswirtschaft, von den Studierendenwerken und von den Kommunen zu schaffen.

Es wäre möglich, die Planung und Genehmigung zu vereinfachen. Es wäre natürlich in dieser Zeit auch möglich, ein Sofortprogramm zum Bau von neuen Wohnheimen und zur Sanierung von bestehenden Wohnheimen aufzulegen, und zwar mit echtem Geld und mit echten Zuschüssen hinterlegt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bisher lässt die Landesregierung die Studierenden in dieser angespannten Lage sitzen. Auch die Studierendenwerke bekommen von Ihnen erneut nicht mehr Geld. Aber sie brauchen unsere Unterstützung, wenn sie ihrem sozialen Auftrag nachkommen sollen.

Auch an dieser Stelle wird wieder der Landeshaushalt auf Kosten der Studierendenwerke, auf Kosten der Studierenden saniert, denn die Studierenden zahlen doch diese Politik mit höheren Sozialbeiträgen. Auch das haben wir Ihnen schon oft genug in diesem Haus dargelegt.

Meine Damen und Herren, die Not ist groß im Land. Ich erwarte von einer Landesregierung, dass sie sich kümmert, dass sie einen Plan macht, dass sie Geld in die Hand nimmt und diesen Plan dann umsetzt. Das nennt man übrigens regieren.

Aber diese Landesregierung hat keinen Plan. Sie hat kein Interesse an den Belangen der Studierenden, und sie hat keine Lust, etwas zu verändern. Sie sind das Problem in diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Herr Paul.

Stephen Paul (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist das hier für ein Theaterdonner heute Morgen? Wir haben ja gedacht, Fake News kommen nur von einer politischen Seite.

(Helmut Seifen [AfD]: Na, na, na, na! – Zurufe)

Aber was hier von roten und grünen Abgeordneten heute Morgen dargeboten wird,

(Marc Herter [SPD]: Hilflosigkeit! Nur Hilflosigkeit!)

ist blanker Populismus, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Ob das die Studierenden auch so sehen? – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Der Kollege Bell hat eben polemisch die Frage gestellt:

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

In was für einem Land leben wir eigentlich?

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Ja, lieber Kollege Bell, wir leben in einem Land, das über Jahre und Jahrzehnte maßgeblich von Ihrer Partei regiert wurde,

(Michael Hübner [SPD]: Wie hilflos muss man sein, Herr Paul? – Wolfgang Jörg [SPD]: Die FDP war übrigens immer dabei!)

in einem Land, in dem viele Studierendenwohnheime über diese Jahre und Jahrzehnte verkommen sind und in dem es heute tatsächlich einen großen Bedarf gibt,

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

diese Wohnheime zu erneuern und wieder in Schuss zu bringen.

(Karl Schultheis [SPD]: Sie wollten die Studierendenwerke doch aufgeben!)

In so einem Land leben wir.

(Zuruf)

– Ja, genau.

Der Kollege Matthi Bolte und ich sind uns regional verbunden. Sein Wortbeitrag gipfelte dann in der Behauptung, wir seien das Problem.

Das alles macht doch nur deutlich, dass es gar nicht um die Problembewältigung geht, sondern um die Diffamierung einer Mehrheit der Abgeordneten hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP – Zurufe)

Der Kollege Bell hat, um noch mal auf den ersten Wortbeitrag zurückzukommen, gesagt, man habe 40 Millionen Euro bereitgestellt. Lieber Kollege Bell, diese Mehrheit des Landtages stellt jährlich über 40 Millionen Euro, nämlich aktuell 50 Millionen Euro bereit. Das war keine Heldentat.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Deswegen ist doch der Sanierungsstau auch so groß,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bei den Steuermehreinnahmen ist das keine Heldentat!)

weil Sie jahre‑ und jahrzehntelang gepatzt haben.

(Beifall von der FDP)

Sie beschreiben doch einen Missstand, den Sie selbst verursacht haben,

(Michael Hübner [SPD]: Aha!)

und diffamieren dann eine Mehrheit hier im Haus. Deswegen habe ich die Sorge, dass wir auch eine sachliche Beratung dieses Anliegens kaum auf diese Weise erreichen werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das beweisen Sie ja gerade!)

Man muss auch mal dazu sagen, dass die Plätze in den Wohnheimen der Studierendenwerke deutlich weniger Studenten eine Unterkunft bieten als die vielen, vielen privaten Vermieter,

(Sarah Philipp [SPD]: Deshalb braucht man sie trotzdem!)

die auf dem freien Wohnungsmarkt der Mehrheit der Studierenden, die eine Wohnung suchen, ein Obdach bieten.

Deswegen ist es so wichtig, sich hier nicht nur einseitig auf die Wohnheime zu fokussieren, die die Studierendenwerke unterhalten, sondern insgesamt in Nordrhein-Westfalen ein gesellschaftliches Klima dafür zu schaffen, in den Wohnungsbau zu investieren und die Wohnungsbestände zu erneuern. Dazu tragen Sie überhaupt nicht bei.

Diskussionen über einen Mietendeckel, wie sie Ihre Partei in die Öffentlichkeit trägt, Aussagen, dass man sich Enteignungen vorstellen kann, die ganze Enteignungsdebatte, die Kürzung der Modernisierungsumlage: Alles, was maßgeblich von Ihnen im Deutschen Bundestag und auch hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen gefordert und beschlossen wird, trägt dazu bei, dass das Bauen und Vermieten irgendwann nicht mehr bezahlbar ist, um es mal zu sagen.

Es ist gerade für wohnungssuchende Studentinnen und Studenten ganz wichtig, dass nicht nur das Mieten bezahlbar bleibt, sondern auch das Vermieten und das Bauen in unserem Land noch bezahlbar bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Marc Herter [SPD]: Das hat man Ihnen auf der EXPO REAL erzählt? Das kann ich nicht glauben!)

Da setzen wir die richtigen Initiativen und haben schon einiges in Nordrhein-Westfalen mit unserem neuen, modernen Baurecht und mit der Baukostensenkungskommission erreicht.

(Michael Hübner [SPD]: Ach du Scheiße! Da sagen Ihnen die kommunalen Spitzenverbände aber gerade was anderes!)

Die Akteure am Wohnungsmarkt – zum Glück nicht Sie; wir alle nicht als Fraktion –

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

sitzen dort zusammen und erarbeiten Impulse für die Dämpfung des Anstiegs der Baukosten.

Wir dürfen auch davon ausgehen, dass die von Ihnen hier immer so diffamierte Förderung von Wohneigentum, dass man also Familien in Wohneigentum bringt, …

(Marc Herter [SPD]: Studentenwerk! – Wolfgang Jörg [SPD]: Jedem Studenten seine eigene Wohnung!)

– Was meinen Sie? Der Niedergang Ihrer Partei – das muss man doch mal sagen – hat doch auch damit zu tun, dass Sie an weiten Kreisen Ihrer früheren Wählerschaft vorbei Politik machen, indem Sie zum Beispiel die Förderung von Wohneigentum hier in Nordrhein-Westfalen diffamieren und immer wieder in Plenarreden dagegenreden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Damit ist nicht nur vielen Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft geholfen, endlich in die eigenen vier Wände zu kommen.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] – Marlies Stotz [SPD]: Reden Sie doch mal zum Thema! – Unruhe – Glocke)

Um diese Aufsteigerlebensgeschichten, die Sie heute doch gar nicht mehr erzählen, kümmert sich längst die NRW-Koalition von Christdemokraten und Freien Demokraten, dass man es noch zu etwas bringen kann in unserem Land.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Damit ist auch den wohnungssuchenden Mieterinnen und Mietern nicht geholfen, denn wenn Menschen in Wohneigentum ziehen,

(Marc Herter [SPD]: Thema!)

werden dringend gesuchte Mietwohnungen frei, auch für Studentinnen und Studenten.

(Michael Hübner [SPD]: Wohnungen für Studenten! – Weitere Zurufe)

Wenn Sie dann noch mal an meine Bemerkung eben denken.

(Anhaltende Unruhe)

 – Was ist das für eine Unruhe? Eine Sachdebatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das nicht mehr.

(Michael Hübner [SPD]: Dann reden Sie doch mal zur Sache! – Weitere Zurufe – Unruhe – Glocke)

Wenn Sie dann daran denken, dass die große Mehrheit der Studierenden darauf angewiesen ist, am freien Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden, müssen doch gerade Sie, die doch hier immer wieder solche Anträge wie heute einbringen und die Aktuelle Stunde beantragen, dafür sorgen, dass der Mietwohnungsmarkt wieder in Gang kommt und das Klima in unserer Gesellschaft für Vermieten und für Bauen wieder besser wird.

Meine Damen und Herren, gerade wenn es um studentisches Wohnen geht, ist der Flächenmangel auch ganz zentral und ein Schlüssel zur Lösung des Problems. Deswegen sind diese runden Tische nicht irgendwelche netten Kaffeerunden,

(Michael Hübner [SPD]: Wenn jetzt der Landesentwicklungsplan noch kommt!)

sondern ein ganz wichtiges Forum, eine ganz wichtige Möglichkeit, sich zu vereinbaren, wie wir in den Universitätsstädten an Flächen kommen, an den Hochschulen selbst, aber auch im unmittelbaren Umfeld, um in Köln, Bonn, Aachen und jetzt auch in Bielefeld Flächen für den erforderlichen Wohnungsbau zu schaffen.

(Michael Hübner [SPD]: Flächen zu schaffen?)

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Herr Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was die SPD bewogen hat, das Thema fehlenden studentischen Wohnraums auf die Tagesordnung der Aktuellen Stunde zu setzen, ist schwer nachzuvollziehen.

Der Termin für das Wintersemester muss überraschend kurzfristig festgesetzt worden sein. Das Wintersemester hat tatsächlich soeben begonnen, und alle Jahre wieder entdecken die Parteien, die seit Jahrzehnten Verantwortung in diesem Land tragen, dass sie allesamt in der Vergangenheit dieser Verantwortung eben nicht gerecht geworden sind.

(Beifall von der AfD)

Dasselbe Wehklagen ob fehlenden bezahlbaren Wohnraums wie stets und regelmäßig seit Jahren zu Herbstbeginn. Dramatische Wohnsituation zum Semesterstart stellt die SPD fest, ohne sich zu bemühen, wenigstens ein einziges Beispiel aus den großen Schwarmstadt-Universitäten zu benennen.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Wo über den bekannten Termin hinaus die besondere Aktualität dieses Themas liegt, erschließt sich uns jedenfalls nicht. Dieses Problem hat bereits eine sehr lange und – das müssen wir sagen – sehr ungute Tradition.

(Marc Herter [SPD]: In Ihrer Person!)

In Ihren Ausführungen zur Begründung der Aktuellen Stunde legen Sie dar, dass nur 6,5 % der Studenten einen Wohnheimplatz erhalten und in der Stadt Düsseldorf für 57.000 Studenten nur 4.300 Wohnheimplätze zur Verfügung stehen. Da kann ich nur sagen, dass dieser Mangel doch wohl durch langfristige Versäumnisse zustande gekommen ist, denn Wohnheimplätze schafft man ja nicht mal eben so in ein paar Monaten.

Kurzum: Die Schwierigkeiten sind seit Jahren bekannt. Aber schlimmer noch: Sie sind von Ihnen selbst verursacht. Wir verstehen gerade nicht, dass für Sie, die Kollegen und Kolleginnen der SPD-Fraktion, das Thema in den langen Jahren Ihrer Regierungszeit offenkundig weitaus weniger Aktualität, geschweige denn unmittelbare Priorität hatte, als Sie es uns heute weismachen wollen.

Wäre dies anders, hätten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung mehr als nur einmal jedwede Gelegenheit gehabt, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Stattdessen stellen wir fest: Fehlanzeige.

Inflationsbereinigt und unter Berücksichtigung der tariflichen Steigerungen im öffentlichen Dienst fehlen seit den 2000er-Jahren den Studierendenwerken schätzungsweise über 50 Millionen Euro.

Angesichts dieser fatalen Kürzungen werden Sie bald jedes Jahr im Oktober zu Beginn des Wintersemesters rituell Ihre Krokodilstränen vergießen, in der Opposition jammern, in der Regierung die Hände in den Schoß legen, wegschauen, und wenn gehandelt wird, die Dinge auch noch schlimmer machen, als sie ehedem schon gewesen sind. Das ist genau der Politikansatz der SPD.

(Beifall von der AfD)

Das ist Ihre Bilanz im Hinblick auf das von Ihnen nunmehr entdeckte Problem. Da wundert es wirklich niemanden mehr, dass sich die Wähler in Scharen von Ihnen abwenden.

Bei nüchterner Betrachtung müssen wir feststellen, dass die Studierendenwerke seit 1994 bis heute insgesamt die 15. Nullrunde in ihrer Grundfinanzierung hinnehmen mussten.

2006, in der Regierungszeit der ersten schwarz-gelben Koalition seit langer Zeit – da müssen Sie auch mal zuhören –, gab es gar eine 20%ige Kürzung, die von den Altparteien – Stand heute – eben auch noch nicht vollständig ausgeglichen worden ist, obgleich Sie hier bereits eine Anhörung bzw. ein Expertengespräch zu diesem Thema durchgeführt haben.

Aber die Ergebnisse solcher Expertengespräche werden von Ihnen ja nur sehr selten berücksichtigt – es sei denn, man bläst in Ihr Horn.

So verwundert es auch nicht, dass Sie unsere Lösungsvorschläge noch in diesem Sommer wieder einmal in den Wind geschlagen haben. Wenn Sie dabei wenigstens ein einziges gutes Argument gehabt hätten. Aber es genügt Ihnen – so festgefahren sind Sie in Ritualen – wahrzunehmen, dass es die AfD ist, die etwas vorschlägt, um es dann prompt abzulehnen, auch ohne Begründung.

Wenn Sie einen besseren Vorschlag hätten, als eine Entzerrung am Wohnungsmarkt durch eine allmähliche Verlagerung der Lehreinrichtungen in weniger belastete Regionen vorzunehmen, wären wir gespannt auf Ihre Vorschläge.

Aber Sie haben keine Vorschläge. Sie sind ratlos und wollen jetzt die Regierung vor sich her treiben für ein Versäumnis, das Sie selbst in erster Linie zu verantworten haben.

(Beifall von der AfD)

Entweder haben Sie in der Vergangenheit unverantwortlich gehandelt und einfach nicht Ihre Pflicht erfüllt, oder Sie sind vielleicht von anderen Voraussetzungen ausgegangen. Ich tippe mal auf Letzteres, denn so viel Verantwortungslosigkeit traue ich Ihnen dann doch nicht zu.

Was ich Ihnen aber ankreide, ist die Blindheit für größere Zusammenhänge, denn die fehlenden und sanierungsbedürftigen Studentenwohnheime sind in Verhältnissen, wie wir sie noch vor 15 Jahren kannten, überhaupt nicht das Problem gewesen.

Studenten wohnen immer noch überwiegend zu Hause bei den Eltern, in Wohngemeinschaften oder alleine bzw. mit einem Partner in einer Mietwohnung. Studentenwohnheime werden von rund 10 % der Studenten genutzt.

Es sind vor allen Dingen zwei andere Entwicklungen, die von Ihnen massiv befördert worden sind und nun zu diesen bedrohlichen Zuständen geführt haben. Zu diesen beiden Entwicklungen möchte ich gerne im zweiten Teil etwas sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun die Ministerin Frau Pfeiffer-Poensgen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen*), Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema „studentisches Wohnen“ in Nordrhein-Westfalen wurde hier aus gutem Grund schon vielfach behandelt.

Gerade jetzt zu Beginn des Wintersemesters wird wieder deutlich: Die Studierenden sind eine derjenigen Gruppen, die unter den steigenden Mietpreisen in den großen Städten und an den nachgefragten Hochschulstandorten besonders leiden.

Uns alle beschäftigt daher die Frage, wie wir den Studierenden eben diesen ausreichenden, bezahlbaren Wohnraum anbieten können. Das betrachte ich jetzt einmal etwas weniger holzschnittartig, als es vielleicht in der Antragsbegründung vorgetragen wurde.

Die von Ihnen zitierte aktuelle Studie des Moses Mendelssohn Instituts zeigt, an welchen der 98 deutschlandweit untersuchten Hochschulstandorten der studentische Wohnungsmarkt besonders angespannt ist.

Die Analyse zeigt allerdings auch, wo nach einem anfänglichen Wohnraummangel zum Start des Semesters vielfach genügend bezahlbarer Wohnraum für Studierende zur Verfügung gestellt werden kann. Die Bettenlager am Beginn eines Wintersemesters – das wissen Sie alle; da müssen wir auch einmal ehrlich sein – gibt es nicht erst seit diesem Semester.

Das Moses Mendelssohn Institut analysiert seit einigen Jahren im Auftrag eines Immobilienentwicklers den Markt an allen deutschen Hochschulstandorten mit mehr als 5.000 Studierenden.

Der Immobilienentwickler ist deutschlandweit von der Akquise bis zum Investment im Bereich des privaten studentischen Wohnens aktiv. Ich sage das ein bisschen ausführlicher, damit man auch den Hintergrund dieser Studie, die Sie zitieren, kennt.

Der vorliegende Antrag bezieht sich auf die studentische Wohnsituation in Düsseldorf. Dies ist aus Sicht der Landesregierung ein wenig kurz gegriffen.

Unser Ziel ist es, an allen insgesamt 70 Hochschulstandorten im Land ein attraktives Studienangebot bereitzustellen. Dazu gehört eben auch und natürlich bezahlbarer und hochschulnaher Wohnraum für Studierende an allen Standorten.

Es freut mich umso mehr, dass im Vergleich zu anderen Bundesländern die Anspannung des studentischen Wohnungsmarktes in den nordrhein-westfälischen Hochschulstädten gemäß der von Ihnen zitierten Studie „Studentisches Wohnen – Hochschulstädtescoring 2019“ insgesamt leicht rückläufig ist.

Selbst in einigen Universitätsstädten attestiert die Untersuchung bezahlbaren studentischen Wohnraum innerhalb der aktuellen BAföG-Wohnkostenpauschale in Höhe von 325 Euro. Allerdings sind die Hochschulstandorte Köln, Düsseldorf, Bonn und Aachen dennoch weiterhin unter den Top 20 der angespanntesten Wohnungsmärkte.

Nebenbei bemerkt: Es wird gerade – das ist Ihnen vielleicht nicht entgangen – in Bonn ein Wohnheim mit 321 Plätzen den Studierenden frisch saniert zur Verfügung gestellt wird. Das ist das Wohnheim Pariser Straße, falls Sie es nachlesen wollen.

Mit den angespannten Situationen in diesen von mir genannten Städten müssen wir uns natürlich ganz besonders beschäftigen. Das Land Nordrhein-Westfalen – das ist hier schon erwähnt worden – fördert im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung mit verschiedenen Maßnahmen die Schaffung solchen Wohnraums. Ich denke, darauf wird meine Kollegin, Ministerin Scharrenbach, gleich noch ausführlicher eingehen.

Die Landesregierung fördert die Studierendenwerke Nordrhein-Westfalens und damit auch das studentische Wohnen im großen Umfang. Die Studierendenwerke in Nordrhein-Westfalen finanzieren sich, wie Sie wissen, vor allen Dingen aus den Sozialbeiträgen, den Umsätzen der Hochschulgastronomie und einem Landeszuschuss, der seit Jahren, round about, 10 % beträgt.

Im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben wirtschaften die Studierendenwerke als Anstalten des öffentlichen Rechts in eigener Verantwortung; auch das gehört sozusagen zu dem Tableau dazu.

Ziel der Landesregierung ist es, die notwendige Finanzierung der Studierendenwerke nachhaltig sicherzustellen, damit diese ihren Aufgaben eben auch im Bereich der Wohnraumversorgung nachkommen können.

Angesichts der Kostensteigerung, insbesondere im Personalbereich, hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Vorsorge für einen erhöhten Zuschussbedarf in der mittelfristigen Finanzplanung getroffen. Auch das haben Sie gesehen, wenn auch nicht erwähnt.

Ab dem Haushaltsjahr 2021 wird der allgemeine Zuschuss an die Studierendenwerke um 4 Millionen Euro auf 44,5 Millionen Euro erhöht werden. Das ist immerhin mal ein Einstieg; den hat es lange nicht gegeben. Auch da sollten Sie Ihre Erinnerungen mal strapazieren.

Es ist dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft ein Anliegen, die notwendige Finanzierung der Studierendenwerke nachhaltig sicherzustellen. Daran werden wir natürlich weiter arbeiten.

Vor dem Hintergrund, dass viele von den Studierendenwerken betriebene Wohnheime aus der Zeit des großen Hochschulaufbaus in den 60er‑ und 70er-Jahren stammen, ist über die Jahre zudem ein sehr großer Sanierungsbedarf zutage getreten und hat sich leider auch angestaut – eben schon seit Jahren.

Die Pflege der Wohnheime liegt grundsätzlich in der Verantwortung der Studierendenwerke. Sie treffen Vorsorgemaßnahmen, zum Beispiel auch durch die Bildung von Bauerhaltungsrückstellungen.

An besonders nachgefragten Hochschulstandorten bzw. dort, wo der Wohnungsmarkt sehr angespannt ist – ich nannte die vier Städte –, war es den Studierendenwerken allerdings in den letzten Jahren oftmals nicht möglich, gleichzeitig neue Wohnheimplätze zu schaffen und Sanierungen im großen Umfang zu realisieren.

Deswegen stellte das Ministerium seit dem Haushaltsjahr 2016 als Sofortmaßnahme 40 Millionen Euro aus den Hochschulpaktmitteln zur Verfügung. Diese Mittel werden für Sanierungs‑ und Modernisierungsbedarfe an Hochschulstandorten mit besonders dringendem Bedarf verwendet.

Wir werden diesen eingeschlagenen Kurs fortsetzen und die bestehende Förderung für das studentische Wohnen und die Studierendenwerke mit den bereits beschriebenen Maßnahmen weiter ausbauen.

Herr Bell, noch einige kleine Anmerkung zum Schluss: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Das täte Ihnen vielleicht auch ganz gut. Ich könnte Ihnen bezüglich Wuppertal, übrigens auch an der Wuppertaler Uni, ein paar gute Tipps geben. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Ich glaube, das braucht Herr Bell gar nicht!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD spricht Herr Abgeordneter Ott.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Studenten, festzuhalten ist: Die SPD will euch endlich eure Eigentumswohnungen nehmen.

Liebe Wohnungssuchende, Sie konnten die Kapellmeister der Titanic hören, die immer dazu aufrufen, weiterzuspielen und so zu tun, als ob nichts wäre.

Es war wirklich eine bemerkenswerte Vorstellung der Koalitionsfraktionen, und die einschläfernde Rede der Ministerin hat das Ganze noch getoppt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Rechnerisch kommen nur 6,5 % der Studierenden in NRW in einem Studentenwohnheim unter; so sagt es der Wohnungsmarktbericht der NRW.BANK. Das bedeutet, dass der wesentliche Teil unserer Studentinnen und Studenten auf dem freien Wohnungsmarkt um preisgünstige Wohnungen konkurrieren muss.

Der studentische Wohnungsmarkt setzt sich neben Wohnheimplätzen aus kleinen Wohnungen und Angeboten für WG-Zimmer zusammen. Vergleicht man die Wohnkostenindikatoren für die Universitätsstädte, zeigt sich, dass die Dynamik in beiden Bereichen stark ist.

Seit 2012 ist ein Preisanstieg von 17 bis 30 % zu verzeichnen. WG-Zimmer für 20 Euro den Quadratmeter sind keine Seltenheit mehr, aber auch in nicht teuren Unistädten sind 16 bis 18 Euro an der Tagesordnung. Die Anzahl der Inserate geht zurück; auch das ist ein klares Anzeichen von Angebotsmangel.

Mehr als 50 % aller Studierenden eines Jahrgangs studieren an den sechs Standorten Köln, Münster, Bochum, Aachen, Dortmund und Düsseldorf. Darunter sind mindestens vier Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt. Zum Beispiel auch in Bochum wird der Wohnungsmarkt von Studierenden maßgeblich geprägt.

Spätestens hier muss doch die Virulenz des Problems deutlich werden. Spätestens hier ist auch klar, dass Studierende in Nordrhein-Westfalen jenseits von Studiengebühren trotzdem noch ein Auswahlverfahren nach dem Geldbeutel durchlaufen müssen. Oder anders gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Auf diesen angespannten Wohnungsmärkten haben Studierende aus weniger finanzkräftigen Familien zunehmend Schwierigkeiten, wenn sie keinen geförderten Wohnheimplatz bekommen“,

so die NRW.BANK in ihrem Wohnungsmarktbericht NRW 2018.

(Sarah Philipp [SPD]: Aha!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein bildungs‑ und ein sozialpolitisch unhaltbarer Zustand.

(Beifall von der SPD und Norwich Rüße [GRÜNE])

Angesichts dieser Situation ist nun eines gefragt: ein beherztes Handeln der Landesregierung. Aber hier ruht der See sehr still, denn der Verweis auf die Fördermittel aus dem Wohnraumförderprogramm der NRW.BANK hilft wenig.

Studentisches Wohnen ist da zwar mit 50 Millionen Euro verewigt, aber die Erfahrung zeigt, dass diese Mittel nur unbefriedigend abgerufen werden. In der Expertenanhörung, die wir bereits am 5. April 2019 durchgeführt haben, ist deutlich geworden, dass Studierendenwerke die Mittel überhaupt nicht abrufen, sondern überwiegend private Investoren dies tun.

Damit haben wir auch gar kein Problem, dass private Investoren auch geförderten Wohnungsbau machen – im Gegenteil: Wir konnten uns auf der EXPO davon überzeugen, wie viele sehr gute Projekte machen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Aber das alleine ist eben zu wenig. Unsere Studierendenwerke sind überfordert. Sie können und wollen keine Kreditnehmer werden. Sie haben nicht die finanziellen Mittel, um in die Fördereigenschaft einzusteigen, zum Beispiel was die Eigenanteile angeht.

Schon der Grundstückserwerb ist ein erhebliches Hemmnis. Sie scheuen deshalb das Engagement, weil sie die finanziellen und personellen Ressourcen dafür nicht haben.

Lieber Herr Paul, Sie haben eine sachliche Debatte angemahnt. Sie sehen, das ist ein objektiv sachliches Problem. Da darf die Politik doch nicht weggucken, verdammt noch mal. Das geht doch nicht.

(Beifall von der SPD)

Das ist alles bekannt; deshalb muss hier etwas passieren.

Ich habe meinen Kollegen gesagt: Da seht ihr mal, wie gut ihr es mit mir habt, dass wir keine Stadtratsdebatte machen. – Aber natürlich muss ich auf die Rede des Kollegen Petelkau über Köln eingehen; die ist nämlich ein sehr gutes Beispiel.

(Christian Dahm [SPD]: Endlich!)

– Ja, endlich.

Die Stadt Köln, die wir auf der EXPO erleben konnten, ist, wie wir gestern in den Gesprächen mit deutschlandweit und landesweit ansässigen Wohnungsunternehmen erfahren konnten, die Stadt mit den längsten Zeiten für Baugenehmigungen, ist die Stadt,

(Zuruf von Bernd Petelkau [CDU])

wo es am längsten dauert, eine Wohnraumförderung genehmigt zu bekommen, ist die Stadt, wo viele Investoren offen darauf hinweisen, dass man keine Lust mehr hat, sich zu engagieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Wahlkreis von Herrn Petelkau – das können Sie gerade besichtigen – darf ein Investor 600 Wohnungen bauen, aber in Junkersdorf ist es natürlich nicht möglich, weil es die CDU im eigenen Wahlkreis nicht will. Sich dann so hier hinzustellen, lieber Bernd, ist wirklich unsäglich.

(Beifall von der SPD)

Lernen kann man davon, wie es nicht geht. Wenn eine Stadt oder das Land Flächen für den Wohnungsbau zu viel zu hohen Preisen abgibt – die Stadt Köln verlangt weit über 1.000 Euro den Quadratmeter –, wird das nicht gehen.

Dann sind wir bei der Frage, was das Land tun kann. Die sozialdemokratisch geführte Landesregierung hat dem Land die Möglichkeit gegeben, eigene Flächen zur Verfügung zu stellen, um dort preiswerten Wohnraum zu errichten.

Es gibt die Projekte in Dortmund, in Köln, in anderen Städten, wo dies tatsächlich auch geschehen ist, wo preiswertes Studierendenwohnen zum Beispiel in ehemaligen Polizeiwachen entstanden ist. Da könnten Sie weitermachen und beispielsweise dafür sorgen, dass nicht nur die Studierendenwerke, sondern auch andere preiswerten Wohnraum zur Verfügung stellen können.

Deshalb wünsche ich mir ein beherztes Eingreifen und nicht ein Einschlafen am Rednerpult der Landesregierung.

Dazu gehört ein kurzfristig wirksames Förderprogramm für den Bau von Studentenwohnheimen und Studentenwohnungen basierend auf einem seriösen Haushaltstitel. Da sind die 50 Millionen Euro über das Förderprogramm einfach zu wenig.

Wir brauchen endlich ein Förderprogramm, das die Studierendenwerke annehmen können.

Wir brauchen – finanziert aus dem Landeshaushalt, ohne Kreditierung und mit begleitenden Hilfen für die Bauleitplanung – die Beschaffung von Bauland für die Hochschulen.

Darüber hinaus brauchen wir einen Blick auf integrierte Lagen in Hochschulnähe: Was können wir da zur Verfügung stellen?

Wir brauchen den Blick auf die gute ÖPNV-Anbindung und müssen dann endlich dafür sorgen, dass nicht vor Ort bei jedem Projekt, das dann gebaut wird, studentische Wohnheime mit dem Hinweis auf die von Studenten zugeparkte Umgebung verhindert werden. Das ist absolut absurd, als wenn die Studenten in großen Massen mit ihren Autos zum Studentenwohnheim fahren würden.

(Zuruf von Guido Déus [CDU])

Wir brauchen den Blick auf die vermehrte Nutzung städtischer Flächen im Erbbaurecht, was ermöglicht, dass die Flächen tatsächlich bezahlbar bleiben.

Wir brauchen den Blick auf die Aktivierung der Flächenreserven der Hochschulen und auch den Blick auf die Potenziale zur Aufstockung im Bestand.

Last but not least wünsche ich mir, dass wir auch damit anfangen, Mischung in Häusern möglich zu machen und gerade in den großen Städten auch Häuser, die höher sind als sechs oder sieben Stockwerke, im Einzelfall fördern, denn studentisches Wohnen zu mischen mit anderen Menschen, die dort wohnen wollen, macht durchaus Sinn. Es ist gar nicht so, dass jeder Student nur in einem Umfeld wohnen will, in dem nur andere Studenten leben, sondern die Mischung macht es auch hier.

Damit komme ich zu einem Beispiel, wie man es machen könnte. Wenn das Land das Justizzentrum in Köln, wie angekündigt, jetzt neu baut, dann haben wir dort ein großes Objekt, in dem man auf gutem Wege in einer überschaubaren Nähe zur Universität Hunderte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterbringen könnte. Wir könnten an der Stelle ein Zeichen setzen. Von der Wissenschaftsministerin habe ich zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Ton dazu gehört.

Lieber Herr Paul, eines müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen: 17 % der Menschen in Deutschland verdienen weniger als 12.000 Euro im Jahr.

Ja, die SPD ist für Eigenheimförderung. Sie hat das Baukindergeld durchgesetzt. Ja, wir sind dafür, dass sich Menschen ein Eigenheim erwerben können, wenn sie das möchten.

Ja, aber auch richtig ist: Die soziale Wohnraumförderung ist der falsche Ort, um das zu tun;

(Beifall von der SPD)

denn in keiner Stadt mit Wohnungsdruck werden diese Mittel überhaupt abgerufen, weil die Menschen davon nicht einmal eine Garage bezahlen könnten. Deshalb ist das eine Fehlallokation von Mitteln über die soziale Wohnraumförderung. Sie fördern da, wo keine Bedarfe sind. Das macht keinen Sinn. Lassen Sie uns zu einer vernünftigen Wohnungspolitik zurückkommen!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Jetzt spricht Herr Déus für die CDU-Fraktion.

Guido Déus (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Studierende! Lieber Herr Ott, erst einmal zu Ihnen: Kompliment! Sie haben hier im Haus einen gewissen Ruf, und Sie haben sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten heute wirklich um ein Stückchen Sachlichkeit bemüht. Aber ich denke, da gibt es noch Luft nach oben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn, Herr Ott, was haben Sie hier zum Besten gegeben? – Die Rede der Ministerin sei einschläfernd gewesen, habe ich mitgeschrieben. Sie haben einigen meiner Kollegen vorgehalten, es ginge nur um Eigentumswohnungen.

Herr Ott, ich sage Ihnen ganz klar: Jede gebaute Wohnung, ob Eigentumswohnung, Eigenheim, Mehrfamilienhaus, Geschosswohnung, jede Wohnung nimmt Druck vom Markt und kommt damit nachher auch Studenten zugute.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Dann baut doch! Dann baut doch! Dann macht es doch!)

Meine Kollegen haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass heute hier auch die Frage zu stellen ist, warum wir in Nordrhein-Westfalen so viel sanierungsbedürftige Studentenwohnheime haben. Das ist Ihre Hinterlassenschaft, Ihre Altlast, die wir begonnen haben, hier aufzuräumen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Was machen Sie jetzt?)

Herr Bolte-Richter, selbstverständlich braucht NRW bestmögliche Rahmenbedingungen, für die Bereiche Aus- und Weiterbildung übrigens auch, für Studium, Forschung und Lehre. Dazu gehört zweifelsohne und unbedingt ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem, preisgebundenem und attraktivem auch studentischem Wohnraum.

Die aktuellen NRW-weiten Studierendenzahlen demonstrieren auf sehr eindrucksvolle Art und Weise, dass die Hochschulen eine sehr erfolgreiche Arbeit leisten. Mit steigender Beliebtheit – das ist unsere gemeinsame Herausforderung – muss das Angebot an bezahlbarem Wohnraum entsprechend steigen.

Gerade angesichts der angespannten Wohnungsmärkte – übrigens noch einmal: in allen Segmenten – vor allem in den großen Universitätsstädten benötigen wir mehr günstigen attraktiven Wohnraum. Das sind allseits bekannte Fakten.

Aber finden diese studentischen Bedürfnisse auch bislang in den örtlichen Diskussionen an den Universitäten statt, wenn hier zum Beispiel der Campusgedanke diskutiert wird? Werden und, wenn ja, wie werden die Studierendenwerke vor Ort hier beteiligt? Ist es dauerhaft Aufgabe des Landes, alle Beteiligten an runde Tische zu holen? Sie haben sich lustig gemacht über runde Tische, sie aber gleichzeitig gefordert.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Dazu kommen wir später! – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Oder: Wie ändern wir vor Ort die Gepflogenheiten? – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Fragen, die uns beschäftigen.

Die hohen Wohnkosten stellen eine große Belastung für die Studierenden in NRW dar. Die zur Verfügung stehenden rund 40.000 Wohnheimplätze durch die Studierendenwerke und die ergänzenden Angebote durch die Privaten decken nicht annähernd die Nachfrage. Das sind allseits bekannte Fakten, nicht erst seit heute.

Was sind denn unsere Hauptprobleme? Was haben uns denn die Anhörungen – wir hatten zwei Anhörungen zu diesem Thema – gesagt? Geht es einzig um fehlende Finanzmittel oder nicht vielmehr um fehlende Grundstücke, davongaloppierende Bauland- und Baupreise, fehlende Ressourcen der Baufirmen, massive Bürgerproteste – das ist eben nur indirekt angeklungen – bei konkreten Bauprojekten oder fehlende Abstimmungsprozesse? Dass genau dies alles der Fall ist, war das Ergebnis der zwei Anhörungen zu diesem Thema.

