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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/40

17. Wahlperiode

15.11.2018

 

40. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 15. November 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

1   Unsichtbare Gefahren von Shisha-Bars erkennen und konsequent einschreiten

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4164. 5

Thomas Schnelle (CDU) 5

Marc Lürbke (FDP) 6

Serdar Yüksel (SPD) 8

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 9

Dr. Martin Vincentz (AfD) 11

Minister Herbert Reul 11

Serdar Yüksel (SPD) 13

Gregor Golland (CDU) 14

Verena Schäffer (GRÜNE) 15

Rainer Matheisen (FDP) 17

Christian Loose (AfD) 17

Minister Herbert Reul 18

2   Attraktivität der Pflegeberufe stärken – Umfassende Beteiligung der Beschäftigten bei der Entscheidung über eine Interessensvertretung für Pflegende durch Urabstimmung sicherstellen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4121. 19

Angela Lück (SPD) 19

Peter Preuß (CDU) 20

Susanne Schneider (FDP) 21

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 22

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 23

Minister Karl-Josef Laumann. 24

Ergebnis. 26

3   Integration beginnt mit Ausbildung und Arbeit – Bewährtes bewahren, Ideen entwickeln, Unterstützung leisten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4113. 26

Katharina Gebauer (CDU) 26

Stefan Lenzen (FDP) 28

Serdar Yüksel (SPD) 28

Berivan Aymaz (GRÜNE) 30

Dr. Martin Vincentz (AfD) 31

Minister Karl-Josef Laumann. 32

Marco Schmitz (CDU) 35

Rainer Bischoff (SPD) 36

Stefan Lenzen (FDP) 37

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 38

Ergebnis. 38

4   Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine Nordrhein-Westfalen (TierschutzVMG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4107 – 2. Neudruck

erste Lesung. 39

Norwich Rüße (GRÜNE) 39

Frank Börner (SPD) 40

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 41

Markus Diekhoff (FDP) 43

Dr. Christian Blex (AfD) 45

Ministerin Ursula Heinen-Esser 46

Ergebnis. 47

5   Zweites Gesetz zur Änderung des Landesaltenpflegegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3557

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/4137

zweite Lesung. 48

Britta Oellers (CDU) 48

Angela Lück (SPD) 49

Susanne Schneider (FDP) 49

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 50

Dr. Martin Vincentz (AfD) 53

Minister Karl-Josef Laumann. 53

Ergebnis. 55

6   Die Freie Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen ist eine tragende Säule unseres Sozialstaates – Die Partnerschaft zwischen Landesregierung und Freier Wohlfahrtspflege muss weiter gestärkt werden!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4123

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4235. 55

Josef Neumann (SPD) 55

Jochen Klenner (CDU) 56

Stefan Lenzen (FDP) 58

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 59

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 60

Minister Karl-Josef Laumann. 60

Ergebnis. 61

7   Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3699

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/4154

zweite Lesung. 62

Fabian Schrumpf (CDU) 62

Hartmut Ganzke (SPD) 62

Christian Mangen (FDP) 62

Verena Schäffer (GRÜNE) 62

Nic Peter Vogel (AfD) 62

Minister Herbert Reul 62

Ergebnis. 62

8   Fit für Europas Zukunft sozialer Zusammenarbeit

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4122. 63

Oliver Krauß (CDU) 63

Rüdiger Weiß (SPD) 64

Thomas Nückel (FDP) 65

Johannes Remmel (GRÜNE) 66

Sven Werner Tritschler (AfD) 67

Ministerin Ursula Heinen-Esser 68

Ergebnis. 68

9   Tierschutz beachten – besseren Brandschutz in Stallanlagen entwickeln und umsetzen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4108. 68

Norwich Rüße (GRÜNE) 68

Bianca Winkelmann (CDU) 70

Annette Watermann-Krass (SPD) 70

Markus Diekhoff (FDP) 71

Dr. Christian Blex (AfD) 72

Ministerin Ursula Heinen-Esser 73

Ergebnis. 73

10 Lokale Radiovielfalt in NRW erhalten – Die Landesregierung muss den technischen Einstieg des Lokalfunks in DAB+ finanziell fördern

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4119. 74

Alexander Vogt (SPD) 74

Andrea Stullich (CDU) 75

Thomas Nückel (FDP) 76

Oliver Keymis (GRÜNE) 77

Sven Werner Tritschler (AfD) 78

Minister Karl-Josef Laumann. 79

Ergebnis. 80

11 Lernen über Europa für Europa: Europapolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit weiter stärken

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4106. 80

Johannes Remmel (GRÜNE) 81

Rüdiger Weiß (SPD) 81

Dr. Stefan Berger (CDU) 82

Thomas Nückel (FDP) 83

Sven Werner Tritschler (AfD) 84

Ministerin Ursula Heinen-Esser 85

Ergebnis. 87

Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 
(ab 15 Uhr)

Minister Herbert Reul    
(ab 16 Uhr)

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Guido van den Berg (SPD)

Eva Lux (SPD)

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 
(bis 13:30 Uhr)

Stefan Engstfeld (GRÜNE)      
(bis 12 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 17:30 Uhr)

Thomas Röckemann (AfD)

Markus Wagner (AfD)

Marcus Pretzell (fraktionslos)

 


Beginn: 10:05 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle willkommen zur heutigen, 40. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir dürfen heute gemeinsam Geburtstag feiern. Unsere Kollegin Dr. Patricia Peill von der Fraktion der CDU feiert ihren Geburtstag hier im Plenum. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Unsichtbare Gefahren von Shisha-Bars erkennen und konsequent einschreiten

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4164

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 12. November 2018 gemäß § 95 Abs. 1 GO zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Schnelle von der CDU das Wort. Bitte schön.

Thomas Schnelle (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde wurde aufgrund jüngster bedauernswerter Ereignisse von uns beantragt. Vergangenen Samstag wurden sechs Besucher einer Bochumer Shisha-Bar durch das Atemgift Kohlenmonoxid verletzt. Die vergifteten Personen mussten in einer Spezialklinik behandelt werden. Gut 60 Einsatzkräfte der Bochumer Feuerwehr mussten ausrücken, um die ca. 120 Gäste der Bar in Sicherheit zu bringen.

Dass wir dies nun zum Thema machen, liegt jedoch auch darin begründet, dass es sich hier keineswegs um einen Einzelfall handelt. In fast allen größeren Städten des Landes ist es bereits zu lebensgefährlichen Kohlenmonoxidvergiftungen gekommen. In der speziellen Druckkammer des Düsseldorfer Uniklinikums mussten im letzten Jahr 40 Personen aufgrund solcher Vergiftungen in Shisha-Bars behandelt werden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Woran hat man das gemerkt?)

2016 waren es fünf Fälle, Tendenz somit stark steigend. Sicherlich steht dies in Relation zu der ebenfalls steigenden Zahl der sich überall vermehrenden Shisha-Bars in den Städten Nordrhein-Westfalens.

Doch sind es nicht nur die Gesundheitsrisiken für unsere Bürgerinnen und Bürger, welche sich mit den Wasserpfeifen in unseren Städten ausbreiten, und es ist auch kein Zufall, dass diese Lokale immer wieder gegen Kohlenmonoxidgrenzwerte verstoßen und Ordnungsverfügungen ignorieren.

Begibt man sich erst einmal in das undurchsichtige Milieu der Shisha-Bars, zeigen sich Muster immer wiederkehrender Rechtsverstöße in allen Bereichen: Ordnungs- wie Zollämter versuchen seit Jahren, dem illegalen Tabakschmuggel der Shisha-Szene Herr zu werden. Verstöße gegen das Nichtraucherschutzgesetz scheinen wie eine notwendige Bedingung des Wasserpfeifengeschäfts; es kommt regelmäßig zu Steuerhinterziehungen, Steuerhehlerei, illegalem Alkoholausschank, illegalen Spielautomaten sowie zu Verstößen gegen den Mindestlohn.

Das sind keine Einzelfälle; das sind vielmehr Teilstücke einer enormen Bandbreite an Rechtsverstößen und kriminellen Aktivitäten, welche die Beamten der zuständigen Ordnungs- und Zollämter in erschreckend verlässlicher Repetition bei ihren Razzien erleben.

Bevor wir uns jedoch auf den Grund dieses Molochs wagen, müssen erst einige Fakten und Rechtslagen in Bezug auf das Shisha-Geschäft geklärt werden.

Zuallererst: In einer Shisha-Bar gilt ein uneingeschränktes Rauchverbot. So wie bei Zigaretten und ähnlichen Tabakwaren, greift das Nichtraucherschutzgesetz auch beim Wasserpfeifentabak innerhalb der Gastronomie der Shisha-Bar.

Dass es trotz des Rauchverbots immer wieder zu Kohlenmonoxidvergiftungen in den Lokalen kommt, liegt schlichtweg daran, dass die Gesetze von den Barbetreibern ignoriert werden. Es werden zwar mittlerweile in vielen der Lokale auch getrocknete Früchte oder sogenannte Shiazo-Steine angeboten, welche nicht unter das Nichtraucherschutzgesetz fallen, doch können wir diese Fälle vernachlässigen, da kaum ein Konsument diese Angebote wahrnimmt. Durch die regelmäßigen Razzien der Zoll- und Ordnungsämter wissen wir, dass in den Lokalen zu nahezu 100 % klassischer Shisha-Tabak geraucht wird.

In der Stadt Mülheim wurde bereits 2017 nach mehreren Fällen lebensbedrohlicher Kohlenmonoxidvergiftungen in Shisha-Bars gehandelt. Den Betreibern wurde durch Ordnungsverfügung die Nutzung von Kohle innerhalb der Gastronomie untersagt. Dies ist zum einen leichter zu kontrollieren als eine Kohlenmonoxidmeldepflicht und würde zum anderen auch die angeblich ausschließliche Nutzung der Früchte und Shiazo-Steine im Inneren der Bar entlarven.

Nicht ohne Grund ließ das Hauptzollamt Dortmund zu Beginn dieses Jahres noch verlauten, dass die Shisha-Bar-Betreiber bei gesetzeskonformem Verhalten mit den Wasserpfeifen allein nicht überleben könnten.

Wir sehen uns hier also mit einem Gastronomiezweig konfrontiert, welcher der Illegalität als Existenzbedingung bedarf. Bisher sprachen wir nur über das Nichtraucherschutzgesetz. Gehen wir etwas weiter, sehen wir, dass bei nahezu jeder der Razzien unversteuerter Tabak beschlagnahmt wird. 40 kg Schmuggeltabak wurden beispielsweise bei der von Herrn Minister Reul begleiteten Razzia im Oktober konfisziert. Die Steuerhinterziehung zeigt sich geradezu üblich für das Umfeld einer Shisha-Bar.

Die zuvor angesprochene Gefahr einer Kohlenmonoxidvergiftung, welche auch den Ausgangspunkt dieser Aktuellen Stunde bildet, besteht jedoch neben den zwielichtigen Geschäften dieses Gewerbes grundsätzlich bei Benutzung einer Shisha. Die Kohle, welche den Tabak zum Schwelen bringt, lässt das Gas Kohlenmonoxid entstehen. Für eine Vergiftung reichen bereits wenige Atemzüge. Somit sind schlecht belüftete Räume in der Shisha-Bar eine Gefahr für jeden Besucher und jede Besucherin.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Angestellten der Bars sind den giftigen Gasen zudem den gesamten Tag hindurch ausgesetzt, und das, obwohl wir – diese Absurdität müssen uns immer wieder erneut bewusst machen – von der Gastronomie reden, in der eigentlich ein Rauchverbot gilt.

Wie bereits erwähnt, müssen Personen, welche eine Kohlenmonoxidvergiftung erlitten haben, in speziellen Druckkammern behandelt werden. Davon gibt es nicht allzu viele im Land, und sie dienen zum Beispiel auch der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Luftembolien, Infarkten, Schlaganfällen durch Luftblasen und nach Tauchunfällen. Durch jeden Shisha-Raucher, der hier eingeliefert wird, kann es dazu kommen, dass anderen Patientinnen und Patienten kein Platz in der Druckkammer zur Verfügung steht.

Bezeichnend für das Geschäft mit den Shisha-Bars ist also ein Geist der Kriminalität, welcher scheinbar die Normalität in diesem Gewerbe darstellt. Dieses gesetzeslose Daseinsverständnis der Shisha-Bar-Betreiber begründet sich zum einen durch die Voraussetzung des Betriebs einer solchen Raucherbar unter der Prämisse des Nichtraucherschutzgesetzes, zum anderen aber auch durch die ursprüngliche Nähe zu kriminellen Milieus, welchen die Shisha-Bar oft als Rückzugsort oder Tatort ihrer Aktivitäten dient.

Die unsichtbaren Gefahren der Shisha-Bars erschöpfen sich somit keineswegs in den lebensgefährlichen Kohlenmonoxidunfällen. Die Gefahren sind strukturell im Geschäft mit den Shisha-Bars, und sie sind krimineller Natur.

So weit zu den derzeitigen Verhältnissen. Auf mögliche Lösungsansätze wird mein Kollege Herr Golland gleich näher eingehen. – Vorab schon einmal vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Kollege Schnelle. – Für die FDP spricht nun der Abgeordnete Lürbke.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jetzt bin ich mal gespannt, was der Liberale dazu sagt!)

Marc Lürbke*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Shisha-Bars erfreuen sich zweifellos zunehmender Beliebtheit und breiten sich in vielen Städten rasant aus. Aber das kann, wie leider das jüngste Beispiel aus Bochum zeigt, manchmal auch ein gefährlicher Trend sein. Deswegen muss man sich dem Thema einmal ganz sachlich nähern.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Ja, das machen wir in gewohnter Sachlichkeit, Herr Kollege.

Von den vielen Shisha-Bars gehen einerseits nicht nur nach getrockneten Früchten und Aromen riechende Wasserdampfwolken aus, sondern bei unzureichender Belüftung auch erhebliche gesundheitliche Gefahren. Darüber müssen wir sprechen. Andererseits ist offensichtlich, dass bestimmte Shisha-Bars Rückzugsorte für kriminelle Geschäftsmodelle sind. Auch das muss man thematisieren.

Ich möchte mich da richtig verstanden wissen, weil manchmal auch alles in einen Topf geworfen wird. Als Freie Demokraten haben wir natürlich nichts gegen ordnungsgemäß und durch redliche Betreiber geführte Shisha-Bars – natürlich nicht! Denn nicht jede Shisha-Bar im Land verstößt gegen Gesetze.

Die Shisha-Gastronomie ist mittlerweile sehr vielfältig. Viele junge Menschen besuchen gern diese Bars. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, dafür Sorge zu tragen, dass wir den schwarzen Schafen der Branche konsequent auf den Füßen stehen und dass die Sicherheit und die Gesundheit in den Bars möglichst zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der Vorfall von Kohlenmonoxidvergiftungen in einer Bochumer Shisha-Bar am vergangenen Wochenende ist daher bedrückend. Den sechs in Bochum Verletzten möchte ich im Namen der FDP-Fraktion ausdrücklich gute und schnelle Genesung wünschen.

Der Bochumer Vorfall gibt aber auch Anlass, darüber nachzudenken, wie mit den zum Teil erheblichen und sehr unterschiedlichen Gefahren, die von Shisha-Bars ausgehen können, umzugehen ist.

Die Antwort der FDP-Fraktion lautet ganz klar: Geltendes Recht muss konsequent umgesetzt werden. Dabei ist es letztlich egal, ob es um den Jugendschutz, den Nichtraucherschutz, Zollvorschriften, das Betäubungsmittelgesetz oder eben den Gesundheitsschutz geht. Geltendes Recht muss umgesetzt werden!

(Beifall von der FDP)

Die gesundheitlichen Gefahren von Shisha-Bars müssen wir ernst nehmen. Sie werden von der Regierung auch ernst genommen. Dabei geht es beispielsweise um Kohlenmonoxidwarner, es geht um einheitliche Standards, um Druckkammern; dazu hat der Kollege Schnelle gerade schon ausgeführt. Das ist die eine Seite, wie man sich dem Thema nähern muss.

Die andere Seite ist leider – das gehört zur Wahrheit dazu –, dass die Behörden klare und nicht zu leugnende Erkenntnisse haben, dass bestimmte Shisha-Bars nicht nur gesundheitliche Risiken bergen, sondern auch verstärkt als Rückzugsorte für diverse Halbweltgestalten und allerlei illegale Geschäfte von Gruppierungen, von Familienclans dienen, die jenseits unserer Rechtsordnung agieren. Davor darf man auch nicht die Augen verschließen.

Das habe ich im Übrigen bei der Vorgängerregierung immer zu Recht kritisiert. Sie hatten beim Thema „Clankriminalität“ noch nicht mal einen Überblick, geschweige denn, dass Sie die Notwendigkeit gesehen hätten, einmal ein ernsthaftes Lagebild zu erstellen. Das machen wir anders. Da gehen wir einen anderen Kurs. Die Nordrhein-Westfalen-Koalition hat der Clankriminalität durch spürbaren Kontroll- und Verfolgungsdruck klar den Kampf angesagt.

Meine Damen und Herren, für diese Koalition steht fest: Wir werden kriminellen Gruppierungen nicht die Straße und die Lokale überlassen oder gar bei der Entstehung und Verfestigung von Parallelstrukturen tatenlos zusehen. Deshalb bin ich sehr dankbar, Herr Innenminister, für die verstärkten Kontrollen, für die verstärkten Maßnahmen unserer Behörden, die wir entsprechend unterstützen müssen.

Ich habe an diesem Pult oft genug betont, dass Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die illegalen Machenschaften Organisierter Kriminalität unbequem und unangenehm sein muss. Das gelingt nur durch die enge, koordinierte Zusammenarbeit von Polizei, Kommunen, Zoll, Finanzbehörden, im Prinzip durch das Zusammenspiel der ganzen Palette von Behörden.

Denn richtig unangenehm wird es dann, wenn es den Clanstrukturen ans Geld geht, wenn ihre Geschäftszweige von Geldwäsche über Prostitution bis hin zum Drogenhandel immer wieder empfindlich gestört werden. Diesen Weg gehen wir in Nordrhein-Westfalen kontinuierlich weiter.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist richtig so, auch bei diesem Thema. Tatsächlich sind bei allen in den vergangenen Monaten durchgeführten Razzien und Kontrollen in Shisha-Bars und Szenelokalen, bei denen es Hinweise auf kriminelle Strukturen gab, in großem Ausmaß Rechtsbrüche aufgedeckt worden. Ich könnte Beispiele nennen, was man alles festgestellt hat, nachdem sich der ganze Qualm verzogen hatte.

8. August 2018, Großkontrolle in Herten, Recklinghausen, Castrop-Rauxel: 50 kg unversteuerter Wasserpfeifentabak, vier Strafanzeigen.

15. August 2018, Großeinsatz in Dortmund: Festnahme, unversteuerter Tabak.

21. September 2018, Razzia in Shisha-Bars in Dortmund: sechs Verdächtige festgenommen, zwei Autos beschlagnahmt, 20 kg unversteuerter Tabak.

19. Oktober 2018, Großrazzia in Marl: 40 kg unversteuerter Wasserpfeifentabak, 100 Ordnungswidrigkeiten usw.

Diese Liste ließe sich lange fortführen. Aber noch einmal, damit das klar ist: Hier geht es nicht darum, eine bestimmte Branche unter Generalverdacht zu stellen. Das trifft und betrifft logischerweise nicht alle. Bei den bekannten Problemen in bestimmten Shisha-Bars, Wettbüros oder Spielhallen reden wir nicht über ein paar halbstarke Jungs, die vielleicht in der Bar herumpöbeln. Das ist ganz sicher nicht der Fall.

Wir reden vielmehr von Gruppen und Clans, die gezielt versuchen, bestimmte Straßen und Lokale in Nordrhein-Westfalen zu nutzen, um ihren kriminellen Machenschaften nachzugehen. Das gilt mittlerweile übrigens nicht mehr nur in den bekannten Problembezirken im Ruhrgebiet, sondern sie versuchen, sich auch bis in den ländlichen Raum auszubreiten.

Das werden wir nicht zulassen. Deswegen bin ich, wie gesagt, sehr dankbar für den hohen Kontroll- und Verfolgungsdruck. Diesen Weg werden wir weitergehen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD erteile ich unserem Abgeordnetenkollegen Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass wir hier im Plenarsaal einmal an den Punkt gelangen, dass selbst die CDU und die FDP nach Möglichkeiten suchen, das Nichtraucherschutzgesetz konsequenter umzusetzen –

(Beifall von der SPD)

ein Gesetz, das damals von Rot-Grün initiiert worden ist und gegen das Sie sich so vehement gewehrt haben.

Damit sind Sie endlich in der gesellschaftlichen Realität angekommen. Denn Sie wissen genauso wie ich, dass der Nichtraucherschutz einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft genießt. Sogar 66 % aller Raucher sind für einen umfassenden Nichtraucherschutz.

(Beifall von der SPD)

Die Forderung nach einem effektiven Nichtraucherschutz ist also keine Frage mehr, sondern eine gesellschaftliche Tatsache. Wenn wir diese hohe Akzeptanz für den Nichtraucherschutz bewahren wollen, dann können wir es nicht hinnehmen, dass Raucherinnen und Raucher einerseits in ihrer Eckkneipe nicht mehr rauchen dürfen, während andererseits 100 m weiter in einer Shisha-Bar fröhlich und ungestört geraucht wird.

Eine solche Ungleichbehandlung spaltet unsere Gesellschaft und darf vom Gesetzgeber nicht hingenommen werden.

(Beifall von der SPD)

Das Modell einer Bar oder eines Cafés, in dem Shisha geraucht bzw. Tabak verbrannt wird, ist ein Auslaufmodell. Das müssen wir klipp und klar sagen, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern schuldig.

Die eigentliche Frage, die es nun zu stellen gilt, lautet: Wie können wir den Nichtraucherschutz effektiv und konsequenter durchsetzen? Im Zweifel sollte dieser Schutz lieber stärker als schwächer sein; denn wir müssen auch hier über den Tellerrand schauen und den Kontext der Frage beachten.

Wir leben in einer zunehmend alternden Gesellschaft, die eine große Herausforderung für unser Gesundheitssystem darstellt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Krebserkrankungen durch das gefährliche Passivrauchen zunehmen. Davor warnen übrigens auch Mediziner. Gerade kostspielige Krebsbehandlungen bedeuten für das Gesundheitssystem große finanzielle Belastungen.

Dabei gilt eine Warnung der WHO zu beachten, nach der bei einer Shisha 100‑mal mehr Rauchvolumen inhaliert wird als bei einer einfachen Zigarette. Darüber hinaus sind auch die Schadstoffe gefährlicher als bei einer einfachen Zigarette.

Vor diesem Hintergrund müssen wir auch an die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Shisha-Bars denken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es kann nicht im Sinne des Arbeitsschutzes sein, Herr Minister, dass es zum Job dieser Menschen gehört, sich regelmäßig und intensiv Schadstoffbelastungen auszusetzen. Auch diese Menschen gilt es zu schützen. Es kommt also nicht darauf an, wo die Shisha im Endeffekt geraucht wird – außen oder innen –, wenn die Holzkohle im Inneren verbrannt wird. Es ist daher ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die körperliche Unversehrtheit und somit auch die Gesundheit des Einzelnen über die Gewinninteressen von Shisha-Bar-Betreibern zu stellen.

Wahrscheinlich werden Sie mir in allen Punkten zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Ärgerliche ist und bleibt, dass die schwarz-gelbe Koalition am Ende nichts tut, um diese Vorsätze in die Realität umzusetzen. Stattdessen verweist sie die Bürgerinnen und Bürger an die Kommunen. Das ist aber alles andere als eine gestalterische und mutige Politik, die Sie so oft für sich reklamieren.

Wir merken seit Jahren, dass es zu massiven Verstößen beim Nichtraucherschutz kommt und dass die Sanktionen, die von den Kommunen verhängt werden, keine abschreckende Wirkung entfalten. Wieso verschärfen wir das Raucherschutzgesetz nicht, wenn wir das wissen? Wieso erhöhen wir die Strafen nicht? Wieso vereinfachen wir nicht den Entzug der Betriebserlaubnis? Es geht immerhin um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Hier ist das Land verpflichtet, aktiv zu werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

In meiner Kleinen Anfrage vom 21. Februar dieses Jahres habe ich das Ministerium bereits auf die Problematik hingewiesen. Der SPD-Fraktion war klar, dass es nicht bei Einzelfällen bleiben, sondern zu weiteren Verstößen kommen wird. Es war uns ferner klar, dass es sich hier um ein strukturelles Problem handelt, auf das der Gesetzgeber oder das Ministerium reagieren muss.

Vor diesem Hintergrund habe ich das Ministerium gefragt, wie es die Lage einschätzt, und ob konkrete Maßnahmen bezüglich der zahlreichen Verstöße in Shisha-Bars geplant sind. Die ernüchternde Antwort des Ministeriums lautete – ich zitiere –, „dass die Umsetzung“ des Nichtrauchergesetzes „mittlerweile überwiegend problemlos abläuft“ und „keine besonderen Maßnahmen … geplant“ sind.

Sogar die Ärztekammer Nordrhein hat auf das grundsätzliche Gesundheitsproblem aufmerksam gemacht und deshalb gefordert, dass es zur flächendeckenden Pflicht wird, Kohlenstoffmonoxidmelder in Shisha-Bars zu installieren. Hierzu haben Sie bereits im März mitgeteilt, dass es einen entsprechenden Erlass geben soll. Bis heute ist nichts passiert.

In Anbetracht dieser Tatsachen wirkt es inkonsequent, wenn Sie, Schwarz-Gelb, jetzt die Empörten spielen und versuchen, den Kommunen die Schuld in die Schuhe zu schieben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Statt sich an die eigene Nase zu packen, zeigen Sie mit dem Finger auf die Kommunen, die bei dieser Problematik von Ihnen vollkommen im Stich gelassen werden. Dabei ist Ihr vorgeschobenes Argument absurd: Sie verweisen auf die Zuständigkeit der Kommunen.

Hier handelt es sich aber – das haben auch meine Vorredner gesagt – um ein weitläufiges Problem, das nicht nur eine Kommune betrifft. Das Ministerium hat hier die Aufsichtspflicht und kann sich bei solchen Problemlagen keinen schlanken Fuß machen. Bei den Rockerbanden verweisen Sie auch nicht auf die einzelnen Polizeipräsidien oder das kommunale Ordnungsamt.

Anlässlich der Geschehnisse vom Wochenende möchte ich noch etwas zu Bochum sagen, weil auch meine Vorredner darauf Bezug genommen haben. Dass Bochum im Fokus steht, hängt damit zusammen, dass in Bochum intensivst kontrolliert wird. Seit August 2017 wurden insgesamt 23 Kontrollen durchgeführt. Im Schnitt wurden zwölf Betriebe pro Nacht kontrolliert.

Bei den Kontrollen wurden 1 t unverzollter Tabak und 1.500 Zigaretten sichergestellt, 35-mal Betriebe wegen Hygienemängeln geschlossen, 105 Anzeigen geschrieben, 40 Ordnungsverfügungen erlassen, Bußgelder in Höhe von 26.600 Euro festgesetzt, Zwangsgelder in Höhe von 81.000 Euro ausgesprochen und fünf Widerrufsverfahren zum Entzug der Konzession eingeleitet.

Was sollen die Kommunen denn noch mehr machen, Herr Minister, als in Bochum getan wird? In Anbetracht dieser Zahlen aus Bochum ist es längst überfällig,

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

das Nichtraucherschutzgesetz zu verschärfen. Es kann nicht sein, dass Betriebe geschlossen werden und gleich wieder aufmachen. Wir brauchen sensiblere Strafen und neue Konzeptionen.

Ich verstehe auch nicht, wieso CO-Melder nicht schon längst Pflicht sind. Wir brauchen ein CO-Warnmelderkonzept, das die Menschen schützt. Ich hoffe, das wird nicht wieder eine Never-ending Story wie bei den Rauchmeldern in der vergangenen Legislaturperiode; das hat auch ziemlich lange gedauert.

Ich kann nur noch einmal sagen: Der heutige Antrag ist zumindest dem Ansatz nach ein erster richtiger Schritt. Willkommen in der Realität! All das hätten wir schon eher haben können und uns vielleicht auch Verletzte ersparen können. Stattdessen mussten erst wieder Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden, bevor die Bedeutung des Themas erkannt worden ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Lieber spät als nie!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Nur zur Information der Kolleginnen und Kollegen: Kollege Yüksel hat die Redezeit etwas überschritten. Aber ich denke, er hat in diesem Gremium eine Menge gut. – Danke schön.

Ich darf dann das Wort an den Kollegen Mostofizadeh weitergeben.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich dem Kollegen Yüksel nur anschließen. Als ich die Anmeldung zur Aktuellen Stunde gelesen habe, habe ich mich gefragt: Was wollen CDU und FDP damit erreichen?

Die Frage richtet sich unter anderem an die Minister Reul und Laumann. Im April dieses Jahres – darauf hat der Kollege hingewiesen – hat das Landesgesundheitsministerium unter anderem auf seine Anfrage – also die der SPD, nicht der CDU oder der FDP – ausführlich Stellung genommen.

Das Ministerium hat unter anderem ausgeführt, dass alles in Arbeit sei. Die Zollbehörden, die kommunalen Behörden und die Gesundheitsbehörden des Landes seien unterwegs, und – der Kollege Yüksel hat auch darauf hingewiesen – es sei in erster Linie eine Aufgabe der Kommunen, diese ganzen Aufsichtsmaßnahmen durchzuführen. Deswegen hatten Sie ja auch noch gesagt, das Land würde die Kommunen im Regen stehen lassen.

Ihre Aktuelle Stunde – ich habe mich zurückgehalten, was andere Punkte anbelangt – ist nichts anderes als ein Misstrauensvotum an die Minister Reul und Laumann, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Lachen von der CDU)

Ich kann mir schon ungefähr vorstellen, was gleich im zweiten Durchgang passieren wird. Da wird es nicht mehr um Shisha-Bars gehen, sondern es wird um Organisierte Kriminalität und um die Clanstrukturen im libanesischen Bereich gehen. Die AfD wird sich in diesem Zusammenhang schon warmlaufen.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich für den Beitrag von Herrn Schnelle eigentlich dankbar war, wobei ich mich gewundert habe, dass nicht Herr Preuß geredet hat. Obwohl er sozusagen aus erster Hand aus dem Gesundheitsbereich hätte berichten können, haben Sie jemand aus dem innenpolitischen Bereich sprechen lassen, der offensichtlich entweder die Vorlage nicht gelesen hatte oder sich den Sachverhalt erst wieder mühsam anlesen musste.

Für die Grünenfraktion kann ich feststellen: Der Gebrauch von Shishas in Shisha-Bars – das wurde eben auch noch einmal ausführlich dargelegt – ist gefährlich. Wir würden bevorzugen, was die Ministerin Steffens angeregt hatte, dass nämlich das Rauchen auch in Shisha-Bars nicht erlaubt ist. Das Gericht hat dann differenziert: Das Dampfen sei erlaubt. – Faktisch wird aber immer wieder geraucht. Wenn dem von vornherein grundsätzlich ein Riegel vorgeschoben worden wäre, könnte es insofern das Geschäftsmodell, in Räumen rauchen zu können, heute nicht mehr geben. Das ist aber nicht die Sachlage. – Wir Grünen wollen ein klares Rauchverbot!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein zweiter Punkt ist: Wie kann man die Gesundheitsgefahr bekämpfen? Kohlenmonoxid ist eine tödliche Gefahr, aber auch, wenn man nur eine Schädigung erleidet, ist das oft eine lebenslange Schädigung. Man wird möglicherweise schwerste Gehirnschäden davontragen, und insofern ist selbst die Verletzung quasi schon ein Urteil, das für das restliche Leben gilt. Wir Grünen fordern deswegen CO-Melder in den Gaststätten. Das Bauministerium hat jedoch auf Anfrage im Januar dieses Jahres mitgeteilt, es sehe in diesem Zusammenhang keinen Handlungsbedarf.

Auch Herr Minister Laumann hat in seiner Vorlage kein Wort darüber verloren, wie man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen und wie man dafür sorgen will, dass es nicht mehr zu solchen Unfällen kommt. Es sind auch nicht nur die Vorfälle am Wochenende gewesen, sondern – Sie haben es ja selber vorgetragen – da sind Dutzende, Hunderte von Menschen in Düsseldorf in die Druckkammer gekommen. Die Gefahr ist einfach sehr groß.

Wir können aber auch ein wenig Ursachenforschung betreiben, warum hier nicht gearbeitet wird. Bei der FDP in Schleswig-Holstein äußert sich der gesundheitspolitische Sprecher wie folgt:

„Wir treffen uns auf Moloko und Shisha. Shisha verbindet Kulturen und fördert den Austausch bei jungen Menschen. Schwarze Schafe bei den Shisha-Bars, die Kohlenmonoxid-Vergiftungen in Kauf nehmen, müssen dichtgemacht werden.“

Die FDP in Schleswig-Holstein findet die Shisha-Bars also ganz hervorragend und möchte sie sogar noch fördern.

Der Kollege Schnelle hat einen weiteren Aspekt angesprochen: die tabaksteuerrechtliche Frage, ob nämlich dann, wenn man die für eine Shisha üblichen 15 Gramm nutzt, ein zweiter steuerrechtlicher Tatbestand entsteht, weil man das Ganze nur in 250-Gramm-Packungen verkaufen kann. Diese Frage wollte die Bundestagsfraktion mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag gelöst wissen. Sie sind jedoch – zumindest lese ich das aus Ihrer Anfrage heraus – dafür, dass die Shisha-Bar-Betreiber nicht mehr zollrechtlich verfolgt werden und dass das zugunsten der Shisha-Bar-Betreiber geändert wird.

Das, was Herr Schnelle will, nämlich dass die Zollbehörden in den Shisha-Bars Zollfahndungen durchführen, will die FDP zumindest auf Bundesebene nicht. Sie sind deshalb widersprüchlich in der Frage und offensichtlich auch nicht handlungsfähig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eines will ich Ihnen ganz klar sagen: Wir sind dafür, dass der Mindestlohn eingehalten wird, die Menschen in den Shisha-Bars geschützt werden und der Gesundheitsschutz eine große Rolle spielt. Herr Minister Laumann, Sie oder Ihre Fraktion können sich heute nicht hierhinstellen und sagen: Auf Landesebene läuft alles super, während die kommunalen Behörden versagen – weil es sonst nicht zu erklären wäre, dass die Shisha-Bars im Prinzip rechtmäßig gar nicht mehr zu betreiben seien. Da versagen entweder die kommunalen Behörden oder Sie.

Ich kann deswegen nur sagen: Handeln Sie auf Landesebene! Sorgen Sie dafür, dass genug Personal zur Verfügung steht, die Tatbestände verfolgt werden und – verdammt noch mal – der Gesundheitsschutz der Menschen  an erster Stelle steht. Das ist der Auftrag der Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Herr Kollege hat an einer Stelle Andeutungen über Shisha-Bars als Rückzugsraum für illegale Machenschaften und anderes gemacht. Wenn die Landesbehörden, die Justizbehörden und die Strafverfolgungsbehörden Anhaltspunkte dafür haben, ist es doch die Aufgabe der Landesregierung, eine Strategie zu entwickeln und konsequent dagegen vorzugehen. Das ist schließlich nicht erst bekannt, seit es diesen Unfall in Bochum gegeben hat.

Ich hatte diese Debatte bisher als relativ sachlich empfunden, und Herr Lürbke hatte das auch so vorgetragen. Ich frage mich allerdings, warum Sie nicht die Möglichkeit genutzt haben, dieses Thema konsequent und sachlich im Ausschuss abzuarbeiten. Dazu gehörte, einen Antrag in den Landtag einzubringen, ein Handlungskonzept im Gesundheits- und im Innenausschuss zu fordern, möglicherweise auch Sachverständige einzuladen, um dann die jeweiligen Handlungsschritte daraus abzuleiten.

Warum machen Sie das in der Aktuellen Stunde? Wollen Sie – im wahrsten Sinne des Wortes – nur heiße Luft in den Raum blasen, oder sind Sie an einer Lösung interessiert?

Ich habe heute von Ihnen keinen Lösungsvorschlag erkennen können und habe eher den Eindruck, dass Sie die Themen „Shisha-Bars“, „Clankriminalität“ und anderes einfach noch mal in den Fokus nehmen wollten. Nachdem der Kollege Reul in dieser Woche zu diesem Thema auch im Fernsehen zu sehen war, kann er jetzt ja aus dem Nähkästchen plaudern und das im Parlament ausbreiten. Das ist aber keine sachliche Debatte.

Ich wäre sehr daran interessiert, die sachlichen Punkte abzuarbeiten, und fordere Sie auf, zur Sachdebatte zurückzukehren und hier Vorschläge zu machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die AfD hat nun Herr Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal sind die einfachsten Dinge die besten – zum Beispiel, wenn man nach zwei Wochen Rucksackurlaub das erste Mal wieder im eigenen Bett schläft, oder ein gut auf den Punkt gegartes Stück Rindfleisch isst, oder dass 1992 die katholische Kirche im Zusammenhang mit der Rehabilitation von Galileo Galilei anerkannt hat, dass die Erde doch keine Scheibe, sondern eine Kugel ist, oder dass wir am 15.11.2018 eine Aktuelle Stunde dazu haben, dass die Verbrennung von kohlestoffhaltigen Materialien bei wenig Sauerstoffzufuhr CO-Gas entstehen lässt und dadurch in geschlossenen Räumen eine CO-Vergiftung ausgelöst werden kann.

Das ist tatsächlich ein sehr aktuelles Thema. Nicht umsonst hat sich die Wissenschaft mit damit schon eine ganze Weile beschäftigt.

Sie können sich vielleicht daran erinnern, dass wir gestern viel über den Tagebau gesprochen haben. Für gefährliche Gase hatte man früher immer kleine Kanarienvögel mit in die Grube genommen , um zu testen, ob ein Stollen unter Tage mit diesen Gasen gefüllt war. Heutzutage müssen dafür keine Vögel mehr sterben. Im sortierten Fachhandel finden Sie für ca. 20 Euro diese kleinen, grauen Wunderkästen, die man an die Decke montieren kann: CO-Melder.

(Zuruf von der SPD)

Das ist eines der Wunderwerke der Technik, mit dem Sie herausfinden können, ob in einem Raum eine höhere CO-Belastung vorhanden ist. Das gibt es tatsächlich.

Wenn Sie sich jedoch einmal anschauen – wir haben es gerade gehört: Allein dieses Jahr sind 40 Patienten mit einer CO-Vergiftung in die Uniklinik eingeliefert worden –, wie eine solche Unterdruckkammer aussieht, dann sieht man dem Apparat gleich an, dass man ihn wahrscheinlich nicht für 20 Euro bei eBay bekommt. Das ist vielmehr eine relativ kostspielige Geschichte.

So wundert es auch nicht, dass die Ärztekammer schon vor über einem Jahr gewarnt hat, dass von den Shisha-Bars eine Gefahr ausgeht. Denn – der Ärztekammer ist das genauso wenig neu wie der wissenschaftlichen Öffentlichkeit – es ist vollkommen egal, ob man auf der Shisha Tabak verbrennt oder Trockenobstblöcke verdampft – es geht nämlich um die Kohlebriketts, die bei zu wenig Luftzufuhr in einem geschlossenen Raum verglimmen und dabei CO entstehen lassen.

Was haben wir da auf der Nicht-Habenseite? – Wir wissen zum Beispiel gar nicht so genau, ob Feinstaubbelastung oder NO-Gase sonderlich giftiger sind als Aufschnitt. Das wissen wir nicht. Was wir aber wissen, ist die Tatsache, dass Kohlenstoffmonoxid in sehr geringen Konzentrationen extrem schädlich ist. Deswegen ist es fast schon tragisch – auch wenn ich so humoristisch eingeleitet habe –, dass es mit diesem Zwischenfall in Bochum erst wieder zu einer traurigen Aktualität kommen musste.

Übrigens muss ich auch da Herrn Yüksel widersprechen: Das hat nichts damit zu tun, dass in Bochum besonders gut kontrolliert wird. Wenn vier Leute in ein Krankenhaus eingeliefert werden, weil sie eine Kohlenstoffmonoxidvergiftung haben, hat das nichts mit guter Kontrolle zu tun, sondern damit, dass diese Menschen in Bochum mit diesem Gas in Kontakt gekommen sind. Es ist traurig, dass wir eine solche Aktualität brauchen, um diese Banalität hier wieder zu diskutieren.

Damit schließe ich, wie ich begonnen habe: Es ist zumindest gut, dass wir jetzt darüber diskutieren, und dass auch die CDU diese wissenschaftlichen Banalitäten mittlerweile anerkennt; denn manchmal sind die einfachsten Dinge eben die besten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Vincentz. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Reul das Wort. Bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Zu dem aktuellen Fall ist bereits viel gesagt worden; das muss man nicht alles wiederholen. Das ist ein kritischer Fall. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass hier eine Debatte über Shisha-Bars im Hinblick auf den Gesundheits- und den Nichtraucherschutz zu führen ist.

Vielleicht muss man der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass die Landesregierung in diesem Bereich schon unterwegs ist. Das Wirtschaftsministerium hat Anfang dieses Jahres das Thema „Kohlenstoffmonoxidgefahr in Shisha-Bars“ aufgegriffen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Es wird derzeit an Vollzugshinweisen mit technischen Grenzwerten, Anforderungen an Be- und Entlüftung sowie an die Pflicht zur Installation von Warnmeldern und Warnhinweisen gearbeitet. Dieser Teil ist längst in der Arbeit. Vielleicht beruhigt das einige der Damen und Herren, die sich hier aufgeregt haben. Wenn man aber das Thema „Shisha-Bars“ auf die Frage des Nichtraucherschutzes reduziert, hinterlässt das schon ein merkwürdiges Gefühl. Dazu fällt mir nichts mehr ein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dazu fällt mir nun überhaupt nichts mehr ein. Wenn Sie von einem Thema, das die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen aufregt, dadurch ablenken, dass Sie hier über Nichtraucherschutz reden wollen,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Hat Ihr Kollege auch gemacht!)

dann fassen sich die Leute an den Kopf, wenn sie hören, was Sie hier erzählen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Haben Sie immer noch kein Gefühl dafür entwickelt, was im Umfeld von Shisha-Bars passiert? Dass die wie Pilze aus dem Boden schießen – aber nicht deshalb, weil dort Leute rauchen wollen, sondern weil da krumme Geschäfte gemacht werden, weil da Geldwäsche betrieben wird und anderes mehr?

(Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und der AfD)

Nicht in jeder einzelnen Shisha-Bar – damit das auch geklärt wird –, aber in deren Umfeld allgemein! Das Umfeld dieser Bars ist in Nordrhein-Westfalen der Boden für Clankriminalität.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und der AfD)

Darum muss man sich kümmern. Das kann man nicht einfach laufen lassen.

Meine Damen und Herren, dazu gehört auch eine saubere Analyse; da haben Sie recht. Erstens: Warum sind in den 80er-Jahren diese Menschen ins Ruhrgebiet gekommen?

(Zuruf von der SPD)

Warum hat sich die Politik nicht darum gekümmert? Warum sind die Probleme entstanden? – Ich glaube, es sind einige kritische Fragen zu stellen, warum das Ganze überhaupt entstanden ist; das stimmt. Und zweitens: Warum ist in den letzten Jahren gar nichts passiert? Warum hat sich eigentlich nie jemand darum gekümmert?

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Warum fangen wir erst jetzt damit an, uns systematisch um dieses Problem zu kümmern?

