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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/66

17. Wahlperiode

19.09.2019

 

66. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 19. September 2019

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Kenntnisnahme von der
Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe
für das Haushaltsjahr 2019
und von dem Genehmigungserlass des
Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
Vorlage 17/2444. 5

1   Ruhrkonferenz – „kein großer Wurf“ mit fraglichen Beteiligungsprozessen, ohne strukturelle Verbesserungen für das Ruhrgebiet

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7424. 5

Thomas Kutschaty (SPD) 5

Josef Hovenjürgen (CDU) 7

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9

Ralf Witzel (FDP) 10

Christian Loose (AfD) 12

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 13

Michael Hübner (SPD) 15

Josef Hovenjürgen (CDU) 18

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 20

Thomas Nückel (FDP) 21

Christian Loose (AfD) 22

2   Gesundes Essen ist Kinderrecht: Gesunde und nachhaltige Verpflegung für alle Kinder und Jugendlichen in Kita und Schule sicherstellen – einheitliche Qualitätsstandards festschreiben

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7364. 23

Frank Müller (SPD) 23

Margret Voßeler-Deppe (CDU) 25

Franziska Müller-Rech (FDP) 26

Norwich Rüße (GRÜNE) 29

Dr. Martin Vincentz (AfD) 30

Ministerin Yvonne Gebauer 31

Frank Rock (CDU) 33

Annette Watermann-Krass (SPD) 36

Sigrid Beer (GRÜNE) 38

Helmut Seifen (AfD) 39

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD) 40

Ergebnis. 41

3   Luftreinhaltepläne zügig, zukunftssicher und verhältnismäßig anpassen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7376. 42

Rainer Deppe (CDU) 42

Markus Diekhoff (FDP) 43

André Stinka (SPD) 44

Norwich Rüße (GRÜNE) 45

Nic Peter Vogel (AfD) 47

Ministerin Ursula Heinen-Esser 48

Ergebnis. 49

4   Dampf machen beim Kohleausstieg – Landesregierung muss endlich eigene Verantwortung wahrnehmen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7369. 49

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7430. 49

Wibke Brems (GRÜNE) 49

Dr. Patricia Peill (CDU) 50

Frank Sundermann (SPD) 53

Dietmar Brockes (FDP) 54

Christian Loose (AfD) 55

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 56

Ergebnis. 57

5   Freie Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung junger Mädchen sichern. Anregungen von Staatssekretärin Güler zum Verbot des „Kinderkopftuches“ in Schulen und Kindergärten endlich umsetzen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7361. 58

Helmut Seifen (AfD) 58

Heike Wermer (CDU) 59

Ibrahim Yetim (SPD) 59

Alexander Brockmeier (FDP) 61

Sigrid Beer (GRÜNE) 63

Ministerin Ina Scharrenbach. 66

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 66

Ergebnis. 67

6   Die Loverboy-Methode: Sensibilisierung, Aufklärung und Prävention dringend erforderlich!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7377

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7429. 67

Dietmar Panske (CDU) 67

Susanne Schneider (FDP) 68

Regina Kopp-Herr (SPD) 69

Josefine Paul (GRÜNE) 70

Thomas Röckemann (AfD) 71

Ministerin Ina Scharrenbach. 72

Ergebnis. 73

7   Anstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im Jahr 2020 aktiv nutzen: Sozialunion forcieren und Steuergerechtigkeit herstellen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7365. 73

Rüdiger Weiß (SPD) 74

Oliver Krauß (CDU) 75

Thomas Nückel (FDP) 76

Johannes Remmel (GRÜNE) 76

Sven Werner Tritschler (AfD) 77

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 78

Ergebnis. 79

8   Für eine nachhaltige EU-Handelspo-litik – EU-Mercosur-Assoziierungsab-kommen stoppen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7370. 79

Johannes Remmel (GRÜNE) 79

Dr. Günther Bergmann (CDU) 80

Rüdiger Weiß (SPD) 82

Thomas Nückel (FDP) 83

Sven Werner Tritschler (AfD) 83

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 84

Ergebnis. 85

9   Gesetz zur Erhöhung der Transparenz bei Beteiligungen politischer Akteure an Medien (Medientransparenzgesetz NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7360

erste Lesung. 85

Sven Werner Tritschler (AfD) 85

Thorsten Schick (CDU) 87

Alexander Vogt (SPD) 88

Thomas Nückel (FDP) 89

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 90

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 91

Sven Werner Tritschler (AfD) 92

Ergebnis. 92

10 Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7374. 92

Florian Braun (CDU) 92

Marcel Hafke (FDP) 94

Christina Kampmann (SPD) 95

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 96

Sven Werner Tritschler (AfD) 97

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 98

Ergebnis. 99

11 Mikroplastik auf unseren Sportanlagen: Kommunen, Vereine und Verbände werden im Sportland Nr. 1 nicht alleine gelassen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7378

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7453. 99

Jens-Peter Nettekoven (CDU) 99

Andreas Terhaag (FDP) 100

Rainer Bischoff (SPD) 101

Norwich Rüße (GRÜNE) 102

Andreas Keith (AfD) 103

Andreas Keith (AfD) 104

Ministerin Ina Scharrenbach. 105

Ergebnis. 106


Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach

Minister Karl-Josef Laumann

Minister Dr. Joachim Stamp

Rainer Schmeltzer (SPD)          
(13 Uhr bis 15 Uhr)

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 
(10 Uhr bis 15 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)         
(ab 18:30 Uhr)

Christian Loose (AfD)  
(ab 17 Uhr)

Markus Wagner (AfD)  
(ab 17 Uhr)

 

 


Beginn: 10:01 Uhr

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 66. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung hat sich ein Abgeordneter entschuldigt; der Name wird in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 11. September 2019 die Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2019 sowie den Genehmigungserlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung zugesandt. Diese Unterlagen sind als Vorlage 17/2444 verteilt worden. Gemäß § 10 des Gesetzes über den Landesverband Lippe vom 5. November 1948 bitte ich um Kenntnisnahme. – Diese stelle ich hiermit fest.

Damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Ruhrkonferenz – „kein großer Wurf“ mit fraglichen Beteiligungsprozessen, ohne strukturelle Verbesserungen für das Ruhrgebiet

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7424

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 16. September gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung eine Aussprache zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort. Bitte schön.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bei diesem Tagesordnungspunkt mit einer persönlichen Vorbemerkung beginnen. Ich bin im Ruhrgebiet geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe da studiert, gearbeitet und eine Familie gegründet. Ich wohne mit meiner Familie auch heute noch im Ruhrgebiet. Ich mache das gerne, ich bin stolz darauf. Das Ruhrgebiet ist meine Heimat.

(Beifall von der SPD)

Deshalb, liebe Landesregierung, habe ich mich anfangs sogar richtig gefreut, als ich gehört habe, Sie wollen etwas für das Ruhrgebiet tun, etwas für das Ruhrgebiet bewegen. Wenn ich gleich Kritik an Ihrer Ruhrkonferenz übe, will ich zu Beginn ganz klar sagen: Meine Fraktion ist zu fraktionsübergreifenden Initiativen bereit, wenn sie gut sind.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie etwas für das Ruhrgebiet bewegen wollen, steht die SPD an Ihrer Seite. Aber haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir diese Flickschusterei, die Sie Ruhrkonferenz nennen, nicht unterstützen können.

(Beifall von der SPD)

„Die Projektliste liest sich wie eine bunte Mischung guter Ideen. Vieles davon ist Nice-to-have, aber kein großer Wurf. … bleibt die Ruhrkonferenz mit ihren Vorschlägen damit weit hinter den Erwartungen zurück.“

Diese vernichtende Bewertung stammt nicht von mir. Ich habe gerade aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet zitiert. Die Wirtschaft findet Ihre Arbeitskreise also nicht gut.

Und die betroffenen Kommunen? Weder die Themen noch die Inhalte wurden im Vorfeld mit den Kommunen besprochen, so lautet das Fazit von Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet. Der Satz stammt aus einer offiziellen Vorlage des Rates der Stadt Duisburg.

Die Landräte fordern gar eine Neuausrichtung der Ruhrkonferenz. Weder Positionspapiere aus den Kreisen noch Diskussionsbeiträge hätten Berücksichtigung gefunden.

Die Wirtschaft und die Kommunen finden Ihre Arbeitskreise also nicht gut.

Bleiben noch die 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger des Ruhrgebiets. Sie alle waren von der Landesregierung aufgerufen worden, sich mit Ideen einzubringen, mitzumachen: online, auf Veranstaltungen oder wie auch immer. Raten Sie mal, wie viele der 5 Millionen Menschen im Ruhrgebiet sich von der Landesregierung angesprochen gefühlt haben, dort mitzumachen, sich einzubringen, Ideen vorzustellen? Ich nenne Ihnen die Zahl: Von den 5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Ruhrgebiets waren es gerade mal 250.

(Zuruf von der SPD: Wow!)

Ich wiederhole. 250 von 5 Millionen. Das ist eine Zahl, die Sie nicht mal in Prozenten ausdrücken können, sondern nur in Promille. Das sind 0,005 Promille. Das zeigt: Sie haben es nicht geschafft, die Menschen im Ruhrgebiet bei Ihrer Konferenz mitzunehmen.

(Beifall von der SPD)

Dabei kannte die Ankündigung nur Superlative. Wenn man in Ihren Koalitionsvertrag schaut, sollte die Ruhrkonferenz etwas gigantisch Großes sein. Die Kanzlerin sollte kommen, die EU-Kommission sollte im Ruhrgebiet tagen und alles regeln. Aber so weit ist es nicht gekommen. Stattdessen gibt es Beamtenarbeitskreisrunden auf Zollverein. Immerhin – das habe ich heute Morgen erfahren – hat sich der Bundespräsident für Ende September angekündigt. Das ist ein gutes Signal, das ich ausdrücklich unterstütze. Das wäre schon mal ein Fortschritt.

Aber die Frage ist: Werden die einzelnen 75 Projekte, die Sie jetzt nach und nach vorstellen, das Ruhrgebiet tatsächlich voranbringen? – Lieber Herr Holthoff-Pförtner, ich fürchte, nicht. Denn diese Projekte, die Sie gesammelt haben, haben in Wahrheit gar keinen richtigen Bezug zum Ruhrgebiet.

Symptomatisch war die Veranstaltung im Gesundheitsbereich. Sie wurde glamourös und großartig angekündigt, vielversprechend. Ich habe mit Leuten aus dem Gesundheitswesen gesprochen, die da waren. Auch Minister Laumann war auf dieser „Gesundheitskonferenz Ruhrgebiet“. Wissen Sie, worüber Herr Laumann auf dieser „Ruhrgebietskonferenz Gesundheit“ gesprochen hat? Über die medizinische Versorgung im ländlichen Raum.

(Heiterkeit von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Landarztquote ist sicherlich ein wichtiges Thema. Lassen Sie uns darüber hier im Landtag sprechen, aber doch bitte nicht auf einer Ruhrkonferenz. Das ist doch nicht das Thema der Ruhrkonferenz!

(Beifall von der SPD – Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

In anderen Gesprächsrunden lief es ähnlich. Ich will ausdrücklich die Tandempartner der Ministerinnen und Minister in Schutz nehmen; sie haben wirklich ihr Bestes gegeben. Die Konstruktion war aber von Anfang an fehlerhaft aufgelegt, sodass daraus nichts werden konnte.

Die Wirtschaft, die Kommunen und die Menschen halten nichts von Ihrer Ruhrkonferenz. Obwohl Sie das wissen, wollen Sie einfach weitermachen und – das ist mein Eindruck – das jetzt irgendwie zu Ende bringen. Die Menschen werden aber auch von dieser Ruhrkonferenz nichts weiter erfahren, weil deren Ergebnisse überhaupt keinen Nachrichtenwert haben.

Die 75 Projektvorschläge, die Sie nun vorgestellt haben, sind eine große Enttäuschung. Es gibt keine Gesamtstrategie.

Dabei fehlt es im Ruhrgebiet nicht an Ideen. Die Ideen liegen auf dem Tisch. Sie hätten sich nur einmal die Vorschläge der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern anschauen müssen. Die Kammern haben immer wieder betont, es bedürfe einer Gesamtstrategie für das Ruhrgebiet und ambitionierter Ziele.

Lassen Sie uns zum Beispiel gemeinsam das Ruhrgebiet in den nächsten zehn Jahren zu einer der fünf führenden Digitalregionen in Deutschland machen. Lassen Sie uns die Anzahl der mittelständischen Unternehmen in diesem Bereich steigern. Das täte dem Ruhrgebiet gut.

(Beifall von der SPD)

Oder lassen Sie uns von Bottrop lernen. Dort wurde mit der „InnovationCity Ruhr“ Hervorragendes geleistet. Nachhaltiges Wohnen, Arbeiten, Wirtschaften vor Ort – lassen Sie uns das schnellstmöglich auf das ganze Ruhrgebiet übertragen. Das wäre ein vernünftiges Projekt, das Sie vorantreiben könnten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)

Stattdessen haben Sie bewusst von vornherein ganz wichtige Projekte für das Ruhrgebiet einfach ausgeklammert und gesagt: Das gehört gar nicht dazu.

Ich spreche die Entschuldung der Städte und Gemeinden an,

(Zuruf von der SPD: Ganz genau!)

damit sie vor Ort wieder investieren können. Lassen Sie uns doch gemeinsam einen Altschuldenfonds auf den Weg bringen, damit die Kommunen ihre Handlungsfähigkeit wiederbekommen.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns eine Bildungsoffensive für das Ruhrgebiet mit einem schulscharfen Sozialindex starten, um dort gezielt in Bildungschancen zu investieren, wo es viel zu wenig davon gibt.

(Beifall von der SPD – Zurufe)

Lassen Sie uns gemeinsam eine Städtebauoffensive angehen und in schönere Straßenzüge, Grünanlagen und Spielplätze investieren.

(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)

Meine Damen und Herren, der Zustand der öffentlichen Infrastruktur sagt sehr viel darüber aus, welche Wertschätzung eine Landesregierung den Menschen entgegenbringt, die in dieser Region wohnen. Da müsste man entsprechend investieren.

(Beifall von der SPD)

Das Ganze ist leider nicht passiert. Sie sind ideenlos, wollen aber nicht auf das lokale Know-how der Städte und Kommunen, der Handwerkskammern und der IHKs zurückgreifen und verzichten gar auf eine vernünftige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist mir unbegreiflich. Ändern Sie das, dann ist vielleicht noch etwas zu retten.

(Zuruf von der FDP)

Die Wahrheit ist: Sie hatten von Anfang an keine eigene Idee zur Zukunft des Ruhrgebiets. Die Ruhrgebietskonferenz zeigt, dass Sie die auch heute noch nicht haben. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU spricht nun der Abgeordnete Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kutschaty, das, was Sie hier vorgetragen haben, ist für ein ehemaliges Mitglied einer Landesregierung, das sieben Jahre Verantwortung getragen hat,

(Zuruf von der SPD: Ah!)

ein Armutszeugnis, um es noch einmal zu sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Unruhe von der SPD)

Sie erklären heute, nachdem Sie zweieinhalb Jahre Opposition hinter sich haben,

(Zurufe von der SPD)

dass Sie wissen, was für das Ruhrgebiet notwendig ist.

(Weitere Zurufe von der SPD)

An der Stelle stellt sich natürlich die Frage: Warum haben Sie es nicht getan, Herr Kutschaty?

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich auf eines hinweisen:

(Unruhe – Glocke )

Wenn die jahrzehntelange SPD-Politik im Ruhrgebiet von Erfolg geprägt gewesen wäre, hätten wir die Ruhrgebietskonferenz nicht machen müssen. Das ist der Hinweis.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie hatten keinen Erfolg. Deswegen sei an dieser Stelle noch mal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir eine gemeinsame Verantwortung für diese Region haben und dass diese Verantwortung endlich auch gemeinsam wahrgenommen werden muss.

(Zurufe von der SPD)

Es macht keinen Sinn, permanent dem jeweils Verantwortlichen zu unterstellen, nicht genug für die Region zu tun. Fakt ist: Wir haben erhebliche Mängel. Lassen wir jetzt einmal die Schuldzuweisungen, wer dafür Verantwortung trägt, beiseite.

(Zurufe von der SPD)

Machen wir eine Analyse: Wenn wir das Ruhrgebiet voranbringen wollen, brauchen wir die Ideen derer, die dort leben. Der Prozess der Ruhrkonferenz beinhaltet, die Menschen mitzunehmen. Jetzt sagen Sie: Es haben sich nur 250 von 5 Millionen beteiligt.

Ich darf feststellen: Sie haben bei dem Versuch, das Ruhrgebiet zu revitalisieren, nie jemanden gefragt. Sie haben Leuchttürme auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Trickfilmzentrum HDO,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

und Hunderte von Millionen versenkt, ohne wirklich weitergekommen zu sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und jetzt den anderen, die sich ernsthaft mühen, miteinander ins Gespräch zu kommen … Im Übrigen glauben Ihnen nicht einmal Ihre Oberbürgermeister, was Sie hier vortragen. Ganz im Gegenteil: Sie beteiligen sich an dem Prozess.

(Zuruf von der SPD: Von Trickfilm verstehen Sie was!)

Herr Kutschaty, Sie haben vorhin angeführt, Sie seien im Ruhrgebiet geboren, Sie hätten dort Ihre Jugend verbracht, Sie seien dort beruflich tätig gewesen, Sie fühlten sich der Region verbunden.

Das fühlen wir uns auch. Wir fühlen uns insbesondere den Menschen verbunden, und wir wollen ihnen eine Perspektive geben. Wir wollen sie nicht in die Perspektivlosigkeit absinken lassen.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Das bedeutet, wir brauchen im Ruhrgebiet Planungssicherheit. Da haben wir uns alle gemeinsam eine erhebliche Blöße gegeben, indem wir letzten Freitag offensichtlich eingestehen mussten, dass wir die Regionalplanung, die uns übertragen worden ist, in dieser Legislaturperiode nicht zu einem Ziel führen.

(Zuruf von der SPD: Wer hat sie denn angelegt? Auch so ein Trick!)

Das haben wir gemeinsam zu verantworten, um es noch mal zu sagen.

Da fragte übrigens Herr Hübner: Was sagt denn der Vorsitzende der Verbandsversammlung dazu? Dann setze ich mir diesen Hut jetzt einmal auf, lieber Kollege Hübner,

(Zuruf von der SPD: Ja, bitte!)

und sage: Wir haben lange genug gewarnt.

(Zuruf von der SPD: Wann denn?)

Wir haben gesagt: Bitte nehmt die neuen Hinweise aus dem Landesentwicklungsplan auf und preist sie ein.

(Michael Hübner [SPD]: Wann denn?)

Nehmt die neuen Daten.

(Michael Hübner [SPD]: Wann soll das denn gewesen sein?)

– Permanent in jeder Veranstaltung. Sie gehören dem Gremium ja leider nicht an, wissen jedoch offensichtlich, was dort gesagt worden ist. Aber Sie haben es wohl nicht wahrgenommen.

(Zurufe von der SPD)

Lesen Sie die Protokolle.

(Zuruf von der SPD: Dann ist es doch Ihre Verantwortung für diesen Bereich!)

Nicht der Verbandsversammlungsvorsitzende ist verantwortlich für den Regionalplan, sondern die Regionaldirektorin.

(Zuruf von der SPD: Wer kontrolliert sie denn? – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ihr ist vom Land übertragen worden, die Regionalplanung für diesen Bereich durchzuführen. Das hat sie …

(Zurufe von der SPD)

– Das Parlament kontrolliert, nicht der Vorsitzende alleine. Ist denn für Ihr Regierungshandeln sieben Jahre lang die Parlamentspräsidentin verantwortlich gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Zurufe und Lachen von der SPD – Beifall von der CDU und der FDP – Unruhe – Glocke)

Was ist das für eine Albernheit sondergleichen?

(Sarah Philipp [SPD]: Es ist albern, was Sie erzählen!)

Kommen wir doch auf die Fakten zurück.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Sie haben das Ruhrgebiet nicht vorangebracht. Das aktuelle Baurecht führt dazu, dass Arbeit das Ruhrgebiet verlässt, ohne dass wir neue Arbeit gewinnen können. Wo ist Ihr gemeinsamer Einsatz mit uns, damit wir diesen Prozess verhindern?

Wo ist Ihr gemeinsamer Einsatz mit uns, damit wir die Flächen, die wir am Rande des Ruhrgebietes entwickeln können, auch zeitnah entwickeln werden? Ich weiß, wie uns Rot-Grün zu Ihrer Regierungszeit an der Entwicklung von newPark gehindert hat. Das habe ich noch sehr gut in Erinnerung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie weinen hier Krokodilstränen und haben nicht einen Beitrag dazu geleistet, diese Region voranzubringen. Wir tun das heute.

(Zurufe von der SPD: Ah! Ah!)

Wir tun das heute mit der Regionalkonferenz.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Und wir haben auch gesagt … Wenn Sie Freitag dabei gewesen wären … – Ihre Lautstärke zeigt mir, dass Sie getroffen sind, weil Sie wissen, dass wir recht haben

(Zuruf von der SPD)

mit dem, was wir beschreiben.

(Zuruf von der SPD)

An diesem Tag des Fazits der Ruhrkonferenz am Freitag wurde ganz klar gesagt: Das eine sind die Hinweise, die wir in den Foren bekommen haben, das andere sind die Hinweise, die uns die Städte gegeben haben,

(Sarah Philipp [SPD]: Das waren nicht so viele!)

und das Weitere sind die Hinweise, die uns die Menschen gegeben haben. Das alles werden wir zusammenführen und dann einen Prioritätenkatalog erarbeiten, nach dem wir vorgehen werden.

(Zuruf von der SPD: Wann denn?)

Wir haben die Menschen mitgenommen, wir haben die Regionen mitgenommen, wir haben auf sie gehört.

Ich habe heute Morgen noch mit Oberbürgermeistern gesprochen, die mir gesagt haben: Unter Rot-Grün haben wir die Ministerpräsidentin angeschrieben, sie hat ihren Mitarbeiter antworten lassen und das an einen Minister weitergereicht. Wir haben nicht einmal Antworten bekommen, wenn wir um Dinge gebeten haben. – Hier wurde sich insbesondere auf Herrn Jäger bezogen, der es nicht einmal nötig hatte, auf Briefe zu antworten, die ihm Oberbürgermeister haben zukommen lassen.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD – Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt immer auch mit vier Fingern auf sich.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Sie sollten erst einmal in eine Klausur gehen und das überprüfen, was Sie an Erbe hinterlassen haben. Es sind übrigens nicht nur die vergangenen sieben Jahre, sondern es sind auch die Jahrzehnte davor.

Wir haben den Abschied aus der Steinkohle miteinander beschlossen. Sie waren nicht dabei, Sie waren dagegen. Ich weiß, dass Sie noch im Kommunalwahlkampf 2009 gesagt haben: Der Bergbau muss im Ruhrgebiet bleiben.

Sie waren nicht bereit, auf neue Strukturen einzugehen. Sie waren nicht bereit, einen Strukturwandel voranzubringen. Sie haben die Erhaltung und Bewahrung des Status quo gepredigt, anstatt einen Strukturwandel voranzutreiben.

Sie tragen Verantwortung, wie wir Verantwortung tragen. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr, und hören Sie auf mit dieser billigen Parteipolemik.

(Zuruf von der SPD: Das sagt der Richtige! – Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Abgeordnete Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hovenjürgen hat seine Rede begonnen mit der Bemerkung, gemeinsam Verantwortung zu tragen;

(Lachen von der SPD)

denn er ist im RVR Mitglied einer Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Die gemeinsame Verantwortung ergoss sich darin, dass er zehn Minuten lang auf seinen Koalitionspartner SPD eingedroschen hat. Das ist keine gemeinsame Verantwortung, das ist Stehlen aus der Verantwortung, Herr Kollege Hovenjürgen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt zu dem, worum es heute eigentlich geht: Herr Hovenjürgen wollte unbedingt über das Thema „Regionalplan“ reden, obwohl „Ruhrkonferenz“ auf der Tagesordnung steht. Schauen wir uns die Bedingungen im Ruhrgebiet einmal an.

Die Stadt Essen hat bei den Altschulden eine Kreditverschuldung von über 2 Milliarden Euro. Wenn wir die nächsten 30 Jahre in den Blick nehmen, führt das dazu, dass die Stadt Essen 100 Millionen Euro allein zur Schuldentilgung und Kassenkreditabzahlung aufbringen muss.

Die Landesregierung ist trotz bester Steuereinnahmen, bester Vorbereitung nicht in der Lage, diese zentrale Herausforderung des Ruhrgebietes anzugehen. Sie versündigt sich letztlich an den Bedingungen im Ruhrgebiet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Hinzu kommt, Herr Kollege Löttgen, dass diese Landesregierung – Oberbürgermeister Thomas Kufen aus Essen hat es Ihnen schriftlich gegeben – versprochen hat, zumindest die Kostenerstattung für die Geflüchteten – nach unserer Vereinbarung – zu verändern und zu überprüfen. Das Lenk-Gutachten liegt seit einem Jahr vor und rechnet vor, dass im Durchschnitt über 2.000 Euro mehr für die Geflüchteten gezahlt werden müssen; bei den großen Städten ist es sogar noch teurer. Das führt dazu, dass eine Stadt wie Essen 67 Millionen Euro mehr zahlt, als sie vom Land erstattet bekommt.

Lieber Herr Kollege Hovenjürgen, diese CDU, diese Landesregierung hat sich vor der Ruhrkonferenz, während der Ruhrkonferenz und bis heute nicht einmal ansatzweise mit den Bedingungen im Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Deswegen muss die Ruhrkonferenz fehlgehen, weil die Grundbedingungen nicht geklärt werden, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Um noch eine weitere Dimension aufzumachen – dann komme ich zu einzelnen Inhalten der Ruhrkonferenz –: Allein die Stadt Essen verfügt laut der neuesten Statistik über rund 40.000 Arbeitslose.

Das sind dreimal so viele Personen, wie jetzt im Rheinischen Revier Arbeitsplätze auf Sicht kompensiert werden sollen. Ich will – das will ich ganz klar sagen – den Prozess im Rheinischen Revier nicht auch nur ein My infrage stellen, ganz im Gegenteil.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Haben Sie aber gerade!)

Es macht aber die Dimension deutlich. Wir sprechen über mehrere Hunderttausend Langzeitarbeitslose im Ruhrgebiet. Ich habe mir die Projektvorschläge angesehen und keine systematische Befassung mit diesem Sachverhalt gefunden, stattdessen ein Hochglanzaufblasen der Einzelvorschläge. Diese mögen jeweils gut sein, stellen aber keine systematische Auseinandersetzung mit dem zentralen Problem im Ruhrgebiet dar, sind keine Antwort auf Bildungsfragen, keine Antwort auf Zukunftsfragen und die Vernetzung. Das, was Sie hier veranstalten, sind alles Leerstellen, die mit dem Problem relativ wenig zu tun haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zur Systematik, wie die Landesregierung darangeht: Herr Minister Reul, wir sind bei der Frage der inneren Sicherheit vielleicht nicht immer einer Meinung, aber dass das Thema „Clankriminalität, Organisierte Kriminalität“ selbstverständlich wichtig ist, ist nicht zu bestreiten. Das, was Sie gemacht haben, ist jedoch etwas ganz Stinknormales, was zwischen Behörden stattzufinden hat.

Sie haben eine Fachkonferenz im Ruhrgebiet durchgeführt, bei der das Thema auf der Tagesordnung stand, und Sie haben sich mit Ihren Polizeipräsidenten getroffen. Wozu bedarf es einer Ruhrkonferenz, wenn sich der Innenminister mit Polizeipräsidenten trifft? Das ist Geschäft der laufenden Verwaltung in einem Land. Das muss geschehen, ohne dass dieser Deckel draufkommt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie hätten sich doch Leitfragen überlegen können, zum Beispiel zum barrierefreien Ruhrgebiet, zu barrierefreien Zugängen im Ruhrgebiet, damit alle Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen können, was ein systematisches Herangehen wäre.

Dann zwei Beispiele, die ich wirklich frappierend finde:

Zum Thema „Energie- und Verkehrswende“ nehmen Sie als Fürsten der Umsetzung ausgerechnet Herrn Teyssen, den Chef von E.ON. Ich achte Herrn Teyssen hoch respektvoll. Ich glaube auch, dass er einige Dinge vernünftig vorangebracht hat. Aber die Motoren der Verkehrs- und Klimawende im Ruhrgebiet sitzen doch bei ista und anderen fortschrittlichen Unternehmen und nicht ausgerechnet bei dem Moloch E.ON. Und Herr Teyssen soll das auch noch antreiben.

Das zeigt doch nur, dass Sie in alten Strukturen verhaftet sind und eben nicht mit der Region reden wollen, sondern mit dem Dach der Region. Das macht einen Riesenunterschied zwischen dem Ansatz, den wir wählen würden, und der Art, wie Sie es im Moment veranstalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Letztes Beispiel, was die Fachthemen betrifft: Ich habe mir den Verkehrsbereich angesehen und will durchaus konzedieren, dass Verkehrsminister Wüst immer mal wieder richtig, zum Beispiel die Radschnellwegrouten, fördert.

Aber gucken wir es uns genauer an. Was passiert im Verkehrsbereich? Das Ruhrgebiet ist der größte Agglomerationsraum, den wir in Europa von der Verdichtung her haben. Wir haben eine zersplitterte Verkehrslandschaft.

Wir müssen es systematisch angehen und über Parkraumbewirtschaftung reden, über ein einheitliches Schienennetz, über eine regionale Zusammenarbeit. Wir brauchen auch harte Maßnahmen. Es geht darum, dass die Region erstens enger zusammenarbeitet, zweitens Konzepte für die Zukunft entwickelt und drittens die klare Frage stellt, wie der Autoverkehr in der Region und der Flächenverbrauch anders organisiert werden können.

Doch was passiert? – Stückwerk, Einzelmaßnahmen, Verkehrswende spielt keine Rolle, Hochglanzmaßnahmen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Warum habt Ihr das nicht gemacht? Ihr hattet doch alle Zeit der Welt!)

Das wäre doch die Chance gewesen, genau den Kommunikationsprozess zu organisieren, der notwendig ist, um die Verkehrswende möglich zu machen. Sie verpassen wieder die Chance, das zu organisieren. Das ist lächerlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Kollege Hovenjürgen, jetzt zurück zur CDU: Die CDU ist in der Koalition im RVR. Der Regionalplan wurde von dieser Landesregierung schon dadurch gestört, dass Minister Pinkwart, ohne dass der Landtag es beschlossen hat, ohne dass es im Ruhrgebiet dazu einen Konsens gibt, Veränderungen bei den Windkraftanlagen, beim Kiesabbau, bei der Menge der Reserveflächen für den Kiesabbau durchgesetzt hat.

Wir werden uns ja in den nächsten Tagen zusammensetzen und über das Thema „Regionalplanung“ sprechen. Wenn Sie dann wieder den Tenor wie heute anschneiden, ist klar: Sie betreiben Politik auf dem Rücken der Menschen im Ruhrgebiet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben keine klare Ansage gemacht, dass Sie für die regionale Planungskompetenz sind. Sie haben keine Ansage gemacht, dass Sie für die Menschen im Ruhrgebiet streiten. Vielmehr sind Sie hier als Generalsekretär der CDU angetreten. Das ist nicht angemessen. Sie werden Ihrem Job nicht gerecht. Das kritisieren wir von grüner Seite erheblich.

Die Landesregierung hat dem Ruhrgebiet mit der Ruhrkonferenz wahrlich keinen Gefallen getan. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der FDP hat nun der Abgeordnete Herr Witzel das Wort.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ruhrkonferenz ist und bleibt ein zentrales Projekt der NRW-Koalition. Wir wollen und werden der Metropolregion Ruhr im Strukturwandel neue Chancen und neue Perspektiven bieten.

Die Ruhrkonferenz ist dabei Ideenschmiede und Ideenwettbewerb zugleich. Leitprojekte entstehen, indem Anregungen jedes einzelnen Bürgers ebenso ausgewertet werden wie die Lösungsvorschläge von Profis.

Das Leitbild der FDP-Landtagsfraktion lautet daher „Chancen nutzen“.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir wollen nicht wie Rot-Grün überkommene Strukturen zementieren und subventionieren, sondern in Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit investieren.

Dabei nehmen wir bestehende Herausforderungen ernst, beispielsweise in den Handlungsfeldern Bildung, Integration, Kriminalität oder bei der Beschäftigungs- und Wachstumslücke. Aber wir haben einen optimistischen Blick auf die Lage, denn das Ruhrgebiet hat große Potenziale, die es einfach besser zu nutzen gilt.

Wenn ich mir das anhöre, was mein Vorredner gerade vorgetragen hat, dann kann ich nur sagen: Sie haben sich mit den einzelnen Foren überhaupt nicht beschäftigt.

Natürlich geht es um Aufstiegsperspektiven. Was sonst sollen denn Talentschulen machen, als denen bessere Unterstützung zu bieten, die es besonders schwer haben?

(Zuruf von Sebastian Watermeier [SPD])

Wenn wir uns über Fachkräftemangel unterhalten, dann brauchen wir natürlich auch die Gewinnung von qualifizierten Fachkräften, die neu ins Ruhrgebiet ziehen. Die wollen aber natürlich nicht in den Hochburgen der Clankriminalität landen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Wenn wir neue Beschäftigungsperspektiven schaffen wollen, dann brauchen wir Innovationsförderung, Spitzenforschung, Wissenschaftstransfer in Gründung, neue Mobilität durch Digitalisierung. Das sind die Zukunftsthemen, denen wir uns widmen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Attraktive Rahmenbedingungen für zukunftsgerechte Entwicklung in der Metropolregion Ruhr entstehen auch in verbundenen Arbeitsfeldern der Landespolitik.

(Frank Müller [SPD]: Nicht als Überstunden!)

Deshalb haben wir in der Vergangenheit die Ruhrkonferenz nie isoliert betrachtet. Wir haben parallel bei den Verhandlungen der WSB-Kommission geschaut, wie wir hier Unterstützung organisiert bekommen.

Durchgesetzt haben wir 600 Millionen Euro Ausgleich für Umbrüche an Standorten des Steinkohlerückzugs. Wir haben uns um die Entfesselung im Landesentwicklungsplan gekümmert, damit neue Möglichkeiten entstehen, die jetzt bei der Standortgewinnung für mehr Gewerbe oder mehr Wohnungsbau genutzt werden müssen.

Welche Chancen im Ruhrgebiet heute leider noch ungenutzt bleiben, zeigt das aktuelle Desaster um die permanenten Verzögerungen beim Regionalplan, der vorerst gescheitert ist. Gemeinsam mit den IHKs kritisieren wir seit Langem, dass der RVR die neuen Entwicklungspotenziale in viel zu geringem Maße in Angriff genommen hat.

Jetzt haben die rote Regionaldirektorin und der grüne Planungsdezernent sogar die kleinen Fortschritte noch zunichtegemacht. Diese durch politisches Versagen und Obstruktion bewusst herbeigeführte Entwicklungsblockade ist ein handfester Skandal, unter dem die Menschen und Betriebe im Ruhrgebiet zukünftig leiden müssen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir sehen: Wer den Grünen die Planung in die Hand gibt, wird das grüne Chaos ernten.

(Beifall von der FDP)

Die Grünen fordern eine Wende nach der nächsten; das haben sie auch heute wieder getan. Nun sind sie aufgrund ihrer permanenten Wendemanöver als Geisterfahrer in den Gegenverkehr geraten und dabei schwer kollidiert.

Die NRW-Koalition wird dies nicht davon abhalten, sich weiter um die Themen zu kümmern, die die Metropole Ruhr nach vorne bringen: exzellente Forschung der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit VW und Bosch zur Cybersecurity; Exzellenz Start-up-Center in Dortmund und Bochum; Innovationscluster für die Industrie beispielsweise im Bereich Wasserstofftechnologie.

Da lohnt sich dann schon mal ein Blick auf sieben Jahre grüner Morgenthauplan in Zeiten Ihrer Verantwortung.

Ich will Ihnen die rot-grünen Projekte in Erinnerung rufen, leider nur in Teilen; sonst reicht die Zeit nicht aus. Lesen Sie es nach in der Landtagsdrucksache 16/7651. Was hatten Sie da eigentlich für ein Leitbild von der Ruhrregion? Ihre Projekte: Der Bergbau geht, die Biber kommen,

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP] und Bodo Löttgen [CDU])

Fahrradselbsthilfewerkstatt mit veganer Kochstube,

(Beifall von der FDP)

konsumkritischer Stadtrundgang, Ausbildung zum Chemiemonsterjäger, oder Ihr Survival-Workshop „Kochen mit Sonnenlicht und einem Trichter aus Wellpappe“. Da konnten die grünen Freunde dann sicherlich alles lernen, was sie heute im Hambacher Forst benötigen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die NRW-Koalition hat in der Tat ein anderes Bild von Zukunftsfähigkeit der Ruhrregion vor Augen. Wir kümmern uns darum, meine sehr geehrten Damen und Herren, Menschen durch Spitzentechnologie, durch Innovationsforschung und Exzellenzcluster neue Perspektiven zu vermitteln.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dieser lösungsorientierte Ansatz ist uns auch politisch in der Ruhrregion ganz wichtig, denn die Menschen brauchen neue Perspektiven, wenn sie in Zeiten struktureller Umbrüche nicht in den Armen von Populisten landen sollen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen und Petra Vogt [CDU])

Wer Populismus bekämpfen will, muss Probleme lösen. Deshalb setzen wir genau diesen konstruktiven und lösungsorientierten Weg im Ruhrgebiet weiter fort.

Sie sind herzlich eingeladen, sich im Rahmen der politischen Mitbestimmung und der Bürgerbeteiligung einzubringen, aber nach vorn gerichtet für die Zukunft und nicht in der Strukturkonservierung. Da fehlt Ihnen noch viel an neuem Denken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD spricht nun der Abgeordnete Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Laschet, drei Projekte zum Thema Arbeit bei insgesamt 75 Projekten: Ist das wirklich Ihr Ernst?

Nicht mal 5 % der Projekte befassen sich mit dem Bereich Arbeit. Haben Sie mal an die Menschen in Duisburg-Nord und in Gelsenkirchen-Süd gedacht? Kommen Sie noch aus Ihrer Filterblase heraus, Herr Laschet?

Auf der Homepage der Ruhrkonferenz kann man das Ganze nach den Themengebieten „Arbeit“ oder Ähnlichem filtern; das kann ich jedem von Ihnen empfehlen. Gehen Sie dort auf den Menüpunkt „Entscheiden“ und filtern Sie dann nicht nur nach „Arbeit“, was ich gemacht habe, sondern auch nach „Jugend“. Das Ergebnis zeigt die Ideenlosigkeit der Regierung Laschet, denn null Projekte befassen sich mit Jugend.

Klar, Arbeit war Ihnen schon nur mäßig wichtig mit drei von 75 Projekten. Der Jugend widmet man aber nicht mal ein einziges konkretes Projekt – und das bei der höchsten Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. NRW hat die meisten jugendlichen Arbeitslosen deutschlandweit mit großen Abstand. Allein gegenüber Bayern liegt die Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen um 50 % höher.

Das sind die Folgen der vier Parteien, die in den letzten Jahrzehnten hier regiert haben. Aber dafür gibt es jetzt ja acht Projekte zum Thema „Erneuerbare Energien“.

Besser wäre es vielleicht gewesen, sich die generelle Stromversorgung anzuschauen und sich mal zu fragen, wie denn die Menschen im Ruhrgebiet ihren Strom noch bezahlen sollen. 300.000 Stromsperren deutschlandweit – nicht auf NRW bezogen – sind ein klares Zeugnis, dass der Strom in Deutschland einfach zu teuer geworden ist.

Nirgendwo finden sich Ansätze, wie die Industrie im Ruhrgebiet zukünftig versorgungssicher günstigen Strom erhalten soll. Das lässt leider erkennen, dass die Konzepte, die hier vorgestellt wurden, irgendwann in der Schublade landeten und jetzt wieder herausgeholt wurden, um sie den Menschen zu verkaufen. Man verkauft das, was in den letzten Jahren schon nicht funktioniert hat; man macht jetzt nur ein bisschen Glitter drumherum.

Mit den Problemen im Ruhrgebiet befassen Sie sich leider kaum. Kein einziges der 75 Projekte ist wirklich auf das Ruhrgebiet zugeschnitten.

Die Arbeitslosen in Gelsenkirchen-Süd oder Duisburg-Nord mit einer Arbeitslosenquote von 12 % erwarten aber etwas anderes. Die stellen sich die Frage, wo sie oder auch ihre Kinder zukünftig einen Arbeitsplatz bekommen.

Aber selbst bei der Handwerkerinitiative geht es nicht etwa um den Nachwuchs in der Branche oder die Entwicklung von Menschen zu diesem Berufsbild. Nein, es geht um Kommunikationsbausteine oder auch um Bildungsangebote im Bereich – wen wundert es – „erneuerbare Energien“.

Aber es gibt ja jetzt noch fünf zusätzliche Projekte im Bereich „Medien“. Noch mal zur Erinnerung: ganze drei Projekte zum Bereich „Arbeit“, null Projekte für die Jugend, aber fünf Projekte für sogenannte Neue Medien.

Da reicht es natürlich nicht, dass die alten Medien schon 8 Milliarden Euro über die GEZ bekommen. Es reicht auch nicht, dass die Regierung gern mal ihre Stellenanzeigen auf befreundeten Neue Medien einstellt und dort entsprechend für die Finanzierung sorgt.

Jetzt müssen es weitere Projekte sein, zum Beispiel für die Meinungsmacher von der Organisation „Neue Deutsche Medienmacher“, die bereits jetzt mehr als 1 Million Euro von der Bundesregierung bekommen, wohlgemerkt in nur einem Jahr.

Da werden dann Broschüren aufgelegt für Flüchtlinge, die eben noch ihren Pass verloren haben und sich jetzt im Großstadtdschungel nicht mehr zurechtfinden. Ich glaube, es waren allein 700.000 Euro, die sie für das Projekt bekommen haben.

Über solche Summen, 1 Million Euro, für die „Neue Deutsche Medienmacher“ würden sich viele Neue Medien oder Medienmacher freuen; aber das Geld soll ja an die richtigen Organisationen für die richtigen Projekte gehen, und dementsprechend bekommen nur diejenigen das Geld, die sich immer lieb feingemacht haben mit der Regierung.

Sie wissen, im Ruhrgebiet scheint der Journalismus am Boden zu liegen. Gut, das könnte man bei der „WAZ“ sicherlich schnell sehen. Deswegen brauchen wir jetzt auch ein Mentoring-Programm für 50 neue Mentees, die dann das Ruhrgebiet journalistisch ganz weit nach vorne bringen. Das sind die Konzepte der Landesregierung.

Bei den 75 Projekten kommen gern auch mal viele nichtssagende Schlagworte zum Tragen, die das Ganze aufhübschen sollen frei nach dem Motto: Wenn das Produkt nichts taugt, muss wenigstens die Verpackung schön aussehen, ein bisschen glitzern. So kommen dann Worte zum Tragen wie „innovativ“ oder auch „digital“. Das geht eigentlich immer.

Sie sehen also: So richtig Gedanken hat sich die Landesregierung bei der Ruhrkonferenz nicht gemacht. Nett aussehen reicht aber nicht, und die Menschen im Ruhrgebiet lassen sich davon auch nicht blenden.

Wir im Ruhrgebiet sind es gewohnt, dass man anpackt. Doch angepackt wird hier eben nicht, sondern hier wird Show gemacht. Wir im Ruhrgebiet brauchen aber Lösungen und keine Show. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes‑ und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kutschaty, wenn das Ihre Kritik war, haben wir kein Problem. Da war wenig Konträres, da war viel Kontradiktorisches und viel nicht zu Ende Gelesenes.

Das geht übrigens den Industrie‑ und Handelskammern genauso. Es ist normalerweise nicht meine Gewohnheit, aber einen der Autoren habe ich morgens um 7 Uhr auf seinem Handy angerufen, und das war ein sehr freundliches Gespräch, weil wir gar nicht auseinander sind.

Wir sind am Anfang eines Prozesses, in dem wir eine Stoffsammlung machen. Dass eine Stoffsammlung keine Handlungsorientierung ist, habe ich schon gelernt, als ich Deutschaufsätze probiert habe.

Mich freut sehr – und das unterstelle ich allen –, dass uns das Ruhrgebiet gemeinsam am Herzen liegt. Wir kommen aus derselben Stadt. So furchtbar sind die Unterschiede in Essen ja nicht, dass wir anders groß geworden sind. Ich freue mich darüber sehr, dass uns das gemeinsam am Herzen liegt. Das geht der gesamten Landesregierung ganz genauso.

Die mehr als 5 Millionen Menschen, die dort leben, sind bereit, diese Region voranzubringen. Ich weiß nicht, welche 250 Leute Sie angerufen haben und wie Sie diese beeindruckende Zahl heruntergerechnet haben. Allein an den Gesprächsforen haben über 4.000 teilgenommen.

(Beifall von der CDU)

Wir werden die, die mit uns gemeinsam unsere Heimat voranbringen wollen, mit allen Möglichkeiten der Landesregierung unterstützen. Diese Menschen sind uns der Ansporn, diese Region wieder nach vorne zu bringen, dem Ruhrgebiet die Möglichkeit zu geben, seine Potenziale zu nutzen und eine Zukunftsregion zu werden, eine Chancenregion für alle. – Das ist die Ruhrkonferenz in wenigen Sätzen.

Sie können zu Recht sagen, das sei ein Versuch, den Sie nicht für ausreichend halten. Ich wäre aber der Erste, der sich mit Ihnen treffen würde, wenn Sie uns besser machen, mich verbessern, mich verändern würden. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Deswegen habe ich auch vorhin gesagt: Wenn das Ihre Kritik ist, haben wir kein ernstes Problem miteinander.

Das Ruhrgebiet ist eine zukunftsfähige Region und eine Chancenregion, weil diese 5 Millionen Menschen Wirtschaftskraft und Lebensqualität bieten. Wir wohnen und arbeiten in direkter Nachbarschaft zur Erholung, wir haben Sport und Kultur in Fülle, ein Angebot direkt vor der Tür. Wir haben kurze Wege, auch wenn wir uns darauf stauen, und hohe Lebensqualität.

Ich muss sagen: Obwohl ich in vielen Regionen war, dort studiert habe und gewesen bin, komme ich immer mit großer Freude ins Ruhrgebiet zurück und fühle mich da absolut zu Hause – außer zu Zeiten, als wir noch keinen blauen Himmel hatten.

Ein starkes Ruhrgebiet als Chancenregion wird auch auf die Nachbarregionen ausstrahlen. Das ist gut für ganz Nordrhein-Westfalen, das ist gut für Deutschland.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

– Ich habe befürchtet, dass Sie jetzt zählen, wie viele geklatscht haben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das machen wir schon die ganze Zeit!)

– Ich wollte mich am Anfang entschuldigen, dass ich Sie jetzt mit Sachlichkeit langweile. Es ist nicht böse gemeint, aber da müssen Sie jetzt durch, weil Sie bei vielem zu kurz gesprungen sind. Aber auch das wird ein Ende habe; ich belehre von Hause aus nicht gerne.

(Zuruf von der SPD)

– Ich höre Gott sei Dank sehr schlecht.

(Heiterkeit)

Die 53 Städte und Gemeinden an Ruhr, Emscher und Lippe nutzen ihr Potenzial dann am besten, wenn sie zusammenarbeiten und – Sie kennen das – altes Kirchturmdenken beenden.

Wir holen das verantwortungsvolle Für‑ und Miteinander unserer Väter und Großväter, der Kumpel, nämlich die Verantwortung für den Nächsten von unter Tage, ans Licht. Unsere Aufgabe ist zu beweisen: Wir können auch über Tage,

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

und zwar mit den Charaktereigenschaften, mit denen wir unter Tage erfolgreich und verlässlich waren.

Einige Kommunen im Kernbereich gehen bereits mit bestem Beispiel voran, zum Beispiel im Bereich der Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Kulturinstitutionen, Stiftungen, Verbände und Vereine. Die schauen längst über den Tellerrand hinaus.

Die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen Bochum, Duisburg-Essen und Dortmund ist hervorragend. Davon könnten die Städte noch das eine oder andere lernen.

Ich würde mir wünschen, liebe Kollegen von der SPD, dass dieses „über den Tellerrand hinaus denken“ in der Politik auch ankommen würde.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir brauchen für das Ruhrgebiet nicht nur ein Denken und ein Handeln über Grenzen der Gebietskörperschaften, sondern auch über Parteigrenzen hinweg.

Die Ruhrkonferenz will überall da entscheidende Impulse geben, wo Mehrwert aus der Zusammenarbeit entsteht und dabei die Ideen und die Gestaltungskraft der Regionen gestärkt werden.

Deshalb haben wir die 20 Themenforen der Ruhrkonferenz aufgebaut, in denen Engagement und Kreativität zusammenkommen, in denen an einem Strang gezogen wird. Die Foren geben keine Lösungen vor, denn die Foren sind zum Zuhören und zum Lernen geeignet. Das sind Lebensbereiche von Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport und Tourismus.

Bei der Ruhrkonferenz haben wir von Anfang an auf Beteiligung gesetzt, und zwar auf die Beteiligung der Kommunen, der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Hochschulen und der Bildungseinrichtungen.

Vielleicht sagt der eine oder andere zu Recht: Wir sind nicht eingeladen worden. – Niemand ist eingeladen worden, sondern alle waren eingeladen.

Wir wollten kein zweites oder drittes Gremium schaffen, sondern wir haben die eingeladen, die sich für Themen interessiert haben. Wir waren beeindruckt von dem, was gedacht wird, was gewünscht wird, welche Vorstellungen sich Bürger, Einrichtungen, Stiftungen und Forschungseinrichtungen machen.

Das Kabinett hat vor einem Jahr beschlossen, mit dem Aufbau dieser Themenforen zu starten und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir haben die Anregungen aus den Themenforen; das ist der eine Fundus. Wir haben über 200 Anregungen aus Kommunen, aus dem RVR von der Business-Metropole, von Unternehmen.

Wenn Sie die nirgendwo lesen, liegt das nicht daran, dass wir sie herausgenommen oder ausgegliedert hätten, sondern das sind die, die wir in den nächsten Monaten bearbeiten werden und mit denen wir die Themen und die Ideen speisen wollen.

Es haben insgesamt über 4.000 Bürgerinnen und Bürger mitgearbeitet und diesen Ideenfundus aufgearbeitet. Das ist, wie ich gesagt habe, kein Handlungsprogramm.

Hier hört der Beteiligungsprozess aber noch nicht auf. Dazu gehören auch die Feedbackrunden mit den Kommunen wie auch mit den Einrichtungen. Dazu gehören auch die Townhouses.

Da widerspreche ich Ihnen noch einmal: Das ist alles andere als ein PR-Gag, denn wir warten darauf, dass wir Kritik bekommen, mit der wir etwas anfangen können, von der wir lernen können und mit der wir unsere Projekte verändern.

Das ist absolut identisch mit den Anregungen der Industrie‑ und Handelskammern, mit der kommunalen Familie vor Ort. Das war auch der Tenor des Gespräches in Hamm.

Die Landesregierung bezieht Menschen ein, beteiligt sie, holt sich ihren Rat. Wir sehen, welche Schwerpunkte wir dann für die Arbeit setzen wollen. Daraus entstehen dann Leitprojekte. Daran sollten Sie die Landesregierung messen, wenn wir dies gemeinsam gemacht haben.

Unsere Strategie heißt: Alle Chancen des Ruhrgebietes nutzen. – Wo wir diese Chancen sehen – ob bei Forschung, Verkehr oder Sport –, ist dann das Thema der späteren Arbeit.

Wir haben natürlich, das wissen Sie auch, Themen wie „Finanzierung“ und „Altschulden“ eingebunden. Viele von Ihnen waren in Oberhausen bei dem Forum von Ina Scharrenbach, in das auch die Dezernenten der Städte eingebunden waren, die gute Beiträge gebracht und zu einem sehr vernünftigen Ergebnis beigetragen haben.

Dass wir über Gespräche, die wir mit dem Bund oder in Brüssel führen, nicht innerhalb der Zeit, in der wir miteinander diskutieren, öffentlich reden, finde ich naheliegend und nachvollziehbar.

Ich möchte gern noch ein Beispiel bringen. Die Emscher-Renaturierung ist ein hervorragendes Beispiel für den langen Atem der Region, der auch über Legislaturperioden reicht.

(Zurufe von der SPD)

– Nein, nein, ich will Ihnen nur sagen: Mir ist völlig egal, wer das damals initiiert hat.

(Zurufe von der SPD)

Für mich ist wichtig, dass wir es machen, dass es der Region dient und dass es gut ist. Dann ist mir völlig egal, wer damit angefangen hat. Ich wäre dankbar und froh, wenn Sie ähnlich locker wären, wenn wir was anfangen.

(Zurufe von der SPD)

Wir werden das mit Geduld und sicherlich über eine längere Zeit auch mit Ihrer Geduld durchsetzen wollen. Es geht der Landesregierung nicht um ein Strohfeuer, sondern um eine langfristige Veränderung in dieser Metropole.

Ich würde gern noch einen Satz sagen, weil Sie das Beispiel der Clankriminalität erwähnt haben. Das ist natürlich ein wunderbares Beispiel dafür – Entschuldigung –, dass Sie wirklich nicht zu Ende gelesen haben. Sie haben gesagt, es sei ja weiß Gott keine Meldung, dass der Innenminister einen Polizisten trifft. – Da bin ich absolut Ihrer Meinung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das ist aber nicht der Fall. Wenn Sie sich die Clankriminalität genauer ansehen, trifft der Betroffene einen Polizisten, einen Staatsanwalt, einen Zollfahnder, einen Steuerfahnder und Mitarbeiter von kommunalen Einrichtungen.

Mit dieser Vorgehensweise machen wir aus guten Gründen nicht gerade Werbung. Sie zeigt aber exemplarisch, was ein Kern des Grundverständnisses der Ruhrkonferenz ist: das koordinierte, grenzüberschreitende Zusammenarbeiten.

Als im Dezember die letzte Zeche stillgelegt wurde, schien für viele nicht nur des Steigers helles Licht bei der Nacht zu verglimmen. Damit das falsch und nicht die Vorstellung ist, die sich von unserer Heimat verbreitet, fordern wir Sie auf und freuen uns, wenn Sie die Initiative der Ruhrkonferenz mitgestalten.

Ich kenne mein Ruhrgebiet nur so, dass man sich gemeinsam kloppt, dass man sich anhört und dann gemeinsam die Ärmel hochkrempelt und es tut. Fangen Sie mit uns an.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion redet der Abgeordnete Hübner. Ich darf darauf hinweisen, dass die Fraktionen bei Bedarf weitere etwa zwei Minuten Redezeit haben.

Michael Hübner (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich habe Ihre Einladung sehr wohl vernommen. Ich weiß nicht, ob es nur unseren Kolleginnen und Kollegen so geht, aber Einladungen erhalten wir zu den Veranstaltungen der Ruhrkonferenz, auch zu den von Ihnen genannten Themenforen, in der Regel nicht.

Die finden übrigens auch zeitgleich zu Plenarsitzungen statt. Daher ist Ihre Einladung allenfalls eine bunte Lackierung über der Behauptung, dass es ein offener Prozess wäre.

(Beifall von der SPD)

Es ist kein offener Prozess, den Sie da auf den Weg gebracht haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Aber nett gemeint!)

Sie sind ja damals mit dem Thema „Ruhrkonferenz“ gestartet und haben viele Bilder belastet, auch die große Ruhrkonferenz von 1988, als Johannes Rau und Helmut Kohl in Castrop-Rauxel zusammengekommen sind und gesagt haben: Wir müssen etwas für dieses Ruhrgebiet tun, aus dem wir alle kommen – manche aus dem Essener Süden, manchen aus dem Essener Norden.

Übrigens gibt es da große soziale Unterschiede, wenn ich Ihnen als Essener das mal sagen darf. Ich komme aus Gladbeck und kann das auch jeden Tag erkennen. Daher gefiel mir diese Gleichmacherei gerade übrigens auch nicht.

Nein, unsere Vorgänger haben damals die Ruhrkonferenz gestaltet. Sie werden ja vielleicht damals schon dabei gewesen sein. Dabei ist ein großes Projekt für das Ruhrgebiet im Norden rausgekommen: die Internationale Bauausstellung Emscher Park. Das war ein Riesenergebnis, ein tolles Ergebnis der Ruhrkonferenz.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Was Sie heute nach zweieinhalb Jahren vorlegen und von dem Sie sagen „Wir machen da einen dynamischen Prozess und greifen mal das eine oder andere Innovative auf“ – ich werde dazu gleich noch mal das eine oder andere Schlagwort aufgreifen –, ist nichts. Sie können dazu keinen vernünftigen Beitrag leisten, der in etwa diese Dimension erreicht wie damals die Internationale Bauausstellung Emscher Park.

Sie haben gerade ein Zweites versucht, was mir überhaupt nicht gefällt; das muss ich Ihnen wirklich sagen: Der Umbau der Emscher ist ein Dekadenprojekt, das die Kommunen im Ruhrgebiet mit den Mitteln aus dem Ruhrgebiet und natürlich auch mit den Mitteln der Europäischen Union auf den Weg gebracht haben. Das als Projekt Ihrer Arbeit zu deklarieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht nicht.

(Beifall von der SPD)

Das ist ein großes Projekt gewesen, das 53 Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet auf den Weg gebracht haben.

Das war nicht der erste Versuch, Herr Minister. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir in Bottrop den Emscherkanal eingeweiht haben, Ministerpräsident Laschet durch das Stauland Nummer eins knapp eine Dreiviertelstunde zu spät gekommen ist und das Gleiche behauptet hat,

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das stimmt doch gar nicht!)

dass es nämlich ein tolles Projekt dieser Ruhrkonferenz ist und es so deklariert hat.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Reden Sie doch nicht so einen Mist!)

– Das haben Sie getan. Das war eine Unverschämtheit gegenüber dem Ruhrgebiet

(Beifall von der SPD – Zuruf: Genau!)

und zeigt doch nur eines: dass Sie keine Ahnung haben, was im Ruhrgebiet passiert. Das ist wirklich dreist, was Sie hier tun.

Wenn Sie dann weiter ausführen, …

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Lieber Kollege Hovenjürgen, zu dir komme ich ja gleich noch.

… dass das ja ein tolles Beteiligungsverfahren ist und Sie dem Kollegen Kutschaty vorwerfen, was das für 250 Leute sein sollen und er die Papiere nicht ernsthaft lesen würde, muss ich sagen:

Er hat die Papiere ganz ernsthaft gelesen. Ihr Ministerium hat 250 Menschen beteiligt. Das waren bei über 5 Millionen Einwohnern in dieser Region aber nur 250 Menschen. Das haben Sie selbst zum Besten gegeben. Wir haben das zu Ende gelesen und nichts gefunden. Das ist eben der Punkt.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus sprechen Sie an, dass die 53 Städte und Gemeinden plus die Kreise und der RVR ja wunderbar beteiligt werden. Ich will Ihnen mal erzählen, was der Landrat des Kreises Recklinghausen, aus dem ja auch der Kollege Hovenjürgen stammt, zum Thema „Feedback“ geschrieben hat:

„Weder das Positionspapier des Kreises Recklinghausen noch der Diskussionsbeitrag aus dem Kreis Wesel haben Berücksichtigung gefunden. Das für den Kreis Recklinghausen zentrale Thema Wasserstoffmobilität soll nach dem gegenwärtigen Stand der Planung der Landesregierung außen vor bleiben.“

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Stimmt doch gar nicht!)

Das ist etwas, was Ihnen die Landräte hier ins Buch schreiben,

(Frank Müller [SPD]: Ist ja schön, dass Sie mal da sind, Herr Ministerpräsident, aber vielleicht hören Sie mal zu! – Weitere Zurufe)

dass Sie nämlich nichts an wesentlichen Punkten berücksichtigt haben.

Worum haben Sie sich gekümmert?

(Zurufe)

– Die Aufregung zeigt, dass wir offensichtlich einen wunden Punkt getroffen haben. Das kann ansonsten kaum erklärbar sein, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Sie haben Themenforen gemacht. In der Tat hat Herr Kollege Witzel recht: Manchmal lohnt es sich, sich das eine oder andere Themenforum anzuschauen.

Nehmen wir einmal das Themenforum 9, „Unterricht sichern – Lehrerversorgung stärken“. Es geht darum – Sie haben es zur Kenntnis genommen, das Schulministerium offensichtlich auch –, dass wir zu wenige Lehrer haben. Wow! Das ist eine großartige Erkenntnis,

(Sarah Philipp [SPD]: Donnerwetter!)

die Sie fürs Ruhrgebiet gewonnen haben. Dem wollen Sie begegnen, indem Sie 30 Talentschulen schaffen wollen.