Es sind komplexe Fragen und Zusammenhänge, die sich nicht einfach mit eingeworfenen dreistelligen Millionenbeträgen wegreden lassen. Ich sage das noch einmal: Jede gebaute Wohnung nimmt Druck vom Markt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihre Mentalität seitens der SPD scheint zu sein, mit nicht vorhandenem Geld alle Probleme lösen zu wollen, und wer die Rechnung zahlt, ist Ihnen völlig egal. Sie wollen einfach alle finanziellen Probleme hier in Nordrhein-Westfalen vergemeinschaften. Das ist Ihr Ansatz. Sie übersehen dabei völlig, dass die Aufsummierung der zu tragenden Lasten sodann ebenso zu ungerechten und für den Einzelnen nicht akzeptablen Mehrbelastungen führt. Das ignorieren Sie völlig. Wer zahlt die Quittung, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD? Eine solche Herangehensweise ist verantwortungslos.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beschäftigen uns lieber kontinuierlich und nachhaltig mit konkreten Problemlösungen.

(Marc Herter [SPD]: Plattitüden!)

Die NRW-Koalition beschäftigt sich mit dem Thema „Bauen und Wohnen“ eben nicht erst seit heute. Das steht ganz oben bei uns auf der Agenda. Das wissen Sie ganz genau. Sie kennen die Diskussionen im Wissenschaftsausschuss. Sie kennen die Diskussionen im Kommunalausschuss. Es vergeht kaum eine Sitzung, in der wir nicht über dieses Thema reden.

(Sarah Philipp [SPD]: Ja, wegen uns!)

Ich erspare mir, noch mal darauf hinzuweisen, wann der Instandhaltungsstau entstanden ist. Sie hatten aber in Ihrer Regierungszeit … – Das ist einer meiner Lieblingssätze; entschuldigen Sie, wenn ich ihn wieder bringe: In 50 Jahren Nordrhein-Westfalen haben Sie 45 Jahre die Verantwortung getragen. Wie ist denn dieser Stau entstanden? Wo kommen die ganzen Missstände denn her – aus zweieinhalb Jahren unserer Regierungszeit?

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Siebeneinhalb!)

Wir haben in unserem Antrag „Studentisches Wohnen für die Zukunft in Nordrhein-Westfalen stärken und Perspektiven entwickeln!“,

(Jochen Ott [SPD]: Mangelhaft!)

auf den von den Kollegen eben schon hingewiesen wurde, bereits im Januar dieses Jahres Lösungsansätze aufgezeigt. Im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung stehen für den studentischen Wohnraum jährlich 50 Millionen Euro zur Verfügung. Das wurde schon gesagt.

Kein gutes Projekt in Nordrhein-Westfalen scheitert derzeit an Geldmangel. Den von Ihnen kritisierten Mittelabfluss haben wir schon erheblich verbessern können.

Die Finanzierung der Studierendenwerke ist von unserer Ministerin schon angesprochen worden: Sozialbeiträge, Umsätze der Hochschulgastronomie und 10 % Landeszuschuss. Sie wissen, dass den Studierendenwerken rund 45 Millionen Euro zur Verfügung stehen; ab dem Haushaltsjahr 2021 10 % mehr. Zudem wurden die Mittel für die BAföG-Bearbeitung erhöht. Für diese Aufgabe steht den Studierendenwerken seit 2018 ebenso 10 % mehr zur Verfügung.

Zudem wird aktuell die finanzielle Ausstattung der Studierendenwerke überprüft. Wir stehen mit diesen in intensivem Dialog. Aus den Gesprächen der runden Tische und den Rückmeldungen wissen wir, dass die Bedarfe vor Ort sehr unterschiedlich sind.

Herr Bolte-Richter, Sie machen sich über die runden Tische lustig, und dann fordern Sie sie?

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE] – Norwich Rüße [GRÜNE]: Nein! Der Ministerpräsident ist es, der sich lustig macht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir prüfen die Möglichkeit der Aktivierung von zusätzlichen Baugrundstücken vor Ort.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die Stichwörter dafür lauten Landesinitiative „Bau.Land.Leben“ und die – man höre – verbilligte Abgabe landeseigener Grundstücke und Gebäude bei Geeignetheit für studentischen Wohnraum.

Sie werfen uns Untätigkeit vor. Mit diesem Vorwurf passiert nur eines: Er fällt auf Sie zurück. Erkennen Sie diese Fakten bitte an und ziehen Sie mit uns an einem Strang – für mehr bezahlbaren studentischen Wohnraum in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Déus. – Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute Morgen haben wir – es tut mir leid, es so bewerten zu müssen – wieder bekannte politische Rituale vor allem von der Regierung und den Regierungsfraktionen erleben müssen: immer dann nämlich, wenn man ein Problem nicht erkennen will, weil man handeln müsste, wenn man es erkennt und dies zugestehen würde.

(Zurufe von Bodo Löttgen [CDU], Henning Rehbaum [CDU] und Stephen Paul [FDP])

– Offensichtlich habe ich den Punkt getroffen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Über die Problemlage, die bekannt ist und in zwei oder drei Zahlen ausgedrückt werden kann, haben Sie in keiner Weise gesprochen. Niemand hat sich auf die Zahlen bezogen, selbst die Ministerin nicht.

(Zuruf von Stephen Paul [FDP])

Es fing mit dem häufig genannten und beliebten Fokus auf die Vergangenheit an – geschenkt. Der zweite Fokus: Wir tun etwas – vor allem in Köln.

(Guido Déus [CDU]: So einfach ist man mit seiner Verantwortung fertig!)

Der dritte Fokus – bei der Ministerin: Das Problem ist nicht so groß. – Sie hat versucht, es wegzureden.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist genau das, was passiert ist. Beziehen Sie sich doch konkret auf die vorliegenden Zahlen!

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Zahlen liegen vor; sie stehen im Raum. Erstens. 350 Millionen Euro Sanierungsbedarf – wie soll der gedeckt werden?

(Guido Déus [CDU]: Ungeprüft!)

Zweitens. 213 Millionen Euro Investitionsbedarf pro Jahr; das haben Ihnen die Studierendenwerke vorgelegt – wie soll das gedeckt werden?

(Bodo Löttgen [CDU]: Seit Mai 2017!)

Drittens. Wie ertüchtigen wir die Akteure vor Ort, insbesondere die Studierendenwerke, die Investitionen zu tätigen? – Auf alle drei Fragen haben Sie keine Antwort gegeben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie ignorieren das Problem; es ist für Sie nicht vorhanden. Das ist angesichts der Problemlage beschämend.

Ich gebe aber zu, dass die Linie, die die Landesregierung ansonsten im Wohnungsmarkt verfolgt – bauen, bauen, bauen –, selbstverständlich unterstützenswert ist. Da, wo wir sie unterstützen können, tun wir das. Das allein reicht aber nicht aus.

(Zuruf von Fabian Schrumpf [CDU])

Herr Paul, um eine Tatsache kommen Sie nicht herum. Sie drücken sich immer davor, darüber zu diskutieren, dass zurzeit im bestehenden Wohnungsmarkt, also bei bestehenden Immobilien, viele Immobilien in den falschen Händen sind.

(Guido Déus [CDU]: Wie meinen Sie das?)

Wir müssen darüber reden, wie das geändert werden kann.

(Guido Déus [CDU]: Was meinen Sie damit?)

– Ja, wir haben an der Stelle ein Auge, das bei Ihnen blind ist.

(Zurufe von Stephen Paul [FDP] und Helmut Seifen [AfD])

Wir haben ein Grundgesetz,

(Bodo Löttgen [CDU]: Genau!)

worin die Sozialpflichtigkeit des Eigentums festgehalten ist. Darüber wollen Sie nicht diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Wenn Sie darüber diskutieren wollten, dann müssten Sie bei der Frage danach, wie eine Grundsteuerreform erfolgen soll, sehr viel eindringlicher auftreten. Da könnten Sie deutliche Signale an den Markt geben, wenn die Frage nach der Spekulationsbegrenzung auch durch eine ordentliche Grundsteuerreform geklärt würde. Da sind Sie nicht handlungsfähig.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Guido Déus [CDU])

Sie könnten darüber hinaus deutliche Signale an den Markt senden, indem Sie die gemeinschaftlichen, genossenschaftlichen Akteure im Markt stärken – aber: keine Signale von dieser Landesregierung.

(Zurufe von Fabian Schrumpf [CDU] und Stephen Paul [FDP])

Wir brauchen endlich einen Altschuldenfonds, insbesondere um die Kommunen wieder in die Lage zu versetzen, Akteur am Grundstücksmarkt sein zu können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen auch noch die Frage vorhalten, was Sie denn auf Bundesebene tun, um beispielsweise im Bereich der Schrottimmobilien voranzukommen. Da müssen Gesetze geändert werden, um die öffentliche Hand zu stärken, um Spekulationen mit solchen Immobilien zu vermeiden und damit auch die kommunale Handlungsfähigkeit zu erweitern.

Nun will ich Ihnen noch drei oder vier Punkte auf Landesebene nennen, an denen deutlich wird, dass Sie das Thema nicht in Gänze angehen. Beispielsweise haben Sie die Mittel für die Sanierung von Brachflächen, von Altlasten zurückgefahren. Wir waren bei 12 Millionen Euro, mittlerweile sind dafür im Haushalt wieder 7 Millionen Euro eingestellt. Sie gehen das Problem nicht an. Wir haben über 80.000 Altlastenverdachtsflächen in diesem Land. Da gäbe es, wenn wir es mit einer konzentrierten Aktion angingen, genug Potenzial, um zusätzliche Flächen zu schaffen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

In der Tat brauchen wir Finanzierungsmodelle – das ist eben schon klar geworden –, um die Akteure vor Ort, insbesondere die Studierendenwerke, zu stärken. Da wäre die NRW.BANK zusammen mit einer Absicherung über den Haushalt hilfreich. Tun Sie das! In der nächsten Haushaltsberatung haben Sie die Chance, genau hier zu agieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Dietmar Bell [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Ott und Herr Remmel, das Problem ist sachlich. Aber Ihre politische Ausschlachtung des sachlichen Problems ist eben geradezu unsachlich.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Was war denn da gerade unsachlich?)

Sie stehlen sich aus der Verantwortung und verschleiern Ihre Blindheit für komplexe Entwicklungen. Sie verleumden uns ja immer und sagen, dass wir die Komplexität vernachlässigten.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Herr Rüße, ich muss schon sagen: Diese Eindimensionalität, mit der dieses Problem von Ihnen betrachtet wird, erschüttert mich doch zutiefst.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Also, mehr Dimensionen als Herr Remmel Ihnen gerade aufgezeigt hat, kann man nicht aufzeigen! Sie hören wohl nicht zu!)

– Sie waren ja vielleicht in den Ausschusssitzungen nicht dabei, aber da wurde ganz klar gesagt: Es geht hier nicht um Geld, sondern es geht um Grundstücke, und es geht um die Vernachlässigung dieses Problems in den letzten 20, 30 Jahren. Und da waren Sie mit an der Regierung. Da kann sich zwar Schwarz-Gelb auch nicht ganz herausreden, aber Sie sind maßgeblich für die jetzige Misere verantwortlich!

Und da muss man auch mal ganz klar die Ursachen nennen. Die blenden Sie natürlich immer wieder aus. Es ist das grundsätzliche Versagen Ihrer Politik, und das will ich Ihnen jetzt darlegen.

(Beifall von der AfD)

Es sind nämlich unabhängig von den Dingen, die hier angeführt werden, zwei komplexe Entwicklungen, die dazu führen, dass die jungen Leute jetzt dastehen und nicht wissen, was sie machen sollen.

Zum einen ist das die unbedingte Werbung für den akademischen Weg durch die Universitäten hindurch. Angestachelt durch die jährlichen OECD-Berichte machten Sie sich die Interpretation zu eigen, dass wir in Deutschland zu wenige Akademiker ausbilden würden. Das ist völlig schwachsinnig, weil die OECD überhaupt nicht unser Ausbildungssystem, unser Studiensystem und das System der dualen Ausbildung berücksichtigt hat.

Und so gingen Sie daran – CDU und FDP übrigens genauso –, die Studentenzahlen drastisch ansteigen zu lassen. Zählten wir in Deutschland im Jahre 2001 noch 1,9 Millionen Studenten, sind es heute 2,8 Millionen, also ca. eine Million Studenten mehr – in ganz Deutschland natürlich. Demgegenüber haben sich die Ausbildungsverhältnisse von 1,7 Millionen Auszubildenden im Jahre 2000 auf 1,3 Millionen im Jahre 2018 verringert.

Das ist eine unglückselige Entwicklung. Die wurde von Ihnen noch dadurch gefördert, dass Sie hier in NRW die Bedingungen für den Hochschulzugang deutlich erleichterten und durch den Leistungsabbau an den einzelnen Schulen das Tor für die Schülerinnen und Schüler öffneten, die dann frustriert ihr Studium abbrechen müssen. Das gilt übrigens auch für so manche Lehre.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Diese Leute sind aber zunächst einmal auf dem Wohnungsmarkt; denn sie stellen erst nach dem dritten oder vierten Semester fest, dass das Studium nichts für sie ist.

Nein, meine Herrschaften von der SPD, der akademische Weg ist für den Einzelnen nicht immer der Königsweg in ein glückliches Leben, und die Über-akademisierung ist kein Qualitätsmerkmal für eine Gesellschaft. Ihre Herabwürdigung nichtakademischer Schul- und Ausbildungswege in der Vergangenheit und die damit verbundene Fehlentwicklung schlägt nun schmerzhaft zurück.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Warum haben Sie eigentlich studiert?)

Die Leittragenden sind jetzt die jungen Leute, die sich durch die überfüllten Seminare und Vorlesungen quälen und nicht wissen, woher sie eine Wohnung bekommen sollen.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Leidtragende sind übrigens auch die Firmen, welche händeringend nach Lehrlingen und Fachkräften suchen. Und leidtragend ist letztlich auch die Gesellschaft, deren wirtschaftlicher Wohlstand abnimmt.

Diese Widersprüchlichkeit in Ihrem Handeln – zum einen die Anzahl der Studenten nach oben treiben, auf der anderen Seite aber die auskömmliche Finanzierung der Studentenwerke hintertreiben; das haben Sie doch gemacht – ist ein Zeichen dafür, wie kurzsichtig, kenntnisfrei und unredlich Ihre Bildungspolitik in den zurückliegenden Jahren gewesen ist.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: „Kenntnisfrei“ – das war ein gutes Stichwort!)

Und nun kommen Sie mit einer Aktuellen Stunde um die Ecke. – Sie müssen Sich nicht wundern, wenn die Menschen Ihnen kein Vertrauen mehr schenken.

(Beifall von der AfD)

Aber nicht nur die Finanzierung günstigen Wohnraums in Studentenwohnheimen beklagen Sie hier laut. Auch die steigenden Mietpreise auf dem freien Wohnungsmarkt beklagen Sie. Auch hier haben Sie die Bedingungen höchstselbst zu verantworten, die Sie hier in gewohnter Eintracht mit CDU und FDP so wohlfeil beklagen. Denn seit der vollständigen Grenzöffnung im Jahr 2015 kamen in kürzester Zeit ca. zwei Millionen Menschen in dieses Land.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Jeder ins Land Geholte beansprucht selbstverständlich Unterbringung, Verpflegung und spätestens mit dem positiven Asylbescheid eine preiswerte Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nichts gelernt?)

Das ist Wohnraum, der dann natürlich fehlt. Wenn Sie meinen, Sie könnten sich dieser simplen Logik durch Beschwören der politischen Korrektheit

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Simpel, ja!)

und dadurch, dass Sie uns als Ausländerfeinde oder Fremdenfeinde diffamieren, entziehen –

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch keine Diffamierung!)

ich weiß, dass Sie das immer tun –, wenn Sie glauben, dass Sie sich diesen Realitäten entziehen können, dann muss man grundsätzlich an Ihrem Realitätssinn zweifeln, wie ich auch immer mehr daran zweifle,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Und das nach Halle!)

dass Sie die Bereitschaft und Befähigung haben,

(Zuruf von Berivan Aymaz [GRÜNE])

zu irgendeiner Lösung von Alltagsproblemen etwas beizutragen.

(Beifall von der AfD)

Sie wollten mit dieser Aktuellen Stunde die Regierung vorführen, aber Sie haben sich damit selbst entlarvt: als eine strukturell unfähige politische Kraft, die restlos abgewirtschaftet hat und ihre politische Existenz nur noch auf Floskeln und Phrasen stützt – und natürlich darauf, die AfD hier im Landtag mit diffamierenden Anschuldigungen und Verleumdungen zu überziehen.

(Karl Schultheis [SPD]: Haben Sie eine akademische Ausbildung?)

– Diese Aktuelle Stunde, Herr Schultheis, war eine glänzende Selbstdemaskierung einer einst stolzen, pragmatischen Arbeiterpartei. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Karl Schultheis [SPD]: Wenig akademische Bildung übrig geblieben!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Jetzt spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Offen gesagt: Das einzige Phrasendreschen, das ich heute gehört habe, kam aus Ihrer Partei bzw. Fraktion, Herr Seifen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wahrscheinlich war das wieder ein Beitrag, mit dem Sie in den sozialen Medien die demokratischen Parteien verhetzen können, wie Sie es so gerne tun.

(Helmut Seifen [AfD]: Ach, Frau Scharrenbach! Das ist doch billig!)

Kommen wir zum Sachverhalt: dem Studierendenwohnen. In der Tat ist das eine Herausforderung, und dazu haben wir uns hier auch schon des Öfteren ausgetauscht.

Wenn Studierende ihre Studientätigkeit in den Städten aufnehmen, die ansonsten auch über angespannte Wohnungsmärkte verfügen – Köln, Bonn, Münster, Aachen und durchaus auch Dortmund und Essen –, treffen sie natürlich auf die gleichen Herausforderungen wie beispielsweise andere Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein: dass zu wenig preisgebundener Wohnraum verfügbar ist und sie deshalb gleichzeitig in Konkurrenz treten. Insbesondere in diesen Städten gibt es natürlich außerdem einen großen Zuzug von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, weil es prosperierende Städte sind.

Das heißt, es kommen mehrere Faktoren zusammen, und vor diesem Hintergrund ist das ohne Frage eine Herausforderung. Das hat auch Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen entsprechend dargestellt.

Aber eines, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir doch miteinander bitte auch wägen: Ein Sanierungsstau entsteht zum einen in der Tat nicht von heute auf morgen. Er entsteht über einen längeren Zeitraum. Ich meine, das dürfen Sie aus Ihren Fraktionen heraus der Wahrheit hinzufügen.

Zum anderen sind die Studierendenwerke gesetzlich dazu verpflichtet, die wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen, die sie haben, zu unterhalten. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Sie können dem entsprechenden Gesetz entnehmen, woher letztendlich die Deckung zu kommen hat; beispielsweise aus den Einnahmen der Wohnheime, wofür eine allgemeine Rücklage zu bilden ist, weil natürlich auch für Eigentümerinnen und Eigentümer von Studierendenwohnheimen gilt, dass sie die Verpflichtung haben, für Instandhaltung und Erhaltung dieser Wohnheime zu sorgen. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Landesregierung sehr dezidiert mit der Situation der Studierendenwerke auseinander.

Sie vermischen in der heutigen Debatte zwei Sachverhalte, nämlich auf der einen Seite die Grundfinanzierung der Studierendenwerke und auf der anderen Seite die Zuständigkeiten im Bereich der Immobilienbewirtschaftung. Das weise ich zum einen schon deshalb zurück, weil diese Vermischung nicht richtig ist, da es hier eine klare Trennung im Gesetz gibt.

Hinzu kommt, dass Studierende nicht nur in Studierendenwohnheim wohnen. Es gibt auch Studierende, die wollen überhaupt nicht in Wohnheimen wohnen. Insofern ist der gesamte Wohnungsmarkt entscheidend und damit auch das Angebot, das im Studierendenbereich frei finanziert geschaffen wird. Deswegen ist die politische Linie, die wir als Landesregierung im Wohnungsmarkt vertreten, nämlich ein Mehr an Wohnraum in allen Segmenten, der nachhaltige Ansatz, um Mieten und Mietentwicklungen in allen Städten des Landes Nordrhein-Westfalens zu stabilisieren.

Sie haben hier die Argumentation schon mehrfach vorgetragen: Wir stellen im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderungen im Plan 50 Millionen Euro zur Verfügung – im Plan. Und wir haben den Abruf von Mitteln für die Studierendenwohnheime – im Jahr 2017 waren es 20,7 Millionen Euro – im vergangenen Jahr fast verdoppelt. 40 Millionen Euro sind in die Errichtung von 687 Wohnheimplätzen in Nordrhein-Westfalen geflossen. Das ist im Vergleich zu 2017 eine Verdoppelung.

Hier ist auffällig – um mit dieser Frage beschäftigen Sie sich leider sehr wenig –, dass lediglich ein Studierendenwerk diese Fördermittel in Anspruch genommen hat. Sehr viele andere Investoren sagen derzeit, dass sie diese Fördermittel nehmen und preisgebundenen Wohnraum für Studierende schaffen und am Markt anbieten würden.

Deswegen darf und muss man in Richtung der Studierendenwerke die Frage stellen, warum sie möglicherweise Hemmnisse in der Umsetzung von Unterstützungsmitteln bei der Wohnraumversorgung in Nordrhein-Westfalen haben und warum möglicherweise das Fachpersonal zur Unterhaltung, Erhaltung, Sanierung und Instandhaltung von Immobilien in Studierendenwerken nicht ausreichend vorgehalten wird. Diesbezüglich ist die Lage im Land etwas unterschiedlich – so darf ich es frei formulieren.

Entscheidend ist insofern, dass öffentliche Wohnraumförderung preisgebundenen ist. Wer es baut, ist am Ende gleich. Hauptsache preisgebundenen – offen gesagt.

Durch die Bundesregierung haben Sie im Rahmen des BAföG ab diesem Jahr endlich den Mietzuschuss von 250 Euro auf 325 Euro erhöht. Nach Jahren der Diskussion war das ein Plus von 30 % im Bereich des Mietzuschusses. Das war eine Reaktion der Bundesregierung auf die steigenden Wohnkosten für Studierende.

Man kann sich darüber unterhalten, ob es genug ist oder nicht. Betrachtet man die Moses-Mendelssohn-Studie, weiß man, dass es da durchaus Herausforderungen gibt. Das gilt insbesondere in den Städten, wo es ungeheuer viel Nachfrage gibt, und das betrifft nicht nur den Studierendenbereich, sondern auch den der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, den der Rentner und Vergleichbares.

Vor diesem Hintergrund haben wir als Landesregierung gesagt, dass wir uns eben nicht damit begnügen, Probleme zu beschreiben – auch wenn Sie uns das immer vorwerfen –, sondern dass wir Lösungen angehen. Dazu gehört ein runder Tisch in den Hotspots der universitären Städte, und zwar aus dem einfachen Grund: weil Sie zu Ihrer Zeit die Menschen, die sich mit studentischem Wohnen befassen, nie an einen Tisch geholt haben, um zu klären, wo es Probleme gibt und wie man sie lösen kann.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist die Aufgabenstellung. Diese Aufgabenstellung gehen wir gemeinsam miteinander an. Dazu gehört natürlich auch, dass wir schauen, an welchen Hochschulstandorten wir noch Fläche zum Wohnen haben. Ich erwarte nämlich, dass Universitäten und Fachhochschulen nicht nur Forschung und Lehre denken, sondern das Wohnen mit denken, anstatt es der Allgemeinheit zu überlassen, wie man Wohnraumangebote schaffen kann.

Dazu gehört auch, dass wir im Bereich von Baulandmobilisierung gegenüber den Kommunen sehr dezidiert Unterstützung liefern und leisten. So haben wir als Landesregierung beispielsweise 60 Kommunen Planungszusagen über Rahmenplanungen im Zusammenhang mit der Initiative „Bauland an der Schiene“ erteilt.

Dass diese Politik und dieses Verständnis wirken, merken Sie daran – und damit darf ich dann zum Abschluss kommen –, dass wir im ersten Halbjahr 2019 bundesweit bei den Baugenehmigungen einen Rückgang von 2 % hatten – einen Rückgang der Baugenehmigungen, während es nur in Nordrhein-Westfalen einen anderen Trend gibt. Da sind es nämlich plus 7 % im ersten Halbjahr 2019.

Daran merken Sie, dass eine Politik, die dem Wohnungsbau mit offenen Armen begegnet und ihn möglich macht, anstatt ideologisch irgendetwas auszuschließen, der richtige Weg ist, um das Problem letztendlich zu lösen und somit auch die Probleme der Mieterinnen und Mieter, aber eben auch der Studierenden anzugehen und einer Lösung zuzuführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Jetzt hat sich noch einmal für die SPD-Fraktion Herr Kollege Bell zu Wort gemeldet.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich sehe mich durchaus genötigt, auf den Wortbeitrag von Herrn Seifen Bezug zu nehmen. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, dass ich mich für Ihren Redebeitrag nach den Ereignissen in Halle schäme.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Bernd Petelkau [CDU] – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Ich schäme mich. Es war erwartbar, dass Zuwanderung wiederum als Sündenbock für entsprechende Probleme auf den Mietmarkt herhalten muss. Sie werden der Rolle, die Sie regelmäßig spielen, auch in dieser Rede, einen Tag nach Halle, gerecht. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Fassade als bürgerliche Partei ist nichts anderes als der Versuch, die Brandstifter zu überdecken.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Bernd Petelkau [CDU])

Frau Ministerin Scharrenbach, Sie kennen die grundsätzlichen Probleme der Studierendenwerke und warum es so schwierig ist, die öffentliche Förderung in Anspruch zu nehmen. Es gibt ein siebenseitiges Positionspapier der Studierendenwerke dazu. Das ist Ihnen alles bekannt.

Die grundsätzliche Problematik lösen Sie nicht auf. Deshalb bleibe ich bei meiner Feststellung: Seit Schwarz-Gelb die Landesregierung übernommen hat, ist nicht ein Cent zusätzlich für Sanierung oder Neubau bei den Studierendenwerken haushalterisch eingestellt worden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Im Haushalt 2020 passiert dies ebenfalls nicht. Deswegen sind das verlorene Jahre für die Studierenden gerade am unteren Ende der Sozialskala.

Werden Sie endlich aktiv. Werden Sie endlich aktiv, und helfen Sie, hier pragmatische Lösungen herbeizuführen. Sonst scheitern Sie in dieser Frage gänzlich.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Am Ende Ihrer Legislaturperiode werden wir einen Schnitt machen, Herr Déus. Dann werden wir sehr genau sehen, was bis dahin passiert ist.

Nächstes Jahr ist ein verlorenes Jahr. Sie haben jetzt noch die Chance, im Haushalt Mittel einzustellen. Sie haben auch als Parlamentarier die Chance, hier wirklich etwas für die jungen Menschen in diesem Land zu tun. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Daher schließe ich die Aktuelle Stunde.

Wir kommen zu:

2   Bildungsgerechtigkeit herstellen und Lehrkräftemangel gemeinsam bekämpfen – Alle Akteure an einen Tisch!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7541

Die Aussprache ist eröffnet. An das Pult tritt für die SPD-Fraktion Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich leite vom Wohnen zur Schule über, bei der es ähnlich weitergeht.

Im Jahr 2004 bin ich mit meinem CDU-Kollegen in einem Kölner Stadtteil unterwegs gewesen, in dem es um die Frage ging, ob wir eine weitere Grundschule brauchen. Die Verwaltung hatte immer wieder vorgelegt: Nein, das ist nicht nötig; die Zahlen geben her, dass es keine weitere Schule braucht. – Ich mache es kurz: Drei Jahre später wurde die von den Eltern prognostizierte neue Grundschule in Betrieb genommen.

Denn die Zahlen, die Verwaltungssysteme vorgelegt haben – ich könnte aus meiner Erfahrung mittlerweile aus ganz Nordrhein-Westfalen, ja sogar aus Deutschland Beispiele bringen –, haben gezeigt: Es ist oft in städtischen Verwaltungen und auch in Landes- und Bundesverwaltungen schwierig, zu prognostizieren, was passiert.

Auch hier bestand bis zum Jahr 2014 die feste Überzeugung: Demografiegewinne werden zu nutzen sein. Demografiegewinne können die Schule stärken, weil wir weniger Kinder haben werden. – Auch das waren offizielle Zahlen nicht einer Landesregierung, sondern in dem Fall von vielen in Nordrhein-Westfalen und sogar von der Kultusministerkonferenz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns seit 200 Jahren in der Situation – egal, welches politische System auf dem Boden, auf dem wir stehen, gewirkt hat –, dass es über alle Systeme hinweg die Schweinezyklen beim Lehrermangel gab. Erstaunlicherweise ist es über 200 Jahre hinweg nicht gelungen, das vernünftig in den Griff zu bekommen. Immer wieder befinden wir uns in Situationen, in denen sich Phasen von Lehrerüberversorgung und Lehrermangel abwechseln. Das ist traurig genug. Aber umso wichtiger ist es, dass wir uns überlegen, wie wir mit einer solchen Situation umgehen.

Wir haben geschrieben, dass die Bewältigung des Lehrermangels eine Herkulesaufgabe ist. Wenn wir im Jahr 2025 etwa 1 Million Schülerinnen und Schüler mehr in Deutschland haben werden und wenn wir von der Bertelsmann Stiftung gehört haben, dass man davon ausgehen kann, dass nicht die bisher prognostizierten 15.300 Lehrkräfte im Jahr 2025 an Grundschulen fehlen werden, sondern 26.000 Lehrerinnen und Lehrer, dann müssen wir uns zusammenraufen und schnell zu Lösungen kommen.

An den Berufsschulen sieht es nicht anders aus. Bis zum Jahr 2030 fehlen an unseren Berufsschulen 60.000 Lehrkräfte. Allein bis zum Jahr 2020 rechnet man mit etwa 4.000 zu besetzenden Lehrerinnen- und Lehrerstellen – so die Klemm-Studie aus dem Jahr 2018.

Einige konkrete Beispiele, um das auf einzelne Schulen zuzuspitzen:

In Gelsenkirchen gibt es 39 Grundschulen und 35 freie Grundschullehrerstellen, die nicht besetzt werden können.

In Duisburg war Ende 2018/Anfang 2019 die Situation folgende: 112 nicht besetzte Stellen an Grundschulen; von 17 im Februar 2019 ausgeschriebenen Stellen konnten sechs mit Lehrkräften besetzt werden. Das ist noch nicht einmal die Hälfte aller ausgeschriebenen Stellen und mit Blick auf die Gesamtlage nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ein Gegenbeispiel aus derselben Stadt für denselben Zeitraum für eine andere Schulform, das Gymnasium: fünf nicht besetzte Stelle an allen Duisburger Gymnasien Ende des Jahres, sechs Stellen ausgeschrieben, im Februar alle besetzt.

Man könnte sagen: Angesichts eines Lehrerüberhangs von geschätzten 16.000 Gymnasiallehrkräften in den nächsten zehn Jahren sind das paradiesisch anmutende Zeiten für die Gymnasien.

Fest steht: Der Lehrkräftemangel trifft insbesondere die Sekundarstufe I, die Grundschulen und die Berufsschulen. Das verdeutlichte die stellvertretende VBE-Landesvorsitzende Anne Deimel am Dienstagabend im ZDF. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Wir versündigen uns an einer ganzen Kindergeneration. Wir brauchen wesentlich mehr Mittel für die Grundschulen, um der Förderung gerecht werden zu können. In NRW gibt es 5.100 Euro pro Grundschulkind. Damit sind wir Schlusslicht in Deutschland. In Bayern sind es 6.900, in Hamburg 9.800 Euro. – Zitat Ende. So äußerte sie sich in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz.

Wir wissen alle, dass Hamburg ein Stadtstaat ist und man die kommunalen und die Landesmittel zusammenrechnen muss. Da sind wir wieder bei der Frage: Wer finanziert eigentlich Bildung wie? Dazu werden wir im Dezember dieses Jahres eine große Anhörung anlässlich unseres Antrags zum New Deal und zur neuen Verantwortungsgemeinschaft der Ebenen haben. Eines bleibt aber: Wir investieren zu wenig.

Anne Deimel sagte bei Markus Lanz weiter – ich zitiere –:

Alle Kinder unserer Gesellschaft sind in der Grundschule. Die Grundschule hat eine Schlüsselfunktion. Umso wichtiger ist es, dass in der Grundschule eine gute Arbeit gemacht wird. – Zitat Ende.

Was der eine oder andere immer noch nicht verstanden hat und immer noch wegdrückt, will ich mit Erlaubnis des Präsidenten auch noch zitieren. Frau Deimel sagte nämlich:

Unser Begriff von Schule hat sich geändert. Früher mussten Kinder im Schulsystem funktionieren. Heute steht die individuelle Entwicklung im Mittelpunkt und seit 2006 auch im Gesetz. Kinder haben heute einen Anspruch darauf, dass man ihrer Individualität gerecht wird, dass sie in ihrer Individualität wahrgenommen werden. Sonst ist Lernen gar nicht möglich. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass wir die Lehrkräfte nicht im System haben. Und was passiert, wenn eine Schule nicht ausreichend Personal hat? Es gibt Mangelverwaltung. Die einzige Lehrkraft in der Klasse ist in der Situation, dass sie den Kindern nicht mehr gerecht werden kann. – Zitat Ende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur der VBE, sondern auch die GEW und viele Elternverbände haben sich in den letzten Wochen und Monaten geäußert. Gerade an Schulen mit besonderen Herausforderungen, die oftmals Brennpunktschulen genannt werden, ist der Druck besonders hoch.

Wir haben hier die kleine Ida im Saal. Wie oft wird sie in den nächsten Jahren hinfallen, um laufen zu lernen? Wir werden sie immer wieder motivieren. Alle werden sagen: Macht nichts; steh auf; lauf weiter!

In unseren Schulen, insbesondere da, wo die Herausforderungen vielleicht etwas größer sind als in anderen Schulen, weil die sozioökonomischen Verhältnisse so sind, wie sie sind, brauchen wir viel mehr Menschen, die sagen: Komm; steh wieder auf; lauf; mach etwas aus deinem Leben! – Nicht nur aus humanistischen, sondern letztlich auch aus volkswirtschaftlichen Gründen können wir uns alles andere überhaupt nicht leisten.

Die Lehrerinnen und Lehrer dort sind manchmal in der Situation, dass 30 % des Kollegiums fehlen – gerade dort, wo die Lehrkräfte so dringend gebraucht werden. Was diese Schulen hält, sind nur Engagement, Enthusiasmus und Kreativität. Diese Kolleginnen und Kollegen mehr zu unterstützen, muss unsere vordringlichste Aufgabe sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Diese Schulen sind aber oft für Bewerber besonders unattraktiv. Jedenfalls ist es dort sehr schwierig, Lehrkräfte zu finden. Deshalb müssen wir gerade die Schulen der Standorttypen 5 und wahrscheinlich auch 4 deutlich stärker stützen. Dazu gab es letzte Woche eine Anhörung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Maßnahmen sind nötig.

Studienplatzangebot: In Münster konnte nur jeder zehnte Bewerber für das Grundschullehramt angenommen werden – und das in diesen Zeiten. Die Studienplätze sind um ein paar Plätze aufgestockt worden. Aber das reicht vorne und hinten nicht. Vom NC will ich hier gar nicht sprechen.

A13: Wir hatten zigmal die Diskussion, dass man zwar die gleiche Ausbildung hat, aber in der Grundschule A12 verdient und am Gymnasium A13.

Berufsschullehrer: Wir wundern uns, dass wir keine Berufsschullehrer haben. Wer Berufsschullehrer werden will, muss ein Jahr länger arbeiten, um in den Lehrerberuf zu kommen, als am Gymnasium. Wer macht das freiwillig? Ein Jahr Unterschied, bis man vollständig nach A13 bezahlt wird!

Die großen Probleme sind eigentlich hausgemacht.

Ein anderes Thema: Wir haben die Situation, dass die Arbeitszeit in den Schulen, in denen die Lehrer neben der Aufgabe der Wissensvermittlung auch die Aufgabe haben, sich intensiver um die Kinder zu kümmern, völlig falsch berechnet ist.

