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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/65

17. Wahlperiode

18.09.2019

 

65. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 18. September 2019

Mitteilungen des Präsidenten. 7

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7200

erste Lesung

Und:

Finanzplanung 2019 bis 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7201

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7203

erste Lesung

In Verbindung mit:

Fünftes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7318

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7202

erste Lesung. 7

Minister Lutz Lienenkämper 7

Thomas Kutschaty (SPD) 13

Bodo Löttgen (CDU) 20

Monika Düker (GRÜNE) 26

Christof Rasche (FDP) 31

Markus Wagner (AfD) 36

Minister Lutz Lienenkämper 41

Gemeindefinanzierungsgesetz. 43

Ministerin Ina Scharrenbach. 43

Christian Dahm (SPD) 45

Guido Déus (CDU) 47

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 49

Henning Höne (FDP) 51

Sven Werner Tritschler (AfD) 53

Ergebnis. 55

2   Älteren Menschen mit Migrationsgeschichte den Zugang zu Pflege- und Altenhilfe erleichtern und ihre Lebensleistung würdigen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4455

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/7343

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7295

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7373. 55

Katharina Gebauer (CDU) 55

Ibrahim Yetim (SPD) 56

Stefan Lenzen (FDP) 57

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 58

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 59

Minister Karl-Josef Laumann. 60

Ergebnis. 61

3   Versorgung psychisch kranker und gestörter Gefangener verbessern

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7371. 62

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 62

Simone Wendland (CDU) 63

Sonja Bongers (SPD) 63

Christian Mangen (FDP) 64

Dr. Martin Vincentz (AfD) 65

Minister Peter Biesenbach. 66

Ergebnis. 67

4   Temporäre Einstellung der Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem Zentralrat der Muslime (ZMD)

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7359. 67

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 67

Marc Blondin (CDU) 68

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 70

Stefan Lenzen (FDP) 71

Sigrid Beer (GRÜNE) 72

Minister Herbert Reul 74

5   Landesregierung muss Akten zum Hambacher Forst vollständig und ungeschwärzt vorlegen

Eilantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7423. 75

Sarah Philipp (SPD) 75

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 76

Verena Schäffer (GRÜNE) 78

Henning Höne (FDP) 79

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Jochen Ott 82

Markus Wagner (AfD) 83

Minister Herbert Reul 84

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 88

Ergebnis. 89

6   Fragestunde
Mündliche Anfragen
Drucksache 17/7422 – Neudruck

Mündliche Anfrage 50

der Abgeordneten
Sonja Bongers (SPD)

Schriftliche Beantwortung [siehe Vorlage 17/2454]

Mündliche Anfrage 51

der Abgeordneten
Verena Schäffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Minister Herbert Reul 90

Ministerin Ina Scharrenbach. 93

Mündliche Anfrage 52

des Abgeordneten
Christian Dahm (SPD)

(Beantwortung in der
nächsten Fragestunde)

Mündliche Anfrage 53

des Abgeordneten
Sven Wolf (SPD)

(Beantwortung in der
nächsten Fragestunde)

7   Das Rheinische Revier hat alle Chancen und verdient jede Unterstützung – Strukturwandel mit den Akteuren vor Ort zum Erfolg bringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4446

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie und Landesplanung
Drucksache 17/7394

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4544 – Neudruck. 117

Romina Plonsker (CDU) 117

Stefan Kämmerling (SPD) 118

Ralph Bombis (FDP) 119

Wibke Brems (GRÜNE) 121

Christian Loose (AfD) 122

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 123

Ergebnis. 126

8   Umweltverträgliche Zusammensetzung und Entsorgung von Reitböden in NRW sicherstellen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4793

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz
Drucksache 17/7381. 126

Bianca Winkelmann (CDU) 126

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 127

Andreas Terhaag (FDP) 128

Norwich Rüße (GRÜNE) 129

Dr. Christian Blex (AfD) 130

Ministerin Ursula Heinen-Esser 131

Ergebnis. 132

9   Medizinische Notfallversorgung bedarf keiner staatlichen Regulierung – Kompetenzen bei den Kammern belassen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7358. 132

Dr. Martin Vincentz (AfD) 132

Peter Preuß (CDU) 133

Serdar Yüksel (SPD) 134

Susanne Schneider (FDP) 135

Monika Düker (GRÜNE) 136

Ministerin Ursula Heinen-Esser 137

Ergebnis. 138

10 Gesetz zur Änderung des Pensionsfondsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/6887

erste Lesung. 138

Minister Lutz Lienenkämper
zu Protokoll (s. Anlage 1)

Ergebnis. 138

11 Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7319

erste Lesung. 138

Minister Lutz Lienenkämper
zu Protokoll (s. Anlage 2)

Ergebnis. 138

12 Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7320

erste Lesung. 138

Minister Herbert Reul
zu Protokoll (s. Anlage 3)

Ergebnis. 138

13 Staatsleistungen ablösen – Verhandlungen mit den Kirchen aufnehmen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7372. 138

Ergebnis. 138

14 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, des Landschaftsverbands Rheinland, der Stadt Dortmund, der Stadt Essen, des Ennepe-Ruhr-Kreises und des Rhein-Sieg-Kreises, Bestimmungen des Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes verstießen gegen das Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung

VerfGH 42/19

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/7382. 139

Ergebnis. 139

15 Organstreitverfahren der AfD-Fraktion gegen die Landesregierung Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung des Frage- und Informationsrechts von Abgeordneten

VerfGH 41/19

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/7383. 139

Ergebnis. 139

16 Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) gemäß § 64 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung
Grundstück in Oberhausen, Amsterdamer Straße/Centroallee

Vorlage 17/2330

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/7337. 139

Ergebnis. 139

17 Benennung eines Mitglieds und eines stell-vertretenden Mitglieds für den Europäischen Ausschuss der Regionen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7380. 139

Ergebnis. 139

18 Wahl der Mitglieder für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter bei dem Oberverwaltungsgericht und den Verwaltungsgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7436. 140

Ergebnis. 140

19 Nachwahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7366. 140

Ergebnis. 140

20 Jahresbericht 2019 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2018

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache 17/7300

Ergebnis. 140

21 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 22
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/7416. 140

Ergebnis. 140

22 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/26. 140

Ergebnis. 140

Anlage 1. 143

TOP 10 „Gesetz zur Änderung des Pensionsfondsgesetzes Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Lutz Lienenkämper 143

Anlage 2. 145

TOP 11 „Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes“ – Rede zu Protokoll

Minister Lutz Lienenkämper 145

Anlage 3. 147

TOP 12 „ Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst und weiterer Gesetze“ – Rede zu Protokoll

Minister Herbert Reul 147

Entschuldigt waren:

Minister Karl-Josef Laumann

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Ministerin Ina Scharrenbach

Volkan Baran (SPD)

Heike Gebhard (SPD)  
(ab 17 Uhr)

Christina Kampmann (SPD)

Elisabeth Müller-Witt (SPD)      
(ab 18 Uhr)

Berivan Aymaz (GRÜNE)

 

 

Beginn: 10:01 Uhr

Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 65. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die heutige Tagesordnung ein.

(Unruhe – Glocke)

Ich rufe auf:

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7200

erste Lesung

Und:

Finanzplanung 2019 bis 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7201

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2020)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7203

erste Lesung

In Verbindung mit:

Fünftes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7318

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7202

erste Lesung

Zur Einbringung dieser Gesetzentwürfe erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Lienenkämper das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Beobachtungen sind auch nach Jahrzehnten noch aktuell – vielleicht sogar aktueller denn je –, zum Beispiel die Beobachtung von Ludwig Erhard aus den Aufbaujahren.

Ludwig Erhard warnte damals vor der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit, vor Schwarz-Weiß-Denken und vor dem Hang zum radikalen Entweder-oder. Schon seinerzeit sagte er, dass katastrophale Irrwege oft die Folge davon seien. Eine Ordnung der Mitte sei zwar komplizierter und differenzierter, weil sie zum Nachdenken und zur Rechenschaft zwinge. Das Gefühl für Maß und Mitte bereichere uns jedoch.

Denn differenzierte Antworten sind meist die besseren. Deshalb charakterisiert „Maß und Mitte“ unsere Haushaltspolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir setzen vor allem an zwei Stellen an.

Erstens wollen wir uns nicht länger damit abfinden, dass in Nordrhein-Westfalen wirtschaftliche Chancen ungenutzt bleiben, dass Familien von der Kita bis zur Hochschule immer öfter erfahren, dass es mit der Bildung bergab geht, und dass die mangelhafte innere Sicherheit weitere weltweite Schlagzeilen produziert. Das ist nicht das Nordrhein-Westfalen, das wir wollen. Denn damit bliebe unser Land weit unter seinen Möglichkeiten.

Vom ersten Tag an ging es uns deshalb darum, diese Fehlentwicklungen umzukehren und mit echten strukturellen Investitionen die Schwerpunkte neu zu justieren. Daran arbeiten wir seit dem ersten Tag mit Sorgfalt, mit Herzblut und ohne Ideologie. Denn wir wollen das alte Aufstiegsversprechen, das früher hier in Nordrhein-Westfalen galt, erneuern. Wir wollen das Aufsteigerland Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens gilt in guten wie in schlechten Zeiten, dass wir die gewaltigen Investitionsaufgaben stemmen müssen. Dabei müssen wir mit dem auskommen, was wir einnehmen. Genau das haben wir zu Beginn in der Nordrhein-Westfalen-Koalition vereinbart, und genau das tun wir seitdem.

Meine Damen und Herren, dank vorausschauender Planung und Vorsorge setzt dieser Haushalt – auch im Angesicht einer konjunkturellen Delle und rund 841 Millionen Euro weniger Einnahmen im Haushalt 2020 als erwartet – unsere klare Linie fort: notwendige Aufstiegsinvestitionen ohne neue Schulden.

Wenn ich von „Maß und Mitte“ spreche, werden das manche auf den allerersten Blick vielleicht etwas altmodisch finden. Denn „Maß und Mitte“ setzt eben nicht auf Spaltung, nicht auf lautes Getöse und nicht auf unvereinbare radikale Ziele, sondern auf Versöhnung vermeintlicher Gegensätze, auf stille Vernunft und auf gesunden Menschenverstand.

Das setzt eine klare Haltung voraus. Klarheit bedeutet, dass man sich entscheiden muss. Gleichzeitig scharf nach rechts, scharf nach links und moderat geradeaus zu steuern, geht eben nicht. Haltung bedeutet, Kurs zu halten. Man darf nicht das Fähnchen in den Wind hängen und sich wundern, wenn man sich dann um sich selber dreht, auch wenn der Wind etwas lauer wird. Es geht vielmehr darum, Maß und Mitte sowie Haltung zu bewahren.

Haltung ist in den Zeiten radikaler Positionen für unsere Opposition manchmal etwas schwierig.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Eine radikale Position ist furchtbar einfach. Sie passt auch gut ins 280-Zeichen-Format von Twitter. In der Haushaltspolitik vertritt man zum Beispiel die fast unschuldige Position, wie die drei Affen über Schwierigkeiten einfach hinwegzusehen – so, als gäbe es in Nordrhein-Westfalen keine Versäumnisse aus mehreren Jahrzehnten aufzuholen, was Geld kostet. Wer sich auf dieses Glatteis begibt, der rutscht schnell aus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ernst gemeinter Beliebtheit erfreut sich ohnehin im Moment die andere Extremposition. Eine Tageszeitung brachte sie kürzlich entwaffnend ehrlich auf die Schlagzeile „Haut das Geld raus“. Diese Haltung ist zwar falsch, aber immerhin klar. Da weiß man jedenfalls, was man hat. Und ehrlich gesagt: Da weiß man, was wir in Nordrhein-Westfalen nicht wieder haben wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Seit gerade einmal zwei Jahren machen wir in Nordrhein-Westfalen keine neuen Schulden mehr – anders als in den 45 Jahren zuvor. Das sind zwei Jahre, in denen Nordrhein-Westfalen bereits das tut, was rein rechtlich ab 2020 der Regelfall für alle Länder und Kommunen werden soll. Wir gleichen nämlich Einnahmen und Ausgaben aus.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich das politische Meinungsklima zu den staatlichen Finanzen viel schneller verändert hat als das thermisch-radiative Gleichgewicht im Erdklimasystem.

Es gibt neuerdings sogar den nicht sonderlich subtilen Versuch, beide Themen so miteinander zu vermischen, dass das Weltklima als Entschuldigung für das staatliche Schuldenmachen herhalten soll.

Aber der Hauptgrund für diese Diskussion ist in Wahrheit die schwächere Konjunktur. Sie trifft natürlich auch das wirtschaftlich eng verzahnte Industrieland Nordrhein-Westfalen.

Wenn China infolge des Handelskrieges mit den USA weniger deutsche Autos importiert, dann merkt das der mittelständische Automobilzulieferer beispielsweise in Bocholt.

Wenn am 31. Oktober dieses Jahres zwischen Großbritannien und der Europäischen Union plötzlich Einfuhrzölle erhoben werden sollten, dann merkt das unsere Chemieindustrie in Essen und in Leverkusen.

Meine Damen und Herren, das sind ernst zu nehmende branchenspezifische Probleme. Aber reden wir damit doch bitte keine Krise herbei. Wir schreiben nicht das Jahr 1929 und auch nicht das Jahr 2009.

Es gibt auch positive Zeichen. Noch nie gab es beispielsweise so viele Jobs wie heute.

Deswegen liegen die Voraussetzungen für eine antizyklische Konjunkturpolitik à la John Maynard Keynes schlichtweg nicht vor, und deswegen hat Jens Weidmann völlig recht, wenn er sagt, Panik, Pessimismus und Aktionismus seien nicht das Gebot der Stunde.

Politische Führung erfordert jetzt Gelassenheit, Optimismus und vor allem kluges, langfristig durchdachtes Handeln. Daran ändert auch das gar nicht so neue niedrige Zinsniveau nichts, das in Europa voraussichtlich noch länger anhalten dürfte.

Ja, in dieser Zeit ist Schuldenmachen kurzfristig einfacher. In Amerika bezeichnet der Präsident seinen eigenen Notenbankchef als Feind, weil dieser ihm das große Schuldenmachen nicht weiter erleichtern will. Wie man liest, gehören ungedeckte Schecks und enorme Schulden wohl auch schon zum früheren Geschäftsmodell Trump.

Aber anders als bei Immobilienunternehmer Trump können weder das Land Nordrhein-Westfalen noch die Bundesrepublik Deutschland erst auf Pump Geschäfte machen, hinterher die Rechnung nicht bezahlen und danach ein paar Anwälte schicken. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen müssten die Rechnung zahlen, um das Vertrauen zu erhalten. Die hohe Bonität von Bund und Land speist sich aus ebendiesem Vertrauen. Darum werden wir woanders beneidet.

Stichwort „Trump“: Glaubt denn jemand ernsthaft, dass es bei einer Finanzkrise wie 2009 zu einer international abgestimmten Reaktion wie damals kommen würde? Ziemlich sicher nicht. Und auch die EZB hat ihr Pulver verschossen.

Deshalb ist es in einer solchen Situation im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert, wenn der deutsche Staat – Bund und Länder – über hinreichend Bonität verfügt, damit wir uns selber helfen können – aber erst in so einem Notfall, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen brauchen wir heute einen klugen haushaltspolitischen Kurs von Maß und Mitte. Wir müssen die notwendigen strukturellen Investitionen vornehmen und gleichzeitig die Balance nie aus den Augen verlieren; da halte ich es mit dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Christoph M. Schmidt. Dafür steht unsere Haushaltspolitik vom ersten Tag an.

Davon haben sich auch neutrale Experten überzeugt. Mit Standard & Poor’s hat eine der weltweit führenden Ratingagenturen unser Land kürzlich zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder auf die sehr gute Bonitätsstufe AA heraufgestuft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dieses Urteil fällte die Agentur selbstverständlich nach einem sorgfältigen neutralen Blick in die Bücher. Und es ist eindeutig: Wir setzen die richtigen Rahmenbedingungen – mit Investitionen, Zukunftsvorsorge und ohne neue Schulden.

Natürlich kann man in einer solchen Situation von der Opposition keine ähnlich neutrale Bewertung unserer Politik verlangen. Wünschen würde ich mir dennoch eine klare haushaltspolitische Haltung, die ich aber leider nicht erkennen kann.

Da ist zum Beispiel urplötzlich die neue Liebe zum Thema „Schuldentilgung“. Als wir in Nordrhein-Westfalen angefangen haben, mit weit über einer halben Milliarde Euro endlich wieder Schulden zu tilgen, fielen – daran erinnere ich mich gut – vonseiten der Opposition schrille Worte wie „armselig“ oder „Offenbarungseid“.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber ehrlich gesagt: Dass ausgerechnet die Vertreter der die Vorgängerregierung tragenden Parteien mit einem Mal schneller Schulden abschaffen wollen, passt nun wirklich nicht zu den knapp 15 Milliarden Euro neuer Schulden, die diese Regierung in ihrer siebenjährigen Amtszeit unserem Land zusätzlich hinterlassen hat.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den GRÜNEN)

Fast noch schlimmer als diese Schulden war das riesige Investitionsdefizit, das trotz dieser enormen Neuverschuldung 2017 geherrscht hat. Dass beispielweise zahlreichen Kitas die Schließung drohte, ist nur ein Beispiel für die Folgen dieser Versäumnisse.

Das bedeutet: Die Vorgängerregierung hat Schulden gemacht und nicht genug investiert. – Beides war falsch.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Das ist ein schlechtes Beispiel!)

Das ist auch der Grund dafür, dass wir trotz des deutlichen Einstiegs in die Schuldentilgung – gleichzeitig erfolgt die konsequente Nutzung von Zinsvorteilen durch langfristige Umschuldung – vor allem in das Aufsteigerland Nordrhein-Westfalen investieren und endlich für die sträflich vernachlässigten Risiken vorsorgen.

Nur am Rande sei noch einmal erwähnt, dass die von uns getroffene Vorsorge – in Summe 2,7 Milliarden Euro seit Regierungsübernahme – aufgrund der Zinsdifferenzen im Saldo wirtschaftlicher war als eine ausschließliche Schuldentilgung im selben Zeitraum.

Aber in diesem Hohen Hause gilt offenbar aktuell: Wer am lautesten „Haltet den Dieb!“ schreit, der ist im Moment der Dieb. – Deswegen kann ich diese Haushaltspolitik der Beliebigkeit, die von der Opposition betrieben wird, intellektuell nicht teilen, um das einmal sehr vorsichtig zu sagen.

Dafür lobe ich mir die ungeschminkte Offenheit eines der immer zahlreicheren Bewerber aus Nordrhein-Westfalen um den Vorsitz der Bundes-SPD. Professor Karl Lauterbach plädiert ganz offen dafür, die Schuldenbremse zu lösen. Das klingt hier in Nordrhein-Westfalen viel vertrauter; denn das hatten wir hier 45 Jahre lang.

Nur: Kann eigentlich irgendjemand plausibel erklären, wie diese Politik mit der unerwarteten neuen Leidenschaft für eine verstärkte Schuldentilgung zusammenpasst? Überhaupt nicht! Sie wollen alles und von allem das Gegenteil. Klare Haltung? Fehlanzeige!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielleicht ist es auch eine ganz besondere Dialektik. Vielleicht denkt man ja Heinrich Brüning und John Maynard Keynes zusammen: radikale Haushaltskonsolidierung und antizyklische Konjunkturpolitik gleichzeitig, also auf einmal. Das wäre dann allerdings nobelpreisverdächtig.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Gegenrufe von der FDP)

Ich fürchte allerdings, dass die Wahrheit schlichter ist. Sie haben als Opposition wie schon in Ihrer Regierungszeit das Rechnen offenbar nicht ganz so ernst genommen. Deswegen habe ich das einmal für Sie übernommen.

Die zusätzlichen Forderungen der Grünen belaufen sich allein im Zeitraum 2017 bis 2019 hier in Nordrhein-Westfalen auf 33,7 Milliarden Euro; darunter ist ein 30 Milliarden teurer Infrastrukturfonds.

Die zusätzlichen Forderungen der nordrhein-westfälischen SPD belaufen sich auf knapp 10 Milliarden Euro; darunter sind unterschiedlichste Wünsche wie mehr als eine halbe Milliarde Euro für Studentenwohnheime bis hin zu einem 870 Millionen Euro teuren zusätzlichen Paket für Sozialprogramme.

In Summe belaufen sich die bereits jetzt bestehenden Forderungen aller drei Oppositionsfraktionen in den letzten beiden Jahren auf sagenhafte 43,8 Milliarden Euro zusätzlich.

(Zurufe von der SPD: Das ist doch gut! – Da habt ihr schon mal mehr ausgegeben!)

Gerechnet haben kann da keiner. Oder – frei nach Wolfgang Schäuble –: Vielleicht sind die Zahlen richtig; nur das Vorzeichen ist falsch.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Ich habe das Gefühl, dass Sie einfach Plus und Minus verwechselt haben. Denn dann ist plötzlich alles ganz einfach.

Allerdings warnte schon Albert Einstein: „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“

(Zuruf von der SPD)

Auch mit Blick auf Ihre wahre Absicht hatte Einstein etwas zu sagen. Ich zitiere: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Lernen Sie also vielleicht dazu!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Übrigens hat Olaf Scholz völlig recht, wenn er bezogen auf den Bund am Haushalt ohne Neuverschuldung festhält

(Zuruf von der SPD)

und ergänzt – Zitat –, man müsse nur mit großer Sorgfalt, mit großer Intensität und mit großer Präzision arbeiten.

Das gilt für das erst zwei Jahre ohne Neuverschuldung auskommende Nordrhein-Westfalen in gleicher Weise. Ansonsten ist Herrn Scholz nichts hinzuzufügen.

Große Sorgfalt, große Intensität, große Präzision sind wichtig für eine Finanzarchitektur, die die Grenzen der Baustatik eben nicht ausreizt. Hätten wir die ersten beiden Haushalte auf Kante genäht, könnten 841 Millionen Euro weniger als gedacht die Konstruktion schon ins Wanken bringen. Umgekehrt wären allerdings zu geringe strukturelle Investitionen auch sträflich gewesen.

Und so paradox es klingen mag: Ausgerechnet eine Kennzahl bei den rückläufigen Einnahmezuwächsen zeigt an, dass wir vorankommen. Denn 132 Millionen Euro verliert Nordrhein-Westfalen bei den Bundesergänzungszuweisungen, weil unsere Finanzkraft im Ländervergleich gestiegen ist.

Sorgfalt bedeutet vor allem Risikovorsorge. Ein sicheres Gebäude muss gegen absehbare Einwirkungen geschützt werden. So wie ein Gebäude vor einwirkenden Lasten wie Schnee, Wind und Regen geschützt werden muss, haben wir seitdem die unterbliebene Vorsorge für Risiken in Höhe von fast 2,7 Milliarden Euro geleistet.

1,28 Milliarden Euro haben wir für die immer noch bestehenden Risiken aufgrund des jahrzehntelangen Missmanagements früherer Regierungen bei der WestLB vorgehalten. Damit haben wir das Risiko für die gesamte Legislaturperiode eliminiert. 800 Millionen haben wir zusätzlich dem Pensionsfonds für die Beamtinnen und Beamten unseres Landes zugeführt. 582 Millionen Euro flossen in die Vorsorge für weitere Risiken.

Alles das ist mit einer weißen Wanne beim Bau in sumpfigem Gebiet zu vergleichen. Man sieht sie vielleicht nicht jeden Tag; aber es ist gut, dass es sie gibt.

Auch die sichtbaren politischen Schwerpunkte haben eines gemeinsam: Sie stärken Nordrhein-Westfalen strukturell.

Das geht nur – mit Herrn Scholz gesprochen – dank großer Intensität und Präzision. Wir jedenfalls halten uns auch daran. Denn das Land braucht keine immer neuen konsumtiven Wohltaten, die verpuffen – am besten garniert mit immer neuen, willkürlich festgelegten Grenzen der Begünstigung, sodass am Ende gerade die Aufsteiger bestraft werden, die dank harter Arbeit vielleicht 1,50 Euro zu viel verdienen und dann noch als faulenzende Millionäre im Liegestuhl verunglimpft werden, wie das leider in jüngster Zeit passiert ist.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, das meine ich sehr ernst. Das Letzte, was dieses Land Nordrhein-Westfalen jetzt braucht, ist ein Klassenkampf gegen die Aufsteiger.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir brauchen wirklich keine Umverteilungsdebatte, keinen Systemwechsel und keine bürokratisch-sozialistischen Schreckensideen wie das neu geplante rot-rot-grüne Mietrecht in Berlin,

(Zuruf von der SPD: Oh, oh!)

die Vergemeinschaftung von BMW

(Zuruf von der SPD: Oh, Oh!)

oder, wie Herr Hartmann von der SPD es nennt, eine Demokratisierung der Wirtschaft, sondern wir brauchen weiterhin das, was es unter der Vorgängerregierung niemals gab: einen soliden Haushalt und bessere Rahmenbedingungen für eine dynamische, funktionierende soziale Marktwirtschaft.

(Zuruf von der SPD: Ist das schlecht!)

Das haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen verdient, die dies erarbeiten können, wenn wir sie lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Nordrhein-Westfalen ist das Land des gesellschaftlichen Zusammenhalts – ein Land, das wie kein anderes für den Aufsteiger steht. Wir werden jedenfalls keine vergiftete Stimmung zulassen, die all jene „verblüfft bis fassungslos“ zurücklässt, die, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ angesichts der Verirrungen in der SPD kürzlich beschrieb, „ein gutes, aber keineswegs dekadentes Leben führen, weil sie hart dafür arbeiten“. Aufstieg muss in Nordrhein-Westfalen möglich bleiben.

Deswegen stärken wir auch alle, die mit ihrer Leistung und ihrem Engagement mit anpacken – übrigens egal, ob Familien- oder Unternehmensmanagerin oder beides. Deshalb hat auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen und der Freien und Hansestadt Hamburg der Finanzausschuss des Bundesrates einen neuen Vorstoß unternommen, die Mitte der Gesellschaft und das Ehrenamt schonend zu stärken, und zwar ab dem 1. Januar 2020. Das ist ganz praktische Politik für die Mitte unserer Gesellschaft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

So setzen wir auch unseren haushaltspolitischen Kurs von Maß und Mitte fort. Genau deshalb holen wir in Nordrhein-Westfalen endlich die enormen Versäumnisse der Vergangenheit auf. Wir rechnen dabei richtig, vorsichtig und solide, und zwar vom Anfang bis zum Ende einer Legislaturperiode.

Das beginnt beispielsweise bei der Bildung. Seit unserer Regierungsübernahme stellen wir einschließlich des vorliegenden Entwurfs kumuliert zusätzlich 6,8 Milliarden Euro für die Bildung in Nordrhein-Westfalen bereit, und zwar für die frühkindliche Bildung 1,9 Milliarden Euro, für die Schulen 3,4 Milliarden Euro und für die Hochschulen 882 Millionen Euro. Über die gesamte Legislaturperiode werden es nach der vorliegenden Mittelfristigen Finanzplanung in der Addition der einzelnen Jahre insgesamt 15,6 Milliarden Euro zusätzlich sein, 2020 allein 2,1 Milliarden.

Wir beenden mit dem Kita-Träger-Rettungsprogramm die strukturelle Unterfinanzierung der Kitas. Mit dem neuen Pakt für Kinder und Familien fließen zusätzlich 1,3 Milliarden Euro in die Kindertagesbetreuung. Die Zahl der Kindergartenplätze steigt auf Rekordhöhe. Das Land übernimmt zusätzlich auch die Elternbeiträge für die beiden Jahre vor der Einschulung.

Das Chaos um G8 und G9 haben wir übrigens auch gleich mit beseitigt, genauso wie die unüberlegte Inklusionspolitik.

(Unruhe – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Wer hat denn am längsten für G8 gekämpft und es dann eingeführt?)

Deswegen ist es richtig, weiter in Bildung zu investieren – auch in 1.200 neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer,

(Zuruf von der SPD: Wie viele sind davon besetzt?)

ganz besonders für die Neuausrichtung der Inklusion. Wir bringen die Bildung in Nordrhein-Westfalen nach vorne.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir stärken den Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern den Rücken, die als Polizistinnen oder Polizisten, als Lehrerinnen oder Lehrer und als Feuerwehrleute jeden Tag dafür sorgen, dass es in unserem Land läuft.

Gleichzeitig kommen wir beim Wettbewerb um die besten Köpfe entscheidend voran, indem rund 1 Milliarde Euro mehr in einen modernen, attraktiven öffentlichen Dienst investiert wird. Für die gesamte Laufzeit des Tarifvertrages werden es kumulativ über 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Beteiligten sein. Ich bin froh darüber und dankbar dafür, dass wir es als Koalition geschafft haben, den Tarifabschluss eins zu eins für unsere Beamtinnen und Beamten umzusetzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Übrigens haben wir auch ein anderes Staatsverständnis als die Vorgängerregierung. Wir finden, dass der Staat Partner sein sollte und nicht Oberlehrer. Deshalb forcieren wir zum Beispiel in der Finanzverwaltung massiv den Ausbau digitaler Serviceangebote, einer klaren Sprache und einer einfacheren Kommunikation.

Seit unserer Regierungsübernahme stellen wir einschließlich des vorliegenden Entwurfs in der Summe zusätzlich 1,3 Milliarden Euro für Digitalisierung, Infrastruktur und Innovation in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Über die gesamte Legislaturperiode werden es nach der vorliegenden MFP 2,9 Milliarden Euro sein.

Wir werden strukturell stärker, indem wir die Verhandlungserfolge für Nordrhein-Westfalen im Bund mit eigenen Strategien verknüpfen, beispielsweise für die Zukunft des Rheinischen Reviers, für die wir Haushalt 2020 vorbereitende Maßnahmen in Höhe von 10 Millionen Euro einplanen, oder für die Batteriefabrik der Zukunft in Münster, für die 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

Wir stärken die Gründerinnen und Gründer in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der NRW.BANK mit fast einer Viertelmilliarde Euro zusätzlich.

Zusätzliche 20 Millionen Euro fließen in ein modernes Straßenverkehrsnetz von Land und Kommunen – und by the way entlasten wir die Anlieger mit weiteren 65 Millionen Euro erheblich bei den Kosten für die Straßenausbaumaßnahmen.

Das bringt die Mitte Nordrhein-Westfalens und damit unser ganzes Land nach vorne.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Das hätte ich jetzt nicht erwartet!)

Ein starker Standort Nordrhein-Westfalen braucht auch starke Kommunen. Im Landeshaushalt 2020 sind für die Kommunen insgesamt Steuerverbund-Kompensationsleistungen und Zuweisungen nach Maßgabe des Haushaltsplans in Höhe von rund 28,7 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind 36,1 % unserer Gesamtausgaben des Jahres 2020. Übrigens waren es in 2017 noch 34,4 % der Landesausgaben. Damit haben die Kommunen seit unserer Regierungsübernahme rund 3,8 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung – alleine vom Land. Hinzu treten noch die wesentlichen Verbesserungen von Bundesseite.

Außerdem schaffen wir endlich mehr Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger. Wir stellen seit der Regierungsübernahme einschließlich des vorliegenden Haushalts kumuliert 1,4 Milliarden Euro zusätzlich für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung, Justizausgaben noch gar nicht mit eingerechnet. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden es nach der vorliegenden MFP insgesamt 3,1 Milliarden Euro sein.

Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme gab es 2.000 Polizeianwärterstellen; heute sind es 2.500 pro Jahr. Zusätzlich gibt es jährlich 500 neue Stellen für den polizeilichen Verwaltungsdienst – und damit mehr Polizei auf der Straße. Dazu kommen 640 Stellen zur Übernahme von geprüften Kommissaren alleine mit dem Haushalt 2020.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit diesem Haushaltsentwurf stehen erneut deutlich mehr Mittel im Kampf gegen Kriminalität, Terror und Extremismus zur Verfügung.

Das sind nur einige Schwerpunkte aus diesem Haushalt, die wir übrigens zum Teil durch Umstrukturierungen im Haushalt finanzieren, denn wir sparen auch ein. In allen drei Haushalten haben alle Ressorts wesentliche Einsparbeiträge geleistet.

(Lachen von der SPD)

In diesem Jahr sind es 200 Millionen Euro. Weil diese Beträge Jahr für Jahr auflaufen, finanzieren wir inzwischen rund 500 Millionen Euro pro Jahr aus Einsparungen und Umschichtungen in den Häusern. Auch das ist vernünftige Haushaltspolitik. Konsolidieren und investieren sind zwei Seiten derselben Medaille.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir spüren es alle: Die Zeit bricht auch in unserem zentraleuropäischen Industrieland um. Die neue Zeit birgt Chancen, aber sie setzt gerade in der Mitte auch viele unter Druck: Werde ich in 10, 20 Jahren noch an meinem Arbeitsplatz gebraucht? Verliert meine Heimatregion den Anschluss?

(Zuruf von der SPD: Das ist eine sehr gute Frage!)

Können beide Elternteile arbeiten gehen im Wissen darum, dass ihr Kind in einer guten Kinderbetreuung ist? Kann ich in Nordrhein-Westfalen sicher leben? – Das sind nur einige der zentralen Fragen, die sich viele heute stellen.

(Zuruf von der SPD)

Gerade Nordrhein-Westfalen steht wie kein anderes deutsches Bundesland für den erfolgreichen Aufstieg nach dem Krieg, für eine soziale Marktwirtschaft, die, um es mit den Worten des Soziologen Helmut Schelsky zu sagen, eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft hervorgebracht hat, eine starke Mitte.

(Zuruf von der SPD)

Altbundespräsident Joachim Gauck ist nicht der Einzige, der sich angesichts der Umbrüche um den Zusammenhalt sorgt. In einem lesenswerten Buch mahnt er zu mehr Toleranz – auch gegenüber Positionen, mit denen man nicht übereinstimmt. Das betrifft vor allem die Art und Weise, wie wir miteinander reden und umgehen, ob überhaupt noch. Er warnt auch vor einer Spaltung, denn – Zitat – „aufgrund der zentralen Bedeutung von Wissen als Rohstoff und Ware im digitalen Zeitalter sortiert sich die Gesellschaft neu“, ganz besonders übrigens in der Mitte.

In einer solchen Situation sollten wir gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass wirklich alle von den neuen Chancen einer offenen, modernen und freien Gesellschaft profitieren können, dass ein Aufstieg weiter oder vielleicht sogar besser möglich ist als früher. Wir wollen zeigen, dass die Politik alles unternimmt, um an den entscheidenden Stellen strukturelle, dauerhafte und echte Verbesserungen zu erreichen – bei den Kitas, in den Schulen, bei der Sicherheit für diejenigen, die sich tagtäglich ins Zeug legen für unser Land.

Es wäre vermessen, wenn eine Landesregierung für sich in Anspruch nähme, die treibenden Kräfte unserer Zeit aufhalten oder Handelskonflikte stoppen zu können. Realistisch ist es hingegen, alles an Rhein, Ruhr und Lippe dafür zu tun, auch unter veränderten Bedingungen einen Aufstieg für alle zu ermöglichen, gerade jetzt die Industrie und den Mittelstand weiter zu stärken, gerade jetzt dafür zu sorgen, alle in Nordrhein-Westfalen, ob in Bocholt, Bochum oder Burscheid, mitzunehmen, gerade jetzt Spaltungen zu vermeiden, statt neue Spaltungen zu forcieren und gerade jetzt bestehende Institutionen zu stärken.

Die deutsche Institution par excellence ist nach wie vor das vor 70 Jahren in Bonn verabschiedete Grundgesetz. Vor einer Dekade wurden darin sinnvolle normative Vorgaben für eine generationengerechte Haushalts- und Finanzpolitik niedergelegt.

Alles spricht dafür, den haushaltspolitischen Kurs von Maß und Mitte gerade heute nicht zu verlassen. Die für den Aufstieg notwendigen Mittel müssen und werden wir bereitstellen. Gleichzeitig werden wir keine neuen Schulden machen; denn auch billig aufgenommene Schulden belasten unsere nachfolgenden Generationen. Das ist der richtige Weg für Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von den GRÜNEN)

Lieber Herr Finanzminister, als Sie schon wieder mit „Maß und Mitte“ anfingen, war mir eigentlich sehr schnell klar: Sie haben heute dem Grunde nach die gleiche Rede gehalten wie im letzten Jahr, wie im vorletzten Jahr und wie Sie sie wahrscheinlich auch im nächsten Jahr halten werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich danke Ihnen aber dafür, denn jetzt haben wir alle die Gewissheit: Von dieser Regierung ist nichts Neues mehr zu erwarten. Ihr Pulver ist verschossen. Der Ofen ist aus, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Haushaltsentwurf 2020 macht sehr deutlich: Zu neuen Zielen wird kein Kabinettsmitglied mehr aufbrechen. Von nun an irren Sie alle nur noch durch die Asche Ihrer verbrannten Ideen, und das noch zweieinhalb Jahre lang bis zum tristen Ende dieser Legislaturperiode.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Dabei hatte keine andere Landesregierung in der Geschichte unseres Landes so gute Startchancen wie Ihre Landesregierung, Herr Ministerpräsident.

(Zuruf von der SPD: Allerdings!)

Sie haben einen ausgeglichenen Haushalt von der Vorgängerregierung übernommen.

(Beifall von der SPD – Lachen von der FDP – Zurufe von der CDU: Oh!)

– Ja. Und Sie profitieren von einem neuen Länderfinanzausgleich, den Ihre Vorgängerin, Frau Ministerpräsidentin Kraft, für unser Land erfolgreich verhandelt hat. – Hannelore Kraft, herzlichen Dank dafür.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben so hohe Steuereinnahmen wie noch nie in der Geschichte unseres Landes, aber gleichzeitig hat noch keine Regierung so wenig aus den Möglichkeiten gemacht wie Ihre, sehr geehrter Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Ganz gleich, ob Wirtschaft, Finanzen oder Arbeitsmarkt, ob Kitas, innere Sicherheit oder Energiepolitik: Ihre Ministerinnen und Minister sonnen sich in den Leistungen ihrer Vorgänger, oder sie rühmen sich für die Investitionen des Bundes, die von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Berlin erstritten wurden.

(Beifall von der SPD)

Eigene Erfolge hat aber niemand von Ihnen so richtig vorzuweisen. Heute lassen Sie sich dafür von Ihren Fraktionen bejubeln, und jedes Mal geht es dabei zu wie im berühmten Märchen von Hans Christian Andersen – „Kaiser Armins neue Kleider“.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie sich für die Leistungen anderer rühmen oder einfach nur gut darin sind, die Misserfolge zu kaschieren. Politisch haben Sie nichts an, politisch sind Sie alle nackt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Diese Regierungsbank wirkt wie ein einziger FKK-Strand, und wir müssen Ihnen leider gegenübersitzen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Aber wir sagen die Wahrheit, und wir sagen sie deutlich und auch sehr laut. Die Wahrheit ist …

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das wäre das erste Mal, Herr Kollege! Das wäre das erste Mal!)

– Ja, ich weiß, es tut weh, sich so etwas vorstellen zu müssen, aber ich kann ja auch nichts dafür. Es tut mir leid.

(Beifall von der SPD)

Die Zwischenbilanz dieser Landesregierung ist eine Bilanz des Scheiterns, der Enttäuschungen und des Versagens: Der Wirtschaftsminister scheitert mit seiner Energiepolitik an der Realitätsverweigerung seiner eigenen Koalition. Der Familienminister enttäuscht mit seiner KiBiz-Reform Hunderttausende von Müttern und Vätern, Erzieherinnen und Trägern im ganzen Land. Die sogenannte Heimatministerin versagt jeden Tag bei der Bekämpfung der schlimmsten Wohnungsnot in Nordrhein-Westfalen seit den 50er-Jahren.

(Beifall von der SPD)

Und Sie, Herr Laschet, hatten einst eine schlankere Verwaltung versprochen. Was ist tatsächlich passiert? In der Ministerialbürokratie sind innerhalb von zweieinhalb Jahren 525 zusätzliche Stellen entstanden. So haben Sie die Ministerialbürokratie aufgebläht.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört! Unglaublich!)

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen neue Stellen. Aber dann sollten die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch eine Uniform anhaben oder meine Kinder unterrichten. Das wären vernünftige Stellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zu Beginn Ihrer Amtszeit wollten Sie noch knallhart sein und unnötige Ausgaben im Landeshaushalt streichen. Aber was machen Sie stattdessen? Sie gönnen sich einen luxuriösen Umzug in neue, repräsentative Räumlichkeiten. Für 40 Millionen Euro machen Sie es sich schön in der Staatskanzlei – feine, edle Möbel, eine neue Ausstattung – nach dem Motto „Majestät braucht Sonne“, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD)

Aber ich sage Ihnen auch ganz deutlich, Herr Laschet: Die Staatskanzlei ist nicht das Bistum von Limburg. Merken Sie sich das bitte,

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

und rufen Sie sich in Erinnerung, was mit dem Bischof von Limburg passiert ist.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Herr Tebartz-van Elst wurde nach seiner Luxussanierung nach Rom wegbefördert.

(Zurufe von der SPD)

Vielleicht, Herr Laschet, ist das auch Ihre Absicht, nach Berlin wegbefördert zu werden. Die Gerüchteküche brodelt. Vielleicht wünschen Sie sich ja nichts sehnlicher als das, aber bis dahin machen Sie es sich in der Staatskanzlei für 40 Millionen Euro noch schön.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Was ich heute bei Ihnen vermisst habe, Herr Lienenkämper, war eine klare Ansage, wie weit denn Ihre Vorbereitungen für eine Senkung der Grunderwerbsteuer gediehen sind. Das hatten Sie doch im Wahlkampf versprochen.

(Beifall von der SPD)

Das haben Sie, die Koalitionsparteien, Ihren Wählerinnen und Wählern versprochen. Wissen Sie, was passieren wird? Diese Senkung der Grunderwerbsteuer wird niemals kommen, weil Ihr Haushalt ohne diese Einnahmen schon längst ins Defizit gerutscht wäre. 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen hin oder her: Hier haben Sie Ihre Wählerinnen und Wähler getäuscht, Herr Lienenkämper.

(Beifall von der SPD)

Wir sehen: Diese Regierung scheitert an ihren eigenen Ansprüchen,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

sie enttäuscht die Hoffnungen ihrer Wählerinnen und Wähler, und sie versagt bei der Lösung der großen Probleme in diesem Land. Das ist die Wahrheit oder die Zwischenbilanz der schwarz-gelben Koalition, aber längst noch nicht alles, meine Damen und Herren.

Dieser Haushalt macht deutlich: Die Investitionsquote in unserem Land steigt nicht. Nein, trotz erhöhter Steuereinnahmen sinkt die Investitionsquote. Der Lehrermangel in Nordrhein-Westfalen wird nicht kleiner, er wird immer größer. Und die Staus werden nicht kürzer, sondern länger. Was sinken sollte, steigt, und was wachsen muss, schrumpft mit diesem Haushalt. Wo es Hoffnung auf Fortschritt gab, entmutigt jetzt der Rückschritt.

Der einst rasante Ausbau der Windkraft, der erneuerbaren Energie, ist in der Laschet-Regierung auf ein Nullniveau in sich zusammengefallen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die unter Rot-Grün noch stark gewachsene Anzahl an öffentlich gefördertem Wohnraum ist unter Schwarz-Gelb um ein Drittel eingebrochen.

Aber dafür ist der Unterrichtsausfall an unseren Schulen während Ihrer Regierungszeit auf ein Rekordhoch emporgeschnellt. 2018 war er doppelt so hoch wie noch im Jahre 2015, wie das Bildungsministerium bereits zugeben musste.

(Henning Höne [FDP]: Die Zahlen sind doch noch gar nicht erfasst, Herr Kutschaty!)

Dieses Scheitern und Enttäuschen hat Folgen: Noch nie haben sich in so kurzer Zeit so viele Bürgerinitiativen und Bündnisse gegen die Politik der Landesregierung gegründet wie in den ersten zwei Amtsjahren dieser Koalition: Bürgerbündnisse gegen Ihre Wohnungsbaupolitik, gegen Ihre Verkehrspolitik, gegen Ihre KiBiz-Reform, gegen Ihre Manipulation des Kommunalwahlrechts und nicht zuletzt auch gegen Ihre starrsinnige Verteidigung der Straßenausbaubeiträge, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Nehmen wir zum Beispiel das Bündnis für Wohnen. Das war keine Aktion, die die Akteure aus Langeweile gemacht haben, sondern das geschah eher aus Notwehr. Die Wohnungsnot in Nordrhein-Westfalen wird immer schlimmer, und zwar nicht nur für Rentnerinnen und Rentner, Geringverdiener oder Studierende. Nein, es trifft mittlerweile auch die Mitte unserer Gesellschaft. Familien mit Kindern, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Polizistinnen und Polizisten, Facharbeiter oder Krankenschwestern können sich in bestimmten Städten oder Regionen eine Mietwohnung einfach nicht mehr leisten.

Wohnungsnot trifft die Mitte der Gesellschaft, aber das scheint den Ministerpräsidenten überhaupt nicht zu interessieren.

Lieber Herr Laschet, wissen Sie noch, was Sie in Ihrer Regierungserklärung zum Thema „Wohnen und bezahlbare Mieten“ gesagt haben? Wissen Sie das noch, Herr Laschet? – Sie scheinen nicht zuhören zu wollen. Wahrscheinlich wollen Sie sich auch gar nicht daran erinnern, was Sie dazu gesagt haben. Das wundert mich nicht; denn Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gar nichts dazu gesagt. Kein einziges Wort haben Sie zum größten sozialen Problem unseres Landes verloren. Das war eine bittere Enttäuschung.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der SPD: Unerhört! Das hat er vergessen!)

Aber was noch schlimmer ist: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes ist eine Wohnungsbauministerin nicht mehr die Verbündete der 11 Millionen Mieterinnen und Mieter in Nordrhein-Westfalen.

(Marc Herter [SPD]: Sehr richtig!)

Frau Scharrenbach steht auf der Seite der Wohnungs- und Immobilienkonzerne, für die sie mit ihrem Bündnis für Wohnen eine staatlich geförderte Lobbyallianz geschaffen hat. Die Interessen von Mieterinnen und Mietern kommen da gar nicht mehr vor. Im Gegenteil! Die Menschen, die in Nordrhein-Westfalen zur Miete wohnen, können sich auf Frau Scharrenbach nicht verlassen. Man muss sich als Mieter in Nordrhein-Westfalen vor Frau Scharrenbach fürchten. Auch das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Denn noch immer steht die Drohung im Raum, den Markt zu entfesseln, den landeseigenen Mieterschutz zu beschädigen, und noch immer verweigert die Ministerin die dringend nötigen Investitionen in bezahlbare Wohnungen. Diese Politik trifft insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Sie alle hatten die große Hoffnung, dass Barrierefreiheit in Zukunft Standard im Wohnungsbau sein wird und nicht Luxussanierung. Doch diese Hoffnung der Menschen haben Frau Scharrenbach und ihre Koalition zunichtegemacht.

Was Sie dabei völlig übersehen, Frau Ministerin: Barrierefreiheit ist für körperlich eingeschränkte Menschen nicht nur eine Baumaßnahme, Barrierefreiheit bedeutet für diese Menschen tatsächlich Freiheit und Selbstbestimmung im ursprünglichen Sinne beider Worte. Doch diese Freiheit wird es mit Ihnen, Frau Scharrenbach, nicht geben. Auch das gehört zur traurigen Zwischenbilanz dieser Ministerin.

(Beifall von der SPD)

In Nordrhein-Westfalen müssten jedes Jahr 100.000 Wohnungen gebaut werden, um in den nächsten fünf Jahren die Lage auf dem Wohnungsmarkt einigermaßen entspannen zu können. Tatsächlich wird nicht einmal die Hälfte gebaut. Besonders dramatisch ist die Entwicklung im Bereich des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen ist im Vergleich zum Jahr 2016 um 34 % gesunken – ein Drittel weniger öffentlich geförderte Wohnungen innerhalb kürzester Zeit Ihrer Regierung.

(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Auch das gehört zur Zwischenbilanz dieser Ministerin.

(Beifall von der SPD)

An Ihrem Haushalt kann man die Prioritäten erkennen. Trotz der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt investiert diese Koalition keinen eigenen Cent in den Mietwohnungsbau – keinen eigenen Cent. Sie nehmen das Geld vom Bund und von der NRW.BANK, aber aus den Steuermehreinnahmen in diesem Landeshaushalt – 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen seit dem Jahre 2017 – geht kein einziger Cent in den mietpreisgebundenen Wohnungsbau.

Deswegen sage ich noch einmal: Frau Scharrenbach, Sie versagen bei der Bekämpfung der schlimmsten Wohnungsnot seit Jahrzehnten!

(Beifall von der SPD)

In die Kategorie des Enttäuschens fällt zweifelsohne auch das Kita-Gesetz des Familienministers. 10.000 Menschen sind nach Düsseldorf gekommen, um gegen dieses Gesetz zu protestieren; über 80.000 Menschen haben eine Petition gegen Ihr Gesetz unterschrieben. Warum? Weil sie von dieser Regierung maßlos enttäuscht sind, weil diese Regierung eine Riesenchance vertan hat.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Das Gute-KiTa-Gesetz von Franziska Giffey hätte eine Initialzündung für eine Qualitätsoffensive in unseren Kindergärten sein können.

(Beifall von der SPD – Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

– Ja, ist so. Ganz ehrlich.

Es hätte einen Aufbruch geben können, mehr in die frühkindliche Bildung zu investieren, wenn – ja, wenn – diese Regierung die Schubkraft aus Berlin durch ein eigenes Investitionsprogramm ernsthaft verstärkt hätte. – Herr Stamp, doch genau das haben Sie nicht getan. Dazu fehlt Ihnen der Mut, dazu fehlt Ihnen die Kraft, und wahrscheinlich fehlt Ihnen auch der politische Wille dazu.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Sie haben doch sieben Jahre gar nichts gemacht!)

Fest steht: Es wird keine auskömmliche Sockelfinanzierung für unsere Kindergärten geben. Es wird keinen verbesserten Fachkraft-Kind-Schlüssel geben. Unsere Erzieherinnen und Erzieher werden nicht entlastet, obwohl sie jeden Tag am Limit ihrer Kräfte arbeiten. Familiengerechte Öffnungszeiten wird es vielleicht auf dem Papier, aber wahrscheinlich nicht in der Praxis geben. Und die freien Träger erhalten nicht mehr Unterstützung vom Land.

Im Gegenteil! Sie werden auf Kostensteigerungen in Höhe von 500 Millionen Euro sitzen bleiben, viele Kommunen übrigens auch. Fragen Sie sich doch mal, warum die Träger alle ein so gestörtes Verhältnis zu Ihrem Gesetzentwurf haben, Herr Stamp. Dann müsste man doch darauf kommen, dass das nicht so richtig passt.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Doch ich will einen Punkt Ihrer Politik in dem Bereich loben, Herr Stamp. Es gibt auch gute Nachrichten für Familien in Nordrhein-Westfalen. CDU und FDP lenken ein und geben ihren Widerstand gegen eine Entlastung bei den Kitagebühren auf. Hier haben wir uns zumindest teilweise durchgesetzt.

(Lachen von Bodo Löttgen und Josef Hovenjürgen [CDU])

Ab dem Jahr 2021 wird auch in Nordrhein-Westfalen ein weiteres Kitajahr beitragsfrei sein. Das ist ein großer Erfolg, darauf kann man durchaus stolz sein. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, meine Damen und Herren. Ich hoffe, wir kommen irgendwann mal gemeinsam in diesem Hause zu der Erkenntnis, dass Kita nicht nur irgendeine Verwahr- oder einfache Betreuungseinrichtung ist, sondern der erste wichtige Baustein in der frühkindlichen Bildung. Deswegen gehören Kitagebühren komplett abgeschafft.

(Beifall von der SPD)

Mit den gleichen Argumenten – Sie werden gleich in der Debatte die vollständige Gebührenfreiheit für Kitas ablehnen – müsste man konsequenterweise auch wieder Schuldgeld einführen, wenn Sie das so konsequent durchziehen möchten.

(Beifall von der SPD)

Das macht aber niemand mehr, weil Zugang zur Bildung etwas mit Aufstiegschancen zu tun hat und für niemandem in diesem Lande mit Gebühren belegt sein darf. Deswegen gibt es keine guten Argumente mehr für Kitagebühren. Sie sind ungerecht, sie sind unnötig, sie gehören abgeschafft.

(Beifall von der SPD)

Aber Sie werden das Thema genauso wenig abräumen wie die Straßenausbaubeiträge. Nordrhein-Westfalen ist neben Bremen und Sachsen-Anhalt das einzige Bundesland in Deutschland, das die Erhebung dieser Beiträge von ihren Kommunen noch erzwingt, die jedes Jahr Tausende Bürgerinnen und Bürger treffen. Ich habe in den letzten Monaten mit sehr vielen betroffenen Menschen gesprochen. Sie fühlen sich in ihrer Existenz bedroht, weil es um Zehntausende von Euro geht.

Wir treffen Rentnerinnen und Rentner, die froh sind, dass mit dem letzten Gehalt die letzte Rate des Hauses bezahlt ist, und man hatte sich die Hoffnung gemacht, mit der Rente könne man weiter in seinem Haus wohnen. Es trifft junge Familien, die noch die laufenden Hypotheken, Grundschulden bedienen müssen und für die ein fünfstelliger Betrag tatsächlich wie ein Schlag kommt. Es geht um Menschen mit Durchschnittseinkommen, die diese Summen nie wieder aufbringen können.

Da helfen auch Ihre 65 Millionen Euro nicht, die Sie gerade so gelobt haben, Herr Lienenkämper. Was nützt es einer Rentnerin, wenn die von ihr geforderte Summe von 30.000 Euro auf 20.000 Euro gesenkt wird?

(Zuruf von Stefan Kämmerling [SPD])

Es ist doch völlig gleichgültig, ob ein Gewässer 100 m oder nur 10 m tief ist – wenn man nicht schwimmen kann, ertrinkt man trotzdem, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Deswegen steht für die Sozialdemokratie in diesem Land ganz klar fest: Die bisherigen Straßenausbaubeiträge müssen vollständig aus dem Landeshaushalt finanziert werden. Ich bin sehr optimistisch, dass das schon bald der Fall sein wird.

(Beifall von der SPD)

Ja, Herr Löttgen, Sie gucken jetzt staunend, warum ich da so optimistisch bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie, Herr Löttgen, und Ihre Kolleginnen und Kollegen dem Druck nicht länger standhalten können. Ihre Verweigerungshaltung wird bald ein Ende haben.

(Beifall von der SPD)

Eine halbe Million Menschen in diesem Lande haben sich schon offiziell gegen Straßenausbaubeiträge ausgesprochen. Wir merken es doch. In den Kommunen wird mit Stimmen der CDU in den Ratsfraktionen gemeinsam eine Resolution für die Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen gefasst. Sie werden einknicken, da bin ich mir ziemlich sicher.

Aber wissen Sie auch, was dann passieren wird, Herr Löttgen? Dann werden Sie sich hier ans Rednerpult stellen und allen weismachen wollen, dass die komplette Abschaffung der Straßenausbaubeiträge schon immer das Ziel Ihrer Fraktion gewesen ist. Das wird eine herrliche Vorstellung. Darauf freue ich mich. Ich verspreche Ihnen: Im nächsten Jahr werden wir das erleben.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Weit weniger optimistisch als bei den Straßenausbaubeiträgen bin ich allerdings bei dem Thema „Lehrermangel und Lehrerversorgung“. Ich habe ernste Zweifel, ob die Landesregierung noch in der Lage ist, ein wirksames Mittel gegen den Lehrermangel und den Unterrichtsausfall zu finden. Ganz im Gegenteil! Einmal mehr scheitert die Regierung an ihren eigenen Ansprüchen.

Was ist uns denn noch vor der Wahl versprochen worden, auch von der FDP-Bildungsministerin? Sie ist für mich gerade nicht sichtbar, zumindest hier im Saal nicht. Das weltbeste Bildungssystem wurde uns versprochen; darunter macht es die FDP ja nicht.

Heute wissen wir, dass Frau Gebauer und ihre Partei auf eine Übernahme des Schulressorts überhaupt nicht vorbereitet waren. Es gab offensichtlich reichlich Phrasen und Floskeln, aber weder Pläne noch Konzepte. Seitdem Sie im Amt sind, müssen wir Ihnen dabei zusehen, wie Sie verzweifelt versuchen, zu improvisieren, und manchmal auch dilettieren.

(Zurufe von der FDP)

Derweil wird der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern immer größer. Es ist ja schön, wenn Sie im Haushalt darstellen, dass es zusätzliche Lehrerstellen gibt, aber Stellen unterrichten noch nicht meine Kinder.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie waren ja noch nicht mal in der Lage, mehr als 58 % der ausgeschriebenen Stellen zu besetzen. Das ist ein historischer Negativrekord in unserem Lande, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Jetzt versuchen Sie, die größten Löcher mit Seiteneinsteigern und Pensionären zu stopfen. Aber das ist nicht mehr als planloser Aktionismus. Wissen Sie, was mich dabei besonders ärgert? Wenn Sie sich mal mit Schulvertretern unterhalten, dann stellen Sie fest,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

dass die Seiteneinsteiger viel zu oft völlig unvorbereitet an die schwierigsten Schulen in unserem Land kommen, während die Gymnasien in wohlhabenden Stadtvierteln den Begriff „Lehrermangel“ nur aus der Zeitung kennen.

(Beifall von der SPD)

Genau das ist das Problem. Wo ist denn der Masterplan Grundschule, der seit zwei Jahren angekündigt worden ist? Wo ist der Masterplan Berufsschule, der genauso notwendig wäre? Diese Regierung hat nicht die Kraft, um den Lehrermangel an den Wurzeln zu bekämpfen. Auch das ist die Wahrheit.

Der größte Lehrermangel herrscht an den Grundschulen, und das Problem kann man relativ einfach und auch schnell lösen. Es bedarf nämlich einer grundlegenden Reform der Lehrerbesoldung in unserem Lande.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Die ungleiche Bezahlung von gleichwertiger Arbeit ist nach wie vor eine der Hauptursachen für den Lehrermangel an Grundschulen. Es darf aus unserer Sicht keine Lehrerinnen, keine Lehrer erster und zweiter Klasse mehr geben. Grundschullehrerinnen dürfen nicht schlechter bezahlt werden als ihre Kollegen am Gymnasium. Ihre Arbeit ist genauso wichtig, ist genauso anspruchsvoll, wenn nicht sogar anspruchsvoller als in höheren Klassen. Das heißt, A13 für alle im Eingangsamt. Auch das hätten Sie mit diesem Haushalt endlich mal nach vorne bringen können.

(Beifall von der SPD)

Ich habe ja Verständnis dafür, wenn man in solchen Situationen auch auf Seiteneinsteiger zurückgreift. Ja, das kann man machen. Aber es bedarf einer verbindlichen Vorqualifizierung, und wir dürfen sie nicht an die Schulen schicken, die mit vielen sozialen Problemen zu kämpfen haben. Das ist nun wirklich eine Aufgabe für Profis. Da müssen die besten Lehrerinnen und Lehrer hin.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da helfen uns auch Ihre 60 Talentschulen in Nordrhein-Westfalen nicht.

(Bodo Löttgen [CDU]: Nee!)

Bei 6.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen muss ich noch nicht mal auf einer Talentschule gewesen sein, um Ihnen relativ leicht ausrechnen zu können: Das trifft 1 % unserer Schulen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Was ist mit den 99 % der anderen Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer? Sind da keine Talente zu fördern? Nein, wir müssen dort in Personal investieren, wo viele Kinder aus armen Familien kommen, wo es soziale Spannungen gibt, ja, wo viele Kinder auch Sprachprobleme haben. Bringen Sie endlich den Mut auf, und behandeln Sie Ungleiches auch ungleich. „Löschen, wo es brennt“ muss die Devise in der Schulpolitik sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Deswegen sage ich an dieser Stelle noch mal ganz deutlich: Wir brauchen endlich einen schulscharfen Sozialindex. Daran führt kein Weg mehr vorbei, wenn Sie dieses Problem endlich vernünftig lösen wollen.

(Beifall von der SPD)

Frau Gebauer weiß das auch, sie kann sich aber im Kabinett und in den Mehrheitsfraktionen nicht durchsetzen. Ihr Schwung ist verflogen, ihre Kraft ist verbraucht. Jetzt steckt sie fest im Morast der Widerstände und Widersprüche ihrer eigenen Koalition. Da kommen Sie nicht mehr raus. Die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen wird dadurch allerdings leider nicht besser.

Unser Land kann seit vielen Jahren auf stets gute Wachstumszahlen und immer bessere Arbeitsmarktzahlen zurückblicken. Auch das hat der Finanzminister gerade sehr ausführlich dargestellt.

Doch die Lage verschlechtert sich tatsächlich zunehmend. Große Konzerne wie thyssenkrupp, Bayer, Karstadt und RWE haben angekündigt, Tausende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren abbauen zu wollen. Insgesamt stehen mehr als 25.000 Jobs in Nordrhein-Westfalen auf dem Spiel. – Das ist ein ganz massiver Stellenabbau in Ihrer Amtszeit, Herr Ministerpräsident.

Es fehlen Maßnahmen dagegen. Ihre Regierung ist ja noch nicht mal in der Lage, neue industriepolitische Leitlinien vorzulegen. Darauf wartet die Industrie in diesem Lande seit zweieinhalb Jahren. Offensichtlich haben Sie an Industriepolitik nicht das geringste Interesse. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Sie in diesem Bereich bislang so untätig gewesen sind.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Gleiche gilt, meine Damen und Herren, für die Klima‑ und Energiepolitik, derzeit ein einziges Chaos. Diese Koalition macht die Windkraft kaputt, scheitert aber gleichzeitig beim Ausbau von Fotovoltaik, Biomasse, Geothermie oder Wasserkraft.

Die energiepolitische Bilanz dieser Regierung ist so schlecht, dass der Ministerpräsident aus lauter Verzweiflung schon anfängt, das rot-grüne Klimaschutzgesetz zu preisen – ein Gesetz übrigens, was Sie, Herr Laschet, und Ihre Fraktion damals zu Oppositionszeiten bis aufs Messer bekämpft haben.

Herr Pinkwart, wissen Sie eigentlich noch, wie Ihr jetziger Kabinettskollege, Herr Wüst, damals das von Ihnen jetzt hochgelobte Klimaschutzgesetz genannt hat? – Herr Wüst, Sie sagten damals: Das Klimaschutzgesetz der rot-grünen Regierung sei eine Schweinerei. – Das war das Niveau, auf dem wir damals Auseinandersetzungen mit Ihnen führen mussten.

Konzeptionell haben Sie aber seitdem nichts dazugelernt; den industriepolitischen Herausforderungen des Klimaschutzes steht diese Landesregierung hilflos gegenüber. Unser Land verliert dadurch leider wertvolle Zeit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Zur Mitte dieser Legislaturperiode hat das Kabinett Laschet aber noch zwei weitere Rekorde aufgestellt, die in absehbarer Zeit niemand mehr knacken wird. Noch nie hat eine Regierung in so kurzer Zeit so viele Menschen enttäuscht und so oft die Öffentlichkeit getäuscht wie Ihre, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Wenn frühere Ministerpräsidenten Rau, Rüttgers oder Kraft mitteilten, dass Sie mit unseren europäischen Freunden in Verhandlungen zu einer Sachfrage stehen, hat das niemand in Zweifel gezogen. Warum auch? – Das stimmte selbstverständlich. In der Ära Laschet kann man sich da leider nicht mehr sicher sein, meine Damen und Herren.

Bis 2018 wäre es auch keiner Richterin im Traum eingefallen, dass sie jemals eine Landesregierung in die Irre führen könnte. Das war undenkbar in Nordrhein-Westfalen. In Ihrer Regierungszeit, Herr Laschet, ist das leider nicht mehr der Fall, denn es ist passiert, und bis heute hat sich dafür bei der Justiz leider keiner von der Regierung entschuldigt. Das hätten Sie wenigstens mal tun können.

(Beifall von der SPD)

Gleiches gilt für die Falschmeldung über angebliche Hackerangriffe auf eine Ministerin, die Ihre Regierung in die Welt gesetzt hat.

Der nächste Skandal kam dann im März ans Licht: Schulministerin Gebauer musste zugeben, dass sie einen 600.000-Euro-Auftrag ohne Ausschreibung an eine Unternehmerin, die zuvor 50.000 Euro an die FDP gespendet hatte, vergeben hat.

(Zuruf von der SPD: So sind sie!)

Das Ministerium hatte Frau Gebauer gewarnt, ohne Ausschreibung sei die Vergabe rechtswidrig, aber man hat offensichtlich darauf bestanden, nicht auszuschreiben.

Im Juni gingen Frau Gebauer dann die Ausflüchte aus, der Auftrag wurde zurückgezogen und ausgeschrieben. Jetzt können sich auch Unternehmen bewerben, die nicht an die FDP gespendet haben, und das ist auch gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Stellen wir uns einmal kurz vor, Sylvia Löhrmann hätte in ihrer Amtszeit ohne Ausschreibung eine Auftragsvergabe so vorgenommen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Sie hat nichts gemacht!)

Was hätte die damalige Opposition getan? – Da wäre der Teufel los gewesen. Sie, Herr Löttgen, hätten in Rekordzeit gelernt, das Wort „Rücktritt“ in 50 Sprachen zu buchstabieren, vorwärts und rückwärts. Das wäre die Realität gewesen.

(Beifall von der SPD)

Aber in dieser Regierung muss man für persönliches Fehlverhalten keine Konsequenzen ziehen; nicht einmal eine Entschuldigung hält man für nötig.

Sie meinen, Sie könnten Ihre Schwindeleien und Affären unauffällig in der Flut aus schlechten Nachrichten und Aufregerthemen versenken, die tagtäglich in der Öffentlichkeit über uns hereinbrechen. Aber eines schönen Tages wachen Sie auf, und die Ebbe ist zurück, und dann kommt der ganze Mist wieder an die Oberfläche, und – das verspreche ich Ihnen – er wird zum Himmel stinken, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Bei Herrn Reul und bei Frau Scharrenbach ist es schon so weit. Es geht um die Räumung des Hambacher Forstes im September letzten Jahres, den größten, den teuersten und den wahrscheinlich auch gefährlichsten Polizeieinsatz in der Geschichte unseres Landes.

Angeblich waren allein die Sicherheitsmängel der Baumhäuser Grund für den Einsatz. Mit der von RWE geplanten Rodung des Hambacher Forstes habe der Einsatz nichts zu tun. – Das jedenfalls haben die Minister Reul und Scharrenbach ein ums andere Mal behauptet. Wörtlich sagte Innenminister Reul am 23. September 2018 in der WDR-Sendung „Westpol“:

„Die Räumung ‚hat ja mit der Baumrodung gar nichts zu tun. Das werfen die Leute ja alles durcheinander, bedauerlicherweise.‘„

Und weiter führt er aus,

„dass Gefahr im Verzug ist. Das sind lebensgefährliche Situationen. (…) Nur darum geht‘s.“

Frau Ministerin Scharrenbach sagte im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen am 14. September 2018 wörtlich:

„Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es nicht um die Frage der Rodung geht. Ich sage das hier in aller Ausdrücklichkeit“.

Heute wissen wir, dass das so nicht richtig war. Herr Reul hat schon um Entschuldigung gebeten, Frau Scharrenbach hat ihre Platte in der letzten Woche im Heimatausschuss noch einmal neu gespielt. Wahrscheinlich wartet sie wieder auf Heino, bis sie wieder eine neue Platte auflegen kann.

Bis heute ist allerdings völlig unklar, meine Damen und Herren, wie dieses Kommunikationsdesaster überhaupt passieren konnte. Was ist da in der Landesregierung schiefgelaufen?

Frau Scharrenbach und Herr Reul, Sie haben heute in der Fragestunde Gelegenheit, dem Parlament die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Ich bin gespannt, was gleich kommen wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann gibt es Innenminister Reul, der bestreitet, Gespräche mit RWE geführt zu haben. Ich weiß ja, dass ein Minister viel zu tun hat, auch viele Gespräche führt und man nicht immer noch jedes Detail seines Terminkalenders kennt.

Aber im Zusammenhang mit der Räumung und geplanten Rodung des Hambacher Forstes, was ja kein alltägliches Geschäft eines Ministers und eines Ministeriums ist, sich nicht daran erinnern zu können, dass man zwei Gespräche mit der Vorstandsspitze von RWE geführt hat? – Meine Damen und Herren, wer soll Herrn Reul das noch glauben? Das glaubt ihm noch nicht einmal mehr seine Oma.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kutschaty, die Redezeit.

Thomas Kutschaty (SPD): Wir haben mitgekriegt, dass sich schon viele Ministerinnen und Minister in großen Fragen öffentlich korrigieren mussten. Herr Finanzminister, Sie mögen hier einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf vorgelegt haben, aber im Hinblick auf Redlichkeit und Wahrhaftigkeit ist Ihre Regierung schon längst bankrott. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Löttgen jetzt das Wort.

Bodo Löttgen (CDU): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben meine Erwartungen wirklich übertroffen, Herr Kutschaty: ein Oppositionsführer, der sich an dieses Pult stellt und Märchen erzählt. Aber wenn Sie die Märchen schon erzählen

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

und Rollen in diesen Märchen zuweisen – Sie haben ja dem Ministerpräsidenten die Rolle des Kaisers zugeordnet –, hätten Sie sich vielleicht auch ein klein wenig mit den weiteren Akteuren in diesem Märchen beschäftigen sollen, denn es waren zwei Betrüger, die dem Kaiser vormachten, sie hätten ihm Kleider gewebt. Ich weiß genau, wo diese beiden Betrüger hier in diesem Plenum sitzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben in Ihrer Regierungspolitik den Menschen vorgemacht und vorgegaukelt, Sie hätten eine erfolgreiche Politik gemacht, und am Ende haben wir das übernommen, was Sie uns als nackte Tatsachen hinterlassen haben,

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

und darauf kommen wir jetzt mal zu sprechen.

(Zuruf von der SPD)

Fakt ist doch, dass die Zahlen der Mittelfristigen Finanzplanung aufgrund zurückgehender Steuereinnahmen korrigiert werden müssen.

Fakt ist: Es gibt weniger vom prognostizierten Mehr.

Dann müssen Sie irgendetwas als SPD grundsätzlich missverstanden haben, denn Sie möchten je nach Tagesform entweder mehr vom Weniger ausgeben oder ersatzweise mehr vom Weniger sparen.

Es wird zu wenig Geld ausgegeben, sagen die Fachleute der Opposition im Geldausgeben. Es wird zu wenig gespart, sagen die Fachleute der Opposition im Zu-wenig-Sparen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist nicht wahr! Wer sagt das denn?)

Liebe Opposition, niemand in diesem Haus zweifelt an Ihrer Expertise

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

im Geldausgeben und Zu-wenig-Sparen. Daran haben wir nun wirklich keinen Zweifel.

(Beifall von der CDU und Christian Mangen [FDP])

Aber ich sage es mal vorsichtig: Diese ambivalente Haltung überzeugt mich nicht.

Dann betritt der Landesvorsitzende der SPD Sebastian Kutschaty, nein, Sebastian Hartmann – Entschuldigung, Herr Kutschaty, das war als Versprecher hier eingeplant; nein, Scherz – die Bühne.

(Lachen von der SPD – Nadja Lüders [SPD]: Wer ist jetzt der Märchenonkel? – Stefan Zimkeit [SPD]: Gedächtnisschwäche ist CDU-Stärke!)

Er wäre ja vielleicht auch gerne Landesvorsitzender; ich weiß es ja nicht.

Also, Sebastian Hartmann betritt die Bühne und sorgt mit einem Bericht in der „Rheinischen Post“ vom 16. September endlich für Klarheit. Mit Blick auf den Bildungsetat wird er dort wie folgt zitiert:

„Um aufzuschließen, müsse NRW jährlich sieben Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben. Der Anteil des Bildungsetats am Gesamthaushalt in NRW läge dann bei rund zehn Prozent.“

Diese Wortmeldung wiederum macht exakt drei Dinge deutlich:

Erstens. Herr Hartmann hat den Haushalt nicht gelesen.

Zweitens. Falls er ihn gelesen hat, hat er ihn nicht verstanden.

Drittens. Aber auf jeden Fall erbringt der Landesvorsitzende der SPD den beredten Nachweis, dass – wie schon häufiger an diesem Rednerpult nachgewiesen werden musste – die SPD an einer ausgeprägten Dyskalkulie, sprich: Rechenschwäche, leidet.

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP])

Die Zahlen: Gesamthaushalt 79,8 Milliarden Euro, Anteil alleine des MSB am Bildungsetat 20 Milliarden Euro, siehe Einzelplan 05. Das sind jetzt nach Rechnung plus 7 Milliarden; 10 % bei Herrn Hartmann.

In Wirklichkeit sind es bereits jetzt 25 %. Nehmen wir Hochschulen, Weiterbildung, Kindertagesbetreuung etc. hinzu, steigert sich der Anteil der Bildungsausgaben am Gesamtetat auf gut 34 Milliarden Euro. Das entspricht 42,62 %.

Fakt ist also, meine Damen und Herren: Bildung von der Kita über die Schulen bis zu den Hochschulen ist zentraler Bestandteil

(Jochen Ott [SPD]: Ist unterfinanziert!)

der Politik der NRW-Koalition.

(Jochen Ott [SPD: Ist unterfinanziert!)

Fakt ist:

(Jochen Ott [SPD]: Ist unterfinanziert!)

Aufstieg durch Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu ermöglichen, bleibt zentrales Anliegen der Landesregierung

(Jochen Ott [SPD]: Ist unterfinanziert!)

und der sie tragenden Fraktionen, wie sich zweifelsfrei erneut auch an diesem Haushalt ablesen lässt.

(Beifall von der CDU)

Nun, meine Damen und Herren, zu drei weiteren Kritikpunkten der Opposition:

Erstens. Die NRW-Koalition baut keine Schulden ab. – Falsch! Ich darf mal mit der Übersetzung eines Zitats von Thomas Kutschaty antworten, der bekanntlich zu seinen Ambitionen auf den SPD-Vorsitz sagte: Ich habe keine Kandidatur angemeldet, sondern nur nicht ausgeschlossen.

Übertragen auf die Verschuldung hätte Herr Kutschaty also vermutlich gesagt: Wir haben keinen Schuldenabbau angemeldet, sondern nur nicht ausgeschlossen.

Im Ergebnis beider Ambitionen allerdings, Herr Kutschaty, unterscheiden wir uns erheblich: Sie haben den Bundesvorsitz inzwischen aufgegeben; wir halten an unseren Zielen des Schuldenabbaus fest,

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

denn richtig und im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist – ich zitiere das noch einmal –:

„Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit der höchsten Verschuldung. Die große Schuldenlast hat zu einer immer niedrigeren staatlichen Investitionsquote,“

– was der Herr Finanzminister glasklar nachgewiesen hat –

„einer deutlichen Überlastung der Kommunen und mangelhafter Wettbewerbsfähigkeit geführt. Wir wollen diesen Trend zum Wohle unseres Landes und unserer Kinder endlich stoppen. Wir werden die Schuldenbremse einhalten.“

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie halten sich an geltendes Recht? Das ist ja super! Ist es etwas Besonderes für Sie, dass Sie sich an geltendes Recht halten?)

– Herr Zimkeit, wenn Sie noch ein bisschen weitermachen, kriegen Sie das Zitat von Heinrich Heine gerne noch einmal. Das ist kein Problem; das habe ich Ihnen schon mal gesagt. Ich warte auf Ihren nächsten Zwischenruf.

542 Millionen Euro Verschuldung hat diese Landesregierung seit Beginn der Legislaturperiode abgebaut.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist auch falsch!)

Das sind ziemlich exakt – Sie können ja auch rechnen – 542 Millionen Euro mehr als die Vorgängerlandesregierung in sieben Jahren abgebaut hat.

Die Landesregierung hat darüber hinaus 2,7 Milliarden Euro für den Pensionsfonds eingezahlt und die Risikoabschirmung der Altlasten der WestLB ausreichend dotiert.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

– Herr Zimkeit, wenn Sie es denn unbedingt haben möchten, in Düsseldorf noch einmal für Sie speziell zugeschnitten das Zitat von Heinrich Heine: Ein Schlauer bemerkt alles, ein Dummer macht zu allem eine Bemerkung. – Machen Sie weiter Zwischenrufe; bitte schön.

(Beifall von der CDU und von Dietmar Brockes [FDP] – Zurufe)

– Er hat das Zitat nicht verstanden, deshalb macht er weiter Zwischenrufe, aber das ist okay.

Meine Damen und Herren, Verschuldung stoppen, Schuldenbremse einhalten, Vorsorge für Risiken treffen, versprochen, Versprechen eingehalten, Versprechen erneuert mit dem klaren Bekenntnis der Landesregierung, in der gesamten Legislaturperiode keine neuen Schulden aufzunehmen.

Nebenbei: Der Herr Finanzminister hat erwähnt, dass das Rating nach 13 Jahren von „stabil“ auf „positiv“ gesetzt wird. Damit verbunden ist eine Verbesserung der Landesbonität. Da wären doch mal Glückwünsche von Ihrer Seite angebracht gewesen.

Stattdessen lese ich aber im „Tagesspiegel“ von heute ein Zitat des uns hier bekannten Finanzministers Norbert Walter-Borjans. Dort wird er wie folgt zitiert: „Wir brauchen einen Staat, der sich nicht mit der schwarzen Null stranguliert.“

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie hatten eine Ministerpräsidentin, für die die schwarze Null ein Fetisch war. Jetzt haben wir einen ehemaligen Finanzminister und Kandidaten, für den die schwarze Null eine Strangulation ist.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Mit dem koalieren Sie in Berlin!)

Ich will Ihnen sagen, was die wirkliche Strangulation war: die Zunahme der Verschuldung dieses Landes um 15 Milliarden Euro in der Zeit zwischen 2010 und 2017.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das hat dieses Land stranguliert, und der Verantwortliche dafür

(Marc Herter [SPD]: Ist Helmut Linssen, da haben Sie recht!)

möchte heute darauf hinweisen, wie erfolgreich seine damalige Politik in Wirklichkeit gewesen ist.

Ich kann nur sagen: Wer in der Bilanz mit einem Minus von 15 Milliarden Euro aus dem Markt geht, sollte lieber den Mund halten und sagen, was er damit diesem Land angetan hat,

(Marc Herter [SPD]: Mit einem ausgeglichenen Haushalt! – Stefan Kämmerling [SPD]: Schreihals!)

und nicht darauf hindeuten, dass er das Gleiche noch einmal wiederholen möchte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens: Der Stellenaufbau ist zu groß. – Das ist falsch.

(Zurufe von Hannelore Kraft [SPD] und Horst Becker [GRÜNE])

Ich bin gespannt, sehr geehrte Frau Kollegin Düker, wie Sie uns gleich erklären, welche konkreten Stellen in diesem Haushalt Sie für überflüssig halten.

Für die CDU-Fraktion steht jedenfalls fest: Wir stehen nicht nur zu den 63 Millionen Euro zusätzlich für digitale Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei, sondern wir begrüßen ausdrücklich jede und jeden, der oder die auf den 143 neu geschaffenen Stellen im Bereich „Cybercrime“ zukünftig Kinderpornografie, Handel mit Drogen und Waffen im Darknet, Terror oder Extremismus in der vorgeblichen Anonymität des Internets bekämpft.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir sagen – anscheinend im Gegensatz zu Ihnen –: Herzlich willkommen im Team an alle, die die 500 zusätzlichen Stellen im polizeilichen Verwaltungsdienst besetzen, an die 640 zusätzlichen Anwärterinnen und Anwärter der Polizei und an die 55 neuen Kolleginnen und Kollegen des Staatsschutzes, die zukünftig Extremismus bekämpfen.