(Sarah Philipp [SPD]: Donnerwetter!)

Leute, wir brauchen nicht 30 Talentschulen. Jede Schule im Ruhrgebiet muss eine Talentschule sein, damit die Chancen ergriffen werden können.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihr habt doch gar nichts gemacht! – Ralph Bombis [FDP]: Ihr immer mit der Gießkanne!)

Mit Blick auf die Uhr möchte ich mich noch ein bisschen dem Kollegen Hovenjürgen widmen. Lieber Kollege Hovenjürgen, Sie sind langjähriger Vorsitzender des CDU-Kreisverbands in Recklinghausen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Bin ich, ja!)

langjähriges Kreistagsmitglied des Kreises Recklinghausen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, bin ich!)

langjährig, seit 2014, nicht nur Mitglied, sondern sogar Vorsitzender der Verbandsversammlung und haben im Jahre 2014 den Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit ausgehandelt.

Dass Sie sich dann hier so absentieren, so auf das Ruhrgebiet blicken und auch noch sagen, dass es alleine die rote Regionaldirektorin und alleine der grüne Planungsdezernent gewesen seien, die dafür gesorgt hätten, dass Ziele nicht eingehalten worden seien,

(Henning Rehbaum [CDU]: Genau so ist es!)

und es nicht vorher gesagt hätten, werfe ich Ihnen vor. Ich glaube, dass Sie mit der Anzahl Ihrer offiziellen Ämter überfordert sind

(Beifall von der SPD)

und deshalb hier als Generalsekretär gesprochen haben. Aber Sie müssen sich immer im nördlichen Ruhrgebiet, im Kreis Recklinghausen rechtfertigen. Wenn Sie keine Zeit dafür haben, sich ordentlich damit auseinanderzusetzen, gehört auch das zur Ehrlichkeit dazu.

Machen Sie aber nicht den Fehler und laden immer alle anderen Probleme bei Parteien ab, die zugegebenermaßen jetzt die Verantwortung dafür zu übernehmen haben. Schließlich haben auch Sie Verantwortung dafür zu übernehmen. Das erwarte ich von Ihnen in einer vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Regionalplan.

(Beifall von der SPD)

Dass das kein Ruhmesblatt ist, steht hier wohl außer Frage. 2008/2009, wenn ich mich recht erinnere, war es eine schwarz-gelbe Landesregierung, die die Regionalplanung an das Ruhrgebiet abgegeben hat, auf den Kommunalverband übertragen hat.

(Nadja Lüders [SPD]: Ja!)

Daran meine ich mich zu erinnern. Da war die SPD auch in der Opposition. Das möchte ich in Erinnerung rufen, weil hier manchmal das Märchen erzählt wird, in den letzten 45 Jahren habe die SPD im Land Nordrhein-Westfalen durchregiert. Das stimmt nicht: Zwischen 2005 und 2010 waren Sie in der Verantwortung, und Sie haben die Regionalplanung abgegeben.

(Zurufe von der CDU)

Die Frage, ob es damals richtig war, denen zu Beginn so wenige Planer zu geben,

(Henning Höne [FDP]: Nachweislich falsch!)

versehe ich mit einem riesengroßen Fragezeichen, denn ich kann mich ganz genau daran erinnern, welche Probleme es gab, die Regionalplanungskapazitäten von der Bezirksregierung in Münster, von der Bezirksregierung in Arnsberg, von der Bezirksregierung in Düsseldorf dort zu zentralisieren.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das war aber schon eine rot-grüne Entscheidung, mein Lieber!)

Schließlich war nicht jeder freudestrahlend bereit, ins Ruhrgebiet zu gehen.

Das ist mittlerweile abgestellt; das stimmt. Allerdings müssen sie sich jetzt mit der dritten – da hat Herr Kollege Mostofizadeh recht – Landesentwicklungsplanänderung, die wir hier auf den Weg gebracht haben – übrigens nicht immer nur unter unseren Mehrheitsverhältnissen, sondern auch unteren euren Mehrheitsverhältnissen –, auseinandersetzen.

Jetzt einmal ganz praktisch gesprochen: Wenn Sie Gutachten für Planzusammenhänge unter bestimmten Gesichtspunkten in Auftrag geben, müssen Sie aus dem Kreis Recklinghausen doch auch wissen – das gilt beispielsweise für das Thema „Datteln 4“, das Sie damals versenkt haben –, dass das ganz entscheidende Gutachten sind und vor jedem Verwaltungsgericht auseinandergenommen werden, wenn sie älter als drei Jahre sind. Das ist doch das entscheidende Problem, vor dem wir stehen.

Insofern erwarte ich von Ihnen, hier Verantwortung zu übernehmen, sich selbst zu fragen, ob Sie zu jedem Zeitpunkt in den letzten sechs Jahren die Verantwortung fürs Ruhrgebiet bei der Regionalplanung getragen haben, und dass Sie die Konsequenzen ziehen und sagen: Ja, wir müssen schauen, ob wir den Regionalplan tatsächlich noch vor der Kommunalwahl vernünftig auf den Weg bringen.

Ich sehe das mittlerweile sehr skeptisch; das ist kein Ruhmesblatt. Aber hier den Eindruck zu erwecken, Herr Generalsekretär, dass das alleine ein Problem von Rot und Grün sei, ist wahrlich nicht in Ordnung,

(Zurufe von der CDU)

und das werfe ich Ihnen auch vor. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes spricht für die CDU noch einmal der eben angesprochene Abgeordnete Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hübner, erst einmal bleibt festzustellen, dass Sie die Internationale Bauausstellung Emscher Park als großes Projekt angeführt haben, das Sie auf den Weg gebracht haben wollen.

Ich beantworte das mit dem alten Werbesatz: Und was ist mit Arbeitsplätzen? – Dafür haben Sie nicht gesorgt. Sie haben nicht für neue Arbeit im Ruhrgebiet gesorgt.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben vielleicht für ein Imageprojekt gesorgt, aber Sie haben nicht für neue Arbeit im Ruhrgebiet gesorgt.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber das werden Sie jetzt tun! Sie machen das jetzt! Genau!)

Zum Emscher-Umbau möchte ich auf das eingehen, was Sie gerade dem Minister und auch dem Ministerpräsidenten in den Mund gelegt haben.

Der Minister hat Ihnen ausdrücklich gesagt, dass der Emscher-Umbau ein Beispiel dafür sei, wie über die Legislaturperiode hinaus Landesregierungen ein gleiches Ziel verfolgen würden. Das ist das, was der Minister gesagt hat – nicht mehr und nicht weniger –, um auch das noch einmal deutlich zu sagen.

(Beifall von der CDU)

Jetzt möchte ich noch einmal über das reden, was Alltagspraxis ist. Am Dienstag wurde im Chemiepark Marl durch die Evonik ein 400-Millionen-Euro-Projekt auf den Weg gebracht. Der Spatenstich ist erfolgt.

Herr Kullmann, der Chef von Evonik, hat eindeutig gesagt, dieses Projekt würde es nicht geben, wenn der Spionageerlass von Herrn Remmel noch gegolten hätte.

Das heißt, mit Regierungshandeln der NRW-Koalition haben wir diese Investitionen möglich gemacht. Das tun wir fürs Ruhrgebiet. Wir machen Investitionen möglich, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn es darum geht, ob man sich fürs Ruhrgebiet einsetzt, kann ich Ihnen sagen: Wir haben uns im Kreis Recklinghausen über die Parteigrenzen hinweg – Herr Hübner, Sie waren allerdings nicht beteiligt; vielleicht war es nur deshalb möglich –

(Heiterkeit von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Sehr niveauvoll!)

für den newPark und die Realisierung eingesetzt, und zwar gegen den Widerstand der Landesregierung, gegen den Widerstand des grünen Koalitionspartners hier in Düsseldorf, und Sie haben diese Behinderungen, die wir dort erfahren mussten, hingenommen. So sieht Ihre Verantwortung für die negative Entwicklung im Ruhrgebiet aus, und das muss man an der Stelle auch einmal feststellen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen sei es auch statthaft zu erwähnen, dass wir permanent, auch als Union in der Koalition, auf Mängel und Schwächen unsererseits hingewiesen haben. Wir halten die Ausweisung von über 300 ha für den Kiesabbau in Wesel für völlig überzogen, insbesondere vor dem Hintergrund der Aussage der Regionaldirektorin, die sie der CDU-Fraktion auch schriftlich gegeben hat,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was soll das jetzt?)

dass es sozusagen einen Vorratszeitraum von 24,8 Jahren für den Kiesabbau gebe. Dass der grüne Planungsdezernent dann noch einmal 300 ha ausweist, hat aus meiner Sicht eher mit Emotionalisierung als mit sachgerechter Planung zu tun, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern gehört es auch in einer Koalition dazu, sich die Meinung und die Wahrheit zu sagen.

Wir als Union haben auf den Mangel an Fläche hingewiesen. Das Ruhrgebiet kann nur Arbeit gewinnen, wenn wir Fläche für Arbeit haben. Wir setzen uns im Ruhrgebiet dafür ein, dass im Ruhrgebiet wieder Arbeit geschehen kann. Wir werden es nicht schaffen, das Ruhrgebiet nach vorne zu bringen, ohne neue Arbeit ins Ruhrgebiet zu holen.

Ich darf darauf hinweisen, dass es mittlerweile vier Regionen in unserem Land gibt – das Münsterland, das Sauer- und Siegerland bzw. Südwestfalen, um es genau zu formulieren, Ostwestfalen-Lippe und das Bergische Land –, von denen jede allein mehr Industriearbeitsplätze hat als das Ruhrgebiet. So ist der Strukturwandel, ohne dass wir gegensteuern können.

Jetzt machen wir einen Regionalplan bzw. waren dabei, einen Regionalplan auf den Weg zu bringen, bei dem wir die Fläche für Arbeit nochmals reduzieren. Wer Arbeit im Ruhrgebiet möchte, muss dieser Arbeit Fläche zur Verfügung stellen. Wir als Union haben im Ruhrgebiet den Versuch dazu unternommen.

(Beifall von der CDU)

Wenn es darum geht, wie reflexhaft Politik ist, darf ich mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Buch von Jörg Sator zitieren, der – beginnend auf Seite 199 – Folgendes darstellt:

Last but not least erleben wir ein seltsames Déjà-vu mit der Opposition im NRW-Landtag. Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef im Landtag und Vorsitzender der SPD, wettert gegen die hiesige Stadtspitze. Kutschaty hat die Frage gestellt, warum der Sozialdezernent Renzel und Oberbürgermeister Kufen sich nicht schon längst um die Probleme der Essener Tafel gekümmert hätten.

Mein Konter in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ erfolgte umgehend: Der Sozialdezernent und der Oberbürgermeister sind die Einzigen gewesen, die sich um die Tafel gekümmert haben. Das heißt nicht, dass sie es richtig finden, was die Tafel gemacht hat. Aber sie haben sich gekümmert.

Kutschatys Vorwurf ging mir zu weit. Aus meiner Sicht hat sich der Essener Parteichef ein starkes Stück geleistet. Mein ganzes Leben lang hatte ich SPD gewählt. Damit war es nun vorbei.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Die Ruhrkonferenz war das Thema!)

Mein Vater war Bezirksvertreter in Gelsenkirchen, meine ganze Familie ist SPD. Für mich hat sich das jetzt erledigt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Was machen Sie da?)

Die Ruhrsozen hatten meiner Meinung nach noch immer nicht begriffen, welche Tristesse sich täglich in unseren Städten abspielt. Zumindest spiegelt sich dies in Kutschatys Äußerungen wider. Allein aus parteipolitischem Kalkül versucht die Landes-SPD mit kruden Anschuldigungen gegen die Union, wieder ein wenig Lufthoheit in der Debatte zurückzugewinnen.

(Sarah Philipp [SPD]: Wie lange lesen Sie noch vor?)

Aus meiner Sicht ging es einzig und allein darum, dem politischen Gegner, der die einstige Genossenhochburg Essen übernommen hatte, eins auszuwischen.

So viel zu der Einteilung und der Bewertung von Praktikern vor Ort, wie Sie Politik machen. Ich glaube, dass die Bewertung richtig ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben nämlich mit dem, was Sie in den letzten Tagen hier abgeliefert haben, sozusagen den Beleg dafür geliefert, dass Sie nur am Klamauk, am Disput und an Destruktion interessiert sind.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist Ihnen natürlich völlig fremd!)

Eine Zusammenarbeit suchen Sie gar nicht.

(Beifall von der CDU)

Sie wollen dieses Land madig machen. Das ist Ihre neue Strategie.

(Zurufe von der SPD)

Sie wollen letztendlich dafür sorgen, dass es nicht weiter nach vorne geht.

Herr Kutschaty, deswegen müssen Sie sich jetzt entscheiden. Gilt das, was Sie am Anfang immer sagen, nämlich dass Sie zur Zusammenarbeit bereit seien? Dann lassen Sie uns das gemeinsam tun.

(Dietmar Bell [SPD]: Sie hätten besser geschwiegen! – Heike Gebhard [SPD]: Dann laden Sie ihn doch mal ein!)

Dann nehmen wir aber auch gemeinsam die Verantwortung wahr. Dann lassen Sie uns für mehr Fläche im Ruhrgebiet sorgen.

(Sarah Philipp [SPD]: Merken Sie sich das! – Nadja Lüders [SPD]: Das kommt darauf an, was Sie unter Verantwortung verstehen – nicht Verantwortung auf andere abschieben!)

Die Reduzierung von Fläche im Regionalplan war die Verhinderung von Ansiedlungsmöglichkeiten innerhalb des Ruhrgebiets. Und das gilt es abzustellen.

Wenn wir noch einmal einen neuen Schritt in der Regionalplanung gehen, dann lassen Sie uns Fläche machen für die Arbeit und den Mut haben, zum Beispiel auch zu erklären: Wenn wir schon nicht Kraftwerk- und Energieerzeugungsstandort bleiben können, dann wäre es doch gut, wenn wir ein Standort wären, an dem die Energie verteilt wird, damit wir unseren Wertschöpfungsketten sagen können, dass sie immer genug Energie haben werden.

Aber wenn sich dann – und da nehme ich unsere Partei nicht aus – Stadtparlamente dazu entschließen, sozusagen Industrieflächen dicht zu machen, damit sie den Konverter nicht bekommen, dann kann ich nur feststellen: Das ist ein Verlust an Zukunft.

Wir müssen die Chance haben, in diesem Land Energie anbieten zu können, und zwar in Mengen – für die Erhaltung von Wertschöpfungsketten.

Dazu gehört politischer Mut. Außerdem gehört der Mut dazu, zwar Grünzüge auszuweisen, aber diese doch bitte nicht bis an die Wohnbebauung und Gewerbegebiete heranzuführen; denn dann hat man keine Erweiterungsperspektive mehr. Man muss doch noch Erweiterungsmöglichkeiten schaffen.

Das alles verhindert die bisherige Entwurfssituation des Regionalplans. Lassen Sie uns noch mal daran arbeiten. Das Angebot gilt. Wir sind dazu bereit. Ich bin gespannt, ob Sie mitgehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Und was ist mit der Ruhrkonferenz?)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenzeitig habe ich mich fast ein bisschen geschämt, Josef Hovenjürgen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich mich für euch auch gestern!)

mit so kleinem Karo, mit solchen Zitaten aus dem Buch. Man kann ja über Herrn Sator denken, was man möchte, aber was hat denn das in dieser heutigen Debatte zu suchen?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich habe zu Beginn der Legislaturperiode wirklich mit Wohlwollen und Respekt zur Kenntnis genommen, dass Sie das Thema „Ruhrkonferenz“ auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich war, wie Sie wissen, auch auf einigen Veranstaltungen und habe mir das angesehen.

Ich nehme Ihnen bis heute ab, dass Sie das mit der Konferenz ernst meinen und auch damit, dass das Ruhrgebiet Ihnen am Herzen liegt und Sie da einen Impuls setzen wollen.

Was ich auch ernst nehme und was Sie leider historisch nicht ganz richtig eingeordnet haben, ist, dass Sie in der CDU-Fraktion für eine Zustimmung zum neuen RVR-Gesetz – das wir 2012 behandelt haben – … Die CDU hat da nicht zugestimmt, sondern sich enthalten. Sie haben gesagt, Sie hätten damals zugestimmt. Aber das macht ja nichts. Ich nehme Ihnen ab, dass Ihnen das wichtig ist und dass Sie dafür stehen, dass das Ruhrgebiet seine Geschäfte selber regeln soll.

Deswegen erwarte ich heute eigentlich – anders, als die FDP es dargestellt hat – ein klares Bekenntnis dieses Landtags dazu, dass die Regionalplanung im Ruhrgebiet bleiben soll und dass es nicht weniger, sondern mehr Ruhrgebiet und mehr Selbstverantwortung geben soll. Genau das fordern Sie ja immer vom Ruhrgebiet: mehr Selbstverantwortung und mehr selbst auf die Beine zu stellen – statt der ständigen kleinkarierten Mäkelei, wie sie der Kollege Hovenjürgen eben abgeliefert hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Minister Holthoff-Pförtner, ich habe es mir sieben Jahre lang, als CDU und FDP in der Opposition waren, angesehen: Täglich wurden Rankings gemacht, wie schlecht das Ruhrgebiet und das Land Nordrhein-Westfalen seien.

Jetzt kommt Herr Hovenjürgen und sagt, wir würden am Land rummäkeln. Über einzelne Beiträge kann man sich sicher unterhalten.

Ich kann Ihnen aber nur zurufen: Ich habe für das Ruhrgebiet eine Vision, die da lautet: Wir machen mehr zusammen. Wir haben eine einheitliche Verkehrsgesellschaft, die deutlich über das Ruhrgebiet hinausgeht. Wir denken zusammen. Wir entwickeln einen Regionalplan, der für einen Ausgleich in der Region sorgt und eben nicht das enthält, was Herr Hovenjürgen gesagt hat, nämlich Industrieflächen irgendwie durch Grünzüge zu planen, sondern dass man abwägt, wo es regional vernünftig ist, wer davon profitieren kann und wie es einen Ausgleich in der Region gibt.

Wir müssen zusammenstehen und uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. Das ist aber das, was Sie hier heute propagiert haben, und das unterscheidet uns ganz massiv.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Minister Holthoff-Pförtner, einige Hinweise zu dem, was Sie gesagt haben.

Bei der Veranstaltung, die Frau Scharrenbach in Oberhausen durchgeführt hat, zu der ich mich kurzfristig durch Anruf im Ministerbüro quasi selbst eingeladen habe, bzw. habe ich darum gebeten, kommen zu dürfen, war ich der einzige politische Vertreter des Landtags, der zugegen war. Es ist keine Einladung an die Mitglieder des Landtags ergangen,  

(Beifall von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

was Ihr gutes Recht ist, aber das war eine Fachveranstaltung, bei der abgefragt werden sollte, wie hoch die Bereitschaft vor Ort ist. Das kann man machen, hat aber mit dem Anspruch, den Sie zuvor geschildert haben, einfach nichts zu tun.

Ich habe mir auch die Mühe gemacht, im Internet nachzuschauen, wie die Beteiligung war. Bei der Frage der Priorisierung der Themen gab es ausweislich der Onlineplattform, die Sie eingestellt haben, 3.127 Zugriffe. – Wenn ich bei Rot-Weiss Essen bei einem Heimspiel mit einem Flugblatt herumgehe, bekomme ich bei solchen Dingen schon 10.000 Rückmeldungen.

(Michael Hübner [SPD]: Wenn es Schalke gewesen wäre, wären es noch mehr!)

Das ist die Dimension, in der Sie die Beteiligung bei der Ruhrkonferenz zustande gebracht haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Damit die Themen nicht verloren gehen, will ich die Zahlen zum Thema „Altschulden“ in Erinnerung rufen. Wenn die Stadt Essen weiterhin jährlich 100 Millionen Euro schultern müsste – was sie eigentlich wirklich müsste –, dann wird da nichts funktionieren, wenn Sie es nicht klären und nicht die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass im Ruhrgebiet ein Ausgleich beim Regionalplan geschaffen wird. Dann wird sich da auch nicht viel bewegen.

Und weil die FDP vorhin wieder so wirre Dinge gesagt hat:

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war Herr Witzel!)

Ich glaube, dass das Ruhrgebiet auch dadurch attraktiv wird, dass so etwas wie die Grüne Hauptstadt 2017 stattfinden konnte. Die meisten Arbeitsplätze im Ruhrgebiet werden eben nicht dadurch geschaffen, dass man stinkende Autos baut, sondern dadurch, dass es Windräder gibt,

(Lachen von der AfD und Dietmar Brockes [FDP] – Zurufe von Christian Loose [AfD] und Helmut Seifen [AfD])

dass es vor Ort Technologie gibt. Allein durch das Brüderle-Konzept sind in Nordrhein-Westfalen 500 Arbeitsplätze kaputtgegangen, weil Sie die Solarthermie kaputt gemacht haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Was eine Ideologie!)

Das ist doch die industriepolitische Wahrheit hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, mein Appell an diese Landesregierung ist: Bringen Sie diese Ruhrkonferenz irgendwie zu Ende, aber ziehen Sie Schlüsse daraus. Meine dringende Bitte ist: Machen Sie einen Plan, der zukunftsweisend ist und der die Funktionen klärt und wie es nach vorne geht – bei Altschulden, Finanzierung und Bildungspolitik.

Abschließend zu den Talentschulen: Wir haben wahrscheinlich im Essener Norden mehr Schulen, als Sie Talentschulen für das ganze Land Nordrhein-Westfalen ausbreiten wollen. Besser wäre es, den Sozialindex anzuschärfen

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Dann fangt an!)

und nicht so einen Quatsch zu machen, wie einzelne Talentschulen auf den Weg zu bringen. Das wäre zukunftsfähig. Das hätte etwas mit Ruhrkonferenz zu tun. Das ist das, was das Land Nordrhein-Westfalen braucht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wenn man sich die Mimik in den Gesichtern der SPD-Fraktion ansieht, dann merkt man schon, dass die SPD gerade erkennt, dass diese Aktuelle Stunde ein Eigentor ist.

(Beifall von der FDP und der CDU – Frank Müller [SPD]: Es ist ja kein Problem, wenn man sich die Phrasen vorher zurechtlegt!)

Sie liefern auch heute den Beweis, dass Sie schon lange nicht mehr die NRW-Partei sind, aber beileibe auch nicht mehr die Ruhrgebietspartei. Das sind Sie nur noch in Ihren Träumen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Debatte zeigt doch Ihre offenen Flanken. Viele Probleme, über die wir hier reden, sind von Ihnen in Ihrer Verantwortungszeit verursacht. Und gerade jetzt, wo die SPD-Spitze im Ruhrgebiet mit ihrer Politik beim RVR ein Debakel erlebt, suchen Sie die Schuld immer bei den anderen.

Sie tun so, als hätten Sie bei diesem Planungsdrama in der Metropole Ruhr nur die Nebenrolle.

(Michael Hübner [SPD]: Wir übernehmen Verantwortung!)

Nein, Sie sind mit in der Hauptrolle des Versagers:

(Heike Gebhard [SPD]: Sagen Sie das doch mal Herrn Hovenjürgen!)

die SPD-Regionaldirektorin mit ihren grünen Planungsknappen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die SPD, die jetzt mit den Grünen an der Spitze der Verwaltung des Regionalverbandes Ruhr mehr als nur den Zeitplan im Planungsprozess an die Wand gefahren hat, übt sich heute im Landtag im Bumerangwerfen – der knallt Ihnen gerade an den Kopf. „Tut nicht weh!“, wird Kollege Hübner höchstwahrscheinlich sagen. – Kein Wunder, wenn der Kopf so inhaltsleer ist. So viel zur Ruhrgebietskompetenz der SPD.

(Sarah Philipp [SPD]: Ach Gott! Mein Gott, ist das schlecht! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt achten Sie mal auf unsere Mimik!)

Sie leben doch eigentlich in den 90ern. Herr Kollege Hübner kam vorhin mit der Internationalen Bauausstellung daher. Das ist in der Tat eine wichtige Sache, die war aber auch schon vor der damaligen Ruhrkonferenz schon lange in den Köpfen einiger Professoren – Ganser, Gramke – vorhanden.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Ich glaube, Sie merken gerade, dass Sie sich verschätzt haben.

Es gibt ungeduldige Stimmen – das ist doch klar. Es gibt auch viele Stimmen, die immer wieder vergessen, dass die Ruhrkonferenz ein Prozess ist. Aber das hat wenig mit dem inhaltsleeren und herbeikonstruierten Antrag für diese Aktuelle Stunde zu tun. Sie sehnen doch in Wirklichkeit ein Scheitern herbei und verzetteln sich deshalb im Schlechtreden.

(Beifall von der FDP und Matthias Kerkhoff [CDU] – Rainer Schmeltzer [SPD]: Selbst Herr Brockes quält sich zum Applaus!)

Sie wollen dabei Ihr Versagen übertünchen – nicht nur beim RVR, sondern in Ihrer siebenjährigen Regierungszeit. Denn welchen großen Wurf haben Sie da vorzuweisen?

(Frank Müller [SPD]: Mein Gott, jetzt sprechen Sie doch mal über das, was Sie vorhaben!)

Frank Baranowski hat dazu im März 2018 in einem Interview offen bekannt: Hannelore Kraft hat mit ihrem Kabinett nicht geliefert.

(Beifall von der CDU – Dietmar Brockes [FDP]: Aha!)

Dabei stehen ja gerade die Dinge, die die IHK gerne intensiver haben möchte, schon lange nicht mehr auf Ihrer eigenen Liste, Ihrer zunehmenden wirtschaftsfeindlichen Agenda im Ruhrgebiet.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt hat keiner mehr!)

Wir haben jetzt einen Zwischenstand: 75 Projekte wurden bislang ausgewählt, und es werden auch noch einige hinzukommen. Sie werden vor allen Dingen auch Wirtschaftsthemen behandeln. Der Anfang ist gemacht, und damit können wir vieles, aber sicherlich nicht alles erreichen: Wir können das Chaos beim RVR nicht verhindern, und wir können auch nicht verhindern, dass Planer aus ideologischen Gründen Flächen für Unternehmensansiedlungen und neue Wohnungen verhindern wollen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist die schlechteste Rede von allen bisher!)

Und gegen die legendäre Kirchturmpolitik können wir oft auch nichts tun.

Die Ruhrkonferenz sucht Impulse, aber diese scheinen den Antragstellern völlig zu fehlen. Stattdessen präsentieren Sie eigentlich wieder nur miesepetrig und maulend Ihre alten, verfaulten Argumente.

Aber das kommt wohl auch aus dem Humus einer jahrzehntelangen Verkrustung. Da gedeihen nur noch Spekulationen und krude Vorwürfe. Wer nach Ihren Ideen lauscht, hört eher die Schnecken im Salat rascheln – in der Kleingartenanlage zum roten Abgesang. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Der Fraktionsvorsitzende hat gar nicht geklatscht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hübner, ja, es ist nicht fair, wenn die Landesregierung Projekte, die von der Vorgängerregierung angestoßen worden sind, als ihren eigenen Erfolg verkauft. Allerdings gilt dies nicht nur für positive Projekte, sondern natürlich auch für Misserfolge.

Woher, Herr Hübner und Herr Mostofizadeh, kommen denn all die Arbeitslosen im Ruhrgebiet? Sie sprachen von 40.000 Arbeitslosen in Essen. Wer sind oder waren denn die großen Arbeitgeber im Ruhrgebiet? – E.ON, RWE, Steag, thyssenkrupp, Opel etc.

Warum, Herr Hübner und Herr Mostofizadeh, haben diese Firmen ihre Stellen denn abgebaut? – Zum Beispiel aufgrund der völlig aus dem Ruder gelaufenen Subventionen für Windindustrieanlagen und PV-Anlagen, die den Strompreis auf Rekordhöhe gebracht haben. Andererseits ist der Preis für Unternehmen, die ihren Strom an der Börse verkaufen müssen und nicht staatlich garantierte Einspeisevergütungen bekommen – dazu zählt etwa RWE –, gesunken.

Die einen fahren Verluste ein, die anderen haben staatlich garantierte, hohe Renditen, nämlich die grüne Klientel. Im Ruhrgebiet, in Bochum und in Essen, packen sich die Lehrer PV-Anlagen auf ihr Dach und haben nicht ein einziges Windrad vor der Nase. Die Windkraftbranche baut im Moment extrem viele Stellen ab, weil die Subventionen wegfallen und diese einfach nicht wirtschaftlich sind.

(Heike Gebhard [SPD]: Nein, weil der Erlass so ist!)

Dafür ist die Versorgungskrise aber Realität.

Die Industrie baut weiter Stellen ab, weil die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben ist, nicht im Ruhrgebiet, aber nahe des Ruhrgebiets. Hydro Aluminium baut jetzt 500 Stellen ab.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Gegenruf Michael Hübner [SPD])

– Herr Hübner, hören Sie mir doch zu und diskutieren Sie nicht, dann lernen Sie vielleicht noch etwas.

(Markus Wagner [AfD]: Bei dem ist das zu spät! – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

– Wollen Sie weiter diskutieren, oder lassen Sie mich reden?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Weiter diskutieren! – Zuruf von den GRÜNEN: Lieber weiter diskutieren!)

– Ja, das können Sie machen, aber ich bitte darum, die Redezeit entsprechend anzupassen. Ich warte dann ab, bis Sie zu Ende diskutiert haben.

Deutschland stand im Juni schon dreimal vor dem Blackout, den wir nur abwenden konnten, weil wir Strom aus dem Ausland gekauft haben. CDU und FDP verschärfen das Problem noch. Damit holen Sie keine Unternehmen ins Land, sondern Sie vertreiben diese weiter und sorgen dafür, dass es im Ruhrgebiet noch mehr Arbeitslose geben wird.

Dafür kommen jetzt 75 neue Hochglanzprojekte für die Menschen im Ruhrgebiet, die ihnen aber in keiner Weise helfen werden. So werden jetzt zum Beispiel auch bereits vorhandene Ideen einfach der Ruhrkonferenz zugeordnet, wie zum Beispiel das Projekt „Start4Chem“, also für Chemie bzw. Chemical, von der Ruhr-Universität Bochum. Dort heißt es: „Das Gründungszentrum ‚Start4Chem‘ wird an das Exzellenzcluster Ruhr Explores Solvation, kurz RESOLV, angedockt“, also an die Ruhrkonferenz. Das nennt man neudeutsch „umlabeln“ oder auch „Alter Wein in neuen Schläuchen“.

Das Exzellenzcluster macht aber schon seit sieben Jahren mit mehr als 1.000 Publikationen und mehr als 200 internationalen Chemikern, Physikern und Ingenieuren einen guten Job. Jetzt verkauft die Uni das einfach mal im Rahmen der Ruhrkonferenz und wird infolgedessen sicherlich ein bisschen mehr Geld bekommen, und die Landesregierung kann das schön als neues Projekt verkaufen. Mich als Bochumer und Freund der Naturwissenschaften freut das Projekt ungemein, allerdings handelt es nun wirklich um keine neue Idee, sondern das läuft bereits im Rahmen der entsprechenden Universitätsallianz.

In Summe bleibt die absolute Schieflage zwischen dem, was Sie den Menschen im Ruhrgebiet versprechen, und dem, was diese eigentlich bräuchten. Die Menschen im Ruhrgebiet bräuchten unter anderem auch eine sichere Heimatstadt ohne Angsträume. Ein bisschen geht es gegen Clankriminalität, und das ist auch in Ordnung, aber es fehlt insgesamt an einem klaren Konzept. Die Clans brauchen keine warmen Worte. Ihr Konzept „Integration, Orientierung, Perspektiven!“ greift viel zu kurz.

Besser als Integration, Orientierung und Perspektiven wäre es, ausländische Straftäter konsequent abzuschieben, und bei deutschen Straftätern braucht es eine harte Hand vor Gericht und vor allem schnelle Gerichtsverfahren. Die Landgerichte aber haben mit der Verfahrensdauer große Probleme. Sie führen die Verhandlungen, wenn eine Strafe im Umfang von vier Jahren oder mehr erwartet wird. Es geht somit um schwere Straftaten.

Herr Reul und Herr Biesenbach, hier brauchen wir Lösungen, vor allen Dingen für die Städte mit einer hohen Kriminalitätsrate, zu denen insbesondere die Ruhrgebietsstädte zählen. Wenn Opfer und Täter sich noch über Monate oder gar Jahre begegnen, weil bei Gericht nichts passiert, dann führt das nur zu weiteren Konflikten.

Die Menschen im Ruhrgebiet brauchen eine Zukunft für ihre Kinder, und die gibt es vor allen Dingen mit einem Arbeitsplatz. Wie im ersten Teil meiner Rede angesprochen, beziehen sich nur drei von 75 Projekten auf das Thema „Arbeit“ und nicht ein einziges Projekt auf die Jugend.

Die Menschen im Ruhrgebiet brauchen ein angenehmes und bezahlbares Wohnumfeld, doch Wohnen kommt bei Ihnen nicht einmal als ein eigenes Cluster vor, es ist versteckt im Bereich „Heimat“, wo es nur um eine mögliche Verdichtung von Wohnraum geht. Wir im Ruhrgebiet leben zum Teil in kleinen Wohnungen ohne Balkon und kennen die Verdichtung schon. Noch mehr Verdichtung brauchen wir nicht.

Fazit: Die Ruhrkonferenz war nicht nur überflüssig, sie hat auch Ressourcen verschwendet – ein Stuhlkreis für die Landesregierung, eine Art Selbsthilfegruppe für Ideenlose. Jeder Malocher da draußen, der seinen Job aufgrund Ihrer Politik verloren hat, könnte Ihnen in fünf Minuten besser erklären, was das Ruhrgebiet braucht, als Sie es in den letzten anderthalb Jahren bei der Ruhrkonferenz herausgefunden haben. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Loose. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch dabei. Dann schließlich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1, der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf:

2   Gesundes Essen ist Kinderrecht: Gesunde und nachhaltige Verpflegung für alle Kinder und Jugendlichen in Kita und Schule sicherstellen – einheitliche Qualitätsstandards festschreiben

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7364

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Müller das Wort.

Frank Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind sollte mindestens eine warme und gesunde Mahlzeit am Tag bekommen, aber leider ist das, was selbstverständlich klingt, in der Realität alles andere als selbstverständlich. Es gibt tatsächlich Kinder, die nach dem Wochenende hungrig in Schulen und Kitas ankommen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte uns alle beschäftigen und sogar beschämen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Nicht immer liegt es am Geld. Gleichwohl sind arme und armutsgefährdete Kinder am häufigsten betroffen. Eine warme und gesunde Mahlzeit am Tag ist somit auch eine Frage von Teilhabe.

Kitas und Schulen spielen als einer der wichtigsten Lebensräume von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Wo, wenn nicht dort, können und müssen wir dafür sorgen, dass Kinder Zugang zu gesunder und qualitätsvoller Ernährung haben?

Leider hängt es immer noch vom Zufall ab, wie es um die Essensversorgung vor Ort steht. Denn nichts ist einheitlich geregelt, und nichts ist auskömmlich finanziert. Es wundert also kaum, wie unterschiedlich die Lage ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wer von Ihnen sich schon einmal durch das Essensangebot von Kitas und Schulen probiert hat. Ich will Ihnen das gerne mal ans Herz legen. Danach stellen Sie sich einfach mal selbst die Frage, ob Sie es für akzeptabel hielten, wenn das Gleiche hier in unserer Kantine auf den Tisch käme. Ich glaube, nicht.

(Beifall von der SPD)

Um es klar zu sagen: Das ist nicht die Schuld von Schulen oder Kitas. Sie können häufig gar nicht anders, weil sie schlicht die Voraussetzungen nicht haben, weil die Voraussetzungen fehlen, sowohl finanziell als auch infrastrukturell. Die Zwangslage vieler Kommunen verschärft diese Situation zusätzlich.

Trotz dieser Widrigkeiten haben sich viele Bildungseinrichtungen auf den Weg gemacht und werden dem Anspruch an ein gutes und gesundes Essen gerecht. Aber häufig hängt das eben vom Engagement und von der Kreativität einzelner Personen ab,

(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

von Lehrerinnen und Lehrern, die sich neben ihren eigentlichen Aufgaben darum kümmern, dass es läuft, von Eltern und Fördervereinen, die sich nicht mehr länger anschauen wollen, wie es um die Essensversorgung steht, oder auch von Kitaträgern, die es irgendwie hinbekommen, Frischküchen zu betreiben.

Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es immer ein schmaler Grat zur Selbstausbeutung der Beteiligten. Wir müssen diesen Menschen unendlich dankbar dafür sein, was sie unter diesen unzureichenden Bedingungen hinbekommen. Aber das darf nicht so bleiben, und es muss endlich Schluss damit sein, dass wir dieses Engagement ausnutzen und billigend in Kauf nehmen, dass sich diese Menschen eventuell damit überfordern.

(Beifall von der SPD und Norwich Rüße [GRÜNE])

Gute Bildung ist auch mit der Frage guter Ernährung verbunden. Aber das spiegelt sich in den tatsächlichen Bildungsausgaben so gut wie nicht wider, weder im Schulhaushalt noch im KiBiz. Am Ende fehlt es an Geld und an personaler Infrastruktur, um sowohl im Ganztag als auch in unseren Kitas flächendeckend eine qualitätsvolle Frischküche zu etablieren, und es fehlt an entsprechenden verbindlichen Qualitätsstandards.

Neben der Frage nach einem Orientierungsrahmen stellt sich die Frage nach der Umsetzung. Die bittere Realität ist: Das alles muss neben dem schulischen und Kitaalltag bewältigt werden von Menschen, die eigentlich – das wissen wir alle – keine Langeweile haben. Gerade in Bildungseinrichtungen, die in einem herausfordernden Umfeld oder – um es klar zu sagen – in sozialen Brennpunkten arbeiten, ist das denkbar schlecht. Die Wahrheit ist: Diese Arbeit kann nicht so einfach nebenher erledigt werden.

Es führt deswegen kein Weg daran vorbei, diese Frage des Schul- und Kitaessens sowohl mit Blick auf die Qualität als auch mit Blick auf die personelle Ausstattung und die Finanzierung gesetzlich zu regeln mit allen Konsequenzen. Unsere Kinder müssen es uns wert sein.

(Beifall von Jochen Ott [SPD] und Norwich Rüße [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. Auch wenn ein Teil der Familien bereits heute vom Essensgeld befreit ist, gilt das für einen Großteil nicht. Da reden wir ja häufig nicht von Spitzenverdienern. Für viele Familien wirken die Beiträge zur Kita oder zum Offenen Ganztag wie eine zweite Steuer. Eine dritte kommt mit dem Essensgeld dazu.

Im Übrigen ist dieses Essensgeld die einzige Quelle zur Finanzierung dieses Essens. Ich möchte ein Beispiel geben. In deutschen Kitas sind das 2,42 Euro pro Tag. Für ein bedarfsgerechtes, gesundheitsförderndes Mittagessen braucht man aber je nach Größe der Einrichtung und je nach Anzahl der Essen, die dort zubereitet werden, zwischen 3,09 Euro und 5,87 Euro. Da braucht man keine höhere Mathematik, um festzustellen, dass wir von diesen Werten weit entfernt sind.

Die Lösung kann am Ende dann doch nicht sein, das bei den Eltern abzuladen. Wenn Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist – und so habe ich uns alle immer verstanden –, und wenn die Frage des Essens dazu gehört, dann kann es doch nur richtig sein, dass die Allgemeinheit und diese Gesellschaft Verantwortung dafür übernimmt, dass das Essen in Schulen und Kitas perspektivisch kostenfrei werden muss.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt: Wir brauchen einen neuen und ganzheitlichen Blick auf Bildung und damit auch auf die Bildungsfinanzierung. Unser Sprecher Jochen Ott hat ja hier schon mehrfach darauf hingewiesen, dass wir eigentlich einen New Deal in der Bildungsfinanzierung brauchen.

Für uns gehört die Frage des Essens eindeutig dazu, und sie ist untrennbar mit der Debatte über die Zukunft der Bildung und Teilhabe aller jungen Menschen verbunden.

Ich freue mich auf die Debatte hier und dann in den Ausschüssen. – Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall von der SPD und Norwich Rüße [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Voßeler-Deppe das Wort.

Margret Voßeler-Deppe (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Gesundes Essen ist Kinderrecht. Wer wird da widersprechen? Essen – das wissen wir alle – ist mehr als nur Nahrungsaufnahme. Essen ist Genuss. Essen ist Leidenschaft. Gemeinsam essen ist kommunikativ. Essen ist im besten Falle lecker und gesund.

Insofern sprechen wir heute über ein wichtiges und zutiefst menschliches Thema. Deshalb ist auch das Plenum des nordrhein-westfälischen Landtags in der Tat ein guter Ort, um über dieses wichtige Thema zu debattieren.

Das Land macht viel in diesem Bereich. Zentraler landesweiter Ansprechpartner rund um alle Fragen einer gesunden, nachhaltigen Kita- und Schulverpflegung ist die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW. Im Auftrag von drei NRW-Ministe-rien, dem Verbraucher-, dem Schul- und dem Familienministerium, macht die Verbraucherzentrale NRW seit 2008 Schulleitungen und Schulträgern, Caterern und interessierten Eltern ein breit gefächertes Angebot. Sie bietet professionelle Unterstützung, Beratung und Weiterbildung rund um alle Fragen einer gesunden, nachhaltigen Kita- und Schulverpflegung. Aufgabe ist die landesweite Beratung und Unterstützung der Kindertagesbetreuung, der Schulen sowie der öffentlichen und freien Träger bei allen Fragen rund um die Verpflegungsqualität und -organisation sowie Ernährungsbildung.

2017 wurde dieses gut nachgefragte Angebot auf Kitas ausgedehnt. Ein wichtiges Ziel ist, das Essensangebot an den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auszurichten, die Orientierungshilfe zum Beispiel für Speisenplanung, Nährstoffe, Hygienemanagement und pädagogische Aspekte geben. Dieser DGE-Standard lässt sich nur empfehlen, aber nicht verpflichtend vorschreiben, da Letzteres in Selbstverwaltung der Träger eingreifen und einen Konnexitätsfall auslösen würde.

Außerdem bietet die Vernetzungsstelle ein umfangreiches Programm an Fortbildungen, Workshops und Veranstaltungen an. Darüber hinaus veranstaltet sie jährlich die Tage der Schulverpflegung in NRW und die Tage der Kitaverpflegung in NRW.

Die DGE-Qualitätsstandards unterstützen Verantwortliche in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Betrieben, Krankenhäusern und Rehakliniken sowie Mitarbeiter von Essen auf Rädern bei dem Angebot einer ausgewogenen Verpflegung.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft entwickelte die DGE Qualitätsstandards für verschiedene Lebenswelten.

Außerdem hat das BMEL bereits einen Ausbau der Förderung in diesem Bereich umgesetzt. Ab 2019 wurden die Mittel für die Vernetzungsstellen verdoppelt und das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule ausgebaut, welches die Arbeit der Vernetzungsstellen in den Ländern ergänzt und unterstützt.

Im Runderlass 12-63 Nr. 2 des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW vom 23.12.2010 werden dem Schulträger die Zuständigkeit und die konkreten Aufgaben für die Schulverpflegung zugewiesen. Darin heißt es:

„Der Schulträger ermöglicht den Schülerinnen und Schülern die Einnahme eines Mittagessens oder eines Mittagsimbisses. In Ganztagsschulen stellt er dafür Räume, Sach- und Personalausstattung bereit. Er trägt die sächlichen Betriebskosten. Die konkrete Umsetzung kann im Einvernehmen mit der Schule auch von Dritten geleistet werden, beispielsweise einem außerschulischen Träger, einem Eltern- oder Mensaverein.“

Jetzt, wo Sie nicht mehr in Regierungsverantwortung stehen, fordern Sie, jedem Kind, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, ein kostenloses warmes Mittagessen zur Verfügung zu stellen. Das kann man machen. Nur: Sagen Sie dann doch bitte direkt dazu, welche zusätzlichen Kosten das für die Schulträger bedeutet – ganz abgesehen davon, dass Sie sich wieder in die Freiheit der Schulträger und deren Gremien einmischen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Auf die Finanzierungsfragen wird der Kollege Frank Rock in seinem Redebeitrag näher eingehen.

Es ist halt wie so oft wie bei den Anträgen der SPD: jahrzehntelang in Regierungsverantwortung nicht viel auf den Weg gebracht;

(Jochen Ott [SPD]: Wie wäre es mit dem Thema?)

sobald man in der Opposition ist, fordern.

Wir als Christdemokraten sind da ein wenig anders.

(Christian Dahm [SPD]: Ich glaube, das wäre ein Thema für die Ruhrkonferenz!)

Wir glauben an die Eigenverantwortlichkeit des Menschen.

(Beifall von der CDU)

Wir halten nichts davon, Eltern per se die Kompetenz zur gesunden Ernährung ihrer Kinder abzusprechen

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Darum geht es nicht!)

und sie gänzlich aus dieser Verantwortung zu entlassen,

(Beifall von der CDU)

um diese dann der Schule aufzuerlegen. Schule kann vieles, aber nicht alles leisten.

Der gesamte Themenkomplex ist zu komplex und zu wichtig, um ihn für ein parteipolitisches Scharmützel zu missbrauchen. Ich freue mich deshalb auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Voßeler-Deppe. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt hat die Sozialdemokratie das Thema „Schulessen“ für sich entdeckt. Darauf hat die Welt nun wirklich gewartet.

(Jochen Ott [SPD]: Das glaube ich auch!)

Bevor die Genossen in NRW aber diesen Antrag geschrieben haben, haben ihre Berliner Fraktionskollegen schon in den sozialen Medien vorgelegt. Unter den vielsagenden Hashtags „#bildungfüralle“ und „#zukunftgestalten“ fordert die Berliner SPD-Fraktion – ich zitiere –: „Kein Kind sollte hungrig in den Unterricht gehen müssen.“ Bis hierhin absolut volle Zustimmung!

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das ist ja wohl auch richtig!)

– Das habe ich doch gerade gesagt, Frau Kollegin: Bis hierhin volle Zustimmung!

Aber dann haben die Social-Media-Experten der Berliner SPD-Fraktion dazu folgendes Bild ausgewählt: angetrocknete Röhrchennudeln mit Fettfilm, garniert mit reichlich Ketchup als scheinbar delikater Tomatensoße. Da lachen sogar die Kollegen aus NRW. SPD ist auch Currywurst; das wissen wir. Aber das Bild beweist nun wirklich Kompetenzdefizite beim Thema „Schulverpflegung“.

(Jochen Ott [SPD]: Wenn Sie Currywurst essen würden, wäre es gut, aber nur vom Bioschwein!)

Das sieht nicht nur unappetitlich aus und ist nicht nur geschmacklich weit vom Zumutbaren entfernt, sondern auch noch reichlich ungesund.

Meine Damen und Herren, ein solches Essen haben unsere Kinder und Jugendlichen nicht verdient. Natürlich ist uns allen wichtig, dass den Kindern in den Kindergärten und den Schülerinnen und Schülern an den Schulen ein leckeres, qualitativ gutes und gesundes Essen zur Verfügung gestellt wird. Selbstverständlich sollten, wenn es vor Ort notwendig erscheint, Anpassungen vorgenommen werden.

Allerdings gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass das Schul- oder Kitaessen in Nordrhein-Westfalen so schlecht sei, dass wir wie im Vereinigten Königreich Jamie Oliver durch unsere Bildungseinrichtungen schicken müssten. Im Gegenteil! Ich bin davon überzeugt, dass die Schul- und Kitaverpflegung weitestgehend auf einem qualitativ guten Niveau ist. Im Übrigen habe ich auch schon sehr viel Schulessen probiert. Ich war jetzt nicht überrascht, weil ich da schlechte Qualität vorgefunden hätte, sondern konnte mich von genau diesem Mix in der Praxis überzeugen.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, eigentlich müssten Sie der Meinung sein, dass das Schul- und Kitaessen wirklich qualitativ hochwertig ist. Denn dieses Thema ist – um in der Kulinarik zu bleiben – nicht frisch gekocht, sondern aufgewärmt.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Aber es ist nicht gelöst!)

Auf einen Antrag der Fraktion Die Linke hin wurde das Thema schon im Januar 2012 in diesem Hohen Haus beraten. Für Sie hat damals Herr Kollege Gordan Dudas gesprochen, der Folgendes sagte – ich zitiere –:

„Auf Qualität müssen und wollen in erster Linie die Verantwortlichen vor Ort achten. Eine gezielte Regelung, geschweige denn eine weitere Kontrolle zu schaffen, ist bürokratisch, unrealistisch und von heute auf morgen so nicht umsetzbar.“

(Zuruf von der SPD: Die Welt dreht sich!)

Außerdem führte er aus:

„Neben logistischen Problemen wird vor allem ein überbordender bürokratischer Aufwand befürchtet, der zusätzlich entstehen würde.“

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Guter Mann, der Dudas! Darum geht es in dem Antrag aber nicht! Kommen Sie zum Thema!)

Das widerspricht ja völlig Ihrem Antrag.

Auch die andere damals regierungstragende Fraktion war dieser Meinung. Die Grünen-Abgeordnete Andrea Asch führte aus – ich zitiere –:

„Es liegt in der Trägerhoheit, auch die Ernährungssituation und die Mahlzeiten zu gestalten. Es wäre ein Eingriff in diese Trägerhoheit, wenn verbindliche gesetzliche Mindeststandards vom Gesetzgeber formuliert würden. Da sind sehr enge Grenzen gesetzt.“

Sie sagte weiter:

„… es ist sicher erfolgversprechender, wenn eine Schule insgesamt dieses Thema in ihr Schulleben mit aufnimmt, als wenn irgendwelche Mindeststandards, die zentral vorgeschrieben werden, abstrakt zugrunde gelegt werden.“

Damit haben sowohl SPD als auch Grüne schon 2012 die Zuständigkeit festgestellt und es auch richtig erklärt. Wenn man sich den damaligen Debattenverlauf anschaut, lässt sich festhalten, dass sich die beiden Fraktionen gegenseitig bescheinigt haben, dass die Verpflegung an den Schulen und Kitas in Nordrhein-Westfalen im grünen Bereich ist und es keiner Änderungen bedarf.

Jetzt, sieben Jahre später, bringen Sie diesen Antrag ein. Das ist in meinen Augen schon sehr kurios. Denn die Zuständigkeiten haben sich seither nicht geändert.

Das lässt sich auch auf der Seite des Ministeriums für Schule und Bildung nachlesen. Ich zitiere:

„Hierfür die Rahmenbedingungen optimal zu gestalten, liegt im Einflussbereich der Schulen und Schulträger. Sie sind aufgefordert, sich für eine gute Schulverpflegung zu engagieren und Maßnahmen zu realisieren, die dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler für das Essen zu begeistern.“

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Müller-Rech, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage – ich vermute, bei Herrn Kollegen Ott.

Franziska Müller-Rech (FDP): Ja, gerne.

Jochen Ott (SPD): Es ist sehr nett, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie wissen ja sicherlich, dass der Bund durch das Bundesteilhabegesetz, was das Mittagessen angeht, neue gesetzliche Regelungen beschlossen hat. Sie wissen auch, dass an vielen Schulen, insbesondere an großen integrierten Schulen, das Essen, wie wir bei allen Schulbesuchen immer wieder hören, nicht von allen Kindern gebucht wird. Die Kinder gehen zwar in der 5. Klasse noch essen. Aber danach – diese Rückmeldung kommt von überall – geht die Bereitschaft, das Angebot des Essens anzunehmen, deutlich zurück.

Sind Sie nicht der Auffassung, dass man nach so vielen Jahren der Diskussion – Sie haben selbst gesagt, dass es jetzt sieben Jahre her ist – noch einmal über die Frage reden muss, wie wir die teuren, vom Steuerzahler finanzierten Mensen so auslasten, dass dort, wo sie vorhanden sind, auch tatsächlich gegessen wird? Sind Sie nicht der Meinung, dass das gerade vor dem Hintergrund der bundesgesetzlichen Regelungen jetzt notwendig wäre?

(Zuruf von der CDU)

Franziska Müller-Rech (FDP): Das ist eine ganz interessante Frage, Herr Kollege Ott. Das hat aber mit Ihrem Antrag nicht viel zu tun. Denn wenn wir jetzt Qualitätsstandards festschreiben und an jeder Schule und jeder Kita eine Frischeküche einbauen, steigern wir doch nicht die gerade von Ihnen angesprochene Teilnahmebereitschaft.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Doch, natürlich!)

– Nein. Nur weil in jeder Schule eine Küche ist, gehen doch nicht automatisch mehr Kinder zum Essen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Wenn das Essen schmeckt, essen auch mehr!)

– Natürlich gucken wir uns das an, Frau Voigt-Küppers. Ich glaube, es hilft uns allen im Parlament nicht, wenn wir hier in ein Zwiegespräch einsteigen – zumal Sie später noch einen Redebeitrag angemeldet haben. Dann können Sie gerne Ihre andere Position darstellen.

Aus meiner Sicht ist der Grund, den Sie anführen, Herr Kollege, nicht nachvollziehbar. Wenn wir erreichen wollen, dass sich mehr Kinder beteiligen, hilft es nicht, Qualitätsstandards von oben zu verordnen. Dann müssen wir uns schon andere Lösungen ausdenken – insbesondere vor Ort, weil die Lage im Land unterschiedlich ist.

(Zuruf von der SPD: Na klar!)

Es hilft nicht, von Düsseldorf aus eine Regulierung über das ganze Land zu schieben. Das ist unseres Erachtens nicht der richtige Weg. Deswegen hat das aus meiner Sicht nichts mit Ihrem Antrag zu tun.

(Beifall von der FDP – Frank Müller [SPD]: Was im Rheinland gesund ist, ist nicht unbedingt in Westfalen gesund?)

Wenn Sie das Gefühl haben, dass es bei Ihnen vor Ort – vielleicht in Essen, vielleicht in Köln, vielleicht auch in Westfalen, etwa in Höxter, oder vielleicht in Hellenthal; ich will hier nicht alle Orte aufzählen – mit der Schul- und Kitaverpflegung nicht läuft, wäre es doch ratsamer, sich an die zuständige Stelle in der Kommune zu wenden – Sie sind doch dort auch in den Stadträten und Kreistagen vertreten –, als diese ineffektive Debatte hier im Hohen Haus weiterzuführen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Darüber hinaus berufen Sie sich ja auf Zahlen, die aus 2014 stammen. Auch da setzt meine Kritik an. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Ich habe nicht den Eindruck, dass seitdem eine Qualitätsverschlechterung eingetreten ist, die diesen Aufwand rechtfertigt.

Deswegen lautet mein Appell: Bitte hören Sie doch auf, das Essen in unseren Schulen und Kitas madig zu reden. Wie gesagt, habe ich vor Ort einen völlig anderen Eindruck bekommen. Und wenn es vor Ort Probleme gibt, dann sollten wir sie auch vor Ort lösen.

(Zuruf von der SPD)

Die Bildungseinrichtungen selbst, ihre Träger und auch die Kinder teilen unsere Ansicht, dass es wichtig ist, ein leckeres, gesundes und ausgewogenes Mittagessen zu bieten – und eben nicht die vorhin angesprochenen Nudeln mit Ketchup.

(Zurufe von der SPD)

Dabei geben sich alle Akteure vor Ort die allergrößte Mühe. Genau diese Verantwortlichen watschen Sie doch heute mit so einem pauschalen, unausgegorenen Antrag ab.

(Jochen Ott [SPD]: Im Gegenteil!)

Sie sprechen in Ihrem Antrag zu Recht die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW an, finanziert unter anderem aus Bundesmitteln im Rahmen des Nationalen Aktionsplans IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung – sowie aus Mitteln der Landesministerien, und zwar sowohl des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz als auch des Ministeriums für Schule und Bildung.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Rech, ich muss Sie leider ein zweites Mal unterbrechen. Diesmal möchte Ihnen Herr Müller gerne eine Zwischenfrage stellen.

Franziska Müller-Rech (FDP): Ja, immer gerne.

Frank Müller (SPD): Vielen Dank, liebe Kollegin Müller-Rech. – Meine Frage lautet: Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass ich in meiner Rede genau das – die vielen Akteure vor Ort, die sich wahnsinnig viel Mühe geben, abzuwatschen – nicht getan habe?

Ich erlebe häufig, dass Menschen sich darum kümmern müssen, deren Profession es eigentlich nicht ist und die sich diese Zeit noch irgendwie herausschneiden. Ob an Schulen oder Kitas: Es ist nicht ausreichend finanziert, Infrastruktur und Personal zu schaffen, das sich genau mit dieser Frage auseinandersetzt.

Das sollte also überhaupt nicht den Beitrag schmälern, sondern einfach zeigen: Wir müssen es auf ein anderes Fundament stellen.

Meine Frage lautet also: Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass ich genau das nicht getan habe und diese Menschen nicht abgewatscht habe?

Franziska Müller-Rech (FDP): Ich glaube, dass das eine wichtige Botschaft ist. Deswegen freue ich mich, wenn Sie sagen, dass das nicht Ihre Absicht war. Es ist ja auch gut, wenn wir das hier klären und festhalten, dass sie nicht pauschal abgewatscht werden sollen.

Aber der Fachkräftemangel zieht sich gerade in Schule und Kita durch ganz viele Professionen und sehr viele Menschen, die dort im Einsatz sind. Auch da vermisse ich in Ihrem heutigen Antrag den Lösungsansatz. Selbst wenn wir nachher über Finanzierungsfragen sprechen, haben wir diese Stellen immer noch nicht besetzt.

Wir finden in Ihrem Antrag auch keine tatsächlichen Kriterien; sie sind dort nicht formuliert. An die Problembeschreibung können wir gerne einen Haken machen. Aber Lösungsansätze finde ich im Antrag nicht wieder.

Wir müssen uns andere Gedanken dazu machen, wie wir diese Probleme vor Ort lösen können. Noch einmal: An jede Einrichtung einfach eine Küche dranzuflanschen, genügt nicht. Deshalb sind nicht von heute auf morgen mehr Fachkräfte in den Einrichtungen.

Ich war eigentlich dabei, darzustellen, was Land und Bund schon alles tun. Da möchte ich insbesondere die Vernetzungsstelle noch einmal hervorheben. Diese Vernetzungsstelle leistet eine äußerst wichtige Arbeit, weil sie den Schulen und Kitas die Möglichkeit gibt, sich selbstständig und auf freiwilliger Basis über ihre Möglichkeiten im Bereich der Verpflegung zu informieren und beraten zu lassen. Zudem gibt es regelmäßig Projekte und Workshops – sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Lehrkräfte sowie die Erzieherinnen und Erzieher. Da geht es sehr verstärkt darum, gesunde und nachhaltige Ernährung zu vermitteln.

Daran knüpft auch eine Forderung in Ihrem Antrag an, die ich wirklich nicht nachvollziehen kann. Sie fordern zum Beispiel, das Themenfeld in die Lehreraus- und ‑fortbildung zu implementieren. Wie soll ich mir das denn vorstellen? Sollen jetzt auch Englisch- und Geschichtslehrer im Studium oder in der Fortbildung verpflichtend Seminare zur gesunden Ernährung belegen müssen, obwohl sie das gar nicht vermitteln? Was soll denn so eine Schaufensterforderung?

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Unsere Lehrkräfte stehen doch schon vor ganz vielen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten. Dass die SPD hier ein diffuses Störgefühl hat, das noch nicht einmal mit Zahlen hinterlegt ist, bringt Sie dazu, eine solche Forderung in den Antrag zu schreiben. Nur deshalb wollen Sie die Lehrerinnen und Lehrer mit weiteren Aufgaben und pauschal mit mehr Verantwortlichkeiten belasten. Das hat doch auch nichts mit Wertschätzung zu tun. Ich kann nicht verstehen, woher zum Beispiel eine solche Forderung kommt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist nicht die einzige Forderung, die mir wie aus der Hüfte geschossen vorkommt und die weder Hand noch Fuß hat, geschweige denn ein Preisschild. Da werden noch ganz viele Fragen aufgeworfen – mehr Fragen, als Sie im Antrag Antworten geben.

(Zuruf von der SPD)

Wie viele Einrichtungen haben schon eine Küche? Brauchen jede Schule und jede Kita eine Küche? Welche Küchenform soll es sein? Eine Lehrküche? Eine Aufwärmküche? Wer finanziert das denn alles?

(Zuruf von der SPD: Meine Güte!)

Welche Dienstleister sollen bzw. dürfen dann überhaupt noch an den Schulen eingesetzt werden?

Wie Sie sehen, ist diese Fragenliste jetzt schon lang. Weitere Fragen kommen noch dazu. Ich bin auch sehr gespannt auf die Antworten, die dann im Laufe dieser kochenden Debatte hoffentlich noch geliefert werden.

(Jochen Ott [SPD]: Ich freue mich jetzt schon auf die Anhörung! Das wird eine wunderbare Anhörung!)