Wir haben die Frage zu beantworten: Wie sorgen wir dafür, multiprofessionelle Teams in den Schulen zu stärken?

Wir haben die Aufgabe – die Ministerin hat das in der letzten Ausschusssitzung angesprochen –, die Qualität zu sichern. Aber niemand hier wird annehmen, dass beispielsweise Werkstattlehrer oder Heilpädagogen nicht qualitätsvoll sind. Das ist vielleicht eine andere Qualität; aber Qualität ist da auch vorhanden.

Es stellen sich also folgende Fragen: Wie gehen wir mit Quereinsteigern um? Wie sorgen wir für entsprechende Qualifizierungen? Wie sorgen wir für Aufstiegsmöglichkeiten, wenn wir an die Tausenden von Sozialarbeitern denken? Das sind übrigens die Stellen, wie wir der „Rheinischen Post“ entnehmen konnten, die vom Finanzminister aus dem Haushalt wieder herausgestrichen worden sind.

Fazit: Das Problem des Lehrermangels ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch darüber hinaus ein Thema. Wir haben im Gegensatz zu anderen Ländern eine geringe Versorgungsquote und sind in der Situation, dass vielen Schulen das Wasser bis zum Hals steht.

Was machen wir? Ich weiß, was gleich kommt. Wir weisen uns gegenseitig die Schuld zu. Da wird wieder gesagt: Das habt ihr früher gemacht; das macht ihr heute. – Das Problem ist, dass die Menschen dessen müde sind. Sie wollen das nicht mehr hören, sondern sie wollen, dass wir das Problem analysieren und überlegen: Wie können wir es lösen?

Der New Deal über die Ebenen ist die eine Frage. Die andere Frage ist – und dazu bieten wir Ihnen die Hand –: Wollen wir diese Situation nicht nutzen, um gemeinsam am runden Tisch zusammenzukommen und zu versuchen, dies zu lösen? Das ist eben schon einmal Thema gewesen und war auch gestern Thema.

Der stellvertretende Ministerpräsident hat gestern im Rahmen des Gedenkens an 30 Jahre runde Tische und 30 Jahre Aufbruch in Ostdeutschland gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –, wichtig sei die Frage,

„wie wir miteinander umgehen, wie wir uns gegenseitig zuhören. Denn nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd und zwischen den Demokraten in den unterschiedlichen Schattierungen tut es uns gut, einander zuzuhören.“

Ich verkürze das. Er hat gesagt: Runde Tische sind eigentlich eine gute Idee.

Ich bin der festen Überzeugung – die Lehrergewerkschaften, die Bildungswissenschaftler, die Landesschülervertretung und auch die Eltern haben klar signalisiert, dass sie bereit sind, daran mitzuwirken –, dass das eine enorme Herausforderung ist, die für eine Regierung in einer Periode eigentlich gar nicht zu schaffen ist.

Deshalb laden wir Sie herzlich ein. Wir sind bereit, auch die unangenehmen Seiten einer solchen Verabredung mitzutragen. Aber wir glauben, dass es an der Zeit ist, diese dramatische Situation gemeinsam anzugehen, und hoffen sehr, dass wir in einen Dialog über diese Frage eintreten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Sträßer.

Martin Sträßer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ott, der Antrag der SPD-Fraktion, der uns heute vorliegt, hat uns schon sehr enttäuscht, weil er eigentlich wenig Neues enthält und als Schwerpunkt immer wieder zwischen den Zeilen nur das Thema „Besoldungsgerechtigkeit“, aber nicht das Thema „Bildungsgerechtigkeit“ in den Vordergrund stellt.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Bildungsgerechtigkeit, ja!)

Insofern haben Sie mich mit Ihrer Rede durchaus überrascht, weil darin dieses Thema nicht im Mittelpunkt stand. Trotzdem kam bei mir auch das, was Sie heute in Ihrer Rede gesagt haben, als eher vergiftetes Angebot der Zusammenarbeit an.

Ich will das erläutern. Sie versuchen nämlich sowohl mit dem Antrag als auch mit der Rede – insofern stimmt beides überein –, den Eindruck zu erwecken, dass der Lehrkräftemangel, der heute entsteht, nicht vorhersehbar war und ganz allein aufgrund des demografischen Wandels entstanden ist.

Das ist vermutlich auch der Grund, warum Sie weder im Antrag noch in Ihrer Rede auf die ganz konkrete Bedarfsprognose des Landes zurückkommen, sondern sich auf eine bundesweite Bertelsmann-Studie beziehen, deren Zahlen älter sind als die Fortschreibung unserer Bedarfsprognose und die keine NRW-spezifischen Antworten gibt.

Insofern sage ich vorweg: Das ist der untaugliche Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Denn der Lehrkräftemangel, der heute existiert und auch in den kommenden Jahren noch existieren wird, ist das Ergebnis rot-grüner Politik. Da lassen wir Sie nicht raus.

(Beifall von der CDU und der FDP – Frank Müller [SPD]: Was wird das Ergebnis Ihrer Politik sein? Das wäre doch einmal interessant!)

Kinder sind nämlich gewöhnlich schon sechs Jahre auf der Welt, bevor sie erstmals zur Schule gehen. Sie tun das dann etwa zehn bis dreizehn Jahre lang. Ein Lehramtsstudium mit Referendarzeit dauert auch mindestens sechs Jahre. Deshalb ist es eigentlich nicht allzu schwer, für einen überschaubaren Zeitraum einigermaßen verlässliche Prognosen über Schülerzahlen und Lehrkräftebedarf zu machen.

Rot-Grün – lieber Herr Ott, Sie trugen diese Verantwortung mit – hat es trotzdem seit 2011 nicht mehr getan. Wahrscheinlich wollte man sich mit dem eigenen Versagen beim Lehrkräftemangel nicht konfrontieren lassen.

Die NRW-Koalition hat sich der Aufgabe gleich nach der Regierungsübernahme angenommen und erstmals wieder eine Bedarfsprognose erstellt. Die im Frühjahr 2018 präsentierten Ergebnisse waren alarmierend: Allein bis 2024 fehlen rund 5.000 Lehrkräfte an den Grundschulen, etwa 2.000 Lehrkräfte an den Berufskollegs und über 5.000 Lehrkräfte in der Sekundarstufe I.

Lieber Herr Ott, Sie verschweigen, ob unbewusst oder bewusst, auch den Lehrkräftemangel im Bereich der Sonderpädagogik. Auch hier fehlen bis 2024 über 1.500 Lehrkräfte.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Fragen Sie einmal an den Universitäten!)

Diese Zahlen werden fortgeschrieben. Sie bleiben eine wichtige Grundlage unserer Arbeit. Wir, die NRW-Koalition, stecken die Prognose nämlich nicht in die Schublade, sondern nehmen sie zum Anlass, dem von Rot-Grün zu verantwortenden Lehrkräftemangel sowohl kurzfristig zu begegnen als auch ihn langfristig zu beseitigen.

Langfristig müssen Abgänge und Zugänge bei den Lehrkräften in eine Balance gebracht werden. Deshalb haben wir seit dem Regierungsantritt die Zahl der Bachelorstudienplätze für Grundschulen um 419 erhöht. Das sind rund 20 %.

Auch die Zahl der Studienplätze für sonderpädagogische Lehrkräfte haben wir um weitere 250 Bachelorstudienplätze ausgebaut.

(Marlies Stotz [SPD]: Ich glaube, wir hatten damals 2.000! – Weitere Zurufe von der SPD)

Mit der Werbekampagne für das Lehramt, für mehr Studienanfängerinnen und Studienanfänger, verschaffen wir dem Lehramt mehr öffentliche Anerkennung und wollen mehr junge Menschen für diesen Beruf begeistern. Auch dies machen wir mit Erfolg, wie die steigenden Studierendenzahlen zeigen.

Beide Maßnahmen werden aber erst nach vielen Jahren Lehrkräfte an die Schulen bringen. Deshalb brauchen wir auch kurzfristige Maßnahmen.

Fast 250 arbeitslose Sek-II-Lehrkräfte haben unser Angebot angenommen, an Grundschulen einzusteigen. Die ersten haben im Frühjahr 2020 ihre zwei Jahre Grundschule absolviert. Wir werden ihnen eine Bleibeperspektive eröffnen.

Bis Ende August dieses Jahres haben die Schulen in Nordrhein-Westfalen insgesamt etwa 2.350 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger eingestellt. Diese Personen werden umfassend berufsbegleitend qualifiziert und mit Mentorenprogrammen erfolgreich in die Kollegien integriert.

Seit unserem Regierungsantritt haben wir in den Grundschulen, die Sie ja besonders ansprechen, die Zahl der sozialpädagogischen Fachkräfte auf 1.750 erhöht und damit mehr als verdreifacht. Nicht nur ich bekomme dafür sehr viele dankbare Rückmeldungen aus den Grundschulen.

Ich könnte ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen gegen den rot-grünen Lehrkräftemangel nennen, etwa Anreize für Lehrkräfte in Brennpunkten, Reaktivierung von Ruheständlern oder mehr Leistungen von Teilzeitkräften. Wir sind für weitere Ideen offen.

(Jochen Ott [SPD]: Leider nicht!)

Ich möchte aber hier noch zur Bildungsgerechtigkeit kommen. Bildungsgerechtigkeit braucht Chancengerechtigkeit. Nicht für alle alles gleichmachen, sondern jedem einzelnen jungen Menschen gerecht werden: So verstehen wir beste Bildung und Bildungsgerechtigkeit.

Zur Bildungsgerechtigkeit zähle ich auch den Einstieg in das neue G9. Wir haben zugehört und nach ausführlichen Gesprächen mit Schülern, Eltern, Lehrkräften, Schulleitungen und Verbänden ein neues G9 geschaffen – mit neuer Stundentafel und neuen Kernlehrplänen.

Auch Bildungsvielfalt ist Bildungsgerechtigkeit. Deshalb dürfen wir das Abitur nicht weiter zum goldenen Kalb der Bildungspolitik machen. Mir tut jede Schließung einer Haupt- oder Realschule weh, weil sie Kindern mit einer entsprechenden Schulempfehlung eine Wahlmöglichkeit und damit eine Bildungschance nimmt.

(Helmut Seifen [AfD]: Genauso ist es!)

Unsere Botschaft muss auch angesichts des Fachkräftemangels mehr denn je lauten: Es gibt auch ein erfolgreiches Leben ohne Abitur und Studium.

(Beifall von der FDP und Alexander Langguth [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der CDU – Helmut Seifen [AfD]: Sehr richtig!)

Der untaugliche rot-grüne Versuch, allen Schulen die Inklusion überzustülpen, war fatal. Auch das hatte mit Bildungsgerechtigkeit rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Für Kinder mit und ohne Handicaps führte diese Umsetzung in vielen Fällen zu mehr Bildungsungerechtigkeit.

Wir haben den Trend wieder umgekehrt – erst mit der Rettung noch bestehender Förderschulen und jetzt mit einem überlegten Konzept der Inklusion. In den Schulen des Gemeinsamen Lernens wird Inklusion mit verankerten Qualitätsstandards in den nächsten Jahren Schritt für Schritt aufwachsen.

Insgesamt rund 6.000 zusätzliche Stellen sowie 600 Stellen für multiprofessionelle Teams soll es geben.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das ist genau das Problem! Es gibt Stellen, aber keine Lehrer!)

Das ist Bildungsgerechtigkeit.

Nicht zuletzt gehört zur Bildungsgerechtigkeit auch der Ganztagsbetrieb an den Schulen, ob als Gebundener oder Offener Ganztag.

(Jochen Ott [SPD]: Der soll mal zum Thema sprechen!)

An den Grundschulen können die Kommunen im Jahr 2020 fast 330.000 OGS-Plätze einrichten – so viele wie nie zuvor.

(Zuruf von der SPD)

Auch die Arbeiten am Masterplan Grundschule sind weit fortgeschritten. Dazu wurden bereits viele Gespräche mit den unterschiedlichsten Beteiligten geführt. Wir hören eben erst zu und setzen dann um. Ich erlaube mir, zu erwähnen: Das kann schon mal länger dauern als geplant. Aber das Warten lohnt sich. Da bin ich sicher.

Noch kurz zum Sozialindex für Schulen in sozialen Brennpunkten: Auch dieses Thema ist nicht neu. Wir haben es hier schon ausdrücklich diskutiert. Tatsache ist, dass die NRW-Koalition aktuell mehr Stellen nach dem Sozialindex verteilt, als es Rot-Grün je getan hat.

Die Weiterentwicklung des kreisbezogenen zum schulscharfen Sozialindex stand zwar im Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung, wurde aber nie umgesetzt. Wir, die NRW-Koalition, arbeiten daran, und wir werden dies bald umsetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Ihr Antrag ist deshalb ein alter Hut. Er enthält nur Ihre eigenen Probleme aus rot-grüner Regierungszeit. Wir arbeiten an deren Beseitigung, bitten Sie aber um Verständnis und um Geduld. Es sind einfach zu viele.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Sträßer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ott?

Martin Sträßer (CDU): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Ott.

Jochen Ott (SPD): Ich habe nur eine Frage. Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie von der Rede überrascht waren. Das ist schön. Sie haben dann Ihre aufgeschriebene, vorbereitete Rede gehalten und kommen am Ende zu einem Fazit, das mit dem Anfang eigentlich nichts zu tun hat. Deshalb frage ich Sie: Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass dieser Antrag im Beschlusstext ein Angebot enthält und wir es auf dieser Grundlage gemeinsam angehen könnten?

Martin Sträßer (CDU): Sehr geehrter Herr Ott, wenn Sie am Anfang zugehört hätten, könnten Sie sich die Antwort selbst geben. Ich habe einen Unterschied zwischen der Rede und dem Antrag gesehen. Der Antrag gibt eben genau dieses nicht her, weil er sich auf ganz andere Dinge kapriziert, als Sie sie in der Rede genannt haben.

Deshalb sage ich Ihnen – und so führe ich es weiter –: Wir arbeiten an der Beseitigung der von Ihnen hinterlassenen Probleme. Aber einen runden Tisch brauchen wir dafür nicht. Den gab es schon zu rot-grüner Zeit.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau!)

Wie Sie wissen und sehen, war er ja ganz offensichtlich kein Erfolgsmodell.

Ich komme zum Schluss. Gute Bildung braucht nicht nur Geld, sondern auch Zeit und vor allem viele gute Ideen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Eben!)

Die NRW-Koalition wird ihren Weg konsequent weitergehen. Wir ermitteln die Fakten und machen sie zur Grundlage unserer Politik. Wir hören den Menschen zu und sprechen mit allen Betroffenen. Wir erarbeiten Lösungen und setzen sie dann um – Schritt für Schritt; denn nur so kommt NRW voran.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sträßer. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Hannen.

Martina Hannen (FDP): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Der partielle Lehrkräftemangel ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, vor denen unser Bildungssystem steht. Vor allem an den Grundschulen, im Bereich der Sonderpädagogik und an den technischen Berufskollegs ist der Bedarf an Lehrkräften zu groß, um ihn mit vermeintlich einfachen Maßnahmen schnell und kurzfristig vollständig decken zu können.

Es gehört zur Gesamtbetrachtung aber auch dazu, dass wir im Bereich der Sekundarstufe II und an den Gymnasien ein deutliches Überangebot vorfinden und die Situation sich dort deutlich differenzierter darstellt. Potenziale und Angriffspunkte, um das Problem des Lehrkräftemangels zu lösen, gibt es viele. Hier sind Koalition und Landesregierung bereits aktiv; denn wir gehen die Probleme schon längst an.

Dieses strukturelle Problem ist seit Jahren bekannt. Mit der aktuellen Lehrkräftebedarfsanalyse zeigt sich das ganze Ausmaß erst – eine Lehrkräftebedarfsanalyse übrigens, meine Damen und Herren, die zu erstellen unsere Vorgängerinnen und Vorgänger versäumt haben. Ein frühzeitiges Gegensteuern wäre für die Gesamtproblematik sicherlich sehr hilfreich gewesen.

(Beifall von der FDP)

All das kommt nicht überraschend. Auch die von Ihnen im Antrag zitierte Bertelsmann-Studie kommt nicht zu überraschenden Ergebnissen, zumindest nicht zu für diese NRW-Regierung überraschenden Ergebnissen. Sie war auch schon am 11. September dieses Jahres Thema im Ausschuss.

Meine Damen und Herren, sowohl im Schulausschuss als auch in der Presse wurde seitens des Ministeriums mitgeteilt, dass die Zahlen für NRW eben keine Überraschung waren. Sie haben keine Überraschung dargestellt, weil wir durch die erfolgreich durchgeführte Bedarfsprognose bereits selbst die deutlich höheren Bedarfe für die Jahre 2025 und 2030 ermittelt hatten. Es sind nämlich 15 % statt 5,5 % in 2025 und 11,6 % statt 5,4 % in 2030. Diese Zahlen haben wir nicht durch die Bertelsmann-Studie erfahren.

Man könnte allerdings meinen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie hätten sie erst durch die Bertelsmann-Studie erfahren. Es ist schade, dass das so spät war.

Wie bereits gesagt: Hier handelt es sich um ein strukturelles Problem, das in seinen Ausmaßen seit Jahren hätte bekannt sein müssen. Gerade im Hinblick auf die Qualität der Ausbildung und des Unterrichts und auf die starke Konkurrenz durch die freie Wirtschaft verschärft sich diese Lage allerdings noch einmal.

Die Situation muss aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Zu suggerieren, dass es den einen einfachen, kurzen und schnellen Weg gibt, der die Lösung dieser komplexen Aufgabe bietet, ist unseriös, wenn ich das so deutlich sagen darf.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, eines ist aber immer wieder wichtig, auch wenn wir dieses Thema schon x-mal besprochen haben. Wir werden daher nicht müde, Ihnen aufzuzeigen, was schon passiert ist, um die Situation zu entschärfen. Unsere Minister Yvonne Gebauer hat bereits zwei Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht, die entgegen Ihrer Behauptung sehr wohl schon längst Wirkung erzielt haben.

Mithilfe der Sondermaßnahmen konnten wir in den Jahren 2018 und 2019 bereits 1.169 zusätzliche Lehrkraftstellen besetzen – ich wiederhole: besetzen. 666 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger konnten für unsere Grundschulen gewonnen werden. Wollen Sie denen allen Ernstes erzählen, meine Damen und Herren, dass ihr Einsatz keinerlei Erfolg gebracht hat?

Sie tun so, als ob es das alles nicht geben würde. Das waren große Erfolge. Dadurch sind viele Stunden nicht ausgefallen, die unter Ihrer Regierung ausgefallen sind und wären.

(Beifall von der FDP)

Außerdem haben 345 Sek-II-Lehrkräfte das Angebot angenommen, für zwei Jahre an einer Grundschule zu arbeiten.

Auch die erst im letzten Jahr gestartete Maßnahme, Lehrkräften der Sekundarstufe II einen Laufbahnwechsel an Schulen der Sekundarstufe I zu garantieren, hat bereits zu 158 neuen Arbeitsverträgen geführt. Ich denke, in Zeiten wie heute, in denen wir froh sind, dass Unterricht nicht ausfällt, ist das genau das richtige Signal in die richtige Richtung.

Ihr Antrag klingt so, als hätte man all das glatt bleiben lassen können, als ob es ganz andere Ideen gäbe. Ich frage mich nur: Wann hätten Sie damit angefangen? Wann hätten die gegriffen?

Auch die verstärkte Reaktivierung pensionierter Lehrkräfte war ein voller Erfolg. Waren vor zwei Jahren noch 415 Pensionärinnen und Pensionäre im Schuldienst, sind es inzwischen 818. Die Zahl hat sich also verdoppelt. Wären diese Menschen nicht kurzfristig an unsere Schulen zurückgekommen, um zu unterstützen, hätte auch das weiteren Unterrichtsausfall für unsere Schülerinnen und Schüler bedeutet – und eine zusätzliche Belastung für die Lehrerinnen und Lehrer.

Zu Beginn dieses Schuljahres – auch das gehört zur Wirklichkeit – sind weitere Maßnahmen gestartet worden. So haben wir an den Gesamtschulen 646 zusätzliche Einstiegsmöglichkeiten für Lehrkräfte der Sekundarstufe II gesichert. Bei 345 Gesamtschulen sind das fast zwei Stellen pro Schule mehr. Zwei Stellen pro Gesamtschule mehr – Sie müssen sich diese Zahlen vor Augen führen, meine Damen und Herren.

Zudem werden mit dem 15. Schulrechtsänderungsgesetz die Voraussetzungen geschaffen, dass Lehrkräften der Sekundarstufe II, die aktuell an Grundschulen unterrichten und dort dauerhaft bleiben möchten, die Möglichkeit dazu gegeben wird.

Es gibt – es wurde heute schon mehrfach angeführt – weitere Lehrkräfte, weitere Schulpsychologen für Inklusion.

Wir haben Schulen mit hohem Sozialindex besser ausgestattet.

Wir haben und werden weiterhin die berufsbildenden Schulen mit mehr Lehrkräften ausstatten, auch mit Seiteneinsteigern. Diese Schulen sind so wichtig. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels brauchen wir starke berufliche Schulen und Kollegs. Genau daran arbeiten wir.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Zahlen, meine Damen und Herren, sprechen für sich. Das sind Zahlen, die Sie nicht sehen, nicht kennen oder die Ihnen erst seit der Bertelsmann-Studie offenbar geworden sind. Es sind Zahlen, die für unser Erfolgsmodell sprechen.

Fakt ist aber auch – ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, darauf zurückzukommen, Frau Voigt-Küppers –, dass der Lehrkräftemangel nie so gravierend geworden wäre, wenn Rot-Grün ausreichend Studienplätze bereitgestellt hätte.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Bei allen Maßnahmen, die die jetzige Landesregierung auf den Weg gebracht hat und bringt, ist eines deutlich: Wir müssen die Zahl der Studienplätze angehen. Hier hat seit 2018 bereits ein deutlicher Aufwuchs stattgefunden. Dieser – ich zitiere Herrn Ott – kaum gesteigerte Aufwuchs bedeutet für das Studienjahr 2018/2019 zusätzliche 419 Plätze allein im Bereich des Grundschullehramtes. Das sind weit über 20 % Aufwuchs allein für das Grundschullehramt in diesem Studienjahr. Bei den Zahlen weiß ich nicht, wie Herr Ott auf das Wort „kaum“ kommt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist definitiv zu wenig! Das reicht ja nicht!)

Abschließend möchte ich diesen Antrag noch einmal einordnen, meine Damen und Herren. Wir haben ein Haus übernommen, das keine Ahnung von der exakten Anzahl der ausgefallenen Stunden hatte

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Wir haben aber auch noch nichts gehört!)

und das es nicht für notwendig erachtet hat, die Lehrkräftebedarfsanalyse zu aktualisieren, um den Herausforderungen mit realen Zahlen zu begegnen. Auch diesem Antrag kann ich keinen konkreten und gangbaren Lösungsansatz entnehmen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unter dem Strich reiht sich dieser Antrag in eine Reihe von Initiativen ein, die die Jahre von 2010 bis 2017 komplett ausblenden und Lösungen vorschlagen, die so dünn sind, dass selbst Sie nicht auf die Idee gekommen sind, sie zwischen 2010 und 2017 selbst umzusetzen. Das spricht für die Qualität Ihres Antrags.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Das werden wir in der Anhörung ja sehen!)

Wenn Sie alle Akteure an einen Tisch fordern, wie es in Ihrem Antrag steht, darf ich Ihnen sagen: Die NRW-Koalition sitzt schon seit Juni 2017 an einem Tisch, und zwar mit den entscheidenden Akteuren – mit den Verbänden, mit der Elternschaft, mit den Lehrerinnen und Lehrern. Viel wichtiger: Sie sitzt nicht an einem Tisch, sondern sie steht, sie bewegt sich, sie ist aktiv, sie agiert. Sie entwickelt Pläne, und sie will handeln. Sie findet gute Wege. Sie steht auf, und sie schreitet voran.

Bei allem Respekt vor Ihren Anträgen: Entscheidend ist nicht, dass man einem Tisch sitzt. Entscheidend ist, dass man die Zukunft vorantreibt, und entscheidend ist, dass man aktiv gute Lösungsansätze voranbringt. Die findet man nicht an einem Tisch sitzend. – Herzlichen Dank. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Hannen. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Beer das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja wirklich ein Gefühl wie nach einer Anhörung. Da wird auch manchmal Unterschiedliches herausgehört. Liebe Frau Kollegin Hannen, das scheint hier in der Frage, wer gemeinsam mit welchen Verbänden zusammensitzt, genauso zu sein.

Wenn Sie mit den Lehrerverbänden und den Gewerkschaften reden, dann sagen die immer: Ja, wir sind zusammengekommen. Aber rausgekommen ist dabei nichts und Verbindliches schon mal gar nicht. – Das ist leider die Realität, die wir hier erleben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Lieber Kollege Sträßer, ich glaube, wir sollten mal einen Kaffee trinken gehen; denn das ist ermüdend für das Publikum. Ich erzähle noch mal, was wir zur Wiederaufstockung der Zahl der Lehramtsanwärter, zur Schaffung von Studienplätzen, für die Sonderpädagogik, in der VOBASOF-Maßnahme, in der BK-Initiative und übrigens auch in der Sondervereinbarung 2015/16 mit den Hochschulen zur Aufstockung zum Beispiel der Masterplätze getan haben.

Die Hochschulvereinbarungen 2017/18 und 2018/19 stehen überhaupt noch nicht auf der Seite des Wissenschaftsministeriums. Die habe ich erst nachgefragt. Wollen wir mal gucken, was tatsächlich da ist.

Aber währenddessen rennt die Zeit für die Schulen. Die Situation vor Ort ist in der Tat brenzlig. In großer Ignoranz sind hier bisher alle Vorschläge vom Tisch gewischt worden, gemeinsam vorzugehen. Das haben Sie in Abstimmungen dann auch reflexhaft abgelehnt. Heute ist die Reaktion wieder genauso.

Wenn Sie die Anträge richtig durchschauen, dann werden Sie erkennen, dass wir Grüne zum Beispiel ganz bewusst schon vor einem Jahr über Stufenpläne miteinander diskutiert haben. Wir haben Ihnen einen solchen Weg verbunden mit der Aufforderung vorgeschlagen, das mit den Lehrerverbänden, mit den Gewerkschaften verbindlich abzusprechen. Entgegen jeder Annahme sind sowohl die Lehrerverbände als auch die Gewerkschaften nicht realitätsfern. Die wissen sehr genau, was für eine Anstrengung das ist und dass man das schrittweise, aber mit konkreten Absprachen auf den Weg bringen muss.

Sie wissen auch, was wir hier politisch vorgelegt haben. Man braucht im Prinzip zwei Stufenpläne. Damit Herr Löttgen das hinterher im Protokoll nachlesen kann: Man braucht natürlich auch einen Stufenplan für die Besoldung; denn das ist ein relevanter Punkt.

Zu der Mär, die der Staatssekretär, die Ministerin und leider auch die Kolleginnen und Kollegen verbreiten, an den Grundschulen habe das alles gar nichts mit der grundsätzlichen Besoldungsfrage zu tun, sage ich: Sorry, das stimmt so einfach nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir uns mal die Situation der Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Sekundarstufe II an, die nach dem Motto „Ich bin gekommen, um zu gehen“

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Das stimmt doch nicht!)

erst an Grundschulen unterrichten und dann nach zwei Jahren den Anspruch haben, in einem Umkreis von 35 km einen Gymnasialplatz zu erhalten. Den werden sie zu großen Teilen auch anstreben. Warum? Weil da der mit A13 besoldete Arbeitsplatz auf sie wartet.

Wenn Sie jetzt glauben, dass die Gymnasien darüber in Freude ausbrechen, dann wissen Sie nicht, was in der Landschaft los ist. Die Gymnasien sagen nämlich: Das ist prima. Welche Fächerkombinationen kommen denn da? Sie haben einen Anspruch, bei uns ins Kollegium zu kommen und bringen Deutsch/Pädagogik, Deutsch/Sozialwissenschaften, Deutsch/Erdkunde, Deutsch/Geschichte mit. Wir brauchen aber Physik und Chemie. – Sie sitzen dann auf den Stellen, weil sie den Anspruch haben. Das nenne ich klassische Fehlsteuerung.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Wenn Sie die Arbeit belohnen wollen, die die Grundschulkolleginnen geleistet haben, um diese Menschen zu qualifizieren, die auch gern dort arbeiten, dann müssen Sie ihnen vernünftige Bedingungen anbieten, genauso wie den Grundschullehrkräften jetzt auch nach neuer Lehrerausbildung – für die Attraktivität des Berufs

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

und für das Gewinnen neuer Lehrkräfte. Ziehen Sie endlich die Konsequenzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der zweite Stufenplan, der dazugehört – das habe ich Ihnen auch schon vor einem Jahr vorgelegt –, beinhaltet die Frage: Wie können wir es attraktiv machen? Wie können wir Menschen dazu bewegen, gerade in der Grundschule, ihre Teilzeittätigkeit aufzustocken? Das kann man durch Stundenanrechnungen machen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt, in bestimmten Lebensphasen zurückgegeben werden können, vielleicht sogar vor der Pension. Das ist wichtig.

Sprechen Sie doch mit den Kommunen über die Bereitstellung von Betreuungskapazitäten, damit Grundschullehrkräfte wieder in den Beruf einsteigen. Die machen das ja nicht aus Daffke, sondern aus familiären Gründen. Dabei brauchen sie Unterstützung. Dann haben wir in der Schule auch wieder eine höhere Quote an grundständig ausgebildeten Lehrkräften. Denn es gibt doch mittlerweile Schulen

(Franziska Müller-Rech [FDP] schüttelt den Kopf.)

– wenn Sie die nicht kennen, Frau Müller-Rech, und den Kopf schütteln, dann ist das traurig –, an denen wir inzwischen mehr Seiteneinsteigerinnen haben als ausgebildete Lehrkräfte im grundständigen Lehramt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist die Situation, die sich im Augenblick zeigt.

Also: Wir brauchen den Stufenplan Besoldung. Wir brauchen auch den Stufenplan Entlastung, und zwar zur Unterstützung von Verwaltungsarbeit, Schulleitungsassistenz und an den Standorten, die besondere Herausforderungen mit sich bringen, wo ein großes pädagogisches Engagement obendrauf kommt, zur Reduzierung von Unterrichtsverpflichtungen, um diese Standorte für Lehrkräfte attraktiv zu machen und den Herausforderungen zu entsprechen.

Da können Sie konkret etwas tun. Die Schulen warten nicht auf das Geschwiemel, was schon alles auf den Weg gebracht worden ist. Die Situation muss jetzt bereinigt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das können wir hier gemeinsam machen.

(Zuruf von Martina Hannen [FDP])

Ich will Ihnen eines sagen: Der Zauber liegt darin, dass die Mittel für die nicht besetzten Stellen jetzt unmittelbar verwendet werden könnten, um solche Maßnahmen zu finanzieren. Es kann doch nicht sein, dass das größte Sparschwein des Finanzministers im Büro der Schulministerin steht. Das kann doch nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Martina Hannen [FDP])

Deswegen dürfen die Mittel nicht wieder zur Haushaltskonsolidierung zurückfließen und dadurch die GMA bedient werden, sondern sie müssen an die Schulen gehen. Sie sind gefordert, diesen Realitäten Rechnung zu tragen.

(Henning Höne [FDP]: Unfassbar!)

– Wissen Sie, was unfassbar war, Herr Höne? Das war für mich die Aussage der Schulministerin im Interview in der „Aktuellen Stunde“ des WDR am Tag der Schuljahresauftaktpressekonferenz, in dem sie nach der A13-Besoldungserhöhung gefragt wurde und sagte: Ich habe nicht die Macht.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Das habe ich nicht gesagt! Sie müssen schon richtig zitieren, Frau Beer!)

Wir als Parlament haben die Macht, diese Dinge auf den Weg zu bringen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wir stehen dahinter. Wir haben die Macht, das umzusetzen, und wir haben die Macht, das in einem gemeinsamen Prozess zu vereinbaren und damit die Schulministerin zu stärken. Genau das ist der Impuls.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie verweigern sich dieser Initiative. Das ist mehr als schwach, und das stößt in der Schullandschaft draußen auf Unverständnis. Da können Sie sich herauswiemeln, wie Sie wollen, und da können Sie rückwärts zeigen. Jetzt ist Ihr Regierungshandeln gefragt.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Ja, Herr Höne, hilft nichts. Dann stärken Sie ihre Schulministerin, die sich in den Haushaltsverhandlungen mit dem Finanzminister offensichtlich nicht durchsetzen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beer. – Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Seifen für die Fraktion der AfD das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn die SPD von Gerechtigkeit spricht und sie einfordert, sollten beim Freund einer freien und humanen Leistungsgesellschaft sofort die Alarmsirenen losgehen. Denn nun es geht sowohl dem Leistungsprinzip wie auch der Freiheit an den Kragen.

Schaut man sich Ihren Antrag an, dann folgt nach der Beschreibung der Misere des Lehrermangels, die Sie selbst zu verantworten haben, die immer gleiche Leier nach einer Anpassung der Lehrerbesoldung.

In einer ungleichen Lehrerbesoldung sehen Sie – Frau Beer hat das gerade noch mal bestätigt – die einzige Ursache für den Lehrermangel. Genau darin irren Sie sich fundamental. Ihre Schlussfolgerungen sind einfach falsch, weil sie offenbar – gewollt oder aus Unkenntnis – nicht wahrhaben wollen, dass es der Schulalltag und die Bedingungen sind, welchen Lehrer und Schüler ausgesetzt sind, die dafür sorgen, dass der Lehrerberuf für viele ein Schreckgespenst ist und für andere ein unerreichbares Ziel.

Fangen wir mit dem Letzten an. Der Umbau der Lehrerausbildung durch das neue Lehrerausbildungsgesetz von Mai 2009 hat dazu geführt, dass die Studienzeiten von Grundschul- und Sekundarschullehrern völlig unnötig verlängert worden sind. Konnten die Lehramtsstudenten für den gehobenen Dienst früher in sechs Regelsemestern ihr erstes Staatsexamen ablegen, konnten sie also spätestens, wenn man das Examen einrechnet, nach vier Jahren Studium an die Schulen gehen, studieren sie heute mindestens ein Jahr länger.

War früher das Studium an der Pädagogischen Hochschule stärker und angemessener auf die Bedürfnisse des Lehramtsstudiums zugeschnitten, werden heute zum Beispiel im Fach Mathematik Leistungen verlangt, die für eine Reihe von Studenten des Studiengangs Grundschule zum Abbruch des Studiums führen. Dazu führt auch der Zwang, die Fächer Deutsch und Mathematik auf jeden Fall in Kombination belegen zu müssen. Was für ein Unsinn!

Dann werden noch zu wenige Studienplätze für das Lehramt an Grundschulen angeboten, sodass tatsächlich ein Numerus clausus den Zugang zum Studium für viele Interessierte unmöglich macht. Herr Ott hat das gerade auch in seiner Rede erwähnt.

Die Auflösung der Pädagogischen Hochschulen war ein schwerer Sündenfall, den außer der AfD alle anderen hier im Parlament vertretenen Parteien zu verantworten haben.

Andere Abiturienten wollen erst gar nicht in den Schuldienst eintreten. Ich selbst bin oft mit der Aussage konfrontiert worden, als ich noch im Schuldienst war: Meine Güte, Lehrer möchte ich heute auch nicht mehr sein. – Ihnen graut es vor dem Schulalltag, den sie glauben, in der heutigen Zeit mit den Veränderungen, die auch vor allem durch Ihre Schulpolitik eingetreten sind, nicht mehr bewältigen zu können.

Die von Ihnen propagierte Form des gemeinsamen Lernens führt zu Situationen in den Klassen und Lerngruppen, die einfach nicht mehr beherrschbar sind, auch von gutwilligsten Lehrern nicht. Sind gerade die Lerngruppen in den Grundschulen sowieso schon wesentlich heterogener als in den weiterführenden Schulen, haben Sie mit der rabiaten Durchsetzung der Inklusion mit zieldifferentem Unterricht die Lehrkräfte vor zum Teil unüberwindliche Aufgaben gestellt.