(Zuruf von der SPD)

Es geht nicht nur um die Shisha-Bars. Das ist viel komplizierter, da haben Sie recht.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zurufe von der SPD)

Es geht auch darum, was in diesem Umfeld an kriminellen Aktivitäten entsteht, wenn sich Clans bilden, wenn bestimmte Familienclans glauben, sie könnten bestimmen, welche Regeln in einer Stadt, in einer Straße, in einem Stadtviertel zu gelten haben. Da muss ich sagen, dass ich fassungslos bin, dass Sie bei solch einem Thema anfangen, über Nichtraucherschutz zu debattieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] – Zuruf von den GRÜNEN)

Das können Sie von mir aus auch gerne weitermachen. Ich sage Ihnen nur, dass wir in den letzten Monaten verdichtete Kontrollen durchführen – und zwar nicht durch die Polizei allein, nicht durch die Landesregierung allein, sondern weil da Gott sei Dank und dankenswerterweise die unterschiedlichen Kräfte zusammenarbeiten: Zoll, Finanzamt, Ordnungsamt, Gesundheitsamt und Polizei kümmern sich gemeinsam um das Problem.

Sie kümmern sich erstens kontinuierlich – also immer wieder, nicht eine Shownummer – darum, und zweitens sind sie in aller Konsequenz damit unterwegs. Sie sind gemeinsam, kontinuierlich und konsequent unterwegs. Das führt dann dazu, dass 278 Strafanzeigen und 542 Ordnungswidrigkeiten aufgenommen wurden. Es wurden 40 Personen festgenommen, 445 Objekte kontrolliert. Es gab über 600 Maßnahmen anderer Behörden hinsichtlich Tabak, Hygiene, Glücksspiel, Gaststättenverordnung usw., und 15 der kontrollierten Objekte wurden geschlossen.

Noch ein Satz dazu: Ich halte das für richtig und zwingend notwendig. Es war höchste Zeit, dass es passiert. Aber es glaube bitte keiner, dass damit das Problem der Clankriminalität schon gelöst wäre. Das ist viel komplizierter. Jahrzehntelang ist nichts gemacht worden, und es wird lange dauern, das alles wieder zu lösen. Dazu braucht es drei Schritte:

Erstens muss intensiv im Bereich der Organisierten Kriminalität – Geldströme und anderes mehr – gearbeitet werden. Wir haben eine Taskforce in Nordrhein-Westfalen eingerichtet.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Am Wochenende?)

Das ist aber eine Arbeit, die sehr, sehr langwierig ist; die ist nicht schnell zu erledigen.

Zweitens. Man muss im Rahmen solcher Razzien – dazu muss ich jetzt sicher nichts mehr sagen – gemeinsam mit unterschiedlichen Institutionen konsequent und kontinuierlich dranbleiben und den Kontrolldruck erhöhen.

Drittens – das gehört auch dazu – muss sich die Politik Antworten darauf einfallen lassen, welche Hilfsangebote man denjenigen machen kann, die aus diesen Clans herauswollen, weil sie dieses Leben satt haben und sich eine neue, eigene Karriere auf normalem Wege aufbauen wollen. Dazu haben wir uns noch nichts einfallen lassen. Ich will auch gar nicht sagen, dass wir das …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann macht doch mal eine Aktuelle Stunde dazu!)

– Entschuldigen Sie, ich bin jetzt ein Jahr im Amt. Sie haben hier zehn Jahre regiert und das alles versemmelt. Es ist überhaupt nichts passiert.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Wenn ich zu diesem Thema von Rot und Grün den Hinweis bekomme, man möge sich darum kümmern, kriege ich Lachkrämpfe.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich habe über ein parlamentarisches Instrument gesprochen! Das ist gespielte Aufregung!)

– Waren Sie schon mal ein, zwei Nächte unterwegs und haben sich angeschaut, was da los ist, oder kennen Sie das nur aus dem Fernsehen?

(Frank Müller [SPD]: Wie lange haben Sie dafür vor dem Spiegel geübt, Herr Minister?)

Wissen Sie, was für ein Problem sich da entwickelt hat? Haben Sie verstanden, dass sich das über Jahre und Jahrzehnte entwickelt hat und dass man sich jetzt endlich kümmern muss? Ich sage Ihnen: Wir kümmern uns mit aller Konsequenz darum. Das gilt für alle drei Bereiche: Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, vermehrte Razzien und somit Erhöhung des Kontrolldrucks sowie Erarbeitung von Ausstiegschancen.

Im Übrigen machen wir das auch in anderen Bereichen schon so, und wir werden es auch in diesem Bereich anbieten. Wir werden dafür sorgen, dass diejenigen, die aus diesen Clans aussteigen wollen, Hilfe vom Staat bekommen. Dessen können Sie sich ganz sicher sein. Aber das kann man nicht mal eben so aus dem Ärmel schütteln.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank, dass Sie zugehört haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Zukunft nicht nur über den Nichtraucherschutz sprechen würden, sondern auch über die Clankriminalität.

(Beifall von der CDU – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Dann müssen Sie den Antrag so formulieren! – Zuruf von der SPD: Das ist eine Frechheit, Herr Minister!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Für die SPD erteile ich noch einmal dem Kollegen Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, in der zweiten Runde noch einmal darauf einzugehen, weil ich der Auffassung war, dass wir über ein gesundheitspolitisches Thema sprechen. Die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU haben das auch getan. Herr Minister, ich habe den Eindruck, dass Sie den Antrag Ihrer eigenen Fraktion nicht gelesen haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.

(Beifall von der SPD – Minister Herbert Reul: Das ist kein Antrag, das ist eine Aktuelle Stunde!)

– Ja, zu diesem Thema wurde eine Aktuelle Stunde mit einer gesundheitspolitischen Diktion beantragt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Der Minister darf nicht reinrufen, Herr Präsident! – Zurufe von der CDU: Oh!)

Wenn Sie die Kleinkriminalität, sprich: die Organisierte Kriminalität, in den Fokus hätten stellen wollen, dann hätten Sie heute Morgen einen anderen Antrag stellen müssen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben im Gesundheitsausschuss auch darüber diskutiert. Ich möchte einmal aus dem Ausschussprotokoll zitieren, was der Kollege der FDP dazu gesagt hat, als ich auf die Problematik, die Herr Reul zum Teil angesprochen hat, eingegangen bin. Herr Rainer Matheisen sagte, es gehe hier nicht um ein Problem von Shisha-Bars im Allgemeinen. Diese fänden doch bei so vielen Menschen Anklang und seien akzeptiert. Den Shisha-Bars, wie gerade gefordert, den Garaus zu machen, hielte er für völlig daneben.

Das war Ihre gesundheitspolitische Betrachtung im Ausschuss.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich sehe das viel strenger!)

Sie müssen sich in der Koalition schon darauf einigen, ob Sie Shisha-Bars als Hort der Kriminalität ansehen oder nicht. Wenn dem so ist, dann müssten Sie als Innenminister konsequent vorgehen, statt bei einem solchen Antrag – das ist völlig daneben – ein innenpolitisches Thema daraus zu machen. Vielleicht gilt aber auch das, was der FDP-Kollege gesagt hat. Deshalb wäre es nicht schlecht, wenn Sie sich einig würden über die Diktion, wie Sie weiter mit den Shisha-Bars umgehen wollen.

(Marc Lürbke [FDP]: Dann hätten Sie mir nur zuhören müssen! – Zurufe von der SPD)

– Ich habe Ihnen zugehört, aber Sie haben genau das Gegenteil von dem gesagt, was Ihr Kollege gesagt hat. Das ist das Problem. Deshalb wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Sie sich vorher mit Ihrem Kollegen abgestimmt hätten, in welcher Diktion Sie das Thema behandeln wollen.

(Beifall von der SPD)

Insoweit, Herr Reul, hätten Sie Ihren Blutdruck am frühen Morgen gar nicht so sehr nach oben treiben müssen. Die Themen Organisierte Kriminalität, Kleinkriminalität und Clankriminalität sind sehr, sehr wichtig, und wir brauchen diesbezüglich auch eine sehr umfassende Konzeption in Nordrhein-Westfalen. Das negiert meine Fraktion überhaupt nicht. Dass Sie jetzt jedoch die gesundheitspolitische Diskussion zum Anlass nehmen, das Ganze aufzubauen, ist aus Sicht meiner Fraktion völlig daneben.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Für die CDU hat nun der Kollege Golland das Wort.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt kommt der gesundheitspolitische Experte der CDU! – Minister Herbert Reul: Jetzt kommt die starke Kraft von rechts! – Heiterkeit)

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir eine Freude, auf dem Weg zum Redepult diese Zustimmung zu erfahren.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Hätten Sie die Beantragung der Aktuellen Stunde gelesen, wäre Ihnen aufgefallen, dass im unteren Abschnitt eindeutig von den kriminellen Strukturen, die im Zusammenhang mit Shisha-Bars auftreten, die Rede ist.

(Beifall von der CDU)

Mein Kollege Thomas Schnelle hat bereits ausführlich die Gefahren des Rauchens von Wasserpfeifen in sogenannten Shisha-Bars beschrieben. Einen Punkt möchte ich noch besonders hervorheben. Der oft süßliche Geruch und Geschmack, die fälschlicherweise geglaubte Wasserfilterung des Rauches und das sonore Blubbern lassen diese Wasserpfeifen als harmlose Art des Rauchens oder gar der coolen Freizeitgestaltung, insbesondere für junge Menschen, erscheinen.

Dabei sind der Rauch und die darin enthaltenen Stoffe einer derartigen Pfeife häufig viel gefährlicher als bei gewöhnlichen Zigaretten. Das haben heute übrigens schon mehrere Redner gesagt. Ich glaube, darin herrscht Einigkeit. Hier brauchen wir dringend mehr Aufklärung und einen Schutz der betroffenen Aktiv- wie Passivraucher. Das Nichtraucherschutzgesetz ist hier eindeutig und gilt für gastronomische Betriebe wie Shisha-Bars ausnahmslos.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Es muss nur noch stärker durchgesetzt werden. Wir haben eine Verantwortung für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung,

(Lachen von der SPD)

insbesondere unserer jungen Menschen.

(Demonstrativer Beifall von der SPD)

– Danke schön. – Der zweite Aspekt – und jetzt werden Sie wahrscheinlich nicht mehr klatschen – ist das häufig illegale oder gar kriminelle Umfeld, welches sich gerne in solchen Bars oder Cafés aufhält, zum Beispiel kriminelle Clans, die mit ihrer Brutalität nahezu tagtäglich in den Schlagzeilen landen.

Alle von uns werden sich an die Berichte aus Essen erinnern, wo Anfang September bei einer Routinekontrolle eine Polizeibeamtin schwer verletzt worden ist. Im Rahmen der Nulltoleranzstrategie wollte die Polizei prüfen, ob die Bestimmungen des Jugendschutzes eingehalten wurden. Während die Kontrolle in der sogenannten „Buddy Bar“ am Kopstadtplatz durchgeführt wurde, flüchtete ein Kunde, der sich nicht ausweisen wollte. Was eine einfache Kontrolle werden sollte, lief völlig aus dem Ruder. Mehrere Männer wurden gegenüber den Beamten gewalttätig, weil sie sich nicht ausweisen wollten. Eine Polizistin wäre noch schwerer verletzt worden, hätten nicht mutige Passanten eingegriffen.

In Marl hatte die Polizei im Oktober im Rahmen einer Großrazzia die Clankriminalität im Visier. Beteiligt waren hier auch Zollbeamte, Steuerfahnder, Finanzexperten und Mitarbeiter des Marler Ordnungsamtes. Laut dpa-Meldung wurden 85 Personen überprüft und mehr als 40 kg unversteuerter Wasserpfeifentabak sichergestellt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch super!)

Drei überprüfte Verdächtige wurden wegen Steuerhinterziehung angezeigt, in acht Fällen Spielautomaten sichergestellt oder versiegelt. Ein Ladenlokal wurde aufgrund zu zahlreicher Verstöße noch am gleichen Abend geschlossen.

Diese und viele andere Beispiele belegen: Shisha-Bars bieten gute Kommunikations- und Rückzugsebenen für Personen, die zu Recht im besonderen Fokus der Ermittlungsbehörden stehen. Wir können und dürfen es uns nicht gefallen lassen, dass diese Clans mit ihrer Subkultur unsere Gesellschaft unterwandern. Regelmäßigen Razzien und Kontrollen erhöhen den Druck auf eine Szene, die sich hier bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht weiter ausbreiten darf, die mit allen Mitteln zurückgedrängt werden muss, die der Rechtsstaat bietet.

(Beifall von der CDU)

Bei „Hart aber fair“ am vergangenen Montag mussten wir erleben, wie ein grüner Stadtrat aus Essen – den kennen Sie sicherlich gut – die Clandebatte als rassistisch geißelte und die Schuld bei der deutschen Gesellschaft suchte. Ein absurdes Beispiel, die Täter als Opfer darzustellen!

(Beifall von der CDU und der AfD)

Ich darf aus der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 13. November 2018 zitieren: „Essener Grünen-Politiker agiert wie ein Lobbyist der Clans.“ – Meine Damen und Herren, es ist unerhört, dass so etwas von ihm gesagt wird.

Von dem libanesischstämmigen Migrationsforscher Ralph Ghadban war bei Plasberg nicht die Rede. In seinem neuen Buch „Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr“ erklärt er: „Arabische Clans betrachten die Gesellschaft als Beutegesellschaft.“ An anderer Stelle sagt er:

„Seit den 90er-Jahren produzieren diese Clans die höchste Kriminalitätsrate in Deutschland. Statt sich zu integrieren, bauen sie ihre Großfamilien auf.“

Viel zu lange haben wir zugeschaut, wie sich organisierte kriminelle Subkulturen und Strukturen in unserem Land ausbreiten konnten – auch wegen falsch verstandener Toleranz und Rücksichtnahme, wo eine klare Ansage des Rechtsstaates auf allen Ebenen notwendig gewesen wäre; Herbert Reul hat eben schon etwas dazu gesagt.

Das ändern wir nun. Die neue Landesregierung geht konsequent und mit null Toleranz gegen diese Form der Parallelgesellschaften vor.

(Beifall von der CDU und der AfD)

Während unter Rot-Grün, unter Herrn Jäger, die Existenz solcher ausländischer Familienclans noch geleugnet oder verharmlost wurde, benennen wir die Probleme und lösen sie. Wir werden das Lagebild zur Clankriminalität in Kürze erstellen.

Wir packen diese Leute, wo es ihnen wehtut. Mit zahlreichen behördenübergreifenden Razzien decken wir Verbrechen auf, beschlagnahmen unrechtmäßig erworbene Luxusgüter, bekämpfen Steuerhinterziehung und viele weitere größere und kleinere kriminelle Machenschaften. Wir erstellen ein landesweites Lagebild; das habe ich schon gesagt. Zudem schaffen wir auch Taskforces aus Staatsanwaltschaft, Polizei, Ordnungs-, Jugend-, Ausländer- und Sozialämtern, die abgestimmte Maßnahmen gegen diese Gruppen konsequent zur Anwendung bringen.

(Beifall von der CDU)

Illegale Geldquellen krimineller Clans wollen wir durch wirksame Kontrollmaßnahmen unter Einbindung von Zoll-, Finanz- und Sozialämtern aufdecken und austrocknen. Wenn sich im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Kriminalität in Shisha-Bars zukünftig nichts ändert, werden wir auch ein Verbot dieser Einrichtungen erwägen.

(Beifall von der CDU und der AfD)

Das ist unsere Verantwortung als gewählter Gesetzgeber. Die nehmen wir ernst und wahr. Unsere Botschaft ist klar: Wer sich nicht an die Regeln hält, spürt die Folgen. Diese NRW-Koalition handelt. Es ist an uns,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Auf welcher Rechtsbasis, Herr Kollege?)

mögliche Strategien und Maßnahmen gegen Shisha-Bars zu entwickeln und umzusetzen und damit auch gegen Clankriminalität vorzugehen.

Kurzum: Die Shisha-Bars sind die Wohnzimmer der Clans. Dort müssen wir sie packen, dort müssen wir ermitteln, dort müssen wir konsequent unseren Rechtsstaat durchsetzen, und genau das werden wir in Nordrhein-Westfalen weiter tun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann verbiete mal Shisha-Bars! Viel Spaß!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Grünen erteile ich nun der Kollegin Schäffer das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde ist genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte. Anlass für die Aktuelle Stunde war der tragische Fall in Bochum, wo es um eine Kohlenmonoxidvergiftung ging, und deswegen hatte ich eigentlich gedacht, dass wir eine gesundheitspolitische Diskussion darüber führen, wie man solche Vorfälle in Zukunft verhindern kann. Stattdessen gehen die Innenpolitiker in die Bütt und vermischen zwei völlig unterschiedliche Themenfelder und Sachverhalte miteinander,

(Minister Karl-Josef Laumann: So ist es!)

auf die man auch unterschiedliche Antworten finden muss. Ich denke, das trägt nicht unbedingt zu einer Versachlichung der Debatte bei.

Um das deutlich zu sagen und aufzuschlüsseln: Wir reden hier über die gesundheitlichen Risiken in Shisha-Bars, Stichwort „Kohlenmonoxid“. Natürlich muss man dagegen ordnungsrechtlich vorgehen, und insofern ist es auch klar, Herr Reul, dass wir hier noch mal über das Nichtraucherschutzgesetz diskutieren.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das hat damit überhaupt nichts zu tun!)

Darauf bezogen sich auch unsere Zwischenrufe. Wir haben Ihnen nicht vorgeworfen, dass Sie nicht tätig seien. Wir wollten durch unsere Zwischenrufe lediglich deutlich machen, dass wir es schwierig finden, wenn Sie uns vorhalten, wir dürften nicht über den Nichtraucherschutz diskutieren, obwohl genau dies der Anlass für diese Aktuelle Stunde war. Das möchte ich hier noch mal bekräftigen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir über die gesundheitlichen Risiken sprechen, müssen wir natürlich über generelle Regelungen für alle Shisha-Bars diskutieren.

Das andere Thema, das hier angesprochen wurde, ist die Frage, inwieweit Shisha-Bars für kriminelle Zwecke, also zur Verabredung bzw. Planung von Straftaten, genutzt werden. Natürlich müssen die Ermittlungsbehörden dagegen vorgehen – allerdings anhand von konkreten Vorfällen, die sich auf die jeweilige Shisha-Bar, ihren Betreiber und die Personen, die sich darin aufhalten, beziehen. Deshalb kann man doch nicht pauschal gegen alle Shisha-Bars vorgehen, Herr Golland.

Sie haben auch gesagt, dass Sie alle Shisha-Bars dichtmachen wollen. Auf welcher Rechtsgrundlage wollen Sie das eigentlich machen?

(Gregor Golland [CDU]: Das habe ich gar nicht gesagt, Frau Schäffer! Sie müssen zuhören!)

Die FDP hat zu Recht mit dem Kopf geschüttelt, als Sie das gesagt haben. Wie wollen Sie das rechtsstaatlich durchsetzen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben uns, Rot-Grün, auch vorgeworfen, in unserer Regierungszeit sei nichts passiert. Das stimmt so nicht. Daher finde ich es auch populistisch, so etwas zu behaupten. Natürlich hat es auch unter Rot-Grün Kontrollen und Razzien gegeben. Die Debatten dazu haben wir hier doch geführt.

Es gibt beim LKA – das finde ich auch gut – ein Forschungsprojekt, das 2017 gestartet ist. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse; denn ich glaube, dass wir tatsächlich mehr wissen müssen über bestimmte Kriminalitätsfelder. Hier reden wir vor allen Dingen über Kriminelle mit einem libanesischen Hintergrund, und deshalb ist es wichtig, mehr darüber zu wissen, um gezielt dagegen vorgehen zu können.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Reul, ich stimme Ihnen sogar zu – das vermuten Sie wahrscheinlich gar nicht –, dass das alleinige Mittel nicht darin bestehen kann, die Shisha-Bars zu schließen. Natürlich werden sich die Orte verlagern. Natürlich werden Kriminelle andere Rückzugsorte finden, um dort ihre Straftaten zu organisieren oder zu planen.

Deshalb ist für mich das Ganze nicht an dem Ort festzumachen, sondern die Frage ist doch eher: Wie können wir Drogenhandel, den Handel mit Waffen und die Geldwäsche eindämmen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind die Fragen, die wir angehen müssen, um gegen Organisierte Kriminalität vorzugehen.

Wir hatten eine Anhörung im Innenausschuss zum Thema „Geldwäsche“, zum Thema „FIU“ – die Innenpolitiker erinnern sich daran –, in der das Urteil der Sachverständigen total vernichtend war in Bezug auf die Politik der Bundesregierung in Verantwortung der CDU, wo viel zu wenig getan wird, um Geldwäsche zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es wäre für mich ein Schritt, zu sagen: Wir müssen da rangehen. Wir müssen an Geldwäsche rangehen. Dann würden wir nämlich die Organisierte Kriminalität empfindlich stören und bekämpfen.

(Marc Lürbke [FDP]: In der Bundesregierung trägt auch die SPD Verantwortung!)

– Natürlich ist auch die SPD in der Verantwortung; das ist keine Frage. Natürlich ist es die Bundesregierung, Herr Lürbke, die da tätig werden muss.

Ich finde aber – das will ich hier auch noch einmal in der Debatte betonen; da bin ich vom Innenminister gar nicht so weit entfernt –, dass wir auch darüber reden müssen, welche Versäumnisse es in der Asylpolitik und in der Integrationspolitik gegeben hat.

Das haben Sie bei „Hart aber fair“ gesagt. Ich habe mir die Sendung gestern noch einmal angeschaut. Natürlich sind auch das Fragen, die wir besprechen müssen. Perspektivlosigkeit und Armut dürfen niemals Kriminalität und Straftaten relativieren oder sie verharmlosen. Aber man muss doch auch darüber sprechen, welche Gründe es für Kriminalität gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

In Essen und anderen Städten leben Menschen bereits in vierter Generation hier, aber immer noch in Duldung. Das kann auch aus einem sozialpolitischen Aspekt heraus nicht wahr sein. Da muss man darüber sprechen, wie man die Perspektivlosigkeit dieser jungen Menschen verändern und etwas für sie tun kann.

Dann reden wir nicht nur über Aussteigerprogramme – darüber können wir gerne diskutieren; das finde ich gut –, sondern dann müssen wir auch darüber reden, wie wir diese Perspektivlosigkeit angehen.

Die Stadt Essen führt schon seit einigen Jahren ein Modellprojekt mit dem Ziel durch, den Aufenthaltstitel junger libanesischstämmiger Menschen zu verbessern.

Wenn wir heute in dieser Debatte einen Konsens darüber erzielen, dass wir mehr solcher Modellprojekte brauchen, wäre das schon einmal ein wichtiger Schritt. Ich würde mich freuen, wenn wir einen solchen Konsens herstellen könnten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Matheisen.

Rainer Matheisen (FDP): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier in der Tat zwei Diskussionsstränge.

Der eine Diskussionsstrang beschäftigt sich mit der Kriminalität, die in einem Teil der Shisha-Bars anzutreffen ist. Das hat mein Kollege Marc Lürbke gerade sehr differenziert dargestellt, aber auch deutlich gemacht, dass man da mit aller Härte durchgreifen muss.

Der andere Diskussionsstrang betrifft das Thema „Gesundheitsschutz“. Dabei zeigt sich ein diametraler Unterschied zwischen dem, was beispielsweise Herr Yüksel gesagt hat – er hat auch mich zitiert –, und dem, was Freie Demokraten meinen.

Freie Demokraten sind nicht für einen Generalverdacht. Freien Demokraten geht es um einen Gesundheitsschutz in Eigenverantwortung. Es geht nicht darum, den Menschen zu sagen, wie sie ihr Leben gestalten sollen, sondern sie selber entscheiden zu lassen, sie aufzuklären.

(Beifall von der FDP)

Shisha-Bars sind heutzutage in der urbanen Bar‑ und Freizeitkultur längst etabliert. Wenn Herr Yüksel in der Ausschusssitzung sagt, er möchte gerne den Shisha-Bars den Garaus machen,

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Das war Herr Golland!)

dann ist das nicht das Ziel der Freien Demokraten. Das möchte ich gerne an dieser Stelle betonen.

Wir sind dafür, dass jeder selber entscheiden kann, ob er in eine Shisha-Bar geht oder nicht. Sie müssen nur ordentlich geführt werden und die Sicherheit der Menschen gewährleisten.

Wir wollen die Menschen nicht bevormunden, sondern wir wollen sie selbstbestimmt ihr Leben lassen. Wir wollen auch nicht aus Angst vor fremden Kulturen etwas verbieten, sondern jeder soll so leben, wie er möchte.

(Beifall von der FDP)

Gerade deswegen ist es uns wichtig, dass sich die Menschen in NRW darauf verlassen können, dass es in jeder Shisha-Bar hier in NRW sicher ist und man dort ohne Angst vor konkreten Gefahren für Leib und Leben eine Shisha rauchen oder Geselligkeit erleben kann. Daher begrüßen wir ausdrücklich die Initiative von Minister Professor Pinkwart und Ministerin Heinen-Esser, die einen Erlass für sichere Shisha-Bars auf den Weg bringen wollen.

In der Tat – es wurde eben schon angedeutet – lohnt sich ein Blick nach Schleswig-Holstein. Dort hat Wirtschaftsminister Buchholz für landesweite Standards und für die Anbringung von Kohlenmonoxidmeldern gesorgt. Dort wird so für Sicherheit gesorgt.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Genau diesen Weg wollen wir auch hier in Nordrhein-Westfalen gehen. Wir wollen keine pauschalen Verbote.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Steht aber in dem Antrag!)

Ich sage das ausdrücklich: Wir wollen als FDP keine pauschalen Verbote – das ist aber nicht der richtige Weg –, sondern wir wollen klare Qualitätsstandards. Dafür stehen wir als Freie Demokraten ein. Wir handeln, statt zu pauschalisieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Matheisen. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Loose.

(Zurufe)

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier ist ja wirklich Stimmung. Die Karnevalszeit scheint angebrochen zu sein. Das hebt die Stimmung.

Bei Shisha-Bars lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen. So wird es sich zumindest die Polizei im April in Essen gedacht haben. Dort hatte die Polizei groß angelegte Personenkontrollen mit dem Schwerpunkt Shisha-Bars durchgeführt. Dabei wurden in Summe 21 Bars und Geschäfte überprüft.

Bilanz des Abends: In sechs Shisha-Bars wurden 33 Kilogramm unversteuerter Wasserpfeifentabak sichergestellt. Steuerschaden für den ehrlichen Bürger: 1.150 Euro. Das hört sich erst einmal wenig an, aber das war lediglich die Untersuchung an einem Tag in einer Stadt in NRW.

Herr Yüksel hat schon größere Zahlen aus Bochum genannt. Die Frage lautet: Was würde passieren, wenn wir mal unangekündigt flächendeckend kontrollieren würden?

Ein kleiner Nebeneffekt dieser Untersuchung in Essen: Nebenbei wurden noch 25 mögliche Fälle von Sozialbetrug und zwei mögliche Fälle der Steuerhehlerei festgestellt. Ist das nur ein Zufall, oder ergibt sich da ein System? Hier wünschen wir uns Antworten von der Landesregierung.

Als Bochumer hatte mich der Kohlenmonoxidunfall vom letzten Wochenende besonders schockiert, aber leider auch nicht überrascht. So empfehle ich Ihnen: Gehen Sie einfach mal durch Bochum.

Beginnen Sie am Hauptbahnhof, und gehen Sie den Ring entlang zum Bermuda3eck; da finden Sie nach etwa 100 m die erste Shisha-Bar. Vor einem Jahr war da noch eine Cocktailbar mit karibischem Flair.

Gehen Sie weiter, kommen Sie nach 200 m links zum Bermuda3eck und in die Brüderstraße. Sie werden schockiert sein, denn auf der rechten Seite dieser Straße findet sich eine Shisha-Bar nach der anderen: eine komplette Shisha-Bar-Meile. Statt kultureller Vielfalt findet sich in dieser Straße nur noch kulturelle Einfalt. Bunt sind dort nur noch die Wasserpfeifen.

Ich kann Ihnen sagen: Einige Frauen haben mir schon berichtet, dass sie sich unwohl fühlen, wenn sie durch diese Straße gehen müssen. Das Stadtbild hat sich dort leider nicht zum Vorteil verändert.

Dann fragt der Oberbürgermeister von Bochum bei einem Jahrestreffen, wie es dazu kommen konnte – wohlgemerkt: ein SPD-Oberbürgermeister, nämlich Herr Eiskirch, der noch in der letzten Legislaturperiode hier im Parlament saß und nichts dagegen unternommen hat. Ihm ist das Problem anscheinend erst aufgefallen, als er Oberbürgermeister wurde.

Warum, so frage ich, werden diese vielen Shisha-Bars überhaupt geduldet? Warum braucht man nicht einmal eine Konzession für diese Shisha-Bars? Liebe Landesregierung, geben Sie den Kommunen doch einfach über das Konzessionsrecht eine Handhabe gegen diese Shisha-Bars.

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Aber den Kommunen sind die Hände gebunden.

Kommen wir zu einem weiteren Punkt: Wie können sich diese Bars finanziell überhaupt über Wasser halten? Wie sieht es mit der Einhaltung der Gesetze aus, angefangen beim Steuerrecht? Kleinverkaufspackungen müssten dort eigentlich verschlossen und mit einer Steuerbanderole gekennzeichnet sein. Nennen Sie mir mal eine Shisha-Bar, die Kleinverkaufspackungen mit Steuerbanderole anbietet.

Warum lässt der Staat diese Steuervergehen zu? Traut sich der Staat nicht mehr, dagegen vorzugehen? Sind diese Bars bereits fest in der Hand von Clans, die sich nicht mehr um die deutsche Gerichtsbarkeit scheren?

Waren die Razzien im April oder im Oktober ein Versuch, die Clanstrukturen zu bekämpfen, oder zeigt das eigentlich nur, dass die Behörden hilflos sind? Wie viele dieser Bars wurden geschlossen, und wie viele aus welchen Gründen nicht? Wo bleibt das konsequente Handeln der Regierung?

Nach dem Steuergesetz geht es mit dem Nichtraucherschutzgesetz weiter. Erklären Sie doch mal dem Jupp aus Bochum, der früher in seiner Eckkneipe geraucht hat, dass er da jetzt nicht mehr rauchen darf, wenn zugleich nebenan in den Shisha-Bars geraucht wird.

Jetzt ist Jupp auch noch auf E-Zigaretten umgestiegen, weil er denkt, dass das besser ist. Und was macht die Stadt Bochum oder auch die Stadt Köln? Sie verbietet auch E-Zigaretten. Nebenan in der Shisha-Bar aber wird geraucht. Damit wird das Nichtraucherschutzgesetz eindeutig mit Füßen getreten.

Dass der Kohlenmonoxidausstoß in den Shisha-Bars gefährlich ist, haben wir am letzten Wochenende in Bochum gesehen. Aber anstatt gegen die gefährlichen Shisha-Bars vorzugehen, kämpft die Landesregierung lieber gegen den Diesel.

Hier misst die Laschet-Regierung wieder einmal mit zweierlei Maß: Der deutsche Diesel ist für Sie eine Dreckschleuder und die Wasserpfeife eine kulturelle Bereicherung. – Da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Abschließend spricht nun Herr Minister Reul für die Landesregierung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Hat der Laumann nichts dazu zu sagen? – Minister Karl-Josef Laumann: Wartet mal ab!)

Herbert Reul, Minister des Innern: Doch, er hätte sogar gerne geredet, das kann jetzt aber nur einer. Darum haben wir uns geeinigt: Heute bin ich mal dran.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Da hätte ich mich aber gefreut!)

Da ich gestern schon für den Wirtschaftsminister und die Umweltministerin geredet habe, darf ich heute auch mal für den Gesundheitsminister mitreden.

(Frank Müller [SPD]: Das ist ja praktisch, da muss das Kabinett ja gar nicht mehr kommen!)

Ich will das nur klären.

Erstens. Frau Schäffer, das war ja eine relativ nette Rede, aber auf Teile daraus müssen Sie eine Antwort bekommen. Sie sagen, dass heute der Gesundheitsschutz im Mittelpunkt stehen soll: Warum spricht dann von Ihrer Fraktion die innenpolitische Sprecherin? Das habe ich nicht ganz verstanden.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Die zweite Runde! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Zweite Runde!)

Aber es ist okay. Offensichtlich haben Sie das Problem genauso gesehen wie ich. Das finde ich auch in Ordnung.

Zweitens. Natürlich dürfen Sie unter anderem auch über den Nichtraucherschutz reden. Sie müssen aber wissen, dass das Gesetz, welches bei uns in Nordrhein-Westfalen die Grundlage bildet, uns nur Handlungsmöglichkeiten für den Tabakkonsum im Sinne des Rauchens von Zigaretten und Ähnlichem bietet.

(Minister Karl-Josef Laumann: So ist es!)

Das ist die Grundlage, und dazu gibt es auch Gerichtsurteile.

Aber damit Sie auch wissen, dass die Landesregierung längst an diesem Thema arbeitet – ich habe es bereits gesagt, wiederhole es aber gerne noch einmal –: Es gibt eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Gesundheitsministeriums zusammen mit dem Bauministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltministerium.

Dort wird aktuell an einem Erlass gearbeitet, um in diesem Zusammenhang die Fragen des Gesundheitsschutzes und des Arbeitsschutzes zu lösen und eine glasklare Geschäftsgrundlage zu schaffen. Sie brauchen daher gar nichts mehr anzumerken: Die Sache läuft.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wir haben doch den Antrag nicht gestellt, sondern die von der CDU! Haben Sie das nicht verstanden, oder was?)

Drittens. Zum Thema „Clankriminalität“ im Umfeld von Shisha-Bars: Es gibt nicht nur eine Maßnahme, die hilft, sondern es muss mehrere Maßnahmen geben.

Zum einen muss systematisch und langfristig an der Bekämpfung Organisierter Kriminalität gearbeitet werden. Dazu gibt es bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung eine Taskforce mit Innenminister, Finanzminister und Justizminister. Daran wird längst gearbeitet.

Zum anderen wird an verstärktem Kontrolldruck gearbeitet – das können Sie auch täglich sehen –, um das Geschäftsmodell zu einem gewissen Grad kaputtzumachen, zu stören und Unruhe zu schaffen.

(Beifall von Bodo Löttgen [CDU] und Gregor Golland [CDU])

Das ist mit sehr viel Aufwand verbunden, und ich bin sehr dankbar, dass neben der Polizei viele andere Behörden des Bundes bis hin zu den Kommunen mitarbeiten und nicht nur quatschen, sondern praktisch helfen.

Hinzu kommt ein häufig angesprochenes Thema, das wir aber auch erkannt haben: Wir brauchen Programme, um denjenigen, die aus der Clankriminalität aussteigen wollen – das sind wahrscheinlich einige wenige; ich weiß es nicht –, Wege anzubieten. Sie können sich darauf verlassen, dass diese Landesregierung auch dafür noch eine Antwort liefern wird. – Eines nach dem anderen, aber alles konsequent.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist super! Aktuelle Stunde!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Die beiden Fraktionen, die noch Redezeit übrig hätten, haben keine Redebeiträge mehr angemeldet. Das bleibt auch so, und ich schließe die Aussprache.

Ich rufe auf:

2   Attraktivität der Pflegeberufe stärken – Umfassende Beteiligung der Beschäftigten bei der Entscheidung über eine Interessensvertretung für Pflegende durch Urabstimmung sicherstellen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4121

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Lück das Wort.

Angela Lück (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin.  ‑ Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur aktuellen Debatte über die Möglichkeiten und Maßnahmen für eine Modernisierung und Aufwertung der Pflege gehört in Nordrhein-Westfalen auch die Diskussion um den Aufbau einer Interessenvertretung für Pflegende, einer Pflegekammer oder eines Pflegerings.

Das wäre einer von vielen möglichen Schritten, um die Arbeit in der Pflege aufzuwerten und ihr den Stellenwert zuzubilligen, der ihr gebührt. Die rund 200.000 Beschäftigten in der Pflege in Nordrhein-Westfalen leisten nämlich Schwerstarbeit.

In deutschen Krankenhäusern muss eine Pflegekraft 10,3 Patientinnen und Patienten versorgen. Damit bilden wir ganz deutlich das Schlusslicht in Europa. In Polen sind es zum Beispiel nur 9,3 und in der Schweiz sogar nur 5,5 Patientinnen und Patienten pro Pflegekraft.

Pflegefachkräfte haben im Arbeitsalltag mit vielen Belastungen zu kämpfen: Schichtdienst, unregelmäßige Arbeitszeiten, zu kurze Erholungs- und Regenerationszeiten sowie Termin- und Leistungsdruck. Die Arbeit in der Pflege geschieht oft am Rande der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit und macht häufig krank.

Uns fehlen viele Fachkräfte, unter anderem deshalb, weil die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen. Deshalb ist es wichtig, viele Maßnahmen zu diskutieren, mithilfe derer spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte erreicht werden können.

Die Regierungsfraktionen in Nordrhein-Westfalen haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, eine Interessenvertretung der Pflegenden zu errichten, wenn die Pflegenden das wollen. Und genau darum geht es.

Um dies festzustellen, hat das Ministerium im Oktober dieses Jahres eine Befragung durchführen lassen. Dabei wurden aber nur rund 1.500 Pflegekräfte befragt; nur diese konnten an der Stichprobe teilnehmen. Unserer Ansicht nach ist dieses von der Landesregierung gewählte Erhebungsverfahren intransparent, nicht repräsentativ und deswegen kein geeignetes Instrument. Es bleibt völlig unklar, wie und nach welchem Verfahren die Pflegenden für die Stichprobe ermittelt wurden und wie die Befragung in der Praxis durchgeführt wurde.

Wir haben im Frühjahr 2017 – also im letzten Jahr – mehrheitlich einen Entschließungsantrag verabschiedet, der ganz deutlich besagt, dass es zur Beteiligung und Befragung der Beschäftigten in der Pflege eine Urabstimmung geben soll. Diesen Beschluss des Parlaments mahne ich heute an.

Wir wollen den Beschäftigten eine starke Stimme geben und sie zu Beteiligten in eigener Sache machen. Es geht nicht an, dass eine starke Interessenvertretung gefordert wird und wir dann nur einen Bruchteil der Betroffenen darüber entscheiden lassen. Wenn wir es ernst damit meinen, dass die Leistungen der Beschäftigten in der Pflege aufgewertet werden sollen, dann müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, sich an der Abstimmung über die Pflegekammer zu beteiligen.

Dafür gibt es drei offensichtlich gute Gründe.

Erstens: die Erfahrungen in anderen Bundesländern, zum Beispiel Schleswig-Holstein. Auch dort wurde eine stichprobenartige Befragung durchgeführt. Diese hat dann zwar zur Errichtung einer Pflegekammer geführt, aber nicht zu deren Akzeptanz unter den Beschäftigten.

Zweitens. Wir sollten konsequent jede einzelne fachliche Meinung berücksichtigen und uns keine Expertise entgehen lassen. Dies ist bei einer bloßen Stichprobe nicht gewährleistet.

Drittens. Ich erwähnte es schon: Wenn wir in einer derart entscheidenden Frage für den kompletten Berufszweig über die Köpfe der Mehrheit der Betroffenen hinweg entscheiden, dann ist das Anliegen, ihnen eine starke Stimme zu geben, von vornherein unglaubwürdig.

Die SPD ist die Partei, die den Menschen zuhört.

(Minister Karl-Josef Laumann: Na ja!)

Und auch in diesem Fall möchten wir hören, was jeder und jede Einzelne zu diesem Thema denkt. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, den Weg der Entscheidungsfindung zu korrigieren und alle mit ins Boot zu nehmen. Wir fordern eine Urabstimmung über die Einführung einer Pflegekammer.

Ich möchte Sie herzlich dazu einladen, sich unserer Auffassung anzuschließen, allen Betroffenen eine Stimme zu geben. Lassen Sie uns dieses Thema im Ausschuss besprechen, damit die Pflege in Nordrhein-Westfalen wirklich eine starke Stimme hat. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Lück. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit dem Antrag ist die, warum der Antrag erst jetzt kommt. Der Zug ist doch abgefahren; die Befragung läuft seit einiger Zeit, und wir warten auf die Ergebnisse, die bald vorliegen werden.

Wir werden danach zu einer Entscheidung kommen, ob wir eine Pflegekammer wollen oder eine vergleichbare Einrichtung, wie zum Beispiel den auf freiwilliger Basis funktionierenden Pflegering in Bayern. Dies ist übrigens auch Gegenstand der Befragung.

Die Entscheidung steht also aus. Es geht hier nicht um eine Urabstimmung. Sind wir doch ehrlich – am Ende muss das Parlament entscheiden, was es will: ob zur Stärkung der Interessenvertretung der Betroffenen eine Pflegekammer oder eine andere, vergleichbare Einrichtung eingeführt wird oder nicht.

Frau Kollegin Lück, ich will nicht hoffen, dass Sie mit Ihren Ausführungen deutlich machen wollten, dass Sie eine Interessenvertretung durch die Verbände und die Gewerkschaften für ausreichend halten. Wir halten das nicht für ausreichend. Wir wollen eine starke und auf Augenhöhe agierende Interessenvertretung der Pflegenden.

(Angela Lück [SPD]: Das hab ich ja auch gar nicht gesagt!)

Spätestens seit den Haushaltsberatungen 2018 – aufgrund Ihrer Kenntnis des NRW-Koalitionsvertrags sicherlich auch schon vorher – wissen Sie, dass es eine Befragung geben wird; das war im Übrigen immer wieder Gegenstand der Diskussionen im Ausschuss, auch schon in der letzten Legislaturperiode.

In Ihrem Antrag schreiben Sie, Sie hätten sich frühzeitig positioniert. Getan haben Sie aber nichts. Erst die NRW-Koalition hat das Thema – siehe Koalitionsvertrag – aufgegriffen

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

und will zu einer Umsetzung kommen.

Die von der NRW-Koalition im Koalitionsvertrag vereinbarte Befragung der Pflegenden zur Einführung einer Pflegekammer oder eines alternativen Modells in Nordrhein-Westfalen war stets transparent. Sie haben sich nie gegen eine Befragung ausgesprochen.

Sie fordern jetzt eine Urabstimmung – wohlwissend, dass es kein Register gibt, das die in den Pflegeberufen Tätigen exakt ausweist, und dass eine juristisch wasserdichte Ermittlung jedes beruflich Pflegenden aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht möglich ist. Das ist gerade auch in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales sehr ausführlich und nachvollziehbar von der Landesregierung dargelegt worden.

Sie suggerieren mit dem Antrag, dass den beruflich Pflegenden mit einem undemokratischen und intransparenten Verfahren etwas aufgezwungen werden soll.

Die Wahrheit ist, dass zahlreiche Gespräche in den vergangenen Jahren darüber stattgefunden haben und der Austausch zwischen der Landespolitik und den beruflich Pflegenden stets intensiv und rege war.

Die NRW-Koalition will – so ist es ausdrücklich vereinbart – die Pflegenden auch auf dem Weg zu einer entsprechenden Entscheidung in diesem Entscheidungsprozess mitnehmen. Darauf basiert die repräsentative Umfrage, auch was die praktische Handhabung angeht, und wir müssen am Ende entscheiden, was wir wollen.

Die Fragen sind von externen Experten ausgearbeitet worden. Ich glaube, dass wir dem als Parlament wohl kaum etwas entgegensetzen können. Eine repräsentative Umfrage ist ein probates Mittel, auf deren Basis wir politische Entscheidungen treffen können und treffen werden. Wir werden die Pflegenden auf diesem Wege mitnehmen.

Sie sprechen davon, dass keine ausreichende Information erfolgt sei über die Frage, was eigentlich eine Pflegekammer ist und was das für den Einzelnen bedeutet. Dazu kann ich nur sagen, dass das Land Informationsveranstaltungen vor Ort mit einem Zuschuss von 200 Euro pro Veranstaltung ermöglicht. Insgesamt stehen 80.000 Euro zur Verfügung, die wir im Haushalt beschlossen haben. Es gibt eine Homepage; es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren und Informationsmaterial für Veranstaltungen zu bestellen.

Im Gegensatz zu SPD und Grünen in der vergangenen Legislaturperiode packt die Landesregierung dieses wichtige Thema heute an. Wir wollen eine starke Interessenvertretung der Pflegenden und deren Berufe erreichen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP wird eine Interessenvertretung der Pflegenden einrichten und errichten, wenn die Pflegenden dies wollen. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und das werden wir auch umsetzen.