– Darauf freue ich mich auch. Herr Ott, ich freue mich immer, wenn ich mit Ihnen in einer Anhörung sitzen darf.

Abschließend, um beim Kulinarischen zu bleiben: Bis zum nächsten Schulausschuss haben Sie ja noch ein bisschen Zeit, um mehr Fleisch an den Knochen zu bringen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Rech. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Müller-Rech, ich bin, ehrlich gesagt, etwas entsetzt, wie Sie an dieses Thema heute herangegangen sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

Ich kann verstehen, dass man als Abgeordnete einer regierungstragenden Fraktion versucht, Aufgaben, die anzunehmen wären, erst einmal abzuwehren. Das ist alles nachvollziehbar. Wir bewegen uns hier aber in einem Problemfeld, das definitiv vorhanden ist.

Als Vater von zwei Töchtern, die beide zur Schule gegangen sind – eine geht noch zur Schule –, sage ich Ihnen: Ich kenne das Problem sehr gut. Wenn beide Elternteile berufstätig sind – das ist mittlerweile Standard –, fragt man sich nämlich: Was kriegen denn unsere Kinder mittags in der Schule zu essen?

Wir haben die Schule gemeinsam in den Ganztag hineinentwickelt. Das war eine Entscheidung, die gesellschaftspolitisch und bildungspolitisch durchaus richtig ist. Das haben wir alle zusammen gemacht. Wir haben es aber nicht geschafft, parallel dazu dafür zu sorgen, dass den Kindern an allen Schulen ein ordentliches Mittagessen angeboten wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie können doch nicht sagen, dass Sie das irgendwo anders gesehen hätten.

Ich kann Ihnen aber Beispiele nennen, wo es eben anders ist, nämlich so, dass es nicht funktioniert oder vom Ehrenamt abhängt, ob es klappt.

(Zuruf von der FDP)

Wir diskutieren häufiger über die Frage „Wissen um Ernährung“. Das ist doch die zentrale Frage. Wissen unsere Kinder überhaupt noch, woher das Essen kommt und wie Essen zubereitet wird? Weiß es denn die Elterngeneration? Die Eltern sind 30 bis 35 Jahre alt und wissen viel weniger als die Generation der heute 60- bis 65-Jährigen. Da ist ein Wissensverlust vorhanden, den wir ausgleichen müssen, Frau Müller-Rech. Akzeptieren Sie das bitte einmal.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Uns allen ist klar: Es ist eine Herkulesaufgabe, dass wir an den Schulen – wir haben 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler und knapp 6.000 Schulen in NRW – ein verlässliches, gutes Mittagessensangebot hinbekommen. Das an allen Schulen hinzubekommen, ist nicht einfach. Diese Aufgabe müssen wir aber angehen. Wir können sie nicht allein den Schulträgern überlassen und sagen: Macht mal schön!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das müssen wir aus dem Landtag und aus den Ministerien begleiten. Das ist unser Job, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich sage aber auch: Das ist doch eine Riesenchance, das Wissen um unser Essen wieder zu verbessern.

(Jochen Ott [SPD]: Richtig! So ist es!)

Lassen Sie uns diese Chance doch gemeinsam nutzen. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, wie wir das Thema „Ernährung“ den Kindern wieder ein Stück weit näherbringen können. Das gehört auch in die Schulen. Die Eltern schaffen es nicht mehr alleine. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Lassen Sie uns das in dem Zusammenhang also doch anpacken.

Es ist auch eine Riesenchance – das sage ich an dieser Stelle auch deutlich –, wenn wir es hinbekommen, die Schulkantinen mit regionaler Ernährung und vielleicht auch einem Anteil an ökologischer Ernährung zu verknüpfen. Damit könnten wir an dieser Stelle etwas für die Natur und auch für unsere Landwirtschaft tun. Das ist ein wichtiger Schritt. Denn woher kommt das Essen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde, dass wir uns da auf den Weg machen sollten – und das nicht nur über das Schulministerium; da ist auch das Umweltministerium durchaus gefragt.

(Jochen Ott [SPD]: Richtig!)

Wir haben doch Dinge wie das Schulobstprogramm und das Schulmilchprogramm. Das sind doch Themen, bei denen wir uns schon aktiv einbringen, was die Ernährung von Kindern an unseren Schulen angeht.

(Jochen Ott [SPD]: Und das kostet ja auch Geld!)

Dass die Ernährung für uns alle so weit weg ist, liegt doch auch daran, wie wenig wir in Nordrhein-Westfalen davon überhaupt noch sehen können. Kommen Sie einmal in meinen Wahlkreis. Wie viel Kartoffelanbau können Sie da zum Beispiel noch sehen? In Deutschland werden Kartoffeln zur Hälfte in einem einzigen Bundesland angebaut, nämlich in Niedersachsen. Es ist daher doch eine Riesenchance, wenn wir es hinbekommen, dass die Schulen eine Nachfrage vor Ort generieren.

Die Frage von krummem Gemüse und Ähnliches muss doch alles mit thematisiert werden. Machen wir uns auf den Weg! Bitte geben Sie Ihre Verweigerungshaltung auf und machen Sie bei dem Prozess mit.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Anhörung, die dazu kommen wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Gesundes Essen ist Kinderrecht“ lautet der Titel des Antrags, zu dem ich heute sprechen darf. Es freut mich, dass ein so wichtiges Thema wie „gesunde Ernährung“ mal wieder aufs Tableau kommt – wenngleich ich Sie schon direkt im Titel wieder korrigieren muss. Gesundes Essen ist Kinderrecht? Nein, das ist es bislang in diesem Land eben nicht, liebe SPD, und zwar auch deshalb nicht, weil Sie, liebe Kollegen, einen meiner Anträge aus dem Juni-Plenum 2018 – das ist bereits ein Jahr her – nicht mitgetragen haben.

(Markus Wagner [AfD]: Hört! Hört!)

Getreu dem Motto „aus AfD macht SPD“ taucht plötzlich vieles von dem, was ich schon vor einem Jahr gefordert habe und was von Ihnen allenfalls belächelt wurde, nun in Ihrem Antrag wieder auf.

(Helmut Seifen [AfD]: Immer das Gleiche! – Gegenruf von der SPD: Unsinn!)

Frau Weng hat damals lieber, als zum Thema zu sprechen, darüber gewitzelt, warum ein AfDler nun aus einem englischen Artikel zitiert. Frau Weng, an dieser Stelle noch einmal: Der „Lancet“ – schade, dass Sie ihn nicht kennen oder noch nicht von ihm gehört haben – ist eines der vielleicht fünf bedeutsamsten englischsprachigen Medizinjournale, und ich zitiere sehr gerne daraus.

Wenn es um ein so wichtiges Thema geht, sind Häme und zwischenparteiliches Klein-Klein völlig unangebracht.

(Zuruf von der SPD: Warum machen Sie das dann?)

So fordern Sie nun unter anderem die curriculare Verankerung des Themenfeldes „gesunde Ernährung“ sowie eine Einbettung der gesunden Ernährung in die Lehreraus- und -fortbildung.

Da darf ich Ihnen mit Erlaubnis der Präsidentin gerne noch einmal das Zitat des Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, entgegenhalten, das Sie mir damals auch entgegengehalten haben:

„Während zahlreiche andere Staaten in Europa im Kampf gegen Fehlernährung bei Kindern und Jugendlichen die Lebensmittelwirtschaft in die Pflicht nehmen, setzt die Bundesregierung weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie und auf Programme für Ernährungsbildung. Das ist die falsche Strategie.“

Ja, liebe SPD, was denn nun? Sie müssen sich schon entscheiden. Ist die Ernährungsbildung wichtig, wie ich es damals schon gefordert habe, oder ist sie es eben nicht? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine gute Bildung auch gute Chancengleichheit ist. Sie scheinen das mittlerweile auch erkannt zu haben. Vor einem Jahr sahen Sie das noch ganz anders. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass es damals von mir kam.

Weiter konstatieren Sie völlig richtig, dass eine frühe ungesunde Ernährung sich erheblich negativ auf die Entwicklung und Gesundheit der Kinder und Jugendlichen auswirken kann.

(Zuruf von der AfD)

Ja, richtig! Und wer hat Ihnen das schon einmal vorgehalten? Wer hat schon vor einem Jahr gesagt, dass es bereits eine bedrohliche Anzahl an adipösen und fehlernährten Jugendlichen gibt?

Und was haben Sie darauf geantwortet? Richtig – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Hier in Deutschland … gibt es die von Ihnen beschriebene besorgniserregende Entwicklung faktisch nicht.“

(Heiterkeit von der AfD – Zurufe der SPD)

Ja, was denn nun, liebe SPD? Haben wir nun ein Problem, das wir angehen wollen? Oder ist das alles nur Erfindung der AfD? Ist eine gesunde Ernährung auch ein Weg zu einer gesunden Entwicklung und Chancengleichheit? Oder ist Fehlernährung nur ein von uns Rechtspopulisten aufgebauschtes Problem? Hm!

Und dann kommt Ihr großer Wurf zur gesunden Ernährung: DGE-Standards. Schauen wir sie uns doch einmal genau an. Im Grunde wird hier nichts anderes gefordert als bewusst zu essen, lieber Wasser als Säfte und Softdrinks zu trinken, auf sein Gewicht zu achten und sich zu bewegen sowie sein Essen schonend zuzubereiten und zu genießen.

Das soll nun also der große Wurf der SPD zum Thema „gesunde Ernährung“ sein. Die SPD tritt mit nichts anderem als Allgemeinplätzen ans Plenum heran.

(Zuruf von der SPD: Was erzählen Sie hier eigentlich? – Frank Müller [SPD]: Das ist doch Quatsch! Das müssten Sie doch besser wissen, Herr Dr. Vincentz!)

Und am Ende – und das ist das Beste; das dicke Ende kommt zum Schluss – sollen Ihre kostspieligen Pläne natürlich auch mal wieder umsonst sein; von allem reichlich, und alles über Steuern bezahlt.

Auch da waren wir vor einem Jahr bereits deutlich weiter, liebe SPD. Wir haben immerhin aufgezeigt, woher das Geld kommen kann, beispielsweise aus Förderprogrammen der Europäischen Union. Darüber könnte man tatsächlich einiges realisieren.

(Klaus Voussem [CDU]: Die wollen Sie doch abschaffen!)

Wie so oft: vieles kopiert, wenig originell und eine Menge Abwegiges. Auf eine Diskussion freuen wir uns natürlich trotzdem. Das Thema ist wichtig, auch wenn es von Ihnen hier relativ lieblos und ohne Tiefgang diskutiert wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Gebauer.

(Zuruf von der AfD – Gegenrufe von der SPD)

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine …

(Unruhe)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Voigt-Küppers, ich habe vorhin aufmerksam zugehört. Sie haben gesagt: Wenn das Essen besser schmeckt, dann essen Kinder und Jugendliche auch mehr in den Mensen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ja! Dann essen mehr Kinder und Jugendliche!)

– Ja, genau. – Das stimmt sicher. Aber ich würde sagen, dass das Essen, das Kinder und Jugendliche oftmals als lecker empfinden, nicht zwingend etwas mit gesundem Essen zu tun hat – nur einmal als Hinweis.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Aber gesundes Essen kann auch schmecken!)

Entsprechend sind wir an gesundem Essen interessiert – nicht an leckerem Essen, sondern an gesundem Essen, das in unseren Bildungseinrichtungen angeboten wird; aber nicht nur – auch das sage ich ganz deutlich – in unseren Bildungseinrichtungen, sondern auch in unseren Familien. Hier haben wir als Gesellschaft alle miteinander eine Aufgabe.

Dass eine ausgewogene, gesundheitsförderliche und den behördlichen Anforderungen entsprechende Schulverpflegung mit allen Verpflegungssystemen möglich ist, wird ja nun auch vonseiten der Ernährungswissenschaften bestätigt.

Wichtig für das Gelingen ist aber auch die Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort. Denn zu verschieden sind die Situationen hinsichtlich der Verpflegungssysteme, der Ausstattung der Küchen und Mensen, der Betreiberformen, der Klientel der Schülerinnen und Schüler und damit verbunden der Akzeptanz in den Kitas und bei der Schulverpflegung, übrigens auch in Bezug auf das Alter. Außerdem geht es auch um die Preisgestaltung.

Entscheidend ist in meinen Augen daher die professionelle Realisierung.

Geübte und auch in Nordrhein-Westfalen bewährte Praxis ist, wie in fast allen Bundesländern, die DGE-Qualitätsstandards als Empfehlung für die Akteure der Kita- und Schulverpflegung zu nutzen. Diese sind auch Grundlage für die Beratungs- und Unterstützungsarbeit der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung hier bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Seit der Arbeitsaufnahme der Vernetzungsstelle in 2009 ist auch schon viel bewirkt worden. Entscheidend für den Erfolg ist, dass durch die zahlreichen Praxisleitfäden und die vielen Fortbildungen, die angeboten werden, aber auch die Beratungen die Schulen und Schulträger effektiv unterstützt werden.

Eine Vorgabe zur verpflichtenden Einhaltung der DGE-Qualitätsstandards würde der Situation vor Ort im Einzelnen nicht immer gerecht. Sie kann der Situation vor Ort nicht immer gerecht werden.

(Frank Müller [SPD]: Deshalb steht auch „Orientierung“ drauf!)

Auch das ist richtig und beschreibt die Realität vor Ort, dass zu einem großen Teil diese DGE-Qualitätsstandards bereits Grundlage der Verträge bzw. der konkreten Speiseplanung sind.

Dieser Standard, über den wir hier sprechen, wird zurzeit überarbeitet. Anfang des kommenden Jahres werden wir sehen, ob er von der DGE noch praxisgerechter ausgerichtet wird.

Entscheidend ist, so meine ich, die Aufklärung, was technisch mittlerweile möglich ist und was Caterer leisten und bieten können.

Man muss außerdem berücksichtigen, was junge Menschen, Kinder und Jugendliche sich wünschen, aber auch deren Eltern.

Alle diese Voraussetzungen müssen bei den Ausschreibungen für die Vergabe im Vorfeld bereits geklärt sein. Entscheidend ist also, dass man sich darüber vor der Vergabe in ausreichendem Maße entsprechende Gedanken gemacht hat.

Dass die Schulen, die mitmachen, die Schulverpflegung auch als pädagogische Aufgabe betrachten, dass sie sie für einen guten Beitrag zu einem gelungenen Schulleben halten und nicht nur als reine Nahrungsaufnahme ansehen, darüber sind wir uns in diesem Hause, denke ich, einig.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist schön!)

Auch daher halte ich es für wichtig, die Arbeit der Vernetzungsstelle weiterhin sicherzustellen.

Zurzeit erarbeiten das Ministerium für Schule und Bildung und das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz ein Konzept zum Thema „Essen und Trinken in der Schule“. Dieses Konzept nimmt den gesamten Schulalltag vom Frühstück über die Zwischenverpflegung bis zum Mittagessen in den Blick.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist gut!)

– Da freue ich mich.

(Frank Müller [SPD]: Was ist mit Kita?)

Ich habe hier schon berichtet, dass es einen runden Tisch „Schulverpflegung“ im Ministerium für Schule und Bildung gegeben hat. Im Anschluss haben wir sogenannte Fokusgespräche mit den einzelnen Akteursgruppen geführt bzw. werden sie führen, um Hemmnisse, aber auch Wünsche und Gelingensfaktoren aus Sicht der Vielzahl der Betroffenen ganz gezielt zu identifizieren. Die Ergebnisse werden in die Konzeptentwicklung sowie in einen Handlungsleitfaden für kommunale Träger und schulische Akteure einfließen.

Zu Ihrer Forderung der Verankerung von Ernährungsbildung in den Lehrplänen – auch Herr Rüße hat das in seinem Beitrag angesprochen –: Der Landtag hat im Jahre 2014 interfraktionell einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Seitdem wurde mit wissenschaftlicher Unterstützung, begleitet von zehn Modellschulen, gemeinsam vom Ministerium für Schule und Bildung und dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz die Rahmenvorgabe „Verbraucherbildung“ entwickelt, die 2017 – kurz nach meiner Amtsübernahme – in Kraft getreten ist.

Diese ist als Referenzdokument bereits in den neuen Kernlehrplänen für das Gymnasium umgesetzt – für das Gymnasium deshalb, weil wir die Kernlehrpläne des Gymnasiums aufgrund der Umstellung hin zu G9 vorgezogen haben – in konkrete Inhaltsvorgaben und Kompetenzformulierungen in den vorgegebenen Fächern und auch sichtbar für alle Lehrkräfte markiert.

Aktuell wird das Thema „Verbraucherbildung“ als Grundauftrag in die weiteren Kernlehrpläne der Sekundarstufe I sowie der Primarstufe implementiert. Insofern ist die Forderung des Antrags, Verbraucherbildung in den Lehrplänen zu verankern, entsprechend umgesetzt.

Sie haben in Ihrem Antrag auch eine generelle Kostenbefreiung beim Mittagessen in Kitas und Schulen angesprochen.

(Frank Müller [SPD]: Perspektivisch!)

Ich kann Ihnen sagen, dass die Landesregierung auf eine wirksame und bedarfsorientierte Unterstützung derjenigen setzt, die es tatsächlich nötig haben. Das betrifft, leider, einen großen Personenkreis. Ich verweise hier auf die Unterstützung von Anspruchsberechtigten nach dem SGB II im Rahmen der Bildungs- und Teilhabeleistungen für die Bezuschussung des Mittagessens.

Wir wissen, dass aufgrund des Starke-Familien-Gesetzes ab dem 1. August der bisher zu zahlende Eigenanteil von 1 Euro für die anspruchsberechtigten Eltern wahrscheinlich entfällt. Zusätzlich existieren aber auch weitere Unterstützungsmaßnahmen zum Ausgleich sozialer Härten – von Kommunen, Fördervereinen, aber auch dem Land. Ich nenne hier beispielhaft die Initiative „Alle Kinder essen mit“, die wir jetzt zunächst bis zum 31. Juli 2020 noch einmal verlängert haben.

Ich hoffe, ich habe Ihnen darlegen können, dass wir die Bedarfe sehr wohl erkennen und dass wir danach auch schon mit den Betroffenen vor Ort gehandelt haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, ich habe eine Lücke gesucht, an der ich Sie unterbrechen kann, um Sie auf eine angemeldete Zwischenfrage des Kollegen Ott aufmerksam zu machen. Lassen Sie die zu?

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ja, selbstverständlich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.

Jochen Ott (SPD): Das ist sehr nett, vielen Dank. – Ich hatte mich zu Wort gemeldet, als Sie über die Kinder im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz gesprochen haben.

Ist Ihnen bekannt, dass es Schulträger gibt, die die Mittel, die in der Vergangenheit schon gekommen sind, pauschaliert an die Caterer weitergeben, was dazu führt, dass für den Caterer das Geld ohnehin fließt…

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, eine Zwischenfrage.

Jochen Ott (SPD): Ja, ja, ich bin ja dabei. Jetzt dauert es länger.

(Heiterkeit)

Ist Ihnen bekannt, dass die Mittel des Bundesteilhabegesetzes von bestimmten Schulträgern pauschaliert an die Caterer weitergegeben werden, was dann dazu führt, dass, je weniger Kinder essen, desto höher der unternehmerische Gewinn des Caterers ist? Haben Sie davon schon einmal gehört? Das ist uns jetzt mehrfach begegnet.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Wo ist denn das Problem?)

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ott, ja, mir ist bekannt, dass wir auch in diesem Bereich schwarze Schafe haben.

Das veranlasst mich jetzt aber nicht dazu, generell Standards über das ganze Land zu verteilen, so wie es gefordert wird. Ich gehe eher ganz gezielt auf die Kommunen zu, die nach diesen Tatbeständen handeln.

Auch in den Gesprächen, die ich in unterschiedlicher Art und Weise zu unterschiedlichen Themen mit den kommunalen Spitzenverbänden führe, mache ich noch einmal ganz gezielt auf die Problematik aufmerksam.

Wir haben ja auch Probleme in Bezug auf die Weitergabe der Gelder bei der OGS; das ist ein anderes Thema. Aber in Bezug auf diese Fälle muss ich sagen, dass es sich im Verhältnis gesehen um Einzelfälle handelt. Deswegen möchte ich lieber ganz gezielt mit den Kommunen, die danach handeln, sprechen, so wie ich das in der Vergangenheit auch getan habe.

(Jochen Ott [SPD]: In Großstädten betrifft das viele!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Rock das Wort. Bitte sehr.

Frank Rock (CDU): Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach zweieinhalb Jahren hier im Parlament frage ich mich gerade bei schulpolitischen Themen immer: Habe ich nach 20 Jahren Schuldienst eine richtige Wahrnehmung, habe ich eine falsche Wahrnehmung? Warum ist meine Wahrnehmung so unterschiedlich zur Wahrnehmung anderer?

Ich darf auf den Kollegen Müller eingehen, der eingangs sagte, wir sollten uns bitte ein Bild vom Essen in den Einrichtungen machen. Mit seinem Beitrag suggeriert er, dass das Essen landauf, landab sehr schlecht sei. Dem muss ich deutlich widersprechen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Hat er doch gar nicht gesagt!)

Ich kenne in den Einrichtungen und Schulen meiner Kinder und aus meiner eigenen Erfahrung ganz andere Situationen und weiß nicht, woher Herr Müller seine Erkenntnisse nimmt.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Ich glaube, dass wir viel besser aufgestellt sind, als es hier oft dargestellt wird. Ich finde es sehr schade, wenn ein so wichtiges Thema in eine rote Ecke gedrängt wird, ohne in der Sache intensiv darüber zu diskutieren.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Was ist denn Ihr Wunsch?)

Lieber Herr Ott, auch auf Sie gehe ich kurz ein. Ich hoffe, dass wir jetzt nicht wieder einen Dialog bekommen. Die Stimmung bei der Ministerin war relativ ruhig und bedächtig. Vielleicht schaffen wir das bei meinem Beitrag auch.

(Christian Dahm [SPD]: Kommt darauf an, was Sie sagen! – Zuruf von Frank Müller [SPD])

Herr Ott, wenn Sie sagen, dass wir für eine Auslastung der teuren Mensen sorgen müssen, indem wir mehr Kinder dahin schicken, hat das ein bisschen was von „Zwangsessen“.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Meine Güte!)

Die Tendenz in den weiterführenden Schulen ist doch eine andere. Es liegt in der freiheitlichen Entscheidung der jungen Menschen, wenn sie ab Klasse 7, 8, 9 das gemeinschaftliche Essen nicht mehr annehmen wollen, weil sie andere Angebote haben.

(Jochen Ott [SPD]: Genau!)

Das hat doch nichts damit zu tun, dass wir Auslastungsstrukturen abbilden müssen.

Was uns eint in diesem Hohen Haus – das hoffe ich –, ist, dass die Bildung unserer Kinder die wichtigste Ressource ist. Der amerikanische Menschenrechtler Malcom X oder Malcom Little sagte im letzten Jahrhundert – ich zitiere –:

„Bildung ist der Pass für die Zukunft, denn das Morgen gehört denen, die sich heute darauf vorbereiten.“

Die NRW-Koalition möchte unsere Schülerinnen und Schüler sehr gut auf die Zukunft vorbereiten und ihnen das Rüstzeug für ein eigenständiges Leben geben. Das treibt unsere ganzheitliche Bildungspolitik von der Kita über die Schule bis hin zum lebenslangen Lernen an.

Der vorliegende Antrag der SPD zielt in den Bereich der nachhaltigen Verpflegung aller Kinder und Jugendlichen in Kita und Schule und somit auf einheitliche Standards. Unumstritten ist, dass allen Kindern ein Essen in guter und gesunder Qualität zur Verfügung gestellt werden muss, vor allem wenn die Verweilzeiten, die Lernzeiten am Tag über den Mittag in den Nachmittag hineingehen.

Unser hoffentlich gemeinsames Ziel ist es, dass alle Kinder ungeachtet ihrer Herkunft in den Einrichtungen ein leckeres und gesundes Essen zur Verfügung gestellt bekommen. Ob landesweit einheitliche Qualitätsstandards und die Übernahme sämtlicher Ausgaben für unsere Kinder und Jugendlichen dies erreichen, zweifeln wir von der CDU an. Der Ruf nach Einheit in allen Bereichen der Schulen scheint nach dem Verlust des Vertrauens der Wählerinnen und Wähler und der Regierungsverantwortung das SPD-Allheilmittel zu sein.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist fast auch nur ein Standard!)

Einheitsunterricht, Einheitsschule, Einheitsessen – dies ist in unseren Augen der falsche Weg.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wir möchten Eltern nicht per kostenlosem Schulessen, einem All-inclusive-Angebot, wie man es bei Pauschalurlauben kennt, aus der Verantwortung entlassen.

Selbstverständlich ist für uns Christdemokraten aber auch, dass Hilfen greifen müssen, wenn Kinder in Notlagen sind und die Familien oder Erziehungsberechtigten ihren erzieherischen Aufgaben nicht mehr gerecht werden können, warum auch immer. Im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen der SPD haben wir hier großes Vertrauen in unsere Schulleitungen und Lehrkräfte

(Frank Müller [SPD]: Ja, die Schulzeit!)

sowie in das weitere Fachpersonal in den Schulen und Kitas, dass sie genau hinsehen und erkennen, wo es Probleme gibt, tätig werden und auf Unterstützungsangebote und rechtliche Ansprüche hinweisen.

Diese Unterstützungsangebote sind in den letzten Jahren vielfältig auch von Bundesministerin der SPD ständig ausgebaut worden. Dem neuerlichen Bericht zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes im Schulausschuss in der letzten Woche ist zu entnehmen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin Seite 3 von 4 –:

„Ab 01. August 2019: Kostenfreies gemeinschaftliches Mittagessen in der Schule, Kita und Kindertagespflege. Ohne zusätzliche Kosten für die Eltern ist das Mittagessen für jedes hilfebedürftige Kind gesichert.“

Die Ausgaben sind in diesen Bereichen in den letzten Jahren von 62,7 Millionen Euro auf 76,5 Millionen Euro gestiegen, sodass neben einer Fallzahlerhöhung auch immer mehr Kinder davon profitieren. Und das ist auch gut so.

Nach der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets lief das frühere Landesprogramm „Kein Kind ohne Mahlzeit“ aus und wurde im Jahr 2011 durch den Härtefallfonds „Alle Kinder essen mit“ ersetzt. Für die Zeit vom 1. August 2011 bis 31. Juli 2020 werden nun Kinder und Jugendliche, die keine Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten, durch den Härtefallfonds „Alle Kinder essen mit“ unterstützt. Gefördert werden Kinder, die sich in ähnlich schwierigen finanziellen Situationen befinden wie die Personen, die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz erhalten können.

Wie Sie sehen, passiert hier viel. Der Antrag der SPD-Fraktion formuliert, wie so häufig, eine Vielzahl an Forderungen, die nicht alle trivial sind und vor allem sehr unterschiedlich betrachtet werden müssen, wenn man die Istlage sieht.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch eines anmerken: Glauben Sie wirklich, dass das Essen qualitativ besser wird, wenn der Staat es kocht und verteilt? Meine eigene berufliche Erfahrung und der Blick in das Land besagen etwas anderes.

Wenn Einrichtungsleiter sehr eng mit Eltern, Schulen und Kindergartengemeinschaften Verantwortung übernehmen, können diese ganz hervorragend dafür Sorge tragen, dass die Kinder größtenteils gesund und gut versorgt werden, vor allem angesichts der Tatsache, dass es in den Schulen kein größeres Streitthema gibt als den Geschmack des Essens. Es ist weniger der Nährgehalt. Der Regulator „Eltern“ beim Schulessen ist so groß, dass man als Schulleiter mit diesem Thema tagtäglich beschäftigt wird, wenn das Essen nicht gut und gesund und lecker ist. In den Schulen und Einrichtungen findet hier im Sinne der Kinder ein ständiger Austausch statt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerne schauen wir auf die vielen guten Beispiele in unserem Land, wo sich schon nachhaltige Konzepte in den Kitas und in den meisten Schulen durchgesetzt haben. Wir sollten auch hier Vertrauen in die Arbeit unserer Schulleitungen gemeinsam mit der Schulgemeinschaft und der Schulkonferenz setzen und nicht wieder durch Vorschriften und Maßregelungen überregulieren.

In vielen Schulen sind hervorragende eigenständige, regionale Konzepte entstanden, die wir nicht infrage stellen möchten. An den Stellen, wo Hilfe benötigt wird, gibt es ausreichend Angebote, die sowohl Frau Voßeler-Deppe als auch ich eben erwähnt haben.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss und sage vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rock. Sie haben gesehen, dass eine Kurzintervention angemeldet wurde. Es steht Ihnen frei, diese von Ihrem Platz oder vom Rednerpult aus entgegenzunehmen bzw. darauf zu erwidern.

Der Abgeordnete Müller hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt, wenn er sich bitte freundlicherweise eindrücken würde, sodass ich das Mikrofon freischalten kann, da er auf einem anderen Platz sitzt, das Wort für 90 Sekunden.

Frank Müller (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Das ist leider immer so, wenn man sich in diesem Hohen Hause nicht so richtig zuhört. Ich hoffe, dass wir das im Ausschuss ein bisschen besser hinbekommen.

Lieber Kollege Rock, dass Sie dieses Thema zu einer Frage von Freiheit gegen Sozialismus stilisieren, finde ich ganz interessant, und das hat mich sehr überrascht. Deswegen will ich zwei Dinge bemerken.

Wenn Sie richtig zugehört hätten, dann wüssten Sie: Es geht überhaupt nicht darum, die Schulverpflegung schlechtzureden. Es geht aber darum, sie auch nicht schönzureden. Wenn Sie genau zugehört hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass es uns um den Punkt ging, dass wir viele Fragen der Schul- und Kitaverpflegung in diesem Land nicht systematisiert haben. Es geht nicht darum, dass der Staat kochen soll.

Wir haben diese Fragen nicht systematisiert und lassen Schulträger, Schulleitungen, bei denen Sie sich gerade herzlich bedankt haben, aber auch Kitaträger und Kitaleitungen bei der Frage der Umsetzung einfach alleine. Dann ist es in vielen Fällen tatsächlich dem Zufall geschuldet, wie es vor Ort aussieht. Ist es vor Ort gut geregelt? Kümmert man sich darum?

Die Erfahrung an vielen Schulen und in vielen Kitas zeigt mir, dass es immer nebenherlaufen muss, gerade da, wo man eigentlich keine Zeit mehr hat, etwas nebenher zu machen, weil Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Kitaleitungen auf ganz andere Herausforderungen treffen. Darunter leiden sowohl das System als auch die Menschen, die dafür verantwortlich sind und es umsetzen müssen.

Das meinte ich, als ich sagte, viele würden das mit dem Hang zur Selbstausbeutung machen. Ich finde, das dürfen wir nicht zulassen. Das müssen wir viel stärker in den Blick nehmen und es systematischer organisieren, ohne von oben nach unten regieren zu wollen.

Es reicht aber nicht, den Leuten nur Danke zu sagen, sondern sie müssen auch erkennen, dass sie eine nachhaltige Unterstützung bekommen. Wir sind in vielen Kitas und Schulen an dem Punkt, dass Menschen das nicht mehr erkennen und dass es am Ende auf ihre Knochen geht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Müller. – Jetzt hat Herr Abgeordneter Rock, der sich bitte freundlicherweise auch einmal eindrückt, das Wort für die Erwiderung, 90 Sekunden. Bitte sehr.

Frank Rock (CDU): Sehr geehrter Herr Kollege Müller, ich habe zu Beginn meiner Rede darzustellen versucht, dass vielleicht die Wahrnehmung ein Stück verschieden und verrückt ist. Natürlich gibt es Träger und auch Kitaeinrichtungen, die sich an der Grenze ihrer Möglichkeiten befinden, weil sie vor Herausforderungen stehen, die auch das gesunde Essen in den Kitas beeinflussen.

Frau Kollegin Müller-Rech hat gesagt, man müsse sehen, wie viele an ihren Grenzen seien und wie viele Einrichtungen Konzepte entwickelt hätten, die gut funktionieren.

Ihre Wahrnehmung ist: Das Land geht unter.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr!)

Unsere Wahrnehmung ist: Wir haben viele Konzepte, mit denen es gut funktioniert.

Wir werden hinsehen müssen, wo es nicht funktioniert. Auch da müssen wir immer die Aufgaben verteilen. Die Kollegen haben es im Vorfeld genannt. Die Träger, auch die kommunalen Träger, haben hier eine Verantwortung, die nicht überall richtig wahrgenommen wird.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau danach müssen wir fragen!)

Es sind unsere kommunal tätigen Menschen, die vielleicht weggucken und die Dinge nicht so strukturieren. Warum bedarf es wieder Normen und Regelungen von oben, die in unseren Augen nicht notwendig sind?

Ich bedanke mich, dass Sie sich zur Kurzintervention gemeldet haben. So kann ich noch eine Sache mitteilen, die mir wichtig ist, die ich eben nicht untergebracht habe.

Wer von einer Revolution in den Lehrplänen der Grundschulen spricht, der hat sich die Lehrpläne im Sachunterricht nicht angesehen. Wer wie ich und viele andere Kolleginnen und Kollegen vom ersten bis zum vierten Schuljahr unterrichtet, wird wissen, wie oft wir vor Ort regionale Bauern besuchen, die Themen „Gerste“ und „Winter“ besprechen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich weiß nicht, wo Sie ansetzen möchten und müssen, wenn Sie fordern, dass wir da mehr tun müssen. Da ist verdammt viel drin. Ich denke, unsere Grundschulkollegien, die jeden Tag genau das machen,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ernährung und Beratung unterrichten, brauchen von Ihnen keine neuen Lehrpläne. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Das waren Kurzintervention und Erwiderung. Weitere Kurzinterventionen sind nicht angemeldet.

Deswegen hat jetzt als nächste Rednerin für die Fraktion der SPD Frau Kollegin Watermann-Krass das Wort. Bitte sehr.

Annette Watermann-Krass (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich hier durch die Reihen schaue, stelle ich fest: Es ist Mittagszeit. Ganz viele Leute sind unten in der Kantine.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Guten Appetit!)

Hat sich beim Bau dieses Hauses jemand gefragt, ob es vielleicht auch möglich wäre, dass jeder sein Essen da einnehmen kann, wo er das gerne möchte? Ist es nicht ein Menschenrecht, dass daran gedacht wird, dass sich Menschen gesund ernähren können, genauso wie es in diesem Hause praktiziert wird? Nichts anderes erwarten wir, als dass das an unseren Schulen mit unseren Kindern im Alltag passiert.

(Beifall von der SPD)

Es ist Ihnen allen frei überlassen, ob Sie in die Kantine gehen oder nicht.

Jetzt zu Ihren Ausführungen, die wirklich sehr rückwärtsgewandt waren, Frau Müller-Rech, Herr Rock: Ich kann Ihnen sagen, dass die SPD in allen Fachausschüssen darüber gesprochen hat. Ich habe selten an einem Antrag gearbeitet, der so explizit Umwelt, Schule, Kinder, Jugend, Gesundheit und Soziales einbezieht. Alle haben einen Herzenswunsch in diesen Antrag gelegt, weil wir genau diese Dinge jetzt etwas konkreter voranbringen wollen.

Wenn Sie uns vorhalten: „Vor sieben Jahren war die Welt noch anders“, muss ich Ihnen entgegnen, dass sie sich aber verändert hat, genauso wie sich der Ganztag verändert hat. Jetzt steht das Thema „Ernährung“ auf dem Plan.

(Beifall von der SPD)

Damit komme ich zu meinem eigentlichen Konzept. Dass es eine Herzensangelegenheit ist, habe ich gesagt. Zudem sollen auch die jungen Menschen in Kitas lernen, wie gesundes Essen schmeckt, wie es aussieht, wo es herkommt, wo es hergestellt wird. Das ist ja aus ganz verschiedenen Richtungen bedeutend; die Vorredner haben es schon ausgeführt.

Nur wer als Kind lernt, welche Nahrungsmittel gesund sind, wird auch im Erwachsenenalter wissen, was gesundheitsförderlich ist. Wer als Kind weiß, woher die Zutaten stammen und wie sie zubereitet werden, wird sich auch in Zukunft ein Gefühl für gesunde Lebensmittel bewahren.

Uns allen ist sicher klar, welch nachhaltige Auswirkungen frische, gesunde Mahlzeiten in Kitas und Schulen auf die Gesundheit und die Ernährungsbildung, ja sogar auf die Schullaufbahn unserer Kinder haben, wenn sie morgens die Möglichkeit haben, ein Frühstück einzunehmen.

Worum es uns also geht, ist eine wirklich gute Ernährung für unsere Kinder – mit Bildungsauftrag und sozialer Komponente.

Ich möchte hier aber noch auf einen anderen positiven Effekt hinweisen, bei dem neben den gesundheitlichen und sozialen auch wirtschaftliche Aspekte ins Spiel kommen.

Wir haben eben gehört, die DGE-Qualitätsstandards setzen ganz klar fest – ich zitiere jetzt einige Nachhaltigkeitsziele daraus –: überwiegend pflanzliche Kost, bevorzugt gering verarbeitet, ökologisch erzeugt, regional und saisonal, umweltverträglich verpackt, fair gehandelt.

Sicher ist es schwierig, all diese Aspekte gleichermaßen in den Alltag von Kitas und Schulen einzubringen. Sie bieten aber dennoch eine große Chance, zum Beispiel bei der Regionalität.

Regionales Essen in Schulen und Kindertagesstätten bringen im besten Fall eine Steigerung der Qualität, aber auch Einkommensmöglichkeiten für örtliche Landwirte und engere Kontakte zwischen Produzenten, Lebensmittelhandwerk und Konsumenten mit sich. Regionale Lebensmittel ermöglichen kurze Wege und eine Stärkung der örtlichen Wirtschaftskraft. Sie erhöhen auch die Transparenz. Hinzu kommen natürlich noch die klimaschonenden Aspekte.

Zudem kann ein hoher pädagogischer Nutzen daraus gezogen werden, dass saisonales Obst und Gemüse auf den Tisch kommt und die Erzeuger bekannt sind. Der Besuch beim eigenen Bauern, wie Sie es gerade hervorgehoben haben, Herr Rock, könnte im Lehrplan ergänzt werden.

Vor dem Hintergrund, dass das Essen in vielen Kitas und Schulen nicht die beste Qualität hat, bietet die konsequente Verwendung regionaler Produkte einen guten Weg, um frische und gesunde Speisen anzubieten.

Auch die anderen Nachhaltigkeitsaspekte bringen große Vorteile mit sich. Wir können durch kurze Wege viel unnötige Verpackung sparen, und ökologische Erzeugung bringt weniger Schadstoffbelastung mit sich, wie wir aus vielen Erhebungen wissen. Das ist gut für die Kinder, aber auch gut für die Umwelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich noch mal auf den gesamtgesellschaftlichen Aspekt zu sprechen. Dazu möchte ich den Blick dahin werfen, wo es schon gut läuft. Sie sagen: Das brauchen wir alles nicht. – Schauen Sie mal nach Kopenhagen.

Kopenhagen hat ein Ernährungshaus. Die haben sich zur Aufgabe gemacht, die Gemeinschaftsverpflegung nachhaltiger, gesünder und genussvoller zu gestalten. Damit soll langfristig auch eine gesellschaftliche Verbesserung einhergehen. Dort hat man durch intensive Ernährungsbildung, die Verwendung regionaler Produkte und die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung in vielen Betrieben die Umstellung auf mindestens 75 % regionale Biozutaten fast kostenneutral hinbekommen.

In NRW haben wir bereits die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung, die als Beratungsstelle für Kitas und Schulen zur Verfügung steht. Jetzt gilt es, diese weiter zu unterstützen. Die Frau Ministerin hat es ja auch gerade ausgeführt.

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, jetzt müssen wir mal ganz konkret werden: An welchen Stellen müssen wir die Dinge verändern? Sie sagen: Da gibt es schon etwas. – Schauen Sie mal in die Gesetze. Schauen Sie in das KiBiz, schauen Sie in das Schulgesetz. Darin steht keine konkrete Verankerung, in welcher Qualität und in welcher Art und Weise wir unseren Kindern das Essen anbieten wollen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Erstens. An diesem Punkt brauchen wir einen ganz klaren rechtlichen Rahmen, wie und in welcher Form das finanziert werden soll.

Zweitens. Wir können unterstützen, dass es in Kitas und Schulen empfehlenswerte Mahlzeiten –

(Martina Hannen [FDP]: Gibt es schon!)

vielleicht auch zukünftig kostenlos – geben soll, dass es allen Kindern in Zukunft ermöglicht wird, gesund, frisch und lecker ernährt zu werden.

Zum Schluss kann ich als Mutter und Großmutter von drei wirklich netten Enkeltöchtern nur sagen: Unsere jungen Familien, die arbeiten gehen, die im Alltag selten gemeinsam kochen, brauchen eine Verlässlichkeit, dass ihre Kinder in den Kitas und in den Schulen ein gesundes, gutes, saisonales Essen bekommen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Watermann-Krass. – Als nächste Rednerin hat nun Frau Abgeordnete Beer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke erst mal der SPD für den Antrag, weil sehr viele Dinge darin stehen, die wir miteinander besprechen müssen, allerdings sehr differenziert.

(Jochen Ott [SPD]: Richtig!)

Was uns nicht hilft, sind solche Reden nach dem Muster: „Bratwurst statt Sozialismus“, wie wir sie eben gehört haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das war jetzt kein Plädoyer gegen die Bratwurst, um das deutlich zu sagen.

(Jochen Ott [SPD]: Vom Bio-Schwein!)

– Genau.

(Dietmar Brockes [FDP]: Da wäre ich mir nicht sicher!)

Hier steht jetzt jemand, der sich vor Ort – genau wie der Kollege Müller gesagt hat – engagiert. Ich fühle mich auch gar nicht abgewatscht.

In unserer Schule, einer sechszügigen Gesamtschule, ist es genauso gewesen, dass wir Eltern das in die Hand nehmen mussten. Wir haben es gepackt. Wir haben ein gutes Konzept. Bei uns gibt es ein Menüangebot für die Kinder, die täglich frisch auswählen können. Es gibt ein Tellergericht, ein Getränkeangebot, Obst, ein Salatangebot und ein Nudelangebot. Der Förderverein hat 18 Beschäftigte, die in der Mensa arbeiten. Wir haben täglich bis zu 1.000 Essen.

Wie kommt man zu solch einer Akzeptanz? Das ist der Fall, wenn man mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam das Programm entwickelt,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

wenn man mit den Eltern gemeinsam das Programm entwickelt.

Aber ich sage mit dem Antragsteller auch: Ich mache das als Vorsitzende des Fördervereins gern. Aber es gibt Schulen, die keinen solch starken Förderverein haben, die keine solche Elternschaft haben, die das nach vorne bringen. Das darf nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es darf nicht dem Glücksfall überlassen bleiben, ob es solche Initiativen gibt oder nicht.

Herr Rock hat vom Vertrauen in das Fachpersonal gesprochen. – Ja, natürlich, das gilt da, wo es vorhanden ist. Nur ist das Fachpersonal nicht überall vorhanden; machen wir uns doch nichts vor.

Jetzt möchte ich Ihnen noch etwas zum Bildungs‑ und Teilhabepaket sagen. Ich beschäftigte extra eine Teilzeitkraft nur für die Abwicklung der Anträge. Wenn es jetzt zu einer Änderung kommt, muss diese bürokratiefrei und diskriminierungsfrei in der Schule umgesetzt werden,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

damit die Kinder das Essen auch erhalten und es wirklich nach vorne gehen kann.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das machen wir doch! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: Das macht ihr nicht!)

Das ist etwas, was wir zusammen mit dem Schulträger in Paderborn entwickelt haben. Wir als Förderverein haben Geld hineingesteckt, und auch die Stadt hat Geld hineingesteckt, damit wir eine Frischküche vor Ort entwickeln konnten.

Wir müssen bei der Fortführung von „Gute Schule 2020“ – und diese Fortführung brauchen wir – auch daran denken, dass eine solche Infrastruktur auch bezuschussungsfähig ist und man sie entwickeln kann. Das ist kein Programm, das man von heute auf Morgen umsetzt, sondern es gehört zur Entwicklung von Schule dazu.

Darüber hinaus eröffnet es Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort, auch in inklusiven Beschäftigungsgesellschaften. Ganz viele Dinge sind denkbar, und darüber müssen wir uns unterhalten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ein Punkt, der hier noch gar keine Rolle gespielt hat, ist die steuerliche Benachteiligung der Schul‑ und Kitaverpflegung.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das ist ein Ding, ja!)

Ich weiß gar nicht, ob Ihnen das klar ist, dass zwar die Unimensa steuerbefreit ist, die Gemeinschaftsverpflegung in Kita und Schule aber nicht. Auch das ist ein Feld, das wir beleuchten müssen, und darüber müssen wir reden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Frau Müller-Rech, Sie haben gesagt, dass Sie keinen Eingriff in die Trägerhoheit möchten. – Nein, das hat Frau Asch damals nicht gemeint, und das meinen wir auch heute nicht. Wir haben vielmehr dafür gesorgt, dass überhaupt Hauswirtschaftskräfte in die Kita gekommen sind.

Allerdings brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und die Sicherstellung, dass solche Möglichkeiten gegeben sind, damit es sich entwickeln kann, auch in der Trägervielfalt, in der Pluralität. Darüber müssen wir miteinander reden, und ich rechne damit, dass wir eine Anhörung dazu durchführen werden, in der all diese Aspekte aufgegriffen werden.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Wie gesagt, die Kinder müssen einen Anspruch auf ein leckeres, ein gesundes, ein attraktives Essen haben. Dabei müssen sie einbezogen werden. Das hat mit Mitwirkung, mit Beteiligung und der Sicherstellung bei unterschiedlichen Lebensverhältnissen zu tun. Es darf allerdings nicht dazu führen, dass es ein Glücksfall ist und sich nur etwas entwickelt, wenn es eine starke Elternschaft in der Schule gibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Beer, Frau Abgeordnete Müller-Rech möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie diese zulassen?

Sigrid Beer (GRÜNE): Aber gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.

Franziska Müller-Rech (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Ich bin etwas verwirrt, was das Thema „grüne Positionen zu festgelegten Standards“ angeht. Wir haben eben vom Kollegen Rüße gehört, dass er sich eigentlich wünschen würde, dass es mehr regionales und Bioessen in den Schulen gäbe.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ja!)

Ich habe Ihre Position nicht ganz verstanden. Sind Sie diesbezüglich beim Kollegen Rüße, oder sagen Sie wie Ihre Kollegin Andrea Asch, dass es eben keine verbindlichen Qualitätsstandards brauche, um das Schulessen vor Ort tatsächlich zu verbessern?

(Josefine Paul [GRÜNE]: Sie haben weder das eine noch das andere verstanden!)

Sigrid Beer (GRÜNE): Sie verwechseln etwas. Das schließt sich gegenseitig überhaupt nicht aus. Sie haben eben über die Eingriffe in Trägerhoheit und Trägervielfalt gesprochen, außerdem über die DGE-Standards, die im Augenblick überarbeitet werden, wie die Ministerin eben gesagt hat, und nach denen viele Schulen arbeiten. Ob sie zertifiziert sind oder nicht, hat damit gar nichts zu tun.

Ich unterstütze meinen Kollegen ausdrücklich in seiner Aussage, dass wir vor Ort regionale Erzeugergemeinschaften stärken müssen, damit die Schulen und auch wir unseren Bioanteil beim Essen weiter steigern können.

Das stellt uns aber vor Probleme. Wir beziehen nämlich beispielsweise unsere Milcherzeugnisse von einem Milchbauern vor Ort. Allerdings ist es für ihn nicht einfach, diesen Bezug für 1.000 Mahlzeiten pro Tag sicherzustellen. Deswegen müssen wir daran arbeiten.

Wie gehen wir das Thema „Lebensmittelverschwendung“ an? Wie kommen wir dahin, dass zum Beispiel die krummen Gemüse insbesondere diesen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden?

Es gibt also viele Themen, die wir gemeinsam anpacken müssen, und das widerspricht sich überhaupt nicht. Das sortieren wir für Sie aber gerne noch einmal im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächster Redner hat jetzt für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Watermann-Krass, Herr Müller, spät kommen Sie, aber nun kommen Sie doch. Sie wissen ja: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Ich denke, die Widersprüchlichkeit und die Unglaubwürdigkeit Ihres Antrags liegen auf der Hand. Herr Dr. Vincentz, mein Kollege, hat Ihnen das schon deutlich gemacht.

Unsere Anträge in diese Richtung lehnen Sie ab, um dann selbst hinter den Büschen mit einem eigenen Antrag hervorzukommen, der dann auch noch völlig überflüssig ist. Da kann ich mich im Groben dem anschließen, was meine Kollegen Frau Müller-Rech und Herr Rock hier ausgeführt haben.

Sie sehen hier einen Mann der Praxis vor sich.

(Frank Müller [SPD]: Das ist mir neu!)

– Ja, und zwar in doppelter Weise: Zum einen war ich 14 Jahre in Schulleitungen tätig und damit maßgeblich mitverantwortlich für die Gestaltung der Mensen, zum anderen

(Frank Müller [SPD]: Das haben Sie ja noch nie erwähnt!)

– hören Sie gut zu, Herr Müller – habe ich in diesen Mensen tatsächlich selbst gegessen. Wie Sie sehen, stehe ich hier Gott sei Dank nicht als kranker Mensch vor Ihnen, sondern gesund und könnte sogar noch ein paar Pfunde erübrigen.

(Frank Müller [SPD]: Was ist denn das für ein Argument?)

Das Problem, Herr Müller, das Sie jetzt ansprechen, ist wirklich überholt, weil dieses Problem in den meisten Fällen vor Ort gelöst ist.

Sie haben die Schulen damals – das war Ihre Vorgängerregierung – alleingelassen, als sie von G9 auf G8 umschwenkten, und sehr viele dieser Schulen hatten kein Ganztagskonzept, denn die Schulen im Ganztag sind in den meisten Fällen

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Es gibt neben den Gymnasien auch noch andere Schulformen!)

bereits mit einer Mensa ausgestattet.

Aber die Schulen, die kein Ganztagskonzept fahren, beispielsweise Gymnasien, die von G9 auf G8 wechseln mussten, standen vor wahnsinnigen Problemen.

Das habe ich in Münster seit 2005 mitgemacht. Dort gab es tatsächlich vorüberregende Lösungen, die nicht gut waren. Zum Beispiel wurde ein Caterer aus Rheine beauftragt, das Essen an ein Münsteraner Gymnasium zu liefern. Dort habe ich nur zweimal gegessen – das sage ich ganz ehrlich –, und das haben wir auch ganz schnell wieder eingestellt.

Dann kam es zur Idee der Gründung eines Fördervereins, Frau Beer, mit der Ausbeutung von Lehrern und Eltern, die sich ehrenamtlich betätigen müssten.

Dann kam es endlich dazu – das war meine letzte Station –, dass der Schulträger die Verantwortung übernommen hat. Seitdem läuft das hervorragend.

Wenn Sie meinen, Sie müssten den Leuten vor Ort erst noch zeigen, was gesunde Ernährung ist, kann ich Ihnen Folgendes dazu sagen: Ich habe in unzähligen Kreisen mit Eltern, Caterern und Lehrern – übrigens auch Biologielehrern – zusammengesessen, in denen wir uns auf das Ernährungskonzept der Mensa verständigt haben.

Da brauchen wir jetzt nicht Sie von der SPD, das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Das geht vor Ort besser.

Ein Zweites: Ich weiß nicht genau, ob das stimmt, aber der Schulträger an meiner letzten Schule behauptete, dass man, wenn der Caterervertrag endet, den neuen europaweit ausschreiben müsse. Das stelle ich mir jetzt so vor, dass das Gymnasium in Gronau nun Essen aus Brüssel oder Den Haag bekommt.

Dieser Irrsinn – wenn es denn stimmt und der Schulträger recht hatte; ich bezweifele das immer noch, aber wir haben uns daran gehalten – muss natürlich abgeschafft werden.

Ich kann Ihnen sagen, warum: Die Lehrer und Eltern können zusammen mit den Betrieben vor Ort das Beste erreichen, was zu erreichen ist. So haben wir das auch gemacht. Dafür brauchen wir keinen SPD-Antrag. Deswegen bin ich gegen die zentrale Steuerung vom Landtag aus.

Ein Letztes: Herr Müller, wissen Sie, was in den Lehrplänen der Grundschulen – Herr Rock hat das schon gesagt – und in Biologie in der 5. Klasse vordringlich ist? – Gesunde Ernährung.

(Frank Müller [SPD]: Sagen Sie doch mal etwas zu Kitas!)

Die Biologielehrer gehen in die Mensa. Da werden dann die einzelnen Speisekonzepte durchgesprochen. Wir hatten in der Mensa ein Free-Flow-System: Die Schüler konnten zwischen drei Gerichten plus Nachtisch und Salat auswählen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das Ministerium, die Bezirksregierungen und die Schulträger müssen dafür sorgen, dass es in den Schulen funktioniert.

(Frank Müller [SPD]: Abstrahieren Sie doch mal!)

Wenn es wirklich Schüler, Eltern und Lehrer an einer Schule geben sollte, die dazu nicht in der Lage sind, rufen wir Sie, Herr Müller, und schicken Sie als Polizist und Feuerwehrmann für gesunde Ernährung vor Ort. Aber ich denke, dass das in den meisten Orten die Schulen selbst können. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Frank Müller [SPD]: Sie haben nichts zu Kitas gesagt! – Jochen Ott [SPD]: Für eine gute Leistung muss man abstrahieren, und das fehlte!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Als nächste Rednerin ist uns Frau Abgeordnete Voigt-Küppers für die Fraktion der SPD gemeldet. Bitte sehr.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr.

(Helmut Seifen [AfD]: Ich auch nicht!)

– Dann bin ich ja froh, dass wir wenigstens an einer Stelle einer Meinung sind.

(Helmut Seifen [AfD]: Und zwar immer dann, wenn die SPD spricht!)

Ich glaube, das wird nicht mehr so häufig vorkommen, insbesondere was diesen Tagesordnungspunkt betrifft.

Es wundert mich schon, wenn wir hier diskutieren und sich auf einmal Ansichten verdrehen.

Liebe Frau Müller-Rech, ich muss Ihnen sagen, dass ich Ihren Wortbeitrag für das Ziel, weltallerbeste Bildung zu generieren, wenig ambitioniert finde.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Wie heißt das noch mal?)

Einfach hinzugehen und zu sagen, man habe schon so viel und brauchte alles andere nicht zu betrachten, halte ich nicht für ausreichend.

Mir liegt der Ganztag sehr am Herzen. In diesem Ganztagszusammenhang beraten wir ja auch Essen, denn im Ganztag wird das Essen gereicht. Deshalb war ich in vielen Einrichtungen und habe gesehen, unter welchen Umständen manche Kinder essen müssen. Da gibt es keine Kantinen.

Das wird übrigens auch von der Verbraucherzentrale analysiert: zu geringe Personalausstattung, knappe Finanzen, schlechte Ausstattung der Küchenräume, unzureichende Raumsituation, fehlende Betreuungskapazitäten beim Essen und nicht ausreichend qualifiziertes Personal. Das ist nicht die ganze Liste, aber ich höre jetzt auf.

Wenn ich das zitiere und sage, dass ich das erlebt habe, bedeutet das nicht, dass ich irgendjemanden in diesem Land schlechtmache.

Ich schließe mich meinem Kollegen Müller und meiner Kollegin Sigrid Beer an: Es gibt auch die anderen Beispiele. Es gibt auch sehr gute Mensen und Frischküchen.

Da sind wir aber genau an dem entscheidenden Punkt: Wir haben in Nordrhein-Westfalen wirklich sehr unterschiedliche Realitäten. Wir sagen, dass insgesamt beim Ganztag und auch beim Essen die Chancen nicht von der Herkunft abhängig sein dürfen – weder von der Herkunft der Eltern noch davon, wo ein Kind lebt.

(Beifall von der SPD)

Deshalb brauchen wir einheitliche Standards, damit alle Kinder in Nordrhein-Westfalen gutes Essen bekommen. Ich sage Ihnen: Es ist nicht allein ein Problem der Hartz-IV-Empfänger, dass sie schlechtes Essen erhalten.

(Martina Hannen [FDP]: Das hat doch niemals jemand behauptet!)

Es ist nachgewiesen, dass auch Kinder aus bürgerlichen Elternhäusern mangelernährt sind.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und deshalb brauchen alle Kinder gutes Essen.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Wissen Sie, was Mangelernährung ist? – Weitere Zurufe)

– Sie können rumschreien, aber Adipositas – davon gibt es immer mehr Fälle – ist eine Mangelernährung. Es ist ein Mangel an gesunder Ernährung.

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben noch nie ein mangelernährtes Kind gesehen!)

Aber das werden wir ja im Ausschuss noch zur Genüge beraten können.

(Markus Wagner [AfD]: Es gibt einen Unterschied zwischen Fehl‑ und Mangelernährung!)

Ich bin der Meinung – und das unterschreiben übrigens die Eltern selber, die einen TÜV für gutes Essen verlangen –, dass in der Tat, wie der Titel unseres Antrags besagt, gutes Essen ein Kinderrecht ist. Wir können es nicht einfach nur abschieben.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Als Letztes gebe ich Ihnen mit: Natürlich weiß ich um die Schwierigkeiten, die Sie haben. Die Schwierigkeiten sind nämlich, dass es, wenn wir eindeutige Qualitätsstandards verlangen, Konnexität auslöst. Dann müssen wir uns in diesem Hause aber mal darüber unterhalten, wie wir diese Probleme lösen und sie nicht wechselseitig von Regierung zu Opposition hin‑ und herschieben.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land werden uns das nicht abnehmen. Die haben Vorstellungen von vernünftiger Politik. Wenn wir die nicht liefern, werden sie uns das entsprechend zeigen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Voigt-Küppers. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann sind wir am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen ab über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, den Antrag Drucksache 17/7364 an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend –, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend sowie an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur‑ und Verbraucherschutz zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass diese Überweisungsempfehlung mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen wurde.

Damit sind wir bei:

3   Luftreinhaltepläne zügig, zukunftssicher und verhältnismäßig anpassen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7376

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Deppe das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Rainer Deppe*) (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2018 haben wir in diesem Saal achtmal über die Luftreinhaltepläne debattiert – immer auf Antrag der abgewählten Regierungsfraktionen. In diesem Jahr hat sie offenbar der Ehrgeiz bei diesem Thema verlassen.

Also haben wir es mal beantragt, denn es gibt Positives zu berichten. Für Aachen und zuletzt – genau vor einer Woche, am 12. September – für Köln hat das Oberverwaltungsgericht geurteilt, dass unsere Politik und die harte Arbeit in den Städten und bei den Bezirksregierungen Erfolg haben.

Großflächige Fahrverbote, wie sie noch am 8. November 2018 für das gesamte Kölner Stadtgebiet vom Verwaltungsgericht angeordnet worden waren, sind vorerst vom Tisch. Allenfalls vier Straßen in Köln sind für Fahrverbote für einzelne Fahrzeuge vorzusehen, wenn die Werte im Jahr 2020 nicht erreicht werden. Wenn das kein Erfolg unserer Politik ist, weiß ich es auch nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Seit 2010 sind die Grenzwerte einzuhalten. Das haben Sie von SPD und Grünen, ich müsste fast sagen, gar nicht erst versucht. Auf jeden Fall aber haben Sie es nicht erreicht.

2014 hat die Deutsche Umwelthilfe begonnen, gegen Ihre Luftreinhaltepläne zu klagen, und sie hat gewonnen.

Der unzulängliche Luftreinhalteplan für Düsseldorf, der bis vor das Bundesverwaltungsgericht ging, datierte aus dem Jahr 2013. Da hatten SPD und Grüne hier die Verantwortung.

Was haben Sie Herrn Ministerpräsidenten Laschet kritisiert, als er im Frühjahr 2018 erklärte, dass wir keine Fahrverbote wollen und alles dafür tun wollen, um sie zu vermeiden,

(Frank Müller [SPD]: Er hat gesagt, es gibt keine!)

denn Fahrverbote sind ungerecht – und zwar gegenüber all denen, die in gutem Glauben und aus guten Gründen Pkw mit Dieselantrieb fahren oder ihre Spezialfahrzeuge zum Beispiel im Handwerk nicht einfach mal neu kaufen können.

Flächige Fahrverbote würden außerdem den Verkehr in unseren Städten lahmlegen. Mit der Vernachlässigung der Brücken und mit den Folgen der Sperrungen bzw. Ablastungen haben Sie schon genug Blockaden herbeigeführt.

Welch ein anderes Bild, seit CDU und FDP im Land das Sagen haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Oha!)