Unterricht muss neben den Einzel- und Gruppenarbeiten immer auch die Plenumsarbeit umfassen, damit die Kinder gemeinsam Sachverhalte erfassen, durchdenken sowie korrigieren können. Das ist bei diesen hyperheterogenen Lerngruppen oftmals nicht mehr möglich. Vor allem ist diese Art, zu unterrichten, besonders nervenaufreibend. Hier wird von den Lehrkräften eine Anstrengung erwartet, die man nicht über längere Zeit leisten kann.

Und dann, ja: Wer hätte es glauben können, dass 200.000 Kinder aus aller Herren Länder in kürzester Zeit in das Schulsystem der Bundesrepublik integriert werden müssen, ohne dass sie die deutsche Sprache beherrschen, ohne dass deren Eltern mit dem deutschen Schulsystem vertraut sind? Auch hier hat der Rechtsbruch der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Weigerung, die Grenzen unseres Landes zu schützen, für viele aufopferungsvolle Lehrkräfte eine nicht zu bewältigende Mehrbelastung bedeutet.

Aber nicht nur die in den letzten vier Jahren Zugewanderten sind eine Herausforderung für die Lehrkräfte; herausfordernd ist auch die Beschulung von Kindern in sogenannten Brennpunktschulen, die häufig dadurch Brennpunktschulen werden, dass sie Kinder unterrichten, deren Eltern sich der Integration verweigert haben.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Fahren Sie nach Gelsenkirchen. Dort finden Sie ausreichend Schulen mit nahezu keinem einzigen Kind ohne Migrationshintergrund. Das ist aber nicht das Problem. Das Problem liegt darin, dass es häufig Kinder aus Elternhäusern sind, die in ihrer eigenen sozialen Community leben und am Leben der deutschen Gesellschaft wenig teilnehmen. Das Letztere finden sogar Lehrer, die selbst einen Migrationshintergrund haben, sehr bedenklich.

Erschwerend kommt hinzu, dass an zu vielen Schulen die Autorität der Lehrkräfte nicht mehr ausreicht, um ein gewaltfreies Miteinander von Schülern und Lehrern zu gewährleisten. Im Jahre 2018 sind an NRW-Schulen 263 Lehrer Opfer von Körperverletzungen geworden. Erst zu Schulbeginn in den letzten Wochen wurde ein Schulleiter aus Duisburg von einem 14-Jährigen geschlagen und schwer verletzt.

Noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Schulleiter in NRW im vergangenen Jahr in einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung angaben, dass es an ihrer Schule in den zurückliegenden fünf Jahren Fälle von psychischer Gewalt gegeben habe. Oft genug heißt es leider: „beschimpfen, bedrohen, beleidigen, belästigen“ und zuletzt: zuschlagen.

Wann begreifen Sie endlich, dass jungen Tätern zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenzen gezeigt werden? Lesen Sie einmal das Buch „TATORT SCHULHOF – Warum Schulen kein geschützter Raum mehr für unsere Kinder sind“ der Düsseldorfer Polizistin Petra Reichling oder vielleicht das Buch einer Lehrerin, die an einer Berliner Brennpunktschule unterrichtet hat. Der Titel lautet: „EINE LEHRERIN SIEHT ROT“. Das alles sind Tatsachen. Das ist nicht erfunden worden, schon gar nicht von der AfD erfunden worden. Aber wir sind offenbar die Einzigen, die diese Dinge offen ansprechen. Alle anderen ducken sich weg.

(Jochen Ott [SPD]: Schwachsinn!)

Das sind unter anderem die wichtigsten Ursachen für den Lehrermangel: die erschwerten Zugänge zu den Studienplätzen und die immer schlechteren Arbeitsbedingungen in den Schulen – nicht die Lehrerbesoldung.

So hat sich trotz der Bemühungen der Landesregierung die Besetzungsquote gegenüber dem Vorjahr verschlechtert. Dieses Jahr konnten von den rund 10.000 Stellen nur 58 % besetzt werden. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 61 %. Es stimmt: Der Lehrermangel an Brennpunktschulen und Grundschulen ist dabei besonders brisant.

Der Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger führte erst kürzlich in einem Interview mit der „Passauer Neuen Presse“ aus – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Meiner Kenntnis nach ist dies mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegszeit der größte Lehrermangel, den wir in Deutschland in den letzten Jahrzehnten jemals hatten.“

Und weiter:

„Wir werden Qualitätsprobleme im deutschen Bildungswesen kriegen.“

Herr Meidinger bezieht sich auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Aber es ist ja ein Phänomen, das wir auch in NRW haben.

Was Sie in Ihrem Antrag völlig außer Acht lassen, ist die Situation der Vakanzen im Schulleiterbereich. In NRW ist jede siebte der 5.105 öffentlichen Schulen ohne regulären Leiter. Bei den allgemeinbildenden Schulformen haben Grund-, Haupt- und Realschulen einen besonders hohen Bedarf. An den 2.732 öffentlichen Grundschulen fehlen 350 Schulleitungen und 540 Stellvertretungen.

Sie müssten eigentlich bemerken, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass die Umsetzung Ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit regelmäßig zu Verwerfungen und zu Störungen dessen führt, was gerade für Ihren Gerechtigkeitsfimmel zurechtgestutzt werden soll. Vertrauen Sie doch endlich einmal den Bürgern, und lassen Sie den Bürgern die Freiheit, die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortung, dass sie mithilfe ihrer Leistungsfähigkeit den richtigen Weg finden. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Beer, ich bin schon sehr erstaunt. Sie beschäftigen sich hier als Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2005 mit der Bildungspolitik, und es ist Ihnen anscheinend nicht gelungen, bewusst oder unbewusst, bildungspolitische Zusammenhänge herzustellen.

Wenn Sie heute behaupten, dass wir, wenn wir morgen A13 hätten, damit übermorgen eine Stelle mehr besetzen könnten, dann ist das eine Mär.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das können wir doch versuchen!)

Das muss ich hier einmal ganz deutlich sagen.

Liebe SPD-Fraktion, ein Stück weit bin ich darüber erfreut, dass Sie die Landesregierung immer wieder auffordern, Dinge zu tun, die bereits durch mein Ministerium angestoßen sind oder sogar schon umgesetzt werden. Das könnte den Schluss zulassen, dass mein Handeln richtig ist – das freut mich –, es könnte aber auch den Schluss zulassen,

(Jochen Ott [SPD]: Dass Sie unseren Anträgen folgen!)

dass es in der Vergangenheit in Ihrer Regierungszeit schlicht und ergreifend versäumt worden ist, diese Dinge zu tun. Jeder in diesem Haus mag sich darüber selbst ein Bild machen.

Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, mit allen bildungspolitischen Akteuren gemeinsam Lösungsmöglichkeiten für das Problem des Lehrkräftemangels konstruktiv zu diskutieren und einen möglichen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten.

Meine Damen und Herren von der SPD, ich darf Ihnen sagen: Als Ministerin für Schule und Bildung bin ich auch ohne Ihre freundliche Aufforderung seit Übernahme meines Amtes mit allen am Schulleben Beteiligten in einem sehr kontinuierlichen Dialog. Dieser ist durch eine konstruktive Diskussion über Lösungsmöglichkeiten geprägt, die helfen können, natürlich auch helfen sollen, die Probleme, die wir im Schulbereich haben, zu lösen.

(Jochen Ott [SPD]: Interessant!)

Ich kann es Ihnen auch dieses Mal nicht ersparen, zu sagen: Es handelt sich hierbei – genau wie in der Debatte zuvor – um Probleme, die nicht über Nacht entstanden sind, sondern die ihre Ursache in den Jahren vor 2017 haben.

Sie beginnen Ihren Antrag mit einem Problemaufriss auf der Basis der Bertelsmann-Studie zum bundesweiten Lehrereinstellungsbedarf. Ich habe bereits mehrfach gesagt – auch das ist hier schon ausgeführt worden –, dass wir für unser Land, dass wir für Nordrhein-Westfalen eine weitaus präzisere Datenlage als die dem Antrag zugrunde gelegte deutschlandweite Studie haben. Somit war diese Studie für uns keine Hiobsbotschaft, sondern wir kennen unsere Zahlen für die kommenden Jahre.

Wir können seit vielen Jahren erstmals wieder, nämlich seit dem Jahr 2011, eine ständig aktualisierte Lehrerbedarfsprognose für unser Land vorlegen. Gleichwohl sind die Befunde und Botschaften in beiden Prognosen, hier und da, eindeutig und inzwischen allen bekannt.

Bis auf das Lehramt für das Gymnasium und die Gesamtschule, wo es auch fächerspezifische Problemlagen gibt, gibt es in allen Lehrämtern derzeit insgesamt weniger Bewerberinnen und Bewerber als zu besetzende Stellen. Ich wiederhole, was Herr Sträßer gesagt hat, lieber Herr Ott: Auch den Lehrereinstellungsbedarf an den Förderschulen können wir nicht bedienen.

In Ihrem Antrag thematisieren Sie dann den auf einzelne Standorte bezogenen Lehrkräftemangel. Auch das ist ein allseits bekanntes und – das ist richtig – schwer lösbares Problem.

In dem Antrag nicht zur Sprache gebracht werden leider die über die Einzelstandorte hinausgehenden regionalen und fächerspezifischen Disparitäten in unserer Lehrerversorgung. Für eine umfassende Problemanalyse und im Rahmen der Lösungssuche dürfen diese aber nicht außer Acht gelassen werden.

Ich möchte Ihnen jetzt gerne die eine oder andere Maßnahme darlegen, die wir bereits in der Vergangenheit auf den Weg gebracht haben.

Sie, die SPD-Fraktion, behaupten, die bisher durch das Ministerium initiierten Maßnahmen zur Lehrergewinnung und der Seiteneinstieg hätten nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Ich darf Ihnen sagen: Das stimmt so nicht. Denn beim Seiteneinstieg geht es nicht allein um Quantität – ich bin Ihnen dankbar, Herr Ott, dass Sie das noch einmal erwähnt haben –  sondern auch um Qualität.

Jede Maßnahme des Seiteneinstiegs und jede Öffnung von Lehrerstellen im Rahmen der Einstellung muss unseren hohen Ansprüchen an die Qualität gerecht werden. Angesichts unserer Qualitätsanforderungen bei unseren moderaten Seiteneinsteigerquoten von rund 10 bis 15 % der letzten drei Jahre von einem fehlenden Erfolg zu sprechen, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Ott.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ja, gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ott.

Jochen Ott (SPD): Danke, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich beziehe mich auf Ihr Zitat von mir zum Thema „Qualität“. Was halten Sie davon, dass im Moment insbesondere zu Schwangerschaftsvertretungen und Krankheitsvertretungen Menschen eingesetzt werden, die das teilweise über drei, vier, fünf Jahre machen, die dann aber bei jeder Bewerbung auf eine reguläre Stelle als nicht qualitätsvoll zurückgewiesen werden, Stichwort „Heilpädagogen und andere Berufe“? Das heißt, die Frage der Qualität ist doch sehr diffizil. Wie geht man damit um?

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ott, ja, die Frage ist sehr diffizil. Deswegen muss man sich jede einzelne Maßnahme daraufhin anschauen. Das macht es ja so schwer, weil wir eben nicht von vornherein sagen können, was Qualität hat und was nicht, sondern wir müssen uns jede Maßnahme unter dem Qualitätsgesichtspunkt anschauen.

Sie haben die Heilpraktiker, die Heilberufe angesprochen. Genau das müssen wir uns ansehen. Darüber müssen wir uns aber im Vorfeld austauschen und uns einig sein, was Qualität heißt.

(Jochen Ott [SPD]: Das bieten wir ja an!)

– Das ist noch einmal etwas anderes. Der Austausch findet ja statt, wie ich Ihnen bereits gesagt habe. Sie fordern, dass sich alle Akteure an einen Tisch setzen. Das sind zwei Paar Schuhe. Aber darüber, dass wir uns über die Qualitätsstandards, die wir in den einzelnen Bereichen setzen, sprechen müssen, gibt es in meinen Augen überhaupt keinen Dissens.

(Jochen Ott [SPD]: Wann denn?)

– Ich tue das. Das habe ich bereits zum Ausdruck gebracht.

Ich komme zurück zum Seiteneinstieg und dazu, wie viele Personen wir gewonnen haben. Wir haben in den Kalenderjahren 2017, 2018, 2019 über den Seiteneinstieg immerhin 2.350 Personen gewonnen. Dazu sage ich aber auch – wir haben gerade über das Thema „Qualität“ gesprochen –: Seiteneinsteigerquoten von bis zu 50 %, wie sie momentan in anderen Bundesländern verfolgt werden, zum Beispiel in Berlin, sind ausdrücklich nicht unser Ziel. Das darf nicht unser Ziel in Nordrhein-Westfalen sein.

Ich möchte Ihnen weiter mitteilen, dass wir mit den vielfältigen Maßnahmen zur Lehrergewinnung unabhängig vom Seiteneinstieg rund 1.000 Personen gewinnen konnten. Hinzu kommen 646 Stellen in der Gesamtschule, die wir von der Sekundarstufe I in die Studienratslaufbahn überführt haben und die damit wesentlich leichter besetzbar sind und auch schon besetzt sind.

Ich denke, bei aller Bescheidenheit darf man das sicherlich auch als Erfolg verbuchen.

Sie wollen Schulen in einem Umfeld mit besonderen sozialen Herausforderungen stärker unterstützen. Hier, Herr Seifen, möchte ich Sie für die Zukunft bitten, nicht von „Brennpunktschulen“ zu sprechen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich finde es für diese Schulen unerträglich, permanent mit solchen Begriffen konfrontiert zu werden.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Das sind Schulen in Stadtteilen mit besonderen sozialen Herausforderungen. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir uns im Sinne der Schulen alle auf diesen Begriff einigen könnten.

(Beifall von der FDP und Sigrid Beer [GRÜNE])

Um die Schulen in einem Umfeld mit besonderen sozialen Herausforderungen stärker zu unterstützen, fordern Sie zusätzliche Einstellungen von Lehrkräften und Personal anderer Professionen für diese Schulen. Auch diese Forderung ist generell richtig.

Sie sagen, alle Schulen mit dem Standorttyp 5 müssten über die gleichen Ressourcen wie die Talentschulen verfügen. Ich darf Ihnen verraten, dass Sie alleine mit dieser Forderung im Bereich der Sekundarstufe I von über 2.400 Lehrerstellen sprechen – nur damit wir wissen, von welchen Zahlen wir hier reden.

Ungeachtet dieser hohen Zahl, die dann entsprechend zu besetzen ist, gilt jedoch, dass derjenige, der solche Forderungen stellt, sich dann auch ein Stück weit an seinen eigenen Taten messen lassen muss.

Dazu würde ich gerne mal mit Ihnen gemeinsam schauen, wie sich die Zahl der zusätzlichen Stellen für Schulsozialarbeit und multiprofessionelle Teams für die großen Themen „Integration“ und „Inklusion“ in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat.

Sie haben im Haushalt 2010, also vor knapp zehn Jahren, insgesamt 946 Stellen bei Regierungsübernahme vorgefunden und mit dem Haushalt 2017 genau 1.802 Stellen hinterlassen. Das macht 856 neue Stellen in sieben Jahren oder gut 120 pro Jahr.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Im Haushalt 2019 sprechen wir über 3.539 Stellen, also 1.737 in zwei Jahren oder knapp 870 pro Jahr.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben also bislang pro Jahr mehr zusätzliche Stellen für multiprofessionelle Teams für Integration und Inklusion geschaffen als die Vorgängerregierung in den sieben Jahren zuvor.

Dann komme ich auf den Schulsozialindex; auch über den ist hier von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon gesprochen worden. Ungleiches muss ungleich behandelt werden; auch darüber sind wir uns hoffentlich alle einig.

Unter der schwarz-gelben Regierung von 2005 bis 2010 wurde hier bei uns in Nordrhein-Westfalen dieser Kreissozialindex entwickelt und eingeführt, seinerzeit beispielhaft für alle Bundesländer.

Rot-Grün hat diesen Kreissozialindex – das kann man nachschauen – jedoch kaum genutzt, hat eine treffsichere Steuerung von Personal und Ressourcen unter den sozialen Aspekten nicht ausgeschöpft.

Diese Landesregierung hat die Anzahl der Stellen, die nach diesem Kreissozialindex verteilt werden, gegenüber Rot-Grün bereits bisher mehr als verdreifacht.

Wir gehen jetzt noch einen Schritt weiter und lassen einen Schulsozialindex entwickeln mit dem Ziel, die Ressourcensteuerung künftig noch passgenauer vorzunehmen, einen schulscharfen Schulsozialindex, der sieben Jahre lang auch bei Ihnen im Koalitionsvertrag stand und den wir dann im kommenden Jahr gerne vorstellen werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Gebauer. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der SPD Frau Voigt-Küppers das Wort.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei den Debatten hier in diesem Hohen Haus habe ich regelmäßig das gleiche Erlebnis, und mir fallen Filmtitel wie „Täglich grüßt das Murmeltier“ ein.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Das geht mir mit Ihren Anträgen auch so!)

Die Debatten in diesem Hause, insbesondere was unsere Themenzusammenstellung betrifft, gleichen sich immer und immer wieder.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Dann stellen Sie nicht immer dieselben Anträge!)

Wir sind der Meinung: So können wir, wenn wir allen Kindern dienen wollen, nicht miteinander reden.

Ich will Ihnen, Frau Hannen, und Ihnen, Frau Ministerin, gerne noch einmal – das habe ich schon mehrere Male an diesem Rednerpult gemacht – zugestehen: Ich glaube der Ministerin ihr ehrliches Engagement. Kein Mensch aus unserer Fraktion hat bestritten, dass es Fortschritte in der Bildungspolitik gibt.

Wir haben tausendmal bekannt, dass in unserer Regierungszeit sicherlich Fehler gemacht worden sind. Aber das alles zeigt uns, dass das, was wir bisher gemacht haben, nicht ausreicht.

Frau Ministerin, wir wollen Sie nicht kritisieren, wir wollen Sie unterstützen. Darum geht es.

(Beifall von der SPD)

Denn ich bin mir sicher, Frau Ministerin: Was wir hier machen, führt zu mehr Verärgerung bei den Menschen, die betroffen sind, als dass wir ihnen die Dinge erklären können. Ich glaube, wir fügen der gesamten Demokratie einen Riesenschaden zu, wenn immer und immer wieder die gleichen Debatten geführt werden:

(Beifall von Jochen Ott [SPD] – Matthias Kerkhoff [CDU]: Wer stellt denn die Anträge? Ihr seid ja lustig!)

Da seid ihr schuld gewesen. Ihr habt die Fehler gemacht. Wir machen das besser. Ihr erkennt unsere Leistungen nicht an. – Das verstehen die Menschen nicht.

Die Menschen sagen: Setzt euch an einen Tisch. Redet miteinander, und bringt uns Lösungen. – Das ist das, was die Menschen von Ihnen erwarten.

Ich will noch einmal anfügen: Wenn wir es nicht schaffen, eine neue Qualität der Debatte und neue Lösungen für die Menschen zu erzielen, werden Menschen davon profitieren, von denen wir,

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

die demokratischen Fraktionen in diesem Hause, das nicht wollen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Natürlich, Frau Ministerin, sind wir nicht so naiv, davon auszugehen, dass Sie keine Gespräche führen. Natürlich unterstellen wir Ihnen auch nicht, dass Sie nicht arbeiten. Aber die Debatte mit Herrn Ott gerade zur Qualität hat gezeigt, dass es unheimlich viele unterschiedliche Standpunkte gibt, die es zusammenzuführen gilt.

Das ist der Sinn eines runden Tisches, dass man nicht bilateral verhandelt und die Angelegenheiten und Wünsche von einer vielleicht nicht anwesenden Partei nicht weiß und nicht erkennt oder nicht berücksichtigt, sondern dass man alle, die von einem Problem betroffen sind, an einen Tisch bringt und alle Aspekte gemeinsam diskutiert.

Das ist unser Angebot. Wir sind gerne bereit, uns konstruktiv einzubringen. Ich verstehe auch nicht, dass von einem vergifteten Angebot gesprochen wird. Es gibt Dinge in unseren bildungspolitischen Positionen, die wir nie deckungsgleich hinbekommen werden. Es ist auch gar nicht unser Bestreben, sie deckungsgleich hinzubekommen. Es gibt aber Anforderungen an uns, denen wir gemeinsam gerecht werden müssen.

Daher halte ich es für gut, wenn die Lehrerverbände, die Schülervertretungen, das Ministerium und das Parlament zusammensitzen und alles gemeinsam abwägen. Es gibt noch eine Menge Ideen, die wir im Gespräch miteinander weiterentwickeln können und die letztlich im Sinne unserer Kinder sind.

Deshalb noch einmal: Wenn Sie der Meinung sind, Sie könnten der Analyse im Antrag in der Form nicht zustimmen, sind wir sogar bereit, die Antragsbegründung beiseitezulassen und nur den Beschlussteil – dass wir uns an einen runden Tisch setzen – zu nehmen, um endlich gemeinsam für unsere Kinder zu arbeiten.

Zuletzt will ich noch etwas hinzufügen; vielleicht bin ich auch manchmal zu begrenzt – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll.

Der Familienminister hat hier gestern gelobt, welch Gewinn runde Tische in Bezug auf die deutsche Einheit waren. Auch im Tagesordnungspunkt zu den studentischen Wohnungen sind die runden Tische gelobt worden.

Nun wollen wir einen runden Tisch – wenn dies anerkanntermaßen ein Instrument für Problemlösungen ist – auch für diese generationenherausfordernde Frage, auch im Schulbereich installieren. – Dann wird uns gesagt: Das ist ein vergiftetes Angebot. Wir machen sowieso schon alles. Wir brauchen euch nicht.

Ich bin der Meinung, dass das keine zukunftsweisende Herangehensweise an Politik ist. Ich bitte Sie ein letztes Mal, strecke die Hand aus und fordere Sie auf, sich mit uns zusammenzusetzen, damit wir gemeinsam Lösungen für unsere Kinder entwickeln können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Voigt-Küppers. – Nun hat noch einmal Frau Kollegin Beer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich möchte Ihnen jetzt ein Angebot machen: Widerlegen Sie mich doch in Bezug darauf, dass es tatsächlich nichts bringt, A13 anzubieten, und dass wir dadurch nicht eine einzige Lehrerstelle mehr besetzen können. Machen Sie das A13-Angebot;

(Beifall von den GRÜNEN)

dann sehen wir, wie viele Kolleginnen aufstocken und wie viele zusätzlich an die Grundschule gehen werden.

(Bodo Löttgen [CDU]: Typisch Grünenpolitik! Einfach mal ein Angebot machen! – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Wenn das dann nicht passiert, hatten Sie recht. Das macht dann auch nichts, denn dann haben Sie keine Mehrausgaben. Lassen Sie uns das endlich mal umsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beer. – Mir liegen zu diesem Tagesordnungspunkt keine weiteren Wortmeldungen vor. – Das bleibt auch beim Blick in die Runde so. Damit sind wir am Schluss der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7541 an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend –, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend, an den Wissenschaftsausschuss sowie an den Haushalts‑ und Finanzausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Darf ich fragen, ob es zu dieser Überweisungsempfehlung Gegenstimmen gibt? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung vom Hohen Haus einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf:

3   Innovatives Bauen im 3D-Druckverfahren fördern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7544

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Ritter das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Jochen Ritter*) (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen das Bonmot „alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“. Das macht auch nicht vor dem Halt, was bisher in Stein gemeißelt oder in Beton gegossen war.

Digitalisierung ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck – auch und gerade, wenn es um die großen Herausforderungen dieser Zeit geht. Dazu gehört – das ist heute Morgen bereits angeklungen – die Versorgung mit Wohnraum.

Gebäude digital zu planen, ist schon lange Usus. Die dritte Dimension kommt in Gestalt des Building Information Modeling, kurz BIM, aktuell hinzu. Das so Geplante allerdings dreidimensional auszuführen – im Sinne von „auszudrucken“ –, ist noch Neuland, jedenfalls hier in Deutschland.

Die „FAZ“ sieht in ihrem Immobilienteil vom 13. September 2019 Anwendungsmöglichkeiten bei der Besiedlung des Mars in ferner Zukunft, während das US-Unternehmen SpaceX, das mit einer Rakete dorthin unterwegs ist, dreidimensional gedruckte Triebwerke bereits einsetzt.

3D-Druck beim Bau ist weder Science-Fiction noch Rocket-Science, denn er wird nicht nur im Nahen und Fernen Osten, sondern auch in unserer Nachbarschaft bereits praktiziert: In den Niederlanden entstehen so einstöckige, in China mehrstöckige Gebäude, und in Arabien hält die additive Fertigung gar Einzug beim Bau von Hochhäusern.

Nun sind die tatsächlichen wie rechtlichen Verhältnisse hier nicht ohne Weiteres mit denen in den Beneluxstaaten oder gar im Orient zu vergleichen. Sie sind aber vielleicht auch nicht so grundverschieden, dass hier eine ähnliche Entwicklung völlig auszuschließen wäre.

Deshalb wollen wir uns mit der Devise „weg vom Betonkopf, hin zum Druckkopf“ öffnen. Das beginnt mit Forschung und Entwicklung. Ansätze wie in anderen Bundesländern – zum Beispiel im bayerischen München oder im sächsischen Dresden – sehen wir in NRW nicht – jedenfalls nicht in dem Maße, in der Ausprägung.

Sollte das daran liegen, dass sie hier nicht so konzentriert vorliegen, könnte es Sinn machen, diese Diaspora zugunsten eines Clusters zu beenden, um mit gebündelter Kompetenz erfolgreicher zu agieren.

Wir wollen jedenfalls, dass das Know-how hier entsteht und nicht irgendwann von woher auch immer importiert werden muss.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Denn klar ist: Dahin, wo Forschung und Entwicklung stattfinden, zieht die Produktion nach. Wir wollen, dass sich die Wertschöpfung hier entwickelt, und nicht zusehen, wie die klassische Bauwirtschaft in NRW durch eine disruptive Technologie verdrängt wird, die woanders konzipiert worden ist.

Für Nordrhein-Westfalen als Industrieland liegen die größten Chancen der Digitalisierung in der Verbindung von Digitalisierung und industrieller Produktion – so heißt es in unserem Koalitionsvertrag.

Produktion allein am Reißbrett zu konzipieren und vielleicht noch im Labor zu simulieren, halten wir dabei nicht für ausreichend. Wir wollen raus aus dem Elfenbeinturm, aus dem Reinraum nach draußen auf die von mir aus auch dreckige Baustelle.

Es gibt solche Vorstellungen und Vorhaben bereits im Lande, zum Beispiel in der Gemeinde Nörvenich; sie stoßen aber noch auf Restriktionen.

Wir wollen die Hemmnisse für diese zukunftsgerichtete Technologie soweit vertretbar beseitigen und dafür sorgen – selbstverständlich unter Berücksichtigung von Aspekten wie Sicherheit –, dass die technologische Führerschaft von bzw. in Nordrhein-Westfalen übernommen wird.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Und mehr Holz!)

– Auch das.

Wir wollen zügig in die Anwendung und denken dabei nicht nur an Zweckbauten wie Garagen oder Hallen, sondern vorzugsweise an den Wohnungsbau. Diesen wollen wir weiter beschleunigen und das, was wir im Planungs‑ und Genehmigungsrecht bereits auf den Weg gebracht haben – Stichworte: LEP und Landesbauordnung –, in der Ausführung fortsetzen.

Auf dem Bau liegen die Engpässe mitunter beim Material, und zwar nicht nur beim Holz, Herr Rüße, sondern auch bei Sand und Kies. Meist liegen sie aber auch beim Personal.

Derart automatisiertes Bauen kann helfen, diese Flaschenhälse zu weiten. Mit relativ geringem Ressourcenverbrauch können belastbare Bauteile hergestellt werden, und mehr oder weniger schwere körperliche Arbeit kann durch anspruchsvolle intellektuelle Arbeit ersetzt werden: Maus oder Tablet statt Kelle oder Schüppe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im Ausschuss tiefer in die dritte Dimension eintauchen. Sie werden Bauklötze staunen. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ritter. – Als nächster Redner hat für die weitere antragstellende Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Paul das Wort.

Stephen Paul*) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Strategie ist es ja, immer mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen, so zu wohnen, wie sie es sich wünschen und wie sie es brauchen.

Dabei wird es darauf ankommen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass mehr preisgünstiger und umweltfreundlicher Wohnraum in NRW entsteht. Wir denken deshalb in alle Richtungen, und so auch in die dritte Dimension. Lieber Jochen Ritter, du hast es schon sehr schön dargestellt.

Wir denken also in alle Richtungen – auch, was die neuen 3D-Druckverfahren bei der Herstellung von Gebäudeteilen und ‑strukturen oder ganzer Häuser angeht. Du hast bereits Beispiele genannt, und wir haben uns so ein Projekt auch mal angesehen.

Es braucht im 3D-Druckverfahren Beton, der gespritzt wird; dann wird ein Gebäude hochgezogen. Nach zwei oder drei Tagen ist der Rohbau sozusagen schon fertig. Dann braucht es ein paar Wochen für den Innenausbau, und nach drei bis vier Monaten steht so ein bungalowhaftes Einfamilienhaus.

Das ist also eine Chance, und das haben Christdemokraten und Freie Demokraten im Rahmen ihrer Gesamtstrategie erkannt.

Die interessierte geneigte Öffentlichkeit reagiert darauf auch sehr positiv, was uns als NRW-Koalition freut. So kommentiert etwa die „Westdeutsche Zeitung“: Die günstige, schnelle und flexible Technik kann eine Komponente in einer Gesamtstrategie sein, um im Wohnungsmarkt für Entspannung zu sorgen.

Wir hören auch andere, ähnliche Stimmen. Wir sind also wohl auf dem richtigen Wege.

Wir schlagen dem Landtag vor, die Forschung im 3D-Druck zu fördern. Wir wollen Modellprojekte für das Bauen im 3D-Druckverfahren in Nordrhein-Westfalen ermöglichen.

Wir möchten klären, ob es noch rechtliche Hindernisse gibt – Jochen Ritter hat darauf schon angespielt –, die noch von uns aus dem Weg geräumt werden müssen, um 3D-Druck im Bau zu ermöglichen.

Wir wollen schauen, wo dafür Fördermittel vom Bund und von der Europäischen Union eingeworben werden können. Wir möchten – das ist ganz wichtig – die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Forschung fördern.

Wir von CDU und FDP wenden uns hier im Landtag ganz bewusst an die Forscherinnen und Forscher in unserem starken Land, an die Bauindustrie, an die Bauhandwerker, an die Architekten, an unsere heimische Wohnungswirtschaft und an alle Bauwilligen, uns auf diesem Weg zu begleiten. Wir wollen hier politisch unterstützen.

Der 3D-Druck bietet wohl viele Chancen – vielleicht auch gerade beim hier schon häufig besprochenen Vorhaben, bereits bestehende Gebäude noch aufzustocken und Wohnraum oberhalb zu schaffen. Da können leichte Baustoffe wie Holz oder auch im 3D-Druckverfahren gedruckte Gebäudestrukturen in Nordrhein-Westfalen hilfreich sein. Wir geben den Anstoß; machen wir uns jetzt gemeinsam auf den Weg. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Paul. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Becker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Andreas Becker*) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat sprechen Sie mit Ihrem Antrag ein wichtiges, zukunftsorientiertes Thema mit Potenzial an.

Auch ich habe in der Vorbereitung einiges gelesen: Saudi-Arabien will in den kommenden Jahren 1,5 Millionen Wohnungen drucken. Ich habe gelesen, dass die NASA 3D-Drucker auf den Mond schießen will, um dort ganze Dörfer zu bauen.

Ich habe aber eben auch gelesen, dass es derzeit noch Schwierigkeiten bzw., besser gesagt, Unwägbarkeiten gibt wie zum Beispiel die Frage der Entwicklung des Baustoffes, bei dem man noch schauen muss, wie er sich langfristig verhält.

Fast ist man geneigt zu sagen, dass das auch das Baurecht betrifft, das bei uns beispielsweise Stahlbewehrungen vorsieht, die man nun einmal schlecht drucken kann. Für all das muss man noch Lösungen finden.

Alles in allem ist das aber ein lohnendes Feld für Forschung und Entwicklung, weil Prognosen zufolge die weltweite Betondruckbranche in den nächsten Jahren um satte 317 % wachsen soll.

Wenn es Ihnen also wirklich darum geht, Nordrhein-Westfalen bei der Entwicklung des 3D-Druckverfahrens zum Vorreiter zu machen, haben Sie uns voll an Ihrer Seite.

Allerdings erweckt der Einstieg in Ihrem Antrag einen anderen Eindruck, und zwar, dass man die aufgrund Ihrer gescheiterten Wohnungsbaupolitik fehlenden mietpreisgebundenen Wohnungen in einigen Jahren quasi einfach so nachdrucken könnte.

Da muss ich dann doch energisch widersprechen, denn die Realität ist heute. Heute sinkt mit Ihrem Regierungsantritt die Zahl der neuen mietpreisgebundenen Wohnungen Jahr für Jahr auf neue Tiefen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD] und Heike Gebhard [SPD])

6.159 neue Wohnungen mit Mietpreisbindung in 2018: Angesichts eines Bedarfs von insgesamt rund 100.000 Wohnungen ist das ja wohl ein mehr als desaströses Ergebnis.

Die Realität ist heute. Heute müssen die Menschen immer mehr ihres Nettoeinkommens für Wohnen ausgeben. In Bonn, Neuss, Köln und Düsseldorf sind es schon 30 %. So kann es nicht weitergehen. Deshalb hilft den Menschen in der Realität heute keine Perspektive auf Wohnungen aus dem 3D-Drucker in zehn oder noch mehr Jahren.

Heute helfen den Menschen nur eine neue Wohnungsbaupolitik mit einem öffentlich geförderten Wohnungsbau, der rentabel ist,

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

eine neue Wohnungsbaupolitik mit einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, die dabei hilft und unterstützt, preisgünstigen Wohnraum zu bauen, eine neue Wohnungsbaupolitik mit einer zusätzlichen Förderung durch unbegrenzte Mietpreisbindung auf öffentlichem Grund, eine neue Wohnungsbaupolitik mit einer wirklichen Bekämpfung des ungerechtfertigten Mietpreisanstiegs.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nur wenn das alles eingestielt ist, können uns auch Wohnungen aus dem 3D-Drucker wirklich helfen. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Remmel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Johannes Remmel*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meinem Vorredner möchte ich, was die Bewertung des Antrags und der Technologie angeht, nicht unbedingt folgen. Die besagt – zugespitzt –, dass wir uns erst neuen Technologien zuwenden können, wenn die Weltrevolution stattgefunden hat.

Im Antrag der regierungstragenden Fraktionen steht in der Tat nichts Falsches; insofern würden wir ihn auch gerne unterstützen wollen. Allerdings fehlen einige zu besprechende Punkte. Ich rege an, darüber ins Gespräch zu kommen.

So fehlt mir die große Überschrift, die aus meiner Sicht lautet: „Der Weg hin zum nachhaltigen Bauen“. Wir müssen gerade unter den derzeitigen Vorzeichen des notwendigen Klimaschutzes im Blick haben, dass durch die Zement‑ und Bauindustrie weltweit rund 4 bis 8 % des CO2 ausgestoßen werden. Das ist ein relevanter Faktor.

Wir müssen also nicht nur über die Technik, wie zukünftig gebaut wird, reden, sondern auch über die Materialien, die verwendet werden, denn in der Tat müssen wir weg vom Zement, da es derzeit keine Technologie gibt, Zement ohne Kohlenstoff herzustellen.