(Beifall von der FDP)

Dazu führt die Landesregierung derzeit eine repräsentative Befragung von Pflegekräften durch. Das Ergebnis wird auf jeden Fall zur Leitlinie für unser politisches Handeln werden.

Für mich und meine Fraktion steht bei der Befragung im Vordergrund, dass wir neben einer Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen auch einen Pflegering nach bayerischem Vorbild mit freiwilliger Mitgliedschaft als Alternative zur Abstimmung stellen. Im Vorfeld der Befragung wurde über die Ausgestaltung beider Modelle informiert.

Wir wollen jetzt die mehrheitliche Meinung der in der Pflege beschäftigten Fachkräfte erfahren. Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Pflegeberufe und bei Besuchen in Krankenhäusern habe ich sowohl engagierte Befürworter als auch entschiedene Gegner einer Pflegekammer angetroffen.

Auch innerhalb der SPD scheint das Meinungsspektrum ja gespalten zu sein,

(Angela Lück [SPD]: Vielfältig, nicht gespalten!)

da Sie im Antrag nur das Verfahren kritisieren und Ihre Haltung zu den Alternativen offenlassen.

Eine Pflegekammer mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft würde im Gegensatz zu einem Pflegering vor allem bei hoheitlichen Aufgaben wie dem Erlass und Vollzug einer Berufsordnung, der Regelung von Weiterbildungen und damit auch der Qualitätssicherung eigene Kompetenzen wahrnehmen können.

Andere Aufgaben wie eine Mitwirkung an der Gesetzgebung und eine Beratung ihrer Mitglieder könnten auch ohne Pflichtmitgliedschaft erfüllt werden. Wichtige Fragen wie eine faire Vergütung werden im Aufgabenbereich der Tarifpartner bleiben. Eine Pflegekammer wird dazu kein Verhandlungsmandat erhalten können.

Wir sollten deshalb keine Illusionen über Kompetenzen und Möglichkeiten einer Pflegekammer wecken, sondern den Pflegekräften die Möglichkeit geben, zwischen den Alternativen sachlich abzuwägen. Dazu dient auch gerade die Informationskampagne des Landes vor dem Start der Befragung. Letztlich ist die entscheidende Frage, ob die Pflegekräfte bereit sind, für die Übertragung hoheitlicher Aufgaben verpflichtende Kammerbeiträge zu bezahlen.

Kernpunkt der Debatte heute ist aber die Frage des Verfahrens. Da scheint eine Urabstimmung bei nicht genauem Hinschauen zunächst die größere Legitimation für eine Entscheidung zu geben.

Wer sich aber mit den Problemen der praktischen Durchführung näher beschäftigt, wird schnell feststellen, dass eine Urabstimmung mit großen Hürden verbunden wäre und am Ende womöglich gar kein aussagefähiges Ergebnis liefern würde.

Für eine Urabstimmung würden wir die Daten aller Pflegefachkräfte benötigen. Es gibt derzeit jedoch kein Berufsregister darüber, und angesichts der Datenschutz-Grundverordnung würde die Einführung eines Registers eine gesetzliche Grundlage erfordern.

Ansonsten müssten Daten, die nur für eine Urabstimmung erhoben würden, anschließend wieder gelöscht und bei Errichtung einer Pflegekammer erneut erhoben werden. Dies zeigt den immens hohen Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht.

Zudem sollten wir bedenken, dass sich die engagierten Befürworter einer Kammer voraussichtlich in hohem Umfang an einer Urabstimmung beteiligen, während gerade in Einrichtungen mit vielen Unentschlossenen eine Teilnahme kaum zum Thema würde.

Beschäftigte kleinerer Heime und Pflegedienste werden mit einer Urabstimmung kaum erreicht. In Rheinland-Pfalz hat die niedrige tatsächliche Beteiligung doch gezeigt, dass eine Urabstimmung eben kein verlässliches Gesamtbild liefert.

Deshalb haben wir uns für eine repräsentative Befragung durch ein wissenschaftliches Institut entschieden, das die Teilnehmer gewichtet nach Beruf, Einrichtungsträgern, Beschäftigungssituation und Alter auswählt.

Bei einer Stichprobengröße von 1.500 Befragten würde sich ein Fehlerintervall von rund 2,5 % ergeben. Damit dürften wir ein realistischeres Ergebnis für alle Beschäftigten erhalten als im Rahmen einer Urabstimmung mit niedriger Beteiligung.

Zumindest im Ziel sollten wir uns einig sein: Wir wollen eine Aufwertung der Pflegeberufe und eine starke berufliche Interessenvertretung der Pflegenden erreichen. Wir lassen die Pflegekräfte über die Ausgestaltung ihrer Interessenvertretung aber selbst entscheiden.

Ich bin gespannt auf das Ergebnis dieser Abstimmung und danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Laumann, ich finde es außerordentlich schade, dass Sie sich an der Debatte über den Gesundheitsschutz in den Shisha-Bars nicht beteiligt haben.

Es wäre eine fachliche Expertise erforderlich gewesen. Die hat nicht stattgefunden. Deswegen werde ich die Gelegenheit nutzen, zu sagen: Das, was der Kollege Yüksel von der SPD-Fraktion angefangen hat, werden wir ein Stück weit fortführen. Sieben Monate Zeit sind ins Land gegangen. Wir werden nachfragen, was die Landesregierung konkret für den Gesundheitsschutz getan hat.

(Henning Höne [FDP]: Zur Sache, bitte!)

– Ich spreche zu dem, was ich für richtig halte, Herr Kollege Höne. Das gibt die Geschäftsordnung auch her.

(Henning Höne [FDP]: Dafür haben wir eine Tagesordnung!)

Deswegen werden wir eine Berichtsanfrage im Ausschuss stellen.

Zur Seriosität der Pflegekammer: FDP und CDU haben noch im April 2017 einen Antrag mitgezeichnet, in dem eine Urabstimmung gefordert wurde. Was jetzt zu dem Sinneswandel geführt hat, ist mir nicht ganz klar. Ich möchte aber hervorheben: Auch in dieser Debatte – wie schon vorhin in der Debatte – habe ich wieder Unterschiede zwischen CDU und FDP erkennen können. Herr Kollege Preuß endete mit den Worten, dass sich die CDU für eine starke Interessenvertretung der Pflegenden einsetzt. Das hört sich doch sehr nach Pflichtkammer an und nimmt das Ergebnis zumindest aus CDU-Sicht deutlich voraus.

Frau Kollegin Schneider, zu Ihnen möchte ich sagen: Unsere grüne Fraktion ist sehr offen, was den Ausgang der Befragung anbelangt. Früher hatte ich eine deutlich kritischere Haltung zur Pflegekammer, weil ich das Kammersystem generell für althergebracht halte und diese Pflichtsysteme für ein Problem erachte. Aber – da würde ich den Ausführungen des Gesundheitsministers zustimmen – das System ist, wie es ist: Wenn man keine eigene Kammer hat, kommt man darin meistens nicht wirklich vor. Damit muss man realistisch umgehen.

Alle Argumente, die Sie gegen die Urabstimmung vorgebracht haben, treffen auf die repräsentative Befragung zu. Auch da müssen Sie Adressen ermitteln – die fallen nicht vom Himmel – und die Arbeitgeber fragen, um sie zu bekommen. Nach dem System, das Frau Schneider geschildert hat und das im Ausschuss vorgetragen worden ist, müssen Sie auch da eine Systematik entwickeln und überlegen, ob sich das zuordnen lässt. Es ist ein gewisser Zeitaufwand erforderlich, um das machen zu können. Insofern sprechen relativ dünne Argumente dagegen.

Angesichts einer Weichenstellung in der Pflegepolitik, nämlich eine Pflegekammer einzuführen oder nicht einzuführen, das Kostenargument anzuführen – es sei unheimlich teuer, diese Adressen zu ermitteln und wieder zu löschen –, dazu kann ich nur sagen: Das ist das schwächste Argument, das Sie vortragen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Im Ergebnis möchte ich konstatieren: Ich halte die Grundausrichtung, nach der Sie vorgehen, für falsch. Immerhin aber ist die Methodik der repräsentativen Befragung, die Sie vorschlagen, besser, als ich befürchtet habe. Dass Sie eine qualitative Befragung machen und dafür sorgen, Informationsveranstaltungen durchzuführen, liegt deutlich über dem Niveau, das ich zunächst befürchtet hatte; anderenfalls hätte ich schärfere Kritik zum Ausdruck gebracht.

Wir werden dem Antrag der Kollegen der SPD-Fraktion zustimmen. Allerdings ist aufgrund von Zeitablauf eine Menge passiert, was nicht Ihre Schuld ist: Erstens werden die Regierungsfraktionen, wie sie erkennbar geäußert haben, dagegen stimmen; zweitens wird es demnächst ein Ergebnis geben.

Sie von der Regierungsseite hätten deutlich früher dafür sorgen können, dass der Prozess nicht so beschädigt wird, wie es durch das Verfahren passieren konnte. Es hätte deutlich mehr Rückhalt geben müssen.

Ob jetzt Pflegekammer oder Pflegering: Wir in Deutschland müssen dafür sorgen, dass die Pflegenden nicht nur in Konjunkturzeiten Gehör finden, sondern dass die Themen „Altenpflege“ und „Krankenpflege“ einen ganz anderen Stellenwert erhalten.

In keinem anderen Berufszweig gibt es einen so starken Fachkräftemangel wie in den Gesundheits- und Pflegeberufen. Die Bundesregierung hat einigen Nachholbedarf hinterlassen. Deswegen freue ich mich, dass es hier einen methodisch anderen Ansatz gibt.

Wir werden dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. Eine Weichenstellung für eine positive Pflegepolitik bedarf aber einer ganzen Menge mehr. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt zu wenige Fachkräfte in der Pflege. Wer versucht, Pflegekräfte einzustellen, kann ein Lied davon singen: Krankenhäuser, ambulante Pflegedienste, Alten- und Pflegeheime, Rehakliniken usw. Mittlerweile zahlen zwar selbst die privaten Anbieter an den Tarifvertrag angeglichene Gehälter, trotzdem bleiben die Bewerbungen bei allen Arbeitgebern aus.

Der Bund will 13.000 neue Stellen schaffen. Vermutlich ist nicht das Problem, dass zu wenige Stellen vorhanden sind, sondern dass man sie nicht besetzen kann. Wir sind gespannt, ob diese 13.000 neuen Stellen tatsächlich dazu führen werden, dass 13.000 weitere Personen in der Pflege beschäftigt werden.

Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, Sie selber haben zu Beginn Ihres Antrags eine zentrale Ursache dieses Dilemmas genannt: den demografischen Wandel. Der demografische Wandel ist die Ursache dieser Schieflage zwischen Pflegebedürftigen einerseits und den Pflegefachkräften andererseits. Dieser demografische Wandel ist ohne jeden Zweifel menschengemacht. Seit Bestehen der Bundesrepublik weigert sich die deutsche Politik gegen eine aktivierende Bevölkerungspolitik.

Es ist irgendwie anrüchig, eine aktivierende Bevölkerungspolitik zu betreiben. Eine Kampagne wie zum Beispiel „Tu es für Deutschland“ oder gegebenenfalls „Tu es für Europa“ ist unvorstellbar. Dabei hat es bei den Däninnen und Dänen im wahrsten Sinne des Wortes gefruchtet. Dänische Frauen sagen selbst, es sei wieder in, schwanger bzw. Mutter zu sein, und es habe wieder mehr Prestige, Familie zu haben. Das beispielsweise wäre eine Sache, für die wir werben könnten.

Kampagnen mit agitativem Charakter gibt es ja zahlreiche. Wenn ich zum Beispiel durch Köln fahre, sehe ich unzählige Plakate mit „Die Stärke Kölns ist unsere Vielfalt“. Hier in Düsseldorf habe ich eine Zeit lang jeden Morgen Plakate gesehen: „#KlimaMachen“ und „Mach's für dich und Düsseldorf“.

Ich vermisse jedoch Kampagnen, die die Pflege einmal positiv ins Bild setzen. Wenn ich an einer Bushaltestelle stehe und warte, sehe ich gutaussehende junge Männer auf Werbeplakaten in der Regel nur mit einer Zigarette im Mund. Es wäre doch auch mal was, wenn man da junge Männer in Pflegekleidung sehen würde, die freudestrahlend – tätowiert, mit Bart und schicker Brille – ihren Beruf ausüben. Aber was verbinden wir mit der Pflege in der Regel? – Schlechte Bezahlung und den Bandscheibenvorfall.

Der Diskurs ist bestimmt durch den Mangel. Jetzt kommt die Landesregierung und möchte eine Pflegekammer einrichten, um dieses Problem zu lösen. Herr Preuß, Sie hatten sich kürzlich im Ausschuss den Ausdruck „Zwangskammer“ verbeten. Eine Berufeständekammer mit verpflichtender Mitgliedschaft ist allerdings eine Zwangskammer.

Ich frage mich ernsthaft, wie man auf die Idee kommen kann, dass die Einrichtung einer Kammer in irgendeiner Form die Attraktivität des Pflegeberufes steigert. Fragen Sie heute mal einen Arzt, ob er sich darüber freut, dass es die Ärztekammer gibt, oder ob das womöglich ein Anreiz sei, den Beruf zu ergreifen. Ich persönlich kenne fast ausschließlich Ärzte, die darüber jammern.

Sie betonen immer wieder, dann könnte die Pflege mit einer Stimme sprechen und auch auf Augenhöhe. Wir haben allerdings gar nicht den Eindruck, dass bezüglich der Forderungen in der Pflege eine große Kakophonie besteht. Die meisten, die in der Pflege arbeiten, lieben doch ihren Beruf.

Sie leiden unter den Folgen des Personalmangels: zu viel Arbeit, zu hohe Belastung, keine verlässlichen Dienstpläne, Überstunden, noch mehr Arbeit durch die Kompensation kranker Kollegen, zu niedrige Löhne. Anstatt für ihren Beruf besonders viel Wertschätzung zu erfahren, sind sie in den Augen der meisten irgendwie bemitleidenswert, weil sie diesen Beruf ergriffen haben.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus eigener Erfahrung schildern: Zwei meiner älteren Schwestern sind Krankenschwestern. Als ich Anfang 20 war, wollte ich auch Krankenschwester werden. Damals bin ich zu meinem Berufs- bzw. Arbeitsberater gegangen und habe gesagt, ich würde gerne Krankenschwester werden.

Dann wurden Tests durchgeführt. Daraufhin schaute mich der Arbeitsberater an und sagte: Frau Danielowski, Sie sind doch eine intelligente Frau. Warum um Himmels willen wollen Sie Krankenschwester werden? Machen Sie doch was Gescheites mit Dach überm Kopf, geregelten Arbeitszeiten so wie ich; werden Sie zum Beispiel Steuerfachangestellte. Ja, so ist das damals gelaufen. Dann habe ich gesagt: Na gut, ein Ausbildungsplatz ist da, wunderbar, werde ich doch Steuerfachangestellte.

Wenn schon die Arbeitsberater den Pflegeberuf offensichtlich für eine falsche Entscheidung halten und meinen, dass jemand, der intelligent ist, auf gar keinen Fall in die Pflege gehen sollte, dann haben wir doch ein echtes Imageproblem, und diese Probleme wird auch eine Kammer vermutlich nicht lösen können.

Wenn ich damals Krankenschwester geworden wäre, hätte ich sicherlich gegen die Einrichtung einer Kammer gestimmt, falls man mich denn hätte wählen lassen. Von daher hätten wir eine Urabstimmung sicher begrüßt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Jetzt läuft die Befragung allerdings schon. Wir sehen es ähnlich, nämlich dass der Aufwand – Sie haben zum Beispiel im Antrag zum Haushalt aufgestellt – unverhältnismäßig ist, um daraus noch eine Urabstimmung zu machen. Sicherlich werden wir weitere Erkenntnisse dazu im Ausschuss gewinnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem vorliegenden Antrag bringt die SPD-Fraktion im Grunde zum Ausdruck, dass sie der Meinung ist, durch eine Urabstimmung, wie Sie es nennen, ein genaueres Bild davon zu erhalten, was die Pflegekräfte wirklich wollen.

Ich habe mich sehr um dieses Thema gekümmert, und ich sehe das völlig anders – nicht, weil ich das will, sondern weil mich Argumente überzeugt haben.

Es ist ja so: Wenn man eine Urabstimmung macht, dann hat man erst einmal das Problem – das man sicherlich lösen kann –, dass man ein Register aller Pflegekräfte in Nordrhein-Westfalen braucht; sonst geht das nicht. Ein solches Register gibt es nicht. Wir wissen nicht, wer in Nordrhein-Westfalen Pflegekraft ist, und wir wissen auch nicht, wo sie arbeiten.

Das heißt, wir hätten die Adressen nur über ihre Arbeitgeber ermitteln können; es gibt keine andere Möglichkeit. Auch die Berufsgenossenschaft für Pflegekräfte in Hamburg verfügt nicht über die Adressen der Pflegekräfte, sondern die Einrichtungen melden nur: Krankenhaus St. Jacobi hat 385 Krankenschwestern und Krankenpfleger, und dafür bezahlen sie Beitrag. Es gibt also nur die Möglichkeit, über die Arbeitgeber an die Adressen heranzukommen.

Neuerdings haben wir ein neues Datenschutzgesetz. Das gab es noch nicht, als in Rheinland-Pfalz die Pflegekammer eingerichtet wurde. Da haben mir meine Leute gesagt: Wir müssen prüfen, ob uns die Arbeitgeber auch mit dem neuen Datenschutzgesetz die Adressen geben können. Wir hätten zudem noch die Privatadressen gebraucht.

Hinzu kommt – das muss man ganz offen zugeben –, dass es einige Arbeitgeber von Pflegekräften gibt, die eine Interessenvertretung der Pflege überhaupt nicht wollen, ganz egal, ob gewerkschaftlich oder in einer Kammer. Ich habe in all den Jahren, in denen ich Pflegepolitik mache, genug erlebt, um zu wissen, dass die Arbeitgeberseite gut damit zufrieden ist, dass die Pflege eine so schwache Vertretung hat, wie es bislang der Fall ist. Insofern birgt auch der Weg, über die Arbeitgeber zu gehen, ein paar Risiken.

Die Leute, die sich damit beschäftigt haben, haben gesagt, dass man bei jeder Urabstimmung das Problem hat, nicht auf eine Repräsentativität der Gesamtmenge zu kommen. Denn die Urabstimmung gewinnt immer der, der gut ausgestattet ist und gut mobilisieren kann. Wir kennen diejenigen, die die eine oder andere Kampagne zur Mobilisierung von Wählern geführt haben.

Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass eine Urabstimmung nicht so repräsentativ ist, wie wenn sich ein Befragungsinstitut, das völlig unabhängig ist, nach evidenzbasierten Erkenntnissen – nach Alter, nach Unternehmen, wo man arbeitet, entsprechend in der Mischung Altenpflege/Krankenpflege usw. – repräsentativ Gedanken macht, wie viel es aus welcher Gruppe braucht, um daraus auf die Gesamtheit zu schließen. Das ist eine Wissenschaft, die ziemlich evidenzbasiert ist.

Deswegen ist es ein guter Weg, hier über ein renommiertes Institut zu gehen, das in dieser Frage im Übrigen auch schon für das Land Hamburg gearbeitet hat.

Mir war auch wichtig, nach welchen Grundsätzen die Befragung durchgeführt wird, und dass sie weit weg von meinem Ministerium entschieden wird, weil bekannt ist – das will ich offen zugeben –, dass ich in dieser Frage eine gefestigte Meinung habe und deswegen nicht neutral bin. Wir wollen wissen, was die Pflegekräfte wollen, damit wir das bei unseren Entscheidungen im Landtag von Nordrhein-Westfalen und ich bei der Ausarbeitung einer möglichen Gesetzesinitiative mitbedenken können.

Daher glaube ich, liebe Frau Lück, dass es wirklich gute Argumente dafür gibt, dass uns eine repräsentative Befragung eher die Gesamtheit bringt als das, was Sie für richtig halten, nämlich eine Urabstimmung. Ich möchte aber nicht, dass uns diese Frage derart trennt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Laumann, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Lück würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ja, bitte.

Angela Lück (SPD): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie diese Frage zulassen. – Natürlich kann ich Ihre Bedenken im Zusammenhang mit dem Datenschutz verstehen, wenn es darum geht, wie man die Pflegenden erreichen kann. Ich glaube aber, dass es dem Ministerium möglich wäre, auch über die Widerstände von Arbeitgebern hinweg an die Gruppen der Pflegenden zu kommen, wenn man das wirklich will. Ob das immer über die Privatadresse sein muss oder ob es nicht auch über den Arbeitgeber gehen kann, das sei dahingestellt.

Derzeit läuft das Verfahren so, dass von einem wissenschaftlichen Institut 1.500 Pflegende auserwählt wurden – wie auch immer – und befragt werden. Wäre es da nicht zumindest ein Zeichen an die Pflege, wenn wir sagen: „Wir wollen Ihre Meinung wissen. Wenn Sie uns Ihre Meinung mitteilen wollen, dann geben Sie uns Möglichkeiten, diese Meinung in unsere Entscheidungsfindung einzubeziehen“?

Es geht um einen Aufruf an die Pflege, der wir mitteilen wollen: Bitte schön, das Ministerium ist an Ihrer Meinung, an Ihrer Einschätzung zur Pflegekammer oder zum Pflegering interessiert. Machen Sie mit. Wir rufen jeden auf, der in der Pflege tätig ist, sich daran zu beteiligen.

Besteht nicht die Möglichkeit, bei diesem jetzt schon fortgeschrittenen Unterfangen noch eine Kehrtwende zu machen, um der Pflege wirklich eine stärkere Stimme zu geben?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Laumann, Entschuldigung. Bevor Sie antworten, muss ich mich an Frau Kollegin Lück wenden. Obwohl wir das Fragezeichen in Ihrem Redebeitrag gehört haben, war das eher eine Kurzintervention.

(Angela Lück [SPD]: Okay!)

Wir bitten darum, künftig die Kurzintervention entsprechend anzumelden.

(Angela Lück [SPD]: Entschuldigung!)

Jetzt, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Präsidentin! Frau Lück hat immer etwas gut, weil sie eine engagierte Krankenschwester ist. Wenn das Herz übergeht, dann darf das auch mal so sein.

Ich will Ihnen offen sagen: Was Sie gerade vorgeschlagen haben, würde vielleicht emotional vielen gefallen, aber ich glaube, es gibt uns keinen Rückschluss auf die Gesamtheit. Denn dann wäre es wieder so, dass die Mobilisierung von bestimmten Verbänden eine Rolle spielt. Ich sehe auch, wenn ich ehrlich bin, keine gesetzliche Grundlage, die Arbeitgeber zu zwingen, uns beim Anlegen eines Registers zu helfen. Sie wissen doch, wie viele Arbeitgeber in bestimmten Berufsverbänden über die Kammern denken.

Wir werden in einigen Wochen das Ergebnis vorliegen haben. Ich hoffe sehr, dass es ein eindeutiges Ergebnis wird, weil das die politische Debatte anschließend auf jeden Fall erleichtert – egal in welcher Richtung.

Außerdem hoffe ich, dass das Institut, das wir sicherlich in den Ausschuss einladen werden, Sie von dem Weg überzeugt, wie sie zu diesem Ergebnis gekommen sind, sodass wir zumindest über die Ermittlung der Daten keine Meinungsverschiedenheiten haben. Es könnte ja sein, dass man die Methode zum Anlass nimmt, am Ende Nein zu sagen, wenn man sich noch nicht so recht festlegen will.

Ich würde es sehr schade finden, wenn wir in dieser Frage, egal wie sie ausgeht, nicht zu einer breiten Mehrheit im Landtag kommen könnten; denn ein guter Start einer Interessensvertretung der Pflege in Nordrhein-Westfalen sollte darin bestehen, dass die Pflegenden wissen: Was jetzt gemacht wird, genießt eine breite Rückendeckung in der parlamentarischen und repräsentativen Demokratie unseres Landes. Ich würde mir das jedenfalls sehr wünschen.

Deswegen hoffe ich, dass das Ergebnis eindeutig ausfällt und dass die Leute vom Institut die Kritiker und die Skeptiker davon überzeugen können, dass alles objektiv und evidenzbasiert zugegangen ist.

Dass die Einrichtung einer Pflegekammer natürlich ein politischer Vorgang ist, das ist doch klar. Wenn wir in Nordrhein-Westfalen zu einer Pflegekammer kämen – rein theoretisch –, dann hätte das Auswirkungen auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland, weil in diesem Land die Frage entschieden wird, ob es zu einer Bundespflegekammer kommt oder nicht. Und das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Kräfteverhältnisse im selbstverwalteten Gesundheitssystem unseres Landes endlich zugunsten der Pflege verändern. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Herr Minister Laumann hat seine Redezeit, wie Sie vielleicht bemerkt haben, etwas überzogen. Gibt es den Wunsch nach Redebeiträgen aus dem Kreis der Fraktionen? –

(Wolfgang Jörg [SPD]: Auf keinen Fall!)

Das ist nicht der Fall. Dann danke ich Ihnen dafür und schließe an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4121 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides war erkennbar nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

3   Integration beginnt mit Ausbildung und Arbeit – Bewährtes bewahren, Ideen entwickeln, Unterstützung leisten

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4113

Als erste Rednerin hat für die antragstellenden Fraktionen Frau Kollegin Gebauer von der CDU-Fraktion das Wort.

Katharina Gebauer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Integration von geflüchteten Menschen in unsere Gesellschaft und damit auch in den Arbeitsmarkt ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

Nordrhein-Westfalen leistet schon heute einen wichtigen Beitrag bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in unseren Arbeitsmarkt. Eine schnelle Integration von qualifizierten Zuwanderern in den Arbeitsmarkt ist besonders wichtig, da die Menschen im Arbeitsalltag einen ganz anderen Zugang zur Sprache, zur Kultur, zu den Sitten und Bräuchen in unserem Land kennenlernen.

Der Anteil derjenigen, die bei uns einen Arbeitsplatz finden, soll im Interesse aller weiter gesteigert werden. Das gilt auch für geflüchtete Menschen, die in NRW ankommen und eine gute Bleibeperspektive haben.

Die Integration in unsere Gesellschaft gelingt nicht, wenn Arbeitslosigkeit das Leben der Betroffenen und ihrer Familien bestimmt. Gemeinsam mit dem Bund hat die Landesregierung in den vergangenen Monaten zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht, um Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Bei all unseren Anstrengungen, die wir als Land unternehmen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir Doppelförderungen vermeiden. Leistungen, für die dem Grunde nach der Bund zuständig ist, können und wollen wir nicht auch noch als Land finanzieren.

Für uns als Nordrhein-Westfalen-Koalition ist es daher besonders wichtig, dass in den zuständigen Ausschüssen des Landtags regelmäßig über die Fortschritte der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen berichtet wird.

Die guten Beispiele, die auf kommunaler Ebene beispielsweise in Zusammenarbeit mit den Kreishandwerkerschaften, den Industrie- und Handelskammern und weiteren Akteuren hervorragend funktionieren, sollen als Vorbildprojekte landesweit bekannt gemacht und vernetzt werden.

Die einschlägigen Instrumente der Arbeitsmarktintegration sind aus unserer Sicht auf Landesebene fortlaufend zu evaluieren. Dort, wo Handlungsbedarf besteht, müssen wir dafür sorgen, diese zu optimieren und auszubauen.

Bei der Vorbereitung von Geflüchteten auf einen qualifizierten Berufsabschluss können und möchten wir als Nordrhein-Westfalen-Koalition zusätzliche Potenziale heben. Dabei ist das Erlernen der deutschen Sprache die wichtigste Voraussetzung für die gesellschaftliche Integration der neu zu uns kommenden Menschen.

Viele Menschen, die aus fremden Ländern zu uns kommen, bringen eine Berufsqualifikation bereits mit. Mit dem sogenannten Anerkennungsgesetz gibt es eine solide Basis dafür, diese anzuerkennen. Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist ein geeignetes Instrument, um dem Fachkräftemangel bei uns in Nordrhein-Westfalen zu begegnen. Sie bildet zugleich die Grundlage für den Erwerb eines Berufsabschlusses.

Menschen, die über eine ausländische Berufsqualifikation verfügen und ihr Können und ihre Kompetenzen bereits durch Berufstätigkeit im Ausland nachgewiesen haben, sollen in unserem Land nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Daher ist es richtig, dass die Landesregierung Spielräume nutzt, um Qualifikationen so schnell und so gut wie möglich nutzbar zu machen. Die Bündelung von Zuständigkeiten und gegebenenfalls die Übertragung auf andere Stellen sollen dabei geprüft werden.

Die Entwicklung von Qualifikationsangeboten für Menschen mit einem ausländischen Berufsabschluss wollen wir möglichst flexibel gestalten. Defizite im Vergleich zu einem deutschen Berufsabschluss sollen mit möglichst geringem Aufwand beseitigt werden.

Die Möglichkeiten, ein Berufsanerkennungsverfahren auch ohne Zeugnisse durchzuführen, wollen wir ebenfalls verbessern. Die Menschen, die keine Unterlagen vorlegen können, soll das Anerkennungsverfahren durch geeignete Praxisverfahren unterstützen. Unser Ziel ist es dabei, die Verfahrensabwicklung bei einem gleichbleibend hohen qualitativen Niveau zu beschleunigen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei allen Aktivitäten, die wir initiieren, gilt der Grundsatz, dass wir den neu hinzukommenden Menschen in unserem Land Angebote machen und Chancen geben, damit sie auf Dauer ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten können.

Integration ist aber keine Einbahnstraße. Daher fordern wir im Gegenzug ein großes Maß an Mitwirkung. Dies ist der Leitgedanke der nordrhein-westfälischen Integrationspolitik. Was für deutsche Jugendliche und Jugendliche mit Migrationshintergrund gilt, gilt auch für die neu hinzukommenden Flüchtlinge.

Eine frühe Berufsorientierung und eine Begleitung hin zu einem Ausbildungsplatz sind entscheidend für einen erfolgreichen Einstieg in die Ausbildung. Mit dem Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“ steht bereits ein etabliertes System der Berufs- und Studienorientierung bereit, welches auch jungen Geflüchteten offensteht und etwa in den Berufskollegs fortgesetzt wird.

Als Nordrhein-Westfalen-Koalition wollen wir Bewährtes bewahren, neue Ideen entwickeln und unsere Unterstützung dort leisten, wo die Rahmenbedingungen für die Integration der Menschen verbessert werden können. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Verehrte Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Arbeit ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe. Als Freie Demokraten und als NRW-Koalition wollen wir für möglichst vielen Menschen in unserem Land gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Deshalb haben wir die Landesförderung neu ausgerichtet, um Jugendlichen mit Vermittlungshemmnissen und Langzeitarbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Wir arbeiten derzeit an der Verbesserung der Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse, damit die Menschen, die hier leben, ihr Potenzial und ihre Qualifikationen in den Arbeitsmarkt einbringen können.

Die Chance auf Teilhabe steht allen Menschen zu, unabhängig davon, in welchem Land sie geboren wurden. Die Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit gehört für uns zu einer ganzheitlichen Arbeitsmarktpolitik.

Die Bundesagentur für Arbeit hat kürzlich eine positive Zwischenbilanz bei der Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit gezogen. Bundesweit konnten ca. 300.000 Geflüchtete aus den Top-8-Herkunftsländern in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden. Das sind immerhin 88.000 mehr als im Vorjahr. Die Erwartungen der Bundesagentur wurden damit sogar übertroffen.

Dabei muss man bedenken, dass mehr als ein Drittel davon eine Anstellung über die Arbeitnehmerüberlassung fand. Wie wir wissen, ist das eine Branche, die die SPD durch zunehmende Regulierung behindert. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Branche besonders gute Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt bietet.

In Nordrhein-Westfalen haben in den letzten zwölf Monaten fast 25.000 Geflüchtete einen Arbeitsplatz gefunden und zudem fast 5.000 Jugendliche eine Ausbildung begonnen.

Die Zahlen zeigen: Integration in Ausbildung und Arbeit kann gelingen. Die noch 132.000 arbeitssuchend gemeldeten Geflüchteten in NRW zeigen aber auch, dass wir noch nicht am Ziel angekommen und weitere Anstrengungen erforderlich sind.

Der neue Erlass zur 3+2-Regelung, der sogenannten Ausbildungsduldung, hat aber endlich für Rechtssicherheit bei Betrieben und Ausbildungswilligen gesorgt und schafft auch hier weitere Chancen, um mehr Geflüchtete in Ausbildung zu bringen. Er bietet nun entsprechende Bleibeperspektiven für Menschen in einer Einstiegsqualifizierung oder einer Helferausbildung. Der Erlass ist ein wesentlicher Baustein für die bessere Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit; aber er ist nicht der einzige Baustein. Wir, die NRW-Koalition, ruhen uns nicht auf Erreichtem aus.

Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir werden entsprechend erfolgreiche Modelle – das hat auch Kollegin Gebauer schon ausgeführt – in den Kommunen, bei den Kammern und anderen Kooperationspartnern bekannter machen, damit solch gute Ideen in ganz NRW Anwendung finden.

Wir werden die bestehenden Instrumente evaluieren, damit sie noch besser werden und noch mehr Menschen zugutekommen. Wir werden gemeinsam mit den Akteuren der beruflichen Bildung Spielräume bei Prüfungen nutzen. Nur wenn wir die vorhandenen Sprachkenntnisse berücksichtigen und gezielte Hilfen anbieten, können wir faire Chancen für Geflüchtete erreichen.

Wir werden uns auch auf Bundesebene weiterhin dafür einsetzen, dass Förderlücken endlich geschlossen werden. Gerade Personen mit Aufenthaltsgestattung und Geduldete, für die ein Arbeitsmarktzugang nicht generell ausgeschlossen ist, müssen die notwendige Unterstützung erhalten, um einen qualifizierten Berufsabschluss zu erreichen.

Wir werden einen regelmäßigen Dialog zwischen allen Akteuren und zuständigen Ministerien schaffen, der sämtliche Aspekte der Integration in Arbeit und Ausbildung erörtert. Wir werden uns für einen Ausbau der Sprachkurse einsetzen. Wir brauchen mehr Kurse, die neben einer Einstiegsqualifizierung, neben der Ausbildung oder neben der Arbeit belegt werden können. Wir wollen nicht, dass sich die Menschen zwischen Sprachkurs und Arbeit entscheiden müssen.

Der beste Integrationshelfer ist zwar der deutschsprachige Arbeitskollege, aber dieser ersetzt keinen qualifizierten Sprachkurs. Sprache ist die Grundlage für Integration. Arbeit ist die Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe. Wer die deutsche Sprache lernt, kann sich besser integrieren und Teil unserer Gesellschaft werden. Wer Arbeit hat, ist weniger auf Sozialleistungen angewiesen – ein Gewinn für alle.

Diese Koalition ist vor anderthalb Jahren angetreten, NRW chancenreicher zu machen. Mit diesem Antrag werden wir unser Land wieder ein Stück mehr zum Chancenland machen.

Ich freue mich auf die Debatte in den Fachausschüssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion der SPD bekommt Herr Kollege Yüksel das Wort. Bitte schön.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der CDU und der FDP enthält viele Punkte, die es verdienen, näher und ausführlicher diskutiert zu werden. Da wir dazu noch Gelegenheit in den jeweiligen Fachausschüssen haben werden, möchte ich mich auf einige wenige Punkte beschränken, die ich für wesentlich halte. Mein Kollege Rainer Bischoff wird in der zweiten Runde noch zu anderen Gesichtspunkten Stellung nehmen.

Einer dieser für mich wichtigen Punkte ist die Aufkündigung der Produktionsschulen, die durch die rot-grüne Landesregierung ins Leben gerufen wurden, bei gleichzeitiger Einführung des sogenannten Werkstattjahres durch die schwarz-gelbe Landesregierung. Angesichts des Erfolgs der Produktionsschulen fällt es schwer, zu erklären, wieso das eine aufgekündigt und das andere gleichzeitig neu eingeführt wird, gerade wenn man an den damit verbundenen bürokratischen Aufwand denkt.

Die schwarz-gelbe Landesregierung leidet offensichtlich an einem Umbenennungswahn. Das hat sich schon bei den Ministerien gezeigt, und das setzt sich jetzt bei den einzelnen Maßnahmen und Programmen der Ministerien fort. Dabei scheint jeder Vorwand recht, um dieses Vorhaben zu legitimieren.

Das Förderprogramm für die Produktionsschulen wird wegen angeblich zu niedriger Erfolgsquoten abgeschafft. Dabei wurde seitens der Landesregierung gar keine Evaluation durchgeführt, die diese These bestätigen könnte. Schon in der Anhörung im Landtag zu diesem Thema wurde deutlich, dass das notwendig gewesen wäre. Eine Evaluation in Form einer qualitativen Datenerhebung hätte nämlich die zahlreichen positiven Abbrüche und die Vermittlung in Ausbildung, Arbeit oder andere Schulen erfasst, was wiederum die These einer niedrigen Erfolgsquote der Produktionsschulen widerlegt hätte.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Glücklicherweise gibt es jedoch Zahlen, die einen ersten Einblick ermöglichen. Die von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung im Jahr 2011 veröffentlichte Evaluation des Werkstattjahres 2009/2010 – damals von Ihnen eingeführt – zeigte, dass über 50 % der teilnehmenden Jugendlichen das Jahr vorzeitig beendeten. Ein Drittel hatte aus verhaltens- und motivationsbedingten Gründen das Werkstattjahr nicht beendet. 30 % wechselten in eine Ausbildung, eine berufsvorbereitende Maßnahme, das Berufsgrundschuljahr oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Einem Bericht des Ministeriums vom 1. Februar 2017 zufolge ist rund 46 % der Teilnehmenden des Programmjahres 2015/2016 aus der Produktionsschule heraus der Übergang in die Erwerbstätigkeit, eine Ausbildung, eine allgemeinbildende Schule oder eine Weiterbildung geglückt.

Damit ist die Rate der positiven Abschlüsse des Programmjahres 2015/2016 aus den Produktionsschulen etwa 30 % höher als beim Werkstattjahr 2009/2010. Wie die CDU und die FDP vor diesem Hintergrund zu ihrer pessimistischen Einschätzung der Produktionsschulen gelangen, versteht niemand – anscheinend nicht einmal Sie selbst, Herr Minister.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schließlich sprechen Sie doch selbst im Antrag von guten Ansätzen und Erfahrungen mit den Produktionsschulen. Wenn es aber gute Ansätze und Erfahrungen mit der Produktionsschule gibt, wieso haben Sie mit diesen Maßnahmen das Vertrauen in die Landesregierung aufs Spiel gesetzt?

Dabei hätten wir sicherlich darüber reden können, wie wir das Erfolgsrezept der Produktionsschulen sinnvoll weiterentwickeln und ausbauen können. Doch statt mit den Betroffenen und den Akteuren vor Ort zu sprechen, schaffen Sie mit diesem Neuanfang genau bei denjenigen Verunsicherung und Misstrauen, die das Ganze am Ende vor Ort für Sie umsetzen sollen.

Mehr noch: Statt bei der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt einen Schritt vorwärts zu machen, machen Sie mit einer Altersbeschränkung auf 19 Jahre einen Schritt rückwärts. Der Teilnehmerkreis wird durch die angekündigte Altersbeschränkung erheblich eingeschränkt.

Damit werden demnächst mindestens 1.000 Jugendliche ausgegrenzt, für die die Produktionsschulen oftmals die letzte Chance auf dem Weg in eine berufliche Ausbildung waren. Mir stellt sich deshalb die Frage: Gilt Ihr pathetischer Antragstitel „Integration beginnt mit Ausbildung und Arbeit“ nur für Heranwachsende bis zum Alter von 19 Jahren?

Es bleibt dabei: Hier wurde eine ideologische Entscheidung getroffen, die ohne nachvollziehbare Begründung ein gut funktionierendes und sinnvolles Instrument beim Übergang von der Schule in den Beruf zerstört. Es ist einfach ein Rätsel, warum die schwarz-gelbe Landesregierung ausgerechnet die erfolgreichen Produktionsschulen schließen möchte.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das machen wir doch gar nicht!)

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, der mich als Landtagsabgeordneten seit Jahren beschäftigt. Es geht um die nach wie vor bestehende Förderlücke bei Asylsuchenden in andauernden Asylverfahren, die eine Ausbildung oder ein BAföG-fähiges Bildungsangebot wahrnehmen.

Wer als junge Asylbewerberin oder als junger Asylbewerber eine Schulausbildung beginnt, hat zum einen den Tag zu fürchten, an dem er oder sie seit 15 Monaten in Deutschland ist, und zum anderen den 18. Geburtstag. Denn wenn beides erreicht ist, bevor das Asylverfahren abgeschlossen wird, enden am selben Tag sämtliche Leistungsansprüche zur Sicherstellung des Lebensunterhalts in Deutschland. Nach 15 Monaten fällt der Betroffene aus den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und erhält analog Leistungen nach dem SGB.

Durch die Trennung von den Leistungen nach dem BAföG entfallen aber auch die Analogleistungen, wenn er ein BAföG-fähiges Bildungsangebot wahrnimmt; wobei das BAföG nach § 8 wiederum eine Förderung von Menschen im laufenden Asylverfahren ausschließt. Die Betroffenen stehen also vor der Wahl, entweder die Schule oder die Ausbildung abzubrechen, um wieder Leistungen zu erhalten, oder aber ihre Miete nicht zahlen zu können.

Seit Jahren wird dieser Personenkreis ebenso wie die Kommunen, die mit solchen Fällen konfrontiert sind, im Stich gelassen. Vor diesem Hintergrund muss ich den Kommunen Respekt zollen, die diese Herausforderung auf eigene Kosten angenommen haben. Die Stadt Bochum beispielsweise hat sich bereit erklärt, diesem Personenkreis mit freiwilligen Leistungen zu helfen, um Schlimmeres zu verhindern. Aus meiner Sicht gelangt die Stadt jedoch an ihre finanziellen Belastungsgrenzen und wird daher keine neuen Fälle mehr aufnehmen können.

Die Stadt wird bei diesem Problem sowohl vom Bund als auch vom Land im Stich gelassen. Ich habe deshalb sowohl das Bildungs- als auch das Integrationsministerium angeschrieben, aber es wird immer wieder auf die Bundesebene rekurriert. In der Tat liegt der Druck hier primär bei der Bundesregierung, was aber nicht heißt, dass sich die Landesregierung einfach einen schlanken Fuß machen kann.

Minister Dr. Stamp hat in der Bundestagsdebatte zum UN-Migrationspakt in der letzten Woche vor allem den Verschwörungstheoretikern und Vereinfachern eindrucksvoll die Stirn geboten, wofür ich ihm persönlich sehr dankbar bin. Zum Schluss seiner Rede hat er jedoch betont, dass sich der Bund bei dem Thema „Migration und Integration“ bewegen müsse; andernfalls würden die Länder das selbst in die Hand nehmen.

Wir nehmen die Landesregierung beim Wort. Lösen Sie endlich das oben beschriebene Problem per Erlass. Das Nachbarland Niedersachsen zeigt uns, dass das möglich ist. Außerdem wäre es ein wichtiges Zeichen für die Kommunen und für den Bund. NRW könnte als Vorbild vorangehen. Diese Chance haben Sie bisher leider nicht genutzt.

Herr Minister, Sie haben auch in Ihren Ausführungen im Ausschuss immer wieder verdeutlicht, wie wichtig eine Arbeit für den Integrationsprozess ist, weil sich am Arbeitsort, in einem sozialen Umfeld mit Kolleginnen und Kollegen nicht nur die deutsche Sprache lernen lässt. Wenn das Asylverfahren aber nach 15 Monaten nicht abgeschlossen ist und die Asylsuchenden Analogleistungen erhalten, haben sie keinen Anspruch mehr auf BAföG oder andere förderfähige Leistungen. Das heißt, wir sagen ihnen damit: Geht aus dieser Maßnahme heraus. Brecht eure berufliche oder schulische Ausbildung ab, dann bekommt ihr weiterhin Geld.