Nicht nur bei den Brücken geht es endlich voran – die Luftreinhaltepläne sind überarbeitet, und sie werden noch weiter konkretisiert. Sie werden nicht nur vor Gericht Bestand haben, sondern das Wichtigste ist, dass die Schadstoffe in der Luft sich noch weiter verringern werden. Darauf kommt es an.

Die Modernisierung der Fahrzeugflotten kommt in Fahrt, der Verkehr wird von Quartal zu Quartal sauberer, öffentlicher Nahverkehr und Fahrradverkehr weisen hohe Zuwachsraten auf.

Aber machen wir uns nichts vor: Die Grenzwerte müssen eingehalten werden. Deshalb darf niemand bei seinen Anstrengungen nachlassen – im Gegenteil: Wir alle sind gut beraten, jetzt engagiert weiterzumachen.

Die öffentlichen Verkehre müssen Vorreiter für neue Techniken sein – wie zum Beispiel in meiner Heimat, wo wir uns gemeinsam mit dem Rhein-Sieg-Kreis bei der Wasserstofftechnologie auf den Weg gemacht haben und nun die ersten Busse an den Start gehen. Der Kreis Euskirchen setzt auf Biogas als Antriebsenergie. Unser Ziel ist ein öffentlicher Nahverkehr mit null Emission.

Ich muss Ihnen sagen, dass ich überhaupt kein Verständnis dafür habe, dass es immer noch öffentliche Unternehmen gibt, die Busse oder Müllfahrzeuge mit alter Technik bestellen. Das muss sich ändern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber auch der private Autofahrer kann schon heute mit CNG-Fahrzeugen seine NOx-Bilanz um 80 % senken und gleichzeitig treibhausgasarm fahren. Das Fraunhofer Institut ISI hat kürzlich veröffentlicht, dass Biomethan schon heute die beste Treibhausgasbilanz aller Antriebssysteme aufweist – und das zu Preisen, die geringer sind als beim Diesel. Über die klimarelevanten Möglichkeiten der E-Fuels haben wir überhaupt noch nicht gesprochen.

Technologieoffenheit ist für uns kein Lippenbekenntnis. Deshalb erwarten wir von allen Akteuren, dass sie die Klimabilanz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen und die unterschiedlichen Antriebsformen entsprechend ihrer Klimabilanz gefördert werden.

Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Bürger, die Kommunen und die Wirtschaft können sich auf die NRW-Koalition verlassen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Als nächster Redner hat für die weitere antragstellende Fraktion der FDP Herr Diekhoff das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Markus Diekhoff*) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Klagen der Deutschen Umwelthilfe und die dadurch drohenden Fahrverbote waren in den letzten zwei Jahren immer wieder Thema hier im Hause, aber auch für viele Bürger, die Angst um ihre Mobilität hatten.

Die NRW-Koalition und auch die Landesregierung haben viel Kraft und Anstrengung in die Problemlösung investiert, denn von Rot-Grün gab es noch keinen Plan zu diesem Thema.

Noch einmal zur Erinnerung: Die Problematik ist nicht 2017 entstanden, sondern bereits 2010. Über die gesamte rot-grüne Regierungszeit hinweg ist nichts passiert. Sie haben keine Lösungen für Fahrverbote angeboten. Sie haben das Thema einfach verschleppt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die NRW-Koalition hingegen hat sich für die Problemlösung, für saubere und gesunde Luft, für individuelle Mobilität und deren Erhalt und für die Wertschöpfung in unserem Bundesland eingesetzt. Ein wichtiger Baustein des Erfolgs, flächendeckende Fahrverbote bisher verhindert zu haben, stellen dabei auch der systematische Ausbau und die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs dar.

Innovative Mobilitätslösungen, aber auch innovative Antriebsarten gilt es, weiterhin zu forcieren und neue Technologien mit Nachdruck zu fördern.

Wir unterstützen die Wasserstofftechnologie, und dank unseres FDP-Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart findet nun auch die Spitzenforschung für leistungsfähige und vor allem umweltfreundliche Batterien hier in Nordrhein-Westfalen, in Münster, statt. Das ist ein toller Erfolg.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Technologieoffenheit bedeutet für uns auch, dass wir den Euro-6-Diesel der neuesten Generation noch nicht ausschließen dürfen. Diesel der neuesten Generation liefern einen signifikanten Beitrag zur Luftreinhaltung. Die neueste Generation stößt gerade einmal 8 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus; der Grenzwert liegt bei 168. Wir befinden uns also auf einem hervorragenden Weg.

Dieser Umstand befreit uns definitiv nicht davon, noch sauberere und klimafreundlichere Technologien zu entwickeln und diese schnell auf die Straße zu bringen.

Zur unübersehbaren Wahrheit gehört aber auch, dass diese moderne Dieseltechnologie aufgrund der schnellen Verfügbarkeit zumindest mittelfristig weiterhin erforderlich ist und einen guten Beitrag zu gesunder Luft und für den Klimaschutz leisten wird.

Wasserstoff, Elektrobusse und neue innovative Antriebsarten werden nicht überall kurzfristig einsetzbar sein, weil die Systeme dafür aufgebaut werden und diese Produkte auch erst einmal in marktfähiger Form vorhanden sein müssen. Das dazwischenliegende Gap kann man anders abdecken.

Wo wir immer noch zu hohe Messwerte haben, arbeiten wir weiterhin mit Hochdruck an schnellen Lösungen. Um dies zu erreichen, rufen wir an dieser Stelle noch einmal alle Beteiligten, vor allem auch die Kommunen auf, im Sinne der individuellen Mobilität und der Luftqualität wirksame Maßnahmen in ihren Luftreinhalteplänen vorzusehen und umzusetzen, denn der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Kommunen. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, sind positive Ergebnisse wie zum Beispiel in Essen möglich.

In Köln konnte bei allen Problemen zumindest ein Teilerfolg für die individuelle Mobilität erzielt werden. Wir haben dortige zonale Fahrverbote, die das Kölner Verwaltungsgericht anordnete, in Münster abwenden können; das ist ein wichtiger Erfolg.

In vielen anderen Städten, in denen von grüner Seite immer schon Fahrverbote als beschlossene Sache angesehen worden sind, haben wir es gemeinsam mit allen Beteiligten geschafft, dass diese Messwerte reduziert werden konnten und die Dieselfahrverbote nicht verhängt werden mussten.

Wir sehen, dass die Maßnahmen der Luftreinhaltepläne wirksam sind. Wir lassen wie versprochen die Kommunen und die Bezirksregierungen und vor allem die betroffenen Bürger nicht allein.

Wir lösen die aktuellen Probleme und Fragen in Sachen „Luftqualität“, verschließen aber nicht die Augen vor der Notwendigkeit der konsequenten Weiterentwicklung der gesamten Verkehrsinfrastruktur.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Überarbeitung der Luftreinhaltepläne, die Unterstützung der Kommunen, der Aus‑ und Umbau sowie die Modernisierung der Infrastruktur, die Förderung und Forschung an emissionsarmen Antriebsarten und die Nach‑ und Umrüstung der Flotten sind unsere Antwort für eine saubere und gesunde Luft, für die Sicherung der individuellen Mobilität der Menschen in unserem Land und vor allen Dingen auch für die Wertschöpfung, die wir hier haben möchten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Stinka das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Deppe, ich bin dankbar, dass insgesamt acht Anträge gestellt worden sind, denn so kann man deutlich machen, dass man kontinuierliche Politik macht. Ihr leerer Antrag heute entlarvt, dass Sie nichts, aber auch gar nichts gemacht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Deppe, Sie sprechen von Erfolg. – Die CDU muss das Wort „Erfolg“ neu definieren. Sie sind mit Ihrem Luftreinhalteplan in Köln gescheitert, und Sie hatten gedacht, dass, wenn Sie heute den Antrag stellen, das OVG den Anträgen aus Aachen folgen wird. Das ist nicht der Fall, und deswegen haben wir uns gewundert, dass Sie diesen Antrag überhaupt stellen.

Schauen wir uns den Antrag einmal genauer an. Ich bin ganz erstaunt; immerhin habe ich zu den meisten dieser acht Anträge gesprochen.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang das erste Mal seit zwei Jahren von Gesundheit. Wir sind hocherfreut, dass wir Sozialdemokraten zu der Erkenntnis der CDU beigetragen haben, dass es um ein Gesundheitsproblem geht.

Wir – und ich besonders – haben nicht vergessen, Herr Deppe, wie Sie sich darüber lustig gemacht haben, dass ich die Luftbelastung einer Kita in Essen erwähnt habe. Daraufhin kam schallendes Gelächter aus Ihren Reihen, worüber wir reden würden. Sie haben mir damals empfohlen, ich solle doch die Messstation woanders hinstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So viel zu den Themen „Glaubwürdigkeit“ und „Gesundheit“.

Ihre Aussagen damals lauteten, es gehe um Enteignung, die Selbstbestimmung der Fahrer werde beschnitten, und wir könnten die Mobilität nicht gewährleisten.

Das Thema „Gesundheit“ hat zwei Jahre lang bei CDU und FDP keinerlei Rolle gespielt. Jetzt schreiben Sie es ganz oben auf Ihre Agenda. Ich kann nur feststellen, dass unsere Maßnahmen und unsere Reden Erfolg gehabt haben. Vielen Dank dafür.

(Beifall von Anja Butschkau [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Stinka, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage seitens des Abgeordneten Deppe.

André Stinka (SPD): Ja.

Rainer Deppe (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Bisher war für Fake News eine andere Fraktion hier im Haus bekannt. Vielleicht können Sie für Ihre ungeheuerlichen Behauptungen irgendeinen Beweis, irgendeinen Beleg aus den Protokollen des Landtags vorlegen. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(André Stinka [SPD]: Doch!)

Wir haben schon im Jahr 2014 darüber diskutiert …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das war schon die Frage! – Henning Höne [FDP]: Wer im Glashaus sitzt …)

– Entschuldigung, Sie haben recht. Aber Sie, Frau Präsidentin, haben hier das Recht einzugreifen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu im Laufe der Debatte oder später einmal einen Beleg vorlegen könnten.

André Stinka (SPD) Sie werden erschrocken sein, Herr Deppe, dass Sie mehrere Belege finden werden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, denn ich weiß ganz genau, dass das Thema „Gesundheit“ für Sie immer ganz hinten angestanden hat.

(Zurufe von der FDP: Oh! – Henning Höne [FDP]: Also kein Beleg?)

– Herr Höne, Sie sollten vorsichtig sein mit „kein Beleg“. Wir können im Protokoll nachschauen. Gerade die Stelle zur Kitafrage werde ich Ihnen zeigen. Dann werden Sie sehen, dass Herr Löttgen damals gesagt hat, wir müssten die Messstellen woanders hinsetzen.

Sie sind auf die Argumentation der AfD eingegangen und haben Applaus von genau der falschen Seite bekommen. Heute führen Sie das Thema „Gesundheit“ selbst an.

Herr Deppe, schütteln Sie ruhig den Kopf; Sie werden erschrocken sein, was Sie im Protokoll finden werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zurück zu dem Antrag. Ich bin erstaunt, dass die regierungstragenden Fraktionen nun nach zwei Jahren die Regierung beauftragen, endlich etwas in diesem Bereich zu tun. Sie machen damit deutlich, dass Sie Ihrer eigenen Regierung nicht trauen, denn sonst würden Sie diese Maßnahme nicht vorschlagen – da muss man lachen –, man solle sich doch mal um staumindernde Maßnahmen kümmern.

Ihr Minister sitzt seit zweieinhalb Jahren hier im Amt, und Sie schreiben jetzt, wir müssten unbedingt mal etwas gegen die Staus tun, damit die Luft besser wird.

Ihr Antrag entlarvt, dass Sie von nichts eine Ahnung haben und zwei Jahre lang nichts getan haben, denn sonst müssten Sie Ihre Landesregierung nicht auffordern, etwas zu tun.

Wie gesagt, wir sind sicher, dass Sie mit einem anderen Urteil in Münster gerechnet haben.

Es war der Ministerpräsident, der mantrahaft immer wieder deutlich gemacht hat, er gehe davon aus, dass keine Fahrverbote kommen würden, weil diese natürlich rechtswidrig seien.

Ich sage Ihnen – und auch das hat das OVG in das Urteil geschrieben –: Wir werden es erleben. Sie können nicht darum herumreden, dass es nicht nur Zonen betrifft, sondern dass der Luftreinhalteplan nachträglich überarbeitet werden muss.

Das Schöne – da will ich auf Herrn Diekhoff noch einmal eingehen – ist: Da wird über Maßnahmen geredet, die die Vorgängerregierung nicht getroffen hätte. Ich bin gespannt auf eine CDU/FDP-originäre Maßnahme, die Sie neu beschlossen haben, nachdem Sie hier die Regierung übernommen haben, um die Luft sauber zu machen.

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

Da bin ich gleich auf die Ausführungen der Ministerin ganz gespannt, wo wir etwas Neues finden werden. Da habe ich meine Zweifel, ob wirklich neue Punkte dabei sind oder ob Sie uns Bundesmaßnahmen als eigene Maßnahmen verkaufen, die Sie hier getroffen haben.

(Rainer Deppe [CDU]: Ihre Luftreinhaltepläne sind vor Gericht gescheitert!)

Also: Erzählen Sie mir nichts von Dieselfiltern usw. Sie waren sogar diejenigen, die gegen die Musterfeststellungsklage hier im Landtag angetreten sind. Von daher wäre ich ganz vorsichtig.

Für uns bleibt festzuhalten: nach zwei Jahren Untätigkeit der regierungstragenden Fraktionen keine eigene Maßnahme. Das Thema „Gesundheit“ wird jetzt erst erkannt, und ein Urteil vom Oberverwaltungsgericht wird hier schöngeredet.

Das ist bei Herrn Diekhoff ja noch einmal ganz deutlich geworden. Sie sagen, darum müssen sich die Kommunen kümmern. Nein, Sie müssen handeln als Landesregierung und müssen gemeinsam mit den Kommunen schauen, wie Sie dieses Thema organisieren. Aber Sie haben zwei Jahre verschlafen, weil Ihr Mantra war: Das gibt es nicht. Das blenden wir aus. Das organisieren wir nicht.

Natürlich muss ich in der Debatte auch einen Blick nach Köln richten. Eine von den Grünen getragene Bürgermeisterin hat es auch nicht geschafft, die Luft nachhaltig zu verbessern. Das ist für uns Sozialdemokraten schon ein Fall, zu dem wir feststellen: Ja, da ist zwischen Reden und Handeln viel Luft. Das müssen wir kritisch monieren und deutlich sagen, dass alleine das Stützen einer Bürgermeisterin nicht dazu dient, dass die Menschen vor schädlichen Abgasen nachhaltig geschützt werden. – In dem Sinne: Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Nun spricht Herr Rüße für die grüne Fraktion.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Deppe und Herr Diekhoff, Sie haben hier einen Antrag vorgelegt, den man, wenn man guten Willens ist, als „Schaufensterantrag“ bezeichnen kann. Was Sie sich bei dem Antrag gedacht haben, erschließt sich mir und meiner Fraktion überhaupt nicht. Denn alles, was Sie da fordern, sind Maßnahmen, bei denen ich mich frage, wann Sie dazu etwas vorlegen und damit starten.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Das hat der Kollege Stinka schon gesagt.

Zu dem allerersten Punkt, den Sie anführen, die Luftreinhaltepläne zügig zu überarbeiten und aktuelle Forschungsergebnisse einzubauen usw.: Die Überarbeitung der Luftreinhaltepläne können Sie ja dann getrost den Bezirksregierungen und den zuständigen Kommunen überlassen. Die machen das schon. Ich glaube nicht, dass wir dafür hier Ihren Antrag brauchen.

Einmal mehr fällt mir bei diesem Antrag und bei Ihren Reden auf, dass Sie in der Tat immer noch die Gesundheit der Menschen deutlich unterhalb der Freiheit, zu fahren, einordnen. Die Vermeidung von Fahrverboten hat für Sie immer noch oberste Priorität. Darüber, dass Sie überhaupt mittlerweile anerkennen, dass das ein gesundheitliches Problem ist, kann man ja schon einmal glücklich sein. Aber trotzdem finde ich, dass Sie das immer noch falsch einsortieren.

Warum Sie diesen Antrag hier eingebracht haben, bevor das Urteil überhaupt gefällt worden ist, erschließt sich mir auch nicht. Ich halte das auch ein bisschen für ein merkwürdiges Verhalten gegenüber einem Gericht. Meiner Meinung nach wartet man erst einmal das Urteil ab, und danach, wenn das gefällt ist, kann man ja mit einem Antrag kommen. Dass man diesen Antrag so zwischendurch reinschießt, erschließt sich mir überhaupt nicht. Ich glaube auch nicht, dass das korrekt von Ihnen war.

Eines ist aber natürlich klar. Das, was da jetzt passiert, ist genau das, was nach Aussage Ihres Ministerpräsidenten nicht passieren wird. Es wird zu Fahrverboten kommen. Das hat das letzte Urteil zu Köln noch einmal deutlich gemacht, nicht flächendeckend, aber eben in einzelnen Straßen.

(Rainer Deppe [CDU]: Darum geht es! Sie wollen die ganze Stadt lahmlegen!)

– Nein. Das ist genau falsch!

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Herr Deppe, Sie sind zutiefst von einer Ideologie getragen. Das ist völliger Blödsinn!

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sagen: Wir wollen die Maßnahmen haben, die dafür sorgen, dass die Menschen in der Stadt leben können mit einer guten, intakten Umwelt und guter Luft. Das wollen wir. Wenn dazu flächendeckend oder großflächig Fahrverbote nötig wären,

(Rainer Deppe [CDU]: Aha!)

müsste man das vielleicht akzeptieren. Wenn es aber so zu erreichen ist, ist das auch okay.

Ihr Ansatz war immer: Wir wollen überhaupt keine Fahrverbote, an keiner Stelle, nirgendwo. Wir sind bereit, im Zweifelsfall sogar Messeinrichtungen an anderer Stelle aufzubauen, um das zu verhindern. Genau das waren damals Ihre Vorschläge. Dem werden wir immer widersprechen. Denn die Gesundheit von Menschen, die Gesundheit von Kindern, die Gesundheit von älteren Menschen hat für uns absolut Vorrang.

Natürlich trifft das jetzt Menschen, die Besitzer von Autos mit älteren Euro-Normen, Euro-4-, Euro-5-Norm sind. Natürlich trifft die das. Wir könnten da auch schon viel, viel weiter sein. Die Nachrüstungssätze sind ja da. Wenn das Ihre Bundesregierung mal vorangetrieben hätte, die Automobilindustrie gezwungen hätte, diese Nachrüstungen zu finanzieren, dafür gesorgt hätte, dass die Nachrüstsätze schnell für die Fahrzeuge anerkannt werden, dann hätten diese Menschen dieses Problem vielleicht gar nicht. Dann hätten wir einen effektiven Beitrag für bessere Luft, weil ja dann diese Nachrüstsätze in den Autos arbeiten würden. Aber das haben Sie, das hat Ihre Partei, Ihre Fraktion im Bundestag verhindert. Das ist doch Fakt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist, finde ich, eine Riesensauerei gewesen. Da hätten Sie an unserer Seite stehen und mit uns gemeinsam die Automobilindustrie in die richtige Richtung stoßen sollen.

Zu den Luftreinhalteplänen habe ich schon gesagt: Lassen Sie das die Bezirksregierungen mit den Kommunen zusammen machen.

Sie könnten aber dafür sorgen, dass wir in den betroffenen Städten und in unseren Städten überhaupt deutlich mehr Umstieg vom automobilen Verkehr zum automobilfreien Verkehr hinkriegen. Das wäre doch der Punkt, dass es endlich bei den Kurzstrecken, die immer noch mit dem Auto gefahren werden, zu einer Selbstverständlichkeit für uns alle wird, dass wir das zu Fuß machen, dass wir das mit dem Fahrrad machen, dass wir das mit Lastenrädern machen. Das wäre ein guter Beitrag, dafür zu sorgen, dass in den Städten die Radwege so gut ausgebaut sind, wie wir es vom Straßenverkehrsnetz für Autos gewohnt sind. Da könnten Sie etwas tun.

Das tun Sie aber nicht, im Gegenteil. Beim Ausbau der Radwege – das zeigt ein Blick in den aktuellen Haushaltsplan – passiert das Gegenteil.

(Zurufe von Henning Höne [FDP] und Rainer Deppe [CDU])

An der Stelle könnten Sie deutlich mehr machen.

Kommen Sie uns nicht immer mit dem Vorwurf, Sie hätten da ja jetzt so viel mehr gemacht als wir. Da muss man auch die unterschiedlichen Haushaltssituationen miteinander vergleichen.

(Zurufe von der FDP: Ah!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege.

Norwich Rüße (GRÜNE): Ich sage Ihnen noch einmal deutlich: Diesen Antrag hätte es wirklich nicht gebraucht, ein reiner Schaufensterantrag, den wir deshalb auch ablehnen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Schnell hat es die CDU-Fraktion geschafft, noch eine Kurzintervention anzumelden. Herr Deppe hat sich dafür zu Wort gemeldet. Sie können vom Platz aus sprechen oder nach vorne kommen. Herr Rüße hat die gleiche Gelegenheit, entweder vom Pult aus oder vom seinem Platz aus zu antworten. Bitte schön, 1:30 Minuten.

Rainer Deppe (CDU): Lieber Herr Rüße, 2013 war hier ein Umweltminister Remmel am Werk, und unter dessen Verantwortung wurde der Luftreinhalteplan für die Stadt Düsseldorf erlassen. Dieser Luftreinhalteplan – ich habe es eben erwähnt – ist beklagt worden von der Deutschen Umwelthilfe – keine Organisation, die der CDU zuzurechnen ist. Sie haben den Prozess mit Baden-Württemberg zusammen bis zum Bundesverwaltungsgericht geführt. 2018 wurde die Klage verloren aufgrund Ihres Luftreinhalteplans, den Sie gemacht haben, weil Sie sonst keine anderen Maßnahmen ergriffen haben.

Alles, was Sie heute hier erzählt haben, ist Unsinn. Es hat noch keinen Landeshaushalt gegeben, in dem mehr Geld für den Radverkehr ausgegeben wurde als jetzt. Sie hätten vielleicht da etwas investieren können. Hendrik Wüst tut es. Wir sehen auch, dass immer mehr vom Pkw aufs Fahrrad und auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wo denn?)

– Das findet doch statt. Reden Sie doch mal mit den Busunternehmen! Reden Sie doch mal mit den Nahverkehrsunternehmen! Offenbar haben Sie inzwischen überhaupt keine Leute mehr, mit denen Sie reden. Die berichten uns doch davon, wie ihre Angebote im Leihfahrradbereich angenommen werden,

(Beifall von der CDU und der FDP)

wie die Busse voll sind, wie immer mehr Leute mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren.

Vizepräsident Oliver Keymis: So, Herr Deppe, eine Minute dreißig Sekunden sind um.

Rainer Deppe (CDU): Das ist doch in unserer Zeit passiert und nicht in Ihrer. Sie haben nichts getan, weil Sie flächendeckende Fahrverbote wollten. Herr Rüße hat es hier noch einmal wiederholt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: So, jetzt hat Herr Rüße Gelegenheit, zu reagieren. Bitte schön, Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Deppe, das kann ich vom Platz aus. – Sie leben ein Stück weit in Ihrer eigenen Welt, wenn Sie davon reden, dass sich der ÖPNV-Verkehr permanent ausdehnt und ausweitet. Im Gegenteil: Wir haben große Probleme beim ÖPNV. Der ÖPNV ist eben nicht so strukturiert, dass er den Menschen tatsächlich ein wirklich gutes Angebot zum Umstieg macht. In dem Bereich ist noch eine Menge zu tun.

Für die Radwege gilt das Gleiche. Radschnellverkehrswege kriegen wir doch gar nicht hin. Das ist doch Quatsch, was Sie an der Stelle erzählen.

Und kommen Sie mir nicht immer damit, Sie würden so unendlich viel mehr machen. Sie haben extrem viel mehr Mittel, als wir in jedem Haushalt hatten. Sie kriegen es weder hin, in diesem Bereich vernünftig zu investieren, noch kriegen Sie es hin, Ihr Hauptversprechen, das Sie den Menschen im Land NRW gegeben haben, nämlich deutlich Schulden zu tilgen, einzuhalten. An der Stelle kriegen Sie gar nichts hin.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von daher müssen wir uns den Schuh überhaupt nicht anziehen.

Herr Deppe, ich sage es Ihnen noch einmal: Was Sie hier heute als Antrag abgegeben haben, ist völlig überflüssig und der Sache überhaupt nicht dienlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank für die beiden Redebeiträge im Rahmen der Kurzintervention. – Jetzt spricht als nächster Redner Herr Abgeordneter Vogel für die AfD-Fraktion.

Nic Peter Vogel (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schaufenster-Antrag? – Nö! Ich habe richtig Spaß, denn ich erkenne bei den bürgerlichen Fraktionen endlich einmal eine Lernkurve. Das ist ganz anders, als es hier vor ein oder zwei Jahren noch diskutiert wurde.

Luftqualität: Die Luft in unseren Städten und auch auf dem Land wird immer besser, jedes Jahr, seit Jahrzehnten. Ein paar Mausklicks, Statistisches Bundesamt, und Sie werden es sehen. Ich bin froh, dass wir nicht so eine Diskussion hatten wie letztes Jahr, als noch zu befürchten war, dass die Deutsche Umwelthilfe, also dieser kleine Abmahnverein, uns hier am Nasenring durch die Politik jagt.

Was gab es da für Blüten! Irgendwelche Fahrverbote für einzelne Straßen, sodass die Leute kilometerlange Umwege fahren mussten, um an ihr Ziel zu kommen.

Oder jetzt der neueste Schildbürgerstreich von unserem Düsseldorfer Oberbürgermeister, Herrn Geisel, mit seinen Umweltspuren. Ich bin Düsseldorfer Jong. Ich habe mir das mal angeguckt. Da haben Sie eine Spur, die ist komplett leer. Da tackert ab und zu mal ein Wagen vorbei, und auf der anderen Spur stehen die Leute kilometerlang im Stau. Wo früher der Verkehr zu den Stoßzeiten noch einigermaßen flüssig lief, da haben wir jetzt eine komplette Blockade. Gute Luft geht anders, in jedem Fall.

Die Messstationen: Es gibt wirklich ein paar, bei denen ich mich frage: Wer hat die aufgestellt und unter welcher Prämisse? Da brauchen wir gar nicht nach Frankfurt zu gucken. Da gucken wir hier in Düsseldorf auf die Corneliusstraße oder in Köln auf die Rheinuferstraße. Da haben Sie auf der einen Seite eine vierspurige Bahn, und auf der anderen Seite haben Sie den Rhein mit den Dieselschiffen. Denen sind moderne Automotoren der Abgasnorm 5 oder 6 absolut überlegen.

Auch wenn ich ein Freund davon bin, den Rhein, generell unsere Binnenschifffahrt zu ertüchtigen, sollten wir dennoch auf jeden Fall auf die Emissionswerte der Schiffe achten.

Und das Allheilmittel Elektromobilität: Ich bin froh, dass es endlich im Mainstream oder auch in der Presse ankommt, dass man dieses Riesenmammutprojekt auch einmal kritisch hinterfragen darf. Wie sieht die Energiegewinnung aus, bis sich das amortisiert? Wie sieht die Recyclingsituation aus? – Katastrophal! Oder wie werden beispielsweise die Rohstoffe herangeschafft? Wir sind doch so moralisch, wir sind doch so ökologisch!

Dann werfen wir doch beispielsweise den Blick in den Kongo, wo das Kobalt herkommt, wo Kinder teilweise mit ihren bloßen Händen in dem giftigen Dreck rumwühlen müssen. Oder wir schauen – Stichwort Seltene Erden – nach China, wo rechtlose Wanderarbeiter diese Sachen schürfen. Da gibt es überhaupt keine Absicherung, keine Krankenversicherung. Wenn die sich den Arm brechen, dann verhungern sie. So taff sind die Situationen da. Aber wir sind ja moralisch obendrauf!

Und ökologisch: Schauen Sie mal nach Chile, wie dort das Lithium abgebaut wird: Milliarden Liter von Trinkwasser werden endgültig dem Kreislauf entzogen. Der Grundwasserspiegel sinkt. Die Gegenden veröden. Die Bauern sind verzweifelt. Aber wir haben hier ganz tolle Elektromobilität. Ich bin froh, dass allmählich wieder gesunder Menschenverstand hier einkehrt und dass wir uns auch wirklich mal andere Antriebsarten vornehmen, Wasserstoff beispielsweise.

Denn man sollte noch eine Komponente im Hinterkopf behalten: Geopolitik. Wir sind dabei, uns rohstoffmäßig vom Ausland oder beispielsweise gerade von China abhängig zu machen. China wird der große Gewinner des 21. Jahrhunderts sein. Schön, dass wir pro Jahr noch 530 Millionen Entwicklungshilfe an China zahlen. Wenn der politische Wind auf einmal rauer wird und die Chinesen uns den Rohstoffhahn abdrehen, haben wir den größten Teil unserer Infrastruktur auf Elektromobilität ausgelegt. Dann stehen wir aber in ganz kurzen Ärmeln da und sind innerhalb von zehn Jahren ein Entwicklungsland.

Wie gesagt, mit dem Antrag geht es allmählich in die richtige Richtung. Bei einigen Sachen sind Sie noch in zu alten Denkmustern verhaftet. Aber es hat mich überrascht, dass das Thema jetzt mal anders diskutiert wird. Deshalb bekommen Sie von uns eine wohlwollende Enthaltung. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Vogel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Heinen-Esser.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ja heute Morgen hier eine ganz muntere Debatte. Ich helfe gerne noch mal mit ein paar Fakten und Zahlen, weil man es nicht oft genug sagen kann.

Im Jahr 2010 trat die Luftqualitätsrichtlinie in Kraft; sie wurde deutsches Gesetz. Es gab bis zum Jahr 2014 auch Ausnahmegenehmigungen, auch für einige NRW-Kommunen, dass sie die Grenzwerte noch nicht einhalten müssen. Die Ausnahmegenehmigungen sind 2014 abgelaufen.

Im Jahr 2015 hat die DUH begonnen, gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu klagen. Es gab bis dahin keine wirklich neuen Luftreinhaltepläne. Die alten Luftreinhaltepläne hatten sich mit dem Feinstaub-thema beschäftigt, aber das Thema „Stickstoffdioxid“ einfach nicht beachtet und nicht in den Griff bekommen.

Ich möchte Ihnen mal kurz vorlesen, was wir erreicht haben, weil Sie immer so schön sagen, hier wäre gar nichts passiert. Ganz im Gegenteil! Im Jahr 2017 sind wir in die Landesregierung gekommen. Im Jahr 2017 lagen die Werte in den kritischen Städten überall bei annähernd 50 Mikrogramm: Luxemburger Straße in Köln: 46; Aachener Straße in Köln: 50; Reuterstraße in Bonn: 47. Wenn Sie sich heute, gut zwei Jahre später, die Werte anschauen, dann stellen Sie fest, dass Sie in Aachen in der Wilhelmstraße bei 38 liegen, bei der Reuterstraße bei 43 gegenüber vorher 47, in Köln-Weiden in der Aachener Straße sind die Werte von 50 auf 41 und in der Luxemburger Straße von 46 auf 40 gesunken.

Da sagen Sie uns tatsächlich, wir hätten in den letzten zwei Jahren nichts gemacht?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben hier, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hart daran gearbeitet, dass wir neue Luftreinhaltepläne aufstellen. Das heißt, meine Damen und Herren, dass wir Verkehrswendemaßnahmen einleiten. Ein schlichtes Dieselfahrverbot – das sage ich hier ganz deutlich als Umweltministerin – ist keine Verkehrswendemaßnahme. Wir konzentrieren die Last des Erreichens der Werte auf eine Gruppe, die in gutem Glauben gehandelt hat, als sie sich diese PKWs gekauft hat, nämlich etwas für die Umwelt und für weniger CO2 zu tun. Das Thema sollten wir in Erinnerung behalten.

Diese Leute sollen jetzt die Last tragen? – Nein. Ich meine, wir brauchen echte Verkehrswendemaßnahmen. Mein Kollege, der Verkehrsminister, ist gerade reingekommen. Wissen Sie, welche Summe für sein Ressort im aktuellen Haushalt für neue Radwege steht? – 47 Millionen Euro. Im letzten Jahr – 2018, schwarz-gelbe Landesregierung – sind in Nordrhein-Westfalen 177,5 km neue Radwege gebaut worden. Das ist die Strecke von hier bis Winterberg. Und da sagen Sie uns, wir hätten nichts getan. – Wir arbeiten wirklich Tag und Nacht an neuen Luftreinhalteplänen, an echten Verkehrswendemaßnahmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Worum geht es? – Wir müssen verdammt hohe Anforderungen erfüllen. Für den Gesundheitsschutz geht es darum, die Werte zu senken, um die Grenzwerte nicht zu überschreiten. Es liegen uns jetzt Urteile vom Oberverwaltungsgericht in Münster für Aachen vor. Das Urteil für Aachen ist ein kluges Urteil. Es fügt nämlich dem, was das Bundesverwaltungsgericht zum Thema „Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten“ gesagt hat, noch mal deutliche Kriterien bei und fragt: Wie prüft man Fahrverbote? Was ist verhältnismäßig? Was ist unverhältnismäßig?

Es ist eben unverhältnismäßig, wenn es um Straßen geht, die eine hohe infrastrukturelle Bedeutung haben. Das leuchtet jedem ein, dass es kein verhältnismäßiges Mittel ist, wenn wir eine Straße für eine bestimmte Gruppe sperren. Wenn wir die A40 in Essen sperren, ist das kein verhältnismäßiges Mittel. Wir müssen klug herangehen. Wir müssen Gesundheitsschutz, Umweltschutz, aber auch die sozialpolitische Komponente berücksichtigen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Genau!)

Die sozialpolitische Komponente heißt, tatsächlich zu berücksichtigen, dass die Leute …

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– hören Sie mir doch bis zu Ende zu! –,

(Beifall von der CDU und der FDP)

… die sich in gutem Glauben ein neues Auto gekauft haben, eine faire Chance haben müssen, dieses Auto auch zu fahren. Nicht jeder verdient so viel wie wir hier und kann sich jedes Jahr ein neues Auto leisten!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wie gehen wir weiter vor? Ein kurzer Ausblick: Wir haben zwei kluge Urteile für Aachen und Köln; das kann man gar nicht anders sagen.

Das Gericht hat uns jetzt darum gebeten, und wir gehen darauf gerne ein, für die übrigen zwölf Städte in Vergleichsverhandlungen unter Führung des Oberverwaltungsgerichts zu treten. Damit werden wir Ende Oktober beginnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Jahr 2020 die Grenzwerte an den allermeisten Stellen mit 40 oder sogar unter 40 einhalten werden und dann tatsächlich saubere Luft in Nordrhein-Westfalen haben, und zwar – davon bin ich auch überzeugt – ohne Dieselfahrverbote und mit dieser Landesregierung. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung . Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/7376 ab. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – CDU und FDP und Herr Neppe, fraktionslos, stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Wie angekündigt, die AfD-Fraktion. Damit ist das Ergebnis eindeutig. Der Antrag Drucksache 17/7376 ist mit der Mehrheit des Hohen Hauses angenommen.

Ich rufe auf:

4   Dampf machen beim Kohleausstieg – Landesregierung muss endlich eigene Verantwortung wahrnehmen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7369

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7430

Für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Brems. – Bitte.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dampf machen beim Kohleausstieg – genau darum geht es. Es geht aber natürlich auch darum, jetzt die klaren Signale für den Kohleausstieg und für den Strukturwandel zu senden.

Wir müssen doch einmal festhalten: Das Ziel des Kohlekompromisses, den die Kohlekommission vorgeschlagen hat, war die Befriedung des gesellschaftlichen Großkonflikts um die Kohle. Dazu muss ich klar sagen: Das war ein schöner Hauch am Himmel. Diese Befriedung des gesellschaftlichen Großkonflikts, die wir da im Hauch gesehen haben, ist aber wieder in Gefahr.

Leider kommt nämlich die Bundesregierung ihrer Aufgabe nicht nach. Sie kommt einfach nicht in die Potte, die nächsten Schritte zu vollziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Befriedung ist auch deshalb in Gefahr, weil sich diese Landesregierung weigert, Eigeninitiative zu zeigen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Stattdessen wartet sie nur auf RWE und auf die Bundesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir finden es wichtig, zum jetzigen Zeitpunkt noch einmal klarzumachen, was die nächsten und wichtigen Schritte sind.

Das Erste ist der dauerhafte Erhalt und die Sicherung des Hambacher Waldes. Da geht es doch darum …

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Das ist doch jetzt wirklich albern.

(Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

– Es ist doch wirklich albern, dass Sie immer wieder damit anfangen.

(Fortgesetzt Zurufe von der CDU und der FDP)

Wissen Sie, wir gucken uns nun mal ganz genau an, dass dieser Wald ein Wald ist, der erhaltenswert ist, und nicht nur irgendein Forst, in dem rumgefuhrwerkt wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

Es geht um die Bestandsgarantie dieses Waldes

(Zurufe von der FDP)

und darum, dass als ein Ziel

(Unruhe – Glocke)

der Befriedung dieser Wald in eine Stiftung überführt werden muss.

Es ist schade, dass der Ministerpräsident jetzt nicht da ist, aber wahrscheinlich will er sich an seine eigenen Worte nicht mehr erinnern. Vor anderthalb Wochen hat er beim Sommerempfang des Landesverbands Erneuerbare Energien gesagt: „Ach, wir retten den Wald doch schon.“ Er ist also abgerückt von seinem Wunsch, den Wald zu retten. Er hat gesagt: „Wir retten ihn“. Aber er ist nicht dazu bereit und in der Lage, endlich auch einmal die nächsten Schritte zu gehen und damit ganz klar auch für Ruhe in diesem Wald und für Sicherheit für alle zu sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Zweitens fordern wir einen Abrissstopp in den Umsiedlungsdörfern. Dort ist wertvolle Infrastruktur vorhanden, die man nicht einfach beseitigen kann. Es geht darum, dass RWE keine unumkehrbaren Fakten schaffen darf.

Auch hier ist es so, dass diese Landesregierung nicht weiter auf die Bundesregierung warten, sondern gucken soll, was sie für den Schutz von Anwohnerinnen und Anwohnern von Tagebaurandkommunen tun kann und was die nächsten Schritte sind. All das könnte sie jetzt machen, denn es geht darum, dass hier kein weiterer Verlust an Heimat passiert.

Der dritte Aspekt ist, dass diese Landesregierung endlich ein Leitbild für den Strukturwandel entwickeln muss und da nicht nur ein paar Stichpunkte hinsetzen darf. Es geht darum, dass die Zivilgesellschaft eingebunden werden muss. Es ist ganz klar: Die Zukunftsregion Rheinisches Revier repräsentiert die Region nicht als Ganzes, sondern da sind viel mehr Menschen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden jedoch ebenso wie die Zivilgesellschaft nicht richtig eingebunden.

(Zuruf von der CDU)

Die nächsten beiden Aspekte beziehen sich auf die Kriterien für die Vergabe von Strukturmitteln. Dabei geht es nicht darum, dass wir von oben herab sagen, wie etwas funktionieren soll. Es müssen aber klare, einheitliche Kriterien entwickelt werden, wie die Strukturfördermittel in der Region verteilt werden. Das muss unter bestimmten Aspekten passieren, und hier sollte diese Landesregierung vorangehen und Ziele vorgeben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu guter Letzt geht es darum, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Das ist eine Auseinandersetzung, die wir schon länger und immer wieder haben, die aber auch genau hier hingehört. Eine Eins-zu-eins-Umsetzung des Kohlekompromisses, die Ihnen allen angeblich so wichtig ist, beinhaltet ganz klar, dass wir bis 2030 auf mindestens 65 % erneuerbare Energien in Deutschland kommen müssen. Dazu muss NRW einen Beitrag leisten, und das tun Sie nicht. Deswegen kreiden wir das hier an. Sie müssen nicht nur im Rheinischen Revier, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen die Erneuerbaren ausbauen, um genau das zu ermöglichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

In wenigen Sekunden möchte ich noch kurz auf den Entschließungsantrag der SPD eingehen, bei dem ich mich gefragt habe: Spielen wir jetzt das Spiel „Wer hat es erfunden“? Ich fand das ein bisschen peinlich. Aus unserer Sicht fehlen wichtige Aspekte, zum Beispiel zum Kohleausstieg und zur Beteiligung der Zivilgesellschaft. Deswegen können wir diesen Antrag nicht unterstützen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Dr. Peill.

Dr. Patricia Peill*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! Liebe Frau Brems, Sie überschreiben diesen Antrag mit “Dampf machen“. Die Definition von „Dampf“ ist heiße Luft.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Ich kann also schon der Grundannahme Ihres Antrags nicht zustimmen. Für uns soll der Strukturwandel nicht unter Dampf erfolgen, sondern unter den folgenden Prämissen: vorausschauendes, langfristig gedachtes Handeln, Recht und Planungssicherheit und Verlässlichkeit. – Nur so ziehen wir die Investitionen an, die wir brauchen. Vor allem benötigen wir eine Bürgerbeteiligung von unten nach oben. Das schafft Akzeptanz.

Sie haben in Ihrem Antrag, wie auch sonst immer wieder in Ihren Anträgen, das Tempo vor Verlässlichkeit von politischen Entscheidungen gestellt. Es geht also immer Geschwindigkeit vor Verlässlichkeit.

Wir haben, als die Kommission eingesetzt wurde, diskutiert: „Kohleausstieg jetzt?“ Als die Kommission gesagt hat, sie habe ein Ergebnis, kam sofort eine neue Leitentscheidung: „Jetzt!“ Jetzt kommt: „Dampf jetzt“. Ich weiß nicht, ob das für unser Rheinisches Revier hilfreich ist.

(Beifall von der CDU)

Natürlich würde ich mir auch mehr Tempo in Berlin wünschen. Aber wir stehen hier vor einer Jahrhundertaufgabe, bei der es auf ein solides rechtliches Fundament ankommt, welches dann die Struktur des Wandels auch wirklich trägt, und zwar nachhaltig.

Deshalb finde ich, dass Sie mit Ihrer Schilderung der Ausgangslage hier ein Bild entworfen haben, das den Tatsachen einfach nicht entspricht. Wir haben es gestern lange diskutiert. Der Minister hat alles klar dargestellt und beschrieben, wie der Prozess in Berlin abläuft.

Zeitgleich mit diesem Prozess in Berlin arbeitet das Land mit Hochdruck an der notwendigen Optimierung der Strukturen, um Fördermittel zukunftsgerecht zu platzieren.

Ihre Behauptung, die Landesregierung lasse ihre Handlungsspielräume bewusst ungenutzt, ist also entweder ein Zeichen eklatanten Unwissens oder eine bewusste Provokation.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie fordern in Ihrem Antrag einen verbindlichen Bestandsschutz für den Hambacher Forst – und Ehre, wem Ehre gebührt: das ist ein Forst –, obwohl der Ministerpräsident bereits ein Rodungsmoratorium erreicht hatte. Ich möchte hier sagen: Achtung an der Bordsteinkante! Sollte NRW mitten in den Verhandlungen für das Kohleausstiegsgesetz einseitige und voreilige Zusagen im Sinne dieses Antrags machen, könnte das erhebliche finanzielle und rechtliche Risiken bedeuten. Das sollten wir wirklich bedenken.

Außerdem fordern Sie das Aussetzen von rechtskräftigen Abrissgenehmigungen in Umsiedlungsdörfern, obwohl Sie genau wissen, dass diese Dörfer, die Sie hier genannt haben, Manheim und Morschenich, mit ihrer Dorfseele bereits umgezogen sind. Wenn Sie mit den Bürgermeistern, den Bürgern oder den Ortsvorstehern gesprochen hätten, wüssten Sie, wie schmerzhaft der Erhalt der alten Häuser für ehemalige Bewohner ist und wie sinnlos dann der Umzug in eine neue Heimat gewesen wäre. Ich würde Sie wirklich bitten, im Sinne dieser Bürger, die so viel gegeben haben, hier mehr Fingerspitzengefühl und ein bisschen mehr Bürgernähe zu zeigen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine weitere Forderung Ihres Antrags lautet: transparente Kriterien für die Vergabe. – Ja, das wollen wir auch; ganz klar. Und hier arbeitet die Landesregierung mit Hochdruck.

Was wirklich an der Wirklichkeit vorbeigeht, ist die Forderung nach Schaffung eines einheitlichen Leitbildes durch die Landesregierung. Ich sage Ihnen: Das ist der falsche Weg. Wir gehen für dieses notwendige Leitbild genau von der anderen Seite daran. Das heißt: nicht top-down aus Düsseldorf, sondern bottom-up; das Leitbild gewachsen aus der Region, in der Region und mit der Region. Das ist gut für das Rheinische Revier.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darum sind wir auch mit Herrn Staatssekretär Dammermann und Frau Landsberg in den letzten Wochen und Monaten auf allen Revierkonferenzen vertreten gewesen. Ich habe Sie da leider nur sehr selten gesehen. Offensichtlich sind die Arbeit vor Ort und die Diskussion über die ganz konkreten Entwicklungsrichtungen des Strukturwandels nicht die Flugebene, die Ihre politische Aufmerksamkeit weckt. Wären Sie dabei gewesen, hätten Sie diesen Antrag so nicht schreiben müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Brems?

Dr. Patricia Peill*) (CDU): Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. Bitte.

Dr. Patricia Peill*) (CDU): Dann würden Sie auch wissen, dass wir am 13. Dezember dieses Jahres mit der Zivilgesellschaft, mit den zivilgesellschaftlichen Vereinen, mit den Bürgermeistern und mit den Anrainerkommunen ein Konzept 1.0 zu diesen Punkten vorstellen werden.

Sie wollen immer bei allem mehr Schnelligkeit. Aber wenn wir es gemeinsam schaffen wollen, dann sollten wir es auch sorgfältig machen. Sie wollen mit diesem Antrag vielleicht die Landesregierung treffen, aber stoßen in Wirklichkeit die Menschen vor Ort vor den Kopf.

Mein Fazit lautet: Haben Sie einfach mehr Vertrauen in das Rheinische Revier und die Gestaltungskraft des Rheinischen Reviers für seine Zukunft, und versuchen Sie nicht, alles von oben zu leiten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum SPD-Antrag ganz kurz: Ich begrüße sehr das Angebot von Herrn Kämmerling, etwas gemeinsam zu machen. Sehr gerne!

Zum Beitrittswunsch der Anrainerkommunen: Ich glaube, dass genau jetzt, wo wir hier diskutieren, eine Verhandlungsgruppe in Köln tagt, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Da ist es die Aufgabe der Gesellschafter und nicht der Landesregierung, diese Gespräche zu führen. Sie finden gerade statt.

Zu Ihrem Vorschlag für einen weiteren Strukturwandelbeirat kann ich nur sagen: Eine weitere Doppelstruktur ist nicht in unserem Sinne.

Daher können wir diesen Antrag leider so nicht annehmen. Ich appelliere aber noch einmal an alle: Bitte habt mehr Mut im Miteinander für das Rheinische Revier. Das tut dem Revier gut. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Peill. – Es gibt eine Kurzintervention. Sie können sie vom Pult aus beantworten, wenn Sie wollen, aber auch vom Platz aus. Sie wurde angemeldet von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Es ist Frau Brems, die jetzt sprechen wird. Bitte schön, Frau Brems.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Herzlichen Dank. – Da Sie eben die Frage nicht zulassen wollten, möchte ich noch einmal auf einen Aspekt zu sprechen kommen. Sie haben ja schon ein paar Unterstellungen gemacht – wir wären nicht oft da; wir hätten nicht mit Leuten gesprochen –, die ich ganz klar zurückweisen muss.

Ihre Aussage, alle Leute wollten, dass da wirklich alles abgerissen werde, stimmt einfach nicht. Das hört man zum Beispiel, wenn man mit dem Bürgermeister von Merzenich spricht, der sich auch dafür einsetzt, dass in Morschenich nicht einfach alles abgerissen wird.

Genau darum geht es uns auch. Es geht uns darum, Infrastruktur zu erhalten. Es kann doch sein, wenn nämlich der Hambacher Wald erhalten bleibt,

(Zurufe von der CDU: Hambacher Wald?)

dass rundherum die entsprechenden Dörfer stehen bleiben. Natürlich geht es nicht darum, dass jedes Haus stehen bleiben und die Leute dableiben müssten. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass die Bäume erhalten bleiben, dass eine Infrastruktur erhalten bleibt, dass vielleicht eine Dorfkirche erhalten bleibt und dass dann neue Ideen, die es für solche Dörfer ja gibt, auch wieder neu entwickelt werden können, damit eine Perspektive entsteht. Uns geht es darum, dass man das weiterentwickeln kann.

Es wäre gut, wenn Sie akzeptieren würden, dass das nicht nur eine spinnerte Forderung von uns ist, sondern dass diese Forderung auch breit aus der Gesellschaft vor Ort kommt.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Brems. – Jetzt haben Sie Gelegenheit, 1:30 Minuten lang zu antworten.

Dr. Patricia Peill*) (CDU): Danke. – Frau Brems, wenn Sie mit dem Bürgermeister von Merzenich sprechen, mit dem ich gestern telefoniert habe, wissen Sie, dass es folgendermaßen aussieht:

Merzenich hat ein Potpourri von ganz tollen Ideen, was es aus dem Strukturwandel machen will. Unter anderem ist geplant, dass Morschenich für die Internationale Bau- und Technologieausstellung als Fläche zur Verfügung steht. Es ist nicht in seinem Sinn, dass diese Häuser, die momentan von der autonomen Szene besetzt sind, weiter billiger Wohnraum für diese sind.

(Beifall von der CDU und der FDP – Wibke Brems [GRÜNE]: Es geht um Struktur!)

Vielmehr ist in seinem Sinn, dass wir dort Zukunft gestalten. Dann muss man alte Mauern auch loslassen. So sieht es der Bürgermeister, so sehen es die Bürger, und so sieht es der Gemeinderat. Vielleicht schauen Sie einmal auf die Webseite. Dort steht: Wir wollen ein Teil der Zukunft sein und nicht des Alten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Wibke Brems [GRÜNE]: Haben Sie verstanden? Infrastruktur!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Peill. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde in meinem Wortbeitrag gerne auf einige grundsätzliche Dinge eingehen und etwas weniger ins Detail gehen. Bitte sehen Sie mir das an dieser Stelle nach. Denn ich glaube, dass wir anhand dieses Antrags auch noch einmal das eine oder andere Grundsätzliche diskutieren sollten.

Die Überschrift dieses Antrags sagt ja im Prinzip: mehr Tempo, Tempo, Tempo; Geschwindigkeit ist im Prinzip ein Wert an sich. – Geschwindigkeit und Tempo sind vielleicht aus Ihrer Sicht das einzige Kriterium für erfolgreiche Prozesse.

Das sehe ich ein bisschen anders. Wenn man einmal schaut, wie die Landesregierung das einschätzt, stellt man fest, dass es auch in der Landesregierung durchaus Unterschiede gibt.

Professor Pinkwart hat letzte Woche im Ausschuss und auch gestern mit Verweis auf das Berlin/Bonn-Gesetz noch einmal ausgeführt, dass man sich auch ein wenig Zeit lassen muss, um vernünftige Gesetze zu gießen und umzusetzen.

Der Ministerpräsident sieht das vielleicht ein wenig anders. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem „SauerlandKurier“ vom 12.09.2019. Der Ministerpräsident hat auf der Mitgliederversammlung des Landkreistages in Bezug auf die WSB-Kommission gesagt:

„Wir haben eine Kommission mit 28 Leuten ins Leben gerufen, um zu klären, wie wir schnell raus aus der Kohleverstromung kommen. Der schwierige Kompromiss liegt auf dem Tisch und muss nur noch in ein Gesetz gegossen werden.“

Das „nur noch“ suggeriert natürlich, man könne das alles wunderbar schnell machen. Ich bin an dieser Stelle deutlich bei Herrn Pinkwart, weil ich sage, dass diese Prozesse auch ihre Zeit brauchen.

An die Grünen gerichtet: Ich bin gespannt,

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

was im weiteren Prozess passiert – weil Sie sich irgendwann ja auch in diesen Prozess einbringen können und wollen und müssen – und ob dann immer noch das Tempo das Wichtigste in diesem Prozess ist oder es um andere Dinge geht. Ich erwarte dann doch eher andere Dinge.

Lassen Sie uns jetzt einmal gemeinsam auf den WSB-Bericht schauen, der seit 236 Tagen vorliegt. Er beschreibt einen Zeitraum bis zum Ende des Jahres 2038. Das sind von heute aus 20 Jahre oder 7.229 Tage. Wir sprechen wirklich über einen sehr langen Zeitraum. Im Übrigen reden wir nicht nur über eine zeitliche Dimension, sondern auch alleine im Rheinischen Revier über das Schicksal von 100.000 Menschen, die mittelbar und unmittelbar mit ihren Jobs an der Kohleverstromung hängen.

Wir sprechen hier über eine komplette Neuaufstellung der Energiewirtschaft in unserem Land. Wir reden auch über eine Neustrukturierung der energieintensiven Industrien unserem Land, die natürlich so gestaltet werden muss, dass am Ende auch noch Industriearbeitsplätze vorhanden sind. Das ist sicherlich eine große Herausforderung.

Was wollen, was müssen wir gemeinsam erreichen, meine Damen und Herren? Wir müssen Strukturbrüche vermeiden, wir müssen die Menschen mitnehmen, und wir müssen verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Insofern brauchen wir einen Dreiklang aus Geschwindigkeit, Wirksamkeit der Maßnahmen und Verlässlichkeit.

Deswegen haben wir auch in diesen Entschließungsantrag geschrieben, dass die Landesregierung hier ein wenig mehr tun kann.

Frau Dr. Peill hat es gerade ausgeführt: Anscheinend gibt es jetzt Gespräche dahin gehend, die Kommunen stärker zu beteiligen. Es ist natürlich ein bisschen naiv, zu behaupten, das komme nur aus der Gesellschafterstruktur. Ich weiß, dass das Land nicht an der ZRR beteiligt ist. Aber es ist natürlich schon ein sehr dominanter Spieler. Ich könnte mir vorstellen, dass das Land durchaus auch auf die aktuellen Entwicklungen eingewirkt hat. Wenn das Ausfluss unseres immer wiederholten Wunsches ist, freuen wir uns an dieser Stelle natürlich sehr.

Denn Beteiligung ist mehr als Information. Immer nur zur sagen: „Wir informieren die Kommunen“, reicht nicht. Beteiligung ist nämlich nicht nur Information, sondern Einbindung in Entscheidungsprozesse.

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Punkt, den wir auch in unserem Entschließungsantrag aufgeführt haben, ist die Aufstockung von Personal in der Bezirksregierung. Wir wissen, dass die Aufgaben da sein werden. Sie werden auch schnell kommen. Dafür brauchen wir das entsprechende Personal, vor allen Dingen auch für die kommunalen Planungen.

Bei dem Beirat, den wir fordern, geht es uns darum, dass wir Strukturwandel nicht nur im Rheinischen Revier sehen wollen, sondern das ganze Land mitnehmen müssen. Deswegen fordern wir an dieser Stelle die Institutionalisierung des Prozesses in einem Strukturwandelbeirat.

Das sind die Dinge, die wir in unserem Entschließungsantrag fordern. Da bitten wir auch um Zustimmung.

Ziel ist, dass die Maßnahmen dazu dienen sollen, den Kohleausstieg 2038 sozialverträglich zu gestalten.

Meine Damen und Herren, wenn wir es wirklich gut machen, dann schaffen wir es vielleicht 2035. Das heißt allerdings nicht, dass wir es schnell machen müssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sundermann. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion Herr Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Sundermann, Sie sind gerade etwas von dem ursprünglichen Antrag abgewichen. Das war ganz gut; denn den gemeinsamen Weg, den Sie beschrieben haben, können wir auch seitens der Koalitionsfraktionen in großen Teilen mitgehen.

Nicht unbedingt jeder Vorschlag, den Sie bei Ihren Forderungen formuliert haben, ist unterstützenswert. Aber ich glaube, dass es lohnend ist, sich weiter darüber zu unterhalten.

Das spiegelt aber nicht das wider, was sich in dem Antrag der Grünen befindet. Denn dies ist ein typischer Oppositionsantrag einer Partei, die weder im Bund noch im Land Verantwortung trägt und nun mit einem Antrag versucht, ihre eigenen Wunschvorstellungen in die Debatte einzubringen.

Sie, Frau Kollegin Brems, und Ihre Kolleginnen und Kollegen wollen hier suggerieren, dass das Land sich nicht genügend in den Prozess des Strukturwandels und Kohleausstiegs einbringe.

Dass dies nicht stimmt und geradezu lächerlich ist, wissen Sie auch selbst. Denn halten wir doch einmal die Fakten fest:

Die Große Koalition in Berlin hat zum Ausstieg aus der Kohleverstromung eine Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung eingerichtet.

Nordrhein-Westfalen hatte in dieser Kommission kein Stimmrecht und nur beratende Funktion. Trotzdem ist es dieser Landesregierung gelungen, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens vollumfänglich berücksichtigt wurden.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Das Rheinische Revier wurde nicht schlechter gestellt als die strukturschwächeren Regionen Ostdeutschlands. Denn hier sind weitaus mehr Menschen betroffen als die direkt in der Energieversorgung Beschäftigten, meine Damen und Herren.

Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit wurden für 2023, 2026 und 2029 sogenannte Checkpoints eingerichtet, damit wir gewährleisten können, dass die Energieversorgung weiterhin gesichert ist und darauf reagiert wird, wenn es auf dem Weg dahin zu Verzögerungen an anderen Stellen kommt. Damit können wir weiterhin garantieren, dass unsere Industrie zuverlässig mit Strom beliefert wird.

Es soll auch kein Bergmann ins Bergfreie fallen.

Das sind wichtige Punkte, die in Berlin vereinbart wurden. Für diese Punkte, aber auch für einige andere mehr hat diese Landesregierung gesorgt. Deshalb kann man diesen Antrag auch sehr gut nutzen, um an dieser Stelle noch einmal Dank für die guten Beratungen auszusprechen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie sehen also: Ihre Behauptung ist falsch. Nordrhein-Westfalen bringt sich hervorragend in den Prozess ein.

Klar ist aber auch: Die Umsetzung und auch die Bezahlung dieser Beschlüsse sind Aufgabe der Bundesregierung. Sie muss die entsprechenden Gesetze vorlegen und mit den betroffenen Unternehmen Vereinbarungen treffen. Die Landesregierung kann dies nur begleiten.

Dass wir parallel nicht hingehen und schon Entscheidungen treffen, obwohl wir die Beschlüsse noch gar nicht kennen, dürfte Ihnen eigentlich auch klar sein, Frau Brems. Es macht keinen Sinn, im Vorfeld schon Leitentscheidungen oder anderes zu treffen, bevor in Berlin die Tinte trocken ist.

Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie hier – zu Recht – beklagen, dass seit dem Beschluss viel Zeit vergangen ist, stimme ich Ihnen zu. Da ist meines Erachtens ein halbes Jahr verloren gegangen. Aber diese Kritik müssen Sie nun wirklich nach Berlin und dort über Ihre Bundestagsfraktion an die Bundesregierung und nicht an die Landesregierung richten.

Ich sage auch: Es ist richtig gewesen, dass als Erstes das Strukturstärkungsgesetz vorgelegt wurde und erst anschließend der Kohleausstieg vorgenommen wird. Denn dieser Prozess braucht einen entsprechenden Vorlauf. Deshalb ist das so richtig, wie es umgesetzt wurde.

Dann kommen Sie in Ihrem Antrag mit Forderungen, bei denen es um Dinge geht, die Sie sich wünschen, die aber deutlich über das hinausgehen, was im Kommissionsbeschluss steht. Sie wollen den sofortigen Abgrabungsstopp. Das hat die Kommission nicht beschlossen. Wir sagen ganz klar: Es muss bei der Eins-zu-eins-Umsetzung der Beschlüsse bleiben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, abschließend komme ich nun zu dem Prozess der Gestaltung des Strukturwandels. Sie wollen uns allen Ernstes Ratschläge geben, wie man diesen gestalten soll? Haben Sie denn schon alles vergessen, was in Ihrer Zeit gelaufen ist? Ich erinnere an dieser Stelle nur an die Innovationsregion Rheinisches Revier. Nach zwei Jahren hat der damalige Staatssekretär gesagt: Vergessen wir einmal alles, was war; wir müssen neu anfangen. – Er hat dann eine Neuausrichtung auf den Weg gebracht; denn er hat gesehen, dass der Prozess so nicht funktionierte, weil alle in Quasselrunden beteiligt waren, aber nichts Konkretes dabei herumgekommen ist. Nein, meine Damen und Herren, das ist der falsche Weg.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss?