Dabei kann die neue Technologie, die Sie in den Mittelpunkt stellen, helfen. Wir brauchen dafür aber die Rahmenbedingungen, um sie in eine solche Richtung entwickeln zu können. Ich meine, dass das eine lohnende Diskussion wäre.

(Bodo Löttgen [CDU]: Das steht aber in dem Antrag drin!)

Außerdem würde ich gerne noch etwas anderes anregen wollen. In Nordrhein-Westfalen einen Cluster aus dem Boden zu stampfen, wird schlecht gehen. Wir sollten die Ansätze nehmen, die wir haben.

Es gibt ja durchaus Firmen, die hier ihren Sitz haben, aber ihre Technologie hier nicht entwickelt haben. Man muss nur auf die andere Rheinseite fahren, um sich anzuschauen, was im 3D-Druck heute geht. Das ist faszinierend, gar keine Frage.

Wenn Clusterpolitik gelingen soll, braucht es auch wissenschaftliche Unterstützung und Begleitung. Das wirft die Frage auf, wo wir in Nordrhein-Westfalen wissenschaftliche Kapazitäten haben, um das nachhaltige Bauen auch durch Forschung und Entwicklung zu begleiten. Ich meine, dass diese Landschaft überschaubar ist.

Wenn man hier große Zukunftschancen sieht, bedarf es meines Erachtens einer Ergänzung: Wo und in welcher Weise können wir das Thema „nachhaltiges Bauen“ von universitärer Seite mit Forschung und Entwicklung unterstützen?

Hier einen Vorstoß zu machen, wäre eine lohnende gemeinsame Initiative. Ich wüsste auch schon wo, aber darüber können wir gerne an entscheidender Stelle reden.

(Heiterkeit bei Bodo Löttgen [CDU])

Grundsätzlich stimmen wir dem Antrag also zu, regen allerdings an, bezüglich der einen oder anderen Stelle noch über Ergänzungen oder Weiterentwicklungen zu reden – insbesondere wenn es um Fragen der Materialien, des Klimaschutzes sowie der Forschung und Entwicklung geht.

Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen: Ein bisschen zu kurz kommt mir die Option, auch im Gebäudebestand mit seriellem Bauen und 3D-Druck etwas tun zu können.

Es geht also nicht nur um Neubau, sondern um Möglichkeiten, außerhalb der Gebäude Fertigungsteile zu konzipieren, die dann einfach nur noch anzuheften sind. Hier gibt es große Chancen für die Gebäudesa-nierung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Für die Fraktion der AfD hat nun Herr Abgeordneter Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie machen also mal wieder was mit Digitalisierung. Auf der internen Strichliste der Koalition sind Herr Ritter und Herr Paul damit ein Stück nach vorne gekommen; ansonsten kommt wahrscheinlich nicht viel dabei heraus.

Gleich vorweg: 3D-Druck ist eine spannende Technologie, die uns in vielen Lebensbereichen, auch im Bauwesen, spannende Möglichkeiten eröffnet.

Das haben CDU und FDP fehlerfrei erkannt und daraus einen Antrag gemacht, den man aber leider, wie so oft, mit „Too little, too late“ überschreiben kann.

Dafür fehlt es aber nicht an völliger Selbstüberschätzung. So heißt es – Zitat –: „Nordrhein-Westfalen soll der Vorreiter bei der Entwicklung des 3D-Druckverfahrens im Gebäudesektor werden.“

Da kommen Sie aber ein paar Jahre zu spät, meine Damen und Herren. Es wäre schon schön, wenn NRW und Deutschland in diesem Bereich überhaupt einmal den Anschluss finden würden. Von „Vorreiter“ kann hierzulande aktuell überhaupt nicht die Rede sein.

(Beifall von der AfD)

In China entstehen bereits ganze Kleinstädte aus dem Drucker; wir haben gerade noch andere Beispiele gehört. Deutschland spielt hier, wie so oft, leider nur noch eine Nebenrolle.

Auf der Leitmesse BAU 2017 haben längst andere den Ton angegeben. Einzig und allein ein Pavillon der TU München konnte etwas zu dem Thema anbieten. Wo es in Deutschland wichtige Schlüsseltechnologien gibt, etwa beim renommierten Betonpumpenhersteller Putzmeister, sind längst ausländische Unternehmen Herr im Haus.

Ihr Antrag setzt aber wieder einmal auf Forschungsförderung. Dagegen ist im Grunde auch nichts einzuwenden. Allerdings haben wir in Deutschland in vielen Bereichen Spitzenforschung. Daran scheitert es üblicherweise auch nicht. Das Problem ist ein ganz anderes: Die Vermarktung findet woanders steht, weil es hierzulande an der Umsetzung fehlt. Gerade die Baubranche liefert ein beredtes Zeugnis davon, woran es bei uns meistens scheitert: an Bürokratie oder Überregulierung.

Die Baukosten pro Quadratmeter sind in Deutschland zwischen 2007 und 2017 um ganze 36 % angestiegen. Zum Vergleich dazu die Niederlande, die gerade genannt wurden: Da waren es lediglich 6 %.

Ganze 3.700 Normen muss der Bauherr in Deutschland beachten. Allein die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz haben die Baukosten um 19 % in die Höhe getrieben. Das schlägt dann natürlich alles auf den Wohnungsmarkt durch. Daneben erhöhen noch die Währungssituation und – ja, werfen Sie schon einmal das Empörungsgebläse an – auch die vielen neuen Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt die Mieten.

Dann sitzen die einen hier und meinen, hohe Mieten seien Ergebnis des bösen Marktes, während die anderen glauben, man könne das mit 3D-Druckern lösen. Meine Damen und Herren, das ist aber doch nichts anderes als Politiksimulation. Das kann man nicht mehr ernstnehmen. Das nehmen auch die Menschen im Land längst nicht mehr ernst.

Getreu dem Motto „Gut, dass wir einmal darüber sprechen“ werden wir aber der Überweisung an den Ausschuss natürlich nicht im Wege stehen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon ein spannender Ansatz – Nordrhein-Westfalen ist klassisches Betonbauland –, jetzt zu sagen: Lasst uns einmal offensiv eine andere Art und Weise an Bauart ausprobieren. – Ich glaube, wir sind alle gut beraten, wenn wir mit Technologiesprüngen, Innovationsverständnis und der Offenheit für Innovationen an bestimmte Verfahren herangehen.

Deshalb an den Herrn Abgeordneten der SPD: Das Motto Ihrer Rede kann man ernsthaft wie folgt zusammenfassen: „Rückwärts immer, vorwärts nimmer.“

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, besser und treffender kann man das nicht bezeichnen, was Sie dargelegt haben.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Wenn wir neue Bauverfahren haben, gehört es natürlich dazu, dass wir sie auch ausprobieren. Wir müssen sie ausprobieren. Wir müssen sehen, ob sie in der Praxis ankommen, halten, taugen und vervielfältigungsfähig sind.

Vor diesem Hintergrund wissen Sie, dass es auf der Welt – das ist gerade angesprochen worden – verschiedene Länder oder Unternehmen gibt, die schon Erfahrungen mit dem 3D-Druck gesammelt haben. Im vergangenen Jahr ist beispielsweise eine Familie in ein vollständig 3D-gedrucktes Haus in Nantes eingezogen. Das ist ein 95 m² großer Bungalow. Die Kosten sollen um 20 % unter den Kosten bei einer herkömmlichen Bauweise gelegen haben. Daran merken Sie schon, es bietet Potenzial.

Ich finde es ungeheuer spannend zu sehen – bitte sehen Sie mir nach, wenn ich das so freiweg formuliere –, wenn solche Bauweisen, Bauarten, Technologien, Innovationen, die erdacht und gesponnen worden sind, auch ausprobiert und umgesetzt werden.

Insofern unterstützen wir als Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen nach unserem Wissen deutschlandweit den ersten Antrag auf Erteilung einer vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung für das Drucken eines zweigeschossigen Wohnhauses – in dem Fall allerdings aus Beton, aber es muss ein Baustoff sein, mit dem gedruckt werden kann. Das tun wir seit dem Sommer. Daran merken Sie, dass wir da in Nordrhein-Westfalen weit voraus, sehr innovativ und offen unterwegs sind.

Herr Abgeordneter Remmel, vor dem Hintergrund darf ich die Gelegenheit nutzen, zu Ihren Ausführungen zur Nachhaltigkeit am Bau etwas zu sagen. Ich teile diese Ausführungen absolut. Das wissen Sie auch. Wir haben nicht umsonst als Landesregierung Nordrhein-Westfalen in die Bauordnung Nordrhein-Westfalen beispielsweise eingefügt, dass wir zulassen, dass mit Holz höher gebaut werden darf, als das in Ihrer Regierungszeit der Fall war.

Wir haben eine Expertengruppe „Bauen mit Holz“ zum nachhaltigen Bauen gegründet, die sich gerade sehr intensiv damit auseinandersetzt, wie wir die Ansprüche an nachhaltiges Bauen – beispielsweise Cradle-to-Cradle, also von der Wiege bis zur Wiege – in die Tat umsetzen können. Welche Regelungen stehen dem entgegen? Brauchen wir Rechtsänderungen? Welche Unterstützungsinstrumente brauchen wir?

Ich darf Ihnen heute ankündigen, dass wir im kommenden Jahr einen Planungswettbewerb speziell zum Thema „Nachhaltiges Bauen, Bauen mit Holz“ durchführen werden, um da die Chance zu ergreifen, zusammen mit Architekten und Architektinnen zu schauen, wie man heute bauen kann und wie man das aufstellen kann. Ich bin mir sicher, dass es unter den Vorschlägen auch Vorschläge aus dem Bereich 3D geben wird.

Herr Remmel, für eines darf ich werben, wenn Sie das so prominent vortragen, und Sie dabei zugleich auf Folgendes hinweisen: Während Sie die tradierten Baustoffe Zement und Beton angreifen und sagen, die sind für einen gewissen Ausstoß an CO2 verantwortlich, das ist alles ganz furchtbar und wir brauchen nicht nur die Energiewende, sondern auch die Zementwende – keine Ahnung, welche Wenden da noch alles kommen werden –, sind es gleichzeitig die grün mitregierten Länder, die beispielsweise versuchen, die Mantelverordnung Baustoffe derart zu ändern, dass wir die Baustoffe, die wir heute wiederverwenden dürfen, morgen nicht mehr wiederverwenden dürfen. Das passt nicht zusammen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern werbe ich dafür, dass man es insgesamt von Ihrer Seite aus ein bisschen durchdenkt. Wenn man immer wieder fordert, dass Menschen auf irgendetwas verzichten sollen, dann muss man an anderer Stelle ein bisschen pragmatischer mit dem umgehen, was man an Vorschriften verhindert oder möglicherweise im Bundesrat auf den Weg bringt.

Von daher trifft der Antrag von CDU und FDP die Zeichen der Zeit, den Nagel auf den Kopf, wenn man so will, oder den Nagel auf den Drucker, je nachdem, welche Bilder Sie hier bemühen wollen. Wir als Landesregierung unterstützen das ausdrücklich, weil wir eine technologie- und innovationsfreundliche Regierung sind.

(Jochen Ott [SPD]: Leider ist das nicht so, Frau Ministerin!)

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist auch bei der Wohnungsbaupolitik der SPD so.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

– Daran merken Sie, dass ich Sie schon alleine mit diesem Satz treffe. – Sie wissen, dass auch außerhalb Nordrhein-Westfalens sehr viele nach Nordrhein-Westfalen schauen und sagen: Der nordrhein-westfälische Weg in der Wohnungsbaupolitik ist der richtige. – Ich glaube, darauf dürfen wir stolz sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es liegt noch eine Wortmeldung vom Herrn Kollegen Remmel vor, dem auch noch Redezeit zur Verfügung steht.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen eine Debatte; insofern ist das, was Sie gesagt haben, durchaus konstruktiv. Ich will aber auch umgekehrt gerne antworten.

Zur Frage der Technologieoffenheit, die immer wieder vorkommt: Selbstverständlich kann ich Technologieoffenheit klar unterschreiben. Aber wenn man neue Technologien in den Markt bringen will, muss man sich auch über Markteinführungsbedingungen unterhalten. Wie gestaltet man also den Markt so, dass diese neuen Technologien gegenüber den alten auch eine Chance haben?

Bei Markteinführung und Regulierung – das hat etwas mit Gestaltung zu tun – tun Sie sich in der Tat immer ein bisschen schwer, die entsprechenden Bedingungen zu formulieren. Wir müssen jetzt die Bedingungen in der Marktgestaltung setzen, damit neue Technologien umweltfreundlich, CO2-frei entwickelt werden und im Markt eine Chance haben. Da haben Sie, wie ich finde, Lücken. Wir müssten gemeinsam darüber reden, wie wir das hinbekommen. Nur Technologieförderung und Modellprojekte allein reichen nicht, wir müssen auch Marktgestaltung betreiben.

Bei den Recyclingbaustoffen würde ich Ihnen insofern widersprechen: Wir in Nordrhein-Westfalen haben da unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben entsprechende Erlasse. Die Bundesdiskussion lasse ich außen vor; ich will Ihnen das Problem beschreiben. Da können Sie in der Tat helfen, etwas zu tun.

Das Problem ist nicht, dass die Recyclingbaustoffe nicht zertifiziert und genormt sind, sondern das Problem ist, dass sie von den Kommunen in den Ausschreibungen nicht aufgeführt sind, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Johannes Remmel (GRÜNE): …, weil die Angst haben, diese Recyclingbaustoffe anzuwenden. Da könnten wir gemeinsam etwas tun, um stärker im Recyclingbereich tätig zu werden. Also: Nicht die falschen Esel prügeln, sondern da, wo es geht, konkret handeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Ich versuche ein zweites Mal festzustellen, ob keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. – Das ist jetzt der Fall. Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 3.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des eben debattierten Antrags Drucksache 17/7544 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend – sowie an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Da beides nicht der Fall war, haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Rettet die Handschrift – eine Offensive für die menschliche Kommunikation!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7535

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat Herr Kollege Seifen als Erster das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ein ungewöhnlicher Antrag hier im Parlament, weil er sich auf etwas beruft, was Fachleute sagen. Im Grunde genommen hat er wenig politische Implementation – außer der, dass wir uns als Politiker die Aufgabe gestellt haben, die besten Bedingungen für unsere Schülerinnen und Schüler herzustellen. So beziehe ich mich auf das, was wir in der „Siegener Erklärung zur Schrift in der Schule“ lesen können, und auf das, was in der letzten Ausgabe einer großen Wochenzeitung zu lesen war.

Man hört überall, dass in einer Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung Klage geführt wird über das mangelhafte Schriftbild von Schülern. Mehr als ein Drittel der Grundschulkinder hätten demnach Probleme, eine lesbare Handschrift zu entwickeln, und in höheren Klassenstufen könnten nur zwei von fünf Jugendlichen 30 Minuten und länger beschwerdefrei schreiben.

Wer also zum Beispiel Mühe mit dem Schreiben hat, kann bei Diktaten oder Aufsätzen nicht mithalten und handelt sich leichter Fehler ein. Er hat es auch schwerer beim Erstellen einer Vokabelliste oder beim Notieren von Hausarbeiten oder überhaupt beim Notieren von Dingen, die besprochen werden und wichtig sind. Manche Schüler schreiben so undeutlich, dass sie nach ein paar Tagen ihre eigenen Notizen nicht mehr entziffern können.

Doch in den Lehrplänen spiele das Erlernen des Schreibens kaum noch eine Rolle, moniert der Verband Bildung und Erziehung. In der erwähnten Umfrage gaben rund zwei Drittel der Pädagogen an, dass in den Schulen zu wenig Zeit zum Üben sei und sie zu wenig Hilfestellung bei der Vermittlung bekämen.

Dabei ist es für die Schüler nicht nur wichtig, ihre Gedanken schnell und lesbar zu Papier bringen zu können; die eigene Handschrift ist auch zeitlebens ein Abbild unserer Persönlichkeit. Viele Kinder lernen als Erstes, ihren eigenen Namen zu schreiben. Später verbürgt die Unterschrift unsere Authentizität. Die Handschrift ist wie eine Spur, die in unser Inneres führt. Dazu braucht sie allerdings Raum, sich zu entwickeln.

In ihrem Kampf für die Handschrift bekommen die Pädagogen Unterstützung von Hirnforschern und Psychologen. Sie verweisen darauf, dass Kinder vor allem haptisch lernen und Buchstaben im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal „begreifen“ müssen. Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder Buchstaben wie d und p oder b und q – zumindest den ersten Bestandteil – leichter auseinanderhalten können, wenn sie diese mit der Hand schreiben, statt sie zu tippen.

Kognitionsforscher erklären das damit, dass von Hand Geschriebenes plurimodal, also auf mehreren Ebenen, gespeichert wird. Wenn das Gehirn die Bewegungen der Hand mit den erlernten Buchstaben verbindet, werden mehr und größere Netzwerke im Gehirn aktiviert als beim bloßen Tippen. Denn die Strichführung mit der Hand ist wesentlich anspruchsvoller als das Hämmern auf einer Tastatur. Handschrift erfordert größere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung. Denn wir aktivieren beim Schreiben mit der Hand zwölf Gehirnareale, die vernetzt und koordiniert werden müssen, und nehmen 17 Gelenke und 30 verschiedene Muskeln in Anspruch.

Das Schreiben hilft uns dabei, unsere Gedanken beisammenzuhalten. Dadurch prägen sich die unterschiedlichen Buchstabenformen dauerhaft ein.

Die Handschrift nütze daher dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur, so resümieren Sprachforscher der Universität Köln in einem vor zwei Wochen veröffentlichten Faktencheck, in dem sie die einschlägige Studienlage sichten.

Die Bestsellerautorin Cornelia Funke formuliert das so – Zitat –: “Eine fließende Handschrift bringt die Gedanken zum Fliegen.“

Mit der „Siegener Erklärung zur Schrift in der Schule“ haben vier Experten im Mai dieses Jahres eine regelrechte Anklageschrift an die deutsche Bildungspolitik veröffentlicht. Die in vielen Schulen übliche Praxis, den Kindern zunächst mit der „Grundschrift“ die Druckbuchstaben beizubringen und sie erst später eine „verbundene Schreibschrift“ lernen zu lassen, bedeute doppelten Aufwand und verhindere das einfache Erlernen einer flüssigen Handschrift. Außerdem sei die in den meisten Bundesländern gelehrte „Vereinfachte Ausgangsschrift“ nur scheinbar vereinfacht. In Wahrheit erschwere sie das flüssige Schreiben und sei einer der Gründe für das schwache Schriftbild vieler Schüler.

Als „denkbar schlechteste Variante“ aller verfügbaren Schriften gehöre diese „Vereinfachte Ausgangsschrift“ geradezu verboten, sagen Wissenschaftler, nicht die AfD.

Die Hauptschwierigkeit der Vereinfachten Ausgangsschrift besteht nämlich darin, dass alle Kleinbuchstaben an der Mittellinie beginnen und dort wieder enden, häufig mit einem kurzen Stopp. Die Schrift ist somit an einer Hilfslinie orientiert, die es nur in Grundschulheften gibt. Entfällt diese Linie mit der einfachen Lineatur, so fehlt vielen Schriften der Halt und die Anschlüsse verreißen. Damit wird erklärbar, warum fehlender Schreibfluss und zunehmende Entgleisungen für viele Kinder erst beim beschleunigten Schreiben …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Helmut Seifen (AfD): … in der weiterführenden Schule zum Problem werden.

Die Erkenntnisse der Fachleute sollte der Landtag von NRW nicht ignorieren. Ich hoffe, wir können dann im Schulausschuss einen tatsächlich sachlich notwendigen Beschluss fassen, der jenseits politischer Differenzen die Qualität des Lernens erhöht. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Seifen. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Troles.

Heike Troles (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Wenn man Ihren Antrag liest, Herr Seifen, erweckt das den Eindruck, eine schöne Handschrift sei die rettende Arche der allmählich zugrunde gehenden menschlichen Kommunikation.

Dass dem so ist, will ich zu Beginn sehr stark anzweifeln. Im Kern Ihres Antrages tangieren Sie aber letztendlich nur Befunde, die seit Längerem bekannt sind und nicht erst seit dieser Legislaturperiode auf der Agenda der Schulpolitik stehen.

Das Thema „menschliche Kommunikation“, welches Sie im Titel des Antrages erwähnen und im Verlauf fälschlicherweise auf eine schöne Handschrift runterbrechen, ist komplexer, als Sie glauben möchten. Menschliche Kommunikation, die sowohl das geschriebene als auch das mündliche Wort umfasst, ist vielmehr ein dynamisches Thema. Wir leben heute in einer sich schnell ändernden Gesellschaft, in der sich die Frage der Zukunftsfähigkeit des Lernens für Grundschulen und weiterführende Schulen ständig neu stellt.

Richtig ist, dass seit Langem sowohl wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Konsens ist, dass Lese- und Schreibkompetenz grundlegende Schlüsselqualifikationen für ein erfolgreiches Lernen und damit schlussendlich auch für eine gesellschaftliche Teilhabe sind.

Richtig ist auch, dass die jüngsten Ergebnisse im Bereich der Rechtschreibung deutlichen Handlungsbedarf signalisieren. Das ist aber doch – und das müssen gerade Sie als ehemaliger Schuldirektor wissen – nicht erst seit Beginn der Legislaturperiode 2017 ein Thema.

Ich kann mich an Diskussionen von vor 20 Jahren erinnern, als bereits über die Ursachen von Rechtschreibproblemen diskutiert wurde. Die Illusion also, dass sich dies ändert, in dem wir wieder so unterrichten wie vor 20 bis 30 Jahren, können doch auch Sie nicht als zielorientiert und zukunftsgewandt verkaufen.

Die Landesregierung beweist nun aber Willensstärke, sich dieser anhaltenden Entwicklung entgegenzustellen und an den notwendigen Stellschrauben zu drehen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Kompetenzen „Rechtschreibung“ und „Lesen“ oberste Priorität haben.

Bereits jetzt hat die Regierung eine Handreichung als Leitfaden für Lehrerinnen und Lehrer mit einem Grundwortschatz versehen, der den Rechtschreibunterricht an Grundschulen fokussiert. Damit bieten wir den Lehrkräften, Eltern und Kindern einen verlässlichen und wissenschaftlich fundierten Orientierungsrahmen für das Rechtschreiblernen von Beginn an. Außerdem werden zum Schuljahr 2021/22 überarbeitete Lehrpläne eingeführt, die mit Sicherheit nicht in Richtung weniger Handschrift gehen.

Abschließend möchte ich noch einmal auf Ihre zur Nostalgie neigende Lobpreisung einer schönen Handschrift eingehen. Es ist doch nun wirklich nicht mehr zeitgemäß, die knapp bemessenen Unterrichtsstunden für nicht zielführenden Schönschreibunterricht zu gebrauchen. Verantwortungsbewusst für die Zukunft der Kinder hingegen ist ein Maßstab der guten Lesbarkeit der Handschrift als Teil eines guten Sprachverständnisses.

Um Ihnen die irrationale Angst zu nehmen, die Handschrift sei aus der Schule bereits verschwunden, möchte ich mit Einverständnis der Landtagspräsidentin aus der Richtlinie des Ministeriums für Schule und Bildung zum Fach Deutsch zitieren:

„Die Schülerinnen und Schüler beginnen mit dem Schreiben in Druckschrift. … Später entwickeln die Kinder eine gut lesbare verbundene Handschrift.“

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Lassen wir die Landesregierung also weiterhin ihren Job machen. Der in Kürze kommende Masterplan „Grundschule“ wird zeigen, dass sie mit Blick auf das Wesentliche verantwortungsbewusst gestaltet.

Der Überweisung in den zuständigen Schulausschuss stimmen wir natürlich zu, und wir freuen uns auf die dortige Diskussion. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Spanier-Oppermann.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Gerade als meine Kollegen Troles sagte „Sie wollen doch nicht in Nostalgie verfallen“, habe ich gedacht: Ich glaube, ich verfalle bei dem Thema „Handschrift“ auch mal kurz in Nostalgie.

Denn entgegen der Einleitung von Herrn Seifen ist das Thema „Handschrift“ hier im Landtag seit vielen Jahren immer mal wieder behandelt worden. Es ist für mich eine Art Dauerbrenner, worüber es auch viele Irrtümer gibt.

Das Thema „Handschrift“ ist eigentlich ein emotionales Thema, weil sich mit dem Thema gleich Bilder öffnen. Es ist mit vielen Erinnerungen verknüpft, mit alten Dokumenten, ja sogar mit familiären Erinnerungen.

Von Sütterlin bis zur Vereinfachten Ausgangsschrift – die Handschrift war sowohl im privaten als auch im schulischen Bereich immer ein Thema. Denn unsere Handschrift ist – das wissen wir alle – immer auch ein Ausdruck unserer Persönlichkeit und unseres Befindens und ein wichtiger Teil unserer Kommunikation.

Viele von uns haben nicht gezählte Stunden Unmengen an Bleistiften, Griffeln und Patronen gebraucht, bis wir zu unserer individuellen Handschrift gefunden hatten. Ich glaube, jeder von uns erinnert sich auch noch daran, wie er seine eigene Unterschrift geübt hat. – Nun aber genug der Nostalgie und der Verknüpfungen. Zurück zum Antrag!

Beim Lesen der ersten Zeilen habe ich mich noch gefragt: Was denn nun? – Soll die Handschrift abgeschafft werden oder ist das Ende der Handschrift durch die Digitalisierung bereits erfolgt? Nachdem ich mir dann das ganze Konvolut aus Zitaten und diversen Studien der letzten 30 Jahre kurz angesehen hatte, konnte ich erfreulicherweise feststellen, dass die Handschrift nicht abgeschafft wird, dafür aber aus Ihrer Sicht die Digitalisierung zum Niedergang des Bildungssystems beiträgt.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] – Helmut Seifen [AfD]: Nein, dann haben Sie den Antrag nicht richtig gelesen!)

– Wir sehen uns ja noch im Ausschuss. Sehr geehrte Damen und Herren, es besteht sicher Einigkeit, dass wir eine Verschlechterung motorischer Fähigkeiten bei Kindern beobachten,

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

und die Gründe dafür sind vielfältig und individuell.

(Helmut Seifen [AfD]: Auch das ist richtig!)

Sie jedoch führen in dem Antrag hauptsächlich die Digitalisierung als Ursache für diese zurückgehenden motorischen Fähigkeiten an. Doch das greift meines Erachtens zu kurz. Die Einführung digitaler Medien an Schulen, welche zurzeit in den Kommunen ja auch ausgesprochen unterschiedlich gehandhabt wird, bedeutet doch nicht, dass es nur noch Schwarz und Weiß gibt. Es bestehen viel mehr Möglichkeiten, das wissen Sie auch. Analoges und digitales Lernen stehen nicht im Widerspruch, sie ergänzen sich gegenseitig und sind keine Gegensatzpaare. Daher halten wir es auch für falsch, die Ergebnisse der STEP-Studie auf die Digitalisierung allein zu schieben.

Die digitale Technik schließt das Schreiben mit der Hand nicht aus, im Gegenteil. Aktuelle technologische Entwicklungen zeigen, wie digitale Medien das Schreiben mit der Hand integrieren und unterstützen. Denken Sie zum Beispiel an das interaktive Whiteboard, das Augmented Paper, Tablet oder den Stylus Pen. Es ändert sich das Medium, die Handschrift aber bleibt als Konstante.

Ich denke, wir werden im Ausschuss noch ausreichend Zeit haben, auf alle Details des Antrages einzugehen und diese zu diskutieren.

Einen Punkt würde ich ganz gerne noch ansprechen. Das ist die im Antrag erwähnte Methode „Lesen durch Schreiben“ von Jürgen Reichen. Wir hatten vor einigen Jahren eine Anhörung zu diesem Thema hier in diesem Hohen Hause. Schon damals wurde von den Experten festgestellt, dass es heute in der Regel keinen reinen Schriftsprachenerwerb nach dieser Methode „Lesen durch Schreiben“ mehr gibt. Vielmehr beherrschen Mischformen aus den verschiedensten Methoden die Klassenzimmer. Ich vertraue hier den Pädagoginnen und Pädagogen in den Schulen, dass sie genau wissen, was der richtige Mix ist; denn sie kennen ihre Schüler am besten.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Insofern stimmen wir der Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Spanier-Oppermann. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute den AfD-Antrag mit dem Titel „Rettet die Handschrift“. Meine erste Frage zu dem Thema lautet: Vor wem?

(Heiterkeit von der SPD)

Vor wem müssen wir denn die Handschrift retten?

(Helmut Seifen [AfD]: Vor dem Verfall!)

Ich habe nirgends die Forderung gehört oder gelesen, Grundschulkindern keine Handschrift mehr beizubringen. Weder eine Partei, Fraktion, ein Ministerium noch ein Lehrer-, Eltern- oder Schülerverband fordert das. Es hat mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wieder einmal bringt die AfD-Fraktion einen unausgegorenen und vor allem obsoleten Antrag hier im Hohen Hause ein. Es geht wie immer nur alleine darum, ein Feuer zu legen, wo keins ist, eine Debatte heraufzubeschwören, wo keine ist, und – das hat auch Frau Spanier-Oppermann eben völlig zu Recht angedeutet – vor vermeintlichen Gefahren der Digitalisierung zu warnen, wo keine Gefahren sind.

Sachlich gesehen gibt es keinen Grund für diesen Antrag. Der einzige Grund ist die tief in der AfD und besonders bei Ihnen, Herr Seifen, verwurzelte Furcht vor der Digitalisierung. Sie behaupten in dem Antrag, dass durch die Einführung von digitalen Medien die Handschrift verdrängt würde.

(Helmut Seifen [AfD]: Mein Gott!)

Dabei behaupten Sie auch, Lehrerverbände würden sich zunehmend zu Wort melden und auf die Gefahren verweisen, die hinter dem schwindenden Einsatz des manuellen Schreibens für die Gesamtleistung für Schülern lauern.

Insgesamt 15 Fußnoten in diesem Antrag sollen den Anschein erwecken, Sie hätten ordentlich recherchiert und wissenschaftlich gearbeitet. Aber allein schon diese wichtige unbelegte Stelle lässt Ihr Kartenhaus wieder einmal zusammenfallen. Welcher Lehrerverband soll behauptet haben, dass die Handschrift aus den Schulen zu verschwinden drohe? – Wir haben keinen einzigen gefunden, der uns das bestätigt hätte. Wer ist denn Ihre Quelle? – Frei nach Donald Trump Ihre eigene angeblich große und unübertroffene Weisheit?

Also, der Verband Bildung und Erziehung kann es jedenfalls nicht sein; denn der Vorsitzende Stefan Behlau sagte treffend – ich zitiere –: Das Schreiben mit der Hand und der Umgang mit den digitalen Medien müssen sich im Unterricht ergänzen und dürfen keinesfalls gegeneinander ausgespielt werden.

(Helmut Seifen [AfD]: Macht doch auch keiner!)

Auch die Landesregierung hat Ihnen, Herr Seifen, auf Ihre Anfrage wie folgt geantwortet: Die Schreibschrift hat nach wie vor als verbundene Handschrift einen sehr bedeutenden Stellenwert im Lehrplan der Grundschulen.

Meine Damen und Herren, da Herr Seifen augenscheinlich noch nie über den Tellerrand geschaut und sich mit den anderen Schulformen auseinandergesetzt hat, möchte ich gerne die restliche Zeit nutzen, um einen kleinen Exkurs über das Lernen einer Handschrift an Grundschulen zu geben. Im Grundschullehrplan des Fachs Deutsch in NRW sind derzeit vier verbundene Schreibschriften zugelassen: die Lateinische Ausgangsschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift, die Schulausgangsschrift und die Grundschrift.

Wie die Landesregierung bereits in der Antwort auf die Anfrage von Herrn Seifen mitteilte, entscheiden die Schulen vor Ort in ihrer eigenen pädagogischen und fachlichen Verantwortung, welche Schriftart die Schülerinnen und Schüler erlernen sollen. Um noch einmal zu zitieren: Im aktuell geltenden Lehrplan heißt es, dass die Schülerinnen und Schüler zum Ende der Klasse 4 flüssig in einer gut lesbaren verbundenen Handschrift schreiben.

Herr Seifen, Sie fordern jetzt, dass auf die Lateinische Ausgangsschrift zurückgegriffen werden sollte. Genau diese Forderung zeigt ganz eindeutig, dass Sie da nicht im Stoff sind.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

– Ja, ich erkläre Ihnen jetzt, warum Sie nicht im Stoff sind. Sie wüssten dann nämlich, dass die Lateinische Ausgangsschrift sehr viele Bewegungswechsel hat und deswegen für Kinder schwer zu erlernen ist. Stattdessen wählen die Schulen meistens zwischen der Vereinfachten Ausgangsschrift, die besonders im Bereich der großen Buchstaben Vereinfachungen hat, und der Schulausgangsschrift, die die Vereinfachte Ausgangsschrift mit der Lateinischen Ausgangsschrift verbindet.

Zum Schluss möchte ich die Forderungen 3 und 4 des Antrags mit einem weiteren Zitat von Stefan Behlau entkräften:

„Es ist utopisch zu glauben, dass eine Unterrichtsstunde ‚Schönschrift‘ und eine Benotung auf dem Zeugnis fehlende feinmotorische Fähigkeiten ausgleichen.“

(Beifall von der FDP)

Herr Seifen, ich bin wirklich gespannt, welche Argumente Sie im Schulausschuss noch anbringen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Rech. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die erste Enttäuschung war ja, dass dieser Antrag nicht handschriftlich eingereicht worden ist.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Das wäre nun wirklich einmal eine Herausforderung gewesen.

(Vereinzelt Beifall)

Das Zweite, was ich dazu sagen möchte, ist: Manche Wiederholung macht das Ergebnis auch nicht besser.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

Ich will darauf hinweisen, dass der Kollege Seifen am 27.08.2019 eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt hat, die am 27.09.2019 beantwortet worden ist. Ich finde das schon bemerkenswert. Er fragt in der Kleinen Anfrage:

„Teilt die Landesregierung die Ansicht, dass die Verdrängung der Schreibschrift durch digitale Medien den Lernerfolg beeinträchtigt?“

Die Landesregierung antwortet:

„Die Schreibschrift hat nach wie vor als verbundene Handschrift einen sehr bedeutenden Stellenwert im Lehrplan Grundschule.“

Sie weist in der Antwort auf die nächste Frage darauf hin, dass damit auch die KMK-Vereinbarungen eingehalten und gestärkt werden.

Im AfD-Antrag heißt es dann stoisch ignorierend:

„Die Verdrängung der Handschrift wird durch Digitalisierungsentwicklungen in Schule und Unterricht möglicherweise weiter voranschreiten.“

(Helmut Seifen [AfD]: Konjunktiv!)

So könnte man das Ganze fortsetzen.

Das heißt: Sie haben dieses Ding auf der Grundlage von Antworten recycelt, die Sie schon bekommen haben. Das Ganze wird noch einmal aufgewärmt.

Das war keine besonders zu honorierende Leistung, Herr Seifen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von den Kolleginnen und Kollegen ist schon ganz viel gesagt worden. Sicherlich ist eines grundsätzlich richtig: Die Frage der Bewegung ist eine ganz wesentliche. Das ist nicht nur die Frage des Bewegens mit der Handschrift und der Aktivierung der Gehirnregionen, sondern eine Frage der Bewegung insgesamt. Frau Spanier-Oppermann hat schon darauf hingewiesen. Das Stehen auf einem Bein, das Rückwärtslaufen, die Koordinierung: All das sind wesentliche Dinge.

Ich sage Ihnen aber ganz klar: Mein Sohn hatte mit der flüssigen Schreibschrift seine Probleme. Es war ein Segen, dass die Schule individuell reagieren und anders ansetzen konnte. Er promoviert gerade in Chemie. Es hat ihm offensichtlich nicht geschadet. Sein Doktorvater scheint das, was er da abliefert, auch lesen zu können. – Das ist das Erste.