Wer auch immer auf der Straße oder im Netz Gesetze bricht: Wir geben bei den Konsequenzen keinen Zentimeter Raum. Wir stärken mit diesem Haushaltsentwurf unseren Sicherheitsbehörden den Rücken und verleihen unserer Nulltoleranzstrategie damit Substanz. Das unterscheidet uns, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Frank Müller [SPD])

Der dritte Punkt – das ist eine ganz interessante Geschichte – ist der Vorwurf, die Investitionsquote sei zu niedrig. Da wollen wir doch mal über relative und absolute Zahlen sprechen – über Quoten. Das finde ich super.

(Sarah Philipp [SPD]: Ja, erzählen Sie mal! – Frank Müller [SPD]: Genau!)

Wissen Sie eigentlich, wie die Quote aussieht, wenn man Personal‑ und Transferausgaben zusammenrechnet, was bei Ihren Haushalten noch übrig geblieben ist, wovon Sie etwas verteilen wollten? – Durchschnittlich waren bereits etwa 86 % weg, bevor Sie überhaupt etwas verteilen konnten.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

In den Haushalten des Finanzministers Lienenkämper haben wir diese Zahl wenig beachtet, aber trotzdem – das ist umso wichtiger – auf 82 % gesenkt,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

obwohl die Transferausgaben beispielsweise an die Kommunen gestiegen sind.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist ja Wahnsinn, was der Kerl macht!)

Jetzt kommt die absolute Zahl. Darum geht es doch; den Leuten geht es doch nicht um eine Quote.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, die absoluten Zahlen sinken!)

Mit einer Quote können Sie draußen nichts bezahlen, aber mit Euros können Sie Investitionen möglich machen. Meine Damen und Herren, die Zahl lautet für die Digitalisierung in der Verwaltung,

(Lachen von Marc Herter [SPD])

für Schule, für Mobilität, für Straßenverkehr, ÖPNV, moderne Sportstätten und Krankenhäuser,

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist ja unfassbar! – Michael Hübner [SPD]: Was ist mit der Talentschule?)

für die Themen „Klimawandel“ und „Umweltschutz“ – konkret: von der Forschungsfabrik für Batteriezellen über den Strukturwandel im Rheinischen Revier bis zur Förderung klimaneutraler Mobilität an der Steckdose in der häuslichen Garage –: 8 Milliarden Euro, die diese Landesregierung mit dem Haushalt 2020 investiert.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Soll ich Ihnen die Zahlen von 2011 bis 2017 noch einmal nennen? Wissen Sie sie noch?

(Monika Düker [GRÜNE]: Oh Mann!)

In Ihrem Haushalt im Jahre des Herrn 2011

(Sarah Philipp [SPD]: Was ist denn mit Ihrem Haushalt? Erzählen Sie doch mal etwas dazu!)

betrugen die Investitionsausgaben 6,2 Milliarden Euro gehabt. Jetzt kommt es: 5,9 Milliarden Euro im Jahr 2012, 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2013,

(Monika Düker [GRÜNE]: Dann nennen Sie doch mal die Steuereinnahmen in dem Jahr! Lesen Sie die auch mal vor!)

5,2 Milliarden im Jahr 2014 und 5,4 Milliarden Euro im Jahr 2015. Sie haben die Investitionen in Nordrhein-Westfalen drastisch nach unten gefahren. Das ist das Problem, an dem die Kommunen und das Land heute noch leiden. Jetzt wollen Sie uns kritisieren?

Sie von Rot-Grün haben doch immer Geld ausgegeben, das Sie nicht hatten,

(Monika Düker [GRÜNE]: Dann machen Sie es doch anders! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Kann er nicht! Er kann es einfach nicht!)

und Sie haben darauf gehofft, dass mehr kommt. Es kam aber nie.

(Monika Düker [GRÜNE]: Haben wir jetzt zu viel oder zu wenig ausgegeben? – Sarah Philipp [SPD]: Das ist aber kalter Kaffee!)

Wir geben als NRW-Koalition und Landesregierung nur Geld aus, das auch da ist, und setzen darauf, dass unsere gute Politik am Ende zu Mehreinnahmen führt, was durchaus häufig der Fall ist.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE] – Gegenruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Genau das ist der grundsätzliche Unterschied in der Haushaltspolitik

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE] – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

von Rot-Grün und Schwarz-Gelb.

Reden wir also für einen kleinen Moment über generelle Unterschiede im Politikansatz zwischen den Parteien und Fraktionen.

Die SPD ist der Meinung, die große Herausforderung sei die Umorganisation aus ihrer Sicht notwendiger Umverteilungsprozesse. Das ist aus unserer Sicht – da unterscheiden wir uns wirklich wesentlich – falsch.

Die große Herausforderung für unser Land Nordrhein-Westfalen – übrigens ebenso wie für die Bundesrepublik – ist die Bewältigung der vor uns liegenden Transformation.

Die Grünen dienen hingegen momentan als Projektionsfläche für Wünsche und Hoffnungen eines Teils der Bevölkerung. Aber, liebe Grüne, aus Projektionen müssen auch Projekte werden. Politik muss konkret und spürbar gestalten, und die Grünen haben bundespolitisch

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Fangen Sie mal an!)

während ihrer gesamten Laufzeit, um mit Max Weber zu sprechen, noch niemals ein dickes Brett gebohrt. Alle anderen Fraktionen in diesem Landtag außer der AfD, die wir schon in der Regierungsverantwortung waren, haben das bereits getan.

Diese NRW-Landesregierung bohrt die dicken Bretter. Uns in der NRW-Koalition macht es Spaß …

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Oha! Aber mit stumpfen Bohrern!)

– Herr Rüße, hören Sie doch einfach zu.

(Horst Becker [GRÜNE]: Die Bretter vor dem Kopf!)

– Ich kann auch warten, bis Sie mit den Zwischenrufen fertig sind. Möchten Sie noch was sagen?

(Zurufe)

– Nein, wohl lieber nicht.

Uns in der NRW-Koalition macht die ebenfalls von Max Weber beschriebene Kunst des Kompromisses und der Synergie Spaß. Deshalb bin ich froh, dass vieles von dem, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, vor der Mitte der Legislaturperiode Wirklichkeit geworden ist und dass Nordrhein-Westfalen spürbar und nachvollziehbar Kurs auf eine gute Zukunft setzt.

Den Kurs zu setzen heißt aber noch nicht, auch anzukommen. Ich bin dem Kollegen Thomas Kutschaty dankbar dafür, dass er in einem Interview mit dem WDR am 14. August erklärt hat, die SPD habe die aktuellen Umfragewerte in vielen Bereichen selbst verschuldet, sie müsse sich die Frage stellen – und jetzt kommt der Punkt –, ob sie in den letzten Jahren die richtige Politik gemacht habe.

(Sarah Philipp [SPD]: Es ist erstaunlich, worum Sie sich kümmern!)

Das Folgende ist völlig ohne doppelten Boden gemeint: Diese Selbstreflexion, die Sie für die SPD an den Tag legen, ist nicht nur für die SPD notwendig und richtig, sie gilt ebenso für meine Partei.

(Helmut Seifen [AfD]: Auch für die CDU!)

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem Koalitionspartner FDP und den Fraktionen von SPD und Grünen Dank für die Bereitschaft aussprechen, in zentralen Fragen der Landespolitik wie etwa im Zusammenhang mit dem Strukturwandel im Rheinischen Revier nach gemeinsamen Botschaften und vielleicht sogar Lösungen zu suchen.

Ich erlaube mir, einen etwas nachdenklicheren Teil in diese Rede einzustreuen. Wir diskutieren heute die finanziellen und haushalterischen Voraussetzungen unseres Landes, um allen Menschen, die in Nordrhein-Westfalen leben, mit den Möglichkeiten, die uns als Landesparlament, als Landesregierung zur Verfügung stehen, die besten Voraussetzungen zu bieten, selbstbestimmt und in Frieden leben zu können.

Wir, die NRW-Koalition und die Landesregierung, sind – ebenso wie Sie das als rot-grüne Landesregierung vor einigen Jahren waren – überzeugt davon, das Richtige zu tun. Was aber das Richtige ist, werden wir erst in den kommenden Jahren wissen.

Genau hier liegt die Krux der heutigen Politik, die der neue Staatspreisträger in einer bemerkenswerten Rede am Montagabend beschrieben hat. Klaus Töpfer

(Monika Düker [GRÜNE]: Hören Sie mal auf den!)

zitierte einen Satz des Soziologen Wolf Lepenies, ebenfalls ein Träger des Staatspreises. Dieser Satz lautet:

„Die Demokratie als Staats‑ und Lebensform steht vor ihrer größten Bewährungsprobe. Es fehlt uns heute der politische Langmut, Prozesse wirksam in Gang zu setzen, die nur Opfer abverlangen und von denen erst unsere Kinder und Kindeskinder Nutzen haben werden.“

Ich stimme dem nicht nur zu, sondern will es noch ergänzen:

(Monika Düker [GRÜNE]: Vielleicht handeln Sie mal danach; dann wären wir schon mal weiter!)

Der politische Langmut in diesem Parlament reicht noch nicht einmal aus, die Wirksamkeit oder gar den Erfolg von Prozessen abzuwarten, die die Betroffenen besserstellen – Stichworte: „Straßenausbaubeiträge“, „Infrastrukturmaßnahmen“,

(Nadja Lüders [SPD]: Aha!)

„Bildungsausgaben“. Wenn wir uns selbst in diesem Parlament in der Kritik in Form eines reflexhaften „zu wenig“ und „nicht ausreichend“ erschöpfen, obwohl die eingeleiteten Maßnahmen gerade erst beschlossen worden sind – ob beim Straßenbau,

(Marc Herter [SPD]: Da ist doch nichts beschlossen worden! – Weitere Zurufe von der SPD)

bei der Digitalisierung, bei der ärztlichen Unterversorgung oder beim Lehrermangel –, wie Sie das eben gemacht haben …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wo ist denn der Vorschlag der Regierung? – Weitere Zurufe)

– Sie haben ja gerade über das Thema „Lehrermangel“ gesprochen.

(Zurufe von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Mein Gott, lasst ihn doch mal reden!)

– Ja, danke. Genau so ist es.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wo ist denn der Vorschlag? Ich kenne den nicht!)

Wer glaubt denn – egal ob auf der Zuschauertribüne oder sonst wo –, dass eine Landesregierung in der Lage wäre, einen Mangel, der bereits am Ende Ihrer Regierungszeit deutlich bestand, innerhalb von zwei Jahren zu beheben?

(Jochen Ott [SPD]: Dann mach doch mal einen Vorschlag! Einen Vorschlag! – Stefan Zimkeit [SPD]: Ihr habt doch in zwei Jahren nichts gemacht! – Ralf Witzel [FDP]: Steigerung der Ausbildungskapazität, Herr Kollege! – Weitere Zurufe – Glocke)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsdebatten sind spannend und rufen offensichtlich Widerspruch auf allen Seiten hervor, aber das Wort hat jetzt der Redner hier am Redepult, Herr Löttgen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Volkan Baran [SPD]: Aber der sagt doch nichts! – Weitere Zurufe)

Bodo Löttgen (CDU): Ich will es noch mal wiederholen, weil es im Geschrei des Kollegen Ott untergegangen ist:

(Zurufe von der SPD: Och! – Jochen Ott [SPD]: Dann soll er mal was sagen! – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Sie haben sogar ein Mikro!)

Wenn wir uns selbst in diesem Parlament in der Kritik in Form eines reflexhaften „zu wenig“ und „nicht ausreichend“ erschöpfen, obwohl die eingeleiteten Maßnahmen gerade erst beschlossen worden sind – ob bei Straßenbau, Digitalisierung, ärztlicher Unterversorgung oder beim Lehrermangel –, wie wollen wir dann der zunehmenden Skepsis der Gesellschaft gegenüber Transformationsprozessen begegnen?

Seit 50 Jahren führt das Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage gemeinsam mit der „FAZ“ durch. Die aktuelle stammt vom 18. April dieses Jahres und trägt die Überschrift „Der unheimliche Fortschritt.“

Fazit: Selten war die Stimmung so fortschrittsskeptisch wie heute. Heute sagen nur noch 32 % der Deutschen, sie glaubten an den Fortschritt. Bei den Jugendlichen ist das der niedrigste gemessene Wert seit 50 Jahren. Die Forscher sprechen von einer Trendwende. Es ist offensichtlich, dass viele Menschen von den aktuellen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen überfordert sind.

Jeder Tag – so sagt ein geflügeltes Wort in Amerika – hat zwei Griffe. Wir können den Tag am Griff der Ängstlichkeit packen oder am Griff der Zuversicht halten, aber statt für die Zuversicht entscheiden wir uns immer wieder nur für den Griff der Angst.

Als jemand, der an einem Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Abitur gemacht hat, erlaube ich mir, einen Satz dieses großen Mannes als Leitspruch für mich und für meine Fraktion in Anspruch zu nehmen: Der größte Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.

Es ist leider so, dass uns auch hier in diesem Parlament häufig die Bauchnabelschau wichtiger ist als die Draufsicht auf die Dinge, als die Perspektive. Was hindert uns eigentlich daran?

Ich will Ihnen mal sagen, wie das noch vor 50 Jahren war. Am 13. September 1962 sagte Kennedy: We choose to go to the moon. – Am 20. Juli 1969, in der Nacht vom 20. auf den 21., kam anlässlich der Landung auf dem Mond der Satz: The eagle has landed. – 357 Wochen von der Ankündigung bis zur erfolgreichen Durchführung.

Am 21.10.2009 beschloss dieses Parlament die Übertragung der Regionalplanung auf den RVR. Am 13.09.2019 kam das Eingeständnis des Scheiterns: kein Regionalplan vor der Kommunalwahl 2020, ganze 516 Wochen von der Ankündigung bis zum Scheitern. Wir hatten 159 Wochen mehr Zeit als die Amerikaner bei der Mondlandung, und es hat trotzdem nicht funktioniert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die CDU regiert im RVR mit!)

Das lässt nur einen Schluss zu: Die Regionalplanung des RVR muss eine ungleich größere und schwierigere Aufgabe sein als eine bemannte Mondlandung.

(Michael Hübner [SPD]: Wer ist denn Vorsitzender der Verbandsversammlung?)

– Herr Kollege, wollen wir beide uns mal den Artikel der Ruhrbarone von Stefan Laurin durchlesen, wer personell dafür verantwortlich ist, dass das gescheitert ist? Wollen wir das mal machen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Da werden Sie sehr viele Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion, aus der Fraktion der Grünen wiederfinden, die an führender Stelle dafür gesorgt haben, dass diese Regionalplanung nicht zum Tragen gekommen ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Jetzt kann man ja sagen: Okay, 2020, 2022, 2023 kommt das Ganze. – Aber noch schlimmer ist die Reaktion aus einigen Bereichen auf dieses Scheitern. Ich will eine einzige exemplarisch nennen. Schlagzeile – ich sage nicht, welcher Ort es war –: Aufatmen in XXX, kein neues Industriegebiet, Regioplan Ruhr verzögert sich um Jahre. – Das empfinden die Menschen als gut.

Nicht nur in diesem Fall gibt es viele Menschen, die genau wissen, was nicht geht, die genau wissen, was Mann oder Frau nicht mehr tun darf. Aber das, was es zu tun gilt, wird bei uns, bei der Politik abgeladen, um sogleich nach einer Entscheidung wieder als nicht ausreichend und ungenügend kritisiert zu werden.

Das Sankt-Florians-Prinzip, von dem Harald Markenstein 2014 in der „Zeit“ mal sagte: „Jeder denkt manchmal so, gleichzeitig weiß jeder, dass man nicht so denken sollte“, verbunden mit der heute nicht nur in sozialen Netzwerken so beliebten Maxime: „Willst du nicht meiner Meinung sein, dann schlag ich dir den Schädel ein“, führt zwangsläufig zu einer sich selbst blockierenden Republik.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Und wer diesen Stillstand verhindern will, meine Damen und Herren, der muss sich in Zeiten plötzlicher disruptiver Transformationen auf einige Grundannahmen einigen. Ich will drei nennen; es gibt sicherlich mehr.

Fehler einzugestehen und zu korrigieren, ist wichtig. Antworten auf Fragen zu geben, auch wenn es nicht allen passt, ist wichtig. Sagen, was man tut und tun, was man sagt, ist wichtig.

Ein letztes Beispiel, wo genau das nicht funktioniert als Vorlage für die Kollegin Düker, also in Richtung Bündnis 90/Die Grünen, möchte ich noch nennen. Wir kommen noch mal zurück zum Staatspreis. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei der Verleihung des Staatspreises unter großem Applaus der anwesenden grünen Spitze – Zitat –: Ohne Ordnungsrecht werden wir nicht auskommen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Guter Satz!)

– Guter Satz, genau. Klaus Töpfer ergänzte, Dreiwege-Katalysator und Rauchgasentschwefelungsanlagen seien nicht durch Abgaben, sondern durch Vorgaben eingeführt worden.

Wenn man aber, liebe Monika Düker, darauf setzt, dass es richtig und notwendig ist, dass neues Ordnungsrecht zum Schutz des Klimas und der Umwelt ab dem Zeitpunkt der Rechtsetzung gilt, dann ist im umgekehrten Schluss bestehendes Ordnungsrecht vom Baurecht bis zum Brandschutz in Düsseldorf ebenso wie im Rheinischen Revier einzuhalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Man kann nicht das eine haben, ohne das andere zu bekommen. Wenn heute diese Erkenntnis bei Bündnis 90/Die Grünen

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

mit den daraus sich ergebenden unabdingbaren Konsequenzen mit eben solcher Vehemenz Einzug halten würde wie bei der nachdrücklichen Forderung, zukünftiges Ordnungsrecht ebenso konsequent und zum Schutz des Klimas einzuhalten, dann, meine Damen und Herren, wäre in diesem Parlament schon viel gewonnen.

Wir, die NRW-Koalition, sind uns sicher, mit diesem vorgelegten Haushalt die notwendigen Mittel bereitzustellen, um die wichtigsten Zukunftsfragen unseres Landes, die in unserer Verantwortung liegen, zu beantworten:

(Monika Düker [GRÜNE]: Ganz weit hergeholt!)

Keine neuen Schulden auf Kosten kommender Generationen, Schuldenabbau wann immer möglich, klar erkennbare Schwerpunkte bei verbesserter Sicherheit auf der Straße und im Netz, Ermöglichung des Aufstiegs durch Bildung, Transformation in eine nachhaltige Mobilität in Stadt und Land, Ausstieg aus der Braunkohle und Sicherung bezahlbarer Energie für ein prosperierendes Industrieland Nordrhein-Westfalen,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wahrung des sozialen Friedens in Zeiten erheblicher technologischer Umwälzungen.

Diese Vision eines funktionierenden und prosperierenden Landes Nordrhein-Westfalen, in dem jede und jeder seine Chancen nutzen kann, in dem der soziale Frieden trotz Transformation auf der Grundlage solider Haushalte und einer Politik von Maß und Mitte gewahrt bleibt, ist sicher nicht mit der amerikanischen Vision von 1962 vergleichbar, ganz bestimmt nicht, aber eines darf ich Ihnen versichern:

Wir werden diese, unsere Ziele mit dem gleichen Nachdruck und der gleichen Kraftanstrengung weiterverfolgen und verwirklichen.

Für die CDU-Fraktion sage ich dem Finanzminister und allen, die in Ministerien und Behörden an diesem Haushaltsentwurf mitgearbeitet haben, einen herzlichen Dank. Wir freuen uns auf konstruktive Beratungen in den Ausschüssen und hier im Parlament.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Brauchen wir mehr öffentliche Investitionen, ja oder nein? Meine Antwort ist ganz klar: Ja, wir brauchen sie. Und das Fehlen dieser öffentlichen Investitionen ist aus unserer Sicht das zentrale Problem dieses Haushalts, Herr Lienenkämper.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn eines ist klar: Die jetzt vernachlässigten Investitionen sind die Schulden von morgen. Auch im Deutschen Bundestag wurde in der letzten Woche der dritte Haushalt der Legislaturperiode diskutiert, und auch dort standen die Investitionen im Mittelpunkt der Debatte. Das hat nichts, Herr Kollege Löttgen – lieber Bodo Löttgen, ist er noch da? Ja, da ist er –, …

(Zuruf von der SPD – Bodo Löttgen [CDU] führt ein Gespräch.)

– Lass ihn reden, ich erkläre es ihm nachher.

… mit Geldausgeben zu tun, sondern es kommt darauf an, wofür man Geld ausgibt.

(Christof Rasche [FDP]: Das stimmt!)

Auch immer mehr Ökonomen in dieser Republik, Herr Rasche, die Ihnen nahestehen, fordern angesichts schwächelnder Konjunktur, stockender Weltwirtschaft, zurückgehender Wachstumsprognosen – wir haben es schon gemerkt, die Steuern werden weniger –, drohender Handelskonflikte lang angelegte öffentliche Investitionsprogramme oder Investitionsfonds, Sondervermögen und drängen die Politik zu Entscheidungen.

Herr Lienenkämper, das hat nichts mit Panikmache oder mit Untergangsszenarien zu tun, sondern das ist einfach Realitätssinn, den Sie sich vielleicht auch einmal aneignen sollten. Denn wir müssen uns auf das, was auf uns zukommt, vorbereiten. Nichts anderes mahnen Ökonomen an.

Da sind wir noch nicht beim Schuldenmachen und bei der Debatte um die schwarze Null. Denn schaut man in die Zahlen des NRW-Haushalts, dann sehen wir gegenüber 2019 ein um 2 Milliarden Euro größeres Haushaltsvolumen.

Schauen wir uns die Investitionsausgaben an. Diese steigen um mickrige 100 Millionen Euro von 7,9 auf 8 Milliarden Euro. Da kann ich Ihren gerade vollmundig angekündigten Investitionsschwerpunkt nun wirklich nicht erkennen.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Bodo Löttgen [CDU])

Schaut man in die Mittelfristige Finanzplanung, dann fasst man es nicht. Bis 2023 sollen die Investitionsmittel sogar auf 7,8 Milliarden Euro sinken bei gleichzeitig weiter steigendem Haushaltsvolumen.

Von einem Finanzminister, Herr Lienenkämper, der seit Amtsbeginn über 7 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen in der Kasse hat, können die Menschen in diesem Land erwarten, dass er mit diesem Geldsegen eine Finanzplanung vorlegt, die Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft gibt. Genau das tut dieser Haushalt einmal mehr nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schaut man auf den bundesweit dramatischsten Investitionsstau bei öffentlicher Infrastruktur, dann sind wir gerade in NRW zwangsläufig bei den Kommunen. Denn bundesweit klafft in den Städten und Gemeinden eine Investitionslücke von sage und schreibe 140 Milliarden Euro. Die Auswirkungen sehen wir doch jeden Tag in den Regionen, im Bergischen Dreieck, im Ruhrgebiet oder anderswo. Da sind marode Schulgebäude, da sind Schwimmbäder, die kurz vor der Schließung stehen,

(Henning Rehbaum [CDU]: Alles Rot-Grün! – Lachen von der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

da sind Straßenschäden. Das alles können Sie sich jeden Tag anschauen; da fahren auch Sie, Herr Löttgen, jeden Tag durch.

Mit 1.262 Euro Verschuldung pro Kopf – nur über die Kassenkredite, also den Dispo in unseren Kommunen – sind wir hinter dem Saarland und Rheinland-Pfalz unter den am höchsten verschuldeten Städten und Gemeinden. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg hat jede Einwohnerin und jeder Einwohner 22 Euro Schulden, in Bayern sogar nur 13 Euro.

(Bodo Löttgen [CDU]: Weil Sie 49 Jahre regiert haben! – Weitere Zurufe von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Sie und ich, Herr Löttgen, die Menschen in den Kommunen Nordrhein-Westfalens haben hundertmal mehr Schulden als die Menschen in Bayern. Von gleichwertigen Lebensverhältnissen kann doch da schon längst keine Rede mehr sein.

Jeder weiß, dass es unsere Kommunen aus eigener Kraft schlichtweg nicht schaffen können, die notwendigen Investitionen zu stemmen und gleichzeitig ihre Schulden abzubauen.

(Zuruf von der CDU: Alles Ihr Werk!)

Da sind nicht nur ein paar kaputte Schwimmbäder, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht nur bröckelnder Putz von der Fassade, das sind lebendige Kultureinrichtungen, Stadtbüchereien, Sportstätten, Schulen. Das ist Daseinsvorsorge. Das hat sehr viel mit einer funktionierenden kommunalen Demokratie zu tun.

Schon jetzt gehen die Steuereinnahmen gegenüber den Prognosen merklich zurück. Wann, wenn nicht jetzt, Frau Scharrenbach, lösen Sie endlich Ihr Versprechen gegenüber den Kommunen ein? Wann legen Sie uns endlich ein Konzept für den Altschuldenfonds vor, den diese Kommunen so dringend brauchen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Anstatt ein Förderprogrämmchen hier und dort mal ein bisschen mehr für Klimaschutz

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

wäre für den Klimaschutz und die Klimafolgeanpassung – auch ein großes Thema in den Kommunen – jetzt ein langfristig angelegtes Investitionsprogramm nötig.

Aus unserer Sicht könnte hier das Programm „Gute Schule 2020“ ein Vorbild sein. Das ist ein erfolgreiches Programm, das durchaus verlängert werden müsste, wie wir meinen. Auch dazu heute von Ihnen kein Wort.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD] – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich sage Ihnen, Herr Höne, es ist längst Zeit für ein Programm „Gutes Klima 2030“. Denn es kann nicht sein, dass sich nur reiche Kommunen Klimaschutz leisten können.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Das Problem lösen Sie auch mit den ganzen Förderprogrammen nicht. Da geht es um Frischluftschneisen, um Entsiegelungen, um energetische Gebäudesanierungen, Dachbegrünungen usw. usf. Düsseldorf kann sich das leisten, andere Städte nicht. Also brauchen wir nach „Gute Schule 2020“ ein Programm „Gutes Klima 2030“.

(Beifall von den GRÜNEN)

Einen Investitionsstau gibt es im Land auch bei den Hochschulen und bei den Studierendenwohnheimen, von denen die Hälfte dringend sanierungsbedürftig ist. Es drohen bald Schließungen – und das bei der großen Wohnungsnot in unseren Städten.

Die Studierendenwerke beziffern die Mittel für ein Sofortprogramm auf 300 Millionen Euro, langfristig auf 700 Millionen Euro. Zu diesem Investitionsbedarf, Herr Lienenkämper, habe ich heute nichts, aber auch gar nichts von Ihnen gehört. Diese Hilferufe überhören Sie geflissentlich bei Ihren Haushaltseinbringungen.

Und Sie sind gerade dabei, ein weiteres zentrales Wahlversprechen zu brechen. Frau Gebauer, im Wahlkampf wurde von Klaus Kaiser, damals schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, aber auch von der FDP rauf und runter gefordert, die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer endlich mit A13 zu besolden – wie andere Lehrkräfte auch und wie sie es auch verdient hätten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Angesichts des sich jetzt verschärfenden Lehrer-mangels bei den Grundschulen kommen Sie in einer Pressekonferenz mit dem Vorschlag, jetzt wieder die verpflichtenden Prüfungen zum Übergang zum Gymnasium zu machen.

(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)

Eine zentrale Antwort auf den Lehrermangel an den Grundschulen ist eine anständige Besoldung der Lehrerinnen und Lehrer. Diese Antwort geben Sie mit diesem Haushalt wieder nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen gibt es im Kabinett Laschet überhaupt keine Hemmungen, die Ministerialbürokratie weiter aufzublähen – noch einmal 73 Stellen. Herr Lienenkämper, wird das bei Ihnen einfach abgezeichnet, wenn die Anmeldungen der Kollegen kommen? Hinterfragen Sie mal, wofür die alle jetzt noch mal 73 Stellen mehr brauchen?

Sie haben einen Halbzeitrekord. Ein Halbzeitrekord Ihrer Regierung – unfassbar; denn ich glaube, das ist die einzige Regierung, die das geschafft hat –: zusätzlich 525 neue Stellen in den Ministerien.

Frau Gebauer, wie erklären Sie eigentlich Ihren überlasteten Lehrerinnen und Lehrern, warum diese Stellen beim Finanzminister genehmigt werden und für Ihre Lehrerinnen und Lehrer nichts übrig bleibt?

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Lienenkämper, ein Finanzminister, der so mit der Gießkanne – bei den Ministerien und auch anderswo – über das Land geht und nicht sieht, wo mehr Düngung oder mehr Wasser für ein gutes Wachstum benötigt wird, dem fehlt nicht nur der grüne Daumen, dem fehlt tatsächlich ein Kompass für eine nachhaltige Finanzpolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Fortsetzung des größtmöglichen Gegensatzes zwischen Reden und Handeln findet sich in Ihrer Klimaschutzpolitik, Herr Pinkwart. In nahezu jeder Rede des Ministerpräsidenten und auch bei Ihnen hören wir das Mantra der Eins-zu-eins-Umsetzung des Berichts der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist ja auch richtig!)

Machen wir mal den Faktencheck: Handelt diese Regierung auch wirklich danach? – Liest man den Bericht, findet man auf Seite 21 folgenden Passus – ich zitiere aus dem Bericht –:

„Für den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 65 % ist eine ausreichende Flächenausweisung notwendig.“

Hört, hört!

„Insbesondere müssen für Windenergieanlagen und Freiflächen-PV-Anlagen Flächen in relevanter Größe ausgewiesen, akzeptiert und genehmigt werden.“

Und was macht die Landesregierung? – Sie macht genau das Gegenteil.

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Nein!)

Mit der Verabschiedung des LEP reduzieren Sie diese von der Kommission geforderten Flächen um mehr als die Hälfte. Und dann verkünden Sie in Ihrer Energieversorgungsstrategie auch noch vollmundig: Wir verdoppeln mal eben den Strom aus Windenergie bis 2030.

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Das machen wir auch!)

Rechnen wir mal. Das bedeutet übersetzt einen Zubau von 700 MW jährlich im Bereich Wind. Im ersten Halbjahr waren es allerdings gerade mal magere 42 MW. Herr Pinkwart, da kann sich doch jeder ausrechnen, dass das mit der Energiewende so nichts wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Ich weiß: Wenn Sie jetzt antworten könnten, dann käme das Genöle über die langen Genehmigungsverfahren, die bürokratischen Ausschreibungsbedingungen in Berlin, die vielen Klagen und die fehlende Akzeptanz vor Ort. Vielleicht mag all das, worüber Sie immer und gerne jammern, zutreffen, aber ich frage mich erstens: Warum blockieren Sie in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich, also dort, wo Sie es voranbringen können, den Ausbau von Windenergieanlagen wo es nur geht?

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Und ich frage mich zweitens, warum Sie sich dann nicht auf Bundesebene für bessere Bedingungen einsetzen, anstatt mit zu jammern.

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Der Ministerpräsident gehört schließlich der Regierungspartei in Berlin an und sitzt sogar im Bundesvorstand. Will oder kann er sich da nicht durchsetzen? Entfesseln Sie doch da mal ein wenig mit!

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Werden wir!)

Ich glaube, dann wären wir weiter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Umweltbundesamt rechnet vor: Hätten wir bundesweit einen Mindestabstand von nur 1.000 m – wie gesagt, Sie leisten sich ja sogar 1.500 m – zur Wohnbebauung, würde das gesamte Leistungspotenzial in Deutschland von 80 GW auf 40 bis 60 GW, also mithin um fast die Hälfte, reduziert. Das heißt, mit einer Reduzierung der Flächen, so wie Sie es hier tun, können die Ausbauziele nicht erreicht werden.

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Das bedeutet, Sie setzen den Kohlekompromiss nicht nur nicht eins zu eins um, wie Sie uns immer glauben machen wollen, sondern Sie sabotieren ihn, wo Sie nur können. Damit gefährden Sie die Energiewende in NRW. Und dann glauben Sie auch noch, die Leute sind so dumm, dass sie das nicht merken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich war vorletzte Woche beim Sommerempfang des Landesverbandes Erneuerbare Energien. Ministerpräsident Laschet war auch dort. Da berichteten Betreiber von Windenergieanlagen, Mittelständler aus dem ländlichen Raum – nicht unbedingt grünes Wählerklientel, um das gleich dazuzusagen – von ihren Problemen, woran es denn nun liege, dass diese Branche stoppt. Die prekäre Situation ist allenthalben bekannt.

Herr Pinkwart, sorry, da kamen genau diese Abstandsflächen wieder auf. Ein Windmüller berichtete, er habe es geschafft, in seinem Bereich eine Akzeptanz zu schaffen auch für Windräder unter 1.000 m Abstand zur Wohnbebauung. Er bietet Konzepte und Hilfe an.

Da werden Hände gereicht für zukunftsfähige Arbeitsplätze und Wertschöpfung, für eine Unterstützung Ihrer Klimaschutzziele und für eine Umsetzung der Ergebnisse der Kohlekommission. Was ich bei all diesen Angeboten und guten Vorschlägen, die da gekommen sind, rational wirklich nicht mal annähernd nachvollziehen kann, Herr Pinkwart und Herr Laschet – der ist jetzt gerade nicht da; diese Angebote richteten sich an ihn –, ist, warum man diese ausgestreckten Hände einfach ausschlägt. Das ist mir nicht verständlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann kommt Ihre Begründung: Naja, die Windräder sollen doch im Norden gebaut werden, weil da ja mehr Wind weht.

Herr Pinkwart, dann können Sie die energieintensive Industrie gleich mit an die Küste schicken; denn da wird dann der Strom produziert, den diese Industrie hier bei uns braucht. Mit dieser Strategie vertreiben Sie die Industrie aus unserem Land. Sie verhindern nachhaltige Wertschöpfung und gefährden zukunftsfähige Arbeitsplätze.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist wirklich rational nicht mehr nachvollziehbar, das ist irrational. Und das ist ideologisch gesteuerte Politik, die ihre vollmundigen Bekenntnisse zur Umsetzung des Kohlekompromisses Lügen straft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Überhaupt nicht glaubwürdig ist das neue grüne Mäntelchen des Ministerpräsidenten in Sachen Umwelt- und Naturschutz. Über den Sommer konnten wir hier eine Strategie, aber keinen Politikwechsel beobachten.

Staunend las ich am 10. August das Interview des Ministerpräsidenten in der „BILD am SONNTAG“. Der selbst ernannte Baumschützer Laschet fordert darin sehr fotogen an einen Baumstamm gelehnt zur Rettung unseres geschundenen Waldes eine Baumprämie, damit alles mal wieder aufgeforstet werden kann. Das Foto sah gut aus, aber: Er will dies durch – man höre und staune – eine CO2-Bepreisung finanzieren, die aber mit dem Vorschlag der NRW-CDU auf Bundesebene gar nicht kurzfristig verfügbar ist. Aber man haut schon mal einen Vorschlag raus – das hört sich irgendwie gut an; das Bild ist gut.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Das Gleiche gilt für den fotogenen Auftritt bei der Artenschutzkonferenz. Da kamen tatsächlich ein paar nette Bilder. Schaut man aber mal hinter diese Bilder: Da ist es nur ein grünes Mäntelchen, das Sie mit Ihrer Politik nicht ausfüllen können.

Machen wir doch mal einen Faktencheck! Denn wenn Sie all das ernst nehmen, was Sie von der Staatskanzlei an Bildern produzieren – Herr Liminski, Sie werden diese fotogenen Auftritte des Ministerpräsidenten mit vorbereiten –, würden Sie nicht gleichzeitig alle Maßnahmen zur Reduzierung von Insektiziden blockieren, mal eben den Nationalpark Senne aus der LEP-Planung streichen, mit dem Landesentwicklungsplan den Flächenfraß vergrößern oder die Massentierhaltung mit den negativen Folgen für Umwelt und Natur erleichtern.

Gerade am Wochenende konnten wir bei „Westpol“ wieder schockierende Bilder sehen. Zwei Jahre nach dem Schweinemastskandal beim Hof Schulze Föcking wieder solche Bilder aus dem Kreis Steinfurt. Was haben Sie denn in den zwei Jahren getan, damit dieses Elend in den Ställen von Nordrhein-Westfalen endlich ein Ende hat?

Sie hätten auch Folgendes in reale Politik umsetzen müsse: Sie hätten zum Beispiel das ökologische Jagdgesetz nicht rückabwickeln, das Klagerecht für Tierschutzverbände nicht abschaffen dürfen.

Herr Ministerpräsident, bevor Sie sich weiter an Bäume im Sauerland lehnen, mache ich Ihnen einen Vorschlag, was Sie morgen in eigener Verantwortung stattdessen für unseren Wald ganz konkret tun können. Legen Sie einen Waldfonds auf, um Waldflächen von Privatbesitzern aufkaufen zu können, um sie anschließend naturnah zu bewirtschaften! Das muss noch nicht mal als Staatsforst passieren, das kann man in Genossenschaftsmodelle überführen. Aber damit haben Sie Waldflächen in die naturnahe Bewirtschaftung rübergereicht.

Das wäre ein Fonds. Das wären Investitionsmittel, von denen Herr Lienenkämper meint, sie nicht zu haben. Genau das sind die Antworten auf die Fragen, die uns gerade gestellt werden, wie wir im Umwelt- und Naturschutz vorankommen. Das hilft wohl mehr als Ihre netten Bilder mit den Bäumen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Thema „Bäume“ bietet eine geschickte Überleitung zum Hambacher Wald.

(Ralf Witzel [FDP]: Forst!)

– Horst? Der Horst hat da, glaube ich, nichts damit zu tun. – Ach, Forst, Herr Witzel. Ich dachte, das wäre ein Witz. Okay.

Beim Hambacher Wald hat diese Regierung Glaubhaftigkeit und Vertrauen gründlich verspielt. Herr Laschet, Sie haben sich willfährig in den Dienst von RWE und nicht des Landes gestellt. Mit dieser einseitigen Interessenvertretung haben Sie den Konflikt vor Ort angeheizt und nicht befriedet, wie es Ihre Aufgabe gewesen wäre. Diese Geschichte ist für uns noch nicht zu Ende erzählt, solange Sie, Frau Scharrenbach, das Märchen der Räumung allein aus dringendem Handlungsbedarf wegen Brandschutz weiter erzählen. Wir werden Sie heute in der Fragestunde da nicht rauslassen und von Ihnen volle Transparenz verlangen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Scheintransparenz, die mit den Aktenordnern gegeben zu sein scheint, genügt uns nicht.

Am Ende, weil es sonst niemand tut, lobt sich diese Regierung Laschet am liebsten selbst.

(Vereinzelt Heiterkeit von der SPD)

Im ADAC-Podcast am 1. August sagten Sie, Herr Laschet – ich zitiere –:

„Diese Regierung ist die beste, die es gibt. Weil sie harmonisch zusammenarbeitet, nicht streitet, sich nicht zusammenraufen muss.“

Und jetzt kommt der bemerkenswerte Satz:

„Es existiert in ganz Deutschland keine Regierung, die so gut funktioniert, …“

Wow!

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Bemerkenswert ist, bevor Sie jetzt alle anfangen zu klatschen, dass nur Sie, Herr Löttgen, Herr Laschet, das so bewerten. Schaut man auf die Meinungsumfragen, so hat Ihre Regierung seit der Wahl nicht in einer einzigen Meinungsumfrage bei den Menschen in diesem Land noch eine Mehrheit bekommen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Wir wollen keine Meinungsumfragen gewinnen! Wir wollen Wahlen gewinnen!)

Und, Herr Ministerpräsident, Ihre Beliebtheitswerte sind, gelinde gesagt, sehr bescheiden. Sie sind gerade auf dem vorletzten Platz – immerhin sind Sie nicht Letzter. Das ist auch okay.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Regierungsprinzip ist „Hauptsache Frieden am Kabinettstisch“. Ihre Kaffeekränzchen müssen immer unglaublich nett sein.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist vielleicht ganz nett und gut und schön. Aber regiert man so ein Land, dass „Hauptsache Frieden beim Kaffeekränzchen“ zum Selbstzweck verkommt? Herr Löttgen, dann bleiben wichtige Entscheidungen auf der Strecke. Dann verkommt das Prinzip Harmonie für immer, und überall wird die Soße drübergekippt. Jeder kriegt etwas. So löst man die entscheidenden Fragen, die sich bei uns stellen, nicht.

Herr Ministerpräsident, eine Ihrer zentralen Wahlkampfslogans, schön groß auf diesen Wesselmännern gedruckt, ist: Zuhören. Entscheiden. Handeln. – Wir sind bei der Halbzeitbilanz angekommen, Herr Ministerpräsident, und dieses große Versprechen verkommt zur hohlen Phrase. Denn bei der Menschheitsherausforderung Klimaschutz – Achtung, ein Zitat von Bundeskanzlerin Merkel – hören Sie nicht denjenigen zu, die zum Gelingen beitragen können und wollen, sondern vor allen den Mahnern und Bremsern.

In der Haushalts- und Finanzpolitik stellen Sie, Herr Lienenkämper, nicht einmal die entscheidenden Fragen, geschweige denn treffen Sie die richtigen Entscheidungen.

Beim Umwelt- und Naturschutz, Herr Ministerpräsident, können Sie noch so viele Bäume in der Eifel, im Sauerland oder im Münsterland umarmen, es glaubt Ihnen niemand Ihre neu entdeckte Empathie für Bäume und Bienen, wenn Sie nicht danach handeln. Und das tun Sie nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn ich Sie jetzt nach der Debatte fragen würde – ich habe Herrn Löttgen und Herrn Lienenkämper zugehört –: „Wie gehen Sie in die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode?“, dann zeigt diese Debatte: Sie haben sich für ein „Weiter so“ entschieden. Wir Grüne sagen dazu: Nein, auf keinen Fall. Ihr Mantra von Maß und Mitte – ich habe es heute gefühlt 20-mal gehört – und die Aussage von Herrn Lienenkämper: „Wir machen alles mal ganz gelassen und harmonisch“, zeugen nicht von Haltung, sondern stehen für eine Politik, die den Kopf in den Sand steckt. Das kann dieses Land derzeit nicht gebrauchen.

Dieses Land braucht eine mutige, eine glaubwürdige, eine wahrhaftige und eine ehrliche Politik, die sich nicht vor notwendigen und manchmal auch unbequemen Entscheidungen drückt. Das heißt, Herr Laschet, liefern Sie endlich!

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rasche das Wort.

Christof Rasche*) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Monika Düker, meine Güte, was für eine negative Stimmung haben wir gerade an diesem Rednerpult verbreitet, oft mit in Richtung des Ministerpräsidenten erhobenem Zeigefinger, verbunden mit einer ziemlich außergewöhnlichen Arroganz! So macht man ein Land nieder, statt es nach vorne zu bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Bei CDU und FDP ist das ganz anders. Wir haben Freude an Gestaltung. Wir haben Freude an Politik. Wir haben Freude an Zukunft.

(Zuruf von der SPD)

In der Tat sieht das in aktuellen Debatten anders aus. Da entwickelt sich ein anderer Eindruck. Da wird Angst vor der Zukunft gemacht. Da hat man oft Angst vor anderen Menschen. Die Uhren sollen zurückgedreht werden. Man redet von Verboten, und man will sich abschotten.

Das ist nicht der Ansatz dieser NRW-Koalition von CDU und FDP; denn – ich sagte es – wir haben Freude am Regieren. Das hat sogar letzte Woche in Berlin – Kolleginnen und Kollegen der Opposition waren dabei – die Kanzlerin gelobt. Sie ist das ja in der GroKo in Berlin nicht so richtig gewohnt. Umso mehr zeichnet uns dieses Lob aus.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen also unser Land gestalten. Das machen wir natürlich so, wie wir es begonnen haben: mit Maß und Mitte.

(Monika Düker [GRÜNE]: Nein!)

Kollege Kutschaty, der Oppositionsführer, fand das langweilig und hat ein Ende von Maß und Mitte gefordert. Bei uns ist es genau umgekehrt. Unser Selbstverständnis sagt uns: Was gut ist, setzen wir fort. – Und wenn eine Politik von Maß und Mitte erfolgreich ist, dann setzt diese Koalition natürlich diese Politik fort, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben richtig Lust, die großen Herausforderungen in unserem Land in unserer Zeit anzugehen. Das zeigt auch dieser Landeshaushalt, den Finanzminister Lutz Lienenkämper heute eingebracht hat. Wir haben die riesigen Herausforderungen unserer Zeit im Blick.

Wir stellen den Menschen in unserem Land Lösungen vor, die unser Land und auch die Menschen nach vorne bringen. Drei Beispiele in drei wesentlichen Bereichen möchte ich Ihnen nennen.

Erstens: Lösungen für Aufstiegschancen für alle. Das fängt übrigens in der Familie an. Der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Joachim Stamp ist für den Bereich von Familien und Kindern zuständig. Er hat die Rahmenbedingungen in diesem Bereich wesentlich verbessert und wesentlich nach vorne gebracht. Es gibt sogar ein Programm mit 5,5 Millionen Euro für die Förderung von Kinderwunschbehandlungen. Dabei handelt es sich um ein völlig neues Programm. Das ist wichtig und zeigt, dass wir nicht nur das große Ganze sehen, sondern auch in vielen Details unterwegs sind.

Für viele Familien ist die frühkindliche Bildung von herausragender Bedeutung. Sie ist ein zentraler Baustein für die Chancen für ihre Zukunft, übrigens für alle Kinder in unserem Land. Der Pakt für Kinder und Familien – Bodo Löttgen hat ihn bereits genannt – ist ein Meilenstein der Politik dieser Regierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

1,3 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr stecken wir in frühkindliche Bildung. Darunter sind 115 Millionen Euro mehr für Investitionen in den Kita-Platz-Ausbau und 200 Millionen Euro für ein weiteres beitragsfreies Kita-Jahr. Klar ist: Der Pakt für Kinder und Familien ist eine historische Leistung der NRW-Regierung in diesem Land. Er ist wirklich eine historische Leistung. Das will ich noch einmal betonen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieser Haushalt dokumentiert übrigens auch, dass Bildung für die NRW-Koalition klare Priorität hat. Rund ein Viertel der Mittel des Landeshaushaltes werden für Bildung ausgegeben, während zeitgleich – man höre und staune! – im Bund die Mittel für Bildung reduziert werden. Das ist einmal ein Unterschied. In Berlin werden – unter einer Regierung von Union und SPD – die Mittel für Bildung in Deutschland reduziert. Hingegen werden in Nordrhein-Westfalen – unter einer Regierung von CDU und FDP – die Mittel für Bildung wesentlich gesteigert. Das ist die richtige Richtung und eine vernünftige Politik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Haushalt gibt es 1 Milliarde Euro mehr in diesem Bereich: für mehr Lehrerinnen und Lehrer, für neue Talentschulen – 25 weitere gehen an den Start – und für mehr Ganztagsplätze.

Die Menschen – ich will das noch einmal deutlich sagen – wollen in Nordrhein-Westfalen keine Einheitsschule. Darüber haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen bei der Landtagswahl im Jahr 2017 abgestimmt. SPD und Grüne sollten sich noch einmal die Landtagswahlergebnisse ihrer beiden Parteien vor Augen führen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie das tun würden und Respekt vor den Menschen in unserem Land hätten, würden Sie das Thema „Einheitsschule“ für immer beerdigen. Aber Sie machen das Gegenteil.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Kollege Kutschaty hat in der Bildungspolitik unsere Schulministerin Yvonne Gebauer heftig kritisiert. Noch schärfer war, dass er die Vorgängerin Sylvia Löhrmann ausdrücklich gelobt hat. Weiß denn die SPD gar nicht mehr, warum gerade die SPD bei der letzten Landtagswahl das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der SPD in Nordrhein-Westfalen eingefahren hat? In einer Umfrage nach der Wahl sagten die meisten Menschen in diesem Land: Grund dafür war die Bildungspolitik von Rot-Grün – also ausgerechnet die Bildungspolitik von Sylvia Löhrmann.

Vielleicht sollten Sie sich der Realität nähern, Herr Kutschaty, Ihre alte Politik überdenken und eine neue Politik gestalten, damit die SPD in Zukunft wieder ein bisschen erfolgreicher werden kann. Wir gönnen Ihnen das auf jeden Fall.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eine Politik, die Chancen für alle als Ziel formuliert, hat auch immer zwei wache Augen für vernünftige Sozialpolitik. Deshalb haben CDU und FDP in jedem Landeshaushalt wirksame Sozialmaßnahmen auf- und ausgebaut. Ich könnte Ihnen viele Beispiele nennen. Die soziale Kompetenz dieser Regierung wurde auch in vielen Medien immer wieder ausdrücklich gelobt.

Das wichtigste Thema für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen liegt aber im bezahlbaren Wohnen. Auch diesen Punkt hat der Kollege Kutschaty genannt. Da hat er völlig recht.

So unterstützen wir die Landesinitiative „Endlich ein ZUHAUSE!“ für wohnungslose Menschen ganz gezielt mit 3 Millionen Euro in diesem Haushaltsjahr und weiteren 2 Millionen Euro im kommenden Haushaltsjahr. Auch hier kümmern wir uns ausdrücklich um die sozial Schwachen in Nordrhein-Westfalen. Das ist wirklich ein Merkmal der Regierung von CDU und FPD in diesem Land.

Die soziale Bedeutung von bezahlbarem Wohnen für alle ist enorm. Wenn wir das Problem lösen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir bauen.

Wir sehen übrigens, wohin eine Wohnungsbaupolitik führt, bei der über Jahre nicht gebaut wird, weil man über Jahre nichts gebacken bekommt, wenn man nach Berlin schaut. Ich meine jetzt nicht die Bundeshauptstadt Berlin, sondern die Landeshauptstadt Berlin, in der die SPD seit 19 Jahren regiert.

Die Mieten und Kaufpreise gehen – auch bedingt durch diese Politik der SPD – durch die Decke wie in keinem anderen Land in der Bundesrepublik Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Teilweise werden Bauen und Eigentumserwerb dort systematisch erschwert, teilweise sogar völlig blockiert. Dass dann die Mieten steigen, ist doch eine logische Konsequenz.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Interessant ist, dass die SPD in Berlin sagt – da gibt es ja auch keinen Widerspruch der SPD aus Nordrhein-Westfalen –: Unsere Wohnungsbaupolitik in Berlin ist sehr erfolgreich.

(Zuruf von der SPD)

Wir setzen sie fort. Da stellen wir noch ein paar Hebel mehr um und ziehen die Schrauben fester an, damit wir diese Politik noch konsequenter fortsetzen können. – Halleluja! Was blüht denn den Mieterinnen und Mietern in Berlin bei dieser Politik der Genossen in unserer Bundeshauptstadt? Das darf nicht wahr sein!

(Zuruf von der SPD)

Die SPD in Nordrhein-Westfalen fordert eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft. Ich kritisiere nicht, dass Sie das in sieben Jahren Regierungszeit nicht umgesetzt haben. Aber wir hatten doch schon einmal staatliche Wohnungsbaugesellschaften, an die wir uns noch gut erinnern – mit politisch bezahlten Geschäftsführern, die in die eigene Tasche gewirtschaftet haben und die eigenen Mieter abgezockt haben. In diesem Jahr wurde ein Jubiläum dieser Gesellschaft, der Neuen Heimat, gefeiert; alle Medien haben groß darüber berichtet.

So eine staatliche Baugesellschaft, wie die SPD sie damals geleitet hat, brauchen wir aktuell und auch in Zukunft in Nordrhein-Westfalen nicht. Das steht für uns definitiv fest.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch die Grünen spielen beim Neubau und bei Entwicklungsperspektiven eine besondere Rolle. Das von Bodo Löttgen vorhin angesprochene Scheitern des Regionalplans Ruhr ist nur die Spitze des Eisbergs. Dort gibt es einen grünen Planungsdezernenten, der maßgeblich dafür gesorgt hat, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist, und dort gibt es eine sozialdemokratische Führung.

(Michael Hübner [SPD]: Und einen Vorsitzenden der Verbandsversammlung! Wie heißt der? – Weitere Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU)

Als die SPD in Nordrhein-Westfalen noch selbstbewusst war

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

und an diesem Rednerpult Kollegen der SPD gesprochen haben, die die absolute Mehrheit in Nordrhein-Westfalen hinter sich hatten, standen hier selbstbewusste Genossen, die sich nicht hinter Kollegen von anderen Parteien versteckt haben.

(Zurufe)

Sie haben ihre eigene Politik verteidigt

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

und dann auch zu eigenen Fehlern gestanden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Genau das Gegenteil macht die SPD, die es heute in diesem Land gibt – leider, leider, leider.

Diese Beispiele aus Berlin und von der Ruhr zeigen: Die SPD und die Grünen sind beim bezahlbaren Wohnraum schlecht aufgestellt.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Was für ein Blödsinn!)

Von ihnen ist in diesem Bereich nichts zu erwarten.

Ganz anders macht es die NRW-Koalition. Wir haben das Baurecht sowohl für den Neubau als auch für den Ausbau vereinfacht. Wir haben die Wohnraumförderung massiv gesteigert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach wie vor setzen wir uns dafür ein, dass endlich ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer ermöglicht wird.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Ein Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer wäre der zielgerichtete Weg, um junge Familien zu unterstützen

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

und ihnen die eigenen vier Wände in unserem Land zu ermöglichen.

(Beifall von der FDP)

Da erwarte ich von der SPD, dass sie sich endlich ehrlich macht

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und im Bundesrat den Weg für diesen Freibetrag frei macht, anstatt ihn ständig zu blockieren.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Von der gleichen SPD hören wir dann, dass sie die NRW-Koalition kritisiert, weil wir die Grundsteuer nicht reduziert haben.

(Michael Hübner [SPD]: Grunderwerbsteuer!)

Das macht ausgerechnet die SPD, die in ihrer Regierungszeit von sieben Jahren diese Steuer fast verdoppelt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unglaubwürdiger geht es kaum.

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Es war die Grunderwerbsteuer!)

Glauben Sie mir: Das haben sich die Menschen in unserem Land gemerkt.

Thomas Kutschaty hat eben versucht, hier am Rednerpult die Interessen von Mietern und Vermietern zu spalten, statt bei einer so gewaltigen Aufgabe die Interessen zusammenzuführen. Was diese Spaltung hervorgebracht hat, ist nicht mehr der Wohnungsbau, sondern die Halbierung der Umfrageergebnisse der SPD.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch da sind Sie auf einem Holzweg. Sie haben hier sieben Jahre lang den Bauminister gestellt. Mike Groschek hat oft an diesem Rednerpult gestanden. Aufgrund seiner Art und Weise, in der er hier geredet hat, hat es uns auch Spaß gemacht, ihm zuzuhören – unabhängig vom Inhalt. Es hat allerdings keinen anderen Bauminister in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalens gegeben, in dessen Amtszeit die Mieten so stark gestiegen sind wie in der Zeit von Mike Groschek. – Lieber Arndt Klocke, das ist Fakt. Sie waren als Grüne damals mit in der Regierung. Da brauchen Sie jetzt nicht den Kopf zu schütteln.

Ein zweites Beispiel: Lösungen für mehr Sicherheit in unserem Land. Auch hier hat die Landtagswahl 2017 gezeigt: Die Menschen waren mit der Politik von SPD und Grünen unzufrieden.

CDU und FDP haben das mit Innenminister Herbert Reul vom ersten Tag an geändert. Wir haben eine völlig neue Sicherheitspolitik auf den Weg gebracht. Wir haben mehr Stellen für Polizistinnen und Polizisten geschaffen. 2.500 Anwärterstellen können wir jetzt anbieten; das ist absoluter Rekord in Nordrhein-Westfalen. Wir haben die Entwicklungsperspektiven in den verschiedenen Bereichen der Polizei wesentlich verbessert. Durch Verwaltungsangestellte werden viele Polizistinnen und Polizisten entlastet.

Die Koalition hat sich auch vorgenommen, Realschulabsolventen den Zugang zum Polizeidienst zu ermöglichen und wesentlich zu erleichtern; denn auch die Realschüler können wir im Polizeidienst in Nordrhein-Westfalen mehr als gut gebrauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben fast 150 Spezialistinnen und Spezialisten eingestellt, die sich um Extremismus im Netz kümmern und ihn noch besser bekämpfen.

Ein schlimmes Thema ist der Bereich Kinderpornografie. Auch die Nachrichten, die uns heute erreicht haben, sind mit schrecklichen Bildern verbunden. Es ist gut, dass wir gemeinsam einen Untersuchungsausschuss einberufen haben,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

der klären wird, was alles falsch gelaufen ist, und Vorschläge unterbreiten wird, was man besser machen kann.

Es ist auch gut und war das gute Recht der Fraktionen in diesem Hohen Haus, dass sie die Landesregierung aufgefordert haben, ein Handlungskonzept für besseren Kinderschutz zu erarbeiten. Auch da sind wir gemeinsam auf dem richtigen Weg. 5 Millionen Euro stehen im Haushaltsjahr 2020 in diesem Bereich zusätzlich zur Verfügung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle in diesem Hohen Hause sind uns sicherlich einig: Was in Lügde und anderswo passiert ist, sollte in diesem Land nie wieder passieren.

(Allgemeiner Beifall)

Der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, sind Lösungen für eine lebenswerte Zukunft, auch für die kommenden Generationen.

Auf 2,5 Milliarden Euro belaufen sich die jährlichen Zinskosten des Landes Nordrhein-Westfalen, die wir für die riesigen Schulden zu leisten haben, die das Land insbesondere unter Verantwortung der SPD in Nordrhein-Westfalen gemacht hat.

(Michael Hübner [SPD]: Helmut Linssen!)

Das ist ein riesiger Schuldenberg – viel höher als in anderen Bundesländern. Was könnten wir mit diesem Geld alles finanzieren! Zwar könnten wir nicht das finanzieren, was Lutz Lienenkämper als Finanzminister vorhin beziffert hat, als er die Vorschläge der Opposition genannt hat, deren Umsetzung in Summe 43 Milliarden Euro ausmachen würde. Aber wir könnten eine Menge für die Menschen in unserem Land tun, wenn Nordrhein-Westfalen 45 Jahre solide gewirtschaftet hätte. Da nehme ich gerne alle beteiligten Fraktionen und Parteien mit ins Boot. Aber einige sind nun einmal besonders für eine unsolide Finanzpolitik in Nordrhein-Westfalen verantwortlich.

Die FDP hat im Jahre 2012 beispielhaft für solide Finanzpolitik gestanden und einen Schuldenhaushalt von Herrn Walter-Borjans abgelehnt. Neuwahlen waren die Folge. Und – das finde ich besonders bemerkenswert – die FDP wurde für diesen Mut belohnt. Sie wurde seinerzeit für diesen Mut belohnt. Insofern setzen wir diesen soliden Finanzkurs in der aktuellen NRW-Koalition seitens der FDP gemeinsam mit unserem Partner, der CDU, natürlich fort.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Bei Rekordsteuereinnahmen muss eine Koalition selbstverständlich in die Zukunft investieren: in Infrastrukturen, in Bildung, in Innovationen, in Umweltschutz und in Sicherheit.

Ganz nebenbei, liebe Kolleginnen und Kollegen, entlasten wir sogar die Bürger. Denn mit dem NRW-Modell für faire Straßenbaubeiträge sorgen wir für eine wesentliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wir haben das alte SPD-Modell, das viele Menschen in Nordrhein-Westfalen in den Ruin getrieben hat, abgelöst.

Ihre Politik, die Sie heute hier als SPD vorstellen, ist unglaubwürdig. Damals waren Ihnen die Menschen, die Sie in den Ruin getrieben haben, doch egal; sonst hätten Sie doch die Gesetzgebung geändert.

(Zuruf von der SPD)

Heute fordern Sie hingegen die völlige Abschaffung. Unglaubwürdiger kann eine Politik auf dem Rücken der Menschen in unserem Land nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Gleichzeitig kommen wir – ich betone es noch einmal – ohne neue Schulden in diesem Land aus. Investieren, entlasten und keine Schulden machen: Das ist die solide Finanzpolitik dieser Regierung.

Unsere Politik der Zukunftsinvestitionen zahlt sich aus. Wir leisten einen wichtigen Beitrag, der die ökologischen und ökonomischen Lebensgrundlagen auch für nachkommende Generationen schafft und erhält. Wir bringen wirksame Maßnahmen auf den Weg, statt symbolische Forderungen zu erheben.

Unsere Maßnahmen greifen ineinander, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das gilt zum Beispiel für unsere Bundesratsinitiative zum Einbezug der Sektoren Wärme und Verkehr in den Handel mit CO2-Zerti-fikaten. Diese Initiative ist nicht nur absolut seriös und logisch, sondern war auch überfällig. Denn wir müssen alle Sektoren in diesem Bereich zusammennehmen, um am Ende unsere CO2-Ziele zu erreichen.

Wir erleichtern den Menschen in unserem Land den Umstieg auf die Bahn und den Radverkehr. Hendrik Wüst hat einen Rekordetat für den Bereich Mobilität. Fast 3 Milliarden Euro sind es mehr, übrigens 1,8 Milliarden Euro davon allein für den öffentlichen Nahverkehr.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir modernisieren Stadt-, U-Bahn- und Straßenbahnsysteme.

(Jochen Ott [SPD]: Mit Bundesmitteln!)

Wir investieren mehr in den Bau und Ausbau von Radwegen – übrigens mehr, als Rot-Grün es jemals getan hat. Noch einmal: Wir stecken mehr Geld in Radwege, als Rot und Grün jemals dort hineingesteckt haben. Das ist eine bemerkenswerte Aussage; denn viele Menschen meinen – vielleicht haben sie bei den Grünen automatisch dieses Gefühl –, wenn die Grünen in der Regierung seien, werde viel mehr in den Bereich Radverkehr gesteckt. Diese Regierung zeigt: Gefühle können manchmal trügen. Zahlen sind viel besser. Fakt ist: Keine Regierung – auch unter grüner Beteiligung – hat jemals mehr Geld in den Radverkehr gesteckt als diese NRW-Koalition hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Woher kommt denn das Geld?)

Der Haushalt investiert über 180 Millionen Euro gezielt in die Digitalisierung der Verwaltung. Wenn wir von Industrie 4.0 und Digitalisierung reden, dann müssen wir dieses Ziel auch bei der Veraltung erreichen; denn nur wenn wir diesen Weg gemeinsam beschreiten, werden wir unsere Ziele erreichen, und dazu gehört zwingend auch die Verwaltung.

Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Staat, das Land kann Rahmenbedingungen schaffen und Impulse für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen in diesem Land geben. Den größten Beitrag leistet allerdings nicht der Staat. Den größten Beitrag leisten die Menschen in unserem Land selbst, zum Beispiel im Ehrenamt, im Sport, in der Kirche, in Parteien und in Vereinen. In ganz vielen Institutionen bringen die Menschen in unserem Land motiviert Nordrhein-Westfalen nach vorne.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Deshalb ist es der FDP und der NRW-Koalition besonders wichtig, auch in diesem Haushalt das Ehrenamt und alles, was dazugehört, zu stärken. Die 1 Million Euro zusätzlich für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ist nur ein kleines Beispiel von vielen.

Das Sportstättenförderprogramm der Landesregierung wird hervorragend angenommen. Davon profitieren alle Städte und Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen gleichermaßen.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist nur für Vereine!)

Der Stellenwert des bürgerschaftlichen Engagements und des gesellschaftlichen Miteinanders ist in dieser Koalition ganz besonders groß. Darauf bin ich besonders stolz.

Meine Damen und Herren, große Herausforderungen brauchen Lust auf Gestaltung, Investitionen für die Zukunft und – das ist ganz wichtig, und das unterscheidet uns von den Kollegen der Opposition – Vertrauen in die Menschen in unserem Land. Sie brauchen keine Bevormundung und keine Verbote. Die Menschen haben Ideen. Sie wollen eine saubere Umwelt sowie Chancen, Sicherheit und beste Bildung für sich und auch für die nachfolgenden Generationen.

Genau diesen Geist atmet der Haushaltsentwurf, den die Landesregierung heute eingebracht hat. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rasche. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Wagner das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung bringt heute ihre Vorstellung von einem Haushalt für das Jahr 2020 ein – so, wie in jedem Parlament in jedem Jahr die Regierung ihren Haushalt einbringt; soweit nichts Ungewöhnliches; so, wie wir das als AfD ebenso tun werden, sobald wir regieren.

(Vereinzelt Lachen)

– Das haben ja nicht Sie zu entscheiden, sondern der Wähler. Das ist das Schöne.

(Zuruf: Ja, klar!)

Aber was unterscheidet uns dabei von Ihnen? – Zunächst einmal muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass wir es hier doch tatsächlich mit einer Landesregierung zu tun haben, die – man glaubt es im parlamentarischen Alltag kaum – von CDU und FDP gestellt wird. Damit hätte man früher bestimmte Vorstellungen verknüpft; zum Beispiel, dass gut gewirtschaftet wird und dass so etwas wie wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz da ist – genauso, wie früher allgemein vermutet wurde, die SPD sei für den sprichwörtlichen kleinen Mann da. Das eine ist – ich kann es vorwegnehmen – so vorbei wie das andere.

80 Milliarden Euro hat die Landesregierung in diesem Jahr zur Verfügung. Das sind 80.000 Millionen Euro; eine gewaltige Summe, mit der man viel Gutes für die Menschen auf den Weg bringen könnte – vor allem, wenn man bedenkt, dass Schwarz, Rot, Gelb und Grün in diesem Haus in den letzten Jahrzehnten gemeinsam einen gigantischen Schuldenberg von sage und schreibe 144 Milliarden Euro angehäuft haben.

Man könnte also denken, dass da jetzt endlich ordentlich getilgt wird, damit unsere Kinder und Enkel nicht auch noch unsere Schulden abbezahlen müssen.

(Beifall von der AfD)

Aber leider ist dem nicht so. Darauf haben Herr Laschet und Herr Lienenkämper mal wieder keine Lust. Wenigstens in Sonntagsreden sprechen sie doch gerne von Generationengerechtigkeit. Aber mehr als Sonntagsreden haben sie an dieser Stelle leider nicht zu bieten.

Das, meine Damen und Herren, unterscheidet uns finanzpolitisch zuallererst von Ihnen. Wir haben den klaren Willen, zu sparen und zu tilgen. Anders als Sie denken wir nicht nur in Legislaturperioden und an die Wiederwahl. Vielmehr haben wir ein langfristiges Interesse an der Zukunft unseres Landes. Und zu einer sorgenfreien Zukunft gehört im Staatlichen wie im Privaten die Schuldenfreiheit.

(Beifall von der AfD)

Dass die Landesregierung dabei auch noch mutwillig die Expertise des Landesrechnungshofes in den Wind schlägt, ist eine Sünde an der Zukunft unseres Landes, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

In den drei Jahren ihrer Haushaltsverantwortung hat die Landesregierung zusätzliche Steuern von knapp 18 Milliarden Euro vereinnahmt. Zurückgelegt, um damit Schulden abzubezahlen, hat sie ganze 572 Millionen Euro. Das ist ungefähr so, als hätte eine Familie 144.000 Euro Schulden. Nun nimmt sie in den letzten drei Jahren 18.000 Euro netto zusätzlich ein und bezahlt davon ganze 572 Euro Schulden ab.

Das ist die Tilgungsleistung dieser Landesregierung, meine Damen und Herren. Niemand auf der Welt käme auf die Idee, das bürgerlich und solide zu nennen. Und so kommt auch niemand auf die Idee, diese Politik bürgerlich und solide zu nennen.

Wenn Herr Löttgen vorhin sagte, dass es künftig weniger vom Mehr geben wird, dann können wir uns in etwa vorstellen, was das für die Tilgungsleistung dieser Landesregierung bedeutet. Da wird es künftig wahrscheinlich gar nichts mehr geben.

(Beifall von der AfD)

Dazu passt auch, dass der Ministerpräsident nun meint, der Bund solle NRWs Schulden übernehmen. Was für ein armseliges und unbürgerliches Gejammer! Man selbst macht Jahrzehnte Schulden, und nun sollen andere zahlen, weil Schwarz und Gelb es hier im Land nicht können und auch nicht wollen.

Klar, man kann das Geld über den Bund erstreiten. Das ist in Ordnung; wir wollen auch alles für NRW. Aber das kann doch nicht die erste und fast einzige Idee sein. Zuallererst muss man sich doch selbst bemühen, im Privaten wie in der Politik.

Als AfD-Fraktion stehen wir auch finanzpolitisch für ein selbstbewusstes und eigenverantwortliches Nordrhein-Westfalen – ein Nordrhein-Westfalen, das für selbst gemachte Schulden auch selbst aufkommt und nicht als Erstes bei anderen dreist betteln geht. Schon allein die Tatsache, dass wir in diesem Jahr mit über 1 Milliarde Euro am Tropf des Länderfinanzausgleichs hängen, müsste dieser Regierung eigentlich peinlich sein.

Ich finde, dass das eine Schande für Nordrhein-Westfalen ist. Ich will ein Land, auf das die Menschen stolz sein können, und keines, für dessen kraftlose Finanzpolitik man sich schämen muss.

(Beifall von der AfD)

Allein diese Bilanz, allein diese Haltung, die da bei Ihnen zutage tritt … Und dann lässt Herr Laschet auch noch Gerüchte streuen, er könne angeblich Kanzler. Kanzler, Herr Laschet, wurden eigentlich einmal Politiker, die etwas geleistet hatten und ihre Kompetenz unter Beweis gestellt hatten. Womöglich haben Sie sich gedacht: AKK kann es ja auch nicht. Warum soll ich es dann nicht auch nicht können?

(Vereinzelt Lachen von der AfD)

So langsam wird es gruselig, wenn man sieht, wie wenig brauchbares Personal die ehemaligen Volksparteien noch in Reserve haben. Denn wir haben ja nicht nur einen selbst ernannten Kanzlerkönner aus den Reihen der Schwarzen im Haus; nein, wir haben auch gleich noch einen selbst ernannten SPD-Beinahe-Vorsitzenden und damit auch angeblichen Kanzlerkönner in unserer Runde.

Allerdings verkommt – wie das bei der SPD so ist – selbst das zur Farce. Als sich Herr Kutschaty zum neuen SPD-Chef ausrief, stimmte überhaupt niemand aus den eigenen Reihen in den Ruf ein. Mittlerweile tummeln sich bei der SPD-Castingshow diverse Nordrhein-Westfalen, nur einer nicht – der, der sich gleich am Anfang für einen der Besten hielt, Herr Kutschaty. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, obwohl, sieht man einmal vom Bundesfinanzminister ab, die Konkurrenz doch eher drittklassig ist. Der Sturz der SPD gerade auch in Nordrhein-Westfalen wird hier besonders deutlich.

(Beifall von der AfD)

Aber zurück zur Haushaltsvorlage: Wenn man etwas tiefer in die Zahlen einsteigt, wird es noch unsolider, noch viel weniger bürgerlich. Sehen wir uns doch einmal an, wie die Landesregierung ihre vermeintliche schwarze Null in diesem Jahr zustande bringt.

Da sind zum Beispiel über 17.000 unbesetzte, offene Stellen im Landesdienst. Die werden mal eben frech als Minderausgabe und damit als angebliches Sparen gebucht, und das auf dem Rücken der Beschäftigten, die ja die Jobs der Nichteingestellten tagtäglich miterledigen müssen.

Das ist nicht nur den Beschäftigten gegenüber unsozial, sondern auch den Bürgern gegenüber; denn uns allen fehlen doch die Lehrer, Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Was an deren Nichteinstellung soll bitte schön solide und bürgerlich sein, meine Damen und Herren? Ich sage es Ihnen: Gar nichts daran ist solide und bürgerlich.

(Beifall von der AfD)

Aber der eigentliche Grund für die noch gehaltene schwarze Null ist ja neben einigen landespolitischen Taschenspielertricks die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank – so wie in den letzten Jahren auch. Das ist eine Folge der von allen anderen Parteien hier im Hause vertretenen sogenannten Euro-Rettungspolitik, die immer absurdere, aber vor allem immer schädlichere Auswirkungen für die Menschen mit sich bringt.

So schreibt der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Paul Kirchhof, in der „WeLT“ zu Recht: Die Auswirkungen der Nullzinspolitik sind für den Normalsparer besonders erheblich.

„Die Inflation der Immobilienpreise in Ballungsgebieten, in denen dieser arbeitet und wohnen will, ist so hoch, dass der Normalverdiener sich ein Grundstück nicht mehr leisten kann. …

Der Bürger verliert Vertrauen in das Wirtschaftssystem, in die Rechtsstaatlichkeit der europäischen Organe, in die Glaubwürdigkeit der Politik“,

so Kirchhof weiter.

„Mit ihrer Niedrigzinspolitik gibt die EZB zugleich das Instrument aus der Hand, das sie bei einer möglichen Rezession dringend benötigt. Sollte die Wirtschaftskraft in Europa schwächer und dadurch der Geldwert gefährdet werden, hat die EZB den Auftrag, dem gegenzusteuern. Ihr Instrument wäre eine Verbilligung des Geldes. Wenn sie aber den Geldzins bereits auf null gesenkt oder ‚negativ‘ gestaltet hat, fehlt ihr jetzt das dringend benötigte Handlungsinstrument.“

Soweit der Mann, den Angela Merkel einstmals zum Finanzminister machen wollte.

Er spricht dabei einen neuralgischen Punkt an. Wir haben die ersten rezessiven Tendenzen, und die Notenbank ist blank, was ihre Mittel zum Gegensteuern angeht. Es ist unverantwortlich, dass die deutsche Politik nicht gemeinsam klar und deutlich gegen diesen Irrsinn aufsteht. Stattdessen gibt es Symptomdebatten zum Beispiel darüber, wie man Kleinsparer vor Strafzinsen schützt.

Meine Damen und Herren, über 648 Milliarden Euro haben Deutschlands Sparer schon durch die niedrigen Zinsen verloren, wie die DZ Bank für den Zeitraum von 2010 bis 2019 ausgerechnet hat. Das sind pro Kopf der deutschen Bevölkerung mehr als 7.000 Euro.

Mit Gunther Schnabl warnt einer der renommiertesten deutschen Ökonomen vor verheerenden Folgen der ultralockeren Geldpolitik für Sparer.

„Die Niedrigzinspolitik der EZB wird deutsche Sparer nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Gunther Schnabl noch für sehr lange Zeit belasten. ‚Sparer müssen damit rechnen, dass sie auf dem Sparbuch auf Jahrzehnte hinaus keine Zinsen mehr erhalten werden oder sogar für ihre Einlagen bezahlen müssen‘, schreibt der Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin FOCUS. Durch die niedrigen Zinsen auf Sparbücher bei gleichzeitig steigender Inflation stehe die deutsche Mittelschicht vor einer ‚schleichenden Entwertung ihrer Ersparnisse‘, so Schnabl weiter.

Der Leipziger Ökonom befürchtet, dass die ultralockere Geldpolitik zu ‚wachsenden gesellschaftlichen und politischen Spannungen‘ führen wird“

– und das alles, weil die alte politische Klasse sich und den Bürgern auf Teufel komm raus nicht eingestehen will, was ihnen doch so viele Volkswirte sagen, nämlich dass der Euro auf diese Art eine ökonomische Fehlkonstruktion ist, dass Länder wie Griechenland gegen jede versprochene Regel aufgenommen wurden und nun künstlich und mit fatalen Folgen im Währungsraum gehalten werden sollen, dass gegen jedes Versprechen die Schulden anderer Staaten übernommen werden.

Das ist neben dem ökonomischen Wahnsinn auch wieder so ein tiefenwirksames Beispiel für den durch die politische Klasse selbst verschuldeten Vertrauensverlust – dieses ständige Brechen von Versprechen.

Das Brechen von Versprechen scheint bei Ihnen groß in Mode zu kommen; denn nun verrät die politische Klasse auch noch den ohnehin fragwürdigen Kohlekompromiss. Die versprochene Strompreisentlastung scheint einfach unter den Tisch fallen zu sollen. – Herr Laschet, ich erwarte von Ihnen ein ganz klares Bekenntnis zu diesen Mindestzusagen im sogenannten Kohlekompromiss.

Aber zurück zu unseren Sparern und Lebensversicherten: Wer nun also die Folgen Ihrer desaströsen Eurorettungspolitik sieht und davor warnt, ist dann angeblich ein Europafeind.

Nein, meine Damen und Herren, wer dem Sparer seinen Zins belassen will, ist kein Europafeind, sondern erkennt die Leistung der Menschen an, die ja jeden Euro sauer verdient haben. Er erkennt an, dass es zu den deutschen Erfolgsgeheimnissen gehörte, dass die Bürger gespart haben, anstatt alles in den sofortigen Konsum zu setzen. Ihn interessiert eben das Schicksal der ganz normalen Mittelschicht, die mittlerweile Probleme hat, die Mietwohnung zu wechseln oder gar Eigentum zu schaffen, weil die Politik für die unseriöse Währungspolitik horrende Immobilienpreise in Kauf nimmt, weil die Anleger natürlich nach Rendite suchen, die sie in Immobilien zu finden hoffen.

Mit diesen bewusst in Kauf genommenen Fehlsteuerungen zulasten der Bürger muss endlich Schluss sein.

(Beifall von der AfD)

Die AfD setzt sich mit aller Kraft dafür ein, die Brüsseler Immobilien- und Mietpreistreiberei abzustellen. Für uns bedeutet Europa Frieden und Freundschaft souveräner Nationen untereinander, um gemeinsam mehr Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zu schaffen, aber zum Beispiel nicht, dass die Bürger mit explodierenden Mieten belastet werden und sich die Haushalte, wie der der Landesregierung, auf Kosten der Bürger vermeintlich schuldenfrei halten.

(Beifall von der AfD)

Aber wer glaubt, damit wäre die Situation am Wohnungsmarkt für die alten Fraktionen schon angespannt genug, der muss dann auch noch mit ansehen, wie die Mieten gerade in den auch für die Mittelschicht und untere Mittelschicht bezahlbaren Objekten dadurch in die Höhe treiben, dass Sie knapp 2 Millionen sogenannte Flüchtlinge ungesteuert und unbegrenzt ins Land holen; denn es ist klar, dass die nun um genau die Wohnungen konkurrieren müssen, die auch von den deutschen und gut assimilierten ausländischstämmigen Bürgern nachgefragt sind.

Dann haben die Menschen mit viel Glück eine neue Wohnung gefunden, aber wie steht es mittlerweile um die Sicherheit im öffentlichen Raum, auf unseren Straßen und Plätzen? Immer mehr Menschen fühlen sich unwohl. Insbesondere in den Innenstädten treffen sie zu bestimmten Uhrzeiten immer wieder auf Gruppen, die von den alten Parteien und Medien verschämt „Jugendliche“ oder „junge Männer“ genannt werden. Dabei wissen wir doch alle, dass sich diese Gruppen auch noch etwas genauer eingrenzen lassen. Es sind nämlich in der Regel die von Ihnen ins Land geholten sogenannten Schutzbedürftigen. Tatsächlich fühlen sich insbesondere Frauen in unserem Land mittlerweile zunehmend schutzbedürftig.

Diese Situation stellt für die Menschen einen massiven Freiheitsverlust dar. Anstatt unbeschwert die Straße entlangzugehen und zu entspannen, nachzudenken oder sich mit beruflichen Lösungen zu beschäftigen, ist man gezwungen, sich um seine Sicherheit zu sorgen.

Anstatt in der U-Bahn einfach mal herunterzukommen oder sich auf das Abendessen mit der Familie zu freuen, muss man oder frau sich Gedanken machen, ob man womöglich angegriffen wird, ob einem etwas passiert. Es ist schon klar: In der Regel tritt der befürchtete Fall nicht ein, und man kommt heil nach Hause. Aber alleine, dass die Möglichkeit mittlerweile nicht mehr irreal erscheint, ist doch ein Verlust an Lebensqualität und ein Verlust an Freiheit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Ich bin Ihnen daher dankbar, Herr Reul – das will ich ausdrücklich sagen –, dass Sie nun eine Dunkelfeldstudie angestoßen haben, die Teilbereiche dessen beleuchten soll, was auch die AfD immer wieder anspricht, weil es die Menschen bewegt.