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die Schuhe ausgezogen hat mir aber dann doch der Antrag der SPD. Lieber Kollege Sundermann, Sie fordern in Ihrem Antrag allen Ernstes, dass wir den Regionalverband Ruhr als Beispiel für das Rheinische Revier nehmen sollen. Dieser Antrag von Ihnen ist gestern geschrieben worden. Haben Sie denn nicht mitbekommen, welches Desaster Rot-Grün im RVR angerichtet hat?

(Michael Hübner [SPD]: Schwarz-Rot-Grün! – Norwich Rüße [GRÜNE]: Schwarz!)

Über Jahre können im Ruhrgebiet keine vernünftigen Planungen mehr stattfinden. Nein, meine Damen und Herren, das kann nicht unser Weg sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege.

Dietmar Brockes*) (FDP): Wir wollen einen handelbaren Prozess, in den sich alle einbringen können, aber dann auch klare Entscheidungsstrukturen und eine schnelle Umsetzung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockes. – Jetzt hat Herr Loose für die AfD-Fraktion das Wort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die CDU ist übrigens die stärkste Fraktion im RVR! – Gegenruf von Dietmar Brockes [FDP] – Gegenruf von Michael Hübner [SPD]: Meine Güte! – Glocke)

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Unruhe – Glocke)

Ein Forst ist durch Aufforstung entstanden. Das heißt, Herr Hübner, dass es Menschen gab, die dort Bäume bewusst angepflanzt haben, um diese in späteren Zeiten zu ernten.

Das Gleiche geschieht jeden Tag. Auf unseren Äckern in Deutschland werden Weizen und Gerste oder auch Kartoffeln angebaut, um daraus Nahrungsmittel für Mensch oder Tier zu machen. Es werden sogar Äcker genutzt, um dort Mais anzubauen, der später nicht als Nahrungsmittel für hungernde Kinder genutzt wird, sondern zur sogenannten Rettung des Klimas an der Tankstelle beigemischt wird.

Der Anbau von Getreide ist damit so normal wie die Aufforstung von Wald. Sie dient unter anderem dazu, später reiche Ernte einzufahren. Bei einem Baum dauert es allerdings etwas länger, bis die Ernte kommt.

Der Hambacher Forst wurde seit Jahrhunderten als Forst, also wirtschaftlich, genutzt. Ein Wald hingegen wird nicht aufgeforstet, sondern entsteht auf natürlichem Wege. Wenn die Grünen hier also hier den Begriff „Wald“ statt „Forst“ benutzen, dann ist das eine bewusste Täuschung des Parlaments und der Bürger.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja!)

Mit Ihrer Begrifflichkeit grenzen Sie sich bewusst vom Rest des Parlaments ab und stellen sich ins Abseits.

(Beifall von der AfD)

Aber das scheint ja genau Ihr Wille zu sein. Nun gut!

Während einige Chaoten auf den Bäumen im Hambacher Forst hocken und den Forst in einen Müllplatz verwandeln, werden im nahe gelegenen Aachener Münsterwald Tausende Bäume für Windräder gefällt.

(Michael Hübner [SPD]: Durch die Wiederholungen wird es doch nicht wahrer!)

Der WDR berichtete im letzten Jahr von fußballfeldgroßen Brachflächen, die die Kettensägen für sieben 200 m hohe Windräder der Stadtwerke Aachen in den Wald geschlagen haben.

(Markus Wagner [AfD]: Ja!)

Der WDR ergänzt in seiner Berichterstattung: Dabei lebten auch hier bedrohte und geschützte Tiere: Schwarzstorch, Rotmilan, Gelbbauchkröte.

Eiskalt kommentiert das Frau Brems, indem sie sagt, Klima und Naturschutz seien angemessen ausgeglichen, wenn Wald für Windkraft geopfert werde.

(Markus Wagner [AfD]: Ja, super!)

Wenn es um das liebe Geld geht, ist den Grünen halt nichts mehr heilig. Die Windkraft-Lobby wird es Ihnen danken. Es gibt zum Beispiel manchmal schon 300.000 Euro hohe Spenden.

Denn mit Windkraft erzielt man über Jahre immer wieder Rekordrenditen, natürlich staatlich garantiert – es sei denn, man gehört zu den Bürgern, die das Ganze bezahlen müssen, entweder über die Zulagen im Rahmen des EEG oder weil das Haus schlicht nichts mehr wert ist, weil das Windrad zu nah an das eigene Haus gebaut wurde.

Bei der Vernichtung von Arbeitsplätzen kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Beim Kohleausstieg soll Dampf gemacht werden. Sie können es wohl nicht erwarten, bis die ersten Kumpel ihren Job verlieren.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Was für ein Quatsch!)

Sie wollen auch nicht, dass es beim Gelingen des Strukturwandels ausschließlich um die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht; so steht es in Ihrem Antrag. Damit zeigt sich wieder Ihre arbeiterfeindliche Politik, liebe Grünen. Schön grün soll es überall sein; bloß keine Industrie, bloß keine Arbeitsplätze. Bezahlen sollen es aber schon die Malocher, die jeden Morgen aufstehen, um zur Arbeit zu fahren – natürlich demnächst nicht mehr mit ihrem eigenen Auto, sondern klimaschonend mit dem Bus, wofür sie am besten noch eine Stunde früher aufstehen.

Sie verkaufen den Bürgern Luftschlösser – und das auch noch auf dem Rücken der Bürger. Die Menschen in der Stadt merken das noch nicht; denn ihnen wird kein Windrad vor die Nase gestellt. Zum Beispiel in Bochum haben wir kein einziges.

Die Mitarbeiter in der Stadtverwaltung oder die Künstler im Szeneviertel merken das auch nicht so schnell; denn deren Job ist ja dank Staat bzw. staatlicher Förderung gesichert, zumindest solange das Geld fließt.

Aber die Stahlarbeiter und die Mitarbeiter in der Papier- und Glasindustrie werden es merken; denn sie werden ihren Arbeitsplatz verlieren – so, wie es jetzt den Mitarbeitern von Hydro Aluminium gegangen ist. Etwa 500 Mitarbeiter werden dort entlassen – einige Medien schreiben schon von 700 Mitarbeitern –, dank zu hohem Strompreis und fehlender Versorgungssicherheit in Deutschland.

Wir haben in Gelsenkirchen-Süd und Duisburg-Nord 12 % Arbeitslosigkeit. Herr Brockes sprach davon, keinen Bergmann ins Bergfreie fallen zu lassen. Daran werde ich Sie erinnern, wenn Sie das nächste Mal diese Versprechen brechen werden.

Ihnen von den Grünen kann es mit der Arbeitsplatzvernichtung nicht schnell genug gehen. Wie gesagt: Dampf machen.

Wir als AfD stehen aber an der Seite dieser Arbeiter. Wir stehen auch an der Seite der Industrie und werden weiterhin gegen den überhasteten Kohleausstieg kämpfen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt: Für das Rheinische Braunkohlerevier ist der im Rahmen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung verhandelte beschleunigte Kohleausstieg eine enorme Herausforderung. Der ausgehandelte Kompromiss stellt für die Region aber auch eine Chance für die Entfachung einer neuen Entwicklungsdynamik und für die Schaffung nachhaltiger Zukunftsperspektiven dar.

Damit diese Chance realisiert werden kann, braucht es Klarheit über den konkreten Zeitplan des Kohleausstiegs sowie eine sichere Finanzierung der geplanten strukturpolitischen Maßnahmen.

Die Landesregierung erwartet daher von der Bundesregierung die zügige Realisierung der hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen, insbesondere die Verabschiedung des angekündigten Strukturstärkungsgesetzes und des Kohleausstiegsgesetzes.

Erfreulich ist, dass auf der Bundesebene Bewegung ins Spiel kommt und wir daher in den vergangenen Wochen einen wichtigen Meilenstein erreicht haben.

Das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen ist am 28. August dieses Jahres im Bundeskabinett beschlossen worden. Bundestag und Bundesrat müssen nun über das Gesetz beraten und die erforderlichen Mittel freigeben. Nordrhein-Westfalen wird diesen Prozess konstruktiv begleiten und setzt sich weiter für eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Empfehlungen der WSB-Kommission ein. Wir hoffen auf einen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bis November dieses Jahres.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, während die gesetzlichen Grundlagen für den Kohleausstieg auf Bundesebene noch erarbeitet werden müssen, schreitet das Rheinische Revier mit Unterstützung der Landesregierung voran und schafft wichtige Rahmenbedingungen, um schnell erste Erfolge bei der Bewältigung des Strukturwandels erzielen zu können.

So wurde mit der Einrichtung sogenannter Revierknoten ein Prozess eingeleitet, in dessen Rahmen unter Beteiligung der Kommunen, Fachexpertinnen und ‑experten sowie zivilgesellschaftlicher Akteure aus der Region ein Wirtschafts- und Strukturprogramm für das Rheinische Revier erarbeitet wird.

Im Rahmen eines am 30. August 2019 unterzeichneten Zuwendungsvertrages des Landes mit der Zukunftsagentur unterstützt die Landesregierung diesen Prozess auch finanziell.

Das aus der Region heraus entwickelte Wirtschafts- und Strukturprogramm wird die thematischen Leitlinien für Förderaufrufe sowie Kriterien für Projektauswahl skizzieren. Als Auftakt der beteiligungsorientierten Arbeiten fand am 6. September dieses Jahres in Bergheim eine Veranstaltung mit rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Region statt.

Parallel erarbeitet die Zukunftsagentur Rheinisches Revier mit Unterstützung der Landesregierung den Rahmen für geordnete Verfahren bei der Vergabe der Strukturfördermittel im voraussichtlich 2020 beginnenden Regelprogramm. Geprüft wird dabei auch, wie die Region selbst bei Projektauswahlen eingebunden werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, auch in den Fragen rund um die Zukunft des Hambacher Forstes sowie den Umgang mit Umsiedlungsdörfern hat die Landesregierung ihre Hausaufgaben gemacht.

Auf Bitte von Herrn Ministerpräsidenten Laschet hat die RWE Power AG mit Schreiben vom 19. Februar dieses Jahres erklärt, die Umsetzung des Wunsches der Kommission WSB bezüglich des Erhalts des Hambacher Forstes zu prüfen und unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen auch in der kommenden Rodungsperiode auf Rodungen zu verzichten.

Zudem ist ein auf die aktuelle Betriebsplanzulassung gerichtetes Klageverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, sodass auch deshalb bis auf Weiteres keine Rodungen erfolgen dürfen.

Mindestens bis Herbst 2020 wird in keinem Fall eine weitere Rodung des Hambacher Forstes erfolgen. Daher ist derzeit auch eine Überführung des Hambacher Forstes in eine öffentliche Stiftung nicht erforderlich, um den Forst vor einer Rodung zu schützen.

Eine dauerhafte Bestandsgarantie für den Hambacher Forst, wie hier beantragt, kann die Landesregierung auch angesichts der auf der Grundlage der Leitentscheidung von Rot-Grün im Jahr 2016 erteilten Abbaugenehmigung und hierzu ausstehender gerichtlicher Entscheidungen im Klageverfahren bereits aus Rechtsgründen aktuell nicht aussprechen.

Die Landesregierung bemüht sich stattdessen um die Vermeidung wirtschaftlicher und sozialer Härten für die von Umsiedlung Betroffenen. Hierzu setzen wir den Dialog mit allen Betroffenen vor Ort fort. Dazu wurden bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres entsprechende Gespräche in der Region geführt.

Bevor allerdings weitere Schritte mit dem Ziel verbindlicher Festlegungen erfolgen können, müssen zunächst die Verhandlungen zur Stilllegung von Kraftwerkskapazitäten abgeschlossen und anschließend eine geänderte Tagebauplanung entworfen werden; denn diese kann nur von Unternehmen beantragt werden, die bisher Genehmigungen auf der Grundlage von Entscheidungen erhalten haben, die die Vorgängerregierungen getroffen haben.

Erst dann kann die Landesregierung im Lichte der getroffenen Vereinbarung die Leitentscheidung der rot-grünen Vorgängerregierung aus dem Jahr 2016 anpassen. Die konkrete planerische und rechtlich verbindliche Umsetzung der Leitentscheidung kann dann im nachfolgenden Verfahren erfolgen: zunächst im Braunkohleplanverfahren, dann mittels fachrechtlicher Änderungen vor allem in den bergrechtlichen Betriebsplänen.

Parallel arbeitet die Landesregierung auf der Grundlage der Energieversorgungsstrategie, die wir schon vor der Sommerpause im Landtag vorstellen konnten, an der Umsetzung der energiewirtschaftlichen Voraussetzungen zur Gestaltung des vorzeitigen Kohleausstiegs. Dazu gehört auch ein kraftvoller Weg zur Förderung der Erneuerbaren, sowohl on-shore in Nordrhein-Westfalen wie auch offshore. Das habe ich Ihnen hier vorgetragen.

(Zuruf: Genau!)

Insofern sehen wir alle Punkte der Grünen, die hier beantragt worden sind, bestens bearbeitet. Ich denke, wir sind zügiger, als es in der Vergangenheit gelegentlich der Fall war. Aber alles braucht seine Zeit,

(Zurufe von den GRÜNEN)

erst recht, wenn wir von Entscheidungen Dritter abhängig sind. Ich sehe uns jedenfalls auf einem guten Weg.

Wenn wir Ende des Jahres, spätestens Ende Januar des nächsten Jahres all das, was ich hier auch an rechtlichen Rahmenbedingungen skizziert habe, unter Dach und Fach bekämen, hätten wir in rund einem Jahr etwas ganz Großartiges auf den Weg gebracht, wozu Sie sicherlich früher Jahre gebraucht hätten, allein um darüber nachzudenken. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, erstens über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 17/7369. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags in der Drucksache 17/7369. Wer möchte hier zustimmen? – Das ist die Fraktion der Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Wer enthält sich? – Das ist die SPD-Fraktion. Damit ist dieser Antrag Drucksache 17/7369 abgelehnt.

Wir stimmen zweitens über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD ab. Das ist die Drucksache 17/7430. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der SPD. Wer ist dagegen? – Das sind die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und die beiden Fraktionslosen. Gleichwohl – das Ergebnis ist eindeutig – muss ich noch fragen, ob sich jemand enthalten möchte. – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch der Entschließungsantrag Drucksache 17/7430 abgelehnt.

Ich rufe auf:

5   Freie Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung junger Mädchen sichern. Anregungen von Staatssekretärin Güler zum Verbot des „Kinderkopftuches“ in Schulen und Kindergärten endlich umsetzen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7361

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Seifen das Wort. Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! So etwas wie unaufhörlicher Fortschritt ist nur im technisch-wissenschaftlichen Bereich möglich.

Im Bereich des moralischen Bewusstseins und des moralischen Entscheidens, im Bereich der Gestaltung demokratischer Staatswesen und freiheitlicher Gesellschaftsformen gibt es keinen selbstlaufenden Fortschritt. Freiheitlicher Geist, demokratische Staatlichkeit und humanitäre Gesinnung müssen immer wieder von jeder Generation neu errichtet und verteidigt werden.

Wir in Deutschland haben bitter erfahren, dass eine moderne Hochtechnologiezivilisation in barbarische Zustände abrutschen kann, wenn der Freiheitsgeist und die Humanität nicht verteidigt werden. Deshalb haben gerade wir in Deutschland in unseren Verfassungen und Gesetzen Pflöcke eingeschlagen, um dieses Abrutschen zu verhindern.

Der Ihnen hier vorliegende Antrag der AfD bezieht sich vor allem auf die Bestimmungen aus den Art. 1, 3 und 6 des Grundgesetzes.

Artikel 1 Abs. 1:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Artikel 3 Abs. 2:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Artikel 6 Abs. 2:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Diese Grundrechte finden sich in den Erziehungszielen wieder, die im Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, vor allem in § 2, niedergelegt sind. So sind die Schulen die Institutionen, welche in besonderer Weise mithilfe eines eigenen Erziehungsauftrags das Erziehungsverhalten der Eltern im staatlichen Auftrag überwachen.

Es ist die Aufgabe des Staates, seine eigene demokratische Verfasstheit und die Prinzipien einer offenen Gesellschaft dadurch zu bewahren, dass er allen Bestrebungen Widerstand leistet, die darauf aus sind, diese demokratische Verfasstheit zu schwächen oder zu beseitigen und aus der offenen Gesellschaft eine geschlossene zu machen.

Die Aufgabe stellt sich immer wieder neu, und wir dürfen uns ihr nicht verweigern. Besonders gefordert sind wir dann, wenn es die Wehrlosen in unserer Gesellschaft betrifft. Das sind nun einmal die Kinder in unserem Land.

Besonders Kinder aus muslimischen Elternhäusern geraten dann in den Blick, wenn die Eltern und das familiäre Umfeld die besonders strenggläubige Form des Islam leben. Sie verlangen bereits von ihren Kindern, über die normale Kleidung hinaus auch das Haupt, den Hals und die Arme zu verhüllen. Damit werden die jungen Mädchen als stille Botschafterinnen einer Ideologie in die Öffentlichkeit entsendet, welche wesentliche Elemente der demokratisch-aufklärerisch-humanistischen Grundlage unseres Staats- und Gesellschaftswesens ablehnt, verachtet und bekämpft.

Der Psychologe und Islamexperte Ahmad Mansour sagt zum Thema „islamisches Kopftuch“ – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Das Kopftuch bedeutet Tabuisierung der Sexualität und Geschlechtertrennung … Mit dem Kopftuch sage ich meinem Kind: ‚Diese westliche Gesellschaft, die anders mit Sexualität umgeht, ist moralisch nicht in Ordnung, und du kannst kein Teil davon werden.‘“

Das muslimische Kopftuch ist das Symbol des Gehorsams der Frau gegenüber allen männlichen Personen und ihrer Unmündigkeit. Für Schülerinnen, die aus patriarchalischen Strukturen kommen, böte die Schule die einzige Möglichkeit, einen anderen Umgang mit männlichen Personen zu erleben und sich selbst auch anders wahrzunehmen, als sie es aus ihrem familiären Umfeld kennen.

Diese Möglichkeit nehmen wir den jungen Muslima, wenn der Staat nicht die Vorgaben unserer Verfassung durchsetzt. Wir lassen sehenden Auges zu, dass heranwachsende Mädchen und Frauen frühzeitig religiös indoktriniert, ja geradezu konditioniert werden für einen Lebensstil, welcher die gleichberechtigte Entwicklung von Mädchen und Frauen verhindert, die Selbstausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft befördert und das dauernde Unmündigkeitsverhältnis von Frauen gegenüber den Männern begründet.

Wir bieten der orthodoxen Ausprägung des Islam unsere Schulen als Laufsteg für ihre Ideologie an. Wir lassen letztlich alle diejenigen unter den Muslimen im Stich, welche unsere freiheitliche Staats- und Lebensordnung schätzen und nach ihr leben wollen. Denn diese liberalen Muslime setzen wir dem Druck orthodoxer Muslime aus, ein Kopftuch als Zeichen der Sittsamkeit zu tragen. Dies zeigt bereits Wirkung. Die Zahl der Kopftuchträgerinnen an den Schulen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bisher haben Sie sich der Verantwortung entzogen. Viele von Ihnen verbrämen ihre Untätigkeit in dieser Sache mit dem Hinweis auf die Garantie der Religionsfreiheit in unserem Land. Ich kann Ihnen versichern, dass Freiheit und Toleranz nur denen gebührt, die selbst Toleranz und Freiheit fordern und leben.

Entziehen Sie sich nicht weiterhin Ihrer Pflicht in dieser Sache, sondern stellen Sie sich endlich der Verantwortung, welche Ihnen der Wähler für dieses Staatswesen übertragen hat. Werden Sie zum Verteidiger unserer Freiheit und unserer offenen Gesellschaft, wie es Ihnen das französische und das österreichische Parlament vorgemacht haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD )

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Abgeordnete Wermer.

Heike Wermer*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Für die NRW-Koalition steht stets der Mensch im Mittelpunkt ihrer Politik, sei es in der Schul-, der Integrations- oder der Gleichstellungspolitik. All diese Politikbereiche sind bei der Frage des Kopftuchtragens von jungen, noch nicht religionsmündigen muslimischen Mädchen berührt.

Für uns steht das Kind im Fokus, das muslimische Mädchen. Ihnen von der AfD geht es jedoch nur darum, auf dem Rücken von Kindern weiter Angst vor der vermeintlichen Islamisierung zu schüren. Das schreiben Sie auch so in Ihrem Antrag, und das ist nicht hinnehmbar. Welche Absichten Sie haben, zeigt der Antrag unmissverständlich.

Uns geht es um die inhaltliche Debatte, Ihnen um die Polarisierung und darum, Menschen gegeneinander aufzubringen. Uns geht es darum, das Kindeswohl mit der Ausübung von Religionsfreiheit und dem Erziehungsrecht der Eltern abzuwägen. Deshalb hat die Landesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben, um all diese komplexen Fragen zu beantworten: Wie können wir junge Mädchen in ihrer Identitätsfindung unterstützen? Wie können wir die staatliche Religionsfreiheit schützen? Wo endet diese aber auch?

Es geht also sowohl um rechtliche als auch um entwicklungspsychologische Fragen. Es bedarf einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion und einer Berücksichtigung verschiedenster Perspektiven.

Die NRW-Koalition macht genau das. Wir gestalten unsere Politik so: sorgfältig, auf dem Stand der Fachdebatten, in verschiedenen Disziplinen und mit Empathie für die Menschen. In diesem Fall tun wir dies für die jungen Mädchen und ihre Familien. Einen AfD-Antrag, gespickt mit Polemik und Panikmache, braucht es dafür nicht. Warten wir die Ergebnisse und Bewertung des Gutachtens des Ministeriums ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU )

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD spricht Herr Abgeordneter Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Seifen sprach gerade von der Pflicht des Parlaments. Die einzige Pflicht, die meiner Meinung nach uns als Parlament obliegt, ist die, rechte Demagogen dort hineinzustecken, wo sie hingehören, nämlich in die Mottenkiste, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Dieser Antrag der AfD – auch das will ich ganz deutlich sagen – ist bösartig. Sie bauen hier Feindbilder auf, wahrscheinlich weil Sie keine mehr haben. Seitdem die Flüchtlingsentwicklung so ist, wie sie ist, nämlich rückläufig, versuchen Sie, neue Feindbilder aufzubauen.

(Beifall von der SPD )

Sie sprechen in Ihrem Antrag von einer Islamisierung der Gesellschaft. Sie sprechen von einer „fundamentalistischen muslimischen Community“, die „durch Selbstausgrenzung eine gezielte Provokation gegenüber staatlicher Hoheit ausübt“. Was für ein Quatsch! Was für ein Quatsch! Denn wenn man sich die Zahlen anschaut, dann merkt man, dass es gar keine Zahlen gibt.

Herr Seifen sprach gerade davon, in den Schulen gebe es eine gestiegene Anzahl von kopftuchtragenden Mädchen.

(Helmut Seifen [AfD]: Gehen Sie mal nach Gelsenkirchen!)

Es gab mehrere Anfragen aus dem Parlament von Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion, aber auch von uns, von Frau Altenkamp, genau zu dieser Thematik. Aber es existieren überhaupt keine belastbaren Zahlen, wie viele kopftuchtragende Mädchen es gibt. Wir haben keine Zahlen dazu, ob es Probleme an Schulen gibt, an denen Mädchen Kopftuch tragen. Das alles gibt es überhaupt nicht. Deswegen ist es an der Stelle wieder einmal so, Herr Seifen: Sie behaupten etwas, obwohl Sie es nicht belegen können.

(Beifall von der SPD)

Herr Seifen, Sie sagten, wir als Parlament seien dafür verantwortlich, wie die Gesellschaft diskutiere. Ihre Wortwahl spaltet aber diese Gesellschaft. Insofern bitte ich Sie um Mäßigung. Ich glaube allerdings, dass das nicht funktionieren wird.

Das Thema „Kopftuch“ zieht sich wie Kaugummi durch die Jahre. Ich glaube, hier sind einige Kolleginnen und Kollegen unter uns, die schon etwas länger im Parlament sitzen als ich; ich tue dies seit 2010. Schon vor meiner Zeit war dies ein Thema; der eine oder andere wird sich daran erinnern.

Ein Verbot des Kopftuchtragens allein für minderjährige muslimische Mädchen wäre sowieso verfassungswidrig.

Da frage ich mich: Wie kommt es eigentlich zu diesem Antrag?

Die AfD nutzt eine Vorlage der Integrationsstaatssekretärin aus, die diese Scheindebatte letztes Jahr für ein bisschen Aufmerksamkeit in den Medien angezettelt hat. Der Integrationsminister musste das dann einfangen, Sie werden sich erinnern, und hat von einem Prüfauftrag gesprochen, den man vergeben wollte. Das war sozusagen gesichtswahrend. Dieser Plan ist aber leider krachend gescheitert; denn jetzt haben wir diese Debatte hier im Landtag.

Viel wichtiger, als über ein Verbot oder eine „Kopftuchpolizei“ zu sprechen, wäre doch, wenn wir mehr Lehrerinnen und Lehrer hätten, die sensibel sind, reagieren und sehen, wo ein Mädchen vielleicht unter Druck steht und möglicherweise etwas tut, was es gar nicht tun will, wo zum Beispiel Schulsozialarbeiterinnen Einfluss nehmen können. Darauf kommt es eigentlich an.

Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer sensibilisieren, und dafür brauchen wir genügend Lehrerinnen und Lehrer.

Kollegen von der AfD, mir hat eine kopftuchtragende Frau in einer Debatte darüber mal gesagt: Wir verdecken mit dem Kopftuch unser Haupt und nicht unsere Intelligenz. – Manchmal habe ich den Eindruck, Sie hätten ein Bettlaken über dem Kopf. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Es gibt eine Kurzintervention aus den Reihen der AfD. Herr Abgeordneter Seifen, bitte. Sie haben das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Yetim, ich höre im Fernsehen immer wieder von irgendwelchen Parteileuten aus CDU, SPD usw., man wolle uns inhaltlich stellen. Ihre Rede war vollgespickt mit Demagogie, Verleumdung, Anklage und Polemik.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie sich vorher aufgeschrieben! – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Untersuchen Sie mal Ihre Reden!)

– Nein, Sie haben nichts geantwortet.

Wenn orthodoxe Moslems ihre Kleinkinder mit dem Kopftuch zur Schule schicken, dann ist das eine deutliche Botschaft. Wenn diese Zahl der Kinder immer weiter zunimmt, …

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das tut sie ja nicht!)

– Doch, das tut sie.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Behauptungen werden nicht wahrer, wenn man sie wiederholt! – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

… dann ist das eine Form der Islamisierung. Und wir lassen diese Kinder alleine. Die Wortwahl des Antrags und meiner Rede war staatspolitisch völlig korrekt.

Sie sollten sich einfach mal mit den Mädchen beschäftigen. Da sagt ein Mädchen – fragen Sie bei TERRE DES FEMMES nach –:

„Ich trage ein Kopftuch, weil ich Angst habe vor Gott. Weil ich Angst habe vor den Männern, die mich komisch anschauen, wenn ich kein Kopftuch trage. Weil es eine Schande ist, kein Kopftuch zu tragen. Weil ich mich sonst schäme. Wenn ich nicht mache, was meine Eltern gesagt haben, gehe ich zur Hölle und nicht ins Paradies …“

Diese Mädchen lassen Sie alleine, nur weil Sie zu bequem sind, Ihre Pflicht zu tun.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Herr Kollege Yetim hat jetzt die Gelegenheit zur Antwort. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ibrahim Yetim (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich habe gerade überlegt, wo die Demagogen eigentlich sitzen.

(Helmut Seifen [AfD]: Da! – Der Abgeordnete zeigt in Richtung der Fraktion der SPD.)

Ich glaube, sie sitzen genau gegenüber.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Kommen Sie doch mal zur Sache!)

– Herr Seifen, ich will es ganz deutlich sagen; auch eben habe ich das gesagt.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie können nicht zur Sache kommen!)

– Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe Sie gerade gefragt: Wie sind die Zahlen eigentlich? Sie haben gar keine Zahlen!

(Josefine Paul [GRÜNE]: Genau!)

Sie schmeißen etwas in den Raum und erhoffen sich dadurch Geländegewinne. Sie behaupten einfach mal, es gäbe eine gestiegene Zahl kopftuchtragender Mädchen.

(Helmut Seifen [AfD]: Gehen Sie doch mal auf die Schulhöfe!)

Sie behaupten einfach, diese Mädchen trügen das Kopftuch, weil sie dazu gezwungen würden. Das behaupten Sie einfach. Sie wissen es nicht; Sie können es nicht belegen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen an den Schulen – und ich spreche mit Lehrerinnen und Lehrern und mit der GEW – mit kopftuchtragenden Mädchen keinerlei Probleme. Das, was Sie tun, was Sie versuchen, ist, diese Gesellschaft zu spalten. Darum geht es Ihnen. Das ist eigentlich der Kern Ihres Antrags.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die FDP spricht als Nächster der Kollege Brockmeier.

Alexander Brockmeier (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag beweist die AfD einmal mehr, dass sie über Fake News und populistische Forderungen nicht hinauskommt. Gerade haben wir es wieder gehört: Ohne Belege behaupten Sie das hier einfach.

Herr Seifen hat dann noch mal deutlich gemacht, unsere Gesellschaft drohe abzurutschen. Gleichzeitig schwingen Sie sich zum Verteidiger der offenen Gesellschaft auf. Gerade das von der AfD zu hören, ist schon ziemlich befremdlich.

(Beifall von der FDP und der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, dann stellt man fest, dass es einfach eine wahllos zusammengewürfelte Recherche ist, Sie dabei völlig den Bezug zu Nordrhein-Westfalen verlieren und sich am Ende noch mit ein paar kurzen allgemeinen Sätzen zu retten versuchen. Dabei wird ganz klar, dass dieser Antrag nicht einer fundierten oder politisch sachorientierten Arbeit dienen soll, sondern Sie vielmehr mal wieder versuchen, eine bestimmte Personengruppe zu stigmatisieren und eine Religion in ein falsches Licht zu rücken.

Die AfD spricht in ihrem Antrag gleichzeitig ein sensibles integrations- und religionspolitisches Thema an. Nicht ohne Grund haben sich Minister Dr. Stamp und die Staatssekretärin Frau Güler bereits im letzten Jahr zu diesem Thema geäußert und weitere Schritte im Ministerium eingeleitet. Das haben wir eben auch von der CDU-Kollegin schon gehört.

Das Wichtige ist doch, dass die Landesregierung dieses Thema besonders ernst nimmt und sich alle Expertenmeinungen dazu anhören will, damit wir eine rechtssichere Lösung bekommen.

Vor allem ist wichtig, dass wir die Community mitnehmen. Wenn Sie einfach alle Gläubigen vor den Kopf stoßen, werden Sie das Ziel nicht erreichen, was Sie hier vorgeben, erreichen zu wollen, und zwar diese Personen zu integrieren. Die Kolleginnen und Kollegen der AfD beweisen immer wieder, dass dies gar nicht so wirklich ihr Ziel ist.

Letztens hat mich da auch ein YouTube-Video nicht beeindruckt – das ist das falsche Wort –, sondern schockiert. Die AfD hat jetzt Ihre WENDE WEST! ins Leben gerufen. Wenn man hört, was Frau Wester da in den Raum wirft, nämlich dass zwei Drittel der Schüler islamgläubig seien, dann weiß ich nicht, ob das wirklich der Realität entspricht.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sie versuchen, Angst zu verbreiten und ein Problem, das vielleicht besteht, als das zentrale Problem unserer Gesellschaft hochzuspielen. Das hat nichts mit einer sachorientierten Debatte zu tun.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Für uns als Freie Demokraten ist ganz klar, dass die Selbstbestimmtheit einzelner Menschen im Vordergrund steht. Niemand darf dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen – genauso wie niemand davon abgehalten werden darf, wenn er oder sie sich zum Tragen eines Religionssymbols entscheidet. Da geht es gar nicht nur um das Kopftuch. Das erfordert der Respekt vor der freien Religionsausübung in Deutschland.

Gerade an Schulen und im Umgang mit minderjährigen Mädchen entsteht hier natürlich ein besonders sensibles Konfliktfeld. In Deutschland herrscht die uneingeschränkte Religionsmündigkeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres. Deswegen machen wir es uns da nicht leicht. Wir gehen das Thema an und sprechen mit vielen Experten.

Was mir an dieser Stelle aber auch auffällt: Sie haben vorhin angesprochen, dass eigentlich die Mädchen unterstützt werden sollten und wir sie im Stich ließen. Da wundere ich mich schon, dass Sie beim Islamunterricht als Fachunterricht so votieren, wie Sie es getan haben.

Ich möchte mich zunächst einmal bei den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen bedanken, dass Sie gemeinsam mit der NRW-Koalition Verantwortung übernommen haben und beim Religionsunterricht einen wichtigen Schritt gegangen sind.

Die AfD hat gleichzeitig eine völlige Verweigerungshaltung an den Tag gelegt und so deutlich gemacht, worum es ihr in Wahrheit geht: Es geht ihr nicht darum, den gemäßigten Islam näherzubringen, sondern vielmehr darum, eine Religion in Verruf zu bringen.

Da wird auch ein Widerspruch ganz klar; denn auf der einen Seite fordern Sie – Sie haben es hier ja deutlich gemacht –, dass junge Mädchen selbstbestimmt mit Religionssymbolen umgehen sollen, auf der anderen Seite unterstützen Sie diese Mädchen nicht bei der wichtigen Aufgabe, im Religionsunterricht ihre Selbstbestimmtheit zu erlangen. Da kann man Sie ganz einfach entlarven. Da widersprechen Sie sich in Ihrem eigenen Handeln.

(Beifall von der FDP)

In Wahrheit wollen Sie das Kopftuch nutzen, um wieder einmal Stimmung zu machen. Das lassen wir nicht durchgehen; dieser Geisteshaltung widersprechen wir entschieden. Der Ausschussüberweisung werden wir dennoch zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, Kirstin Korte [CDU] und Ibrahim Yetim [SPD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun die Abgeordnete Frau Beer. – Entschuldigung! Es gibt noch eine Kurzintervention der AfD. Herr Seifen, Sie haben das Wort. Bitte.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Brockmeier, dafür, dass der Antrag über Ihren Horizont hinausgeht, kann ich nichts.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Also, ich glaube es nicht! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist humanistische Bildung!)

– Das hat er gerade zugegeben; dafür kann ich nichts. Vieles haben Sie nicht verstanden. Was Sie uns vorwerfen, ist völlig haltlos, weil unser Antrag absolut sachbezogen ist.

Und der Antrag – das haben Sie wohl auch nicht gelesen – bezieht ausdrücklich den Dialog mit den Islamverbänden ein. Das steht ausdrücklich in dem Antrag. So, wie Sie uns dann beschimpft haben, müssten Sie indirekt auch Ihren Ministerpräsidenten beschimpft haben. Er sagt nämlich – ich zitiere den Ministerpräsidenten –:

„Die Moscheegemeinden könnten hier helfen, indem jeder Imam im Freitagsgebet den Familien erklärt, dass das Kopftuchtragen von Mädchen mit Religion nichts zu tun hat.“

Und Frau Güler hat gesagt, dass das pure Perversion sei.

Was ist denn jetzt? Gibt es bei Ihnen jetzt auch solche Populisten und Stimmungsmacher? – Nein, meine Herrschaften, die gibt es da nicht. Auch diese Leute haben klar gesehen, was Sache ist. Sie haben sich der Situation gestellt, aber sie werden vom grünen Mainstream zurückgepfiffen und sind zu feige, das durchzusetzen, was unserem Staat hilft.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Herr Kollege Brockmeier, Sie haben jetzt für anderthalb Minuten die Gelegenheit für ein Statement.

Alexander Brockmeier (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Seifen, ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch, sehr gut!)

Ich habe mehrfach Bezug auf Ihren Antrag genommen, und ich glaube auch, dass ich intellektuell in der Lage bin, ihn zu verstehen.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Glaube ich auch! – Beifall von der SPD, den GRÜNEN, Henning Höne [FDP] und Heike Wermer [CDU])

Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich befremdlich, dass Sie mir vorhalten, ich würde Sie beschimpfen. Das habe ich, denke ich, in keiner Art und Weise getan. Ich habe Ihnen lediglich vorgehalten, dass Sie hier Fake News verbreiten. Ich habe auch ein Beispiel genannt, das wollten Sie ja gerne hören. Und ich habe gleichzeitig Ihren Populismus entlarvt.

Da möchte ich gerne noch einmal – Herr Blex lacht schon –

(Dr. Christian Blex [AfD]: Ja, ich lache!)

auf WENDE WEST! eingehen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

– Ja, genau. Das lassen wir einfach mal so stehen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Der Höcke-Kumpel!)

Ich denke, dass es der Fraktion ganz gut zu Gesicht stehen würde – gerade wenn Sie sich zu solchen Themen äußern und solche Forderungen aufstellen –, dass Sie dann auch Bezug auf WENDE WEST! nehmen und sich ein Stück weit von den dort getätigten Äußerungen distanzieren. Denn das hat nichts mit Offenheit gegenüber Religionen zu tun, sondern mit Diskreditierung.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Nennen Sie doch mal ein Beispiel!)

– Ich habe doch gerade ein Beispiel genannt. Meine Güte!

(Dr. Christian Blex [AfD]: Das ist doch dummes Zeug!)

– Nein, das ist kein dummes Zeug. Der Duktus, der da verwendet wird, tut dieser Debatte nicht gut.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Gleichzeitig habe ich aber auch gesagt, dass wir uns der Sache hier annehmen.

Präsident André Kuper: Herr Dr. Blex, bitte lassen Sie den Kollegen Brockmeier einmal ausreden.

Alexander Brockmeier (FDP): Ja, das wäre freundlich.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Gleichzeitig habe ich gesagt, dass es da eine Fragestellung gibt und wir uns des Themas annehmen. Ich sage ja gar nicht, dass wir uns dem Thema verschließen. Aber dafür muss man die Community mitnehmen. Und so, wie Sie es vorhaben, werden Sie auf keinen Fall die Community mitnehmen. Sie wollen sie nämlich in ein falsches Licht rücken.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Nun bitte ich die Abgeordnete Beer ans Redepult.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! 16 und 9 – so lange muss man suchen, bis sich der Kern Ihres Antrags entlarvt. Immerhin erst in Zeile 16 und dann im neunten Wort kommt der Begriff „Islamisierung“. Aber er kommt verlässlich.

Wir haben es in allen Einlassungen gehört: Das gehört in den Dunstkreis der sonst verwendeten Begriffe von Überfremdung und Umvolkung, der Xenophobie, die Sie sonst so beschäftigt.

Dass ausgerechnet Sie sich zu Fürsprechern von jungen Muslima in Nordrhein-Westfalen machen, ist wirklich ein Treppenwitz. Das ist so was von unglaubwürdig!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Heike Wermer [CDU])

Sie zeichnen hier wieder ein typisches AfD-Gemälde und garnieren es interessanterweise unter anderem mit dem Hinweis auf autoritäre Militärstrukturen, die eben auch für den Kemalismus stehen, welcher eine Verantwortung für das Erstarken Erdogans hat – ein wiederum von autoritären und autokratischen Machtstrukturen geprägtes System.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Das waren keine Frauenrechtler, das türkische Militär!)

Aber das liegt Ihnen ja sehr nahe.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Es ist klar, dass Sie bei Ihren Betrachtungen erst einmal im Ausland bleiben. Mit dem Grundgesetz und der Grundlage unserer Verfassung – den dort gefassten Freiheitsrechten, sowohl der Religionsfreiheit wie auch der Meinungs- und Pressefreiheit – haben Sie es ja nicht so. Ich verweise auf meinen gestrigen Beitrag und das Höcke-Interview.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE] und Heike Wermer [CDU])

Wenn Sie sich mit der Frage religiöser Symbole beschäftigen, dann geht es – verfassungswidrig – immer nur um den Islam. Sie verdecken, dass es grundsätzlich religionsfeindliche Initiativen sind, die Sie in Ihrer Partei tragen. Denn der Diskurs kann, wenn wir ihn führen wollen, nur um religiöse Symbole insgesamt gehen – also auch um das Kreuz, um Ordenstrachten und um die Kippa in der Schule.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Sie negieren nicht nur das Grundrecht der Religionsfreiheit, sondern auch das religiöse Erziehungsrecht der Eltern.

Damit Sie gar nicht erst versuchen, mich misszuverstehen: Das Bildungsrecht aller Kinder, die Erziehung zur Mündigkeit, die Befähigung zur religiösen Selbstbestimmung, Emanzipation, Gleichberechtigung und die Befähigung zur demokratischen Teilhabe, Grundrechtsklarheit – das alles darf nicht relativiert werden; das steht auch gar nicht zur Disposition.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Ich will gerne noch einmal verfassungsrechtliche Nachhilfe geben; auch bei einem Menschen, der früher einmal Schulleiter eines Gymnasiums war, ist das offensichtlich notwendig.

Folgendes gehört nämlich auch zur Grundrechtsklarheit. Es lohnt sich, das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu lesen. Ich zitiere daraus:

„Gemäß Art. 4 Abs. 1 GG sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet die ungestörte Religionsausübung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhalten beide Absätze des Art. 4 GG ein einheitliches umfassend zu verstehendes Grundrecht. Dieses erstreckt sich nicht nur auf die innere Glaubensfreiheit, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten. (…) Gleichfalls wird das Tragen bestimmter, den Grundsätzen einer Religionsgemeinschaft entsprechender Kleidung von Art. 4 GG geschützt.“

Bezüglich unterschiedlicher religiöser Traditionen kann man dort lesen:

„Dem Staat ist es dabei aber verwehrt, die Glaubensüberzeugungen der Bürger zu bewerten oder als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ zu beurteilen.“

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das machen nur Sie von der AfD!)

„Das gilt insbesondere dann, wenn dazu unterschiedliche Ansichten innerhalb der Religionsgemeinschaft vertreten werden.“

Das ist so, weil die religiösen Traditionen unterschiedlich sind.

„Verfassungsimmanente Grenzen der Religionsfreiheit sind daher nur die Grundrechte Dritter und andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang“.

Deshalb kommen wir jetzt zum staatlichen Bildungs‑ und Gewährleistungsauftrag der Schulgesetzgebung und der Bedeutung der Schule für die Entfaltung der Lebenschancen der nachwachsenden Generation und für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Es geht nämlich darum,

„in einer pluralistisch und individualistisch geprägten Gesellschaft dazu beizutragen, die Einzelnen zu verantwortungsvollen ‚Bürgern‘ heranzubilden und hierüber eine für das Gemeinwesen unerlässliche Integrationsfunktion zu erfüllen. (…) Die muslimische Kopfbedeckung einer Schülerin im Unterricht müsste zunächst zu einer Beeinträchtigung des staatlichen Erziehungs‑ und Bildungsauftrags führen.“

Das ist erst mal zu betrachten: Genau das darf nicht passieren. Es ist der Auftrag der Schulen, dass es keine Benachteiligungen in Bildungsprozessen und natürlich auch keinen Druck auf Kinder geben darf. Außerdem muss der Schulfrieden gewährleistet sein.

Ich zitiere weiter:

„Auch religiös motiviertes Verhalten kann grundsätzlich den Schulfrieden beeinträchtigen. Allerdings ist allein die abstrakte Gefährdung des Schulfriedens nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht ausreichend, um das religiös geprägte Verhalten eines Schülers generell zu unterbinden. Vielmehr müssten solcherart ausgelöste Störungen zunächst Anlass geben, sich damit im Unterricht mit dem Ziel, wechselseitiges Verständnis zu wecken, auseinanderzusetzen.“

Bei diesen Prozessen haben wir die Schulen zu unterstützen. Gerade der Dialog mit den Muslimen im Religionsunterricht könnte auch die theologische Pluralität im Islam deutlich machen und aufzuzeigen, dass es eben keine verbindliche theologische Vorlage ist, ein Kopftuch zu tragen. Das ist die Auseinandersetzung mit den Eltern und im bekenntnisorientierten Unterricht. Genau das haben wir so angelegt.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Nun haben wir uns das einmal grundgesetzlich und verfassungsrechtlich klargemacht. Wir wollen aber nicht verschweigen, welche unglückselige Rolle die Landesregierung bei der ganzen Geschichte spielt – angefangen bei dem Tweet der Staatssekretärin Güler bis hin zu Einlassungen des Ministers Stamp und auch von Ministerpräsident Laschet, deren Äußerungen das Ganze erst befeuert haben.

Das Schulministerium wurde im Übrigen außen vor gelassen. Selbst auf meine Mündliche Anfrage im Plenum im letzten Jahr durfte die Schulministerin nicht antworten.

Wir haben dann über Herrn Stamp erfahren, dass keine Änderung des Schulgesetzes in Angriff genommen werden wird und sie auch gar nicht nötig sei. Es ist ja auch spannend, dass die Schulministerin heute wieder nicht hier ist, um an der Debatte teilzunehmen.

Weder im letzten Jahr auf die Anfragen meiner Kolleginnen Berivan Aymaz und Josephine Paul sowie meiner Wenigkeit hin, noch auf die Anfrage der Kollegin Britta Altenkamp in diesem Jahr – diese sind bereits erwähnt worden – sind Aussagen getätigt worden, es gebe Fälle von Störungen des Schulfriedens in Nordrhein-Westfalen. Es gibt keine Zahlen dazu.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Es existieren auch keine Daten über die Anzahl von Mädchen mit Kopftüchern in Kita oder Grundschule; das war ja der große Bogen, der gespannt worden ist.

Den Tweet der Staatssekretärin nenne ich Phantomdebatte und Rohrkrepierer. Wir sollten im konsequenten Dialog für die Kinder in unseren Schulen, für die Mädchen, für Emanzipation, für religiöse Mündigkeit darauf setzen, diese Dinge zu stärken, unsere Schulen zu sensibilisieren und zu stärken. Wir sollten aber keine unbotmäßigen verfassungsrechtlichen Debatten führen, die verfassungswidrig sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ihre Einlassungen, Herr Seifen, sind so was von daneben. Es ist intellektuell auch wirklich schwierig, sich das anzuhören – auch angesichts der Tatsache, in welchem Beruf Sie vorher tätig waren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Es ist eine weitere Kurzintervention der AfD angemeldet worden. Herr Seifen hat für anderthalb Minuten das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Ja, darauf freue ich mich.

Helmut Seifen (AfD): Frau Beer, ich will auf Ihre Polemik und Ihre Beschimpfungen gar nicht eingehen. Es handelt sich immer um dieselben Worte, egal bei welchem Antrag.

Zu dem, was Sie zu der Verfassungsmäßigkeit gesagt haben: Es gibt nicht nur das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, sondern auch ein von TERRES DES FEMMES eingefordertes Rechtsgutachten von Professor Dr. Martin Nettesheim, der zu einem ganz anderen Schluss kommt.

Er sagt, dass die Religionsfreiheit natürlich gewährleistet ist. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Recht des Staates auf Erziehung. Das ist übrigens in § 3 Schulgesetz festgehalten.

In § 2 steht ganz eindeutig: „Sie achtet den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Die Schule hat ein eigenes Erziehungsrecht. Wenn es zum Spannungsverhältnis kommt, ist es wichtig, dass entschieden wird.

Professor Nettesheim sagt ganz eindeutig, die Entwicklungswege von Schülerinnen müssten offengehalten werden, um „eine Reflexion über den eigenen Lebensweg zu ermöglichen und deshalb einer vorschnellen Festlegung auf bestimmte Lebensformen und Rollenmodelle entgegenzuwirken“.

Die Ausstattung solch kleiner Kinder mit Kopftüchern lässt ihnen keine Möglichkeit mehr, ihre Rolle zu überdenken und andere Entwicklungs‑ und Lebenswege zu reflektieren. Das ist von entscheidender Bedeutung. Deswegen ist es eben gerade nicht verfassungswidrig, was wir hier fordern.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Kollegin Beer hat jetzt anderthalb Minuten Redezeit.

Sigrid Beer (GRÜNE): Dieses Gutachten hat schon erhebliche Diskussionen ausgelöst, denn alleine die Tatsache, dass hier die Religionsmündigkeit an einem Alter festgemacht wird und auch Jugendlichen unter 14 Jahren Religionsmündigkeit grundsätzlich abgesprochen wird, ist schon schwierig und auch so verfassungsrechtlich nicht getragen.

Es tut mir leid, Herr Seifen: Auch das ist keine Grundlage. Ich habe eben sehr deutlich ausgeführt, dass es nicht statthaft ist, dass Druck auf Kinder ausgeübt wird, sich in gewisser Weise zu verhalten, und dass es bei der Bildung in unseren Schulen um die Erziehung zur Mündigkeit, auch zur religiösen Mündigkeit geht und zur Selbstbestimmung insgesamt. Darauf haben wir zu achten, auch in sensiblen Fällen.

Wenn der Eindruck entsteht, dass Mädchen unter Druck geraten, sich nur in einer bestimmten Weise entwickeln zu dürfen, ist genau die Intervention der Schule gefragt, das Gespräch mit den Eltern, um das zu öffnen, im Übrigen auch mithilfe von Dialogpartnern.

Aber das, was Sie hier machen, und die Einbettung zeigen: Es geht Ihnen gar nicht um die Lösung des individuellen Falls.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

Es geht Ihnen um die Zeichnung unter dem Oberbegriff „Islamisierung“ und die Vorstellung, die Sie damit erzeugen wollen. Das ist der Punkt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es geht nicht um die einzelne Schülerin, die Sie im Fokus haben, sondern es geht um dieses Gemälde: Da ist die Islamisierung. Da ist die Umvolkung. Da ist die Xenophobie, die Sie auszeichnet und die Sie hier immer wieder vortragen.

(Zurufe von der AfD)

Auf diesen Leim werden wir Ihnen nicht gehen. Da können Sie reden und reden und reden. Da ist mit uns keine gemeinsame Sache zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Markus Wagner [AfD]: Das sind Ihre Märchen, die Sie immer vortragen! – Gegenruf von Josefine Paul [GRÜNE]: Sie lassen sich von Fakten nicht irritieren! Aber das macht nichts!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin Scharrenbach in Vertretung für Minister Dr. Stamp das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landesregierung geht es um das Wohl aller Kinder. Wir wollen, dass sich jedes Kind – egal, ob Mädchen oder Junge – in unserem Land frei entfalten kann.

Dazu gehört für uns natürlich auch das Schutzbedürfnis junger Mädchen insbesondere im Kindergarten‑ und Grundschulalter im Zusammenhang mit dem Tragen eines sogenannten Kinderkopftuchs.

Daher prüfen wir derzeit verschiedene Optionen, wie wir diesem Schutzbedürfnis angemessen Rechnung tragen können. Dieser Prüfungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Gerade bei einem sensiblen Thema wie diesem gilt: Sorgfalt vor Tempo.

Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren, unterscheidet sich die Haltung der Landesregierung fundamental von der der antragstellenden Fraktion.

Während die antragstellende Fraktion das Kopftuch generell als – ich zitiere – „Symbol für die Rolle der Frau in Staat und Gesellschaft“ bezeichnet und in dieser nicht haltbaren Reduktion generelle Ressentiments transportiert und damit auch schürt – wir haben es gerade von Vorrednerinnen und Vorrednern gehört –, geht es der Landesregierung Nordrhein-Westfalen ausschließlich um das Kindeswohl und die Selbstbestimmung junger Mädchen.

Das bedeutet für uns aber im Umkehrschluss auch: Wenn sich eine Frau für das Tragen eines Kopftuchs entscheidet, haben wir das nicht nur zu akzeptieren, sondern wir haben es auch zu respektieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe eine weitere Wortmeldung aus den Reihen der AfD vorliegen. Die Abgeordnete Frau Walger-Demolsky hat das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Über die Religionsmündigkeit und die Festlegung auf ein Alter von 14 Jahren kann man sich trefflich streiten. Vielleicht ist es bei der Entwicklung der Kinder heute auch absenkbar; das ist aber ein ganz anderes Thema.

Die Schule ist ein sicherer Raum für Kinder, und die Schule ist eben nicht die Straße. Die Schule böte Kindern aus muslimischen Familien einen Ort, an dem sie einen Vergleich ziehen könnten, um wirklich im Alter der Religionsmündigkeit frei zu entscheiden.

Was passiert denn, wenn man einem kleinen Kind schon in der Kita, so wie es Frau Güler ja in ihren Interviews beschrieben hat, oder in der Grundschule ein Kinderkopftuch – so wie Sie das nennen, Frau Scharrenbach – aufsetzt?

Das ist kein Kinderkopftuch. Das ist ein Hidschab, und das Ding geht nicht nur um den Kopf, sondern auch noch um den Hals. Ich finde den Ausdruck „Kinderkopftuch“ also schon sehr verniedlichend.

(Beifall von der AfD)

Einem Kind wird damit die Möglichkeit genommen, sich die Haare zu raufen, wenn das mit der Mathematik nicht so klappt. Ich denke immer an Frau Aymaz. Immer, wenn Frau Aymaz in Wallung kommt, geht sie in ihre Haare. Das ist eine ganz normale, natürliche Reaktion vieler junger Frauen, insbesondere von Frauen mit langen Haaren.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Fake! Fake!)

– Nein, nein, Frau Aymaz. Ich beneide Sie darum, denn im Gegensatz zu Ihnen zwingt mich die gesellschaftliche Konvention, täglich eine Kopfbedeckung zu tragen. Ich kann Ihnen sagen: Das ist keine Freiwilligkeit. Das ist ein Zwang aus einer gesellschaftlichen Konvention heraus.

Wie muss das erst für ein Kind sein? Da geht es auch nicht um religiöse Erziehung und meines Erachtens auch nicht um Sexualisierung in dem Alter. Es geht um Disziplinierung, …

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Gabriele Walger-Demolsky*) (AfD): … um Konditionierung und um sonst gar nichts.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Mir liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7361 an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend – sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung nicht folgen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Die Loverboy-Methode: Sensibilisierung, Aufklärung und Prävention dringend erforderlich!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7377

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7429

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Panske das Wort.

Dietmar Panske (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, dass wir bei allen Schwerpunkten über verschiedene Bedrohungen für unsere Gesellschaft und die Sicherheit und den Schutz des einzelnen Bürgers in unserem Land immer ein wachsames Auge auf alle Bedrohungen haben.

Daher gibt es für uns in der inneren Sicherheit keine vermeintlichen Randbereiche, nur weil Fallzahlen möglicherweise auf den ersten Blick gering erscheinen mögen.

Insbesondere gibt es für uns keine vermeintlichen Randbereiche, wenn die Folgen dieser Straftaten so gravierend für die Opfer sind: Menschenhandel, massive Gewalt in sexueller, körperlicher und psychischer Form und sexuelle Ausbeutung im höchsten Maße.

Genau das sind die massiven Folgen und schlimmen Leiden für Opfer dieser sogenannten Loverboy-Methode: Für die jungen Mädchen und jungen Frauen münden vorgetäuschte Liebe und emotionales Vertrauen in der brutalsten Form der Prostitution.

Diese perfide Form des Menschenhandels findet nicht irgendwo statt – sie findet in Deutschland statt, sie findet in Nordrhein-Westfalen statt und ist auch kein Phänomen großer Städte. Wir erleben dieses Problem mittlerweile auch in den ländlichen Regionen.

Die in dem Antrag aufgeführten Fallzahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Alle Experten vermuten eine erheblich höhere Anzahl von Fällen.

Diese spezielle Form dieser Straftat mit dem Schaffen von Abhängigkeiten, von massivsten Bedrohungen, von brutaler körperliche Gewalt verhindert sehr häufig, dass die Opfer ihre Angst und zum Teil auch ihre eigene Scham überwinden können, um Hilfe bei der Polizei oder bei anderen Institutionen zu suchen. Selbst die Familie oder die engsten Freunde erscheinen für die Opfer manchmal unerreichbar.

Deshalb ist gerade in diesem Verbrechensbereich die Stärkung der Prävention so ungemein wichtig. Mädchen und junge Frauen müssen frühzeitig über die Loverboy-Methode informiert und sensibilisiert werden.

Beim Kampf gegen diese Form von Menschenhandel kommt noch eine besondere Problemlage hinzu: eine fehlende Kenntnis in der breiten Bevölkerung über dieses Phänomen und die schlimmen Folgen für die Opfer, denn auch das Umfeld ist von Bedeutung.

Egal ob Familie, Freundeskreis, Schule, Vereine oder Institutionen: Wir müssen über dieses Phänomen informieren, damit Täter, damit Taten, damit Tatversuche schneller erkannt werden können und letztlich mitgeholfen werden kann, solche Taten zu verhindern oder das Martyrium für die Opfer schnell zu beenden.

Geben wir daher diesem Problem mehr Öffentlichkeit. Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir heute hier im Landtag darüber sprechen, dass wir informieren und thematisieren.

Die Landesregierung hat sich schon auf den Weg mit ganz konkreten Maßnahmen gemacht; beispielsweise fördert sie spezialisierte Beratungsstellen.

Auch wird in Schulen auf verschiedenen Ebenen über das Thema sexuelle Gewalt gesprochen. Es wird entsprechend sensibilisiert, und es werden Hilfsangebote gemacht. In den sozialen Medien gibt es ein Erklärvideo zu diesem Phänomen.

Wir werden die Präventionsarbeit aber weiter forcieren. Die bereits vorhandene Aufklärungskampagne soll weiterentwickelt werden.

Wir werden ein Angebot für die anonyme Onlineberatung schaffen und wollen das Thema breiter, also auch bundesweit aufstellen. Die Loverboy-Methode solle daher als Tagesordnungspunkt für eine der nächsten Innenministerkonferenzen angemeldet werden.

Ziel muss es sein, eine gemeinsame bundesweite Definition der Loverboy-Methode zu erarbeiten und zu vereinbaren, damit zukünftig mit einheitlichen Parametern und Statistiken gearbeitet werden kann. Das ist die Voraussetzung für eine gemeinsame Dunkelfeldstudie von Bund und Ländern.

Meine Damen und Herren, das Verhindern von sexueller Gewalt und Missbrauch ist ein ganz wichtiger Auftrag. Seit gestern liegt auch ein Entschließungsantrag von SPD und Grünen vor. Wenn man sich inhaltlich damit auseinandersetzt, zeigt sich, dass wir überhaupt gar keinen Dissens haben.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Wer hat denn überhaupt dafür gesorgt, dass wir das heute hier besprechen?)

Auch die Forderungen in dem Entschließungsantrag finden Sie alle bereits im Antrag von CDU und FDP.

Mir ist das Thema – ich sage das ganz ehrlich – zu wichtig, als mich darüber zu streiten. Vielmehr müssen wir das Thema aufgreifen.

Lassen Sie uns gemeinsam mithelfen und handeln, damit sexuelle Ausbeutung in unserem Land aktiv weiter bekämpft werden kann. Tragen wir gemeinsam dazu bei, dass kein Mädchen, keine Jugendliche und keine jungen Frauen mehr Opfer von Gewalt werden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP spricht nun die Abgeordnete Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Titel „Loverboy-Methode“ – das habe ich heute festgestellt – zaubert doch dem einen oder anderen ein Grinsen ins Gesicht, obwohl es ein ausgesprochen ernstes Thema ist. Das kam jetzt nicht so ganz rüber, was damit gemeint ist.

Das heißt, junge Mädchen, junge Frauen, denen es meistens nicht so gut geht, die sich ungeliebt fühlen, die auch zu Hause, im Freundeskreis keinen Rückhalt haben, werden von gut aussehenden jungen Männern umschmeichelt, mit Geschenken überhäuft, hören von ewiger Liebe und werden gleichzeitig von ihrer eigenen Familie isoliert. Sie glauben an die große Liebe, ans große Glück und landen letztlich in der Prostitution. – Das verstehen wir unter der Loverboy-Methode.

Es findet natürlich im Verborgenen statt. Die Opfer schweigen aus Scham, aus Furcht. Viele Fälle kommen gar nicht erst zur Anzeige. Es ist leider davon auszugehen, dass wir hier eine sehr hohe Dunkelziffer haben.

In der sitzungsfreien Zeit habe ich mit den Gleichstellungspolitikerinnen der NRW-Koalition die Dortmunder Nordstadt besucht. Wir informierten uns über die Arbeit der Prostituiertenberatungsstelle KOBER und waren bei der Mitternachtsmission.

Hier mussten wir erfahren, dass es in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits 19 Loverboy-Opfer und 13 zusätzliche Opfer von Menschenhandel gab und sich weitere 35 minderjährige Mädchen in Beratung begeben haben. – 19 Loverboy-Opfer und 35 Gefahrenfälle allein in Dortmund. Da wird doch jedem der Handlungsbedarf bewusst.

Die NRW-Koalition aus Union und FDP hat daher gehandelt. Bereits im Juli gab es eine Anhörung im Gleichstellungsausschuss. Heute bringen wir mit unserem Antrag die von den Experten gegebenen Handlungsempfehlungen auf den Weg.