Wir wollen die Menschen im Sinne einer erfolgreichen Integration ertüchtigen und ermächtigen, ihr Schicksal so früh wie möglich selbst in die Hand zu nehmen. Sollte der Bund hier weiterhin schlafen, muss NRW vorangehen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yüksel. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Aymaz das Wort.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist in der Tat zu begrüßen, dass sich die regierungstragenden Fraktionen mit der nachhaltigen Integration von Geflüchteten in Arbeit und Ausbildung beschäftigen und dabei in ihrem Antrag Forderungen stellen, die unterstützenswert sind und auch von uns Grünen immer wieder vorgetragen wurden.

Stellen wir eines im Vorfeld klar: Die Integration von Neuzugewanderten in Arbeit und Ausbildung kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn sie nicht als ein Teilaspekt herausgepickt wird, sondern ganzheitlich gedacht wird. Dafür brauchen wir eine Politik, die von Anfang an auf Integration anstatt auf Abschottung, Ausgrenzung und Abschiebung setzt.

Ich bezweifele in diesen Tagen, dass die schwarz-gelbe Landesregierung einen solchen Ansatz ernsthaft und konsequent verfolgt; denn parallel zu der vorliegenden Initiative fährt sie mit ihrem sogenannten Asylstufenplan eine ganz andere Strategie.

Der NRW-Kasernierungsplan will Geflüchtete ohne Bleibeperspektive bis zu 24 Monate in Landeseinrichtungen isoliert von gesellschaftlicher Teilhabe und ohne Zugang zu Integrationsmaßnahmen, Bildung und Arbeit festhalten.

Auf meiner Tour durch NRW in den Sommermonaten habe ich zahlreiche Gespräche mit Unternehmen, Initiativen, Bildungs- und Weiterbildungseinrichtungen und auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Industrie- und Handelskammern geführt. Sie alle sind der festen Überzeugung – wie übrigens kürzlich auch die Expertinnen und Experten in der Anhörung zum Ausführungsgesetz zur Umsetzung des sogenannten Asylstufenplans –, dass das Vorhaben der Landesregierung, Geflüchtete nicht unverzüglich den Kommunen zuzuweisen, massive Integrationshemmnisse provoziert. Dadurch wird außerdem wertvolle Zeit für die Integration auf dem Arbeitsmarkt vergeudet. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, wie Sie die Forderungen aus Ihrem Antrag, die teilweise wirklich gut sind, tatsächlich umsetzen wollen.

Interessant ist auch, dass die Fraktionen von CDU und FDP die Beseitigung von Förderlücken anstreben. Wir hatten das Thema schon mit unserem Antrag im Frühjahr dieses Jahres auf die politische Agenda gesetzt. Während Bayern, Niedersachsen, Berlin und Schleswig-Holstein – der Kollege Serdar Yüksel hat es eben erwähnt – auf Länderebene bereits Verantwortung übernommen und die Finanzierungslücke in Bildung und Ausbildung durch entsprechende Erlasse geschlossen haben, ist die Landesregierung NRW in dieser Frage bislang gänzlich untätig geblieben.

Integrationsminister Stamp verweist immer wieder auf die Zuständigkeit des Bundes. Ich bin gespannt, wann und wie diese Landesregierung endlich ihr politisches Gewicht in Berlin einsetzen will, um eine tragfähige Lösung zu erzielen.

Ich kann Ihnen ganz konkret auf die Sprünge helfen: Die grüne Bundestagsfraktion hat im Oktober den Antrag „Förderlücke für Geflüchtete im Sozialgesetzbuch schließen – Bildung und Integration stärken“ ins Parlament eingebracht. Wenn Sie das Anliegen ernsthaft unterstützen, dann freuen wir uns über die Zustimmung Ihrer Bundestagsfraktionen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ein ganz anderes Problem treibt viele mittelständische Unternehmen um, die sich engagiert um Geflüchtete und deren Integration in den Arbeitsmarkt kümmern. Bei vielen gut integrierten Arbeitnehmerinnen und Auszubildenden, deren Bleiberecht nicht abschließend geklärt ist, besteht immer noch die Gefahr, dass sie früher oder später ausreisepflichtig werden.

Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beklagen, dass oft sehr kurzfristig hochmotivierte Mitarbeiter ihre Firmen verlassen müssen und geschätzte Kolleginnen und Kollegen aus dem Team gerissen werden. Mit unerwarteten Abschiebungen von integrierten Mitarbeitern sei die Zukunft nicht planbar, so die Unternehmer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei sind die Bedingungen zurzeit besser denn je. Geflüchtete Menschen treffen aktuell auf einen Arbeitsmarkt in guter Verfassung. Erwerbstätigkeit und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen wachsen kräftig. Die Wachstumsprognosen sind mittelfristig stabil – bei gleichzeitigem demografischem Wandel.

Auch die Bundesagentur für Arbeit hat eine positive Zwischenbilanz zur Integration von Geflüchteten auf dem deutschen Arbeitsmarkt gezogen. Demnach haben mittlerweile mehr als 300.000 Menschen aus den acht Hauptasylländern einen Job gefunden. Das sind 88.000 mehr als im Vorjahr. Besonders junge Menschen sind den Angaben zufolge inzwischen recht gut integriert. Fast 28.000 junge Geflüchtete haben laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit eine Lehre begonnen.

Bundesagentur-Chef Scheele konstatiert, bei der Flüchtlingsintegration auf dem Arbeitsmarkt bleibe der Spracherwerb der entscheidende Faktor. Das haben ja auch die Vorrednerin und der Vorredner heute betont. Es sei unrealistisch, zu glauben, man könne in knapp einem Jahr so gut Deutsch lernen, dass es immer für die Berufsschule reiche, sagte Scheele. Das bedeutet doch, dass wir gewährleisten müssten, dass die Menschen – unabhängig davon, ob sie eine sogenannte Bleibeperspektive haben oder nicht – von Anfang an einen Zugang zu Sprachkursen haben.

Wie ich bereits ausgeführt habe, bin ich skeptisch, ob und wie die Landesregierung all diese Aspekte berücksichtigen will. Ich frage mich, wie alle Ihre Vorhaben zur besseren Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten gelingen sollen, wenn Sie gleichzeitig mit Ihrem sogenannten Asylstufenplan Menschen bis zu zwei Jahre von Integrationsmaßnahmen, von Deutschkursen, von Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten, von Bildung und Ausbildung fernhalten wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Aymaz. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort. Bitte sehr.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vieles von dem, was Sie machen, trifft bei uns nicht deswegen auf wenig Gegenliebe, weil wir nicht verstehen, was Sie machen, sondern weil es eine Frage der Perspektive ist, wie man die verschiedenen Punkte betrachtet.

Aus Ihrer Perspektive ist völlig verständlich, was Sie fordern. Ich kann dieses fast romantische Bild – der Kollege Seifen erklärte mir dieser Tage, dass das Bild der Romantik tatsächlich sehr gut dazu passt, denn es bezeichnet ein Verschwimmen der Grenzen, eine gewisse Unschärfe, mit der man Dinge betrachtet – von Zuwanderung und Asylsuchenden, die hier in Arbeit kommen, nachvollziehen. Eigentlich finde ich es sogar ganz nett.

Und wenn Sie sagen, dass Arbeit integriert, stimme ich dem absolut zu. Wenn man sich die erste größere Anzahl von Leuten anschaut, die zu uns gekommen sind, mit den vielen Freundschaften oder Ehen, die daraus entstanden sind, kann ich das voll und ganz nachvollziehen.

Nur, betrachten Sie die Sache doch einmal ganz nüchtern und sachlich aus unserer Perspektive, von einem etwas anderen Standpunkt. Da hört es sich tatsächlich ein bisschen so an wie das prolongierte: Ja, jetzt sind sie halt da. – Dann sagt ein Bundesminister auch noch: Wir dürfen jetzt auch nicht den Eindruck erwecken, dass wir Illegale in größerer Zahl abschieben könnten – in einer älter werdenden Gesellschaft, in der wir dazu gar nicht mehr die Kraft haben.

Dann machen Sie aus der Not eine Tugend und sagen: Die sind jetzt da. – Wir hören auch aus anderen Parteien, dass geradezu Goldstücke zu uns gekommen sind, Menschen, die wertiger sind als Gold, die jetzt alle unsere Probleme bekämpfen. So etwas ist sehr schwierig; denn am Ende werden Sie damit beide Seiten enttäuschen.

Auf der einen Seite enttäuschen Sie diejenigen, die das Ganze unterstützen, die eine Arbeitsmarktintegration wollen. Denn Sie wissen doch selber, wie schwer es ist, Menschen mit multiplen Vermittlungshindernissen in Arbeit zu bringen. Auf der anderen Seite enttäuschen Sie die vielen Menschen, die hierhin gekommen sind und Arbeit suchen. Das können Sie doch gar nicht bieten.

Unterhalten Sie sich mal mit jungen, gut ausgebildeten Menschen, Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen darüber, wie schwer es ist, eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Ausgebildete Chemikerinnen und Chemiker finden hier doch auch keinen Job an einer Universität oder in Forschungsprojekten für länger als ein bis zwei Jahre. Sie versprechen den Menschen, die zu uns kommen – Sie reden selbst davon, mit der Alphabetisierung zu beginnen –, einen Job. Ich weiß nicht, wo das am Ende hinführen soll.

Es gibt aber noch eine andere Achse. Deswegen denke ich, dass wir beinahe differenzierter über diese Sache nachdenken als Sie – dazu passt wieder das Bild der Romantik, wobei die Grenzen verschwimmen – und einen klareren und weniger romantischen Blick auf die Dinge haben.

(Karl Schultheis [SPD]: Sie haben die Romantik nicht verstanden!)

Sie verprellen auf der einen Seite diejenigen, die es ehrlich versuchen, die sich aus ihrem Heimatland als Fachkräfte in Deutschland bewerben, die zum Beispiel über die Blue Card oder über andere legale Wege versuchen, in die Europäische Union zu kommen, um hier zu arbeiten. Diese Menschen brauchen wir auch.

Auf der anderen Seite betreiben Sie eine gewisse Form von Sozialdarwinismus, denn Sie beugen sich der Macht des Faktischen. Sie sprechen von denjenigen, die hier sind und die Schleppern 8.000 Dollar oder 10.000 Dollar für die gefährliche Reise über illegale Wege bezahlt haben. Aber diejenigen, die tatsächlich leiden, die nicht einmal mehr einen Dollar haben, um sich Hirse oder Reis zu leisten und ihre Kinder zu ernähren, die aus Krisenherden wie dem Jemen kommen, geraten völlig aus dem Blick. Hier könnten Sie Menschen helfen, die tatsächlich Hilfe brauchen.

Ich würde mir wünschen, wir würden häufiger offen über diese Krisenherde sprechen, in denen gefährliche Krankheiten ausbrechen und sehr viele Menschen Hunger leiden. Ich würde mir auch wünschen, Sie würden sich nicht einfach der Macht des Faktischen hingeben und dieses prolongierte: „Jetzt sind Sie nun mal da, jetzt müssen wir irgendwie mit ihnen arbeiten“, weiterleben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort. Bitte sehr, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung – das wissen wir alle – ist in den letzten Jahren in unserem Land eine Menge auf den Weg gebracht worden, im Übrigen mit ganz viel Engagement und Herzblut von Ehrenamtlern und Hauptamtlern.

Eines ist aber auch klar – das muss man sich immer vor Augen halten –: Mit drei Wochen, drei Monaten oder auch drei Jahren Einsatz ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen. Die Integration der geflüchteten Menschen – auch der, die jetzt noch flüchten, und der, die in Zukunft flüchten werden – in den Arbeitsmarkt ist eine Daueraufgabe.

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Integration dieser Menschen in unseren Arbeitsmarkt entscheidend dafür ist, ob auch ihre Integration in unsere Gesellschaft gelingt.

Die Bedeutung der Aufgabe wird allein anhand der Zahlen deutlich: Rund 130.000 Flüchtlinge sind bei den Jobcentern in Nordrhein-Westfalen arbeitsuchend und ca. 53.000 Personen arbeitslos gemeldet. Etwa 170.000 geflüchtete Menschen sind erwerbstätige Leistungsberechtigte, haben also Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Jeder sechste bzw. siebte, der sich bei einem Jobcenter meldet, hat einen Flucht- oder Migrationshintergrund. Fast 23.000 Flüchtlinge sind zurzeit in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.

Diesen Zahlen stehen aber auch gute Erfolge bei der Integration in Arbeit und Ausbildung gegenüber. Bis zum Sommer hatten rund 25.000 Flüchtlinge eine ganz normale sozialversicherungspflichtige Arbeit in Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Etwa 4.800 Geflüchtete befinden sich in einer ganz regulären Ausbildung im dualen System.

Die Integrationsquote von geflüchteten Menschen, die in unseren Jobcentern gemeldet sind, ist nahezu auf dem gleichen Niveau wie die Integrationsquote anderer Arbeitsuchender. Wir müssen daran arbeiten, dass diese Entwicklung Schritt für Schritt weitergeht. Dafür muss man die bisherigen Maßnahmen und Aktivitäten dort, wo es nötig ist, weiterentwickeln. Wir müssen die Aktivitäten fortführen, um eine gelingende Integration Geflüchteter zu ermöglichen und die Weiterentwicklung der bestehenden Instrumente und Ansätze zu fördern.

Eine nachhaltige Integration der Flüchtlinge kann nur gelingen, wenn alle Akteure eng zusammenarbeiten. Wir brauchen dafür die Leute in den Jobcentern und Arbeitsagenturen, an den kommunalen Stellen, aus den Kreishandwerkerschaften, bei den Industrie- und Handelskammern, die einzelnen und teils sehr engagierten Arbeitgeber, aber auch viele weitere Kooperationspartner.

Natürlich will ich den Einsatz vieler Bürgerinnen und Bürger nicht unerwähnt lassen, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen und ihnen mit ihren Beziehungen und ihrem Wissen helfen, die Integration in den Arbeitsmarkt zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund ist „Vernetzung“ ein gutes Stichwort für die vor uns liegende Mammutaufgabe. Es gibt viele gute Projekte vor Ort, von denen man lernen kann. Ich will hier auch erwähnen, dass wir die Maßnahmen, die die alte Landesregierung ergriffen hat, als die Menschen zu uns gekommen sind, weiterführen werden, weil sie schlicht und ergreifend vernünftig sind.

Das gilt zum Beispiel für die Landesaktion „NRW. Das machen WIR! Integration von Geflüchteten in Arbeit und Ausbildung“. Solche Aktionen führen wir zusammen mit dem Integrationsministerium weiter.

Schauen Sie sich die über 150 Beispiele aus der Praxis auf der Landkarte der guten Ideen auf der Internetseite der G.I.B. an. Dann werden Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie vielfältig das Engagement in unserem Land ist, diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sie gleichzeitig aber auch in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Der Landesregierung ist es ein Anliegen, dass die sogenannte 3+2-Regelung wirksam angewendet wird. Arbeit und Ausbildung sind Schlüssel zur Integration. Wirtschaft und Handwerk sind zudem darauf angewiesen, das Potenzial der Flüchtlinge auszuschöpfen, gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung in unserem Land.

Eines sollten wir dabei nicht vergessen: In den nächsten Jahren gehen in Nordrhein-Westfalen rund 450.000 Menschen mit der Qualifikation eines erfahrenen Facharbeiters oder Gesellen im Handwerk in Rente, und dem stehen Entlassjahrgänge mit wenigen Absolventen gegenüber. Deswegen täten wir alle gut daran – und dies gilt gerade in der dualen Ausbildung –, die Potenziale der Flüchtlinge zu nutzen, ihnen eine Lehrstelle zu geben und sie zu einem Facharbeiterbrief bzw. Gesellenbrief zu führen. Deswegen ist es auch richtig, dass in Nordrhein-Westfalen klar geregelt worden ist, dass etwa Helferausbildungen in der Pflege unter die 3+2-Regelung fallen. Ich finde, das ist gut so.

Wenn wir uns das Anforderungsniveau der Geflüchteten ansehen, müssen wir zugeben, dass 70 % zum Helferbereich gehören. Ein nennenswerter Teil der Integrationen erfolgt also in Helferberufe. Für eine nachhaltige Integration in Arbeit muss es deshalb noch stärker gelingen, mehr Menschen mit Fluchtgeschichte erfolgreich beruflich zu qualifizieren.

Für die jungen Menschen ist daher ein Ausbildungsbeginn die Voraussetzung dafür, qualifiziert in diesem Arbeitsmarkt anzukommen. Deswegen ist es nicht nur wichtig, dass für die Dauer der Ausbildung der Aufenthaltsstatus geklärt ist, sondern es bedarf auch begleitender Unterstützung, um den Ausbildungserfolg sicherzustellen.

Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen und Aktivitäten ergriffen. Wir wollen wegkommen vom bloßen Aktionismus und hin zu klaren Programmlinien. Hierfür möchte ich einige Beispiele nennen.

Wir bringen das „Ausbildungsprogramm NRW“ für benachteiligte Jugendliche und junge Menschen mit Startschwierigkeiten auf den Weg; das wendet sich natürlich auch an Geflüchtete. Ich finde es generell wichtig, dass nicht nur Menschen, die schon länger in unserer Gesellschaft leben – egal, mit welchem Pass in der Tasche oder mit welchem kulturellen oder religiösen Hintergrund –, sondern auch Geflüchtete gleichermaßen von unseren Ausbildungsprogrammen profitieren können. Daher haben wir 2018 erhebliche Fördermittel für zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt.

Darüber hinaus steht das Instrument „Kein Abschluss ohne Anschluss“, womit wir uns an Schülerinnen und Schüler in der Berufsorientierung wenden, natürlich auch geflüchteten Schülerinnen und Schülern genauso zur Verfügung wie den anderen. Auch das finde ich gut.

Dieses Instrument wollen wir dahin gehend schärfen, dass man sich bei der Orientierung insbesondere um diejenigen kümmert, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in unser Schulsystem eingestiegen sind. Denn ich glaube, dass Menschen, die erst seit zwei oder drei Jahren in unserem Schulsystem sind, bei der Berufsfindung andere – stärker auf sie zugeschnittene – Orientierungshilfen brauchen als diejenigen, die hier das gesamte Schulsystem neun bis zwölf Jahre durchlaufen haben. Deswegen war es auch richtig, dass 2016/2017 „KAoA-kompakt“ eingeführt worden ist, um die Grundlage für das zu schaffen, was ich gerade beschrieben habe.

Seit Februar 2017 gibt es die einjährige Vorbereitungsmaßnahme „Fit für mehr“, in der eine sprachliche, mathematische, kulturelle und politisch-gesellschaftliche Vorbereitung für den weiteren Bildungsweg erfolgt. Das Angebot steht 16- bis 25-jährigen neu Zugewanderten unabhängig vom Aufenthaltsstatus offen.

Auch wenn der Bereich Werkstattjahr/Produktionsschule kritisiert worden ist: Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass wir die guten Elemente der Produktionsschule, beispielsweise die produktionsorientierte Organisation, mit den guten Elementen des Werkstattjahres, beispielsweise den Praktikumsanteilen, verbunden haben.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Insofern haben wir kein Modell abgeschafft, sondern wir haben ein Modell der Realität angepasst. Ich will nicht, dass es in diesem Land Maßnahmen gibt, in denen überhaupt kein Kontakt zum ersten Ausbildungsmarkt oder ersten Arbeitsmarkt besteht.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Schließlich wissen wir alle, dass das nicht die Lebenswirklichkeit unserer Arbeitswelt widerspiegeln kann. Deswegen wollte ich den Ansatz mit den Praktika in den normalen Betrieben.

(Nadja Lüders [SPD]: Und verbauen es für die 18- bis 25-Jährigen!)

Es gibt viele Instrumente, die von der Bundesagentur für Arbeit und von den Jobcentern genutzt werden. Als Beispiele nenne ich „KomPAS“ – das steht für Kompetenzfeststellung, frühzeitige Aktivierung und Spracherwerb – oder „KomBer“; das steht für Kombination berufsbezogener Sprachförderung mit Arbeitsförderung. All das sind Maßnahmen, die in den letzten Jahren entwickelt worden sind, und bei denen Spracherwerb, Potenzialermittlung und arbeitsmarktliche Anteile Hand in Hand gehen. Und da, wo das noch nicht so weit ist, müssen wir uns darum kümmern, dass das Ganze Hand in Hand geht.

Lassen Sie mich noch auf die Forderung des Antrags eingehen, faire Rahmenbedingungen für Geflüchtete bei Prüfungen in der Berufsausbildung zu ermöglichen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich mir hier manchmal mehr Einfühlungsvermögen und mehr Flexibilität der Kammern wünschen würde. Es ist doch ganz klar, dass sich ein geflüchteter Mensch, der im Rahmen seiner Ausbildung nach anderthalb Jahren in die Zwischenprüfung muss, viel schwerer tut, die in deutscher Sprache gestellten Fragen zu lesen und zu beantworten, und dass er, um zu verstehen, was er liest, vielleicht auch ein bisschen mehr Zeit braucht als jemand, der in dieser Sprache groß geworden ist. Das wäre ein Punkt, den ich gerne gelöst sähe.

Ein weiterer Punkt wäre, dass bei bestimmten Prüfungsteilen Fragen in der Heimatsprache gestellt werden könnten. Bei der Führerscheinprüfung ist das auch möglich. Deswegen bin ich der Meinung, dass man diesbezüglich mehr auf die Menschen zugehen sollte. Es darf nicht sein, dass das theoretische Wissen eigentlich vorhanden ist, die Prüflinge aber wegen der Sprachdefizite nicht die Prüfungsergebnisse erzielen, die sie aufgrund ihrer Kenntnisse eigentlich erzielen könnten.

Vor Kurzem habe ich von einer Innung, die etwas mit dem Bau zu tun hat, das Argument gehört: Na ja, es muss unbedingt Deutsch gesprochen werden, um zum Beispiel die Arbeitssicherheit herzustellen. – Da kann ich Ihnen nur sagen: Ich kenne viele Baustellen in Nordrhein-Westfalen, da werden viele Sprachen gesprochen, und die deutsche Sprache taucht am wenigsten auf. Deswegen finde ich, dass auch hier eine höhere Flexibilität notwendig ist.

Ich glaube auch – da gibt es Forderungen an mein Ministerium –, dass wir in der Frage der Berufsanerkennung und dessen, was die jungen Menschen, die zu uns gekommen sind, an Kenntnissen mitbringen, besser werden müssen. Dort müssen wir kundenorientierter arbeiten. Die Verfahren dürfen nicht so lange dauern, und man muss auch in den Behörden den Menschen behilflich sein, die dafür notwendigen Unterlagen beizubringen.

Allzu oft geht es im Gesundheitsbereich noch so vonstatten, dass man unseren Behörden, die die Verfahren bearbeiten, nicht anmerkt, dass sie sich darüber freuen, wenn ein Mensch gekommen ist, der im Gesundheitswesen unseres Landes arbeiten will. Deswegen möchte ich, dass wir die Strukturen so verändern, dass man einfach mehr auf die Leute zugeht. Wir müssen eine Kultur schaffen, in der man die Leute merken lässt: Wir sind ganz froh, dass du dich für einen Gesundheitsberuf interessierst, und wir unterstützen dich dabei, dass du mit den Kenntnissen, die du bereits hast, in dieses Gesundheitssystem einmünden kannst.

Daher war es mir zum Beispiel ein großes Anliegen, dass wir auch in unseren Pflegeschulen Kurse anbieten, in denen wir Menschen, die zu uns gekommen sind, die im Ausland Pflegeberufe gelernt haben, durch Nachschulungen helfen, unsere Kenntnisprüfungen zu bestehen. Alle diese Strukturen gab es bis vor einem Jahr noch gar nicht. Da haben wir uns in diesen Fragen der Realität angepasst und gehen auf diese Menschen zu.

Wir werden auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 5. und 6. Dezember in Münster nutzen, in Gemeinsamkeit mit den anderen Bundesländern aus Sicht der Länder wichtige Forderungen,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

die wir in Ergänzung der Angebote des Bundes haben, gemeinsam zu formulieren und gemeinsam gegenüber dem Bund vorzutragen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als weiterer Redner für die Fraktion der CDU hat nun Herr Kollege Schmitz das Wort.

Marco Schmitz (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Oppositionsparteien, Sie haben heute Morgen unserem Minister Reul gesagt, er würde an einem Antrag vorbeireden. Da würde ich gerne wissen, was Sie hier gemacht haben.

Herr Yüksel, ganz kurz sind Sie auf den Antrag zu sprechen gekommen, haben dann aber deutlich gesagt: Ich möchte nur auf die Produktionsschulen eingehen. – Ich kann nachvollziehen, dass Sie denen immer noch hinterhertrauern. Aber der Minister hat es gerade auch noch einmal gesagt: Wir haben die Elemente aus den Produktionsschulen aufgenommen und ins Werkstattjahr übernommen, damit gewährleistet ist, dass die Dinge, die gut gelaufen sind, auch weiter genutzt werden. Diesen produktionsorientierten Ansatz haben wir drin.

Wir haben 1.600 Plätze. Ja, wir haben das Alter reduziert, weil wir gesagt haben: Das ist die Zielgruppe, die wir dafür nutzen wollen. Die restlichen werden aus dem Regelsystem der Bundesagentur für Arbeit übernommen.

Frau Aymaz, auch zu Ihnen muss ich etwas sagen: Das war jetzt kein Antrag, der sich mit dem Bleiberecht beschäftigt, sondern es geht bei unserem Antrag um Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, in Ausbildung und in den Arbeitsmarkt. Sie sprechen davon, dass die NRW-Koalition eine Trennung zwischen denjenigen mache, die ein dauerhaftes Bleiberecht, eine gute Bleibeperspektive hätten, bei denen wir früh anfangen müssten, die wir sofort integrieren müssten, damit wir die Möglichkeit hätten, diese Leute in unserer Gesellschaft durch Arbeit zu sozialisieren.

Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir bei denjenigen, die kein dauerhaftes Bleiberecht haben, sagen, wir geben sie nicht in die Kommunen und fangen da nicht mit der Integration an, weil wir uns um die kümmern müssen, die hierbleiben sollen.

Herr Dr. Vincentz, auch zu Ihnen noch: Mit Romantik hat unser Antrag rein gar nichts zu tun. In unserem Antrag geht es darum – das ist das Gleiche, was ich gerade auch schon zu Frau Aymaz gesagt habe –, dass wir die Menschen, die hier sind, die ein dauerhaftes Bleiberecht haben, integrieren wollen. Vielleicht mag die AfD das nicht so sehen und uns als Fehler vorwerfen, dass die Leute gar nicht da sein sollten.

Sie haben auch gesagt, wir hätten uns vom Faktischen überrennen lassen. Nein, wir haben uns nicht überrennen lassen, vielmehr wollen wir jetzt mit Menschlichkeit damit umgehen, dass die Leute, die dauernd hierbleiben, auch arbeiten. Wir wollen vermeiden, dass sie in unsere Sozialsysteme gehen. Das ist das, was wir fordern.

Wir sagen: Ihr müsst in Arbeit kommen, ihr müsst euch bemühen! Kümmert euch darum, dass ihr euer Geld selber verdient, dass ihr eure Miete selber bezahlt! Das ist die Intention dieses Antrages: Die Leute, die ein dauerhaftes Bleiberecht haben, sollten hierbleiben und müssen dann aber auch arbeiten.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Das ist sehr gut! Sie differenzieren das in dem Antrag gar nicht so!)

– Doch, das steht in diesem Antrag sehr wohl drin. Wir sagen: Diejenigen, die ein dauerhaftes Bleiberecht haben, müssen frühzeitig in Arbeit gebracht werden. Da geht es darum, dass sie die Sprache lernen, da geht es darum, dass die Berufsanerkennung funktioniert. Es geht darum, dass wir mithilfe von Unterstützungsmaßnahmen – sei es die 3+2-Regelung oder Ähnliches – diese Menschen in Arbeit bekommen, damit sie nicht in die Sozialsysteme geraten, sondern auf dem freien Arbeitsmarkt arbeiten können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich für die vielen Kooperationspartner bedanken, ohne die das Ganze nicht möglich gewesen wäre. Das ist natürlich die Bundesagentur. Das sind die Jobcenter. Das sind die Sozialpartner im Handwerk, in der Industrie, in den Kirchen; das sind die Sozialverbände. Ohne sie könnten wir das Ganze nicht umsetzen.

In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn Sie unseren Antrag unterstützen. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und bedanke mich für Ihr Zuhören.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Bischoff das Wort.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt haben wir eine breite Debatte. Es ist vieles gesagt worden, es ist viel Richtiges gesagt worden, auch vieles, was zu hinterfragen ist. Das Thema ist wichtig; das ist gar keine Frage. Ich möchte nur auf drei, vier Punkte eingehen.

Frau Gebauer, Sie haben es noch einmal sehr breit ausgeführt, und es steht auch in Ihrem Antrag. Sie wollen, dass im Ausschuss berichtet wird, und Sie betonen dann, Best-Practice-Beispiele sollten seitens des Ministeriums berichtet werden. Ich habe nichts gegen Best-Practice-Beispiele. Nur, wie Sie es formulieren, klingt es nach „ausschließlich Best-Practice-Beispiele“.

Das ist eigentlich nicht das Bild, das wir von der Arbeit im Parlament haben, dass wir sozusagen das Forum sind zum Abnicken und Beifallklatschen für Best-Practice-Beispiele, und dann geht das Ministerium wieder.

Unser Vorschlag wäre, neben den Best-Practice-Beispielen auch die schlechten Beispiele darzulegen. Meine Lebenserfahrung sagt mir: Bei 100.000 – das hat der Minister eben vorgetragen – vermittelten Menschen gibt es sicher auch schlechte Vermittlungen. Daher würde ich dafür plädieren, dass wir die ganze Bandbreite der Realität widerspiegeln und nicht nur Best-Practice-Beispiele nehmen.

Herr Lenzen trägt hier eine Binsenweisheit vor, tut aber so, als wäre das etwas Neues. Er formuliert es netter und schöner, meint aber, dass die Leiharbeit durch die Arbeitsagenturen einfach zu vermitteln sei. Das wissen wir. Das hat aber nichts mit Flüchtlingen zu tun, sondern es hat etwas mit Leiharbeit zu tun. Wo es eine hohe Fluktuation von Arbeit gibt, wo möglichst viel geheuert und gefeuert wird, da kann man auch viel vermitteln.

Ich werfe nicht den Arbeitsagenturen vor, dass sie das so machen, sondern ich werfe Ihnen vor, dass Sie das auch noch toll finden. Das ist schon eine merkwürdige Herangehensweise.

Außerdem: Gut vermittelbare Arbeit ist nicht gleich gute Arbeit, sondern häufig sogar das Gegenteil. Die Argumentation, die Sie vorgestellt haben, kann ich also überhaupt nicht nachvollziehen. Und zum Vorwurf, dass wir etwas gegen Leiharbeit hätten: Das haben wir in der Tat, weil es schlechte Arbeitsverhältnisse sind. Aber nur zu sagen, die Arbeit sei gut vermittelbar – da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang und es ist völlig an den Haaren herbeigezogen.

Herr Laumann, der jetzt auch wieder abwesend ist

(Minister Karl-Josef Laumann: Hallo!)

– da ist er ja! –, stand meiner Meinung nach ziemlich lustlos am Redepult und las ab. Ich habe ihn schon viel leidenschaftlicher erlebt. Bei anderen Fragen ist er das.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das war bei Ihnen noch nie der Fall!)

Herr Minister Laumann und ich beschäftigen uns schon ziemlich lange mit der Sache, und deshalb möchte ich Ihnen ein Beispiel nennen. Wozu ich heute gar nichts gehört habe, ist die Modulausbildung. Das ist ein Thema, welches meiner Meinung nach sehr wichtig ist.

Es mag zum Beispiel einen syrischen Flüchtling geben, der in Syrien ein hervorragender Fliesenleger war. Er kann hundertprozentig Fliesen legen, hat aber keinen deutschen Gesellenbrief. Es gibt ja auch keine duale Ausbildung in Syrien, aber er kann das.

Dann muss er meiner Meinung nach in einem Modul ausgebildet werden, damit er auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar ist, damit seine Fähigkeiten einfließen. Er muss auch keine dreieinhalbjährige Ausbildung machen, sondern er muss das lernen, was er zusätzlich benötigt – natürlich aufbauend auf dem Deutschkurs und dem Integrationskurs.

(Minister Karl-Josef Laumann: Einverstanden!)

Der Arbeitsminister und der Wirtschaftsminister – er ist heute nicht anwesend – stehen hier vor einer großen Aufgabe. Wir diskutieren schon ewig darüber, und es wirkt für mich so, dass es bei vielen Innungen und Kammern so etwas wie eine Verherrlichung des deutschen Gesellen- und Meisterbriefs gibt.

Ich finde ihn auch gut, und er ist auch wichtig, aber er ist kein Heiligtum, keine Ikone. Jemand muss nicht genauso ausgebildet worden sein wie in Deutschland, damit er dasselbe leisten kann.

Da ich weiß, dass Sie selbst eine duale Ausbildung gemacht haben, würde es gerade Ihnen gut zu Gesicht stehen, bei den Kammern und Verbänden stärker einzufordern, eine Flexibilität und Offenheit für ein solches Modul zu entwickeln, um möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Ansonsten kommt es zu folgender Situation: Man fordert Module, man verhindert im Grunde, dass sie umgesetzt werden, und in den Sonntagsreden beklagt man den Fachkräftemangel. Das passt natürlich nicht zusammen, sondern daran muss man arbeiten.

Abschließend: Wir sprechen über den Antrag – ich habe meine Brille nicht dabei und kann es nicht ganz vorlesen – „Integration beginnt mit Ausbildung und Arbeit“ der CDU.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wollen Sie meine Brille haben?)

– Nein, das geht schon. – Uns liegt ein Antrag aus dem Oktober seitens der CDU zur Verbesserung der Berufsanerkennungsverfahren vor. Seitens der SPD läuft ein noch nicht abgeschlossener Antrag mit dem Titel „Die Landesregierung muss die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt vorantreiben!“. Wer nachsieht, wird übrigens auch herausfinden, wer sich zuerst mit dem Thema auseinandergesetzt hat – das war nämlich der SPD-Antrag. Er ist aus dem Frühjahr; darauf haben Sie aufgebaut.

Nichtsdestotrotz scheint es mir vernünftig zu sein, die drei Anträge in den Beratungen im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und im Integrationsausschuss zusammenzufassen, um dann vielleicht eine gemeinsame Anhörung durchzuführen, in welcher man das Thema vertieft. – Ich sehe zumindest den Minister nicken. Meiner Meinung nach ist es ein kluger Vorschlag, diese drei Anträge zusammenzufassen und sich dann inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag. Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lenzen das Wort.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank an den Kollegen Bischoff. Er brachte ein bisschen Emotion in die Debatte. Ich fände es gut, wenn er mir jetzt auch noch kurz seine Aufmerksamkeit schenken würde.

Die Idee, das Ganze im neuen Jahr in einer großen Anhörung mit den Anträgen zum BQFG und dem Antrag der SPD zusammenzufassen, ist sinnvoll. Die Idee kam genauso auch bei den Koalitionsfraktionen auf; das nehmen wir gerne mit auf. Es macht Sinn, das zusammenzufassen.

Ganz im Gegensatz zu Ihrem Kollegen Yüksel haben Sie wenigstens versucht, zum Antrag von CDU und FDP zu sprechen. Beim Kollegen Yüksel hatte man den Eindruck, er führe eine Debatte von vorgestern mit dem Fokus auf der Produktionsschule. Hier geht es aber darum, wie wir junge Menschen in Ausbildung und Arbeit integrieren können. Dabei sind viele Bestandteile zu berücksichtigen und eben nicht nur die Produktionsschule. Das wirkte so ein bisschen wie eine Generalabrechnung.

Wenn man schon über Gutes und Schlechtes spricht: In der Debatte kam auch das Thema „Förderlücken schließen“ auf. Man kann an dieser Stelle durchaus mal erwähnen, dass wir uns sehr freuen würden, wenn der zuständige SPD-Bundesminister für Arbeit und Soziales Herr Hubertus Heil das Ganze aufgreifen und die Lücke schließen würde.

Was aber auch in der Debatte im Ausschuss aufkam – da muss man sich hier am Redepult vielleicht etwas bremsen, Herr Bischoff –: Wenn man ein Urteil des Landessozialgerichts Essen aus dem Frühjahr dieses Jahres irgendwie verpasst hat, dann sollte man jetzt vielleicht noch einmal nachdenken und konstruktiv an diesem Antrag mitwirken. Ich gehe davon aus, dass Sie das im neuen Jahr tun wollen.

Es kam auch der Vorwurf auf – ob von der Kollegin Aymaz oder vom Kollegen Yüksel –, landesseitig würde da zu wenig passieren. Man kann trotzdem darauf verweisen, dass wir natürlich im Bundesrat daran arbeiten. Es gibt auch einen einstimmigen Beschluss der Integrationsministerkonferenz aus dem März dieses Jahres. Wir werden an dem Thema dranbleiben. Ein bisschen mehr Akzeptanz auf Bundesebene wäre auch für uns sicherlich hilfreich.

Bei diesem Antrag von CDU und FDP geht es doch darum, wie wir mehr Geflüchtete, mehr junge Menschen in Ausbildung und Arbeit bringen. Frau Kollegin Aymaz sprach noch zwei Punkte an. Auch wenn es mit dem Antrag wenig zu tun hat, kann man zum Thema „Asylstufenplan“ schon sagen, dass das Ansinnen der NRW-Koalition klar ist: auf der einen Seite die Kommunen zu entlasten und sich auf der anderen Seite auf genau diejenigen zu konzentrieren, von denen wir wissen, dass sie eine gute Bleibeperspektive haben. Da müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen.

Ganz wichtig ist der zweite Punkt – da haben Sie mich bestätigt, und ich fühle mich auch nicht angesprochen –, nämlich das Thema „Abschottung und Ausgrenzung“. Darauf setzt die NRW-Koalition beileibe nicht, aber wir haben eben zwei Seiten im Blick. Es ist wichtig, klarzustellen, dass wir sehr wohl unseren Fokus auf der einen Seite auf die Abschiebung von Gefährdern und Straftätern, auf der anderen Seite aber auch auf die Integration durch Arbeit und Ausbildung legen können. Darin sehe ich keinen Widerspruch, und es ist wichtig, das hier klarzustellen.

Nun freue ich mich auf die Beratungen in den entsprechenden Fachausschüssen im nächsten Jahr. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lenzen. – Für die Fraktion der AfD hat jetzt Frau Kollegin Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 3,5 Millionen Deutsche leben dauerhaft irgendwo im Ausland. Gegangen sind vor allem hochqualifizierte junge Menschen, aber auch gestandene Handwerksmeister, Ärzte und Ingenieure. Viele von ihnen wurden insbesondere von besseren Arbeitsbedingungen, weniger Bürokratie, aber manchmal von einem höheren Gehalt gelockt.

Heute steht häufig die Work-Life-Balance im Mittelpunkt; das verändert auch den Arbeitsmarkt. Egal ob sich im Jahr 2016 die statistischen Erhebungsmethoden geändert haben, eines fest steht: Jedes Jahr verlassen deutlich mehr Menschen unser Land als wieder zurückkommen.

Statt auf diese Entwicklung adäquat zu reagieren, propagierte der neue Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer jüngst, noch viel mehr ungelernte Zuwanderer nach Deutschland zu holen. Schon heute haben wir in NRW 132.000 Flüchtlinge, die einen Job suchen. Die allermeisten sind nach wie vor gering oder gar nicht qualifiziert. Nur 4.800 von ihnen befinden sich in Ausbildung; das sind gerade einmal 1,2 % der 400.000 in NRW lebenden Flüchtlinge.

Über Erfolgsquoten bei diesen Ausbildungen ist wenig bekannt. In Bayern spricht man von rund 50 %, die ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Eine Erfolgsstory sieht wahrlich anders aus. Vielleicht sollte Herr Kramer mal nach China blicken, bevor China uns mit seiner vollkommen anderen Anwerberstrategie in Kombination mit anderen günstigen Faktoren komplett ins wirtschaftliche Abseits befördert.

Womit beschäftigen wir uns mit aller zur Verfügung stehenden Kraft und mit unglaublichem Einsatz? Im vorliegenden Antrag steht, dass 50 % der Flüchtlinge die Integrationskurse derzeit nicht schaffen würden. Noch schlimmer sieht es bei den Deutsch- und den Alphabetisierungskursen aus. Da liest man in einem Bericht von nur 8 % Erfolgsquote; in einem anderen heißt es, einer von fünfen schaffe das erhoffte Ergebnis. Da liegen die Abbrecherquoten bei 50 %.

Weil viele Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene im Spiel sind, scheinen hier die Statistiken unzureichend zu sein. Wie zum Beispiel die Erfolgsquoten bei Minderjährigen aussehen, weiß keiner so genau.

Unsere Arbeitgeber beklagen eine zu geringe schulische Bildung junger Menschen, die die deutschen Schulen verlassen haben. Und wir glauben, Menschen, die zu uns gekommen sind, und die teilweise sehr wenig Bildung in ihren Heimatländern erfahren haben, mit Alphabetisierungs- und Deutschkursen auffangen zu können? Ich bitte Sie! – Bei den Syrern sieht es immerhin noch gut aus. Laut einer PISA-Studie waren die Abiturienten aus Syrien – vor dem Krieg, wohlgemerkt – etwa zweieinhalb Jahre hinter unseren Abiturienten zurück.

Natürlich müssen wir die Menschen, die länger bei uns bleiben, und vor allem diejenigen, die für immer bei uns bleiben, in Arbeit integrieren. Das sehen auch wir so. Aber eine Logik erschließt sich mir nicht: Sie behaupten, alle Flüchtlinge müssten integriert werden; denn alle blieben auf Dauer hier.

(Zurufe von Katharina Gebauer [CDU] und Marco Schmitz [CDU])

Das Gesetz sieht diese Logik nun mal nicht vor. Das ist nicht Ihre Forderung; das ist insbesondere eine Forderung der Fraktion der Grünen.

(Zuruf)

– Ja, der Grünen, genau, das ist die gleiche Richtung. Entschuldigung, Frau Gebauer, ich habe nicht direkt auf Sie geschaut. Die Integration aller Flüchtlinge ist nicht erforderlich – das ist nun mal so!

Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die dauerhaft hierbleiben; egal ob sie Asyl bekommen haben oder ob sie wegen der Arbeit zugewandert sind. Aber wenn man generell nur auf Sprach- und Integrationskurse setzt, streut man den Bürgern Sand in die Augen. Da ist sehr viel mehr erforderlich, und es wird sehr viel teurer werden. Das mag alles richtig sein. Eine Arbeitsmarktpolitik jedoch, die allein auf Zuwanderung von Menschen mit geringer Qualifikation setzt, wird die Probleme in unserem Land nicht lösen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Walger-Demolsky. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir jetzt nicht vor – das bleibt auch beim Blick in die Runde so.

Damit sind wir am Schluss der Aussprache und können zur Abstimmung kommen. Der Ältestenrat empfiehlt uns, den Antrag Drucksache 17/4113 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales federführend, sowie an den Integrationsausschuss und den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es hierzu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das vom Hohen Hause einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine Nordrhein-Westfalen (TierschutzVMG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4107 – 2. Neudruck

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ – Das steht in § 1 Tierschutzgesetz; es ist also die übergeordnete Bestimmung.

Was ganz selbstverständlich klingt – was auch selbstverständlich sein sollte –, bleibt in der alltäglichen Praxis leider des Öfteren auf der Strecke. Genau aus diesem Grund hat sich die damalige rot-grüne Landesregierung vor fünf Jahren entschlossen, ein Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine auf den Weg zu bringen, mit dem Tierschutzvereine ein Mitwirkungsrecht erhalten, damit dieser Grundsatz der Standards des Tierschutzes tatsächlich eingehalten wird.

Ein ähnliches Klagerecht für Verbände haben wir auch im Naturschutzbereich: Naturschutzverbände können naturschutzrechtliche Bestimmungen einklagen, und sie können auch mitwirken.