Wir haben diese Vorkommnisse, die oft nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen, mittlerweile auch in Freibädern. Außerdem haben wir die unsere Regeln missachtenden und verachtenden türkisch-orientalischen Chaoshochzeiten. Wir haben ganze Straßenzüge, die geprägt sind von arabischen Clans, die man jahrzehntelang einfach hat machen lassen.

In all diesen Zusammenhängen muss ich sagen: Es ist nicht rechtspopulistisch, wenn man seine Grenzen so sichert wie seine Haustür. Es ist nicht rechtspopulistisch, wenn man seine Schulden zurückzahlt, um sie nicht seinen Kindern zu hinterlassen. Es ist nicht rechtspopulistisch, wenn man zu jeder Zeit sicher durch jede Straße seiner Stadt gehen will. Und es ist nicht rechtspopulistisch, wenn man den hinauswirft, der sich nicht benimmt, obwohl man ihn verköstigt und ihm eine Wohnung gibt.

(Beifall von der AfD)

Ließen Sie sich, meine Damen und Herren von Schwarz, Rot, Grün und Gelb, das privat zu Hause gefallen? Nein, natürlich nicht. Deshalb haben Sie auch keine echten oder vermeintlichen Flüchtlinge bei sich privat zu Hause. Das wälzen Sie schön auf den Rest des Volkes ab und überhöhen sich dann auch noch moralisch, wenn die Menschen auf die realen Probleme hinweisen, die mit dieser Politik verbunden sind – Probleme, die jeder sieht, die Sie aber nicht sehen wollen.

Schon das Beschreiben von Realitäten ist für Sie rechtspopulistisch oder gleich Nazi. So kann man natürlich auch Nazis produzieren. Man muss nur jeden so nennen, der das fordert, was bis vor ein paar Jahren unter Demokraten ganz normal war – ich erinnere mich beispielsweise an die Leipziger Rede von Frau Merkel im Jahr 2004 –, und schon hat man jede Menge angeblicher Nazis, gegen die man sein darf. Das ist einfach grotesk.

Besser wäre es, Sie hätten Ihren eigentlichen Job gemacht. Seit Jahrzehnten haben Sie alle hier gemeinsam unsere Infrastruktur verrotten lassen. Zwar gilt im Verkehrsbereich, was oft auch in den anderen Ressorts konstatiert werden kann: Ja, es ist minimal besser als unter Rot-Grün. Das ist so, und da freuen wir uns angemessen minimal mit. Aber man muss auch ehrlich sein: Gegen Rot-Grün würde wohl fast jede Regierung besser aussehen.

Allerdings, Herr Wüst, ist der desaströse Zustand der Infrastruktur in unserem Land doch tatsächlich ein Gemeinschaftswerk aller Vorgängerregierungen, ob sie nun von CDU und FDP oder SPD und Grünen gestellt wurden. Sie alle haben den Zustand unserer Straßen zu verantworten.

Über die Hälfte der Landstraßen sind aktuell in den allerschlechtesten Kategorien eingestuft. Von 920 bisher inspizierten Brücken sind 637 nach heutigen Standards nicht mehr ausreichend belastbar und tragfähig. In 573 Fällen hilft nur noch der Abriss und Neubau. Das ist nur der aktuelle Prüfstand im Stauland Nummer eins, in dem nicht einmal 10 % der Menschen Glasfaserkabel zur Verfügung haben und in dem ich, auf mir vertrauten Autobahnen fahrend, Geschäftsfreunde am Telefon immer mal vor dem nächsten Funkloch warnen muss. Was passiert, wenn ich mit der Bahn reise, muss ich gar nicht mehr erzählen. Alle wissen schon, was da schiefläuft.

Meine Damen und Herren, man erlebt den Verfall eines Landes und eine Politik, die sich um Nebensächlichkeiten wie Gender-Toiletten und anderen Firlefanz kümmert, aber nicht um die Substanz, von der wir seit Jahrzehnten zehren.

(Beifall von der AfD)

Zu dem ständigen parteipolitischen Klein-Klein nur ein paar Beispiele aus den letzten Monaten: Dass der Staat gezuckerte Milchprodukte fördert, ist ja schon absurd genug. Wie es aber noch absurder geht, beweist Ihr Umgang mit unserem Antrag, diese Subventionen endlich einzustellen.

Wo jedem mit gesundem Menschenverstand – das war ein Thema von Herrn Lienenkämper – von vornherein klar ist, dass Kinder nicht überzuckert aufwachsen sollen, fiel Ihnen nichts Besseres ein, als meinen Kollegen Dr. Vincentz hier anzugreifen und ihm als Arzt zu sagen, er hätte keine Ahnung und wolle Schaden anrichten, so die CDU. Die FDP glaubte zu wissen, dass die AfD foodwatch hinterherliefe und ähnlichen Dummsinn. Natürlich lehnten Sie ab. Lieber gezuckerte Milch für Kinder subventionieren, als der AfD und 15 anderen Bundesländern zuzustimmen.

Aber wie so oft holte die Realität Sie ein, und nur zwei, drei Monate nach Ihrer vollmundigen Ablehnung setzt das Ministerium unsere Forderung um.

Meine Damen und Herren, genau von diesen Politspielchen fühlt sich der Bürger völlig zu Recht genervt. Die AfD-Fraktion gibt den Gedanken, dass es immer erst um die Sache gehen muss, nicht auf. Wir werden weiterhin selbst den Grünen zustimmen, wenn sie denn mal recht haben, ganz egal, ob sie uns hier negativ bescheiden, obwohl wir doch so häufig recht haben.

Das gilt zum Beispiel für unseren Antrag, hier endlich ein Landespflegegeld nach bayerischem Vorbild einzuführen. Warum soll es Pflegenden, die meine ganze Hochachtung haben, in Nordrhein-Westfalen schlechter gehen als denen in Bayern? Sie helfen ihren Angehörigen in Dortmund und Euskirchen doch genauso aufopferungsvoll wie in München und in Augsburg.

Die SPD hier im Hause faselte sogar von einer „Herd- und Bettprämie für pflegende Angehörige“. Damit offenbaren Sie einmal mehr Ihr furchtbares Menschen- und Familienbild, meine Damen und Herren von der SPD.

(Beifall von der AfD)

Auch hier: AfD wirkt! Denn entgegen Ihren Einlassungen denkt Ihre Familienministerin Frau Giffey in Berlin mittlerweile genau in unsere Richtung und nicht in Ihre Richtung hier im Landtag.

Dass Sie unseren Antrag zur Flughafensicherheit erst ablehnen und ein Jahr später kopiert selbst einbringen, passt genauso in das Bild des Abgesangs einer ehemaligen Volkspartei.

Ganz besonders entsetzt hat mich die parteitaktische Art und Weise, als der tausendfache Fall des sexuellen Missbrauchs an den Kindern in Lügde ans Licht kam. Ob des massiven staatlichen Versagens in diesem Fall wollten die Schwarzen zuerst ihren Innenminister schützen und die Roten ihre Landräte. Monatelang habe ich wieder und wieder hier vor Ihnen stehen müssen, um endlich einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu erhalten, damit wir gemeinsam daran arbeiten, das Versagen zu analysieren und abzustellen.

Abstellen sollten Sie endlich auch die von Ihnen mitverantwortete Strompreistreiberei. Die Rekordstrompreise sind eine direkte Folge der völlig verpfuschten Energiewende. Angesichts des nun beschlossenen Ausstiegs aus der Kohleenergie und der Tatsache, dass bis heute keine großen Energiespeicher zur Verfügung stehen, werden sich die Bürger auf weiter steigende Preise einstellen müssen. Zwar werden die Netznutzungsentgelte bis 2023 durch die beschlossene bundesweite Angleichung leicht sinken, dies dürfte aber durch die steigenden Kosten und die dringend benötigten Reservekraftwerke sowie die ungebremste Subventionierung der erneuerbaren Energien kaum ins Gewicht fallen.

Ergebnis: Die Preise steigen weiter, wie mein Bundestagskollege Leif-Erik Holm richtig analysiert.

Und weiter: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein Fass ohne Boden und gehört abgeschafft. Warum sollen die Bürger ein nicht funktionierendes Projekt jedes Jahr mit noch mehr Milliarden subventionieren? Bis zur Beerdigung dieses planwirtschaftlichen Monstrums namens EEG fordern wir wenigstens eine schnelle Entlastung der Bürger. Das wäre über eine Aussetzung der Stromsteuer und die Deckelung der EEG-Umlage möglich. Da würden die Verbraucher nämlich sofort entlastet.

Die Abschaffung des EEG ist aber auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Das ist ja immer Ihr besonderes Thema. Denn was bitte schön ist gerecht daran, wenn die Seniorin mit ihrer Grundrente, mit dem Strompreis, den sie zu bezahlen hat, dem Lehrerehepaar die Solaranlage auf dem Dach ihres Hauses finanziert? Ich will es Ihnen sagen: Nichts daran ist sozial gerecht.

(Beifall von der AfD)

Ungerecht ist es auch, dass die Schüler in Nordrhein-Westfalen so viel weniger lernen dürfen als ihre Altersgenossen in Sachsen oder Bayern. So sind auch die Schlagzeilen der Presse zum Kernthema „Schule“ zum Teil desaströs: „In NRW droht eine Bildungsapartheid“, „Fast jede zweite neue Lehrerstelle in NRW unbesetzt“, „Gebauer stehen noch härtere Zeiten bevor“, Ministerin muss noch zulegen. Nicht zuletzt wird Frau Gebauer tituliert als die „Mutter aller Schulprobleme“, so zumindest die Presse.

Da ist zunächst das Problem des massiven Lehrermangels. Trotz aller möglichen Bemühungen hat sich die Besetzungsquote gegenüber dem Vorjahr verschlechtert. Dieses Jahr konnten von den rund 10.000 Stellen nur 58 % besetzt werden. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 61 %. In konkreten Zahlen heißt dies, dass in NRW rund 4.000 Lehrer fehlen. Der Lehrermangel an Grundschulen ist dabei besonders riskant.

Nun müssen mal eben rund 200.000 Kinder aus der Flüchtlingswelle in unser Schulsystem integriert werden. Einigen Oberbürgermeistern von SPD und CDU hat das übrigens immer noch nicht gereicht. Denn anders sind ihre Willkommensparolen für noch mehr Zuwanderung aus außereuropäischen Staaten nicht zu verstehen, wenn man sich vor Augen hält, dass wir die entstandenen Probleme immer noch nicht ansatzweise im Griff haben. Aber demnächst sind Kommunalwahlen, und wir werden dann entsprechend dazugewinnen.

Der Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger referierte erst kürzlich in einem Interview bei der „Passauer Neue Presse“ – ich zitiere –:

„Meiner Kenntnis nach ist dies mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegszeit der größte Lehrermangel, den wir in Deutschland in den letzten Jahrzehnten jemals hatten.“

Weiter führt er aus:

„Wir werden Qualitätsprobleme im deutschen Bildungswesen kriegen … Das werde sich besonders an den Grundschulen zeigen.“

Und weiter:

„Wir hatten bereits bei der letzten Grundschulstudie zum ersten Mal einen Rückschritt zu verzeichnen. Ich fürchte, das wird sich fortsetzen.“

Doch leider setzt es sich sogar noch schlimmer fort. Wir haben mittlerweile zahlreiche Schulen ohne Schulleiter. Die Vakanzen im Schulleiterbereich werden zu strukturellen Problemen. In NRW ist jede siebte der 5.105 öffentlichen Schulen ohne regulären Leiter. Über alle Schulformen hinweg sind 707 Chefsessel und 939 Vizeposten vakant. Bei den allgemeinbildenden Schulformen haben Grund-, Haupt- und Realschulen einen besonders hohen Bedarf an Leitungspersonen. Ein Beispiel: An den 2.732 öffentlichen Grundschulen fehlen 350 Schulleiter und 540 Stellvertreter.

Wen wundert das auch, wenn man beispielsweise weiß: Alleine 2018 sind an NRW-Schulen 263 Lehrer Opfer von Körperverletzungen geworden, und dies sind nur die statistisch erfassten Fälle. Erst zu Schuljahresbeginn wurde ein Schulleiter aus Duisburg von einem 14-Jährigen geschlagen und schwer verletzt. Anschließend durfte er sich im Krankenhaus behandeln lassen. Unsere Fraktion wünscht selbstverständlich auf diesem Wege gute Besserung.

Aber – ganz toll – die Landesregierung will im Frühjahr 2020 und 2022 eine Woche des Respekts an Schulen ausrufen. Die wird wahrscheinlich genauso helfen wie die Flyer des Innenministers gegen Chaoshochzeiten, nämlich gar nicht.

Aber weiter zu den Folgen der Politik des Mangels im Bildungsbereich: Alleine im Primarbereich wurde beispielsweise eine Verschlechterung der Handschrift mit einem Negativwert von rund 90 % nachgewiesen. Das ist ein alarmierendes Ergebnis, welches Leistungsabfall begünstigt. Auch der Zeitumfang beschwerdefreien Schreibens fällt erschreckend aus. Nur zwei von fünf Schülern können länger als 30 Minuten beschwerdefrei schreiben.

Beim INSM-Bildungsmonitor 2019 belegt NRW gerade einmal Platz 13, bei der Ausgabenpriorisierung sogar Platz 15. Lediglich Bremen hat schlechter abgeschnitten, und Bremen schneidet immer schlechter ab, meine Damen und Herren.

Schlecht abgeschnitten trifft es denn auch insgesamt ganz gut. Was Sie hier heute vorgelegt haben, ist ein der schädlichen Nullzinspolitik geschuldeter, nur vermeintlich ausgeglichener Haushalt. Die Schulden zurückzuzahlen, sie endlich wirksam zu tilgen, das fällt Ihnen gar nicht erst ein. Investitionen in die Kernaufgaben des Staates? – Unzureichend. Grenzsicherung will Herr Laschet nicht. Abschiebungen? – Totalversagen von Herrn Stamp.

Wenn das ernsthaft der Haushalt sein soll, mit dem sich Armin Laschet bei möglichen Neuwahlen im Bund als Kanzlerkandidat empfehlen wollte, dann geht der Schuss sprichwörtlich nach hinten los. So kann NRW nicht als Beispiel für den Rest der Nation dienen, höchstens als schlechtes. Unser Anspruch ist da ein anderer. – Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. Das war der Abgeordnete Wagner. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Lienenkämper das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wenigstens ein paar Ausführungen möchte ich richtigstellen, bevor wir in den intensiveren Austausch im Haushalts- und Finanzausschuss, in allen anderen Ausschüssen und dann auch wieder hier im Plenum eintreten.

Herr Kollege Kutschaty, ich habe mir bei Ihnen mal die Wohnraumförderung herausgesucht. Sie haben Frau Kollegin Scharrenbach dafür kritisiert und ihr sinngemäß unterstellt, sie sei im Bündnis mit den Unternehmern gegen die Mieterinnen und Mieter. Das finde ich persönlich angesichts der unfassbar vielen Termine, die Frau Kollegin Scharrenbach in der gesamten Wohnungswirtschaft mit Mietern und Eigentümern durchführt, ausgesprochen fragwürdig. Außerdem ist es auch noch falsch.

Ich will Ihnen sagen, wie die Volumina der Wohnraumförderung in Ihrer Regierungszeit ausgesehen haben. Im Durchschnitt betrug das Volumen der Wohnraumförderung von 2011 bis 2016  858 Millionen Euro. Dabei habe ich zu Ihren Gunsten schon das starke Jahr 2016 eingerechnet, das wegen der flüchtlingsbedingten Bundeshilfen ein ganz besonderes Ausreißerjahr nach oben war.

Das Volumen der Wohnraumförderung unter dieser Landesregierung und Ministerin Ina Scharrenbach lag 2018 bei 1,1 Milliarden Euro, 2019 bei 1,1 Milliarden Euro, und es liegt 2020 bei 1,1 Milliarden Euro, 2021 bei 1,1 Milliarden Euro, 2022 bei 1,1 Milliarden Euro.

(Sven Wolf [SPD]: Und wie viel ist abgerufen worden?)

Sogar Sie werden den Durchschnitt ermitteln können: 1,1 Milliarden Euro.

(Beifall von der CDU und der FDP – Thomas Kutschaty [SPD]: Und wie viel davon sind Bundesmittel?)

Sowohl beim Mietwohnungsneubau als auch bei der Eigentumsförderung, bei den Modernisierungen im Bestand, bei den Quartiersmaßnahmen und beim studentischen Wohnungsbau sind darin Steigerungen enthalten. Beim Mietwohnungsneubau sind es prozentual die weitaus größten Steigerungen. Das entkräftet den Vorwurf, diese Landesregierung sei eine Regierung, die Eigentümerförderung, aber keine Mietwohnungsförderung betreibe.

(Sven Wolf [SPD]: Herr Lienenkämper, Strich drunter: Wie viele Wohnungen sind denn entstanden?)

Wir kümmern uns um die kleinen Leute genauso wie um die Wohnungswirtschaft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das waren nun die Volumina. Sie sind Fachmann und wissen, dass man die Ergebnisse davon unterscheiden muss.

(Christian Dahm [SPD]: So ist das!)

Das Ergebnis für 2018: 8.662 geförderte Wohneinheiten in der Wohnraumförderung; 923,4 Millionen Euro echtes Fördervolumen. Das ist ein Plus von 5,5 % gegenüber dem Ergebnis von 2017 und das beste Förderergebnis seit 2012.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie dieses Thema also weiter bearbeiten wollen, dann empfehle ich Ihnen die Beachtung eines alten amerikanischen Sprichworts, lieber Kollege Kutschaty: If you sit in a hole, stop digging.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Kommen wir zum Bereich der Justiz. Herr Kollege Kutschaty, Sie haben der Landesregierung vorgeworfen, wir hätten massiv Vertrauen bei der Justiz verspielt. Falls Sie damit die Justizpolitik gemeint haben sollten,

(Thomas Kutschaty [SPD]: Nein!)

darf ich Ihrer Aufmerksamkeit zuführen, dass wir …

(Thomas Kutschaty [SPD]: Sie wissen, was ich gemeint habe!)

– Dazu komme ich gleich ja noch.

Falls Sie damit die Justizpolitik gemeint haben sollten, darf ich Ihrer Aufmerksamkeit zuführen,

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

dass wir in den vergangenen Jahren unserer Regierungszeit die Regierung waren, lieber Herr Justizminister a. D., die die meisten zusätzlichen Stellen in der Justiz geschaffen hat.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Sven Wolf [SPD]: Und wie viele davon sind besetzt?)

Im nächsten Jahr wird das fortgesetzt: 257 neue Stellen im kommenden Jahr – 56 neue Stellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, Stärkung des Justizvollzugs, Bewältigung der Klagewelle in der Sozialgerichtsbarkeit, und wir streichen zusätzlich noch kw-Vermerke.

Die Justizpolitik kann sich also wirklich sehen lassen. Herr Justizminister a. D., Sie wären froh gewesen, wenn Sie diese Stellen hätten schaffen können. Wir tun es jetzt, und das ist gut für die Justiz in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sven Wolf [SPD]: Herr Kutschaty hat Stellen geschaffen und besetzt! Das schafft Herr Biesenbach nicht!)

Und falls Sie, lieber Kollege Kutschaty, mit Ihrer Bemerkung den Fall „Sami A.“ gemeint haben sollten

(Christian Dahm [SPD]: Na guck mal! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und damit Herrn Kollegen Stamp indirekt vorgeworfen haben, das Vertrauen und das Verhältnis zur Justiz nachhaltig beschädigt zu haben, ist die erste Botschaft: Inzwischen ist rechtskräftig entschieden, dass diese Maßnahmen des Kollegen Stamp rechtmäßig waren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ist es wirklich Ihre Position, dass Sie dem Oberverwaltungsgericht, welches so entschieden hat, vorwerfen, dass damit das Verhältnis dieses Oberverwaltungsgerichts zum Rest der Gerichtsbarkeit gestört ist? Glauben Sie das wirklich? Oder glauben Sie sogar ernsthaft, dass es Ihre Position sein kann, dass Joachim Stamp sich dafür bei der Justiz entschuldigen muss, dass Sami A. jetzt in Tunesien ist?

Überlegen Sie mal, wie Sie das den Menschen erklären. Ich finde es gut, dass es rechtmäßig ist, dass Sami A. jetzt in Tunesien ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Gregor Golland [CDU] – Sven Wolf [SPD]: Und was ist mit der Debatte davor, Herr Lienenkämper? Die hat geschadet!)

Dann kommen wir, liebe Frau Kollegin Düker, zur Investitionsquote. Darüber werden wir ganz bestimmt noch viel miteinander diskutieren. Ich will aber versuchen, einige Dinge ins Verhältnis zu rücken.

Ihre Vorwürfe wären glaubwürdiger, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit entweder eine höhere Investitionsquote gehabt hätten als wir oder in Ihrer Mittelfristigen Finanzplanung eine steigende Investitionsquote.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja!)

Beides war nicht der Fall.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihre Mittelfristige Finanzplanung für 2016 bis 2020 sah sinkende Investitionsquoten vor – von 8,8 % auf 8,3 % in 2020.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, da war die Schuldenbremse!)

Wir sprechen jetzt über 10,0 % in 2020 und im Haushaltsentwurf bis 2023 über dann 9,1 %. Unsere schlechteste Zahl ist besser als Ihre beste.

(Beifall von der CDU und der FDP – Monika Düker [GRÜNE]: Da musste man die Schuldenbremse einhalten!)

Und da ich Sie wirklich zu den echten Fachleuten in dieser Debatte rechne, will ich noch etwas ergänzen, was Sie wahrscheinlich tatsächlich noch nicht berücksichtigen konnten, was wir nun aber berücksichtigen sollten; das ist gar kein Vorwurf. Als das Kabinett den Entwurf des Haushalts in der Mittelfristigen Finanzplanung beschlossen hat, war der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ für die Hochschulen noch nicht abgeschlossen. Das heißt, wir konnten Mittel aus diesem Pakt naturgemäß in der Mittelfristigen Finanzplanung noch nicht berücksichtigen.

Zwischenzeitlich ist dieser Pakt abgeschlossen, und er sieht ein Volumen von 490 Millionen Euro für 2022 und 678 Millionen Euro für 2023 vor.

Im Sinne der Investitionsquote sind das Investitionen, und damit würde die Investitionsquote 2022 auf 10,3 % steigen und 2023 noch stolze 9,9 % betragen. Das wird in den nächsten Haushaltsentwürfen der Fall sein.

Sie sehen, dass die Investitionen de facto ungefähr auf dem Niveau bleiben werden, auf dem sie jetzt sind, selbst wenn man die Quote betrachtet.

Nun zu den echten Zahlen – Bodo Löttgen hat es angesprochen, dass sie manchmal aussagekräftiger als die Quote sind.

Während Ihrer Regierungszeit waren für das Planjahr 2020 6,244 Milliarden Euro an Investitionsausgaben vorgesehen. Das Ist dieser Regierung beträgt in Summe 7,987 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung um 28 %. Jetzt sagen Sie bitte noch einmal, wir würden zu wenig investieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie wissen genau wie ich – in dieser Hinsicht haben wir sogar die gleiche Auffassung –, dass die Investitionsquote, so wie sie im Moment gesetzlich vorgeschrieben ist, nicht unbedingt die tatsächlich wirksamen Zukunftsausgaben abbildet.

Beispielsweise zählen die Ausgaben im Bildungsbereich nach der Definition nicht zu der Investitionsquote. Wenn wir etwa in die Kinderbetreuung 662 Millionen Euro zusätzlich stecken, findet das im Sinne der Investitionsquote keine Berücksichtigung.

Sie sind aber eine klassische Zukunftsausgabe für die Kinder in Nordrhein-Westfalen für bessere Bildung, für bessere Teilhabe. Das ist die Voraussetzung für diese Kinder, den Aufstieg in diesem Land zu schaffen. Deswegen sind das in diesem politischen Sinne auch Investitionen.

Sie sehen also, dass der Vorwurf, wir würden zu wenig investieren, völlig falsch ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Schluss der Aussprache zu diesem Teil.

Wir kommen zur Einbringung des Entwurfs des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2020. Dazu erteile ich für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Immer wenn der Landeshaushaltsplan in das Hohe Haus eingebracht wird, ist auch der Zeitpunkt gekommen, an dem wir die Gemeindefinanzierung für das Folgejahr vorlegen.

Sie wissen, welche Aufgaben Gemeinden und Gemeindeverbände in Summe zu tragen haben: Sie kümmern sich um die kommunalen Straßen, um Schulen und Kindertageseinrichtungen, Sporteinrichtungen, Infrastruktur, um die klassische Daseinsvorsorge, also um all das, was das Leben in einer Kommune letztlich ausmacht.

Das ist Sache der Gemeindefinanzierung, denn die Gemeinden und Gemeindeverbände erhalten im Wege des Finanz‑ und Lastenausgleichs zur Ergänzung ihrer eigenen Erträge aus den kommunalen Steuern allgemeine und zweckgebundene Zuweisungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben.

Die Gemeindefinanzierung, die wir Ihnen nun für das Jahr 2020 vorlegen, kann sich blicken lassen. Es handelt sich um eine vorläufig verteilbare Finanzausgleichsmasse in Höhe von rund 12,7 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden zugewiesen werden soll.

Das sind noch einmal rund 2,6 % mehr als im laufenden Jahr 2019 – und der Steuerverbundzeitraum ist noch nicht beendet, denn Stichtag ist der 30. September. Dann rechnen wir, wie Sie wissen, noch einmal neu und können Ihnen die Modellrechnung vorlegen, sodass für die kommunalen Haushaltsplanungen Verlässlichkeit gegeben ist.

Mit dem GFG 2020 endet aber auch eine lange Ära, denn zum ersten Mal seit 2006 wird der Anteil der Kommunen an den Steuereinnahmen des Landes wieder bei echten 23 % liegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Erstmals seit der Gemeindefinanzierung im Jahr 2006 kann auf die Einplanung des sogenannten pauschalen Belastungsausgleichs für etwaige Überzahlungen im Rahmen der Kommunalbeteiligung an den Einheitslasten des Landes – Stichwort: Finanzierung der Deutschen Einheit – verzichtet werden.

Im laufenden GFG im Jahr 2019 ist immerhin noch ein Belastungsausgleich von rund 623 Millionen Euro enthalten. Der fällt im kommenden Jahr weg, womit wieder echte 23 % erreicht werden.

Außerdem hat die Landesregierung von Beginn an den Städten und Gemeinden zugesagt, die Belastung, die SPD und Grüne den Kommunen zugemutet haben, im kommenden Jahr vollständig aufzuheben.

Wir haben mit dem GFG 2018 in einem ersten Schritt die Abundanzumlage abgeschafft und sukzessive den Vorwegabzug zur Finanzierung des Stärkungspaktes Stadtfinanzen abgeschmolzen. Heute tragen wir Ihnen vor, im kommenden Jahr 2020 vollständig darauf zu verzichten.

Allein diese beiden Maßnahmen zusammen bedeuten, dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalen dazu beiträgt, dass seit der Gemeindefinanzierung den Kommunen von 2018 bis einschließlich zum GFG 2020 rund 689 Millionen Euro mehr zur gemeindlichen Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehen, als es unter Rot-Grün der Fall gewesen wäre.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie bereits im GFG 2018 und GFG 2019 wollen wir auch für die Gemeindefinanzierung 2020 eine Voraberhöhung von 216 Millionen Euro vorsehen und geben damit die vom Bund zur Entlastung der Kommunen von den Kosten der Integration übersandten Länderanteile an der Umsatzsteuer eins zu eins weiter.

Wir schlagen Ihnen vor, die Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale, die wir neu eingeführt haben, auf 130 Millionen Euro zu erhöhen. Ich darf noch einmal auf den Grund verweisen, weshalb wir diese Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale eingeführt haben:

Wir sind der Meinung, dass Kommunen, egal wie groß sie sind, gleiche Aufgaben haben. Deswegen wollen wir mit einer sehr einfachen, pauschalierten Zuweisung dazu beitragen, dass diese Aufgaben mit einem gleichen Verteilungsmodus – 50 % Fläche und 50 % Einwohner – entsprechend finanziert werden. Damit erkennen wir an, dass alle Kommunen gleiche Aufgaben zu erledigen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Neben den allgemeinen Zuweisungen, die für die Städte und Gemeinden im kommenden Jahr 2020 verlässlich und damit planbar bleiben, gibt es natürlich auch wieder eine allgemeine Investitionspauschale, mit der wir die Umsetzung all der vor Ort bestehenden Vorhaben und Ideen unterstützen.

Diese allgemeine Investitionspauschale soll sich für das kommende Jahr auf rund 910 Millionen Euro belaufen. Hinzu kommen noch die Sonderbedarfszuweisungen für Infrastrukturmaßnahmen in den Bereichen „Schule, Bildung und Sport“.

Alleine für den Schul‑ und Bildungsbereich stellen wir im kommenden Jahr eine Investpauschale von 676 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind mit den Mitteln aus „Gute Schule“ im kommenden Jahr dann rund 1,18 Milliarden Euro für Investitionen in die schulische Bildungsinfrastruktur, meine sehr geehrten Damen und Herren. – So viel zum Thema Investitionen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir gehen noch einen Schritt weiter. Sie alle wissen, wir diskutieren – ob das hier auf der Ebene des Landes ist oder letztlich auch in den Kommunen – miteinander die Frage der Digitalisierung von Schulen.

Wir wissen, dass viele Kommunen über viele Jahre hinweg laufend in schulische Infrastruktur, in die Attraktivität von Schulen investiert haben und jetzt das Thema Digitalisierung sehr weit oben auf der Tagesordnung steht, wenn es nicht sogar das Topthema ist, wenn es derzeit um kommunale Bildungsinvestitionen geht.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir Ihnen vor, die Schul‑ und Bildungspauschale im Investitionsbereich für eine konsumtive Verwendung durch die Kommunen im Ergebnishaushalt zu öffnen. Damit wollen wir die Kommunen dabei unterstützen, eben aus bestverstandener kommunaler Selbstverwaltung heraus zu entscheiden, wo sie diese Mittel einsetzen können. Das ist aber – darauf legen wir Wert – ausschließlich auf den Schulbereich bezogen.

Wir haben Ihnen des Weiteren vorgelegt, dass wir gerne die landschaftliche Kulturpflege der Landschaftsverbände stärken wollen und hier eine Flexibilisierung vorsehen.

Wir haben ferner dafür Sorge getragen, dass die fiktiven Hebesätze, die wesentliche Berechnungsgrundlage in der Gemeindefinanzierung sind, im Jahr 2020 unverändert bleiben sollen, auch zugesagt im Koalitionsvertrag. Damit setzen wir dem Grunde nach eine Steuerbremse in die Gemeindefinanzierung ein, so wie wir das 2018 schon vorgetragen haben.

(Beifall von der CDU)

Mit der Gemeindefinanzierung für das Jahr 2020 – auf die wesentlichen Eckwerten müssen wir, wie gesagt, noch ein paar Tage warten, bis der Steuerverbund am 30. September endet – legen wir eine Verlässlichkeit vor, die die Kommunen in Nordrhein-Westfalen über viele Jahre vermisst haben.

Darüber hinaus hat diese Landesregierung von Beginn an Wert darauf gelegt, goldene Zügel, die die Vorgängerregierung den Kommunen angelegt hat, abzuschaffen, denn die Kommunen wissen am besten, wo sie vor Ort Gelder investieren, ob das im Investitionsbereich oder im Ergebnisbereich ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wissen – davon gehe ich aus, meine sehr geehrten Damen und Herren –, dass wir möglicherweise auch gleich in der Aussprache zur Einbringung der Gemeindefinanzierung 2020 natürlich auch über den Investitionsstau bei der kommunalen Infrastruktur sprechen. Es ist richtig, dass wir das tun.

Für eines darf ich aber werben: Die kommunale Infrastruktur ist zusammen in die Jahre gekommen. Das sehen wir auch, wenn wir beispielsweise Städtebaufördermittel verausgaben, immerhin über 460 Millionen Euro in diesem Jahr.

Fast alle Maßnahmen, die angetragen werden, haben die Erneuerung kommunaler Infrastruktur zum Gegenstand. Fast alle Maßnahmen haben energiepolitische Maßnahmen, klimapolitische Maßnahmen, umweltpolitische Maßnahmen zum Gegenstand.

All das fördern Bund, Land und Europäische Union im Rahmen der Städtebauförderung genauso wie im Rahmen der Dorferneuerung. Daran merken Sie, dass die Städte und Gemeinden verstanden haben, worauf es ankommt, und wir das verlässlich miteinander begleiten.

Allerdings darf ich für Ehrlichkeit in der Debatte werben: Es wird uns nicht gelingen, eine Infrastruktur, die in 396 Städten und Gemeinden zeitgleich in die Jahre kommt, 50 Jahre alt ist, zeitgleich zu erneuern. Das gelingt nicht.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bund und Land stellen hier eine verlässliche Investition zur Verfügung. Wir stehen nicht nur an der Seite unserer Kommunen, sondern wir stärken ihnen den Rücken, auch mit diesem Entwurf des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2020. Das ist Verlässlichkeit pur gegenüber der kommunalen Familie und der kommunalen Selbstverwaltung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Abgeordneter Dahm das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Christian Dahm (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was ich mitgenommen habe, Frau Ministerin, aus Ihrer Rede, ist das Wort „Verlässlichkeit“.

Da sage ich an dieser Stelle schon sehr deutlich: Es hat mich irritiert. Verlässlich – darauf komme ich noch im Zuge meiner Rede – ist dieses Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen wahrlich nicht; das will ich gleich zu Beginn feststellen.

Um es vorwegzunehmen: Der vorliegende Entwurf zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 ist nicht der große Wurf. Es zeigen sich nach wie vor Schieflagen, und es zeigen sich nach wie vor Verwerfungen.

Ihnen fehlt es an Kraft, Ihnen fehlt es an Mut, Ihnen fehlt es an Innovation, etwas in diesem Gemeindefinanzierungsgesetz umzusetzen. Stattdessen halten Sie überwiegend an den Parametern der Vorjahre fest.

Einige Dinge haben Sie genannt; das muss man schon sagen. Sie benennen hier „Gute Schule 2020“, Einheitslasten haben Sie auch genannt. Ich glaube, das ist an dieser Stelle nicht Ihr Verdienst.

Ich will weitere Beispiele nennen. Sie selbst befürworten – jetzt wird es ein bisschen technisch – die Notwendigkeit einer Einwohnergewichtung für die Hauptansatzbildung im Finanzausgleich. Dieses Instrument haben Sie im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP festgelegt und daraufhin ein Gutachten in Auftrag gegeben.

Doch statt einer Aktualisierung der Grunddaten, die Sie politisch einfordern, erfolgt nichts. Ihnen ist es nicht gelungen, den Dissens – die Spitzenverbände beurteilen Ihr Gutachten ja durchaus unterschiedlich – mit den kommunalen Spitzenverbänden zu klären.

Dabei sind die Probleme nach meinen Informationen nicht unlösbar und die Verbände durchaus verhandlungsbereit. Diese Verhandlungen und diese Problemlösungen sind Sie bisher nicht angegangen.

Stattdessen werden weitere Untersuchungen gefordert mit dem Ergebnis: Es bleibt alles so wie in diesem Jahr – aus meiner Sicht ein Widerspruch zu Ihren politischen Forderungen und auch zu den Ansprüchen.

Dann haben Sie die fiktiven Hebesätze angesprochen. Bei den fiktiven Hebesätzen haben Sie auch für das kommende Jahr die künstlichen Abschlagsregelungen vorgenommen. Wir halten diese Maßnahme für verfehlt – ich sage das ganz deutlich – wie im Übrigen alle kommunalen Spitzenverbände ebenso. Dies trägt nämlich nicht zur Entspannung bei den Hebesätzen bei.

Dann haben Sie die Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale genannt. Das ist eine neue Position, die es seit diesem Jahr gibt. Sie ist und sie bleibt in diesem Gesamtsystem der Gemeindefinanzierung systemwidrig.

(Beifall von der SPD)

Interessanterweise heben Sie diese Pauschale mit 8 % überproportional an – im Gegensatz zum übrigen Gemeindefinanzierungsgesetz.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Gegenruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

– Herr Dr. Nolten, sprechen Sie doch mit mir, bevor Sie mit den Kollegen sprechen. Fragen Sie mich doch; Sie kriegen vielleicht von mir auch eine Antwort, aber vielleicht hören Sie mir erst zu.

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Das wäre im Übrigen eine Möglichkeit, die Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale, die Straßenausbaubeiträge für die Kommunen zu finanzieren.

(Beifall von der SPD)

Jetzt müssten wir nur noch mit Ihnen gemeinsam den umstrittenen § 8 im Kommunalabgabengesetz streichen. Das würde die Situation in Nordrhein-Westfalen enorm befrieden, aber auch dafür fehlen Ihnen die Kraft und der Mut.

Ich möchte Ihnen noch einen weiteren Punkt nennen, der Ihre Handlungsunfähigkeit und Ihr Zaudern belegt – Stichwort: Altschuldenfonds.

In der letzten Woche wurden vom Statistischen Bundesamt die Zahlen zu den Kassenkrediten der kommunalen Kernhaushalte in Jahr 2018 bekannt gegeben. Die Höhe der kommunalen Kassenkredite gegenüber Kreditinstituten beläuft sich bundesweit auf über 35 Milliarden Euro.

Davon entfallen allein auf die Kommunen in Nordrhein-Westfalen über 22 Milliarden Euro. Das sind fast zwei Drittel der gesamten kommunalen Kassenkredite in ganz Deutschland.

(Zuruf von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung)

Die Gemeinden und Gemeindeverbände in Nordrhein-Westfalen sind damit am höchsten mit Kassenkrediten verschuldet. Diese Schulden oder Liquiditätskredite legen unseren Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Fesseln an.

(Zuruf von der CDU: Ihre Politik auch!)

Ich will an dieser Stelle den Vorsitzenden des NRW-Städtetages, den Oberbürgermeister von Hamm, Herrn Thomas Hunsteger-Petermann, der übrigens Ihrer Partei angehört, zitieren:

„Das Altschuldenproblem der NRW-Städte muss in NRW gelöst werden, unabhängig davon, ob und wie der Bund das Land und die Kommunen unterstützt.“

(Beifall von der SPD)

Doch was passiert hier in Nordrhein-Westfalen? – Nichts. Schweigen.

Dass das Abwarten gegenüber dem Bund nicht gerade förderlich ist, haben wir hier schon mehrfach gehört. Auch in Berlin erwartet man ein Signal aus Nordrhein-Westfalen. Das hat Ihnen die Co-Vorsitzende der zuständigen Arbeitsgruppe der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vor der Sommerpause auch sehr eindrücklich ins Stammbuch geschrieben.

Dabei sind handlungsfähige Kommunen eine unabdingbare Voraussetzung für einen funktionierenden Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern eine lebens‑ und liebenswerte Heimat bietet. Es braucht jetzt eine zügige Lösung hier in NRW.

Dass es auch anders geht, zeigt der Blick nach Hessen. Dort ist die Hessenkasse eingerichtet worden. Die Kommunen haben so ein Stück Handlungsfreiheit zurückbekommen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Das wäre auch sicherlich ein Vorbild für NRW.

Als SPD-Fraktion fordern wir eine gemeinsame Initiative zur Lösung der Altschulden. Unsere Idee für einen Altschuldenfonds liegt auf dem Tisch.

Ich sage es hier noch einmal sehr deutlich: Wir bieten Ihnen erneut unsere Unterstützung in dieser Sache an. Das ist, wie wir finden, eine Generationenaufgabe, die wir gemeinsam lösen sollten – sowohl hier auf der Landesebene als auch auf der Bundesebene.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Rahmenbedingungen für einen Befreiungsschlag der Kommunen sind denkbar günstig. Nicht nur die niedrigen Zinsen spielen dabei eine Rolle; auch die Regierungskommission auf Bundesebene „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat in ihrem Abschlussbericht diese Notwendigkeit gesehen.

Wenn der Bund grundsätzlich bereit ist, Kommunen mit hohen Schulden zu helfen, ist das ein hervorragendes Zeichen für die Städte in Nordrhein-Westfalen. Es wäre ein Paukenschlag – aber wo bleiben die Signale dieser Landesregierung hierzu?

Nach wie vor kämpfen die meisten Städte in Nordrhein-Westfalen mit erheblichen Finanzproblemen und sind von einem Haushaltsausgleich weit entfernt.

Ursächlich hierfür sind die stetig steigenden Aufwendungen für Sozialausgaben, die gerade in Nordrhein-Westfalen ein hohes Niveau haben.

Ursächlich ist aber auch die fehlende Unterstützung der Kommunen durch diese Landesregierung, beispielsweise bei den Flüchtlingskosten. Diese Regierung hatte zugesagt, die tatsächlichen Kosten anzuerkennen und rückwirkend zu erstatten, aber auch hier brechen Sie Ihr Wort.

Unterstützung für unsere Kommunen in Nordrhein-Westfalen? – Fehlanzeige, meine Damen und Herren. Damit entziehen Sie den Kommunen seit 2018 mindestens 300 Millionen Euro.

Darüber hinaus fordern wir, den Personenkreis, für den eine Erstattung gezahlt wird, auf die Geduldeten auszuweiten. Das sind mindestens weitere 300 Millionen Euro, die die kommunalen Haushalte in Nordrhein-Westfalen zurzeit belasten.

Unterm Strich – das haben wir letzte Woche in der Anhörung noch einmal sehr deutlich von allen Experten zu hören bekommen – ist eine Reform des FlüAG dringend geboten, doch auch hier hören wir von Ihnen nichts – Fehlanzeige an dieser Stelle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit wird deutlich: Verlierer dieser Haushaltsberatungen und Ihrer GFG-Entwürfe sind die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die einen deutlich höheren Anspruch haben.

Zwar steigt die Summe der Ausschüttungen in absoluten Zahlen – Sie haben ja eben die Zahlen genannt – auf über 12,6 Milliarden Euro. Ich muss aber sehr deutlich machen, dass dies keine politische Hochleistung der jetzigen Regierung ist. Das ist vielmehr unter anderem der wegfallenden Beteiligung an den Einheitslasten des Landes geschuldet

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ausschließlich!)

und auf die gute wirtschaftliche Situation und die gute Beschäftigungslage der vielen fleißigen Menschen hier Nordrhein-Westfalen zurückzuführen. Das ist doch der wahre Grund.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie hingegen enthalten den Kommunen ihren entsprechenden Anteil vor; ich glaube, ich habe das eben sehr deutlich gemacht.

Wir sind davon überzeugt, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen Besseres verdient haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dahm. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Déus das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Herr Dr. Nolten, jetzt nicht wieder reinrufen!)

Guido Déus (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die Landesregierung hat auf Vorschlag der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung den Entwurf des Gemeindefinanzierungsgesetzes – zukünftig kurz GFG genannt – beschlossen und am heutigen Tag gemeinsam mit dem Haushaltsgesetz 2020 und dem Haushaltsbegleitgesetz in das parlamentarische Verfahren eingebracht.

Das GFG NRW regelt den kommunalen Finanzausgleich. Im GFG werden jedoch nicht nur die Höhe der Gesamtzuweisungen und die Struktur der Zuweisungen festgelegt; mit dem GFG werden vielmehr die Leitplanken für unsere kommunale NRW-Familie und für die kommunalpolitischen Möglichkeiten vor Ort im Jahr 2020 gesetzt.

Die Ausgestaltung des vorliegenden Entwurfs zum GFG nimmt die Themen, Sorgen und Chancen der Menschen vor Ort auf. Das GFG ist lösungs‑ und zukunftsorientiert und bildet für alle 396 NRW-Kommunen – anders als Sie es gesagt haben, Herr Dahm – einen sehr verlässlichen Rahmen. Dabei haben wir stets im Blick, dass sich die Finanzlagen, die Strukturen und auch die Herausforderungen vor Ort unterschiedlich darstellen.

Parteiübergreifend sollte Einigkeit darüber bestehen, dass das Ziel darin besteht, eine solide und handlungsstarke kommunale Familie in NRW zu haben. Daran arbeiten wir seit der Regierungsübernahme 2017 konsequent und äußerst verlässlich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren Themen bearbeitet, die uns zumeist die rot-grüne Landesregierung als großen schweren Rucksack mit auf den Weg gegeben hat. Wir haben die Schul‑, die Sport‑ und die Bildungspauschale erhöht und dynamisiert, damit Schulen und Kitas renoviert, Turnhallen modernisiert oder städtische Gebäude energetisch saniert werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein wirklich guter Tag für die Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände in NRW, denn gemäß Entwurf und Vorschlag der ressortverantwortlichen Ministerin Ina Scharrenbach zum GFG werden für den kommunalen Finanzausgleich im Jahre 2020 rund 12,7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.

Ganz konkret bedeutet dies: In der Summe wird die kommunale Familie in NRW im kommenden Jahr 316 Millionen Euro und damit gerundet 2,6 % mehr Finanzmittel als im laufenden Jahr erhalten. Das ist eine Gemeindefinanzierung auf Rekordniveau.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die NRW-Koalition konnte in den vergangenen Jahren wichtige politische und haushalterische Kurskorrekturen vollziehen – auch hinsichtlich der Gemeindefinanzierung. Im Ergebnis werden Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände über so hohe Finanzmittel verfügen wie nie zuvor – und dies bei einem Haushalt, der an der schwarzen Null festhält.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Was bedeutet das konkret für die kommunale Familie? – Es bedeutet finanzkraftabhängige Schlüsselzuweisungen in Höhe von 10,7 Milliarden Euro und finanzkraftunabhängige pauschalierte Zuweisungen in Höhe von 1,8 Millionen Euro.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das sind Milliarden, keine Millionen!)

Bereits seit dem GFG 2019 steht der kommunalen Familie zudem eine weitere Zuweisung, eine finanzkraftunabhängige Aufwands‑ und Unterhaltungspauschale für die gestiegenen Bedürfnisse im Bereich der gemeindlichen Unterhaltungs‑ und Sanierungsmaßnahmen der kommunalen Infrastruktur zur Verfügung.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das sind aber Milliarden!)

Auf eine Zweckbindung – und das ist ganz entscheidend, liebe Kolleginnen und Kollegen – wird zugunsten flexibler Einsatzmöglichkeiten bewusst verzichtet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, es ist eine ganz besondere Leistung, dies erkannt und den Kommunen mehr Spielraum gegeben zu haben. Dafür sind im Entwurf 130 Millionen Euro veranschlagt; das ist ein Plus um satte 10 Millionen Euro.

Was bedeuten jetzt diese Regelungen für unsere Städte und Kommunen vor Ort? – Das möchte ich mit Ihrer Erlaubnis gerne an einer Stadt verdeutlichen, die ich nun mal besonders gut kenne, nämlich an meiner Heimatstadt Bonn.

Die Bundesstadt Bonn erhält 2020 nach der vorläufigen Modellrechnung Gesamtzuweisungen in Höhe von knapp 158 Millionen Euro. Im Jahr 2017, also zum Zeitpunkt der Regierungs‑ und Verantwortungsübernahme seitens CDU und FDP, waren es 88,5 Millionen Euro. Das bedeutet: Seit 2017 sind für Bonn die Schlüsselzuweisungen um fast 50 % gestiegen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?)

– Doch, Herr Kollege.

Natürlich profitieren Bonn und die anderen 395 Städte und Gemeinden von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und den guten Steuereinnahmen; das will ich nicht verschweigen. Über die gute wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land in den vergangenen Jahren wird sich vermutlich auch niemand von uns ernsthaft beschweren wollen, aber es ist unsere Finanzpolitik, die diese Entwicklung sichert.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Der Redenschreiber ist derselbe wie bei Herrn Hoppe-Biermeyer! Das ist ja furchtbar!)

Jetzt zum Kollegen Dahm: Keine unserer Städte und Gemeinden wird an Finanzkraft verlieren.

Sie werfen uns das KAG vor; da haben Sie 50 Jahre lang nichts getan. Wir kommen jetzt auf eine 50%ige Abschaffung der Gebühren für die Bürgerinnen und Bürger.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! – Michael Hübner [SPD]: Das ist keine 50%ige Abschaffung!)

– Ein bisschen Stimmung tut der Debatte gut.

Sie sagen: Sofia wird nicht umgesetzt.

(Christian Dahm [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

Sofia ist in Teilen schon 2019 umgesetzt worden. Ich halte es für angemessen, wie wir damit umgegangen sind.

Sie sagen: Pauschalen sind systemwidrig.

(Christian Dahm [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Das ist einfach nur – entschuldigen Sie das Wort – Unsinn.

Sie sagen, wir würden Bundesmittel nicht weitergeben.

(Christian Dahm [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Sie waren es, die Bundesmittel in erheblichem Millionenumfang nicht weitergegeben haben, insbesondere bei den Flüchtlingskosten. Diese haben wir dieses Jahr komplett weitergegeben.

(Christian Dahm [SPD]: FlüAG – das ist kommunales Geld, kein Bundesgeld!)

Das haben Sie in Ihrer gesamten Regierungszeit nicht geschafft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben den Städten und Gemeinden seit Mai 2017 wieder den Stellenwert eingeräumt, der ihnen nach unserer Verfassung – Art. 28 Abs. 2 GG – zugeordnet ist. Die kommunalen Untergliederungen bilden das Fundament unseres Gemeinwesens.

Unsere Landesregierung ist ein verlässlicher und nachhaltiger Partner der Kommunen. Wir setzen den politischen Kurs, der den Kommunen solide Finanzen, mehr Handlungs‑ und Gestaltungsmöglichkeiten sowie stärkere Investitionen ermöglicht, konsequent fort.

Der Entwurf zum GFG beinhaltet erstmals seit 2006 wieder echte 23 % der Einnahmen des Landes aus seinem Anteil an Körperschaft‑, Einkommen‑ und Umsatzsteuer.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bereits mit dem GFG 2018 wurde der Vorwegabzug nach § 2 Abs. 3 Stärkungspaktgesetz sukzessive verringert, und die Kommunen wurden entsprechend entlastet.

Mit dem für 2020 vorliegenden Entwurf wird sogar vollständig auf den Vorwegabzug zur Finanzierung des Stärkungspakts Stadtfinanzen verzichtet. Somit erhalten die Kommunen allein hieraus 124 Millionen Euro mehr in die Verteilmasse.

(Michael Hübner [SPD]: Das war doch von vornherein der Plan! Das können Sie sich doch jetzt nicht auf die Fahne schreiben, Herr Déus!)

Zudem ist im Entwurf zum GFG 2020 eine Vorwegerhöhung von 216 Millionen Euro eingerechnet. Ja, auch das sind Kosten, die der Bund zur Entlastung der Kommunen erstattet; aber wir geben sie weiter. Ihr Vorwurf geht ins Leere, lieber Kollege Dahm.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Opposition, wir reden heute über die Einbringung des Haushalts und des GFG. Wir werden noch ausreichend Gelegenheit haben, dies zu vertiefen.

Seien Sie versichert, dass wir uns im ständigen, intensiven und an den Leitlinien unserer Kommunalpolitik orientierten Austausch mit den Menschen vor Ort, mit den Kommunalpolitikern vor Ort und den kommunalpolitischen Verbänden befinden. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Déus. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Mostofizadeh das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Déus, Sie haben heute zum ersten Mal in dieser Funktion zum GFG gesprochen. Herzlichen Glückwunsch. Mit dem Inhalt hat es noch nicht so ganz geklappt.

(Zuruf von der FDP: Ah!)

Damit sich das, was die Betrachtung des GFGs anbetrifft, nicht verfestigt, ist Folgendes wichtig: Herr Kollege, dass die Stadt Bonn 50 Millionen Euro Schlüsselzuweisungen bekommen hat, ist nicht zwingend ein gutes Signal für diese Stadt. Das hängt im Wesentlichen damit zusammen – das können Ihnen die Ministerin oder sicherlich auch andere erläutern –, dass die Finanzkraft der Stadt Bonn in diesem Jahr offensichtlich, bezogen auf den Bezugszeitraum, im Verhältnis zu der anderer Städte weniger angestiegen ist. Deswegen kommen diese Schlüsselzuweisungen. Sonst hätte die Stadt Bonn nur einen Zuwachs von 2,6 %, um den das GFG insgesamt angestiegen ist.

Bitte nehmen Sie das Beispiel nicht wieder! Es ist von der Systematik her schlicht falsch. Ihr Kollege nebenan kann es Ihnen möglicherweise erläutern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann komme ich zu einem Punkt aus der Haushaltsrede des Fraktionsvorsitzenden der CDU. Das war ja schon beeindruckend, dass er den Regionalplan Ruhr hier als Beispiel in die Haushaltsrede mit einbringen musste. Nur zur Information derjenigen, die hier im Landtag sitzen: Die CDU, mit Herrn Mitschke an der Spitze, ist Teil einer Koalition im Regionalverband, die die Entscheidung zum Regionalplan bis zum heutigen Tage mitgetragen hat. Deshalb hat der Landtagsabgeordnete der FDP in kollegialer Aussage den Rücktritt unter anderem des CDU-Frak-tionsvorsitzenden gefordert. So viel zur Mitverantwortung der CDU bei diesem Regionalplan, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Frau Ministerin, ein Punkt in Ihrer Rede hat mich einigermaßen erstaunt: Wir reden ja auch über die Herleitung des GFG. Der wichtigste Aspekt müsste sein: Wie muss eine Struktur einer Gemeindefinanzierung aussehen? Mittlerweile wissen wir – mir liegt auch ein Bericht der Helaba vom heutigen Tage zum Frühstück vor, und wir haben zahlreiche Anhörungen zum GFG durchgeführt –: Die Unterschiede bei den Städten und Gemeinden rühren unstreitig von den sozialen Disparitäten in diesem Lande her, was auch von Ihnen nicht bestritten wird.

Eine Stadt wie Essen zahlt, umgerechnet auf die Einwohner, 100 Millionen Euro mehr Soziallasten als eine mittlere Stadt der Rheinschiene. Das müssen Sie doch dazusagen. Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, die Aufgaben der Städte sind gleich, und deswegen machen wir diese Aufwandspauschale. Die Stadt Düsseldorf hat doppelt so viele Gewerbesteuereinnahmen wie Essen, obwohl Essen in den letzten Jahren noch ganz gut dabei gewesen ist.

Die Wahrheit ist: Unsere Städte und Gemeinden haben ganz unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen. Deswegen müssen sie – und das werden Sie Gott sei Dank auch im GFG immer noch – unterschiedlich behandelt werden, damit es zu einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse kommt. Es ist totaler Unsinn, zu behaupten, sie hätten die gleichen Aufgaben und müssten deshalb das gleiche Geld bekommen. Deswegen ist diese Pauschale auch falsch, Frau Ministerin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Dahm [SPD]: Sie haben keine Steuerungsfunktion!)

Das ist – das hat Kollege Dahm gut herausgearbeitet –, was die Struktur des GFG anbetrifft, die wesentliche Änderung gegenüber dem letzten Jahr:

(Zuruf von der SPD: Sehr gut sogar!)

Die Pauschale wird überproportional angehoben. Da kann ich nur sagen: Das ist schlicht nichts anderes als ein Geschenk an Ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, und Sie glauben, damit Geländegewinne zu machen. Es ist aber fachlich falsch und auch sozial ungerecht, Frau Ministerin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch die Änderung des Stärkungspaktgesetzes steht hier an, und Sie haben die Befrachtung angesprochen. Sie haben im Koalitionsvertrag versprochen, den Kommunalsoli abzuschaffen, und Sie haben das auch getan. Sie haben ihn aber, anders als im Koalitionsvertrag versprochen, nicht kompensiert. Sie haben schlicht die Zuführung zum Stärkungspakt gestrichen. Das Gleiche haben Sie mit den Befrachtungen gemacht.

Das heißt auf Deutsch: Diese Landesregierung sieht offensichtlich keine Notwendigkeit mehr, ein Entschuldungsprogramm der Landesregierung für die Kommunen weiter mit Geld zu füttern. Nichts findet man in der Mittelfristigen Finanzplanung zum Thema „Stärkungspakt“, zum Thema „Altschulden“ – Ende der Durchsage dieser Landesregierung. Die Entschuldung machen Sie auf dem Rücken der Kommunen, und Sie bringen keine Entschuldungsprogramme für die Kommunen auf den Weg. Das muss ich heute leider feststellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Damit das nicht in Vergessenheit gerät: Wir haben heute Mitte September. Ende dieses Jahres erwartet das Verfassungsgericht eine verfassungskonforme Grundsteuerregelung auf Bundesebene. Ich habe den Eindruck, dass diese FDP, die hier im Landtag sitzt, alles daransetzt, diese Grundsteuer zu unterlaufen und 3,6 Milliarden Euro für die Finanzierung der Kommunen zu hintertreiben.

(Zurufe von der FDP)

Denn ich sehe immer noch nicht, wie diese Landesregierung dafür sorgt, dass die Grundsteuer auf Bundesebene gerettet wird und ein verfassungskonformer Gesetzentwurf endlich durch den Bundestag geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Ralf Witzel [FDP]: Blödsinn!)

– Ja, Herr Witzel, Sie erzählen genug Blödsinn. Da können Sie den einen Satz von mir auch ertragen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Kommen wir zum nächsten Punkt, Frau Ministerin, was die Geduldeten und die Geflüchteten anbetrifft. Familienminister Stamp hat im März dieses Jahres gegenüber diesem Parlament behauptet: Wir sind in guten und konstruktiven Gesprächen mit den Kommunen.

(Christian Dahm [SPD]: So ist das!)

Es handelt sich zunächst einmal nur um die Frage, bereits 2016 von Rot-Grün vorgelegt und von dieser Landesregierung übernommen, der Erstattung der Kosten für die Geflüchteten, die die ersten drei Monate im Land sind. Sie haben das Gutachten ausgewertet, das wir noch in Auftrag gegeben haben. Es ist festzuhalten, dass Herr Lenk bereits vor einem Jahr festgestellt hat, dass die Kosten im Schnitt um 2.500 Euro höher liegen als das, was damals vereinbart worden ist.

Die Landesregierung hat gegenüber den Kommunen sehr klar versprochen, das Geld eins zu eins zu erstatten. Sie haben es bis zum heutigen Tag nicht geschafft, einen Entwurf vorzulegen. Sie betrügen die Kommunen schlichtweg um mindestens 300 Millionen Euro pro Jahr. Da bin ich ganz bei der Zahl, die auch Herr Dahm hier vorgetragen hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Hinzu kommt – das ist auch richtig festgestellt worden –, dass Sie nicht willens sind, eine Lösung für die Menschen, die länger als diese Monate hier sind, bereitzustellen und eine Finanzierung auf den Tisch zu legen.

Nun komme ich zu dem Punkt, der mich wirklich umtreibt und von dem ich glaube, dass diese Landesregierung endlich handeln muss, aber in eine Schockstarre verfallen ist, die ich nicht verstehen kann. Schon bei den Geduldeten und bei der Flüchtlingsfinanzierung scheinen Sie offensichtlich auf Kosten der Kommunen einen Sparstrumpf aufmachen zu wollen oder zu müssen – aufgrund Ihrer Haushaltspolitik.

Noch eine Zahl dazu. Um sie zu finden, möge man in die Mittelfristige Finanzplanung reingucken, was die wenigsten tun. Das verstehe ich auch, das ist hartes Brot, schwierige Zahlen. Dort ist zu lesen, dass das Land Nordrhein-Westfalen allein gegenüber dem Jahr 2019 im Jahr 2020 fast 800 Millionen Euro bei den Kosten der Zuwanderung einspart.

Ich habe Ihnen schon mal vorgerechnet, Sie geben als Land bereits bei der Unterbringung der Geflüchteten 1,7 Milliarden Euro weniger aus – mittlerweile dürfte es noch mehr sein –, als das im Jahr 2016 der Fall gewesen ist.

Trotz bester Steuereinnahmen – noch einmal 4 Milliarden Euro mehr –, trotz sinkender Kosten bei der Unterbringung der Geflüchteten sparen Sie auf dem Rücken der Kommunen bei den Geflüchteten. Das ist nicht hinzunehmen, und das spaltet auch die Kommunen, Frau Ministerin!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zeigen Sie mir die Stelle im Haushaltsplan und in der Mittelfristigen Finanzplanung, wo die Summe steht, die da kommen soll. Darüber wäre ich sehr froh.

Zum Stärkungspakt: Das Konzept ist relativ einfach. Die Zinsen sind die niedrigsten aller Zeiten. Die betroffenen Kommunen haben Ihnen sehr klar versichert: Wir sind dabei, einen hohen Anteil an der Konsolidierung hinzulegen. Es gibt Konzepte, die sich relativ ähneln und nach denen der komplette Abbau der Altschulden betreffend die Kassenkredite in 30 Jahren machbar ist.

Was passiert? – Das Land Hessen legt ein Konzept vor, hat es bereits administriert. Das Saarland legt ein Konzept. Das Land, das mit zwei Dritteln der Kassenkredite am härtesten betroffen ist, unternimmt nichts, obwohl die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ von den Ländern Konzepte gefordert hat, damit sie umgesetzt werden können. Das ist fast schon ein Skandal und eine Missachtung der kommunalen Familie in Nordrhein-Westfalen, Frau Ministerin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt will ich Ihnen einmal berichten, was ein nicht ganz unwesentlicher Mann in diesem Zusammenhang – zu lesen am letzten Freitag in der „Süddeutschen Zeitung“ – gesagt hat. Der Ministerpräsident selbst sagte, dass es ja auch einmal einen Aufbau West geben müsse. Auf die Frage, was denn sofort zu tun und die wichtigste Aufgabe sei, antwortete der Ministerpräsident, da den Kommunen vor allem die Altschulden Probleme bereiteten, müsse man jetzt sofort einen Altschuldenfonds vorlegen.

Der Ministerpräsident hat recht, aber diese Landesregierung tut nichts. Das ist ein absolutes Versäumnis, und ich erwarte noch in diesen Haushaltsberatungen ein Konzept, das tragfähig ist und es ermöglicht, die 23 Milliarden Euro Kassenkredite endlich abzubauen. Das ist Grundvoraussetzung für alles Handeln in diesen Kommunen. Sonst werden die Kommunen nicht mehr handlungsfähig sein. Da kann ich Entsprechendes von Professor Lenk vorlesen, da kann ich die Helaba zitieren, da kann ich die Beiträge aller Experten in den Expertenrunden vorlesen.

Handeln Sie endlich, sonst versündigen Sie sich an der Zukunft dieser Kommunen. Noch nie war es so einfach wie in diesen Tagen, Frau Ministerin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mostofizadeh.

Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Höne das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Regierungswechsel 2017 hat die Nordrhein-Westfalen-Koalition, die NRW-Koalition, auch bei der Kommunalpolitik eine Kurskorrektur eingeleitet. Diese Korrektur wird auch mit dem GFG 2020 konsequent fortgesetzt.

Ein Beispiel – einige sind in der Debatte schon genannt worden – ist der Kommunalsoli. Ich will noch einmal kurz daran erinnern, dass dieser Kommunalsoli von Kommunen ohne ausgeglichenen Haushalt bezahlt wurde. Es haben also aus der Sicht von SPD und Grünen reiche Kommunen – vermeintlich reiche Kommunen – Schulden aufgenommen, um einen entsprechenden Solidaritätsbeitrag zu bezahlen. Das ist eine sehr komische Vorstellung von einem solchen Soli.

2020 also – das wurde eben schon angesprochen – erstmals der vollständige Verzicht auf den Vorwegabzug zur Finanzierung des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“. Das bedeutet allein durch diese Maßnahme 124 Millionen Euro mehr für die kommunale Familie Nordrhein-Westfalens.

Zu den Gesamtzahlen hat die Ministerin in ihrer Einbringungsrede eben schon ausgeführt. Das geschieht übrigens schon; das geschieht, ohne dass auch nur eine Stärkungspaktkommune beim Empfang von Mitteln schlechtergestellt wird als vorher. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied, auf den ich noch einmal hinweisen muss.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Christian Dahm [SPD])

Und ich freue mich sehr, dass wir frühzeitig mit dem GFG 2020 das im Koalitionsvertrag versprochene Ziel erreichen, nämlich echte 23 % von der Verbundmasse für die Kommunen. Ich sage das noch einmal, weil ich das auch politisch für ein wichtiges Signal halte. Nachdem jahrelang bei der Gesamtausgleichsmasse vor- und zurückgerechnet wurde – hier etwas dazu, da etwas weg –, kann jetzt wieder ganz klar abgelesen werden: Hier gibt es 23 %! Und es wird politisch enorm schwierig sein – ich hoffe auch nicht, dass es passiert –, da wieder dranzugehen. Das ist ein Versprechen, das die Kommunen finanziell dauerhaft stärkt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich habe eben dem Kollegen Dahm interessiert zugehört, als er ein bisschen in die tiefere Technik der Gemeindefinanzierung in Nordrhein-Westfalen eingestiegen ist. Ich nehme davon zwei interessante Ergebnisse mit:

Nummer 1: Sie hätten gerne, dass das Gutachten zum Thema „Einwohnerveredelung“ eins zu eins umgesetzt wird, und Sie wollen den Kommunen die Unterhaltungspauschale wieder wegnehmen.

(Christian Dahm [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das ist das Ergebnis Ihrer Rede. Ich freue mich außerordentlich darauf, das mit den kommunalen Spitzenverbänden zu diskutieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir können noch einmal über dieses Gutachten in Bezug auf die Einwohnerveredelung sprechen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich mir das in Ruhe anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass ich den Inhalt des Gutachtens dazu eins zu eins unterschreiben würde – die kommunalen Spitzenverbände übrigens auch nicht, ganz gleich, wen Sie da fragen.

Ich füge hinzu, denn auch das gehört zu einer ehrlichen Bewertung: Würde man das eins zu eins umsetzen, welche Kommunen wären dann am stärksten davon betroffen? – Das wären insbesondere die Kommunen, die heute schon finanziell die größten Lasten zu tragen haben. Wollen Sie jetzt ernsthaft auf der Basis einer irgendwie technisch herbeikonstruierten Kritik von uns verlangen, dass wir gerade den Kommunen, denen es finanziell am schlechtesten geht, durch eine solche Regelung jetzt noch etwas wegnehmen? Ist das ernsthaft Ihre Forderung?

(Christian Dahm [SPD]: Aber das habt Ihr doch im Koalitionsvertrag vereinbart, nicht wir!)

– Das stimmt nicht, Herr Dahm, was Sie da hereinrufen. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht.

Es gibt übrigens auch aus den kommunalen Spitzenverbänden, auch aus dem Städtetag, wenn man offen und ehrlich fragt, durchaus Kritik daran, wie heute die Einwohnerveredelung konstruiert ist. Passt das so in der Kurve? Nirgendwo im Koalitionsvertrag steht, dass wir das zulasten von irgendwem verändern wollen, sondern wir haben gesagt, wir wollen das einer Überprüfung zuführen, und diese Überprüfung muss sachlich sauber sein. Was Sie eben beigetragen haben, war alles andere als das.

(Christian Dahm [SPD]: Genau, nichts anderes habe ich gesagt!)

Ihre Rede lässt nur den einen Schluss zu: Sie wollen, dass das Gutachten so umgesetzt wird, dieses Gutachten, bei dem ich und auch die kommunalen Spitzenverbände große systematische Fragezeichen und Schwächen sehen. Insofern ist es genau richtig, das nicht einfach blind umzusetzen, sondern sich durchaus Gedanken darüber zu machen, und das tun wir.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, das GFG steigt im Gesamtvolumen auf 12,7 Milliarden Euro. Das sind in etwa 400 Millionen mehr als vorher.

Die Wahrheit ist, dass die Dynamik bei den Steigerungen bei den Gesamtsteuereinnahmen nachlässt. Das ist – wie ich finde – insgesamt ein Warnsignal. Darum bräuchte es, wenn ich mir diesen seitlichen Hinweis erlauben darf, insbesondere beim Bund etwas mehr Überlegungen dahin gehend, wie wir einer drohenden wirtschaftlichen Abkühlung wirksam begegnen können.

Meine Damen und Herren, die Koalition aus CDU und FDP stärkt mit dem GFG 2020 die Investitionsfähigkeit der Kommunen weiter. Die gegenseitige Deckungsfähigkeit ist angesprochen worden. Das ist ein Vertrauensbeweis unsererseits in Richtung der Kommunen: Vor Ort kann entschieden werden, vor Ort soll auch entschieden werden.

Die Ministerin hat eben das Bild der goldenen Zügel genannt. Auch goldene Zügel – also auch Förderprogramme und -progrämmchen, die dazukommen und bei denen mit Geld gelockt wird – bleiben am Ende aber Zügel. Das ist nicht unser Bild von kommunaler Selbstverwaltung. Wir wollen, dass die Kommunen vor Ort frei und ohne lenkendes Geld entscheiden können.

Die Investitions- und Unterhaltungspauschale steigt, ja. Aber das ist aber ein Beitrag unsererseits, um Investitionsstaus vor Ort zu begegnen. Damit wird man sie zwar nicht von heute auf morgen abschaffen können, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung – übrigens auch gepaart mit der Reform, die wir beim NKF beschlossen haben und bei der wir Fehlanreize, die vorher im Bereich „Investitionen und Unterhaltung“ bestanden, abgebaut haben.

Meine Damen und Herren, eine Debatte zu den Kommunalfinanzen, ohne die Altschulden zu erwähnen, ist schwer vorstellbar. Ich will darum auch noch einmal gerne darauf eingehen.

Herr Kollege Mostofizadeh, Sie wissen, dass wir fachlich durchaus bei dem einen oder anderen übereinstimmen. An einer Stelle muss ich allerdings doch relativ deutlich widersprechen. Sie haben gerade gesagt, dass man das einfach einmal machen müsste. – Dass das einfach wäre – da sind wir uns wahrscheinlich auch einig, weil Sie es nicht so gemeint haben –, glaube ich nicht.

Meine Damen und Herren, wir als NRW-Koalition haben im Koalitionsvertrag eine Zusage gegeben, und diese Zusage gilt. Wir wollen den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ zu einer Altschuldenhilfe weiterentwickeln, ohne jedoch kommunale Schulden zu „vergemeinschaften“.

Der Vertrag gilt, wir brauchen da aber den Bund – nicht, weil ich mich wegducken möchte, sondern weil wir alle wissen, dass die Sozialgesetzgebung des Bundes ein maßgeblicher bzw. der Faktor bei der Kommunalverschuldung ist. Mir reicht es darum nicht, wenn der Bund eine große Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ bildet und am Ende herauskommt: Wir könnten vielleicht mal gucken, mit Geld unterlegen wir das aber nicht, und die Länder müssten mal Vorschläge machen.

Beim Bund sitzen die Verursacher, und ich erwarte vom Bund, dass partei- und fraktionsübergreifend im Deutschen Bundestag klar gesagt wird: Wo und wie soll das Konnexitätsprinzip – wer bestellt, soll auch bezahlen – vom Bund künftig eingehalten werden? Das ist die richtige Reihenfolge.

Ich sage auch ganz deutlich in Richtung der SPD – ich habe es im letzten Ausschuss ebenfalls schon angesprochen –: Ich war etwas erstaunt, dass Sie mit Ihrer Fraktion in Berlin tagen, mit den Berliner Kolleginnen und Kollegen zusammensitzen, und Herr Mützenich – kommissarischer Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, der Nordrhein-Westfale ist – dann am Ende in einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärt, die Länder müssten hier einen vernünftigen Vorschlag machen, dann könnte der Bund sicherlich auch irgendwie einen Beitrag leisten.

Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie sitzen zwei Tage in Berlin, und das ist das, was nach Lobbyarbeit …

(Christian Dahm [SPD]: Wir waren nur einen Tag da, Sie zwei Tage!)

– Ach so, nur einen Tag. Also, hat sich denn der Reisezirkus gelohnt, lieber Christian Dahm, wenn Ihr da in Berlin einen Tag zusammensitzt und noch nicht einmal den Nordrhein-Westfalen Mützenich davon überzeugen könnt, dass der Bund unterstützen muss? – Das kann doch wohl nicht reichen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Nordrhein-Westfalen-Koalition hat konkrete Vorschläge im Bundesrat gemacht; zum Beispiel bei den KdU den Anteil des Bundes auf 75 % zu erhöhen. Das haben übrigens auch die KSVen in den letzten Anhörungen immer wieder begrüßt, weil das eine deutliche und sofort wirksame Entlastung der kommunalen Familie hier in Nordrhein-Westfalen wäre.

Ich kann Sie wie uns alle nur noch einmal dazu auffordern, im Sinne der Kommunen in Nordrhein-Westfalen in Berlin eine etwas bessere Lobbyarbeit zu machen als das, was die SPD-Landtagsfraktion da vorgelegt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, die Hausaufgaben aus dem Koalitionsvertrag werden nach und nach erledigt. Das gilt auch für unsere Vorhaben im Bereich „Kommunales“, und das GFG 2020 zeigt, dass wir diese Versprechen einhalten, wir nach und nach konzentriert abarbeiten und wir vor allem für die kommunale Familie in Nordrhein-Westfalen ein verlässlicher Partner waren, sind und bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort. Bitte sehr.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie den Bürger auf der Straße mit dem Begriff Gemeindefinanzierungsgesetz behelligen, ernten Sie bestenfalls ein Schulterzucken. Auf großes Interesse stoßen Sie aber eher nicht.

Auch hier im Haus – man sieht es an der Beteiligung – ist das nicht so viel besser. Dabei verteilen wir hier ganz schön gewaltige Summen – über 12 Milliarden Euro.

Auf höherer Ebene gibt es vergleichbare Einrichtungen. Davon hört man eher einmal etwas, zum Beispiel dass man sich auf der Bundesebene in Berlin Wohltaten gönnt, mal eben die Abgeordnetenvergütung verdoppelt und dafür dann in erster Linie der bayerische Steuerzahler aufkommt. Das ist allgemein kein Geheimnis. Allgemein ist auch bekannt, dass seit der Wiedervereinigung erhebliche Mittel in West-Ost-Richtung geflossen sind, um die Folgen des Sozialismus abzumildern.

Ähnliches gilt in der EU. Hier wird das Geld in erster Linie in Nord-Süd-Richtung umverteilt. Das ist keine deutsche Besonderheit. In Italien finanziert seit Jahrzehnten der Norden den Süden mit, und bei unseren belgischen Nachbarn fließt das Geld von Flandern in die Wallonie.

Da ist es auch kein Wunder, dass ein so großes und vielfältiges Bundesland wie das unsere eine ähnliche Einrichtung hat. Wir haben prosperierende Kommunen oder – wie man das auf Neudeutsch nennt; ich habe den Begriff heute vermisst – abundante Kommunen, und wir haben Kommunen, die mit den Folgen von Strukturwandel zu kämpfen haben.

In ein paar Jahren werden sich dann weitere Kommunen einreihen, denen es bisher ganz gut ging, die aber durch politische Willensentscheidungen ihrer ökonomischen Grundlage beraubt werden, nämlich all diejenigen, die derzeit von der Industrie und Energiewirtschaft leben. Das ist neu, denn bisher war der Strukturwandel etwas, das sich aus ökonomischen Trends ergab und dann von der Politik mehr oder weniger gut verwaltet wurde. Jetzt ist die Politik auch noch der Urheber; das aber nur am Rande.

Wir haben also einen Umverteilungsmechanismus, und mit der Umverteilung kommt unvermeidlich auch der Verteilungskampf. Das ist hier so, und das ist auf allen anderen Ebenen, die ich eben genannt habe, nicht anders. Man hört dann zwei Schlagworte: Solidarität und Subsidiarität.

Solidarisch ist, dass Kommunen mit schlechten ökonomischen Voraussetzungen, die vielleicht besonders unter einem Strukturwandel leiden, einen größeren Schluck aus der Steuergeldpulle nehmen dürfen.

Der Grundsatz von Subsidiarität bzw. von Eigenverantwortung besagt aber, dass die Solidarität endlich ist. Auch der Stärkste will nicht ewig für den Schwachen aufkommen, vor allem dann nicht, wenn er offenbar gar nicht gewillt ist, seine Lage zu verbessern. Diese Gefahr ist bei Umverteilungsinstrumenten immer vorhanden. In der Wirtschaftswissenschaft spricht man vom Moral Hazard, also vom moralischen Risiko. Der Empfänger solcher Leistungen hat gar kein großes Interesse mehr an einer Verbesserung seiner Lage.

Letzte Woche war ich beim Landkreistag zu Gast; einige Kollegen waren auch da. Der Ministerpräsident hat gesprochen, und eigentlich könnte man meinen, für einen CDU-Ministerpräsidenten sei der Landkreistag ein Heimspiel. Aber dem war nicht so. Denn obwohl es durch gewisse Justierungen am GFG in den letzten Jahren eine vorsichtige Verschiebung von Mitteln aus den Städten auf das Land gegeben hat, wird der ländliche Raum bei der Verteilung von Mitteln nach wie vor benachteiligt.

Ich will das an zwei Zahlen verdeutlichen:

Die Schlüsselzuweisungen sind seit 2008 für die Großstädte um 205 % gestiegen, für kreisangehörige Gemeinden hingegen bloß um 132 %.

Die Folgen davon spüren dann nicht nur die Menschen auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Denn die Menschen ziehen dorthin, wo das Angebot passt, wo der Bus kommt, wo das Internet schnell ist, wo es gute Schulen für die Kinder gibt, Ärzte, Krankenhäuser, Infrastruktur; die Ministerin hat die Punkte vorhin schon aufgezählt.

Derzeit ziehen sie also hauptsächlich in die Ballungsräume, und der dortige Bevölkerungszuwachs sorgt dann wieder für neue Probleme; heute fiel schon des Öfteren das Stichwort „Mieten“.

Natürlich gibt es in der kommunalen Familie ganz unterschiedliche Herausforderungen; der Kollege Mos-tofizadeh hat es vorhin erwähnt. Das Bemerkenswerte ist allerdings, dass sich auch Kommunen mit sehr ähnlichen Ausgangspositionen sehr unterschiedlich entwickelten. Vieles von dem, was da schiefgeht oder gut geht, ist schließlich auch eine Folge der Politik vor Ort.

Wenn ich an meine Heimatstadt Köln denke, die trotz bester Ausgangslage keinen ausgeglichenen Haushalt hinbekommt, während die Oberbürgermeisterin das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauswirft, dann muss ich feststellen, dass das System, das wir hier diskutieren, offenbar einen grundlegenden Mangel hat.

Ein grundlegendes Umsteuern wäre also wünschenswert gewesen, aber die Landesregierung liefert überwiegend Klein-Klein.

Sie feiert sich zum Beispiel dafür – die Ministerin tat es eben auch wieder –, dass es jetzt einen echten Verbundsatz von 23 % gebe; auch Herr Déus hat es erwähnt. Das ist zwar ein Fortschritt und lobenswert, aber auch kein Durchbruch. Da waren wir in den 80er-Jahren schon einmal weiter, bevor dieser Satz unter einer SPD-Regierung gesenkt wurde.

Das tut im Moment nicht so weh; denn 23 % von dem, was man allgemein als sprudelnde Steuergeldeinnahmen bezeichnet, sind eben nicht wenig. Doch jeder weiß, dass die fetten Zeiten bald vorbei sein werden, und dann wird es an vielen Ecken wieder brennen, weil viele Kommunen die gute Zeit nicht zur Konsolidierung genutzt haben, aber auch, weil vom Land keine Lösung in der Altschuldenproblematik angeboten wird. Aber wie sollten sie auch auf die Idee kommen, sich zu sanieren, wenn es auch auf anderen Ebenen, nämlich im Land und im Bund, nicht gemacht wird!