Wir müssen bei der Sensibilisierung und der Aufklärung wichtige Arbeit leisten. Unsere Jugendlichen, besonders die Mädchen im pubertierenden Alter als mögliche Opfer müssen durch entsprechende Formate über Gefahren und ihre Folgen informiert werden.

Das Gleichstellungsministerium hat in diesem Jahr mit einem Aufklärungsvideo bereits einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, ein Video, das bereits Zwölfjährige verstehen, das sich aber durchaus auch junge Frauen anschauen sollten, ein Video, das einfühlsam, ruhig und sachlich über die Gefahren dieser Loverboy-Methode informiert.

So können wir aber nicht nur die Mädchen, sondern auch die Eltern niedrigschwellig informieren. Als Mutter von drei Kindern ist es mir daher ein besonderes Anliegen, auch den betroffenen Eltern Hilfestellungen zu geben. Außerdem brauchen wir einen Leitfaden, wie sich Eltern bei einem Verdachtsfall verhalten sollten und an wen sie sich dann wenden könnten.

Zudem müssen wir weitere Schlüsselpersonen einbeziehen, seien es Lehrerinnen, Schulsozialarbeiter, Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden. Es hat mich in der Anhörung schockiert, dass ich feststellen musste, dass viele wichtige Schlüsselpersonen die Loverboy-Methode überhaupt nicht kennen und dadurch die Warnsignale nicht richtig deuten können. Das muss sich ändern, aber auch hier ist die Landesregierung aktiv geworden.

Die Loverboy-Methode ist natürlich kein Phänomen, das nur in NRW stattfindet. Daher müssen wir in diesem Bereich auch mit den anderen Bundesländern zusammenarbeiten.

Wir geben dieses Thema auch unserem Innenminister für die nächste Innenministerkonferenz mit, um dort eventuell mit einer Dunkelfeldstudie die Grundlage zu schaffen, den Maßnahmenkatalog noch weiter zu verbessern.

Zum Abschluss noch zwei Worte zum Internet: Soziale Netzwerke und Portale können zum Gefahrenraum werden, weil dort immer häufiger potenzielle Täter ihre Kontakte anbahnen.

Aber wir können das Internet auch zur Bekämpfung der Loverboy-Methode benutzen. So bietet beispielsweise das Mädchenhaus Bielefeld anonyme Onlineberatung an.

Solche niedrigschwelligen Angebote müssen wir weiter ausbauen. Wie fasst es das Mädchenhaus so treffend zusammen? – Schreiben ist lauter als Denken und leichter als Sagen.

Mit dem heutigen Antrag sagen wir noch einmal ganz laut und deutlich Nein zu Menschenhandel, Nein zu Zwangsprostitution und auch Nein zu dieser Loverboy-Methode. Das können wir mit Sensibilisierung, Aufklärung und Prävention schaffen. – Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Kopp-Herr das Wort.

Regina Kopp-Herr (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Mädchen schützen: Loverboy-Methode ‚sichtbar machen‘ und eine Präventionskette schaffen“ ist der Titel unseres Entschließungsantrags.

Was sind Loverboys, beziehungsweise was ist die Loverboy-Methode? – Auf der Internetseite des Vereins „NO loverboys“ wird es so beschrieben:

„Loverboys sind Zuhälter mit Don-Juan-Allüren, die meist selbst noch Teenager sind und minderjährige Mädchen im Alter ab elf Jahren in die Prostitution zwingen. Loverboys sprechen von der großen Liebe, machen großzügige Geschenke, schleichen sich im Freundeskreis ein, suchen sich ihre Opfer vor Schulen, in der Nähe von Jugendtreffs oder im Web.

Loverboys gehen sehr strategisch vor, achten anfangs sogar darauf, dass die Mädchen Hausaufgaben machen und nicht schwänzen, damit die Eltern möglichst lange nichts bemerken. Wer einmal in die Fänge eines Loverboys gerät, hat nur wenig Chancen, wieder von ihm loszukommen. Die Mädchen werden von ihrer Familie entfremdet, von Freunden des Loverboys vergewaltigt, zur Prostitution gezwungen und verschwinden oft spurlos.“

Soweit NO loverboys.

Wir sollten uns darüber hinaus – das ist zum Teil schon angeklungen – vor Augen halten, dass die Mädchen sich, wenn sie von einem Loverboy angesprochen werden, in der für sie herausfordernden Phase der Pubertät befinden.

Jedes Mädchen, jede junge Frau, die Opfer der Loverboy-Methode wird, ist ein Mädchen, eine junge Frau zu viel. Das darf nicht unbeachtet bleiben; hier müssen wir Öffentlichkeit herstellen.

(Beifall von der SPD)

Deshalb hatten wir als SPD-Fraktion einen schriftlichen Bericht des Ministeriums erbeten, den wir am 14. März im Ausschuss für Gleichstellung und Frauen beraten haben. Es soll an dieser Stelle anklingen, dass das Land – auch das ist angesprochen worden – seit vielen Jahren acht Beratungsstellen gegen Menschenhandel, zu der auch die Loverboy-Methode gehört, fördert.

Seit einigen Monaten – auch das ist angesprochen worden – hat das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung ein Erklärvideo für die Mädchen in die Öffentlichkeit gebracht, das uns im Ausschuss vorgestellt wurde und Anklang fand; das ist auch deutlich geworden.

Der Bericht und die Befassung mit dem Thema im Ausschuss haben sehr deutlich gezeigt, dass viele Fragen nicht beantwortet werden konnten. Da die Antworten der Landesregierung keine wirklichen Auskünfte zum Umgang mit dieser schrecklichen Methode ergaben, haben die regierungstragenden Fraktionen von CDU und FDP die Anhörung beantragt. Alle Fraktionen haben dem zugestimmt.

Freundlicherweise waren sowohl Frau Kuntzsch aus dem Ministerium als auch Frau Ministerin Scharrenbach – Sie können das nachlesen, Frau Ministerin, wenn Sie meinen, dass das Schwachsinn oder Quatsch ist, ich habe mir nämlich die Protokolle noch mal rausgesucht – der Meinung, dass eine Anhörung sinnvoll ist, da Fragen offengeblieben waren.

Die Anhörung haben wir unmittelbar vor der Sommerpause gemeinsam mit dem Innenausschuss durchgeführt mit Expertinnen aus dem LKA, dem Mädchenhaus Bielefeld, einem Vertreter einer Elterninitiative gegen Loverboys aus Düsseldorf und einer jungen Frau, die selbst Opfer eines Loverboys war, Gott sei Dank den Ausstieg geschafft und uns von ihrem Wissen hat profitieren lassen.

Auch ohne ein Protokoll der Anhörung vorliegen zu haben, war klar, dass die Präventions‑, Aufklärungs‑ und Opferschutzangebote verstärkt und in die Fläche gebracht werden müssen. Ich verweise hier auf den Forderungskatalog in unserem Entschließungsantrag, damit möglichst kein Mädchen, keine junge Frau mehr Opfer eines Loverboys wird.

Es ist mir wichtig zu betonen, dass es bei diesem Thema – das hat auch Kollege Panske gesagt – bei den demokratischen Fraktionen im Landtag keinen Dissens, sondern Konsens gibt.

Umso unverständlicher ist es für uns, dass die regierungstragenden Fraktionen noch vor der Auswertung der Anhörung in beiden Fachausschüssen in der ersten Sitzung nach der Sommerpause einen Antrag für die im Moment laufenden Plenartage gestellt haben.

(Beifall von der SPD)

Für Frau Ministerin Scharrenbach war am 12.09. die Anhörung dann nur noch grundsätzlich sinnvoll, weil das Ministerium längst an dem Thema arbeite. Nur zur Erinnerung: Wer hatte die Anhörung beantragt und warum? Deshalb ist dieses Vorgehen nicht nur ein ungewöhnliches, sondern auch ein keineswegs an parlamentarische Gepflogenheiten orientiertes Vorgehen.

(Beifall von der SPD)

Heute war bereits unter dem Tagesordnungspunkt 1 – Thema „Ruhrkonferenz“; Sie erinnern sich – von gemeinsamer Verantwortung die Rede. Diese haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und FDP, heute bei diesem Thema mit Füßen getreten.

(Beifall von der SPD)

Außerdem haben Sie sich und uns der Möglichkeit beraubt, zu diesem Thema „Loverboy-Methode“ ein starkes gemeinsames Signal in das Land Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus zu senden. Auch das haben Sie ja vor; das ist deutlich geworden.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Kopp-Herr, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Schneider würde Ihnen gerne Zwischenfrage stellen.

Regina Kopp-Herr (SPD): Bitte.

Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben jetzt aus Ihrer Sicht geschildert, dass die regierungstragenden Fraktionen eine Anhörung beantragt und sofort einen Antrag in das Plenum eingebracht hätten, ohne das Ganze lange auszuwerten. Ich habe doch vor dem Hintergrund meiner Besuche bei der Mitternachtsmission geschildert, wie die Zahlen gestiegen sind.

Halten Sie es für falsch, dass die Landesregierung hier richtig Gas gibt und versucht, die Anzahl der Opfer zu beschränken und dieser ganzen Methode endlich den Garaus zu machen, oder was stört Sie an unserem Vorgehen?

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD)

Regina Kopp-Herr (SPD): Nein, liebe Frau Kollegin Schneider, ich halte das Vorgehen der Landesregierung überhaupt nicht für falsch, weil es letztlich der Auftrag der Regierung ist, für Verbesserungen im Leben der Menschen zu sorgen. Ich halte aber das Vorgehen für falsch. Es ist deutlich geworden, dass es zwischen SPD, Grünen, CDU und FDP viele Gemeinsamkeiten gibt.

Ich habe es gerade schon gesagt und kann mich nur wiederholen – deswegen darf die Zeit jetzt auch weiterlaufen –: Sie haben diese gemeinsame Initiative nicht gewollt, Sie haben das mit Füßen getreten, und Sie haben uns und sich selbst der Möglichkeit beraubt, bezüglich des Themas „Loverboy-Methode“ ein starkes gemeinsames Signal in das Land Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus zu senden.

(Beifall von der SPD)

Das haben Sie ja auch vor; das ist deutlich geworden.

Sie wollen eine direkte Abstimmung.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Regina Kopp-Herr (SPD): Ich lade Sie herzlich ein, dem Entschließungsantrag zuzustimmen. Wir werden uns bei Ihrem Antrag enthalten, da Sie bemerkt haben, dass uns das Thema ausgesprochen wichtig ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Kopp-Herr. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine, die Gemeinsamkeiten bei diesem Thema überwiegen bei Weitem die, sagen wir einmal, protokollarischen Differenzen, die wir jetzt hier ausgetauscht haben. Nichtsdestotrotz möchte ich am Schluss darauf zurückkommen.

Wir können gemeinsam festhalten, dass Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung ein Verbrechen sind. Das aktuelle Lagebild „Menschenhandel“ des LKA weist 131 Opfer für das Jahr 2018 aus. 24 Opfer sind minderjährig, das jüngste ist laut Lagebericht des LKA gerade einmal 14 Jahre alt. Wirft man einen Blick in das auch von Ihnen zitierte Bundeslagebild, stellt man fest, es gibt sogar noch jüngere Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Und der überwiegende Teil dieser Opfer ist weiblich.

Die Opfer werden unter physischem und psychischem Druck zur Prostitution gezwungen, sie werden ihrer Freiheit beraubt, oder ihnen werden falsche Hoffnungen gemacht.

Eine besonders perfide Methode dabei ist die sogenannte Loverboy-Methode. Den Mädchen und Frauen wird die große Liebe und, wie auch im Bericht des LKA zu lesen ist, eine gemeinsame Zukunft vorgegaukelt, die ausgebaut werden soll. Dafür müssen die Mädchen und jungen Frauen quasi in Vorleistung gehen und sich prostituieren. Am Ende steht keine gemeinsame Zukunft, sondern ein ausbeuterischer, verbrecherischer Zuhälter, der das Geld nimmt und sich kein bisschen für die Mädchen und Frauen interessiert.

Leider müssen wir von einer sehr viel größeren Dunkelziffer ausgehen, weil es ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis gibt, das häufig dazu führt, dass die Mädchen und jungen Frauen sich nicht in der Lage sehen, die Taten anzuzeigen oder vor Gericht auszusagen. Oftmals sehen sie sich auch nicht in der Lage, im Einzelfall zu erkennen, was ihnen widerfährt, oder sich selber Hilfe zu holen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die jetzt schon mehrfach erwähnten acht spezialisierten Fachberatungsstellen haben.

Es ist aber genauso wichtig, dass wir unsere Bemühungen – und da sehe ich auch große Gemeinsamkeiten hier im Haus – intensivieren, dass über diese Methode noch mehr aufgeklärt wird und dass das pädagogisches Fachpersonal, das Personal bei der Polizei und der Justiz, aber auch bei den Jugendämtern noch mehr über diese Methode, über diesen Modus Operandi und über Anbahnungsformen aufklärt und dafür sensibilisiert. Es geht auch darum, dass wir diese Tatbegehungsform erkennen, dass man Mädchen und jungen Frauen hilft, indem eben diejenigen, die mit ihnen in Kontakt sind, erkennen, wenn etwas nicht stimmt.

Wir haben derzeit diese acht spezialisierten Beratungsstellen. Darüber hinaus haben wir noch viele Frauen- und Mädchenberatungsstellen – das wurde auch schon erwähnt – und ihre Arbeit im Kampf gegen Menschenhandel, aber vor allem auch bei der Unterstützung von Opfern bis hin zur Prozessbegleitung, was für diese Mädchen und jungen Frauen kein einfacher Gang ist. Diese leisten eine sehr wichtige und sehr unterstützenswerte Arbeit. Darüber sind wir uns in diesem Haus aber einig.

Wenn wir unsere Punkte, die aus den Anträgen hervorkommen, zusammenbringen, wird sehr deutlich, dass wir, wenn wir uns besser abgestimmt hätten, sicherlich zu einem gemeinsamen Antrag hätten kommen können, der dann, glaube ich, sehr gut skizzieren würde, was ein gemeinsames Gesamtkonzept einer wirksamen Strategie gegen Menschenhandel und vor allem gegen diese spezielle Methode sein könnte.

Aber – Kollegin Kopp-Herr hat darauf hingewiesen – es erstaunt auch mich einigermaßen, dass man eine Anhörung zu einem Bericht beantragt – das erstaunt mich jetzt noch nicht; das kann man natürlich machen –, dann jedoch nicht die gemeinsame Auswertung im Ausschuss abwartet, sondern einen Antrag vorlegt und den auch noch zur direkten Abstimmung stellt.

Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir uns nicht der Gelegenheit berauben, diese Thematik noch einmal weiter miteinander zu vertiefen. Diese Schleife, die wir sozusagen extra drehen würden, würde uns gar nicht viel Zeit kosten und möglicherweise in die Lage versetzen, noch einmal miteinander zu reflektieren, welche Erkenntnisse wir in der Anhörung gewonnen haben, wo sich unsere Anträge vielleicht gegenseitig ergänzen und wie wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis zum Schutz von Frauen und Mädchen vor sexueller Ausbeutung und vor Menschenhandel kommen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Wir haben im Verlauf dieser Sitzungswoche schon über verschiedene Anträge von CDU, SPD, GRÜNE und FDP in den verschiedensten Konstellationen abgestimmt. Vielen Ihrer Anträge mussten wir die Zustimmung verweigern.

Das lag daran, dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, CDU, SPD und FDP, häufig die Probleme nicht an der Wurzel packen, sondern sich in blindem Aktionismus üben, der dann teilweise in Hilflosigkeit übergeht.

Ich denke dabei nur an Ihre Idee, Pflegeleistungen vorrangig an Ausländer im Ausland zahlen zu wollen, weil hier keine Kräfte mehr vorhanden sind, um die alten Leute zu versorgen. Trotz des Millionenheers der jungen Einwanderer aus allen Herren Länder soll deutsches Geld ins Ausland fließen, um dort anspruchstellende Ausländer zu pflegen. Das ist schon krude.

Nun wollen Sie etwas gegen die sogenannten Loverboys unternehmen. Damit das klar ist – und da sind wir sicher alle einer Meinung –: Die sogenannten Loverboys sind üble Straftäter, die unsere jungen Mädchen auf den Strich schicken, um damit ihr Lotterleben und das ihrer Hintermänner zu finanzieren.

Meine Damen und Herren Kollegen, wir alle wissen, dass solche Schurken ihr Unheil in Deutschland treiben. Gesichert ist zudem, dass die Fallzahlen steigen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem vom Ministerium des Inneren vorgelegten Lagebild zum Menschenhandel und Ausbeutung in unserem Bundesland für das Jahr 2018.

Die Anhörung im Ausschuss dazu hat ergeben, dass Sie hier völlig im Dunkeln tappen. Die bislang gewonnenen Ergebnisse reichen nämlich nicht aus, um ein sicheres Bild über die Täter, deren Herkunft, ihre sozialen Milieus und vor allem ihre Hintermänner zu erhalten. Es wird also weitestgehend mit Vermutungen gearbeitet, und das offenbar seit langer Zeit. Die sogenannte Loverboy-Methode gibt es schließlich nicht erst seit gestern.

Meine Damen und Herren, Sie fordern in Ihrem Antrag, der Landtag möge feststellen, dass Menschenhandel ein großes gesamtgesellschaftliches Problem sei, das konsequent verfolgt werden muss. Jetzt mal ehrlich: Dazu bedarf es doch keines Antrags. Ein Blick ins Strafgesetzbuch hilft hier schnell weiter. Der Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 StGB ist eine Straftat mit einer Strafandrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Diesen Paragrafen gibt es – da staunen Sie jetzt – seit dem 19.02.2005.

Schon damals wurde das Problem erkannt. Trotzdem wurde es seitdem offenbar nicht wirksam bekämpft. Zuständig für die Kriminalitätsbekämpfung ist regelmäßig das Innenministerium. Meine Damen und Herren der antragstellenden Regierungsparteien, warum haben Sie nicht längst Ihren Innenminister Reul davon in Kenntnis gesetzt? Der ist doch schließlich für so etwas zuständig. Oder trauen Sie ihm das nicht mehr zu?

Weiter soll der Landtag feststellen, es gebe bei der sogenannten Loverboy-Methode ein großes Dunkelfeld, das der Aufhellung bedürfe. Meine Damen und Herren, dass Sie auch hier noch nicht längst tätig geworden sind oder ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben haben, offenbart doch die Hilflosigkeit, die Ihrem Antrag zugrunde liegt. Wenn die Landesregierung nicht von selbst auf die Idee gekommen ist, eine Dunkelfeldstudie in Auftrag zu geben, warum haben Sie Ihre Parteifreunde, die schließlich die Landesregierung bilden, nicht dazu ermutigt? Benötigen Sie eine Telefonnummer? Wir können Ihnen aushelfen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Weiterhin soll die Landesregierung aufgefordert werden, nun doch umgehend tätig zu werden. Sie soll unter anderem einen Tagesordnungspunkt für die kommende Innenministerkonferenz anmelden. Dort soll dann eine gemeinsame Definition der Loverboy-Methode geschaffen werden. Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Ich helfe Ihnen auch da gerne auf die Sprünge. Das spart Zeit. Die haben die Opfer nämlich nicht.

Loverboys sind üble Schurken, die Mädchen und jungen Frauen eine Liebesbeziehung vorgaukeln, diese anschließend auf den Strich schicken, um damit ihr Lotterleben und das ihrer Hintermänner zu finanzieren.

Meine Damen und Herren, spätestens jetzt ist doch klar: Bei Ihrem Antrag handelt es sich um einen Schaufensterantrag, mit dem Sie ein längst bekanntes Problem auf die lange Bank schieben wollen. Damit werden Sie den Opfern und deren Eltern nicht gerecht. Die wollen die harte Bestrafung der Täter und deren Hintermänner. Zudem muss eine massive Aufklärungskampagne gefahren werden, die schonungslos über die Gefahren und Abgründe der Prostitution aufklärt. Dabei kann auch gern das Prostitutionsschutzgesetz auf den Prüfstand gestellt werden. Dafür sind wir zu haben. Dabei werden wir Sie unterstützen.

Aber und gerade deshalb werden wir das zarte Pflänzchen der Hoffnung und die zaghaften Versuche, den Opfern zu helfen, die Ihren Antrag zum Teil doch ausmachen, nicht zerstören. Wir honorieren auch Ihre Bemühungen um Aufklärung. Das ist zumindest ein guter Weg. Daher werden wir uns enthalten.

Der Entschließungsantrag von SPD und Grünen ist allerdings handwerklich schlecht gemacht. Wir werden ihn ablehnen. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD – Lachen und Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE] – Gegenruf von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Röckemann. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Dem Bundeslagebild 2017 zufolge ist der strafrechtliche Anteil von Opfern, die über die Loverboy-Methode zur Prostitution gezwungen wurde, bundesweit gestiegen.

Bei über einem Viertel der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung wurde die Loverboy-Methode bei der Kontaktaufnahme angewendet – immerhin 26 % bzw. 127 Opfer von insgesamt 489 Opfern in 2017 von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Im Vergleich dazu wurde diese Vorgehensweise im Jahr 2016 – ein Jahr zuvor – bei 85, also knapp 18 %, von insgesamt 488 Opfern erfasst; das heißt: Tendenz steigend.

Das berichten mir auch die acht Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Frauen, die wir in Nordrhein-Westfalen – egal, wer die Landesregierung gestellt hat – finanziert haben. Sie unterstützen die Opfer und berichten, dass das Dunkelfeld in der Tat viel höher ist. Das wissen wir nicht nur aus diesem Bereich, sondern auch aus vielen anderen Bereichen, wenn es um Gewaltdelikte geht.

Nicht umsonst haben wir deswegen als Landesregierung Nordrhein-Westfalen eine Dunkelfeldstudie beauftragt, die seit September 60.000 Haushalten per Post zugegangen ist, um zumindest mit den Fallgestaltungen, die wir dort hinterfragt haben, mehr Licht in das Dunkel zu bekommen. Aber hier ist eben auch ein Dunkelfeld hinterlegt, wie die Abgeordneten das entsprechend dargelegt haben.

Die Tendenz bei den Beratungszahlen von Loverboy-Opfern ist also steigend.

Ich möchte auf eines hinweisen: Die Loverboy-Methode ist ein Teil von Menschenhandel, und das ist das größere Thema, das darüber steht: Menschenhandel im Besonderen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und natürlich auch der Arbeitsausbeutung, über die wir uns in anderen Zusammenhängen auch hier im Parlament schon häufiger ausgetauscht haben.

Deshalb ist es so ungeheuer wichtig, dass man diesen neuen Bereich, der sich insbesondere auch im Internet etabliert, sehr genau in den Blick nimmt und entsprechende Maßnahmen ansetzt, um deutlich zu machen, was das überhaupt ist.

Denn in der Tat kennen viele das Problem nicht. Viele merken es auch gar nicht, wenn eine entsprechende Anbahnung stattfindet. Die Frage ist, wie wir im Besonderen Kinder und Jugendliche davor schützen können, im Internet zum Opfer zu werden.

Das ist im Grunde der Gegenstand beider hier vorliegender Anträge und der Beratungen, die in den Fachausschüssen geführt wurden. Das ist richtig, weil es das große Thema „Menschenhandel“ in den Blick nimmt und entsprechend fokussiert.

Insofern haben wir neben der Förderung der Fachberatungsstellen, die wir deutlich – sechsstellig – aufgestockt haben, um dem wachsenden Thema „Menschenhandel“ in Nordrhein-Westfalen gerecht zu werden, bereits eine Öffentlichkeitskampagne gestartet, die hier mehrfach genannt worden ist.

Wir arbeiten auch an einer Öffentlichkeitskampagne zum Thema „Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung“, die 2020 starten soll, sowie an weiteren Präventionsangeboten im Zusammenhang mit der Loverboy-Methode.

Vor diesem Hintergrund ist natürlich – darauf sind Sie eingegangen – die Zusammenarbeit zwischen allen, die mit Opfern von Gewalt zu tun haben, enorm wichtig. Auch der jeweilige Ausbildungs- und Kenntnisstand ist von hoher Relevanz – im Besonderen dann, wenn sich neue Formen von Deliktsarten auftun.

Insofern sind wir für die Anträge von beiden Seiten letztendlich dankbar, weil die Initiativen, die Sie beschließen oder per Enthaltung zustimmend beschließen, wichtig sind, um dem Thema „Loverboy“ und dem übergeordneten Thema „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ Gehör zu verschaffen und die Themen deutlich in das Land Nordrhein-Westfalen und in die Bundesrepublik hineinzutragen. Denn das Internet macht vor Ländergrenzen nicht halt, weder innerhalb der Bundesrepublik noch darüber hinaus.

Insofern: Herzlichen Dank für die Anträge und Initiativen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und Christian Dahm [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens über den Antrag von CDU und FDP Drucksache 17/7377 ab.  Wie wir mehrfach gehört haben, haben die antragsstellenden Fraktionen von CDU und FDP direkte Abstimmung beantragt. Wer dem Inhalt des Antrages zustimmen möchte, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD-Fraktion. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 17/7377 angenommen worden.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, diesmal über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/7429. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU-Fraktion, FDP-Fraktion, AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Möch-te sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/7429 mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Ich rufe auf

7   Anstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im Jahr 2020 aktiv nutzen: Sozialunion forcieren und Steuergerechtigkeit herstellen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7365

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Weiß das Wort.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In etwa einem Jahr übernimmt Deutschland die EU-Rats-präsidentschaft, und ganz Europa blickt darauf.

Mit ihren Ressourcen und Kapazitäten kann und muss die Bundesrepublik das europäische Integrationsprojekt mit mutigen, ehrgeizigen Impulsen neu beleben. Alles andere wäre eine vertane Chance von kolossalem Ausmaß.

Bis zu diesem Punkt herrscht in der Debatte um die Zukunft Europas unter den demokratischen Kräften hier im Haus wohl Einigkeit – Einigkeit darüber, dass wir mehr Europa brauchen, dass wir ein besseres Europa brauchen und dass wir ein Europa brauchen, von dem Regionen und Kommunen und damit die Menschen stark profitieren.

Die deutsche Ratspräsidentschaft 2020 kann zu einem Meilenstein in der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einer europäischen Sozialunion werden, etwa indem eine europäische Arbeitslosenrückversicherung eingeführt wird, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa schützt.

Sie kann zu einem Meilenstein im Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter werden, indem zum Beispiel endlich eine neue europäische Gleichstellungsstrategie aufgesetzt wird.

(Beifall von der SPD)

Sie kann zu einem Meilenstein im Kampf für europäische Steuergerechtigkeit werden, indem digitale Unternehmen endlich verpflichtet werden, dort Steuern zu zahlen, wo sie ihre Gewinne machen.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Natürlich sind das alles ehrgeizige Ziele, deren Durchsetzung nicht nur von Deutschland, sondern auch von den dann 26 anderen EU-Staaten abhängt.

Aber wenn es ein Land schaffen kann, diese Punkte ganz oben auf die europäische Agenda zu setzen und die nötige Verwaltungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten, dann müssen das doch wohl wir sein – wir hier in Deutschland.

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung bietet im Übrigen ausreichend Basis, um alle eben genannten Meilensteine in Angriff zu nehmen. Hier an dieser Stelle ist auch die Rolle Nordrhein-Westfalens etwas näher zu beleuchten.

Wir bekommen durchaus mit, Herr Minister, dass die Landesregierung bereits begonnen hat, sich mit der deutsche Ratspräsidentschaft zu beschäftigen. Sie waren, Herr Holthoff-Pförtner – das will ich hier lobend erwähnen –, in Finnland, um dort mit dem finnischen Regierungschef und anderen Leuten ins Gespräch zu kommen.

Wir haben ebenfalls bemerkt, dass sich Nordrhein-Westfalen zur Unterstützung unserer Ratspräsidentschaft beim Bund personell und damit eben auch finanziell beteiligt, um die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen. Das ist alles richtig.

Wir stehen hier nicht nur vor einer Vielzahl von Herausforderungen, bei deren Bewältigung die Europäische Union eine zentrale Rolle spielt – denken wir beispielsweise an den Strukturwandel, die Digitalisierung der Arbeitswelt oder die Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Die Frage, die sich für uns daran anschließt, lautet: Ist das denn nun genug? – Bei der Beantwortung dieser Frage fehlt uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bei Ihrer Herangehensweise wieder einmal eines sehr deutlich – die soziale Dimension. Muss aber gerade nicht NRW daran gelegen sein, auch die soziale Dimension etwas stärker in den Blick zu nehmen?

Ich habe in der Sommerpause eine Kleine Anfrage gestellt zum Stand der Vorbereitungen der Landesregierung zur Ratspräsidentschaft. Sie haben, Herr Minister – auch das sei lobend erwähnt –, recht zügig diese Kleine Anfrage beantwortet.

Wir erfahren darin, dass die Landesregierung für ausreichend regionale Fördermittel im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen streitet. Wir erfahren, dass Wettbewerb und Klimaschutz sowie grenzüberschreitende Arbeitsmarktpolitik deutlich im Fokus stehen sollen. Das ist sicherlich gut und auch richtig.

Aber was uns fehlt und was nicht auftaucht, ist das eben erwähnte soziale Europa, die Gleichstellung der Geschlechter und eben die Steuergerechtigkeit.

Wir wollen mit diesem Antrag einen neuen Versuch starten, damit NRW endlich den Beitrag für ein besseres, für ein sozialeres Europa leistet, den es leisten kann. Wir sind sicher, dass sich die oben genannte Schwerpunktsetzung der Landesregierung und unsere Forderungen ergänzen. Es sind nämlich zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

Ich möchte ein Zitat von Ihnen, Herr Minister, von heute Morgen aufgreifen, als es um die Ruhrkonferenz ging. Da sagten Sie an unsere Adresse gerichtet: Ich würde mir wünschen, liebe SPD, dass Sie es schaffen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Das würde helfen. – Ich ersetze jetzt mal „liebe SPD“ durch „liebe CDU und FDP“ und sage: Wir würden uns auch wünschen, wenn Sie in diesem Bereich über den Tellerrand hinausschauen würden.

(Beifall von der SPD)

Denn das würde Europa und uns sehr helfen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass Sie unseren Antrag unterstützen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Krauß.

Oliver Krauß (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Weiß, Ihr vorliegender Antrag reiht sich nahtlos in Ihre SPD-Anträge des vergangenen Jahres ein, im Mai 2018 der Antrag zur Stärkung der sozialen Säule der Europäischen Union, am 15. November 2018 stand Ihr Antrag „Fit für Europas Zukunft sozialer Zusammenarbeit“ auf der Tagesordnung.

(Rüdiger Weiß [SPD]: Halten Sie nichts davon?)

Nun verpacken Sie, lieber Herr Kollege Weiß, und Ihre Kollegen Ihr altbekanntes Sammelsurium in einen Antrag zur EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland. Diese Präsidentschaft solle nun genutzt werden, um die Sozialunion zu forcieren und Steuergerechtigkeit herzustellen.

Aber die neue Verpackung ändert nichts an der Tatsache, dass Ihre wiederholt aufgestellten Forderungen obsolet sind. Die Landesregierung wird nämlich ihre Zusage einhalten, die deutsche EU-Präsident-schaft aktiv und im europapolitischen Sinne unseres Landes zu begleiten. Das haben Sie in Ihrer Rede auch schon zum Teil anerkannt. Aber Sie haben anscheinend die Antwort auf Ihre Anfrage vom September 2019 nicht komplett gelesen. Denn nur so lässt sich erklären, dass Sie hier Forderungen aufstellen, die längst erfüllt werden.

Die bisweilen schon blindwütige Argumentation in Ihrem Antrag beschädigt aus unserer Sicht sogar den Konsens in der demokratischen Mitte dieses Hauses, der sich einem Wettbewerb um möglichst geringe Löhne und Sozialleistungen entschieden entgegenstellt mit der Nulltoleranz gegenüber dem Missbrauch und gegenüber einer mangelhaften Durchsetzung bestehenden Rechts. Ihr Forderungskatalog, der mit seiner Kritiklosigkeit alle 20 Benchmarks der sozialen Säule ins Schaufenster setzt, erschließt sich noch weniger vor dem Hintergrund der Umsetzung, die im Gange ist.

Ich erinnere hier an die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, an die Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen mit den Verfahren in puncto Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Selbstständige.

Mit vergleichbarem Freimut wird hier eine Finanzierung disponiert. Zitat: Die nötigen Finanzmittel müssen im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens bereitgestellt werden.

Grundsätzlich kennen Sie doch die Unterschiede zwischen den nationalen Haushalten, den Staatshaushalten mit dem großen Ausgabenblock für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und dem Budget der EU, das an der Kompetenz und Aufgabenverteilung des europäischen Integrationsprozesses orientiert ist.

Folie für die EU sind nicht staatliche Leistungen oder Programme eines fiskalischen Föderalismus, sondern substanziell sind die Ausgaben marktbezogen, mit den Direktzahlungen für die Landwirtschaft zum Beispiel aus dem Europäischen Garantiefonds.

Die Koordinierung der Unternehmens- bzw. der Konzernbesteuerung, auf die Sie auch eingegangen sind, die internationale Mindestbesteuerung für digitale Unternehmen sind Selbstverständnis der aktuellen politischen Agenda im Sinne der Gerechtigkeit im standortpolitischen Interesse und angesichts der nun selbstredenden Notwendigkeit, die Besteuerung den digitalen Operationen anzupassen mit der Überholung des reinen Betriebsstättenprinzips aus dem Industriezeitalter, aber im Interesse des internationalen Ausgleichs, der den Steuerimperialismus unterbindet.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist der Fahrplan über OECD und G20 richtig. Die Priorisierung von Steuergerechtigkeit im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft ist aktenkundig. Insofern ist für uns der Aufhänger des vorliegenden Antrags eher konstruiert.

Die Landesregierung informiert über die Anbahnung der deutschen Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli 2020, und die elementaren Interessen liegen auf dem Tisch. Den mehrjährigen Finanzrahmen wollen wir in unserem konkreten Interesse verhandelt wissen für die Programme zur regionalen Entwicklung, für uns Unternehmen, für den Strukturwandel und im Dienste des Klimaschutzes, aber auch im Dienst zukunftsfester Arbeitsplätze im Schlagschatten des Ausstiegs aus Kernenergie und Kohleverstromung. Es sind jetzt 250.000 Arbeitsplätze in den energieintensiven Industrien, um die es geht.

Im Fokus stehen für uns die grenzüberschreitende Arbeitsmarktpolitik und ebenso die Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Gemeinschaft mit unseren Nachbarn.

Wir wollen weiterkommen bei der Kooperation von Polizei und Justiz. Das sind zutage tretende Verhandlungslinien Nordrhein-Westfalens. Das sind konkrete Schritte zur sozialen Konvergenz. Die Ressortabstimmung läuft im Kollegium der Bundesländer, und unter dem Vorsitz unseres Bundeslandes sind in der Europaministerkonferenz bereits entscheidende Weichen gestellt worden.

Auch vor dem Hintergrund der Sozialdimension, die Sie betont haben, ist Ihr heutiger Antrag aus unserer Sicht daher überflüssig. Wir werden ihn ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich rede jetzt zwar nach Oliver Krauß, möchte aber mit Karl Kraus beginnen; denn beim Studium des SPD-Antrages fiel mir ein Satz von Karl Kraus ein, der meines Erachtens passt: Es genügt nicht, keinen neuen Gedanken zu haben; man muss ihn auch ausdrücken können.

Das ist Ihnen bei diesem Antrag in der Tat gelungen, indem Sie Copy-and-paste angewandt haben. Der SPD-Antrag enthält größtenteils die gleichen Textpassagen wie die Kleine Anfrage vom 8. August, auf die Sie sich auch bezogen haben, zu der aber auch eine deutliche Antwort der Landesregierung vorliegt.

Die aktive Begleitung der EU-Ratspräsidentschaft durch die Bundesrepublik wird aktiv angegangen. Hinsichtlich der vorgeworfenen Untätigkeit ist dieser Antrag also hinfällig. Sie werfen sich damit hinter den Zug.

Ferner ist es sicherlich nicht Aufgabe der Landesregierung, die Harmonisierung der Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten voranzutreiben.

(Beifall von Sven Werner Tritschler [AfD])

Da fordern Sie uns zwar auf, über den Tellerrand zu schauen. Sie selber kommen aber nicht aus Ihrer linken Suppenschüssel heraus.

Wir wollen ein vereintes, aber kein vereinheitlichtes Europa. Eine Vereinheitlichung ist auch angesichts der unterschiedlichen Systeme der sozialen Absicherung, die wir in Europa vorfinden, auch gar nicht sinnvoll. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist und bleibt zu Recht Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Nur da können die Probleme nah an den Menschen gelöst werden.

Wichtig ist meines Erachtens die Unterstützung für einige wichtige Forderungen der Europäischen Säule sozialer Rechte: das Recht auf Bildung, die Unterstützung bei der Rückkehr in Beschäftigung, aber auch die Förderung von Unternehmertum, Selbständigkeit und innovativen Arbeitsformen.

Die europäische Arbeitslosenversicherung lehnen die Freien Demokraten ab. Das wird Sie sicherlich nicht wundern. Diese Bereiche liegen unseres Erachtens in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten; denn alles andere wäre ein großer und aus meiner Sicht desaströser Schritt zur Transferunion. Die Fonds könnten dazu führen, dass die Bundesrepublik Staaten mit einem weniger flexiblen Arbeitsmarkt in Milliardenhöhe bezuschusst; und dann gibt es nur noch wenig Druck für notwendige Strukturreformen.

Beim Thema „Steuern“ sind wir uns sicherlich in einigen Aspekten einig. Es kann nicht sein, dass einzelnen Digitalunternehmen Steuervorteile gewährt werden, die anderen Unternehmen in einer vergleichbaren Situation nicht gewährt werden. Die alte und höchstwahrscheinlich auch neue liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager setzte sich bereits in der Vergangenheit sehr deutlich für einen transparenten und fairen Steuerwettbewerb in Europa ein und wird das sicherlich in Zukunft auch an herausgehobener Stelle in der Kommission fortsetzen. Da bin ich zuversichtlich.

Ihr Antrag bietet also inhaltlich kaum den Wind, der die Segel strafft. Deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und mich in der politischen Gemengelage auf der richtigen Seite positionieren, wie wir das in der Vergangenheit zur Sache auch schon einmal getan haben.

Grundsätzlich sind die Forderungen, die die SPD-Fraktion in diesem Antrag aufstellt, richtig; gar keine Frage.

Ich frage mich aber, ob die Orientierung an der deutschen Ratspräsidentschaft die richtige Aufhängung ist. Da darf man in der Tat nachfragen. Insofern muss man meines Erachtens die Sachverhalte noch einmal darlegen.

Mitte nächsten Jahres wird Deutschland – und damit sind viele Hoffnungen verbunden – die Ratspräsidentschaft übernehmen. Was aber vielleicht noch wichtiger, öffentlich aber nicht so bekannt ist: Deutschland wird darüber hinaus mit Portugal und Slowenien die sogenannte Trio-Präsidentschaft übernehmen. Das heißt, dass sich diese Länder bis 2021 darauf verständigen müssen, welches Programm in dieser Zeit vom Rat vertreten wird. Da macht es in der Tat Sinn, auch über mittel- und langfristige Projekte miteinander zu diskutieren.

Wir sollten aber realistisch sein, auch wenn ich mir in vielen anderen Bereichen wie auch in der Sozialpolitik durchaus Visionäres vorstellen kann. Das, was Sie in diesem Punkt in Sachen Sozialcharta fordern, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als den Vertrag von Lissabon neu zu diskutieren; denn der Vertrag von Lissabon regelt diese Dinge abschließend. Das kann man wollen. Wir würden es auch unterstützen. Ich vermute allerdings, dass wir in dieser Legislaturperiode eine Neuverhandlung des Vertrags von Lissabon nicht erreichen werden.

Deshalb macht es Sinn, genauer hinzuschauen, was denn aus der Säule der Europäischen Sozialagenda gegebenenfalls in dieser Förderperiode bzw. in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann.

In der Tat meine ich, dass das von Ihnen genannte Projekt das richtige und prioritäre ist – nämlich die Umsetzung der Rahmenrichtlinie für faire Mindestlöhne im Sinne einer europaweiten Angleichung. Hier gibt es die größten Diskrepanzen. Wir liegen zwischen etwas mehr als 1 Euro in Rumänien und 12 Euro in Luxemburg. Das bedarf tatsächlich der Harmonisierung. Hier auch bei der deutschen Ratspräsidentschaft eine gewisse Priorität zu sehen, finde ich wichtig.

Darüber hinaus sollten wir aber auch die jeweiligen konzentrischen Kreise beschreiben. Eine Ratspräsidentschaft – zumal eine, die sich dann auch noch auf längere Zeit mit anderen Ländern zusammen erstreckt – wird vor allen Dingen auch aktuell anstehende Fragen behandeln müssen, zum Beispiel die Frage des Umgangs mit dem Brexit, die Frage, wie ein neuer Haushalt aufgestellt wird, die Frage, wie die europäische Finanzpolitik fortentwickelt, und aktuell die Frage, wie mit dem Mercosur-Abkommen umzugehen ist.

Es müssen natürlich auch die Fragen in Bezug auf die nächsten Förderperiode nicht nur der EFRE-Förderung und nicht nur der Sozialförderung, sondern auch des größten Teils des europäischen Haushalts, der Agrarförderung, beantwortet werden. Das steht an und muss ein Stück vorangetrieben werden, um hier Klarheit – auch für nordrhein-westfälische Bäuerinnen und Bauern – zu schaffen.

Es wird also Prio 1 sein, wenn ich das einmal so beschreiben darf, diese Dinge voranzubringen.

Im weiteren Spektrum folgt dann auch die Sozialpolitik. Hier würde ich angesichts der Herausforderungen, die auch von der designierten Kommissionspräsidentin benannt worden sind, gerade die Bereiche Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht vernachlässigen wollen. Da sollten wir Akzente durch eine deutsche Ratspräsidentschaft einfordern; denn an dieser Stelle werden aus meiner Sicht sowohl französische Vorschläge als auch die deutsche Ratspräsidentschaft und dann auch noch Frau von der Leyen als Kommissionspräsidentin Wirkungsvolles bewerkstelligen und bisher bestehende Blockaden möglicherweise beseitigen können.

In diesem Sinne werden wir uns zu Ihrem Antrag enthalten. Ihr Anliegen wird grundsätzlich unterstützt; aber die Aufhängung passt nicht so ganz. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den ganzen Sommer über haben wir alle uns – zumindest ich mich – darauf gefreut. Da ist er also, der neueste europapolitische Wurf der SPD-Fraktion.

Wenn es den einen oder anderen Nicht-Europapolitiker hier im Haus gerade etwas gewundert hat oder gleich vielleicht noch wundern wird, dass er das alles schon mal irgendwie irgendwo gehört hat, kann ich das Rätsel lösen: Die SPD hat das alles schon mindestens dreimal beantragt und nutzt jetzt die kommende deutsche Ratspräsidentschaft für Antragsrecycling. Die Kollegen Krauß und Nückel haben das auch gerade schon erwähnt.

Natürlich will ich mich da meiner traditionellen Rolle nicht entziehen und mache, was ich immer mache: Ich sage Ihnen, dass das Quatsch ist.

Also: Was haben wir da? Die SPD möchte die deutsche Ratspräsidentschaft aktiv nutzen und die sogenannte europäische Sozialpolitik voranbringen.

Erst mal grundsätzlich, liebe Genossen: Zunächst zuständig für die EU ist der Bund. Und da regieren Sie immer noch mit. Sogar noch besser: Sie stellen den zuständigen Minister. Wenden Sie sich doch an Herrn Maas, wenn Sie so ein Anliegen haben, und behelligen Sie nicht die Landesregierung damit. Der eine oder andere wäre vielleicht tatsächlich lieber im Bundestag. Da sind ja die Büros und auch die Gehälter größer. Aber wir sind nun mal im Landtag. Daher sollten Sie vielleicht auch mal ein bisschen Landespolitik machen.

Was fordern Sie jetzt im Antrag? Sie wollen eine soziale Säule der EU. Das hört sich schön an, ist aber für die Betroffenen in Deutschland das genaue Gegenteil davon.

Nehmen wir mal das Beispiel Rumänien. Dort regieren Ihre sozialdemokratischen Freunde. Da erhält eine Familie mit drei Kindern eine Grundsicherung von gut 150 Euro. Das liegt zwar am unteren Ende der Fahnenstange innerhalb der EU, ist aber keine Ausnahme. Der deutsche Sozialstaat ist – das wissen wir – wesentlich spendabler. Übertroffen wird er in der Regel nur noch von den Ländern in Skandinavien und von unseren Nachbarn in Benelux.

Wie es immer so ist, bedeutet Harmonisierung eben: treffen in der Mitte. Europa wird sich sicher nicht auf dem Niveau des schwedischen Wohlfahrtsstaates treffen. Mit anderen Worten: Die deutschen Sozialdemokraten fordern den Sozialabbau in Deutschland.

Herr Remmel schließt sich an. Er fordert auch noch einheitliche Mindestlöhne. Wenn man Ihnen das bisher vorgehalten hat, haben Sie immer gesagt: Nein, nein, nein; wir wollen nichts vereinheitlichen, sondern nur Mindeststandards schaffen. – Aber davon ist in diesem Antrag plötzlich gar nicht mehr die Rede. Wörtlich heißt es darin:

„Das Schutzniveau von Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherungssystemen müssen sich mittel- bis langfristig in den EU-Staaten angleichen können.“

Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur ein Verrat an der deutschen Sprache, sondern auch noch ein Verrat am deutschen Sozialstaat. Sie fordern einen Kahlschlag im deutschen Sozialsystem, meine Damen und Herren.

Das ist aber nicht nur nicht im Interesse der ökonomisch starken Nationen, sondern auch nicht im Interesse der ökonomisch schwächeren Nationen; denn Rumänien kann sich zum Beispiel einen Wohlfahrtsstaat auf dem skandinavischen Niveau gar nicht leisten.

Aber zumindest daran haben Sie gedacht. Sie fordern auch gleich noch die Einführung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung. Auch das hört sich irgendwie erst mal nett an, ist aber ein Etikettenschwindel. Normale Menschen verstehen unter einer Rückversicherung ein Unternehmen, das andere Versicherer gegen größere und natürlich unvorhersehbare, noch nicht eingetretene Scha-densereignisse absichert. Sie wollen aber etwas ganz anderes. Sie wollen einen großen Umverteilungsfonds, der finanzkräftigen Arbeitslosenversicherungen Geld entzieht und es in Staaten mit hoher Arbeitslosigkeit verschiebt.

Damit alle wissen, wovon wir hier sprechen: Deutschland hat derzeit eine Arbeitslosenquote von etwa 3 %. Der EU-Schnitt liegt bei 6,3 %. Die Spitzenreiter in der EU liegen im zweistelligen Bereich.

Im Klartext heißt das, meine Damen und Herren von der SPD: Sie wollen das Beitragsgeld unserer Arbeitnehmer in andere Staaten transferieren.

Das ist hochgradig asozial, meine Damen und Herren. So wird das auch nichts mehr mit der Volkspartei, liebe SPD.

Wir jedenfalls lehnen den Antrag ab.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tritschler. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner*), Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung bereitet sich seit Langem und kontinuierlich auf die deutsche Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 vor.

Bereits im März hat die Europaministerkonferenz unter dem Vorsitz von Nordrhein-Westfalen einen Beschluss für die Ministerpräsidentenkonferenz erarbeitet, in dem die Länder ihre Einbeziehung in die Vorbereitungen der Ratspräsidentschaft eingefordert haben. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben die Europaministerkonferenz beauftragt, den Beitrag der Länder zur deutschen Ratspräsidentschaft zu koordinieren.

Wir als Länder werden uns bei der Ratspräsidentschaft in drei Bereichen einbringen:

Erstens. Wir erwarten von der Bundesregierung, bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Präsidentschaftsprogramms eingebunden zu werden. Dazu beschließen wir auf der nächsten Sitzung der Europaministerkonferenz in der kommenden Woche unter dem Vorsitz von Rheinland-Pfalz inhaltliche Anliegen an die Bundesregierung. Dieser Beschluss ist schon unter dem Vorsitz NRWs initiiert worden.

Zweitens. Die Ratspräsidentschaft findet nicht nur in Berlin statt. Wir haben uns deswegen frühzeitig dafür eingesetzt, dass informelle Räte in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Das Bundeskabinett soll noch in dieser Woche den Zeitplan und die Orte für die informellen Räte beschließen.

Die Landesregierung hat frühzeitig Kontakt zur Bundesregierung aufgenommen und sich für eine angemessene Zahl von Räten in NRW eingesetzt. Im Ergebnis zeichnen sich ein sehr erfreuliches Ergebnis und eine große Berücksichtigung von Nordrhein-Westfalen ab. Mit den jeweiligen Bundesressorts steht die Landesregierung bereits in Kontakt für die weiteren Vorbereitungen.

Drittens. Wir sind bereit, den Bund durch die Abordnung von Personal zu unterstützen, und haben dazu bereits mehrere Landesbeamtinnen und Landesbeamte an den Bund abgeordnet, und zwar an die Ständige Vertretung in Brüssel, an das Bundeskanzleramt und auch an das Bundeswirtschaftsministerium, also an die Schlüsselstellen der Ratspräsidentschaft.

Wir sehen: Die Landesregierung ist auf vielen Ebenen aktiv, um sich der politischen Bedeutung entsprechend in die deutsche Ratspräsidentschaft einzubringen.

Was das Thema „Steuergerechtigkeit“ angeht, unterstützen wir die Maßnahmen der Bundesregierung zur Steuerharmonisierung und zur Angleichung von Steuersätzen im Grundsatz ebenso wie eine gerechte Besteuerung digitaler Umsätze von Unternehmen. Ein Eintreten für Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist für die Landesregierung eine Selbstverständlichkeit. Es bedarf dazu keiner Aufforderungen.

Die Gestaltung der Sozialpolitik und der sozialen Sicherungssysteme liegt in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Es ist nicht Ziel der Landesregierung, die Harmonisierung der Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten voranzutreiben. Wir werden aber weiterhin Initiativen der Kommission zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte im Rahmen unserer Zuständigkeiten und rechtlichen Möglichkeiten konstruktiv begleiten.

In diesem Sinne wird die Landesregierung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 weiter aktiv begleiten, und Nordrhein-Westfalen wird mit großer Entschlossenheit unsere Interessen vertreten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7. Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/7365 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion, die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Neppe. Wer enthält sich? – Wie angekündigt, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/7365 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

8   Für eine nachhaltige EU-Handelspolitik – EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen stoppen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7370

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Remmel hat das Wort.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch bei diesem Antrag der Grünen könnte ich es mir – so wie eben bei dem SPD-Antrag – einfach machen und auf die aktuelle Meldung von heute verweisen: „Österreich will umstrittenes Freihandelsabkommen stoppen“. In Österreich ist es etwas anders als in Frankreich, Luxemburg und Irland, wo es bisher nur Regierungserklärungen dazu gab. In Österreich hat bereits der zuständige Parlamentsausschuss die Regierung aufgefordert, diesem Handelsabkommen nicht zuzustimmen.

Damit ist von der Sache her eigentlich alles geklärt. Denn in Europa gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Wenn ein Land dem Vertrag über das Handelsabkommen nicht zustimmt, dann wird es nicht geschlossen. Insofern könnten wir jetzt die Bücher zuklappen und sagen: Okay; die Diskussion und die Zeit können wir uns sparen.

Ich möchte aber an dieser Stelle ein altes Sepp-Herberger-Zitat bemühen: Nach dem Abkommen ist vor dem Abkommen. – Die Diskussion über die Ausgestaltung von Handelsabkommen werden wir also weiterhin führen müssen.

(Henning Höne [FDP]: Ihr wollte doch gar keinen Freihandel!)

Ich halte es auch für notwendig, sie zielgerichtet mit klaren Orientierungen zu führen, weil insbesondere Deutschland und Nordrhein-Westfalen, wie ich gleich aufzeigen werde, von diesem Abkommen auch erheblich betroffen wären.

Zunächst möchte ich aber auf die Bundeskanzlerin zu sprechen kommen, die zum Thema „Klimaschutz“ erklärt hat, es komme jetzt darauf an, dass nicht mehr Pillepalle gespielt werde. – Da hat sie völlig recht.

Aber gleichzeitig wird von der Bundesregierung und insbesondere von der Bundeskanzlerin ein Handelsabkommen forciert, das das Thema „Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ sozusagen in den Annex schiebt, ohne dass es eine gewisse Verbindlichkeit bekommt, während die Öffentlichkeit in Deutschland und Europa mit den schrecklichen Bildern der brennenden Regenwälder im Amazonas, die wir derzeit im Fernsehen sehen müssen, konfrontiert wird und zu Recht auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht wird.

Das macht klar, dass Handelsabkommen dieser Art – Mercosur – und Klimapolitik zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Denn in der Tat kann man bei den weltweiten Verflechtungen und den Handelsbeziehungen Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht ausklammern. Vielmehr müssen diese im Zentrum internationaler Handelspolitik stehen.

Ich möchte die bestehenden Verflechtungen einmal in Zahlen deutlich machen. Nordrhein-Westfalen pflegt mit Brasilien Handelsbeziehungen in einem Volumen von ungefähr 3,4 Milliarden Euro. Das entspricht nach dem Königsteiner Schlüssel gut 20 % des gesamten Handelsvolumens zwischen Brasilien und Deutschland von 16,8 Milliarden Euro. Es ist auch paritätisch aufgeteilt: Auf den Import entfallen 1,7 Milliarden Euro, auf den Export ebenfalls 1,7 Milliarden Euro.

Das ist keine ganz große Handelsbeziehung, wie wir sie mit unseren wichtigsten Handelspartnern haben.

Wenn wir uns aber die konkreten Importe und Exporte im Rahmen der Handelsbeziehung zwischen Brasilien und Nordrhein-Westfalen anschauen, kommen wir zu der Konstellation, die im Rahmen der Diskussionen um das Handelsabkommen eine zentrale Rolle gespielt hat: Wir importieren Rohstoffe und exportieren hochentwickelte industrielle Produkte. Das kann man nachvollziehen. Wir importieren Erze, Nahrungs- und Futtermittel, Metalle und Lederwaren, also Rohstoffe im weitesten Sinne. Diese verbergen sich hinter den Importen von 1,7 Milliarden Euro. Dafür exportieren wir chemische Erzeugnisse, Maschinen, pharmazeutische Erzeugnisse, Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile. Diese verbergen sich hinter den Exporten von ebenfalls 1,7 Milliarden Euro.

Die Gleichung „hochwertige industrielle Produkte gegen Rohstoffe“ wird in unserer Handelsbeziehung mit Brasilien also noch einmal deutlich. Ich finde, dass wir hier keinen Handel auf gleicher Augenhöhe betreiben. Handelsabkommen sollten aber den Handel auf gleicher Augenhöhe beinhalten.

Im Übrigen ist diese Form von Handelsabkommen auch dazu geeignet, weitere Frevel an der Umwelt zu begehen – nämlich Rodungen im Amazonasgebiet –, um weitere Produkte für den Weltmarkt – insbesondere Soja – anbauen zu können oder noch stärker in die Fleischproduktion einzusteigen.

Die konkreten Zahlen des Abkommens machen ja auch deutlich, dass da die Schwerpunkte liegen. Auf der einen Seite sollen die Zölle für Rindfleisch gesenkt und die Mengen der erlaubten Importe angehoben und umgekehrt auf der anderen Seite die Absatzmärkte für deutsche und europäische Automobile in Südamerika gesteigert werden. Das ist ein Zusammenhang, der zumindest in den Bereichen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes zu weiteren Verschärfungen der Situation führen wird und die Probleme nicht behebt.

So argumentierten auch der Deutsche Bauernverband und der Rheinische Landwirtschafts-Verband jüngst in einer Aufforderung an die Bundeslandwirtschaftsministerin.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Zeit, Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Im Übrigen argumentiert auch Gerd Müller als Bundesentwicklungsminister so.

Ich meine, es wäre an der Zeit und angemessen, dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere eigenen Vorstellungen formulieren – auch im Dialog mit den in NRW Betroffenen, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Chemie- und Stahlindustrie, indem wir sie an einen Tisch holen und miteinander über diese Kriterien diskutieren.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sinn und Zweck des heutigen Antrags ist, die Landesregierung aufzufordern, genau in diese Richtung zu gehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Die gleiche Großzügigkeit wie bei Herrn Kollegen Remmel werden wir bei allen folgenden Rednerinnen und Rednern natürlich auch walten lassen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ich musste das ja am Anfang noch erklären!)

– Genau. Deshalb waren wir im Präsidium ja auch der Auffassung, dass wir Ihnen etwas mehr Zeit lassen.

Herr Dr. Bergmann für die CDU-Fraktion ist der Nächste, der dann auch mehr Redezeit erhält.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Ich bin extra schon schneller ans Redepult gekommen, damit ich die Zeit wieder einholen kann. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Von Herrn Remmel ist gerade vieles gesagt worden, bei dem ich nur halb nicken kann.

Wenn Sie den Antrag zurückziehen wollten, weil er sich aus Ihrer Sicht heute Morgen erübrigt hat, hätten Sie das ja machen können. Das haben Sie aber nicht getan.

Stattdessen liegt uns ein Antrag vor, den ich schlicht für einen typischen Antrag aus der Ersten Welt halte. Es ist ein Antrag der Ersten Welt gegenüber Schwellenländern, die auch ein Recht haben, sich zu entwickeln und Wohlstand zu entwickeln – so, wie wir das hier in unserem Land und auf unserem Kontinent auch getan haben. Es ist typisch europäische Denke, die mich in Ansätzen sogar an Kolonialmachtzeiten erinnert.

Wenn hier nur über Klima und nur über Brasilien gesprochen wird, dann hat man Mercosur und Cono Sur nicht verstanden, und man hat vor allem nicht verstanden, dass es schon viele Strukturen gibt.

Deswegen ist auch der Vergleich, den Sie vorhin gezogen haben, Herr Remmel, überhaupt nicht richtig. Natürlich exportieren wir viele Produkte in diese Länder, um diese Länder auf Augenhöhe zu bringen. Wo ist VW denn am größten? Wo ist Mercedes-Benz – in Argentinien – am größten? Es gibt keine Stadt in Deutschland, in der so viele Menschen in deutschen Firmen arbeiten wie in São Paulo in Brasilien.

Wie will ich denn erreichen, dass diese Menschen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie sowie in der Automobilzulieferung und ‑herstellung – also Supplier und OEM; die sind alle mit drin – auf Augenhöhe kommen? Indem ich ordentlich mit diesen Ländern umgehe – nicht, indem ich sie abschotte und mich nicht um sie kümmere, sondern indem ich mit ihnen Handelspolitik betreibe, damit sie sich so entwickeln können, wie wir auch das Glück hatten, uns entwickeln zu können.

Deswegen sind der Geist des Vertrages, der jetzt von Österreich und anderen kritisiert wurde und in Teilen sicher auch kritisiert werden muss – wir arbeiten seit 2002 an diesem Vertrag; er ist ja nicht letzte Woche begonnen und vorgestern abgenickt worden –, die Freiräume für die Unterzeichnerstaaten. Das ist das Entscheidende daran.

Ich gehe gerne auf die Punkte ein, die Sie genannt haben. Wo haben wir denn bis dato ein Packende? Wo haben wir denn als Europäer in den von Ihnen auch beschriebenen Bereichen die Möglichkeit, einzugreifen? Nirgends! Sie können sich noch 23 Mal hierhin stellen und sagen, Herr Bolsonaro sei ein böser Junge, weil er den Regenwald abbrenne. Damit haben Sie sogar recht. Aber genau daran wird deutlich, welche Konsequenz diese Aussage hat – nämlich gar keine.

Durch diese Abkommen hätten wir die entsprechende Möglichkeit. Denn diese Abkommen öffnen Türen – unter anderem, was die Landwirtschaftsstandards anbetrifft. Dabei haben Sie als Grüne gar nicht erwähnt, dass die großen Herden alle frei laufen. Sie sind überhaupt nicht eingestallt. Das wäre doch eigentlich für die Grünen ein interessanter Aspekt. In Südamerika – fahren Sie nach Patagonien – sehen Sie so viele Rindviecher, wie Sie nicht einmal in Russland finden.

Die Nachhaltigkeit bei der Arbeit, die ILO-Abkommen und die Standards, die dort eingehalten werden sollen, werden von Ihnen mit keinem Wort erwähnt, weil Sie nur auf Nachhaltigkeit und Klima schauen. Dabei ist das eine ganz wichtige Sache. Übrigens haben Sie diesen Punkt in der letzten Legislaturperiode immer erwähnt und gesagt, wie wichtig das in Bezug auf Kinderarbeit etc. sei. Aber jetzt kommt von Ihnen überhaupt kein Wort dazu.