Genau das haben wir Tierschutzvereinen auch ermöglicht, und aus unserer Sicht ist es völlig unverständlich, dass es Fraktionen gibt, die sehr wohl bereit sind, das eine zu erhalten und auch gar nicht infrage zu stellen, nämlich im Naturschutzrecht, dasselbe aber im Tierschutzrecht nicht wollen. Das geht aus unserer Sicht so nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

2013 war Nordrhein-Westfalen das erste Flächenland, das in Deutschland ein solches Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine eingeführt hat. Mittlerweile sind acht weitere Bundesländer unserem Beispiel gefolgt. Ich glaube, das zeigt, wie beispielgebend wir damals mit dem Gesetz waren.

Ich will ein Zitat anfügen:

„Mit diesem Gesetz haben wir ein wichtiges Signal für den Tierschutz gesetzt und eine Rechtslücke geschlossen. … Das ist ein weiterer und wichtiger Meilenstein für den Tierschutz.“

Dieses Zitat stammt nicht von mir oder von Herrn Remmel, dem damaligen Minister in NRW. Es stammt von Peter Hauk, dem Landwirtschaftsminister der CDU in Baden-Württemberg, der genau das gesagt hat, als Baden-Württemberg das Verbandsklagerecht eingeführt hat.

Ich frage mich, Frau Ministerin – die Frage ist auch an die CDU gerichtet –: Wie kann es sein, dass in solch einer grundsätzlichen Frage innerhalb einer Partei eine derart gegensätzliche Auffassung bestehen kann? Da muss man doch einen gemeinsamen Weg gehen. Wie kann man da so unterschiedlich handeln: Sie hier in Nordrhein-Westfalen und die CDU in Baden-Württemberg?

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Worum geht es konkret beim Verbandsklagerecht? – Ich glaube, der eindrücklichste Fall, den wir gehabt haben, bezog sich auf die Kastenstände. Wir hatten dazu ein eindeutiges Urteil. Wir haben eindeutige Bestimmungen im Tierschutzrecht. Nach Tierschutznutztierverordnung müssen Schweine ungehindert liegen, aufstehen, sich hinlegen und eine natürliche Körperhaltung einnehmen können.

Wer Kastenstände kennt, die in der Schweinehaltung üblich sind, weiß, dass das im Moment überhaupt nicht der Fall ist. Diese gesetzliche Bestimmung ist von den Behörden vor Ort nicht durchgesetzt worden. Es hätte durchgesetzt werden müssen, aber es ist nicht getan worden.

Da ist es doch richtig, dass wir sagen: Mit einem Klagerecht können Tierschutzvereine auch solche gesetzlichen Normen einklagen, also die Überprüfung, ob das Ganze auch umgesetzt und vor Ort von den Behörden richtig gehandhabt wird.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Dafür haben wir Behörden!)

– Ja, das ist doch ein Fehler, dass Sie das sagen. Die Behörden müssten es durchsetzen. Sie tun es nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Die machen das! – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Dann ist es doch gut, wenn sich Gerichte darum kümmern.

Sie, Herr Hovenjürgen, sagen wahrscheinlich auch noch, dass es richtig sei, wie die Behörden die Schlachthöfe kontrollieren. Wir haben aber in den letzten Wochen auch gesehen, dass die Behörden teilweise nicht richtig handeln und dass es zu Fehlverhalten kommt.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Dafür sind Gerichte da, so etwas zu kontrollieren und nachzuvollziehen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hovenjürgen?

Norwich Rüße (GRÜNE): Selbstverständlich, immer.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sehen Sie: Das kommt davon, wenn man ihn anspricht. – Bitte schön, Herr Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Sehr geehrter Kollege Rüße, danke, dass Sie die Frage zulassen. Darf ich jetzt Ihre Äußerung dahin gehend werten, dass Sie unseren Behörden, den Veterinärämtern, keinerlei Kompetenz zubilligen,

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

das zu bewerkstelligen, was hier an Aufsicht notwendig ist?

(Andreas Keith [AfD]: Das mit dem Koalitionspartner üben wir noch!)

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, lieber Kollege Hovenjürgen, für Ihre Frage. Ich will sie auch gerne beantworten. Ich könnte es mir ganz einfach machen, weil Sie das Wort „keinerlei“ eingefügt haben, und das ist natürlich eine Unterstellung.

Natürlich habe ich ein Vertrauen, ein grundsätzliches Vertrauen darin, dass unsere Veterinärämter – um die geht es da ja im Regelfall – eine durchaus vernünftige Arbeit leisten.

Wenn ich aber sehe, dass seit 2006 genau diese Thematik – also die Kastenstände – in der Schweinehaltungsverordnung enthalten ist, dass sie längst hätte umgesetzt werden müssen, vor Ort aber nichts passiert, dann sehe ich doch, dass die Behörden da etwas nicht korrekt machen.

Herr Hovenjürgen, wenn ich die Bilder sehe von den Schlachthöfen – die können Sie sich ja auch mal anschauen – und wenn ich dann erfahre, dass Veterinärkontrolleure nicht nur nicht ihre Arbeit machen, nämlich die Kontrolle durchführen, sondern sogar noch behilflich sind bei Tierschutzverletzungen, dann, Herr Hovenjürgen, darf ich mir doch schon die Frage stellen, ob alle Veterinäre und Veterinärkontrolleure immer richtig und sauber arbeiten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich bin auf das Protokoll gespannt!)

– Wir, Herr Hovenjürgen, haben klar gesagt: Es soll nicht nur eine Klage möglich sein wegen eines Zuviel an Tierschutz, sondern es soll auch ein Zuwenig an durchgesetztem Tierschutz einklagbar sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben seinerzeit düsterste Prophezeiungen gemacht. Sie haben gesagt: Es wird eine Klagewelle auf uns zukommen. Die forschenden Pharmaunternehmen aus Nordrhein-Westfalen werden sich abwenden und woanders hingehen. – Das alles ist nicht eingetreten. Ihre Befürchtungen sind falsch gewesen. Daher könnten Sie sehr gut unserem heutigen Antrag auf einjährige Verlängerung zustimmen. Dabei würden Sie überhaupt nichts verlieren.

Da es diese Klagewelle nicht gegeben hat – da könnte man die Menschen in Nordrhein-Westfalen mal fragen –, versteht niemand, warum Sie dieses Gesetz nicht verlängern wollen. Es ist unbegreiflich.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

– Ja, es gibt einige, die wollen, dass das Verbandsklagerecht wegkommt; das weiß ich sehr wohl. Aber in der breiten Mehrheit werden die Menschen Ihnen sagen: Erhalten Sie dieses Verbandsklagerecht, damit der Tierschutz in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt werden kann.

Ich will zum Schluss noch etwas sagen, an die Frau Ministerin Heinen-Esser gerichtet: Die Evaluation kommt jetzt; sie ist versprochen für den Dezember. – Ich finde, dass das im parlamentarischen Umgang miteinander so nicht geht. Eine Evaluation muss von den beteiligten Fraktionen auch gemeinsam gelesen werden und nachvollzogen werden können. Man muss auch noch einmal recherchieren können.

Deshalb machen wir Ihnen heute das Angebot, um ein Jahr zu verlängern. Wir wollen eigentlich grundsätzlich die Entfristung, aber im Umgang miteinander wäre es richtig, wenn Sie mit uns zusammen diesen Weg gehen würden. So könnten wir noch einmal gemeinsam in Ruhe überlegen, ob dieses Gesetz nicht doch der richtige Weg ist, hier in Nordrhein-Westfalen den Tierschutz durchzusetzen und mehr für die Tiere hier zu tun. – Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Börner.

Frank Börner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns mit einem Mitwirkungsgesetz, das anerkannte Tierschutzverbände zum Bestandteil eines Verwaltungsverfahrens macht. Hierdurch erlangen sie frühere Informationsmöglichkeiten.

Das gibt uns allen die Möglichkeit, schon Verbesserungen vorzusehen, wenn wir neue Tierhaltungen, neue Ställe planen. Das gibt uns die Möglichkeit, sie direkt von Anfang an besser in Richtung Tierschutz zu organisieren.

Das ist der Punkt, warum dieses Gesetz erfolgreich ist: Es gibt mehr Kommunikation. Es gibt mehr Informationsaustausch und eine Verbesserung für den Tierschutz durch Teilhabe.

Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Tierschutzverbänden verbessert sich, auch in Richtung Landwirtschaft bzw. Tierhalter. In weniger als zehn Fällen kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Die Ziele dieses Gesetzes wurden erreicht: Es gibt keine Blockaden durch Gerichtsverfahren, wie es befürchtet wurde. Man kann sagen: ein insgesamt gutes Gesetz.

Dieses Gesetz sollte 2018 evaluiert werden. Ohne eine weitere Beschlussfassung des Landtages läuft dieses Gesetz zum Ende dieses Jahres aus. Ein Bericht der Landesregierung über die Erfahrungen wird seit Anfang des Jahres angekündigt. Nun soll er – 26 Tage vor dem Auslaufen dieses Gesetzes – quasi als Nikolausüberraschung vorgelegt werden.

Zwischen Nikolaus und Weihnachten soll das Parlament über dieses wichtige Gesetz entscheiden. Zwischen Nikolaus und Weihnachten soll das Parlament über den Tierschutz in den Ställen in Nordrhein-Westfalen entscheiden. Von der Landesregierung gibt es keine rechtzeitigen Informationen.

Eines steht nach dem Kurzbericht, den wir im Oktober erhalten haben, schon fest: Die Landesregierung wird hierzu keine Meinung formulieren. In der kurzen Information an den Umweltausschuss im Oktober attestieren Sie den Verbänden und dem Tierschutzbeirat hohe Kompetenz und Sachverstand. Die Tierschutzthemen werden abgewogen und kompetent behandelt.

Die Landesregierung will aber keine Position beziehen. Ist der Druck von den Handelnden, die den Tierschutz nicht so im Sinn haben, zu groß geworden? Sind vielleicht die Interessen aus der eigenen Fraktion gegen die Mitwirkung von Tierschutzverbänden stärker als eine vernünftige Positionierung?

Wessen Interessen sollen geschützt werden: die Interessen der Tiere in der Obhut der Landwirte, die der Landwirte und insbesondere derer, die sich nicht an Recht und Gesetz halten, oder die Interessen der Landwirte – was ich wichtiger fände –, die sich an Recht und Gesetz halten und sich um ihre Tiere kümmern, aber feststellen müssen, dass die anderen, die das nicht tun, plötzlich günstiger produzieren können?

Es gibt weniger als zehn Verwaltungsverfahren, eines davon im Zusammenhang mit dem Betrieb von Schulze Föcking. Das Umweltministerium tut sich schwer mit der Bewertung dieses Gesetzes. Der Bericht lässt auf sich warten.

Zwischen Nikolaus und Weihnachten befinden sich wahrscheinlich weniger Gänse in unseren Ställen. Lassen Sie uns dieses Gesetz aber bitte nicht zwischen Gänsekeulen und Gänsebrust beraten. Verlängern wir das Gesetz und damit die Beratungszeit um ein Jahr. – Danke für die Aufmerksamkeit und Glück auf.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Börner. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen, wie wir gerade ausführlich gehört haben, die Verlängerung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine in Nordrhein-Westfalen um ein Jahr bis Ende 2019.

Es ist kein Geheimnis, dass die CDU-Fraktion dem Gesetz schon bei der Einführung im Jahr 2013 ablehnend gegenüberstand. An dieser grundsätzlichen Haltung hat sich wenig geändert. Die Gründe sind die gleichen wie vor fünf Jahren.

Es ist auch kein Geheimnis, dass wir 2017 angetreten sind, um die Kräfte des Landes zu entfesseln, die Bürokratie abzubauen und unnötige Doppelstrukturen zu beseitigen.

Vorbehaltlich der Evaluation kommt hinzu, dass die Einführung der Klageart bislang kein Erfolgsmodell zu sein scheint, um dem wichtigen Ziel des Tierschutzes, das im Grundgesetz und in unserer Landesverfassung fest verankert ist, zur Geltung zu verhelfen. Es gibt bislang nämlich nur wenige Verfahren.

Bevor wir uns intensiv damit auseinandersetzen, ob wir die Befristung des Gesetzes aufheben oder wie wir das Gesetz in Zukunft ausgestalten, bin ich auf die Evaluation durch die Landesregierung gespannt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Ja, bitte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. Danke schön.

Monika Düker (GRÜNE): Danke, Herr Kollege, für die Zulassung der Frage. Sie sind ein bisschen schnell darüber hinweggegangen mit Ihrer Feststellung: Das ist kein Erfolgsmodell, weil es nur wenige Klagen gibt. – Meines Wissens sind derzeit fünf Klagen anhängig. Können Sie diese These bitte erläutern, warum diese fünf Klagen, die man kennt, keine Relevanz für den Tierschutz haben? Wie kommen Sie dazu?

(Bodo Löttgen [CDU]: Das hat er doch begründet!)

– Nein, das hat er nicht begründet.

(Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie können antworten, und dann fahren Sie in Ihrer Rede fort.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Frau Düker, vielen Dank, ich habe Ihre Frage verstanden. Wenn Sie glauben, dass fünf Verfahren viel sind, will ich einen Blick in die Übersichten unserer Gerichte werfen, und da zeigt sich: Fünf Verfahren sind recht wenig.

(Monika Düker [GRÜNE]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

Ich kenne offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen die einzelnen Verfahren nicht genau. Wenn Sie die haben, können Sie sie mir gerne zukommen lassen. Ich kann in der Sache zu den einzelnen Verfahren nichts sagen. Ich habe nur zur Quantität der Verfahren etwas gesagt. Fünf Verfahren sind nun einmal wenig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zurück zur Sache. Bevor wir uns intensiv damit auseinandersetzen, ob die Befristung des Gesetzes aufgehoben wird, oder wie wir dieses Gesetz in Zukunft ausgestalten werden, bin ich auf die Evaluation der Landesregierung gespannt; das sagte ich eingangs.

Diesen Bericht, den wir nächsten Monat erwarten, werden wir ausführlich studieren. Dann werden wir überprüfen, ob das Verbandsklagerecht wirklich dem Tierschutz genutzt hat oder nur eine unnötige Doppelstruktur im Verwaltungsprozessrecht ist, ob es einen effektiven Rechtsschutz oder nur ein Instrument für ideologische Auseinandersetzungen ist, ob die frühzeitige Beteiligung der anerkannten Tierschutzvereine wirklich Rechtssicherheit für Tierhalter geschaffen hat oder sie nur verunsichert oder in ihrer Arbeit behindert hat.

Wir werden auch verfolgen, was mit den anhängigen fünf Gerichtsverfahren sein wird. Immerhin besagt die höchstrichterliche Rechtsprechung: Es gibt Vertrauensschutz. Verfahren, die einmal begonnen wurden, können fortgeführt werden. – Aber auch das wird sicherlich noch einmal überprüft werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rüße?

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Aber bitte schön.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist auch sehr nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Sitzung des Umweltausschusses findet am 5. oder 6. Dezember statt. Dann soll der Evaluationsbericht vorliegen. Bis die Fraktionen den Bericht gelesen und ausgewertet haben, dauert es ein bisschen. Weihnachten steht dann schon vor der Tür.

Finden Sie es ein dem Parlament gegenüber angemessenes Verfahren, diesen Bericht erst so spät in den Umweltausschuss einzubringen und zu sagen: „Wir können ihn dann hinreichend auswerten, um entweder das Gesetz zu verlängern oder es auslaufen zu lassen“? – Ich wüsste gerne, ob Sie das für angemessen halten.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Herr Kollege, das Gesetz haben Sie seinerzeit mit der SPD gemacht. Das ist das Erste.

(Zurufe von der SPD)

Und Sie haben mich zweitens gefragt, wie ich das finde. Ich traue nicht nur meinen Kollegen, sondern auch anderen Kolleginnen und Kollegen im Landtag zu, dass sie das entsprechend auswerten. Es ist keine Seltenheit, dass wir eine gehörige Anzahl an Berichten bekommen. Das war in Ihrer Regierungszeit so, und das ist auch jetzt nicht anders.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Dass die Fraktionen von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen nun in Hektik geraten und einen Schnellschuss produzieren wollen, ist für mich unverständlich. Schließlich tragen Sie Verantwortung für die Situation, über die wir heute diskutieren: Sie haben das Gesetz 2013 formuliert, Sie haben eine Evaluation gefordert, Sie haben die Befristung hinzugefügt.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wir nehmen Sie beim Wort und werden mit der gebotenen Sorgfalt auf die Situation reagieren.

(Zurufe von den GRÜNEN)

– Und wenn Sie hier schreien, wird das auch nicht besser, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)

Wir widmen uns der Evaluation, nehmen uns die dafür erforderliche Zeit in der Beratung und entscheiden dann, wie es weitergehen soll.

Die Gelegenheit dazu haben wir, wenn wir den Gesetzentwurf an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur‑ und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Rechtsausschuss verweisen. Dieser Überweisung stimmen wir natürlich mit Freude zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Diekhoff.

Markus Diekhoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzverbände atmet ähnlich wie die Rede von Herrn Rüße gerade den Geist des Misstrauens gegenüber den zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen.

Es ist eine unübliche Konstruktion, welche es eigentlich Nichtbetroffenen ermöglicht, im Namen der Tiere – sozusagen in Vertretung – behördliche Entscheidungen zu beklagen.

Es stimmt, die Verbände haben dieses Recht sehr sparsam genutzt. Dieses Klagerecht ist auch gar nicht das eigentliche Interesse der zugelassenen Verbände, sondern es sind die Mitwirkungsrechte, die für die Verbände wesentlich interessanter sind.

Darüber haben die Vereine das Recht, von der jeweils zuständigen Behörde rechtzeitig Einsicht in tierschutzrelevante Sachverständigengutachten zu bekommen. Sie können bei der Vorbereitung von tierschutzrelevanten Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften mitarbeiten und vor allem – und das ist der Punkt – bei der Erteilung von bau‑ und emissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Vorhaben zum Halten von Tieren zu Erwerbszwecken beteiligt werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rüße?

Markus Diekhoff (FDP): Gerne!

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich habe hier noch eine von Frau Watermann-Krass.

Markus Diekhoff (FDP): Hilfe!

Vizepräsident Oliver Keymis: Krass! – Also, erst einmal die von Herrn Rüße. Bitte schön.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Könnten Sie mir bitte erklären, warum Sie die Klage‑ und Mitwirkungsrechte im Bereich Tierschutz ablehnen und im Bereich Naturschutz in Ordnung finden?

Markus Diekhoff (FDP): Dazu komme ich sofort. Kein Problem. – Kommt die zweite Zwischenfrage jetzt auch noch?

Vizepräsident Oliver Keymis: Wenn Sie die direkt mitbeantworten wollen, nehmen wir sie gleich mit. Wenn das für Sie geht, klar. – Bitte, Frau Watermann-Krass.

Annette Watermann-Krass (SPD): Danke für die Zulassung der Zwischenfrage. – Meine Frage geht in die gleiche Richtung. Wir haben ja die Verbandsklage, wobei die Verbraucherzentrale unsere Rechte an individuellen Rechten sammeln und zusammen klagen kann. Auf der Bundesebene gibt es die Musterfeststellungsklage. Da hätte ich von Ihnen gerne gewusst, wie Sie dazu stehen, wenn Sie das für den Bereich, wo es um den Schutz der Tiere geht, ablehnen.

Markus Diekhoff (FDP): Dazu komme ich gleich.

Also, die Sache ist so: Es geht vor allem um die Beteiligungsrechte bei Baugeschichten usw. usf. Nach der exklusiven Akteneinsicht hat dann ein Verein vier Wochen Zeit, Einwendungen gegenüber der zuständigen Behörde zu erheben.

Im Klartext werden die zugelassenen Verbände und alle Vorhaben im Bereich der Tierhaltung auf dem Silbertablett serviert, und sie können dann durch Eingaben oder gezielte Veröffentlichungen die Investitionsentscheidungen mittelständischer Familienbetriebe torpedieren.

(Zuruf von den GRÜNEN: Alles wie im Naturschutzbereich!)

Dabei – und das wird mit Blick auf die Liste der zugelassenen Tierschutzvereine deutlich – geht es gar nicht um Mitarbeit im Sinne der Tiere, sondern es geht um eine Verhinderung mit allen Mitteln.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Die neu zugelassenen anerkannten Vereine sind sämtlich nicht im Bereich des Tierschutzes unterwegs, sondern bekennen sich ausdrücklich zu den Tierrechtlern, zu einer militanten Szene.

(Zurufe von den GRÜNEN – Henning Höne [FDP]: Die Liste, die Sie zugelassen haben, entgegen der gesetzlichen Bestimmung! – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann ändern Sie das doch!)

– Sie haben solche Verbände zugelassen. An erster Stelle steht in NRW die ARIWA, die laut dem Szeneportal „tierschutzbewegung.info“ der Gruppe der Tierbefreier nahesteht.

(Unruhe – Glocke)

Und die Tierbefreier, welche international unter dem Kürzel ALF firmieren und vom FBI beobachtet werden, sind laut BKA allein in Deutschland seit 2004 für über 3.000 Straftaten verantwortlich: Sachbeschädigung, Nötigung, Einbruch, mehrere Brandanschläge auf Stallanlagen, Metzgereien, Autos usw. usf.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Eine Distanzierung von diesen Straftaten gibt es von ARIWA nicht. Diese Vereine werden zugelassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Warum sollen sie sich auch distanzieren? Das dient ja höheren Zielen. Auf ihrer Webseite bezeichnet sich ARIWA selbst als „gegen die Tiersklaverei und gegen eine angeblich willkürlich konstruierte Unterscheidung zwischen Mensch und Tier“.

ARIWA geht es folglich nicht um die Verbesserung von Haltungsbedingungen im Sinne des Tierschutzes, sondern um die Abschaffung jeglicher Form von Tierhaltung und ‑nutzung.

Eine Zusammenarbeit mit Behörden und Tierhaltern kommt aus diesem Grund auch gar nicht in Frage. Als die ARIWA vor ungefähr einem Jahr Videos von Stalleinbrüchen veröffentlichte, wo in drei Biobetrieben schlechte Haltungsbedingungen vorlagen, war man nicht bereit, die Daten der Betriebe herauszugeben: weder an das Biolandsiegel, das betroffen war, noch an die zuständigen Behörden.

Es geht also nicht um Tierschutz, sondern um Skandalisierung um jeden Preis. Egal ob bio oder konventionell: Nicht das schnelle Ende von Tierleid steht im Fokus, sondern das große Ganze, für das dann jedes Mittel recht ist.

Zugelassen haben Sie auch die ETN, den Europäische Tier‑ und Naturschutz e. V. Vor diesem Verein warnt sogar die Stiftung Warentest wegen Unseriosität, Intransparenz und Spendenbetrug.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ui!)

Sie haben den „Menschen für Tierrechte e. V“., der sich vehement mit so wichtigen Themen beschäftigt wie einem Fütterungsverbot für Stadttauben, oder Sie haben das Deutsche Tierschutzbüro e. V., welches auch dem Umweltredakteur des öffentlich-rechtlichen Senders SWR, Herrn Werner Eckert, Unserosität und Spendenmissbrauch attestiert.

Einer breiteren Bevölkerung ist das Tierschutzbüro dadurch bekannt, dass ihre Mitglieder als Pelzpolizei verkleidet durch Bielefeld und Münster gezogen sind und vor allem Frauen mit Pelzen und Lederhandtaschen bedrängt haben. Das hat diesem Verein Ermittlungen der Polizei wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht und das Berufsbezeichnungsgesetz, wegen Missbrauchs von Titeln und hoheitliche Abzeichen eingebracht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Also, meine Damen und Herren, liebe SPD, liebe Grüne: Wenn Sie mit diesem Gesetz jemals etwas Gutes erreichen wollten, dann wussten Sie spätestens bei der Auswahl und Zulassung der klageberechtigten Tierschutzvereine, dass Sie dieses Ziel verfehlen würden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das Gesetz ist in sich falsch, und die Klageberechtigten sind unseriös und jenseits des gesellschaftlichen Konsenses unterwegs.

Das wussten Sie wahrscheinlich auch; sonst hätten Sie das Gesetz nicht befristet, und sonst würden Sie jetzt auch nicht fordern, dass es nur um ein Jahr verlängert wird. Das ist der Punkt.

In die Hände radikaler Tierrechtler und Spendengeldbetrüger gehört weder die Zukunft bäuerlicher Familienbetriebe noch die Kontrolle unserer Behörden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Diekhoff. – Herr Diekhoff, es gibt eine Kurzintervention.

(Zurufe)

Es gibt zwei Möglichkeiten: Sie können sie vom Platz aus beantworten; dann aktivieren wir Ihr Mikrofon auf dem Platz. Sie können sie auch vom Pult aus beantworten; dann kommen Sie zurück. Beides ist hier möglich. Freie Abgeordnete entscheiden auch das frei.

Wer hat die Kurzintervention angemeldet? Das interessiert natürlich alle. Das waren die Grünen, und zwar die Fraktionsvorsitzende Monika Düker. Sie kann in 1:30 Minuten das sagen, was sie zu der Rede zu sagen hat. – Bitte schön, Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Herr Kollege Diekhoff, mal ganz abgesehen davon, dass ich Ihre ausufernde pauschale Kriminalisierung der Tierschutzverbände unsäglich finde, spreche …

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

– Wir können uns über Methoden gern streiten; in dieser Pauschalität finde ich es unsäglich.

Ich spreche Ihnen heute ab, auch nach Ihrem Redebeitrag, dass Sie hier tatsächlich gewillt sind, eine rein an der Sache orientierte Entscheidung pro und contra Klagerecht zu treffen. Denn Sie haben mit keinem Satz erwähnt, dass Sie gewillt sind, diese Evaluierung abzuwarten, die wir alle noch nicht vorliegen haben, und dann – warum macht man das denn? – diese Evaluierung qualifiziert auszuwerten.

Die Beispiele, die Sie anführen, kann man dann auf den Tisch legen. Dann sollte man Vor‑ und Nachteile dieses Klagerechts abwägen, um nach diesem Prozess – so hat sich das damals der Gesetzgeber auch gedacht – zu einer qualifizierten Entscheidung pro und contra zu kommen.

Denn – deswegen bitte ich Sie, dazu Stellung zu nehmen – unser Antrag lautet nicht, jetzt sofort zu entfristen, sondern unser Antrag lautet, ein Jahr Verlängerung, um genau diese Abwägung und diese Debatte qualifiziert zu führen.

Ich frage Sie hier jetzt noch einmal: Warum verweigern Sie sich einer qualifizierten Evaluierung?

(Beifall von den GRÜNEN)

Markus Diekhoff (FDP): Vielen Dank für die Frage.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich habe die Tierschutzvereine nicht kriminalisiert, sondern sie sind von sich aus kriminell. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das können Sie auch nicht bestreiten, es sei denn, Sie wollten jetzt auch die Aktenlage des BKA bestreiten;

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

denn wir wissen, dass Sie beim Hambacher Forst flexibel sind. Aber das ist nicht richtig.

(Beifall von der FDP und der CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Alle?)

Wenn Sie von diesem Gesetz so überzeugt sind, warum dann eine Verlängerung nur um ein Jahr?

Zweitens bin ich heute nicht hier, um abschließend zu urteilen, sondern eine Meinung zu haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Haben wir doch erklärt!)

Ich kann eine Meinung haben. Ich habe eine Meinung zu einem unsinnigen Gesetz mit unseriösen Beteiligten, und das möchte ich gern abschaffen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von Josefine Paul, Monika Düker und Norwich Rüße [GRÜNE] – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Diekhoff. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Dr. Blex.

(Unruhe – Glocke)

Kolleginnen und Kollegen, Herr Dr. Blex hat das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie sich doch noch ein bisschen Aufregung für mich übrig. Sie verausgaben sich doch jetzt noch nicht, liebe Grüne.

Herr Diekhoff, ich finde es sehr schön, dass Sie anerkannt haben, dass es in unserem Land Probleme mit militanten sogenannten Tierrechtlern gibt. Die Landesregierung, die Laschet-Regierung hat dies auf meine Anfrage hin noch bagatellisiert. Schön, dass die FDP da anscheinend hinzulernt.

(Zuruf von der FDP)

Wir haben schon am 25. April 2018 hier im Plenum über das Verbandsklagerecht gesprochen, und ich stehe immer noch dazu, was ich damals gesagt habe.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das war damals genauso falsch wie heute!)

Tierschutz ist eine gebotene kategorische Pflicht – Tierschutz, nicht Lobbyisten-Schutz –, und für die Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorgaben sind in Deutschland die Veterinärämter zuständig. Sie erhalten ihren Auftrag aus den Gesetzen des Staates, in dem und für den sie tätig sind. Dass die Grünen Probleme mit dem Staat oder mit der Durchsetzung von staatlichen Behörden haben, das ist kein Wunder.

Sollte der Amtstierarzt nicht nach Recht und Gesetz gehandelt haben, so kann eine Beschwerde eingelegt werden, in besonders gravierenden Fällen auch eine Klage auf Amtspflichtverletzung. Das Gesetz über das Verbandsklagerecht kommt obendrauf und umfasst im Wesentlichen zwei Instrumente: das Informationsrecht und die Verbandsklage.

Von ihrem Informationsrecht haben die sogenannten Tierschutzvereine in den Jahren 2015 und 2016 in hohem Maß Gebrauch gemacht: Es wurden insgesamt 106 Informationsanträge gestellt, und mit jedem einzelnen Informationsantrag musste die Behörde sensible Betriebsgeheimnisse des Betriebes offenlegen.

In jedem einzelnen Fall mussten die Betreiber im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen runterlassen. Aber es wurde nichts gefunden. Das Misstrauen, das Sie diesen Betrieben entgegenbringen, war in keinster Weise gerechtfertigt.

Doch die Vereine verkaufen ihre Informationen, indem sie werbewirksam zu Spenden für ihre vermeintliche Tierschutzarbeit aufrufen. Das Informationsrecht ist eine Gelddruckmaschine für solche Lobbyisten.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Seit der Einführung wurde die Verbandsklage übrigens insgesamt wohl siebenmal genutzt. Zwar ist die gefürchtete Klagewelle ausgeblieben, aber wenn wir einen genaueren Blick auf die Verbandsklagen werfen, dann erkennen wir schweren Missbrauch.

In einem Fall geht es um den Familienbetrieb der Ex-Ministerin Schulze Föcking, in höchstem Maß politisch motiviert. Ich mache mir erst gar nicht die Mühe, die Hintergründe hier erläutern zu müssen.

In einem anderen Fall soll per Gerichtsentscheid ein Verkaufsverbot von lebenden Hummern durchgesetzt werden. Das macht einmal mehr deutlich, dass in diesem Land nicht mehr das Parlament und damit der Souverän darüber entscheidet, was verboten ist und was nicht, sondern übelste Lobbyistenorganisationen. Das passt hier nicht hinein. Genau die gleiche Mischpoke ist die Deutsche Umwelthilfe.

Ein ganz besonderer Fall ist sicherlich die Verbandsklage des BUND gegen die Rodung des Hambacher Forstes zur vermeintlichen Rettung der Bechsteinfledermaus. Dieses Gerichtsverfahren verursacht gegenwärtig einen wirtschaftlichen Schaden im dreistelligen Millionenbereich.

Es geht und ging nie um die Bechsteinfledermaus. Es geht überhaupt nicht um Tierschutz. Das ist alles konstruiert. In Wahrheit geht es um einen dogmatischen Kampf gegen die Braunkohleförderung, wofür sich die Bechsteinfledermaus wunderbar missbrauchen lässt.

Dazu erlaube ich mir einen Blick über die Landesgrenze hinaus nach Baden-Württemberg. Wie allgemein bekannt, verzögert sich der Bau von Stuttgart 21 in erheblichem Maße. Die ganze Republik macht sich darüber lustig. Man mag zu diesem Bauprojekt stehen, wie man möchte. Die Kernfrage ist jedoch, ob wir Bauprojekte auch in Zukunft demokratisch entscheiden lassen wollen oder nicht.

Weil angeblich der Juchtenkäfer im Stuttgarter Rosensteinpark gefunden worden sei, musste die Deutsche Bahn die EU um Erlaubnis für die Rodung der Bäume fragen. Anfang dieses Jahres hat ein Gutachten bestätigt, dass die Käferspuren manipuliert und im Park gezielt platziert worden sind. Ein Riesenskandal ist das. Ob Juchtenkäfer oder Bechsteinfledermaus – wenn man keine geschützte Art gefunden hat, werden einfach absichtlich Flaschen mit Käferkot im Wald verteilt.

Die Verbandsklage gehört aus diesem Grund abgeschafft. Es geht hier nicht um die Tiere, sondern lediglich um die ökoideologische Aushebelung demokratisch beschlossener Prozesse. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Norwich Rüße [GRÜNE]: Nichts verstanden!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Nun spricht für die Landesregierung die Ministerin Frau Heinen-Esser.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht noch einmal ganz kurz zu dem Rahmen, in dem wir uns insgesamt mit dem Thema „Tierschutz“ bewegen. Seit dem Jahr 2002 ist Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Ich möchte die Bestimmung noch einmal zitieren, weil sie zu dem überleitet, was wir in Nordrhein-Westfalen machen. In Art. 20 a des Grundgesetzes heißt es:

„Der Staat schützt … die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Tierschutz ist ein wichtiges Anliegen. Um Tierschutz wirksam zu erreichen, müssen wir uns natürlich sehr seriös mit den Instrumenten befassen, die wir dazu zur Verfügung haben.

Die alte Regierung hat sich entschlossen, das Verbandsklagerecht ins Gesetz aufzunehmen, und hat das Gesetz bis zum 31. Dezember 2018 befristet. Ich muss eines sagen: Wenn Sie sich ganz sicher gewesen wären, dass dieses Instrument wirklich das beste Instrument von allen gewesen wäre – ja, ich weiß, Sie haben diese befristete Gesetzgebung damals allgemein als besonders schick angesehen –,

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

dann hätten Sie das Gesetz so aufbauen können, dass es über das Jahr 2018 hinaus gilt. Aber Sie waren sich selbst nicht ganz sicher, ob dieses Gesetz wirklich das ist, mit dem man dem Tierschutz am besten dient.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der FDP und den GRÜNEN)

– Herr Rüße, ich habe keine Zwischenrufe gemacht. Das darf man von dort aus auch nicht …

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Darf ich zu Ende reden?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Selbstverständlich!)

Vielleicht kommen wir noch zusammen.

(Unruhe von der FDP und den GRÜNEN)

Eben ist kritisiert worden, vielleicht auch nicht zu Unrecht: Warum dauert die Evaluation so lange? Der eine hat gesagt, es seien ja nur sieben Fälle. – Ja, eben, weil es nur sieben Fälle sind, muss man sich diese sieben Fälle ganz genau ansehen. Sieben Fälle in vier Jahren sind wirklich nicht allzu viel. Also wird man sich auch um die Qualität kümmern. Es gab im Übrigen nur einen Fall im Verfahren von Bauaufsichtsbehörden.

Aber wie läuft so eine Evaluation ab? – Solch eine Evaluation läuft nicht so ab, dass wir uns im Ministerium zurückziehen, die Kolleginnen und ich, und fragen: Wie könnten wir das jetzt einschätzen? – Wir holen natürlich die Expertise der beteiligten Behörden ein.

Was haben wir gemacht? – Wir haben die Kreisordnungsbehörden angeschrieben. Davon gibt es 53. Wir haben die Bauaufsichtsbehörden angeschrieben, 212 an der Zahl, die Unteren Umweltbehörden, die Bezirksregierungen als Umweltbehörden. Das LANUV hat sich dazu geäußert, die Kollegen vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Wir haben einen Berg von Stellungnahmen dazu bekommen, die wir natürlich sorgsam auswerten werden. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Wir haben natürlich auch Gespräche geführt. Ich habe mich in meiner doch recht kurzen Amtszeit bereits mehrfach mit den Tierschutzverbänden und mit dem Büro getroffen, das verankert worden ist, um die Meinungen einzuholen und zu bewerten, was der beste Weg sein kann. Von überall – das kann ich wohl sagen – gelangt die Auffassung zu mir bzw. wird mir gespiegelt, dass das Gesetz nicht optimal sei. Es gibt Gesetze in anderen Ländern, die wesentlich besser sind, oder es gibt Methoden, die vielleicht auch besser sind, um die Ziele zu erreichen.

Lassen Sie uns am 5. Dezember den Bericht im Ausschuss beraten. Wir werden ihn Ihnen rechtzeitig zur Verfügung stellen. Wir werden dann eine intensive Debatte darüber führen. Aber eines muss ich hier als zuständige Ministerin sagen: Tun Sie mir einen Gefallen und werten Sie das, was unsere Behörden, unsere Veterinäre, vor Ort leisten, nicht ab.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die machen wirklich einen guten Job. Das wissen Sie auch. Der gute Job der Veterinäre kann auch nicht durch das Verbandsklagerecht ersetzt werden. Wir brauchen die guten Veterinäre, und wir brauchen auch andere Themen und andere Ideen, um den Tierschutz voranzubringen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin …

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Eine Idee ist beispielsweise die meiner niedersächsischen Kollegin zur Videoüberwachung in Schlachthöfen. Das sind Möglichkeiten, mit denen wir Tierschutz betreiben können.

Lassen Sie uns die Evaluation abwarten, lassen Sie uns darüber diskutieren. Wir werden uns gegebenenfalls, wenn sich die Fraktionen entscheiden, das Verbandsklagerecht nicht zu verlängern, darüber unterhalten, was wir mit den Klagen machen. Das sind alles Themen, die wir am 6. Dezember intensiv besprechen können.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin …

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich freue mich auf eine intensive Diskussion zum Thema „Tierschutz“ und zu der Frage, welche Methoden und welche Verfahren die besten sind.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu, bevor Sie zum Schluss kommen?

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor. Damit sind wir am Ende der Debatte in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs unter Tagesordnungspunkt 4.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs in Drucksache 17/4107 im zweiten Neudruck zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz sowie an den Rechtsausschuss. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig in die Ausschüsse überwiesen worden.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

5   Zweites Gesetz zur Änderung des Landesaltenpflegegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3557

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/4137

zweite Lesung

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Oellers. Bitte schön.

Britta Oellers (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Derzeit leben rund 640.000 Pflegebedürftige in Nordrhein-Westfalen. Mit der steigenden Lebenserwartung wird bis 2060 ein weiterer Anstieg auf 920.000 Personen prognostiziert. Dies bedeutet in Zukunft rund 30 % mehr Pflegebedürftige in unserem Land. Pflege betrifft jeden, nicht nur die Abgeordneten hier im Hause oder im Bund.

Die Zahlen zeigen vor allem eines: Wir werden auch in Zukunft deutlich mehr gut ausgebildete Fachkräfte in der Pflege brauchen.

(Beifall von der CDU)

Schon heute fehlen laut Landesbericht Gesundheitsberufe 2.290 Fachkräfte, davon 1.055 in der Altenpflege. In Nordrhein-Westfalen werden zurzeit rund 18.750 Auszubildende in der Altenpflege mit Bundes- und vor allem Landesmitteln gefördert. Ihre Ausbildungsvergütung wird seit 2012 im Umlageverfahren durch einen Ausbildungsfonds finanziert, in den alle Pflegeeinrichtungen des Landes je nach Größe einzahlen müssen. Seit es diesen Topf gibt, haben sich die Azubizahlen beinahe verdoppelt – ein gutes Zeichen, denn wir brauchen all diese Fachkräfte in der Zukunft dringend.

Doch werfen wir auch einen Blick auf die Finanzierung der Fachseminare, die für die Ausbildung der Altenpflegerinnen und Altenpfleger verantwortlich sind. Bereits 2014, während der Beratungen zum Gesetz zur finanziellen Beteiligung an den Schulkosten für die Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern und über die Berufsausübung der Gesundheitsfachberufe, konnte man den zahlenreichen Stellungnahmen – darunter zum Beispiel die der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände – entnehmen, dass eine Kostenbeteiligung des Landes in Höhe von 280 Euro monatlich bei Weitem, nicht einmal im Ansatz, die tatsächlichen Kosten der Fachseminare decken und hinter dem Bedarf zurückbleiben würde.

Das System war demnach von Anfang an durch die rot-grüne Landesregierung unterfinanziert.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Gegenruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Obgleich die Fachseminare immer wieder vorgetragen haben, dass mit dieser finanziellen Ausstattung die erforderliche Qualität auf der Grundlage der Strukturstandards in der Ausbildung nicht gewährleistet sei, wurde dieser Betrag in Höhe von 280 Euro gesetzlich festgelegt.

Vor diesem Hintergrund hat die Arbeitsgemeinschaft – neben vielen anderen – damals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit einer Festlegung auf diesem niedrigen Niveau letztlich ein finanzielles Defizit festgeschrieben wird.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wir haben eine Absenkung gemacht, und Sie waren doch dabei! – Gegenruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Einhellige Forderung war damals, die Kostenbeteiligung durch das Land auf mindestens 360 Euro festzulegen. Doch unter Rot-Grün ist dann leider wie immer nichts mehr passiert.

Die NRW-Koalition hingegen verbessert nun die Finanzierung der Fachseminare in erheblichem Maße durch die Erhöhung der Schulkostenpauschale von monatlich 280 Euro auf 380 Euro pro Auszubildenden.

Damit stehen für die Ausbildung in der Altenpflege künftig rund 85,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die NRW-Koalition investiert bei gleichbleibender Platzzahl zusätzlich 22,5 Millionen Euro in die Ausbildung – ein längst überfälliges Signal für die Altenpflegeausbildung im Allgemeinen und im Besonderen für die Fachseminare, die ein umfangreiches Ausbildungsangebot vorhalten.

Die mit dem vorliegenden Gesetz angestrebte Erhöhung der Schulkostenpauschale stellt außerdem sicher, dass sich die Fachseminare auf die Reform der Pflegeberufe und die Zusammenführung der drei bisher getrennt durchgeführten Ausbildungen zur Alten-, Kranken- sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege ab 2020 auf eine gemeinsame Ausbildung vorbereiten können.

Die anstehende Umbruchsituation bedeutet für die Fachseminare sicherlich eine Herausforderung. Immerhin werden die herkömmlichen Ausbildungen und die neue gemeinsame Ausbildung der Pflegeberufe für den Übergang noch einige Jahre parallel abgewickelt werden müssen. Insofern ist auch hier die finanzielle Unterstützung durch das Land notwendig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Wort zum Änderungsantrag der Grünen, den Haushalt und die Schulkostenpauschale betreffend. Hier fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen allen Ernstes die Erhöhung der Schulkostenpauschale von 280 Euro auf gleich 500 Euro. Dies würde Mehrausgaben von mindestens 17 Millionen Euro bedeuten.

Als ich diesen Antrag gelesen habe, musste ich mich doch wundern. Die Grünen schaffen es hier mal wieder, äußerst großzügig Steuermittel zu verteilen – wohlgemerkt, aus der Opposition heraus. Denn 2014 hatte Rot-Grün, wohlwissend, dass die Fachseminare damit unterfinanziert sind, die 280 Euro gesetzlich festgeschrieben.

Solide Haushaltspolitik geht wirklich anders. Der einstimmige Beschluss des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales zum vorliegenden Gesetzentwurf zeigt mir, dass auch die anderen Fraktionen dies erkannt haben.

Als NRW-Koalition stehen wir zum Leitbild einer soliden, nachhaltigen und generationsgerechten Haushalts- und Finanzpolitik. Dazu zählt für uns auch, dass unser Sozialstaat nicht schon heute die Gelder der kommenden Generationen ausgeben und mit Steuermitteln sorgfältig umgehen sollte. Deshalb erhöhen wir die Schulkostenpauschale jetzt bis 2026 auf 380 Euro monatlich pro Azubi. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Oellers. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Lück das Wort.

Angela Lück (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bestehenden Herausforderungen in der Altenpflege machen es zwingend notwendig, den Pflegeberuf und seine Ausbildung attraktiver zu machen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung der neuen Pflegeausbildung. Ziel ist es, die Pflegeausbildung ab 2020 zu verbessern und die Ausbildung für zukünftige Fachkräfte attraktiver zu machen.