Meine Damen und Herren, kommunale Selbstverwaltung ist eine gute Sache, aber das System, das hier schon seit Jahren betrieben wird, pervertiert dieses Prinzip unseres Staatswesens zusehends. Wie auf dem großen Bazar wird um einen Verteilungsschlüssel gefeilscht – und im Jahr der Kommunalwahl offenbar besonders heftig –, um Pauschalen und um Zuweisungen. Ob eine Kommune dann tatsächlich gute oder schlechte Politik macht, kann der Bürger in so einem System am Ende eben kaum noch ermessen, und das scheint auch der Sinn zu sein. Das wird verschleiert.

Solidarität ist eine gute Sache. Sie muss sein, und ich kenne niemanden, der nicht bereit wäre, zu helfen, wo wirkliche Not da ist. Aber es muss eben auch Grenzen geben. Wer Solidarität missbraucht, kann sich darauf nicht berufen. Wer tüchtig ist und leistet, der muss am Ende eben auch einen Lohn dafür bekommen. Das gilt für Kommunen nicht weniger als für Menschen. Diesen Grundsätzen wird das GFG leider nicht gerecht. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort, wenn sie möchte. – Sie möchte nicht.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zu den Abstimmungen.

Zunächst stimmen wir ab über die Überweisung des Haushaltsgesetzes 2020. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7200 sowie der Finanzplanung Drucksache 17/7201 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an die zuständigen Fachausschüsse mit der Maßgabe, dass die Beratung des Personalhaushalts einschließlich aller personalrelevanten Ansätze im Haushalts- und Finanzausschuss unter Beteiligung seines Unterausschusses Personal erfolgt.

Ich darf fragen, wer der Überweisungsempfehlung in dieser Form zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig so angenommen worden.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über die Überweisung des Haushaltsbegleitgesetzes 2020. Hier empfiehlt uns der Ältestenrat die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7203 sowie der Finanzplanung Drucksache 17/7201 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Verkehrsausschuss sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien.

Ich darf fragen, wer gegen diese Überweisungsempfehlung stimmen möchte. – Enthaltungen? – Dann ist das mit Zustimmung aller Fraktionen in Abwesenheit der fraktionslosen Abgeordneten so angenommen worden.

Ich lasse drittens abstimmen über die Überweisung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Landeshaushaltsordnung Drucksache 17/7318. Hierzu hat der Ältestenrat die Empfehlung ausgesprochen, den Gesetzentwurf Drucksache 17/7318 an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so angenommen und diese Überweisung so ausgesprochen worden.

Viertens lasse ich über die Überweisung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2020 abstimmen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7202 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Gibt es gegen diese Überweisungsempfehlung Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich auch hier die einstimmige Zustimmung aller Fraktionen fest. Damit ist die Überweisung so erfolgt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende von Tagesordnungspunkt 1 und kommen zur Beratung von Tagesordnungspunkt

2   Älteren Menschen mit Migrationsgeschichte den Zugang zu Pflege- und Altenhilfe erleichtern und ihre Lebensleistung würdigen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4455

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/7343

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7295

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7373

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Gebauer das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Katharina Gebauer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach ausgiebigen Beratungen in den Fachausschüssen liegen uns heute zwei Entschließungsanträge vor, über die es zu entscheiden gilt.

Vorab: Ich freue mich darüber, dass es uns gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag von CDU, SPD und FDP zu formulieren, der heute hier mit Mehrheit beschlossen werden kann. Uns alle eint bei diesem Thema eine Leitfrage: Wie können wir die Lebenssituation für Menschen mit Pflegebedarf in unserem Land nachhaltig verbessern?

Der demografische Wandel stellt die Versorgung pflegebedürftiger Menschen nicht nur in Nordrhein-Westfalen vor große Herausforderungen. Hinzu kommt eine zunehmende Vielfalt an ethnischen und kulturellen Unterschieden, die eines hohen Maßes an Kultursensibilität bedarf. Daher ist es unsere Aufgabe, die interkulturelle Öffnung der Institutionen der Altenpflege und Altenhilfe weiter voranzutreiben und auszubauen.

Dabei darf die interkulturelle Öffnung aber nicht nur in eine Richtung passieren. Es ist wichtig, dass sowohl Pflegende als auch pflegebedürftige Personen offen für andere Kulturen und Hilfsangebote sind.

Schauen wir uns die Pflegelandschaft in Deutschland deshalb einmal genauer an. Schon heute wird deutlich, dass wir ohne entsprechend qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland den Bedarf an Pflegekräften nicht stillen können.

Es ist uns also besonders wichtig, dass wir das Thema so breit wie möglich aufstellen. Wir wollen, dass zukünftig in der Ausbildung der Pflegekräfte das Wissen um interkulturelle Kompetenzen einen größeren Raum einnimmt. Eine immer individuellere, an die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen angepasste Pflege wird umso wichtiger.

Verehrte Damen und Herren, in diesem Zusammenhang stellen sich weitere wichtige Fragen: Wie können wir als Gesellschaft der Vereinsamung im Alter entgegenwirken? Was können wir als Politik dazu beitragen, dass die Hilfen bei den Menschen ankommen, die sie benötigen?

Gute Pflege bedarf keiner Frage von Herkunft, Geschlecht oder finanziellen Möglichkeiten. Daher wollen wir die bereits vorhandenen Angebote sichtbarer und damit für alle Menschen nutzbar machen. Wir wollen den Zugang zu Informationsangeboten niederschwelliger und transparenter gestalten.

Die Einbindung von Migrantenselbsthilfeorganisationen und Kommunalen Integrationszentren sind aus unserer Sicht besonders geeignet. Hier lässt sich auf bereits bestehende Strukturen aufbauen. Vorhandene Netzwerke können genutzt werden und sollen bedarfsorientiert erweitert werden.

Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips sind die Kommunen dabei starke Kooperationspartner und die richtigen Anlaufstellen. Durch ihren hohen Sozialraumbezug können sie die Vernetzung zwischen älteren Migranten und deren Familien fördern und die Einbindung freiwillig sozial engagierter Menschen stärken. Durch gezielte Projektförderungen sollen im Sinne von Best Practice bereits gut funktionierende Konzepte in die Fläche getragen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns die Verantwortung gegenüber den Menschen, die pflegebedürftig sind, gemeinsam wahrnehmen. Lassen Sie uns gemeinsam gegen die Vereinsamung im Alter arbeiten und bereits bestehende Angebote für Menschen aller Herkunftsländer öffnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion spricht als Nächster Herr Abgeordneter Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Was brauchen älter werdende Menschen? Sie brauchen Zugang zur Pflege und Zugang zur Altenhilfe, aber insbesondere auch Gemeinschaft.

In unserem Land leben viele älter werdende Menschen. Obwohl Migrantinnen und Migranten von der Altersstruktur her insgesamt – das sieht man an der demografischen Entwicklung – deutlich jünger sind, steigt auch bei ihnen der Anteil der älteren Bevölkerungsgruppe. Insbesondere die sogenannte Gastarbeitergeneration kommt in das Alter, in dem die Alten- und Gesundheitspflege von einer sehr wichtigen, sehr großen Bedeutung sein wird.

Zwei Merkmale sind für viele Menschen dieser Bevölkerungsgruppe charakteristisch.

Viele von ihnen haben lange gedacht, dass sie nach einigen Jahren Arbeit wieder nach Griechenland, nach Spanien, nach Italien oder in die Türkei zurückkehren würden. Doch mittlerweile können sie sich keine Rückkehr mehr vorstellen, weil ihre Kinder und Enkelkinder hier leben. Daran sieht man, dass ein Leben sich nicht planen lässt.

Gleichzeitig hat sich bei diesen Migrantinnen und Migranten aber auch die Familienstruktur verändert. Die Kinder sind berufstätig oder leben nicht mehr in derselben Stadt. Die Pflege, die Teilhabe an Gesellschaft muss also neu organisiert werden, muss neu gedacht werden.

Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände im Alter oder im Krankheitsfall Unterstützung brauchen, müssen diese auch bekommen. Alle älteren Menschen brauchen solche Angebote, die für sie passend sind.

Wir machen da auch keinen Unterschied. Wir glauben nur, dass es richtig ist, Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Deswegen brauchen wir in unserem Land eine noch stärkere kultursensible Alten- und Gesundheitspflege.

Viele Migrantinnen und Migranten haben zwei Drittel ihrer Lebenszeit in Nordrhein-Westfalen verbracht und hier gearbeitet. Sie hatten den Mut, als gerade erst 20-Jährige ihre Heimat zu verlassen und nach Deutschland zu kommen. Sie waren damals von uns eingeladen. Sie haben Familien gegründet, sind zu einem Teil unserer Gesellschaft geworden und haben mit dazu beigetragen, dass NRW heute so stark ist. Ihnen im Alter mit Respekt zu begegnen, ist, glaube ich, Ausdruck unserer Wertschätzung für ihre Lebensleistung.

Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen daher niedrigschwellige und aufsuchende Angebote, die die Menschen auch dort abholen, wo sie leben. Ältere Menschen müssen verstehen können, welche Angebote es gibt. Es gibt ja auch Angebote. Diese müssen wir verstärken. Aber sie müssen sie auch verstehen können und müssen wissen, an wen sie sich wenden können.

Darüber hinaus – Frau Gebauer hat das gerade angesprochen – müssen wir auch die interkulturelle Kompetenz in der Pflege weiter vorantreiben. Da gibt es massive Veränderungen. Ich glaube, wir alle erleben diese auch. Deswegen ist es wichtig, dass wir die interkulturelle Kompetenz stärken.

Besonders liegen mir Angebote am Herzen, die der Vereinsamung entgegenwirken. Wir haben viele ältere Migrantinnen und Migranten, die mittlerweile alleine sind. Die Kinder sind weg; die Enkel sind nicht da; der Mann oder die Frau ist verstorben. Deswegen sind diese Angebote sehr wichtig, damit die Menschen nicht in die Situation kommen, dass sie nur noch alleine zu Hause sind.

Ich will an dieser Stelle eines nicht verhehlen. Wir haben den Ursprungsantrag schon im Dezember 2018 eingereicht. Dass es so lange gedauert hat, diesen Entschließungsantrag auf den Weg zu bringen, war für mich ein bisschen verwirrend. Denn ich glaube, dass wir alle miteinander dieses Problem erkannt haben. Einige Gründe dafür, dass es so war, kann ich allerdings verstehen.

Jedenfalls will ich den anderen Fraktionen – auch den Grünen, die ja einen eigenen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht haben – ganz herzlich für den sehr konstruktiven Austausch über dieses Thema danken, das Menschen betrifft, die zu Nordrhein-Westfalen gehören. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir diesen Menschen auch die Unterstützung geben müssen, die sie im Alter brauchen.

Ich denke, die Grünen werden es uns verzeihen, dass wir uns zu ihrem Antrag heute enthalten werden. Ich würde mich freuen, wenn auch die Grünen unserem Entschließungsantrag zustimmen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP spricht nun der Abgeordnete Lenzen.

(Christian Dahm [SPD]: Dann klatsche ich gleich auch noch einmal! – Gegenruf von Stefan Lenzen [FDP]: Ich gucke!)

Stefan Lenzen (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! NRW blickt auf eine lange Tradition der Einwanderung zurück. Neben den Fragen der Integration von Menschen, die in den letzten Jahren neu zu uns gekommen sind, dürfen wir aber auch die Menschen mit Migrationsgeschichte nicht aus dem Blick verlieren, die schon länger bei uns leben und hier auch alt werden.

Deren Bedeutung für Altenhilfe und -pflege wird deutlich zunehmen. Dies betrifft zum Beispiel die Arbeitsmigranten der 60er- und 70er-Jahre aus Südeuropa und der Türkei, aber auch die Spätaussiedler der ersten Generation. Bei diesen Gruppen liegt bereits heute das Durchschnittsalter über dem der deutschen Bevölkerung. Hochrechnungen gehen davon aus, dass der Anteil älterer Migranten an der Gesamtbevölkerung bis 2032 auf rund 15 % ansteigen wird.

Dabei bestehen große Unterschiede hinsichtlich der persönlichen Erfahrungen, des Umgangs mit Krankheit und Alter oder der Beziehung zu Herkunftsland und Religion. Wir haben das ja auch in der Anhörung gehört. Ich glaube, Herr Yetim und Frau Gebauer haben schon einige Beispiele dazu genannt.

Ein Beispiel aus der Anhörung, das bei mir besonders hängen geblieben ist, ist die doppelte Entfremdung aufgrund einer nicht umfänglich erfolgten Integration in Deutschland einerseits und des gleichzeitigen Rückgangs an Bindungen zum Herkunftsland andererseits.

Der Kollege Yetim hat das Beispiel genannt, dass Familienteile wegziehen, zurückgehen oder auch versterben.

Gerade wenn man selbst noch jung ist, sich aber trotzdem auch einmal mit diesem Thema auseinandersetzen muss, erscheint einem auch der Verlust von Sprachkenntnissen bei Demenz als ein ganz schwieriger Punkt, der ebenfalls zu bedenken ist.

Auf diese Punkte müssen wir beim Thema „kultursensible Altenpflege“ eingehen. Da kommt einiges auf uns zu. Deswegen ist die bisher sehr sachliche Debatte heute auch wichtig. Man merkt, dass die Fraktionen oppositions- und koalitionsübergreifend gemeinsam nach einer Lösung gesucht haben. Ich weiß und kann verstehen, dass das dem einen oder anderen nicht schnell genug geht. Aber manchmal braucht es auch Zeit. Am Ende zählt ja auch das Ergebnis.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangenheit sind wir ja auch nicht untätig gewesen. In unserem Bundesland haben wir auch schon einiges erreicht.

Zum Beispiel ist die Berücksichtigung kultursensibler Aspekte im Alten- und Pflegegesetz verankert. Das Land fördert unter anderem Kooperationsmöglichkeiten religiöser Migrantengemeinden auch in der Altenhilfe. Darüber hinaus erfolgt eine Unterstützung der Beschäftigten durch das Modulhandbuch „Kultursensibilität im Gesundheitswesen“. Eine Reihe von Pflegeeinrichtungen ist auch schon entsprechend aufgestellt.

Diesen Weg wollen wir weitergehen. Wir brauchen – da sind wir uns einig – niedrigschwellige und aufsuchende Informations- und Beratungsangebote für die Betroffenen. Denn wir wollen den Zugang zu einer kultursensiblen Altenhilfe in der Tat erleichtern.

Die Migrantenselbstorganisationen und die Kommunalen Integrationszentren mit ihren Strukturen vor Ort und mit ihrer Vernetzung in der Migrationsgesellschaft sind dabei als wichtige Stützen mit einzubeziehen und durch gezielte Förderung zu unterstützen, damit auch ältere Migranten und ihre Familien besser erreicht werden können.

So wollen wir auch die interkulturelle Öffnung der Institutionen Pflege und Gesundheitswesen voranbringen. Dazu zählt zum Beispiel die verstärkte Vermittlung interkultureller Kompetenz in den Ausbildungen von Pflege- und Gesundheitsberufen, aber auch das Einbringen der vorhandenen Kompetenzen der Beschäftigten. Ein Vorschlag aus der Anhörung, den wir hier aufgenommen haben, war die Erstellung einer internen Liste der Fremdsprachenkenntnisse aller Mitarbeiter.

Ziel sollte es sein, Kultursensibilität auf allen Ebenen mitzudenken. So freut es auch mich persönlich, dass wir uns im Ausschuss von Beginn an sehr sachorientiert mit dem Ursprungsantrag der SPD auseinandergesetzt haben. Wir haben dann auch gemeinsam versucht, zu einem Konsens zu kommen. Nach intensiven Diskussionen liegt jetzt dieser gemeinsame Entschließungsantrag von FDP, CDU und SPD vor – mit dem Ziel, die kultursensible Altenpflege voranzubringen. Dabei nehmen wir wichtige Anregungen aus der Anhörung auf.

Die Grünen waren zumindest auf dem Weg dahin sachlich dabei. An einer Stelle wollten sie den Weg aber leider nicht mehr mitgehen. Wir haben den Schwerpunkt auf die integrationspolitische Zielsetzung gelegt. Bei den Grünen ging die Vorstellung allerdings noch stärker in Richtung Umgestaltung der Pflegestrukturen. Aus den Debattenbeiträgen meiner Kollegin Schneider aus der Vergangenheit weiß ich, dass es dort grundsätzliche Unterschiede gibt, die sich nicht mal eben so beseitigen lassen.

So können wir den Antrag der Grünen leider nur ablehnen. Wir werben aber natürlich für die Unterstützung unseres Entschließungsantrags. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Danke schön.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun hat für die Fraktion der Grünen der Kollege Abgeordnete Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich für den sachlichen Prozess bedanken – wobei die wesentliche Debatte ja nicht im AGS, sondern im Integrationsausschuss geführt wurde. Der Kollege Lenzen hat es im Prinzip vorweggenommen: Ein wesentlicher Unterschied zwischen unserem Entschließungsantrag und Ihrem jetzt vorliegenden Entschließungsantrag ist bei der Struktur der Pflegebetreuung zu finden.

Ergänzend zu dem, was die Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt haben, möchte ich auf die spezielle Situation der Migrantinnen und Migranten bzw. Menschen mit Migrationshintergrund oder Zuwanderungsgeschichte eingehen.

Hier ist zunächst die Altersstruktur zu betrachten. Insgesamt ist es ja so, dass diese Menschen eher jünger sind als die deutsche Bevölkerung; „deutsch“ sind in diesem Fall nicht diejenigen mit deutschem Pass, sondern diejenigen, die länger hier leben. Wenn man aber genauer hinsieht, gibt es dort massive Unterschiede, weil zum Beispiel die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler der ersten Generation sogar deutlich älter sind als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, die länger hier lebt.

Die materielle Lage vereinigt sich bei vielen Migrantinnen und Migranten, zumindest im Schnitt. Sie ist oftmals bei den Älteren im Schnitt schlechter als bei denjenigen, die länger hier leben.

Das führt mich auch zu dem, was bei der Befragung der Migrantinnen und Migranten zum Beispiel im Auftrag der Stadt Essen deutlich geworden ist. Es ist nämlich nicht nur der Teil der Pflege zu betrachten, sondern auch das, was vor der Pflege stattfindet. Ich will das nur kursorisch anführen.

Viele brauchen altersgerechte Wohnungen. Dieses Thema haben wir im Rahmen der Landesbauordnung auch länger diskutiert. Der ÖPNV muss behindertengerecht und barrierefrei sein. Es muss im Quartier Zugang und Begegnung stattfinden können.

Der Begriff „Quartier“ scheint im Übrigen gerade für die FDP ein elektrisierendes Merkmal zu sein. Denn sie wollen ihn nicht akzeptieren, obwohl der Sozialraum im Antrag durchaus mit aufgeführt wurde. Wo der Unterschied ist, möge man mir irgendwann einmal erläutern.

Wie gesagt, muss im Quartier Zugang und Begegnung stattfinden können. Daher ist es umso bedauerlicher, dass das MAGS das Programm ZWAR gestrichen hat. Das gehört zur Wahrheit auch dazu. Das sind Punkte, die in diesem Zusammenhang bedauerlich sind.

Der ursprüngliche Antrag – das will ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD zugestehen – ging absolut in die richtige Richtung; das ist gar keine Frage.

Allerdings wollten wir beim Thema „Kultursensibilität“ den § 2 des Alten- und Pflegegesetzes, der den Grundsatz beschreibt und noch einmal deutlich macht, in dem Antrag schlichtweg nur zitieren. Dazu war die Koalition nicht bereit.

Einen Punkt finde ich dann schon verwunderlich. Das Wort „selbstbestimmt“ – das heißt, dass die Menschen selber ihr Altersumfeld gestalten wollen, können und sollen – kommt in dem Antrag gar nicht mehr vor. Das ist für mich leider ein bisschen der Beleg dafür, dass der Kampf an dieser Stelle doch an der Pflegestruktur ausgetragen werden soll –

(Beifall von den GRÜNEN)

dass ambulant weiterhin nicht vor stationär gehen darf und solche Dinge.

Das ist schade; denn das hätte man in diesem Antrag nicht ausfechten müssen. Insofern bitte ich um Verständnis dafür, dass wir dann auch unseren Entschließungsantrag in dieser Klarheit aufgestellt haben. Wir haben lange versucht, gemeinsam dahin zu kommen. Dann sind aber zwei, drei wesentliche Faktoren dem entgegengetreten. Insofern bitte ich nicht nur um Verständnis; es ist dann die konsequente Haltung unserer Fraktion gewesen, das dann auch im Original zu machen.

Das ist zwar bedauerlich. Ich gehe aber davon aus, dass im Integrationsausschuss jetzt die richtige Richtung eingeschlagen wird. Wenn wir im AGS bei der Pflegestruktur demnächst auch noch ein Stückchen weiterkommen sollten, kann es vielleicht doch noch einen gemeinsamen Antrag geben.

Deswegen werden wir den hier vorgelegten Entschließungsantrag ablehnen. Was den SPD-Antrag in der ursprünglichen Form angeht, werden wir uns enthalten. Natürlich bitte ich darum, dass Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD spricht nun die Abgeordnete Frau Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das aktuelle Alten- und Pflegegesetz von 2014 weist schon in § 2 darauf hin, dass auf besondere Merkmale von Pflegebedürftigen geachtet werden muss. Dezidiert genannt werden im Gesetz auch pflegebedürftige Menschen mit Migrationshintergrund.

Das Gesetz fordert also eine besondere Sensibilität und Berücksichtigung, ohne jedoch konkret zu werden. Insbesondere Pflegeeinrichtungen, aber auch die ambulante Pflege haben sich daher – und vermutlich schon vorher – im Rahmen ihrer Möglichkeiten längst darauf eingestellt.

Für alle in diesem Bereich Tätigen gilt aber: Was in 20, 30 und 40 Jahren vor Beginn der Pflegebedürftigkeit an Integrationsleistungen versäumt wird, kann dort nicht aufgefangen werden. Dazu gehört insbesondere die Sprache, die als Zweitsprache im Fall von Demenzerkrankungen natürlich zuerst verloren geht, bevor der an Demenz erkrankte Mensch auch seine Muttersprache verliert und sich nur noch mit Lauten und Gesten erklären kann.

Die heutige Ausbildung von jungen Menschen und auch von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist daher die beste Vorleistung, die getroffen werden kann. Aber selbst dies wird den Bedarf nicht optimal decken, wenn in Pflegeeinrichtungen in unseren Ballungsräumen Bewohner mit 20 und mehr verschiedenen Muttersprachen untergebracht sind. Auch das wurde in der Anhörung sehr deutlich.

Neben der Sprache wurde in der Anhörung auch eine sehr konkrete Forderung gestellt, die ich auch durchaus nachvollziehen kann: kultursensibel.

Für die rituellen Waschungen müssten die sanitären Einrichtungen regelhaft vorbereitet sein. Dies wäre zum Beispiel ganz einfach durch Bidets möglich, die ja dann auch jedem Pflegebedürftigen zugutekämen. Denn es gibt auch durchaus andere Anforderungen, die es tatsächlich sinnvoll machen, ein solches Bidet zu haben. Das weiß jeder, der seine Eltern schon einmal gepflegt hat.

Aber wer kann es sich schon leisten, selbst zu pflegen? Das können nur reiche oder alimentierte Personen. Denn einen vernünftigen Ausgleich wie in Bayern verweigern Sie.

Insgesamt bedürfte es für solche Veränderungen natürlich erheblicher Investitionen. Eine solche Forderung hat aber niemand von Ihnen gestellt. Das ist vermutlich viel zu konkret.

Sie beschäftigen sich allgemein lieber mit Beratungen, von denen aus meiner Sicht allzu oft der Beratende den meisten Profit hat.

Ihre Anträge suggerieren, die Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Klar ist aber: Sie tun es nicht. Nicht ein konkreter Ansatz ist erkennbar.

Alle, die als Angehörige selbst betreut haben oder später regelmäßig Pflegeeinrichtungen besucht haben, wissen, dass die Herausforderungen sehr viel umfangreicher und umfassender sind, als Ihre Anträge es hier vermuten lassen.

In den kommenden Jahren müssten 25 % unserer Schulabgänger in die Altenpflege gehen, um den Bedarf, der in 10 bis 20 Jahren auf uns zukommt, wenn die geburtenstarken Jahrgänge nämlich alt und gegebenenfalls auch pflegebedürftig werden, zu decken. Aber welches Parlament beschäftigt sich schon mit Herausforderungen und Problemen einer so fernen Zukunft?

Herr Yetim, Sie haben von Vereinsamung gesprochen. Das ist völlig richtig. Das betrifft aber alle alten Menschen.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Das habe ich auch gesagt!)

– Richtig.

Beratung müsse verstanden werden, sagten Sie, Herr Yetim. Ja. Aber wer wird denn beraten? Wird der alte Mensch beraten? Oder sind es nicht in der Regel die Kinder, die beraten werden müssen? Denn tatsächlich warten alte Menschen – auch ganz unabhängig von ihrem Geburtsort, ihrer Staatsangehörigkeit oder sonstigen Hintergründen – in der Regel so lange, bis sie die Herausforderungen, zum Beispiel den Umzug in eine Pflegeeinrichtung, selbst gar nicht mehr bewerkstelligen können. Insofern müsste sich Beratung doch an die nächste Generation, also an meine Generation, später auch an Ihre Generation, richten. Und brauchen wir da wirklich so viele Sprachen? Ich frage Sie.

Herr Lenzen, zu Osteuropa: Die sind recht gut vorbereitet. Denn schon heute sehen Sie in den Einrichtungen, zum Beispiel im Ruhrgebiet, sehr viele Kinder und Enkel der Generation, die jetzt in die Pflegeeinrichtungen geht, dort arbeiten. Das ist es, was wir brauchen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin natürlich sehr dankbar für diese Debatte. Ich bin auch für die Anträge dankbar, die teilweise die lange Geschichte interkultureller Pflege in Nordrhein-Westfalen beschreiben und damit deutlich machen, dass das eigentlich kein parteipolitischer Streitpunkt ist, sondern dass es einfach vernünftig ist, Menschen individuell zu pflegen.

Deswegen bin ich erst einmal froh darüber, dass es jetzt nicht um eine Debatte nach dem Motto „Muslime pflegen Muslime“, „Christen pflegen Christen“ oder, wie es in meiner Kindheit noch der Fall war, „Katholiken pflegen Katholiken, und Protestanten pflegen Protestanten“ geht, sondern um die Frage einer Sensibilität für die Persönlichkeitsstruktur eines pflegebedürftigen Menschen.

Da geht es nicht nur um die Frage, ob der Mensch Wurzeln hat, die weit von unserem Land entfernt sind, sondern auch um folgende Fragen: Welchen Beruf hat der Mensch gehabt? Hat er auf dem Land gelebt? Hat er in der Stadt gelebt? Welchen religiösen Hintergrund hat er? Welchen kulturellen Hintergrund hat er?

Deswegen muss natürlich Ziel der Landesregierung und unser gemeinsames Ziel sein, dass die Sensibilität für das Unterschiedliche bei den Menschen auch Inhalt der Pflegeausbildung ist; und das ist in diesem Land in unseren Pflegeschulen der Fall. Es ist eine gute Sache, dass das heute und auch schon seit vielen Jahren so ist.

Einen zweiten Punkt möchte ich hier auch ansprechen. Wir sind zurzeit in der Pflege natürlich in der Situation, dass der Anteil der Menschen, die Hilfeleistungen nachsuchen, groß ist und das Wachstum vieler Pflegeeinrichtungen nicht dadurch limitiert wird, dass sie keine Pflegebedürftigen finden, sondern das große Problem ist, das Personal zu finden, um die Pflegebedürftigen zu versorgen.

Deswegen hilft uns natürlich auch, dass diejenigen, die heute pflegen, kulturell sehr viel verschiedener sind, als das noch vor einigen Jahren oder vielen Jahren der Fall war. Wir haben sehr viel Nachwuchs in der Pflege – Gott sei Dank – von Kindern und Enkeln, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland gekommen sind. Wären die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln oder auch mit osteuropäischen Wurzeln nicht in der Pflege tätig, hätten wir noch ganz andere Probleme.

Während dieser Landtag hier heute zusammensitzt, arbeiten in Deutschland mindestens 100.000 Menschen aus Osteuropa in der familiären Betreuung von Pflegebedürftigen. Wenn es in Deutschland 100.000 sind, sind es in Nordrhein-Westfalen 25.000. Gäbe es diese Osteuropäerinnen in Deutschland nicht, wäre unser offizielles System schon am Ende. Das muss man auch einmal in einem Parlament in Deutschland sagen.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin diesen Menschen auch sehr dankbar dafür, dass sie hier sind.

Es ist auch so, dass wir allein im vorletzten Jahr 8.800 Pflegefachkräften aus dem Ausland in Nordrhein-Westfalen eine Berufserlaubnis erteilt haben. Wir haben selber zwischen 12.000 und 13.000 pro Lehrjahr ausgebildet und haben alleine im Jahre 2017 8.800 ausländische Pflegekräfte in unserem Land anerkannt. Stellen Sie sich mal vor, die wären nicht da.

Das sorgt auf der anderen Seite aber natürlich auch dafür, dass diejenigen, die pflegen, interkulturell sind. Sie kommen aus vielen Kulturen. Angesichts der unterschiedlichen Kulturen der Pflegebedürftigen bin ich diesen Menschen sehr dankbar, weil wir damit auch aufseiten der Pflegenden Menschen aus verschiedenen Kulturen haben. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir in dieser Frage recht gut aufgestellt sind.

Lassen Sie mich abschließend aber eines sagen – ich kenne mich, wie viele andere hier im Saal auch, in diesem Thema ziemlich gut aus –: Wir werden die Probleme, die wir aufgrund der Alterung der Gesellschaft und der Personalschlüssel, die wir uns vorstellen, haben, nicht nur mit hiesigen Pflegekräften lösen können. Und wir nehmen teilweise Ländern Pflegekräfte weg, in denen sie genauso fehlen wie bei uns. Es geht bei uns nur gut, weil wir es zurzeit bezahlen können.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig!)

Eine Auseinandersetzung damit, ob das, was wir da tun, kultursensibel ist, habe ich in der Debatte vermisst. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.

Was in einer solchen Situation gar nicht geht, ist, zu glauben, dass man in Deutschland noch eine Politik machen kann, mit der wir uns abschotten. Wir müssen ein weltoffenes Land sein, und die Menschen müssen gerne zu uns kommen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Deshalb ist ein Ansatz meiner Politik, dass wir zum Beispiel bei der Anerkennung von ausländischen Pflegekräften in unseren Behörden so aufgestellt sein müssen, dass sie sich freuen, in Nordrhein-Westfalen zu sein, weil ihnen hier geholfen wird, gut durch das Verfahren zu kommen.

(Ralph Bombis [FDP]: Sehr richtig!)

Wenn ein Mensch aus dem Ausland nach Deutschland kommt, um zu pflegen, dann ist es ihm erst einmal egal, ob er nach Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern oder Rheinland-Pfalz geht. Es muss sich herumsprechen, dass die Behörden in Nordrhein-Westfalen ein Grund sind, um nach Nordrhein-Westfalen zu kommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb ändere ich derzeit bei der Frage der Anerkennung von Pflegekräften sehr stark die Zuständigkeiten in unseren Behörden. Wenn wir die Fragen so angehen, werden wir die Probleme lösen.

Wenn wir aber das nächste Mal über interkulturelle Pflege sprechen, sollten wir auch darüber reden, was das für die Länder heißt, denen wir die Pflegekräfte wegnehmen. Ich war kürzlich in Rumänien und habe dort gesehen, was es für dieses Land bedeutet. Wir dürfen nicht nur die eine Seite einer glorreichen Medaille sehen, sondern diese Medaille hat zwei Seiten.

Daraus schließe ich in der Konsequenz: Wir müssen ausbilden, was das Zeug hält, um allen Menschen, die hier leben, die Möglichkeit zu geben, in Deutschland Pflegefachkraft zu werden.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Das ist es!)

Und wir sollten überlegen – darüber führe ich auch Gespräche mit Jens Spahn –, ob wir nicht Menschen, die in jungem Alter aus der Türkei als Gastarbeiter zu uns gekommen sind, die ihr Leben lang in die Pflegeversicherung eingezahlt haben und die nun teilweise den Wunsch hegen, im Alter in der Türkei zu leben, die Leistungen der Pflegeversicherung mit in die Heimat geben können. Auch diese Frage darf man stellen.

Ich habe schon Verständnis dafür, dass es den einen oder anderen sehr alten Menschen gibt, den es in der letzten Lebensphase nach Hause zieht. Wenn man ein Leben lang eingezahlt hat, dann geht es meiner Meinung nach nicht um einen Anspruch bzw. einen Gedanken, den man von vornherein zurückweisen müsste. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen aktuell keine weiteren Wortmeldungen vor. Wenn aber der Wunsch besteht – die Landesregierung hat 2:50 Minuten überzogen –, würde ich dem nachkommen. – Ich sehe gleichwohl, dass das nicht der Fall ist.

Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen.

Wir stimmen erstens ab über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/4455. Der Integrationsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/7343, den Antrag abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 17/4455 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die SPD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP, AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Grünen ist gleichwohl dieser Antrag Drucksache 17/4455 abgelehnt.

Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP Drucksache 17/7295. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind SPD, CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Dagegen stimmen die Grünen und die AfD. Wer enthält sich? – Der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 17/7295 angenommen.

Wir stimmen drittens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/7373. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die Fraktion der Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer enthält sich? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der SPD. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/7373 abgelehnt.

Ich rufe auf:

3   Versorgung psychisch kranker und gestörter Gefangener verbessern

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7371

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der Grünen dem Abgeordneten Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke)

Psychische Erkrankungen und Störungen sind in Justizvollzugsanstalten weitaus verbreiteter als in der Allgemeinbevölkerung. Zu diesen Erkrankungen und Störungen gehören unter anderem Suchterkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Psychosen.

Genaue Daten zu den einzelnen Erkrankungen sind auch durch Studien nur sehr schwer zu erzielen. Studien aus den Jahren 2005 und 2006 kommen zu Ergebnissen von bis zu 88 % psychisch erkrankten Gefangenen.

Auch die Zahl der Suizide liegt bei Gefangenen um ein Vielfaches höher als in der Allgemeinbevölkerung. Seit Jahren wird zudem ein Anstieg der psychischen Erkrankungen und Störungen in den Justizvollzugsanstalten beobachtet. Auch die steigende Anzahl der Gefangenen mit Suchtproblemen stellt eine Belastung für den Justizvollzug dar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ende Juli wurde der Bericht der Expertenkommission zum Justizvollzug, der sogenannten Manteuffel-Kommission, veröffentlicht, die nach dem Tod des Syrers Amad A., der unschuldig inhaftiert wurde und im Nachgang eines Zellenbrands in der Justizvollzugsanstalt Kleve verstorben ist, eingesetzt wurde. In diesem Bericht wird insbesondere die Versorgung psychisch kranker Gefangener scharf kritisiert und als – ich zitiere – „völlig unzureichend und unangemessen“ bezeichnet.

Die Versorgung psychisch kranker Menschen in Haft muss dringend verbessert werden. Das hat uns der Bericht der Expertenkommission deutlich vor Augen geführt. Es fehlen sowohl ambulante als auch stationäre Angebote und Konzepte.

Auch die Suizidprävention muss weiter verbessert werden. Insbesondere für psychisch kranke Frauen gibt es kaum Behandlungsangebote. Es fehlt Personal in allen Bereichen. Es fehlen Ärztinnen, Psychologinnen, Pflegekräfte, Vollzugsbedienstete. Die Gefängnisse und die Bediensteten sind überlastet und können psychisch Kranken keine angemessene Behandlung bieten.

Wir bringen nun diesen Antrag ein und stellen ihn nicht zur direkten Abstimmung, weil wir hier ein klares Defizit erkennen. Das hat uns der Bericht deutlich vor Augen geführt. Wir möchten das Licht der Öffentlichkeit und das Licht des Parlaments auf diese Problematik, wo man sicherlich nicht so gerne hinguckt, lenken. Wir möchten eine Plattform bieten. Deswegen soll dieser Antrag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden.

Ich kündige schon jetzt für meine Fraktion an, dass wir dazu eine Anhörung im federführenden Rechtsausschuss beantragen werden. Wir würden gerne darüber breit im Parlament diskutieren, unabhängig davon, dass wir letzte Woche im Rechtsausschuss auf Einladung des Ministers der Justiz eine Koordinierungsrunde vereinbart haben, um die Ergebnisse dieser Expertenkommission mit Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen zu diskutieren. Solch eine Problematik mit so einem dramatischen Befund gehört ins Parlament, in die Ausschüsse. Wenn wir beides machen, das eine machen und das andere nicht lassen, dann werden wir hoffentlich am Ende des Tages die Situation sowohl für die Gefangenen als auch für die Mithäftlinge und die Bediensteten im Vollzug deutlich verbessern.

Wir unterbreiten im Antrag zehn Vorschläge, wie es unserer Meinung nach gehen könnte. Ich muss sie nicht alle aufzählen, sondern möchte nur einige kurz benennen.

Erstens schlagen wir vor, dass die zur Verfügung stehende Anzahl der Belegbetten in der psychiatrischen Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses in Fröndenberg bedarfsgerecht aufgestockt wird. Derzeit gibt es 60 Zimmer, oft mit Einzelbelegung, sodass de facto wesentlich weniger Zimmer für die Behandlung von psychisch auffälligen Inhaftierten zur Verfügung stehen.

Zweitens ist die Zusammenarbeit mit Honorarärztinnen und Honorarärzten in den Justizvollzugsanstalten deutlich auszubauen, um Abhilfe zu schaffen.

Studien und psychologische Schulungen der Bediensteten sind dringend notwendig.

Es gibt noch viele weitere Punkte, die wir tun könnten. Unser Anliegen ist, hier im Parlament möglichst interfraktionell zu einer Lösung zu kommen. Deswegen lade ich Sie alle ein, zu diesem vielleicht etwas schwer verdaulichen Thema mit uns in den Diskurs zu gehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU spricht Frau Abgeordnete Wendland.

Simone Wendland*) (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt kaum ein Themenfeld, das so oft genannt wird, wenn von Defiziten die Rede ist – Defizite, die behoben werden müssen wie in der Gesundheitspolitik. Das ist auch richtig. Wir alle wissen, es gibt zu wenige Hausärzte, zu wenige Fachärzte, aber auch zu wenige Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und auch Psychotherapeuten. Nur von einem gibt es zu viel, nämlich Wartezeiten.

Insofern ist es zwar richtig, wenn die Grünen mit ihrem Antrag das Augenmerk auf die psychotherapeutische Betreuung von Strafgefangenen in unserem Land lenken, aber sie beschreiben keine Ausnahmesituation. Denn genau wie überall im Land gibt es eben auch in den Justizvollzugsanstalten nie genug Ärzte und Psychotherapeuten.

Wir sind dankbar, dass die Expertenkommission, die unser Justizminister eingerichtet hat, zügig und ausführlich gearbeitet und zahlreiche wichtige Empfehlungen ausgesprochen hat. Wie mit diesen Empfehlungen umzugehen ist, soll einer fachlichen Prüfung vorbehalten bleiben und – das finde ich hervorragend – in einer Koordinierungsrunde, die mit Fachleuten aus dem Ministerium und mit Vertretern aller Fraktionen besetzt sein wird, geklärt werden. So kann einvernehmlich ein zügiger Fahrplan für die Umsetzung verabredet werden.

Dieser Ansatz ist völlig richtig. Zum einen ist es richtig, die Gesamtsituation in den Blick zu nehmen und nicht einzelne Themenfelder herauszugreifen. Zum anderen ist es richtig, den Landtag insgesamt einzubinden, denn aus unserer Sicht eignet sich dieses Thema nicht zu einer parteipolitischen Profilierung.

Zur Wahrheit bei der Problemanalyse gehören einige Fakten, die mir persönlich zu kurz kommen. Wir alle wissen, dass zur Hilfe nicht nur Helfer, sondern auch Menschen gehören, die sich helfen lassen wollen. Genau das ist in vielen Fällen gerade im Strafvollzug nicht der Fall. Wir müssen uns also mit der Frage beschäftigen, warum das so ist und wie wir hier Abhilfe schaffen können.

Natürlich wissen wir, dass es noch mehr Ärzte in den Justizvollzugsanstalten geben könnte, aber es muss in Zeiten eines weitverbreiteten Ärztemangels auch Mediziner und Medizinerinnen geben, die bereit sind, einer Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt nachzugehen. Deshalb werden wir uns wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir den Arbeitsplatz Justizvollzugsanstalt attraktiver machen können.

In diesem Zusammenhang möchte ich als Abgeordnete der Stadt Münster deutlich in Ihre Richtung sagen: Wenn es um den Arbeitsplatz Justizvollzugsanstalt geht, geht es auch um die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes und die Wertschätzung durch den Arbeitgeber, also das Land. Da ist es wenig hilfreich, wenn beispielsweise die JVA Münster so sanierungsbedürftig ist, dass schließlich die sofortige Räumung des Gebäudes wegen Einsturzgefahr verfügt werden musste. Wenn dies unter dieser schwarz-gelben Landesregierung geschehen wäre, dann hätten Sie sofort am nächsten Tag den Justizminister zur Ordnung gerufen.

Gleichwohl haben wir das Thema im Blick und arbeiten daran. Wir sind aber im Gegensatz zu Ihnen der festen Überzeugung, dass es sich eben nicht dazu eignet, dies im parteipolitischen Konflikt zu tun. Vielmehr möchten wir an alle Vertreter dieses Hauses appellieren, die Arbeit in der Koordinierungsstelle zu nutzen, um gemeinsam Verbesserungen für den Justizvollzug zu erreichen. Gerne kann das Ergebnis dann anschließend gemeinsam parlamentarisch verarbeitet werden.

Damit ist den Betroffenen, den Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten, am Ende mehr gedient. Also machen Sie einfach mit, damit es für die Gefangenen und letztlich auch für die Bediensteten besser wird. Der Ausschussüberweisung stimmen wir natürlich zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Bongers das Wort.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag macht es bereits deutlich: Psychische Erkrankungen kommen in Haftanstalten weitaus häufiger vor als in der regulären Bevölkerung. Zu den Krankheitsbildern zählen unter anderem Suchterkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Psychosen.

Oftmals gibt es auch Verbindungen zwischen der Erkrankung und der Straftat, die zu der Inhaftierung geführt hat. Ich denke da zum Beispiel an Beschaffungskriminalität, die die Folge von Suchterkrankung sein kann, oder Persönlichkeitsstörungen, die die Regulierung von Aggressionen beeinträchtigen. Ich will hier keineswegs Straftaten entschuldigen, auch wenn eine psychische Störung mit im Spiel war. Zu zynisch wäre das für Opfer, die unter diesen Straftaten massiv leiden.

Aber dennoch haben kranke Menschen ein Anrecht auf adäquate Behandlung. Zum Beispiel bei Menschen, die unter Depressionen leiden, kann eine Inhaftierung eine so starke emotionale Krise auslösen, dass der eine oder andere Gefährdete womöglich an Suizid denken mag. Aber nicht nur die Prävention von Suiziden ist ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang, auch bei anderen Erkrankungen ist ein bedarfsgerechtes Behandlungsangebot sehr wichtig.

Es kann nicht sein, dass Menschen mit schizophrenen Psychosen in besonders gesicherte Hafträume – ich benutze jetzt das fiese Wort – „weggesperrt“ werden, weil eine angemessene ambulante oder stationäre Behandlung fehlt. Psychisch kranke und behandlungsbedürftige Gefangene warten in Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen oft Monate, teilweise über ein ganzes Jahr auf einen Platz im einzigen Justizkrankenhaus in Fröndenberg.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen in der Haft geht es nicht um Altruismus, wie vielleicht auch viele glauben. Es geht nicht nur darum, den Gefangenen eine menschenwürdige und angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, sondern diese Behandlung ist in vielen Fällen erforderlich für eine erfolgreiche Sozialisierung.

(Beifall von der SPD)

Wer in der Haft lernt, mit den Symptomen seiner Erkrankung umzugehen, kann diese erlernten Strategien auch zum Schutze der allgemeinen Bevölkerung nach der Haftzeit anwenden.

Wir haben hier einen Auftrag zur Sicherheit aller. Darüber hinaus hilft auch weitere Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter in Justizvollzugsanstalten, um besser mit betroffenen Erkrankten umzugehen. Auch eine Aufstockung von medizinischem Fachpersonal würde reguläre Vollzugsbeamte deutlich entlasten.

Meine beiden Vorredner haben gerade schon erwähnt, dass man über dieses Thema nicht politisch streiten sollte. Dieser Meinung schließe ich mich ausdrücklich an.

Beide Kollegen haben gerade darauf hingewiesen, dass es eine Kommission geben wird. Ich denke, dass diese Thematik darin sehr gut aufgehoben ist. Ich gehe davon aus, dass wir zum Schutze und für die Gesundheit der Betroffenen vernünftige Regelungen finden werden. Genau aus den genannten Gründen stimmen wir der Überweisung an die Fachausschüsse zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP spricht nun der Abgeordnete Herr Mangen.

Christian Mangen (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hinsichtlich des vorliegenden Antrags von Bündnis 90/Die Grünen ist zunächst festzuhalten, dass dieser maßgeblich auf dem Bericht der Expertenkommission basiert, der von der Landesregierung im Dezember vergangenen Jahres in Auftrag gegeben wurde, um mögliche Missstände in den Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen aufzudecken und diese konkret auf Verbesserungsmöglichkeiten hin zu untersuchen.

Hierbei sind die Bereiche Brandschutz, Haftraumkommunikation und Maßnahmen zur Erkennung und zum Umgang mit psychisch erkrankten Gefangenen zu betonen und in dem Bericht enthalten.

Daher muss klargestellt werden, dass der Antrag zu diesem Zeitpunkt völlig überflüssig ist. Er greift nicht nur willkürlich einige Punkte aus dem Bericht der Landesregierung auf, nein, er wurde auch noch einen Tag vor der Sitzung des Rechtsausschusses gestellt, also am 10. September, obwohl der Bericht der Landesregierung am 11. September auf der Tagesordnung stand. Allein diese Chronologie zeigt, welches Kalkül hinter dem Antrag steckt.

Aber es wird noch besser. In der Obleuterunde nach der Rechtsausschusssitzung hatten alle Fraktionen zugestimmt, dass jede Fraktion eine Person benennt, die an der Koordinierungsrunde zum Bericht der Expertenkommission zu Optimierungsmöglichkeiten teilnimmt und ein gemeinsames Vorgehen koordiniert.

Ich erinnere mich noch gut an die Sitzung des Rechtsausschusses. Da haben sich Herr Kollege Wolf von der SPD und Herr Engstfeld von den Grünen echauffiert, als ein Antrag der Koalitionsfraktionen zum Thema „Loverboy-Methode“ kam, weil noch nicht jeder der mitberatenden Ausschüsse damit befasst war. Ein „ungehöriges Vorgehen“ nannte man das.

Nun wird hier, obwohl wir alle gemeinsam abgestimmt hatten, eine gemeinsame Runde für gemeinsame Lösungen einzusetzen, ein Schnellschuss gemacht, wenige Punkte aus dem 53 Punkte umfassenden Bericht werden herausgepickt, um sich zu präsentieren.

Jetzt zum Antrag selber: Nach den eingehenden Untersuchungen und dem Besuch der 14 Justizvollzugsanstalten hat die siebenköpfige Expertenkommission am 16. Juli 2019 ihren umfassenden Bericht vorgelegt und 53 Empfehlungen ausgesprochen. Das weitere Vorgehen war nun, diese Empfehlungen durchzugehen und auf baldmögliche Umsetzungsmöglichkeiten hin zu prüfen.

Um möglichst umfassend und zeitnah die Empfehlungen der Expertenkommission umzusetzen, ist es von entscheidender Bedeutung, ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Auch sind die unterschiedlichen Dringlichkeiten der genannten 53 Empfehlungen zu bewerten und zu untersuchen sowie eventuelle finanzielle und zeitliche Aufwendungen der Umsetzung zu evaluieren. Wir brauchen keine Schnellschüsse, wie es von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier offenbar angedacht ist.

Meine Damen und Herren, der Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen darf kein Raum für Schnellschüsse sein und nicht aufs Spiel gesetzt werden, um vermeintlich in der Öffentlichkeit zu punkten. Zudem ist der Antrag offensichtlich mit der heißen Nadel gestrickt.

Inhaltlich lässt sich noch sagen, dass die von Ihnen genannte Zahl von bis zu 88 % psychisch erkrankten Gefangenen im Strafvollzug nicht repräsentativ ist. Diese Zahl stammt aus einer Studie aus dem Jahr 2002 – ist also nicht taufrisch – aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld, bei der lediglich 63 Frauen und 76 Männer untersucht worden sind.

Die weitere von Ihnen herangezogene Studie von Herrn Dr. Schröder ist aus dem Jahr 2005, ebenso wenig taufrisch. Danach lässt sich zwar sagen, dass es in den Justizvollzugsanstalten deutlich mehr Damen und Herren gibt, die psychologische Schwierigkeiten haben, als in der Gesamtbevölkerung, aber auch hier ist die Kommission dazu aufgerufen, dies intensiv zu untersuchen.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Es liegt deswegen gerade im Interesse der Regierung, die Ergebnisse ihrer eigenen Initiative voranzutragen. Es ist aber eine Analyse aller genannten Punkten erforderlich, um zu sehen, welche Empfehlungen zeitnah und im Rahmen einer soliden Finanzplanung umgesetzt werden können.

Die NRW-Koalition ist dafür, die Situation im Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen so bald wie möglich im Rahmen eines gemeinsamen Vorgehens entsprechend den Vorschlägen der Expertenkommission zu verbessern. Wir wollen eben keine Schnellschüsse oder Experimente. Ich bin gespannt auf die Erklärungen dazu im Ausschuss. – Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD spricht Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich muss psychisch kranken Menschen auch im Strafvollzug geholfen werden. Ich glaube, da sind wir uns in diesem Hohen Haus alle einig.

Natürlich sind insbesondere Häftlinge eine besonders vulnerable Gruppe, wenn es um Suizidalität, Sucht oder beispielsweise auch um den ganzen Bereich der Impulskontrollstörungen geht. Dazu braucht man keine Studie, dazu braucht man auch keine Expertenkommission, da hilft einem schon der normale gesunde Menschenverstand.

Jetzt hören wir aber gerade, dass genau zu diesem Problemfeld, das allen bekannt sein dürfte, die sich damit beschäftigen, im Hintergrund im Prinzip schon eine Lösung angestoßen wurde. Dann würde ich erwarten, dass ich in einem Antrag dazu zumindest praktikable Lösungsvorschläge finde. Denn wie wir gehört haben, liegen die Probleme auf dem Tisch, und Lösungen sollen gesucht werden. Also hatte ich mich gefreut, vonseiten der Grünen einige schöne Lösungen vorgelegt zu bekommen.

Wie sehen nun die konkreten Vorschläge aus, die die Grünen in ihrem Antrag liefern? Herr Engstfeld hat hier vorne – ein bisschen verdruckst, wie ich finde – drum herumgeredet. Er hat einiges angerissen. Gehen wir das einmal im Einzelnen durch.

Wie soll beispielsweise das Finanzierungskonzept dahinter aussehen? Woher stammt das viele Geld, das man braucht, um eine gute psychiatrische Therapie, die viele Stunden und damit auch viel Geld benötigt, zu finanzieren? Woher nehmen Sie die Psychotherapeuten und Psychiater, die nun die Versorgung verbessern sollen? Vor allen Dingen: Wie wollen Sie den Menschen außerhalb der Haftanstalt erklären, die beispielsweise im Ruhrgebiet Monate auf einen Therapieplatz warten müssen, dass Sie dort vielleicht Geld oder Personal abziehen?

Ein besonderer Punkt, der mich geärgert hat, als ich den Antrag gelesen habe, war: Warum wollen Sie erst dann den Menschen helfen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist respektive im Gefängnis sitzt? Prävention muss in einem ausgewogenen Verhältnis zur Repression stehen.

Würde es Ihnen wirklich um das Wohl der psychisch Kranken gehen und nicht nur um einen Lobbypolitikantrag bzw. um einen Wohlfühlschaufensterantrag, dann hätten Sie beispielsweise unseren Antrag zu den Präventionsambulanzen von psychisch kranken Straftätern nicht einfach lapidar ablehnen dürfen. Dann hätten Sie zumindest darüber nachgedacht und uns, wie ich finde, auch zustimmen müssen.

Natürlich muss den Menschen geholfen werden. Natürlich besteht auch eine gewisse Assoziation zu bestimmten psychischen Krankheiten und der Straftat, die dahintersteht. Hinter Beschaffungskriminalität oder Gewaltstraftaten steht eben häufig eine psychische Erkrankung. Aber der kann ich mich doch nicht erst annehmen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Vielmehr muss ich tätig werden, bevor eine Straftat begangen wird. Dazu hatten wir Ihnen ein Angebot gemacht, das in diesem Haus von allen anderen Fraktionen leider abgelehnt worden ist.

Bei Ihrer letzten Forderung verlieren Sie uns dann endgültig. Psychisch kranke Verbrecher sollen laut Ihrem Antrag nicht mehr ins Gefängnis, sondern in Therapie.

Zum einen kommt eine Person schon heute in die Forensische Psychiatrie und nicht in den regulären Maßregelvollzug, wenn die Schuldfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht gegeben ist. Das ist doch nichts Neues, das gibt es seit Dekaden in der Bundesrepublik.

Zum anderen: Wie weit wollen Sie es noch treiben? Wie weit wollen Sie die Menschen mit Ihren Verboten und Ihrer betreuenden Politik noch entmündigen? Sollen nun auch Gewalttäter mit einer Impulskontrollstörung besser in eine Psychiatrie als ins Gefängnis? Wie wollen Sie das den Opfern erklären?

Das sind noch viele offene Fragen nach einem, wie ich finde, mehr als dürftigen Antrag, bei dem man sich fragen muss, Herr Engstfeld – ich habe Sie als guten Kollegen kennengelernt –, ob Sie Ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht nur freitags, sondern mittlerweile jeden Tag zum Klimastreik schicken. Ich bin trotzdem sehr gespannt auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Betreuung psychisch kranker und suizidaler Gefangener ist eines der Kernanliegen im Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen. Die Prävalenz psychischer Erkrankungen übersteigt bei Gefangenen diejenige der Normalbevölkerung um ein Vielfaches. Das haben hier fast alle Redner deutlich gemacht und betont.

Machen wir uns aber nichts vor, die Ergebnisse der erwähnten Studien sind aus den Jahren 2002 und 2008. Zum anderen legen die Ergebnisse und Erfahrungen der Bediensteten aus den Justizvollzugsanstalten und Justizvollzugskrankenhäusern nahe, dass es heute nach wie vor nicht anders aussieht. Sie sehen, das Problem ist nicht neu.

Lieber Herr Engstfeld, eine Bemerkung kann ich Ihnen nicht ersparen: Diese Situation habe ich bei meinem Amtsantritt vorgefunden. Ich habe im Hause einmal gefragt, was denn die Vorgängerregierung – unter Mitverantwortung der von Ihnen hier vertretenen Partei – in diesem Bereich getan hat. Wir sind nicht sehr fündig geworden.

Um eine Verbesserung der Situation zu erzielen, sind seit meinem Amtsantritt zwei Konzepte entwickelt und zum Teil bereits umgesetzt worden. Das ist erstens das Konzept zur psychiatrisch intensivierten Behandlung in den Anstalten sowie zweitens die Verbesserung der Suizidprävention im Justizvollzug unseres Landes.

Zur Stärkung der Suizidprävention sind in den Anstalten mit den größten Untersuchungshaftbereichen in 2018, also im letzten Jahr, zwölf vollzugserfahrene Psychologen zu Suizidpräventionsbeauftragten ernannt und die hierfür notwendigen Stellen geschaffen worden.

Die Aufgabe der Suizidpräventionsbeauftragten ist es, die in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten vorhandenen Maßnahmen zur Suizidprävention zu überprüfen, Schulungen der Bediensteten durchzuführen und auf den Ausbau suizidpräventiver Strukturen und die Koordination der Maßnahmen und Arbeitsabläufe innerhalb der Anstalten hinzuwirken.

Die Tätigkeit der Suizidpräventionsbeauftragten wird durch weitere 26 Stellen für Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes flankiert.

Das Konzept der psychiatrisch intensivierten Behandlung in den Justizvollzugsanstalten unseres Landes sieht die Betreuung psychisch kranker Gefangener in den Anstalten in Analogie zu einer tagesklinischen psychiatrischen Betreuung vor.

Die Umsetzung dieses Konzepts begegnet – natürlich nicht unerwartet – Schwierigkeiten aufgrund des allseits bekannten Fachkräftemangels. Um trotzdem eine Verbesserung der Situation für die Gefangenen und Bediensteten zu erreichen, werden den Anstalten Mittel zur Verfügung gestellt, um einzelne Module des Konzepts für die Betreuung dieser Gefangenengruppe zu implementieren.

Mir wie allen anderen auch ist klar, dass die hohe Anzahl der psychisch kranken Gefangenen auch in den nächsten Jahren weitere Maßnahmen erfordern wird, um ihre Situation zu verbessern. Dazu hat die Expertenkommission, die hier bereits mehrfach genannt wurde, umfangreiche Vorschläge gemacht.

Herr Engstfeld, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie die Vorschläge aus irgendwelchen populistischen Gründen in Ihren Antrag übernommen haben, denn ich weiß, wie sehr Ihnen die Behandlung und das Angebot am Herzen liegen.

Jetzt diesen Antrag zu beschließen, halte ich aber auch deshalb für falsch, weil gerade in der Expertenkommission und in der Koordinationsrunde überlegt werden soll, was sofort getan werden kann und was erst mittelfristig möglich sein wird.

Nun zu sagen, dass wir die Situation und die Wertigkeit verändern, indem wir diesen Antrag vorziehen, während anderes möglicherweise leichter umzusetzen ist, halte ich für falsch.

Deswegen auch die Bitte an Sie: Lassen Sie uns diesen Antrag heute zur Kenntnis nehmen. Nehmen Sie ihn mit in die Koordinationsrunde, beschließen Sie dort gemeinsam – wir haben die breite Übereinstimmung gehört, dass wir das in der Koordinationsrunde erreichen wollen –, und lassen Sie uns versuchen, die dort erzielten Ergebnisse baldmöglichst umzusetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 3 schließen können.

Ich komme zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/7371 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides war nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Temporäre Einstellung der Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem Zentralrat der Muslime (ZMD)

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7359

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin für die antragstellende Fraktion der AfD hat Frau Kollegin Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gemäß § 2 der Satzung des Zentralrats der Muslime in Deutschland tritt dieser für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die im Grundgesetz niedergelegte Ordnung ein. Steht das da nur, oder ist das auch so?

Eine aktuelle Übersicht der Mitgliedsorganisationen stellt der Zentralrat seit 2016 nicht mehr zur Verfügung. Das hat gute Gründe. Schaut man sich die letzte frei zugängliche Übersicht einmal genauer an, wird der Grund für diese Intransparenz deutlich sichtbar.

Da findet sich unter anderem die Deutsche Muslimische Gesellschaft, die wichtigste und zentrale muslimbrudernahe Organisation in Deutschland. 11 der 109 allein in NRW unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden Moscheen gehören dieser Organisation an.

Auf meine Kleine Anfrage dazu führte Herr Minister Stamp aus – ich zitiere –:

„Die Zugehörigkeit der IGD/DMG zum ZMD ist der Landesregierung bekannt. Die Landesregierung erwartet von allen muslimischen Verbänden – wie von allen gesellschaftlichen Dialogpartnern –, dass diese die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland respektieren.“

Das ist an Naivität kaum noch zu überbieten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Kommen wir zurück zur Liste der Mitgliedsorganisationen des Zentralrats. Auch die Grauen Wölfe finden sich auf dieser Liste – bestens getarnt unter dem Namen „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“, kurz ATİB.

Bei gründlicher Recherche findet man übrigens auch Belege für Kontakte der CDU zu den Grauen Wölfen über die Union der Vielfalt bzw. das Landesnetzwerk Integration.

(Helmut Seifen [AfD]: Ah!)

Meine Damen und Herren, welche Beziehungen Sie da pflegen, sollten Sie einmal selbst prüfen. Der Bürger verdient mehr Transparenz; das sollten Sie wissen.

Zu Islamic Relief – ebenfalls eng verbunden mit dem Zentralrat der Muslime – pflegen sowohl prominente CDU‑ als auch SPD-Vertreter gute Kontakte. Auf einer Unterstützerliste stehen heute noch Bundespräsident Steinmeier und Hannelore Kraft.

Aiman Mazyek, Vorsitzender im Vorstand des Zentralrats der Muslime mit Sitz in Köln, besuchte im Juli 2019 die Muslim World League in Saudi-Arabien. Zu dieser Muslim World League gehört auch Islamic Relief.

Nicht nur die Bundesregierung hat hier Kontakte zur Muslimbruderschaft entdeckt – übrigens schon im Januar 2017 auf Nachfrage des Abgeordneten Volker Beck von den Grünen; auch die israelische Regierung kommt zu dieser Einschätzung. In Israel kommt man sogar zu einer Einstufung als Terrororganisation. Der Grund sind Kontakte zur Muslimbruderschaft – erneut –, zur Hamas und zum Hisbollah.

Im zum Zentralrat gehörenden IZ Hamburg zieht es Funktionäre zum Beispiel auch regelmäßig zum Al-Quds-Tag nach Berlin. In der Vergangenheit wurden dann dort Parolen wie „Juden ins Gas“ gerufen. Lesen Sie nach in der „ZEIT“, Herr Minister Stamp.

Es ist ein Skandal für mich, und es ist unerträglich, dass das im Jahr 2019 in Deutschland geduldet wird.

(Beifall von der AfD – Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Für mich auch!)

Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die sichere Existenz Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Wie kann man dann einen Dialog führen, gar zusammenarbeiten mit Verbänden, die Mitglieder vertreten, die die Vernichtung Israels wollen? Können Sie das den Bürgern erklären, Herr Minister?

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, besuchte kürzlich das Emirat Kuweit. In den sozialen Netzwerken bemerkte er hierzu – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Wir gehen nach Deutschland zurück mit einem Bündel von neuen und höchst interessanten Ansätzen und klugen Beispielen für das muslimische Leben in Deutschland.“

Was schwebt Herrn Mazyek da vor: Die fehlende Meinungsfreiheit, die Todesstrafe, das Verbot von Homosexualität oder die Ungleichbehandlung von Mann und Frau?

Was davon sind wir bereit, in Deutschland zu übernehmen? – Ich hoffe doch, dass wir uns wenigstens darin einig sind, werte Kollegen: gar nichts davon.

(Beifall von der AfD)

Eigentlich sollte sich als Fazit angesichts der Mitgliedschaften zahlreicher verfassungsfeindlicher Organisationen im Zentralrat der Muslime jegliche Zusammenarbeit verbieten.

Was geschieht im Integrationsministerium? – Am 1. Juli traf man sich in Düsseldorf anlässlich des Kongresses „Muslimisches Engagement in NRW“. Unter den 115 Teilnehmern finden sich unter anderem natürlich auch die Deutsche Muslimische Gemeinschaft, die zentrale muslimbrudernahe Organisation, und der Zentralrat der Muslime.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Wenn Sie nicht auf die AfD hören, hören Sie doch auf die Regierung. Hören Sie auf den Leiter des Landesverfassungsschutzes. Setzen Sie die privilegierte Zusammenarbeit einfach mal aus.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Blondin.

Marc Blondin (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der respektvolle Umgang und Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen religiös oder nicht religiös geprägten Weltbildern ist für das friedliche Miteinander in unserer pluralistischen Gesellschaft unabdingbar.

Begegnung und Austausch sind die Grundlage für gegenseitiges Verständnis. Religions‑ und Glaubensfreiheit sind ein grundlegendes Gut unserer liberalen Demokratie und schaffen Raum für gegenseitige Akzeptanz. Interreligiöser Dialog soll dabei auch negativen Einflüssen durch religiösen Extremismus, religionsbezogene Diskriminierung und religionsfeindliche Gewalt entgegenwirken.

All das ist im Antrag der NRW-Koalition, mit dem wir den interreligiösen Austausch in Nordrhein-Westfalen intensiviert und auf neue Grundlage gestellt haben, nachzulesen.

Im Juli fiel dementsprechend der Startschuss für die Koordinierungsstelle Muslimisches Engagement in NRW, denn wir wollen eine möglichst große Bandbreite zivilgesellschaftlicher Gruppen muslimischer Prägung einbinden.

In unserer Mitte leben rund 1,5 Millionen Muslimas und Muslime, deren Glaubensrichtung sich zum Teil je nach Herkunftsland unterscheidet. Auf Landesebene existiert bisher keine gemeinsame Vertretung alle Muslime.

Die Landesregierung arbeitet in ihrem Bestreben, den Dialog mit der muslimischen Bevölkerung in unserem Land zu fördern, mit vielen verschiedenen Verbänden zusammen. Künftig sollen nicht nur diese an der Arbeit der neuen Koordinierungsstelle mitwirken, sondern die Einbeziehung einer möglichst großen Bandbreite interessierter Mitgliedsorganisationen soll die Vielfalt unter den Muslimas und Muslimen zum Ausdruck bringen. Ziel ist es letztlich auch, damit den innermuslimischen Dialog zu stärken.

Im Vordergrund der gemeinsamen Arbeit stehen die grundlegende Vermittlung der freiheitlichen demokratischen Rechts‑ und Werteordnung sowie die Integration in unsere Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, warum ich an dieser Stelle diese Punkte noch einmal aufgreife. Es geht mir darum, einmal deutlich zu machen, dass es auch einen anderen Ansatz als den der Ausgrenzung gibt, denn auf Ausgrenzung setzt die AfD mit dem uns heute vorliegenden Antrag.

(Zuruf von der AfD)

Statt den Dialog mit denen zu suchen, die sich im Zentralrat der Muslime – ZMD – zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und ihr Handeln nach der geltenden Rechtsordnung ausrichten, fordert die AfD, jegliche Zusammenarbeit mit dem ZMD unter anderem wegen der Mitgliedschaft der muslimbrudernahen Deutschen Muslimischen Gemeinschaft einzustellen – zumindest temporär.

Das lehnen wir ab. Keine Frage, wir stehen zu unserer freiheitlichen demokratischen Grund‑ und Werteordnung und erwarten auch von unseren Dialogpartnern beim ZMD ein ganz klares und eindeutiges Bekenntnis zu unserer Demokratie und zu unserer pluralistischen Gesellschaft.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Dieses Bekenntnis werden wir auch einfordern, wenn wir weiterhin zielführende Gespräche führen. Das tun wir, denn jede Form von Extremismus – sei er religiöser oder politischer Natur – lehnen wir als CDU strikt ab.

Wir erwarten deswegen auch vonseiten des Verfassungsschutzes, dass er weiterhin ein wachsames Auge auf die Gruppierungen in unserem Land hat, die sich nicht zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die AfD zitiert in ihrem Antrag ausführlich aus einem Bericht der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Allerdings unterschlägt sie in ihrem Antrag die Äußerung des ZMD-Vorsitzenden. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Der Zentralrat lehnt jede Form der politischen Ideologisierung von Religion strikt ab. Den Vertretern der Deutschen Muslimischen Gesellschaft hat man bereits vor Jahren nahegelegt, sich mit den Sicherheitsbehörden ins Benehmen zu setzen, um Transparenz zu erzeugen. Dies ist aber erst in diesem Jahr erfolgt. Die damit parallel angestoßenen Diskussionen haben dazu geführt, dass sich Moscheegemeinden von der Muslimbruderschaft oder salafistischen Gruppen emanzipiert haben. Dies ist ein erfolgversprechender Weg. – Zitatende.

Meine Damen und Herren, pauschale Ausgrenzung führt am Ende nur dazu, dass man ganze Moscheegemeinden in die Arme der Extremisten treibt. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Unsere Hand bleibt deshalb ausgestreckt für all diejenigen Muslimas und Muslime, die auf Grundlage unserer Rechts‑ und Werteordnung den Dialog zwischen den Religionen vorantreiben wollen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Blondin. – Sie haben gesehen, dass eine Kurzintervention aus den Reihen der AfD-Fraktion angemeldet wurde. Ich gebe Frau Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Blondin, ich glaube, im Großen und Ganzen sind wir so weit von Ihnen nicht weg.

Auch wir halten es gar nicht für falsch, mit muslimischen Gemeinden, mit muslimischen Verbänden zu sprechen. Unten steht heute ein Repräsentant, ein Verband, der ein hervorragender Gesprächspartner ist.

Ich verstehe auch, dass Sie möglichst Sammelverbände ansprechen; das ist natürlich sehr viel einfacher. Aber gerade beim Zentralrat der Muslime sage ich Ihnen: Lassen Sie die doch erst einmal für Aufklärung sorgen, ihre Probleme in ihren Reihen lösen und sprechen so lange mit einzelnen Unterorganisationen, genauso wie Sie das mit Ditib auch machen. Wo ist das Problem?

Klar, organisatorisch verstehe ich das. Ansonsten halte ich die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat im Moment nicht für angemessen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Blondin, Sie haben jetzt Gelegenheit, ebenfalls 90 Sekunden zu antworten.

Marc Blondin (CDU): Es geht nun mal um den Zentralrat, und das ist die Organisation, mit der zu reden ist.

Wenn ich es einfach mal so sagen darf: Ihre Kritik bringen Sie ja im direkten Gespräch mit den Betroffenen wahrscheinlich gar nicht an, weil Sie dieses Gespräch offensichtlich nicht suchen wollen. Da gehört es aber hin. Wenn wir nicht in der Lage sind, einen Dialog mit diesen Organisationen zu führen, kommen wir keinen entscheidenden Schritt weiter.

Wir haben oft genug – und das wissen wir – auch in den christlichen Kirchen einen innerkirchlichen Dialog, der nicht ganz einfach ist. Der muss aber auch geführt werden. Wenn man dann mit Organisationen anderer Religionen überhaupt nicht in Kontakt tritt und keine Gespräche führt, kann man nicht zielorientiert arbeiten, kann man keine Lösungen finden, auch keine Kompromisse.

Gut, es mag sein, dass Sie auch nicht an Kompromissen interessiert sind; das kommt ja an der einen oder anderen Stelle häufiger vor,

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD]) – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Dann mache ich noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Partei, die sich in Teilen in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten sieht, nun einen solchen Antrag stellt. Das verleiht Ihnen offensichtlich Flügel. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Blondin.

Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der AfD reiht sich ein in eine Reihe von Anträgen, die aus meiner Sicht allein ein Ziel verfolgen: die generelle Diskriminierung und Diskreditierung einer Religionsgruppe, nämlich des Islams.

(Beifall von der SPD – Widerspruch von der AfD)

Dabei wird nach dem bewährten Muster vorgegangen: Von einzelnen Gruppen wird auf die Gesamtheit geschlossen, völlig ohne Berücksichtigung ihres tatsächlichen Verhältnisses untereinander.

Man erinnere sich nur an die Aktuelle Stunde im Juli 2018, als bereits der Versuch unternommen wurde, den ZMD in Gänze als Gesprächs‑ und Verhandlungspartner in Abrede zu stellen.

Der vorliegende Antrag befasst sich nun erneut mit dem Zentralrat der Muslime in Deutschland. Obwohl gleich zu Anfang interessanterweise festgestellt wird, dass die Liste der aktuellen Mitglieder des ZMD dem Antragsteller nicht bekannt sei, wird gleichwohl anhand von einzelnen, den zuständigen Gremien sehr wohl bekannten Mitgliedern auf den Gesamtverband geschlossen.

Daraus werden Forderungen an die Landesregierung abgeleitet, eine bei AfD-Anträgen häufig vorzufindende Vorgehensweise, die zur Verfestigung des gewünschten Weltbildes dienen soll und in die Kategorie von Agitation und Propaganda gehört.

(Beifall von der SPD)

Bemerkenswert sind aber die im Folgenden aufgeführten Behauptungen, es handle sich um möglicherweise mehr als vier problematische Mitgliedsorganisationen im ZMD.

Sie konstruieren hier Zusammenhänge, die uns weismachen sollen, es stünden deutlich mehr Mitglieder des ZMD unter Beobachtung des Verfassungsschutzes oder sollten Ihres Erachtens stehen.

Mehr noch: Wider besseres Wissen wird einfach behauptet, dass die Landesregierung keinen Einblick in die Mitgliederliste hätte. Dabei sind auch der AfD die dafür zuständigen Gremien bekannt, ebenso wie Ihnen bekannt ist, dass einige Berichte aus taktischen Gründen der Vertraulichkeit unterliegen, um eine effektive Beobachtung und dadurch den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

– Vorsicht! Mit der Äußerung wäre ich vorsichtig.

Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass hier im Trüben gefischt wird, ist schlichtweg falsch. Das wissen Sie.

Letztlich münden dann die abschließenden Forderungen in der vorübergehenden Aufkündigung jeglicher Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem ZMD, ergänzt durch Bedingungen, unter denen die Zusammenarbeit wieder aufgenommen werden könnte.

Dieses geforderte Vorgehen basiert nicht nur auf Unterstellungen, sondern es ist aus Sicht der SPD-Fraktion schlichtweg falsch.

Es ist uns bewusst, dass es in NRW ein großes Spektrum von islamischen Vereinigungen und Vereinen gibt, deren Auslegung der sie verbindenden Religion, des Islams, sehr unterschiedlich ist und die auch unterschiedlich in unserer Gesellschaft und unserem Wertesystem verankert sind. Ja, es gibt es im ZMD Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, und das ist auch richtig.

Umso wichtiger und notwendiger ist es aber, auf keinen Fall den Gesprächsfaden abreißen zu lassen. Nur im Dialog können wir Überzeugungsarbeit für unsere Werte leisten und Vertrauen gewinnen. Wenn wir das Gespräch verweigern, wird die Ausgrenzung endgültig vollzogen, und eine jegliche Einwirkung ist nicht mehr möglich.

Wir sind sicher: Unser Rechtsstaat funktioniert, wo es erforderlich ist. Er erfordert aber auch gleichzeitig vertrauensbildende Maßnahmen, und dazu dient eben dieser Dialog.

Eines kann ich Ihnen zum Schluss – genauso wie mein Kollege Blondin – nicht ersparen. Es ist schon sehr interessant, dass gerade die AfD, die Partei, von der Teile unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, diese Forderung erhebt.

(Christian Loose [AfD]: Vorsichtig! – Sarah Philipp [SPD]: Was denn „vorsichtig“?)

Distanzieren Sie sich endlich vom Flügel und von Ihrer Jungen Alternative.

Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. Wahrscheinlich haben Sie auch gesehen, dass eine Kurzintervention angemeldet wurde. Sie können sie gerne vom Platz aus entgegennehmen und beantworten, wie Sie möchten. Angemeldet hat Frau Walger-Demolsky die Kurzintervention.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich fange einmal hinten an. Frau Müller-Witt, unter Beobachtung stehen keine Teile der AfD. Gar nichts von der AfD steht unter Beobachtung; das möchte ich erst einmal festhalten. Versuchen Sie, das etwas sauberer zu differenzieren und deutlicher zu sprechen.

(Sarah Philipp [SPD]: Da sind Sie ja ganz groß, im Differenzieren!)

Jetzt kann ich den Bogen gleich zum Anfang zurückspannen. Sie werfen unsere Kritik an einem einzelnen Verband und an der Intransparenz, mit der dieser Verband seit spätestens 2016 arbeitet, durcheinander mit einer – wie Sie behaupten – Kritik an einer ganzen Religion.

(Zuruf: Völliger Schwachsinn!)

Das ist unrechtmäßig. Es ist nicht korrekt, was Sie hier machen. Das bin ich, das sind wir Frauen von der AfD von Ihnen aber gewöhnt: Mit korrektem Verhalten haben Sie so Ihre Probleme, weil wir uns ja angeblich – nach Ihren Worten – nur mit Gedöns beschäftigen.

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

– So etwas Ähnliches. Mit Kuschelthemen, nicht? Kuschelausschuss.

(Zuruf: Alibithemen!)

– Alibithemen oder irgend so einen Quatsch.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Müller-Witt, wenn Sie mögen?

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Danke. – Ich werde jetzt nicht auf weitere Äußerungen eingehen, die nichts mit dem Thema zu tun haben.

(Helmut Seifen [AfD]: Müssen Sie auch gar nicht!)

– Ach, Herr Seifen, beurteilen Sie bitte mal an anderer Stelle etwas, aber nicht hier.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD] – Weitere Zurufe von der AfD)

– Wenn Sie mir die Gelegenheit geben, die anderthalb Minuten auch zu reden und nicht selber reden, kann ich Ihnen antworten.

(Beifall von der SPD – André Stinka [SPD]: Das ist Herr Seifen nicht gewohnt, dass Frauen reden!)

Der Vorwurf, den ich Ihnen mache, ist, dass Sie immer wieder nach dem gleichen Muster vorgehen. Sie picken sich einzelne Dinge heraus, die einmal kritisch zu beäugen durchaus berechtigt ist. Sie schließen daraus aber auf die Gesamtorganisation; ansonsten würden Sie nicht den gesamten ZMD dazu verurteilen, in nächster Zeit auf Distanz zu gehen.

Ich finde, es ist richtig, dass wir im Gespräch bleiben und dadurch auch Einfluss auf den ZMD nehmen, damit dieser wiederum auf seine Mitgliedsgruppierungen Einfluss nimmt. Es ist die einzige Chance, im Gespräch zu bleiben.

Wenn wir uns komplett distanzieren, werden wir auch den Kontakt zu diesen Gruppierungen nie mehr bekommen – es sei denn aus der Sicht des Verfassungsschutzes. Das ist vielleicht aus Ihrer Sicht der mögliche Weg; ich halte ihn für falsch.

Ich halte für richtig, dass wir über Gespräche vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, um dann auf die Betroffenen weiter einwirken zu können. Vielleicht werden sie auf längere Sicht auch über den ZMD auf die Mitgliedsorganisationen Einfluss nehmen; …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Zeit.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): … aber ich glaube nicht, dass Ausgrenzen die probate Lösung ist.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als NRW-Koalition wollen wir einen Islamdialog, der auch die Vielfalt des muslimischen Engagements abbildet.

Dazu gehören für uns gerade die weltoffenen liberalen Akteure und Verbände. Wir wollen nicht, dass DITIB oder Diyanet die Hoheit über den Islamdialog haben, und die wollen wir ihnen in NRW auch nicht überlassen. So wollen wir auch nicht, dass Muslimbrüder oder gar Salafisten das Islambild in NRW prägen.

Der uns heute vorliegende Antrag macht aber genau das, nämlich das Bild des Islams auf eine kleine radikale Gruppe zu beschränken.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch nicht wahr!)

Das wäre in etwa so, als wenn die AfD das Bild Deutschlands prägen würde. Ich kann nur sagen: Beides ist Gott sei Dank nicht der Fall.

(Helmut Seifen [AfD]: Noch nicht! – Gegenrufe von der SPD)

– Wir sprachen eben von fehlender Differenzierung. Ich meine, man kann darüber streiten, aber die Voraussetzungen für die Beobachtungen geben Sie laut dem Verfassungsschutz schon, wenn man weiß, dass Junge Alternative und der bei Ihnen entsprechende Flügel auch ein Verdachtsfall sind. Das können Sie dann ja weiter im Rechtsausschuss diskutieren.

Aber, um dieses schräge Bild, das Sie hier mit diesem Antrag skizzieren wollen, zu korrigieren: Es ist doch richtig, dass die NRW-Koalition mit ihrem Integrationsminister Joachim Stamp und mit der gesamten Landesregierung natürlich auch einen Fokus darauf gelegt hat, den Islamdialog neu auszurichten, um das eben gerade nicht den radikalen oder konservativen Strömungen in irgendeiner Form zu überlassen.

Es ist aber genauso richtig – das haben auch die Vorredner klargemacht –, dass der Zentralrat der Muslime eben nicht nur aus diesen vier Mitgliedsverbänden besteht. Dass dort Verbände mit einer Nähe zur Muslimbrüderschaft tätig sind, ist inakzeptabel.