Wenn wir nicht den Einstieg in eine Handelspolitik auf Augenhöhe bekommen, werden wir es nicht schaffen, mit diesen Leuten ordentlich umzugehen.

Ebenfalls haben Sie verheimlicht bzw. nur in einem Nebensatz erwähnt, dass die Kontingentierung der Produkte aus Südamerika in vielen Bereichen hier weiterhin einen Schutz für die Landwirtschaft gewährleistet. Mit anderen Freihandelsabkommen wie zum Beispiel mit Japan war eine erhebliche Erweiterung der landwirtschaftlichen Potenziale verbunden. Das ist also ausgesprochen positiv. Insofern darf man nicht nur auf eine Seite schauen.

Die Beilegung von Streit – das war ja bei TTIP eine ganz große Diskussion – soll durch unabhängige Panels, die transparent arbeiten, gewährleistet werden. Auch das ist enthalten.

Das Pariser Abkommen gewährleistet auch die Rechte von indigenen Völkern – etwas, wozu die Grünen hier heute kein Wort sagen.

Österreich hat jetzt seine Ablehnung erklärt. Zwischen 2020 und 2021 werden sich wahrscheinlich alle anderen Länder auch irgendwie positioniert haben. Es findet ja noch die Rechtsprüfung statt. Möglicherweise bekommen wir noch ein Update, bei dem diese Punkte mit einbaugebaut werden.

Jetzt stellen Sie anhand eines einzigen Teils – wegen Herrn Bolsonaro oder wegen dem, was derzeit in Brasilien passiert – ein gesamtes Abkommen mit vier Ländern infrage. Drei von ihnen haben Sie ja gerade gar nicht erwähnt, nämlich Argentinien, Uruguay und Paraguay. Fahren Sie doch einmal in diese Länder. Wir müssen es hinbekommen, dass die Menschen dort auf Augenhöhe kommen, und es ihnen überhaupt ermöglichen, Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Fokus zu rücken. Das sind alles Dinge, die wir über Handelspolitik erreichen können, die Sie nur gerade überhaupt nicht interessieren.

Den Antrag, den Sie geschrieben haben, ist – das kann ich mir nicht verkneifen – in Teilen witzig. Sie benutzen darin den Begriff „entwaldungsfreie Lieferketten“. So etwas gibt es gar nicht. Aber Ihr ideologisches Herz ist davon so voll, dass Ihnen dann auch einmal der Mund überläuft. „Entwaldungsfreie Lieferketten“ finde ich wunderbar. Das ist genauso abstrus, wie Sie in Ihrem Antrag auf einmal den indonesischen Regenwald nach Südamerika verlegen. Da muss ich wirklich sagen: Entlarvender geht es gar nicht mehr.

Sie sprechen nur vom Amazonas. Als jemand, der selber schon einmal in diesem Bereich gelebt hat, finde ich es unerträglich, dass Sie in Ihrem Antrag den luso-brasilianischen Teil dermaßen überinterpretieren und dabei den alten La-Plata-Teil, den Cono Sur, völlig vergessen. Das ist unverschämt gegenüber Paraguay, Uruguay und Argentinien.

Aber wir stimmen natürlich gerne der Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Grundsätzlich verstehe ich, warum wir den Freihandel mit den südamerikanischen Staaten forcieren sollten. In Zeiten von US-amerikanischem Protektionismus sind verlässliche Handelspartner wichtiger denn je, und ein Abbau von Zöllen und dadurch steigender Handel kann ja auch – wenn die soziale Frage mitgedacht wird – den Wohlstand der gesamten Gesellschaft fördern.

Dennoch bleiben bei mir ähnliche Vorbehalte, wie sie auch im Antrag der Grünen zu finden sind. Die südamerikanischen Staaten haben durch die Marktöffnung einen noch größeren Anreiz, Soja und Fleisch auf Kosten der Umwelt zu produzieren. Das Nachhaltigkeitskapitel ist ohne Sanktionen bei Verstößen zwar nett gemeint, aber in letzter Konsequenz schlecht gemacht.

Nicht zuletzt kritisieren die europäischen Bauernverbände die unterschiedliche Handhabung zum Beispiel beim Einsatz von Antibiotika. Dass Deutschland durch dieses Abkommen seinen ungesunden Handelsbilanzüberschuss steigert, ist dabei nur das i-Tüpfelchen.

Neben den Folgen für die Umwelt sollten wir allerdings auch die sozialen Aspekte des Abkommens nicht aus den Augen verlieren. Wie bereits gesagt kann der Welthandel den Wohlstand aller erhöhen. Das funktioniert allerdings nicht, wenn nur die großen Unternehmen vom Welthandel profitieren, weil sie in Deutschland mithilfe von Kurz- und Leiharbeit niedrige Löhne zahlen und so ihre Exporte erhöhen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Derselbe Kritikpunkt trifft natürlich auch auf Südamerika zu, wo die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen durch dieses Abkommen sicherlich nicht besser werden.

Für uns wäre es zudem wichtig, wenn in einem solchen Abkommen auch die Regeln und Normen der Internationalen Arbeitsorganisation umgesetzt werden. Zum hundertjährigen Bestehen der Organisation wäre das doch ein großartiges Geschenk für alle Beteiligten.

(Beifall von der SPD)

Faire Arbeitsbedingungen und Welthandel müssen zusammengedacht werden. Das heißt unterm Strich: Der Vertrag muss deutlich fairer und nachhaltiger sein. Ein Abkommen, dessen Ziel nur die Liberalisierung der Landwirtschaft und den Abbau von europäischen Zöllen auf europäische Güter beinhaltet, kann diesen beiden Punkten nicht gerecht werden.

Auch die Regenwaldbrände der letzten Wochen sollten allen gezeigt haben, dass eine Politik der Freiwilligkeit und ein Abkommen ohne Sanktionen ein Brandbeschleuniger in den Händen des brasilianischen Präsidenten sein wird.

(Beifall von der SPD)

Mit stoischer Ruhe beobachten das anscheinend die bundespolitischen Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, die in den aktuellen Entwicklungen und dem Verhalten des brasilianischen Kollegen keinen Grund zu Nachverhandlungen sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Landesregierung solche Folgen tatsächlich wünscht – nur um auf Teufel komm raus den Freihandel mit Südamerika zu stärken.

Natürlich ergibt es gerade bei Präsidenten wie Herrn Bolsonaro wenig Sinn, Verhandlungen komplett und abrupt abzubrechen. Das sehe ich im Übrigen genauso wie Bernd Lange, der als Vorsitzender des EU-Ausschusses für internationalen Handel deutlichen Nachverhandlungsbedarf sieht.

Auch wenn es zu einer politischen Einigung gekommen ist: Die Tür für ein Abkommen, das fairen Handel unterstützt, ist damit noch lange nicht geschlossen. Hier ist auch die Landesregierung gefragt. Zeigen Sie eine klare Haltung gegen Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt und des fairen Handels.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schließen Sie sich doch beispielsweise der Haltung von Bundesministerin Svenja Schulze an, und setzen Sie sich für eine Zertifizierung von regenwaldschonenden, nachhaltigen und fair gehandelten Produkten ein.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Falls Sie sich jedoch lieber einer liberalen Führungspersönlichkeit anschließen wollen, können Sie das auch gerne tun und sich an Herrn Macron orientieren. Der lehnt das Abkommen in der jetzigen Form ebenfalls ab.

Ganz aktuell – das ist gerade schon angeklungen – hat sich die österreichische Regierung gegen das Abkommen ausgesprochen. Eine Nachverhandlung ist damit ohnehin unausweichlich.

Zeigen Sie, dass NRW bereit ist, sich für einen fairen Welthandel einzusetzen. Was es braucht, sind internationale Standards und Zertifizierungen für Produkte, die die ökologische und faire Landwirtschaft nicht benachteiligen.

Treten Sie dafür in einen Dialog mit allen Beteiligten ein, um diese Standards zu finden und festzulegen. Es kann nicht im Interesse der Landesregierung sein, dass in Brasilien der Regenwald und in NRW die kleinen Bauernhöfe sterben.

Der weiteren Diskussion im Ausschuss sehen wir mit Interesse entgegen. – Danke schön.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Abgeordneter Nückel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Monolog ist, wenn einer mit sich selbst spricht. Dialog ist für manche, wenn zwei jeweils mit sich selbst sprechen.

Ich denke, wir müssen genau prüfen, was wir mit dem Stopp des Abkommens auslösen. Ist der Stopp vielleicht nur selbstgefällige Symbolpolitik? Sollten wir nicht stattdessen jede noch so kleine Chance nutzen, um mit den betroffenen Ländern im Dialog zu bleiben und sie nicht sich selbst zu überlassen?

Freier und fairer Handel ist ein Motor des Wohlstands und ein wichtiger Schritt gegen Protektionismus und Abschottung. Nationale Abschottung ist zurzeit weltweit ein Übel, welches die Wirtschaftsentwicklung in der Welt destabilisiert.

Ich bin Herrn Kollegen Remmel dankbar, dass er die Nachricht aus Österreich vorsichtig formuliert hat; denn die Motivlage für die Ablehnung, wie man sie jetzt auch in Meldungen aus Wien nachlesen kann, ist, glaube ich, nicht Ihre Motivlage.

Fairness bedeutet, dass natürlich alle Partner eines Freihandelsabkommens von diesem Abkommen profitieren müssen – durch verlässliche Handelsbeziehungen, durch Augenhöhe und durch verbindliche Standards im wirtschaftlichen, aber auch im ökologischen Bereich.

Wir Liberale sind eher für einen Abschluss des Handelsabkommens. Die Aufforderung, nachzuverhandeln, ist sicherlich kein Problem, und ich vermute, einige ablehnende Stimmen sind zurzeit auch eher die Aufforderung zu einem Update.

Der Abschluss des Handelsabkommens ist für die politischen Institutionen in den Ländern wichtig, um sich für Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte in Lateinamerika einzusetzen, um aber auch das Vertrauen der Menschen dort zu stärken.

(Beifall von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Die Wut über die brennenden Wälder darf uns nicht zu effekthascherischen Kurzschlussreaktionen hinreißen lassen. Mit Blick auf die weiteren südamerikanischen Staaten möchte ich zu Obacht mahnen, ein ganzes Freihandelsabkommen zu kippen. Ich meine, dass das nicht ratsam ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort. Bitte sehr.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Remmel, ich bin ganz überrascht: Handelsschranken, Protektionismus und überhaupt Grenzen – das ist doch sonst immer alles rechtspopulistisches Teufelswerk. Und jetzt freunden Sie sich auch noch mit dem Einstimmigkeitsprinzip der EU an. Das abzuschaffen war im Europawahlkampf noch eines Ihrer Themen. Aber vielleicht ist Heuchelei mittlerweile ein Teil des grünen Markenkerns.

Ich nehme es vorweg: Ihr Antrag spricht zwar berechtigte Probleme an, zeugt aber ansonsten, wie so oft, von Ihrem Weltbild mit dem Niveau und Tiefgang eines Bilderbuchs für Dreijährige. Immerhin zählen Sie pflichtschuldig die Vorteile des Handelsabkommens auf: Exportchancen für die Automobil-, Chemie- und Pharmaindustrie und sinkende Verbraucherpreise.

Wer Sie aber kennt, der weiß, dass Ihnen das alles völlig egal ist. Sie scheren sich nicht um die 2 Millionen Beschäftigten in diesen Industriebranchen, und es ist Ihnen auch völlig egal, dass knapp 30 % unseres Bruttoinlandsprodukts in der Industrie erwirtschaftet werden, hingegen nur 0,68 % in der Landwirtschaft, dort übrigens vorwiegend in der konventionellen Landwirtschaft. Den Grünen ist das egal, denn Autos, Chemie und Pharma sind ohnehin Teufelswerk.

Früher, als zumindest Teile der Altparteien noch zurechnungsfähig waren, hat man einmal gesagt, dass wir nicht davon leben können, uns gegenseitig die Haare zu schneiden. Heute dagegen glauben die Grünen, dass wir davon leben können, uns gegenseitig zu verwalten oder Biokartoffeln zu ziehen. Wahrscheinlich können Sie diese Politik auch noch ein Weilchen betreiben, denn richtige Gegenwehr bekommen Sie gar nicht mehr. Die schlechte Nachricht ist nur, dass Ihnen und Ihrer First-World-Klientel irgendwann keiner mehr die Gehälter zahlen wird.

Verlassen wir das grüne Malbuch und kommen zu den harten Fakten: Kraftfahrzeuge aus der Europäischen Union werden im Mercosur-Raum derzeit mit 35 % verzollt, Kraftfahrzeugteile mit 14 bis 18 %. Gleiches gilt für Erzeugnisse im Maschinenbau sowie in der Chemie- und der Pharmaindustrie. Dies alles fiele weg, und damit stünde ein gewaltiger Wachstumsmarkt mit 260 Millionen Menschen deutschen und europäischen Erzeugern offen.

Natürlich machen die Südamerikaner das nicht, um unsere Industrie aus ihrem Würgegriff zu befreien, sondern sie bekommen umgekehrt Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Dabei werden die Regeln im Bereich der Lebensmittelsicherheit in keinster Weise geändert. Das ist zum Beispiel der Unterschied zu TTIP. Im Gegenteil: Im Mercosur-Raum werden etwa geschützte Herkunftsbezeichnungen aus Europa durchsetzbar anerkannt.

Natürlich haben deutsche Landwirte Wettbewerbsnachteile. Ein Übermaß an Regulierungen und Bürokratie macht unsere Produkte teuer. Wir haben ein ganz anderes Lohnniveau, und neben diesen hausgemachten Problemen bestehen in Südamerika auch strukturell ganz andere Bedingungen: Die Betriebe sind größer, das Klima ist anders usw.

Die Lösung aber, die Ihnen vorschwebt, ist absurd. Sie, die hier sonst immer die ach so kosmopolitischen Weltbürger geben, wollen sich gemeinsam mit den siechenden Volkswirtschaften in unserer Nachbarschaft einmauern und Südamerika der chinesischen Exportindustrie überlassen. Diese scharrt bereits mit den Hufen und will ganz sicher nicht das Klima schützen. Sie betreiben ökonomischen Suizid.

Ja, auch wir wollen den Bauern helfen, wir werden sie aber ganz sicher nicht gegen die Industriearbeiter in Deutschland ausspielen, wie Sie es tun. Unsere Landwirte leisten wertvolle Arbeit, sie pflegen unsere Kulturlandschaft, sorgen für Ernährungssicherheit, und wir wollen sie fördern. Wir wollen die regionale Vermarktung von Agrarprodukten fördern. Dafür wächst auch längst das Bewusstsein in der Bevölkerung, was wir noch verstärken wollen.

Wo diese Maßnahmen nicht reichen, müssen die Betriebe direkt gefördert werden. Landschaftspflege, Versorgungssicherheit, regionale Produkte – das alles gibt es nicht umsonst, und das alles sollten wir uns auch etwas kosten lassen. Aber das kann es uns wert sein, solange eine starke Industrie in Deutschland das Geld dafür erwirtschaftet.

An Ihrem ökonomischen Analphabetentum werden wir uns jedenfalls nicht beteiligen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein Wort zu Österreich. Ich mache mir da nicht so viele Sorgen. Es wäre das allererste Mal, dass die Europäische Union sich von einer demokratischen Entscheidung eines Mitgliedsstaats aufhalten lässt. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war Herr Abgeordneter Tritschler für die Fraktion der AfD. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort. Bitte sehr.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auf das Kernanliegen dieses Abkommens aus europäischer und auch aus deutscher und nordrhein-westfälischer Sicht eingehen. Es geht um die Stärkung bi- und multilateraler Handelsbeziehungen in Zeiten eines sich verstärkenden Protektionismus.

Angesichts der internationalen Tendenzen – siehe der Handelskonflikt zwischen den USA und China – kann die Wichtigkeit der multilateralen Verträge und Abkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten nicht oft genug betont werden. Ein zentraler, wenn nicht der wesentliche Erfolgsfaktor für nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern liegt in einer stärkeren Integration dieser Länder in einen freien und fairen Welthandel.

Nordrhein-Westfalen wird sich auf allen Ebenen für freien und fairen weltweiten Handel unter Einbindung dieser Länder einsetzen. Insbesondere gilt es, Handelshemmnisse zu überwinden und die beteiligten Länder dabei zu unterstützen, in ihrem jeweils eigenen Land funktionierende Wertschöpfungsketten aufzubauen.

Dass das in der Bundesregierung, die für uns auch im Ministerrat auf europäischer Ebene Mitverantwortung trägt, einheitlich so gesehen wird, wird an einem Zitat deutlich, das ich gerne der SPD-Fraktion vorlesen möchte. Die Bundeskanzlerin hatte sich immer klar geäußert, das ist aber angesichts des Zitats von Frau Schulze, das eben genannt worden ist, offenbar in Vergessenheit geraten. Es gibt aber auch Stimmen anderer Art von Mitgliedern der Bundesregierung, die der SPD angehören.

Ich zitiere mit freundlicher Erlaubnis der Präsidentin den Bundesaußenminister. Der sagte nämlich – Zitat –:

„Die Tatsache, dass das Mercosur-Abkommen endlich einer Lösung zugeführt wurde“

– also er muss es offensichtlich begrüßt haben –,

„gibt uns auch Möglichkeiten und Druckmittel, auf das Einfluss zu nehmen, was dort geschieht.“

Das bezog sich auf die Waldbrände.

Das zeigt ganz deutlich: Der Bundesaußenminister hat erkannt – und vertritt es auch offensichtlich als Mitglied seiner Partei –, dass man mit solchen Freihandelsabkommen nicht nur dem freien Welthandel dienen kann, sondern auch übergeordneten Werten, die wir gemeinsam vertreten. Insofern ist es offensichtlich ein durchaus sinnvolles Instrument.

Dass das jetzt schon erreichte Abkommen – das infrage steht durch das Verhalten der Österreicher – hier schon durchaus hinreichende Anknüpfungspunkte lieferte, zeigt auch, dass es eine klare Verpflichtung der beteiligten Parteien vorsieht, auf einen regelbasierten internationalen Handel einzuwirken und den europäischen Unternehmen und somit auch unseren Unternehmern in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Vorsprung auf einem Markt zu verschaffen, der ein enormes wirtschaftliches Potenzial birgt.

Man kann daher festhalten, dass unsere Außenhandelspolitik die Interessen sowohl der Zivilgesellschaft als auch der Wirtschaft fest im Blick hat und dabei die wichtigen Fragen der Nachhaltigkeit, der Fairness und des Klimaschutzes umfassend berücksichtigt. Die Ausrichtung geht dabei Hand in Hand mit unserer Überzeugung, dass der Abschluss von multilateralen Handelsabkommen unter dem Dach der Welthandelsorganisation die Zukunft für unsere Wirtschaft bedeutet.

Mit dem Abkommen würde aber auch ausdrücklich das Vorsorgeprinzip beibehalten, wonach die Behörden das Recht haben, zum Schutz menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens oder der Umwelt zu handeln, wenn nach ihrer Einschätzung ein Risiko besteht. Dies gilt selbst dann, wenn keine eindeutigen einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen sollten.

Für Brasilien – das scheint mir hier noch einmal ganz wichtig zu sein – beinhaltet das Abkommen, wie es bisher ausgehandelt worden ist, insbesondere eine Verpflichtung zur Bekämpfung der Entwaldung.

In einem eigenen Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung werden Themen wie die nachhaltige Bewirtschaftung zum Erhalt der Wälder behandelt.

Das Abkommen zeigt bereits vor seiner Ratifizierung positive Wirkungen alleine dadurch, dass jene Drohung, so wie sie auch vom Bundesaußenminister zum Ausdruck gebracht worden ist, eines Nichtzustandekommens zum Einlenken des brasilianischen Präsidenten hinsichtlich der aktuellen Brandrodung beigetragen hat.

Wir wünschen uns deswegen als nordrhein-westfälische Landesregierung, dass die Bundesregierung und dass die Europäische Kommission alles unternehmen, damit wir ein solches Freihandelsabkommen auf unseren Werten basierend zustande bringen können. Es würde Südamerika helfen, es würde Europa helfen, und es würde auch der Durchsetzung der hier im Antrag behandelten Werte helfen.

Deswegen lehnen wir diesen Antrag aus Sicht der Landesregierung ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, den Antrag Drucksache 17/7370 an den Ausschuss für Europa und Internationales – federführend –, an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass diese Überweisungsempfehlung einstimmig so angenommen wurde.

Ich rufe auf:

9   Gesetz zur Erhöhung der Transparenz bei Beteiligungen politischer Akteure an Medien (Medientransparenzgesetz NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7360

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die den Gesetzentwurf einbringende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Tritschler das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisieren, dann vor allem auch deshalb, weil in seinen Aufsichts- und Kontrollgremien überwiegend Parteipolitiker sitzen – beim WDR etwa zur Hälfte –, die die Berichterstattungen nach ihrem Gusto beeinflussen können. Dann wird uns immer wieder entgegnet, das seien ja rechtspopulistische Hirngespinste, so etwas finde nicht statt.

Aber wie das im politischen Überlebenskampf so ist: Wenn es eng wird, dann fallen auch die Hemmungen. So war es dann auch, als sich Ihre Parteifreunde in Sachsen und Brandenburg eine ziemliche Klatsche abgeholt haben, während unsere ihr Ergebnis etwa verdreifacht haben.

Der ZDF-Fernsehrat Franz Josef Jung, abgelegter Verteidigungsminister der Union, bemängelt öffentlich, dass die Journalisten seines Senders auf Interviews mit AfD-Vertretern – Zitat – nicht gründlich genug vorbereitet seien. Sein Kollege Wilhelm Schmidt, SPD, äußerte sich ähnlich, und pflichtschuldig bedauerte der ZDF-Chefredakteur Frey – Zitat –: „In der Öffentlichkeit zeige die Partei … eine ‚nettere Oberfläche‘, was Interviews sehr schwierig mache.“ Jetzt sind die auch noch nett, diese Rechtspopulisten.

(Heiterkeit von Markus Wagner [AfD])

Geschichten, wie man sie vor einigen Jahren noch vielleicht im Mercosur-Raum verortet hätte, finden inzwischen mitten in Deutschland statt. Sie haben unser Land zur medialen Bananenrepublik gemacht, meine Damen und Herren.

Jetzt könnte man sagen: Staatlicher Rundfunk ist halt staatlicher Rundfunk, aber immerhin gibt es ja privaten Wettbewerb. – Ja, nach einer Studie aus dem Jahr 2015 ist die Lokalpresse immer noch – und nicht der Rundfunk – für knapp die Hälfte der Deutschen die Informationsquelle Nummer eins.

Nur sind die lokalen Zeitungen eben auch nicht so unabhängig von der Politik, wie man uns das vielleicht glauben machen will. Die FUNKE MEDIEN-GRUPPE ist unter anderem mit „WAZ“, „NRZ“ und „Westfalenpost“ die unangefochtene Nummer eins auf dem Pressemarkt in NRW. Davon abgesehen ist sie an einer Vielzahl von Lokalradios beteiligt. Und die MEDIENGRUPPE gehört unter anderem – das war hier ja schon einmal Thema – unserem Europaminister Holthoff-Pförtner, der übrigens genauso wie der Medienminister und sein Staatssekretär gerade nicht da ist.

(Henning Höne [FDP]: Das hat ja Gründe!)

Jetzt kann man sagen: Ich muss ja nicht lesen, was die schreiben. – Das stimmt zwar, aber vielerorts haben Sie dann eben keine Lokalzeitung mehr zur Verfügung. Denn durch das Zeitungssterben und die einhergehenden Konzentrationsprozesse gibt es in 177 Kommunen in unserem Land nur noch eine Zeitung. Das betrifft knapp die Hälfte der Bevölkerung.

Die andere Hälfte kann noch zwischen zwei Zeitungen wählen, die übrigens nicht selten aus derselben Redaktion geschickt werden.

Ein ganzes Prozent der Bürger hat sogar noch die Auswahl zwischen drei Zeitungen, aber auch das ist kein Garant für Vielfalt.

Für mich als Kölner heißt das wiederum nur, dass ich das fragwürdige Vergnügen habe, zwischen den Blättern des DuMont-Verlages zu wählen, der wiederum vom RedaktionsNetzwerk Deutschland mit Inhalten beliefert wird, an welchem auch die SPD beteiligt ist. Aber dazu gleich mehr.

Zurück zu Herrn Holthoff-Pförtner und der FUNKE MEDIENGRUPPE: Wenn Sie also in Bochum, in Bottrop, in Dortmund, in Gelsenkirchen oder in Herne wohnen, um nur ein paar Städte zu nennen, dann bekommen Sie Lokalnachrichten entweder aus dem Haus eines Ministers oder eben gar nicht. Das Medienmagazin „HORIZONT“, übrigens kein Zentralorgan des Rechtspopulismus, fragt hierzu – ich zitiere –:

„Können und wollen Funkes politische Zeitungsredaktionen … unabhängig und kritisch über die Landespolitik an Rhein und Ruhr berichten, die ihr Mit-Verleger mitvertritt?“

Kommen wir zur SPD: Der gehören die „Neue Westfälische“ – Marktanteil in Bielefeld 85 %, im Kreis Herford 60 % –, außerdem diverse Lokalradios und das bereits erwähnte RedaktionsNetzwerk Deutschland. Nach eigenen Angaben beliefert dieses Netzwerk über 50 Tageszeitungen in Deutschland mit einer Gesamtauflage von über 2,3 Millionen Exemplaren, darunter, wie gesagt, der Kölner DuMont-Verlag, die „Münstersche Zeitung“, die „Recklinghäuser Zeitung“ usw.

Schon vor Jahren sprach die „NZZ“ – manche nennen sie das Westfernsehen unserer Tage – vom roten Medienimperium. Was zu Zeiten einer bunten Presselandschaft vielleicht noch befremdlich wirkte, ist heutzutage eine echte Bedrohung für die Meinungsvielfalt im Lande.

Denn vieles, was unter verschiedenen Namen daherkommt, ist tatsächlich nur noch ein Etikett, unter dem dieselben Nachrichten aus immer denselben Zentralredaktionen verbreitet werden – eine große Filterblase, die der Bürger ohne Weiteres auch gar nicht mehr erkennen kann.

Jetzt werden Sie uns vermutlich gleich erklären, dass es ja keinerlei inhaltliche Beeinflussung gebe, dass es sich häufig nur um Minderheitenbeteiligungen handele. Tatsächlich werden Sie kaum so plump sein und morgens telefonisch beim Chefredakteur Direktiven durchgeben. Aber das brauchen Sie auch nicht, denn Sie können die Chefredakteure auswählen. Und Sie haben sie auch ausgewählt. Wenn es sich um eine Minderheitenbeteiligung handelt, dann wird in der Regel bei wichtigen Personalbesetzungen ein Vetorecht vereinbart.

Falls eine Redaktion die Erwartungen, die man an sie stellt, nicht erfüllt, dann greift man doch mal zum Hörer. Das hat die SPD zum Beispiel – das ist allgemein bekannt – beim Chef eines Hamburger Stadtmagazins gemacht.

Meine Damen und Herren, auch mit viel gutem Willen kann man die Gefahren einer solchen Verflechtung zwischen Politik und Medien, der sprichwörtlichen vierten Gewalt, nicht übersehen.

Auch wenn es sehr gute Argumente für ein Beteiligungsverbot gäbe, streben wir ein solches nicht an. Wir setzen auf mündige und informierte Bürger, die aus offengelegten Beteiligungsstrukturen ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Dazu müssen diese Strukturen aber offengelegt werden, und das stellt unser Gesetzentwurf sicher.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, genau das haben Ihre Parteifreunde in Hessen bereits zum Gesetz gemacht. Ich hoffe, dass der Umstand, dass Sie einen Großverleger im Kabinett haben – das haben die Hessen nicht –, an Ihrem Willen dazu nichts ändert. In unserem Gesetzentwurf geht es jedenfalls einzig und alleine um Transparenz. Die muss nur fürchten, wer etwas zu verbergen hat.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Tritschler für die Fraktion der AfD. – Für die Fraktion der CDU hat nun Herr Abgeordneter Schick das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal haben wir es mit einem Gesetzentwurf der AfD zu tun, der die Transparenz im Medienbereich steigern soll. Transparenz und AfD, das passt für mich so zusammen wie Datensicherheit und Cambridge-Analytiker. – Mehr dazu gleich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vorab schon mal eine kurze Würdigung des Gesetzentwurfs: Von Herrn Tritschler haben wir gehört, das sei aus Hessen gekommen. Sie behaupten in Ihrem Gesetzentwurf, dass Sie wesentliche Regelungen des Presserechts aus Hessen aufgenommen haben und auf Nordrhein-Westfalen übertragen wollen. Um es einmal ganz transparent zu machen: Schon diese Aussage trifft nicht zu.

Vom hessischen Landespresserecht werden keine Internetangebote erfasst. Das hessische Landespresserecht bezieht sich nicht auf alle Druckerzeugnisse, und das hessische Landespresserecht sieht keine Dauerveröffentlichungspflicht im Impressum vor.

Abgesehen vom hessischen Landespresserecht ist der vorliegende Gesetzentwurf auch rechtlich nicht erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich niedrigere Anforderungen erhoben. Vermieden werden muss nur jeder beherrschende Einfluss auf Medien und nicht Minderheitsbeteiligungen.

Aber – jetzt kommen wir zum Kern – warum ist es Ihnen so wichtig, die Begriffe „Medien“ und „fehlende Transparenz“ immer wieder in Zusammenhang zu bringen? Ihnen geht es einfach nur darum, ein Feindbild aufzubauen, um bei Ihrer potenziellen Anhängerschaft Zweifel an der Berichterstattung der freien Presse zu wecken. Sie wollen die Medien als Kontroll- und Informationsinstanz diskreditieren.

Wer allerdings in einem freiheitlichen Rechtsstaat Verschwörungstheorien befeuert, der zeigt nur, dass er zu einer sachlichen Argumentation nicht fähig ist.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP – Sven Werner Tritschler [AfD] schüttelt den Kopf.)

– Herr Tritschler, da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Das ist so.

Man kann es allerdings auch etwas anders formulieren: Nicht die Medien haben ein Transparenzproblem, Ihre Partei hat ein Transparenzproblem.

Wer bei Google die Begriffe „AfD“ und „Transparenz“ eingibt, der kommt ganz schnell zum vergangenen Wochenende und den Tumulten in der Bremer AfD. Dort hat es in den ersten Wochen nach der Landtagswahl – wir kennen das Verfahren aus Nordrhein-Westfalen – Abgeordnete gegeben, die ihrer eigenen Fraktion ganz schnell den Rücken gekehrt haben.

Mittlerweile ist ein neuer Chef gewählt worden. Was ist – wir sind beim Thema „Transparenz“ – seine erste Forderung? Er werde alles dafür tun, um innerhalb der AfD für Transparenz zu sorgen. Wer hat also ein Transparenzproblem? – Nicht die Medien, sondern die AfD.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und Alexander Vogt [SPD] – Zuruf von der AfD)

– Ja, ich weiß, dass das wehtut. Ich kann Ihnen allerdings auch Weiteres nicht ersparen, wenn es um das Thema „Transparenz“ geht.

Nicht die Medien beeinflussen Menschen auf undurchsichtige Art und Weise – Sie sind es, die auf undurchsichtige Art und Weise versuchen, Menschen zu beeinflussen.

Im Augenblick laufen Verfahren, weil die AfD Geldgeber für Wahlkampfkampagnen gefunden hat, deren Identität allerdings verschleiert wird – so zumindest die Beurteilung durch die Bundestagsverwaltung. Die Geldflüsse sind nämlich nicht transparent – genauso wenig wie die dahinterliegenden Motive. Da geht es um führende Personen Ihrer Partei. Transparenz und AfD passen also nach wie vor nicht zusammen.

Es gibt noch einige weitere Bereiche, in denen Sie gefordert sind, Transparenz zu zeigen – nicht nur bei Spenden, sondern auch beim Geschichtsverständnis. Auch bei Versammlungen geht man gerne dazu über, keine Transparenz darzustellen.

Sie schütteln immer wieder den Kopf. Deswegen zum Abschluss ein Zitat von Christian Morgenstern: „Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist.“ – Das wird bei der AfD noch eine sehr lange Zeit dauern.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Nic Peter Vogel [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schick. – Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Vogt das Wort. Bitte sehr.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland 2019 von Platz 15 auf Platz 13 aufgerückt – zunächst einmal eine sehr erfreuliche Nachricht. Wir haben mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, privaten Zeitungsverlagen, privaten TV‑ und Radiosendern, Recherchenetzwerken und Onlineplattformen eine gut aufgestellte Medienlandschaft.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD]

Beim zweiten Blick kommt dieser Anstieg im Ranking der Pressefreiheit deshalb zustande, weil Rechtspopulisten in anderen Ländern vor allem in Europa die Pressefreiheit eingeschränkt haben.

Nachdem die FPÖ in Österreich an die Macht gekommen war und den Rauswurf kritischer Journalistinnen und Journalisten aus dem ORF gefordert hat oder eine Liste von unliebsamen Medien erstellen ließ, ist das Land in nur einem Jahr um fünf Plätze von 11 auf 16 gefallen.

Seit Donald Trump die USA regiert und die kritische Presse regelmäßig angreift, ihre Berichte als Fake News bezeichnet oder versucht, CNN-Reporter von Pressekonferenzen im Weißen Haus auszuschließen, sind die Vereinigten Staaten um sieben Plätze auf Platz 48 abgerutscht.

Seit die PiS-Partei die Alleinregierung in Polen stellt, Gesetze für mehr Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlässt und die Führungsebene der Sender bestimmt, ist unser Nachbarland im Ranking der Pressefreiheit im freien Fall von Platz 18 auf Platz 59 abgerutscht.

Wollen Sie es noch extremer? – Seit Viktor Orbán in Ungarn an der Macht ist und die Medienlandschaft des Landes Schritt für Schritt unter die Kontrolle der Regierung gebracht hat, ist Ungarn um 54 Plätze von 23 auf 87 abgerutscht.

(Zuruf von der SPD: Ui!)

Trotz der Beispiele bei Ihren Parteifreunden versuchen Sie, uns hier zu erklären, dass es Ihnen darum geht, wie die Pressefreiheit in Deutschland aufgestellt ist und dass Sie sich darüber Sorgen machen.

(Beifall von der SPD)

Sie beschwören wöchentlich das Bild der angeblichen Lügen‑ und Systempresse.

(Nic Peter Vogel [AfD]: Ja!)

Sie unterstellen vielen Journalistinnen und Journalisten, die hier frei und offen arbeiten, zum Beispiel Fake News, Lügen zu verbreiten.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Viele Journalistinnen und Journalisten, die Ihnen nicht passen, sind halt diejenigen, die allen Politikerinnen und Politikern – uns genauso wie Ihnen – auf die Finger schauen.

(Zuruf von der AfD)

Das passt Ihnen nicht.

(Beifall von der SPD)

Deshalb stellen Sie solche Anträge und versuchen, Zweifel zu säen.

Wenn wir uns die in Deutschland gängigen Medien ansehen, arbeitet der allergrößte Teil der Journalistinnen und Journalisten nach dem Pressekodex.

Die allermeisten Zeitungen und Telemedien in Deutschland leisten eine ausgewogene und kritische Berichterstattung – auch wenn Ihnen die manchmal nicht passt.

Die allermeisten Zeitungen und Telemedien in Deutschland verfolgen das Ziel, die Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie zu bieten.

Alle Journalistinnen und Journalisten, die sich an diese Regeln halten, scheinen Ihnen ein Dorn im Auge zu sein, weil sie uns genauso wie Ihnen auf die Finger schauen.

Ich habe den Eindruck, mit den Zweifeln, die Sie die ganze Zeit zu säen versuchen, geht es Ihnen darum, dass Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit abrutschen soll. Aber das werden weder wir als SPD noch – davon gehe ich auch aus – alle anderen demokratisch gewählten Parteien in diesem Hause zulassen, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Tritschler, eine Sache ist mir aufgefallen: Sie suchen sich immer nur bestimmte Teile heraus. Wenn Sie zum Beispiel kritisieren, was wir an lokalem Rundfunk haben und wie Verleger Anteile an Lokalsendern halten, zeigt das entweder, dass Sie nicht über das gesamte Bild reden wollen oder dass Sie einfach bestimmte Sachen nicht ganz verstanden haben.

Gerade die lokalen Privatsender, die wir hier im Radiobereich haben, sind über ein Zwei-Säulen-Modell so aufgestellt, dass die Lizenz und Frequenz der einzelnen Sender bei Veranstaltergemeinschaften liegt. Die liegt nicht bei Zeitungsverlegern oder Anteilseignern, sondern bei gesellschaftlichen Gruppen, die in diesen Veranstaltergemeinschaften sitzen.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Dann zu erzählen, die Zeitungsverleger hätten einen direkten Durchgriff darauf, ist großer Quatsch, Herr Tritschler.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist ja nicht der erste Gesetzentwurf zum Thema.

Letztens haben Sie einen Antrag eingebracht, in dem es darum ging, die angeblich fehlende Transparenz zu schaffen – beim WDR, beim Rundfunkrat, bei der Medienkommission der Landesanstalt für Medien. Sie behaupten ja – das haben Sie gerade wieder getan –, dass es da zu wenig Transparenz gibt, wer eigentlich welchen Einfluss im Rundfunkrat und in der Medienkommission hat. Außerdem beschweren Sie sich darüber, dass dort zu viele Mitglieder sitzen, die einer Partei angehören.

Die erste Sache ist – und das betrifft auch die Begründung Ihres Gesetzentwurfs –: Alle Anteilseigner und auch die Mitglieder mit Parteimitgliedschaft konnten Sie frei im Internet recherchieren. Daher gibt es da erst einmal kein Transparenzdefizit.

Die zweite Sache ist: Wenn Sie wollen, dass möglichst wenige Parteivertreter in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Medienkommission sitzen – ich weiß, das passt Ihnen nicht –,

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD] – Weiterer Zuruf von der AfD)

könnten Sie die Plätze, die Sie als AfD besetzen können, an Menschen abgeben, die kein Mitglied Ihrer Partei

(Beifall von der SPD)

und keine Abgeordneten sind. Alle Plätze, die Sie als AfD rechtmäßig – das ist auch völlig in Ordnung – besetzen können, geben Sie aber nicht, wie das beispielsweise die Piratenpartei gemacht hat, in einer öffentlichen Ausschreibung an Menschen aus der Gesellschaft, sondern besetzen diese ausschließlich mit AfD-Mitgliedern. Herr Strotebeck sitzt hinter Ihnen – er ist ja einer von Ihnen –, und Herr Tritschler, Sie persönlich haben auch Erfahrung damit.

Sie setzen AfD-Mitglieder und Abgeordnete in alle Gremien und nutzen diese Chance nicht. Sie sind dermaßen unehrlich, uns vorzuwerfen, es säßen zu viele Parteimitglieder in den Gremien, machen aber selber genau das Gegenteil von dem, was Sie hier erzählen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Daher ist auch dieser Gesetzentwurf wieder ein Versuch, Missgunst und Zwietracht zu säen und unser System und unsere Meinungsfreiheit, die wir hier in Deutschland vorfinden, zu diskreditieren.

(Zuruf von der SPD)

Erinnern Sie sich noch einmal an den Anfang meiner Rede. Gucken Sie sich die Situation in den Ländern an, in denen Menschen regieren, mit denen Sie sich häufig treffen, mit denen Sie sich abbilden lassen, die Sie als Ihre Parteifreunde bezeichnen. Dann können wir darüber sprechen, ob Sie hier für Meinungsfreiheit und Medienfreiheit stehen, oder ob Sie doch etwas ganz anderes im Schilde führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogt. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Nückel das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich Ihren ehemaligen Gesetzentwurf zur Staatsferne von LfM und WDR und den jetzigen Gesetzentwurf zur Medientransparenz ansieht, schreit einem irgendwie wieder der stumme Schrei nach Liebe entgegen. Ihre Motivation ist einfach die fehlende AfD-Sympathie der Medien. Deswegen wollen Sie, glaube ich, der Struktur der Medienlandschaft an die Wäsche.

Sie kommen immer wieder mit diesen, ich sage einmal, Verschwörungstheorien, das sei alles nicht transparent, und den politischen Fäden, die gesponnen würden. Deswegen wäre die Staatsferne nicht gegeben.

Das stimmt zwar für den Machtbereich Ihrer rechtspopulistischen Freunde in Europa, aber in NRW funktioniert das mit der Staatsferne ganz gut.

So sehr ich auch gerne über die aufgeblähte Größe der Gremien meckere, so werden zum Beispiel beim WDR die Vorgaben des ZDF-Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das den Anteil der staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien auf ein Drittel beschränkt, nicht nur eingehalten, sondern sogar unterboten. Von 60 sind es 14, die qua Amt sozusagen eine Staatsnähe haben – darunter einer von ihnen. Es sind eben Vertreter der Landtagsbank.

Der Gesetzentwurf ist, wenn man ihn sich genau anguckt, im Grunde aber auch gar nicht umsetzbar, denn er ist handwerklich ziemlich schlecht gemacht und weicht deutlich von dem als Aufhänger kenntlich gemachten hessischen Pressegesetz ab.

Sie wollen – kurz gesagt – die Erweiterung der Impressumspflicht, und ein neuer Ordnungswidrigkeitstatbestand soll ins Landesmediengesetz aufgenommen werden.

(Zuruf von der AfD: Bingo!)

Zunächst ein kleiner Hinweis: In dem von Ihnen neu eingefügten § 8 Abs. 4 sprechen Sie von „Anteilen am Verleger“. Dieser Punkt würde die ganze Rechtsordnung der Bundesrepublik auf den Kopf stellen, denn an einer natürlichen Person können Sie de facto keine Anteile haben. Es geht also lediglich um juristische Personen – sprich: den Verlag. Da haben Sie bei Ihrem Gesetzentwurf schlichtweg schlampig gearbeitet.

Und dann immer dieser undifferenzierte Rundumschlag: Auch bei den Telemedien wird eine solche Kenntlichmachung vorgesehen, ohne dass hierbei in Ihrem Gesetzentwurf zwischen journalistischen Inhalten und anderen differenziert wird. Auch da wird wieder alles über einen Kamm geschoren. – Zu kurz gedacht, zu schräg gesprungen und voll danebengegangen, würde ich sagen.

Wo war eigentlich Ihr Engagement für Transparenz und Pressefreiheit, als die Häuptlinge ihrer heiß geliebten österreichischen Partnerpartei mithilfe eines russischen Oligarchen eine Zeitung kaufen wollten, um sie auf Spur zu bringen? Da haben Sie nichts gesagt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Engstfeld das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Gesetzentwurf eines Medientransparenzgesetzes NRW der AfD-Fraktion haben wir zur Kenntnis genommen.

Schon die sogenannte Problembeschreibung in Teil A Ihres Gesetzentwurfs wirft massiv die Frage auf, inwieweit die antragstellende Fraktion der AfD ihr offenbar schwer angeschlagenes Verhältnis zu diesem Staat mit solcher Art Anträge selbst hervorstellen will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wieso ist eigentlich eine besondere Staatsnähe für Sie von vornherein ein Problem? – Haben Sie wirklich im Blick, welche Rolle die Parteien auch nach dem Grundgesetz unserer Republik in unserem Land spielen sollen?

Glaubt jemand hier im Hohen Haus ernsthaft, dass angesichts der enormen medialen Vielfalt und der Informationsflut über alle Kanäle irgendeine ernsthafte Meinungsbeeinflussung durch irgendwelche Beteiligungskonstruktionen in einzelnen Medienunternehmen stattfindet?

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Ist die Welt so einfach gestrickt, oder nimmt man das nur durch Ihre politische Brille so wahr?

Wieso vermuten eigentlich ausgerechnet Sie, dass die Parteien nur vitale Eigeninteressen verfolgen, die Menschen in ihrer öffentlichen Wahrnehmung beeinflussen wollen und – igittigitt – danach streben, ihre politische Macht zu vergrößern?

Während Sie von der AfD-Fraktion Meinungsvielfalt und Pluralität wieder einmal einschränken wollen, nachdem Ihr entsprechender Antrag in Bezug auf den WDR und die Landesanstalt für Medien hier schon gescheitert ist, arbeitet Ihre Partei selbst in zig Filterblasen und mit eigenen Video‑ und Internetkanälen ganz selbstverständlich nur daran, objektiv und ohne jedes Einflussbestreben künftig auf jegliche politische Teilhabe zu verzichten. – Achtung, das war natürlich ironisch gemeint.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bevor Sie die politische Konkurrenz nach der Machtübernahme abräumen, wollen Sie uns erst einmal kleinmachen. Oder wie anders ist die Aussage des Führers Ihres Rechtsaußen-Flügels zu verstehen, wenn er einem ZDF-Journalisten das Interview verweigert – so viel auch zum Thema Transparenz –

(Zuruf von der AfD)

und damit droht, dass er ja auch mal eine wichtige politische Person in diesem Lande werden könnte? Immerhin drohte er einen Satz vorweg: Wir wissen nicht, was kommt.

Allerdings hat er offenbar selbst schon vergessen, was er laut „Westdeutscher Allgemeiner Zeitung“ vom 17. September 2019 schon im Juli 2019 angekündigt hatte, übrigens im typischen Höcke-Sprachduktus, der nicht nur einen Nachgeborenen wie mich höchst unangenehm erschauern lässt. Ich zitiere, damit alle wissen, was kommt:

Nachdem hier am 27. Oktober in Thüringen Geschichte geschrieben worden ist, werde ich mich mit großer Hingabe und großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstandes hingeben. – Gnade uns Gott, dass solch ein Sprücheklopfer niemals mehr eine wichtige politische Person in diesem Land werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir werden alle wachsam bleiben. Wehret den Anfängen, denn glasklar mit den Worten des großen deutschen Dichters Bertolt Brecht gesprochen: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. –

Sorgen Sie also erst einmal in der AfD – das haben meine Vorredner ja auch schon gesagt – für Demokratie, Transparenz und Ordnung in Ihren eigenen Reihen, bevor Sie hier irgendwelche Transparenzgesetze einbringen, die Ihrem eigenen Verhalten in Stil und Inhalt diametral gegenüberstehen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden der Überweisung zustimmen, weil es so Usus ist. Den Gesetzentwurf lehnen wir aber in jedem Fall ab, weil wir solchen üblen Bauernfängereien sicher nicht auf den Leim gehen werden. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Engstfeld. – Herr Kollege Tritschler, an sich ist vorgesehen, dass die Landesregierung zunächst spricht. Die Landesregierung signalisiert, sie möchte jetzt sprechen. Dann hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort – in Vertretung für Herrn Ministerpräsident Laschet.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich das Ergebnis zusammenfassend voranstellen: Der vorliegende Gesetzentwurf sollte abgelehnt werden.

Der vorgebliche Zweck der Staatsferne lässt die vorgeschlagene Regelung zwar zu; eine solche Regelung ist jedoch verfassungsrechtlich weder geboten noch erforderlich. Die konkrete Ausgestaltung erscheint zudem nicht sinnvoll.

Die Fraktion der AfD möchte mit ihrem Gesetzentwurf Verleger aller Druckwerke und Anbieter aller Telemedien verpflichten, Angaben über unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von Akteuren mit besonderer Staatsnähe an ihrem Unternehmen zu veröffentlichen. Dies soll über eine Erweiterung der Impressumspflichten erfolgen.

Diese Veröffentlichung soll bereits für Minderheitsbeteiligungen ab einer Schwelle von 5 % gelten. Verpflichtet wären etwa Parteien, parteinahe Stiftungen, Regierungsmitglieder oder auch Staatssekretäre.

Die Fraktion der AfD weist in der Begründung des Gesetzentwurfes darauf hin, dass für die Medien der Grundsatz der Staatsferne gilt. Dies ist zutreffend. Der gesellschaftliche Meinungs‑ und Willensbildungsprozess hat insbesondere im Interesse des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben.

Dies ist Ausfluss der verfassungsrechtlich garantierten Rundfunk‑ und Pressefreiheit. Der Staat darf weder unmittelbar noch mittelbar ein Medienorgan beherrschen.

Diesem Grundsatz sieht sich die Landesregierung vollumfänglich verpflichtet. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch auch angesichts dieses Grundsatzes nicht geboten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner strengen Rechtsprechung die Verpflichtung des Gesetzgebers betont, jeden beherrschenden Einfluss auf Presse und Rundfunk zu verhindern.

In Bezug auf Minderheitsbeteiligung hat es keine vergleichbaren gesetzgeberischen Handlungsgebote erkannt. Im Gegenteil hat es das generelle Verbot von Minderheitsbeteiligung sogar als verfassungswidrig eingestuft.

Auch eine Transparenz von Beteiligung hat es nicht gefordert, sondern diese allenfalls als noch gerechtfertigtes milderes Mittel im Vergleich zum Verbot betrachtet.

Es besteht daher gerade keine verfassungsrechtlich begründete Handlungspflicht des Gesetzgebers zur Schaffung von weiterer Transparenz in Bezug auf staatsnahe Minderheitsbeteiligung an Medienunternehmen.

Im Übrigen ist die Gewährleistung der Staatsferne bereits durch gesetzliche Maßgaben sichergestellt. Zu verweisen ist hier auch auf die zuletzt erfolgte Begrenzung der Beteiligung staatlicher oder staatsnaher Personen in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Selbst wenn man in gewissem Umfang mehr Transparenz mit Blick auf Medienbeteiligungen befürworten würde, wären die hier vorgeschlagenen Pflichten zur Veröffentlichung im Impressum eines Druckwerks bzw. Telemediums auch in der Sache weder begründet noch systematisch sauber ausgestaltet.

Auswirkungen auf die öffentliche und individuelle Meinungsbildung sind nur dort zu erwarten, wo es sich um meinungsrelevante Angebote handelt. Bei den vorliegenden, in die Pflicht genommenen Medienformen, Presse‑ und Telemedien, wird hingegen nicht differenziert. Es werden alle Druckwerke und Internetseiten einbezogen ohne Rücksicht darauf, ob es sich überhaupt um ein journalistisch redaktionell gestaltetes oder periodisch erscheinendes Angebot handelt.

Bei nicht redaktionell gestalteten Telemedien und bei nicht periodisch erscheinenden Druckwerken besteht heute nicht einmal die Pflicht, überhaupt einen inhaltlich Verantwortlichen im Impressum zu benennen.

Die zur Herstellung der Transparenz vorgeschlagenen Mitteilungspflichten erscheinen realitätsfern und die hieran anknüpfende Bußgeldbewehrung im Falle eines Verstoßes nicht geeignet, die Veröffentlichung am Ende sicherzustellen.

Die vorgeschlagene gesetzliche Regelung ist damit weder geeignet noch erforderlich.

Soweit der Gesetzentwurf auf Anteile am Verleger Bezug nimmt, sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass es sich bei ihm um eine natürliche Person handelt. Anders als beim Verlag als juristischer Person oder Personengesellschaft können am Verleger keine Anteile bestehen.

Im Antrag wird auf bereits im hessischen Pressegesetz enthaltene Regelungen verwiesen und vorgegeben, diese weitgehend zu übernehmen. Hierzu ist anzumerken, dass der konkrete Vorschlag erheblich über die als Anlehnung benutzten Vorgaben aus Hessen hinausgeht.

Konkret verpflichtet sind in Hessen lediglich periodisch erscheinende Druckwerke. Internetangebote werden von der hessischen Regelung nicht erfasst. Transparent zu machen sind dort lediglich Beteiligungen politischer Parteien.

Nach dem hessischen Pressegesetz ist eine Veröffentlichung lediglich in Zeitabständen vorgesehen und nicht wie hier als dauerhafte Angabe im Impressum. Überdies ist die Veröffentlichung mittelbarer Beteiligung erst ab einer höheren Beteiligungsschwelle vorgesehen.

Die hier vorgeschlagene Regelung hat mit der hessischen Regelung daher wenig gemeinsam.

All dies verdeutlicht, dass die vorgeschlagene gesetzliche Maßnahme weder geboten noch erforderlich noch in der konkreten Ausgestaltung als sinnvoll zu erachten ist. Aus Sicht der Landesregierung ist der Gesetzentwurf daher abzulehnen. – Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Nun hat noch einmal für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – In aller Schnelle: Herr Vogt, Sie hatten uns gerade das Rating der Pressefreiheit im internationalen Bereich vorgelesen. Gibt es auch ein Länderrating innerhalb Deutschlands?

Das Beispiel Hessen ist jetzt schon mehrfach angesprochen worden. Ich möchte Ihnen einmal zwei, drei Zitate aus der abschließenden Debatte im hessischen Landtag vorlesen.

Der Herr von der CDU sagte: „die Leserinnen und Leser müssen erkennen, wer hinter einem Produkt steckt.“

Herr Siebel von der SPD:

„dass wir ein hohes Interesse daran haben, dass es eine Veröffentlichungspflicht und Transparenz im Hinblick darauf gibt, wer Eigentümer der Zeitung (…) ist.“

Tarek Al-Wazir von den Grünen:

„Deswegen bin ich froh, dass wir wenigstens in diesem Punkt der Transparenz und Veröffentlichungspflicht eine Regelung bekommen werden“.

Herr Greilich von der FDP: „Damit schaffen wir Transparenz auf ganz breiter Ebene“.

Wir können jetzt über Einzelheiten des Gesetzes diskutieren; aber dass Sie sich alle hier hinstellen und uns böse Absichten unterstellen, während Sie das in Hessen selber gemacht haben, finde ich einfach unredlich.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war Herr Abgeordneter Tritschler. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Ende der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können.

Wir stimmen ab über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, den Gesetzentwurf Drucksache 17/7360 an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend – sowie an den Rechtsausschuss zu überweisen. – Gibt es hierzu Gegenstimmen? Enthaltungen? – Dann stelle ich einstimmig die Zustimmung des Hohen Hauses zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Ich rufe auf

10 Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7374

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der eine oder andere Kollege meinte eingangs, dass Künstliche Intelligenz, die jetzt das Thema ist, mancherorts auch im politischen Betrieb helfen könnte.

Damit will ich persönlich in keiner Weise die Intelligenz des Einzelnen anzweifeln oder gar Zusammenhänge zu heutigen Debatten konstruieren; aber auch Politik ist sicherlich ein spannender Anwendungsbereich.

Mit aller Ernsthaftigkeit: Insbesondere im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation haben wir uns bereits mehrfach mit dem Themenkomplex der Künstlichen Intelligenz beschäftigt. Unter anderem hatten wir im November letzten Jahres Professor Bauckhage zu Gast.

Er trug sehr einprägsam vor, dass es sich begrifflich richtigerweise eigentlich um künstliche Kognition handelt, also um die Erkennung von wiederkehrenden Mustern in großen Datensätzen, die dann logische Schlussfolgerungen zulassen, die aufgrund der schieren Menge sonst nicht möglich wären.

Intelligenz beschrieb er als etwas, was immer noch der menschlichen Interpretation und der menschlichen kreativen Problemlösung überlassen sei.

Nun hat sich trotzdem „KI“ im allgemeinen Sprachgebrauch breitgemacht. Ob nun KK – künstliche Kognition – oder KI – Künstliche Intelligenz –: Es ist allgemeines Verständnis, dass es sich um die logische Fortführung der Digitalisierung handelt – von der Analyse immer größerer Datenmengen – und dass hier bereits eine unheimliche Dynamik im Markt vorhanden ist.

Deshalb werde ich nicht dem Versuch erliegen, die vielleicht unzähligen Möglichkeiten von Gesundheitsforschung bis Industrierobotik aufzuzählen und zu beschreiben.

Hier nur der kurze Fingerzeig auf drei ganz konkrete – aus meiner Sicht – Vorzeigeprojekte, die schon heute in unserem Land vorzufinden sind: das Human Brain Project vom Forschungszentrum Jülich, das sich tatsächlich der Aufgabe widmet, das komplette Gehirn zu kartieren – faszinierend und immer wert, sich einmal genauer anzuschauen –, die ganz praktische Prognosesoftware der Polizei zur Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen oder auch maschinelle Übersetzungen von ganzen Texten wie bei dem Unternehmen DeepL aus Köln.

Wichtig ist, dass Nordrhein-Westfalen die Forschung und Nutzung von KI vorantreibt, um auch zukünftig als moderner, innovativer Standort interessant zu bleiben.

In der Forschung bauen wir bereits auf einer beachtlichen Breite auf, etwa mit dem Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr, dem Lehrstuhl für KI an der TU Dortmund, mit dem Fraunhofer Institut für intelligente Analyse in Sankt Augustin und mit dem Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie in Bielefeld.

Über diesen Status quo hinaus tut sich etwas im Bund; es passiert schon einiges im Land. Das will ich auch gerne würdigen.

Die Kompetenzplattform KI.NRW, gemeinsam gestartet vom Wirtschaftsminister und der Wissenschaftsministerin Ende 2018 – ein erstes Großprojekt zur Zertifizierung von KI-Anwendungen; dazu wird der Minister sicherlich gleich noch detaillierter ausführen –, soll die Forschungslandschaft stärken Das NRW-Institut für Digitalisierungsforschung soll folgen.

Herzlichen Dank an dieser Stelle an Ministerin Pfeiffer-Poensgen und an Minister Pinkwart für die Arbeit, die bereits geleistet wurde und die auch von der Forschungslandschaft gewürdigt wird.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Beim Bund kennen Sie sicherlich die Strategie der Bundesregierung zur KI von 2018. Angekündigt wurden Fördermittel von ca. 3 Milliarden Euro bis 2025; bereits jetzt ist im Haushalt eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt.

Bei all diesen Gesprächen und Diskussionen sind weitere Ideen und Anregungen entstanden, die wir nun mit dem vorliegenden Antrag in das Regierungshandeln einfließen lassen wollen.

Uns ist wichtig, dass unsere NRW-Bemühungen mit den Strategien des Bundes und den Initiativen der EU bestmöglich verzahnt werden. Das gilt nicht nur von top-down, sondern eben auch bottom-up. Die Initiativen des Bundes sollen sinnvollerweise auf den Strukturen der Länder aufbauen.

Es gilt, spannende Fragen zu ethischen Grundsätzen und zur Ausgestaltung von Algorithmen zu klären. Digitalisierung und KI müssen so umgesetzt werden, dass dieser tiefgreifende technologische Wandel in unser von Menschenwürde, Persönlichkeitsrechten und individueller Freiheit geprägtes Menschenbild eingebettet wird.

Diese Fragestellung wollen wir insbesondere im NRW-Institut für Digitalisierungsforschung berücksichtigt wissen. Wir wollen prüfen lassen, inwieweit Dozenten Nebentätigkeiten aufnehmen bzw. wie sich Vergütungssysteme im Forschungsbereich weiterentwickeln können. Wenn man das vergleicht mit den USA, wo allein schon im Einstieg eine Professur 300.000 bis 500.000 Euro einbringt und bei uns die Spitzengehälter bei knapp 100.000 Euro liegen, dann ist das natürlich auch ein Konkurrenzgeschäft, wo wir genau hinschauen müssen, was wir hier in unserer Forschungslandschaft bieten können.

Die Fachkräfteeinwanderung ist ein weiteres Thema.

Nicht zuletzt wollen wir erreichen, dass geförderte Big-Data-Analysen auch als Open Data für weitere Forschung zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wollen wir weiter prüfen lassen, wie wir aufgrund der – nüchtern betrachtet – mindestens herausfordernden DSGVO-Vorgaben dennoch Spitzenforschung in NRW betreiben können. Sie kennen die Stichworte Anonymisierung, Pseudonymisierung. Daran müssen wir weiterhin arbeiten und unsere Forschungslandschaft stärken.

Es gibt also ein ganzes Bündel an Anregungen für die KI-Strategie des Landes und des Bundes. Ich freue mich auf die weitere detaillierte Debatte zu der Vielzahl von Einzelpunkten in einem der spannendsten Innovationsfelder. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Braun. – Für die ebenfalls antragstellende Fraktion der FDP hat Herr Kollege Hafke das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen Nordrhein-Westfalen zu einem führenden Standort für Künstliche Intelligenz machen. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen zur digitalen Herzkammer in Deutschland wird in der Forschung, in der Entwicklung und bei Unternehmen.

Hier geht es darum, dass in Zukunft der Wohlstand und die Innovation in unserem Land gesichert werden und vorankommen.

Deswegen haben wir Anfang dieses Jahres die Digitalstrategie in Nordrhein-Westfalen verabschiedet, legen große Schwerpunkte auf Zukunftstechnologien und probieren, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, damit das hier in Nordrhein-Westfalen stattfindet. – Mein Vorredner hat schon zutreffend die entsprechenden Punkte im Antrag beschrieben.

Ich möchte noch etwas grundsätzlicher an das Thema herangehen, warum wir meinen, dass Künstliche Intelligenz ein entscheidender Faktor ist, wie sich ein Bundesland oder auch ein ganzes Land aufstellen wird.

Technologien sind grundsätzlich erst mal nicht gut oder böse, sondern sie sind das, was der Mensch daraus macht. Wir erleben auf der Welt, dass es tatsächlich Entwicklungen gibt, die sehr bedenklich sind.