Die SPD-Fraktion im Landtag setzt sich intensiv für bessere Rahmenbedingungen für die Pflege in Nordrhein-Westfalen ein. Wir sind der festen Überzeugung, dass dem Fachkräftemangel in der Pflege durch gute Ausbildung und gute Arbeitsbedingungen entgegengewirkt werden muss.

Eines der größten Probleme hierbei ist, dass die Finanzierung der Altenpflegeschulen bei Weitem nicht ausreichend ist. Diese beträgt, wie gesagt, zurzeit 280 Euro und soll mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auf 380 Euro erhöht werden.

Frau Oellers, trotz des einstimmigen Beschlusses im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales finde ich, dass es der Sache nicht gerecht wird, hier jetzt wieder die parteipolitische Geige zu spielen und Rot-Grün zu beschimpfen, wir hätten das nicht ausreichend finanziert, und eigentlich mache nur Schwarz-Gelb eine gute Politik.

(Beifall von der SPD)

Ich muss darum heute noch einmal deutlich machen: Wenn es uns gemeinsam darum geht, die Pflege zu stärken und finanziell besserzustellen, muss man sagen: Auskömmlich ist sie mit den 380 Euro immer noch nicht,

(Minister Karl-Josef Laumann: Na, na!)

aber es ist ein Weg dorthin. Wir begrüßen deshalb generell die Erhöhung der Pauschale.

Wichtig ist uns auch, dass gerade vor dem Hintergrund der Umstrukturierung der Pflegeausbildung die Altenpflegeschulen möglichst auskömmlich finanziert werden. Wenn durch das Bundesgesetz zur Reform der Pflegeberufe die drei Ausbildungen in der Pflege zusammengeführt werden sollen, dann ist eine gute Übergangssituation notwendig, die den Schulen viel abverlangt.

Wir wissen, dass die alte und die neue Ausbildung für längstens sechs Jahre parallel laufen können. Dabei müssen die Pflegeschulen unterstützt werden. Wir begrüßen deshalb den vorliegenden Gesetzentwurf und würden ihm heute zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Lück. – Die FDP-Fraktion wird nun von Frau Schneider vertreten.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Altenpflegekräfte in den Heimen und in den ambulanten Diensten leisten eine hervorragende und verantwortungsvolle Arbeit in einem mit hohen Anforderungen und Arbeitsbelastungen verbundenen, aber wunderschönen Beruf.

Fachkräfte werden überall gesucht. Mit der Pflegeberufereform werden künftig die bisher gesonderten Ausbildungen der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege zu einer einheitlichen generalistischen Pflegeausbildung zusammengefasst. Damit sollen die Pflegeberufe aufgewertet werden.

Wir sehen jedoch die Gefahr, dass die Reform zulasten der bisherigen Ausbildung in der Altenpflege geht. Gerade kleinere Pflegeheime und ambulante Dienste werden durch zusätzliche Bürokratie belastet. Das fördert die Bereitschaft zur Ausbildung sicher nicht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zudem haben die bisherigen Altenpflegeschulen Nachteile gegenüber den Krankenpflegeschulen, wenn es um ein umfassendes Unterrichtsangebot mit entsprechend qualifizierten Lehrkräften geht.

Wir können auf die Altenpflegeschulen nicht verzichten, um Nachwuchs zu gewinnen; ansonsten wäre ein Abbau von Kapazitäten in der Ausbildung zu befürchten. Das wiederum wäre für die Pflege in ganz Deutschland fatal.

In Nordrhein-Westfalen hat die neue Landesregierung aus Christdemokraten und FDP im April 2018 ein Begleitgremium zur Umsetzung der Pflegeberufereform eingerichtet, an dem neben Verbänden, Hochschulen und Krankenkassen auch die Pflegeschulen beteiligt sind. Dieses Gremium erörtert beispielsweise Vorschläge zur Unterstützung der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeschulen.

Künftig wird es zu mehr Kooperationen der bisherigen Schulen unterschiedlicher Träger kommen. Wir müssen aber verhindern, dass die bisherigen Schulen schließen, bevor sich neue Strukturen etabliert haben, und deshalb die Fachseminare für Altenpflege im Prozess des Umbruchs unterstützen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ein wesentlicher Punkt für die Arbeit der Pflegeschulen ist die Landesbeteiligung an den Schulkosten in der Altenpflegeausbildung. Wir haben von vielen Schulen gehört, dass die Höhe der Schulkostenpauschale von monatlich 280 Euro pro Schulplatz schon lange nicht mehr ausreiche. Anpassungen an Steigerungen bei Personal- und Sachkosten seien ausgeblieben, und qualifiziertes Pflegepersonal in der Altenpflege könne keine der Krankenpflege vergleichbare Vergütung erhalten.

Die vorherige rot-grüne Landesregierung hat zwar 2015 die Landesbeteiligung gesetzlich fixiert, aber weder in diesem Zusammenhang noch in den Jahren davor oder danach eine Erhöhung des Betrags von 280 Euro vorgesehen. Das zeigt deutlich das Versäumnis des früheren grünen Ministeriums.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ihre Forderungen zu weiteren Erhöhungen der Schulkostenpauschale sind deshalb völlig unglaubwürdig.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)

Die NRW-Koalition hingegen hat dieses Problem erkannt und handelt jetzt. Wir werden mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die monatliche Schulkostenpauschale des Landes für die Ausbildung in der Altenpflege von 280 Euro auf 380 Euro je Schulplatz erhöhen. Dazu werden wir mit der Verabschiedung des Landeshaushalts für 2019 den entsprechenden Haushaltsansatz um 22,5 Millionen Euro auf dann insgesamt 85,5 Millionen Euro erhöhen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Pflegeschulen.

Wir können so auch die Voraussetzungen für gute und zukunftsfähige Ausbildungsstrukturen schaffen. Zudem wollen wir den Fachseminaren für Altenpflege im Hinblick auf die Pflegeberufereform vergleichbare Chancen wie den Krankenpflegeschulen beim Wettbewerb um Auszubildende und Lehrkräfte ermöglichen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Künftig wird mit der Pflegeberufereform erstmals auch die Finanzierung aller Pflegeausbildungen sowohl hinsichtlich der Ausbildungsvergütung als auch der Schulkosten bundesweit geregelt. Dazu wird ein neu aufzubauender Ausgleichsfonds zur Finanzierung der generalistischen Pflegeausbildung eingerichtet, an dem neben Krankenhäusern, stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen und der Pflegeversicherung das Land mit einem Kostenanteil von rund 9 % beteiligt sein wird.

Für 2019 werden dies zunächst 30 Millionen Euro sein. Diese zusätzlichen Mittel neben der Erhöhung der Schulkostenpauschale sind aber erst einmal zu erwirtschaften. Ich wundere mich deshalb schon, dass von den Grünen hier noch weitere zig Millionen Euro gefordert werden.

Die bisherige Altenpflegeausbildung und damit auch die Zahlungen des Landes für die Schulkostenpauschale werden von 2020 bis 2026 sukzessive auslaufen. Auch wenn der Rückgang der Schülerzahlen teilweise für Einsparungen genutzt werden kann, könnten wir Spielräume erhalten, um die Schulkostenpauschale weiter anzupassen. In dieser Übergangsphase wollen wir zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Umstellung auf die neue Pflegeausbildung eine auskömmliche Finanzierung sichern.

Ich freue mich, dass wir mit der Verabschiedung der Änderungen des Landesaltenpflegegesetzes heute einen ersten großen Schritt in die richtige Richtung schaffen, und danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Jetzt spricht für die grüne Fraktion Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie wenig Geschichtsbewusstsein die Fraktionen von CDU und FDP haben. Auch der Minister, der hier amtiert, hat offensichtlich seine eigenen Taten vergessen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Es war 2006 und 2007, Ihr Haus, Ihre Regierung,

(Zurufe von der CDU – Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

die die Altenpflegepauschale an den Schulen von 317 Euro pro Jahr auf 280 Euro abgesenkt hat. Schämen Sie sich eigentlich nicht, sich hier so aufzustellen, wie Sie das heute gemacht haben?

Wenn diese Regierung damit zufrieden ist, zu behaupten – und ich werde gleich ausführen, dass nicht einmal das stimmt –, das, was jetzt nicht ausreiche, sei vorher noch ein bisschen schlechter gewesen, dann machen Sie sich lächerlich. Ein Platz in der Pflege wird 180 Tage lang nicht mit einer qualifizierten Person besetzt, weil wir schlicht die Leute nicht finden. Und Sie sind zufrieden, wenn Sie sagen, wir seien ein kleines Schrittchen weiter. Das ist viel zu wenig! Das ist lächerlich und der Situation einfach nicht angemessen.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister Laumann, von 2010 bis 2017 haben sich die Zahlen in der Altenpflegeausbildung verdoppelt. So zu tun, als hätte sich da nichts getan, ist einfach nicht in Ordnung.

Ausdrücklich loben will ich Sie für Ihren Kampf, von 280 Euro auf 380 Euro zu kommen. Das ist aller Ehren wert. Deswegen werden wir dem heutigen Gesetzentwurf selbstverständlich zustimmen, damit diese 100 Euro auch ankommen. Das finde ich ganz hervorragend.

In den letzten Jahren hat sich jedoch einiges getan. Der Bundesgesundheitsminister hat ein Pflegestärkungsgesetz auf Bundesebene aufgelegt, was dazu führen wird – da sind wir uns auch fachlich einig, zumindest hatte ich im Ausschuss den Eindruck –, dass die potenziellen Auszubildenden eher wieder in Richtung Krankenpflege getrieben werden, sodass die Altenpflege bei der Auswahl möglicherweise wieder ins Hintertreffen gerät.

In einer solchen Situation – ich wiederhole es noch einmal –, in der eine Stelle für eine examinierte Altenpflegerin 180 Tage lang nicht besetzt wird, mit rückwärtsgewandten Repliken zu operieren: „Ach, Rot-Grün war auch nicht besser“, ist doch nicht angemessen.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])

Wir müssen dafür sorgen, dass jede Person, die einen Ausbildungsplatz bekommen kann, diesen Ausbildungsplatz auch bekommt, dass die Arbeit vernünftig vergütet wird und dass wir die Menschen im Beruf halten können. Ich verstehe gar nicht, wie man in einer solchen Situation noch solche Gefechte führen kann.

Wir Grünen sind der festen Überzeugung, dass die Pflege – das haben Sie am Montag auch so formuliert – schon abgehängt ist. Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um die Situation sehr deutlich und merklich zu verbessern, sonst machen wir uns an den künftigen Generationen schuldig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Oellers?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Selbstverständlich.

Britta Oellers (CDU): Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie sagen: Das ist zu wenig. – Da vermisse ich wirklich Entscheidungen, die in den letzten sieben Jahren hätten getroffen werden müssen, wenn das so wichtig ist. Warum haben Sie da nichts geändert?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Kollegin, ich habe ja eben versucht, das darzustellen. Anscheinend haben Sie der Rede nicht gelauscht. Aber ich sage es gerne noch einmal; das wird ja nicht auf die Redezeit angerechnet.

Vielleicht schauen Sie mal in den Haushaltsplan. Sie haben jetzt 6 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gegenüber 2017.

(Lachen von der CDU)

– Sie lachen darüber? Lachen Sie ernsthaft darüber?

(Zurufe von der CDU)

Haben Sie sich mit der Situation in diesem Land einmal substantiell auseinandergesetzt? Finden Sie es ausreichend, sich feixend hinzustellen und zu sagen: „Ach, Ihr habt vor sieben Jahren dieses und jenes nicht gemacht“? – Ich finde das mittlerweile echt nicht mehr zu ertragen, wie Sie hier agieren. Wir brauchen eine zukunftsgewandte Politik, und da ist die Altenpflege verdammt nochmal einer der zentralsten Bereiche. Und Sie sind zufrieden damit, dass Sie ein bisschen mehr geschraubt haben, als wir das vielleicht gemacht haben,

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

obwohl Sie 6 Milliarden Euro mehr im Haushalt haben? Das finde ich einigermaßen erstaunlich, Frau Kollegin.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann – Weitere Zurufe)

Die Altenpflege liegt mir sehr am Herzen, nicht nur, weil ich da selbst unterwegs war, sondern weil ich der festen Überzeugung bin – bei allen fachlichen Unterschieden, etwa was die Quartiersentwicklung oder sonstige Maßnahmen in der Pflege anbetrifft –, dass wir zunehmend examiniertes Fachpersonal brauchen werden.

(Zurufe von der CDU und der SPD)

Deswegen ist es richtig, Herr Minister Laumann, die Mittel jetzt um 100 Euro pro Ausbildungsplatz aufzustocken. Es ist nicht richtig, diese kleine Summe – seien es 25 Millionen Euro, wenn wir bundesweit von mehreren 10.000 fehlenden Ausbildungsplätzen sprechen – nicht zu investieren, auf Zeit zu spielen und zu hoffen, dass das im nächsten Jahr besser wird.

Sie sorgen dafür – deswegen rege ich mich auf –, dass wieder drei Jahre lang Menschen ins Hintertreffen gelangen, dass wieder drei Ausbildungsjahrgänge nicht so ausgestattet sind, wie es eigentlich sein müsste. Sie haben haushaltspolitisch die Chance, das gut auszustatten.

Wir haben Ihnen auch einen Deckungsvorschlag geliefert. Sie haben genug Spielraum, um das zu finanzieren. Bringen Sie Ihren Finanzminister dazu, dieses Geld bereitzustellen. Machen Sie es ein Stück besser, damit es ein Gesamtkonzept wird.

Selbst dann, wenn wir bei 500 Euro beim Fachseminar sind – das will ich ganz offen sagen –, wird es schwierig werden, genügend Leute zu finden, die diese Ausbildung machen, beenden und dauerhaft in der Altenpflege arbeiten. Das ist mir völlig klar. Aber wenn wir es nicht tun, verschlechtern wir die Situation noch einmal in unnötiger Weise. Die Zeit gibt es her, und deswegen sollten wir es jetzt tun.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt noch eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Rock. Würden Sie die auch zulassen?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Selbstverständlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Bitte schön, Herr Rock.

Frank Rock (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Hätten Sie in den letzten sieben Jahren so viel Engagement gezeigt wie heute in Ihrer Rede, wäre es uns ein Stück besser gegangen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Och!)

Ich frage ganz kurz und bitte um eine kurze Antwort: Wieviel Euro hat die ehemalige Landesregierung in dem Bereich durchgesetzt? Wie viel Euro? Ich brauche keine Erklärung, sondern ich will wissen, wieviel Euro die alte Landesregierung für diesen Bereich eingesetzt hat.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Ich bitte um Verständnis, dass ich die Zahlen euromäßig nicht im Kopf habe. Aber wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze in dem Bereich von 10.000 auf 20.000 erhöht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist die Quintessenz. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn wir damals ein paar Euro mehr in der Hand gehabt hätten, dann hätten wir selbstverständlich in dem Bereich auch noch mehr tun müssen. Das ist doch gar keine Frage. Aber die Haushaltssituation ist jetzt deutlich anders. Sie haben Überschüsse zu verzeichnen und hauen die Kohle für Projekte raus, die ich für völlig falsch halte.

Der Landesverkehrsminister hat der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung gesagt, er sei bereit, 127 Millionen Euro – das entspricht übrigens exakt dem kompletten Etat, der 2017 für die Landesstraßen zur Verfügung gestanden hätte – für etwas anderes auszugeben. Sie müssen auch mal Prioritäten setzen. Sie setzen nirgendwo Prioritäten und schauen nur in die Vergangenheit.

Ich sage es noch einmal: Wenn es möglich gewesen wäre, hätten wir noch mehr investieren müssen; das ist keine Frage. Aber das Land Nordrhein-Westfalen hat im Vergleich zu den anderen Bundesländern schon eine Menge getan. Wenn wir das nicht gemacht hätten und auf dem Niveau von 2008 geblieben wären, würden jetzt noch einige Tausend Ausbildungsplätze mehr fehlen. Das ist tragisch, obwohl heute eigentlich ein Tag der Freude ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir einen Schritt in die richtige Richtung gehen.

Herr Minister, ich verstehe nicht, warum die Landesregierung diesen Weg nicht konsequent zu Ende geht und die Kostenpauschale für alle auf 500 Euro festsetzt. Dann könnten wir den Auszubildenden sagen: In der Altenpflege gelten die gleichen Bedingungen wie in der Krankenpflege. – Das muss doch die Ansage sein. Wer Generalistik bestellt, muss auch Generalistik bezahlen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Das machen wir ja!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Normalerweise ist ein parlamentarischer Beratungsverlauf wenig deckungsgleich mit einer Daily Soap. Es gibt wenige unvorhergesehene Ereignisse und wenige logische Brüche. So dachte ich jedenfalls. Deswegen hat es mich ein bisschen gewundert, dass wir jetzt noch einmal über dieses Gesetz beraten. Schließlich ist es bereits im Ausschuss zu einer weitgehenden Übereinstimmung in den Zielen gekommen.

Wir alle sind uns einig, dass es in der Altenpflege erhebliche Probleme gibt. Wer das letztendlich historisch verschuldet hat und wer dafür wem den Schwarzen Peter zuschieben möchte, das ist Ihre Angelegenheit. Es ist ein bisschen traurig, dass Sie sich untereinander so sehr streiten. Wenn Sie sich schon streiten, wissen wir gar nicht mehr, wofür wir hier sind. Eigentlich sind wir doch diejenigen, die sich empören sollen. Das verwundert ein Stück weit.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das wird Ihnen nicht gelingen mit Ihrer Art!)

– Schön. Es verwundert, dass Sie hier noch so viel Klärungsbedarf sehen.

Erst einmal ist festzustellen: Es ist positiv, dass Klarheit darüber herrscht, dass man, wenn ein Mangel an Pflegeplätzen festgestellt wird, am Anfang beginnt, nämlich bei den Ausbildungsplätzen. Diese muss man auskömmlich finanzieren, das ist doch vollkommen logisch. Es ist ein Stück weit unseriös, wenn jetzt darüber gestritten wird.

Die gesamte Haushaltsdebatte vonseiten der SPD und der Grünen ist unseriös geführt worden, da keine Gegenfinanzierungsvorschläge eingebracht wurden, sondern es nur hieß: Jeder soll noch ein bisschen mehr bekommen; an dieser und an jener Stelle soll noch etwas draufgelegt werden.

Natürlich ist es gerade im Bereich Arbeit und Soziales unglaublich schwierig, Verbände zu finden, denen man etwas wegnehmen kann. Das ist immer bitter und löst einen Aufschrei aus. Immer nur mehr zu fordern, kann am Ende aber auch nicht die Lösung sein. Es ist nun einmal sehr schwierig, in diesem Bereich überhaupt Geld bereitzustellen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das überrascht niemanden, wenn ein Arzt sagt, dass es nicht mehr Geld für die Pflege gibt!)

– Sie müssen mir zuhören. Ich sagte gerade, es sei etwas Gutes, dass dafür mehr Geld bereitgestellt wird. Ich weiß nicht, warum Sie mir nicht folgen konnten. Dann versuche ich, mich simpler auszudrücken: Es ist etwas Gutes, dass wir mehr Geld für die Ausbildungsplätze freimachen.

Sie behaupten immer gern, wir seien so ein reiches Land. In den Haushaltsdebatten habe ich aber nicht erlebt, dass ein Ministerium zu dem anderen sagt: Nimm du mal lieber die Milliönchen, wir haben schon genug. – Hier wird im Gegenteil immer um jeden Euro gestritten.

Es gibt extrem viele Ministerien und andere Orte, an denen das Geld gut investiert ist und für etwas Gutes ausgegeben wird. Dann ist es doch absolut nachvollziehbar, dass man die Kirche auch im Dorf lassen muss. Woher sollen denn die jungen Leute kommen? Sie sagen nur: Wir könnten noch weiter erhöhen.

An anderer Stelle, Stichwort „Medizinstudienplätze“, herrscht genau dasselbe Problem. Auch in dem Zusammenhang wäre es unseriös, die Zahlen einfach zu verdoppeln.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ich kann mich wirklich nicht empören! Ich muss mich fast kaputtlachen! – Lachen von der SPD – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Mediziner kommen doch alle gar nicht!)

– Ich kann mich nur wiederholen: Das ist unseriös. Darüber jetzt in ein solches Gelächter auszubrechen, ist übrigens auch unseriös.

Bereiten Sie die Haushaltsdebatte doch vernünftig vor und sagen Sie, woher das Geld kommen soll. Dann nehmen Sie es doch bitte von den Verbänden, an die Sie sich so klammern. Dagegen wehren Sie sich und sagen sogar, man müsse, um ein Zeichen zu setzen, statt 100.000 Euro oder 200.000 Euro wegzunehmen, das Doppelte oder Dreifache draufschlagen. Dann sagen Sie doch, woher das Geld kommen soll.

Ich bin fest davon ausgegangen, dass wir diese Debatte ruhig, seriös und vor allen Dingen in aller Kürze führen können, weil wir uns in einem Punkt einig sind: Im Bereich der Pflege muss etwas getan werden. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Gerade bei einem Thema, bei dem man konsensual voranschreiten sollte, ist es einfach unwürdig, darüber zu streiten, wie wir es genau machen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat nun Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will heute gar nicht darüber sprechen, dass die Landesregierung im Jahr 2010 einige Milliarden Euro zur Verfügung hatte, um die Studiengebühren in diesem Land abzuschaffen, aber im selben Jahr die geringen Landeszuschüsse zur PTA-Ausbildung auf null heruntergesetzt hat.

(Beifall von der FDP und der AfD)

Ich will gar nicht darüber reden, dass es Ihnen wichtiger war, die Studiengebühren für Ärzte abzuschaffen, die 100.000 Euro und mehr im Jahr verdienen, dass Sie aber im Bereich der PTA-Ausbildung, der Logopädie und der Psychotherapie – in diesen Berufen verdienen die Menschen 30.000 Euro im Jahr – in all den Jahren nichts gemacht haben.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Das Ergebnis Ihrer Politik war, dass diejenigen, die 100.000 Euro im Jahr verdienen, die Ausbildung voll über den Staat finanzieren konnten, und diejenigen, die unter 30.000 Euro im Jahr verdienen, allein auf den Ausbildungskosten sitzenblieben. Das war Ihre Politik, so haben ich sie erlebt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe alles eingehalten, was ich im Wahlkampf versprochen habe. Ich habe gesagt, dass wir die Kostenpauschale der Altenpflegeschulen erhöhen werden. Heute liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor, in dem steht, dass wir die Kostenpauschale um 100 Euro erhöhen. Ich habe in meinem Haushalt nicht mehr Möglichkeiten gesehen als eine Erhöhung um diese 100 Euro.

Wir haben ja nachher noch einen Tagesordnungspunkt, bei dem Sie sich auch zum Schutzpatron aufspielen und die Gegenfinanzierung ablehnen werden.

Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir gehen mit diesem Haushalt einen gewaltigen Schritt in Richtung Schulgeldfreiheit für die sogenannten Therapieberufe. Das muss man doch in einem Zusammenhang sehen. Das ist zunächst einmal der Wurf für das nächste Jahr.

Einerseits haben viele Altenpflegeschulen erklärt, dass sie mit den 100 Euro gar nicht mehr gerechnet hätten, weil sie so viele Jahre vertröstet worden seien und ohnehin keinem Politiker mehr glauben würden. Andererseits haben all die Leute, die in den Therapieberufen tätig sind, nicht mehr daran glaubt, dass wir nahezu Schuldgeldfreiheit einführen. Dazu sage ich: Es ist ein gewaltiger Fortschritt, was die Aufwertung der nichtakademischen Gesundheitsberufe in diesem Land betrifft.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Herr Minister, mir liegen zwei Wünsche nach Zwischenfragen vor. Gestatten Sie diese?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ja, bitte.

Präsident André Kuper: Frau Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte auf den Zusammenhang eingehen, den Sie gerade hergestellt haben. Sie legen großen Wert darauf, dass es auch für nichtakademische Gesundheitsberufe eine Schulgeldfreiheit geben soll. Es ist unbestritten, dass Sie in diese Richtung das Richtige tun. Auch wir begrüßen diesen Schritt, aber er reicht unserer Kenntnis nach nicht aus. Sei’s drum!

Halten Sie es allerdings wirklich für geboten, die Gebührenbefreiung für Kinder aus Nichtakademikerfamilien im Bereich der Bildung dagegenzuhalten? Halten Sie das wirklich für klug? Was soll mir diese Argumentation sagen?

(Beifall von der SPD)

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Kollegin Altenkamp, ich wollte Sie nur daran erinnern, dass Sie damals Prioritäten gesetzt und die akademische Ausbildung mehr wertgeschätzt haben als die nichtakademische Ausbildung in unseren Gesundheitsberufen. Daran wollte ich eigentlich nur erinnern.

(Beifall von der CDU)

Dass wir Studiengebühren nicht wieder einführen, hat sich vielleicht auch bei Ihnen rumgesprochen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was ist denn das für eine Logik? Das geht so nicht weiter!)

Ich kritisiere das gar nicht, sondern sage nur, dass Sie zum gleichen Zeitpunkt die Studiengebühren in diesem Land abgeschafft haben und aus der staatlichen Förderung der PTA-Schulen ausgestiegen sind. Auch das ist eine historische Wahrheit.

Wenn ich das gemacht hätte, Herr Mostofizadeh, dann würde ich etwas bescheidener auftreten, als Sie das hier in diesem Parlament zurzeit tun. Etwas bescheidener würde ich auftreten!

(Beifall von der CDU)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin mit mir völlig im Reinen. Ich bin der Minister, der dafür sorgt, dass wir bei den Therapieberufen endlich weiterkommen. Im Übrigen zeichnet sich dort genau der gleiche katastrophale Mangel ab, wie wir ihn auch bei den Pflegeberufen verzeichnen.

Es ist unbenommen, dass es richtig war, dass Sie die Umlage eingeführt haben; das habe ich immer gesagt. Die Umlage war der Grund, warum die Anzahl der Ausbildungsplätze in der Altenpflege so stark gestiegen ist. Aber ich darf auch daran erinnern, dass noch in meiner Ministerzeit all die Gutachten in Auftrag gegeben worden sind, die die Grundlage dafür waren, dass wir die Umlage überhaupt einführen konnten. Dann ist mir eine Landtagswahl dazwischengekommen, sonst hätte ich die Umlage eingeführt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)

– Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir in der Frage gar nicht so weit auseinanderliegen.

Jetzt ist doch klar: Im nächsten Jahr haben wir den ersten Jahrgang in der generalistischen Ausbildung. Dann wird die Finanzierung der Schulen über ein anderes System ablaufen. Klar ist auch, dass eine generalistische Altenpflegeausbildung nicht anders bewertet werden kann als eine Krankenpflegeausbildung, um noch in den alten Schranken zu reden.

Ich habe schon im Ausschuss gesagt, dass ich folgenden Plan verfolge: Das Geld, das wir heute in den Altenpflegeschulen haben, müssen wir zum Teil dafür nutzen, um Luft nach oben zu haben und die Erhöhung der monatlichen Kosten in den beiden letzten Lehrjahren stemmen zu können, wenn ein Jahrgang aus den Altenpflegeschulen ausscheidet, weil Prüfungen anstehen.

So will ich erreichen, dass man bei der Einstellung der Auszubildenden nicht zurückhaltender wird. Es wird im nächsten Jahr eine andere Förderung geben, die höher ausfällt. Ich glaube, es wäre klug, sich so zu verhalten, damit wir einen vernünftigen, gleitenden Übergang hinbekommen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Natürlich wird die neue Pflegeschule andere Standards haben, auch beim Personal. Deswegen wird sie teurer sein als das momentane System in der Altenpflege, in dem sehr stark mit Dozenten und nicht mit fest angestellten Lehrern gearbeitet wird.

Da tut sich übrigens ein neues Problem auf: Wir bilden in Nordrhein-Westfalen zurzeit nicht genug Pflegepädagogen aus. Deswegen werden wir Übergangslösungen finden müssen. Es kann schließlich nicht sein, dass wir nachher Auszubildende in der Pflege haben, aber keine Lehrer, die sie unterrichten.

Wir müssen also noch viele Steine aus dem Weg räumen. Die Probleme werden wir nicht allein über die Ausbildungsfrage lösen, aber ohne die Ausbildungsfrage werden wir sie erst recht nicht lösen. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Schritte gehen.

Ich denke, dass das die Situation an den Altenpflegeschulen in den nächsten Jahren stark befrieden wird. Dann schauen wir weiter, dass wir auch in den letzten beiden Jahren des getrennten Systems vernünftig klarkommen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 17/4137, den Gesetzentwurf Drucksache 17/3557 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/3557 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Gibt es jemanden, der dagegen ist? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Dann darf ich feststellen, dass wir den Gesetzentwurf Drucksache 17/3557 einstimmig angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich rufe auf:

6   Die Freie Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen ist eine tragende Säule unseres Sozialstaates – Die Partnerschaft zwischen Landesregierung und Freier Wohlfahrtspflege muss weiter gestärkt werden!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4123

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4235

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Neumann für die SPD das Wort. Bitte schön.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Der Paritätische und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland – das ist die Freie Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen. Sie ist seit Jahrzehnten ein verlässlicher und unverzichtbarer Partner für die Menschen sowie die politisch Handelnden im Land.

Diese engen Verbindungen gründen sich auf der Einsicht, dass eine sozial gerechte Gesellschaft nicht von oben verordnet werden kann. Vielmehr muss sie aus dem Einsatz und dem Engagement ihrer Mitglieder entstehen und getragen werden.

Die Freie Wohlfahrtspflege sorgt für ein Mehr an gesellschaftlichem Zusammenhalt im täglichen Leben. Mit ihren Einrichtungen und Diensten bietet sie eine flächendeckende Infrastruktur der Unterstützung für alle, vor allem aber für benachteiligte Menschen. Sie fördert gesellschaftliches Engagement und bietet eine Vielzahl von sozialen Dienstleistungen an, um Menschen schnell und professionell zu helfen.

Zu den Handlungsprinzipien der Wohlfahrtspflege zählen die Hilfe zur Selbsthilfe, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sowie die Teilhabe aller Menschen. Werteorientiert fördert sie bürgerschaftliches Engagement, stärkt und beteiligt Betroffene und setzt sich für eine inklusive Gesellschaft ein.

Die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege erbringen insbesondere Leistungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, der Bekämpfung von Armut, der Altenhilfe, der gesundheitlichen Versorgung, der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, der Qualifizierung und Beschäftigung, der Inklusion und vielfältiger weiterer Angebote.

In Nordrhein-Westfalen sind über 580.000 mitarbeitende Beschäftigte und rund 600.000 Ehrenamtliche in der Freien Wohlfahrtspflege tätig. Sowohl auf lokaler wie auch auf Landesebene machen sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dafür stark, dass die eben dargestellten Prinzipien und der Einsatz für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden und in einer funktionierenden flächendeckenden sozialen Infrastruktur und gerechten Lebensverhältnissen für alle Menschen im Lande münden.

Wir brauchen die Freie Wohlfahrtspflege; denn ohne ihre Arbeit würde das dichte soziale Netz in Nordrhein-Westfalen sehr löchrig werden.

(Beifall von der SPD)

Das feste und über Jahre gewachsene Sinnbild einer guten Partnerschaft zwischen der Landesregierung und den freien Verbänden ist mit den Zuschüssen des Landes an die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege im Rahmen der Zuwendungsvereinbarungen geklärt. Im Hinblick auf unsere derzeitigen Haushaltsberatungen warne ich eindringlich: Wer die Partnerschaft mit der Freien Wohlfahrtspflege in Zweifel zieht, der stellt das solidarische Miteinander infrage und betreibt eine Politik der sozialen Kälte.

(Beifall von der SPD)

Wer die Mittel aus den Zuwendungsvereinbarungen kürzt, gefährdet nicht nur die Partnerschaft zwischen der Landesregierung und den Verbänden, sondern er nimmt vor allem erhebliche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit der Spitzenverbände billigend in Kauf. Deshalb fordern wir die schwarz-gelbe Landesregierung auf, die Kürzungen in Höhe von 2 Millionen Euro im Einzelplan 11 des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zurückzunehmen.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus fordern wir, die Zuweisungssumme über den bisherigen Betrag von 6,1 Millionen Euro hinaus um weitere 2 Millionen Euro auf dann 8,1 Millionen Euro zu erhöhen, damit, Herr Minister, nicht nur diejenigen, die 100.000 Euro und mehr in diesem Land verdienen, gefördert werden, sondern auch und gerade die Benachteiligten, wie Sie es eben eingefordert haben.

(Beifall von der SPD)

Die gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen an eine immer älter werdende Gesellschaft, von Armut bedrohte Menschen und mehr Multikulturalität, die wir erleben, erfordern eine vernünftige finanzielle und nachhaltige Ausstattung. Die SPD ist stolz auf die Partnerschaft mit der Freien Wohlfahrtspflege. Wir wollen im Interesse der Hilfsbedürftigen in Nordrhein-Westfalen alles dafür tun, dass diese etablierte und bewährte Zusammenarbeit weiterhin gestärkt und sichergestellt wird.

Der von den Regierungsfraktionen eingebrachte Entschließungsantrag lebt vom Prinzip Hoffnung und von dem Unwillen, ein klares parlamentarisches Zeichen zu setzen – und zwar hier und heute –, dass die finanzielle Absicherung der Freien Wohlfahrtspflege auch weiterhin garantiert wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU hat nun der Abgeordnete Klenner das Wort.

Jochen Klenner (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Vielleicht vorab die Bitte, dass die Landtagsverwaltung einmal die Temperaturen im D-Trakt überprüft. Kollege Neumann friert immer und spricht von Kälte. Das können wir nicht ganz nachvollziehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es gibt ja Menschen, die, wenn ihnen kalt ist, die Heizkörper in allen Räumen voll aufdrehen, weil sie meinen, dann würde es besonders schnell warm. Aber spätestens bei der Abrechnung im nächsten Jahr merkt man, dass das nicht sehr klug war; denn auch beim Heizen muss man den Verstand walten lassen und vernünftig mit den Energieressourcen umgehen, das heißt also, die Einstellungen je nach Bedarf in den einzelnen Räumen zu regeln und vorausschauend zu planen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

– Das sind die Heiztipps. Aber das Ganze passt auch, Herr Zimkeit, auf die Haushalts- und Finanzpolitik und ganz besonders zum Einzelplan Arbeit, Gesundheit und Soziales. Denn auch hier kommt es darauf an, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, möglichst vielen betroffenen Menschen im Land direkt zu helfen und den Geldhahn nicht immer wie den Heizungsregler voll aufzudrehen. Nur ein ausgewogener Haushalt versetzt uns am Ende auch in die Lage, die Sozialpolitik in unserem Land nachhaltig zu finanzieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aktuell diskutieren wir über die Globaldotation für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Hier stehen drei verschiedene Zahlen im Raum:

4,1 Millionen Euro stehen im Haushaltsentwurf, ein Haushalt, in dem sich die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um eine Viertelmilliarde erhöht haben, in dem die Krankenhausfinanzierung um 100 Millionen Euro aufgestockt worden ist und der Bereich Pflege von 65 Millionen Euro zusätzlich profitiert.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zimkeit?

Jochen Klenner (CDU): Heiztipps noch? – Gerne. Aber nicht zum Fußball.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Beim Fußball wären wir uns zumindest einig, in der Sozialpolitik sind wir uns nicht einig. – Sie haben gerade gesagt, Sie wollen – das teilen wir absolut –, dass im Sozialbereich so viel Geld wie möglich bei den Menschen ankommt. Sind Sie der Meinung, dass die Mittel, die die Wohlfahrtspflegeverbände erhalten, nicht bei den Menschen im Land ankommen und Sie sie deswegen kürzen können?

Jochen Klenner (CDU): Vielleicht warten Sie ab, bis ich die drei Zahlen vorgetragen habe. Wenn die Frage dann nicht beantwortet ist, kann ich noch einmal darauf eingehen. Ich wollte die drei Zahlen gerade nennen. Ich glaube, das beantwortet Ihre Frage.

Also: 4,1 Millionen Euro stehen im Haushaltsentwurf. Ich habe gesagt, dass wir viele zusätzliche Mittel in den Haushalt eingestellt haben – übrigens ein Haushalt, in dem nur wenige Prozente überhaupt frei steuerbar verfügbar sind.

In diesem Haushalt haben wir die Altenpflegeausbildung um 100 Euro auf 380 Euro pro Platz erhöht. Wir haben lange darüber diskutiert. Auch die Träger von Pflegeeinrichtungen und Pflegeschulen profitieren von diesen zusätzlichen Geldern. Das sind über 22 Millionen Euro, die zusätzlich fließen und die Sie einfach gar nicht nennen.

Alle Abgeordneten haben die Briefe erhalten, in denen steht, dass die Verbände das Geld vor Ort dringend benötigen, um den Menschen zu helfen. Diese 10 % – wenn man so will, ein Solidarbeitrag –

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

als Unterstützung wären eine zumutbare Lösung gewesen, zumal weiterhin über 24 Millionen Euro aus Lotterien und Spielbanken des Landes gezahlt werden.

Die zweite Zahl lautet 6,1 Millionen Euro. Das ist der Betrag, wie er sich bisher darstellt. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege – Sie haben auf die Arbeit hingewiesen – koordiniert, legt Standards fest, verteilt die Mittel.

Im Jahr 2019 stehen zentrale Herausforderungen für die Verbände auf der Tagesordnung. Wir haben natürlich viele gute Gespräche geführt und sehen, dass es Herausforderungen wie die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes oder beim Übergang zum Pflegeberufegesetz gibt. Unsere Fraktion sieht sehr wohl die Argumente, dass in einer solchen Umbruchsituation auch einiges für Kontinuität spricht.

Allerdings haben wir auch die Verantwortung, mit den Mitteln des Landes transparent umzugehen und die Umsetzung der Leitgedanken partnerschaftlich und intensiv zu begleiten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Diese Gespräche laufen aktuell.

Im Übrigen sind die Wohlfahrtsverbände in ihren öffentlichen Äußerungen recht eindeutig. Schon im Herbst schrieb zum Beispiel die Caritas nach Gesprächen mit unserer Fraktion, dass sie sehr zufrieden mit den Gesprächen und den sich abzeichnenden Lösungen sei.

Vielleicht hatten auch manche gehofft, dass sie die Verbände mit diesem Thema stärker aufhetzen könnten. Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist; denn wer verantwortlich mit Geldern für den Sozialhaushalt umgeht, sollte Menschen nicht aufhetzen, sondern gemeinsam nach Lösungen suchen.

(Beifall von der CDU)

Nun zur dritten Zahl: 8,1 Millionen Euro. Die SPD konnte im Fachausschuss nicht erklären, wie sie auf diese Fantasiezahl kommt – vor allem, nachdem Sie in Ihrer Regierungszeit die Zahlen selbst schon einmal gekürzt haben.

Herr Neumann, Sie haben im Fachausschuss gesagt, dass Sie die Diskussion über die Zuschüsse endgültig beenden wollen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ganz genau!)

Genau dafür ist der Antrag kontraproduktiv. Wir müssen darlegen, wofür die Mittel verwendet werden. Wir brauchen Transparenz; umso besser funktioniert dann eine partnerschaftliche Zusammenarbeit.

In der Stellungnahme 17/846 der Freien Wohlfahrtspflege NRW vom 1. Oktober 2018 zum Haushalt wird mit keinem einzigen Wort eine Erhöhung gefordert. Es ist schon seltsam, dass die Verbände das nicht fordern, Sie aber noch einen draufsetzen.

(Beifall von der CDU)

Ich bitte daher darum, diesen Überbietungswettstreit zu beenden, aus dem Sie nur politisches Kapital schlagen wollen. Wir sind der Wohlfahrtspflege dankbar, dass sie konstruktiv mit uns zusammenarbeitet. In diesem Sinne sollten wir die Gemeinsamkeiten betonen und an einer vernünftigen Lösung arbeiten. Ich sehe uns hier nicht so weit auseinander und bitte deshalb um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP] – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Klenner. – Für die FDP spricht nun Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ein wichtiger Stützpfeiler in unserem Sozialsystem sind, ist unstreitig. Das haben wir in den bisherigen Redebeiträgen hören können – im Besonderen für die NRW-Koalition aus CDU und FDP –, und ich habe es ebenso dem Beitrag der SPD entnommen.

Wir schätzen die Verbände als wichtigen Partner, und es ist unstreitig, dass sie ein wertvolles Engagement gerade bei der Bekämpfung von Armut, bei der frühkindlichen Bildung, in der Pflege und bei der Integration von geflüchteten Menschen leisten.

Diese Arbeit der ehrenamtlichen Kräfte und hauptamtlichen Mitarbeiter hilft vielen Menschen, die in Notlagen geraten. So tragen die Wohlfahrtsverbände wesentlich zum sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bei. Dafür gilt auch der Dank der Freien Demokraten.

Zur Finanzierung dieser Aufgaben erhalten die Verbände der Wohlfahrtspflege Zuwendungen aus Lotterien und Spielbankkonzessionen in Höhe von über 24 Millionen Euro. Darüber hinaus sind Träger der Wohlfahrtspflege an zahlreichen Programmen und Einzelförderungen beteiligt. Hinzu kommt – und darüber diskutieren wir bisher sehr sachlich, so habe ich es zumindest beim Herrn Kollegen Klenner vernommen; beim ersten Redner bin ich mir noch nicht so sicher – die aktuell zu debattierende Globaldotation für die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände.

Die Landesarbeitsgemeinschaft übernimmt vor allem Koordinierungsaufgaben, zum Beispiel bei der Projektplanung und der Mittelverwendung. Zudem beraten die Spitzenverbände ihre Einzelorganisationen und vertreten deren Anliegen auf Landesebene.

Mit der Zuwendungsvereinbarung zwischen dem Land und den Spitzenverbänden wird eine bestimmungsgemäße Verwendung der Fördermittel unter Berücksichtigung bestimmter Standards wie Transparenz und Tarifbindung abgestimmt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was soll das jetzt?)

Es ist berechtigt, dass die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände für diese Aufgaben eine pauschale Förderung erhält. Die Höhe dieser Globaldotation wird nicht zum ersten Mal verändert oder diskutiert. Zuletzt wurde der Betrag noch unter der rot-grünen Regierungskoalition um 1,753 Millionen Euro auf 6,1 Millionen Euro gekürzt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist dummes Zeug!)

Damals hatten die Koalitionsfraktionen den Entwurf der Landesregierung in den Beratungen eben nicht mehr korrigiert.

(Hannelore Kraft [SPD]: Was erzählen Sie da?)

Nach der Abwahl aus der Regierungsverantwortung scheint die SPD ihre Meinung geändert zu haben. Nun fordert sie sogar mehr als vor ihren eigenen Kürzungen.

Die Fraktionen von FDP und CDU setzen sich für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der wertvollen Arbeit der Wohlfahrtspflege ein. Derzeit laufen intensive Gespräche mit den Spitzenverbänden, und dabei geht es gerade um die erforderlichen Mittel. Unser Fraktionsvorsitzender Christof Rasche hat es bei der Einbringung des Haushalts schon angedeutet: Wir werden am Ende zu einem guten Ergebnis kommen,

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

sodass auch die Verbände nichts mehr daran zu kritisieren haben.

Das ist der Unterschied zu einem rein populistischen Antrag. Entweder man fordert einfach ein bisschen mehr – höher, schneller, weiter – oder, wie es auch der Kollege Klenner ausgeführt hat, man betreibt Sachpolitik und Sozialpolitik mit Augenmaß,

(Josef Neumann [SPD]: Kürzungspolitik!)

auch unter den Gegebenheiten des Haushalts.