Den Dialog einzustellen – das haben, glaube ich, Kollege Blondin und gerade auch meine Vorrednerin noch einmal herausgearbeitet –, ist dennoch der falsche Weg.

Wenn ich den Zentralrat der Muslime als einen der größten Dachverbände muslimischer Organisationen in Deutschland und NRW ausschließe, schließe ich einen Großteil der Muslime in NRW von vornherein vom Dialog aus. Ich glaube, beim Thema „Ausgrenzung“ kennen Sie sich aus.

Wir sind aber der Meinung: Der Dialog mit dem Islam und mit den Verbänden wird zu einer Ausgrenzung und im schlimmsten Fall zu einer Radikalisierung führen. Um dem entgegenzuwirken, ist es eben richtig, dort auch gegenzusteuern. Das mag zwar das Ziel des Antragstellers sein; es ist aber nicht unser Ziel.

Dass wir ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in NRW wollen, sollte, glaube ich, zumindest beim Großteil in diesem Hause Konsens sein.

Grundlage ist und bleibt die Werteordnung unseres Grundgesetzes – die Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Menschen, egal welcher sexueller Identität, von Menschen mit und ohne Behinderung, von Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie von Menschen anderen Glaubens oder auch ohne Glauben.

Wir alle wissen aber – da machen wir uns auch nichts vor –: Das ist noch ein hartes Stück Arbeit. Wir als Demokratinnen und Demokraten arbeiten jedoch gemeinsam daran, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung anzukämpfen, weil das der Vergangenheit angehören muss.

Wir wissen allerdings auch, dass diese Werte nicht alle Fraktionen in diesem Haus wirklich leben. Das kriegt man immer wieder mit.

So suchen wir aber weiterhin den Dialog, weil wir Veränderungen erwirken wollen. Gleichzeitig wollen wir aber auch konsequent gegen diejenigen vorgehen, die unsere Grundordnung und unsere Gesetze infrage stellen. Dafür brauchen wir diesen Antrag

(Zuruf von Herbert Strotebeck [AfD])

aber ganz sicher nicht.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit der Koordinierungsstelle Muslimisches Engagement in NRW eine Plattform für den Dialog geschaffen, um ihn mit dem Islam auf breitere Füße zu stellen. Dazu gehört auch das Forum muslimische Zivilgesellschaft. Dort gibt es die Möglichkeit, mit den Teilnehmern auch kritische Fragen zu diskutieren.

Muslime und Muslimas gehören für uns zu NRW. Sie leisten auch ihren Beitrag für den Wohlstand und zur Vielfalt unserer Heimat. Wir werden den Dialog fortsetzen, und wir wollen gemeinsam daran arbeiten. Wir setzen uns ein für ein friedliches und tolerantes NRW.

Ich glaube, ich war nicht hart genug in meinen Ausführungen; denn es wurde keine Kurzintervention angemeldet. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP )

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Beer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fundierte, kritische, differenzierte Hinweise nicht nur bezüglich des ZMD, sondern in Bezug auf alle islamischen Verbände sind in der Anhörung zum Gesetzentwurf zum islamischen Religionsunterricht von Volker Beck in seiner Expertise vorgelegt worden. Ich zitiere daraus:

„Der Zentralrat der Muslime ist eine effiziente Interessensvertretung und agile PR-Agentur für den Islam in Deutschland. Er mischt sich in viele Debatten auch im Sinne der Stärkung der demokratischen Kultur ein. Er hat aber eine sehr disparate Mitgliedschaft, die teilweise im Widerspruch zum Erscheinungsbild des Verbandes steht.“

Die Bundesregierung stellte zur Mitgliedschaft des Verbandes unter anderem fest:

„Der Bundesregierung ist seit langem bekannt, dass zu den Mitgliedsvereinen des Zentralrates der Muslime … in einem beträchtlichen Umfang auch Organisationen gehören, die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachtet werden. Auch unterhält der Verband klärungsbedürftige, problematische Beziehungen zu Islamistischen Staaten, ohne sich klar gegen Freiheitsbeschränkungen im Namen des Islam zu positionieren, oder zu problematischen Organisationen.“

Damit war bereits alles vorgestellt, und dieser Antrag wäre eigentlich nicht notwendig. Denn wir haben dann auch von uns aus Änderungen zum Gesetzentwurf vorgebracht, die allgemein getragen worden sind, und damit sind auch die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden sehr klar definiert.

Diese sind auch die Dialoggrundlage in NRW, und sie stärken genau die Muslime und Muslima, die verfassungsklar, rechtsstaatsklar und grundrechtsklar in dieser Gesellschaft leben, arbeiten und sie zu Recht mitgestalten wollen und das auch können.

Das ist grundsätzlich eine andere Tonlage als die, die sich in Ihren Anträgen und Reden immer wieder findet und wie wir sie auch hier erleben.

Jetzt frage ich genau wie die Kolleginnen und Kollegen: Warum wird eigentlich die AfD in Teilen vom Verfassungsschutz geprüft, in Teilen als Verdachtsfall eingestuft? Warum werden AfD-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier bei offiziellen Terminen in Israel nicht nur nicht gerne gesehen, sondern wird ihnen sogar die Teilnahme verweigert?

Ich sage: Der Bundespräsident hat recht, wenn er sagt, Bürgertum, Rechtsstaat und individuelle Freiheitsrechte gehören zusammen, und wer sich in dieser Tradition sieht, der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen. Das tun Sie aber.

(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Kommen Sie mal zum Antrag zurück!)

Grundrechte wie Religionsfreiheit und Pressefreiheit stehen bei der AfD nicht gerade hoch im Kurs. Wer am Wochenende das Höcke-Interview gesehen hat, dem wird klar, dass sich dort wieder einmal nationalsozialistischer Sprech entlarvt, da mündet das wieder einmal unverhohlen in die Bedrohung eines Journalisten und der Pressefreiheit.

(Helmut Seifen [AfD]: Das hat nichts mit uns zu tun!)

Wer rechtsradikal und rechtsextremistisch, demokratiefeindlich und den Parlamentarismus verächtlich machend unterwegs ist, wer geprägt ist von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Rassismus, der sollte mal im eigenen Laden aufräumen. Dann hätten Sie was zu tun. Dann bräuchten Sie solche Anträge nicht vorzulegen. Damit sollten Sie sich beschäftigen.

Aber damit es auch hier nicht zur Legendenbildung kommt: Gerade in NRW haben doch diejenigen, die sich gerne als gemäßigt bezeichnen, im Prinzip nur ein Problem damit, wie es rüberkommt. Inhaltliche Differenzen zu Höcke, Kalbitz und Co. gibt es nicht, und diese Methode „Biedermann und die Brandstifter“ ist auch hier im Landtag längst entlarvt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Loose [AfD]: Schauen Sie mal in den Spiegel, Frau Beer!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. Sie haben bemerkt, dass auch während Ihrer Rede eine Kurzintervention angemeldet wurde. – Frau Walger-Demolsky, bitte schön.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Beer, es ist paradox. Sie verweigern hier jegliche Zusammenarbeit mit der AfD-Fraktion, mit der AfD Nordrhein-Westfalen auf Basis von Verdachtsfällen in einzelnen Gruppen, auf Basis von Prüffällen in einzelnen Bereichen, aber Sie halten den Dialog mit Islamverbänden, bei denen es nicht mehr um Verdachts- und Prüffalle, sondern um Beobachtungsfälle geht, für legitim.

Mein Problem ist nicht der Verband. Sprechen Sie doch bitte mit den einzelnen Organisationen, mit den einzelnen Unterorganisationen. Aber wenn Sie mit dem Verband sprechen, sprechen Sie auch mit Islamic Relief. Und so schön Volker Beck das alles beschrieben hat: Cem Özdemir steht immer noch auf der Unterstützerliste von Islamic Relief.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Frau Kollegin Beer, Sie können jetzt darauf eingehen.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön. – Zu den Anforderungen an Grundrechtsklarheit und Verfassungstreue habe ich eben alles gesagt. Ich meine diejenigen, die bei Ihnen unterwegs sind, die in Chemnitz mitgelaufen sind, die beim Kyffhäuserdenkmal waren, die Kumpels von Höcke sind, die sich nicht davon distanzieren. Ich meine einen Herrn Beckamp

(Zurufe von der AfD)

– ja, natürlich –, einen Herrn Blex, wie er da sitzt, die hier nicht nur Flügel repräsentieren, sondern den Parlamentarismus verächtlich machen, die antidemokratisch unterwegs sind. Das sind Ihre Hausaufgaben.

Herr Seifen inszeniert sich hier immer als der Gemäßigte. Ich habe dazu gerade schon etwas inhaltlich gesagt: Wer sich nicht inhaltlich distanziert, der ist genauso mitgehangen und -gefangen. Das ist alles nur Camouflage.

(Markus Wagner [AfD]: Aber Sie immer mit Ihren linksextremistischen Verbänden! Sie müssen sich distanzieren! Sie sind doch nicht glaubwürdig!)

Wir haben es hier mit einer Fraktion zu tun, die antidemokratisch unterwegs ist, die rechtsradikale Gepflogenheiten hat, die dem rechtsextremistischen Flügel zugeneigt ist.

(Christian Loose [AfD]: Hören Sie auf, hier rumzulabern!)

Daher wird auf dieser Grundlage eine Zusammenarbeit in diesem Parlament niemals stattfinden können.

(Beifall von den GRÜNEN )

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Reul jetzt das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung. Ich bin zwar vergrippt, aber trotzdem möchte ich hier reden.

In dem Antrag wendet sich die AfD gegen die Integrationspolitik der Landesregierung. Sie will deren erfolgreiche Arbeit diskreditieren, indem sie undifferenziert einem muslimischen Gesprächspartner der Landesregierung, dem Zentralrat der Muslime in Deutschland, verfassungsfeindliches Handeln unterstellt. Aber so einfach geht das nicht, meine Damen und Herren von der AfD.

Der Landesregierung ist seit Langem bewusst, dass einige Mitglieder und Mitgliedsverbände des ZMD Bezüge zu extremistischen Organisationen aufweisen und vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das kann und darf aber nicht dazu führen, den gesamten Verband mit seiner sehr heterogenen Struktur pauschal als extremistisch zu bezeichnen und den Kontakt zu ihm einzustellen oder unter Bedingungen zu stellen.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist eine Organisation mit ca. 35 muslimischen Mitgliedsorganisationen. Darunter sind Dachorganisationen sowie verschiedene Moscheegemeinden und auch Einzelmitglieder. Innerhalb dieser breit gefächerten Struktur findet sich eine große Vielfalt von Moscheegemeinden. Eine Zusammenarbeit erfolgt nicht, ohne dass sich die Landesregierung die Partner genau anschaut.

Die Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden ist nicht nur integrationspolitisch notwendig, sie dient auch dem gemeinsamen Kampf gegen den Antisemitismus. Hier hat der ZMD sogar Initiativen entwickelt, die sich erfolgreich in jüdisch-muslimischer Trägerschaft für die Bekämpfung von Antisemitismus einsetzen. Beispielsweise gehört die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach zu diesen Partnern.

Um der Vielfalt des Islam in Deutschland, der hier lebenden muslimischen Menschen und ihres Engagements gerecht zu werden, braucht es eine breite Basis. Diese kann nur durch Dialog erreicht werden. Dabei ist der ZMD einer von vielen Ansprechpartnern der Landesregierung.

Aber Dialog heißt auch, kritische Fragen zu stellen. Auf diese Weise können wir problematische Einstellungen oder mangelnde Transparenz der anderen Seite ansprechen und darauf einwirken. Wir sind da nicht naiv, sondern konstruktiv. Zudem behält der Verfassungsschutz die Entwicklungen ständig weiter im Blick. Er berichtet transparent für Politik und Öffentlichkeit über die ZMD-Mitglieder, bei denen tatsächlich Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen bestehen.

Sie können versichert sein: Eine Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden, den ZMD eingeschlossen, findet zu jedem Zeitpunkt auf der Grundlage der geltenden Rechtsordnung statt.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Auch bei Ihnen ist eine Kurzintervention angemeldet, ebenfalls von Frau Walger-Demolsky, deren Mikrofon jetzt freigeschaltet ist.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Erst einmal gute Besserung, Herr Reul. Es tut mir leid, dass gerade Sie jetzt betroffen sind. Es hätte ja auch der zuständige Minister sprechen können.

Unsere Schmerzen beim Zentralrat der Muslime habe ich klar benannt. Ein Problem ist Islamic Relief. Vielleicht kennen Sie meine Anfrage. Auch Frau Staatssekretärin Güler, Ihre Parteikollegin, hatte bis vor noch nicht allzu langer Zeit auf deren Unterstützerliste gestanden. Ein, zwei Tage, nachdem unsere Anfrage eingegangen ist, hat sie diese Unterstützung beendet, was ich sehr begrüße.

Insgesamt würden wir uns wünschen, dass etwas mehr darauf geachtet wird, nicht nur, wer sich bei der AfD wie wohin bewegt, sondern machen Sie das bei Ihren Gesprächspartnern doch auch.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Herr Minister, ich schalte Ihnen jetzt das Mikro am Platz frei.

Herbert Reul, Minister des Innern: Sie können davon ausgehen, das machen wir.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich jetzt an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/7359 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Wer möchte sich enthalten? – Die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Neppe. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 17/7359 abgelehnt worden. Ich schließe Tagesordnungspunkt 4.

Ich rufe auf:

5   Landesregierung muss Akten zum Hambacher Forst vollständig und ungeschwärzt vorlegen

Eilantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7423

Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD hat Frau Kollegin Philipp jetzt das Wort.

Sarah Philipp (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht!“ Herr Minister, an den Spruch muss ich hier heute denken, wenn ich Sie da sitzen sehe.

(Beifall von der SPD)

Diese Landesregierung ist einzig und allein dafür verantwortlich, dass es so weit kommen konnte und wir heute zum wiederholten Male über das Thema „Hambacher Forst“ reden müssen.

Vor ziemlich genau einem Jahr hat die Landesregierung entschieden, den Hambacher Forst mit dem größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes zu räumen.

(Beifall von Henning Höne [FDP] – Zuruf von Henning Höne [FDP]: Endlich!)

Heute wissen wir, Herr Kollege Höne: Das war leider auch der überflüssigste Einsatz in der Geschichte des Landes. Das gehört zur ganzen Wahrheit dazu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir streiten heute darüber, ob uns die Landesregierung den wahren Grund für die Räumung verschwiegen hat. Denn die beteiligten Kabinettsmitglieder Scharrenbach und Reul sind sich da offenbar nicht ganz einig.

Ich zitiere Herbert Reul vom 23. September 2018 bei „Westpol“:

„Die Räumung hat ja mit der Baumrodung gar nichts zu tun. Da werfen die Leute ja auch alles durcheinander, bedauerlicherweise.“

So der Innenminister im September 2018.

Ina Scharrenbach sagte im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen am 14. September 2018:

„Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es nicht um die Frage der Rodung geht.“

Diese Version haben Sie bis zur Fragestunde am 10. Juli 2019 aufrechterhalten. Da sagten Sie, sehr geehrter Herr Minister:

„Die Räumung erfolgte nicht aufgrund eines Wunsches der RWE ...“

Weiter führten Sie aus:

„Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwelche Absprachen zwischen RWE und uns in diesen Zusammenhängen gegeben hat.“

Was wir mittlerweile wissen: Es gab einen Antrag von RWE auf Räumung zum Zwecke der planmäßigen Fortsetzung des genehmigten Braunkohletagebaus Hambach. Auch haben – das wissen wir mittlerweile – Gespräche zwischen Ihnen und RWE stattgefunden. Fakt ist auch: Am 16. Juli letzten Jahres haben Sie ausdrücklich Absprachen mit RWE getroffen.

Das entsprechende Gesprächsprotokoll aus dem Innenministerium hat der WDR zwischenzeitlich auf Twitter veröffentlicht. Mit anderen Worten: An jedem Tag, an dem neue Details zur Räumung des Hambacher Forstes ans Licht kommen, wird deutlicher, dass uns diese Landesregierung zum wiederholten Male Räuberpistolen auftischt

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

und uns offensichtlich hinters Licht führen will.

(Zurufe)

Unser Fraktionsvorsitzender hatte für unsere Fraktion von der Landesregierung vollständige Akteneinsicht gefordert. Diese Akteneinsicht ist uns letzte Woche ausdrücklich – wörtlich! – umfassend schriftlich zugesagt worden. Umso enttäuschender war dann in der vergangenen Woche, was wir im Innenministerium – viele Parlamentarier von unserer Fraktion waren da – vorgefunden haben.

Was haben wir da vorgefunden, was ist uns dort präsentiert worden: große Lücken in den Akten, massenhaft geschwärzte Seiten. Es fehlte Korrespondenz mit den verschiedenen Ministerien.

Eine Sache war besonders bemerkenswert. Vor allem dieser dünne Ordner aus der Staatskanzlei ist uns doch sehr ins Auge gefallen. Wenn man sich diese eine Akte aus der Staatskanzlei mal anschaut, dann kann man den Eindruck gewinnen, die Staatskanzlei und der Ministerpräsident wussten entweder überhaupt nichts von dem Vorgang oder haben sich offensichtlich so gut wie nie damit beschäftigt. Das ist kaum zu glauben. Das können wir uns nicht vorstellen, dass der Ministerpräsident damit überhaupt nichts zu tun gehabt haben will.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ganz besonders, Herr Minister Reul, habe ich mich dann am Sonntag über Ihre Interviewaussagen bei „Westpol“ erschrocken. Ich darf Sie ein weiteres Mal zitieren:

„Dass wir überhaupt die Akteneinsichtnahme zulassen, ist ein außergewöhnlicher Vorgang, der beispiellos ist. Das haben wir freiwillig gemacht, weil es einfach klug ist.“

Ganz ehrlich, Herr Reul, wenn ich mir solche Aussagen anhören muss, dann fühle ich mich als Parlamentarierin von Ihnen auf den Arm genommen, ganz eindeutig auf den Arm genommen;

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

denn das Einzige, was bei diesem Vorgang beispiellos ist, das ist Ihre Dreistigkeit, mit der Sie bei diesem Fall vorgehen. Das lassen wir uns nicht bieten.

(Beifall von der SPD)

Nutzen Sie heute die Gelegenheit, um zu beweisen, dass Sie es mit Ihrer Transparenz wirklich ernst meinen. Räumen Sie den Verdacht beiseite, dass Sie das Parlament und die Öffentlichkeit getäuscht haben. Klären Sie am besten noch mit Ihrer Kabinettskollegin oder am besten direkt mit dem Ministerpräsidenten, wie die Meinung dieser Landesregierung zum Thema „Räumung und Rodung im Hambacher Forst“ eigentlich ist. Das würde uns auch sehr interessieren.

Wir als Abgeordnete, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Sarah Philipp (SPD): Das will ich zum Schluss noch ausführen. – … ganz gleich, welcher Fraktion wir angehören, dürfen uns als Parlament eine solche Behandlung nicht gefallen lassen. Wenn so etwas einreißt, dann ist die parlamentarische Kontrolle nichts mehr wert. Deswegen appelliere ich auch an die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen: Stimmen Sie diesem Antrag zu und sorgen Sie hier und heute für volle Transparenz. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion beantragt umfassende Einsicht in sämtliche Akten zum Hambacher Forst und wirft der Landesregierung vor, sie weigere sich, die Akten vollständig und ungeschwärzt zur Verfügung zu stellen.

(Christian Dahm [SPD]: So weit alles richtig, Herr Kollege!)

Das ist ein schwerer Vorwurf, auf den ich mit dem gebotenen Ernst antworten möchte.

Blicken wir ein paar Tage zurück: Am vergangenen Donnerstag wurden die Akten der Staatskanzlei sowie des Innen-, des Bau- und des Wirtschaftsministeriums

(Sven Wolf [SPD]: Ein Schnellhefter aus dem Wirtschaftsministerium!)

zur Einsichtnahme durch Abgeordnete und Medienvertreter ausgelegt. Wie mir berichtet wurde, haben die Fraktionen, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, davon rege Gebrauch gemacht, sogar unterstützt von mehreren Mitarbeitern. Wie ist das zu bewerten?

Erstens stelle ich fest, dass die Landesregierung die Akten freiwillig, ohne rechtliche Verpflichtung und ohne, dass es eines Antrags bedurft hatte, zugänglich gemacht hat. Allein ein Antrag der Medien hat schon dazu geführt, dass auch alle Abgeordneten zur Akteneinsicht eingeladen wurden.

(Zurufe)

Zweitens stelle ich fest, dass sich die Landesregierung dabei am Informationsfreiheitsgesetz orientiert hat, das ein sogenanntes Jedermannrecht zum voraussetzungslosen Zugang zu Informationen von öffentlichen Stellen gewährt und im Vergleich mit anderen Gesetzen die weitestgehende Anspruchsgrundlage ist.

Nach Presserecht beispielsweise gibt es einen Auskunftsanspruch, dessen Art der Erfüllung im Ermessen der Behörde liegt. Im Regelfall genügt dafür eine frei formulierte Beantwortung.

Auch nach den aus Art. 30 Abs. 1 unserer Landesverfassung abgeleiteten und in unserer Geschäftsordnung konkretisierten Informations- und Fragerechten der Abgeordneten gibt es lediglich ein Auskunftsrecht, nicht aber die Verpflichtung zur Vorlage von Akten.

Nach dem Informationsfreiheitsgesetz hingegen kann die informationssuchende Person die Art und Weise der Information grundsätzlich selbst wählen. Damit gewährt dieses Gesetz den größtmöglichen Umfang von Information und Transparenz.

Allerdings gewährt auch das IFG keine uneingeschränkte Information. Das Gesetz nennt aus gutem Grund Ausschlussgründe, wann eine Information nicht öffentlich werden darf. Deshalb waren sicher auch Teile der Akten geschwärzt. Wollen Sie, dass sensible personenbezogene Daten in die Öffentlichkeit gelangen,

(Zuruf)

oder wollen Sie etwa, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung in unserem Land gefährdet wird, oder wollen Sie vielleicht, dass der Erfolg polizeilicher Maßnahmen vereitelt wird,

(Zuruf)

weil polizeitaktische Pläne bekannt werden? – Angesichts der Zwischenrufe muss man das ja leider annehmen.

Drittens stelle ich fest, dass die vorgelegten Akten sogar noch über das hinausgehen, was das Informationsfreiheitsgesetz vorschreibt. Es waren wohl auch Entwürfe und Notizen dabei, die eigentlich dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses unterliegen und gar nicht hätten veröffentlicht werden müssen.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Woher wissen Sie das?)

Die Entscheidungsabläufe innerhalb der Ministerien und der Landesregierung

(Stefan Kämmerling [SPD]: Woher wissen Sie das? Sie waren doch nicht dort!)

waren somit umfassend ablesbar.

(Zuruf: Unfassbar!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Dr. Geerlings, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Herrn Dr. Maelzer.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Ja, bitte.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Einige Ausführungen von Ihnen haben mich doch ein wenig irritiert. Sie können das vielleicht noch mal klarstellen.

Wollten Sie mit Ihren Ausführungen unterstellen, dass, wenn es ungeschwärzte Akten gegeben hätte, Parlamentarier dafür gesorgt hätten, dass sensible Personendaten an die Öffentlichkeit gelangen? Ist es das, was Sie unterstellen wollen?

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Ich hoffe, dass Sie die Frage nicht ernst meinen. Ich unterstelle erstens gar nichts.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe)

Zweitens kenne ich die Gründe für eine Schwärzung nicht. Ich unterstelle, dass da jedenfalls nach Recht und Gesetz gehandelt wurde.

(Zurufe von der SPD)

Ich erwarte auch von einer Landesregierung, dass sie Recht und Gesetz in diesem Punkt einhält.

(Beifall von der CDU)

Im Ergebnis ist festzuhalten: Die Offenlegung der Akten ist ein beispielhafter Akt der Transparenz.

(Zuruf von der SPD: Hörensagen!)

Die Landesregierung verheimlicht offenbar nichts.

Warum sich ausgerechnet die SPD-Fraktion hier nun zum Gralshüter der Akteneinsicht macht, wundert mich doch sehr. Sie fordern hier etwas, was Sie selbst – aus nachvollziehbaren Gründen übrigens – immer abgelehnt haben. Oder haben Sie schon vergessen, dass Ihre Kollegen in der Verfassungskommission 2014 bis 2016 ein Akteneinsichtsrecht für Abgeordnete abgelehnt haben? Haben Sie auch schon vergessen, dass Sie sich erst kürzlich genauso geäußert haben?

Der Kollege Körfges hat im Namen Ihrer Fraktion in der Plenarsitzung am 11. Oktober 2018 genauso wie der SPD-Sprecher in der Sitzung des Hauptausschusses am 4. Juli jedenfalls entsprechende Anträge seitens der AfD-Fraktion abgelehnt – wie übrigens die anderen Fraktionen auch.

Oder haben Sie schon vergessen, was nach den schlimmen Vorfällen der Kölner Silvesternacht passiert ist? – Ich helfe Ihnen gerne. Am 14. April 2016 titelte die „WAZ“ – Zitat –:

„Kraft hält Unterlagen unter Verschluss.“

In dem Artikel heißt es – Zitat –:

„So fehlten in den an den Untersuchungsausschuss übersandten Akten die Mailkommunikation der Ministerpräsidentin, des Innenministers und des Regierungssprechers sowie zahlreiche Vermerke, Besprechungsprotokolle und Nachweise über Telefongespräche, ...“

(Zurufe von der CDU: Genau so! Hört! Hört! Oh!)

In einem Untersuchungsausschuss müssen alle Unterlagen, gegebenenfalls als Verschlusssache eingestuft, zur Verfügung gestellt werden. Wenn in diesem Haus jemand Informationen zurückgehalten hat, dann war es die alte rot-grüne Landesregierung mit Hannelore Kraft an der Spitze.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Was wollen Sie also mit Ihrem Antrag bezwecken? – Ganz einfach: Sie wollen einen Skandal erfinden, den es nicht gibt. Sie wollen das konsequente Vorgehen der Landesregierung gegen die kriminellen Aktivitäten und Besetzer im Hambacher Forst im Nachhinein in den Dreck ziehen. Sie wollen unsere Minister diskreditieren, weil sie keine eigenen Ideen für die Zukunft unseres Lands haben.

(Beifall von der CDU – Marc Herter [SPD]: Hui! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wir aber stehen für Recht und Ordnung in unserem Land.

(Jochen Ott [SPD]: Aber nicht durch Lügen!)

Wir stehen für ein konsequentes Vorgehen gegen gewaltbereite Aktivisten und Straftäter, und wir stehen an der Seite der Minister und ihrer Häuser, die schwierige Entscheidungen zu treffen hatten. Vor allen Dingen stehen wir an der Seite unserer Polizisten, die im Hambacher Forst mit erheblichen Gefahren konfrontiert waren,

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

beleidigt und mit Fäkalien beworfen wurden. Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, lehnen wir den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP! Ich finde, eines muss man Ihnen ja wirklich lassen: Was Sie können, ist, Verwirrung zu stiften. Ich finde, es gibt einen wahren Meister der Verwirrungskünste, und das ist der Innenminister Herbert Reul.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wie oft haben wir das schon in diesem Parlament erlebt, dass Herr Reul seine eigenen Aussagen wieder revidieren musste? – Die Frage, die wir uns dabei immer stellen, ist: Ist das wieder einmal diese typisch unbedarfte Ausdrucksweise des Ministers, oder ist das eine bewusste Strategie, Herr Reul?

Ich denke, beim Hambacher Wald muss man

(Zurufe von der CDU)

von einer bewussten Täuschung des Parlaments und der Öffentlichkeit sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dazu würde ich gerne zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist: Auf Nachfrage der grünen Abgeordneten haben Sie im Juli dieses Jahres erklärt: Ja, es gab Gespräche mit RWE, aber Absprachen? – Nein. Die hat es nun wirklich nicht gegeben.

Gegenüber dem WDR haben Sie dann gesagt: Naja, Gespräche? – Hm. Offenbar hatten Sie die vergessen, vielleicht auch verschwiegen?

Jetzt wissen wir: Es gab nicht nur Gespräche, sondern es gab auch eine Vereinbarung von Herrn Reul mit dem RWE-Vorstand. Also gab es doch Absprachen. Was ist eine Vereinbarung denn sonst?

Da frage ich mich, Herr Reul: Was kommt da noch? Haben Sie RWE versprochen, auf jeden Fall die Baumhäuser zu räumen, damit RWE roden kann? Haben Sie das versprochen? – Sie müssen heute die Karten auf den Tisch legen, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch über die wahren Motive der Räumung des Hambacher Waldes

(Zurufe von der CDU: Forst!)

hat diese Landesregierung dieses Parlament und diese Öffentlichkeit getäuscht.

Im letzten Jahr hieß es ja noch von Herrn Reul: Räumung und Rodung, das hat ja gar nichts miteinander zu tun, das würden die Leute ja immer alles durcheinander werfen. Am letzten Donnerstag im Innenausschuss macht Herr Reul die 180-Grad-Wende. Frau Scharrenbach im Bauausschuss, nur einen Tag später, bleibt bei der alten Aussage, Räumung und Rodung hätten nichts miteinander zu tun.

Unterm Strich muss man hier ja eines festhalten: Wir haben zwei Aussagen von zwei Mitgliedern dieses Landeskabinettes. Das heißt auch, nur eine Aussage kann stimmen. Das heißt auch, einer von Ihnen beiden sagt hier nicht die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dabei wissen wir aus der Akteneinsicht – auch wenn die Akten nicht vollständig sind –, aufgrund der Gutachten, der Auftragsvergabe, der E-Mails, der Protokolle aus den Ministerien:

Die Landesregierung und ganz besonders das Innenministerium – das wird eindeutig belegt durch die verschiedenen Akten – hat alles darangesetzt, eine Rechtsgrundlage zu finden, um den Wald zu räumen. Minister Reul hat ja sogar selbst einen Brief geschrieben und um Unterstützung bei den Ressortkollegen gebeten – vielleicht kann man sagen, gebettelt, um nicht zu sagen, gedroht.

Damit hat sich diese Koalition, diese Landesregierung, das Kabinett Laschet zum Erfüllungsgehilfen von RWE gemacht. Sie haben rechtliche Grundlagen instrumentalisiert,

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben Vorschriften des Vergaberechts abenteuerlich ausgelegt, Sie haben ja sogar – das wird aus der Gutachtenvergabe deutlich – zivilrechtliche Möglichkeiten für RWE prüfen lassen. Das, finde ich, ist unerhört.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Sie haben sich auf dem Rücken der Polizei – und das ist mir als Innenpolitikerin wichtig zu sagen – zum Interessensvertreter von RWE gemacht. Ich finde, das sagt auch viel über Ihr Rechtsstaatsverständnis aus.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Damit komme ich jetzt noch einmal zu den Akten. Abgesehen davon, dass Sie zunächst der Presse und danach erst den Abgeordneten die Einsicht geben wollten, was aus meiner Sicht wirklich eine krasse Missachtung des Parlaments ist …

Herr Geerlings,

(Zuruf von der SPD: Der selber gar nicht da war!)

ich war schon sehr verwundert, dass Sie hier als Abgeordneter so gesprochen haben. Ich denke, wir Abgeordnete sollten für die Stärkung der Abgeordnetenrechte reden und nicht umgekehrt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen Sie sich diese Akten an, sie stehen ja zur Verfügung. Die Aktenführung ist so schlecht: chronologisch nicht sortiert, keine Inhaltsverzeichnisse, aber vor allem Schwärzungen, es fehlen E-Mail-Anhänge.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange waren Sie da, Frau Kollegin?)

– Ich war zwei Mal dort.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange?)

Am schönsten finde ich die Präsentation mit der Eingangsfolie und mit der Abschlussfolie „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“. Der Rest der Präsentation fehlt. Da kann man aus meiner Sicht nicht von einem Zufall reden.

Herr Reul, Frau Scharrenbach, Sie wissen doch genauso gut wie wir: Je größer der Heuhaufen ist, desto schwieriger wird die Suche nach der Nadel. – Deshalb ist dieses von Ihnen so großzügig angekündigte Angebot der Akteneinsicht ein ganz klassischer Fall von Scheintransparenz.

Wir fordern Sie auf: Geben Sie uns als Fraktionen die Akten. Geben Sie uns die Akten ungeschwärzt. Geben Sie uns die Akten vollständig.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dann können wir uns ein umfassendes Bild davon machen. Das werden wir dann auch tun. Nur das, Herr Reul, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): … wäre dann auch echte Transparenz. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie zu erwarten war, soll hier skandalisiert werden. Hier ist die antragstellende Fraktion auf der verzweifelten Suche nach sich selbst und nach eigenen Themen. Im Antrag selber finden sich fett gedruckte Absätze und Ausrufezeichen. Ich war am Ende dankbar, dass nicht komplette Sätze in Großbuchstaben geschrieben waren, wie man es aus Onlineforen kennt. Irgendetwas wird wohl hängen bleiben – das scheint Ihr Motto auch hier in dieser Debatte zu sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Kern geht es Ihnen um eine vollständige Akteneinsicht. Das ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert.

Nummer eins: Nach meiner Kenntnis haben Mitglieder der SPD-Fraktion nach Informationsfreiheitsgesetz gar keinen formalen Antrag gestellt, überhaupt Akteneinsicht zu nehmen. Vielmehr haben Sie sich an die Akteneinsicht der Journalisten quasi angehängt.

Den zweiten Aspekt hat Kollege Dr. Geerlings gerade schon angesprochen. Unsere Verfassung sieht ein Auskunftsrecht vor. Das ist von einem Einsichtsrecht zu unterscheiden. Die Kollegen Professor Dr. Bovermann und Körfges haben vor nicht allzu langer Zeit hier im Hause zu dem Gesetzentwurf Drucksache 17/3801 gesprochen und haben auch gut begründet, warum es kein komplettes Einsichtsrecht für die Abgeordneten gibt. Kollegen Bovermann und Körfges, für die FDP-Fraktion kann ich Ihnen sagen: Wir stehen zu Ihrer Argumentation bis heute.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dann ist es auch noch wichtig, Folgendes zu unterscheiden, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Informationen, die in den Akten zur Verfügung gestellt wurden, mögen zwar nicht zur Agenda der Opposition passen.

(Andreas Bialas [SPD]: Doch!)

Das ist dann aber nicht der Fehler in den Akten, sondern da ist der Fehler in der Agenda der Opposition zu suchen.

Der Antrag der SPD ist in der Sache abzulehnen. Er entbehrt jeglicher Grundlage und lenkt übrigens auch vom Kern der Debatte ab.

Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich der Kern der Debatte? Zum Teil ist es eben angeklungen. Ich halte noch einmal fest: Über viele Jahre haben wir im Hambacher Forst unter SPD- und grüner Landesregierung einen quasi rechtsfreien Raum erlebt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit der Debatte heute, mit diesem Eilantrag und mit den Debatten der letzten Tage und Wochen

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

führen Sie in der Opposition eine Relativierung und eine Verharmlosung dieser Zustände, die in Ihrer Regierungszeit begonnen haben, jetzt mit anderen Mitteln fort.

(Zuruf von der SPD: Unverschämt! – Christian Dahm [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Zimkeit?

Henning Höne (FDP): Ja, bitte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Bitte schön, Herr Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Wie unterscheidet sich denn der jetzige Zustand im Hambacher Forst von dem, was Sie gerade „rechtsfreien Raum“ genannt haben?

Henning Höne (FDP): Herr Kollege Zimkeit …

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da hängt ein Feuerlöscher! – Heiterkeit von der SPD)

– Ich muss schon eines sagen, meine Damen und Herren: Wenn ehemalige Kabinettsmitglieder wie der Arbeits- und Sozialminister a. D. jetzt auch noch glauben, durch hämische Zwischenrufe von ihrem eigenen Versagen im Kabinett ablenken zu können, macht es das nur noch schlimmer.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Kollege Zimkeit …

(Horst Becker [GRÜNE]: Das war eine lange Pause zum Nachdenken! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Spätestens dann, wenn der Kollege Becker von den Grünen jetzt noch das Nachdenken einfordert, wissen wir, dass diese Debatte nicht ganz so ernst gemeint sein kann.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Die Antwort?)

Sie waren auch im Kabinett. Sie haben das mit geduldet. Das ist auch mit Ihre Verantwortung.

Herr Kollege Zimkeit, die gleiche Frage, die Sie mir gerade gestellt haben, ist am letzten Freitag im Kommunal- und Bauausschuss auch mehrfach gestellt worden.

(Jochen Ott [SPD]: Wie ist die Beantwortung?)

– Dann halten wir das noch einmal fest.

(Lachen von der SPD – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Präsident, glauben Sie, dass die Beantwortung der Frage noch gewünscht ist?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt eine zweite Zwischenfrage, angemeldet von Herrn Mostofizadeh. Wollen Sie sie auch noch beantworten?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Er hat ja die erste noch nicht beantwortet!)

Das wird ja nicht auf die Redezeit angerechnet. Sie hätten die Freiheit, zu entscheiden, was Sie wollen.

Henning Höne (FDP): In der Tendenz würde ich jetzt einmal probieren, ob mich die SPD-Fraktion ausreden lässt, und auf die erste Frage antworten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich lasse die zweite Frage dann gerne auch zu.

Der Staatssekretär hat am letzten Freitag im Ausschuss noch einmal ganz klar auch die Prüfreihenfolge dargestellt, um die es hier geht. Am Anfang geht es nämlich um die Frage: Handelt es sich eigentlich um bauliche Anlagen? – Herr Jäger grinst gerade. Warum? Weil er weiß, dass er zu seiner Regierungszeit alles getan hat, um schon auf dieser ersten Prüfebene festzustellen,

(Zurufe von der SPD)

dass mehrstöckige Baumhäuser mit Küchen und mit Heizungen keine baulichen Anlagen sind. Die erste Prüfebene ist also: Sind das bauliche Anlagen, ja oder nein? – Sie nicken. Ich weiß jetzt nicht, wie ich das interpretieren soll. Aus meiner Sicht sind es bauliche Anlagen.

Wenn man also festgestellt hat, dass es sich um bauliche Anlagen handelt, dann kann man sich fragen: Sind sie legal, oder sind sie illegal?

(Zuruf: Das ist auch geklärt!)

Ich habe jetzt keine Akteneinsicht im Kreis Düren und im Rhein-Erft-Kreis genommen. Bauanträge für diese Anlagen liegen meines Wissens aber nicht vor.

Wenn man also festgestellt hat, dass sie illegal sind, dann kann man sich fragen: Was ist jetzt zu tun? Auf dieser Ebene kommt es zu einer Abwägungsentscheidung, bei der auch nach Verhältnismäßigkeit entschieden wird: Räume ich? Reiße ich ab? Gehe ich dort hinein? Oder tue ich das nicht?

(Jochen Ott [SPD]: Hört! Hört!)

Genau dazu hat der Staatssekretär am letzten Freitag noch einmal ausführlich dargestellt, warum das im Moment nicht erfolgt. Die Häuser sind im Vergleich zur Situation vor einem Jahr tiefer im Forst drin und höher gebaut. Um überhaupt zu räumen, müssten weitere Bäume gefällt werden. Mit schwerem Gerät müsste man deutlich weiter in den Wald hinein.

(Christian Dahm [SPD]: Das bleibt doch illegal! – Jochen Ott [SPD]: Das ist doch absurd! – Christian Dahm [SPD]: Wo ist der Unterschied zu damals? Das bleibt doch illegal!)

– Herr Kollege Dahm, dass dann nach dieser Prüfungskaskade eine Abwägungsentscheidung gefällt werden muss und dass nicht jedes rechtliche Mittel des Staates immer gerechtfertigt ist, dürfte doch gerade für Sie mit Ihrem beruflichen Hintergrund keine Neuigkeit sein.

(Christian Dahm [SPD]: Das heißt Verhältnismäßigkeit!)

– Das ist genau die Verhältnismäßigkeit, die ich gerade auch angesprochen habe. Sie ist eben Teil dieser Überprüfung.

Ich sage Ihnen etwas ganz anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Wo ist denn jetzt der Unterschied?)

Am Ende lässt sich die ganze Debatte doch auf einen Satz herunterbrechen – und der fehlt mir; er geht mir in der kompletten Debatte unter –: Können wir bitte einmal aufhören, in diesem Land so zu tun, als sei es normal, wenn erwachsene Menschen über Monate und Jahre hinweg in Baumhäusern wohnen, ihre Fäkalien sammeln und diese auf Polizistinnen und Polizisten schmeißen?

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos])

Das ist doch nicht normal!

(Jochen Ott [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)

Herr Kollege Ott,

(Jochen Ott [SPD]: Sie stärken solche Leute!)

im Ausschuss fordern Sie immer wieder ein, dass das ein gesellschaftlicher Konflikt sei, den man lösen müsse.

(Marlies Stotz [SPD]: Lenken Sie doch nicht von den eigentlichen Vorgängen ab!)

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten überhaupt auch nur einen Schritt zu dieser Lösung beigetragen. Es auszusitzen, löst es auf gar keinen Fall.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos] – Jochen Ott [SPD]: Sie stärken solche Leute!)

1.700 Straftaten in vier Jahren! 1.700 Straftaten! Sehen Sie sich einmal die Verfassungsschutzberichte von 2015 bis 2018 an. Darin fällt das Wort „Hambach“ 71-mal.

(Sven Wolf [SPD]: Ist das Bauordnungsrecht statt Polizei?)

Da gab es 72 Brand- und Sprengstoffdelikte. Einen ganz perfiden Fall, den ich kurz skizzieren will, gab es zum Jahreswechsel.

(Andreas Bialas [SPD]: Ja, dann müsst ihr doch räumen!)

Da wurden Einsatzwagen der Polizei mit Molotowcocktails beworfen. Damit sie überhaupt rausfahren, wurde bewusst ein Brand gelegt. Mit welcher perfiden Planung sollen da Menschenleben gefährdet werden? Wer ist da eigentlich unterwegs?

102 Körperverletzungsdelikte, über 700 m³ Müll, die dort hineingebracht wurden und die nun wieder herausgeholt werden müssen, der Bau von Tunneln und Löchern, die von innen mit Nägeln ausgelegt werden und mit Laub überdeckt werden, damit Menschen hineinfallen!

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie verharmlosen alles das mit Ihrer Debatte und Ihrem Klein-Klein.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos] – Sven Wolf [SPD]: Gefahrenabwehr ist originäre Aufgabe der Polizei und nicht der Bauordnung!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es steht noch eine Zwischenfrage von Herrn Mostofizadeh aus, die Sie vorhin schon angenommen haben wollten. Wollen Sie sie noch annehmen?

Henning Höne (FDP): Das stimmt. Dann bleibe ich natürlich dabei.

(Christian Dahm [SPD]: Hoffentlich wird das nicht deine Examensarbeit! Junge, Junge! Dann sehe ich schwarz!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Höne und Herr Präsident, vielen Dank, dass die Zwischenfrage zugelassen wird.

Ich war ja in diesem Bauausschuss, und ich habe auch Akteneinsicht genommen, und zwar für mehrere Stunden. Unter anderem ist mir bei der Akteneinsicht aufgefallen, dass die Stadt Kerpen und auch alle anderen kommunalen Behörden nach wie vor Ihre Entscheidung – die der Landesregierung –, die Baumhäuser als bauliche Anlagen zu bewerten, nicht akzeptieren. Sie sind anderer Auffassung und haben sich in diesen Rechtsfragen anweisen lassen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ihre Frage, Herr Kollege?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, die Frage ist: Werfen Sie auch den Städten vor, dass sie rechtsfreie Räume dulden würden?

Henning Höne (FDP): Ich werfe den Städten an dieser Stelle überhaupt nichts vor. Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Ich persönlich kann die Einschätzung, dass es sich dabei nicht um bauliche Anlagen handelt, nicht nachvollziehen. Das mag daran liegen, dass ich BWL studiert habe und nicht Jura.

(Beifall von Dr. Werner Pfeil [FDP])

Aber mit gesundem Menschenverstand ist das meiner Meinung nach nicht nachzuvollziehen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos] – Nadja Lüders [SPD]: Der gesunde Menschenverstand hat schon zu Abwägungen geführt!)

Ich weiß auch nicht, mit wem Sie draußen reden. Aber es ist doch wohl keinem rechtstreuen Bürger, der für seine Laube oder seinen Balkon einen Bauantrag einreichen muss und im Zweifelsfall zurückbauen muss, auch nur ansatzweise zu vermitteln,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass die Baumhäuser keine baulichen Anlagen sind und man es irgendwie – Augen zu und durch – schon so geschehen lassen kann.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Und gerade an die Grünen gerichtet zum Thema der gesellschaftlichen Konflikte: Mit Ihrem Parteitag an der Abbruchkante haben Sie nur noch viel mehr Öl ins Feuer gegossen. Es war völlig unverantwortlich, wie Sie sich da verhalten haben. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos] – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, diese Koalition hat im Wahlkampf versprochen

(Sarah Philipp [SPD]: Was ist eigentlich mit den Akten?)

und im Koalitionsvertrag zugesagt, dass die innere Sicherheit ein Schwerpunkt ist.

(Jochen Ott [SPD]: Oh, oh! Ganz dünn!)

Die Vorgängerregierung ist wegen mangelnden Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in ihre Kompetenz beim Thema „innere Sicherheit“ abgewählt worden. Das war ein maßgeblicher Grund.

(Beifall von der FDP – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Akten!)

Ich kann Ihnen sagen: Wir halten an diesem Versprechen fest. Dieses Versprechen gilt im ganzen Land – auch im Hambacher Forst.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos] – Jochen Ott [SPD]: Auch wenn man dabei lügen muss! – Gegenruf von Henning Höne [FDP]: Ich gehe davon aus, Herr Kollege Ott, dass Sie sich entschuldigen! Das ist unparlamentarisch!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ja eine heiße Debatte, zu der ich hier eingestiegen bin. Darüber freue ich mich natürlich ganz besonders.

Ich habe allerdings eine Bitte. Ich habe vorhin nicht genau verstanden, ob es „auch wenn man lügen muss“ oder „du lügst“ hieß. Aber das Wort an sich ist unparlamentarisch. Ich weise es im Namen aller hier im Saal zurück und bitte darum, das so zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Alexander Langguth [fraktionslos] – Rainer Schmeltzer [SPD]: Den Fakt auch?)

Das wissen auch alle Beteiligten. Wenn man jemandem vorwirft, dass er zu bestimmten Dingen die Wahrheit offenbar nicht sagt, dann kann man das anders ausdrücken, aber bitte nicht im persönlichen Vorwurf. Der ist unparlamentarisch und würde gerügt.

Im Übrigen möchte ich daran erinnern, dass mehr als zwei Zwischenfragen pro Redebeitrag durch die Präsidentschaft nicht zugelassen werden sollen. Das ist eine Sollbestimmung. Daran halte ich mich auch ein bisschen, damit die Dinge nicht aus den Fugen geraten.

Als Nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der AfD-Fraktion, Herr Wagner. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Hambacher Forst geht es seit Jahren drunter und drüber – spätestens seit der Leitentscheidung von Rot-Grün in 2016.

Nachdem die Wähler Rot-Grün 2017 die verdiente Klatsche für die wohl schlechteste Bilanz einer Landesregierung seit der Gründung Nordrhein-Westfalens gaben, änderte man urplötzlich den Kurs und wollte von der eigenen Entscheidung nichts mehr wissen. Seitdem geriert man sich als Ökopopulisten.

Die neue Landesregierung hingegen musste das von Rot-Grün geschaffene Recht nun auf einmal nicht nur gegen linksextreme Gewalttäter, sondern auch gegen die die Vorgängerregierung tragenden Fraktionen von SPD und Grünen durchsetzen.

Für unsere Fraktion sage ich ganz klar: Die Durchsetzung von Recht, Gesetz und Ordnung war und ist richtig. Alles andere lässt den demokratischen Rechtsstaat erodieren.

(Beifall von der AfD)

Wenn beispielsweise die Grünen im Zusammenhang mit den Besetzern des Hambacher Forstes immer so gerne von Aktivisten sprechen, würde ich doch gerne einmal sehen, was passiert, wenn ich als Aktivist zum Beispiel die Wohnung von Frau Schäffer besetze, mich dort verbarrikadiere und die herbeigerufene Polizei mit Fäkalien bewerfe und mit Stahlkugeln beschieße.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Ich würde gerne wissen, ob man dann immer noch so verständnisvoll reagieren würde wie im Zusammenhang mit den linksextremistischen Gewalttätern im Hambacher Forst, die Sie als Aktivisten bezeichnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Klar scheint aber auch, dass die Landesregierung dilettantisch agiert hat. Es gab eigentlich keine Veranlassung, sich nur auf den Brandschutz zurückzuziehen. Es war und ist das Grundstück von RWE. Und niemand hat das Recht, sich gewalttätig auf irgendeinem fremden Grundstück festzusetzen.

Aber die Landesregierung nimmt es mit ihrer Nulltoleranzpolitik selbst nicht allzu genau. Nach dem Rodungsmoratorium sieht man plötzlich keine Veranlassung mehr, die neu errichteten Baumhäuser zu räumen. Brandschutz und Baurecht sind nun plötzlich kein Thema mehr.

Ganz im Gegensatz beispielsweise zur Stadt Bergkamen: Dort wurden die Eigentümer und Mieter von 60 Wohnungen aus bis heute fragwürdigen Brandschutzgründen mal eben ganz schnell aus ihren Wohnungen geworfen. Die Notunterkünfte, in die sie verfrachtet wurden, mussten die Menschen selbst bezahlen. Auch die Security, die darüber wachen sollte, dass die Bewohner nicht in ihre Wohnungen zurückkehren, mussten die betroffenen Menschen selbst bezahlen. Und die immer wieder zu beobachtende allumfassende Koalition aus CDU, SPD, FDP und Grünen tat nichts, aber auch gar nichts, um den betroffenen Bewohnern zu helfen.

Ganz anders im Hambacher Forst: Dort besetzen Links- und Ökoextremisten fremden Grund und Boden und errichten Baumhäuser, die dem Brandschutz ganz sicher nicht genügen. Die Polizei räumt dann endlich im Rahmen des größten Polizeieinsatzes in der Geschichte NRWs. Die Kosten dafür tragen nicht etwa die Verursacher, also die Besetzer, sondern der Steuerzahler. Und wenige Wochen später wird der Status quo einfach wiederhergestellt – mit der Konsequenz, dass jetzt nicht mehr geräumt wird.

Wie soll sich eigentlich der gesetzestreue Bürger fühlen? Wie sollen sich die Bewohner aus Bergkamen fühlen, wenn sie feststellen müssen, dass die Nulltoleranzpolitik der Landesregierung da endet, wo extremistische und gewaltbereite Gruppen den Staat herausfordern, während gegen sie selbst mit aller Härte – auch finanziell – vorgegangen wird?

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren, die angebliche Nulltoleranzpolitik der Landesregierung wäre ja richtig gewesen. Man muss sie aber natürlich auch klar, offen, selbstbewusst, ohne Tricks und nachhaltig umsetzen. Fest steht auch: Die Landesregierung muss transparent agieren. Die ständigen Fehler und Halbwahrheiten nerven einfach nur noch. Aber noch wichtiger ist, dass Recht und Gesetz auch im Hambacher Forst nun endlich umgesetzt werden. Davon jedoch ist die Landesregierung noch weit entfernt.

An die antragstellende Fraktion gerichtet: Alle Akten einzusehen, hat aus meiner Sicht spätestens da seine Grenze, wo es sich um die Einsatzpläne der Polizei handelt.

Das Zweite ist: Natürlich haben die damaligen Regierungsfraktionen das Begehren auf Akteneinsicht der damaligen Opposition oft genauso abschlägig behandelt, wie sie das der heutigen Regierung vorwerfen. Aber Ihr Hinweis darauf, Herr Geerlings, macht es letztlich nicht besser und kann eigenes Verhalten nicht begründen. Deswegen werden wir diesem Antrag zustimmen. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Wagner. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Reul.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte wegen der Grippe noch einmal um Entschuldigung bitten; aber es geht nicht anders.

Heute hat die SPD mit ihrem Eilantrag erneut das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Damit wird ja eine große öffentliche Wirkung erzielt.

Sie fordern Transparenz ein. Jetzt werde ich einmal die Geschichte der Transparenz zu diesem Thema durchgehen.

Wir haben im Juni 2018, im Oktober 2018 und im Juli 2019 hier im Plenum große Debatten gehabt. Im Übrigen ging es bereits im Juli 2019 um das Gutachten. Das ist eigentlich ein völlig unaufgeregter Sachverhalt, den Sie aber intensiv debattiert haben. Ich habe Ihnen in der Sitzung vor der Sommerpause versprochen, dass ich prüfen werde, ob wir Ihnen das Gutachten geben können, weil wir das eigentlich wollen. Dann haben wir es geprüft, und wir haben Wort gehalten.

Daraufhin haben Sie – zweitens – alle Gutachten bekommen, die das Ministerium des Innern und das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung in diesem Zusammenhang in Auftrag gegeben haben; insgesamt 50 Seiten – Rechtsgutachten im Übrigen, die zu einem Handeln geführt haben, das in zwei Instanzen – ich weiß nicht, ob unsere Vorgängerregierung immer ihre Verfahren gewonnen hat – als rechtmäßig bestätigt wurde.

Drittens gab es einen gemeinsamen schriftlichen Bericht von uns beiden mit umfangreichen Unterlagen für beide Ausschüsse. Darin wurden auf zwölf Seiten ganz ausführlich alle Fragen beantwortet.

Im Ausschuss gab es aber noch mehr Fragen. Das ist total in Ordnung. Diese haben wir – viertens – in zwei Sitzungen der Ausschüsse beantwortet. Wir haben sie jeweils drei Stunden lang sorgfältig beantwortet.

Im Übrigen gab es unzählige Anträge und Kleine Anfragen zwischendurch, zum Beispiel zum Thema „Bereitschaftspolizei“. Alle Fragen wurden beantwortet. Ich will das gar nicht alles aufzählen.

Fünftens gab es eine IFG-Anfrage von zwei Journalisten auf Einsichtnahme in die kompletten Akten zum Vorgang „Räumung des Hambacher Forstes“. Daraufhin haben wir uns entschieden – das ist freiwillig gewesen; seien Sie ein bisschen fair; das war rechtlich nicht notwendig –, der Landespressekonferenz und allen Abgeordneten dieselben Rechte zu geben wie diesen beiden Journalisten. Wir hätten das nicht machen müssen, haben es aber gemacht. Das war auch richtig.

22 Aktenordner konnten Sie sich anschauen. Da gab es Bescheide, Weisungen, Vermerke, E-Mails, Gesprächsnotizen, Protokolle. Alles haben Sie dort gefunden, alles für Sie transparent. Das ist ja zum Teil auch öffentlich dokumentiert, auch wenn das in Teilen gar nicht erlaubt war. Aber egal!

Bei der Durchführung dieser Akteneinsicht haben wir alle Ihre Wünsche berücksichtigt. Wir haben den Zeitraum der Einsicht verlängert. Einige haben an mehreren Tagen Einsicht genommen. Sie haben sogar Fraktionsmitarbeiter mitgenommen, was gar nicht erlaubt ist.

(Zurufe von der SPD: Wo steht das? – Sarah Philipp [SPD]: Das haben wir vorher angekündigt!)

– Darauf haben wir Sie hingewiesen. Darüber streite ich mich aber nicht. Wir haben sie ja reingelassen. Wir haben doch gar keinen Stress gemacht. Ich wollte ja nur sagen, wie ordentlich wir mit Ihnen umgegangen sind. Das alles war für die Landesregierung kein Problem.

Jetzt sitzen wir hier zusammen und haben gleich unter Tagesordnungspunkt 6 die Fragestunde, in der weitere Fragen hierzu gestellt werden, die wir wieder alle beantworten werden. Die dazu schriftlich formulierten Fragen sind übrigens dieselben, die in den Ausschüssen gestellt wurden. Das macht aber nichts. Wir werden sie sorgfältig beantworten.

Wissen Sie, was ich mich frage, wenn ich mich aufraffe, hierhin zu kommen?

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich frage mich: Was wollen Sie denn noch? Was fehlt denn eigentlich? Machen Sie das prinzipiell? Oder haben Sie irgendeinen Informationsbedarf? Dann müssen Sie ihn einmal konkret benennen. Oder soll die Causa Hambach nur immer auf der Tagesordnung bleiben, um politische Spielereien zu machen?

Ich jedenfalls wüsste nicht, was noch fehlt. Ich würde das wirklich gerne wissen.

Ich nehme einmal ein Beispiel aus Ihrer Überschrift: Sie wollen die Schwärzungen entfernt haben. – Da sage ich Ihnen erstens, damit das geklärt ist: Die Schwärzungen sind nicht im Original erfolgt, wie Sie behaupten, sondern in den Kopien. Das ist ja logisch. Entscheidend für die Schwärzungen waren die jeweiligen Einschätzungen aus den einzelnen Häusern. Ich kann für mein Haus zum Beispiel sagen: Funkrufnamen und Frequenzen der Polizei haben wir aus Sicherheitsgründen geschwärzt.

(Sarah Philipp [SPD]: Darum geht es nicht!)

– Aber das sind die Schwärzungen. Sie wissen das doch gar nicht. Warum behaupten Sie das denn immer einfach? – Übrigens bekomme ich Briefe von Mitarbeitern von Firmen, die dort gearbeitet haben und darum bitten, ich solle dafür sorgen, dass ihre Namen nicht in Ihre Hände fallen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wissen Sie, wir hatten hier fröhliche Debatten zum Datenschutz.

(Zurufe von der SPD)

– Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ausnahmsweise einmal zuhören würden. Ich verstehe, dass Sie laut sein wollen. Dann komme ich aber mit meiner Stimme nicht mehr durch. Das kann natürlich auch Sinn der Sache sein.

Ich habe dafür zu sorgen, dass geheime Daten nicht öffentlich werden. Ich habe auch für die Sicherheit von externen Mitarbeitern zu sorgen – damit das klar ist. Das wird und bleibt geschwärzt. Da können Sie sich auf den Kopf stellen. Das wird nicht geändert, hundertprozentig nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Übrigens: Fragen Sie einmal Mitglieder Ihrer früheren Landesregierung, ob sie Akten immer ohne Schwärzungen vorgelegt haben. Ich war ja nicht dabei. Ich habe da nur eine Vermutung. Mehr kann ich hier nicht sagen. Fragen Sie einmal Ihren Fraktionsvorsitzenden, ob er alle Akten immer ungeschwärzt herausgegeben hat. Das Schwärzen ist doch ein Instrument, das wichtig ist.

Noch einmal: Alle Unterlagen wurden nach dem Informationsfreiheitsgesetz zusammengestellt.

Neben der Schwärzung gibt es noch einen zweiten Punkt. Sie sprechen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht von einer Missachtung des Parlaments. Zumindest die Juristen oder die Fachleute müssten es doch wissen: Der Informationsanspruch des Abgeordneten lautet „Auskunft“ und nicht „Akteneinsicht“. Das ist die Faktenlage.

Die habe übrigens nicht ich gemacht. In der letzten Legislaturperiode gab es hier, habe ich mir erzählen lassen, große Debatten darüber, ob man das so oder so machen will. Sie alle haben entschieden, dass das so ist. Ich muss mich doch an das halten, was Sie entschieden haben. Oder was soll ich machen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Übrigens – damit ist es ja gesagt –: Das, was wir mit der Akteneinsicht Ihnen gegenüber gemacht haben, ging darüber hinaus und war eigentlich schon nicht mehr ganz in Ordnung, um es präzise zu formulieren.

Drittens. Sie thematisieren immer die Auftragsvergabe der gutachterlichen Stellungnahme an die Kanzlei Baumeister. Da kommen wir zu einem interessanten Thema der letzten Wochen, dem Thema „Legendenbildung“. Erst behauptet einer Ihrer Kollegen – das war, glaube ich, in der Sitzung vor der Sommerpause Herr Becker –, das sei entweder eine CDU- oder eine RWE-Kanzlei. Ich habe ihm gesagt – den Rest aus dem Ausschuss will ich nicht wiederholen –, welcher Partei der Seniorpartner angehört.

(Zuruf)

– Ja, das ist alles Quatsch, wie man jetzt weiß; das ist doch falsch. Sie könnten doch einfach einmal sagen: An diesem Punkt haben wir uns geirrt; diese Behauptung stellen wir nicht mehr auf. – Aber Sie lassen es schön weiter wabern.

Wir haben es mehrfach gesagt: Es ging um die besondere fachliche Expertise dieser Kanzlei. – Das Muster ist immer dasselbe. Ich rege mich auch deshalb so auf, weil ich das jetzt schon ein paar Mal erlebt habe. Nur: Mit mir machen Sie das nicht.

Sie behaupten irgendetwas. Wir widerlegen es im Ausschuss nachvollziehbar, und zwar öffentlich. Jeder, auch jeder Journalist, hat gehört, dass das widerlegt wurde.

(Jochen Ott [SPD]: Nichts da!)

Dann bezichtigen Sie mich öffentlich wiederholt zum Beispiel persönlich der Lüge. Heute war das schon wieder der Fall. Am Ende geben Sie mir dann recht.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Quatsch!)

– Ich bringe Ihnen noch ein paar schöne Beispiele. Passen Sie auf! Ich habe nicht so viel Zeit; deshalb kann ich nicht alle nennen.

Öffentlich kritisieren Sie, dass es überhaupt Gespräche zwischen RWE und mir gab, und zeichnen von mir das Bild eines Handlangers. Im Ausschuss wird dann gesagt: Natürlich müssen Sie mit denen reden; das ist doch klar.

(Sarah Philipp [SPD]: Sie haben das verheimlicht!)

Außerdem sagt Herr Ganzke im Ausschuss – es tut mir leid; ich mache das nicht gerne, dass ich andere Kollegen zitiere –: Kein Mensch glaubt, dass Sie Handlanger von RWE sind

(Zuruf von der SPD: Büttel!)

– oder Büttel. Das ist genauso gut. – Ich habe mich dafür bedankt, weil ich das anständig fand. Das ist einer, der dann auch ein gerades Kreuz hat und sagt: Das war ein Fehler; ich sage das nicht mehr.

(Jochen Ott [SPD]: Sie haben es doch verschwiegen! Das ist das Problem!)

Ich bin Handlanger von niemandem und, wenn überhaupt, dann nur dem Recht und dem Gesetz zum Schutz der Bürger verpflichtet.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Da ist Ihnen jedes Mittel recht!)

– Einfach einmal eine Minute oder auch fünf Minuten Ruhe, bitte. Mehr will ich ja gar nicht.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das entscheiden Sie nicht!)

– Das ist nur eine Bitte.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Die wird nicht erfüllt!)

Meine Frau hat mir gesagt, ich solle heute im Bett liegen bleiben; das sei besser. Vielleicht hat sie recht.

Wir müssen große und komplexe Polizeiaktionen immer sorgfältig besprechen. Das ist völlig normal.

Deswegen hat auch – jetzt muss ich noch jemanden nennen –, was ich auch in Ordnung fand, der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Kutschaty, nachdem die „Lügen“ in der Welt waren, gesagt, es gebe gar keine Anhaltspunkte für eine Lüge. Ich bedanke mich dafür. Aber die Geschichte wird immer wieder erst einmal konstruiert usw.

Übrigens – ich vertiefe das Thema nicht – hat mein Amtsvorgänger mit relativer Sicherheit – das sage ich einmal vorsichtig – auch mit RWE Gespräche geführt. Es wäre auch ein Fehler, wenn er das nicht gemacht hätte.

(Zuruf von der SPD: Er hat es aber nicht bestritten! – Zurufe von der CDU)

– Er hat nichts getan; das stimmt. Aber das ist ein anderes Thema.

Nächstes Beispiel: Sie sagen, ich hätte immer verschwiegen, dass das Baurecht ein Instrument bzw. ein Rechtsmittel gewesen sei, um die zu erwartende Eskalation im Hambacher Forst zu vermeiden. Das hätte ich total verschwiegen.

(Zuruf von Christian Dahm [SPD])

– Nein, Sie haben das behauptet – eine Eskalation übrigens, die bei der damals geplanten

(Christian Dahm [SPD]: Ihre Ministerin hat das gesagt, und zwar letzte Woche!)

– ich komme gleich noch darauf zurück –

(Jochen Ott [SPD]: Kann man nachlesen!)

und anstehenden Rodung einem zweiten Hamburg gleichgekommen wäre. Das weiß jeder. Es war klug, dass wir vorher nachgedacht haben. Daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht.

Ich empfehle, die „Rheinische Post“ vom Juni 2018 zu lesen. Da habe ich in Zusammenhang mit dem Verfassungsschutzbericht auf die Gefahren der linken und radikalen Szene in Baumhäusern hingewiesen und damals schon gesagt, dass der Brandschutz natürlich ein Hebel sein könnte, mit dieser Besetzerszene umzugehen. Ich darf zitieren:

„Wenn das Wohnungen sind, muss es da ja auch einen Brandschutz geben …“

Das war im Juni 2018.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das nächste Beispiel – gerade vorgetragen, ich weiß gar nicht mehr von wem – ist ein „Westpol“-Zitat; ich hätte da etwas ganz anderes gesagt. Tun Sie mir einen Gefallen. Natürlich habe ich das gesagt, das stimmt. Aber lesen Sie doch bitte den Zusammenhang. Wissen Sie, in welchem Zusammenhang ich das damals gesagt habe? Als der Mann vom Baum gestürzt und dabei gestorben ist. Ich habe das in dem Zusammenhang gesagt.

Wir haben ja jetzt durch diesen schlimmen Vorfall sogar erlebt, dass es nicht nur eine theoretische Gefahr ist, sondern wirklich eine praktische Gefahr ist. Darum habe ich genau darauf insistiert. Das war auch notwendig und richtig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann gibt es noch einen Widerspruch, den müssten Sie aufklären. Der gehört aber auch zu diesen Legenden. Mir ganz viele solche Sachen vorzuwerfen … Streiten darüber, ob es klug war oder nicht klug war, das mache ich. Das ist in Ordnung, da kann man verschiedene Meinungen haben. Aber die Sachen dazwischen sind wirklich unsauber, unfair und auch ehrabschneidend. Darum werde ich dann ganz schön pingelig.

Jetzt noch ein allerletzter Punkt. Im Innenausschuss war es am Schluss relativ klar – ich habe das sogar zusammengefasst, unwidersprochen –, und ich habe gesagt: Wir haben jetzt in den Fragen keinen Widerspruch mehr, ich habe die alle aufgelöst. Es gibt einen Widerspruch.

(Christian Dahm [SPD]: Nein!)

– Doch. Ich habe gesagt: Es gibt einen zentralen Widerspruch, und das ist der Widerspruch, dass Sie der Auffassung waren, man müsse jetzt dann auch reingehen.

(Zuruf von der SPD: Nein, stimmt nicht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Da habe ich gefragt: Ist das Ihr Vorschlag, oder was ist das?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Nein. Das ist doch genau das objektive Problem, vor dem jetzt alle stehen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Nein. Sie haben doch nicht Unrecht mit dem Hinweis, dass das ein Problem ist. Damit muss man so oder so umgehen, und Sie sehen, wie wir damit umgehen. Wir haben es sogar begründet.

Das war der Unterschied; denn das haben Sie mir am Schluss immer noch vorgeworfen. Wenn das das Einzige ist, was übrig bleibt, und Sie wollen, dass wir da wieder eingreifen, dann empfehle ich einen Vorschlag.

(Anhaltender Beifall von der CDU, der FDP und Alexander Langguth [fraktionslos] – Zuruf von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. Es gibt eine angemeldete Kurzintervention von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Schäffer will diese Kurzintervention nutzen. Sie können vom Platz oder vom Pult aus antworten, wie Sie möchten. – Bitte schön, Frau Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Auch wenn ich nur anderthalb Minuten habe, möchte ich hier einige Sachen nicht unwidersprochen stehen lassen.

Ich glaube, niemand – das kann man so sagen – hat in dem Ausschuss gefordert, jetzt müsse aber geräumt werden, sondern wir haben auf die Widersprüche hingewiesen, die es da einfach gibt. Die Unverhältnismäßigkeit, die Sie jetzt plötzlich sehen, bestand auch vor einem Jahr. Ich nenne das Stichwort „Kohlekommission“, das anstehende OVG-Urteil.

Es war dann ja auch so. Es kam zum Rodungsstopp. Deshalb war der Einsatz auch vor einem Jahr schon unverhältnismäßig, genauso wie er heute unverhältnismäßig wäre.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Darauf weisen wir hin.

Dann möchte ich hier noch einmal klarstellen, Herr Reul: Mitnichten sind die Fragen im letzten Innenausschuss beantwortet worden. Ich kann gerne noch mal einige Fragen vorlesen, auf die Sie keinen Bezug genommen haben.

„Was waren denn die Inhalte der Gespräche des Ministers mit RWE?“, habe ich gefragt. Welche weiteren Gespräche hat es unterhalb des Ministers oder des Staatssekretärs mit RWE gegeben, also Abteilungsleiterin, Referatsleiter usw.? Das ist nicht beantwortet worden.

Ich habe die Frage gestellt: Hat es konkrete Gespräche mit RWE zur Vorbereitung der Räumung inklusive der Anmietung von Hebebühnen und anderen Gerätschaften gegeben? Ich habe zum Vergaberecht Fragen gestellt. Zum Thema „Marktschau“ habe ich eine Frage gestellt. Das ist alles nicht beantwortet worden.

(Zuruf von der CDU)

Herr Reul, ich würde Ihnen gerne noch etwas beantworten, weil Sie gerade sagten: Ich verstehe gar nicht, dass Sie noch mehr Akten haben wollen. – Ich kann Ihnen aber gerne sagen, was wir noch haben wollen: Es gibt genau eine Akte aus der Staatskanzlei. Diese Akte beinhaltet einzig und allein Kleine Anfragen. Da ist die Frage: Ist das vollständig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 sind rum.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Ist das die Akte der Staatskanzlei? Welche Kommunikation hat es auf dieser Ebene gegeben?

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Es gibt die Frage nach den E-Mails.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Vielleicht hören Sie mal auf, ständig reinzurufen, und respektieren einfach, dass ich das Rederecht habe.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 wären jetzt rum.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Gut. Das wird hier leider nicht angezeigt. – Ich will nur deutlich machen: Es gibt nach wie vor viele Fragen. Es gibt Akten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, schön.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE] – Gegenrufe von der CDU und der FDP)

Jetzt hat Herr Minister Reul das Wort, und er hat 1:30 Minuten, um auf die Punkte noch mal einzugehen, die angesprochen wurden. Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Schäffer, erstens: Ich stimme in einem Punkt zu. In der Frage, ob man den Einsatz damals hätte machen sollen oder nicht, gibt es verschiedene Meinungen. Ich glaube nach wie vor, dass das richtig und auch wichtig war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber ist okay. Aber darüber diskutieren wir ja nicht. Das ist eine politische Bewertung.

Zweitens lege ich Wert darauf, dass die Fragen, die Sie gestellt haben, alle beantwortet wurden – wir werden das nachher ja noch sehen –, zum Beispiel über die Inhalte der Gespräche mit RWE, an denen ich beteiligt war.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

– Herr Becker, Sie waren doch gar nicht im Innenausschuss.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

– Sie Schlaumeier.

(Zurufe)

Ich habe dem Ausschuss zu den Inhalten der beiden Gespräche, an denen ich beteiligt war, Auskunft gegeben – glasklar Auskunft gegeben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Welche?)

Ich wiederhole die nachher noch hundertmal. Sie haben sie auch nachlesen können. Ich habe sie aber auch vorgetragen. Übrigens: Spätestens nachdem Sie die Akten gesehen haben, wussten Sie es auch. Also ist der Fall jetzt auch erledigt, entweder durch meine Antwort oder durch das Aktenlesen.

Drittens: die Gespräche unterhalb. Das stellt sich einfach sehr schwierig dar. Verstehen Sie? Ich kann Ihnen einen Teil an Gesprächen auflisten, von denen wir wissen. Aber es finden doch wahnsinnig viele Gespräche zwischen Polizei und Stadt, Polizei und RWE statt. Das ist doch logisch. Da wird doch laufend etwas besprochen in dem ganzen Prozess dieses Verfahrens. Die werde ich Ihnen niemals lückenlos geben können. Ich werde „lückenlos“ nie unterschreiben, weil das gar nicht geht. Darüber werden doch oft gar keine Protokolle gemacht.

Da muss man doch ehrlich miteinander umgehen und nicht etwas fordern, was gar nicht geht. Das, was geht, kriegen Sie und haben Sie bekommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, die 1:30 …

Herbert Reul, Minister des Innern: … sind vorbei. Dann machen wir nachher weiter. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: So ist es. – Damit sind wir am Ende dieser Rede angelangt. Die Landesregierung hat ihre Redezeit ziemlich genau um 9 Minuten und 17 Sekunden überbeansprucht. Das bedeutet, dass, wenn es noch Wortmeldungen aus dem Rund gibt, diese selbstverständlich noch zugelassen werden.

(Herbert Reul, Minister des Innern: Weil ich so langsam war heute!)

– Für die relativ heisere Stimme war das eine längere Zeit. Das ist ja in Ordnung.

Jetzt können sich die anderen, wenn sich noch jemand zu dem Thema zu Wort melden möchte, auch noch äußern. – Herr Mostofizadeh hat sich für die grüne Fraktion gemeldet. Dann soll er das Wort auch haben.

Ich werde natürlich nicht neun Minuten pro Fraktion rechnen. Aber wenn noch eine Nachbemerkung zu machen wäre, hätte jede Fraktion dazu sicherlich die Gelegenheit. – Bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will nur ein Beispiel dafür liefern, was in den Akten unklar geblieben ist – zumindest für meine Begriffe.

Es gibt eine Diskussion über unterschiedliche rechtliche Einschätzungen – zumindest gibt das die Aktenlage so her. Da schlägt Frau Dr. Lesmeister als Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium dem Bauministerium vor, in dem Wald einzelne Bäume mit Draht zu ummanteln, um in einem bestimmten Zeitstrahl dann eine weitere Räumung im März 2019 durchführen zu können. Das ist tageweise beschrieben. Das geht dann zwischen dem Innenministerium und dem Bauministerium hin und her.

Das Bauministerium ist die ganze Zeit der Auffassung, dass das rechtswidrig ist, was Frau Dr. Lesmeister vorschlägt. Dann gibt es einen Vermerk, in dem steht, dass sich Frau Ministerin Scharrenbach und Minister Reul am Rande eines Gesprächs oder eines Termins – es ist da nicht weiter zu erkennen, woher das kommt – geeinigt hätten, doch so vorzugehen, wie Frau Dr. Lesmeister vorgeschlagen hat, woraufhin Mitarbeiterinnen des Hauses intervenieren und vortragen, dass das doch jetzt völlig gegen die Linie des Bauministeriums sei. Danach wissen wir nicht, wie es weitergeht.

(Zuruf von Herbert Reul, Minister des Innern)

– Darf ich das zu Ende bringen?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Das ist nicht gemacht worden!)

– Ich erkenne, dass das nicht gemacht worden ist. Ich meine, ich habe seit März durchaus Fernsehen geguckt und war auf der Welt, Herr Minister.

Aber warum es nicht gemacht worden ist,

(Daniel Sieveke [CDU]: Das weiß man nicht!)

welche Einigungen dort getroffen wurden, welche Erwägungsgründe dazu geführt haben, welche Rolle die Einschätzung der Städte dabei gespielt hat …

Zum Beispiel ist die Stadt Kerpen nach wie vor der Auffassung, dass die Rechtsauffassung des Bauministeriums falsch ist. Die kommunale Behörde ist der Auffassung, dass sie sich einzeln anweisen lassen möchte. Die kommunale Behörde ist im Übrigen auch der Auffassung, dass der Zustand, wie er jetzt im Hambacher Forst, im Hambacher Wald herrscht,

(Zurufe von der FDP: Forst!)

vergleichbar mit dem von heute ist, und sie fragt sich, warum dort nicht entsprechend eingegriffen wird. Das sind alles Fragen, die nicht erörtert worden sind, worauf es keine Antwort in den Akten gibt. Und nach Sachen zu fragen, die ich nicht weiß – da wird es ganz schwierig.

Ich kann nur zusammenfassen: Offensichtlich gibt es einen großen Unterschied zwischen dem, was im Bauministerium rechtlich eingeschätzt wird, und dem, was im Innenministerium gemacht wird.

Und ich hätte sehr viele Fragen. Das werden wir ja gleich in der Fragestunde anfangen, warum ausgerechnet das Innenministerium immer wieder das Bauministerium auf die Palme bringt, rechtliche Einschätzungen zu machen, damit das Innenministerium quasi als Vollzugshelfer agieren kann. Das ist doch die Crux. Normalerweise ist es doch andersherum.

(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Ich kenne das so: Wenn der Gerichtsvollzieher Hilfe braucht, dann ruft er die Polizei an, und es ruft nicht die Polizei beim Gerichtsvollzieher an: Denk dir mal eine Sache aus, warum du in das Haus gehen kannst, damit ich dich dahin begleiten kann. – Das ist die Situation, wie sie sich hier im Moment abspielt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Sehe ich weitere Wortmeldungen? – Keine weiteren Wortmeldungen. Dann sind wir am Ende des Tagesordnungspunkts 5 und dieser Debatte.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf. – Entschuldigung, wir haben ja einen Eilantrag. Entschuldigt, Genossen!

(Heiterkeit)

Es liegt ein Eilantrag vor, über den natürlich direkt abgestimmt werden muss. Um Himmels willen, ich wollte schon zur Fragestunde weitereilen. Ich bitte, das zu entschuldigen.

Also: Der Eilantrag liegt vor, die SPD hat ihn gestellt. Eine direkte Abstimmung ist Usus. Wer stimmt dem Eilantrag der SPD-Fraktion zu? – SPD und Grüne stimmen diesem Eilantrag zu. Wer stimmt dagegen?

(Zurufe von der SPD: Moment, die AfD auch!)

– Da muss ich noch mal gucken. Das ist so ein historischer Moment, den muss ich einfangen.

(Heiterkeit)

Also: SPD, Grüne und AfD stimmen für den Eilantrag der SPD. Wer stimmt dagegen? – Es stimmen dagegen CDU, FDP und zwei fraktionslose Kollegen, nämlich Herr Neppe und Herr Langguth. Gibt es Enthaltungen? – Die sehen wir nicht. Damit ist dieser Eilantrag Drucksache 17/7423 mit der Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Ich rufe auf:

6   Fragestunde
Mündliche Anfragen    
Drucksache 17/7422 – Neudruck

Ihnen liegen die Mündliche Anfrage 50 aus der Fragestunde am 10. Juli 2019 sowie die Mündlichen Anfragen 51, 52 und 53 vor.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 50

der Frau Kollegin Bongers von der Fraktion der SPD auf.

Zu dieser Anfrage liegt seit eben ein Schreiben an den Landtagspräsidenten vor.

Es lautet:

Ich bitte darum, dass meine im Rahmen der Fragestunde im Juli unbeantwortet gebliebene Mündliche Anfrage 50 gemäß § 94 Abs. 9 der Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen schriftlich beantwortet wird. Ich danke für Ihre Mühen und verbleibe mit freundlichen Grüßen, Sonja Bongers, MdL.

Das ist so von Frau Kollegin Bongers beantragt worden. Damit entfällt die mündliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 50. Diese wird nun schriftlich beantwortet. (Siehe Vorlage 17/2454)

Ich rufe auf die

Mündliche Anfrage 51

der Frau Kollegin Verena Schäffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Das Thema dieser Anfrage lautet: Was waren die tatsächlichen Motive für die Räumung des Hambacher Waldes?

Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet.

Die Landesregierung hat angekündigt, dass zunächst Herr Minister Reul antworten wird. Jetzt hat er den Raum möglicherweise gerade …

(Herbert Reul, Minister des Innern, sitzt auf dem Platz von Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft, neben Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung.)