Wenn ich mich nach China orientiere und wir dort Social Scoring erleben, wo mithilfe von Big Data und Künstlicher Intelligenz Analysen über die gesamte Bevölkerung betrieben werden, wo geschaut wird, wie Bewegungsströme aussehen, wo man Fehltritte von Bürgern behandelt, wo man prüft, ob bei Rot über die Ampel gegangen wird, welche Nahrungsmittel eingenommen werden, wie Konsum erfolgt, und dann entsprechende Konsequenzen daraus gezogen werden auf Staatsseite sowie als Parteiapparat in China, dann mache ich mir da schon ernsthafte Sorgen. Meines Erachtens ist das der falsche Weg, an die Sache heranzugehen.

Wir werden uns mit China nie messen können, das Milliarden an Investitionen für Forschung ausgibt, um in der Künstlichen Intelligenz voranzukommen. Wir werden uns darüber hinaus fragen müssen, wie wir die Chancen der Künstlichen Intelligenz so nutzen können, dass wir hier unseren Wohlstand vernünftig voranbringen können, ohne auf die Technologien in China zurückgreifen zu müssen, sondern unseren eigenen Weg in Europa gehen und trotzdem innovativer Vorreiter in der Welt sein können.

Deswegen ist es richtig und wichtig, was die Landesregierung dort angefangen hat. Ich möchte hier noch mal klar sagen, dass wir mit diesem Antrag probieren, genau dort einzusteigen, und die Chancen sehen, dass Nordrhein-Westfalen zu einem führenden Standort in der Künstlichen Intelligenz wird.

Damit es auch in der Gesellschaft eine entsprechende Rückendeckung gibt – wir wissen alle, dass solche Technologien nur funktionieren, wenn sie dem Menschen dienen und klar wird, dass es auch einen Mehrwert für die Menschen hat –, ist es meines Erachtens entscheidend, dass wir einen KI-TÜV haben, eine ethische Grundlage für Algorithmen, damit klar ist, was sie machen können, dürfen und was sie nicht machen sollen, Stichwort China.

(Beifall von Rainer Matheisen [FDP])

– Danke sehr.

Deswegen glaube ich, dass das ein guter Punkt ist, den Andreas Pinkwart im Sommer vorgestellt hat.

Wir wollen gleichzeitig auch die NRW-Aktivitäten zusammen mit dem Bund bündeln. Das ist meines Erachtens wichtig, da wir nicht unendlich Ressourcen haben. Diese Ressourcen müssen wir entsprechend vernünftig auf den Weg bringen. Wir wollen die Kooperation von geförderten Hochschulprojekten im KI-Bereich mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen unterstützen und die gleichzeitig mit der Wirtschaft verbinden. An den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gibt es exzellente Ideen. Es geht jetzt darum, die – sprich PS – auf die Straße zu bringen.

Wir müssen natürlich mehr im Bereich der Hochschulen machen, bei KI-Professuren. Das hat angefangen, und ich hoffe, dass wir dort entsprechende Impulse bekommen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, die Digitalisierung und vor allem KI muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Anderswo mag man das anders sehen. Ich mag Ihnen daher aus Überzeugung als liberaler Demokrat Folgendes sagen: Es ist unsere politische Verantwortung, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit KI und Big-Data-Analyse, damit maschinelles Lernen Technologien bleiben, die Freiheit und Teilhabe schützen und ermöglichen. Das geht nur, wenn wir in Forschung und Wissenschaft investieren und in unserer Mitte sinnvoll einsetzen.

Deswegen werbe ich hier heute ausdrücklich um die Unterstützung von allen Fraktionen und freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Hafke. – Jetzt spricht Frau Kampmann für die SPD-Fraktion.

Christina Kampmann*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass jetzt auch CDU und FDP hier in Nordrhein-Westfalen das Thema „Künstliche Intelligenz“ für sich entdeckt haben, nachdem die SPD-Fraktion …

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

– Sie wissen es vielleicht noch nicht. Aber die SPD-Fraktion hat schon im letzten Jahr ein Maßnahmenpaket dazu verabschiedet, während die Bundesregierung ihr Strategiepapier zum Thema „Künstliche Intelligenz“ längst mit Leben füllt.

Wenn man sich so viel Zeit damit lässt, dann könnte man erwarten, dass dabei auch etwas richtig Gutes herauskommt nach dem Motto „Was lange währt, wird endlich gut“.

(Beifall von Martin Börschel [SPD])

Aber wenn wir uns Ihren Antrag anschauen, dann sehen wir, das Gegenteil ist der Fall. Der Antrag beginnt schon mit einem Satz, den eigentlich keine Digitalpolitikerin mehr hören kann. Ich zitiere: „Die Digitalisierung verändert unser Leben.“ – Das ist so nichtssagend wie einfallslos.

(Zuruf von der CDU)

Wenn man dann weiterliest, sieht man, es geht gar nicht um das Leben von Menschen, sondern es geht um Künstliche Intelligenz als Grundlage von Geschäftsmodellen und in aller Ausführlichkeit um das Thema „innere Sicherheit“. Es folgt dann eine ganz lange Aufzählung, wo überall in Nordrhein-Westfalen schon zum Thema geforscht wird.

(Florian Braun [CDU]: Das ist ja auch schon was!)

Dann wollen CDU und FDP den technologischen Wandel auch noch in unser Menschenbild einbetten, um am Ende festzustellen, dass der sozialdemokratische Finanzminister eigentlich der Einzige ist, der bisher etwas ganz Konkretes getan hat, nämlich Geld für den Haushalt 2019 zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das steht in Ihrem Antrag, lieber Florian Braun. Schauen Sie noch einmal nach. Das ist ein Fakt, und das hat die SPD geschafft.

(Beifall von der SPD – Florian Braun [CDU]: Es geht ja um das ganze Netzwerk!)

Ich komme zu den weiteren aufregenden Inhalten Ihres Antrages. Wer denn hofft, dass man in der Beschlussfassung etwas Konkreteres über die Pläne erfahren wird, wird auch enttäuscht. Überraschenderweise begrüßt Schwarz-Gelb die Pläne der Landesregierung, den Forschungs- und Wirtschaftsstandort NRW im Bereich von KI zu stärken, und man freut sich auch hier über die Fördermittel aus dem Bund.

Was soll dann konkret passieren? – Zum einen will man die Aktivitäten des Bundes begleiten; das finden wir natürlich gut.

Zweitens möchte man die unternehmerischen Nebentätigkeiten bei Lehrenden unterstützen. Als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob das jetzt wirklich die wesentliche Herausforderung ist, die wir im Bereich von KI gerade zu bewältigen haben.

Das Dritte ist, man möchte ausländischen Fachkräften …

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

– Hören Sie doch einmal zu, lieber Florian Braun.

… man möchte ausländischen Fachkräften – das ist ja ganz spannend, was hier geschrieben wird – Formulare jetzt auch digital und sogar in englischer Sprache zur Verfügung stellen, wenn Jens Spahn nichts dagegen hat. Was das in einem Antrag zum Thema „Künstliche Intelligenz“ zu suchen hat, bleibt Ihr Geheimnis.

Kurzum, das ist eine Strategie, die dem Potenzial und den Herausforderungen zur Gestaltung von Künstlicher Intelligenz nicht ansatzweise gerecht wird. Der gesellschaftliche Mehrwert, von dem Sie solange hier geredet haben, lieber Herr Hafke, wird überhaupt nicht erkennbar. Und was Sie Bahnbrechendes wirklich umsetzen wollen, das kann man in diesem Antrag nicht sehen.

Da fragt man sich doch: Warum haben Sie das Positionspapier der SPD-Landtagsfraktion eigentlich nicht vorher mal gelesen? Dann hätten Sie erfahren, was man wirklich tun muss, damit Künstliche Intelligenz eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist. Dann hätten Sie auch erfahren, was man tun muss, um den Wandel der Arbeitswelt in diesem Feld zu gestalten, wenn nämlich KI Arbeitskräfte ersetzt oder wenn die Mensch-Maschine-Kooperation notwendig wird.

(Beifall von der SPD)

Die ethischen Fragen haben Sie gerade auch erwähnt. Den TÜV; den Sie angesprochen haben, Herr Hafke, habe ich nicht gefunden. Zu den ethischen Fragen äußern Sie sich quasi überhaupt nicht. Sie sagen zwar, dass KI Auswirkungen auf unser Zusammenleben haben wird, wie Sie aber die ethischen Aspekte dazu berücksichtigen wollen, erwähnen Sie mit keinem Wort. Auf das Missbrauchspotenzial und die Manipulationsrisiken gehen Sie genauso wenig ein wie auf die gesellschaftlichen Chancen.

Ich möchte eine Künstliche Intelligenz, die auf unseren Grundwerten basiert, die diskriminierungsfrei ist und die den Menschen tatsächlich in den Mittelpunkt stellt.

Der Überweisung stimmen wir natürlich trotzdem zu und schlagen Ihnen, wie gesagt, vor, bis zum nächsten Mal, bis wir das im Ausschuss diskutieren werden, sich unser Maßnahmenpaket anzuschauen; da können Sie nämlich noch einiges lernen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Kampmann. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Hafke, Sie hatten gerade bemängelt, und dem schließe ich mich an, dass das Positionspapier der SPD nicht so richtig toll und abschließend und

(Zuruf von der SPD: Was?)

dass das nicht gut genug kommuniziert worden sei. Es steht zumindest im Internet. Vielleicht sehen wir uns das noch einmal zusammen für die gemeinsamen Beratungen an.

Liebe Kollege Hafke, ich fand es gut, dass Sie eben in Ihrer Rede auch die Chancen von Künstlicher Intelligenz für unsere Debatte in den Mittelpunkt gestellt haben. Da haben wir auf jeden Fall keinen Dissens, dass diese Chancen enorm sind, auch für gesellschaftlichen Fortschritt zu sorgen. Wir sollten diese Chancen gemeinsam nutzen und gemeinsam in den Mittelpunkt stellen, ohne die Risiken auszublenden.

In dem Antrag wird viel begrüßt, beachtet und beobachtet. Aber wir fragen uns schon, wann das denn alles – das haben wir uns bei der Digitalpolitik der Landesregierung schon sehr, sehr oft gefragt – umgesetzt wird.

Sie wollen 4,5 Millionen Euro für Künstliche Intelligenz, für KI NRW einsetzen. Das ist sicherlich nicht schlecht. Vergleichen wir aber einmal verschiedene Haushaltspositionen. Bei Herrn Pinkwart gibt es 4,5 Millionen Euro für Künstliche Intelligenz, und bei Frau Scharrenbach gibt es 12 Millionen Euro – in Zukunft sogar noch mehr – für – Sie nennen das Heimat – Schützenfeste und dicke Bohnen. Daran sieht man doch, dass die Priorität dieser Landesregierung darin liegt, darüber nachzudenken, wie man die CDU demnächst über 30 % bekommt, und nicht darüber, wie die Digitalisierung in unserem Land gestaltet werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesfinanzminister ist mir in dieser Debatte ein bisschen zu gut weggekommen. Es ist zwar so, dass die Bundesregierung eine Strategie für Künstliche Intelligenz erstellt hat, aber so richtig finanziell hinterlegt, wenn man sich das einmal ansieht, ist es nicht. Es ist doch vielmehr ein ziemliches Trauerspiel. Zuerst waren 5 Milliarden Euro angekündigt, dann kam nichts, dann wurden es 500 Millionen Euro, und im Moment sind wir, meine ich, bei 1 Milliarde für fünf Jahre.

Wir wissen doch, dass wir in jedem Falle mit dem, was Olaf Scholz da macht, global nicht konkurrenzfähig sind. Vielleicht reicht es für den SPD-Vorsitz, aber sicher nicht für die Gestaltung der Digitalisierung.

Und das bunte Zuständigkeitschaos in der Bundesregierung ist sicherlich auch nicht unbedingt berauschend.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wichtig, dass wir diese Debatte mit großer Ernsthaftigkeit führen, dass wir uns hier gemeinsam darüber unterhalten, welche ethischen Fragen mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz einhergehen. Im Antrag sind ein bisschen, wenn man das jetzt sehr wohlmeinend interpretiert, die ethischen Fragen – insbesondere hinsichtlich der Diskriminierung – angesprochen worden nach dem Motto: „Ich habe keine Lösung, aber ich bewundere das Problem.“

(Beifall von Wibke Brems [GRÜNE])

Es ist ja schon einmal gut, dass wir gemeinsam dieses Problem bewundern wollen, weil wir aus der Fachdiskussion und aus vielfältiger Berichterstattung wissen, dass es unter anderem die Gefahr der Diskriminierung von Frauen, von People of Color gibt, wenn Algorithmen, die standardmäßig von weißen Männern lernen sollen, darüber entscheiden, wie wir künftig die Welt sehen.

Wir brauchen selbstverständlich eine demokratische Kontrolle von Algorithmen. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir diese gesellschaftliche Diversität auch in Künstlicher Intelligenz abbilden. Dafür gibt es inzwischen – unter anderem die Gleichstellungsministerkonferenz hat dafür schon Vorschläge erarbeitet – Konzepte, aber die müssen wir gemeinsam politische Realität werden lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt auch noch viele weitere Punkte in diesem Antrag, für die munter geworben wird. Warum soll die Landesregierung nur für den Ausbau von KI-Profes-suren werben? Das Land verlässt sich darauf, dass die Hochschulen Mittel umschichten, anstatt selber an dieser Stelle aktiv zu werden, zum Beispiel durch Wettbewerbe für KI-Professuren hier im Land.

Das sind doch Punkte, bei denen man sich fragt: Warum regieren Sie, wenn Sie einfach nur für irgendetwas werben wollen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Ähnlich ist es auch bei der Flexibilisierung und Unterstützung von Lehrenden bei unternehmerischen Tätigkeiten; denn das bedeutet jedenfalls dann, wenn man das nicht auffängt, natürlich im Umkehrschluss, dass Lehrende künftig weniger lehren können. Das ist nach einem Hochschulgesetz, durch das Schwarz-Gelb gezeigt hat, dass CDU und FDP eben nicht in die Lehre gehen wollen, dass sie nicht die Interessen der Studierenden an den Hochschulen in den Mittelpunkt stellen wollen, ein weiterer Schritt zu einer Qualitätsverschlechterung in der Lehre.

Insofern muss man an dieser Stelle einfach sagen, dieser Antrag geht davon aus, dass alles schon irgendwie passieren wird, dass alles schon irgendwie gutgehen wird. Ich glaube, da braucht es schon ein bisschen mehr an politischem Handeln, als einfach nur zu beobachten und zu begrüßen.

Wir sind sehr gern bereit und freuen uns wirklich auf die Beratungen im Ausschuss. Ich stelle mir auch vor, dass wir das gemeinsam und in einer Ernsthaftigkeit machen, die vielleicht auch mal über das klassische Anhörungs-Setting hinausgeht, damit wir da zu einer gemeinsamen Diskussion kommen können; denn das Thema wäre es auf jeden Fall wert, politisch ordentlich bearbeitet zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte-Richter. – Jetzt spricht Herr Tritschler für die AfD-Fraktion.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein neuer Digitalisierungsantrag der Koalition, eine neue Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten, vagen Absichtserklärungen und Klein-Klein! Das heutige Buzzword heißt „Künstliche Intelligenz“, also maschinelles Lernen. Da reihen Sie unfallfrei einige Begriffsbestimmungen und ein paar Beispiele für aktuelle und mögliche Anwendungen aneinander. Dann ist den Verfassern aber offenbar auch schon die Humanintelligenz ausgegangen.

4,5 Millionen Euro will die Landesregierung also in KI investieren. Besser als nichts, mag man da sagen. Aber wir setzen es mal ins Verhältnis: 500 Millionen Euro werden Sie, wie wir hören, für Batteriezellenforschung ausgeben, nur weil Sie glauben, besser als der Verbraucher zu wissen, welches Auto er fahren möchte. So wichtig ist Ihnen das Thema.

Zur weiteren Orientierung: Alleine in Shanghai werden 15 Milliarden Euro in KI-Projekte investiert. – Jetzt müssen wir uns leider eingestehen, dass man dort schon lange in einer anderen Liga spielt, weil unsere Politik seit Jahrzehnten jeden Fortschritt wahlweise behindert oder ihm hinterherläuft. Aber wir haben ja durchaus noch unsere Stärken. Wir haben eine vitale Industrie, einen vitalen Mittelstand. Hier würde eine intelligente Strategie ansetzen und diese Unternehmen fit machen für die digitale Zukunft, für das, was wir unter Industrie 4.0 verstehen.

Das Problem ist nämlich nicht, dass wir keine gute Forschung oder keine guten Leute haben. Im Gegenteil. Das Problem ist, dass die Umsetzung marktfähiger Anwendungen nicht in Deutschland passiert. Es ist auch kein Geheimwissen, warum das so ist. Das hören wir quasi bei jeder Anhörung im Ausschuss. Wir sind überreguliert und innovationsfeindlich. Das trieft auch schon wieder aus dem Antrag, und das konnte man auch schon wieder bei jedem Beitrag in der Debatte hören.

Statt die Chancen auszuloten und den Menschen Mut zur Innovation zu machen, kommen erst mal Bedenken: Natürlich muss die DSGVO eingehalten werden. Die Datenethikkommission muss befragt werden. Gerade war vom TÜV die Rede. Und die Gleichstellungsministerkonferenz darf auch noch was dazu sagen. Und dann mein Liebling – das zitiere ich hier –: Es soll zu diskriminierungsfreien Algorithmen kommen. – Nicht dass am Ende noch ein Computer die Frauenquote umgeht. Man liest das und wundert sich, ob das so noch mal was mit dem Standort Deutschland oder Nordrhein-Westfalen werden kann.

Wie Sie unter solchen Bedingungen Spitzenpersonal ins Land lotsen wollen, bleibt uns jedenfalls ein Rätsel, auch wenn Sie jetzt auf Messen darum werben wollen und die notwendigen Formulare – Frau Kampmann hat es angesprochen; man höre und staune –, digital und auch auf Englisch anbieten wollen.

Das Spitzenpersonal wird nicht kommen bzw. es wird weiterhin gehen, nicht nur, weil es hier seine Ideen nicht umgesetzt bekommt, ohne gegen bürokratische Wände zu laufen. Das Personal schaut eben aufs Geld, auf die Steuern, auf die Infrastruktur, auf Schulen, auf innere Sicherheit. Solange hier kein fundamentales Umsteuern stattfindet, kommen wir auch nicht voran und werden wir für diese Leute auch nicht attraktiver.

Ihr Antrag begeistert also nicht unbedingt. Schaden tut er allerdings auch nicht. Es wird ja hoffentlich eine Anhörung dazu geben. Die wird sicherlich interessant. Wir werden uns gern daran beteiligen. In der Zwischenzeit rufen Herr Braun und Frau Kampmann vielleicht mal die Parteifreunde in Berlin an. Die haben nämlich für Mitte 2019 den KI-Masterplan der Bundesregierung versprochen und bisher noch nicht geliefert. So wird das nichts mit der Zukunft, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Jetzt hat die Landesregierung das Wort. Es spricht Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute das wichtige Thema „Künstliche Intelligenz“ auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP beraten können. Ich halte das Thema für ein zentrales Zukunftsthema nicht nur für Nordrhein-Westfalen, aber gerade auch für Nordrhein-Westfalen, weil die KI – Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen – eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist und alle gesellschaftlichen Bereiche vom Maschinenbau über den Gesundheitsbereich bis hin zu den Medien, dem Handel und anderen Feldern mehr durchdringt.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns dieses Themas sehr intensiv im Land Nordrhein-Westfalen annehmen und dass wir uns durch das Hohe Haus und seine Ausschüsse eng begleitet sehen.

Wir haben hier eine eigene Initiative gestartet. Frau Pfeiffer-Poensgen und ich haben mit dem Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin mit dem Kollegen Wrobel an der Spitze und seinen Kolleginnen und Kollegen ein tolles Team gefunden, das dies aufgreift.

Das Team kann in Nordrhein-Westfalen hervorragend vernetzen, weil wir in Nordrhein-Westfalen viele Forschungseinrichtungen haben, die sich auch in der Vergangenheit – schon in den letzten 20 Jahren – mit dem Thema beschäftigt haben. Wir heben uns bundesweit mit unseren Hochschul- und Forschungseinrichtungen als ein Ort exzellenter KI-Forschung und Forschung des maschinellen Lernens ab. Wir stellen mit Frau Morik von der TU Dortmund auch die Sprecherin aller Kompetenznetze auf Bundesebene.

Das heißt, hier hat das Land Nordrhein-Westfalen schon gut investiert. Hier haben wir die Köpfe, aber wir haben sie nicht nur in der Forschung und in der Lehre, sondern wir haben dieses Know-how auch in unseren Unternehmen.

Und weil eben anklangt: „Was tut denn das Land? Wenn jemand etwas tut, ist es nur der Bund“, möchte ich sagen: Ja, auch der Bund investiert schon länger in diese Themenfelder, auch wenn sie früher anders bezeichnet wurden. Allerdings hat Nordrhein-Westfalen erkannt, dass es wichtig ist, wenn der Bund über eine Weile Exzellenz fördert, diese weiter zu fördern, wenn sie sich als exzellent erwiesen hat.

Das gilt vor allem im Transfer, und hier möchte ich insbesondere die Initiative „it's OWL“ nennen. Das ist eine Initiative, die fast 200 Unternehmen einbindet und insbesondere die intelligenten technischen Systeme – dafür steht Abkürzung die Abkürzung „it's“ – im Blick hat. Das Land Nordrhein-Westfalen investiert, nachdem der Bund fünf Jahre gefördert hat, in den nächsten fünf Jahren 53 Millionen Euro, um dieses Know-how aus der Region für die Unternehmen verfügbar zu machen. Wir haben hier viele wichtige Hidden Champions. Wir haben hier einen hohen Impact, auch für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.

Darüber hinaus haben wir alleine in den letzten sechs Monaten andere Initiativen starten können. Ich nenne beispielsweise das Mobilitätsprojekt „Bergisch.Smart“ in Wuppertal. Dieses Projekt ist bereits mit einem Lead Partner, der Aptiv in Wuppertal, bewilligt. Da geht es um das autonome Fahren, bei dem KI natürlich eingesetzt wird.

Um Ihnen einige Beispiele zu benennen: In Aachen befindet sich das Spitzencluster „Additive Manufacturing“ im Aufbau, also KI im industriellen 3D-Druck. Wir betrachten das Thema „Smart Production and Farming“ als ein großes Feld.

Wir arbeiten mit der Uniklinik Essen am Thema „intelligentes Krankenhaus“, und in Lünen haben wir ein Spitzencluster im Bereich der Circular Economy.

Herr Bolte-Richter, wir geben nicht nur die 3 Millionen Euro aus – das ist nur für die Geschäftsstelle –, sondern wir geben insgesamt 30 Millionen Euro pro Jahr aus und werden auch als Land sicherlich noch zusätzliche Mittel in die Hand nehmen. Wir gehen davon aus, dass wir alleine mit unseren Mitteln weitere 60 bis 70 Millionen Euro private Mittel mobilisieren können, sodass wir mit 100 Millionen Euro pro Jahr dabei sind.

Darüber hinaus werden wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um auch aus dem Bundesprogramm noch mehr Mittel nach Nordrhein-Westfalen zu lenken, sodass in den nächsten fünf bis zehn Jahren erhebliche zusätzliche Investitionen hinzukommen, um Nordrhein-Westfalen zu einem der führenden KI-Standorte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa zu machen.

Wir waren unlängst mit unseren Forschern in Brüssel. Wir haben den europäischen Abgeordneten und Mitgliedern der Kommission unser Thema vorgestellt. Wir haben die Kommission sehr beeindruckt, auch mit unserer Zertifizierung.

Schließlich ist es bereits nach sechs Monaten gelungen, mit den Partnern, die sich in dem Themenfeld eines ethisch verantwortlichen Umgangs mit Künstlicher Intelligenz bewegen, einen Kriterienkatalog für eine solche Zertifizierung zu entwickeln. Das könnte einerseits eine eigene Marke für uns in Nordrhein-Westfalen werden, die uns hilft, für bessere ethische Grundlagen bezüglich dessen zu sorgen, was sich hier für die Menschen auswirkt. Es könnte andererseits eine Marke werden, die sich bundesweit und europäisch durchsetzen könnte.

Wir haben jedenfalls sowohl in Brüssel als auch bei Treffen in London gesehen, dass dieses Thema der Zertifizierung in Europa auf großes Interesse stößt. Insofern ziehe ich schon nach sechs Monaten mit unserem neuen Kompetenznetzwerk eine positive erste Zwischenbilanz.

Ich sehe mich sehr bestärkt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen und glaube, dass wir das auch durch die angedeutete Beratung, Herr Bolte-Richter, auf eine breite Grundlage werden stellen können. Es ist eine hervorragende Möglichkeit, unseren Sachverstand in den Dienst einer KI zu stellen, die dem Menschen dient und auch unsere Wissenschaft und Wirtschaft stärkt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit kommen wir zur Abstimmung.  Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7374 an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation – federführend –, an den Wissenschaftsausschuss sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer hat etwas dagegen? – Niemand. Wer hat etwas dafür? – Gibt es Enthaltungen? – Nein. Dann haben wir den Antrag einstimmig überwiesen; das war zu erwarten.

Ich rufe auf:

11 Mikroplastik auf unseren Sportanlagen: Kommunen, Vereine und Verbände werden im Sportland Nr. 1 nicht alleine gelassen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7378

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7453

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion ist Herr Nettekoven als Sprecher gemeldet. Bitte schön.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anzahl der Kunstrasenplätze ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Im Freizeit- und Breitensport Fußball ist heute ein Trainings- und Spielbetrieb ohne Kunstrasenplätze nicht mehr denkbar. Dafür gibt es gute Gründe.

Kunstrasenplätze erlauben deutlich höhere Nutzungszeiten als Rasenplätze. Im Trainingsbetrieb ersetzt ein Kunstrasenfeld zweieinhalb Naturrasenplätze. In der Praxis werden 41 % der Kunstrasenplätze von mehr als zehn Jugend- und Seniorenmannschaften genutzt. Bei den Naturrasenflächen sind es gerade einmal 10 %.

 Meine Damen und Herren, Ascheplätze als ganzjährig bespielbare Alternative zum Naturrasen sind ein Auslaufmodell. Fußballvereine, die weder über einen Naturrasen noch über einen Kunstrasenplatz verfügen, stehen bei Eltern und Kindern nicht hoch im Kurs. Alle unter uns, die wie ich selbst auf Asche Fußball gespielt haben, können das sicherlich verstehen.

Aber jetzt sind die Kunstrasenplätze in den Fokus der Europäischen Chemikalienagentur geraten, genauer gesagt das Kunststoffgranulat, das zur Verfüllung vieler Kunstrasenplätze verwendet wird und von dort als Mikroplastik in die Umwelt gelangt. Medienberichte über das angeblich bevorstehende EU-Verbot von Kunstrasenplätzen haben für medialen Wirbel und große Unruhe bei den Sportvereinen gesorgt. Meine Damen und Herren, deshalb begrüße ich es, wenn wir heute mit dem gemeinsamen Antrag von FDP und CDU zu einer sachlich fundierten und lösungsorientierten Diskussion zurückkehren.

Fakt ist: Der Austrag von Mikroplastiken auf Kunstrasenplätze belastet die Umwelt. Eine Reduzierung und langfristige Vermeidung dieses Austrags sind deshalb zwingend erforderlich. Aber auf dem Weg dahin müssen die Interessen von Umweltschutz und Sport gleichberechtigt einfließen.

Meine Damen und Herren, werfen wir einen Blick auf die Situation in Deutschland: Im europäischen Vergleich gibt es bei uns laut dem DOSB die mit Abstand höchste Anzahl an Kunstrasenspielfeldern – geschätzt 6.000 deutschlandweit und 1.400 in Nordrhein Westfalen. Jedes Jahr kommen deutschlandweit 300 Kunstrasenplätze hinzu. Aktuell reden wir von 30 Millionen m² Kunstrasenfläche in Deutschland. Das entspricht der Fläche von Münster.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen kleinen Exkurs: Bei Kunstrasenplätzen, die nach europäischer Norm gebaut werden, kommen 15 kg Granulat pro Quadratmeter zum Einsatz, bei der Bauweise nach DIN-Norm dagegen nur 5 kg Granulat pro Quadratmeter. Unter dieser Voraussetzung ist davon auszugehen, dass pro Großspielfeld durchschnittlich 300 kg Kunststoffgranulat im Jahr nachgefüllt werden müssen.

Es gibt Maßnahmen, die zur Minimierung des Infill-Austrags führen, zum Beispiel Pflegemaßnahmen oder Filtersysteme. Der geschätzte Wirkungsgrad der Maßnahmen liegt bei einer 50%igen Reduzierung des Austrags von Mikroplastik. Das ist richtig und wichtig.

Aber Fakt ist: Sollte ein Verbot von Kunststoffgranulat kommen, wird dies weitreichende Folgen für Vereine und Kommunen haben. Nach Schätzung des DOSB wären in Deutschland ca. 5.000 bis 6.000 Sportstätten von einem Inverkehrbringungsverbot betroffen. Die Kosten für den Ausgleich liegen pro Großfeld geschätzt zwischen 37.000 und 43.000 Euro.

Dass Kunstrasenplätze zudem regelmäßig gewartet und gepflegt werden und auch damit Kosten verbunden sind, steht außer Frage. Ein sofortiges Verbot des Granulats und ein Ersetzen mit Kork oder Quarzsand müssen aber nicht sein. Das kann durch eine vernünftige Übergangsfrist gemindert werden.

Wir stehen an der Seite unserer Vereine und Kommunen und werden sie nicht alleine lassen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Daher haben wir heute unseren Antrag eingereicht, um als das größte Bundesland die Bundesregierung um Unterstützung bei der Europäischen Union zu bitten. Das ist ein wichtiges Thema nicht nur für unsere Vereine und Kommunen in NRW, sondern insgesamt. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung.

Meine Zeit am Rednerpult ist zwar abgelaufen. Aber ich möchte noch kurz auf den Entschließungsantrag der AfD-Fraktion eingehen. Ihr Entschließungsantrag geht in eine andere Richtung. Sie wollen kein Verbot, sondern ein Weiter-so. Das ist ein falsches Zeichen. Wir wollen Ängste und Sorgen nehmen und bei einem ernsten Thema die möglichen Betroffenen unterstützen. Deswegen werden wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nettekoven. – Nun spricht Herr Terhaag für die FDP-Fraktion.

Andreas Terhaag*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit einem wichtigen sportpolitischen und gleichzeitig umweltpolitischen Thema, nämlich der Zukunft unserer Kunstrasenplätze mit Kunststoffgranulatfüllung.

Kunstrasenplätze – der Kollege Nettekoven hat es schon erwähnt – sind hervorragende Spielfelder und Trainingsstätten, da sie ganzjährig nutzbar sind und eine deutlich höhere tägliche Auslastung vertragen als zum Beispiel Naturrasenplätze.

Unsere Sportvereine sind auf Kunstrasenplätze dringend angewiesen – zum einen, um den Trainings- und Ligabetrieb zu sichern, und zum anderen, um das gesellschaftliche und soziale Miteinander durch den Sport zu praktizieren.

Auf ca. 1.400 Kunstrasenplätzen in unseren 396 Städten und Gemeinden befinden sich Kunststoffgranulate als Füllmittel. Sie gewährleisten einerseits hervorragende Eigenschaften für Bewegung und Sport, stellen aber andererseits durch die in verschiedenster Art und Weise erfolgende Austragung von Mikroplastik in die Umwelt eine langfristige Gefahr auch für künftige Generationen dar.

Zudem ist auch der Sport auf eine gesunde Umgebung und intakte Natur angewiesen. Es steht daher im ureigenen Interesse des Sports, Umweltbelastungen zu vermeiden. Das heißt im Klartext: Sport sollte in Sportstätten möglichst umweltschonend betrieben werden.

Deswegen ist die Initiative der EU-Kommission zur Vermeidung von Mikroplastikeintrag in die Umweltatmosphäre richtig. Das Vorhaben sowie sicherlich auch ein Stück weit auch die Berichterstattung haben allerdings zu großer Aufregung und Verunsicherung bei den Sportvereinen, bei den Sportverbänden und in der Kommunalszene, aber auch in der Herstellerbranche geführt.

Mit unserem heutigen Antrag wollen wir der Sportszene etwas von der großen Unruhe nehmen und uns solidarisch mit dem Sport zeigen. Die Landesregierung wird den betroffenen Kommunen und Sportvereinen beratend zur Seite stehen und auch prüfen, welche Alternativen bei einer Füllumstellung infrage kommen.

Ich bin übrigens der Landesregierung sehr dankbar dafür, dass unser Sportstättenförderprogramm „Moderne Sportstätte 2022“ vorsorglich eine Förderung von Kunstrasenplätzen mit Kunststofffüllungen ausgeklammert hat; denn damit hat man weitsichtig und nachhaltig gehandelt, um den Kreis der Betroffenen nicht weiter zu vergrößern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keinen Umweltkollaps, aber auch keinen Sportkollaps. Unser heutiger Antrag soll kurz vor Konsultationsende der Europäischen Chemikalienagentur die Haltung der Landesregierung sowie der Sportfunktionäre in DOSB, DFB und weiteren Verbänden untermauern. Sie lautet: ein Ja zu einem Verbot von Mikroplastik als Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen verbunden mit einer Übergangsfrist bis mindestens 2028 und damit ein Nein zu einem sofortigen Verbot.

So halten wir die Balance im Interessenkonflikt, ohne Sportvereine, Sportverbände, Kommunen und Wirtschaft zu überfordern. Mit einer Übergangsfrist bis 2028 besteht genügend Zeit für die Suche nach alternativen Füllmaterialien.

Natürlich haben die Debatten über Korkgranulat und Quarzsand als alternative Füllstoffe begonnen. Es gibt dabei aber mehrere Probleme: Erstens ist Korkgranulat ein deutlich teurer Fühlstoff als Kunststoff, zweitens steigt bei Sandfüllungen die Verletzungsgefahr der Sportler und drittens sind beide alternativen Füllstoffe derzeit nicht in ausreichender Menge vorhanden.

Deshalb teile ich voll und ganz die Ansicht von Professor Dr. Franz Brümmer, dem Vorsitzenden der Kommission für Sport und Umwelt des Landessportverbandes Baden-Württemberg, dass ein Naturstoff gefunden werden muss, der die Eigenschaften des jetzigen Kunststoffgranulats voll ersetzt.

Der DOSB hat sich bereits auf den Weg gemacht und wird am Rande der Internationalen Fachmesse für Freiraum, Sport und Bewegung Anfang November dieses Jahres in Köln einen runden Tisch zum Austausch über nachhaltige Nutzung, Betrieb, Planung, Bau, Herstellung, Entsorgung und Forschung einrichten. Das begrüßen und unterstützen wir sehr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich abschließend bei den anderen Fraktionen für unseren Antrag werbe, gehe ich gerne noch kurz auf den Entschließungsantrag der AfD ein. Diesem kann man schon allein deswegen nicht zustimmen, weil er – Kollege Nettekoven hat es auch schon gesagt – für die Beibehaltung des Kunststoffgranulates ist

(Andreas Keith [AfD]: Ja!)

und damit den Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt nicht verhindern möchte.

Geben wir deshalb gemeinsam das eindeutige Signal aus dem nordrhein-westfälischen Landtag in Richtung der EU, dass wir für ökologisches Handeln stehen, ohne unser Sportland Nummer eins zu überfordern und nachhaltig zu schädigen. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Terhaag. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Bischoff.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich den Antrag als Mitglied des Sportausschusses ansieht – das sind nicht alle; deshalb muss ich es erklären –, denkt man auf den ersten Blick: Sieg der Opposition; Sieg der Vernunft.

Die SPD hat es in der Sportausschusssitzung vom 9. Juli dieses Jahres ganz kurzfristig beantragt, weil uns über das Wochenende zuvor klar wurde, wie brisant das Thema ist und dass wir es dringend bereden müssen. Die Punkte, die hier im Antrag stehen, sind allesamt in der Sitzung besprochen worden. Da war es auch klug, sie so zu besprechen.

Nun sind aber die Antragsteller und die Redner, auch Herr Terhaag und der Redner von der CDU

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Nettekoven!)

– Entschuldigung –, beim 9. Juli 2019 stehen geblieben. Sie oder Ihre Referenten, die den Antrag geschrieben haben, sind einfach stehen geblieben und haben in der Sommerpause aufgehört, zu arbeiten. Sie haben nicht mehr mitbekommen, dass die EU am 23. Juli 2019 erklärt hat – ich habe die Pressemitteilung extra mitgebracht –, dass sie kein Verbot von Kunstrasenplätzen plant.

Den ersten Satz daraus könnte ich vorlesen. Das tue ich auch, wenn der Präsident es erlaubt, oder fasse es einmal zusammen: Die Europäische Kommission gibt bekannt, dass sie überhaupt nicht vorhat, ein solches Verbot vorzusehen.

Jetzt könnte man sagen, dass Herr Terhaag geografisch zu nah an der AfD sitzt und Europa einfach nicht glaubt, wenn dort etwas gesagt wird.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hallo?)

– “Geografisch“ habe ich gesagt; sonst nicht. – Dann hätte er aber spätestens am 1. August dieses Jahres klüger werden müssen; denn da hat die Landesregierung eine Pressemitteilung herausgegeben und Entwarnung für Freizeitkicker gegeben:

„Nach einem ressortübergreifenden Fachgespräch, zu dem das für Chemikaliensicherheit zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eingeladen hatte, gibt es nun eine Entwarnung: Die Vertreter der Ministerien sind sich einig, dass die ECHA und die Europäische Kommission kein Verbot von Kunstrasenplätzen planen.“

Zunächst einmal ist das ganz lustig, weil die Landesregierung erst acht Tage gebraucht hat, um eine interministerielle Arbeitsgruppe zusammenzusetzen, die wahrscheinlich – so vermute ich – vorgelesen hat, was die EU verkündet hat. Dann haben sie festgestellt, dass sie es verkündet hat. Jedenfalls geben sie Entwarnung.

Nun trauen Sie entweder Ihrer eigenen Landesregierung nicht, die Sie selbst tragen, und sagen, dass das gar nicht stimme und es überhaupt keine Entwarnung gewesen sei. Wir müssten Frau Milz einmal fragen, wie sie dazu steht. Oder es ist so gewesen, wie ich gesagt habe, dass Sie nach dem 9. Juli 2019 einfach eingeschlafen sind und nicht mehr wahrgenommen haben, was passiert ist. Eine der beiden Erklärungen muss es eigentlich sein.

Frau Scharrenbach, Sie sprechen ja gleich für die Landesregierung. Was nicht darin steht, ist die Frage des 300-Millionen-Euro-Programms. Konsequenterweise dürfte man die Anteile der Kunstrasenplätze jetzt nicht mehr herausnehmen, wenn man sagt, dass sie ja gar nicht verboten werden. Ich bin gespannt, was Sie gleich dazu sagen werden.

Ich bin auch gespannt darauf, wie Sie überhaupt mit dem Antrag der Fraktionen umgehen. Sie fordern ja etwas, was Sie schon längst getan haben. Ich nehme an, dass Sie ihnen im Vorfeld der Beratungen mitgeteilt haben, dass Sie längst das geregelt haben, was in der Pressemitteilung vom 1. August dieses Jahres steht – wenngleich die beiden Redner zu meiner Überraschung nicht darauf eingegangen sind; sie haben es also immer noch nicht mitbekommen.

Ich bin also gespannt, was Sie gleich zu den beiden Punkten, die ich hier angesprochen habe, sagen werden.

(Zuruf von Andreas Terhaag [FDP])

Nun wird Sie nicht überraschen, dass wir das Ganze, um ehrlich zu sein, für ein ziemliches Kasperletheater halten. Aber wir mögen in meiner Fraktion Kasperletheater. Deshalb werden wir gleich einfach einmal mit Ja stimmen und dann im Ausschuss fragen, was die Landesregierung aufgrund des Antrags denn jetzt noch macht, obwohl sie vorher schon gesagt hat, dass sie bereits alles gemacht habe.

Wir sind also gespannt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

(Beifall von der SPD und Horst Becker [GRÜNE] – Zuruf von Andreas Terhaag [FDP])

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bischoff. – Jetzt spricht Herr Rüße für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern Abend haben wir über die Reitböden gesprochen. Im Prinzip diskutieren wir jetzt wieder über eine ähnliche Problematik. Wir diskutieren darüber, dass sich jemand Gedanken darüber macht, wie man einen Belag, auf dem Sport gemacht wird, verbessern kann, ohne gleichzeitig darüber nachzudenken, welche Folgen das möglicherweise hat.

Bei den Reitböden haben wir gestern festgestellt, dass Lederreste und letztendlich auch Kunststoffe hineingeschnibbelt werden. Genau das Gleiche passiert bei den Kunstrasenplätzen. Auch dort kommt Kunststoff hinein. Man macht es ein oder zwei Jahrzehnte lang und stellt dann fest: Huch; da gibt es ja eine Umweltproblematik; darum müssen wir uns kümmern.

Dazu sage ich: Wir sind als Europäer alle unglaublich stolz auf unser Vorsorgeprinzip. Es wäre gut, wenn man, bevor man solche Dinge ausprobiert, auch darüber nachdenken würde, welche Auswirkungen es hat, und nicht nur darauf schaute, ob man besser Sport treiben kann.

Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass wir diese Problematik auch beim Ascheplatz – ich glaube, so lange ist niemand hier im Landtag – hatten. Auch da hatten wir eine riesengroße Problematik mit der Kieselrot-Sanierung und der Belastung der Ascheplätze mit Dioxin. Anfangs wurde damals auch gesagt, dass wir – für die Zeit der 60er- und 70er-Jahre – einen super Untergrund haben, um Fußball zu spielen. Anschließend hat man festgestellt, dass das am Ende eine riesige Umweltbelastung ist.

Mein Appell ist daher, dass wir künftig häufiger einen Gang herunterschalten und erst überlegen, was wir da tun und ob das wirklich der richtige Weg ist; und wenn es eine gute Lösung ist, dann machen wir es.

Das Problem ist nun einmal, dass die Granulate aus den Plätzen ausgetragen werden. Jeder, der auf einem Kunstrasenplatz Fußball spielt, kennt es – ich selbst auch –: Wenn man die Fußballschuhe mit nach Hause nimmt, sind am Ende immer noch viele der Stoffe darin. Die Verwehungen am Spielfeldrand sind auch klar zu sehen. Es gibt dieses Problem, und es ist auch nicht total klein. Es ist wirklich keine Nebensächlichkeit. Das muss also gelöst werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Nettekoven, Sie haben sehr viel dazu gesagt, welche Bedeutung Kunstrasenplätze haben. Da stimme ich Ihnen auch zu. Kunstrasenplätze sind in der Tat funktional. Ich finde aber, dass Herr Terhaag etwas stärker betont hat, dass es ein Umweltproblem gibt, das es zu lösen gilt. Diesen Beitrag leisten Sie nicht.

Auch Ihr Antrag ist in dieser Hinsicht zu kurz gesprungen, weil Sie zu sehr die Seite betonen – die wir auch wichtig finden –, dass die Ausübung von Sport weiterhin möglich sein muss. Es kann doch nicht sein, dass die Sportplätze am Ende nicht benutzbar sind. Dennoch müssen wir das Problem gelöst bekommen.

Von der SPD ist angesprochen worden – das Problem wird dadurch ja deutlich kleiner –, dass ein Kunstrasenplatz nicht ewig hält. Mit jeder Erneuerung ist die Chance vorhanden, den Platz zu sanieren und die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen, etwa ein Drainagesysteme mit Filteranlagen. Damit wäre das Problem deutlich kleiner. Oder man nutzt andere Stoffe als das Granulat. Das kann man lösen. Ich glaube, dass wir das dann langfristig auch hinbekommen.

Wir finden es wichtig, den Vereinen und den Kommunen als Trägern der Sportplätze entsprechend zu helfen. Denn die Sanierung der Plätze kostet Geld. Dann müssen auch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ich habe das seinerzeit bestehende Kieselrot-Problem benannt. Damals gab es ein Förderprogramm. So etwas könnte man jetzt vielleicht auch auflegen. Die Mittel müssen ja nicht unbedingt aus dem 300-Millionen-Euro-Programm kommen. Jedenfalls müssen wir den Kommunen dabei helfen, dass die Plätze in einen ordentlichen, umweltgerechten Zustand versetzt werden.

Wir sehen das ein bisschen anders als die SPD. Kasperletheater kann man gut finden, muss man aber nicht. Ihr Antrag ist uns ein bisschen zu wenig. Es ist nicht falsch, was darin steht. Deshalb werden wir uns dazu enthalten. Wir hätten uns aber deutlich mehr gewünscht – nämlich, dass Sie klar sagen, wo Sie hinwollen und welche Lösungsmöglichkeiten Sie für diese Plätze sehen. Wir wissen mittlerweile mehr, als Sie in Ihrem Antrag erwähnen. Deshalb können wir uns an dieser Stelle nur enthalten.

Wir hatten im Umweltausschuss eine gute Anhörung zu den Reitböden. Ich hätte auch gerne eine Anhörung zu den Sportplätzen durchgeführt; denn dann hätten wir auch die Hersteller der Sportplatzböden hören können. Sie hätten uns Politikern einmal erklären können, welche Lösungsoption sie sehen. Dann hätten wir das gemeinsam diskutieren können. Ich finde, dass wir da eine Chance vertan haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Keith.

Andreas Keith (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist schon vorweggenommen worden. Sachlich war das, was Herr Nettekoven zu der Zusammensetzung und zu den bestehenden alternativen Möglichkeiten gesagt hat, richtig.

Sand ist ausgeschlossen. Wer schon einmal auf Sand gespielt hat, weiß, dass man nach einem Foul und einem Sturz Brandwunden an den Beinen hat. Kork ist ebenfalls ausgeschlossen, weil er viel zu teuer ist. Außerdem müssten Sie, um den Korkbedarf zu decken, fast ganz Deutschland mit Korkbäumen bepflanzen, um irgendwann die Menge ernten zu können, die benötigt wird, um alle Fußballplätze entsprechend zu bestücken. Greuther Fürth als Profiverein kann sich das leisten; die haben Kork auf ihren Trainingsplätzen. Ein normaler Amateurverein kann sich das aber nicht leisten.

Sachlich ist in der Tat schon viel dazu gesagt worden. Anscheinend haben alle aus derselben Quelle geschöpft. Man hätte sich aber auch einfach einmal darüber informieren können, was man machen kann, um die Mikroplastikverwehungen zu verhindern. Mittlerweile gibt es in Deutschland nämlich zwei renommierte Firmen, die dazu etwas anbieten, eine mit Sitz in Rastatt.

FDP und CDU haben im Sportausschuss mehrfach darum gebeten, Zurückhaltung zu üben. Es hieß: Wir sammeln jetzt erst einmal Fragen und schicken sie der Staatskanzlei, damit Frau Milz sie beantworten kann und wir uns damit in der nächsten Sportausschutzsitzung sachlich und dem Thema angemessen auseinandersetzen können. – Die Kollegen, die die Audiodatei zu der Sitzung gehört haben, werden mir sicherlich zustimmen. Das haben Sie anscheinend nicht gemacht; denn sonst hätten Sie sich sicherlich an diese Verabredung erinnert und Ihren Schnellschuss von soeben nicht getan.

Wir hätten mit dem Ausschuss auch nach Rastatt fahren können, um uns anzuschauen, was diese Filtersysteme tatsächlich leisten. 98 % der Verwehungen der Granulate werden damit aufgefangen.

Dann hätten wir auch 30 km nach Karlsruhe weiterfahren können. Dort gibt es mittlerweile ein junges Start-up-Unternehmen, das einen biologisch abbaubaren Stoff entwickelt hat, der Mikroplastik in kleinsten Teilen bindet, und zwar nicht nur die Granulate, sondern auch – und das wurde gar nicht erwähnt – die Kunststoffgrashalme. Das wird zu ca. 1 cm großen Klümpchen gebunden, die man einfach herausnehmen kann. Das ist eine relativ einfache Sache. Der ganze Spaß kostet 25.000 Euro.

Darüber hätten wir uns dann im Ausschuss unterhalten können. Das wäre eine konkrete Maßnahme gewesen – und kein Schaufensterantrag nach dem Motto: Wir fordern die Landesregierung auf, einmal nachzudenken, was sie machen könnte.

Herr Bischoff hat darauf hingewiesen: Es ist doch schon längst alles gesagt worden. Frau Milz hat in der Sitzung, wie Sie im Protokoll nachlesen können, ganz genau geschildert, was sie vorhat – nämlich, sich in Abstimmung mit allen 16 Ländern an die EU zu wenden. Sie wartet jetzt erst einmal die Anhörung und das Verfahren bei der EU-Kommission ab. Letzteres endet im Übrigen morgen. Auch darüber hätten wir reden können.

Wir hätten auch über die Kleine Anfrage von Herrn Rüße und Frau Paul sprechen können, die dann vielleicht schon beantwortet gewesen wäre.

Wenn Sie Ihre Versprechen gehalten hätten, hätten wir all das tun können. Das haben Sie aber nicht getan.

Ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht getan haben: Weil es mächtig Ärger mit den Trägern, mit den Vereinen und mit den Spielern gibt, wenn es nicht so kommt, wie soeben dargestellt wurde. Die werden Ihnen nämlich etwas husten, wenn das kommt. Sie werden keinen Fußballer und keinen Verein finden, der sich sehr darüber freut. 2009, als die Unterstützung für die Kunstrasenplätze kam, hat sich jeder darüber gefreut, dass er endlich von der Asche herunterkommt und sich nicht mehr die Knochen aufschlägt. Glauben Sie wirklich, dass die Spieler und die Vereine nicht durchschauen, was Sie soeben getan haben?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Völliger Quatsch!)

Sie räumen ein Thema ab, weil nächstes Jahr Kommunalwahl ist – einen anderen Grund hat das nicht –, in der Hoffnung, dass der ganze Spaß nicht ans Licht kommt.

Es ist wirklich schade, dass wir im Ausschuss nicht darüber haben sprechen können. Wir hätten einmal die ganzen Möglichkeiten aufzählen können, die sich anbieten, um den Vereinen, den Verbänden und den Trägern konkret Hilfestellung zu leisten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Nettekoven?

Andreas Keith (AfD): Natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Nettekoven.

Jens-Peter Nettekoven*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Das eine schließt das andere nicht aus. Ich weiß sehr wohl, was wir im Sportausschuss besprochen haben.

Was Herr Rüße soeben angesprochen hat, finde ich ganz charmant – nämlich, im Sportausschuss eine Anhörung zum Thema „Kunstrasenplätze“ durchzuführen, um uns in dieser Hinsicht zu informieren.

Das Zeichen aus Nordrhein-Westfalen, das wir setzen, indem wir sagen, dass wir unsere Kommunen und unsere Vereine nicht alleine lassen, unterschreiben Sie. Und dass das Thema in der nächsten Sportausschusssitzung weiter behandelt wird, sieht nicht nur die CDU so, sondern das sehen auch Sie so.

Das Thema ist ja nicht vom Tisch. Wir wollten ein politisches Zeichen setzen, und wir wollen zeigen, dass Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland dementsprechend auch dabei ist.

(Andreas Keith [AfD]: Die Frage lautet?)

– Die Frage lautet: Haben Sie etwas dagegen?

Andreas Keith (AfD): Ich bin ja auch oft und begeistert bei Veranstaltungen des Sportlandes Nummer eins Nordrhein-Westfalen. Viele der Kollegen sind ebenfalls dort. Selbstverständlich bin ich nicht dagegen, dass wir unseren Kommunen, unseren Vereinen und den Trägern unter die Arme greifen. Auch darüber hätten wir reden können.

Was mich wirklich ärgert, ist die Tatsache, dass wir vereinbart haben, Informationen und Fragen zu sammeln, das an die Staatskanzlei zu geben und ein gemeinsames Verfahren zu machen. Auf einer gemeinsamen Initiative hätten wir wieder nicht mit draufgestanden. Das wäre aber gar nicht schlimm gewesen. Wir hätten ein Verfahren entwickeln können, um konkret und ganz deutlich den Vereinen zu helfen. Das hätte mich wirklich gefreut.

Das haben Sie mit diesem Antrag heute – auch wenn wir darüber weiter im Ausschuss sprechen – hintergangen. Das enttäuscht mich ein bisschen, weil das nicht die Art ist, in der wir bisher im Sportausschuss miteinander umgegangen sind.

Noch einmal ganz kurz zurück zur Sportausschusssitzung und dazu, warum das jetzt alles so schnell gehen musste: Am 19.01.2019 kam das entsprechende Verfahren von der ECHA aus Brüssel in die Medien. Am 29.01.2010 hatten wir unsere erste Sportausschusssitzung danach in der Sporthochschule in Köln. Danach folgten noch zwei weitere – zwei! –, bis dann in der vierten Ausschusssitzung danach, ein halbes Jahr später, Herr Bischoff spontan diesen Punkt als TOP 1 auf die Tagesordnung hat setzen lassen.

Ich frage mich: Wo war da die Dringlichkeit? Wo haben wir denn so schnell ein Zeichen setzen müssen? Den Schuh ziehe ich mir auch an. Ich habe es ebenfalls verpennt. Wir sollten aber auch einmal zugeben, dass wir da geschlafen haben und dass man das viel früher hätte angehen müssen.

Dass man dann aber jetzt diesen Schnellschuss machen will, bevor die Stellungnahmen der Verbände und Institutionen in Brüssel alle ausgewertet worden sind, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Daher lehnen wir den Antrag leider ab. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Keith. – Jetzt spricht Frau Ministerin Scharrenbach in Vertretung des Ministerpräsidenten, der ja auch Sportminister ist. Bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Abgeordneter Bischoff, die Landesregierung ist immer hellwach – ich darf Sie beruhigen –, auch bei der Frage von Sport, Kunstrasen und Fußball. Insofern kann ich Ihnen heute versichern – das hat die Staatssekretärin Milz auch immer wieder im zuständigen Sportausschuss getan –, dass die Landesregierung die Kommunen und natürlich auch die Vereine und Verbände, wenn es um das Thema „Kunstrasen/Mikroplastik“ geht, sehr eng begleitet, damit wir das Sportland Nummer eins, das Nordrhein-Westfalen ist, auch in Zukunft bleiben.

Sie wissen aber auch, dass es in Zeiten des Klimawandels, der Diskussionen über Umweltpolitik und der Abwägungsprozesse, die landauf, landab stattfinden, erforderlich ist, negative Auswirkungen auf die Umwelt kritisch zu hinterfragen und Optimierungsmöglichkeiten zu prüfen.

Insofern begrüßt die Landesregierung den Antrag der Regierungsfraktionen und spricht sich ausdrücklich für den geforderten Interessenausgleich von Umweltschutz und Sport aus. Das wird Sie, glaube ich, an dieser Stelle nicht verwundern.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Rüße, ich gebe Ihnen recht, wenn Sie formulieren: Immer dann, wenn man neue Techniken einsetzt, sollte man sich vorher auch über die Folgen von Technik und deren mögliche Auswirkungen vergewissern. – Ich darf an dieser Stelle gerne auf Wärmedämmverbundsysteme und die sehr aufwendige Entsorgung sämtlicher Systeme verweisen. Gleichzeitig tragen Sie als Grüne das aber als Lösung vieler Probleme im Bereich der energetischen Gebäudesanierung vor. Insofern: Ein bisschen mehr Cradle-to-Cradle-Gedanke tut uns, glaube ich, insgesamt gut.

In der öffentlichen Konsultation zum Beschränkungsvorschlag der Europäischen Chemikalienagentur hat das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Sportministerkonferenz die Forderung des Deutschen Olympischen Sportbundes, des Deutschen Fußball-Bundes und der kommunalen Spitzenverbände nach einer Übergangsfrist von sechs Jahren und damit nach einem Bestandsschutz für die betroffenen Kunstrasenplätze unterstützt.

Ich glaube, das kann hier auch jeder nachvollziehen. Eine mögliche Entscheidung, von jetzt auf gleich bestehende Plätze umzurüsten, ist letztendlich nicht wirklich praxisgerecht. Deswegen haben wir natürlich gesagt: Wir treten für das Schaffen einer Übergangsfrist ein.

Denn es herrscht bei allen Beteiligten große Übereinstimmung, dass der Umweltschutz wichtig ist, dass jedoch die erhebliche Bedeutung von Kunstrasenplätzen für den Freizeit- und Breitensport in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen Berücksichtigung finden muss.

Eine kurzfristige Einschränkung der Nutzbarkeit wäre aufgrund der Folgen nicht tolerierbar. Aus diesem Grunde wurde bereits im Frühjahr dieses Jahres bei der Europäischen Chemikalienagentur interveniert, die daraufhin mitgeteilt hat – das ist gerade zitiert worden –, dass ein Nutzungsverbot für bestehende Kunstrasenplätze keinesfalls beabsichtigt sei.

Die Kommunen, Vereine und Verbände müssen die Möglichkeit haben, sich bezüglich der Umstellungsmöglichkeiten auf alternative Füllstoffe wie Kork oder Quarzsand beraten und informieren zu lassen. Aber auch der Industrie, insbesondere den Herstellern von Kunstrasenplätzen, sollte man diese Zeit einräumen, um zu nachhaltigen Alternativen zu kommen und die erforderlichen Alternativen dann – das ist gerade angesprochen worden – in der erforderlichen Menge produzieren zu können.

Ungeachtet der im kommenden Jahr anstehenden Entscheidung der Europäischen Kommission hat sich die Landesregierung bereits jetzt dazu entschlossen, für eine sukzessive und nachhaltige Verringerung von Mikroplastik und für den Umweltschutz einzutreten. Wir haben daher für die Förderung zur Errichtung und Modernisierung von Kunstrasenplätzen einen Förderausschluss für Kunststoffgranulat beschlossen. Das betrifft unter anderem die Städtebauförderung sowie Maßnahmen im Bereich der Dorferneuerung oder auch der Förderung für den ländlichen Raum aus dem Ministerium für Umwelt. Dadurch verringern wir bei zukünftigen Kunstrasenplätzen die Emissionen von Mikroplastik in die Umwelt.

Uns liegt es als Landesregierung im Besonderen am Herzen, dass wir zukünftige Fehlinvestitionen und Nutzungseinschränkungen verhindern. Das bedeutet, dass wir natürlich beispielsweise auch als Ministerium, welches für Städtebau zuständig ist, sehr aktiv dafür werben, dass bei allen Umnutzungen, die jetzt stattfinden, als Ersatz von entsprechenden Granulaten auch auf umweltfreundliche Verfüllungen zurückgegriffen wird.

Herr Abgeordneter Rüße, Sie haben nachgefragt: Wird es ein Sonderprogramm zur Umrüstung geben? Aus unserer Sicht ist das nicht erforderlich, weil letzt


endlich für Kork und Quarzsande keine höheren Kosten zum Tragen kommen als für herkömmlichen Verbau.

Ich darf Sie abschließend noch darauf hinweisen, dass auch Fördermittel im Rahmen der in Kraft getretenen Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Strukturentwicklung des ländlichen Raums aus dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz zur Verfügung stehen.

Insofern, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete: Die Landesregierung wird den weiteren Prozess bis zum endgültigen Vorschlag der Europäischen Chemikalienagentur respektive der Europäischen Kommission eng begleiten, um jederzeit reagieren zu können, um unter Berücksichtigung des Umwelt- und Klimaschutzes das Bestmögliche für den Sport in Nordrhein-Westfalen zu erreichen, um damit die Kommunen und Vereine im Sportland Nummer eins zu unterstützen und dafür Sorge zu tragen, dass Nordrhein-Westfalen auch in der Zukunft Sportland Nummer 1 bleibt.

Sie merken, Herr Abgeordneter Bischoff, die Landesregierung ist hellwach. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/7378. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – CDU, FDP, SPD stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion stimmt gegen diesen Antrag. Wer enthält sich? – Es enthalten sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Herr … – Ich komme gerade nicht drauf.

(Zuruf: Pretzell!)

– Herr Pretzell. Ich habe Sie lange nicht gesehen, daran liegt es.

(Heiterkeit und Beifall)

Das ist keine Kritik, um Gottes willen. Sie sind ein frei gewählter Abgeordneter, Sie können tun, was Sie wollen. Das habe ich nicht kritisch gemeint. Ich hatte es nur echt gerade nicht präsent gehabt. Das liegt am fortschreitenden Alter, es ist wie mit der Zeit. – Der Antrag Drucksache 17/7378 ist also angenommen.

Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7453. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion stimmt zu. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, SPD, Grüne sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Herr Pretzell und Herr Langguth stimmen dagegen. Enthaltungen? – Gibt es nicht. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 17/7453 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 20. September 2019, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend und schließe die Sitzung.

Schluss: 18:02 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.