Man kann es nicht anders bezeichnen: Der Antrag der SPD ist doch nicht mehr als eine billige PR-Nummer ohne Substanz. Sie versuchen nur, kurzfristig Aufmerksamkeit zu erzielen, während die Koalitionsfraktionen an einer sachorientierten Lösung arbeiten. Daher werden wir den SPD-Antrag natürlich ablehnen und unserem eigenen Entschließungsantrag zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Grünen hat nun der Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wette mal, Herr Kollege Lenzen: Das, was Sie heute noch als billige PR-Nummer der SPD abgetan haben – zumindest den ersten Teil, die 2 Millionen Euro betreffend –, werden Sie am Ende beschließen.

(Beifall von der SPD)

Sie werden am Ende diese 2 Millionen Euro Globaldotation wieder in den Haushalt einstellen, da bin ich mir relativ sicher.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann)

Deswegen, Herr Minister, könnte ich jetzt auch aufhören zu reden und sagen: Es ist ja eigentlich alles in Ordnung.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Oder Herr Laumann versucht, es zu verhindern!)

Denn wir Grünen waren der Auffassung – und wir sind es nach wie vor –, dass die Kürzung der Globaldotation falsch war. Sie ist durch nichts begründet.

Der Minister hat – das ehrt ihn – in der letzten AGS-Sitzung relativ offen gesagt: Ich kam nicht mehr hin, die Quote vom Finanzminister reichte nicht aus, irgendwo musste ich es herholen – und da war es eben die Freie Wohlfahrtspflege.

Da Haushalt immer noch eines meiner Hobbys ist und die Zahlen so einfach und transparent im Netz nachzulesen sind, kann ich nur sagen: Man sollte erst mal sein Manuskript lesen, bevor man es vorträgt. Es ist schlicht falsch, wenn Sie sagen, dass Rot-Grün die Dotation der Wohlfahrtspflege gekürzt habe.

Rot-Grün hat 2010 die Dotation um 6 Millionen Euro erhöht und danach um die angesprochenen 1,7 Millionen Euro reduziert. Das sind netto immer noch 4,4 Millionen Euro mehr unter Schwarz-Gelb. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Wahrheit.

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Die Sie sich 1999 selbst zusammengekürzt haben!)

– Herr Löttgen, schauen Sie in den Haushalt; ich habe Ihnen die Zahlen gerade vorgetragen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Dass diese 2 Millionen Euro vor dem Hintergrund von insgesamt rund 77 Milliarden Euro in der Haushaltsplanung darüber entscheiden, ob die einen nicht seriös sind, weil sie das Geld sozusagen raushauen, die anderen aber seriös sind, weil sie bei Steuermehreinnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro 2 Millionen Euro mehr rausholen, will ich mal dahingestellt sein lassen. Ich halte es schlicht für Kokolores.

Herr Kollege Löttgen, am Ende – das haben Sie schon unmissverständlich angedeutet – werden diese 2 Millionen Euro wieder im Etat des Ministers Laumann auftauchen; die Wohlfahrtspflege wird zufrieden sein, und es wird keine Kürzung geben – da bin ich mir ziemlich sicher.

Herr Kollege Lenzen, bei aller Freundschaft – haben Sie mal Ihren eigenen Antrag gelesen? Soll ich Ihnen mal die Beschlussfassung vorlesen?

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist Bauernschläue!)

Da steht: „Der Landtag begrüßt die laufenden Gespräche mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und setzt sich für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung ihrer wertvollen Arbeit ein.“

Demnächst können wir auch beschließen: Der Landtag begrüßt, dass das Wetter mal so und mal so ist.

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Ja, ja, ja!)

Das ist doch albern, was Sie machen! Da hätten Sie lieber keinen Antrag stellen sollen oder aber sich irgendeinen Umweg ausdenken. Wir werden Ihren Antrag deswegen ablehnen.

Sie haben eben gesagt, wir würden das Geld nur so raushauen und es gebe überhaupt keine Deckungsvorschläge. Im Haushalts- und Finanzausschuss werden alle Anträge der Grünen eins zu eins gedeckt sein. Ich hätte auch noch ein paar Vorschläge, woher die 2 Millionen Euro oder sogar die 20 Millionen Euro stammen könnten, Herr Minister Laumann.

50 Millionen Euro werden für Heimatprojekte ausgegeben, deren Sinn ich bis heute nicht ganz erkennen kann.

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Aber besser noch: Der Stadt Monheim werden 30 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Solidarumlage erlassen – und die baut sich davon Geysire.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Also, da hätte ich bessere Verwendungszwecke, lieber Herr Kollege Laumann. Da waren meine Aufregung und mein Engagement im Bereich der Altenpflege durchaus gerechtfertigt.

Tun Sie nicht so, als hätten Sie keine Handlungsmöglichkeiten, Kollege Klenner! Sie können handeln; auch in diesem Bereich. Das werden Sie auch tun, da bin ich ganz sicher. Die Wohlfahrtsverbände werden diese 2 Millionen Euro sicher sehen.

Ihre Haushaltspolitik ist davon gekennzeichnet, dass Sie die Mittel einfach raushauen und dabei Prioritäten setzen, die nicht immer unseren entsprechen. Das werden wir Ihnen immer wieder sagen, wenn es angezeigt ist. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Kollege. – Für die AfD spricht nun die Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wohlfahrtsverbände leisten ohne jeden Zweifel wahnsinnig viel. Unser Sozialstaat wäre sicher nicht handlungsfähig, wenn es die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege nicht gäbe.

Durch den permanent weiter wachsenden Sozialstaat ist das Betätigungsfeld der Wohlfahrtsverbände quasi unendlich. Sie sind direkt nach dem öffentlichen Dienst der größte Arbeitgeber in Deutschland. Kein Zweig der Industrie in Deutschland beschäftigt so viele Menschen wie die Wohlfahrt. Das sollte uns zu denken geben.

Natürlich fallen teilweise auch Aufgaben der öffentlichen Hand in diesen Bereich, zum Beispiel Kindertagesbetreuung, Pflegedienste etc., aber auch ganz viele kleinere Projekte vor Ort und in den Vierteln. Offensichtlich wächst die Bedürftigkeit der Menschen in diesem Land nicht nur in materieller Hinsicht. Für die Bewältigung des alltäglichen Lebens werden Beratung, Unterstützung, Ansprechpartner, Anlaufstellen und Begleitung gebraucht.

Wir finden diese Entwicklung alarmierend. Die Wohlfahrt übernimmt viele Aufgaben, die die Menschen idealerweise selber im Privaten lösen können sollten. Da liegt der Hase im Pfeffer: Von der Not wird profitiert. Die Verbände und deren Aufgabenfelder wachsen, und die Beschäftigung von immer mehr Menschen hängt von der Bedürftigkeit anderer ab.

(Gabriele Hammelrath [SPD]: Sollen wir die Leute sich selbst überlassen?)

Private Anbieter, die mit gegebenenfalls anderen Lösungsansätzen auch in diesen Markt eindringen möchten, haben kaum eine Chance.

Es ist allemal verwunderlich, dass ausgerechnet die kirchlichen Wohlfahrtsverbände – Caritas und Diakonie – die mitarbeiterstärksten Verbände sind. Im privaten Leben schwindet der Einfluss der Kirche, und auf dem Arbeitsmarkt spielt er eine immer größere Rolle; letztendlich staatlich gefördert, weil auch die Wohlfahrtsverbände gefördert werden.

Die Förderung zu kürzen, ist bei den Verbänden mit sozialen Aufgaben schwierig. Wer will schon verantworten, dass die bedürftigen Kinder kein Mittagessen bekommen oder dass der Obdachlosentreff geschlossen werden muss? – Diese Grausamkeit will natürlich niemand.

Neben der Tatsache, dass die Verbände ganz konkrete Hilfe leisten, sind sie aber auch Unternehmen. Deshalb begrüßen wir den Verweis auf die Transparenz bezüglich der Mittelverwendung im Entschließungsantrag.

Die Gehälter der Geschäftsführer der Wohlfahrtsverbände beispielsweise klaffen laut Medienberichten sehr weit auseinander. Demnach verdienen Geschäftsführer der AWO anscheinend fast doppelt so viel wie die bei der Caritas oder der Diakonie. Da sich etliche Abgeordnete der SPD bei der AWO tummeln, verrate ich Ihnen da sicher kein Geheimnis.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja, und? – Dietmar Bell [SPD]: Besser, sich da zu tummeln, als wo Sie sich rumtreiben! – Helmut Seifen [AfD]: Sie können mit der Wahrheit nicht umgehen! – Gegenruf der SPD)

Bei allen Wohlfahrtsverbänden gibt es regelmäßig unseriöse Ausreißer, was die Selbstbedienung auf Geschäftsführerebene betrifft. Ob die Anschaffungen von Gebäuden, Maserati als Dienstwagen oder viel zu hohe Gehälter – all das schadet dem Ansehen der Wohlfahrt.

Das Diakoniewerk Bethel wurde deshalb erst kürzlich von der Diakonie abgestoßen.

(Dietmar Bell [SPD]: Üble Nachrede!)

Mehr Transparenz schützt somit auch die Verbände, die sich an Tarifgehälter halten. Denn nicht nur das Unterschreiten von Tarifgehältern, sondern auch exorbitante außertarifliche Zahlungen schaden dem Ansehen der Wohlfahrt. Deshalb werden wir nicht dem Antrag der SPD, wohl aber dem Entschließungsantrag zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion hat zwei Kernanliegen: die Stärkung der Partnerschaft des Landes mit der Freien Wohlfahrtspflege einerseits und eine Erhöhung der Mittel für die Spitzenverbände andererseits.

Ich frage mich, ob wir diesen Appell brauchen – auch nach dieser Debatte jetzt –, um wieder einmal eine Selbstverständlichkeit im Land Nordrhein-Westfalen zu betonen.

Die enorme Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege in ihren Arbeitsfeldern ist schließlich der Grund, weshalb das Land Nordrhein-Westfalen die Spitzenverbände seit Jahrzehnten finanziell unterstützt. Mit den Landesmitteln für die Spitzenverbände wird die Arbeit der Träger vor Ort qualifiziert, werden Angebote weiterentwickelt und neue Maßnahmen angeschoben, und natürlich wird auch bürgerschaftliches und freiwilliges Engagement organisiert.

Hat irgendjemand tatsächlich die Freie Wohlfahrtspflege verprellt, wie der Antrag behauptet? Schränkt die von der Landesregierung vorgeschlagene Kürzung der Mittel für die Spitzenverbände ihre Leistungsfähigkeit wirklich dramatisch ein? – Ich glaube, weder das eine noch das andere trifft zu.

(Beifall von der CDU)

Nicht nur ich, sondern auch die Kollegin Scharrenbach, der Kollege Stamp und Frau Milz sind im ständigen und vertrauensvollen Kontakt mit den Akteuren der Freien Wohlfahrtspflege. Das Gleiche gilt für die Fachleute der Ministerien und der Staatskanzlei. Dabei geht es um Fachpolitik, um Inhalte, um Projekte und natürlich auch um Geld. Neben der Förderung der Spitzenverbände erhält die Freie Wohlfahrtspflege aus Konzessionseinnahmen weitere 24,18 Millionen aus dem Einzelplan 11 für satzungsgemäße Aufgaben. Hinzu kommt eine große Zahl von Programmen und Einzelförderungen verschiedener Ministerien in den jeweiligen Politikfeldern.

All das steht in keiner Art und Weise zur Disposition. Die vorgeschlagene Kürzung war das Ergebnis einer politischen Schwerpunktsetzung zugunsten der höheren Schulkostenpauschale in der Altenpflegeausbildung, über die wir gerade gesprochen haben.

Darüber, dass die Erhöhung dringend notwendig war, gibt es hier keinen Streit. Vergessen Sie bitte nicht, dass die Mehrheit der Altenpflegeseminare von den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege organisiert wird und ich sie nur mit 10 % der Erhöhungen, die ich hier zu verantworten habe, selber belastet habe.

Ich möchte heute aber auch vortragen, wie sich die Globaldotationen in diesem Land entwickelt haben: 2003 – da regierte Rot-Grün –

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Meine Güte!)

lag die Globaldotation bei 16 Millionen Euro. Sie wurde dann auf 13 Millionen Euro abgesenkt. Sie wurde 2005 weiterhin von 13 Millionen Euro auf 9 Millionen Euro abgesenkt. Dann war sie bis 2007 bei dieser Summe stabil. Dann wurde sie von uns auf 7 Millionen Euro herabgesetzt. Schließlich wurde sie 2012 von 7,8 Millionen Euro auf 6,1 Millionen Euro herabgesetzt.

Also: An Ihrer Stelle wäre ich mit dem Steinewerfen sehr vorsichtig, wenn mal jemand bei den Globaldotationen im A- und S-Haushalt Kürzungen vorschlägt. Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Das waren auch zu damaligen Zeiten haushaltspolitische Notwendigkeiten, um andere Schwerpunkte im Haushalt zu setzen, die man damals für wichtiger hielt.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Nur sind heute die Kassen voll!)

Nur, zu sagen, Sie hätten nie über die Globaldotationen nachgedacht, die Minister mit Ihrem Parteibuch hätten nie über Globaldotationen nachgedacht – das entspricht, wenn Sie diese Zahlen kennen, nicht der Wahrheit.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Aber heute sind die Kassen voll!)

Ich habe sie deswegen vorgetragen, damit sie auch in der Neuzeit noch einmal im Protokoll des Landtags von Nordrhein-Westfalen festgehalten werden. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/4123. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/4123. Wer möchte sich dafür aussprechen? – Das ist die SPD. Wer spricht sich dagegen aus? – Das sind CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Kollegen Neppe und Langguth. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Grünen. Damit ist dieser Antrag Drucksache 17/4123 abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP mit der Drucksache 17/4235. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die CDU, die FDP, die AfD und die beiden eben schon genannten fraktionslosen Abgeordneten. Wer ist dagegen? – Das sind SPD und Grüne. Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 17/4235 mit der eben festgestellten Mehrheit angenommen.

Ich rufe auf:

7   Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3699

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/4154

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Schrumpf von der CDU-Fraktion das Wort.

Fabian Schrumpf (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich hier kurzfassen. Bei dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung handelt es sich um eine Bündelung von Entfristungen von Landesrecht bzw. der Verlängerung der Geltungsdauer in einem Mantelgesetz.

Also kurzum: Er befasst sich mit der Behandlung auslaufender Vorschriften, die da wären eine Verlängerung der Befristung des Zensusausführungsgesetzes, eine Entfristung des Gesetzes über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure in Nordrhein-Westfalen sowie eine rein formal-technische Änderung des Landesdisziplinargesetzes.

Da es hier um ein rein technisches Verfahren geht und ich denke, dass hier weitestgehend Konsens im Hohen Haus bestehen dürfte, bitte ich für die CDU-Fraktion um Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD hat der Abgeordnete Ganzke das Wort.

Hartmut Ganzke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur, weil wir uns in der Obleuterunde vereinbart haben, sondern weil es sich hier wirklich um technische Dinge in einem Gesetz handelt, wird auch die SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Für die FDP hat der Kollege Mangen das Wort. – Wenn das so weitergeht, bitte ich vielleicht schon einmal die Kollegin Schäffer ans Pult.

Christian Mangen (FDP): Ich kann Sie beruhigen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es geht so weiter. Ich kann mich den weisen Worten meiner Vorredner anschließen. Auch die FDP-Fraktion wird dem zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Die Kollegin Schäffer hat das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, im Obleutegespräch haben wir lange darüber diskutiert, was wohl länger dauert, die Reden zu Protokoll zu geben oder sie kurz zu halten. Wir haben uns dafür entschieden, sie kurz zu halten.

Auch wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Es geht hier wirklich nur um technische Änderungen; insofern auch Zustimmung unserer Fraktion.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Für die AfD ist nun der Abgeordnete Herr Vogel dran.

Nic Peter Vogel (AfD): Endlich komme ich einmal mit meiner Redezeit aus. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ganze ist unpolitisch und absolut notwendig. Natürlich werden auch wir zustimmen. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Damit erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Das ist ein ungeheurer Vorgang. Mir hat niemand Bescheid gesagt, dass es so kurz gehen soll. Ich hatte eine lange Rede vorbereitet. Aber: Ich fand alles gut, was vorgetragen worden ist. Das war’s!

(Heiterkeit – Allgemeiner Beifall)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen und Herr Minister. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 17/4154, den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir kommen daher zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 17/4154 und nicht über den Gesetzentwurf. Wenn Sie zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und die beiden eben schon genannten fraktionslosen Abgeordneten. Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 17/4154 angenommen und der Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses in der zweiten Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

8   Fit für Europas Zukunft sozialer Zusammenarbeit

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4122

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Weiß das Wort. – Der Kollege Weiß ist noch nicht eingetroffen. Wenn der Kollege Krauß von der CDU-Fraktion anwesend ist, würde ich ihm das Wort erteilen wollen. Er ist im Sprint auf dem Wege. Der Kollege Krauß hat das Wort. Bitte schön.

Oliver Krauß (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte natürlich gerne auf den Kollegen Weiß erwidert,

(Zuruf von den GRÜNEN: Machen Sie es doch!)

aber das kann ich vielleicht gleich nachholen.

Der Antrag der SPD-Fraktion „Fit für Europas Zukunft sozialer Zusammenarbeit“ steht in einer Reihe von SPD-Anträgen. Zuletzt stand am 17. Mai dieses Jahres ein Antrag mit dem Titel „Soziale Säule der Europäischen Union stärken“ auf der Tagesordnung. Vor einem Jahr haben wir den Antrag „Entsenderichtlinie reformieren – Beim Aufbau einer sozialeren Europäischen Union helfen“ beraten.

Diese Anträge haben gemeinsam, dass sie dringende Anliegen und Daseinsfragen in unserer Europäischen Union auf die Impulse, die unser Bundesland dazu gibt, und auf die Erfahrungen und Erwartungen, die wir dazu haben, überprüfen.

Diese liniengleiche Vorgehensweise von oben nach unten – top-down – ist legitim. Sie verliert in den Forderungen aber an Kraft, je weniger der europäische Diskurs, den zumindest noch 27 Mitgliedstaaten führen, mit der Lebenswirklichkeit zusammenfindet, die wir landespolitisch vertreten. Dann entsteht der Verdacht, dass es ideologisch gedacht ist – vielleicht als Hilfe für unseren Bundesfinanzminister in Sachen europäischer Arbeitslosenversicherung oder in punkto Entsenderichtlinie als Rückhalt für Frau Nahles.

Ihnen als SPD-Fraktion ist bekannt, dass der Koalitionsvertrag auf Bundesebene, bekanntlich von SPD und Union geschlossen, zentrale Bezüge der europäischen Säule verarbeitet: Rahmen für Mindestlohnregelungen und für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten, Vergleichbarkeit von Bildungsstandards, soziale Grundrechte, Sozialpaket, bessere Koordinierung der Arbeitsmarktpolitik. Ich darf an die Beschlusslagen in diesem unserem Hause erinnern, die das Ziel hatten, die grenzüberschreitende Mobilität für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konkret zu erleichtern.

Auch für unsere Anträge zur Förderung des europäischen Zusammenhalts sowie zur grenzüberschreitenden Kooperation und Vernetzung mit den Niederlanden und Belgien insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Hochschulen gab es hier im Haus großen Rückhalt. Dreimal gab es ein Nein, und zwar von Ihrer Fraktion, Herr Kollege Weiß – ich begrüße Sie herzlich. Von der SPD gab es dreimal Nein.

Die Artikel 9 und 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU sind geltendes Primärrecht. Daher brauchen wir kein Lippenbekenntnis. Die Forderung nach dem maximalen Finanzierungsanteil für stärker entwickelte Regionen ist bekanntermaßen Verhandlungslinie unserer Landesregierung. Das wurde zuletzt in der Diskussion über den mehrjährigen Finanzrahmen klargestellt.

Logik der Sozialpolitik ist, nahe an den Aufgaben zu handeln, die Nachbarschaft, das Vis-á-vis zu den Mitmenschen. Die Angemessenheit ist Voraussetzung für Akzeptanz entgegen der Überregulierung, der Anonymität, der kleinteiligen europäischen Einmischung.

Aktuelle Alternativen des Weißbuchs nimmt Ihr Antrag nicht mit, nicht einmal aus dem Reflexionspapier der Kommission zur sozialen Dimension Europas. Den Aspekt der Subsidiarität erwähnen Sie erst gar nicht. Stattdessen wollen Sie die Umsetzung einer europäischen Arbeitsbehörde vorantreiben ohne Ausmessen des Mehrwertes, der Kosten, des Nutzens und möglicher Doppelstrukturen, ohne Bewertung von Risiko und Haftung.

Eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt die Position der italienischen Regierung zu dem Reflexionspapier der Kommission auf. Konkret fordert Italien eine Erhöhung der Mittel für soziale Ziele im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen, eine angemessene Finanzierung der Jugendbeschäftigungsinitiative und die Schaffung diverser Finanzinstrumente wie eine europäische Arbeitslosenversicherung.

In der repräsentativen Acht-Länder-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung steht demgegenüber die Erwartung in unserer Mitte. Zitat aus der Studie:

„Von der Zustimmung zu einer Ausweitung der Kompetenzen der EU bleiben allerdings einige Bereiche ausgespart, vor allem die Budgethoheit und die Gestaltung der Sozialsysteme.“

Das berücksichtigt der vorliegende Antrag überhaupt nicht. Die Debatte um sozialen Fortschritt in der EU braucht Ambitionen, Offensive, aber auch Offenheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Zielen liegen wir doch nicht auseinander. Wir wollen die Abstände der europäischen Konstruktion verkleinern, eine Währungsunion ohne eine politische Union in der Haushalts-, Finanz- und Sozialpolitik. Diese sind national definiert. Das führt zu dem politischen Willen, die Distanz zwischen wirtschaftlicher Integration und einer politischen Integration zu schließen.

Zu dieser Einheit in der Vielheit, zu der lebendigen Subsidiarität gehört die Realität, dass bei einem 7%igen Anteil der EU an der Weltbevölkerung knapp 50 % der weltweiten Sozialausgaben in unserer Europäischen Gemeinschaft aufgewendet werden.

Die sozialen Dimensionen sind substanzieller Bestandteil der europäischen Integration. Mit Stand vom letzten Jahr waren soziale Mindeststandards auf Basis von 57 EU-Richtlinien und vier EU-Verordnungen für alle Mitgliedstaaten verpflichtend festgelegt.

Wir können im Ausschuss gerne beraten, wo mehr Vergemeinschaftung Vorteile bringt. So jedenfalls können wir nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Krauß, auch für das spontane Einspringen. – Der eben schon aufgerufene Kollege Weiß von der SPD-Fraktion erhält nun das Wort.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Pünktlich zum einjährigen Geburtstag der Verabschiedung der europäischen Säule „Soziale Rechte“ ist es Zeit, auch in NRW die Umsetzung dieses Projekts auf den Prüfstand zu stellen. Sie werden es möglicherweise ahnen: Wir glauben, dass in der Arbeit der Landesregierung zum Thema Europa noch viel Luft nach oben ist.

Unser Antrag zielt auf das ab, was unserer Überzeugung nach das Herz und ein Hauptziel der europäischen Zusammenarbeit sein muss: die soziale Konvergenz. Dieser Tage wird viel über die Zukunft Europas gestritten. Dabei steht häufig im Fokus, ob mehr oder weniger Europa sinnvoll sei, und wer pro- und wer anti-europäisch ist. Die eigentliche Frage, über die wir streiten müssen, ist aber nicht, ob wir für oder gegen Europa sind. Ich denke, diese Feststellung versteht sich von selbst.

Ein Projekt, das seit Jahrzehnten den Frieden in Europa garantiert, das den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwung zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft in einem nie dagewesenen Maß ermöglicht, das sich den Schutz von Menschen- und Bürgerrechten ganz oben auf die Fahne geschrieben hat – dieses Projekt in plumper, rückständigster Art und Weise als Ganzes abzulehnen, dazu muss man entweder sehr verzweifelt sein oder in einer konstruierten Parallelwelt leben.

(Beifall von der SPD)

Das sieht im Übrigen eine riesige Mehrheit der deutschen Bevölkerung sowie der nordrhein-westfälischen in Gänze genauso. Etwa 80 % erkennen die ganz offensichtlichen Vorteile des europäischen Einigungsprozesses und befürworten ihn. Für alle konstruktiven Kräfte lautet also die viel wichtigere Frage, über die wir streiten müssen: Für welches Europa machen wir uns stark? Und da bekommen Sie von den Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb natürlich eine andere Antwort als von uns.

Denn wenn Europa heißt, dass immer nur die Interessen von Konzernen, deren Vorständen und Großaktionären im Vordergrund stehen, dann ist dies nicht unser Europa. Wenn Europa heißt, dass entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne jeden sozialen Schutz Tausende Kilometer von zu Hause in Baracken im Wald hausen müssen, um auf ihrer Arbeit das Nackensteak für unsere Grillparty zu portionieren, dann ist das nicht unser Europa. Und wenn Europa heißt, dass Politik zwar viel Gutes verspricht, für die Umsetzung aber immer die anderen zuständig sind, dann ist auch das nicht unser Europa, meine Damen und Herren.

Das Europa, für das wir aus voller Überzeugung und mit voller Leidenschaft eintreten, stellt die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt. Wir möchten ein Europa, in dem der wirtschaftliche Fortschritt vom sozialen Fortschritt begleitet wird, und in dem die Politik sich dann für diejenigen einsetzt, die momentan nicht zu den Gewinnern der Globalisierung gehören. Kurzum: Wir wollen ein Europa des sozialen Zusammenhalts.

(Beifall von der SPD)

Wir verstehen unter sozialer Konvergenz nicht die Angleichung sämtlicher Sozialniveaus in Europa, bis alle auf demselben Stand sind – beileibe nicht. Für uns bedeutet soziale Konvergenz, dass jeder Staat, jede Gesellschaft in Europa an einem gesamteuropäischen sozialen Aufwärtstrend mitarbeitet.

Unzählige soziale Fragen können heute nur in einem europäischen Kontext beantwortet werden. Das reicht von den großen Herausforderungen wie dem Umgang mit der massenhaften Jugendarbeitslosigkeit über das Bildungsangebot für sozial Benachteiligte bis zum Schutz von Arbeitslosigkeit durch Dumpingwettbewerbe. Wir dürfen uns in diesem Hause auch nicht zurücklehnen und die schwierigen Themen der Bundes- oder der Europaebene überlassen.

Nordrhein-Westfalen ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen in ganz Europa – mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt als Schweden, Belgien oder Polen. Es wäre nach Bevölkerungszahlen ein eigenständiger Staat, der achtgrößte Land in der EU, noch vor den Niederlanden und vor Österreich, das aktuell die Ratspräsidentschaft innehat.

Unsere Stimme wird wahrgenommen im Rest der Bundesrepublik und darüber hinaus. Gerade deshalb ist es wichtig, dass NRW sich aktiv für eine soziale Aufwärtskonvergenz in Europa einsetzt. Damit meinen wir keine wohlklingenden Lippenbekenntnisse. Wenn die Menschen hier nicht spüren, dass Europa auch ein soziales Fortschrittsprojekt ist, dann wird die Gruppe der Verzweifelten immer weiter wachsen, und dann wird das Projekt Europa scheitern.

Wir bitten deshalb gerade die Koalitionsfraktionen, unseren Antrag auch als konstruktive Kritik im positiven Sinne zu verstehen. Sicherlich verlangen die parlamentarischen Spielregeln einen gewissen Hang zum Eigenlob – ja, das gehört auch dazu. Was der Kollege Krauß gerade getan hat und möglicherweise die FDP nach mir, das gehört auch dazu. Aber gute Sozialpolitik und soziale Konvergenz sind einfach viel zu wichtig, um sie zu übersehen oder nachrangig oder untergeordnet zu bearbeiten und zu behandeln. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Kollege. – Für die FDP hat nun der Abgeordnete Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Suche nach der schon lange verlorengegangenen eigenen politischen Fitness sucht die SPD nun quasi in Kompensation – in zwei Anträgen in dieser Woche – die eigene Vorstellung, was politisch fit sei, bietet aber leider nur wieder alten Wein in neuen Papierschläuchen.

Was Sie präsentiert haben, ist das Linkskonzept des gescheiterten Präsidenten Hollande, aber was Sie „soziales Europa“ nennen, lässt die Befürchtung aufkommen, dass das kein Europa ist, das wirtschaftspolitisch vorankommt. Denn nur eine gute Wirtschaftspolitik in Europa kann die Verelendung, die Sie zu Recht geißeln, wirklich beseitigen.

Die SPD beschäftigt sich nach dem Antrag zur sozialen Säule der EU im Mai dieses Jahres erneut mit europäischer Sozialpolitik und stellt wieder die altbekannten Forderungen auf – mit zusätzlichen Rechtsansprüchen und Finanzierungsinstrumenten. Sie will, kurz gesagt, mit erhöhten Standards und mit mehr Geld eine einheitliche Sozialpolitik erreichen.

Vereinheitlichung ist aber angesichts der unterschiedlichen Systeme der sozialen Absicherung in Europa gar nicht sinnvoll. Skandinavisches Wohlfahrtsmodell und deutsche Sozialversicherung gehen natürlich von völlig anderen Voraussetzungen aus. Für uns Liberale liegt die Verantwortung für soziale Sicherung bei den Mitgliedsstaaten.

Natürlich bekennt sich die Landesregierung zu den Grundwerten der EU, die sich auch in den Artikeln 9 und 151 manifestieren.

Wir Freien Demokraten wollen aber ein vereintes und kein vereinheitlichtes Europa. Die Erklärung zur Säule sozialer Rechte muss vor diesem Hintergrund durchaus kritisch gesehen werden.

Diese Vereinheitlichung von sozialen Standards auf EU-Ebene ist nicht sinnvoll. Es ist richtig, dass Arbeits‑ und Sozialpolitik im Kern eine Aufgabe der Mitgliedstaaten ist und bleibt.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Europa ist bereits bedeutender Akteur in der Sozialpolitik. Über den Europäischen Sozialfonds werden auch in NRW in der Förderperiode 2014 bis 2020 insgesamt 1,25 Milliarden Euro in die Förderung von Beschäftigung und Bekämpfung von Armut investiert.

Aber auch der Bundesrat hat sich im letzten Juni eher verhalten zu den EU-Plänen geäußert, eine europäische Arbeitsagentur zu errichten. Denn es ist zu befürchten, dass es in der Tat zu Doppelzuständigkeiten und Kompetenzüberschreitungen kommen könnte.

Kommen wir zum Kernpunkt des Antrags, der Einführung eines Europäischen Fonds für die Stabilisierung nationaler Arbeitslosenversicherung. Das wäre ein großer und desaströser Schritt zur Transferunion für die Arbeitsmarktpolitik. Dieser Fonds könnte dazu führen, dass Deutschland Staaten mit weniger flexiblen Arbeitsmärkten in Milliardenhöhe bezuschusst.

Ja, die Arbeitslosigkeit in der EU ist sicherlich zu hoch, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, zum Beispiel in Südeuropa. Aber hilft da Umverteilung? – Nein. In diesen Ländern gibt es die historisch gewachsenen Regelungen zu Arbeitsrecht, Kündigungsschutz und gewissen Mindestlöhnen, die zwar die Beschäftigten schützen, die aber die Neueinstellung von jungen Menschen erschweren.

Es ist zu befürchten, dass der Druck für notwendige Strukturreformen weicht, wenn Versäumnisse nationaler Politik von anderen europäischen Staaten wie selbstverständlich aufgefangen werden. Die aktuellen Entscheidungen in Italien zeigen deutlich die Gefahr einer derartigen Entwicklung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Abgeordneter Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag, den die SPD-Fraktion hier eingebracht hat, stellt richtigerweise fest, dass die Europäische Union sozialer werden muss. Es ist in der Tat ein großes Anliegen, die europäischen Rechte, die sozialen Rechte, die in der Säule auch geeint worden sind, ernst zu nehmen und vollumfassend anzuwenden.

Wie hochaktuell und tagespolitisch wichtig das ist, zeigt die Auseinandersetzung, mit der zurzeit die italienische Regierung versucht, das Potenzial aus der sozialen Frage gegen die Europäische Union zu wenden. Das bedarf einer Antwort; das kann man nicht einfach nur von sich weisen mit Blick auf die Verträge, die abgeschlossen worden sind. Das geht in beide Richtungen.

Wir haben heute hier vorgeführt bekommen, wie die Diskussion offensichtlich auch auf Berliner Ebene in der Großen Koalition verläuft. Eine Seite, die CDU, erklärt den Sozialdemokraten, was sie alles nicht beachtet haben, während umgekehrt die Sozialdemokraten eine Perspektive eröffnen, die möglicherweise sehr weit entfernt liegt, ohne klar zu benennen, dass zur Umsetzung einer solchen Perspektive dann auch die Konsequenz erforderlich wäre, die Verträge grundsätzlich zu ändern.

Wir haben den bestehenden Vertrag von Lissabon, der – das mag man kritisieren und bedauern, und wir bedauern das – die Sozialpolitik allein von der Wettbewerbsseite her definiert und eben nicht als eigenständige europäische Politik.

Das ist das Grunddilemma, und deshalb werden auch alle Anstrengungen, das Ganze auf Augenhöhe zu heben, scheitern, wenn man nicht grundsätzlich an eine Neufassung des Vertrages geht. Macron hat einen Aufschlag dazu gemacht, ein Europa zu schaffen, das schützt, und das meint eben auch den Schutz der Menschen in sozialen Fragen.

Dass das nicht so ganz weit weg von der politischen Wirklichkeit ist, wie wir sie heute erleben, machen auch die Zusammenhänge von Wahlergebnissen in Europa und dem Anwachsen einer nationalistischen, populistischen rechten Politik deutlich.

Da, wo die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich und in Italien besonders hoch ist, sind die Wahlergebnisse entsprechend. Das Gleiche gilt für die Menschen, die soziale Unsicherheiten an anderer Stelle spüren.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Deshalb gibt es hier schon Zusammenhänge, und die Menschen in Europa fragen an der einen oder anderen Stelle in der Tat: Was bringt mir dieses Europa, was ist das große europäische Projekt?

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Vielleicht war das Letzte, was in Erinnerung geblieben ist, die Einführung des Euro.

(Helmut Seifen [AfD]: Unsinnig!)

Ich meine, es gilt trotz dieser langen Linien, die notwendig sind, die vertraglichen Grundlagen entsprechend anzupassen und unsere derzeitige europäische Politik von der Wettbewerbspolitik durch Handlungsebenen abzuleiten, die jetzt schon beschritten werden können. Diese allerdings tauchen im Antrag nicht auf, sollten aber unsere Unterstützung finden.

Man könnte eine europäische Garantie für einen Ausbildungsplatz jedes europäischen Jugendlichen schon heute aufgrund unserer europäischen Grundlagen aussprechen. Es wäre ein großer Schritt für Europa, jedem Jugendlichen in Europa einen sicheren Ausbildungsplatz und eine Ausbildung zu garantieren.

Wir könnten auf der Grundlage unserer heutigen Verträge die Mindestlöhne anpassen. Schauen Sie sich mal an, wie die Mindestlöhne in Europa differenzieren, nämlich zwischen knapp über 1 Euro bis zu 12 Euro. Da muss es doch einen Weg geben, auch im Sinne eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkts und eines gerechten Wettbewerbs, diese Mindestlöhne anzugleichen.

Wir könnten heute sehr viel stärker das unterstützen, was Arbeit schafft, nämlich europäische Investitionen. Die Europäische Investitionsbank stellt zusammen mit dem Juncker-Plan hierbei wichtige Instrumente zur Verfügung. Das wären Hebel, die bereits heute Wirkungen entfalten können, wenn wir sie stärker anpacken würden.

Nicht zuletzt möchte ich einen vierten Punkt erwähnen. Auch eine europäische Steuergerechtigkeit gegen Steuerdumping und Steuervermeidung würde ein sozialeres, gerechteres Europa schaffen können. Auch das ist mit unseren heutigen Instrumenten möglich. Man muss es nur wollen, Steueroasen zu schließen, um die Gewinnabschöpfung, die teilweise über Umwege erfolgt, wieder zur Finanzierung von Sozialprojekten nutzen zu können.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Johannes Remmel (GRÜNE): Nicht zuletzt – das geht an die Adresse der SPD –: Bereits heute könnten Möglichkeiten geschaffen werden, die Entwicklung des digitalen Kapitalismus in Europa zumindest mit bestimmten Instrumenten zu regulieren. Hier sei die Digitalsteuer genannt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Johannes Remmel (GRÜNE): Da ist der Bundesfinanzminister nicht hilfreich, solche Grundlagen nach vorn zu bringen.

Also: Wir unterstützen die Initiative der Sozialdemokraten, meinen aber, dass sie ergänzungsbedürftig ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit jedem EU-Antrag, den uns die SPD beschert, wächst meine Vorfreude auf den bevorstehenden Wahlkampf. Die SPD ist jetzt offenkundig nicht nur auf dem falschen Gleis, sondern sie nimmt dort auch noch richtig Fahrt auf.

Jan Fleischhauer schrieb neulich im „SPIEGEL“ – Zitat –:

„Die Sozialdemokraten verhalten sich ein wenig wie Journalisten, die sich für ihre eigenen Leser schämen, weil ihnen die zu provinziell und ungebildet sind, und die stattdessen lieber für andere Journalisten schreiben.“

So ist es ein bisschen auch mit diesem Antrag. Damit versetzen Sie vermutlich jeden Juso-Landesfachausschuss für Europa in Verzückung.

Aber fragen Sie mal den kleinen Mann, den Sie angeblich immer noch vertreten. Erklären Sie dem mal, was sich hinter den blumigen Worthülsen wie „soziale Konvergenz“ tatsächlich verbirgt. Fragen Sie ihn mal, was er davon hält, dass Sie seine Arbeitslosenversicherung, ja, am besten gleich die ganze Sozialversicherung, in die Hände der EU legen wollen.

(Christian Loose [AfD]: Das ist schön!)

Die Vergemeinschaftung der bisher nationalen Sozialsysteme soll – so Ihr Antrag – die beste Prävention gegen Populismus sein. Ich vermute mal, damit meinen Sie uns. – Wenn Sie sich da mal nicht irren.

Die Sozialsysteme in den EU-Mitgliedstaaten sind so vielfältig wie diese Länder selbst. Das ist auch kein Wunder.

(Christian Loose [AfD]: Das ist auch gut so!)

Die Südeuropäer können sich kein skandinavisches oder deutsches Fürsorgeniveau leisten, und umgekehrt kann hier keiner mit der Fürsorge auf rumänischem oder bulgarischem Niveau überleben. Herr Nückel hat das ganz richtig angesprochen.

Den Vorschlag eines einheitlichen Mindestlohns von Skandinavien bis nach Bulgarien, den Herr Remmel gerade vorgebracht hat, finde ich auch sehr kurios.

(Christian Loose [AfD]: Sieh an!)

Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass jede Angleichung von Sozialleistungen, aber auch von Mindestlöhnen für deutsche Bezieher nur eine Folge haben kann: eine Absenkung des Leistungsniveaus hin zum europäischen Durchschnitt. Das mögen Sie leugnen, Herr Weiß, aber anders wird es nicht funktionieren können.

Man kann daher im Interesse der Bürger eigentlich nur froh sein, dass die Landesregierung in dieser Angelegenheit bisher keine Impulse gesetzt hat, wie die Antragsteller es beklagen.

Man darf sich dabei natürlich nicht der Illusion hingeben, dass die CDU solchen Vorhaben grundsätzlich abgeneigt wäre. Aber offensichtlich hat sie sich noch etwas mehr politischen Restverstand als die SPD erhalten.

Der neue christdemokratische Hoffnungsträger aus Arnsberg war kürzlich noch selbst für eine einheitliche EU-Arbeitslosenversicherung. Aber jetzt, wo die Wahl bevorsteht, will er nichts mehr davon wissen. Wie so oft, wenn es um die EU geht, passt zwischen die Altparteien im Grunde kein Blatt. Nur der Form halber werden jetzt ein paar Unterschiede simuliert.

(Zuruf von der CDU: Ist klar!)

Dass jetzt aber ausgerechnet die deutsche Sozialdemokratie, die ja nicht unberechtigt auf ihre Verdienste im Zusammenhang mit der Herausbildung unseres Sozialstaats verweist, diesen nun auf dem Altar der allgemeinen EU-Besoffenheit opfern will, ist traurig.

Aber wenigstens wissen die Menschen im Lande nun, woran sie sind. Wer den deutschen Sozialstaat nicht leichtfertig herschenken möchte, der sollte besser nicht SPD wählen – Grüne, CDU und FDP aber besser auch nicht.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Meine Fraktion wird diesen Unsinn jedenfalls nicht mitmachen. Einer Überweisung in den Ausschuss stimmen wir aber selbstverständlich gern zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Heinen-Esser in Vertretung für Herrn Minister Dr. Holthoff-Pförtner.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur‑ und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben in Ihrem Antrag eine ganze Reihe von Forderungen an die Landesregierung gerichtet. Mit Blick auf die eingeräumte Zeit beschränke ich mich auf wenige Themen.

Das Erste, was ich nennen möchte, ist die Forderung nach einem Bekenntnis der Landesregierung zu den Artikeln 9 und 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dabei handelt es sich um geltendes europäisches Primärrecht, das bei der Umsetzung von EU-Recht grundsätzlich zu beachten ist. Das Bekenntnis können wir abgeben, aber es bedarf eines solch besonderen Bekenntnisses eigentlich nicht.

Bei dem Thema „Säule sozialer Rechte“ handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche gemeinsame Proklamation von Europäischem Parlament, Rat und Kommission. Mit der Einführung einer sozialen Säule sollten aus der Sicht der Landesregierung grundsätzlich keine neuen rechtsverbindlichen Mindeststandards auf EU-Ebene verbunden werden.

Das war allerdings von der Europäischen Kommission auch nicht beabsichtigt. Ziel der Kommission war es vielmehr, insbesondere in den Mitgliedstaaten mit noch ausbaufähigen Sozialstandards – um es so zu formulieren – Impulse zu geben und so Reformen auf nationaler Ebene voranzutreiben.

Hinsichtlich der Europäischen Arbeitsbehörde haben wir uns mit einem Antrag im Bundesrat dafür ausgesprochen, dass diese in einer Grenzregion angesiedelt wird. Damit können dann die Erfahrung und das Wissen vor Ort in die Tätigkeit der Arbeitsbehörde einfließen und bewährte Strukturen erhalten bleiben.

Uns ist das Interesse der Stadt Aachen, Standort der Europäischen Arbeitsbehörde zu werden, selbstverständlich bekannt, und wir unterstützen es, da die Region Aachen im Bereich der grenzüberschreitenden Arbeitsmobilität besonders aktiv ist.

Bevor es allerdings um die Frage des Standorts geht, muss zunächst geprüft werden, welchen Mehrwert eine solche EU-Behörde hat. Wie kann die Arbeit bestehender Strukturen ergänzt oder in die Arbeitsbehörde überführt werden? Hier laufen zurzeit die Abstimmungen in der Ratsarbeitsgruppe Sozialfragen.

Wir sind uns einig bei der Forderung nach einem maximalen Kofinanzierungsanteil von 50 % für stärker entwickelte Regionen bei den Strukturfonds. Dazu bedarf es allerdings auch nicht eines Antrags. Diese Position haben wir bereits bei der Stellungnahme des Bundesrats zum mehrjährigen Finanzrahmen Anfang Juli vertreten, und wir vertreten diese Position auch weiterhin. Ich werte das als Unterstützung unserer Tätigkeit.

Zum Abschluss freue ich mich auch über Ihr Interesse an unserem Vorsitz der Europaministerkonferenz. Sie zählen in Ihrem Antrag einige der nordrhein-westfälischen Prioritäten während der Vorsitzzeit auf und verweisen bereits auf den Beschluss, den die Europaministerkonferenz im Sommer zum sozialen Europa gefasst hat.

Deshalb: Auch hier braucht man wohl keinen weiteren Beschluss; aber man kann es natürlich noch einmal nennen.