Wollen Sie von dort antworten, Herr Minister?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Das wäre gut!)

– Das wäre kein Problem, wenn Sie das möchten. Dann muss ich das Mikrofon von Frau Pfeiffer-Poens-gen freischalten. Da sie im Moment nicht da ist, können Sie das nutzen. Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich bedanke mich. – Wir haben uns das aufgeteilt, weil ja beide angefragt sind. Wir werden beide antworten.

Erstens. Die Frage muss ich nicht wiederholen.

Dass Sie das Recht haben, alle Fragen zu stellen, ist logisch. Sie werden allerdings bei dieser Antwort, so befürchte ich, nicht mehr ganz viel Neues erfahren, weil ich das meiste oder alles im Ausschuss erzählt habe.

(Zuruf von der SPD: Das werden wir ja sehen!)

Es sind die gleichen Fragen, und deswegen will ich auch so antworten.

Ich will aber auch mal versuchen, den sehr komplizierten Sachverhalt zu verdeutlichen, weil ich glaube, dass daraus manche Missverständnisse entstanden sind.

Es gibt einen Zusammenhang der Räumungsaktion zu meinen Aufgaben als Innenminister: Rechtsstaat durchsetzen, Menschen schützen, null Toleranz gegen Kriminelle. – Ich erkläre gerne noch mal, was ich damit meine.

Für eine Beantwortung muss man ein Jahr zurückblicken. Da gab es eine Seite, nämlich den Eigentümer RWE, und es war klar – das stand in jeder Zeitung –, dass der den Wald roden wollte, so wie es ihm die Landesregierung 2016 erlaubt hatte. Das will ich jetzt nicht vertiefen, da gab es eine andere Regierung. Diese hat die Verantwortung dafür, dass es die Genehmigung gab.

Auf der einen Seite stand der Eigentümer, und es gab auf der anderen Seite Menschen, die den Wald besetzt und auf Plattformen in 20 m Höhe Behausungen errichtet hatten. Die gingen über mehrere Stockwerke, verfügten über Küchen und Heizungen.

Ich will nicht alle diese Besucher über einen Kamm scheren. Natürlich gab es da einige, die wirklich Sorge hatten um das Thema „Klima“ oder „Kohle“, ein total legitimes Anliegen. Aber es gab eben auch die anderen, die ständig Rechtsbrüche begingen. Wir reden übrigens nicht nur von Eigentumsrechten von RWE, die allein schon durch die Errichtung der Baumhäuser verletzt wurden, sondern es wurde mit Zwillen geschossen, es flogen Steine, Molotowcocktails. Das sind keine Kavaliersdelikte oder Dummejungenstreiche, das sind knallharte Straftaten.

Damals ist im Hambacher Forst ein Sammelbecken für Chaoten und Radikale aus ganz Europa entstanden, und es wurde ganz systematisch eine gewaltige Infrastruktur für Störer aufgebaut. Ich sage ganz bewusst „Störer“, auch wenn manche das manchmal „Aktivisten“ nennen.

Ich war als neuer Innenminister immer wieder der Frage ausgesetzt: Was ist denn nun mit der angeblichen Nulltoleranzstrategie? Gilt die hier nicht? Und es gab die durchaus berechtigte Sorge, der Hambacher Forst könnte endgültig zum rechtsfreien Raum werden, zu einem zweiten Hamburg, zu einem Raum, den der Staat aufgegeben hat.

Also haben wir im Ministerium – das war unsere Aufgabe – Überlegungen angestellt, wie wir eine solche Entwicklung verhindern können. Wir haben uns darüber innerhalb der Landesregierung auch ausgetauscht – logischerweise.

Als RWE dann im Juli 2018 den Räumungsantrag gestellt hat, habe ich meinen Kolleginnen und Kollegen – davon war eben die Rede – von den Warnungen von Polizei und Verfassungsschutz berichtet. Und ich habe auch darauf hingewiesen – jetzt wird es wichtig –, dass wir mit dem Polizeirecht alleine vermutlich nicht weiterkommen werden. Denn das Polizeirecht ist vor allen Dingen ein reaktives Instrument. Das heißt, die Polizei hätte erst handeln können, wenn ein Stein geflogen wäre.

Hier war aber aus meiner Sicht proaktives Handeln gefragt. Denn es ging darum, Gefahren für Leib und Leben bereits im Vorfeld zu minimieren. Ich habe versucht, den Kollegen zu erklären: Wenn wir verhindern wollen, dass im Wald ein Chaos ausbricht, dann können wir nur mit Amts- und Vollzugshilfeersuchen aus anderen Ressortbereichen weiterkommen. Bis dahin gab es, glaube ich, so eine Meinung: Die Polizei macht das schon.

Mir war aber daran gelegen, Gewalt und Chaos im Wald gar nicht erst entstehen zu lassen. Ich wollte nicht abwarten, bis im Wald die große Schlacht bei der Rodung beginnt.

Noch einmal: RWE hatte das Recht, und die Polizei als Exekutive muss Recht schützen, egal ob es ihr gefällt oder ob es ihr nicht gefällt. Wir wollten nicht sehenden Auges in eine Situation laufen, bei der durch die Rodung möglicherweise Hunderte von Menschen zu Schaden kommen – Klimaschützer ebenso wie RWE-Mitarbeiter und Polizisten.

Das waren die Gründe dafür, dass wir geprüft haben, welche Rechtsgrundlage wir haben, um den Wald vor der Rodung zu räumen, allein um die Gefahren zu minimieren, eine Eskalation zu vermeiden, die absehbar war. Dazu gab es dann das Gutachten – logischerweise ein klassisch juristisches Gutachten.

Das hieß für mich: Jede Möglichkeit wird durchgeprüft, auch jede Möglichkeit des Vorgehens nach dem Bauordnungsrecht. Der Erlass der Bauordnungsverfügung und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgten dann wegen der schweren Verstöße gegen das formelle und materielle Bauordnungsrecht.

Wie sowohl das Oberverwaltungsgericht Münster als auch das VG Münster entschieden haben, waren Eilrechtsanträge von Baumhausbewohnern gegen die-se Räumungsverfügung erfolglos, weil mehrfach Verstöße gegen die Brandschutzbestimmungen des Bauordnungsrechts vorlagen. Das Einschreiten der Unteren Bauaufsicht im Wege der Nutzungseinstellungs- und Beseitigungsverfügung sowie die polizeiliche Vollzugshilfe erfolgten also auf der Grundlage und zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens wurde mehrfach gerichtlich bestätigt.

Deshalb ist und bleibt einerseits die Aussage richtig, dass die Räumung rechtlich unabhängig von der Rodung des Waldes erfolgen durfte. Diese Aussage ist aber, wie ich auch schon erwähnt habe, durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt.

Genauso richtig ist es andererseits – das ist überhaupt kein Widerspruch –, dass wir als Innenministerium alles versucht haben, um eine tatsächliche und bereits absehbare Eskalation im Zusammenhang mit der anstehenden Rodung zu vermeiden. – Zwei Herangehensweisen.

Dann mussten wir damals davon ausgehen, dass die von der SPD und den Grünen erlaubte Rodung auch stattfinden wird und dass die Polizei dies schützen muss. Die bevorstehende Situation musste damals mit allen zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informationen beurteilt werden. Das nennt die Polizei „Beurteilung der Lage“, und darauf muss man dann so reagieren, dass die Gefahren für alle Beteiligten minimiert werden.

Zum damaligen Zeitpunkt gab es kaum Zweifel, dass die Rodung bevorstand, und diese hätte die Polizei schützen müssen. Denn sie muss Recht schützen, ohne dies inhaltlich zu beurteilen. Das ist auch wichtig, was damals übrigens auch den eingesetzten Beamtinnen und Beamten nicht leichtfiel.

Somit musste bereits im Frühjahr 2018 mit der Vorbereitung begonnen werden. Es wurde eine besondere Aufbauorganisation, eine sogenannte BAO „Rodung“ beim PP Aachen installiert.

Nochmals: Nur damit man nicht …

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

– Das habe ich doch gerade gesagt. Die kennen Sie doch. Ich habe kein Problem damit. Die hieß BAO „Rodung“. Ich bin ja gerade dabei, es zu erklären, Frau Philipp. Immer schön abwarten, bis der Satz zu Ende ist.

Nochmals: Um nicht sehenden Auges ins Unglück zu rennen und einem Einsatz unvorbereitet gegenüberzustehen, den man rechtlich wahrnehmen muss, aber dann nicht beherrschen kann, muss man organisatorische Vorbereitungen leisten und andere Bundesländer um Kräfteunterstützung bitten und Personalkapazitäten freimachen. Wir haben zum Beispiel damals die Einführungsfortbildung bei der Einsatzhundertschaft NRW verlegt.

Am 31.07. wurde auch ein Erlass aus meinem Hause herausgegeben, zu dem mein Haus damals öffentlich Stellung genommen hat, mit dem Titel „Einsatz aus besonderem Anlass, Einsatz der Polizei aus Anlass der Rodungsperiode 2018/2019 im Bereich des Hambacher Forstes“. Den haben Sie auch in den Anlagen finden können. Mit diesem Erlass wurde die sogenannte größtmögliche Verfügbarkeit der Einsatzkräfte angeordnet. Die Begründung für diese größtmögliche Verfügbarkeit erfolgte mit den folgenden Worten – ich zitiere –:

Nach jetziger Lagebewertung ist über einen längeren Zeitraum von einem Einsatz aller verfügbaren Einheiten der Bereitschaftspolizei für die Bewältigung von Einsätzen aus besonderem Anlass in einem Zeitraum bis voraussichtlich 23.12. auszugehen. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass in diesem Zeitraum der Einsatz von Alarmeinheiten in erhöhtem Maße erforderlich wird.

Im Weiteren strebe ich bereits jetzt insbesondere für die Einsatzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Rodungsperiode 2018/2019 im Bereich Hambacher Forst eine auch längerfristige Unterstützung insbesondere von Kräften der Bereitschaftspolizei aus Ländern und dem Bund an.

Damit kam es übrigens zu keinem Zeitpunkt – falls nun wieder jemand spekuliert – zu Sicherheitsproblemen in anderen Bereichen, nicht in Dortmund, nicht in Düsseldorf, nicht in Köln, nicht in Duisburg, Essen, Bochum, Gelsenkirchen, Aachen oder bei Aktionen gegen die Clan-Kriminalität. Darüber haben wir hier übrigens diskutiert, weil Sie mir das damals vorgeworfen haben – also auch nichts Neues.

Ich habe Ihnen damals Antworten auf die Kleinen Anfragen 1494, 1530 bis 1536 und 17/1141 und 17/1338 gegeben. Übrigens: Wenn nötig, war und ist die Polizei flexibel genug, auf geänderte Lagen zu reagieren. Ich erinnere daran, dass zu dem Zeitpunkt auch der türkische Präsident hier war und wir sehr spontan, sauber und professionell reagieren konnten.

Wir mussten also die Lage im Forst damals mit den uns vorliegenden Erkenntnissen beurteilen und handeln. Dazu gehört es auch, die Gefahren im Vorfeld so weit wie möglich zu minimieren.

Ich will noch mal zusammenfassen: Die Räumung der Baumhäuser hatte rechtlich – ich betone noch einmal: rechtlich – nichts mit der Rodung zu tun. Aber die Idee, zur Art der Gefahr die richtige Maßnahmen zur Gefahrenminimierung zu finden, war naturgemäß durch die Vorbereitung auf den Einsatz, zu dem die Polizei rechtlich verpflichtet gewesen wäre, entstanden – einen Einsatz, der durch die bestehende Rodung ein Gefährdungspotenzial hatte, dem man polizeitaktisch nur schwer hätte begegnen können. Es wäre unverantwortlich gewesen, ohne diese Vorbereitung da reinzugehen und zu warten, bis der erste Stein fliegt. Was meinen Sie, was dann losgewesen wäre und wie Sie mich kritisiert hätten?

Als Innenminister ist es meine Pflicht, alles zu tun, dass Recht und Gesetz eingehalten werden und dabei möglichst wenige Gefahren für möglichst alle Beteiligten entstehen.

Wenn Sie nun immer versuchen, einen Widerspruch zu erzeugen – ich habe darauf eben nicht geantwortet und mache das jetzt: Es gibt keinen Dissens

(Zuruf von den GRÜNEN)

und auch keinen Widerspruch zwischen meinen Aussagen und denen von der Kollegin Scharrenbach. Es sind zwei unterschiedliche Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt. Das ist eigentlich alles.

(Zuruf von den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Sehr interessant! – Weitere Zurufe und Lachen von den GRÜNEN)

– Ja, aber das ist doch logisch. Überlegen Sie mal, wer welche Aufgabe wahrzunehmen hat. Da hilft auch Lachen nicht. Nur mal eine Sekunde darüber nachdenken: sachlich nicht zu widerlegen. Das MHKBG ist für die Bauordnung zuständig und hat hier sauber nach rechtlichen Gesetzmäßigkeiten bewertet. Das Innenministerium ist für die innere Sicherheit zuständig und hat sauber im Sinne der Gefahrenabwehr zu bewerten.

Dann gibt es eine zweite Frage. Dazu habe ich eben schon einen Satz gesagt; das kann ich, glaube ich, kurz machen. Die Frage ist schlichtweg so gestellt, dass ich sie gar nicht umfassend beantworten kann. Ich bitte einfach um ein Mindestmaß an Fairness. Welcher Mitarbeiter mit welchem anderen Mitarbeiter mit welchen Inhalten und Ergebnissen mündlich gesprochen hat, lässt sich bei so vielen engagierten Mitarbeitern und nach einem so langen Zeitraum überhaupt nicht nachvollziehen. Das wäre eine unseriöse Antwort.

Die schriftliche Kommunikation und die Protokolle von Sitzungen verschiedener Ministerien miteinander können und konnten Sie bei der Einsichtnahme durchsehen. Das liegt vor – übrigens eine Einsichtnahme, die wir freiwillig gewährt haben, das habe ich eben vorgetragen.

Noch mal: Wenn Sie mit der Frage auf die Gespräche von mir mit RWE abzielen, dann will ich das nur noch einmal wiederholen. Ich habe es schon wiederholt. Ich lese Ihnen das gesamte Protokoll vor, wenn Sie noch ein paarmal nachfragen. Diese Gespräche verliefen nicht so harmonisch, wie Sie immer suggerieren nach dem Motto: Die haben miteinander geschwätzt und Absprachen getroffen. – So etwas ist wirklich unsauber. Im Gegenteil, ich will mal ein paar Zitate liefern.

Beim ersten Gespräch, an dem viele beteiligt waren, hat uns RWE ihr Konzept vorgestellt, und wir haben an vielen Stellen widersprochen. Ich zitiere: Die Anzahl der Rodungstage muss wesentlich reduziert werden. Oder: Die eingesetzten Rodungs- und Sicherheitskräfte müssen auch im Vorfeld der Rodungsperiode verdoppelt werden. – Das habe ich beides gefordert, um den Einsatz für die Polizei so handhabbar wie möglich zu machen.

Übrigens habe ich in den Gesprächen auch immer festgestellt, dass wir als Polizei nicht direkt zuständig sind. Das sah RWE total anders. Auch hier zitiere ich: Das IM sieht mit Ausnahme der Zuständigkeit zur Strafverfolgung für sich jedoch keine weitere originäre Zuständigkeit. – Alles das ist in den Unterlagen enthalten. Das können Sie lesen, habe ich aber im Ausschuss vorgetragen.

Die entsprechenden Protokolle, ja sogar meine Vorbereitung auf das RWE-Gespräch ist auch da drin. Da können Sie lesen, mit welchen Inhalten ich auf das Gespräch vorbereitet worden bin. Daraus wird mehr als deutlich: Der Innenminister des Landes, zumindest in meiner Person, ist Recht und Gesetz zum Wohle der Bürgerinnen verpflichtet und niemals Handlanger. Das müssen Sie bitte aus der Welt schaffen. Das geht zu weit. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Nun haben sich eine Reihe von Kollegen eingeloggt und wollen Fragen stellen. – Frau Ministerin Scharrenbach, Sie können jetzt auch etwas dazu sagen, wenn Sie auch antworten wollen. Dann haben Sie beide für die Regierung gesprochen. Danach würden die Fragen gestellt, die sich jetzt hier aneinanderreihen. – Bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Angebot ist so wie beim vergangenen Mal, als es die Mündliche Anfrage gab. Wenn es Anfragen an beide Minister gibt, dann sind auch beide Minister bereit, zu antworten. Das ist eigentlich nur der Verfahrenshinweis unsererseits.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann muss ich Folgendes sagen: Jetzt sind beide Mikrofone offen, Frau Ministerin, Herr Minister. Nur damit Sie das wissen und nicht sagen: Wir werden vom Präsidenten abgehört.

(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Wir haben Vertrauen zu Ihnen, Herr Präsident!)

Jetzt haben die Abgeordnetenkollegen das Recht, zu fragen. Als Erstes hat sich Frau Kapteinat gemeldet. – Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben die Möglichkeit, zu sprechen.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Reul, gab es über die in dem Bericht an den Innenausschuss erwähnten Termine am 16.07.2018 und am 15.08.2018 hinaus noch weitere Gespräche mit RWE, an denen Sie persönlich beteiligt waren?

Herbert Reul, Minister des Innern: Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Herr Ott von der SPD-Fraktion hat sich als Nächster eindrückt. Bitte schön, Herr Ott.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

– Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe Herrn Bell freigedrückt.

Ich kann mal eben erklären, womit das zusammenhängt, nicht dass Unruhe und Nervosität aufkommen. Es hängt damit zusammen, dass sich schon ganz viele eingeloggt haben, wir aber immer nur eine Anzahl von fünf Kollegen mit Namen sehen können. Sonst sehe ich das nicht. Ich bitte um Verständnis.

Herr Bell hat also eine Frage, und die wird er jetzt gleich stellen. – Bitte schön, Herr Bell, zur nächsten Frage.

Dietmar Bell (SPD): Herr Minister Reul, wir haben gerade gehört, dass Sie jetzt auch inhaltliche Kenntnisse von Ihren Gesprächen mit RWE hervorgerufen haben. Warum setzen Ihre Erinnerungslücken dann aber offenbar schon kurz nach den Gesprächsterminen bei RWE ein, als Sie im September 2018 im WDR bei „Westpol“ jeglichen Zusammenhang zwischen der Räumung und dem Wunsch nach Baumrodung durch RWE bestritten haben?

Herbert Reul, Minister des Innern: Was habe ich da?

Dietmar Bell (SPD): Soll ich noch einmal? Dann gehe ich ein bisschen näher ran. – Ist es so besser?

(Zuruf: Ja!)

– Okay.

Warum setzen Ihre Erinnerungslücken offenbar schon kurz nach den Gesprächsterminen mit RWE ein, als Sie im September 2018 im WDR bei „Westpol“ jeglichen Zusammenhang zwischen der Räumung und dem Wunsch nach Baumrodung durch RWE bestritten haben?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich sehe da überhaupt keine Erinnerungslücke. Ich hatte auch keine.

(Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Herr Ganzke von der SPD hat als Nächster das Wort. Bitte schön.

Hartmut Ganzke (SPD): Herr Minister Reul, eine Frage, und zwar zunächst einmal anschließend an das, was gerade gefragt wurde. In der betreffenden Sendung „Westpol“ vom 23.09.2018 sagten Sie, als Sie gefragt wurden in Bezug auf die Räumung im Hambacher Forst, wortwörtlich – ich zitiere mit Erlaubnis –: Das „hat ja mit der Baumrodung gar nichts zu tun. Da werfen die Leute ja auch alles durcheinander, bedauerlicherweise.“

Gerade eben haben Sie, Herr Reul, zu der Räumung gesagt – ich habe mir das aufgeschrieben –: Das hat rechtlich nichts miteinander zu tun.

Finden Sie, die Aussagen, die Sie am 23.09.2018 und heute getätigt haben, sind dieselben, oder sehen Sie in diesen beiden Aussagen einen Unterschied?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich meine, das ist ein Unterschied, weil ein anderes Wort dazwischen ist. Das ist doch klar. Wo ist das Problem? Natürlich ist da ein Unterschied.

Ich habe aber eben, als ich geredet habe, versucht, Ihnen zu erklären, dass Sie sich bitte das „Westpol“-Zitat ganz ansehen sollen, und dass das in dem Zusammenhang war, als der arme Mensch vom Baum heruntergefallen und gestorben ist, ich die Räumung gestoppt habe und damals gesagt habe: Wir haben ja jetzt durch diesen schlimmen Vorfall sogar erlebt, dass es nicht nur eine theoretische Gefahr ist, sondern wirklich eine praktische Gefahr. – Das war die Erläuterung meiner Aussage, die Sie richtig zitiert hatten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Wolf von der SPD hat eine Frage. Bitte schön, Herr Wolf.

Sven Wolf (SPD): Herr Minister Reul, ich will jetzt gar nicht mehr auf das „Westpol“-Interview eingehen. Das haben Sie eben schon beantwortet; es ist auch mehrfach von Frau Philipp, Herrn Bell und von Herrn Ganzke zitiert worden.

Ich will einfach einmal an die Fragestunde, die wir hier gemeinsam im Juli dieses Jahres durchgeführt haben, erinnern. Damals haben Sie ausweislich des Protokolls gesagt:

„Zunächst möchte ich noch einmal richtigstellen, dass die Räumung der illegal errichteten Baumhäuser im Hambacher Forst aufgrund eines Vollzugshilfeersuchens der zuständigen Unteren Bauaufsichtsbehörde erfolgte, weil Gefahr für Leib und Leben bestand. Die Räumung erfolgte nicht aufgrund eines Wunsches der RWE Power AG.“

Weiter haben Sie gesagt:

„Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwelche Absprachen zwischen RWE und uns in diesen Zusammenhängen gegeben hat.“

In der öffentlichen Stellungnahme vom 4. September und einem Bericht an den Innenausschuss vom 12. September räumten Sie dann ein, dass es im Vorfeld – das haben Sie gerade auch wieder bestätigt – mehrere Absprachen mit RWE gegeben habe, an denen sowohl Sie selbst als auch andere Vertreter Ihres Ministeriums und weiterer Ministerien …

Wir wissen inzwischen auch aus der Akteneinsicht, dass es ja anscheinend mehrere Gespräche auch von Herrn Staatssekretär Heinisch gegeben haben soll; so ist es auch berichtet worden.

Schließlich gestanden Sie in der Sitzung des Innenausschusses ein, dass die Räumung – das haben Sie jetzt auch wiederholt – durchaus mit der beabsichtigten Rodung durch RWE zu tun habe. Nachdem RWE im Juli 2018 erklärt hatte, sein Rodungsrecht wahrzunehmen, wollten Sie nach Ihren eigenen Aussagen durch das Gutachten – das haben Sie eben auch wiederholt – der Kanzlei Baumeister die Rechtsgrundlage für eine Räumung vor einer Rodung prüfen lassen.

Ich sehe da weiterhin einen Widerspruch und würde Sie gerne fragen: Warum gab es diese öffentlich widersprüchlichen Aussagen? Warum und aus welchen Gründen haben Sie vor der Öffentlichkeit und auch hier in der Fragestunde des Parlaments in der Vergangenheit so lange die Unwahrheit gesagt?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Reul, bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Erstens. Ich habe nichts gestanden. Zweitens. Ich habe nicht die Unwahrheit gesagt, und wir sind hier nicht vor Gericht.

(Zuruf von der CDU)

Wenn Sie in diesen Kategorien weiterarbeiten, wird es interessant.

Jetzt will ich Ihre Fragen beantworten, weil Sie ein Recht darauf haben.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich möchte das klar beantworten. Sie haben mir Fragen gestellt, und zwar ganz viele.

Erstens. Es ist kein Widerspruch.

Zweitens. Ich fange einmal mit dem Begriff „Absprachen“ an.

(Zurufe)

– Ja, Sie sagen nachher wieder, Sie hätten es nicht verstanden oder ich hätte nichts gesagt. Es tut mir leid: Ich mute Ihnen zu, dass Sie sorgfältig zuhören,

(Zuruf von der SPD)

aber vielleicht ist das auch mal möglich.

(Unruhe)

– Ja, aber da gab es doch ein Problem, rechts außen.

Absprachen: Es ist eine wichtige Frage, was Sie darunter verstehen. Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass wir – RWE und unser Haus – miteinander geredet haben. Sagen wir einmal: Es waren Gespräche. Das ist doch logisch. Es waren Gespräche, in denen Sachverhalte besprochen werden mussten, weil wir ja in bestimmter Art und Weise zusammenarbeiten mussten – aber nicht, weil wir das wollten, sondern weil es so war, weil es unsere Aufgabe war.

Wenn das eine Absprache ist, dann ist es eine Absprache. Bei Absprachen, wie Sie die aber politisch immer verwandt haben, schwang aber etwas ganz anderes mit. Das war nach dem Motto – und so wurden die auch gestellt –: Sie haben irgendwas gemacht, was die wollten. – Das ist der kleine Unterschied.

Wir haben Absprachen getroffen über die Abläufe. Wir mussten das tun. Ich habe aber keine Absprachen, geheime Absprachen, gemacht, die dann besagten: Ich habe das gemacht, was RWE wollte. – Den Unterschied bitte ich zu berücksichtigen. Darum ging es.

(Zuruf von der SPD)

Drittens. Sie haben richtig darauf hingewiesen – ich habe das Datum jetzt nicht mehr im Kopf, das Sie zitiert haben –, dass wir Amts‑ und Vollzugshilfe geleistet haben, nachdem die Bauaufsichtsbehörden uns darum gebeten haben. Das ist total richtig.

Ich habe Ihnen eben auch sehr ausführlich erklärt, dass zu dem Zeitpunkt das Bauordnungsrecht galt, es angewendet werden und ich deshalb handeln musste.

Der andere Punkt ist eine Debatte, die zeitlich viel früher lief: Die Rodung kommt auf uns zu. Wie gehen wir damit um, wenn wir sichern müssen?

Das sind – na ja, es ist schwer zu erklären – zwei unterschiedliche Herangehensweisen – so sage ich es mal etwas unpräzise. Genau das ist der Grund, warum es für den einen oder anderen so schwer zu verstehen ist. Wir haben in dem Moment genau so gehandelt, wie Sie es beschrieben haben: Anforderung der Aufsicht, Amts‑ und Vollzugshilfe. Ende.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Börschel stellt die nächste Frage. Bitte schön, Herr Börschel.

Martin Börschel (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, in dem eben schon zur Sprache gekommenen Gespräch vom 16. Juli dieses Jahres hat RWE auch eine umfangreiche Powerpoint-Präsentation zur Thematik der Rodung des Hambacher Forstes gezeigt. Mich persönlich interessiert: Wie konnten Sie angesichts einer so umfassenden Darstellung der Problematik und Thematik diesen Umstand und dieses Gespräch vergessen? Können Sie sich das erklären?

Herbert Reul, Minister des Innern: Das habe ich nicht vergessen. Wie kommen Sie darauf?

(Sarah Philipp [SPD]: Das haben Sie doch gesagt!)

– Was ich vergessen habe, ist …

Entschuldigen Sie bitte. Lesen Sie die Zitate genau. Ich habe nie vergessen, dass ich mit denen geredet habe. Mein Fehler war – dazu stehe ich auch, und im Gegensatz zu anderen gebe ich die auch zu –, dass ich die Daten nicht im Kopf gehabt habe. Mir war nicht klar, dass es so nah dran war.

(Zurufe von der SPD: Nee, nee, nee! – Sarah Philipp [SPD]: Also so mal nicht!)

– Sie können jetzt wieder sagen, ich würde die Unwahrheit sagen. Das kann ich nicht widerlegen. So war es aber.

Frau Philipp, einen Tag danach habe ich sofort gesagt, dass ich in die Akten geguckt habe und der Termin nah dran war. Entschuldigung, es war ein Fehler, aber ich habe nie bestritten, dass wir mit denen geredet haben. Ich bin doch nicht … Nein, das sage ich nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kopp-Herr hat eine Frage. Bitte schön, Frau Kopp-Herr.

Regina Kopp-Herr (SPD): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister, aufgrund wiederholter Nachfragen zu den Gesprächen mit RWE haben Sie angekündigt, uns das Protokoll vorzulesen. Dennoch frage ich: Welche konkreten Inhalte hatten die jeweiligen Gespräche, die Sie geführt haben? Welche Absprachen wurden getroffen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Können Sie mir eine Minute Zeit gönnen, damit ich es auf die Schnelle richtig finde und keinen unnötigen Fehler mache?

Noch einmal: Wir müssen die Sitzungen auseinanderhalten; das wissen diejenigen, die die Akten gesehen haben. Es gab am 16. Juli einen Termin, um den RWE gebeten hatte. Bei diesem Termin haben sie uns vorgestellt, wie sie mit der Rodung umgehen wollen. Im Nachhinein ist mit den Fachleuten verhandelt worden, was das im Einzelnen bedeutet.

Dem Protokoll über die Besprechung am 20. Juli können Sie genau entnehmen, was dort besprochen worden ist. Ich versuche einmal, wichtige Punkte zusammenzufassen.

RWE hat es erklärt, und deswegen gab es auch eine Powerpoint-Präsentation. Sie wissen doch, wie das ist, wenn ein Konzern das vorstellt, was er vorhat. Die fangen fast bei der Gründung des Konzerns an. Also, es wurde alles erläutert, die Absichten wurden dargestellt, und es wurde auch gesagt, warum es notwendig ist.

All das war für uns irrelevant. Für uns war nur folgende Frage relevant: Wenn es passiert, was habt ihr vor? Welche Probleme müssen wir bedenken?

Es gab keine Absprache, sondern es gab Debatten und Vereinbarungen, wenn man so will. Wir haben RWE gebeten, das Sicherheitspersonal, das sie anstellen müssen, wesentlich aufzustocken. RWE hatte eine sehr geringe Anzahl vorgesehen, und wir haben 900 Leute gefordert.

Wir haben eine Erhöhung der Anzahl der eingesetzten manuellen und motorisierten Rodungsteams gefordert.

Wir haben eine deutliche Erhöhung des Materials, also der Anzahl der Maschinen, gefordert.

Wir haben eine deutliche Reduzierung der Arbeitstage gefordert.

Wir haben eine Intensivierung des Einsatzes an den Arbeitstagen gefordert; es sollte also rund um die Uhr gearbeitet werden.

Wir haben eine deutliche Reduzierung der Rodungstage pro Woche – nur vier Tage – gefordert.

Das hatte ganz praktische Gründe. Wir haben gesagt: Wenn ihr dort roden wollt und wir den Schutz gewährleisten sollen, muss das so sein, dass wir es auch von der Kapazität her können. Dann muss das konzentriert gemacht werden und darf sich nicht über Monate hinziehen. – Teil 1.

Teil 2: Wir legen Wert darauf, dass das nicht die ganze Woche umfasst, denn es gibt bestimmte Wochentage, an denen die nordrhein-westfälische Polizei besondere Aufgaben hat.

Es waren also Hinweise, die wir gegeben haben. Wir haben ihnen gesagt: So, wie ihr das machen wollt, geht es nicht.

Dabei ging es nicht um das Roden an sich, sondern lediglich um das Wie. Darüber – Sie haben die Protokolle ja zum Teil gesehen – haben wir lange verhandelt, weil nicht so einfach Konsens über den Inhalt des Protokolls zu erzielen war. Das ist mehrfach hin‑ und hergegangen, aber am Ende gab es ein Ergebnis.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächster stellt Herr Herter für die SPD-Fraktion eine Frage. Bitte schön, Herr Herter.

Marc Herter*) (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Scharrenbach, Herr Reul hat uns gerade eine Vorstellung davon verschafft, wie eine Räumung als Rodungsvorbereitung vonstattengehen kann. Ich zitiere: Wir können da so nicht reingehen. – Das war Ihre Einschätzung.

Vor diesem Hintergrund erscheint es eher unglaubwürdig, dass Sie diese Motivlage des Ministers, Ihres Kollegen Herrn Reul, nicht gekannt haben, wonach das Ziel in der Tat die Rodung des Waldes durch RWE war und das im Mittelpunkt des Handlungsinteresses gestanden hat.

Insofern drängt sich die Frage auf: Wann und wie oft haben Sie persönlich mit dem Kollegen Reul Abstimmungsgespräche über die Räumung des Hambacher Waldes geführt?

Sie haben vorhin deutlich gemacht, man könne das nicht für jeden einzelnen Mitarbeiter der beiden Häuser sagen. Aber vielleicht kann man es für die beiden Hausleitungen sagen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Bitte lassen Sie mich ein paar Dinge vorab betonen, die uns aus Sicht der Landesregierung wichtig sind.

Zum einen versuchen Sie hier, so zu tun, als ob es sich bei dem Unternehmen RWE um irgendein kriminelles Subjekt handeln würde, das man so behandeln müsste.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Frechheit! Unfassbarer Vorwurf! Was fällt Ihnen ein? – Weitere Zurufe von der SPD)

Das weisen wir zurück.

Zum anderen haben Sie gerade wahrgenommen, dass der Minister des Innern ausgeführt hat, dass es Vorbereitungen ab dem Frühjahr 2018 gegeben habe.

Des Weiteren haben Sie wahrgenommen, dass das Unternehmen RWE die Berechtigung zur Rodung durch Ihre Leitentscheidung aus dem Jahr 2016 hatte. Das einmal vorweggestellt.

(Beifall von der CDU )

Ferner ein zweiter Sachverhalt, auch  

(Sarah Philipp [SPD]: Können Sie mal die Frage beantworten?)

vorangestellt.

Sie haben sich – das haben wir im Ausschuss am Freitag sehr deutlich gemacht – in Ihrer Regierungszeit mit denselben Fragen beschäftigt.

(Sarah Philipp [SPD]: Sie sollen die Frage beantworten!)

Es gibt eine Erlasslage – damals aus dem Ministerium für Inneres und Kommunales – aus September 2013 unter der Leitung von Ralf Jäger, Innenminister a. D.,

(Ralf Jäger [SPD]: Staatsminister a. D.!)

der bereits an die unteren Behörden gegangen ist und versucht hat, ein Einschreiten gegen die Zustände im Hambacher Forst zu bewirken.

Es gibt einen Tag später vom LZPD – ebenfalls dem damaligen MIK unterstanden – Hinweise auch auf zivilrechtliche Prüfungen, die vorzunehmen gewesen wären –

(Christian Dahm [SPD]: Beantworten Sie die Frage!)

das, was Sie uns heute vorwerfen, womit Sie sich damals selbst befasst haben.

Es gibt dann sehr lange in meinen Akten dazu nichts.

(Sarah Philipp [SPD]: Jetzt kommt die Antwort!)

Sie wissen, dass es ein Gutachten gegeben hat vom 31. Oktober, damals in Auftrag gegeben von RWE bei der Rechtsanwaltskanzlei Redeker, was zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist als die Gutachten, besser gesagt: die rechtlichen Stellungnahmen, die im Jahre 2018 eingeholt worden sind. Das wissen Sie.

Sie wissen, dass der Kreis Düren immer gesagt hat: Es sind keine baulichen Anlagen.

Aber Sie wissen auch aus dem Aktenstudium, dass der Rhein-Erft-Kreis gesagt hat: Ja, das sind bauliche Anlagen, und wir sehen eine Zuständigkeit der Unteren Bauaufsichtsbehörde.

Dann hat das damalige Bauministerium unter der Leitung von Herrn Groschek, Staatsminister a. D., in einem Dreizeiler verfügt und den Rhein-Erft-Kreis angewiesen, diese Meinung zu ändern – in einem Dreizeiler.

Nur, damit wir das einmal klar haben in dieser Angelegenheit.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Der Minister des Innern hat am 14. Juni 2018 verschiedene Ministerien zu einer ersten Ressortbesprechung eingeladen, um etwas zu tun, was Sie in Ihrer Regierungszeit nicht getan haben: Zuständigkeiten zu klären.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Geben Sie eine schriftliche Stellungnahme!)

Er hat am 14. Juni …

(Sven Wolf [SPD]: Auslöser war der Antrag von RWE!)

– Da lag der Antrag noch gar nicht vor, Herr Abgeordneter Wolf. Am 14. Juni lag der Antrag nicht vor. Das stand auch in dem Bericht an den Innenausschuss, der Sie in der letzten Woche erreicht hat. Auf den darf ich auch im Namen des Kollegen Innenminister verweisen.

Er hat also am 14. Juni eingeladen. Daran – das wissen Sie aus den Akten; ich hoffe, dass Sie das wahrgenommen haben – gibt es eine Szenario-Mappe, die aus Sicht des für Gefahrenabwehr in dem Fall zuständigen Ministers zum Beispiel Ausführungen enthält zum Wiesencamp, zu Baumhäusern, zu Tunneln, zu sonstigen Hütten, zu der Frage „Abgrenzung Versammlungsrecht und Veranstaltung“, wenn ich mich richtig erinnere.

Dabei immer hinterlegt war die Frage vonseiten des Ministeriums des Innern an die anderen Ressorts: Welche Ermächtigungsgrundlagen sind hier zu prüfen?

Da standen an den relevanten Sachverhalten für mein Haus – Wiesencamp, Baumhütten, sonstige Hütten, Vergleichbares – immer baurechtliche und brandschutzrechtliche Aspekte dran. Das verwundert auch nicht.

Es gab dann am 19. Juli die Ressortbesprechung, also rund vier Wochen nach der Einladung durch das Ministerium des Innern.

(Sven Wolf [SPD]: 14 Tage nach dem Antrag von RWE!)

In dieser Besprechung haben wir als Oberste Bauaufsichtsbehörde zugesagt, die bauaufsichtlichen Fragestellungen zu prüfen. Das haben wir getan.

Wenn Sie jetzt abheben wollen auf die Antragslage von RWE: Auch darauf bin ich am Freitag im Ausschuss wiederholt in aller Deutlichkeit eingegangen. Wir bekommen im Bauministerium – fragen Sie mich nicht, wie viele – sehr viele Eingaben von Bürgerinnen und von Bürgern, immer mit der einen Zielrichtung: Oberste Bauaufsicht, prüfe etwas.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Sorge dafür, dass etwas durchgeführt wird, oder sorge dafür, dass etwas unterlassen wird.

Es ist in dem Fall völlig egal, sehr geehrter Herr Abgeordneter Wolf, ob es ein Bürger beantragt, ob das eine Rechtsanwaltskanzlei vorlegt, oder uns letztlich ein Unternehmen als Bauaufsicht auf mögliche Missstände in baurechtlicher Hinsicht hinweist.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Das ist in dem Moment völlig egal.

Hier wurde ja ein anderer Fall vermengt, der damit gar nichts zu tun hat: Bergkamen haben wir beispielsweise auch mit einer Eingabe vorliegen.

In dem Fall sind wir also gehalten, uns das gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz im Untersuchungsgrundsatz anzusehen, einzuschätzen, eine Prüfung vorzunehmen und zu einem Ergebnis zu kommen. Dass Baumhäuser eine bauliche Anlage sind, bestreiten selbst Sie als SPD im Jahre 2019 nicht mehr.

Dann ergibt sich ein ganz normales Prüfschema: Es ist eine bauliche Anlage. Ist die formell, materiell legal?

(Christian Dahm [SPD]: Schreiben wir es gleich mal in die Geschäftsgrundlage, Herr Präsident! Wir sind in der Fragestunde!)

– Aber Sie möchten doch eine Antwort auf die Frage haben.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD] – Sarah Philipp [SPD]: Wirklich traurig! – Weitere Zurufe!)

– Aber die beantworte ich Ihnen doch gerade, Herr Abgeordneter.

Dann gibt es das ganz normale Prüfschema. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das ist total respektlos, was Sie machen! Das geht nicht!)

Ist es formell, materiell legal, was errichtet ist, ja oder nein? – Es ist nicht formell und materiell legal errichtet.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Kann ich mir nicht vorstellen!)

Dann schließt sich die Frage an: Wie geht man mit diesen Bauten, sprich: Schwarzbauten, um?

(Zurufe von Marc Herter und Stefan Kämmerling [SPD])

Mit dieser Frage haben wir uns auseinandergesetzt.

(Zuruf: Das ist keine Frage!)

Mit dieser Frage hat sich das Ministerium, was für Bauen zuständig ist, auseinandergesetzt, so, wie es unsere Aufgabe ist, zigtausendfach in diesem Jahr auf Anhaltspunkte hin Überprüfungen vorzunehmen.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das geht nicht! Das ist nicht in Ordnung, Frau Ministerin! Das ist nicht in Ordnung!)

– Bitte entschuldigen Sie. Entweder Sie möchten eine Antwort haben, dann bekommen Sie die Antwort auf diese Frage,

(Zurufe)

oder Sie möchten die Antwort nicht hören.

(Christian Dahm [SPD]: Die Frage!)

Es mag sein, dass Ihnen die Antwort …

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Es mag sein, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, dass Ihnen die Antwort jetzt nicht auskommt. Das mag sein.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das hat mit der Frage nichts zu tun!)

Aber wenn wir insofern durchgeprüft …

(Marc Herter [SPD]: Dann läuft das Fragerecht des Parlaments leer, Frau Ministerin!)

Es wird Sie überraschen, weil es nämlich gar keine Kontakte großartig darüber zu geben braucht, weil das Baurecht eine isolierte Ermessensgrundlage beinhaltet.

Insofern gab es ein Anschreiben des Ministers des Innern im Nachgang zur Ressortbesprechung vom 19. Juli an verschiedene Kollegen. Darauf ist der Minister des Innern auch eingegangen. Das Schreiben kennen Sie. In dem Zusammenhang hat es, wenn ich mich erinnere, ich glaube, maximal zwei Austausche zwischen uns beiden gegeben, nämlich in der Nachfrage: Habt ihr inzwischen ein Ergebnis von der Überprüfung, die am 19. Juli zugesagt wurde, und wenn ja, wie sieht es damit aus? Mehr nicht.

Mehr braucht es auch offen gesagt nicht, weil das Bauordnungsrecht frei von anderen Erwägungen ist. Das haben wir Ihnen mehrfach versucht – auch in der letzten Woche –, deutlich zu machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Altenkamp stellt die nächste Frage für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Frau Altenkamp.

Britta Altenkamp*) (SPD): Ich habe eine Frage an Minister Reul, der nun ja doch schon etwas länger ausgeführt hat, dass es Absprachen gegeben hat. Dann hat er aber zu einem späteren Zeitpunkt gesagt, es hätte Vereinbarungen gegeben, und das Ganze sei auch zu einem Ziel geführt worden.

Herr Minister, auch aus grundsätzlichem Interesse, weil ich mal Germanistik studiert haben: Können Sie mir den Unterschied zwischen Absprachen und Vereinbarungen erklären?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Abgeordnete, erstens habe ich seit Monaten erzählt, dass es Gespräche gab.

Zweitens habe ich eben erklärt, dass die Gespräche natürlich so geführt werden, dass man versucht, ein Ergebnis zu erzielen, weil wir vorbereitet sein müssen, damit wir handeln können, wenn der Tag der Rodung kommt. Das macht man am besten abgestimmt.

Ich habe Ihnen eben gesagt: Wenn Sie das „Absprache“ nennen wollen, habe ich damit überhaupt kein Problem. So habe ich das ja selbst auch genannt. Ich habe nur etwas dagegen, wenn der Begriff „Absprache“ benutzt wird, um damit den Eindruck zu erwecken, als wäre das praktisch Auftragsangelegenheit von RWE. Das ist der feine Unterschied.

Das andere ist total normal und findet jedes Mal bei einer Großveranstaltung statt. Nehmen wir mal an, der türkische Regierungschef kommt: Dann gibt es die Vorbereitungen, dann gibt es die Absprachen. Bei jedem Fußballspiel gibt es die, bei jeder Demonstration gibt es die. Anders geht es ja gar nicht. Nur darum ging es.

Aber die ganze öffentliche Debatte lief ja immer unter dem Vorwand: Absprache, heißt, schräge Nummer, geheim, Auftragsangelegenheit. – Das ist falsch.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Körfges steht als Nächster auf der Liste. Bitte schön, Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident, vielen Dank für die Worterteilung. – Ich habe eine Frage an Herrn Reul, will aber aus gegebenem Anlass darauf hinweisen, dass hier die Grenzen zwischen einer Fragestunde, einer Unterrichtung der Landesregierung und dem Filibustern offensichtlich fließend sind.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich will eine ganz konkrete Frage an Herrn Reul in Kenntnis der Tatsache richten – diese Kenntnis habe ich noch nicht lange –, dass ja die Besondere Aufbauorganisation „Rodung“ hieß.

Herr Minister, hätte es ohne die beabsichtigte Rodung die Räumung der Baumhäuser und den Einsatz gegeben? Das ist eine einfache Frage. Sie können klar mit Ja oder Nein antworten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Diese Aufbauorganisation „Rodung“ wurde, wie ich Ihnen eben vorgetragen habe, schon Anfang des Jahres gegründet.

Nicht der Minister entscheidet darüber, ob es so eine Organisation gibt, sondern das machen die vor Ort. Der Aachener Polizeipräsident entscheidet zum einen, ob es so was gibt – das war aber logisch –, und zum anderen, wie er die nennt – damit das mal geklärt ist.

Zum damaligen Zeitpunkt stand nur im Raum, dass irgendwann möglicherweise die Rodung ansteht, denn sie sollte im Jahr vorher ja schon stattfinden. Sie erinnern sich: RWE hatte ja im Jahr 2017 die Rodung um ein Jahr verschoben. Insofern war jedem klar: Das kann wieder auf uns zukommen.

Wenn die Polizei nicht ganz dämlich ist, und die ist nicht dämlich, sondern super gut, dann bereitet die das vor. Das machen die Örtlichen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Meine Frage war eine andere!)

– Ich habe doch …

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Der Minister filibustert schon wieder! Ich habe gefragt: Hätte es ohne die beabsichtigte Rodung eine Räumung gegeben? Ja oder Nein? – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ja.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Die Frage ist ganz einfach gewesen! – Zuruf von der SPD: Eine ganz einfache Frage! – Zurufe von der CDU)

– Nein, es geht nicht so einfach; es tut mir leid.

(Zurufe)

– Ja, das mag ja sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, wir müssen hier mal eines klarstellen: Das hier ist eine Fragestunde. In der Fragestunde darf gefragt werden, was man fragen will, und es darf, das ist Usus, auch geantwortet werden, was geantwortet werden will. Darauf hat niemand Einfluss, auch ich nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP )

Deshalb bitte ich sehr darum, dass wir uns jetzt gegenseitig zuhören. Ich sage deutlich: Wir laufen jetzt schon 16 Minuten. Ich lasse die Zeit auch weiterlaufen. Wir gehen auch gern drei Minuten drüber. Wir werden heute nicht alle, die sich hier gemeldet haben, zur Frage kommen lassen, genauso wie es nicht zu allen Antworten kommen wird.

(Zurufe: Doch!)

– Nein, sicher nicht, denn die Zeit bestimmen wir hier oben.

Wir werden sicherlich weitere Gelegenheiten und Fragestunden oder andere Möglichkeiten haben, die entsprechenden Fragen zu erörtern und aufzubereiten, aber wir werden sicher nicht den gesamten Parlamentstag damit verbringen können.

Wir werden ein bisschen mehr Zeit haben als eine Stunde; davon gehe ich aus. Aber wir können das nicht beliebig ausweiten. Die Fragen sind so vielfältig, dass wir einen bestimmten Rahmen zur Abwicklung unseres Parlamentstages natürlich nicht überschreiten werden.

Aber ich will noch mal darauf hinweisen: Es gibt keinen Einfluss darauf, ob jemand lange oder kurz antwortet oder welche Technik des Filibusterns da angewendet wird, lieber Kollege Körfges. Das liegt weder in der Hand des Präsidiums noch anderer hier.

Die jeweils antwortende Person bestimmt selbst, was sie sagt. Dann muss man daraus seine Schlüsse ziehen und entsprechend möglicherweise auch neue Fragen formulieren.

Jetzt hat als Nächster … Oder waren Sie noch nicht fertig, Herr Minister?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Nein!)

– Ich hatte den Eindruck, Sie waren jetzt fertig.

(Herbert Reul, Minister des Innern: Ja, ich bin jetzt unsicher!)

Bitte, dann beantworten Sie noch zu Ende.

Herbert Reul, Minister des Innern: Es kann ja sein, dass ich die Frage falsch verstanden habe. Sie wollten doch wissen, warum die Aufbauorganisation „Rodung“ hieß.

(Zurufe von der SPD: Nein!)

– Ah, Entschuldigung. Sie wollten wissen, ob auch geräumt worden wäre … Ja, natürlich.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Warum denn? – Weitere Zurufe)

Das ist doch klar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit ist die Frage auch geklärt. Es hat jetzt Herr Watermeier die nächste Frage. Bitte schön, Herr Watermeier.

Sebastian Watermeier (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, welche logistischen und sonstigen Maßnahmen wurden denn im Vorfeld des Polizeieinsatzes, während des Polizeieinsatzes und im Nachgang des Polizeieinsatzes direkt auf an den Hambacher Forst angrenzenden Flächen durchgeführt?

(Unruhe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe Sie in der Sache nicht verstanden. Was wurde wo gemacht? Ich habe die Frage nicht verstanden, also nicht akustisch, sondern …

(Unruhe)

Wollen Sie wissen, welcher Lastwagen wo stand, oder was?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Watermeier, Sie müssten noch mal Ihr Mikrofon aktivieren. Ich weiß aber nicht, ob ich Sie freischalten kann. – Nein, kriege ich im Moment nicht hin. Ich muss Sie ja technisch gesehen irgendwie zum Sprechen bringen.

(Zurufe)

Herr Watermeier, wir haben eine schnelle Lösung, da wir das technisch nicht so leicht hinkriegen, weil so viele eingeloggt sind. Wären Sie so nett, kommen ans Pult und stellen die Frage von da? – Danke schön.

(Sebastian Watermeier [SPD] tritt ans Redepult.)

Sebastian Watermeier (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, ich frage Sie noch einmal:

(Herbert Reul, Minister des Innern: Bitte!)

Welche logistischen und sonstigen Maßnahmen wurden in Vorbereitung des Polizeieinsatzes, in der Durchführung des Polizeieinsatzes und in der Nachbereitung des Polizeieinsatzes auf Flächen, die unmittelbar an den Hambacher Forst angrenzen, durchgeführt?

Herbert Reul, Minister des Innern: Jetzt habe ich Sie verstanden. Es tut mir leid. Die Frage kann ich nicht beantworten. Glauben Sie, ich weiß, wo jedes Klohaus stand? Da überfordern Sie meine intellektuellen Kompetenzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun stellt die Fragestellerin der Mündlichen Anfrage, Frau Schäffer von Bündnis 90/Die Grünen, ihre erste Frage. Bitte schön, Frau Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen, dass es den Brief von Herrn Reul an seine Ressortkollegen gegeben hat. Darin heißt es wortwörtlich – ich zitiere –:

„Die Polizei benötigt daher Amts- und Vollzugshilfeersuchen der originär zuständigen Behörden, um rechtsstaatlich zu handeln.“

Jetzt frage ich die Ministerin Scharrenbach, ob ich das, was ich in all den Akten, die gelesen habe, richtig verstehe, dass das Innenministerium, namentlich Frau Lesmeister, die treibende Kraft war, die das Bauministerium zu einer anderen rechtlichen Einschätzung gezwungen hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Abgeordnete Schäffer, der Wortlaut entspricht ungefähr dem, was am 19. und 20. September 2013 unter der Führung des damaligen Innenministers Jäger an die Unteren Bauaufsichtsbehörden versandt wurde. Da ging es auch um das Angebot von Vollzugshilfeersuchen. Insofern ist das – offen gesagt – auch nichts Ungewöhnliches in diesem Zusammenhang.

Zu Ihrer Frage: Nein, Frau Dr. Lesmeister war jetzt nicht die treibende Kraft in bestimmten Dingen.

(Jochen Ott [SPD]: Im Baurecht kannte sie sich aus! – Weitere Zurufe von der SPD)

Frau Abgeordnete Schäffer, ich weiß, dass ich gleich von Ihren Kollegen aus der SPD wieder gemaßregelt werde, aber ich versuche, es noch einmal zu erläutern. Wenn wir Kenntnis über Baurechtswidrigkeiten bekommen, sind wir gezwungen, da hinzugucken, ob Ihnen das gefällt oder nicht.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das haben wir begriffen!)

Wir haben als Ministerium für Bauen – das haben Sie über sechs, sieben Jahre nicht getan; wir haben es getan – gesagt: Wir machen einen Vor-Ort-Termin. Wir sehen uns das an.

Wir haben uns im Vorfeld zur Einschätzung aus dem Ministerium des Innern Objektdaten kommen lassen und gefragt, wo denn diese Baumhäuser per GPS verortet sind. All das haben wir gefragt. Das war bei Ihnen alles nicht vorhanden. Bei Ihnen wurde auf Basis eines Schreibtisches entschieden. Wir haben gesagt, dass man dies nicht auf Basis eines Schreibtisches entscheiden könne, sondern dass man Bilder benötige. Diese Bilder haben wir bekommen. Die haben uns jedoch nicht ausgereicht haben.

Daraufhin sind wir reingegangen und haben uns das angesehen. Deswegen haben wir uns am 27. August das erste Mal im Jahr 2018 gemeinsam mit der Obersten Bauaufsicht als auch mit der Unteren Bauaufsichtsbehörde unter Begleitung einer Polizeieinsatzhundertschaft zum Schutz dieser behördlichen Mitarbeiter die Sachen vor Ort angesehen.

Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme haben wir sehr deutlich gesagt: Natürlich sind das bauliche Anlagen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass es bauliche Anlagen sind.

Wir sind dann in die Abwägung gekommen, was die Qualitäten, die wir da haben, bedeuten. Wir sind dann in die Abwägung gekommen, dass es, wie es gebaut ist, gravierend ist. Im Sommer 2018, im August 2018 waren das relativ einfache Hütten. Das werden Sie in den Objektdaten sehen, sofern … Doch, die sind mit in den Akten gewesen. Das werden Sie sehen.

Daraufhin haben wir gemeinsam abqualifiziert und gefragt, ob wir im Sofortvollzug sind, ja oder nein. Wir sind zu der Entscheidung gekommen: Ja, wir sind im Sofortvollzug. – Dann können wir nicht nur, dann müssen wir einschreiten. In dem Fall dann, weil der gesamte Hambacher Forst in den Zuständigkeiten von zwei Bauaufsichten liegt, :..

(Monika Düker [GRÜNE]: Die sahen das anders!)

– Frau Düker, Sie waren, glaube ich, gerade nicht da. Im Jahr 2014 gab es den Kreis Düren, der von …

(Monika Düker [GRÜNE]: Ich rede vom Jahr 2018!)

– Ja, Sie müssen aber doch gucken, woher kommt …

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

– Frau Düker, bitte seien Sie doch fair und berücksichtigen Sie, woher dieses Verhalten von Bauaufsichten kommt. Es gab eine Bauaufsicht, die der Auffassung war, dass es keine bauliche Anlage sei. Es gab aber die Bauaufsicht im Rhein-Erft-Kreis, die gesagt hat: Natürlich sind das bauliche Anlagen, und natürlich ergibt sich eine Zuständigkeit der Unteren Bauaufsichtsbehörde.

(Monika Düker [GRÜNE]: Zwei haben es nicht gesehen!)

Dann gab es eine dreizeilige Weisung aus dem damaligen Bauministerium unter Groschek, dass der Rhein-Erft-Kreis seine Meinung zu ändern hat. Er hat sie zu ändern.

(Monika Düker [GRÜNE]: 2018!)

Diese Weisungen, Frau Düker, wirken bis zu dem Zeitpunkt fort, wo wir auch nach Inaugenscheinnahme … Ich weiß, dass Sie uns das alles vorwerfen, dass wir da reingeguckt haben, dass wir baurechtswidrige Zustände beseitigt haben, dass wir Menschen davon abgehalten haben, womöglich weitere Straftaten zu begehen. Ich weiß, dass das alles aus Ihrer Sicht ganz schlimm ist. Aber aus unserer Sicht ist es das nicht, weil wir dazu rechtlich verpflichtet sind.

Immer dann, wenn wir über baurechtswidrige Zustände Gewissheit bekommen, müssen wir uns damit befassen, und das haben wir in dem Fall auch getan.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Beer stellt die nächste Frage. Bitte schön, Frau Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, ich habe gelernt, es hat Gespräche gegeben, keine Absprachen. Dann steht in den Akten: Es gab Vereinbarungen. – Die waren aber auch irgendwie Absprachen und doch nicht wieder so verbindlich.

Jetzt frage ich einmal ganz konkret nach Vereinbarungen, und zwar nach der Einbeziehung von RWE in die Räumung. Welche konkreten Tätigkeiten haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RWE im Auftrag der Polizei und der Ordnungsbehörden übernommen, zum Beispiel das Betätigen von Hebebühnen, das Fällen von Bäumen, um durch Zugangsschneisen die Wege zu den Baumhäusern zu ermöglichen? Erinnern Sie sich an solche Absprachen, Vereinbarungen, Gespräche, Informationen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich wäre Ihnen dankbar, Frau Beer, wenn Sie diese Formulierungen „erst einmal so, dann mal so erzählt, und irgendwie“ … Das erweckt einen Eindruck, der nicht fair ist.

Ich beantworte jetzt Ihre Frage: Natürlich hat es auch über die Frage, was RWE zu tun hat, eine klare Festlegung gegeben.

Zum Beispiel waren die dafür zuständig, die Gegenstände, die auf dem Boden herumliegen, wegzuräumen. Sie mussten dafür sorgen, dass der Wald sauber und frei ist. Sie mussten dafür sorgen, dass die Wege in Ordnung sind. Das ist ja deren Job; das ist ja ihr Gelände. Das waren zwei Beispiele. Es kann auch sein, dass es noch zwei mehr gibt. Wir fallen gerade nur die beiden ein.

Das war eine klare Festlegung – wenn Sie das wissen wollen – von Zuständigkeiten, die RWE betraf, und das fanden die nicht immer nur toll.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Herr Dudas für die SPD-Fraktion.

Gordan Dudas (SPD): Vielen Dank. – Herr Minister, ich bin jetzt seit gut 30 Jahren politisch tätig, zunächst auf der kommunalen Ebene wie die meisten von uns und jetzt auf der Landesebene. Was allerdings beide Ebenen gemeinsam haben, ist, dass öffentliche Vergaben immer in schriftlicher Form und ab einer bestimmten Summe auch als Ausschreibungen erfolgen.

Deshalb frage ich Sie ganz konkret: Erstens. Ist es üblich, dass die Landesregierung – hier Sie als Innenminister – Gutachten im Wert von 32.000 Euro mündlich vergibt?

Zweitens: Wenn nicht Sie, wer hat denn dann diese Gutachten mündlich vergeben?

Herbert Reul, Minister des Innern: Erstens. Natürlich habe ich die Vergabe nicht getätigt. Das wäre auch sehr merkwürdig.

Zweitens. Das Innenministerium hat am 10.08. den Zuschlag im Wege einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnehmerwettbewerb erteilt. In dem Vergabevorgang des Innenministeriums wird noch der Begriff der Direktvergabe verwendet, der vor Inkrafttreten der UVgO im Jahre 2017 galt.

Drittens. Die Kanzlei ist hierzu bereits in Vorleistung getreten, um anlässlich des vorliegenden RWE-Antrags schnellstmöglich zu einer tragfähigen rechtlichen Bewertung zu kommen.

Das ist genau so abgelaufen und auch ordnungsgemäß.

Vergaben bedürfen nicht eines Vertrages, sondern ein Zuschlag wird erteilt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kutschaty stellt die nächste Frage. Bitte schön.

Thomas Kutschaty (SPD): Vielen Dank. – Ich habe an der Akteneinsicht teilgenommen und da einen Brief gefunden von Ihnen, Herr Reul, den Sie vor der Räumung geschrieben haben an den Ministerpräsidenten und mehrere Kabinettskollegen – wenn ich mich richtig erinnere, an Frau Scharrenbach, Herrn Pinkwart, Herrn Biesenbach, und, ich glaube, Herr Laumann war sogar auch dabei –, in dem Sie zunächst noch einmal die rechtlichen Schwierigkeiten und unterschiedlichen Sichtweisen zwischen kommunaler und Landesebene erläutert haben, dann aber auch um Unterstützung für weitere polizeiliche- und Räumungsmaßnahmen gebeten haben.

Jetzt habe ich gedacht, ich gehe mal zu dem Ordner der Staatskanzlei und gucke, ob der Brief angekommen ist und welche Antwort die Staatskanzlei gegeben hat. Der Brief taucht da in dem Ordner „Staatskanzlei“ gar nicht auf. Der Ordner „Justizministerium“ war gar nicht vorhanden.

Deswegen nutze ich jetzt hier die Gelegenheit, die Frage zu stellen: Was haben Ihnen denn der Ministerpräsident und die von Ihnen angeschriebenen Kabinettskollegen auf diesen Brief sowohl mündlich als auch gegebenenfalls schriftlich geantwortet? Welche Unterstützungsmaßnahmen haben Sie von denen bekommen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe erstens ja schon im Ausschuss auf diesen Brief hingewiesen und ihn öffentlich gemacht – das ist also keine neue Erkenntnis –, zweitens es eben ausführlich erklärt und drittens mache ich das jetzt gerne noch einmal. Ina Scharrenbach hat es eben auch vorgetragen.

Das war ein Brief an alle Ministerien, um sie auf das Problem und darauf hinzuweisen, dass sie auch eine Verantwortung haben, daran mitzuwirken.

Da war nicht die Bitte drin: Teilt uns bitte mit, was ihr macht. – Da wurde gar keine Frage gestellt. Insofern – kleiner Vorbehalt, soweit ich mich erinnere; aber Sie hätten die Briefe ja sonst gefunden – gab es auch keine Antworten schriftlicher Art. Es brauchte auch keine, sondern jeder hat da, wo er zuständig war, dann an der Sache gearbeitet.

Ina Scharrenbach hat gerade ganz präzise erklärt, was in ihrem Hause geschehen ist.

Ich vermute, dass die Staatskanzlei – aber das müssen die ja beantworten – gar nichts tun musste, sondern das war informativ. Sie kennen das doch aus früheren Zeiten noch. Wenn man Minister anschreibt oder wenn ein Minister andere anschreibt, dann muss die Staatskanzlei wohl informiert sein. Das ist einfach eine Frage der Ordnung. Ich vermute, abgeheftet und Ende. Aber ich weiß es nicht.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Wo denn? – Sarah Philipp [SPD]: Wo denn?)

– Ich war nicht dabei. Ich kann es Ihnen nicht beantworten. Fragen Sie nach.

Bei dem Brief, Herr Kutschaty, kann man sich übrigens kräftig darüber streiten, ob der überhaupt einer ist, der zur Veröffentlichung ansteht. Darüber haben wir sogar nachgedacht. Dies ist ein Dokument des inneren Kerns des Regierungshandelns. Aber ich fand es klug, weil wir nichts zu verstecken haben. Damit wissen Sie jetzt genau, was ich geschrieben habe und was die anderen Kollegen als Information bekommen haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Göddertz von der SPD-Fraktion hat eine Frage und stellt die jetzt. Bitte schön.

Thomas Göddertz (SPD): Die Begründung für die Räumung war die Gefahr für Leib und Leben der Bewohner des Hambacher Forstes. Das ist uns so gesagt worden. Frage: Sieht die Landesregierung die Gefahrenlage für die Baumhausbewohner heute anders? Ist die Gefahr für Leib und Leben heute eine andere, als sie es im letzten Jahr war?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Scharrenbach, Sie haben das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Abgeordneter Göddertz, wir haben am 27. August die bereits benannte erstmalige Ortsbegehung im Hambacher Forst gemacht, um in Augenschein zu nehmen, um was für bauliche Anlagen bzw. Baumhäuser es sich handelt. Sind es bauliche Anlagen? Das war die Kernfrage des Ganzen.

Die verschiedenen Behördenvertreter sind dann mit verschiedenen Erkenntnissen wiedergekommen und sind vor dem Hintergrund der örtlichen Eindrücke in die Wertung gegangen. Die Baumhausstrukturen, die im Sommer letzten Jahres dort gestanden haben, waren andere als die, die wir heute im Forst finden.

(Zuruf von der SPD)

– Lassen Sie mich versuchen, es Ihnen zu erläutern.

Deswegen auch noch einmal zurückgehend auf die Frage vom Kollegen Körfges – Herr Reul hat geantwortet –, ob wir ohne Rodung auch geräumt hätten, – Ja, hätten wir.

Wir haben das am Freitag im Ausschuss auch noch einmal sehr deutlich gemacht. Wenn das alles miteinander zusammenhängen würde, hätten alle Beteiligten am 3. Oktober mit dem Ende der Besonderen Aufbauorganisation die Arbeit eingestellt.

Das haben wir aber nicht. Es gibt die Allgemeinverfügungen. Das ist anders als im Sommer 2018. Die gab es da nicht. Gegenüber jedermann und jederfrau ist kundgetan, dass das Aufhalten in diesen Strukturen gefährlich ist. Das gab es im Sommer 2018 nicht.

Sie haben bis heute im Hambacher Forst eine Räumung bodennaher Infrastrukturen auf Basis des Forstrechts. Bis heute! Und wir haben die Situation – das habe ich im Ausschuss dargelegt –, dass wir ursprünglich im Jahr 2018 noch eine Räumung vorhatten, die wir nicht durchführen konnten, weil das Polizeipräsidium Aachen sich zu dem Zeitpunkt in einer Umbaumaßnahme befand.

Zum anderen hatten wir in der zweiten Kalenderwoche 2019 eine Räumung beabsichtigt, die ich persönlich am 9. Januar angehalten habe – auch das habe ich am Freitag der vergangenen Woche dargelegt –, weil mir aus der Begehung des Forstes mitgeteilt wurde, dass andere – ich betone es heute noch einmal – in Anführungszeichen – wie letzte Woche auch – bauliche Qualitäten vorhanden sind.

Das bedeutet: Ich bin selbst – auch das habe ich deutlich gemacht – später, Anfang Februar, dafür eingetreten, dass wir ein Rodungsmoratorium bekommen. Es zeichnete sich ab, dass die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin im Zuge der Kohlekommission miteinander verabreden, dass es wünschenswert sei, den Hambacher Forst zu erhalten.

Die Hinweise, die am 9. Januar aus der Begehung gekommen sind, waren, dass die Baumhausstrukturen tiefer hineingebaut sind. Das heißt: Wenn wir in der zweiten Kalenderwoche hätten räumen wollen, hätten wir de facto Bäume fällen müssen.

Auch das war anders als im Sommer 2018. Wir haben im Sommer 2018 ganz wenige Bäume angreifen müssen. Wir hatten auch den Artenschutz und den Naturschutz dabei, um es jeweils sequenziell prüfen lassen zu können. De facto war die Rückmeldung aus dem Januar: Wir hätten fällen müssen, um überhaupt an diese Strukturen herankommen zu können.

Zweitens. Wir haben Baumhausstrukturen vorgefunden, die zum Beispiel auch über eine Doppelverglasung verfügen. Darüber mögen Sie jetzt lachen; ich wäge nur aus den Erkenntnissen des Einsatzes im Sommer 2018 ab.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Das muss ich bei einer Entscheidung mit berücksichtigen, wenn es um das Ausüben von Ermessen geht.

Wir haben im Besonderen gegenüber Polizeikräften, Verwaltungshelfern – damals von RWE – sowie gegenüber Vertreterinnen und Vertretern der Unteren Ordnungsbehörden inklusive der Bauaufsichtsbehörden im Sommer 2018 Gewaltanwendungen erlebt.

Insofern dürfen und müssen wir davon ausgehen, dass bei einer erneuten Räumung trotz eines Rodungsmoratoriums bis einschließlich des nächsten Jahres, trotz des klaren Bekenntnisses dieser Landesregierung, dass es wünschenswert wäre, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt, und trotz der laufenden Verhandlungen auf der Bundesebene mit RWE – ich wiederhole mich vom Freitag: Ich hätte mir gewünscht, sie wären zu diesem Punkt schon abgeschlossen – die Situation eintritt, dass wieder massiv und dann unter Einsatz von Glas Gewalt gegen Einsatzkräfte des Landes Nordrhein-Westfalen, gegen Menschen verübt worden wäre. Das muss ich mit abwägen. Deshalb erfolgt der Hinweis auf eine andere bauliche Qualität mit Doppelverglasung.

Vor diesem Hintergrund – andere bauliche Qualität und tiefer hineingebaut – und mit der Verbindung, dass wir hätten fällen lassen müssen, und angesichts einer erhöhten Gefährdungslage für Einsatzkräfte infolge des Verbaus von Glas – die Gefahr ist allen durch die Allgemeinverfügungen bekannt – habe ich am 9. Januar nach den Rückmeldungen aus der Begehung entschieden, dass die Räumung in der zweiten Kalenderwoche 2019 nicht stattfindet.

Das ist mein Ermessen, das ich ausgeübt habe. Das habe ich Ihnen am Freitag der vergangenen Woche berichtet.

Sie finden in den Akten des Weiteren bis einschließlich Mitte April Rückmeldungen aus wiederholten Begehungen im Hambacher Forst, Rückmeldungen der Unteren Bauaufsichtsbehörden, die beispielsweise, ich glaube, um den 12. April herum melden, dass sie eine Lage zum Sofortvollzug als nicht gegeben betrachten, und Vergleichbares. Aber Sie finden bis heute das Räumen bodennaher Strukturen. Darauf darf ich hinweisen. Das ist das Ermessen, das wir entsprechend zur Ausübung gebracht haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Abgeordneter hat Herr Bolte-Richter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Frage. Bitte schön, Herr Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, Sie hatten vorhin schon angesprochen, dass eine große Zahl von Bereitschaftspolizeikräften für diese Räumung bzw. für die Rodung mobilisiert werden musste.

Sie haben dafür die Kräfte der Bereitschaftspolizei auch aus Schwerpunkteinsätzen im Rahmen von Präsenzkonzeptionen der Stufen 1 bis 3 abgezogen für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis zum 02.01.2019; so ist jedenfalls die Erlasslage. Dazu die Frage: Welche Einsätze in welchen Kommunen und mit wie vielen Kräften wurden da abgezogen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Mir ist keiner bekannt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Düsseldorfer Altstadt?)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Frau Brems für die grüne Fraktion. Bitte schön, Frau Brems.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, ich habe mir die Akten angesehen, die zu der Vergabe der Gutachten geführt haben. Ich muss nun kurz etwas ausführen, damit wir alle wissen, worauf wir uns beziehen, sodass ich danach zur Frage kommen kann.

Zunächst findet man in den Akten eine Gesprächsnotiz vom 05.07. vergangenen Jahres. Es wurde zwischen der Abteilung „Recht“ der Polizei und der Vergabestelle telefoniert, und die Vergabestelle hat mitgeteilt, dass man für diese Vergabe nicht die Notwendigkeit der Dringlichkeit sieht. Aus weiteren Unterlagen ist erkenntlich, dass zunächst die Begründung für die Vergabe an die Rechtsanwaltskanzlei für dieses Gutachten sein sollte, dass eine Dringlichkeit vorliegt.

Wenn man sich die weiteren Akten im Verlauf ansieht, zeigt sich, dass sich diese Begründung verändert. Schließlich gibt es dann einen Entwurf für eine Begründung der Vergabe, die vom 24.07. datiert. Darin wird deutlich, dass es darum geht, darzustellen, dass die Rechtsanwaltskanzlei die einzige Kanzlei ist, die diese Frage beantworten kann. Das ist zunächst einmal ein Sinneswandel, den wir beobachten.

Es gibt noch einen zweiten, und zwar teilt dann noch – immer noch am 20.07. – die Vergabestelle mit, dass sie immer noch keine Gründe für die Alleinstellung der Kanzlei Baumeister dergestalt vorliegen sieht, dass nur diese aus fachlichen Gründen in der Lage wäre, das zu beauftragende Gutachten zu erstellen.

Die Vergabestelle sagt also: „Das sehen wir so nicht“, und fünf Tage später, also am 25. Juli, wird dann auf einmal in einer Mail mitgeteilt, dass diese Vergabe nun doch möglich sei. Das ist der zweite Sinneswandel, den wir da beobachten können.

Vor dem Hintergrund, dass Sie auch schon gesagt haben, dass bereits seit dem 11. Juli an Einzelvermerken gearbeitet worden ist, scheint es doch so, als habe in ihrem Haus sehr stark daran gearbeitet werden müssen, dass diese Kanzlei mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt werden kann. Daran schließt sich die Frage an, wie Sie vor diesem Hintergrund den Sinneswandel und diese Vorgänge weiter begründen und darstellen können. Das ist aus den Akten absolut nicht nachvollziehbar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Abgeordnete, Sie begründen gerade, dass in unserem Haus sehr gründlich gearbeitet worden ist. Die Vergabestelle hat am Anfang Bedenken gehabt – das haben Sie richtig beschrieben –, dann wurde von der Fachabteilung die Begründung geliefert – offensichtlich überzeugend –, und dann wurde entschieden. Ich sehe darin überhaupt kein Problem.

Ich möchte, wenn Sie es gestatten, Herr Präsident, zu der Frage nach den Schwerpunkteinsätzen von soeben noch eine Modifizierung geben, damit das nicht missverstanden wird. Die Räumung hat ja gar nicht stattgefunden. Sie haben nachgefragt. Die Rodung hat ja gar nicht stattgefunden. Insofern konnten während der Rodung gar keine Schwerpunkteinsätze ausfallen. Es ist natürlich logisch – das wollte ich nur mal gesagt haben –, dass natürlich während der Räumung keine zusätzlichen Schwerpunkteinsätze – ob keine, weiß ich nicht –, zumindest nicht alle stattgefunden haben. Das stimmt. Das ist ein Unterschied.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kapteinat hat sich zu einer zweiten und damit für sie letzten Frage gemeldet.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe noch eine Frage an Frau Ministerin Scharrenbach. Ist es üblich, dass das Ministerium der Unteren Bauaufsichtsbehörde Hilfestellung bei der Formulierung von Allgemeinverfügungen gibt und diese Hilfestellung bzw. Allgemeinverfügung dann durch einen externen Rechtsanwalt formulieren lässt?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kapteinat, der Hambacher Forst liegt in der Zuständigkeit von zwei Bauaufsichtsbehörden. Das habe ich gerade schon erläutert. Und das bringt die Besonderheit mit sich – das können Sie auch dem Verwaltungsverfahrensgesetz entnehmen –, dass sich im Sinne der einheitlichen Rechtsanwendung bestimmte Rechte für die Obersten Behörden ergeben.

Das entnehmen Sie durchaus auch allen Antworten, die Sie aus unseren beiden Häusern bisher auf Kleine Anfragen, auf Berichtsanfragen, auf Anfragen hier und/oder in den Ausschüssen, auf die wir immer gleich geantwortet haben, erreicht haben. Wir haben einen Untersuchungsgrundsatz, und deshalb ist es überhaupt nichts Ungewöhnliches, dass bei komplexen Rechtsfragen auch Externe eingeschaltet werden, die eine Begleitung in der Beurteilung juristischer Sachverhalte liefern. Das ist das eine.

Das Zweite aber ist: Wenn zwei unterschiedliche Behörden zuständig sind, Sie aber eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen wollen, dann ist es erforderlich, dass beide Behörden gleich die Erlasse, Weisungen, ihre Verfügungen auf den Weg bringen. Insofern ist es – offen gesagt – in der Folge auch nichts Ungewöhnliches, dass letztendlich eine entsprechende juristische Begleitung bei der Abfassung von Allgemeinverfügungen – in dem Fall für zwei untere Behörden –, die gleich sein müssen, um eine einheitliche Rechtsanwendung herzustellen, erfolgt ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nun hat als nächster Herr Ott eine Frage.

Herr Ott, Sie haben gerade ihr Mikrofon wieder ausgeschaltet. Ich kann dies technisch nicht mehr aktivieren. Bitte kommen Sie nach vorne an das Pult und stellen Sie die Frage von hier. Danke schön.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nicht immer an den Knöpfen herumspielen!)

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Herr Minister Reul, während wir die Scherben zusammenkehren müssen, hat der Ministerpräsident eine Pressemitteilung herausgegeben, wonach er sich mit den Umweltverbänden und den Gewerkschaften trifft, um über die Umsetzung der Kohlekommission zu sprechen.

Wir sprechen über einen gesellschaftspolitischen Konflikt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Frage!)

Bereits im vergangenen Jahr haben wir darauf hingewiesen – nicht im Innenausschuss, sondern im Bau- bzw. Kommunalausschuss –, dass man gesellschaftspolitische Konflikte nicht mit dem Baurecht lösen darf. Daraufhin haben wir in aller Schärfe sowohl vom Staatssekretär als auch von der Ministerin immer wieder gehört,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Frage!)

das alles habe nichts mit der Rodung zu tun.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die Frage!)

Sie selbst haben jetzt aber mehrfach eingeräumt, dass es natürlich zur Vorbereitung so gewesen ist. Deshalb frage ich Sie, Herr Minister Reul: Wie wollen Sie mit dem Glaubwürdigkeitsproblem umgehen, das für die Landesregierung durch Ihre widersprüchlichen und falschen Aussagen entstanden ist, was Sie selbst gegenüber dem WDR auch eingeräumt haben?

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe heute mehrfach vorgetragen, was in der Kommunikation das Problem darstellt. Das MHKBG ist für die Bauordnung zuständig und hat sauber nach rechtlichen Gesetzmäßigkeiten bewertet. Das Innenministerium ist für innere Sicherheit zuständig und hat sauber im Sinne der Gefahrenabwehr bewertet. Das ist relativ klar und eindeutig.

Deswegen hatte die Räumung der Baumhäuser rechtlich nichts mit der Rodung zu tun. Das eine ist der Vorgang des Baurechts. Die Ministerin hat das eben sehr ausführlich geschildert.

Und das andere ist der Sachverhalt, der seit Anfang des Jahres schon bei der Polizei diskutiert worden ist, weil die Herausforderung einer Rodung bevorstand. Man musste die Frage beantworten, welche Rechtsgrundlage vorhanden ist, um proaktiv tätig werden zu können, damit den Menschen im Wald – auch der Polizei und den Mitarbeitern – nichts passiert. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.

Insofern ist das gar nicht kompliziert. Das ist auch kein Widerspruch, überhaupt nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Mostofizadeh, grüne Fraktion, stellt eine Frage. Bitte.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, vielen Dank. – Ich stelle die Frage an beide. Vielleicht kurz vorweg: Ich habe auch in die Akten schauen dürfen. Ich habe jetzt verstanden, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat und dass es ein rein zufälliges zeitliches Zusammenfallen ist, dass man wenige Tage vor der Rodung das Baurecht entdeckt.

Jetzt gehe ich in das neue Jahr. Frau Ministerin hat eben erklärt, dass sie am Anfang des Jahres in der zweiten Kalenderwoche – so habe ich sie zumindest verstanden – eine anstehende Räumung abgesagt hat.

Deswegen interessiert mich eine Mail vom 25.02.2019 von 13:07 Uhr, in der ein Mitarbeiter Ihres Hauses – ich brauche jetzt keinen Namen zu nennen – von einer Mail an Sie und den Staatssekretär von der Abteilungsleiterin Dr. Lesmeister berichtet. In dieser Mail bittet Frau Dr. Lesmeister um größtmögliche Vertraulichkeit. Sie macht in dieser Mail einige Vorschläge. Es gibt einen detaillierten Anhang, wie dieser Vorschlag ausgesehen hat.

Ich möchte Sie gerne an ein paar Punkten teilhaben lassen, weil das für die Beantwortung der Frage wichtig ist. Frau Dr. Lesmeister macht den Vorschlag, dass einerseits die Bäume mit Draht ummantelt werden. Es wird in der Mail ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht Natodraht oder Stacheldraht ist, sondern nur Maschendraht. Des Weiteren schlägt sie vor, dass vom 04.03.2019 bis Mai 2019 dann eine Räumung sukzessive stattfinden kann.