Ein Zweites will ich auch noch einmal sagen. Es gibt in Ihrem Antrag eine Stelle, an der Sie darauf hinweisen, dass das Schönschreiben jetzt auch noch zu einem Zensurenfach werden soll. Verraten Sie uns bitte noch, ob das dann auch für die Schulformempfehlung verbindlich wird und darüber entscheidet, ob man zum Gymnasium gehen darf oder nicht. Das würde, glaube ich, genau Ihrem Bildungsansatz entsprechen.

Ich sage es noch einmal mit Goethe: „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“ Das gilt leider auch für diesen Antrag.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Gebauer.

Yvonne Gebauer*), Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich mich für mein Zuspätkommen zu diesem Tagesordnungspunkt entschuldigen.

Meine Damen und Herren der AfD-Fraktion, schon der erste Satz Ihres Antrags zeigt, dass er ins Leere läuft. Dort heißt es – mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich –:

„Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob das handschriftliche Schreiben im Zeitalter von Handys und Computern nicht längst verzichtbar geworden sei.“

Ich gehöre nun auch schon einige Zeit diesem Hause an. Diese Diskussion – das ist bereits von meinen Vorrednerinnen gesagt worden – ist mir und uns nicht bekannt.

(Beifall von Franziska Müller-Rech [FDP])

Unabhängig von solchen vermeintlichen Diskussionen möchte ich feststellen: Für mich und für die gesamte Landesregierung steht außer Frage, dass die Entwicklung einer verbundenen Handschrift bereits jetzt, aber auch weiterhin zum Bildungsauftrag der Grundschulen gehört.

Ja, es ist richtig; die Kommunikationswege haben sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert und auch wesentlich beschleunigt. Es trifft zu, dass durch gesellschaftliche Entwicklungen digitales Schreiben und Lesen einen immer größer werdenden Platz in unserem Alltag einnehmen.

Die digitale Bildung ist ein zentraler Grundstein für eine erfolgreiche und selbstbestimmte Lebens- und Erwerbsbiografie. Schreib- und Medienkompetenz sind maßgeblich für die Chance eines jeden einzelnen Menschen auf seine freie Entfaltung und Selbstverwirklichung.

Gleichzeitig sichern digitale Kompetenzen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Innovations- und Zukunftsfähigkeit und damit auch den Wohlstand unserer Gesellschaft und deren Möglichkeit für einen sozialen Ausgleich.

Auf diese Lebenswirklichkeit müssen wir unsere Schulen sowie die Schülerinnen und Schüler bestmöglich vorbereiten.

Von einer Verdrängung der Handschrift in der Grundschule kann deswegen aber noch lange nicht die Rede sein.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Der Lehrplan für die Grundschulen formuliert – das ist bereits ausgeführt worden; ich denke aber, an dieser Stelle tut es gut, das noch einmal zu sagen –:

„Im Zuge der Verflüssigung des Schreibverlaufs und der individuellen Ausprägung der Schrift entwickeln die Schülerinnen und Schüler aus der Druckschrift eine gut lesbare verbundene Handschrift. In allen Phasen der Grundschulzeit sind Schreibaufgaben von Bedeutung, in denen formklares und gestaltendes Schreiben wichtig wird.“

Eine durch Digitalisierung geprägte Zukunft, die wir in ihrer Ausprägung heute noch nicht vorhersehen können, erfordert eine Schule der Zukunft und nicht der Vergangenheit. In Zeiten einer digitalisierten Welt kann und darf es nicht um ein Entweder-oder gehen, sondern muss es um ein Sowohl-als-auch gehen. Schulen sind dann erfolgreich, wenn es gelingt, die Möglichkeiten zum Beispiel der Digitalisierung mit den pädagogischen Herausforderungen und Zielsetzungen der Grundschule zu verbinden.

Deshalb wird die Landesregierung weiterhin auf beides Wert legen, auf das Erlernen einer verbundenen Handschrift genauso wie auf den ziel- und sachorientierten und sachgerechten Umgang mit den digitalen Medien. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wenn niemand mehr das Wort wünscht – das ist so –, kann ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7535, über den wir gerade debattiert haben, an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Beratung und Abstimmung wird dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Möchte jemand sich enthalten? – Beides war nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

5   Nachwuchsleistungssport in Nordrhein-Westfalen: Bessere Chancen für Talente durch mehr Qualität an den Sportschulen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7545

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der CDU Herr Kollege Scholz das Wort.

Rüdiger Scholz*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sportschulen in unserem Land sind eine Erfolgsgeschichte. Für die künftige Stellung Nordrhein-Westfalens als Sportland Nummer eins bedarf es im Leistungssport hervorragender Spitzensportlerinnen und Spitzensportler sowie Nachwuchstalente.

Mit der Einrichtung von bisher 18 Sportschulen haben wir einen bildungs- und sportpolitischen Weg eingeschlagen, um eine stärkere Leistungssportkultur zu entwickeln und sich deutlich zu Leistungssport zu bekennen. Die Sportschulen bieten sportlichen Nachwuchstalenten die notwendigen Rahmenbedingungen. Dies ist notwendig, um Talenten die Möglichkeit zu geben, Schule und sportliches Leistungsvermögen miteinander zu verbinden. So können begabte junge Menschen zu leistungsstarken Sportlerinnen und Sportlern heranwachsen.

Die NRW-Sportschulen verfolgen dabei das Ziel, sportliche Nachwuchstalente so zu unterstützen, dass die leistungssportliche Karriere und der individuelle Bildungsgang bestmöglich verlaufen und miteinander verknüpft werden. Die Weiterentwicklung der sportlichen Leistungen und eine Schullaufbahn, die zu dem höchstmöglichen Abschluss führt, machen die Sportschulen für die Talente unseres Landes zu einem ausgezeichneten Schulangebot.

Um diese Talente frühzeitig zu entdecken und zu fördern, ist auch eine verstärkte Kooperation der NRW-Sportschulen mit umliegenden Grundschulen wichtig. In ihnen ist der Sportunterricht für die ganz jungen Schülerinnen und Schüler vorrangig spielerisch angelegt. Aber auch hier lassen sich schnell jene entdecken, deren Talent weit über den spielerischen Akzent hinausreicht. Diese jungen Menschen erhalten dann beim Übergang zur Sportschule eine gute Perspektive zur Weiterentwicklung ihrer sportlichen Fähigkeiten.

Gleiches gilt für die Zusammenarbeit der Sportschulen mit den Vereinen und Sportbünden ihres Umfeldes. Hier helfen Kontakte, ein starkes regionales Netzwerk zu schaffen. Gemeinsam können dann alle Beteiligten die sportliche Weiterentwicklung der jungen Talente in den Blick nehmen.

Um die Ziele der Sportschulen zu erreichen, ist auch eine entsprechende personelle Ausstattung notwendig. Deswegen hat die NRW-Koalition allein in den vergangenen beiden Jahren 36 zusätzliche Lehrer-Trainer-Stellen für die 18 NRW-Sportschulen bereitgestellt. Diese Lehrer-Trainer sorgen auch für eine qualitative Weiterentwicklung der Sportschulen.

Wenn sich unter ihnen ein ehemaliger Goldmedaillengewinner Olympischer Spiele befindet, der als Lehrer-Trainer an einer Sportschule aktiv wird, ist dieses Vorbild die Grundlage für einen zusätzlichen Motivationsschub für die Schülerinnen und Schüler. Es gibt nichts, was mehr Ansporn zu Leistungen bringt.

In zwei Phasen wurden durch die Sporthochschule Köln die Sportschulen evaluiert. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet und mit den Sportschulen besprochen. Aber schon die erste Evaluierung gibt wichtige Handlungsempfehlungen zur Steigerung der Qualität.

Unter anderem wird festgestellt, dass die Schulprogramme an vielen Standorten veraltet sind. Es wird empfohlen, die Schulprogramme und Leitbilder auf die Erfordernisse für Sportschulen anzupassen.

Empfohlen wird auch eine verbesserte Auswahl der Talente.

Mit ihrem Antrag sorgt die NRW-Koalition hier für einen klaren rechtlichen Rahmen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Das ist auch ein Meilenstein bei der qualitativen Weiterentwicklung. Dies war ein großer Wunsch der NRW-Sportschulen, den wir nun umsetzen.

Die rechtlichen Grundlagen sollen so verändert werden, dass das individuelle sportliche Potenzial von Schülerinnen und Schülern schon bei ihrer Aufnahme in die NRW-Sportschulen stärker berücksichtigt wird. Das bedingt eine verbesserte Auswahl der Talente. Die rechtlichen Grundlagen müssen den Aspekt des individuellen Talents als Aufnahmekriterium für alle Schulstarterinnen und Schulstarter des Jahrgangs 5, die den Sportzweig besuchen wollen, berücksichtigen. Damit soll sichergestellt werden, dass unabhängig vom Wohnort auch wirklich die Talente den Weg zu den Sportschulen finden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich schon heute darauf, einige junge Menschen, die ich an der Sportschule beobachten konnte, bei den Olympischen Spielen 2032 wiederzusehen, die dann hoffentlich in der Region Rhein-Ruhr stattfinden werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Scholz. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag*) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist eigentlich eine Sportschule, und was machen die Schüler dort? Das waren meine ersten Gedanken, als ich mich vor langer Zeit das erste Mal mit den Sportschulen in Nordrhein-Westfalen beschäftigt habe.

Zunächst stellt man sich vielleicht vor, alle Schüler der Schule machten den ganzen langen Tag nichts anderes, als Sport zu treiben, und daneben werde dann noch ein wenig gelernt. Aber so ist das Gott sei Dank dann doch nicht. An unseren mittlerweile 18 Sportschulen in Nordrhein-Westfalen werden die Schüler normal unterrichtet, bekommen aber mehr Zeit für Sporttrainings und werden besonders schulisch gefördert, wenn zum Beispiel durch Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen Unterricht versäumt wurde.

Dieser Aufbau ist so auch völlig richtig. Eine gute Verzahnung von Leistungssport und Schule ist für unsere Nachwuchsathletinnen und ‑athleten nämlich besonders wichtig. Denn natürlich wird nicht jedes junge Talent später Profisportler und kann seinen Lebensunterhalt durch den Sport bestreiten. Es kommt auch immer wieder zu vorzeitigen Karriereenden.

Um international weiter sportlich bestehen zu können, sind wir auf hervorragende Nachwuchsathletinnen und ‑athleten angewiesen. 2006 hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung deshalb mit der Errichtung von Sportschulen Neuland betreten, womit die Nachwuchsleistungsförderung auf ein neues Qualitätsniveau gehoben wurde, und damit Schule und Leistungssport eng miteinander verbunden.

Die NRW-Sportschulen möchten Nachwuchstalente so unterstützen, dass die leistungssportliche Karriere und der individuelle Bildungsgang sowie gleichzeitig die Persönlichkeitsentwicklung bestmöglich verlaufen.

Seit 2006 ist die Anzahl an Sportschulen in Nordrhein-Westfalen auf bis heute 18 Schulen angewachsen. An dieser Stelle möchte ich auch würdigen, dass die rot-grüne Vorgängerregierung die schwarz-gelbe Idee unterstützt und zu diesem Aufwuchs mit beigetragen hat.

In vielen Besuchen und Gesprächen an unseren Sportschulen haben wir feststellen müssen, dass der sportliche Nachwuchs noch stärker gefördert werden muss. Deshalb haben wir schon in unserem Koalitionsvertrag die qualitative Weiterentwicklung unserer Sportschulen angekündigt. Damit wurde bereits im letzten Jahr angefangen, indem wir 2018 schon 18 Lehrer-Trainer-Stellen eingerichtet haben und diese im Haushaltsjahr 2019 noch einmal auf 36 verdoppelt haben. Mit unserem Antrag wollen wir die Qualität aber nun weiter steigern.

Ebenfalls war es ein cleverer Schachzug, die eingerichteten Sportschulen im Pionierstatus wissenschaftlich zu untersuchen. 2013 bis 2015 wurden die ersten acht NRW-Sportschulen wissenschaftlich untersucht, 2015 bis 2018 die restlichen zehn NRW-Sportschulen.

Der Evaluationsbericht über den ersten Projektzeitraum liegt vor. Er enthält Handlungsempfehlungen zu Verbesserungen. Diese Handlungsempfehlungen sind der Ausgangspunkt für unsere heutige Initiative.

So wollen wir die Talentauswahl verbessern, indem das individuelle sportliche Potenzial der Schülerinnen und Schüler bei der Aufnahme in einer NRW-Sportschule stärker berücksichtigt wird.

Wir halten es zudem als Eignungskriterium für Schülerinnen und Schüler an einer Sportschule für wichtig, dass diese das Deutsche Sportabzeichen erwerben.

Darüber hinaus wollen wir auch die Qualität der NRW-Sportschulen in einem ersten Schritt unbürokratisch steigern. Die Sportschulen sollen sich im Wettbewerb untereinander zur besten Sportschule Nordrhein-Westfalens entwickeln können. Hierdurch können kreative Wege beschritten werden, die der schulischen Profilstärkung zugutekommen.

Außerdem wollen wir die Sportschulen offen ermuntern, Kooperationen mit Hochschulen einzugehen, um den Athleten auch hier frühzeitig einen beruflichen Weg in Verbindung mit dem Leistungssport aufzuzeigen.

Lassen Sie uns unsere Vorschläge im Ausschuss diskutieren. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bischoff.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Anliegen der beiden Vorredner und der Koalitionsfraktionen, mit ihrem Antrag die NRW-Sportschulen auf ihre Qualität hin überprüfen zu wollen, teilen wir. Dieser Ansatz ist richtig. Es ist denkbar, nach Prüfung all dieser Kriterien gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen. Da muss man einfach schauen, wie es ausgegangen ist. So weit besteht Übereinstimmung.

Jetzt tauchen aber die Fragen nach dem Zeitpunkt auf. Sie haben gerade – Herr Terhaag hat es noch einmal ausgeführt – den Evaluationsbericht für weniger als die Hälfte der Schulen ausgewertet. Acht sind ausgewertet, zehn noch nicht. Da fragt man sich doch als geneigter Hörer, Herr Terhaag: Warum warten wir nicht auf die anderen zehn? Sie stellen jetzt einen Antrag, nachdem weniger als die Hälfte der Erkenntnisse da ist, und sagen: Das, das und das wollen wir schon einmal verändern. – Das ist unlogisch und in meinen Augen auch unseriös. Es ist einfach unsinnig. Da warte ich doch ab, bis ich alles ausgewertet habe.

Ein anderes Beispiel: Die 22 Partnerschulen des Leistungssports werden in der Begründung Ihres Antrags nur in einem Nebensatz erwähnt. Diese Partnerschulen sind natürlich nicht die NRW-Sportschulen; das weiß ich auch. Ich muss sie mir aber auch einmal angucken, wenn ich Veränderungen bei den NRW-Sportschulen vornehmen will, und schauen, wie es in den 22 Partnerschulen läuft, was da gut ist und was da schlecht ist. Das muss ich doch in den Antrag einfließen lassen. Es ist aber in Ihrem Antrag überhaupt nicht vorhanden – und in Ihren Redebeiträgen auch nicht.

Jetzt wartet der geneigte Hörer wenigstens auf eine Begründung dafür. Warum preschen wir denn mit den Pferden vor, bevor wir überhaupt die Auswertung haben? Bei Herrn Scholz habe ich nichts gehört, bei Ihnen auch nicht. Es gab keine Begründung. Das macht man einfach einmal.

Bei Ihnen kam noch der Zwischensatz: Wir haben das im Koalitionsvertrag aufgeschrieben. – Aber es kann doch nicht nach dem Koalitionsvertrag statt nach den sachlichen Gegebenheiten gehen. Sie können nicht nach zweieinhalb Jahren den Koalitionsvertrag herausnehmen und sagen, jetzt müsse man einmal etwas machen, wenn Sie es im Vorfeld gar nicht geprüft haben. So geht es jedenfalls nicht.

Im Antrag kommt auch eine Forderung vor, die man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. In Ziffer 3 wollen Sie „aus bereiten Mitteln“ etwas machen. Von „bereiten Mitteln“ habe ich in einem Antrag dieses Hohen Hauses noch nie etwas gelesen. Ich nehme an, dass es bereitstehende Mittel sein sollen, also Mittel, die schon vorhanden sind. Daraus wollen Sie jetzt die besten Schulen ehren oder prämieren. Die Frage ist: Was sind denn nun die besten Schulen? Da haben Sie überhaupt keinen Gedanken an irgendeine Definition von Qualität verschwendet.

Noch einmal – Herr Terhaag hat das vorgetragen; ich wiederhole es –: Die Sportschulen sind dafür da, sportliche Erfolge mit schulischen Erfolgen zu verbinden. Wenn ich jetzt die besten heraussuche, dann nehme ich die, die die meisten Olympiasieger hervorgebracht haben, oder die, die die meisten in den Sportkader gebracht haben, oder die mit den besten Schulnoten der Schülerinnen und Schüler oder die mit den Schülerinnen und Schülern, die hinterher die besten Karrieren machen. Das kann ich beim Schulabschluss aber noch nicht erkennen. Ich brauche einen 25-Jährigen, um zu sehen, was dessen Schulnoten denn erbracht haben.

(Beifall von der SPD)

– Danke. – Alles das ist überhaupt nicht definiert. Sie schreiben aber in Ihrem Antrag, dass „aus bereiten Mitteln“ schon einmal Schulen geehrt werden sollen. Das riecht einfach nach purer Ideologie.

Bei der IHK-Bestenehrung – da bin ich jedes Jahr – hat man wenigstens Kriterien. Die IHKn ehren auch die Besten. Sie haben aber zumindest Kriterien. Das sind die Schulnoten. Da ist jedenfalls klar, nach welchen Regeln gespielt wird. Bei Ihnen ist das überhaupt nicht klar. Sie machen das einfach.

Ein letzter Satz noch – das Licht blinkt schon; ich habe noch zwei Minuten –: Weil Sie das alles nicht gesagt haben, habe ich die Hoffnung – Frau Gebauer spricht gleich, wenn ich das richtig sehe; niemand sonst sitzt auf der Regierungsbank –, dass Sie auf das, was ich jetzt frage, eingehen werden.

An dieser Stelle will ich eine Unsitte ansprechen, die hier im Sport existiert. Frau Milz schätze ich als Fachfrau. Sie ist nämlich Staatssekretärin für den Sport. Sie darf hier aber nicht reden. Wir haben jedes Mal einen anderen Minister oder eine andere Ministerin – letztes Mal war es die Heimatministerin; es war auch schon einmal der Europaminister; ich weiß gar nicht, wer sonst noch alles –, die die wohlvorbereitete Rede, die Frau Milz wahrscheinlich zumindest verantwortet, dann vorliest. Dabei kann sie aber überhaupt nicht auf das eingehen, was ich gesagt habe und was gleich noch Frau Paul von den Grünen sagt. Sie liest einfach die Rede herunter. Das ist auch richtig. Das ist keine persönliche Kritik, Frau Gebauer. Sie sind ja die Schulministerin.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Sie kennen die Rede doch gar nicht!)

– Ich habe ja schon oft genug hier gesessen. Das war doch immer gleich.

(Zurufe von der CDU)

Das ist ein schwerer Nachteil für die Debattenkultur in diesem Haus. Das will ich einmal deutlich sagen. Denn eigentlich wollen wir auf die Vorredner eingehen. Ich bilde mir ein, dass ich das getan habe. Ich bin auf Herrn Terhaag eingegangen und habe die Defizite angesprochen, die es in meinen Augen in seiner Rede gab. Es wäre schön, wenn die Regierung es auch so hinbekommen würde, dass man die Debatte mit ihr führen könnte und hier nicht einfach vorgefertigte Reden heruntergelesen werden.

Wir stimmen natürlich der Überweisung in den Ausschuss zu. Das ist gute Gepflogenheit. Aber Sie ahnen nach meinem Beitrag schon, dass unser Rat ist: Legen Sie das ganz tief in die Schublade. Geben Sie es nicht so schnell in den Ausschuss. Warten Sie ab, bis die Evaluationen durch sind. Dann müssen Sie es ohnehin noch einmal umschreiben. Da bin ich ganz sicher. Dann könnten wir uns damit beschäftigen. Dann wäre es vernünftig. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Bischoff hat gerade etwas angesprochen, auf das ich auch schon mehrfach hingewiesen habe. Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen der Eigenzuschreibung, dass Sport in dieser Landesregierung Chefsache sei, und der Tatsache, dass der Chef, dessen Sache es eigentlich ist, hier mehrheitlich nicht dazu redet, sondern immer jemand anders aus der Regierungskoalition. Allerdings – das will ich zugestehen – hat er auch schon selber zum Sport geredet. Die Landesregierung entscheidet aber natürlich selbst, wie sie das zuteilt und ressortiert.

Angesichts des großen Selbstlobs, dass Sport Chefsache ist, ist es aber schon ein bisschen schade, dass der Chef nie da ist, um zur Sache zu sprechen. Aber wir wissen bei Ihnen, Frau Milz, den Sport trotzdem in sehr guten Händen, auch wenn Sie hier nicht reden dürfen.

Zum Antrag, zu den NRW-Sportschulen: Ja, es ist richtig; die 18 NRW-Sportschulen, die Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Gelb fördern und, glaube ich, ab 2022 auch weiterhin gefördert werden, leisten einen wichtigen Beitrag zur Talentförderung und zur Leistungssportförderung in Nordrhein-Westfalen.

Dies zu evaluieren, ist auch richtig. Ich kann mich allerdings Herrn Kollegen Bischoff anschließen. Wenn man die Evaluation noch nicht abgeschlossen hat, ist es ein bisschen eigenwillig, zu sagen: Dann nehmen wir schon einmal Teilerkenntnisse und fangen schon einmal an. – Möglicherweise sind die Erkenntnisse im Rest des Berichts aber andere. Aber sei es drum!

Herr Kollege Terhaag, Sie haben gerade gesagt – das ist auch im Koalitionsvertrag niedergelegt; ich habe es noch einmal nachgelesen –, dass es eine qualitative Weiterentwicklung der NRW-Sport-schulen und der Leistungssportförderung im Nachwuchsbereich geben soll. Dagegen ist nichts einzuwenden. Da haben Sie uns grundsätzlich an Ihrer Seite.

Das, was in Ihrem Antrag steht, wird diesem Anspruch jedoch nicht ganz gerecht. Denn was fällt Ihnen – auch darauf hat Herr Kollege Bischoff hingewiesen – da zum Beispiel ein? Zu prüfen, ob aus bereiten Mitteln jährlich die beste NRW-Sportschule geehrt werden kann!

Wir hatten gerade im Sportausschuss die Haushaltseinbringung. Neben anderen Dingen, die durchaus positiv zu bewerten sind, fällt mir auf, dass die Landesregierung mit Preisen schier um sich wirft. Es gibt im Haushaltsbereich einen großen Aufwuchs wegen Preisverleihungen. Es ist auch richtig, dass verdiente Sportlerinnen und Sportler geehrt werden sollen und auch diejenigen, die ehrenamtlich den Sport tragen, geehrt werden sollen. Dagegen habe ich überhaupt nichts.

Ich glaube allerdings, dass eine Ehrung der besten NRW-Sportschule ein Preis ist, den wir nicht brauchen. Ich persönlich wünsche mir, dass alle 18 NRW-Sportschulen exzellente Arbeit leisten, und zwar im Bereich der Bildung und im Bereich der Leistungssportförderung.

(Beifall von der SPD)

Ich brauche aber keinen Preis, um das festzustellen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ein weiterer Punkt: NRW-Sportschulen sollen verstärkt mit den umliegenden Grundschulen kooperieren. Das wiederum habe ich gerne gelesen. Denn damit wäre – korrigieren Sie mich, wenn ich das fehlinterpretiert habe; ich hoffe aber, dass das nicht der Fall ist – der Unsinn, den Sie mit den NRW-Sportgrundschulen in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben, endlich vom Tisch, und Sie hätten eingesehen, dass wir keine Kaderschmieden von Sechsjährigen brauchen, sondern vernünftige Bewegungsangebote, gerne vernetzt mit den NRW-Sportschulen, gerne vernetzt mit den Vereinen. Es geht da noch nicht wirklich um Leistungssportförderung, sondern um Bewegungsförderung. Ich hoffe, dass ich das richtig interpretiert habe und Sie sich damit von einer nicht wirklich zielführenden Idee verabschiedet haben.

Ferner sollen Sportschulen zu mehr Kooperationen mit Hochschuleinrichtungen ermuntert werden. Ich finde es schön, dass Sie ermuntern wollen. Viel Konkretes, was Sie wirklich umsetzen und machen wollen, steht dort aber nicht drin.

Das ist allerdings auch nur die Hälfte. Mir fehlt eine Linie, wohin Sie mit der Leistungssportförderung im Nachwuchsbereich in diesem Land eigentlich wollen. Sie wollen Preise vergeben; schön. Sie wollen dieses und jenes prüfen und zu etwas ermuntern; schön.

Mir fehlt jedoch eine sehr deutliche Stärkung der dualen Karriere. Mir fehlt auch eine deutliche Stärkung der schulischen Ausbildung. Denn – Herr Kollege Terhaag, Sie haben darauf hingewiesen – nicht alle Talente kommen tatsächlich im Spitzensport an. Wir müssen aber sicherstellen, dass sie trotzdem im schulischen System integriert bleiben, dass sie dort integriert gefördert werden und dass nicht, wenn ihnen die eine Lebenswelt Sport wegbricht, dadurch auch die anderen Lebenswelten negativ beeinflusst werden. Auch dazu gibt es keinen Hinweis in diesem Antrag. Das ist mir zu kurz gesprungen.

Eine weitere Frage ist, was mit den Athletinnen und Athleten ist, die nicht zur Universität gehen. Beispielsweise in Baden-Württemberg gibt es die Initiative „Partnerbetrieb des Spitzensports“. Ich glaube, wir täten gut daran, uns auch hier einmal intensiver damit auseinanderzusetzen, wie Betriebe den Spitzensport unterstützen und fördern können und wie Athletinnen und Athleten eine duale Karriere aufbauen können, möglicherweise nach einer Ausbildung, aber auch im Bereich der Ausbildung.

Es gibt also einige Punkte, bei denen ich mir wünsche, dass, wenn man schon qualitativ weiterentwickeln will, wirklich qualitativ diskutiert wird. Ein paar Punkte habe ich angesprochen. Vielleicht kommen ja einige davon in der Evaluation, wenn sie komplett ist, auch noch vor. Dann können wir weiter darüber diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Keith.

Andreas Keith*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch die AfD unterstützt selbstverständlich und ausdrücklich den Ausbau und die Verbesserung der Qualität des Nachwuchsleistungssports in NRW.

Doch eine Verwirklichung dieses ausgesprochen wichtigen Ziels kann durch Ihren Antrag nicht im Ansatz erreicht werden. Dieser Antrag offenbart, dass Sie die gegenwärtige Situation an den Sportschulen, mit der sich der Leistungssportnachwuchs konfrontiert sieht, nicht wirklich kennen bzw. falsch einschätzen. Das ist fatal für unsere jungen Talente.

Langfristige qualitative Verbesserungen für den Leistungssportbereich beginnen bereits bei der Talentsichtung und Talentförderung – in den Schulen und Sportvereinen, bei flexibleren Trainingszeiten, finanzieller Unterstützung und einer professionellen Betreuung, die die schulische, berufliche, sportliche, aber vor allem auch die persönliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen vereint. Sie brauchen individuelle Betreuung gerade in einer sich immer stärker und schneller verändernden Umwelt und die Garantie auf eine gute Bildung, die im harmonischen Einklang mit ihren besonderen Talenten steht, die diesen engagierten jungen Menschen nicht nur viel Kraft abverlangt, sondern auch viel Zeit.

Auch bedarf es hochqualifizierter Trainer, Betreuer und Lehrer an diesen Schulen, die weit besser bezahlt und abgesichert werden müssen, als das gegenwärtig der Fall ist. Denn nur so können Fluktuationen vermieden werden sowie langfristige Trainingserfolge erzielt und garantiert werden.

Das Spitzensportdreieck „Athlet, Trainer, Sportstätten“ ist wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

All diese entscheidenden Aspekte finden aber in Ihrem Antrag leider keinerlei Berücksichtigung.

Stattdessen fordern Sie eine verpflichtende Teilnahme zum Erwerb des Sportabzeichens ab Klas-se 5. Wie soll denn, bitte schön, diese Verpflichtung zu einer Qualitätssteigerung an den Sportschulen führen? Diesen kausalen Zusammenhang müssen Sie mir im Ausschuss einmal erklären.

Sie fordern weiterhin, dass NRW-Sportschulen das individuelle sportliche Potenzial bei der Aufnahme stärker berücksichtigen sollen. Ja, mein Gott! Nach welchen Kriterien erfolgt denn gegenwärtig die Aufnahme an Sportschulen, wenn nicht auch und besonders nach individuellen sportlichen Potenzialen? Glauben Sie wirklich, dass allein durch die gesetzliche Festschreibung eine Qualitätsverbesserung in den Sportschulen eintritt? Und wieso beziehen Sie sich eigentlich bei der Verbesserung der Chancen für Talente nur auf die Sportschulen und nicht auch auf alle anderen Schulen?

Ziel muss es doch sein, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen aller Kader und Talente im Leistungssport zu erreichen. Denn nicht alle Kinder und Jugendlichen, die sich dem Leistungssport verschrieben haben, gehen auf eine Sportschule oder eine Partnerschule des Leistungssportes. Sie gehen auf normale Schulen, trainieren vor oder nach der Schule mit einem riesigen zusätzlichen Zeit- und Wegeaufwand, der ohne einen hohen materiellen und personellen Einsatz der Eltern nicht möglich wäre. Daher muss die Förderung der Eltern und der Kinder in gleichem Maße berücksichtigt werden, um diese jungen Talente nicht zu verlieren.

Ja, ein guter Ansatz wäre es wirklich, wenn die Sportschulen, aber auch alle anderen Schulen einen unbürokratischeren, kreativeren und flexibleren Entwicklungspfad für Leistungssportler, Talente und Kader beschreiten würden. Ganz sicher wird das nicht durch Ihre Forderung nach einer jährlichen Auspreisung von Sportschulen erreicht.

Um den Leistungs- und Spitzensport langfristig zu fördern und auszubauen, bedarf es konkreterer Vorschläge und Maßnahmen, als von Ihnen in diesem Antrag gefordert.

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die Forderungen, die sich aus der Evaluation ergeben haben, mit aufzunehmen. Ich möchte nur einige Beispiele nennen, die dort aufgezählt worden sind:

Das waren mehr Trainer und Betreuer, insbesondere eine bessere Bezahlung, um eine langfristige Bindung an die Sportler ermöglichen zu können.

Sie hätten sicherstellen können, dass entsprechender Sportunterricht gewährleistet ist und nicht regelmäßig an unseren Schulen ausfällt.

Das ist eine stärkere Gewichtung – es wurde eben schon angesprochen – der Förderung von doppelten Karrieren.

Aber warum stehen diese Forderungen nicht in Ihrem Antrag? – Ich kann es Ihnen sagen: Sie stehen nicht in Ihrem Antrag, weil sie unfassbar viel Geld kosten – Geld für die Sanierung unserer zum Teil maroden Sportstätten, Geld für die Ausbildung von Trainern, Geld für unbefristete Arbeitsverträge und Geld für den Bau von Internaten.

Leider gehen Sie in Ihrem Antrag auf die Probleme der Talentförderung nicht ursächlich ein, und daher wird er auch nicht die Chancen unserer Sporttalente verbessern.

Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir natürlich zu und freuen uns auf die Debatte. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Gebauer in Vertretung für den Ministerpräsidenten das Wort. Bitte schön.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Bischoff, ich meine, sagen zu dürfen, dass ich alle meine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett kenne und auch deren Fachbereiche. Ein Rohbauminister – so wie Sie ihn hier vorhin betitelt haben – ist mir allerdings nicht bekannt. Da würde ich gerne nachfragen, wen Sie konkret gemeint haben. Vielleicht habe ich es auch nur falsch verstanden. Aber ich habe Ihre Kollegin aus der SPD-Fraktion vis-à-vis angeschaut, und wir meinten beide, „Rohbauminister“ gehört zu haben. Aber gut.

Zurück zum Antrag: Die Landesregierung hat mit der Einrichtung und stetigen Weiterentwicklung von insgesamt 18 NRW-Sportschulen einen bundesweit neuen und eigenen bildungs- und sportpolitischen Weg eingeschlagen.

Die NRW-Sportschulen verfolgen das Ziel, sportliche Nachwuchstalente so zu unterstützen, dass die Karriere im Leistungssport und der individuelle Bildungsgang bestmöglich verlaufen. Talente erhalten hier ausgezeichnete Rahmenbedingungen, um Schule und Leistungssport miteinander vereinbaren zu können.

Um eine Analyse des Modells der NRW-Sport-schulen zu gewährleisten, wurden die NRW-Sport-schulen einer systematischen wissenschaftlichen Evaluation durch die Deutsche Sporthochschule in Köln unterzogen. Ziel war es, die damit verbundenen Erkenntnisse und Erfahrungen systematisch zu erfassen, sie auszuwerten und Ableitungen für das bestehende Verbundsystem Schule und Leistungssport vornehmen zu können.

Grundsätzlich zeichnet die Evaluation ein durchweg positives Bild hinsichtlich der Umsetzung der in den Rahmenvorgaben entwickelten Vorstellungen. Sie spricht aber auch bereits jetzt Empfehlungen zur Weiterentwicklung aus. Diese Weiterentwicklung liegt der Landesregierung am Herzen, und vieles wird bereits praktiziert. Lassen Sie mich kurz einige Überlegungen herausstellen.

An den Sportschulen müssen – ich glaube, darüber sind wir uns einig – die besten Talente gefördert werden. Wir wollen daher, dass das individuelle Talent der Schülerinnen und Schüler bei der Aufnahme in die NRW-Sportschule dann auch stärker als bisher berücksichtigt wird. Deshalb prüfen wir derzeit, wie wir hierfür die geeignete Rechtsgrundlage schaffen können.

Aber auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Trainerinnen und Trainer an diesen Sportschulen leisten Tag für Tag herausragende Arbeit. Diese Arbeit muss und sollte eine besondere Anerkennung erfahren. Deshalb werden wir die beste NRW-Sportschule eines jeden Jahres in einem würdigen Rahmen ehren und ihr danken, nämlich für ein herausragendes Engagement, das auch in solchen Zeiten nicht selbstverständlich ist.

Mit der Entwicklung der nordrhein-westfälischen Sportschulen wurde die Förderung des Nachwuchsleistungssports in Nordrhein-Westfalen substanziell weiterentwickelt. Wir haben hier schon vieles erreicht. Einiges ist noch zu tun.

Lieber Herr Bischoff, ich denke, es war an dieser Stelle mein Recht, hier sprechen zu dürfen, weil NRW-Sportschulen natürlich auch mit dem Bereich Schule und Bildung zu tun haben. Deswegen habe ich diese Aufgabe sehr gerne übernommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7545  an den Sportausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Beratung und Abstimmung erfolgt im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung. Gibt es jemanden, der dagegen ist? – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht so. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Gesetz zur Bildung von Vertretungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7539

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD der Abgeordneten Frau Bongers das Wort.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schöffen tragen als ehrenamtliche Richter viel Verantwortung und üben kein leichtes Ehrenamt aus. Sie entscheiden dabei oft über zukunftsweisende Schicksale von Menschen und tragen durch ihre Entscheidungen zur Sicherheit unseres Landes bei.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchten wir eine Änderung des Richter- und Staatsanwältegesetzes dahin gehend erreichen, dass es zukünftig eine Vertretung für die Schöffen, Handelsrichter und ehrenamtlichen Richter der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie in Landwirtschaftssachen geben kann. Dieser Gesetzentwurf ermöglicht den ehrenamtlichen Richtern Beteiligung und drückt vor allem Wertschätzung für ihre wichtige Arbeit aus.