Sie macht in ihrer Mail aber noch Weiteres. Sie schlägt auch eine Kommunikation vor. Es wird vorgeschlagen, in der Kommunikation zu sagen, dass jetzt wieder Gefahr für Leib und Leben bestehe. Der Staat dürfe nicht wegsehen, soll kommuniziert werden. Viele Bäume müssten weichen, da Schneisen für Hubräume geschlagen werden müssten – und der Wald werde von den Besetzern ja nicht in Ruhe gelassen. Hier kann es laut Frau Lesmeister in der Kommunikation nicht um Klimaschutz gehen, sondern dieser sei nur vorgeschoben.

Dann soll weiter argumentiert werden: Laut Einschätzung des Polizeipräsidiums Aachen halten sich durchgehend rund 15 richtige Straftäter im Hambacher Forst auf.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Noch keine Frage!)

Vom Zulauf von außen erfolgt der größere Teil nur bei anstehenden Räumungen. – Das werden Sie gleich verstehen; vielleicht auch nicht; aber ich werde es verstehen. – Diese Straftäter müssen mit allen Mitteln in Haft gebracht werden, und der Einsatzkommission Hambach sollen fünf weitere Stellen zugewiesen werden.

Jetzt kommt noch ein interessanter Teil. Der Mitarbeiter erläutert dann auch noch, warum Frau Dr. Lesmeister diesen Vorschlag macht: Es sollte ein pragmatischer Ansatz sein, damit es trotz Aussagen aus der sogenannten Kohlekommission nicht wieder zu einem großen und konzentrierten Räumungs- und Beseitigungsansatz en bloc kommen muss, sondern vielmehr sukzessive nach der Ummantelung der Bäume vorgegangen werden kann.

Herr Minister oder Frau Ministerin, ich würde gerne wissen, auf wessen Veranlassung hin Frau Dr. Lesmeister hier tätig geworden ist.

Herbert Reul, Minister des Innern: Auf meine. Ich will es Ihnen auch erklären. Das Dilemma, das alle von allen Seiten beschreiben und wo uns alle sagen, dass das schlimm und schwierig ist, ist einerseits die klare Rechtslage und andererseits die politische Situation, dass es einen Kohlekompromiss gibt, dass die Verhandlungen kurz vor dem Ende stehen. Das war permanent das Problem. Da gehen Sie ja auch genüsslich immer rein, dass da eine Frage im Raum steht.

Ich hatte gebeten, darüber nachzudenken, ob es nicht einen Weg gibt, wie man diese große Räumung nicht macht, aber umgekehrt auf der anderen Seite auch nicht tatenlos ist.

Da wurde diese Idee geboren, ob man möglicherweise nicht das Baurecht auch dadurch sichern kann, dass man die Bäume durch die Ummantelung mit Draht davor bewahrt, dass da Menschen raufsteigen. Wenn keiner raufsteigt, kann keiner runterfallen; dann besteht keine Gefahr. Ich fand das eine sehr intelligente Idee. Sie ist übrigens nicht auf meinen Mist gewachsen, sondern wurde breiter vorgetragen. Die Idee war: Kann man auf diese Art und Weise nicht den Wald befrieden, bis der Tag kommt?

Ich bin jetzt sehr dankbar, dass Sie diese Frage stellen, damit das einmal öffentlich wird. Wir haben nämlich nicht nur herumgesessen, sondern wir haben auch darüber nachgedacht: Gibt es eine Chance, die Zeit zu nutzen, um da Ruhe hineinzubringen?

Es ging übrigens noch weiter. Wir haben auch überlegt, ob wir nicht eine Stelle schaffen sollen, an der die Menschen, die im Wald sind, in einer Art Mahnwache bleiben können, aber wir sicherstellen können, dass die Baumhäuser nicht mehr benutzt werden, weil das ja das Gefahrenpotenzial Baurecht ist.

Wir konnten das aus zwei Gründen nicht realisieren – erstens, weil es rechtliche Bedenken gab. Die Chance wäre aber sehr groß gewesen, weil zu dem Zeitpunkt nur 15 Leute da waren. Das zweite Argument war, dass bei näherer Betrachtung der Menschen, die da waren, es zwar wenige waren, aber Menschen, die man in einer besonderen Art und Weise qualifizieren musste. Man wusste genau: Wenn wir das versuchen, dann reißen sie sofort den ganzen Zaun wieder ab und klettern trotzdem hoch; und dann sind wir gezwungen, den Schritt zwei zu machen. Dann haben wir gesagt: Dann machen wir das jetzt nicht.

Es war der Versuch, eine kluge Zwischenlösung zu finden. Das ging aus rechtlichen und politischen Gründen nicht. Ich glaube, das war vernünftig so. Eigentlich müsste es in Ihrem Sinne sein. Aber es hat nicht funktioniert. Das ist die Wahrheit. Es ging nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Gibt es weiteren Antwortbedarf seitens der Landesregierung? – Im Moment nicht. Dann rufe ich die nächste Frage auf. Das ist die Frage von Herrn Ganzke, der hier seine zweite und heute letzte Frage dazu stellt.

Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, eine Frage: Sie haben in Ihren einleitenden Ausführungen zu der Fragestunde Folgendes gesagt: Sie wollten in Nordrhein-Westfalen keinen Raum haben, den der Staat aufgegeben hat. Deshalb haben Sie sich in der Landesregierung ausgetauscht, und deshalb ist nach einem Abwägungsprozess auch die Entscheidung gefallen, gerade dort die Baumhäuser zu räumen.

Ich frage jetzt vor diesem Hintergrund „keinen Raum haben, den der Staat aufgegeben hat“: Würden Sie vor dem Hintergrund der Entscheidung, die jetzigen Baumhäuser nicht zu räumen, sagen, dass der Staat jetzt hier einen Raum aufgegeben hat?

Herbert Reul, Minister des Innern: Hat er nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister. – „Hat er nicht“ war die Antwort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Nein, hat er nicht. Und erklärt hat es Ina Scharrenbach eben ganz ausführlich. Aber sie kann es gerne noch einmal machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie wollen das noch einmal ausführlich erklären, auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit?

(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Ja!)

Wollen wir es hören? – Wir wollen es hören. Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Bitte.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter Ganzke, nein, wir haben das nicht aufgegeben – und das wissen Sie auch –, weil die Allgemeinverfügungen unverändert gelten. Sie sind erlassen, und sie sind ausgerufen, weil wir bis heute bodennahe Infrastruktur räumen lassen über Forstrecht, weil – auch darauf darf ich zurückgreifen – wir am Freitag sehr ausführlich im zuständigen Kommunal- und Bauausschuss dargelegt haben, dass natürlich die Baumhäuser unverändert formell und materiell illegal sind – unverändert.

Und das wird uns in der Frage fordern, wenn denn diese eine Entscheidung gefallen ist, auf die wir warten und für die wir als Landesregierung auch eintreten. Deswegen räumen wir weiter, in dem Fall bodennahe Infrastrukturen, weil wir da einfach drankommen.

Sie konnten gerade aus der E-Mail, die Herr Mostofizadeh vorgelesen hat, entnehmen, dass Mitte Februar entsprechend bestätigt wurde, dass wir fällen müssten, wenn wir reingehen. Ich selbst habe am 7. Februar beim RWE-Vorstandsvorsitzenden für ein Rodungsmoratorium bis einschließlich 2020 geworben. Wir haben diese Verabredung – wünschenswert, Ministerpräsident, Bundeskanzlerin –, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt. Und dann sollen wir unter Würdigung von baulichen Qualitäten und unter Würdigung von geänderten Sachverhalten im Verhältnis zum Sommer 2018 reingehen und sagen, dass wir jetzt fällen? Das funktioniert in der Gesamtschau seit Anfang des Jahres nicht.

Jetzt können Sie mich dafür schelten, dass ich auf ganz viele Kleine Anfragen – die Sie ja häufig gestellt haben: Warum gehen Sie jetzt nicht rein? Warum räumen Sie jetzt nicht die Baumhäuser? – geantwortet habe: Aus einsatztaktischen Gründen kann ich dazu nichts sagen.

Das sind aber Gründe, die einfach relevant sind. Das wissen Sie auch, weil Sie schon sehr lange im Innenbereich unterwegs sind. Man kann nicht über jede Nuance, die sich bei einem Einsatz, bei einem Vorhaben verändert, sofort alles darlegen, weil man damit möglicherweise auch die Einsatztaktik angreift.

Denn noch einmal: Wir sind davon ausgegangen, dass die Verhandlungen mit RWE eigentlich schon längst abgeschlossen waren. Jetzt haben wir de facto fast Oktober.

Vor dem Hintergrund ist, wie gesagt, darzulegen: Es finden unverändert Räumungen statt. Es finden auch unverändert Polizeieinsätze im und um den Hambacher Forst statt, wenn ich die Zahlen präsent habe, die da gelaufen sind. Insofern sind wir dort da. Aber es gibt eben eine Bedingung, die nicht erfüllt ist.

Alle Beteiligten – selbst die, die beim Kohlekompromiss aufseiten, ich glaube, der Umweltverbände mit am Tisch gesessen haben – haben gesagt: Jetzt lasst den Hambacher Forst in Ruhe. – Das erfolgt letztendlich aber nicht.

Wir werden damit umzugehen haben – noch einmal: Baumhäuser sind, wie gesagt, formell und materiell illegal; unverändert –, wenn diese eine Entscheidung getroffen ist, auf die wir alle gemeinsam miteinander warten und die in Berlin noch dem Verhandlungsergebnis harrt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Frage stellt Frau Dos Santos Herrmann. Bitte schön.

Susana dos Santos Herrmann*) (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich würde gerne auf einen Aspekt zurückkommen, der eben schon einmal thematisiert worden ist. Frau Scharrenbach, Sie scheinen ja Ihre Rechtsauffassung geändert zu haben, wonach es baurechtliche Probleme gab.

Wir wissen nun, dass die Leiterin der Abteilung 4 im Innenministerium die Kommunen über die neue baurechtliche Rechtsauffassung informiert haben soll. Wenn das so passiert ist, lautet meine erste Frage, ob es üblich ist, dass Beschäftigte eines völlig anderen Ressorts in Ihre Kompetenzen eingreifen und dann auch noch öffentlich sprechen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe meine Auffassung über das Baurecht nicht geändert. Ich betone noch einmal: Die Anlagen sind formell und materiell illegal.

Was sich geändert hat, ist die Einschätzung der Frage des Sofortvollzugs. Ich habe Ihnen gerade dargelegt, was sich vom Spätsommer 2018 bis zum Januar 2019 – wo am 9. Januar eine entsprechende Begehung stattgefunden hat – bis letztendlich heute geändert hat. Das habe ich Ihnen dargelegt.

Die Grundeinschätzung – formelle und materielle Illegalität der baulichen Anlagen – ist unverändert. Da hat sich nichts geändert. Unverändert ist auch, dass bodennahe Infrastrukturen in dem Fall auf Basis von Forstrecht geräumt werden. Da hat sich auch nichts geändert.

Ich habe gerade zurückgefragt, weil hinter mir die Abteilungsleiterin der Abteilung 4 des Innenministeriums, Frau Dr. Lesmeister, sitzt. Frau Dr. Lesmeister sagt, dass sie die Kommunen nicht informiert hat. Insofern kann ich jetzt nicht nachvollziehen, woher Sie Ihre Erkenntnis haben und auf welcher Basis Sie Ihre Frage stellen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Fragestellerin ist Frau Düker für die grüne Fraktion angemeldet. Bitte, Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Meine Frage richtet sich an Minister Reul – Stichwort „Erinnerungsvermögen“. Ich habe mir gerade noch einmal im WDR angeguckt, was Sie da genau zu Ihren Gesprächen gesagt haben. Ich zitiere Sie aus dem WDR-“Westpol“-Bericht von Anfang September: Da habe ich auch gar keinen Kontakt mit RWE gehabt. Natürlich habe ich in meinem Leben mit RWE geredet; das ist klar. – Jetzt kommt der entscheidende Satz: Aber in diesem Zeitraum keinen.

Diese Aussage haben Sie dann eine Woche später zurückgenommen. Sie lassen uns hier aber im Unklaren, was denn nun richtig ist. Deswegen frage ich jetzt noch einmal nach: Haben Sie diese nachweislich falsche Aussage wissentlich oder unwissentlich dem WDR gegenüber gemacht?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich bin ein wenig erstaunt über die Frage. Aber ich beantworte sie natürlich: unwissentlich. Das habe ich nämlich am nächsten Tag auch erklärt. Ich habe am nächsten Tag erklärt, dass ich nach einem Blick in den Kalender zugeben muss, dass ich mich da geirrt hatte. Die Gespräche gab es. Das war unstrittig. Aber es gab sie auch in dem entsprechenden Zeitraum. Da habe ich mich korrigiert.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Becker, grüne Fraktion, stellt die nächste Frage. Bitte, Herr Becker.

Horst Becker*) (GRÜNE): Schönen Dank, Herr Präsident. – In einem Protokoll vom 20.07.2018 aus Ihrem Haus über ein Ministergespräch mit RWE am 16.07.2018 ist folgende Passage zu finden: Der Minister machte gegenüber RWE deutlich, dass die Polizei gerne bereit ist, Amts- und Vollzugshilfe zu leisten.

Des Weiteren heißt es später: Weitere Gespräche mit der RWE Power AG sind geplant; die Ergebnisse werden schriftlich festgehalten. Das Polizeipräsidium Aachen wird gebeten – jetzt muss man genau auf die Formulierung achten –, ebenfalls alle Vereinbarungen schriftlich festzuhalten.

Daraus wird also deutlich: Es gibt auch weitere Gespräche an weiteren Stellen, die festgehalten werden sollten, und es hat auch schon mehrere gegeben.

Vor dem Hintergrund dieser Formulierung stelle ich folgende Frage: Sind bei den im Rahmen der Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz bereitgestellten Unterlagen alle Vereinbarungen aufgrund dieser Gespräche umfassend und lückenlos dargestellt, oder gibt es welche, die fehlen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe alles, was Sie gerade sagen, eben schon einmal vorgetragen. Das, was Sie sagen, stimmt. Ich habe auch bestätigt, dass es weitere Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen gab.

Bei der Anfrage, von der Sie jetzt reden, ist natürlich das Innenministerium gefragt gewesen sowie das zuständige … also die Ministerien, die die Entscheidung getroffen haben. Es hat keiner nachgefragt, welche Gespräche das Polizeipräsidium geführt hat. Im Übrigen vermute ich, dass die auch langweilig sein werden, weil das nämlich die praktische Alltagsarbeit ist.

Ich kann aber antworten: Das, was bei uns nach dem Informationsfreiheitsgesetz an Daten vorliegt, liegt Ihnen vor.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister – Herr Dahm stellt eine Frage. Bitte, Herr Dahm.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage richtet sich an den Minister des Innern. Herr Reul, Ihre Ressortkollegin Frau Scharrenbach hat am Freitag, aber auch eben noch einmal sehr deutlich gemacht, dass weitere Räumungen zu Beginn dieses Jahres beabsichtigt gewesen seien und sie diese gestoppt habe. Wer entscheidet denn jetzt eigentlich über Polizeieinsätze in Nordrhein-Westfalen?

Herbert Reul, Minister des Innern: Über Polizeieinsätze entscheidet der Innenminister.

Aber, wie Sie gerade richtig bemerkt haben oder zumindest formuliert haben: Ob da jetzt geräumt wird oder nicht, entscheidet nicht der Innenminister, sondern die Bauministerin, weil es nach dem Baurecht geht.

Nur: Wenn sie dann eingreift, sind wir vollzugshilfemäßig tätig. Genau das ist das Problem. Darum kam einiges durcheinander.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun stellt Frau Spanier-Oppermann die nächste Frage. Bitte schön.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage richtet sich auch an den Innenminister. Herr Reul, ich habe Ihnen jetzt sehr aufmerksam zugehört. Ich habe mir ein paar Notizen gemacht, dass Sie – aus meiner Sicht auch zu Recht – darauf hingewiesen haben, dass Sie hier in der Fragestunde ein Mindestmaß an Fairness von uns Abgeordneten erwarten können und dass Sie Recht und Gesetz zum Wohle der Bürger verpflichtet sind.

Herr Minister Reul, zu Recht und Gesetz gehört aber selbstverständlich auch, die Wahrheit zu sagen und ehrlich zu einem Fehler, zu einem Versäumnis oder zur Aufdeckung eines Widerspruchs zu stehen; denn wir sind hier in einer Fragestunde, und – ich möchte das noch einmal betonen – als Abgeordnete vertreten wir die Bevölkerung, und die soll Vertrauen in die Politik und ihre Vertreter haben.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Die Frage!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Pscht!

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Lassen Sie mich doch eben meine Sätze sagen; denn ich glaube, dass Herr Minister Reul das genauso sieht wie ich.

An unsere Arbeit – und da meine ich Sie als Mitglied der Landesregierung genauso wie uns als Abgeordnete – wird ja zu Recht ein hoher Anspruch an Wahrheit und Glaubwürdigkeit gestellt.

In Respekt vor Ihnen, Herr Minister Reul, und auch vor Ihrem Amt frage ich Sie nun: Wer sagt uns allen denn, dass Sie heute auch die Wahrheit gesagt haben?

(Zurufe von der CDU und der FDP: Unverschämtheit! Zuruf: Niveauloser geht es nicht! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Abgeordnete, Sie haben im ersten Teil – ich finde, zu Recht – einen Sachverhalt beschrieben und auch eine Einstellung, die ich hundertprozentig teile. Das ist ja der Grund, warum ich, als ich einen Fehler gemacht habe – nämlich mit den Daten –, das auch sofort korrigiert habe.

Das ist ja der Grund, warum ich mich seit Tagen darum bemühe, die Sachverhalte, die missverständlich sein könnten oder missverstanden werden wollen – wie auch immer –, aufzuklären. Und genau deshalb habe ich hier die Fragen beantwortet und haben wir die Akten geöffnet – genau deshalb, weil ich auch die Sorge habe, dass …

Nur: Es gehören immer zwei Seiten dazu: der eine, der einen Fehler macht, und andere, die Gerüchte in die Welt setzen und sie nicht zurücknehmen. Und beides ist ein Problem.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Blask hat eine Frage. Bitte schön.

Inge Blask (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich habe eine Frage an die Ministerin Scharrenbach. Die Fachabteilung Ihres Ministeriums hat ausweislich der Akten die Begründung der Räumung nicht für überzeugend gehalten. Die Entscheidung ist demnach auf einer Leitungsebene gefallen. Können Sie uns etwas dazu sagen, wo sich dazu etwas in den Akten findet?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte, Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Abgeordnete Blask, Sie können ja den Akten entnehmen, dass es eine sehr sorgfältige Prüfung, Auseinandersetzung mit Für und Wider bestimmter baurechtlicher Konstellationen und Fragestellungen gegeben hat und dass es am Ende des Tages entsprechende Weisungen an die Unteren Bauaufsichtsbehörden zur einheitlichen Rechtsanwendung in der Frage der Räumung von baurechtswidrigen Zuständen gegeben hat. Insofern ist das Ende dieses Prozesses entscheidend.

Genauso, wie Sie – das haben Sie gerade beim Kollegen Innenminister gefragt –, was die Vergabe anbetrifft, unterschiedliche Verfahrensstände in Akten gefunden haben, finden Sie das natürlich auch bei der Einschätzung baurechtlicher Vorgehensweisen. Das ist das, was Sie entsprechend zitieren.

Insofern betone ich aber noch einmal: Ausgehend von der erstmaligen Inaugenscheinnahme der baulichen Anlagen im Hambacher Forst vom 27. August bis letztendlich zum Zeitpunkt der Weisung an die Unteren Bauaufsichtsbehörden hat eine sehr qualifizierte Auseinandersetzung mit baurechtlichen Fragestellungen und letztendlich auch Vorgehensweisen stattgefunden. Und das werden Sie auch den Akten entnehmen können.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Herter stellt seine zweite und letzte Frage. Bitte, Herr Herter.

Marc Herter*) (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Scharrenbach, in Ihrer etwas längeren einleitenden Ausführung zur Beantwortung meiner ersten Frage sprachen Sie davon, dass Ihr Ministerium als oberste Bauaufsichtsbehörde – gar nicht ungewöhnlich – mit entsprechenden Eingaben zu vielen unterschiedlichen Klärungsfällen in Anspruch genommen wird.

Können Sie uns eine Vorstellung davon verschaffen, wie viele Eingaben es in Bezug auf den Hambacher Forst gab, und haben Sie einen Überblick darüber, von wo sie kamen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte, Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Herter, es ist völlig irrelevant, woher welche Eingabe wie kommt. Ich weiß ja, dass Sie mit der Frage eine bestimmte Antwort intendieren.

(Marc Herter [SPD]: Ich habe erst einmal nur gefragt, wie viele es gab!)

– Das ist völlig irrelevant. Wenn wir über mögliche baurechtswidrige Zustände informiert werden, dann haben wir gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz eine Prüfungsverpflichtung.

(Marc Herter [SPD]: Das ist unstrittig!)

Ich habe einleitend auch ausgeführt, dass ich Ihnen nicht sagen kann, wie hoch die Anzahl von Eingaben im Jahr ist. Ich habe Ihnen auch gesagt, dass natürlich Bürgerinnen und Bürger genauso wie Rechtsanwaltskanzleien und letztendlich auch Unternehmen Eingaben tätigen.

Ich betone noch einmal: Wir haben am 14. Juni die Einladung zur Ressortbesprechung aus dem Ministerium des Innern bekommen. Ab dem 14. Juni haben wir … Ich weiß, dass Sie das nicht wahrhaben wollen. Aber es ist leider so.

(Marc Herter [SPD]: Ich habe gefragt: Wie viele Eingaben hat es gegeben?)

Am 14. Juni gab es zu der Einladung des Ministers des Innern eine Szenariomappe. Die haben Sie in den Akten gefunden. In dieser Akte sind bereits baurechtliche Fragestellungen enthalten. Und ab diesem Zeitpunkt gibt es eine Befassung in dem für Bauen zuständigen Ministerium mit diesen Fragen.

Und dann gibt es einen Antrag von RWE, auf den Sie immer wieder abheben.

(Marc Herter [SPD]: Ich wollte gar nicht auf den Antrag von RWE eingehen!)

Ich sage Ihnen jetzt einmal, Herr Herter – das müssten Sie ja der Akte entnommen haben –, wann wir diesen Antrag überhaupt bekommen haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Sie sollen die Frage beantworten!)

Denn der Antrag richtet sich noch nicht einmal an das für Bauen zuständige Ministerium. Das werden Sie ja gesehen haben.

(Marc Herter [SPD]: Ich habe gefragt, wie viele Eingaben Sie in diese Angelegenheit „Hambacher Forst“ als Bauaufsichtsbehörde bekommen haben!)

– Keine einzige, Herr Herter; keine einzige auf dem direkten Wege.

(Marc Herter [SPD]: Herzlichen Dank! Es geht doch auch einfach!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächste stellt Frau Altenkamp ihre zweite und letzte Frage. Bitte schön.

Britta Altenkamp*) (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage richtet sich an Frau Ministerin Scharrenbach, nachdem Herr Minister Reul und auch sie selber überhaupt nicht müde werden, zu betonen, welch schwieriger Abwägungsprozess sie insbesondere in der Fortfolge des Jahres 2019 dazu gebracht hat, keine weitere Räumung mehr zu veranlassen.

Frau Ministerin, habe ich Ihre Ausführung, die Sie eingangs auf die Frage des Kollegen Herter gemacht haben, richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind und diese hier im Haus vertreten, dass die Vorgängerregierung solche Abwägungsprozesse nicht vollzogen hat und eben auch deshalb die Situation im Hambacher Forst aus Ihrer Sicht untragbar geworden ist? Habe ich Sie da richtig verstanden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Abgeordnete Altenkamp, es gibt – und ich kann nur für die Akten des für Bauen zuständigen Ministeriums sprechen; alle anderen kenne ich nicht – in den Akten des für Bauen zuständigen Ministeriums einen Erlass vom 19. September 2013, damals aus dem MIK, an die unteren Behörden mit der Bitte an die Ordnungsbehörden, ihre Zuständigkeiten zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass bestimmte Missstände im Hambacher Forst zur Abstellung gelangen.

Einen Tag später gibt es eine entsprechende Erlasslage vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste, in der unter anderem die Zivilrechtsfragen enthalten sind und auf vorhergehende Schreiben aus dem damaligen Ministerium des Inneren und für Kommunales aus dieser Zeit Bezug genommen wird, die mir wiederum nicht vorliegen.

Dann ist letztendlich über sehr viele Monate gar keine Aktenlage mehr da.

Es gibt dann einen Verweis auf ein Gutachten vom 31. Oktober 2013. Dieses Gutachten ist in den Unterlagen keiner wertenden Überprüfung unterzogen worden.

Es gibt ein Schreiben der Unteren Bauaufsicht des Kreises Düren, die in der Beurteilung dieses Gutachtens vom 31. Oktober 2013 zu der Auffassung gelangt – aber des Kreises Düren –, dass bauliche Anlagen nicht bestehen.

Es gibt einen gegenlaufenden Schriftverkehr vom Rhein-Erft-Kreis, und es gibt eine dreizeilige Wertung vom Schreibtisch aus aus dem damaligen Bauministerium, dass der Rhein-Erft-Kreis seine Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten hat.

Aus den Akten ist deutlich erkennbar: Es hat keine in Inaugenscheinnahme vor Ort gegeben. Es hat keine Lokalisierung von Baumhausstrukturen gegeben. Es hat kein Anfordern von Objektdaten aus dem damaligen Ministerium des Innern gegeben.

Es hat die klare Bitte des damaligen Innenministeriums gegeben, dafür Sorge zu tragen, dass Zuständigkeiten geklärt werden.

Das Ganze erfolgt dann auch noch mit Verweis auf den Einbezug der Staatskanzlei zu Ihrer damaligen Zeit, nämlich indem der Staatssekretär des damals für Wirtschaft zuständigen Ministeriums mitgeteilt hat, dass er eine Klärung der Zuständigkeiten unter Einschaltung der Staatskanzlei wünscht.

Und diese Klärung der Zuständigkeiten haben Sie nicht vorgenommen. Im Gegenteil! Das ist offenkundig, weil Sie sonst an …

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

– Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin a. D., es gibt einen Dreizeiler, in dem Sie aus der Vorgängerregierung anweisen, bauliche Anlagen nicht als bauliche Anlagen klassifizieren zu lassen. Mit allem Verlaub und bei aller Großzügigkeit von Wertungen: Die baulichen Anlagen waren damals schon bauliche Anlagen.

Und ich bin mir sicher, dass selbst der damalige Innenminister –

(Beifall von der CDU und der FDP)

wie gesagt: die Schriftsätze und auch das Wording haben sich heute gegenüber der Zeit vor sechs Jahren und vor fünf Jahren nicht wesentlich verändert – schon ein sehr hohes Interesse daran hatte, dass die verschiedenen Behörden letztendlich auch ihre Zuständigkeiten wahrnehmen.

(Zuruf von der SPD)

Vor diesem Hintergrund haben Sie, Frau Altenkamp, gerade gefragt, ob wir Ihnen das vorwerfen. Ich werfe Ihnen vor, dass diese Zuständigkeiten nicht geklärt worden sind, und ich werfe Ihnen vor, dass dadurch eine gewisse Duldung von Zuständen eingetreten ist. Ja, das werfe ich Ihnen vor.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich will nur einen kurzen Zwischenstand geben. Wir sind genau 1:45 Stunden in der Fragestunde. Auf der Liste stehen noch acht Fragesteller. Ich schlage Folgendes vor: Diese acht arbeiten wir noch ab. Es drückt sich aber niemand mehr ein. – Denn sonst findet der Abend kein gutes Ende. Dann muss ich nämlich vorher aufhören. Das ist ja klar. Ich würde dann vorher abbrechen.

Es drückt sich jetzt also niemand mehr ein. Wir rufen die acht Fragesteller noch auf. Die beiden Minister – sie sind ja zu zweit – werden sich weiter wacker diesen Fragen stellen.

Frau Kraft ist die Nächste, die eine Frage hat. Bitte schön. Sie haben das Wort, Frau Kollegin.

Hannelore Kraft (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Nach dem, was ich hier in den letzten anderthalb Stunden hören musste, bin ich jetzt hinreichend verwirrt.

(Sarah Philipp [SPD]: Ja, Unverschämtheit!)

Daraus leitet sich auch meine Frage ab. Zunächst hat Frau Scharrenbach den Abwägungsprozess, der stattgefunden hat, erwähnt. Mich interessiert besonders, zu verstehen, worin er sich eigentlich unterscheidet: Situation vor der Räumung, Situation heute. Da hörte ich von Frau Scharrenbach: Es gibt überhaupt kein Ermessen; bei Kenntnis von Baurechtswidrigkeit – Zitat – sind wir gezwungen, zu agieren. – Das haben Sie vorhin wortwörtlich gesagt.

Sie haben den Eindruck erweckt, als hätte es Eingaben gegeben. Jetzt gerade bei der vorletzten Fragestellung wird klar: Es gab keine einzige Eingabe von außen, die das sozusagen suggeriert hätte.

Sie sagen dann: Unverändert ist der Zustand formal- und materiell-rechtlich illegal. – Das verstehe ich. Sie begründen aber gleichzeitig, dass die baulichen Maßnahmen heute andere seien als damals, und zwar offensichtlich sogar mit Doppelverglasung. Ich habe das eigentlich als Scherz gemeint. Dass das jetzt noch in den Prozess hineinströmt, finde ich schon etwas merkwürdig.

Ich stelle mir die Frage als Bürgerin dieses Landes

(Unruhe)

– ich sitze hier im Parlament auch stellvertretend für die Bürgerinnen und Bürger –: Was hat sich eigentlich daran geändert? Die Gefahr für Leib und Leben für diejenigen, die in diese Baumhäuser klettern, ist nach meiner Einschätzung zumindest heute keine wesentlich andere als damals.

Was machen Sie eigentlich, wenn jemand verunglückt – verunglückt mit den neuen Baumhäusern, wie ich gelernt habe, die ja weiter drinstehen, wo man neu abwägen muss? Das haben Sie uns ja alles dargelegt. Ich frage mich nur: Was passiert eigentlich in einer solchen Situation?

Dann ist für mich die Kernfrage: Findet diese Abwägung im Hause der Bauministerin alleine statt, oder gab es und gibt es eine Abwägung auch auf Ebene des Kabinetts, sprich: in einer Kabinettssitzung?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, Sie antworten bitte.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Kraft, das sind alles Fragen, von denen ich ausgehe, dass Sie sich in Ihrer damaligen Verantwortung damit auseinandergesetzt haben.

(Zuruf von der SPD – Beifall von der CDU und der FDP)

Ich wiederhole noch einmal, dass wir die Erwägungen, die Sie auch zu prüfen oder zu klären gehabt hätten, geprüft und geklärt haben.

Wir haben am 14. Juni 2018 vonseiten des Ministers des Innern eine Einladung zu einer Ressortbesprechung bekommen mit der Übersendung einer Szenarioliste, wo unter anderem zu den Bereichen Wiesencamp, Baumhütten, sonstige Hütten, Tunnel und Vergleichbares sowohl Fotos hinterlegt waren wie beispielsweise Fragestellungen: Gibt es baurechtliche Aspekte? Gibt es brandschutzrechtliche Aspekte, forstrechtliche Aspekte, bergbaurechtliche Aspekte, Verschiedenes?

Diese Einladung wurde übersandt – das haben wir Ihnen offengelegt – mit dem Bericht an den Innenausschuss und den Kommunalausschuss in der vergangenen Woche, mit Verweis auf Aktivitäten im kleinen Klimacamp und auch mit Verweis auf die möglicherweise anstehende Rodung die Zuständigkeiten von Behörden einer Klärung zuzuführen.

Allein durch diese Szenariomappe mit entsprechenden Abbildungen ergibt sich, dass wir Kenntnis erlangen darüber – und vor diesem Hintergrund finden Sie das ja auch in den Akten –, dass es einen durchaus breiten Prozess gibt, der besagt: Wir brauchen erst mal GPS-Daten. Wir brauchen noch mehr Fotos. Wie gehen wir damit um?

Also haben wir entschieden: Wir entscheiden das nicht am Schreibtisch, sondern wir gucken uns das in der Qualität vor Ort an, weil wir gesehen haben, dass es aus Ihrer Regierungszeit einen schnöden Dreizeiler gibt, der eine Bauaufsicht anweist, eine Rechtsauffassung zu ändern. Und deswegen haben wir gesagt: Wir gehen da rein, und zwar durch die verschiedenen Ebenen mit Behördenvertretern unter – ich betone das – Polizeischutz.

Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme am 27. August und den Erkenntnissen, die alle Beteiligten mitgebracht haben, ist in dem Fall entschieden worden: Wie gehen wir jetzt mit der Erkenntnis einer formellen und materiellen Illegalität der so klassifizierten baulichen Anlagen – und da widersprechen Sie heute nicht mehr – um? Das ist ein Ermessen, das Sie als Bauaufsicht haben. Das haben die Unteren Bauaufsichtsbehörden genauso wie die Obere, genauso wie die Oberste Bauaufsicht.

Wir haben dann, weil diese Baumhütten, Baumhäuser so gebaut waren, wie sie gebaut waren, vor dem Hintergrund der Inaugenscheinnahme gesagt: Wir ordnen den Sofortvollzug der Beseitigung an.

Das, was sich jetzt geändert hat, bringe ich noch einmal zur Wiederholung. Wir haben eine Allgemeinverfügung. Die gab es im Spätsommer 2018 vor der Räumung nicht. Die gibt es jetzt. Mit dieser Allgemeinverfügung ist jedermann und jederfrau bekannt gegeben, dass es sich a) bei der Errichtung von Baumhäusern um eine illegale Handlung handelt und b) damit auch Gefahren verbunden sein können. Das hatten wir im Spätsommer 2018 vor der Räumung nicht, weil es die Klärung dieser erforderlichen Fragen durch Ihre Regierung im Vorfeld nicht gegeben hat bzw. anderweitig angeordnet wurde, das Verständnis zu entwickeln.

Das finden Sie dann auch wieder – Frau Düker hat das zitiert – in der Folge, dass Untere Bauaufsichtsbehörden sich dann immer auf diesen Alterlass aus der Vorgängerregierung berufen haben.

Wir haben andere Qualitäten in der Art und Weise: „Wie tief wird in den Forst hineingebaut?“ – das heißt, die Zugänglichkeit der Anlagen ist eine andere als im Sommer 2018 –, und wir haben andere „Qualitäten“ – in Anführungszeichen, ich betone das immer wieder – in der Bauausführung und das Problem einer Doppelverglasung – bitte sehen Sie mir das nach – aus der Erkenntnis der Räumung im Sommer. Ich trage auch Verantwortung mit einem Einsatz, den wir veranlassen; denn die Polizei hat in dem Fall ein Amts- und Vollzugshilfeersuchen, nichts anderes. „Mehr“ – in Anführungszeichen – ist nicht.

Sie haben aber hier die Gesamtverortung zur Betrachtung und Beurteilung einer Gefahrenlage aus vielen verschiedenen Szenarien heraus, die sich im Hambacher Forst über die Jahre entwickelt haben und die eben auch andere Ressorts der Landesregierung nicht nur betroffen haben, sondern unverändert betreffen, Stichwort „Forstrecht“. Ich schaue zur Kollegin Heinen-Esser.

Deswegen muss ich auch bei einer anderen baulichen Qualität berücksichtigen: Was kann das in dem Fall bei einem erhöhten Gefährdungspotenzial für das Leben der Einsatzkräfte, auch für zivile Mitarbeiter, auch für Verwaltungshelfer, bedeuten, wenn wir tiefer reinmüssen? Das habe ich mit abzuwägen.

Wenn wir eine andere Qualität von Bauausführungen haben, wenn ich mit Glas konfrontiert werde, was de facto im Sommer 2018 für uns nicht identifizierbar gewesen ist, ich also jetzt Glas habe, muss ich – und das entscheide ich dann entsprechend – auch mit Rücksicht auf die Polizisten, die tagtäglich den Kopf für die Sicherheit der Menschen in diesem Land hinhalten, eine Abwägung treffen. Und das habe ich gemacht.

Bitte gestehen Sie mir als persönliche Auffassung zu: Man kann sich über …

(Zuruf)

– Ja, ich weiß. Sie konstruieren jetzt wieder eine Begründung, die da ist. Sie haben andere bauliche Qualitäten. Die Baumhäuser sind tiefer reingebaut, Sie haben das in den Unterlagen gesehen. Wir müssen fällen, wenn wir da ranwollen in einer Zeit, wo mehrseitig erklärt wird: Der Hambacher Forst soll stehen bleiben. – Dieser Zustand ändert nichts an der formellen und materiellen Illegalität dieser Anlagen.

< Das heißt, diese Anlagen müssen, auch wenn der Forst stehen bleibt, raus.

Daran ändert auch ein Interview einer Demonstrantin der Aktivität „Ende Gelände“ nichts, die sagt: Die Baumhäuser störten die Bäume nicht. – Darum geht es überhaupt nicht. Die Baumhäuser sind illegale bauliche Anlagen, sie sind Schwarzbauten – nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Frage stellt jetzt die …

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD] – Weitere Zurufe – Gegenrufe: Hören Sie doch zu!)

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident, wenn Sie gestatten: Die Frage der Ministerpräsidentin a. D. war ja, ob es zu dieser, meiner Entscheidung eine Befassung im Kabinett gegeben hat. – Nein, diese Entscheidung habe ich Anfang Januar nach der Begehung selbst getroffen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nun hat als Nächster Herr Watermeier seine zweite und letzte Frage.

Sebastian Watermeier (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, Sie haben vorhin ein bisschen verniedlichend gesagt, Sie wüssten natürlich nicht, wo welches Klohäuschen gestanden habe. Das kann ich nachvollziehen. Sie werden nachvollziehen können, dass ich davon ausgehe, dass nicht nur der öffentliche Verkehrsraum und Landesflächen für die logistischen und sonstigen Zwecke genutzt worden sind.

Ich frage Sie deshalb: Mit welchen Eigentümern sind Absprachen über die logistischen und sonstigen Nutzungen welcher angrenzenden Flächen getroffen worden? Wenn es Privatpersonen sind, dann brauchen Sie diese nicht namentlich zu nennen. Wenn es Unternehmen sind, interessiert mich das schon.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich wiederhole: Ich kann dazu gar keine Aussage machen, weil diese Frage von den örtlichen Polizeibehörden und den örtlichen Kommunalbehörden entschieden wird. An diesen Fragen, wie das organisiert wird, wird mein Haus überhaupt nicht beteiligt – ich zumindest erst recht nicht –, sondern es entscheiden das PP Aachen plus die kommunalen Behörden, wie sie das organisieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Die zweite und letzte Frage von Herrn Kollegen Kutschaty für die SPD-Fraktion. Bitte schön.

Thomas Kutschaty (SPD): Vielen Dank. – Eine Frage an die beiden Vertreter der Landesregierung: Nach Eingang des Räumungsantrags von RWE sind in den Ministerien viele Aktivitäten entfaltet worden.

Meine Frage ist: Inwieweit waren die Staatskanzlei und der Ministerpräsident in die weiteren Entscheidungsprozesse – beispielsweise zur Findung einer Anwaltskanzlei, zur Frage der Erstellung eines Rechtsgutachtens, aber auch zur Frage, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen geräumt werden kann – eingebunden? War er auch in die Frage eingebunden: Soll überhaupt geräumt werden?

Welche Entscheidungsprozesse hat es da in Abstimmung mit der Staatskanzlei und dem Ministerpräsidenten gegeben?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister beginnt. Bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Kutschaty, wie Sie eben in einer Frage an mich selbst dargestellt haben, gab es einen Brief von mir an die Ministerkollegen – nachrichtlich oder auch zur Information an den Ministerpräsidenten. Insofern war er über den Sachverhalt informiert. Er war aber zum Beispiel nicht bei der Frage eingebunden, die mich betrifft, bei dem Gutachten. Ich meine, dass die Staatskanzlei gefragt wird, wenn ein Haus ein Gutachten vergibt, das hat es vermutlich zu Ihrer Zeit auch nicht gegeben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Ministerin, Sie waren auch gefragt. Möchten Sie dazu antworten? – Sie möchten dazu jetzt nichts antworten. Dann ist das damit so beantwortet.

Ich rufe die zweite und letzte Frage von Frau Beer auf. Frau Beer, bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister Reul, wenn Sie einen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben haben, stelle ich jetzt doch die Frage: Bei den Unterlagen, die den Abgeordneten zur Verfügung standen, gab es lediglich einen Aktenordner bezüglich der Staatskanzlei, in dem nur Kleine Anfragen enthalten waren. Deswegen frage ich, warum nicht weitere Unterlagen bezüglich des gesamten Komplexes und auch der Brief, den Sie gerade angesprochen haben, in diesem Aktenordner vorhanden waren.

Das heißt: Sind wirklich alle Akten bezüglich der Korrespondenz innerhalb der Staatskanzlei, mit den Ministerien und zu anderen Vorgängen – alles rundherum um den heute erörterten Gegenstand – den Abgeordneten umfänglich vorgelegt worden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Herbert Reul, Minister des Innern: Jawohl. Alle Unterlagen, die unter das Informationsfreiheitsgesetz und die gestellte Frage fallen, sind Ihnen zugänglich gemacht worden – alle.

Der Brief war eine Aktion oder eine Aktivität der Landesregierung. Deswegen war er bei uns auch drin, denn ich habe ihn geschrieben – relativ folgerichtig.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Seine zweite und letzte Frage stellt jetzt Herr Kollege Ott. Bitte schön.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident, danke für die zweite Frage. – Ich finde es ja gut, dass alle Fragen rund um das Baurecht so eine besondere Bedeutung bekommen haben. Als wir über die Frage der Zukunft der Wohnungsaufsicht gesprochen haben, gab es am Anfang noch Kritik. Gott sei Dank haben die Erfahrungen von Frau Lesmeister in Duisburg sicherlich dazu geführt, sich auch Gedanken darüber zu machen, wie man solche Verfahrensfragen nutzen kann.

Aber, Frau Scharrenbach, ich möchte Sie fragen: Wieso ist die Weisung an die betroffenen Kommunen von der Leiterin der Abteilung 2, Gleichstellung, unterschrieben worden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Ott, aus dem ganz einfachen Grund, weil der zuständige Abteilungsleiter Urlaub hatte.

(Zuruf von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Brems stellt ihre zweite und letzte Frage. Bitte schön, Frau Brems.

Wibke Brem*) (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe noch eine Frage zu dem Gutachten. Sie haben immer davon gesprochen, dass es aus Ihrem Haus nur eine Vergabe an die Kanzlei Baumeister gegeben habe, diese am 10. August erfolgt sei und auf deren Basis die Kanzlei dann etwa 32.000 Euro abgerechnet habe.

In den Vergabeunterlagen, die wir jetzt einsehen konnten, findet sich jedoch nur eine Vergabe über etwa 8.100 Euro brutto. Auf welcher Basis haben Sie der Kanzlei dann die restlichen etwa 24.000 Euro bezahlt?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Sie haben recht. Das Gutachten ist vergeben worden. Die Grundlage waren diese 8.000 und weiß ich nicht mehr. Aber im weiteren Verlauf hat es eine Reihe von Zusatzleistungen der Kanzlei gegeben, die zur Erhöhung der Summe geführt haben – das haben wir aber auch schon in irgendeiner Zeitung, ich weiß gar nicht mehr, in welcher, berichtet; das hat also sogar schon in der Zeitung gestanden –, und zwar unterschiedliche. Es waren zum Beispiel Begehungen, Vor-Ort-Termine dabei und auch inhaltliche Fragestellungen, die nachgearbeitet wurden. Dadurch ergab sich diese Veränderung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Die letzte Frage, weil es seine zweite ist, stellt Herr Kollege Körfges. Das ist auch die letzte Frage der Fragestunde. Bitte schön, Herr Körfges, Sie haben jetzt die Möglichkeit, diese Frage zu stellen.

Hans-Willi Körfges (SPD: Herr Präsident, dann darf ich mich herzlich dafür bedanken, dass Sie mir das Wort erteilen. – Ich möchte die Frau Ministerin im Anschluss an die Beratungen im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen am Freitag, wo ja mitgeteilt worden ist, dass der Herr Staatssekretär Heinisch an mehreren Gesprächen für Ihr Ministerium teilgenommen hat, danach fragen, ob es dazu Akteninhalte, Vermerke oder Aktenstücke gibt. Falls dem so ist, möchte ich wissen, warum sich diese nicht bei den Akten befunden haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Abgeordneter Körfges, Herr Staatssekretär Heinisch hat an den beiden Besprechungen des Innenministers mit RWE nicht teilgenommen.

(Sven Wolf [SPD]: Das war nicht die Frage!)

– Nicht? Das habe ich so verstanden.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Es ging nicht um RWE! Es ging um Ihr Ministerium! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Ist das frech!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Möchten Sie noch einmal nachfragen, Herr Körfges? Denn ich glaube, es lässt sich leicht klären. Es war vielleicht ein Missverständnis. Bitte schön.

Hans-Willi Körfges (SPD): Es geht nicht um die RWE-Gespräche. Es geht um interministerielle Gespräche, an denen, wenn ich mich richtig erinnere, der Herr Staatssekretär teilgenommen hat – so ist zumindest meine Erinnerung von Freitag gewesen –, und dazu gibt es keine Aktenstücke oder Vermerke.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Ministerin. Das war die Frage.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Nach Rücksprache, sehr geehrter Herr Abgeordneter Körfges, kann ich Ihnen sagen, dass Herr Staatssekretär Dr. Heinisch an mehreren Gesprächen teilgenommen hat, an größeren interministeriellen Abstimmungen nicht. Niederschriften und Vergleichbares sind, wenn überhaupt, von der Fachabteilung angefertigt worden und dann auch in den Akten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Damit sind wir am Ende der Beantwortung der Mündlichen Anfrage 51 der Abgeordneten Verena Schäffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Frage lautete: Was waren die tatsächlichen Motive für die Räumung des Hambacher Waldes?

Jetzt wäre aufzurufen die

Mündliche Anfrage 52

des Abgeordneten Christian Dahm von der Fraktion der SPD.

Sie lautet: Stand die Räumung des Hambacher Forsts in Zusammenhang mit der Rodungsabsicht von RWE?

Diese Frage ist genauso wie die gleichlautende Mündliche Anfrage 53 des Abgeordneten Wolf von der Fraktion der SPD hier erörtert worden. Daran erinnern sich alle, die hier waren.

(Sven Wolf [SPD]: Ja?)

Da die Zeit für die Fragestunde abgelaufen ist, frage ich den Abgeordneten Dahm noch ganz formell, wie wir verfahren wollen: Soll die Mündliche Anfrage 52 in der nächsten Fragestunde aufgerufen oder schriftlich beantwortet werden?

(Christian Dahm [SPD]: Aufrufen! )

Mündlich in der nächsten Fragestunde. Das haben wir so zur Kenntnis genommen.

Dann rufe ich jetzt auf die

Mündliche Anfrage 53

des Abgeordneten Sven Wolf von der Fraktion der SPD.

Soll sie in der nächsten Fragestunde aufgerufen oder schriftlich beantwortet werden?

(Sven Wolf [SPD]: Aufgerufen!)

Mündlich in der nächsten Fragestunde. Dann werden wir beide Fragen formal genauso behandeln.

Damit ist die Fragestunde nach 1:64:39 Stunden beendet.

(Heiterkeit)

Sie waren damit Teil einer historischen Sitzung wenn ich es richtig nachvollziehe. Es gab bisher keine längere Fragestunde im Landtag von Nordrhein-Westfalen, soweit sich Lebende noch erinnern können.

(Heiterkeit)

Ich danke allen für ihr Verständnis und ihre Geduld –  sowohl denen, die gefragt haben, als auch denen, die zugehört haben und vor allen Dingen denen, die geantwortet haben.

Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass es immer die Aufgabe eines Präsidiums, eines Sitzungsleitenden ist, die Rechte der Abgeordneten im Hohen Hause so weit wie möglich zu wahren. Deshalb bin ich froh, dass bei allen Fraktionen das entsprechende Verständnis herrschte, genauso mit diesen Rechten der Abgeordneten zu verfahren.

Schöner konnte ich es nicht sagen. Ich bedanke mich für den Rekord. Ich sitze jetzt noch genau zwölf Minuten hier. Dann war ich drei Stunden hier. Das ist auch relativ lange. Aber es ist herrlich hier oben – immer noch.

(Heiterkeit)

Jetzt rufe ich auf:

7   Das Rheinische Revier hat alle Chancen und verdient jede Unterstützung – Strukturwandel mit den Akteuren vor Ort zum Erfolg bringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4446

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie und Landesplanung
Drucksache 17/7394

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4544 – Neudruck

Für die CDU-Fraktion begründet nun Frau Kollegin Plonsker diesen Antrag.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt wollen wir uns endlich mit der Zukunft des Rheinischen Reviers und nicht mehr mit der Vergangenheit befassen.

(Beifall von der CDU und der FDP )

Seit wir diesen Antrag eingebracht haben, sind neun Monate vergangen. Wir haben uns im Ausschuss intensiv mit dem Rheinischen Revier beschäftigt, aber auch mit dem Beschluss zu diesem Antrag sind wir noch lange nicht am Ende.

Im Rheinischen Revier besteht die einmalige Chance, den Transformationsprozess selbst zu gestalten und die Zukunft zu bestimmen. Dabei legen wir jetzt die Grundlagen für die Zukunft unserer Heimat:

Erst der Beschluss der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, Ende August der Kabinettsbeschluss auf Bundesebene zum Strukturstärkungsgesetz und nun die beginnenden Verhandlungen zum Kohleausstiegsgesetz.

Unseres Erachtens kann es auf Bundesebene zwar noch etwas zügiger vorangehen, aber die Region macht sich mit Zuversicht und Visionen fit für die Zeit nach der Kohle.

In diesem Landesparlament müssen wir genauso die Weichen stellen, wie es in Berlin passieren muss. Das haben wir in unserem Antrag betont, und seit der Einbringung haben wir auch sehr viel getan.

Beispielhaft möchte ich das vierte Entfesselungspaket nennen, das Minister Pinkwart bereits vorgestellt hat, in dem die Grundlagen zur zügigen Anpassung der Braunkohlepläne gelegt werden, die Belebung der Wirtschaft angepackt und der Strukturwandel so beschleunigt werden soll.

Ich möchte die Überarbeitung des LEP erwähnen, der dem Rheinischen Revier ein Plus an Flächen erlaubt und die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie noch vor dem Ausstieg aus der Braunkohle ermöglicht.

Das Land stellt der Zukunftsagentur 10 Millionen Euro zur Verfügung, damit die Revierknoten den operativen Strukturwandel beginnen können, so wie im Antrag gefordert.

Auch beim Thema „Infrastruktur“ geht es voran. Hier sei nur die gemeinsame Vereinbarung zur schnelleren Umsetzung der Projekte zwischen Deutscher Bahn und dem Land Nordrhein-Westfalen genannt.

Aber ich will auch deutlich sagen: Sowohl der Bund als auch wir im Land sollten keinen Strukturwandel von oben diktieren. Das macht die NRW-Koalition auch nicht. Die Region mit ihren Ideen steht im Mittelpunkt. Die Zukunftsagentur sammelt und bündelt die Überlegungen vor Ort und lässt sie in ein Leitbild einfließen – dies mit unserer Unterstützung und auch der der Landesregierung.

Beispielsweise fand vor zwei Wochen in Bergheim die Auftaktveranstaltung der Revierknoten statt. Eingeladen sind alle, die sich beteiligen wollen, die sich in den Prozess einbringen möchten. So gestaltet man Strukturwandel von unten nach oben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, und der Strukturwandel ist noch lange nicht erfolgreich abgeschlossen. Dazu gehört ein langer Atem und vor allem Verlässlichkeit für die Region.

Ich möchte noch einmal auf die Wichtigkeit der Eins-zu-eins-Umsetzung der Beschlüsse der Strukturwandelkommission kommen. 2038 soll die Kohleverstromung spätestens enden. Sowohl Rufen nach einer Verkürzung der Laufzeit als auch nach einer Verlängerung erteilt die NRW-Koalition zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Absage.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nicht nur aus diesem Grund ist der vorliegende Entschließungsantrag abzulehnen.

Klar ist aber auch: Der Kohleausstieg gelingt nur, wenn auf Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit der Stromversorgung geachtet wird. Dabei halten wir die Revisionspunkte für dringend notwendig und eine Anpassung daraufhin für erforderlich. Für einen gesellschaftlichen Konsens muss an den Beschlüssen festgehalten werden. Denn nur so schafft man Akzeptanz bei den Beschäftigten, den Zulieferunternehmen und bei den Akteuren vor Ort.

Zum Thema „gesellschaftlicher Konsens“: Es ist mir wichtig, dass die Reviere nicht gegeneinander ausgespielt werden, weder die Braunkohlereviere untereinander noch das Rheinische Revier gegen das Ruhrgebiet oder andersherum. Leider konnte ich dies von Parteien, die hier im Hohen Haus vertreten sind, vernehmen.

Der Strukturwandel gelingt nur, wenn alle, wirklich alle politischen Kräfte an einem Strang ziehen, auf allen Ebenen und über alle Parteien und Fraktionen hinweg.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb werbe ich noch mal sehr deutlich für unseren Antrag und freue mich über eine breite Zustimmung des Hohen Hauses. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Plonsker. – Ich rufe jetzt Herrn Kollegen Kämmerling auf. Er hat das Wort für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege.

Stefan Kämmerling (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe verehrte Frau Kollegin Plonsker, ich habe gewusst, dass Sie sagen, dass wir an einem Strang ziehen müssen. Deswegen habe ich eine Rede geschrieben, die Ihnen gefallen wird.

Das Rheinische Revier kann mit einer klaren und verlässlichen Unterstützung durch Land und Bund alle Möglichkeiten haben, den anstehenden Transformationsprozess erfolgreich zu meistern und sich vom Braunkohlerevier zum Revier der Zukunft entwickeln. Ausgehend von seinen Stärken und Traditionen als die Energieregion kann im Revier das Zusammenspiel einer nachhaltigen Energieerzeugung mit den Erfordernissen und Möglichkeiten einer energieintensiven Industrie erfolgreich erprobt und in einem großen Maßstab umgesetzt werden.

Dazu bedarf es großer Anstrengungen – das haben auch Sie gerade ausgeführt – sowohl bei Forschung und Entwicklung, dem Rück- und Umbau von konventioneller Energieinfrastruktur, der Erschließung geeigneter Flächen, dem Umbau der Verkehrsinfrastruktur wie auch in den Produktionsprozessen und Geschäftsmodellen von Industriebetrieben.

Nicht zuletzt spielt natürlich auch Lebensqualität in der vom Tagebau geprägten Region eine Rolle. Sie erfordert bei der Rekultivierung, aber auch bei der Bewahrung von guten Wohn- und Siedlungsbedingungen für attraktive Dörfer und Städte umfassende Maßnahmen und abgestimmte Strategien der betroffenen Kommunen.

Das Rheinische Braunkohlerevier im Südwesten Nordrhein-Westfalens ist mit rund 450 Einwohnern je Quadratkilometer einer – das wissen auch Sie – der am dichtesten besiedelten Räume Europas. Gerade im Ballungsraum Köln/Düsseldorf herrscht hoher Druck in der Siedlungsentwicklung, die weit ins Umland ausstrahlt. Das ist gerade für die vom Braunkohlebergbau geprägten Gebiete eine riesige Chance. Das Rheinische Revier kann sich als Lösungsraum profilieren und neue Ansiedlungen von Wohnraum, Gewerbe, Industrie, Innovationen, Forschung und daraus resultierende neue Arbeitsplätze bewusst platzieren.

Natürlich dürfen wir die berechtigten Fragen, die Sorgen, die Gefahren des Umbruchs nicht unterschätzen. Dieser Prozess fordert alle in der Region: Menschen, Beschäftigte und Zivilgesellschaft. Bei der Debatte geht es nicht nur um 10.000 Arbeitsplätze in den Kraftwerken und Tagebauen, sondern auch um die 390.000 Beschäftigten der energieintensiven Unternehmen. Diese haben sich im Rheinischen Revier angesiedelt, da die Braunkohle sichere und bezahlbare Energie lieferte und liefert.

Das erzählen wir Sozialdemokraten auch nicht erst seit gestern. Wir haben im letzten Herbst klare Forderungen hier ins Plenum eingebracht, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben und in Teilen Bestandteil des Strukturstärkungsgesetzes sind, welches nun in Bundestag und Bundesrat beraten und beschlossen wird.

Für uns stehen im Besonderen die betroffenen Städte und Gemeinden im Rheinischen Revier im Vordergrund. Sie sind nach unserer Auffassung der Schlüssel zum Erfolg.

Ich komme zu Ihrem Antrag. Der ist nicht schlecht, Frau Plonsker, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP. Er ist auch deswegen nicht schlecht, weil Sie natürlich in weiten Teilen die vier Anträge im Wirtschaftsausschuss – ich darf nicht „wir“ sagen; da war ich noch nicht dort – mit meinen Kollegen der SPD-Fraktion diskutiert haben. Ich sage jetzt nicht, Sie haben weite Teile übernommen, ich sage, sie sind deckungsgleich. Das ist gut. Das will ich ausdrücklich loben. Darum ist die Rede bis hierhin auch noch so weichgespült.

Wir glauben aber – zumindest kann ich das sagen –, dass das nicht ganz ausreicht. Ich könnte das sehr detailreich ausführen, aber das wird die Zeit nicht zulassen. Ich habe es zu einem anderen Antrag am Mittwoch der vergangenen Woche im Wirtschaftsausschuss schon tun dürfen.

Ich will Ihnen aber vier Punkte, die mir besonders wichtig sind, die meines Erachtens fehlen, hier noch einmal vor Augen führen:

Erstens. Die unmittelbare Beteiligung der Kommunen an der ZRR, der Zukunftsregion Rheinisches Revier, mit Gesellschaftsanteilen und Sitzen im Aufsichtsrat müsste festgelegt werden.

Minister Pinkwart hat gesagt, die Landesregierung habe darauf keinen Einfluss. – Herr Minister, ich glaube, Sie sind viel einflussreicher, als Sie das in der Ausschusssitzung kundgetan haben. Ich setze auf Sie persönlich, dass Sie noch einmal an die Kommunen denken. Daran wird auch der Termin, der am Donnerstag in der Sache mit den betroffenen Anrainerbürgermeistern stattfindet, nichts ändern. Es ist eine herzliche Bitte von mir.

Zweitens. Auch zu der Sicherstellung, dass die Landesregierung die Zehn-Prozent-Kofinanzierung bei Maßnahmen aus dem Strukturstärkungsgesetz des Bundes übernimmt, findet sich nichts.

Drittens. Wir glauben, ein Sonderprogramm muss entwickelt werden, das den betroffenen Kommunen eine zügige Erschließung der notwendigen Entwicklungsflächen ermöglicht.

Ich sehe, dass die Redezeit zu Ende ist. Vielleicht ist mir aber die Nennung des vierten Punktes noch erlaubt. Wir glauben, auch mit Landes‑ und Bundesmitteln muss ein Grundstücksfinanzierungsfonds eingerichtet werden, damit die betroffenen Kommunen Flächen von Dritten kaufen können.

Den Rest lasse ich weg; wir haben ja noch eine Diskussion zum Thema „Strukturwandel“. Selbst, wenn ich noch mehr sagen wollte, darf ich es nicht; die Zeit ist zu Ende. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Korrekt, Herr Kollege Kämmerling. Vielen Dank. – Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Dass das Rheinische Revier vor einem tief greifenden Strukturwandel steht, ist uns allen klar.

Dass es kein wirtschaftlich erzwungener, sondern eben ein politisch gewollter und verordneter Wandel ist, sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Daraus erwächst für alle politisch Handelnden die Verpflichtung, das Revier in diesem Prozess zu unterstützen.

Die Grundlage dafür bietet der Bericht der Strukturkommission, mit dem ein breiter Konsens über den Fahrplan des Ausstiegs gefunden worden ist. Dieser breite Konsens ist auch wichtig, um den gesellschaftlichen Fliehkräften entgegenzuwirken, die in einem so schwierigen Prozess immer entstehen.

Deshalb sage ich es hier für die FDP-Fraktion, wie Kollegin Plonsker es bereits für die Koalition insgesamt betont hat, noch einmal: Wir stehen ganz klar zu unserem Versprechen, den gefundenen Konsens und die Empfehlung der Kohlekommission eins zu eins umzusetzen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen diese Jahrhundertchance nutzen, eine vor großen strukturellen Herausforderungen stehende Region mit Weitsicht und Bedacht zu einer Modellregion für innovative Energie und Industrieanwendungen, für moderne Infrastruktur und hochwertige Arbeitsplätze zu machen.

Die NRW-Koalition wird das Rheinische Revier dabei nach Kräften unterstützen. Wir wollen, dass dort die Region für die Schlüsseltechnologien der Zukunft entsteht. Dabei sind jetzt alle Ebenen der Politik gefragt: die Akteure vor Ort, die Akteure im Land und eben auch die Akteure im Bund.

Die Anhörung im Ausschuss hat deutlich gezeigt: Der Weg, den wir hier gehen, ist der richtige Weg. Strukturwandel – es ist angeklungen – kann nicht von oben verordnet werden; er muss von unten, von den Menschen in der Region gestaltet werden.

Es bestand Einigkeit in der Anhörung, dass sich der Weg, den wir hier gemeinsam mit und in Unterstützung für die Kommunen vor Ort gehen, auch in den Beratungen der Kommission auszahlen wird.

Das Revier hat seine Hausaufgaben bereits gemacht. Wir sind sehr gut auf den anstehenden Strukturwandel vorbereitet. Es wurde eine umfangreiche Projektliste erarbeitet; sie ist im Abschlussbericht der Kommission enthalten.

Wir stehen dabei mit wegweisenden Projekten in den Startlöchern: von Energiespeichern und Batteriezellenproduktion über Testgebiete für autonom fahrende Autos und einem Hochschulcampus bis hin zu Klimaschutzquartieren. All das sind Projekte, die auf der Liste stehen.

Herr Kollege, auch wenn es bei einem so großen Gebiet schwierig ist, will ich zumindest eine Frage auch mal direkt beantworten. Sie wissen doch ganz genau, dass es wichtig ist, dass wir in der Region schnell und handlungsfähig bleiben und eben gerade die Kommunen einbinden, das aber in geeigneter Form tun müssen.

Das tun wir, indem wir die 64 Städte und Gemeinden mit den 2,2 Millionen Einwohnern insgesamt in den Prozess einbinden – ob durch Anrainerkonferenzen, durch umfangreiche Informationen und Austausch oder über konkret geplante Maßnahmen, die den Kommunen viel mehr helfen, wie zum Beispiel Planerpools oder Unterstützung für die Kommunikation mit den Menschen vor Ort. Das sind doch die entscheidenden Punkte.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Ich will die 19, nicht die 64! 19, Herr Kollege!)

Darüber hinaus ist das Land in Vorleistung gegangen, Herr Kollege. Das Land ist in einzigartiger Weise für all diese Maßnahmen, um die Dinge voranzutreiben, die die Kollegin weiterhin angesprochen hat.

Um bereit zu sein, damit im entscheidenden Moment eben keine Zeit verloren geht, hat das Land der Zukunftsagentur Rheinisches Revier fast 9 Millionen Euro für entsprechende Finanzierung vorab bereitgestellt. Das sind konkrete Maßnahmen, die das Land ergreift. Das ist der notwendige und richtige Weg.

(Beifall von der FDP und von der CDU)

Jetzt hier nach weiteren Kofinanzierungen, die sicherlich an der richtigen Stelle diskutiert werden müssen, zu rufen oder aber bereits zu sagen, jetzt müssten zusätzliche Fonds aufgelegt werden: Sorry, das findet hier an der Stelle, glaube ich, nicht den richtigen Eingang und wäre auch in Teilen auf jeden Fall verfrüht oder verfehlt.

Wichtig ist aber, dass sich NRW auch auf der Bundesebene stark macht, dass sich dieser Wirtschaftsminister und dass sich auch der Ministerpräsident in Berlin sehr deutlich positionieren.

Die in Aussicht gestellten Strukturhilfen im Entwurf des Strukturstärkungsgesetzes des Bundes sind inzwischen festgeschrieben. Auch hier nimmt die Landesregierung Verantwortung wahr und handelt. Es bleibt eben zu hoffen, dass dieses Verantwortungsbewusstsein auch auf der Berliner Ebene bestehen bleibt und umgesetzt wird. Daran sollten wir alle zusammen mitarbeiten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bombis, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Herrn Kollegen Kämmerling.

Ralph Bombis (FDP): Bitte schön.

Stefan Kämmerling (SPD): Danke schön dafür, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Vielleicht gibt es ein Missverständnis, weil ich glaube, unsere Redebeiträge zeigen, dass wir gar nicht sehr weit auseinander sind.

Ich habe zumindest – ich hoffe, das ist mir gelungen – auch versucht darzustellen, dass wir vor dem Hintergrund der riesigen Herausforderung an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Ich komme zur Frage:

Ich habe eben nicht gesagt, dass sämtliche – ich glaube, Sie nannten die Zahl 64 – Kommunen nach meiner Auffassung Gesellschafterinnen der ZRR GmbH werden sollten, sondern ich bezog mich auf die räumlich betroffenen Kommunen, welche einen Tagebau oder ein Kraftwerk vor der Tür haben.

Bei denen ist nach meiner Auffassung eine besondere Betroffenheit gegeben. Ich fände es gut, wenn wir sie bei der wachsenden Rolle der ZRR GmbH in die Arbeit einbinden würden. Darum geht es. Sind Sie bereit, lieber Herr Kollege, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich das so gemeint habe?

Ralph Bombis (FDP): Lieber Herr Kollege, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie das so gemeint haben.

Sie können versichert sein, dass jeder, der sich in den Prozess einbringt, jeder, der mitarbeitet – und ich möchte das als jemand, der aus dem betroffenen Kreis stammt, für meine Person reklamieren –, es für sehr wichtig hält, dass die betroffenen Kommunen eingebunden werden.

Aber es ist eben wichtig, dass wir die kommunale Ebene in der richtigen Form einbinden, sodass wir einerseits handlungsfähig bleiben und andererseits nicht so agieren, dass es zu Friktionen bei anderen führt.

Deswegen bin ich der Auffassung, dass wir klug handeln und uns hier nicht irgendwelche Scheingefechte liefern sollten, die hinterher auf der kommunalen Ebenen zu Verwerfungen führen können.

Ich denke, der Weg, wie wir ihn hier gehen – und wie wir ihn auch immer kritisch hinterfragen, gerade auch in der Zukunftsagentur –, ist genau der richtige.

Hier wird es möglicherweise auch noch punktuell oder in struktureller Hinsicht zu Veränderungen und Anpassungen kommen müssen; das will ich gar nicht in Abrede stellen.

Ich denke, dass das ein Prozess ist, bei dem wir gerade vor dem Hintergrund vieler Entwicklungen, die wir in der heutigen Zeit haben, noch nicht sagen können, was in drei, fünf oder sieben Jahren sein wird, denn den Prozess werden wir noch eine Weile begleiten müssen, weil wir Fehler vermeiden müssen, die in der Vergangenheit gemacht worden sind.

Damit komme ich zurück zu meiner Rede. Wir müssen den Menschen genau die Unterstützung zukommen lassen, die sie benötigen und verdienen. Wir dürfen die Fehler, die anderswo gemacht worden sind, namentlich im Ruhrgebiet, nicht wiederholen bei dem Versuch, Strukturen blind zu erhalten, gerade im Sinne der unmittelbar und mittelbar betroffenen Menschen und ihrer Familien.

Es ist mir auch wichtig, zum Ende noch zu sagen:

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ralph Bombis (FDP): Wir werden uns deshalb nicht ideologisch einkapseln. Das hilft keinem Menschen vor Ort, sondern das täuscht nur einfache Lösungen vor.

Wir sehen im Strukturwandel vor allem eine Chance. Wer die Notwendigkeit zur Anpassung an den Klimawandel leugnet, der beraubt kommende Generationen ihrer Zukunftschancen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir gehen als NRW-Koalition mit dieser Landesregierung voran. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, das Rheinische Revier zu einem Hotspot der Zukunft zu machen: für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung, für die dort arbeitenden und lebenden Menschen und für eine klare und nachhaltige Zukunftsperspektive. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir diskutieren hier über einen Antrag, der vom 4. Dezember 2018 datiert. Das heißt, es sind etwas mehr als neun Monate vergangen, seitdem dieser Antrag hier im Haus gestellt wurde.

Manchmal passiert nach neun Monaten etwas Schönes, aber hier können wir jetzt keine wirklichen Veränderungen sehen.

Man muss aber auch sagen: Seitdem ist nicht nur Zeit vergangen, sondern seitdem haben sich auch ein paar Sachen verändert. Fast zwei Monate, nachdem dieser Antrag eingereicht wurde, hat beispielsweise die Kohlekommission ihre Vorschläge unterbreitet; davon haben wir hier eben in unterschiedlichen Redebeiträgen gehört. Man hält es aber nicht für nötig, sich dem anzupassen und den Antrag entsprechend zu verändern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sind absolut nicht damit zufrieden, was in dieser Zeit passiert ist. Seitdem die Kohlekommission ihre Ergebnisse vorgelegt hat, gibt es ein paar Dinge, die sich schon verändert haben, nämlich einzelne Vorschläge von Gesetzesinitiativen auch auf Bundesebene, auf die man schon hätte eingehen können.

Wir haben – auch das haben wir eben gehört – eine Anhörung durchgeführt. Dort gab es einige Hinweise und Aspekte. Ich finde es schon sehr seltsam, dass es keine Änderungen gibt. Ich frage mich dann, wofür wir eigentlich die Anhörungen veranstalten. Wofür tun wir das Ganze? Ist das alles nur Show? Man stellt einen Antrag, und hinterher passiert überhaupt nichts?

Es ist schon sehr schade, dass Sie sich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, einen Änderungsantrag zu stellen. Ich sehe dies sogar als Armutszeugnis an.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt auf das zu sprechen kommen, was wir hier bräuchten. Wenn wir uns diesen Antrag ansehen und eben die Reden verfolgt haben, erkennen wir eine Sache, die uns alle eint: Wir wollen, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier gelingt und dafür die richtigen Leitlinien setzen.

Aber leider habe ich das Gefühl, dass es bis dahin mit der Einigkeit schon wieder schnell vorbei ist, denn natürlich gibt es immer unterschiedliche Initiativen oder Ideen, wie das Ganze gelingen kann. Ich habe hier das Gefühl, dass man sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, konkret zu überlegen, was es sein könnte.

Was bisher vorliegt, sind ausschließlich Stichpunkte dieser Landesregierung. Wir bräuchten aber ein Leitbild. Dabei geht es nicht darum, wie behauptet wird, dass wir fordern, dass von oben Maßnahmen und Dinge vorgegeben werden, wie sich das Rheinische Revier entwickeln soll.

Es ist doch unsere Aufgabe als Landespolitik, auch klare Leitlinien zu setzen. Sie haben doch Ideen. Warum sind Sie nicht endlich dazu in der Lage, diese auch klar vorzulegen und vorzubereiten?

Dann möchte ich noch darauf zu sprechen kommen – das wurde eben in Teilen schon angesprochen –, dass es einer anderen Beteiligung bedarf, als wir sie aktuell haben. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der Region sind absolut unzufrieden damit, wie sie beteiligt werden. Da hilft es nicht, nur mal eben einen Termin zu machen.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Wer bei Ihren Gedanken überhaupt nicht vorkommt, ist die Zivilgesellschaft.

(Ralph Bombis [FDP]: Das ist doch nicht wahr!)

Auch die hat Ideen und Anforderungen, und die kommen in den Beteiligungsformaten überhaupt nicht vor. Das ist einfach nur peinlich.

(Beifall von den GRÜNEN )

Wir können nicht auf alle Dinge ganz konkret eingehen, die wir in den letzten Wochen und Monaten schon mehrmals besprochen haben. Auch das kommt im Antrag überhaupt nicht vor, weil es nicht vorkommen kann, weil er viel zu alt dafür ist.

Ein Strukturwandel ist ja nicht einfach nur ein Selbstzweck. Die Kohlekommission hat scharf festgelegt, dass es einen Strukturwandel mit Strukturfördermitteln und Maßnahmen nur gibt, wenn es gleichzeitig einen Ausstieg gibt.

Diese Verbindung funktioniert hier nicht. Das lassen Sie auf der Strecke liegen. Dabei ist es das, was wir benötigen. Es braucht klare Ansagen dafür, wann und wie ganz konkret aus der Kohle ausgestiegen wird, wann welche Kraftwerke abgeschaltet werden und wie der entsprechende Wandel in der Region gelingen kann.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das beschließt doch nicht der Landtag! Was ist das für ein Unsinn!)

Das sind alles Dinge, die Sie hier nicht vorlegen. Dass Sie das nicht wahrhaben wollen, ist leider auch so. Das ist eine Vorgabe, die die Kohlekommission klar gemacht hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde es einfach nicht redlich, dass nichts dazu in die Anträge eingearbeitet wurde. Deswegen und auch aus vielen anderen inhaltlichen Gründen, die ich eben angedeutet habe, lehnen wir diesen Antrag ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! CDU und FDP vernichten zuerst wertvolle Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung, um dann mit ein bisschen Kleingeld die Region wieder retten zu wollen.

(Helmut Seifen [AfD]: So sind die!)

15 Milliarden Euro gestreckt über 20 Jahre soll es geben im Rheinischen Revier, also etwa 750 Millionen Euro pro Jahr, nicht einmal 1 Milliarde Euro pro Jahr.

Aktuell arbeiten im Tagebau 10.000 Mitarbeiter, und 10.000 Mitarbeiter sind noch direkt davon abhängig. Das sind 20.000 Mitarbeiter. Jeder erzielt etwa 50.000 Euro Wertschöpfung pro Jahr. Also: 20.000 mal 50.000 ergeben 1 Milliarde Euro an Wertschöpfung in dieser Region, alleine direkt abhängig von der Braunkohle.

Die Menschen geben ihr Geld in der Region aus. Die bauen dort ein Haus. Die gehen zum Friseur. Die kümmern sich um ihre Familie, gehen in die Kneipe, zum Bäcker, sie lassen die Region leben.

Sie wollen das mit Ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik hier zerstören. Wird die Region am Ende so aussehen wie Duisburg-Nord oder Gelsenkirchen-Süd, wo Sie die Menschen schon im Stich gelassen haben? 12 % Arbeitslosigkeit, eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit, jeder Fünfte bezieht dort Hartz IV – ist das das, was Sie aus dem Rheinischen Revier machen wollen?

Wir haben die Kumpel aus den Zechen erlebt, die Sie schon im Stich gelassen haben. Die waren vor ein paar Wochen hier, vor der Sommerpause.

Diesmal lassen Sie die Menschen im Rheinischen Revier im Stich. Sie lassen die Region ausbluten und kommen dann mit blumigen Anträgen. Dann soll es eine neue S-Bahn-Strecke geben. Dann kommt irgendeine Behörde dort hin, bei der der Baggerfahrer dann arbeiten soll. Stellen Sie sich das wirklich so vor? Damit werden Sie kein einziges neues Unternehmen dorthin locken.

Sie sagen in Ihrem Antrag, dass die Unternehmen in NRW weiterhin einen attraktiven Standort vorfinden sollen, der international besonders wettbewerbsfähig ist. „Weiterhin“ schreiben Sie in Ihrem Antrag.

Schauen wir uns doch mal die Fakten an. In Deutschland ist der Strompreis am höchsten in der gesamten Welt, und zur Abgabenlast titelt die „WeLT“: „Deutsche Steuerlast ist ‚Weltspitze‘ – doch die Infrastruktur verfällt“.

Deutschland ist doch bereits jetzt nicht mehr international wettbewerbsfähig, und Sie machen es mit Ihrer Politik nur noch schlimmer.

Sie brauchen doch nur einmal den Unternehmern zuzuhören; die kommen ja auf Sie zu. Im letzten Jahr gab es den Brandbrief von Hydro Aluminium, die die Bundesregierung angeschrieben haben, dass denen 78 Mal in einem Jahr der Strom abgestellt wurde, also mehr als einmal die Woche.

Doch Sie ignorieren das Ganze. Herr Pinkwart sagt dann im Ausschuss auch noch, das wäre ja alles ganz gut, das Ganze fungiere ja wie ein Speicher, und die Firmen bekämen ja auch noch Geld. Über so viel Unverstand könnte man eigentlich, wenn es nicht so bitter wäre, nur noch lachen.

Der Vertreter von Hydro Aluminium war auch zweimal im Landtag bei Anhörungen. Der hat ganz klar gesagt, dass die keinen einzigen Cent mehr investieren werden, wenn sich die Situation nicht ändert, wenn sie keine Prognose haben, dass die Strompreise günstiger werden und dass die Versorgungssicherheit auch gewährleistet wird.

Wir hatten ja fast dreimal im Juni hier einen Blackout und konnten uns nur noch mit Strom aus dem Ausland retten. Doch diese Risiken sind inzwischen für diese Unternehmen unkalkulierbar. Die werden nicht mehr investieren, und das haben sie Ihnen auch noch gesagt.

Letzte Woche hat Hydro Aluminium bekannt gegeben, dass sie bis zu 500 Mitarbeiter entlassen werden. Der Betriebsrat schätzt 500. 500 Menschen, 500 Familien – das sind die ersten Opfer, Herr Pinkwart, Ihrer Politik.

Nur eine verlässliche Politik kann die Unternehmen und auch die Arbeitsplätze sichern und im Land halten.

Die Leitentscheidung ist noch nicht einmal drei Jahre her, und Sie torpedieren das Ganze. Das nennen Sie dann auch noch „gesellschaftlichen Kompromiss“, wenn Sie das Ganze von oben herab diktieren.

Die Kommission wurde von der Bundesregierung eingesetzt. Das ist eben nicht parlamentarisch und auch kein gesellschaftlicher Kompromiss, den Sie hier veranstalten. Das ist von oben herab regiert, an den Menschen vorbei, an den Schicksalen vorbei.

Wir als AfD wollen diese Arbeitsplätze erhalten. Wir stehen zur Leitentscheidung 2016. Wir stehen auch zu einem breiten Energiemix auch mit einer sauberen Braunkohle, mit den fast saubersten und effizientesten Kraftwerken, die es in der Welt gibt. Die gibt es nur in Deutschland. Wenn Sie nach Polen schauen, haben Sie relativ dreckigeren Kohlestrom als in Deutschland. Das wollen wir bewahren. Das können Sie auch. Deshalb: Stimmen Sie bitte unserem Entschließungsantrag zu. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Loose. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden hier über das Strukturstärkungsprogramm für das Rheinische Revier in einem Kontext, nachdem die Bundesrepublik Deutschland wie andere europäische Länder den Beschluss gefasst hat, ein Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung vorzusehen.

Das kann sie auf verschiedenen Wegen tun. Sie hat sich für den Weg entschieden, es mit den Menschen zu organisieren und es sehr nachhaltig anzulegen.

Einen solchen Prozess haben wir aus Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen im eigenen Interesse, im Interesse der Menschen sehr konstruktiv zu begleiten, um mit den Menschen und den Regionen Zukunft zu schaffen und nicht zuzusehen, wie die Industrien aus dem Markt herausgehen und keine Alternative für die Menschen bleibt.

Insofern sehe ich das, was dort geschieht, in hoher Verantwortlichkeit insbesondere für die Menschen in der Region unter der Maßgabe, dass wir die nächsten Schritte auch vernünftig hoffentlich mit einer großen Breite hier im Haus umsetzen können.

(Beifall von der FDP)

Deswegen begrüßen wir, dass wir eine Kommission hatten, die einen hervorragenden Bericht abgeliefert hat und zu sehr komplexen Fragestellungen sehr komplexe Antworten gegeben hat. Das ist auch notwendig, wenn man diesen Transformationsprozess energie‑ und strukturpolitisch verantwortlich gestalten will.

Unser Ansinnen hier in Nordrhein-Westfalen muss es sein, meine Damen und Herren, dass dieser komplexe Tatbestand, der in seiner Komplexität hervorragend bearbeitet worden ist, auch umgesetzt wird.

Das lässt sich nur eins zu eins umsetzen. Hier kann man sich nicht einzelne Punkte herauspicken, wie man sie gerne hätte, und die anderen Punkte nicht umsetzen. Dann funktioniert dieser Transformationsprozess nicht.

Wir schaffen, wenn wir eins zu eins umsetzen, Energieversorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und eine gute Zukunft für die Menschen in den betroffenen Regionen. Deswegen fordern wir eine Eins-zu-eins-Umsetzung in allen Punkten des Berichtes ein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich sage das hier auch mit Blick auf frühere Tatbestände, zum Beispiel das Bonn-Berlin-Gesetz. Es hat drei Jahre gebraucht, bis man eine Entscheidung des Hohen Hauses umgesetzt hat.

Jetzt sind ein paar Monate vergangen. Natürlich könnte alles noch schneller gehen; aber wir haben jetzt ein Strukturstärkungsgesetz als Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ende Januar war der Bericht. Ende August kam schon dieser Entwurf des Strukturstärkungsgesetzes.

Parallel, Frau Brems, wird natürlich am Kohleausstiegsgesetz gearbeitet. Das wissen Sie genauso gut wie alle anderen hier im Hohen Hause. Immer wieder sagen Sie, es komme nicht,

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

aber Sie wissen doch, dass es bearbeitet wird.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Immer neue Ausreden! – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE] – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie wissen auch, dass die Bundesregierung das Ziel hat, beides parallel im Deutschen Bundestag zur Abstimmung zu bringen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das wissen Sie, aber Sie sagen es immer wieder anders. Ich verstehe das nicht. Es geht nur gemeinsam.

Es waren auch Vertreter Ihrer Partei in der Kommission, die gesagt haben – auch diejenigen, die Klima‑ und Umweltziele im Vordergrund sehen –, dass sie erwarten, dass zunächst Klarheit darüber herrscht, wie die Strukturförderung aussehen soll, weil sie nicht wollen, dass Zehntausende Menschen sozusagen ohne Zukunftsperspektive gestellt werden, wenn zunächst über den Kohleausstieg und nicht über die Strukturstärkungsmaßnahmen gesprochen wird.

So hat die Bundesregierung die Arbeit angelegt – auch mit dem Sofortprogramm, das wir jetzt schon in Angriff nehmen konnten. Sie hat zunächst das Strukturstärkungsgesetz vorbereitet und parallel dazu die Kohleausstiegsthemen bearbeitet. Sie stellt sicher, dass Klarheit herrscht. Die Politik verspricht nicht nur Hilfe, sie will die Hilfe auch tatsächlich geben – und zwar sehr konkret und sehr wirksam.

Ich will hier auch anerkennen – das ist alles andere als selbstverständlich –, dass der Kommissionsbericht, was den Umfang der Hilfen angeht, die nicht unerheblich sind, wenn wir ganz ehrlich sind … Die Bundesregierung hat auch an der Stelle sehr früh klargemacht, dass sie den Bericht zwar herausfordernd, aber notwendig findet und die Bund und Ländern zuzuordnenden Mittel bereitstellen wird.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Pinkwart …

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung versucht, diesen Kommissionsbericht sehr verantwortlich umzusetzen.

Unsere Aufgabe hier in Nordrhein-Westfalen ist es, in diesem Prozess darauf hinzuwirken, dass das auch tatsächlich vernünftig geschieht. Dazu stehen wir in engen Abstimmungen mit der Bundesregierung. Wir haben bisher den Eindruck, dass unsere Vorschläge, soweit wir sie dort auch haben einbringen müssen, auch Gehör gefunden haben.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Pinkwart, darf ich Sie unterbrechen? Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Bevor Sie gar keine Lücke lassen: Herr Kollege Kämmerling würde Ihnen gerne eine Frage stellen.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Entschuldigung; gerne.

Stefan Kämmerling (SPD): Herzlichen Dank, Herr Minister Professor Pinkwart, dass Sie die Frage zulassen. – Ich darf auf unser freundliches Gespräch im Ausschuss zurückkommen. Können Sie sich nicht vielleicht vorstellen, sich zum Anwalt der 19 Anrainerkommunen zu machen und diese Kommunen bei ihrem intensiv vorgetragenen Wunsch zu unterstützen, Gesellschafterinnen der ZRR GmbH zu werden?

Die Kommunen sind der Meinung, dass das für ihre Entwicklung unfassbar wichtig ist. Sie haben nämlich ein Tagebauloch oder einen Kraftwerkstandort vor der Tür. Das ist ein bisschen etwas anderes, als wenn man sich nicht im Kernrevier befindet und darüber hinaus keine Anrainerkommune ist.

Ich wiederhole die Frage, weil ich glaube, dass sie vielleicht vergessen worden ist – zumindest von mir.

(Heiterkeit)

Ich will in Abweichung zu Herrn Bombis präzisieren: Vielleicht kann man eine Konsortiallösung machen. Wenn es eine Konsortiallösung gäbe, bei der die Kommunen das Geld gemeinsam einbringen und dadurch weniger Aufsichtsratssitze hätten – könnten Sie sich vorstellen, das zu unterstützen, obwohl Sie ja, wie Sie am Mittwoch sagten, keinen Einfluss haben?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kämmerling, obwohl ich zwei‑ bis dreimal ein Fragezeichen gehört habe und direkt zu Beginn eine Frage gestellt wurde, darf ich Sie, damit Sie beim nächsten Mal nicht vergessen, die Frage zu stellen, darauf hinweisen, dass es auch noch das Instrument der Kurzintervention gibt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Stefan Kämmerling (SPD): Ich bitte um Entschuldigung.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Herr Kämmerling, ich danke Ihnen für Ihre Frage.

Wir haben es ja im Ausschuss diskutiert: Der Ministerpräsident und alle, die in der Landesregierung mitverantwortlich waren und sind, haben noch an dem Tag, nachdem die Kommission in der Nacht ihren Bericht abgeschlossen hat, mit allen Beteiligten gesprochen: mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den Abgeordneten der Region. Wir haben zwischendurch viele Konferenzen abgehalten und Gespräche geführt.

Wir wollen diesen Strukturwandelprozess mit den Menschen und ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten in dieser Region zu einem Erfolg führen. Deshalb sind wir mit allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Gespräch.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir sehen die Interessen der Anrainerkommunen wie diejenigen aller anderen. Wir haben gewisse Organisationsformen, die sich auch schon zu Ihrer Zeit vorentwickelt haben. Wir haben sie weiterentwickelt.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Anrainerkommunen schon in einem Gremium, das Sie gebildet haben, dabei gewesen sind. Nun haben wir eine dezentrale Organisationsform.

Wir nehmen die Verantwortung der kommunalen Ebene sehr ernst, und wir sehen nicht, dass wir par ordre du mufti den Kommunen, die sich organisiert haben, und den Landkreisen Vorschriften zu machen hätten, wie sie sich in Zukunft weiter zu organisieren hätten.

Wir machen das im Gespräch miteinander und hegen die Erwartung, dass das – wie bisher auch – parteiübergreifend in großer Verantwortlichkeit für diese Region wahrgenommen wird und man die Organisationsformen so wählt, dass sie passgenau sind.

Wir werden jedenfalls sicherstellen, dass mit jedem gesprochen wird, dass jedem Zugang gewährt wird und dass alle an den Programmen, die wir auflegen, beteiligt werden, damit das Beste aus der Region Wirklichkeit werden kann.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zurück zu meiner Rede: Deswegen haben wir auch klar diese regionalen Strukturen gestärkt. Wir haben die ZRR gestärkt; sie ist handlungsfähig.

Wir haben die Netzknoten eingerichtet, um noch einmal die regionalen wirtschaftlichen Zentren zu stärken – zusätzlich zu den verschiedenen Zukunftsthemen.

Wir haben uns auf der Landesebene mit dem Stabsbereich im MWIDE entsprechend aufgestellt.

Wir haben die Bezirksregierung gestärkt, damit sie für die Antrags‑ und Genehmigungsverfahren handlungsfähig ist.

Wir haben in der Landesentwicklungsplanung, der die Opposition leider nicht zugestimmt hat, auch Voraussetzungen für das Rheinische Revier geschaffen.

Wir haben in Richtung Sonderwirtschaftszone Initiativen im Rahmen des Entfesselungspakets IV vorgelegt.

Wir haben mit den Beteiligten darüber gesprochen, wie wir die großen Felder, die wir mit Innovation und Bildung, mit Arbeit und Fachkräfteentwicklung identifiziert haben, ausfüllen können. Wir setzen auf die Weiterbildung der Beschäftigten.

Es ist vieles auf dem Weg. Wir haben ein Gewerbeflächenkonzept, ein Standortmarketingkonzept. Die ersten Projekte des Sofortprogramms sind schon vor Ort, weitere werden in den nächsten Wochen und Monaten folgen.

Wenn am Ende des Jahres das Strukturstärkungsgesetz und das Kohleausstiegsgesetz durch Bundestag und Bundesrat sind, stehen bei uns alle Strukturen, damit wir uns dann mit der Region an diesen Programmen beteiligen können.

Bis dahin ist hervorragende Arbeit geleistet worden, um tolle Projekte an den Start zu bringen. Wir haben hervorragende Partner in der Region. Ich bin sehr zuversichtlich, diese Region mit dem Leitbild einer europäischen Modellregion für Energieversorgungs- und Ressourcensicherheit in eine gute Zukunft führen zu können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Der Minister hat die Redezeit der Landesregierung um 1 Minute und 49 Sekunden überzogen. Möchte jemand aus dem Kreis der Faktionen diese Restredezeit nutzen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/4446. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung empfiehlt in Drucksache 17/7394, den eben genannten Antrag unverändert anzunehmen. Deshalb stimmen wir jetzt über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung ab.

Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Wer enthält sich? – Demzufolge die  SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 17/4446 von CDU und FDP mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, diesmal über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/4544 in der Fassung des Neudrucks. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Stimmenthaltungen? – Gibt es keine. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/4544Neudruck – der AfD mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

8   Umweltverträgliche Zusammensetzung und Entsorgung von Reitböden in NRW sicherstellen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4793

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz
Drucksache 17/7381

Als erste Rednerin hat für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Winkelmann das Wort.

Bianca Winkelmann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 3,89 Millionen Menschen bezeichnen sich bundesweit als Reiter. Der uns vorliegende Antrag der Grünen betrifft also eine große Anzahl von Bürgern, mich übrigens auch, denn auch ich gehöre zu den Menschen, die sich dem Reitsport verbunden fühlen.

Nordrhein-Westfalen kann sich mit Fug und Recht als Pferdeland bezeichnen. Allein über 50.000 Pferde werden in Westfalen gehalten. Weit über 100.000 Mitglieder sind in Westfalen nach Angaben des LWL in fast 600 Reitvereinen organisiert.

Sind all diese engagierten Tierhalter und ihre geliebten Vierbeiner dauerhaft toxischen Einflüssen und Belastungen aus Feinstaub und Mikroplastik ausgesetzt? – Mit dieser Frage beschäftigen die Kollegen der Grünen sich und uns alle, eine Anzahl von Sachverständigen und selbstverständlich auch die Presse seit mittlerweile fast neun Monaten. Leider hat die Frau Kollegin Brems schon den Saal verlassen. Tatsächlich sind auch Anträge der Grünen manchmal neun Monate lang unterwegs.

Um eines noch einmal ganz klar zu sagen: Gesundheitsgefährdendes Material gehört nicht in Reitböden, und nichtorganische Zuschlagstoffe gehören nicht auf Ackerflächen entsorgt.

Das Ganze – und dafür war die Anhörung im Ausschuss dann doch sehr zielführend – ist auch im Abfallrecht, im Kreislaufwirtschaftsrechts geregelt, wie wir alle in dieser Anhörung erfahren haben. Gibt es das von Ihnen im Antrag monierte Entsorgungsproblem also wirklich?

Böden in Reitanlagen müssen für die verschiedenen Disziplinen des Reitsports geeignet sein. Die Dressurreiter beispielsweise bevorzugen für ihre Pferde elastische Böden, Springreiter benötigen guten Grip, damit die Pferde in engen Wendungen zwischen den Hindernissen und bei Absprung und Landung nicht wegrutschen. Rutschen wollen hingegen Westernreiter bei Sliding Stops, sie bevorzugen daher weiche, bewegliche Böden. Wieder anders ist das bei den Voltigierern. Sie haben von allen Pferdesportlern den direktesten Kontakt mit den Böden und benötigen deshalb einen federnden, elastischen Boden, der sowohl die Gelenke der vierbeinigen Sportkameraden als auch die der turnenden Kinder und Jugendlichen schont.

Bei diesem komplexen Thema geht es uns auch um die Gesundheit der Pferde. Zuschlagstoffe in Reitböden sind gelenkschonend und bieten den Pferden einen höheren Laufkomfort. Reitsport in den höchsten Leistungsklassen, der in Deutschland auf einem enorm hohen, internationalen Spitzenniveau stattfindet, wäre ohne gut aufbereitete Sandböden gar nicht mehr erlaubt. Dass die Staubbelastung in Reithallen ähnlich wie beispielsweise an vielen Industriearbeitsplätzen höher ist als auf einem Rasenplatz oder in einem Schwimmbad, lässt sich nicht wegdiskutieren. Genau deshalb werden Zuschlagstoffe dazugegeben, um Staub und Wasser zu binden.

Einen weiteren Aspekt sollten wir bei dieser Diskussion nicht aus den Augen verlieren. Im harten Wettbewerb der Hersteller von Reitböden zeigt eine nur kurze Recherche im Internet, dass diese mit der Umweltverträglichkeit ihrer Produkte werben und sich die Unbedenklichkeit auch durch unabhängige Prüfer zertifizieren lassen. Bei Vorschriften, wie sie laut dem uns vorliegenden Antrag nur für NRW angedacht sind, muss in diesem Bereich mit einer Wettbewerbsverzerrung gerechnet werden. Außerdem würden auf die Reitplatzbetreiber enorme Kosten für die Entsorgung von möglicherweise gerade erst angelegten Reitplätzen zukommen, obwohl eine Gesundheitsgefahr noch gar nicht nachgewiesen werden konnte.

Wenn es weitere gesetzliche Auflagen geben soll, dann wäre es sinnvoller, zunächst einheitliche, möglichst EU-weit geltende Kriterien festzulegen und vor allem zunächst, wie es das zuständige Ministerium bereits in die Wege geleitet hat, Inhaltsstoffe zu prüfen. Weiterhin sollte es selbstverständlich sein, dass ein ausgedienter Reitboden vor der Entsorgung zuerst auf seine Inhaltsstoffe hin überprüft und im Anschluss der geeigneten Entsorgung zugeführt wird.

So herum sollte man das Pferd aufsatteln, um im Sinne des Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes und auch der Wirtschaft zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.

Ansonsten kann ich am Ende nur sagen: Passen Sie auf, liebe Kollegen der Grünen, dass Sie Ihrem Namen als Verbotspartei nicht wieder einmal alle zweifelhafte Ehre machen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

In jedem Reiter einen vermeintlichen Umweltfrevler oder gar einen illegalen Müllentsorger zu sehen, entspricht jedenfalls nicht der Sichtweise der CDU in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmann. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Spanier-Oppermann.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag – das haben Sie vorhin schon gehört – ist im umgekehrten Verfahren behandelt worden. Das gab uns im Ausschuss eine gute Möglichkeit, uns dem Thema noch einmal intensiv zu widmen.

Wir hatten ein Expertengespräch im Juni, das für uns alle – das kann man auch nachlesen anhand der vielen Fragen von fast allen Fraktionen – sehr aufschlussreich war. Es hat aber auch deutlich gezeigt, dass das Thema durchaus Beachtung verdient. Allein dass im Grunde genommen nicht genau gesagt werden konnte, wie viele Reitböden es in NRW gibt, macht doch nachdenklich und aufmerksam.

Vor der Diskussion im Ausschuss und mit den Experten haben sich sicherlich neben meiner Person auch andere Kolleginnen und Kollegen intensiv mit der Reiterszene beschäftigt, haben Gespräche geführt, sind vor Ort bei den Reitervereinen gewesen. Die erste Reaktion – das konnte man auch ein bisschen unterschwellig in der Rede hören – war tatsächlich: Habt ihr eigentlich nichts anderes zu tun? Das Thema war nicht unbedingt auf dem Schirm.

Aber je intensiver man in dieses Thema eintauchte, desto deutlicher wurden zwei Punkte, zum einen, das Thema der Reitbödenzusammensetzung ist durchaus nicht unumstritten, und zum anderen, die Nutzerinnen und Nutzer, also die Reiterinnen und Reiter – wir haben gerade gehört, NRW ist ein Reiterland –, wissen in der Regel gar nicht genau, was in den Böden ist. Und das liegt unter anderem auch daran, dass es keine Kennzeichnungspflicht für bestimmte Bestandteile gibt.

Der Verkäufer kann also im Vorfeld alles Mögliche in den Boden mischen, um diesen entsprechend der Wünsche der Kunden zu gestalten. Wenn dann nach der durchschnittlichen Nutzungszeit von ca. 20 Jahren der Boden erneuert werden muss, kommt die Frage auf, wie dieser denn entsorgt wird.

Es gibt in Deutschland – das haben wir gerade gehört – geregelte Abfallgesetze, die exakt darstellen, wie welche Abfälle entsorgt werden müssen. Problematisch wird es allerdings dann, wenn man gar nicht so genau weiß, was man da entsorgen muss.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: So ist das!)

Um das herauszufinden, muss bisher der Besitzer oder die Besitzerin des Bodens eine eigenständige Analyse des Bodens beauftragen.

Mit einer entsprechenden Infopflicht des Verkäufers würde das schon einmal entfallen. Vor allem weiß der Bodenbesitzer, wie er den Boden entsorgen muss. Reitböden können nämlich nicht einfach irgendwo auf dem nächsten Feld aufgebracht werden. Sie müssen korrekt entsorgt werden, und sollte dies aufgrund der nicht bekannten Zusammensetzung nicht der Fall sein, haftet der Reitbodenbesitzer und nicht der Verkäufer, der den Boden zusammengemischt haben mag. Das sollte auch hier jedem klar sein und muss auch in der Deutlichkeit gesagt werden.

Jetzt ist der abfallwirtschaftliche Part das eine. Das andere sind aber die Feinstäube, die in der Reithalle entstehen. Dass es diese gibt, ist wissenschaftlich längst nachgewiesen. Welche Auswirkungen diese Stäube auf Tier und den Menschen haben, ist leider bisher zu wenig erforscht. Dass aber auch hier die Zusammensetzung der Böden von Interesse sein dürfte, finde ich mehr als nachvollziehbar, und es ist im Sinne der Reiterinnen und Reiter, die zum Teil Kinder und Jugendliche sind.

Schade, dass sich die Kollegen von CDU und FDP im Ausschuss nicht dazu durchringen konnten, dem Antrag der Grünen zuzustimmen und für Klarheit bei der Kennzeichnungs- und Rücknahmepflicht von Reitböden zu sorgen.

Es geht hier nämlich nicht um irgendwelche Verbote, wie das vorhin dargestellt wurde, sondern lediglich darum, dem Verbraucher deutlich zu zeigen und ihn darüber zu informieren, was in dem Produkt, das er kauft, enthalten ist, um somit die Rücknahmepflicht klar zu regeln. Das sollte eigentlich in unser aller Interesse sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Selbstverständlich wird meine Fraktion diesem Antrag zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Spanier-Oppermann. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag*) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über einen Antrag der grünen Fraktion ab, der sich mit einem vermeintlichen Problem der Zusammensetzung von Reitböden, genauer um Zuschlagstoffe in Reitböden beschäftigt.

An Reitböden werden hohe Anforderungen gestellt aufgrund der Beanspruchung, aber auch aufgrund der Leistungen der Pferde, bei denen gute Reitböden mit Zuschlagstoffen unterstützend und schützend nötig sind. So ist zum Beispiel Spitzensport auf reinen Sandböden nicht möglich. Das wäre zu gefährlich für Reiter und Pferd. Also müssen Zusatzstoffe eingebunden werden, die die Sprungfähigkeit der Pferde und die Strapazierfähigkeit der Böden sichern.

Der zu beratende Antrag hat zu Irritationen und Ängsten bei den betroffenen Reitervereinen und Reitern geführt. Die gesamte Reiterszene wurde verunsichert, was der Thematik nicht gerecht wird. Aber diese Verunsicherung können wir den Reitern nehmen. Denn was hat die Anhörung ergeben? – Zunächst einmal haben wir Einschätzungen und Behauptungen zu den in Ihrem Antrag genannten möglichen Gefahren erhalten, die allerdings alle ohne entsprechende Datenbasis auskommen mussten.

Die in dem Antrag herbeigeschworene Gefährlichkeit der aktuellen Zusammensetzung von Reitböden konnte in der Anhörung von keinem Referenten belegt werden. Gesundheitsgefahren und Umweltauswirkungen, die in dem Antrag in den Raum gestellt wurden, konnten auch in der Anhörung nicht mit Fakten belegt werden. Ich vermute, das Ergebnis dieser Anhörung haben Sie schon bei der Antragstellung geahnt. Anders kann ich mir nicht erklären, warum in Ihrem Antrag Formulierungen zu finden sind wie „vermutlich“ oder „im Falle wenn“.

Aber – und das ist das einzig Gute an Ihrem Antrag – die Anhörung hat zumindest aufseiten der NRW-Koalition zu einer Versachlichung und Veranschaulichung der Thematik geführt. Denn wir konnten in der Anhörung anhand von praktischen Beispielen vonseiten der Hersteller und Entsorger wertvolle Hinweise erhalten, wie zurzeit mit den Reitböden umgegangen wird.

So sind die Hersteller natürlich jetzt schon für die Zusammensetzung verantwortlich und sollten daher wissen, was und woher das Material kommt. Ich nenne einfach mal das Stichwort Herstellerhaftung. Hersteller nehmen schon heute ausgediente Reitböden zurück, bereiten diese auf und sorgen für eine ordnungsgemäße Entsorgung. Allein schon aus diesem Grund sind sie gut beraten und haben ein ureigenes Interesse daran, nur schadlose Stoffe einzusetzen.

Aber auch der Besteller, also der Reitbodenbetreiber, hat eine Verantwortung, nämlich auf zertifizierte Reitböden oder andere Nachweise beim Kauf zu achten.

Die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Entsorgung liegen vor. Sie müssen – das ist wahrlich der Knackpunkt – allerdings konsequent angewendet und überprüft werden. Hiernach richtet sich selbstverständlich auch die Entsorgung ausgedienter Reitböden.

Es ist sicherlich wichtig, dass wir wissen, um welche Zuschlagstoffe es sich in den Reitböden handelt. Insofern gehen wir als Land hier gerne voran und untersuchen exemplarisch unsere landeseigenen Reitböden. Es ist aber nicht sinnvoll, als Bundesland eigene Wege zu gehen. Daher wird die Thematik in der Landesarbeitsgemeinschaft besprochen werden. Die im Antrag geforderten Schritte sind hierfür ungeeignet, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, mit dem Thema „Reitböden“ haben wir ein Thema aufgegriffen, das auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkt. Aber wenn man sich ein bisschen länger damit beschäftigt, dann stellt man fest, dass da doch einiges drinsteckt.

Genauso erging es mir, als ich die Diskussion mit den Reiterinnen und Reitern und den Verbänden geführt habe, die auch erst ein bisschen skeptisch waren. Dann haben sie aber sehr wohl bemerkt, dass da ein Problem besteht, das die Politik thematisieren sollte. Das ist unser Job, und das haben wir mit diesem Antrag auch gemacht.

Wenn nicht Nordrhein-Westfalen, wer soll sich sonst mit dem Thema beschäftigen? In Warendorf haben wir das Zentrum des deutschen Reitsports. Es gibt dort nächsten Sonntag eine Hengstparade; wir hatten vor zwei Wochen dort das Bundeschampionat. Wir sind prädestiniert, das Thema hier im Landtag zu diskutieren.

Man kann nicht immer so tun, als wäre im Reitsport alles heile Welt. Wenn es ein Problem gibt, dann müssen wir es angehen.

Bei dem Thema fällt auf, dass man in der Tat nicht viele Sachinformationen abrufen kann.

Herr Terhaag, Sie haben mit Blick auf die Anhörung von „den Herstellern“ – Plural – geredet. Der Hersteller, den wir dort hatten, war durchaus ein guter Hersteller, der gut darstellen konnte, wie er das macht. Er hat eine Rücknahme versprochen. Das macht längst nicht jeder Hersteller. Aber selbst dieser Hersteller ist nicht in der Lage, ein Sicherheitsdatenblatt für seine Vliesschnitzel beizufügen.

In dem Brief, den ich von Ihnen, Frau Ministerin, heute bekommen habe, nennen Sie ein Beispiel für einen Hersteller eines Vliesstoffes, bei dem die Schnitzel genau für die Verwendung in Reitböden ausgezeichnet sind. So wollen wir das haben. Das wollen wir bei allen Zuschlagstoffen so haben. Ich glaube, wenn wir in diese Richtung kommen, dann hat der Antrag seine Funktion ausgeübt.

Frau Winkelmann, ich kann Ihre Einlassungen überhaupt nicht verstehen. Dieser Antrag zielt darauf ab, Information zu ermöglichen. Das ist der Punkt. Es ist sicherlich richtig, wenn man von den Herstellern eine Verpflichtung einfordert, dass sie die in die Böden eingebrachten Stoffe klar definieren. Das ist das Mindeste, was wir von Herstellerseite verlangen können.

Zu den Gesundheitsgefahren für Mensch und Tier steht in dem Antrag – Herr Terhaag, das ist richtig – eine Vermutung. Aber diese Frage muss man aufwerfen dürfen, und die Frage ist auch noch nicht ausdiskutiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Frage habe ich mit den Reiterinnen und Reitern diskutiert. Es gibt unterschiedliche Meinungen, wie sich denn diese Böden auf die Pferde auswirken, ob die wirklich so gut sind. Es gibt das Argument, dass diese Böden Spitzensport erst möglich machen, weil sich das Tempo sonst nicht darstellen lässt.

Aber es bleibt die Frage, was mit den Gelenken passiert, wenn in so einem hohen Tempo geritten wird. Was bedeutet das für die Pferde? Ist das denn gut, was wir da machen?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sprechen Sie doch mit den Pferden!)

Können die Fesselgelenke der Pferde diese Beanspruchungen aushalten? Darüber werden wir weiter forschen müssen, ob die Böden für die Pferde wirklich gut sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben hier ein interessantes Phänomen, das wir morgen an anderer Stelle noch einmal diskutieren werden. Irgendjemand ist auf die pfiffige Idee gekommen, bestimmte Stoffe in einen Reitboden einzubringen, damit diese besser werden. Früher hat man das mit Holzhackschnitzeln gemacht. Irgendwer hat sich überlegt, Glas, Kabelreste, Plastikreste auszuprobieren. Dann waren die Vliesstoffe en vogue.

Man hat immer geguckt, wie man eine optimale Reiteigenschaft hinbekommt, aber nie begleitend überlegt, welche negativen Auswirkungen das hat. Hier müssen wir ein Stück weiter kommen. Wenn man etwas Neues ausprobiert wird, dann muss man begleitend die Produkteigenschaften genau überprüfen und dies auch einfordern, damit davon keine Gesundheitsgefahr ausgehen kann.

Ich habe die Debatte insgesamt so erlebt, dass die Reiterinnen und Reiter in Nordrhein-Westfalen für diesen Antrag sehr wohl dankbar waren und ihn gut fanden. Ich bin mit der Anhörung und auch mit den Ausführungen seitens der Ministerin sehr zufrieden.

Sie, Frau Ministerin, haben zu dem Antrag eine gewisse Unterstützung signalisiert. Ich fände eine deutschlandweite Lösung optimal. Es wäre gut, wenn Sie zusammen mit Niedersachsen – auch ein wichtiges Pferdesportland – initiativ tätig würden, damit wir das Problem lösen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Norwich Rüße (GRÜNE): Aber gerade weil das Ministerium dem Antrag weitgehend gefolgt ist, verstehe ich nicht, dass CDU und FDP diesem Antrag hier heute nicht folgen können. Über diesen Schatten hätten Sie doch einmal springen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu später Stunde: Der vorliegende Antrag der Grünen ist typische Symbolpolitik.

Aus ökoideologischen Gründen haben Sie nun auch den Kunststoffen den totalen Krieg erklärt. Kunststoffe, so Ihre naive Logik, sind das Böse schlechthin und müssen verboten werden, es sei denn natürlich, Ihr Veggie Sandwich to go ist darin eingepackt.

Deshalb verteufeln Sie heute die Zuschlagstoffe in Reitböden. Die Zuschlagstoffe seien eine Gesundheitsgefahr für die Pferde, und ihre sachgemäße Entsorgung sei ein Problem.

Eben wurde davon gesprochen, dass solche Stoffe als Sondermüll auf landwirtschaftlichen Flächen entsorgt werden könnten. Die einzige Lösung sei die Rückkehr zu reinen Sandböden.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wer hat das denn gesagt?)

Herr Rüße, die Anhörung hat gezeigt: Nichts von dem ist wahr. Nichts entspricht der Wirklichkeit. Bleiben wir also bei den Fakten.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ja! – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Es ist kein Geheimnis: Es gibt verschiedene Reitböden mit Zuschlagstoffen. Diese werden aber von den Herstellern bewusst als solche beworben. Denn die Zuschlagstoffe bieten eine Reihe von Vorteilen. Die haben Sie völlig unterschlagen.

Sie werden aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften auch dort verwendet, wo unglaubliche Geschwindigkeiten erreicht und Kräfte freigesetzt werden – im Spitzensport.

Zuschlagstoffe fördern die Wasserdurchlässigkeit und bieten Schutz vor Frost. Außerdem erhöhen sie die Schlagfestigkeit des Bodens und schonen damit die Gelenke der Pferde beim Auftreten. Sehr schnell kann ein Bocksprung schiefgehen oder das Gelenk seine Belastungsgrenze überschreiten. Das Reitunglück kann dann schwere Folgen haben. Arthritis kann bei Pferden zum Verlust von Lebensjahren führen.

Wir können nur darüber spekulieren, wie viele Pferde auf Reitböden mit Zuschlagstoffen von einer vorzeitigen Schlachtung verschont geblieben sind.

Die erfahrene Springreiter René Tebbel berichtet von einer großen Unzufriedenheit der Springreiter mit den Reitböden. Es ist somit völlig paradox, dem Reitboden nun noch die Zuschlagstoffe zu entziehen, die seine Beschaffenheit verbessern.

Meine Damen und Herren, Sie befinden sich wie so oft wieder einmal auf einem linksideologischen Holzweg.

Herr Rüße, es ist doch viel zu einfach, sich nur auf vermeintliche Atemwegbeschwerden durch aufgewirbelten Staub zu konzentrieren und dabei die Gelenkentzündungen bei den Pferden komplett außen vor zu lassen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie haben mir überhaupt nicht zugehört!)

Sich dann aber noch Sorgen über die Qualität von Pferdefleisch zu machen, wenn Pferde zu Lebzeiten aufgewirbelten Staub eingeatmet haben, zeigt nur, wie wenig Sie wirklich am Wohl der Pferde interessiert sind.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Steht das in dem Antrag?)

Die angeblich ungeklärte Entsorgung von Reitböden mit Zuschlagstoffen ist an den Rastalocken herbeigezogen. Die Pflicht zur Entsorgung obliegt letztendlich dem, der den Reitboden hat aufbringen lassen. Im Zweifel kann der Hersteller Auskunft geben, aber grundsätzlich wird vor der Entsorgung geprüft, um welchen Abfall es sich handelt.

Die Grünen verlieren auch kein Wort über die Möglichkeit der Reitplatzbesitzer, zwar reinen Sand zu kaufen, diesen aber später eigenhändig mit Zuschlagstoffen zu versetzen. Immer nur mit dem Finger auf Hersteller und Entsorger zu zeigen und immer allein diese beiden in die Pflicht zu nehmen, ist ganz billiger grüner Populismus.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die Anhörung war eindeutig: Kein Sachverständiger konnte darlegen, dass durch das Einatmen von aufgewirbeltem Reitboden eine grundlegende Gefahr für die Pferde existiert – niemand.

Wir lehnen den Antrag natürlich ab. Jetzt freue ich mich darauf, dass Frau Heinen-Esser Ihren Antrag verteidigen wird. – Danke schön.

(Beifall von der AfD – Lachen von Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Heinen-Esser.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dann fange ich doch mal ganz anders an.

Das Landgestüt in Warendorf ist schon erwähnt worden. Ich lade Sie noch mal ganz herzlich – wir haben es ja, glaube ich, auch schon getan – zur Hengstparade am nächsten Samstag ein.

Das ist nämlich ein wirklich wunderbares Ereignis, wo man tolle Tiere und tolle Reiter sehen, eine tolle Stimmung erleben und vielleicht auch das, was Bianca Winkelmann gesagt hat, erleben kann, nämlich was die Reiterei tatsächlich bedeutet. Sie sind also herzlich eingeladen, nach Warendorf zu kommen.

Meine Damen und Herren, ich teile in der Tat grundsätzlich die Einschätzung, dass im Zusammenhang mit dem Einsatz von synthetischen Materialien als Reitbodenbelag durchaus Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren und die Umwelt verbunden sein können.

Allerdings fehlen uns – das muss man sagen – für eine tatsächliche Bewertung des Sachverhalts zurzeit noch verlässliche Informationen. Das betrifft sowohl Informationen zu den vorhandenen schädlichen Inhaltsstoffen, zur Belastung der Umwelt mit Kunststoffen und zur ordnungsgemäßen Entsorgung. Das wurde ja auch in der Sachverständigenanhörung bestätigt.

Was machen wir im Moment ganz konkret? – Das Landgestüt – ich hatte bereits im Ausschuss darüber berichtet –, von ihm ich eben schon gesprochen habe, hat gerade einen neuen Reitboden bekommen. Wir lassen diesen Boden zurzeit durch das LANUV untersuchen, um uns mal genau darüber klar zu werden, welche Inhaltsstoffe da tatsächlich verwendet wurden, um dann eine entsprechende Abschätzung an unserem eigenen Boden vornehmen zu können. Die Ergebnisse – das hatte ich Ihnen im Ausschuss mitgeteilt – erwarten wir im Oktober.

Wir werden aber schon in der nächsten Woche ein Fachgespräch in meinem Haus durchführen, mit dem wir erreichen wollen, dass es spezifische Anforderungen an die synthetischen Materialien geben wird, die in den Reitböden eingesetzt werden.

Diese Festlegung sollten wir möglichst zügig treffen. Das könnte auf der Grundlage der von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau im Jahr 2014 veröffentlichten Reitplatzempfehlungen geschehen oder aber – und dazu tendiere ich – in einem Merkblatt des Umweltministeriums.

In den bisherigen Reitplatzempfehlungen – das wissen Sie alle – wird nur sehr oberflächlich auf das Thema und auf den Einsatz von Kunststoffen in Reitböden eingegangen.

Wir müssen in der Tat auch eine Lösung für die ordnungsgemäße Entsorgung der mit Kunststoffen verunreinigten Reitböden finden. Hier sehe ich die Hersteller der synthetischen Zusatzmaterialien, die Reitplatzbauer, aber auch – das muss ich deutlich sagen, und da unterscheide ich mich vielleicht ein Stück weit von meinen Vorrednern – die Betreiber der Reitplätze in der Verantwortung. Es sind schon alle mit im Boot, wenn sie das machen.

Wir werden nach dem Fachgespräch die Informationen auswerten und ein Merkblatt erarbeiten. Zu den betroffenen Akteuren, mit denen wir sprechen, gehören die Umweltbehörden, die Hersteller der Vlieshäcksel, die Reitplatzbauer und insbesondere die Reitsportverbände.

Zunächst erstellen wir keinen separaten Kriterienkatalog für die Zuschlagstoffe, da wir glauben, dass wir das mit dem Merkblatt abarbeiten können.

Ein Thema, das noch offenbleibt, ist die Informationspflicht der Hersteller gegenüber den Reitbetrieben. Da müssen wir schauen, wie wir das machen und ob das wirklich sinnvoll ist. Es bleibt abzuwarten, was wir herausfinden. Wenn wir Untersuchungen und Analysen durchgeführt haben, werden wir dazu Stellung nehmen.

Ich muss aber darauf aufmerksam machen, dass nach dem deutschen Recht derjenige, der eine Ware oder ein Produkt in Verkehr bringt, auch dafür haftet. Das ist ein Punkt, den wir immer ganz schnell vergessen. Jeder ruft danach, dass der Staat das regelt. Aber wir haben auch eine klare Haftung der Hersteller, die entsprechende Stoffe und Produkte in den Markt bringen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, auch wenn wir jetzt noch nicht in allen Punkten befriedigende Antworten geben können. Ich finde die Diskussion, die wir führen, wichtig. Wir haben sie sehr gut im Ausschuss geführt.

Ich werde Sie beizeiten im Oktober über das weitere Vorgehen unterrichten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielleicht sehen wir uns ja am Samstag.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz empfiehlt in Drucksache 17/7381, den Antrag Drucksache 17/4793 abzulehnen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der Grünen und die Fraktion der SPD. Wer lehnt den Antrag ab? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und AfD. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/4793 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

9   Medizinische Notfallversorgung bedarf keiner staatlichen Regulierung – Kompetenzen bei den Kammern belassen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/7358

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Herr Dr. Vincentz das Wort.

(Unruhe)

Dr. Martin Vincentz (AfD): Jetzt ist langsam wieder ein bisschen Ruhe eingekehrt. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin mit einem Zitat beginnen:

„Deutschland verfügt über eines der europaweit vorbildlichsten Rettungsdienstsysteme, um das uns sogar viele beneiden.“

So sagten die Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes und der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, Hartmut Ziebs und Dirk Aschenbrenner, in einem Interview am Rande des diesjährigen DFV-Bundesfachkongresses in Berlin.

Und weiter:

„Dieses gut eingespielte Modell in Frage zu stellen, wäre so für die Sicherheit der Bevölkerung nicht vertretbar.“

Und weiter:

„Sollte der Gesetzentwurf so, wie er jetzt ist, in die Wirklichkeit umgesetzt werden, wäre unser Rettungsdienst in Gefahr.“

So lautet das Fazit der Herren Ziebs und Aschenbrenner.

Auch Andreas Gassen und Stephan Hofmeister, Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, äußerten sich unlängst scharf gegen die angestrebte Reform des Systems.

Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich Herrn Hofmeister:

„Ein dritter Versorgungssektor ist nicht sinnhaft, weil es keinen dritten Patienten gibt. Notfallpatienten werden entweder ambulant weiterbehandelt, oder sie müssen aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung im Krankenhaus versorgt werden.“

Herr Gassen sagte, dieser Vorschlag – gemeint ist weiter der Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit –

„gefährde den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit seinen gewachsenen und teils neu aufgebauten regionalen Strukturen, wie zum Beispiel Portalpraxen an Krankenhäusern, Partnerpraxen oder Fahrdiensten.“

Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist die Einschätzung der Fachleute zu dem Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Notfallversorgung.

Nachdem ich die Rede geschrieben hatte, sind noch weitere dazugekommen, unter anderem ein Artikel von heute, in dem sich unter anderem der Deutsche Landkreistag ebenfalls dagegen ausspricht, den Rettungsdienst in dieser Art und Weise, wie es das Bundesministerium für Gesundheit fordert, umzubauen.

In der Zwischenzeit ist auch die SPD auf den Trichter gekommen, beispielsweise die Bundestagsfraktion der SPD. Ihr Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat den Vorschlag der CDU ebenfalls kritisiert.

Ich könnte diese Liste noch weiterführen. Auch der Präsident der Bundesärztekammer sieht diesen Vorschlag kritisch.

Dabei steht völlig außer Frage, dass das derzeit gut funktionierende System langsam an seine Belastungsgrenzen kommt und durchaus reformiert werden sollte und muss. Übervolle Krankenhausnotaufnahmen, auch mit Patienten, die mit Bagatellen nachts den Arzt aufsuchen, oder eine prekäre Situation im ärztlichen Bereitschaftsdienst, insbesondere in ländlichen Regionen, sind heute schon Fakt.

Aber der hier gewählte Ansatz, die Versorgungsstrukturen nun nach jahrzehntelanger Erfahrung, gewachsenen Strukturen und traditioneller Stärke in diesem Sektor einfach dem Staat zu übertragen und alles das, was gut war, zu zerschlagen, kann allenfalls als kurzsichtiger Schnellschuss gewertet werden. Kommt es zu einem Splitting des Sicherstellungsauftrages, verschlechtert das die medizinische Versorgung.

Es braucht Krankenhäuser, die entsprechend ausgestattet und finanziert sind. Es braucht einen ambulanten Sektor, der die nötige Unterstützung und Rückendeckung der Politik erhält. Was man nicht braucht, ist ein dritter Sektor dazwischen.

Sie haben es an dieser Stelle in der Hand. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Stimmen Sie den vielen Experten zu, die sich dafür einsetzen, dieses Reformvorhaben aus der Bundespolitik eben nicht zu unterstützen. Den KVen der Länder den Sicherstellungsauftrag zu entziehen und ihn der Politik zu übertragen: Das ist nicht die freiheitliche Politik, für die zumindest die bürgerlichen Parteien in diesem Haus stehen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Vincentz. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Preuß das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Vincentz, die Position, die Sie hier vortragen, auch wenn Sie andere zitieren, ist eine Position von gestern. Sie wollen doch im Prinzip, dass alles so bleibt, wie es ist – oder, besser gesagt, wie es war. Das ergibt sich eindeutig aus Ziffer III.1 Ihres Antrags.

Dabei ist völlig unstrittig, dass die Notfallversorgung reformbedürftig ist. Der von den Kassenärztlichen Vereinigungen organisierte ärztliche Bereitschaftsdienst mag im Sinne des Sicherstellungsauftrags richtig sein, funktioniert aber im Endeffekt nicht, weil die Patientinnen und Patienten mit den Füßen abstimmen. Das können Sie auch nicht mit Sicherstellungszuschlägen verhindern, wie sie sich aus Ziffer III.2 Ihres Antrags ergeben.

Für die Patientinnen und Patienten ist das Notfallsystem, das aus drei Säulen besteht, nämlich den ärztlichen Bereitschaftsdiensten der Kassenärztlichen Vereinigungen, den Notfallaufnahmen der Krankenhäuser und den Rettungsdiensten der Länder, nicht durchschaubar.

Häufig wissen die Menschen nicht, ob sie überhaupt ein Notfall sind. Manchmal meinen sie, sie wären ein Notfall. Sie wissen auch nicht, an wen sie sich wenden müssen. Sie wissen nur: Da gibt es die Nummer 112; da kannst du anrufen.

Außerhalb der regulären Sprechstunden suchen Patienten mit leichten Krankheitssymptomen daher nach dem Motto „Sicher ist sicher“ lieber direkt ein Krankenhaus auf, statt sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu wenden. Gegebenenfalls rufen sie über die 112 den Notarzt an, obwohl es gar nicht erforderlich wäre.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Preuß, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Herr Abgeordneter Dr. Vincentz möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Peter Preuß (CDU): Jawohl.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Preuß, dass Sie die Frage zulassen.

Konterkarieren Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, mit der Forderung dieses dritten Sektors nicht die gerade angestoßenen Bemühungen zur Nummer 116117 und die weiteren Bemühungen, auch eine gemeinsame Informationsstelle aufzubauen, von der die Patienten dann an die richtige Stelle vermittelt werden? Im Prinzip haben auch die Ärztekammern und damit die Bundesärzteschaft dafür geworben. Jetzt sagen Sie aber: Das wird alles wieder eingestampft; die Gelder, die wir in dieser Richtung investiert haben, benötigen wir nicht; wir schaffen jetzt den dritten Sektor.

Peter Preuß (CDU): Das habe ich ja nicht gesagt. Denn ich habe zunächst einmal die Situation beschrieben, wie Sie das in Ihrem Antrag im Grunde genommen auch gemacht haben, dass genau dieses Feld, das aus drei Bereichen besteht – ärztliche Bereitschaftsdienste, Notfallaufnahmen und Rettungsdienste –, reformiert werden muss.

Jetzt sind Sie meiner weiteren Rede zuvorgekommen. Auf die Nummer 116117 komme ich noch zu sprechen. Aber das heißt natürlich nicht, dass es bei dem alten System mit dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben soll.

Es gibt das Modellprojekt, das in Ostwestfalen-Lippe, also in Nordrhein-Westfalen, gelaufen ist. Dieses Modellprojekt ist erfolgreich abgeschlossen, wenn ich das so sagen darf. Es muss jetzt nur flächendeckend in Nordrhein-Westfalen implementiert werden.

Nun sagt Jens Spahn: Das ist eine gute Idee; wir wollen das jetzt bundesweit etablieren. – An dieser Stelle stehen wir im Augenblick. Aber ich schaue natürlich auf Nordrhein-Westfalen und darauf, was hier zu tun ist.

Jetzt will ich nur noch einmal beschreiben, was die Folgen des bisherigen Systems sind, an dem Sie offensichtlich festhalten wollen: Überfüllte Notaufnahmen der Krankenhäuser führen zu langen Wartezeiten. Hohe Kosten entstehen für die Krankenhäuser, werden aber nicht bezahlt. Wertvolle Ressourcen der Krankenhäuser, die eigentlich Notfallpatienten zukommen müssen, werden blockiert. – Selbstverständlich kann das nicht so weitergehen.

Die Gespräche, die Sie in Ziffer III.3 Ihres Antrags einfordern, sind ja längst geführt worden. Diese Gespräche sind doch gelaufen, und der Reformbedarf ist am Ende anerkannt.

Im Zentrum der Reform, die Jens Spahn angestoßen hat, stehen drei Vorhaben. Die Notfallleitstellen, die unter den Telefonnummern 112 und 116117 rund um die Uhr erreichbar sind, sollen eine Lotsenfunktion einnehmen. Das heißt: Man kann sich dahin wenden und wird dann an die Stelle weitergeleitet, die sinnvollerweise die Behandlung durchzuführen hat. Das kann eine ambulante Behandlung sein; das kann aber auch die stationäre Aufnahme sein.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhäuser sollen gemeinsam – und das ist das Entscheidende: gemeinsam – integrierte Notfallzentren einrichten und betreiben. Das heißt: Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind da nicht außen vor, sondern werden in diesem System auch benötigt.

Der Rettungsdienst soll im SGB V als eigenständiger Leistungsbereich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Es geht hier also um Planung, Finanzierung und Leistungserbringung.

Die in Nordrhein-Westfalen von den KVen in Krankenhäusern betriebenen Portalpraxen – das ist dieses Modellprojekt – können im Grunde als eine Vorwegnahme der geplanten integrierten Notfallzentren angesehen werden.

Genau das hat Jens Spahn in einem Arbeitsentwurf – es geht noch nicht einmal um einen Gesetzentwurf; es liegt noch nicht einmal ein Referentenentwurf vor – aufgenommen. Es wird zurzeit mit den Ländern diskutiert. Die genaue rechtliche Ausgestaltung ist noch Gegenstand der Diskussion.

Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen, meine Damen und Herren: Wir wollen die bestmögliche medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten auch im Bereich der Notfalldienste. Eine Positionierung nach dem Motto „Es bleibt, wie es ist“ kommt für uns nicht infrage.

Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Preuß. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Kollege Yüksel das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Serdar Yüksel*) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Preuß, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass ein Arbeitsentwurf zur Reform der Notfallversorgung an die Bundesländer verschickt worden ist. Dieser Entwurf sieht im Wesentlichen drei wichtige Änderungen vor. Meine Vorredner haben bereits einige Punkte erwähnt. Aber ich möchte noch einmal im Zusammenhang mit dem AfD-Antrag auf diese Punkte eingehen.

An erster Stelle steht bei der Reform die Einrichtung einer gemeinsamen Notfallleitstelle, die unter den Rufnummern 112 und 116117 erreichbar sein soll. Die Notfallleitstelle soll die Verteilung der Patienten in medizinischen Notsituationen besser regulieren und koordinieren. Das ist auch bitter nötig. Dabei soll die Möglichkeit geschaffen werden, Patienten nicht mehr nur mittels des Rettungsdienstes zu helfen, sondern sie auch in weniger akuten Fällen an eine Arztpraxis oder an ein neues integriertes Notfallzentrum zu vermitteln.

Das führt mich zum zweiten Punkt der Reform, der Installation von integrierten Notfallzentren in den jeweiligen Ländern. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser erhalten den Auftrag, integrierte Notfallzentren einzurichten und zu betreiben. Zweifelsohne brauchen wir – Herr Preuß hat es gerade gesagt – diese Anlaufstellen. Die Synergieeffekte, die dadurch entstehen sollen, sind auch bitter notwendig.

Dabei können die Länder über die jeweiligen Notfallversorgungspläne festlegen, welche Krankenhäuser für die Bildung solcher Zentren infrage kommen bzw. damit beauftragt werden. An dieser Stelle kommen wir als Land Nordrhein-Westfalen ins Spiel; denn über die jeweilige Notfallversorgungsplanung kann das Land entscheiden, an welchen Stellen die medizinische Notfallversorgung angeboten wird. Damit entsteht die Möglichkeit, die Notfallversorgung sicherzustellen und es nicht den wirtschaftlichen Gewinninteressen zu überlassen, wo die jeweiligen Standorte geplant werden.

Ein dritter wichtiger Punkt ist die Festlegung des Rettungsdienstes als eigenständigem Leistungsbereich im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dieser Regelung kommt der Bund im Übrigen auch einer langjährigen Forderung der Länder nach.

Bisher konnte eine Notfallbehandlung der Rettungsdienste nämlich nur abgerechnet werden, wenn der Patient im Anschluss an die Behandlung vor Ort ins Krankenhaus gefahren wurde. Das führte zu den sogenannten Leerfahrten, bei denen Patienten ins Krankenhaus transportiert wurden, auch wenn es medizinisch nicht zwingend notwendig war. Mit den Neuerungen wird der Rettungsdienst zum eigenständigen Leistungsbereich mit eigenständigen Abrechnungen, sodass unnötige Leerfahrten vermieden und Ressourcen geschont werden können.

Wir sehen gerade an diesem letzten Punkt, dass eine Reform der Notfallversorgung dringend notwendig ist. Dem schließt sich die AfD in ihrem Antrag ja auch an.

Es geht jedoch nicht darum, wie es im Antrag der AfD weiter heißt, den Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag für den Bereitschaftsdienst zu entziehen, sondern darum, durch die vernünftige Verwendung von Ressourcen Kapazitäten zu erhöhen, indem man die Patientennachfrage durch zentrierte Anlauf- und Kompetenzstellen reguliert. Hierfür ist es in der Tat notwendig, dass dieser Prozess staatlich unterstützt wird, um einerseits eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten und andererseits handelnde Akteure zusammenzubringen, damit die Patienten dort landen, wo sie am besten und am passendsten versorgt werden können.

Von den 20 Millionen Patienten, die jährlich in die Notaufnahmen der Krankenhäuser kommen, geben – schauen Sie sich bitte die Hamburger PiNo-Studie dazu an – 26 % an, auf Anraten von anderen in die Notaufnahme gegangen zu sein. Weitere 27 % betonen, dass ihr Besuch in der Notaufnahme mit den Umständen der hausärztlichen Verfügbarkeit – man könnte auch sagen: Nichtverfügbarkeit – zusammenhängt.

Herr Dr. Vincentz, Sie haben gerade zitiert, dass es in der Ärzteschaft Kritik in diesem Punkt gibt. Ich möchte darauf hinweisen, dass durchaus auch eine andere Sicht der Dinge existiert. Hier darf ich mit Erlaubnis der Präsidentin den Präsidenten der Bundesärztekammer, Herrn Klaus Reinhardt, aus dem „Ärzteblatt“ vom 22. Juli 2019 zitieren:

„Die neuen Vorschläge, so auch die geplante Einrichtung von gemeinsamen Notfallleitstellen oder die Reorganisation des Rettungsdienstes, bieten grundsätzlich eine gute Grundlage für den weiteren Dialog.“

Wir werden uns fachlich mit dieser Frage im Ausschuss noch weiter auseinanderzusetzen haben. Wichtig ist aber: Wenn die Ressourcen knapp werden und mit diesem Gesetz Synergien gehoben werden müssen, halte ich es für vernünftig, dass wir auch neue Wege gehen, um die Patientensicherheit und die Patientenversorgung im Land Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yüksel. – Als nächste Rednerin hat für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Susanne Schneider*) (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle kennen die Schlagzeilen wie „Notfall Notaufnahme“ aus der „WAZ“ von Ende Juli dieses Jahres. Die Notfallambulanzen der Krankenhäuser sind überlastet, weil viele Menschen dort die erste Anlaufstelle sehen, wenn sie außerhalb der Sprechstundenzeiten ihres Hausarztes Beschwerden haben, oder weil sie vermuten, dort trotz oft langer Wartezeiten eine kompetente Behandlung zu erhalten.

Für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung ist ein rund um die Uhr funktionierender Notdienst unverzichtbar. Unsere Kassenärztlichen Vereinigungen organisieren deshalb außerhalb der üblichen Sprechzeiten einen sogenannten ärztlichen Notdienst, der vorrangig für die Erkrankungen gedacht ist, deren Behandlung zwar nicht bis zum nächsten Werktag warten kann, die aber nicht so akut sind, dass sie einen Besuch in einer Notaufnahme rechtfertigen oder gar die Benachrichtigung des Rettungsdienstes notwendig machen.

Dieser ärztliche Notdienst ist allerdings vielen Menschen – im Gegensatz zu den Notfallambulanzen der Krankenhäuser – kaum bekannt. Umso wichtiger ist aus meiner Sicht die aktuelle Kampagne der Kassenärztlichen Vereinigungen, die diese Nummer 116117 bekannter machen wollen. Zugegebenermaßen ist diese Kampagne etwas schräg; aber wenn es dann hängen bleibt, ist es ja schön. Die Kampagne lautet: „116117 – Die Nummer mit den Elfen“ oder „116117 – Die Elfen, die helfen“. Wenn das bei dem einen oder anderen von Ihnen heute Abend hängen geblieben ist, haben wir schon sehr viel gewonnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der nächste Schritt ist dann die Verknüpfung der 116117 mit der 112, also der Nummer des Rettungsdienstes, damit alle Anrufe von einer zentralen Notrufleitstelle kompetent weitergeleitet werden können. In Nordrhein-Westfalen haben wir bereits Modellprojekte zur Verknüpfung der Telefonnummern 116117 und 112.

Wir sind auch schon deutlich weiter. So haben sich die Landesregierung, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Ärztekammern, die Krankenhausgesellschaft, die Apothekerkammern und die gesetzlichen Krankenkassen darauf verständigt, bis zum Jahresende 2022 das System der sogenannten Portalpraxen flächendeckend einzuführen.

Diesen Weg der Kooperation wollen wir weiter gehen. Wir setzen auf eine Notfallversorgung, die sowohl die Krankenhäuser als auch die Kassenärztlichen Vereinigungen einbezieht. Eine weitere Säule der Versorgung, losgelöst von diesen Partnern, würde nur zu Fehlsteuerungen führen. Auch das Land könnte einen Sicherstellungsauftrag nicht ohne diese Partner erfüllen.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir setzen uns dafür ein, dass die Einrichtung von Portalpraxen, die in unserem Land anläuft, mit der Gesetzgebung des Bundes vereinbar bleibt. Wir werden deshalb die organisationsrechtliche Ausgestaltung der Notfallversorgung konstruktiv begleiten.

Der vorliegende Antrag greift allerdings etwas zu kurz, da er auf die aktuellen Entwicklungen wie etwa den Aufbau von Portalpraxen oder bei der Verknüpfung der Notfallnummern überhaupt nicht eingeht. – Ich bin gespannt auf die Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Düker das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Düker.

(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE] – Zurufe)

Monika Düker (GRÜNE): Danke, Herr Kollege Rüße. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aufgabe der Politik ist es, eine bedarfsgerechte medizinische Notfallversorgung sicherzustellen und dafür alle relevanten Akteure, die Versorgungsstellen, so zu steuern und das Angebot der Notfallversorgung so auszugestalten, dass es den Versorgungsnotwendigkeiten der Patientinnen und Patienten entspricht.

Auch wir Grüne sehen hier, was die Strukturen der medizinischen Notfallversorgung angeht, vorsichtig gesagt, Optimierungsbedarf.

Zentraler Baustein einer Reform muss daher für uns sein, einen verständlichen Behandlungspfad für Patientinnen und Patienten, die Hilfe suchen, zu schaffen. Dazu gehört eine einheitliche Notrufnummer und Leitstelle, die rund um die Uhr Beratung anbietet und die Betroffenen weitervermittelt. Dazu gehören ebenso zentrale Standorte von Notfallpraxen an Kliniken mit einem gemeinsamen Tresen, an dem Patientinnen und Patienten ein für sie medizinisch gebotenes Versorgungsangebot erhalten.

Es muss auch Ziel einer Reform sein, Patientinnen und Patienten die für sie sinnvolle und qualitativ hochwertige medizinische Hilfe zu ermöglichen. Dafür muss die Notfallversorgung über die bestehenden ambulanten und stationären Sektoren hinweg koordiniert und verantwortet werden.

Zudem müssen Bürgerinnen und Bürger besser als bisher über medizinische Hilfsangebote in ihrer Nähe informiert werden.

Und tatsächlich: Als ich mich mit diesem Antrag und diesem Thema beschäftigt habe, Frau Schneider, fiel mir auf, dass diese Notfallnummer mir persönlich auch nicht bekannt war. Insofern glaube ich, dass es hier enormen Nachholbedarf gibt.

Wir sehen auch – das kann ich aus eigener Anschauung leider nur bestätigen –, dass zwischen dem ärztlichen Notdienst mit dieser Nummer, die nicht unbedingt jedem bekannt ist, und dem Rettungsdienst, der anschließend kommt, eine Lücke klafft und nicht überall in den Städten – wie zum Beispiel in meiner Heimatstadt Düsseldorf mit dem Evangelischen Krankenhaus und zentralen Notfallpraxen – rund um die Uhr Notfallpraxen zur Verfügung stehen, die diese Lücke füllen können. Das ist flächendeckend nicht unbedingt der Fall.

Das heißt: In dieser Kette der Versorgung mit Notfallmedizin sehen auch wir durchaus Lücken. Auch wir sehen die Bundesregierung hier gefordert, Lücken zu schließen,

(Beifall von den GRÜNEN)

um eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Wir werden uns einer sachgerechten Diskussion über die besten Wege dahin sicherlich nicht verstellen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Norwich Rüße [GRÜNE]: Ganz hervorragend!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Landesregierung hat nun in Vertretung für Herrn Minister Laumann Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir die Gelegenheit bekommen, uns heute im Landtag mit der Notfallversorgung in Nordrhein-Westfalen auseinanderzusetzen. Das ist keine Frage; denn das Thema ist wichtig.

Allerdings möchte ich zunächst eine Sache zu dem Antrag klarstellen: Eine Übertragung des Sicherstellungsauftrags von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf die Länder – und darum geht es bei den bisherigen Vorschlägen des BMG – hätte keinerlei Einfluss auf die Regelungen im Heilberufsgesetz NRW und die darin geregelten Aufgaben der Ärztekammern. Das stimmt also nicht. Denn hierfür fehlt es bereits an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Kammerrecht, meine Damen und Herren, ist Länderrecht.

Es ist darüber hinaus wichtig, dass wir die Versorgung der Patienten und nicht die Interessen von Lobbyverbänden in den Vordergrund stellen.

Tatsache ist: Die Notfallversorgung wirft heute vielfache Probleme auf, die sich unter anderem – darüber haben wir auch schon viel gesprochen – in einer steigenden Inanspruchnahme der Notfallambulanzen der Krankenhäuser, auch während der Sprechstundenzeiten, und einer gestiegenen Beanspruchung des Rettungsdienstes widerspiegeln. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Daher gibt es auch keine einfachen Lösungen.

Der Bundesgesetzgeber hat unter anderem mit der Aufwertung der Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen bereits wichtige Veränderungen in die Wege geleitet.

Die bereits erwähnte Notrufnummer 116117 soll spätestens 2020 rund um die Uhr erreichbar sein; die Kollegin hat es gerade geschildert. Allerdings müssen wir in der Tat wohl noch einiges tun, um die Nummer richtig bekannt zu machen.

Auch wir als Land befassen uns schon länger mit den Problemen in der Notfallversorgung und möglichen Lösungen. Dabei haben wir gemeinsam mit den Verantwortlichen im Gesundheitswesen in NRW bereits wichtige Reformschritte auf den Weg gebracht. So haben wir eine Vereinbarung abgeschlossen, bis Ende 2022 flächendeckend Portalpraxen an Krankenhäusern einzurichten. Das wird jetzt Schritt für Schritt umgesetzt.

Außerdem laufen bereits Modellversuche zur Verzahnung des ambulanten Notdienstes der Kassenärztlichen Vereinigungen mit dem Rettungsdienst in OWL und auch in Köln.

Wir in NRW warten also nicht auf den Bundesgesetzgeber, sondern haben uns bereits mit großen Schritten auf den Weg zur Verbesserung der Notfallversorgung gemacht, meine Damen und Herren.

Daraus wird deutlich, dass wir hier in NRW eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen an der Notfallversorgung beteiligten Institutionen haben, trotz durchaus im Detail unterschiedlicher Interessen der Beteiligten. Wir reden miteinander und bringen auch die Reformen auf den Weg.

Ich stelle ausdrücklich fest, dass auch die Kassenärztlichen Vereinigungen verantwortungsvoll mit ihrem Sicherstellungsauftrag umgehen. Aber auch diese werden sich Veränderungen stellen müssen.

Die notwendige Diskussion über Reformen auf die Frage des Sicherstellungsauftrags zu verkürzen, ist eindeutig zu kurz gegriffen. Es bringt uns nicht wirklich nach vorne, wenn jeder nur das Beste aus seiner Sicht und nach seinen Möglichkeiten macht.

Was wir brauchen und wofür wir uns einsetzen, ist eine bessere Abstimmung und Verzahnung der einzelnen Sektoren, nämlich der Vertragsärzteschaft, der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes. Nur so kann den vorhandenen Fehlsteuerungen entgegengewirkt werden.

Wir können die Patientenströme nur durch zielgenaue und transparente Angebote schon beim ersten telefonischen Kontakt über die Notdienstnummer und beim direkten Aufsuchen einer KV-Notdienst-praxis bzw. einer Portalpraxis an oder in einem Krankenhaus in die passgenaue Versorgungsebene steuern. In beiden Fällen soll durch ein einheitliches und strukturiertes Ersteinschätzungsverfahren die im Einzelfall bestehende Behandlungsnotwendigkeit möglichst schnell abgeklärt werden, um dann die Patientinnen und Patienten auf den richtigen Weg zu bringen.

Genau darauf zielt auch die Initiative von Bundesgesundheitsminister Spahn ab. Daher teilen wir auch grundsätzlich dessen Überlegungen.

Mein Kollege Laumann ist aber auch davon überzeugt, dass der vorliegende erste Reformentwurf noch an der einen oder anderen Stelle verändert werden muss, um praktikable Lösungen zu erreichen.

Neben der Errichtung gemeinsamer Notfallleitstellen, wie wir sie bereits in der Praxis testen, ist ein wesentlicher Baustein der Reformüberlegungen die Schaffung sogenannter integrierter Notfallzentren. Sie wären im Übrigen eine Weiterentwicklung der in Nordrhein-Westfalen bereits in der Umsetzung befindlichen Portalpraxen.

In diesem Licht ist auch der Vorschlag einer Übertragung des Sicherstellungsauftrags auf die Länder zu sehen. Die Länder sollen dabei insbesondere die Standorte für die integrierten Notfallzentren im Rahmen der Krankenhausplanung festlegen.

Ein Weiter-so ist überhaupt kein Weg, um die Versorgungsprobleme im Notdienst zu lösen. Die Landesregierung wird die Reformüberlegungen des Bundes weiterhin konstruktiv begleiten und natürlich – das ist das Allerwichtigste – die Interessen der Patientinnen und Patienten in den Vordergrund stellen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrats, den Antrag Drucksache 17/7358 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu überweisen. Dort sollen dann die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das mit Zustimmung aller Fraktionen hier einstimmig so angenommen.

Wir kommen zu:

10 Gesetz zur Änderung des Pensionsfondsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/6887

erste Lesung

Herr Minister Lienenkämper hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen. (Siehe Anlage 1)

Somit können wir direkt zur Abstimmung kommen, und zwar über die Überweisungsempfehlung, den Gesetzentwurf Drucksache 17/6887 an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen, es sei denn, hier erhebt sich Widerspruch. – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, diese Überweisungsempfehlung ist einstimmig vom Hohen Hause so angenommen worden.

Wir kommen zu:

11 Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7319

erste Lesung

Auch hier hat Herr Minister Lienenkämper seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 2)

Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen, sodass wir zur Abstimmung kommen können. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/7319 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Hauptausschuss. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich, wenn es keinen Protest gibt, die einstimmige Zustimmung zu dieser Überweisungsempfehlung fest. Protest sehe ich keinen. Wunderbar!

Wir kommen zu:

12 Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/7320

erste Lesung

Herr Minister Reul hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. Auch hier ist eine Aussprache heute nicht vorgesehen. (Siehe Anlage 3)

Somit können wir zur Abstimmungsempfehlung des Ältestenrates kommen, den Gesetzentwurf Drucksache 17/7320 an den Innenausschuss – federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Wissenschaftsausschuss zu überweisen. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich die einstimmige Zustimmung aller Fraktionen zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Wir kommen zu:

13 Staatsleistungen ablösen – Verhandlungen mit den Kirchen aufnehmen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/7372

Eine Aussprache hierzu ist für heute nicht vorgesehen, sodass wir über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates abstimmen können, den Antrag Drucksache 17/7372 an den Hauptausschuss – federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Rechtsausschuss zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses dann hier erfolgen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich auch hier die einstimmige Zustimmung aller Fraktionen zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Wir kommen zu:

14 Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen der Behauptung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, des Landschaftsverbands Rheinland, der Stadt Dortmund, der Stadt Essen, des Ennepe-Ruhr-Kreises und des Rhein-Sieg-Kreises, Bestimmungen des Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes verstießen gegen das Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung

VerfGH 42/19

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/7382

Eine Debatte hierzu ist nicht vorgesehen, sodass wir zur Abstimmung kommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Landtag in Drucksache 17/7382, zu dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen keine Stellungnahme abzugeben. Deswegen stimmen wir über diese Empfehlung ab.

Ich darf fragen, wer dieser Empfehlung zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und der Fraktion der FDP. Fraktionslose Abgeordnete sind nicht im Saal. Damit ist der Landtag der Empfehlung des Rechtsausschusses in Drucksache 17/7382, kei-ne Stellungnahme abzugeben, einstimmig gefolgt.

Wir kommen zu:

15 Organstreitverfahren der AfD-Fraktion gegen die Landesregierung Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung des Frage- und Informationsrechts von Abgeordneten

VerfGH 41/19

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/7383

Auch hierzu ist eine Debatte heute nicht vorgesehen. Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Landtag in Drucksache 17/7383, dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen derzeit nicht beizutreten. Deswegen stimmen wir jetzt über diese Empfehlung des Rechtsausschusses ab, dem Verfahren derzeit nicht beizutreten.

Wer schließt sich dieser Empfehlung des Rechtsausschusses an? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Neinstimmen? – Auch nicht der Fall. Einstimmig billigt der Landtag die Beschlussempfehlung 17/7383, dem Verfahren derzeit nicht beizutreten.

Ich rufe auf:

16 Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) gemäß § 64 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung      
Grundstück in Oberhausen, Amsterdamer Straße/Centroallee

Vorlage 17/2330

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/7337

Eine Debatte ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt dem Landtag in der Drucksache 17/7337, in die Veräußerung des in der Vorlage 17/2330 näher beschriebenen Grundstücks gemäß § 64 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung einzuwilligen. Ich lasse über diese Empfehlung abstimmen.

Wer ihr folgen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der AfD. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit willigt der Landtag in die in Vorlage 17/2330 genannte Grundstücksveräußerung mit dem gerade festgestellten Abstimmungsverhalten ein.

Wir sind bei:

17 Benennung eines Mitglieds und eines stell-vertretenden Mitglieds für den Europäischen Ausschuss der Regionen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7380

Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen, und wir kommen direkt zur Abstimmung. Wer diesem Wahlvorschlag folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Gegenstimmen? – Dann ist auch dieser Wahlvorschlag einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

18 Wahl der Mitglieder für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter bei dem Oberverwaltungsgericht und den Verwaltungsgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/7436

Eine Aussprache hierzu ist nicht vorgesehen. Somit lasse ich darüber abstimmen. Wer dem Wahlvorschlag folgen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.  Die Fraktion der AfD enthält sich. Gegenstimmen? – Keine Gegenstimmen. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 17/7436 mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Grünen bei Enthaltung der Abgeordneten der AfD angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir bei:

19 Nachwahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/7366

Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Ich lasse somit über diesen Wahlvorschlag abstimmen. Wer dem Wahlvorschlag folgen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Wahlvorschlag Drucksache 17/7366 einstimmig mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir sind bei:

20 Jahresbericht 2019 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2018

Unterrichtung
durch den Landesrechnungshof
Drucksache 17/7300

Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen, sodass wir direkt zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates kommen können, der uns nahelegt, die Unterrichtung in der Drucksache 17/7300 an den Ausschuss für Haushaltskontrolle zu überweisen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass diese Überweisungsempfehlung einstimmig so angenommen wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir bei:

21 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 22
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/7416

Die Übersicht 22 enthält 20 Anträge, zwei Änderungsanträge sowie zwei Entschließungsanträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur abschließenden Erledigung an die Ausschüsse überwiesen wurden. Die Beratungsverläufe und Abstimmungsergebnisse sind aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun zur Bestätigung der Übersicht darüber abstimmen. Wer die festgestellten Abstimmungsergebnisse bestätigen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 17/7416 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig vom Hohen Hause bestätigt.

Ich rufe auf:

22 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/26

Gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen. Dazu liegt Ihnen die besagte Übersicht 17/26 mit den Beschlüssen zu den Petitionen vor, sodass wir nun über deren Bestätigung abstimmen können. Eine Aussprache dazu ist nicht vorgesehen.

Ich darf nun fragen, wer diese Beschlüsse zu den Petitionen bestätigen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses in Übersicht 17/26 bestätigt.

Damit, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 19. September 2019, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:43 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

TOP 10 „Gesetz zur Änderung des Pensionsfondsgesetzes Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen:

Mit den vorgesehenen Änderungen des Pensionsfondsgesetzes Nordrhein-Westfalen soll in erster Linie das Anlageuniversum für das Sondervermögen erweitert werden.

Das Ankaufprogramm der EZB bestimmt die Lage auf dem Rentenmarkt. Für die Asset-Manager, die das Ministerium der Finanzen bei der Verwaltung des Fonds unterstützen, ist es deshalb immer problematischer geworden, Anlageoptionen zu finden, die den gesetzlich vorgegebenen Anforderungen an Rentabilität und Sicherheit entsprechen.

Mit den Allgemeinen Anlagerichtlinien für die Verwaltung von Anlagen des Sondervermögens „Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen“ vom 2. Mai 2017 verpflichtet sich das Ministerium der Finanzen, im Rahmen der Beurteilung von Sicherheit und Rentabilität auch die Nachhaltigkeit der Kapitalanlage angemessen zu berücksichtigen.

In den Anlagebereichen Aktien und Unternehmensanleihen führen die neuen Auswahlkriterien zu einer Einengung des Anlageuniversums. Um weiterhin eine angemessene Risikostreuung zu gewährleisten, soll deshalb für den Aktienbereich die Beschränkung auf in Euro gehandelte Papiere aufgehoben werden.

Die Festlegung war vor dem Hintergrund der Aufwertung des Schweizer Frankens und der damit verbundenen Belastungen kommunaler Schuldner ins Pensionsfondsgesetz aufgenommen worden. Mit ihr sollte das Währungsrisiko bei festverzinslichen Wertpapieren ausgeschaltet werden.

Bei Aktienanlagen in international agierende Unternehmen lässt sich das Währungsrisiko ohnehin nicht ausschalten. Solange der Pensionsfonds nur in börsengehandelte Fonds (ETF) investierte, die den DAX 30 bzw. den Euro Stoxx 50 nachbilden, hatte diese Beschränkung keine praktische Relevanz. Ein Engagement in Einzelwerte von Unternehmen mit Sitz außerhalb des Euroraums stand damals nicht zur Diskussion.

Im Rahmen der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie hat sich dies jedoch geändert. Das zusammen mit Hessen, Baden-Württemberg und Brandenburg durchgeführte Ausschreibungsverfahren zur Konstruktion und Pflege von Aktienindizes ist inzwischen beendet.

Für die Teilregionen Eurozone und Welt ohne Eurozone wurden von der Firma STOXX nach den Vorgaben der Länder nachhaltige Aktienindizes entwickelt. Durch den Erwerb der darin enthaltenen Einzeltitel können diese nun nachgebildet werden. Die Indexreplikation erfolgt im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Deutsche Bundesbank. Im Oktober soll mit der Umschichtung der bisher gehaltenen ETFs in den Eurozonenindex begonnen werden.

Bisher hat der Pensionsfonds eine Aktienquote von ca. 14 %. Angesichts der eingeschränkten Anlagemöglichkeiten auf dem Rentenmarkt und zur Stärkung der Rentabilität des Fonds soll der Aktienanteil in Richtung auf eine Zielquote von 30 % ausgeweitet werden.

Aus Gründen der Risikostreuung ist auch eine Investition in den Ex-Eurozonen-Index vorgesehen, sobald die Deutsche Bundesbank die rechtlichen und technischen Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Um bei Erwerb dieser Titel die notwendige Marktliquidität sicherzustellen, müssen sie an den jeweiligen Heimatbörsen zu den dortigen Landeswährungen erworben werden.

Mit dem eingebrachten Änderungsgesetz wird zusätzlich das Anlagespektrum im Rentenbereich erweitert. Es wird die Möglichkeit geschaffen, Anleihen von staatlich dominierten Emittenten, sogenannten Agencies, zu erwerben. Also beispielsweise die der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF).

Das Gesetzgebungsverfahren wird weiterhin dazu genutzt, die Regelung zur Zusammensetzung des Beirats beim Pensionsfonds und der Berufung der Mitglieder des Beirats praxisgerechter und flexibler zu formulieren.

 

Anlage 2

TOP 11 „Fünftes Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes“ – Rede zu Protokoll

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen:

Ab dem Veranlagungszeitraum 2018 ist bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung unter bestimmten Voraussetzungen die Festsetzung eines Verspätungszuschlages obligatorisch. Das bedeutet, dass die Finanzämter nicht mehr nach Ermessen entscheiden können, ob und in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird.

Diese Änderung hat auch Auswirkungen auf die Kirchensteuer, da die Vorschriften der Abgabenordnung – somit auch die Regelung zum Verspätungszuschlag – bei dem Besteuerungsverfahren der Kirchensteuer anzuwenden sind.

Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz wird dem Wunsch der Kirchen entsprochen, die Festsetzung eines Verspätungszuschlages bei der Kirchensteuer auszuschließen, um auch weiterhin Sanktionen und Strafen weitgehend zu vermeiden.

 

Anlage 3

TOP 12 „ Gesetz zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst und weiterer Gesetze“ – Rede zu Protokoll

Herbert Reul, Minister des Innern:

Mit dem Gesetzentwurf des Gesetzes zur Änderung des Fachhochschulgesetzes öffentlicher Dienst und weiterer Gesetze unterbreite ich einen Vorschlag zur Anpassung dieser Gesetze.

Vor allem ist mir die Anpassung des Fachhochschulgesetzes ein wichtiges Anliegen. Denn ich bin der Meinung, dass die Ausbildung unserer Studierenden in den dualen Studiengängen die Basis für eine zukunftsfähige Landesverwaltung NRW bildet.

Für diese Zukunft möchte ich die hohe Bedeutung der verwaltungsinternen Fachhochschulen hervorheben. Denn dort lernen die Studierenden – seien es zukünftige Polizisten, Verwaltungs- und Finanzbeamtinnen oder Rechtspfleger – das Werkzeug, welches sie in den Behörden brauchen. Ohne dieses Werkzeug können sie die Aufgaben, von denen die Gesellschaft in jeder Hinsicht profitiert, nicht erfüllen. Daher ist es aus meiner Sicht unerlässlich, die Fachhochschulen stets zu verbessern und zu entwickeln.

Im Einzelnen schlage ich dem Landtag Folgendes vor:

1.  Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung soll „Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen“ heißen.

Die Fachhochschulen in den Geschäftsbereichen des Ministeriums der Finanzen und des Ministeriums des Innern sollen künftig „Hochschule“ heißen. So kann sprachlich die allgemeine Hochschulentwicklung berücksichtigt werden.

Zudem soll das Wort „Polizei“ integraler Bestandteil des Namens der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung werden, um auch nach außen die maßgebliche Bedeutung der Hochschule für die polizeiliche Ausbildung aufzuzeigen.

2.  Einige Ämter in Leitungspositionen der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung sollen als Beamtenverhältnisse auf Lebenszeit ausgestaltet werden.

Die Statusänderung ist auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig. Daher schlage ich vor, die Ämter der Kanzlerin oder des Kanzlers, der Vizepräsidentin oder des Vizepräsidenten und der Abteilungsleitungen von Beamtenverhältnissen auf Zeit zu Beamtenverhältnissen auf Lebenszeit umzugestalten.

3.  Das Fachhochschulgesetz soll entfristet werden.

Das Gesetz ist bis Ende 2019 befristet. Es ist aber bereits jetzt erkennbar, dass das Gesetz zur Regelung der drei Fachhochschulen erforderlich ist. In dem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch schon mitteilen, dass im Anschluss an die vorliegende technische Novellierung eine umfassendere Novellierung geplant ist.

4.  Die Stellen der Kanzlerin oder des Kanzlers und der Vizepräsidentin oder des Vizepräsidenten sollen von A 16 auf B 2 und von B 2 auf B 3 angehoben werden.

Meines Erachtens sollen diese Stellen entsprechend der gewachsenen Verantwortung bezahlt werden. Dies macht schon ein kurzer Einblick in die Statistik sichtbar: Innerhalb der letzten neun Jahre sind die Studierendenzahlen von 5.427 auf 10.731 Studierende, die Mitarbeiterzahlen in der Verwaltung von 130 auf 219 und in der Lehre von 161 auf 288 gestiegen. Die Stellen anzuheben stellt daher nur die systemgerechte Konsequenz dar.

Bezüglich der Änderungen im Landesbeamten-versorgungsgesetz schlage ich im Wesentlichen vor, die auslaufende Sonderregelung zur Anrechnungsfreiheit von Erwerbseinkommen für Ruhestandsbeamtinnen und -Ruhestandsbeamte um 5 Jahre zu verlängern. Dies erscheint mir wichtig, besonders vor dem Hintergrund des akuten Personalbedarfs in der Landesverwaltung, z. B. in Schulen und Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen.

Die vorgeschlagenen Änderungen zielen insgesamt auf eine Attraktivitätssteigerung der öffentlichen Hand als Arbeitgeber. Aufgrund der derzeit stattfindenden demographischen Veränderung, auch in der Verwaltung, müssen wir hier alles tun, um auch morgen noch gutes Personal gewinnen zu können.