Unser Gesetzentwurf geht auf eine Initiative des Landesverbands der Schöffen in NRW zurück. Dabei soll die Bildung entsprechender Vertretungen nicht gesetzlich vorgeschrieben werden, sondern die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sollen im Rahmen einer bei jedem Gericht einzuberufenden Versammlung selbst entscheiden, ob sie eine solche Vertretung haben wollen oder nicht. Wir sind bereit, gute Vorschläge aufzugreifen und diese zu beschließen.

Nahezu wortgleiche Regelungen wie in unserem Gesetz gibt es bereits in drei anderen Bundesländern – in Thüringen, Brandenburg und Berlin. In unserem Entwurf haben wir uns an diesen Regelungen orientiert und sehen wie in Thüringen, Berlin und Brandenburg keine bereits im Gesetz vorgeschriebenen Aufgaben dieser Vertretungen vor. Hierfür ist als Ermächtigungsgrundlage eine Rechtsverordnung durch das Justizministerium vorgesehen. Es gibt schon jetzt gesetzliche Regelungen für solche Vertretungen in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit.

Erlauben Sie mir ein paar Worte zum möglichen Zweck und den Aufgaben dieser Vertretung:

Unser Gesetzentwurf sieht eine Verordnungsermächtigung vor. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass die Aufgaben so wie in der Arbeitsgerichtsbarkeit aussehen. Dort ist die Vertretung vor der Bildung von Kammern, vor der Geschäftsverteilung, vor der Verteilung der ehrenamtlichen Richter auf die Kammern und vor der Aufstellung der Listen über die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter zu den Sitzungen mündlich oder schriftlich zu hören. Sie kann außerdem den Vorsitzenden des Arbeitsgerichts, der Verwaltung und den dienstaufsichtführenden Stellen Wünsche der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter übermitteln. In eine solche Richtung könnte es aus unserer Sicht gehen.

Vertretungen von Schöffen innerhalb der Gerichte würden es erlauben, dass die Expertise, die die ehrenamtlichen Richter mitbringen, vor Ort in die entsprechende Kammer einfließen kann.

Es geht nicht darum, irgendwelche Missstände zu beseitigen, sondern darum, ein schon jetzt gutes Gesetz noch besser zu machen, Menschen einzubeziehen und mitbestimmen zu lassen.

Ich würde mir wünschen, dass wir im Rechtsausschuss in aller Ruhe an einer Lösung arbeiten, damit etwas für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter auf den Weg gebracht werden kann. Aus diesen Gründen bitte ich Sie alle, der Überweisung an den Fachausschuss zuzustimmen, wie wir es selbstverständlich auch tun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion beabsichtigt die Bildung von Vertretungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter, also für Schöffen, Handelsrichter und die ehrenamtlichen Richter in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie in Landwirtschaftssachen. Das ist ein Anliegen, über das man reden kann und über das man sich sachlich austauschen sollte.

Der Antragsteller sollte allerdings eine gute Begründung dafür liefern, die als Grundlage für die parlamentarische Debatte dient. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geschätzte Kollegin Bongers, das haben Sie bisher leider nicht getan.

Ihre Begründung umfasst gerade einmal zwei Sätze. Dort schreiben Sie etwas von – Zitat – „Mitsprache und Partizipation“. Das sind wohlklingende Wörter, die aber die Notwendigkeit von Vertretung nicht nachweisen. Einen Gesetzentwurf, wie Sie ihn vorgelegt haben, nennt man daher auch Schnellschuss.

Ich habe mich also selber auf die Suche nach Argumenten begeben und bin der Frage nachgegangen, ob die ehrenamtlichen Richter in unserem Land eigene Vertretungen brauchen.

Blicken wir auf die Aufgaben der Richterräte, die im Antrag als Vorbild herangezogen werden. Richterräte werden „für die Beteiligung an Personalangelegenheiten … sowie allgemeinen und sozialen Angelegenheiten“ errichtet. So steht es in § 15 des Richter- und Staatsanwältegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen. In den Zuständigkeitsbereich fällt beispielsweise die Mitsprache bei Einstellungen, Versetzungen oder Entlassungen von Richtern, bei sozialen oder betrieblichen Fragen wie die nach der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der technischen Ausstattung oder der Aufstellung von Urlaubsplänen. Richterräte übernehmen damit die Funktion der Personalvertretungen im öffentlichen Dienst.

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter sind jedoch kein Personal des öffentlichen Dienstes. Sie üben ihr Amt ehrenamtlich aus und stehen in keinem Dienstverhältnis zum Staat. Im Gegenteil: Sie sind Privatpersonen und vertreten die Gesellschaft. Sie in die Strukturen der betrieblichen Mitbestimmung zu pressen, ist nicht angemessen.

(Sven Wolf [SPD]: Freiwillig!)

– Auch, wenn es freiwillig ist, müssen wir darüber reden, ob es sinnvoll ist oder nicht.

Um die alltäglichen Bedarfe der ehrenamtlichen Richter kümmern sich die Verwaltungen der Gerichte. Dort sitzen gut ausgebildete und hoch motivierte Justizbeschäftigte, die Tag für Tag hervorragende Arbeit leisten.

Zur Wahrung der übrigen Interessen von ehrenamtlichen Richtern, die ganz andere als die der hauptberuflichen Richter sind, gibt es Verbände wie beispielsweise die Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, die ebenfalls eine hervorragende Arbeit leisten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ein Bedarf für die Schaffung von Vertretungen für die ehrenamtlichen Richter ist also zunächst nicht erkennbar. Ein Blick in die Richtergesetze anderer Bundesländer zeigt, dass viele das ähnlich sehen. Ich nenne als Beispiele nur Niedersachsen, Bayern oder Baden-Württemberg, wo es ebenfalls lediglich Richterräte für hauptamtlich tätige Richter gibt.

Richtig ist, dass das Bundesrecht eine Vertretung für die ehrenamtlichen Richter an den Arbeits- und Sozialgerichten vorsieht. Es ist aber kein Grund ersichtlich – und auch der Antragsteller bringt keine Argumente dafür –, dies pauschal und eins zu eins auf alle anderen Gerichte zu übertragen.

Geehrte Kollegen der SPD-Fraktion, Sie liefern ersichtlich keine guten Gründe für die Einführung dieser Richtervertretungen. Vielleicht bessert die SPD ihren Antrag noch nach oder überlegt sich für die Beratungen in den Ausschüssen weitere Argumente.

(Sven Wolf [SPD]: Anerkennung für die 24.000 Richterinnen und Richter, die ehrenamtlich arbeiten!)

– Sehr geehrter Kollege Wolf, natürlich sind auch uns 24.000 Ehrenamtler in diesem Bereich wichtig, und wir schätzen sie außerordentlich. Da besteht wohl Konsens.

Wir sprechen über die Frage,

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Ob man das würdigt oder nicht!)

ob wir solche Räte einführen sollen. Ich freue mich auch im Namen meiner Fraktion auf die Diskussion im Rechtsausschuss. Der Überweisung werden wir selbstverständlich zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege.  – Für die FDP hat nun Herr Dr. Pfeil das Wort.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Bei der Bewertung und Beurteilung dieser Gesetzesvorlage ist zu prüfen, ob das erstrebte Ziel so tatsächlich erreicht werden kann. Ich hatte ähnlich wie der Kollege Dr. Geerlings das Problem, zu erkennen, was eigentlich gewollt ist. Was steckt dahinter?

Das Ziel wurde vorhin von Frau Bongers in zwei Sätzen genannt: Beteiligung und Wertschätzung sollten ausgedrückt werden und außerdem Mitsprache und Partizipation. Es stellt sich jedoch die Frage, ob mit dieser Gesetzesvorlage das erstrebte Ziel tatsächlich erreicht wird. Das gilt insbesondere für die von Frau Bongers genannte Wertschätzung.

Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Maßnahme sind dabei auf der einen Seite in den Blick zu nehmen, den Bedürfnissen der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ist auf der anderen Seite ebenfalls Rechnung zu tragen. Beginnen wir mit Letzterem.

Bürgerinnen und Bürger, die mitten im Leben stehen und ein ehrenamtliches Richteramt übernehmen, brauchen wohl kein zusätzliches Gremium in Form einer Vertretung, in das sie zusätzliche Zeit investieren müssen, sondern sie wollen, dass das Institut ehrenamtlicher Richter so ausgestaltet wird, dass sie es mit ihrer Arbeit, ihrer Freizeit und ihrer Familie verbinden können. Dies sind Forderungen, die wir auch aus anderen Bereichen des Ehrenamts kennen und mit denen wir uns hier im Hause bereits beschäftigt haben.

Nimmt man daneben die Folgen eines möglichen zukünftigen Gesetzesvollzugs im Rahmen einer notwendigen Rechtsfolgenabschätzung in den Blick, dann muss festgestellt werden, dass die Maßnahme gerade als Einzelmaßnahme wohl auch nicht zielführend sein dürfte. Denn wenn man das ehrenamtliche Richteramt stärken will, ist ein bürokratisches Vertretungsmonster bei jedem einzelnen Gericht ganz sicher nicht die einzig richtige und wichtigste Maßnahme.

Schon heute gibt es an den Gerichten gut funktionierende Strukturen, auf die ehrenamtliche Richterinnen und Richter zurückgreifen können. Sie finden dort eine gut eingerichtete Verwaltung vor, die den Bedürfnissen der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Rechnung trägt.

Nicht nur sind die Gerichtsleitungen und -verwaltungen für Fragen und Anliegen aller Art insbesondere der ehrenamtlichen Richter gut aufgestellt, auch wird auf die Bedürfnisse der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter individuell eingegangen. Die Wahl und die Durchführung der Sitzungen entsprechender Vertretungen würde daneben einen weiteren Mehraufwand an den Gerichten bedeuten, deren Notwendigkeit aber möglicherweise infrage gestellt werden darf.

Zum zweiten würde dadurch die individuelle Möglichkeit jeder ehrenamtlichen Richterin und jedes ehrenamtlichen Richters, ihre bzw. seine Anliegen direkt bei den Gerichtsleitungen vorzubringen, unter Umständen durch die Schaffung einer weiteren Zwischeninstanz nicht vereinfacht, sondern erschwert. Ist dann der Verlust der individuellen Ansprache und Problemlösung ein Mehrwert? Wir werden es diskutieren.

Meine und unsere Vorschläge gehen da in eine andere Richtung. Die tatsächlichen Probleme des Ehrenamts bei Gericht müssen in den Fokus genommen werden, und das sind andere.

Erstens. Es müssen Wege gefunden werden, die Anzahl der Freiwilligen zu erhöhen, die neben Familie und Beruf das Amt des ehrenamtlichen Richters ausüben wollen.

Zweitens. Die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz für dieses Ehrenamt – auch bei den Arbeitgebern – muss geschärft werden. Denn daran leidet es auch.

(Sven Wolf [SPD]: Anrechnung in der Gleitzeit!)

– Zum Beispiel, Herr Wolf.

Drittens. An der Bekanntheit des Instituts ehrenamtlicher Richter muss ebenfalls weitergearbeitet werden.

Viertens. Möglicherweise kann auch über die Überarbeitung des Wahlverfahrens nachgedacht werden. Aber wir haben ja noch Gelegenheit, weiter darüber zu diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns lieber darüber diskutieren, wie man den Rechtsstaat und die Justiz insgesamt stärken kann, indem man das ehrenamtliche Richteramt weiter stärkt und für eine Vereinbarkeit mit Familie und Beruf sorgt.

Zuletzt möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern danken, die ein ehrenamtliches Richteramt übernommen haben; denn das ist eine für die Justiz notwendige und für unsere Gesellschaft verantwortungsvolle Aufgabe in unserem Gemeinwesen. Vielen Dank.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun der Abgeordnete Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich, denke ich, relativ kurz fassen: Wir haben eine andere Auffassung als meine beiden Vorredner von der Regierungskoalition. Wir finden, dass es sich um einen sinnvollen Vorschlag und eine gute Gesetzesinitiative handelt. Insofern danken wir den Sozialdemokraten für diese Initiative.

Ich fand die Argumentation von CDU und FDP vorhin ganz lustig. Herr Dr. Geerlings sprach von einem Schnellschuss, der vorgelegt worden sei. Wir sprechen hier aber über einen Gesetzestext, der in drei Bundesländern schon umgesetzt wurde, nämlich in Berlin, Thüringen und Brandenburg. Wie man da von einem Schnellschuss reden kann,

(Dr. Jörg Geerlings [CDU]: Zur Sache!)

obwohl dieser Gesetzestext genauso schon in drei anderen Bundesländern verabschiedet worden ist und wozu es auch Anhörungen gab usw., erschließt sich mir einfach nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist eine gute Grundlage. Das gibt es schon in anderen Bundesländern, und man könnte es hierhin transferieren.

Zweitens. Herr Dr. Pfeil, Sie haben gesagt, da würde ein neues Bürokratiemonster geschaffen.

(Sven Wolf [SPD]: Sehr schöne Übertreibung!)

Wir haben Interessenvertretungen von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in der Arbeits- und in der Sozialgerichtsbarkeit, und die funktionieren problemlos. Es geht doch nicht darum, in den anderen Bereichen ehrenamtliche Richterinnen und Richter zwangszubeglücken, sondern wir geben ihnen doch überhaupt nur die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob sie eine Interessensvertretung wollen.

Sie können dann immer noch sagen, dass sie das nicht wollen, nicht brauchen und dass es Zeitverschwendung ist. Dann lassen sie es eben. Aber sonst haben sie gar nicht die Möglichkeit, eine Interessenvertretung einzurichten. Bei diesem Gesetzentwurf geht es doch nur darum, sie dazu zu befähigen, das zu tun.

Aus meiner Sicht ist es so: Die Erfahrungen in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sind gut, ebenso wie die Erfahrungen aus den anderen Bundesländern. Frau Bongers hat dargestellt, dass es den Wunsch aufseiten des Zusammenschlusses ehrenamtlicher Richterinnen und Richter gibt, so zu verfahren. Deshalb spricht aus unserer Sicht überhaupt nichts dagegen.

Wir stimmen natürlich der Überweisung zu, aber etwas Kopfschütteln über Ihre Argumentation wollte ich doch noch zum Ausdruck bringen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Unser dreigliedriges Rechtssystem hat sich sehr bewährt. Im Rahmen der Judikatur gibt es traditionell Berufsrichter, die in besonderen Konstellationen durch ehrenamtliche Richter ergänzt werden.

Durch Beteiligung dieser Personen in Gerichtsverfahren wird das Vertrauen der Bürger in die Justiz gestärkt und eine lebensnahe Rechtsprechung erreicht. Sie sind ein sichtbarer Ausdruck der Volkssouveränität und tragen zu einer Qualitätssicherung der Rechtsprechung bei. – So weit, so gut.

Der von der SPD vorgeschlagene Gesetzentwurf sieht nun auf Landesebene die Bildung von Vertretungen für ehrenamtliche Richter in allen Gerichtsbereichen vor. Diese Art von Vertretungen für ehrenamtliche Richter gibt es bisher nur im Bereich der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit.

Ob sich das bislang bewährt hat, ergibt sich nicht aus dem Antrag. Und allein den Worten meines Kollegen von den Grünen, es habe sich alles bewährt, Glauben zu schenken, das mag ich nicht – vermutlich mit Grund.

Wir werden deshalb natürlich – und wir freuen uns darauf – die notwendigen Fragen im Ausschuss stellen.

Zum Beispiel wollen wir wissen, wer das mit welchem Geld bezahlen soll. Sie von der SPD schreiben selbst, dass die Kosten nicht absehbar seien. Das ist also eigentlich ein typischer SPD-Gesetzentwurf.

Wie viel Zeit muss aufgewendet werden, um den zusätzlichen Aufwand zu kompensieren? Sie wissen schon, wie unendlich schwer es ist, ehrenamtliche Richter zu gewinnen.

Aus welchem Hut sollen die Räumlichkeiten gezaubert werden, die für die Räte zu veranschlagen sind? Schon jetzt platzen unsere Gerichte aus allen Nähten. Der Justizprüfungsausschuss tagt in einer Turnhalle. Auch hier im Landtag ist alles knapp bemessen.

Brauchen wir zusätzliches Personal? Woher wollen wir das nehmen? Sie wissen schon, dass gute Leute inzwischen nicht mehr auf Bäumen wachsen?

Meine Damen und Herren, gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Wir werden den Gesetzentwurf kritisch im Ausschuss begleiten.

Nur am Rande: Sie sprachen davon, dass es das in Berlin schon gibt. Im rot-rot-grünen Berlin gibt es das natürlich. Vielleicht fehlen denen auch deshalb die Mittel und die Kapazitäten, ihren Flughafen zu Ende zu bauen.

Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuss selbstverständlich zu. Ich wünsche Ihnen jetzt einen besonders schönen Tag. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Präsident! Werte Kolleginnen, werte Kollegen! Die Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter an gerichtlichen Entscheidungen ist von großer Bedeutung für die Rechtskultur in unserem Land. Das haben wir von allen gehört, und dem stimme ich gerne zu.

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter können in besonderem Maße dazu beitragen, die Akzeptanz von gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen sowohl bei den Verfahrensbeteiligten als auch in der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen. Die Stellung von ehrenamtlichen Richtern und Richterinnen in der Judikative zu stärken, wird vonseiten der Landesregierung daher grundsätzlich unterstützt.

Liebe Frau Bongers, trotz dieses im Grundsatz übereinstimmenden Ansatzes ist der vorliegende Entwurf der SPD-Fraktion aus Sicht der Landesregierung nicht geeignet, die Akzeptanz oder die Zufriedenheit zu erhöhen. Denn für die vorgeschlagene landesrechtliche Einrichtung von Vertretungen der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter besteht nach unserem Verständnis aus unterschiedlichen Gründen kein Bedarf.

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter finden an den Gerichten eine gut eingerichtete Verwaltung vor, die ihre Belange hinreichend berücksichtigt. Als Ansprechpartner stehen die jeweiligen Gerichtsleitungen, gegebenenfalls auch unter Einbeziehung der Präsidien, zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass bislang keine Stimme laut wurde, wonach Anliegen der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter an den Gerichten unseres Bundeslandes kein Gehör fänden. Wenn aber kein Bedarf, warum dann ein Aufwand?

Zudem würden die Schaffung der normativen Rahmenbedingungen, die Einrichtung und Wahl derartiger Vertretungen sowie die Durchführung der entsprechenden Sitzungen einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen, der sich angesichts des fehlenden Bedarfs nicht rechtfertigen ließe.

Dieser Befund bleibt auch in Ansehung des Umstands richtig, dass in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit nach den dort geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen die Bildung sogenannter Ausschüsse ehrenamtlicher Richterinnen und Richter vorgesehen ist. Diese Regelungen sind aber durch die historische Entwicklung der Gerichtsbarkeiten bedingt.

In der Arbeitsgerichtsbarkeit beispielsweise sind diese Ausschüsse seit jeher paritätisch besetzt, nämlich mit jeweils mindestens drei ehrenamtlichen Richtern der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite. Diese Besonderheiten der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit lassen sich nicht auf die anderen Gerichtsbarkeiten übertragen.

Insbesondere ergibt sich aus den in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit historisch gewachsenen Strukturen kein Erfordernis, Vertretungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter in allen anderen Gerichtsbarkeiten einzurichten.

Schließlich ist der vorgelegte Gesetzentwurf aus Sicht der Landesregierung zu unbestimmt. Er lässt in Gänze offen, in welchen Fällen die Vertretungen der Ehrenamtlichen tätig werden sollen. Die Beteiligungstatbestände werden an keiner Stelle konkret benannt.

Dass die Beteiligungstatbestände in einer Verordnung durch das Ministerium der Justiz festgelegt werden sollen, vermag bereits aus systematischen Gründen nicht zu überzeugen, sind doch die Beteiligungstatbestände für die Berufsrichter- und Staatsanwaltsvertretungen ebenso wie für die Vertretungen nach dem Landespersonalvertretungsgesetz abschließend gesetzlich geregelt.

Damit kennen Sie unsere Haltung. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, weshalb ich die Aussprache schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7539 an den Rechtsausschuss. Gibt es jemanden im Raum, der dagegen ist? – Wer möchte sich enthalten? – Dann haben wir das einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

7   Einstellung der finanziellen Förderung des Flüchtlingsrats NRW durch das Land Nordrhein-Westfalen – Beendigung der Zusammenarbeit durch die Landesregierung

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7536

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD der Abgeordneten Walger-Demolsky das Wort. Bitte schön.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor drei Wochen haben wir eine hitzige Debatte über den Zentralrat der Muslime geführt. Heute sprechen wir über den Flüchtlingsrat NRW. Den gemeinsamen Nenner möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Es geht um bewusst unterschätzten Extremismus.

Während wir in Bezug auf den Zentralrat der Muslime von religiös motiviertem Extremismus sprechen, müssen wir uns heute mit dem verdeckten institutionalisierten Linksextremismus beschäftigen, der durch Sie verharmlost und toleriert wird.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Unglaublich!)

Dabei hat gerade diese Landesregierung schon längst bewiesen, dass sie bei beiden Phänomenen gerne mal ein Auge zudrückt. Die nach wie vor einseitige Ausrichtung der Landeszentrale für politische Bildung oder der krampfhafte Versuch, ausschließlich den Rechtsextremismus in NRW als zunehmende Bedrohung darzustellen, um sich dadurch politisch auch hier im Parlament zu profilieren, sind unter anderem ein Ausweis Ihrer politischen Labilität.

(Beifall von der AfD – Zuruf)

Was sich deshalb heute vermutlich gleichen wird, ist Ihr Umgang mit dem uns vorliegenden Antrag.

Es geht um ein Thema, das Sie mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert. Sachlichkeit erwarte ich von Ihnen nicht, auch wenn wir mittlerweile durch die hollywoodreifen Empörungsaktionen von Herrn Minister Stamp ausreichend dahin gehend sensibilisiert worden sind, wie unbequeme Themen filmreif überspielt werden können.

Werden wir konkret und kommen wir zum Flüchtlingsrat NRW: Es verwundert mich nicht, dass die alte rot-grüne Landesregierung Kontakte des Flüchtlingsrats zu Linksextremisten mindestens stillschweigend geduldet hat.

Die Nähe zu Vertretern des Flüchtlingsrats am Rande dieser Anhörung in diesem Haus ist offenkundig. Es wird auch kein Geheimnis daraus gemacht. Da ist man auf einer Linie. Man kennt sich, man mag sich, man unterstützt sich.

Es macht mich fassungslos, dass aber gerade die vermeintlich bürgerliche schwarz-gelbe Koalition diesen Weg mitträgt.

Seit dem 01.12.2015 gab es einen Link auf der Homepage des Flüchtlingsrats NRW zur verfassungsfeindlichen Interventionistischen Linken. Dieser wurde erst kurz nach Einreichung unserer Kleinen Anfrage vom 29.04.2019 – dann aber natürlich erwartungsgemäß und unverzüglich – gelöscht.

Nach zwei unzureichend beantworteten Kleinen Anfragen zu diesem Thema forderte ich im Integrationsausschuss einen schriftlichen Bericht an. Was erhielt ich? Erneut nur eine ausweichende Antwort: Die Broschüre ist auf der Homepage nicht zu finden – erledigt.

Was gelöscht wurde, lässt sich nicht finden, Herr Minister Stamp. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Deshalb hatten wir als Anlage Begleitmaterial hinzugefügt.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – das scheint bei dieser Episode rund um den Flüchtlingsrat Ihre Politik zu sein. Nehmen Sie das Amt endlich ernst.

Das Fazit ist klar: Die Verlinkung zur Interventionistischen Linken war alles andere, aber definitiv kein Zufall und auch kein Einzelfall. So finden sich Kontakte bzw. gemeinsame Aktionen des Flüchtlingsrats mit mehreren Antifa-Gruppen, der Linksjugend Solid, der DKP oder auch der Roten Hilfe.

Prominent vertreten in diesen Kreisen sind natürlich auch die Grünen: von Grüner Jugend bis hin zu Vertretern der Landtagsfraktion.

Hat die Landesregierung selbst recherchiert? Offensichtlich nicht. Hat die Landesregierung reagiert? Ja, hat sie, und wie. Die Landesregierung erhöht die direkten Fördermittel um 15 % von 400.000 Euro auf 460.000 Euro, meine Damen und Herren. Das ist ein Skandal.

(Beifall von der AfD)

Der Flüchtlingsrat steht für „Jeder rein, keiner raus“. Genau dieser Lobbyismus wird von Ihnen gefördert. Es hätte sich notwendiger denn je angeboten, die zweijährige Zusammenarbeit gründlich zu evaluieren. Manchmal, wie in diesem Fall, muss man dann eben auch einmal den Partner wechseln.

Ihre Wähler haben Sie gewählt, um die Politik in NRW zu reformieren. Dazu gehört sicherlich nicht, weit links orientierte politische Vorfeldorganisationen im gleichen Maße oder noch mehr zu fördern, als das die links-grüne Regierung vor Ihnen schon praktiziert hat.

Nein, ich bin mir sicher: Auch Ihre Wähler hätten sich an dieser Stelle etwas weniger Kontinuität gewünscht; aber vielleicht will man für ganz neue Kombinationen offenbleiben. Schwarz-gelb-grün rückt täglich näher.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Wermer das Wort.

Heike Wermer*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Dreimal – damit meine ich dreimal in einem Zeitraum von Mai bis Oktober – hat die Landesregierung auf das Anliegen der AfD zum Thema „Einstellung der Förderung des Flüchtlingsrats NRW“ bereits geantwortet. Deshalb vorweg die Frage: Worüber wollen wir heute sprechen?

Die Landesregierung bzw. das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration unter Leitung von Minister Dr. Stamp hat bereits dreimal auf die Anfragen der AfD reagiert.

Es gab sowohl auf die Kleinen Anfragen von Herrn Kollegen Seifen als auch im Integrationsausschuss schriftliche Antworten. Hier jedoch verzichtete Frau Kollegin Walger-Demolsky auf weitere Nachfragen oder eine Diskussion mit dem Ministerium oder mit uns als Fraktionen, sondern kündigte sofort einen Antrag für dieses Plenum an.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Da frage ich mich, ob es der AfD bei dem vorliegenden Antrag wirklich um eine Sachdebatte geht.

(Zurufe von der AfD)

Zum Inhalt: Es ist üblich, dass Vereine und Projektträger Fördermittel beantragen, um Projekte finanzieren zu können; so auch der Flüchtlingsrat NRW e. V.

Auch der Flüchtlingsrat muss, um Fördergelder zu erhalten, einen Antrag stellen, den das Ministerium prüft, und zwar sorgfältig prüft. Erst dann kann es zu einem Förderbescheid kommen. Die Mittel, die dann fließen, sind natürlich zweckgebunden.

Der Erläuterungsband zum Einzelplan des MKFFI erklärt auch, wofür das Geld eingesetzt wird, nämlich für eine überregionale koordinierende Beschwerdestelle für die Landesunterbringungseinrichtung, angesiedelt in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats NRW.

Natürlich kann man über diese Fördermittel streiten. Man kann auch den Flüchtlingsrat und alle selbst ernannten sogenannten Flüchtlingsräte im Bundesgebiet durchaus kritisch sehen, aber der Förderung die Legitimität absprechen, kann man an dieser Stelle nicht. Orientiert sich doch die Förderung des Landes am Ziel einer Verbesserung des Beschwerdemanagements in den Aufnahmeeinrichtungen.

Alles Weitere hat der Minister in seinen bisherigen Antworten bereits zur Genüge beantwortet.

Zuletzt möchte ich noch einen Hinweis zu dem vom Bund beschlossenen Migrationspaket geben. Der Bundestag hat Informationen zum konkreten Ablauf von Abschiebungen strafrechtlich zu einem Geheimnis erklärt, das auch behördlich nicht missachtet werden darf.

Somit wurde in dieser Hinsicht eine Verschärfung erreicht, die auch die Flüchtlingsräte in Deutschland – auch den Flüchtlingsrat in NRW – betrifft: Sie dürfen keine Informationen über konkrete Abschiebungen weiterreichen.

Der Antrag ist deshalb fehlplatziert und obsolet und wird von uns abgelehnt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Es gibt eine Kurzintervention aus den Reihen der AfD-Fraktion. Die Abgeordnete Walger-Demolsky hat das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Wermer, sicher haben Sie übersehen, dass ich beim zweiten Aufruf unserer Rückfrage im Ausschuss auf eine Debatte verzichtet habe, weil ich zu dem Zeitpunkt den Antrag schon gestellt hatte. Beim ersten Mal hatte man das

(Zurufe von den GRÜNEN)

seitens der SPD-Fraktion zeitlich so hinbekommen, dass unser Tagesordnungspunkt nicht mehr zum Aufruf kam; der Ausschuss ist ja durch Nachfolgeausschüsse auf zwei Stunden begrenzt.

Zum Weiteren: Das Beschwerdemanagement ist gut, und wir haben auch nicht gesagt, dass die komplette Arbeit des Flüchtlingsrats nicht erhalten bleiben soll.

(Zuruf: Aha!)

Es könnte aber vielleicht ein anderer Partner gesucht werden. Dazu hatten Sie zwei Jahre Zeit. Warum muss es dieser Flüchtlingsrat sein, der mit der Interventionistischen Linken zusammenarbeitet? Das Beschwerdemanagement zum Beispiel hätte auch jeder andere mal machen können.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht!)

– Nein? Die haben das zum Spaß auf Ihrer Seite gehabt, weil das alles nicht stimmt – und das seit 2015? Die haben es auch nicht gemerkt, bis wir eine Anfrage gestellt haben.

Präsident André Kuper: Bitte schön.

Heike Wermer*) (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Walger-Demolsky, ja, es stimmt: Organisatorisch wurde Ihre Anfrage im Ausschuss zweimal behandelt, einmal weil sie aus zeitlichen Gründen verschoben worden ist. Damit waren aber alle Fraktionen einverstanden – auch Sie.

Beim zweiten Mal hätten Sie, selbst wenn Sie einen Antrag vorbereitet haben, die Diskussion im Ausschuss führen und den Antrag beim nächsten Plenum einreichen können.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Mittlerweile kennen auch Sie das parlamentarische Geschehen; Sie sitzen jetzt lange genug hier. Daher hätten Sie die Gelegenheit gehabt.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Darum ging es ja gar nicht!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat die Abgeordnete Frau Lux das Wort.

Eva Lux (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag fordert die AfD-Fraktion den Landtag auf, die Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat NRW einzustellen. Begründung ist, dass der Flüchtlingsrat angeblich mit vermeintlichen Verfassungsfeinden, namentlich der Interventionistischen Linken Göttingen, zusammenarbeite.

Als Beweis für diese Behauptung muss ein Link auf den Seiten des Flüchtlingsrats zu einer Broschüre der Interventionistischen Linken Göttingen herhalten. Diese derzeit im Web nicht zu findende Broschüre setzt sich augenscheinlich mit zivilen Möglichkeiten auseinander, Abschiebungen zu verhindern. So weit, so unspektakulär.

Die Antragsbegründung wirft dabei munter alles Mögliche durcheinander. Da wird die teilweise Beobachtung der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit einer parteiunabhängigen Göttinger Initiative gegen Abschiebungen missverstanden.

Diese Initiative wiederum ist Thema, weil der Flüchtlingsrat Thüringen auf diese Initiative verlinkt. Das ist logischerweise wichtig, weil der Flüchtlingsrat Thüringen natürlich Verbindungen zum Flüchtlingsrat NRW hat, womit bewiesen wäre, dass der Flüchtlingsrat NRW verfassungsfeindliche Organisationen unterstütze.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Ihnen jetzt der Kopf schwirrt, sind Sie damit sicherlich nicht allein, denn was die Göttinger Initiative gegen Abschiebungen mit der Interventionistischen Linken Göttingen zu tun hat, bleibt freilich unerklärt. Ebenso unerklärt bleibt der Zusammenhang der Interventionistischen Linken mit der Partei Die Linke.

Von dieser hanebüchenen Argumentation abgesehen, gibt es noch ein weiteres Problem: Weder die Interventionistische Linke Göttingen noch erst recht die Göttinger Initiative gegen Abschiebungen sind als verfassungsfeindliche Organisationen eingestuft,

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

geschweige denn verboten worden, womit sich die Prämisse des gesamten Antrags in Luft auflöst.

Ist das etwa eine lückenlose Beweisführung? Da könnte man ja mit Blick auf die vom Verfassungsschutz beobachtete Junge Alternative und den rechten Flügel um Björn Höcke glatt auf die Idee kommen, dass die AfD NRW und ihre hier im Landtag sitzende Fraktion verfassungsfeindliche Strömungen in ihrer eigenen Partei unterstützen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Ich betone: Man könnte auf diese Idee kommen, folgte man Ihrer eigenen Argumentation, meine Damen und Herren von der AfD.

Dabei möchte ich es belassen. Die Landesregierung hat bereits zwei Kleine Anfragen und einen Berichtswunsch der AfD-Fraktion zu diesem Thema beantwortet. Es gibt keine rechtlichen Beanstandungen gegen die Arbeit des Flüchtlingsrats NRW. Hinweise auf eine verfassungsfeindliche Haltung lassen sich nicht feststellen.

Dass der Flüchtlingsrat weltanschaulich nicht auf der Linie der AfD liegt, wird niemanden von uns überraschen. Es gehört nun mal zu einer liberalen Staatstradition, dass zivilgesellschaftliche Akteure mit ganz verschiedenen Weltanschauungen wie Kirchen und Wohlfahrtsverbände Fördergelder für die Wahrnehmung von Aufgaben im staatlichen Auftrag bekommen, solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – und das steht beim Flüchtlingsrat NRW außer Frage.

Dass wir diesen wirren AfD-Antrag ablehnen werden, steht ebenfalls außer Frage. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die FDP spricht der Abgeordnete Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob man gerade von der AfD etwas zu der Frage hören muss: Was ist unbewusster oder bewusster oder versteckter oder offener Extremismus? Ich glaube, Letzteren tragen Sie doch öfters mal zur Schau.

Man könnte auch fragen, ob mich der Redebeitrag fassungslos gemacht hat, oder die Frage stellen: Wie ist der Redebeitrag oder das Handeln im Ausschuss – das hat Kollegin Wermer ausgeführt – oder hier im Plenum?

Das erinnert mich ein bisschen an Dr. Jekyll und Mister Hyde. Hier hauen Sie einen raus und wollen mal eben etwas skandalisieren und uns die Welt erklären, aber im Ausschuss kommt dann nichts – keine Rückfrage. Ein Antrag wird zurückgezogen, man findet keine Sachverständigen für den eigenen Antrag. Sacharbeit: Fehlanzeige.

Wenn das die zwei Gesichter der AfD sind, muss ich sagen: Oh je; dann sind Sie hier noch nicht so wirklich angekommen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aber das mit dem Noch-nicht-Angekommen wäre auch gar nicht so schlimm, denn ich glaube, hier würde Sie auch keiner vermissen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

So gesehen können wir direkt weitergehen.

(Zuruf von der AfD: Angst?)

– Nein, mit Angst hat das nichts zu tun; da machen Sie sich mal keine Sorgen.

Zurück zu Ihrem Antrag, mit dem wir uns beschäftigen wollen: Wir wissen auch, dass der Flüchtlingsrat sicher oft ein sehr kritischer Partner des Landes ist, aber auch zugleich ein respektierter – gerade wenn es um das Thema der Beratung von geflüchteten Menschen und um die Unterstützung und Vernetzung der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe geht.

Mit seiner landesweiten Organisation stellt der Flüchtlingsrat den Gruppen vor Ort mit den vielen engagierten Kirchengemeinden und den zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern entsprechende Informationen und Schulungen zur Verfügung.

Mit der Landesförderung der unabhängigen sozialen Beratung von Flüchtlingen wollen wir geflüchteten Menschen nicht nur eine Perspektive im Asylverfahren aufzeigen – auch hinsichtlich einer möglichen Rückkehr in das Herkunftsland –, sondern auch beim Thema „Bewältigung sozialer und psychischer Problemen“ unterstützen.

Dabei ist der Flüchtlingsrat mit seinen örtlichen Gliederungen neben den Verbänden der Wohlfahrtspflege ein wesentlicher Akteur.

Es ist korrekt, dass im Haushaltsplanentwurf für 2020 die Landesförderung für die Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates um 60.000 Euro auf 460.000 Euro erhöht werden soll. Dafür gibt es einen entscheidenden, wichtigen Grund.

Ich erinnere mich – wenn Sie sich überhaupt einmal sachlich eingebracht haben in dem Ausschuss –, dass Sie das Beschwerdemanagement genauso gefordert haben. Es ist für die Einrichtung des Landes zur Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten richtig, dass wir so ein Beschwerdemanagement aufbauen wollen.

Vielleicht ist das nur ein Wink mit dem Zaunpfahl; Sie haben ja heute direkte Abstimmung gefordert. Damit ersparen Sie sich die weiteren Debatten im Ausschuss, weil wir da auch nicht mehr viel zu erwarten gehabt hätten; das hat die Kollegin Wermer auch noch einmal herausgestellt.

Um dieses dezentrale Beschwerdemanagement in den Einrichtungen vor Ort auch überregional zu vernetzen, bedarf es einer Koordinierungsstelle. Diese soll zum Beispiel aus den einzelnen Beschwerden strukturelle Mängel in den Einrichtungen herausfiltern und sich darüber mit der jeweils zuständigen Bezirksregierung austauschen.

So können wir mit der Finanzierung einer Personalstelle im Flüchtlingsrat die Qualität der Betreuung in den Landeseinrichtungen verbessern.

Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass der Flüchtlingsrat gegen die Förderrichtlinien oder geltendes Recht verstoßen hätte. Unabhängig davon werden wir natürlich weiterhin die Beachtung der verfassungsgemäßen Ordnung einfordern.

Die eigentliche Intention, die Absicht der antragstellenden Fraktion – von Ihnen – ist auch in der heutigen Debatte mehr als offensichtlich geworden:

Sie wollen im Endeffekt die Arbeit des Flüchtlingsrates und vieler ehrenamtlicher Organisationen bei der Unterstützung von Geflüchteten diskreditieren. Sie meinen, hier hätten Sie einen Ansatz gefunden.

So ist es eben auch ein Bestandteil Ihrer Strategie, Hilfsbereitschaft und Engagement für Flüchtlinge infrage zu stellen – gerade in den sozialen Medien; das kann man immer wieder mal vernehmen. Teils machen Sie sich darüber lustig.

Dem werden wir entschlossen entgegentreten. Deswegen werden wir diesen Antrag auch ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun die Abgeordnete Frau Aymaz.

Berivan Aymaz*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Intention dieses Antrags ist glasklar: Er will das Engagement von Flüchtlingshelferinnen und ‑helfern diffamieren und Organisationen wie den Flüchtlingsrat kriminalisieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Punkte – das ist schon mehrmals angesprochen worden – dieses Antrags sind dabei schon seit über drei Monaten hinfällig. Schon am 5. Juli hat die Landesregierung eine Kleine Anfrage der AfD zu genau diesem Thema völlig ausreichend beantwortet.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Auch von dem hohen Gut der Meinungsfreiheit – auf die die Landesregierung hinweist – will sich die AfD nicht überzeugen lassen. Das, meine Damen und Herren, überrascht natürlich überhaupt nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die AfD setzte dann das Thema auch noch auf die Agenda des Integrationsausschusses mit haargenau denselben Vorwürfen gegen den Flüchtlingsrat, wie wir sie in dem vorliegenden Antrag vorfinden.

Interessant war, dass die AfD die Gelegenheit absolut nicht nutzte, in dem entsprechenden Fachgremium das Thema zu erörtern. Es gab keine einzige Nachfrage, keinen einzigen Wortbeitrag vom Antragsteller.

Meine Damen und Herren, die AfD betreibt hier ein abgekartetes Spiel gegen die Flüchtlingsräte. So hat sie ähnliche Initiativen nahezu gleichzeitig in mehreren Landesparlamenten wie etwa in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern sowie auf Bundesebene gestellt.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Das beweist uns doch, dass es der AfD überhaupt nicht um einen konkreten Sachverhalt hier in NRW geht, sondern schlichtweg um Stimmungsmache, wofür sie gerne auch immer wieder das Plenum als Bühne nutzt, um ihre Social-Media-Kanäle zu bespielen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Helmut Seifen [AfD] und Sven Werner Tritschler [AfD])

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gefährlich. Wir werden uns immer wieder dagegen stellen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei ist menschenrechtsorientierte Flüchtlingsarbeit, wie sie der Flüchtlingsrat NRW bei uns leistet, so wichtig wie nie zuvor. Dies schließt übrigens auch einen wachsamen und kritischen Blick auf Abschiebungen sehr wohl mit ein.

Anfang des Jahres wurde bekannt, dass nahezu jeder sechste Asylbescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fehlerhaft war. Asylsuchende aus Afghanistan sind hier besonders betroffen; bei ihnen liegt der Anteil der fehlerhaften Asylbescheide sogar bei 58 %.

Viele der Betroffenen hätten also zu Unrecht keinen Schutzstatus erhalten. Dies beweisen auch die vielen erfolgreichen Klagen gegen negative Asylbescheide.

Für diese Menschen und ihr Recht auf Schutz setzen sich Organisationen wie der Flüchtlingsrat mit viel Fachwissen und Expertise ein. Dafür gebühren ihnen Dank und Respekt.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)

Der Flüchtlingsrat – das möchte ich hier ganz klar sagen – leistet auch einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren unseres Rechtsstaates. Wem das ein Dorn im Auge ist, der entlarvt sich als Demagoge gegen unsere rechtsstaatlichen und demokratischen Strukturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist noch nicht alles. Mit dieser Diffamierung hetzen Sie gezielt gegen Flüchtlings‑ und Menschenrechtsorganisationen. Dass diese Stimmungsmache verheerende Folgen hat, wissen wir.

Aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage geht hervor, dass alleine im ersten Halbjahr dieses Jahres 51 Geflüchtete und ihre Helferinnen und Helfer Opfer von rechtsmotivierten Straftaten wurden. Das sind 38 % mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum 2018.

Diese Entwicklungen müssen wir ernst nehmen. Gerade auch mit Blick auf den erschreckenden antisemitischen und rassistischen Angriff gestern in Halle müssen wir, alle Demokratinnen und Demokraten, aufgerufen sein, wachsam und entschieden für unsere vielfältige und freiheitliche Gesellschaft immer wieder zusammenzustehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An einem sehr ernsten Tag mit meiner Ansicht nach sehr bedrückenden Ereignissen freue ich mich, in meiner anderen Funktion als Kinderminister den Nachwuchs von Frau Kapteinat zu sehen. Vielleicht sollten wir uns auch einmal an die positiven Dinge des Lebens erinnern.

Meine Damen und Herren, die im Antrag der AfD an die Landesregierung adressierten Forderungen gehen im Wesentlichen auf eine von der Fraktion angeführte Homepageverlinkung des Flüchtlingsrats Nordrhein-Westfalen auf die Arbeitshilfebroschüre zu Abschiebeblockaden der sogenannten Interventionistischen Linken Göttingen zurück.

Dazu ist festzustellen – und das ist schon mehrfach dargestellt worden –, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Flüchtlingsrat NRW durch die frühere Verlinkung gegen geltendes Recht, insbesondere gegen Strafvorschriften wie zum Beispiel § 111 oder § 240 StGB verstoßen hat.

Auch bestehen derzeit keine Anhaltspunkte, dass der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen seine Auflagen und Pflichten aus dem bestehenden Zuwendungsverhältnis verletzt hat.

Bei der Förderung des Flüchtlingsrats Nordrhein-Westfalen e. V. handelt es sich nicht um eine institutionelle, sondern um eine Projektförderung, über die jährlich neu entschieden wird.

Die im Rahmen dieser Fördermaßnahme zu erbringenden Leistungen wurden und werden vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e. V. erbracht. Anhaltspunkte dafür, dass die dem Flüchtlingsrat hierfür zugewendeten Mittel zweckwidrig eingesetzt wurden bzw. werden, sind bislang nicht ersichtlich.

Flüchtlingen, die in Deutschland durch einen Asylantrag um Schutz nachsuchen, muss ein faires Asylverfahren garantiert werden. In diesem Zusammenhang akzeptiert und respektiert die Landesregierung das Selbstverständnis des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen als Interessenvertretung für Flüchtlinge.

Vom Flüchtlingsrat ist aber selbstverständlich eine weltanschauliche Neutralität und Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu erwarten.

Wo wir dies nicht als vollständig gewährleistet ansehen sollten, wird dies genauso selbstverständlich zum Thema der Gespräche gemacht, die wir fortlaufend und regelmäßig mit dem Flüchtlingsrat sowie auch mit anderen NGOs in der Flüchtlingshilfe führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit liegen uns keine weiteren Wortmeldungen mehr vor, und ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat eine direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags.

Wer möchte ihm zustimmen? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Grüne, CDU und FDP. Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 17/7536 mit der eben festgestellten Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe nun auf:

8   Gamesförderung nachhaltig gestalten – Planungssicherheit für Spiele-Entwickler auf Bundesebene schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP
und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7543 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als nächstem Redner für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Präsenz von Videospielen ist durch alle Altersgruppen enorm. Das Durchschnittsalter der Spieler liegt mittlerweile bei ungefähr 36,5 Jahren.

35 % der deutschen Bevölkerung spielen regelmäßig, angeblich auch der eine oder andere Abgeordnete während einer Plenarsitzung; so hörte ich zumindest.

Digitale Spiele sind so oder so mittlerweile Kulturgut in unserem Land. Sie regen an, sie fesseln, sie faszinieren, sie bilden sogar weiter.

Ich will heute aber gar nicht in erster Linie über die gesellschaftliche Bedeutung von Computerspielen, von Games diskutieren, sondern maßgeblich über den wirtschaftlichen Faktor der Branche sprechen.

Mit der Gamescom haben wir die Leadmesse in Nordrhein-Westfalen. Darauf sind wir stolz, und wir können besonders stolz darauf sein, diese Messe auch dank des Einsatzes von Ministerpräsident Armin Laschet und seines Kabinetts zukünftig auch in unserem Land zu halten.

Das ist ein Faktor, aber es gibt weitere Faktoren, wieso wir für uns in Anspruch nehmen, Games-Standort Nummer eins in Deutschland zu sein.

Da sind auch die Spielentwickler und Publisher. Sie leisten Wertschöpfung, schaffen Arbeitsplätze und geben Innovationskraft – und das eben auch über den Unterhaltungsbereich hinaus: mit KI, Simulationen, Virtual und Augmented Reality. Diese Dinge haben vielfach ihren Ursprung im Gamingbereich, sind aber mittlerweile in Industrie und Produktion in täglicher Anwendung.

Wir haben mit Ubisoft und Blue Byte in Düsseldorf wie auch mit Electronic Arts in Köln Big Player hier in unserem Bundesland.

Aber auch darüber hinaus tummeln sich kleinere Entwicklungsstudios und Nischenpublisher in Nordrhein-Westfalen wie Astragon Entertainment in Mönchengladbach mit ihrem Landwirtschaftssimulator, Headup-Games in Düren oder auch Independent Arts in Hamm.

Rund 100 von bundesweit 500 Unternehmen der Computerspieleindustrie sitzen in Nordrhein-Westfalen; das ist ein ganzes Fünftel.

Mit dem Cologne Game Haus haben wir einen weiteren Bereich geschaffen, um Spieleentwicklern in Nordrhein-Westfalen eine Heimat zu geben.

Um das in Zahlen auszudrücken, liebe Kollegen: Der Umsatz des deutschen Games-Markts ist um 9 % auf 4,4 Milliarden Euro in 2018 gestiegen.

Aber, und damit kommen wir zum kritischen Punkt, nur 4,4 % dieses Umsatzes geht auf die Spieleentwicklung zurück.

Dieses Verhältnis zu ändern, muss das Ziel sein. Darin liegt das nachhaltige wirtschaftliche Potenzial.

Was tun wir dafür in Nordrhein-Westfalen? Wir haben dieses Potenzial elektronischer Unterhaltungssoftware erkannt und die Games-Förderung seit 2017 auf 3 Millionen Euro verdreifacht – mehr als in jedem anderen Bundesland.

(Beifall von der CDU)

So unterstützen wir auch Blockbuster und Triple-A-Produktionen. Ich denke, es ist nur folgerichtig, das als wichtigen Beitrag anzusehen, aber auch unumwunden zuzugeben, dass das eben nur ein Beitrag sein kann. Es braucht weitere Unterstützung des Bundes, um tatsächlich im internationalen Konzert mit Frankreich, mit Großbritannien und mit Kanada mitsingen zu können. Da braucht es Anstrengungen des Bundes.

Man dachte, das sei allgemeinhin so akzeptiert und protegiert seit dem Bundeskoalitionsvertrag von CDU und SPD 2018, in dem der Fonds für GamesFörderung angekündigt wurde. Der Haushalt 2019 hat dann einen guten Aufschlag mit 50 Millionen Euro gemacht. In der Pilotphase wurden bereits 380 Anträge gestellt. Aber dann, liebe Kollegen, machte sich mit dem Haushaltsentwurf 2020 der Bundesregierung in diesem Sommer Verwunderung breit. Die gerade erst begonnene Förderung wurde schon wieder gänzlich und ersatzlos gestrichen: von null auf 50, zurück auf null.

Wir können lange hin und her diskutieren, ob nun der zuständige CSU-Minister Scheuer versäumte, in seinem Ministerium umzuschichten, oder ob SPD-Fi-nanzminister Scholz zu wenige Gelder bereitstellte. So oder so ist nun das Parlament gefordert, das wieder geradezurücken. Es ist nur richtig, hier aus Nordrhein-Westfalen ein klares Signal zu setzen, was unsere Erwartungshaltung angeht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es geht um die Frage, welche politische Botschaft wir an diesen Wirtschaftszweig senden. Es geht um die Frage, wie wir nachhaltige Politik verstehen, wie wir Planungssicherheit gewährleisten. Wie erzielen wir langfristige Effekte im Markt? Wie halten wir Innovationen im Land? Wie bauen wir sie tatsächlich aus?

So jedenfalls, wie es im Bund zurzeit den Anschein hat, funktioniert keine verlässliche Politik.

Wir wollen Klarheit. Wir wollen die Unterstützung der Games-Branche. Wir wollen die Förderung des Games-Fonds in Höhe von 50 Millionen Euro.

Ich bin davon überzeugt, der wachsende Medienmarkt wird es uns doppelt mit Arbeitsplätzen, mit qualifizierten Fachkräften, mit wachsenden Steuereinnahmen und mit Innovationsschüben auch in die Industrie hinein danken. Deswegen sei auch darauf hingewiesen, dass Studien genau das prognostizieren: Hebeleffekte von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 400 Millionen Euro, zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 90 Millionen Euro, und das alles mit einer Games-Förderung von 50 Millionen Euro. – Es geht also um reelle Auswirkungen für unsere Volkswirtschaft.

Deswegen freue ich mich, dass wir heute parteiübergreifend – die Kollegen der Grünen haben sich bereits im Vorfeld dem Antrag von CDU und FDP angeschlossen – und mit einem breiten Bündnis als Vertreter eines Games-Landes eine klare Erwartungshaltung an den Bund formulieren. Diese Games-Förderung muss fortgeführt und dauerhaft etabliert werden. Deswegen, liebe Kollegen, freue ich mich sehr, wenn Sie dem Ganzen breit zustimmen.

Der Kollege Vogt hat bereits vor einigen Wochen eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er genau diesen fehlenden Haushaltsposten kritisiert hat. Hier kann nun auch die SPD in Nordrhein-Westfalen parlamentarisch Farbe bekennen; denn an dieser Stelle sollte es nicht um parteipolitische Geländegewinne gehen.

Es geht die ausdrückliche Einladung an alle Abgeordneten des Hohen Hauses, hier und heute zuzustimmen und die Abgeordneten im Bund zu einer folgerichtigen Entscheidung zu bewegen. Auf welcher Seite stehen Sie? Ich bin gespannt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Braun. – Jetzt spricht Herr Nückel für die FDP-Fraktion.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat beginnt das Problem mit „S-c-h“. Es ist uns egal, ob es Scholz oder Scheuer ist.

An Ankündigungen hat es nicht gefehlt. Noch im Frühjahr gab es vollmundige Ankündigungen der Bundesregierung beim Deutschen Computerspielpreis. Dort hat man vollmundig einen finanzstarken Fonds angekündigt. Aber im Regierungsentwurf in Berlin herrscht nun gähnende Leere. Der entsprechende Titel wurde nach nur einem Jahr auf null gesetzt. Das ist das Thema, über das wir hier reden.

An den Basics fehlt es ja eigentlich nicht, an Engagement, Begeisterung und auch einem florierenden Absatzmarkt. Immer mehr Menschen jeglichen Alters spielen Games.

Um den Gaming-Standort Deutschland ist es aber nicht nur rosig bestellt. Die Games-Branche ist zwar ein fester Bestandteil, eine Säule der Kreativwirtschaft in Deutschland, aber wir haben ein Problem, das wir in der Anhörung hier im Landtag im April bereits besprochen haben und das von Sachverständigen untermauert wurde: Zwar steigen die Umsätze beim Verkauf von Games deutlich, aber die Zahlen zu Produktion oder auch zur Entwicklung von Prototypen in Deutschland sind einfach zu niedrig. Man tummelt sich da um die 5%-Marke herum.

In NRW ist die Förderung der Games-Branche durch die NRW-Koalition als zentrales Anliegen behandelt und umgesetzt worden. Ich glaube, das ist auch ein Grund dafür, warum die Gamescom in Köln verblieben ist. Wir haben verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen, nämlich die Verdreifachung der Förderung, aber auch den Anschub des Games-Kompetenzzentrums. Deswegen ist es so traurig; denn solche Dinge können natürlich auch ins Leere laufen, wenn nicht deutschlandweit entsprechend reagiert wird.

Wir wissen, dass die Spieleindustrie eine entscheidende Bedeutung nicht nur für den Standort und den Kampf um die Weltspitze hat, sondern eben auch für die deutsche Wirtschaft. Man braucht ja nicht nur leistungsstarke Hardware. Der verstärkte Trend zum Cloud-Gaming macht deutlich, wie notwendig auch der schnelle Ausbau des Breitbandnetzes ist.

Dass die Games-Branche als Vorreiter für die Digitalisierung, die Technologien und ihre Ansätze gilt und viele Dinge auch in der Industrie Anwendung finden, die dort entwickelt werden, macht deutlich, wie wichtig es ist, dass wir auch in Berlin ordentlich Druck machen, damit die eben benannten Fehler korrigiert werden.

Die Gamer- und Entwicklerszene ist ein ideales Feld für Start-ups und ein Garant auch für hochwertige Arbeitsplätze. Daher ist es umso unverständlicher, dass die Bundesregierung, obwohl die Kritik ja schon im Sommer laut wurde und es angemahnt wurde, immer noch herumeiert und nach wie vor offenlässt, ob sie die Förderung weiterführt.

Planungssicherheit ist aber auch für die Kreativbranche wichtig. Deswegen haben wir dieses wichtige Thema als Antrag formuliert. Ich denke, wir werden es heute mit einer überzeugenden Mehrheit verabschieden, um deutlich zu machen, dass da Druck im Kessel besteht und Berlin endlich reagieren muss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Nückel. – Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben jetzt schon einiges über den Stellenwert und den gesellschaftlichen Wert von Games, den Stellenwert der Branche gehört. Wir müssen erst einmal feststellen – das ist eine sehr gute Entwicklung –, dass Games inzwischen allgemeingesellschaftlich anerkannt sind. Es ist eine sehr wichtige Entwicklung. Ich glaube, dafür haben wir in den letzten Jahren insbesondere als Digitalpolitikerinnen und -politiker sehr viel arbeiten müssen. Es ist schön, dass diese Arbeit auch mal Erfolge zeitigt.

Wir sagen in der Debatte ganz oft – wir haben es schon wieder gehört –: Games sind uns nützlich auf einem Entwicklungspfad. Sie helfen uns dabei, technische Innovationen zu befördern, sie helfen uns dabei, den Weg zu einem verbreiteten Einsatz von Künstlicher Intelligenz einzubringen und diesen Weg zu gestalten. Gamification, Impulse in die Industrie, der Bildungsbereich mit Serious Games sind immer die Dinge, die in den Debatten fallen. Die sind auch alle richtig, aber Games machen eben auch Spaß, machen ihren Nutzerinnen und Nutzern Freude, und sie sind ein großartiges Kulturgut.

Ich finde, auch diese Seite sollte man in den Debatten häufiger betonen – jenseits der Nützlichkeitserwägungen, die natürlich auch ihre Berechtigung haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es fällt uns an dieser Stelle auch nicht schwer, anzuerkennen, dass die Landesregierung im Bereich Games vieles richtig macht, gute Arbeit leistet. Vieles von dem, was wir angestoßen haben, wird fortgesetzt. Es kommt mehr Geld hinein. Das sind sicherlich Instrumente, die da genutzt werden, die gut sind und auch für die Branche gut sind. Es fällt uns auch kein Zacken aus der Krone, wenn wir das an dieser Stelle mal positiv sehen bei allen Differenzen in der Digitalpolitik, Herr Pinkwart, die wir sonst immer haben.

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Oh!)

– Ja, haben wir. Es gehört in der Demokratie dazu. Aber an dieser Stelle können wir uns ja auch mal einig sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die reinen Kennzahlen zeigen zum einen die Relevanz der Branche, sie zeigen aber auch den Handlungsbedarf. 50 Millionen Euro, die als Fördervolumen in diesem Jahr zur Verfügung stehen, sind nicht die Weltspitze, sondern sie ordnen sich etwa im vorderen Mittelfeld ein. Frankreich hat 12 Millionen Euro, Großbritannien 44,5 Millionen Euro. Aber allein der kanadische Bundesstaat Québec hat 110 Millionen Euro. Es ist also noch Luft nach oben, wenn man da noch besser werden möchte.

Zugleich sehen wir aber auch die Relevanz, dass Deutschland der wichtigste europäische Absatzmarkt für digitale Spiele ist. Das zeigt sich in den Umsatzzahlen. Es zeigt aber auf der anderen Seite, dass die deutschen Unternehmen, die Hersteller, die Publisher zu wenig von dieser Marktstellung profitieren können. Denn da sind die Kennzahlen weit hinter denen anderer Unternehmen, weit hinter denen anderer Staaten und deren Märkten.

Jetzt sprechen wir heute über die Bundesförderung. Wir haben immer gesagt, Länderförderung ist eine wichtige Säule. Wir haben sie zu unserer Regierungszeit hier für Nordrhein-Westfalen auch erhöht. Das macht die Koalition jetzt weiter. Das ist, wie gesagt, sehr gut so. Aber komplementär dazu braucht man eben eine Bundesförderung, und zwar in einem erheblichen Umfang.

Wir waren sehr froh, als wir im vergangenen Jahr erfahren haben, dass es jetzt endlich mal eine Bundesförderung geben wird, um dann festzustellen, dass diese Förderung bei Herrn Scheuer liegt. Und wenn der erste Satz irgendetwas mit „Scheuer“ beinhaltet, dann ist der zweite Satz meistens, dass er es vergeigt hat. So auch in diesem Fall. Herr Scheuer hat sich für diese Förderung, für diese 50 Millionen Euro viel abfeiern lassen, nur um sie jetzt nicht erneut bereitzustellen. Das ist schon ein absolutes Stück aus dem Tollhaus.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dass wir das hier gemeinsam kritisieren, finde ich gut. Das ist inhaltlich richtig. Dass wir das über Parteilinien hinweg schaffen, finde ich auch sehr gut. Ich freue mich, wenn die überparteiliche Zustimmung dann auch noch über das hinausgeht, was wir jetzt mit drei Fraktionen zusammengebracht haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bolte-Richter. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Schneider.

René Schneider*) (SPD): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist keine zwei Monate her, da fand die sogenannte Debatt(l)e Royale auf der diesjährigen Gamescom in Köln statt.

Dort haben die Generalsekretärinnen und -sekretäre und die Bundesgeschäftsführung nicht nur von SPD, Grünen, Linken, sondern auch von FDP und CDU allesamt klargemacht, dass sie sich dafür einsetzen wollen, dass die geplanten 50 Millionen Euro an Bundesmitteln für die Games-Förderung wieder in den Bundeshaushalt 2020 aufgenommen werden. Das ist also genau das, was der vorliegende Antrag jetzt noch einmal fordert.

Meine Damen und Herren, der Antrag ist inhaltlich wichtig, jedoch wirft er unseres Erachtens eine zentrale Frage auf: Vertrauen Sie etwa nicht den Aussagen von Paul Ziemiak und Linda Teuteberg, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP? Sogar die Grünen sind im Nachhinein noch auf diesen Antrag gesprungen.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Oder glauben Sie, dass Sie sich gegen Bundesverkehrsminister Scheuer nicht durchsetzen können, der mit seinem Verkehrsministerium für die Förderung verantwortlich ist, Herr Braun?

Andreas Scheuer war dieses Jahr übrigens auch bei der Gamescom. Die Kolleginnen und Kollegen wissen das, weil wir uns auch alle da getroffen haben. Herr Scheuer, der verantwortliche Bundesminister, war zu Gast und ließ – das werden Sie auch erinnern – keinen Zweifel daran, dass er sich keineswegs darauf festlegen lassen wollte, die 50 Millionen Euro Games-Förderung wieder in den Haushaltsentwurf seines Ministeriums aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, die Zukunftsaussichten der Games-Branche in Deutschland und des Games-Standorts Nordrhein-Westfalen hängen also von einem Unionsminister ab,

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

der E-Scooter für eine Mobilitätswende hält, der die Autolobby trotz Dieselskandals umgarnt, der insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag für die Pkw-Maut in den Wind geschossen hat und ganz offensichtlich andere Prioritäten als die Games-Branche hat. Das muss man hier konstatieren und konsterniert feststellen.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Insofern, meine Damen und Herren, finden wir es sehr verständlich, dass Sie diesem Chaos-Minister nicht trauen.

Die SPD hat die Games-Förderung mit in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition verhandelt, um in dieser Zukunftsbranche international wettbewerbsfähig zu sein. Wir von der SPD sind weiterhin der festen Überzeugung, dass die 50 Millionen Euro Fördergelder eine sinnvolle und nachhaltige Investition sind, damit wir attraktive Bedingungen für Start-ups und etablierte Games-Unternehmen bieten können, damit wachsende Games-Unternehmen nicht ins Ausland abwandern und damit wir zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen können.

Insofern können wir selbstverständlich diesem Antrag nur zustimmen. Meine Damen und Herren von den Antragstellern, danke für Ihr gesundes Misstrauen! – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schneider. – Jetzt spricht für die AfD-Fraktion Herr Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tatsächlich ist, aus welchen Gründen auch immer, der Förderbetrag von 50 Millionen Euro für die Gaming-Industrie aus dem Bundeshaushalt verschwunden. Tatsächlich spricht das nicht unbedingt für die Qualität der Großen Koalition in Berlin.

Da die Vertreter der Bundesregierung und der Regierungsparteien aber schon auf der Gamescom bereits versichert haben, dass es dabei nicht bleiben wird, ist dieser Antrag, zumal er zum Teil von denselben Parteien kommt, allerdings überflüssig. Wir haben es gehört. Vielleicht ist das ja so ein Jamaika-Testballon, ich weiß es nicht.

Aber wo wir schon mal hier sind, sprechen wir über die Gaming-Industrie und über das verbundene Potenzial für Deutschland. Wir hatten dazu vor einigen Monaten eine sehr spannende Anhörung im Ausschuss. Die Fachleute haben uns einiges ins Stammbuch geschrieben. In Sachen Fördermittel hat sich eigentlich niemand über das Volumen der Förderung beschwert. Es hieß nur, es sei zu bürokratisch, zu langsam, zu unstetig, zu intransparent und zu unsicher. Natürlich hilft es da nicht, wenn die Förderung auf einmal aus dem Haushalt verschwindet.

Gaming, meine Damen und Herren, wird von vielen immer noch als ein nerdiger Spleen, als ein Nischenphänomen wahrgenommen, etwas für junge Männer mit zu viel Freizeit. Tatsächlich aber ist die verbundene Industrie längst milliardenschwer und hat die Branchen Film und Musik weit hinter sich gelassen. Der durchschnittliche Gamer ist inzwischen 36 Jahre alt, und jeder zweite Gamer ist eine Gamerin.

Während man in Deutschland wieder mal Bedenken trägt und langatmig begründet, warum Schach und Schießen jetzt eine Sportart sind, E-Sport aber nicht, zieht die Welt wieder einmal an uns vorbei. Der Marktanteil einheimischer Titel schrumpfte zwischen 2017 und 2018 von schwachen 5 % auf noch schwächere 4,3 %. In den letzten beiden Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in der Branche in Deutschland um fast ein Fünftel geschrumpft. Die Jobs entstehen also wieder einmal woanders.

Felix Falk, der Chef des Branchenverbandes, erklärte hierzu im vergangenen Jahr – Zitat –:

„Aktuell sind die Rahmenbedingungen für die Spieleentwicklung in Deutschland international kaum konkurrenzfähig.“

Meine Damen und Herren, für diese grundlegenden Probleme ist die Eröffnung oder der Erhalt von Fördertöpfchen allerdings überwiegend weiße Salbe. Man signalisiert: Wir tun was. Was sind im milliardenschweren Bundeshaushalt schon 50 Millionen Euro? Dass Sie so der chronischen Schwäche der einheimischen Industrie beikommen können, glauben Sie vermutlich aber nicht einmal selbst.

Wer aber glaubt, mit ein paar Euro Fördergeldern eine prosperierende Industrie entwickeln und erhalten zu können, dem sei als mahnendes Beispiel der deutsche Film vorgehalten. Was haben all die vielen deutschen Förderanstalten nur für mediokre und erfolglose Massenware in den letzten Jahren hervorgebracht? In die Hände derselben ständig versagenden Kulturförderbürokraten möchte man jetzt auch die Games-Förderung legen.

Nein, meine Damen und Herren, wer es mit dieser Industrie ernst meint, der muss hier anders vorgehen, wie man es nämlich bei der Wirtschaftsförderung im Allgemeinen tut. Das kann und darf nur der Baustein einer Gaming-Strategie sein. Ein paar Punkte davon haben wir in der Anhörung gehört. Das können Sie nachlesen bei den Branchenvertretern.

Wir brauchen endlich ein zeitgemäßes Jugendschutzrecht in Deutschland. Wir brauchen in diesem Bereich eine Entbürokratisierung, wir brauchen eine starke digitale Infrastruktur, wir brauchen gut ausgebildete junge Menschen mit Unternehmergeist. Das meiste davon gilt im ganzen Digitalbereich.

Wer hier mehr als nur Symbolpolitik machen will, der sollte anfangen, diese dicken Bretter zu bohren und nicht hier und da mal ein Fördertöpfchen aufmachen. Die Besonderheit im Games-Sektor ist nur, dass wir damit beginnen müssen, die Branche als das anzuerkennen, was sie ist, als ein Massenphänomen, als ein Wachstumsmarkt, als eine Chance und – ja, wir hatten die Diskussion hier schon einmal – auch als einen Sport.

Wir jedenfalls werden den Antrag gerne unterstützen – nicht, weil wir glauben, dass damit viel gewonnen ist. Aber immerhin ist er ein Schritt in die richtige Richtung, besser als nichts.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Jetzt spricht in Vertretung des Ministerpräsidenten Armin Laschet Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In keinem anderen Bundesland wird die Computer- und Videospielbranche so intensiv unterstützt wie hier in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen angepackt, um das Land zum Games-Land Nummer eins zu entwickeln.

So ist es nicht nur gelungen, die Gamescom in Köln zu halten, wir haben zunehmend Veranstaltungen wie den Deutschen Entwicklerpreis, den Gamescom-Kongress und die def.com gestärkt, und wir haben mit dem Games-Gipfel ein Format entwickelt, bei dem sich der Ministerpräsident einmal im Jahr mit der Games-Branche aus Nordrhein-Westfalen intensiv austauscht.

Für Herrn Bolte-Richter, der gesagt hat, wir würden so nett an Ihre Maßnahmen anknüpfen, wollte ich hier noch einmal in Erinnerung rufen: Dass die Gamescom überhaupt in Nordrhein-Westfalen stattfindet, haben wir den damaligen Landesministern Armin Laschet und Andreas Krautscheid zu verdanken, die sie damals aus Leipzig nach Köln geholt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es war damals hoch umstritten, was heute vielfach gefeiert wird. Vor allem haben wir aber auch die Games-Förderung in Nordrhein-Westfalen kräftig erhöht im Vergleich zu den Jahren davor, nämlich von einer auf 3 Millionen Euro pro Jahr. Wir haben neben der Prototypenförderung eine Produktionsförderung eingeführt, und wir haben eine Leitlinie bei der Europäischen Kommission notifiziert, die es uns ermöglicht, die Branche gezielt zu unterstützen.

Wir sehen, dass der Bedarf riesengroß ist. Schon jetzt steht fest: Die Mittel werden in diesem Jahr bis auf den letzten Cent ausgeschöpft sein. Natürlich freuen wir uns sehr, dass unsere neue Förderung von der Branche so gut angenommen wird.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass eine Länderförderung keine Bundesförderung ersetzen kann. Deshalb muss die Bundesregierung jetzt nachziehen und endlich eine zuverlässige und nachhaltig finanzierte Bundesförderung für Computer- und Videospiele auf den Weg bringen.

Kaum einer bestreitet, dass in der Branche ein enormes Potenzial steckt. Es kann jedoch nicht sein, dass sich der Bund hier hinter den Ländern wie Nordrhein-Westfalen versteckt und am Ende nicht verlässlich liefert. Es sind ja Mittel für 2019 im Haushalt. Die Richtlinie liegt noch nicht vor. Man kann jetzt natürlich wie Herr Vogt einen Bundesminister kritisieren, aber Ihre Partei gehört zur Bundesregierung. Ich finde, da muss man fair sein und sagen, dass man in der Bundesregierung insgesamt dafür sorgen muss, dass vereinbarte Dinge umgesetzt werden.

Die Landesregierung hat im Rahmen der Gamescom immer wieder darauf hingewiesen, dass es einer zuverlässigen Förderung des Bundes bedarf, die nicht alle zwölf Monate infrage gestellt wird. Wir müssen den Unternehmen in der Games-Branche Planungssicherheit bieten, denn am Ende wollen wir, dass Spiele in Deutschland entwickelt werden und mehr Arbeitsplätze in der Games-Branche entstehen.

Die Landesregierung hat bereits gegenüber dem Bund erklärt, dass wir als Land selbstverständlich bereit sind, Förderinstrumente an eine übergeordnete Bundesförderung anzupassen, um die Bundes- und Landesförderung optimal miteinander zu verzahnen. Es muss nur endlich etwas passieren.

In diesem Sinne begrüßt die Landesregierung den vorliegenden Antrag von CDU, FDP und Grünen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass auch im Jahr 2020 Haushaltsmittel für eine Bundesförderung für Computer- und Videospiele bereitstehen werden. – Herzlichen Dank für die Initiative und für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht.

Damit steuern wir auf den letzten Höhepunkt des heutigen Parlamentstages zu, nämlich eine direkte Abstimmung. Diese ist von den antragstellenden Fraktionen CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen beantragt. Wir stimmen ab über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/7543 – Neudruck. Wer stimmt diesem Antrag zu? – CDU, SPD, FDP, Grüne, AfD und Herr Neppe, fraktionslos. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Auch nicht. Dann ist der Antrag Drucksache 17/7543 – Neudruck – einstimmig so angenommen und eine Aufforderung an die Landesregierung einstimmig ergangen.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Sitzung.

Das Plenum wird wieder einberufen für Mittwoch, 13. November 2019, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und Abend, eine kreative sitzungsfreie Zeit.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:25 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.