Ich freue mich jedenfalls für meinen Kollegen, wenn ich das so sagen darf, auf die Diskussion im Ausschuss. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Wenn das so bleibt – es bleibt so –, schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4122 an den Ausschuss für Europa und Internationales – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Damit haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

9   Tierschutz beachten – besseren Brandschutz in Stallanlagen entwickeln und umsetzen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4108

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat unser Kollege Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brand eines Stalles ist immer schrecklich: zum einen für die Tiere, die dort oft einen qualvollen Tod sterben müssen, zum andern aber auch für die betroffenen Familien, denen die Ställe gehören.

Wer selbst mal einen Brand auf seinem Hof erlebt hat, weiß, wovon ich spreche: In dem Moment sieht man, wie die eigene Existenzgrundlage vernichtet wird – eine bedrückende Situation für die betroffenen Familien.

Aber – das wird oft vergessen – es ist auch eine bedrückende Situation für die Feuerwehrleute, die dort aktiv sind und oft miterleben müssen, wie die Tiere sterben, ohne dass sie irgendwie Hilfe leisten können. Daher macht es sicher Sinn, sich mit diesem Thema ausgiebiger zu beschäftigen, um Lösungsmöglichkeiten voranzutreiben.

Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es immer wieder große Stallbrände, in diesem Jahr bereits mehrere. Der schlimmste Vorfall war sicher in Rheine im Kreis Steinfurt, bei dem 8.000 Schweine gestorben sind.

Eine Zeit lang haben wir gedacht, die Zahl der Stallbrände würde zurückgehen, wenn bei modernen Ställen keine Einstreu, kein Stroh, mehr vorhanden ist – früher oft der Grund für Brände auf Bauernhöfen. Mittlerweile aber wissen wir: Dem ist nicht so. Stäube, elektrische Anlagen, die in modernen Ställen in großer Menge vorhanden sind, und vor allem die gut brennbare Dachkonstruktion aus Holz verursachen immer wieder verheerende Stallbrände.

Die Landesbauordnung ist da ganz eindeutig, was den einen oder anderen überraschen mag. Die Landesbauordnung schreibt in § 17 Abs. 1 Folgendes vor: Der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer muss vorgebeugt werden, und bei einem Brand muss die Rettung von Menschen und Tieren möglich sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das heißt, im Prinzip widerspricht das, was bei Stallbränden immer wieder passiert, nämlich dass alle Tiere sterben, der Landesbauordnung. Wir sind also aufgefordert, mehr zu tun.

Was können wir tun? Ich will zwei Punkte nennen:

Wie kann man erstens die Rettung verbessern? Dazu sage ich gleich kurz noch etwas.

Wir müssen uns aber zweitens darüber unterhalten: Wie können wir mehr Vorbeugung leisten, um das Entstehen von Bränden vermeiden?

Wir alle wissen: Wenn erst einmal ein Stallbrand entstanden ist, ist die Rettung von Tieren äußerst schwierig. Tiere haben im Brandfall ein ganz bestimmtes Verhalten, das es quasi mehr oder weniger unmöglich macht, die Tiere noch zu retten. Das gelingt höchstens bei einigen wenigen.

Wenn dem so ist, dass wir die Tierrettung nicht hinbekommen, dann ist es umso wichtiger, den vorbeugenden Brandschutz deutlich zu verbessern.

Vor ein paar Jahren habe ich mir bei einer Firma eine Wasservernebelungsanlage angeschaut. Dabei wird feinster Sprühnebel eingesetzt. Dort wurde mir gezeigt: Wenn ein Brand entsteht, wird er in wenigen Minuten im Keim erstickt – nicht dadurch, dass die Flammen durch das Wasser gelöscht werden, sondern dadurch, dass der Sauerstoff verdrängt wird; der Brandherd wird erstickt.

Wir müssen endlich mit den Versicherungsunternehmen ins Gespräch kommen, die diese Ställe versichern, ob man durch eine solche Vernebelungsanlage nicht präventiv etwas für den Brandschutz tun kann.

Für einen Maststall, der ungefähr eine halbe Million kostet, ist eine Vernebelungsanlage für ungefähr 5.000 Euro zu haben, wenn eine Installation machbar ist. Wenn man auf diese Weise präventiv etwas für den Brandschutz tun kann, müssen wir uns endlich auf den Weg machen, damit diese Bilder, die wir auch in diesem Jahr wieder gesehen haben, der Vergangenheit angehören.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich glaube, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten viele Gedanken gemacht haben, wie man Ställe technisch optimieren kann, und zwar im Sinne betriebswirtschaftlicher Optimierung. Das ist gut und schön; aber darüber haben wir den Brandschutz sträflich vernachlässigt, und wir werden unserer eigenen Landesbauordnung nicht gerecht. Unser Antrag soll einen Anstoß geben, diese Debatte wieder aufzunehmen.

Frau Ministerin, ich weiß, wie schwer es ist, wenn dabei zwei Ministerien zusammenarbeiten müssen. Das habe ich in den letzten sieben Jahren mitbekommen; das ist immer so. Aber es ist im Interesse des Tierschutzes dringend notwendig, dass das Bauministerium und das Umweltministerium Hand in Hand arbeiten, um beim Brandschutz voranzukommen und endlich Lösungen hinzukriegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben Interesse daran, bei diesem Thema, bei dem wir, wie ich glaube, alle gemeinsam vorankommen wollen, eine breite Debatte auf den Weg zu bringen, im Ausschuss breit zu diskutieren und Experten hinzuzuholen, wie zum Beispiel Brandschutzsachverständige, Feuerwehrleute, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Norwich Rüße (GRÜNE): … Versicherer, die Landwirtschaft selbst, Stallbauunternehmen.

Wir möchten die Debatte gerne führen, um in dieser tierschutzrechtlich relevanten Frage in Nordrhein-Westfalen nach vorne zu kommen und wegweisend für unser Land und vielleicht auch für Europa zu sein. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Winkelmann.

Bianca Winkelmann (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Antrag der Grünen greift ein ernstes und sehr wichtiges Thema auf.

Ich möchte Ihnen deshalb an dieser Stelle auch herzlich dafür danken, dass Sie diesen Antrag gestellt haben und uns damit die Möglichkeit geben, hier über dieses wichtige Thema zu diskutieren; denn jedes Lebewesen, das bei einem Stallbrand das Leben verliert, ist ein Lebewesen zu viel.

Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen weisen in ihrem Antrag zu Recht auf die bestehende Rechtslage hin und nennen die Landesbauordnung, die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und zu guter Letzt das Immissionsschutzrecht. Lassen Sie uns einmal einen Blick auf die Gesetzeslage werfen.

Nach Landesbauordnung müssen beispielsweise die Türen von Ställen nach außen aufgeschlagen werden, sodass die Tiere den Ausgang nicht versperren können. Zwischen eben jenen Türen dürfen maximal 40 m liegen. Egal, wo man steht, darf der Weg nach draußen nicht mehr als 35 m betragen.

Beim Blick in die Landesbauordnung findet man außerdem diverse Vorgaben für Wände, Pfeiler und Stützen sowie für Verkleidung und Dämmstoffe. Ab einer Stallgröße von 2.000 m2 ist eine Brandwand zwischen dem Wohnbereich und dem landwirtschaftlich genutzten Bereich notwendig.

Das waren ein paar Zahlen, Regelungen und Fakten, und diese Liste könnte man deutlich verlängern; denn bereits jetzt regelt eine Reihe von Vorgaben den Brandschutz in Ställen – egal ob für Hühner, Schweine, Rinder oder Pferde. Das sei der Vollständigkeit halber auch einmal gesagt.

In Ihrem Antrag gehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, auf Brände der vergangenen Monate ein. Jeder dieser Fälle ist, wie eingangs beschrieben, bedauerlich, traurig und für den Landwirt existenzbedrohend und sollte nach Möglichkeit verhindert werden; Sie beschreiben das detailliert.

Allerdings ist es nicht so – und diesen Eindruck erweckt Ihr Antrag leider auch –, dass in Nordrhein-Westfalen jeden Tag irgendwo Ställe brennen und der Landwirt im Zweifel vielleicht selbst noch die Schuld daran trägt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Sie nennen in Ihrem Antrag auch den Brand in Garrel – diese Stadt liegt übrigens in Niedersachsen und nicht in Nordrhein-Westfalen, das sei aber nur am Rande erwähnt. Dort verlor der betroffene Landwirt von einem Tag auf den anderen nicht nur seinen Tierbestand und damit die Grundlage seiner Existenz, sondern er sah sich wenige Tage später auch noch mit einer Strafanzeige durch die Organisation PETA konfrontiert. Fraglich ist, ob die selbst ernannten Aktivisten den Stall überhaupt kannten und sich mit der Situation auseinandergesetzt haben.

Ich bin mir jedenfalls zu 100 % sicher, dass kein Landwirt leichtfertig den Tod unzähliger Tiere in Kauf nimmt:

(Beifall von der CDU)

zum einen aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen und zum anderen vor allem aus Verantwortungsbewusstsein.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch selbstverständlich!)

– Natürlich.

Das muss die Grundlage für unsere Debatte sein.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch klar!)

Wir befinden uns inmitten einer Diskussion um die Tierhaltung der Zukunft, und zu dieser Diskussion gehören vernünftige und umsetzbare Bauvorschriften und im Geiste Ihres Antrags auch angemessene Brandschutzmaßnahmen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Bei alledem dürfen wir aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass die Landwirtschaft eine Branche ist, die uns durch ihre Arbeit an sieben Tagen der Woche und 52 Wochen im Jahr tagtäglich mit gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln versorgt.

Wir müssen ihr wieder als Partner zur Seite stehen. Das ist unser Anspruch als NRW-Koalition, und nur so werden wir eine tierschutzgerechtere Landschaft etablieren können.

Der Überweisung des Antrags in den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Watermann-Krass.

Annette Watermann-Krass (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, im zurückliegenden Jahr kam es zu mehreren Bränden in NRW. Alleine bei dem Großbrand in Rheine sind 8.000 Schweine verbrannt worden,

(Zurufe von der CDU – Rainer Deppe [CDU]: Verbrannt worden?)

die einen schrecklichen Tod starben.

(Rainer Deppe [CDU]: Warum sagen Sie „worden“?)

Gleichzeitig sind Schäden in Millionenhöhe entstanden.

Wir haben diesen Großschadensfall zum Anlass für Fragen im Fachausschuss genommen, und wir haben eine Antwort zum Großbrand im Schweinemastbetrieb in Rheine bekommen. Das Ministerium hat auch einen Überblick über den Sachstand gegeben, und ich würde darauf gerne noch einmal zurückkommen.

Seit 2015 wird die Baugenehmigung nach § 54 Bauordnung NRW nach der Fachempfehlung zum Brandschutz in Stallanlagen erteilt, die unter anderem strengere Regelungen zu Brandabschnitten enthält.

Diese Empfehlung wurde damals, wie es Herr Rüße jetzt auch einfordert, mit Sachverständigen sowie mit Vertretern der Feuerwehren, der Landwirtschaftskammer, der Bezirksregierungen sowie des Innen‑ und des Bauministeriums erarbeitet, und sie ist heute das Regelwerk, das zur Entscheidung herangezogen wird.

Viele der Regelungen für den Brandschutz in Ställen werden dort nach einzelnen Tierarten – das hatten Sie gerade aufgeführt – erläutert, und es werden wirksame Gegenmaßnahmen dargestellt. Außerdem werden die baulichen Anforderungen wie die Unterteilung in Bauabschnitte, offene Ställe, Löschwasserversorgung oder Rettungswege genau beschrieben.

Weiterhin gibt es für die Betreiber der Stallanlagen ein umfangreiches Beratungsangebot. Bei Umbauten oder Änderungen in den Ställen muss jedoch im Einzelfall geprüft werden, ob diese Fachempfehlung dann auch anzuwenden ist.

Den Ausführungen des Ministeriums konnten wir entnehmen, dass sich die Agrarministerkonferenz ebenfalls mit dem Thema befasst. Es gibt jetzt die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz, die prüft, ob weiterer Handlungsbedarf besteht. Letztlich wird auch dort über einen Verbesserungsbedarf beim Brandschutz von Tierhaltungsanlagen nachgedacht.

In dem vorliegenden Antrag der Grünen werden etliche Maßnahmen vorgeschlagen: Brandschutzkonzepte auch für kleinere Anlagen, Förderung von Offenställen, verpflichtende Installation von Sprinkleranlagen, Einrichtung von Brandschutzmauern und Verkürzung des Zeitraums zur Brandschau.

Der Antrag der Grünen legt einen großen Schwerpunkt auf das Tierwohl. Dagegen kann man wirklich nichts sagen. Allerdings gebe ich auch Folgendes zu bedenken: Die Ställe, von denen wir hier sprechen, stellen die Lebensgrundlage der Landwirte dar. Sie selbst haben ein vitales Interesse daran, ihre Anlagen zu schützen. Deshalb können wir vernünftigerweise davon ausgehen, dass sich in der Mehrheit an die gesetzlichen Regelungen gehalten wird.

Abschließend möchte ich festhalten: Die Forderungen der Grünen sind dort nachvollziehbar, wo der Vollzug der geltenden Gesetze eingefordert wird. Allerdings ziehen die von den Grünen geforderten Maßnahmen natürlich auch Investitionen nach sich, die vor allem von kleineren Betrieben nicht unbedingt gestemmt werden können.

Wir müssen uns deshalb im Fachausschuss darüber unterhalten, was zur Verbesserung der Sicherheit von Mensch und Tier notwendig und machbar ist. Natürlich stimmen wir der Überweisung zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Watermann-Krass. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Diekhoff.

Markus Diekhoff (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Brandschutz in Ställen ist ein wichtiges Thema, das nicht zu vernachlässigen ist. Das ist völlig richtig. Aus diesem Grund hat die Landesregierung im Rahmen der Nutztierhaltungsstrategie auch schon Konzepte entwickelt bzw. ist dabei.

Ich bin mir sehr sicher, dass unsere Landwirtschaftsministerin das Thema sehr ernst nimmt. Deshalb ist es falsch, dass dem Schutz von Tieren im Brandfall – wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben – derzeit nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Das würde auch ein sehr schlechtes Licht auf Ihre Arbeit in den vergangenen sieben Jahren werfen, wenn die Situation so schlimm wäre.

Jeder weiß, spätestens seit dem Desaster um den Berliner Flughafen, dass der Brandschutz in Deutschland eigentlich ganz gut vertreten ist. In den meisten Fällen haben wir nicht zu wenig Brandschutz.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Was tun wir denn für vorbeugenden Brandschutz?)

– In Ställen?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: In Ställen! Was passiert da beim vorbeugenden Brandschutz?)

– All das, was baurechtlich notwendig ist. Ich sagte ja gerade, dass man dabei ist, das Ganze zu überprüfen.

(Zurufe von Bodo Löttgen [CDU] und Henning Höne [FDP])

Man muss aber auch – das haben Sie gerade von der Kollegin der SPD, Frau Watermann-Krass, gehört – zumindest mal darüber nachdenken, ob das in der Radikalität nicht kleinere Betriebe überfordert. Beschleunigt das im Zweifel den Strukturwandel? – Das alles ist auch sehr, sehr teuer. Was ist mit den kleinen Bio-Betrieben, die auf Stroh setzen? Gerade Stroh stellt natürlich ein großes Risiko dar.

Hinsichtlich der Versicherungsprämien ist zu sagen: Keine Versicherung gibt Ihnen für Vorsorgemaßnahmen einen Rabatt, weil eine Versicherung ohnehin erwartet, dass Sie alles tun, um Brände zu verhindern. Deswegen gibt es für solche Präventivmaßnahmen keine Rabatte.

Offenställe sind ein spannendes Thema. Das ist vom Brandschutz her sicherlich nicht verkehrt. Das war bislang immer ein Problem im Emissionsschutzbereich; damit haben Sie ja oft gewedelt. Ich glaube aber, das könnte man in den Griff kriegen.

Ich freue mich auf eine spannende Debatte im Ausschuss und stimme der Überweisung zu. – Danke.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im vorliegenden Antrag fordern die Grünen mehr Brandschutz in Stallanlagen. Dabei stützen sie ihre Forderung auf einzelne Brandkatastrophen in der Vergangenheit.

Herr Rüße hat die Elektroinstallation erwähnt. Ja, das sind häufig die von Ihnen ideologisch gewollten Fotovoltaikanlagen, die zu einer Verendung der Tiere beitragen. Die Tiere sind Opfer Ihrer Ideologie.

Ich komme auf den Antrag zurück. Dort heißt es, Stallbrände würden eine erhebliche Gefahr für die dort gehaltenen Tiere darstellen. Im Antrag heißt es: Würden die Tiere nicht rechtzeitig aus den Flammen gerettet, würden sie im Feuer verbrennen. – Danke, dass Sie uns allen noch einmal die Wirkung von Feuer auf Säugetiere erklärt haben.

Der Antrag hat keinen besonderen Neuigkeitswert und bedeutet keinen Wissenszuwachs. Er ist so grenzenlos offen formuliert, dass er selbst gar nicht weiß, was er genau will, außer generell mehr Brandschutz in Stallanlagen zu fordern. Ihr Antrag erweckt den Anschein, es ginge Ihnen nur um politische Geländegewinne auf dem Rücken von Tragödien und Katastrophen.

Ich kann diesen ökopopulistischen Antrag bestenfalls als einen Aufschlag zu einer konstruktiven Diskussion im Umweltausschuss verstehen. Meine erste Kritik gebe ich Ihnen gleich mit auf den Weg: Ihr Antrag beginnt zunächst mit dem Annahmefehler, der Brandschutz wäre für Mensch und Tier gleichwertig. Richtig ist, dass kein Mensch und kein Tier im Feuer ums Leben kommen sollte.

Aber die dogmatische Gleichsetzung beim Brandschutz funktioniert im Realen natürlich nicht. Ein Schwein kann eben keinen Feuerlöscher bedienen. Eine Kuh kann nicht mit einem Notfallhammer die Scheiben einschlagen. Hühner können nicht Piktogrammen ins Freie folgen.

Sollen die Tiere deswegen verenden? – Nein, natürlich nicht. Deswegen ist es das erklärte Ziel der Landesbauordnung in Nordrhein-Westfalen und auch der Nutztierhaltungsverordnung sowie des Emissionsschutzgesetzes, tierkonforme Lösungen anzubieten. Das alles gehört auf den Prüfstand. Darüber hinaus müssen unpraktische Vorgaben wieder gestrichen werden.

Vergessen wir aber eines nicht: Kein Landwirt, der seine Tiere pflegt, will sie auf diese Art und Weise verlieren. Alles andere wäre eine infame Unterstellung. Ein Landwirt ist mit seinen Tieren schicksalsverbunden. Wenn ein Landwirt seine Tiere verliert, kann er nicht selten seinen landwirtschaftlichen Betrieb schließen.

Selbst wenn kein technischer Defekt den Brand im Stall ausgelöst haben sollte, sondern Brandstiftung, kassiert der Landwirt vorsorglich sowieso eine Strafanzeige von den angeblichen Tierschutzvereinen – rein aus Prinzip, versteht sich –, so geschehen vor etwa drei Monaten bei einem Milchbauern aus Nordrhein-Westfalen. Die Pseudotierschutzorganisation PETA war zwar nicht vor Ort, Strafanzeige gegen den Milchbauern hat sie dennoch gestellt. Bei der Staatsanwaltschaft ist man so etwas mittlerweile gewohnt; der Rechtsweg steht diesen Vereinen bekanntlich offen.

Man darf nicht vergessen, dass strengere Kontrollen auch die vorbildlichen Betriebe treffen. Was es wirklich braucht, sind Regelungen, die an den landwirtschaftlichen Betrieb angepasst sind. So schön eine offene Bestallung auch sein mag, in den Wintermonaten ist es kalt, und es wäre nicht artgerecht, die Schweine frieren zu lassen.

Können Mauern helfen? Soll das Hydrantennetz ausgebaut werden? Welche Feuerbeständigkeit müssen Brandschutztüren haben? – Das sind Fragen, die wir Brandschutzexperten stellen müssen und nicht vorgeblichen Tierschützern.

Aus der Jahresstatistik zur Gefahrenabwehr des nordrhein-westfälischen Innenministeriums geht im Übrigen hervor, dass die Zahl der Brände in landwirtschaftlichen Anwesen prozentual und absolut – selbst bei leicht gestiegenen Brandeinsätzen – insgesamt gesunken ist.

Es wird immer ein Restrisiko geben. Das bedeutet nicht, dass wir über die Brandgefahr nicht sprechen sollen, nur eben nicht auf eine Art und Weise der Panikmache und Hysterie. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Heinen-Esser.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich dafür, dass wir heute auch im Plenum über den Brandschutz in Stallanlagen diskutieren, nachdem wir es im Ausschuss bereits getan haben.

Ich war noch keine zwei Monate als Ministerin im Amt – das habe ich bereits im Ausschuss erzählt – und hatte es schon mit drei solcher Stallbrände zu tun. Das ist eine sehr hohe Zahl. Die höchste Zahl aber steht in Verbindung mit dem Brand, der der Grund dafür ist, dass wir heute miteinander diskutieren. Es handelt sich um den Vorfall in Rheine mit 8.500 verbrannten Schweinen.

Jeder Brandfall ist ein schreckliches Ereignis für Mensch und Tier, weshalb wir alles daransetzen müssen, die Vorsorge zu stärken und derartige Unglücke gar nicht erst möglich zu machen.

Ich bin mit meiner Kollegin Ina Scharrenbach einig, dass wir das Thema aufgreifen und von Grund auf angehen werden. Wir haben in meinem Haus die Projektgruppe „Nutztierhaltungsstrategie“ beauftragt, gemeinsam mit den betroffenen Ressorts, vor allen Dingen mit dem Bauministerium, nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Jetzt sind die fachlich erforderlichen Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen, und in der kommenden Woche werden sich die Experten auch in Ihrem Sinne, Herr Rüße, zusammensetzen. Dabei müssen wir zwei unterschiedliche Themenkomplexe unterscheiden.

Es geht einmal darum, baurechtliche und feuerschutzrechtliche Verbesserungen anzustreben, damit es künftig gar nicht erst zu solchen Brandereignissen kommt. Auch die Frage von amtlichen Kontrollen der betrieblichen Brandschutzmaßnahmen wird hierbei eine Rolle spielen.

Der zweite Themenkomplex betrifft die Vorsorge für die Tiere und deren Rettung im Schadensfall. Hierzu finden zurzeit ganz intensive Abstimmungen auf Bund-Länder-Ebene statt. Die Gremien, die sich damit befassen, sind die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz sowie das Fachgremium Arbeitsgruppe Tierschutz.

Es geht um die Frage, inwieweit zusätzlich von einer im Tierschutzgesetz verankerten Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht werden sollte, im Wege einer Rechtsverordnung speziell zur Evakuierung und zum Schutz von Tieren vor möglichen Brandschäden Schutzvorschriften zu erlassen.

Die Beratungen sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber wir können schon jetzt sagen, dass es ein eindeutiges Ja zum Erlass einer entsprechenden Tierschutzverordnung geben wird. Ich habe mich dabei bereits klar positioniert. Wir brauchen wirksame Sicherheitsvorkehrungen, und zwar nicht nur für den Brandfall, sondern auch im Falle sonstiger technischer Störungen, die eintreten können, beispielsweise bei einem Lüftungsausfall.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

– Genau.

Auch der Bau von Offenställen spielt in der Diskussion um den Brandschutz eine Rolle. Dieses Haltungsverfahren, das im Brandfall die Rettung von Tieren vereinfacht, ist aus Gründen des Tierwohls sehr positiv zu bewerten und wird daher auch von der Landesregierung unterstützt. Im Rahmen unserer Projektgruppe „Nutztierhaltungsstrategie“ prüfen wir zurzeit, mittels welcher Instrumente auch derartige Haltungsverfahren gefördert und bestehende Zielkonflikte – Stichwort: Emissionsschutzgesetz – gelöst werden können. Auch hier sind wir im Austausch mit den entsprechenden Bundesressorts, um Lösungen zu finden.

Abschließend darf ich sagen: Es ist gut, dass wir heute darüber diskutieren. Die Forderungen, die im vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen formuliert sind, können wir inhaltlich mittragen. Ich muss aber auch ehrlich sagen – und das darf ich als zuständige Ministerin –, dass wir schon richtig bei der Arbeit sind. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 9.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung dieses Antrages Drucksache 17/4108 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen in der Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Da beides nicht der Fall war, haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

10 Lokale Radiovielfalt in NRW erhalten – Die Landesregierung muss den technischen Einstieg des Lokalfunks in DAB+ finanziell fördern

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4119

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Alexander Vogt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der EC-Kartenbetrug in einem Schwimmbad, die Diskussion im Bauausschuss über Fahrräder in der Fußgängerzone oder die Einführung der Gelben Tonne – all das sind Themen, die die Menschen vor Ort interessieren.

In diesem Fall waren es alles Meldungen auf „RADIO RST“ in Rheine; die medienpolitische Sprecherin der CDU wird dieses Gebiet besonders gut kennen. Das alles sind Nachrichten, die über die 44 Lokalradios, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, verbreitet werden. Dort wird berichtet über das Leben in der Stadt, über Ergebnisse der Sportvereine, über Feiern in Gemeinden, über die Politik im Stadtrat.

Wenn wir uns diese lokale Vielfalt ansehen, stellen wir fest, dass wir eine Situation haben, wie wir sie in keinem anderen Bundesland vorfinden. Denn wir haben ein einmaliges Lokalfunksystem hier in Nordrhein-Westfalen. Übrigens arbeiten in diesem System rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und dieses System, das seit 1990 erfolgreich existiert, ist uns als SPD wichtig.

Finanziert wird das gesamte lokale Radiosystem über Werbung. Es sind private Radios. Wir haben in unserer Regierungszeit mit vielen Diskussionen, mit vielen durchaus kritischen Anmerkungen dafür gesorgt, dass es zu einer Werbereduzierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kam und somit die Lokalsender gestärkt wurden.

Wir haben im Ausschuss für Kultur und Medien Herrn Medienminister Laschet – er war in diesem Jahr übrigens nur ein einziges Mal anwesend – gefragt, ob er zu dem Lokalfunksystem, wie wir es heute mit der redaktionellen Vielfalt, der Ausgestaltung und der Mitarbeiterzahl, die ich gerade genannt habe, vorfinden, stehe und er sich für den Erhalt einsetze.

Er konnte nicht zustimmen. Er hat die Frage nicht positiv beantwortet. Und auch daran, dass er heute bei dem Medienthema nicht anwesend ist, sieht man, dass ihn dieses Thema herzlich wenig interessiert.

(Beifall von der SPD)

Ich kann verstehen, dass auch Herr Holthoff-Pförtner als Minister in diesem Kabinett nicht anwesend ist. Schließlich ist er Anteilseigner der Funke Mediengruppe, die zwölf Radiosender besitzt. Wie gesagt, dass er heute nicht anwesend ist, ist verständlich, aber dass der Ministerpräsident und Medienminister nicht anwesend ist, ist ein Zeichen dafür, was er vom Lokalfunk in Nordrhein-Westfalen hält.

Bisher wird das Lokalfunkprogramm über UKW verbreitet. Jetzt kommt das Webradio hinzu, und zukünftig soll die Verbreitung auch über DAB+, also digital, möglich sein. Wir möchten mit unseren Antrag erreichen, dass das Lokalfunksystem auch im Digitalradio abgebildet wird. Wir haben dazu bis vorgestern keine Initiative der Landesregierung wahrgenommen. Sie bzw. der Medienminister haben anderthalb Jahre geschlafen oder nichts mitbekommen. Unser Antrag fordert, endlich alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Wir wollen finanzielle Hilfen für den technischen Einstieg auch kleinerer Sender in DAB+. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wendet hierfür einen dreistelligen Millionenbetrag auf.

Ja, Frau Stullich, Herr Nückel, Sie werden gleich darauf eingehen. Sie haben eine Pressemitteilung verbreitet, dass die Landesregierung einen Gesetzentwurf zum Landesmediengesetz einbringen möchte. Ich hatte heute die Chance, mir diesen Entwurf kurz anzuschauen. Ich sage Ihnen: Das ist keine Hilfe für den Lokalfunk. Das, was Sie hier einbringen, wird schädlich sein für die Lokalsender, so wie sie jetzt bestehen. Das werden wir mit Ihnen diskutieren, wenn der Gesetzentwurf vorliegt.

(Beifall von der SPD)

Mit diesem Antrag fordern wir von Ihnen, Frau Stullich, bzw. von der Landesregierung, sich endlich gegenüber den Veranstaltergemeinschaften dazu zu bekennen, dass Ihnen die redaktionelle Vielfalt wichtig ist. Treten Sie hiermit endlich dem Eindruck entgegen, dass Sie das Lokalfunksystem in seiner jetzigen Form kaputt machen wollen.

(Beifall von der SPD)

Mit diesem Antrag haben Sie die Chance, zu dokumentieren, dass Sie zu dem bestehenden Lokalfunksystem mit seiner redaktionellen Vielfalt stehen. Gerade Sie, Frau Stullich, als ehemalige Chefredakteurin eines Lokalsenders müssten doch wissen, was lokale Vielfalt und Medienvielfalt wert sind. Darum fordern wir Sie auf: Schließen Sie sich unserem Antrag an und sagen Sie, dass Ihnen unser Lokalfunk in seiner Vielfalt, mit seinen einzelnen Veranstaltergemeinschaften und den Funktionen, die die Veranstaltergemeinschaften haben, wichtig ist. Bekennen Sie sich dazu, dass dieses System es wert ist, auch im DAB+-Bereich abgebildet zu werden. Dazu fordern wir Sie auf. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Jetzt hat Frau Kollegin Stullich für die CDU-Fraktion das Wort.

Andrea Stullich (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Alexander Vogt, also, dass mein Herz für den Lokalfunk schlägt, werden Sie mir in diesem Leben hoffentlich nicht mehr absprechen.

(Michael Hübner [SPD]: Ihnen hat er es auch nicht abgesprochen! Da muss ich ihn schützen!)

Ich kann dem einen oder anderen Satz in Ihrem Antrag durchaus etwas abgewinnen. Natürlich leisten die Lokalradios einen großen Beitrag zur Medienvielfalt, und natürlich steht der Radiomarkt vor großen Herausforderungen; das ist sicher nicht so schwer zu merken.

In Ihrem Antrag vermisse ich aber vor allem eines, nämlich eigene Ideen, wie der Lokalfunk zukunftsfähig gemacht werden kann. Allein die Tatsache, dass Sie fordern, die Landesregierung müsse den Lokalfunk bei DAB+ finanziell unterstützen, zeigt doch ganz offensichtlich, wie reformbedürftig das System ist, wenn es aus eigener Kraft offenbar nicht imstande ist, den Weg in die Digitalisierung zu beschreiten.

Das wirft meiner Ansicht nach ein sehr fragwürdiges Licht auf die ehemalige Regierungspartei SPD; denn ein System, das nach 30 Jahren nicht imstande ist, seine eigene Zukunft zu stemmen, hat ganz offenbar Probleme – Probleme, die von der Politik erst über Jahre ignoriert und dann über Jahre verschleppt worden sind, und zwar von Ihrer Politik, nicht von uns.

Das Zweisäulenmodell ist für die analoge UKW-Welt erfunden worden. Als die Lokalradios Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre gegründet wurden, spielten sie alle zum Sendestart noch einen Schlager mit dem schönen Titel „Volldampf-Radio“. Die Musik hat der Lokalfunk zum Glück weiterentwickelt, die Struktur dahinter aber nicht, und jetzt kommt ein neuer, ein digitaler Verbreitungsweg hinzu. Das gute alte UKW-Volldampf-Radio mit Einstellknöpfchen und Wurfantenne hat möglicherweise bald ausgedient.

Der Lokalfunk muss sich für die Zukunft aufstellen. Dabei sind seine Strukturen in 30 Jahren leider nie weiterentwickelt worden. Dadurch ist das System nach meiner Einschätzung schwerfällig und langsam geworden. Es kann nicht mehr in der gebotenen Zeit wirkungsvoll auf Veränderungen des Marktes reagieren. Das System lähmt sich selbst.

Diese gravierenden strukturellen Probleme sollten wir, lieber Kollege Vogt, besser erst lösen, bevor wir den Lokalradios Geld vor die Haustür kippen und sagen: „Ab morgen ist DAB+“ – ganz abgesehen davon, dass die Rechtslage das so einfach auch nicht hergibt, wie Sie sich das vorstellen.

In Ihrem Antrag ziehen Sie als Vorbild ausgerechnet Bayern heran. Ja, in Bayern werden die Lokalradios bei der Umstellung auf DAB+ unterstützt. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, BLM, ist schließlich auch der Veranstalter der privaten Hörfunkprogramme in Bayern, ganz im Gegensatz zur Landesmedienanstalt in NRW. Diese ist nämlich nur die Aufsichtsbehörde. Was ist das wiederum für ein halbherziges Bekenntnis zum Zweisäulenmodell, Kollege Vogt, wenn Sie Verhältnisse wie in Bayern fordern, wo es das Zweisäulenmodell gar nicht gibt?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, Frau Kollegin Stullich, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Vogt möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Andrea Stullich (CDU): Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. – Wir wollen einen starken Lokalfunk im digitalen Zeitalter, und zwar stark an Inhalten, vielfältig und wirtschaftlich stark. Für unsere Gesamtstrategie „Radio in NRW 2022“ ist es aber nicht zielführend, einzelne Aspekte wie die Finanzierung von DAB+ im Lokalfunk isoliert zu betrachten. Wir wollen die Themen im Zusammenhang bearbeiten und die Probleme überlegt und im Austausch lösen. Deswegen sprechen wir schon seit über einem Jahr mit allen Beteiligten, und zwar regelmäßig und intensiv, nicht nur 90 Minuten in einem Mini-Workshop.

Gerade weil wir die Akteure im Lokalfunk ernst nehmen, freue ich mich, dass der Entwurf der Landesregierung zum 17. Rundfunkänderungsgesetz vom letzten Dienstag auch Verfahrenserleichterungen für die LfM bei der Vergabe von DAB+-Frequenzen vorsieht. Damit kann die LfM dem Lokalfunk, falls er sich für DAB+ entscheidet, bei der Vergabe einen Vorrang einräumen.

Das ist ein wichtiger Impuls, um unsere Radiostrategie weiterzuentwickeln. Wir verbinden das mit der Erwartung, dass sich alle Beteiligten weiterhin so konstruktiv wie bisher in diesen Prozess einbringen für einen starken, vielfältigen Lokalfunk im digitalen Zeitalter.

Das ist unser Konzept, lieber Kollege Vogt. Ihres dagegen ist kein Konzept. Wir wollen erst eine Zukunftsidee entwickeln und dann über Geld reden. Die SPD fordert Geld ohne jede Idee für die Zukunft des Lokalfunks. Ich hoffe, das ändert sich bis zur weiteren Debatte im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Stullich. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war vorhin geneigt, eine Zwischenfrage zu stellen, denn ich hatte das Gefühl, dass Alexander Vogt gar nicht das will, was in dem Antrag steht. Er hat gar nicht dafür gesprochen, sondern höchstwahrscheinlich versehentlich ein Gegenargument gebracht. Aber den Hauptpunkt hat er gar nicht verteidigt, vielleicht will es ja gar nicht.

Die SPD und die Radioszene – das ist ohnehin eine lange Geschichte. Es gibt kaum einen Bereich, der so viel mit Kommunikation zu tun hat, bei dem die NRW-SPD bislang immer an den Problemen vorbeigeredet hat. – Jetzt schaut er ein bisschen skeptisch. Stimmt, ihr habt ja gar nicht geredet, ihr habt geschwiegen.

Liebe Antragsteller, der Eifer, mit dem man sich nunmehr in der Welt des Lokalfunks engagieren will, überrascht, wenn man bedenkt, mit welchem Stillstand Sie in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit geglänzt haben. Erinnern wir uns mal: Sie haben immer von lokaler Vielfalt geredet, aber immer nur Einfalt geliefert. Es gab sogar mal ein Netz von lokalen TV-Veranstaltern. Da wurde die SPD ganz nervös, sie geriet in Gängelungsrhetorik und Hektik. Na ja, bis zur krachenden Wahlniederlage 2017 hat auch fast keiner der Sender durchgehalten.

Das Lokalfunksystem stammt aus den End-80ern. Das ist auch okay. Leider sind Sie bei den Konzepten stehengeblieben, glaube ich. Es reichte auch nicht – Stichwort: Eumann, das ist noch gar nicht so lange her –, immer über DAB zu schimpfen, aber ansonsten als SPD keine Vorstellung davon zu haben, wie es mit dem System weitergeht.

Jetzt wollen Sie Ihre alten Fehler mit dem Griff in den Geldbeutel der Steuerzahler kaschieren. Es ist ein Irrglaube der SPD, Standort- und Medienpolitik

(Michael Hübner [SPD]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

durch staatliche Lenkung zu betreiben. Es ist ein Irrglaube, alles künstlich am Leben zu erhalten, bis es zerbröselt, völlig unabhängig von der Technikeinschätzung.

Wer sagt Ihnen, dass Sie den richtigen Übertragungsweg stützen? Und wenn DAB der Megahit wird – ich glaube, für einige Jahre wird das so sein –, glauben Sie wirklich, Sie können die finanziellen Hilfen einer privaten Lokalfunkveranstaltung Ihrer Wahl zukommen lassen, also denen, die es heute gibt? Ich glaube, das wird nicht gehen. Da müssen Sie die Anbieter schon gleichbehandeln.

Und was machen Sie mit den vielen Initiativen im sublokalen Raum – sublokal, fürchterliches Wort, ich weiß –, also aus dem kreisangehörigen Raum, in Pulheim, Petershagen oder Castrop-Rauxel? Selbst in Wanne-Eickel gibt es eine Initiative. Verräterisch ist, dass Sie nach Bayern schauen. Da ist aber auch die Medienanstalt Veranstalter. Es gibt kein Zwei-Säulen-Modell. Und das kleine Bayern hat sogar mehr Sender als NRW.

Wir müssen also genau schauen, in welchen Strukturen wir den Lokalfunk ins digitale Zeitalter überführen. Das hätte schon längst passieren müssen, klar.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Wir haben uns jetzt aber Zeit dafür genommen, mit den Akteuren und Protagonisten zu reden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Da gibt es auch andere, unter Umständen modernere Ansätze. Wir konnten beispielsweise Anfang November vernehmen, dass der OWL-Lokalfunk auf 5G und das Internet setzen wird und sich in der Übergangszeit sagt, dass das seit Jahrzehnten tot erklärte UKW-Netz, das ja lebt, und zwar stark lebt, vielleicht noch ein Jahrzehnt das meistgenutzte Empfangsgremium sein wird.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Nückel, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Jetzt ist es gelungen. Herr Kollege Vogt würde Ihnen jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen.

Thomas Nückel (FDP): Gerne.

Alexander Vogt (SPD): Vielen Dank, Herr Nückel, dass Sie die Frage zulassen. – Frau Stullich war ja nicht bereit. Sie hat sehr viel über Strukturen gesprochen, so wie Sie auch.

Sie haben gerade die Veranstaltergemeinschaften erwähnt. Die 44 Lokalsender haben Veranstaltergemeinschaften. Sie sind Träger der Lizenz. Sie haben sozusagen die Frequenz inne. Und in den Veranstaltergemeinschaften sitzt eine ganze Reihe von Organisationen, angefangen von Sozialverbänden über Kirchengemeinden bis hin zu Ratsmitgliedern der im Rat vertretenen Parteien.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die Frage!)

Sie beide haben davon gesprochen, dass Sie die Struktur verändern möchten.

(Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie weiterhin die Lizenz bei den Veranstaltergemeinschaften belassen und diese Veranstaltergemeinschaften als erfolgreiches Zwei-Säulen-Modell im UKW-Bereich aufrechterhalten wollen.

Thomas Nückel (FDP): Das werden wir bei den Gesprächen ermitteln. Ihre Frage war jetzt aber wieder sehr verräterisch.

(Alexander Vogt [SPD]: Ja oder nein?)

Sie wollen das alte UKW-Biotop in die Neuzeit übertragen. Das wird nicht gehen. Deswegen wird es Anpassungen und Veränderungen geben. Die Veranstalter sagen selber, dass sie aufgrund ihrer Regulierungskonstrukte teilweise Schwierigkeiten haben, für die Gremien noch genügend Leute zu finden. Lassen Sie uns das mal ideologiefrei und vorurteilsfrei untersuchen. Das tun wir. Sie haben sieben Jahre gepennt.

(Beifall von der FDP – Michael Hübner [SPD]: Sagen die Chefideologen immer!)

– Ja, ja. Man merkt, dass die SPD vor 20 Jahren stehengeblieben ist, weil sie mit den gleichen hohlen Vorschlägen wie damals kommt. Nur hat das mit dem neuen digitalen Rundfunk überhaupt nichts zu tun.

(Jochen Ott [SPD]: Kalter Kaffee!)

– Kalten Kaffee servieren Sie!

Wir müssen mal schauen, ob es zu spät forciert wurde oder doch eine Übergangstechnologie ist. Das werden wir mit DAB+ feststellen. Es gibt ein deutliches Interesse. DAB+ wird Realität, auch wenn Sie lange die Augen davor zugemacht haben. DAB+ wird hier den Radiomarkt bespielen, so wie auch in anderen Bundesländern.

Deswegen ist es ein richtiger Schritt, dass die Landesanstalt für Medien in die Lage versetzt wird, eine vielfaltsichernde Auswahl bei der Vergabe von DAB+ zu treffen. Die alten Regelungen, die Sie zu verantworten haben, sichern das nämlich nicht.

Wir setzen uns für ein zukunftsfähiges und vielfältiges Radio ein und verfolgen dabei die Gesamtstrategie Radio NRW 2022. Die hat viele Aspekte und nicht nur den einen, den Sie in Ihrem Tunnelblick immer gerne forcieren. Damit werden wir das System nach vorne bringen, und zwar mit Reformierungen, völlig klar. Ihre primär nur auf eine monetäre Unterstützung abzielende Lösung, die Sie hier vorgestellt haben, ist zu kurz gegriffen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sache ist natürlich kompliziert, und deshalb kann man das Ganze auch nicht in drei oder vier Beiträgen vom Redepult aus regeln. Ich bin der SPD zunächst dankbar, dass sie das Thema per Antrag auf die Tagesordnung gesetzt hat, weil wir es gemeinsam anpacken müssen.

Bei uns Grünen steht unter anderem im Wahlprogramm, dass wir DAB+ flächendeckend haben wollen. Wir sind der Meinung, dass man den Bereich des Radios bzw. des Hörfunks nicht auf Dauer von der Digitalisierung ausschließen kann. Wir digitalisieren alles in allen Bereichen, natürlich werden wir nicht ausgerechnet bei den Frequenzen bei einer analogen Technologie stehenbleiben.

Deshalb sind Anpassungsprozesse nötig. Ein Vorschlag liegt in Form dieses Antrags auf dem Tisch. Es ist sicherlich richtig, dass man darüber nachdenkt, Vielfalt auch dadurch zu sichern, dass man denen, die sie publizistisch erarbeiten, technische Hilfestellungen gibt. Bei der Umstellung auf die Digitalisierung werden wir nicht umhinkommen, über diese Fragen zu diskutieren.

Mir ist noch nicht ganz klar, in welche Richtung der Vorschlag der Regierung geht. Mit Datum von gestern haben wir den Entwurf erhalten, welcher einige Überlegungen enthält. Beim ersten Überfliegen habe ich noch keinen Vorschlag herauslesen können, der sich speziell auf die Lokalradios bezieht – möglicherweise habe ich ihn aber auch noch nicht konkret genug gelesen, er lag erst gestern bei mir auf dem Tisch –, was sich dann im 17. Rundfunkänderungsstaatsvertrag inklusive 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag befindet. Aber wir werden uns das noch mal ansehen; dafür ist der Ausschuss der richtige Ort. Deshalb überweisen wir heute diesen Antrag.

Die Vielfalt des Lokalradios ist in Nordrhein-Westfalen nicht nur im Sinne sehr vieler Angebote zu sehen, sondern wir haben auch eine publizistische Vielfalt. Frau Stullich weiß dieses Lied gut zu singen, weil sie aus der Branche kommt und eine Ahnung hat, was da Sache ist. Es geht vor allem darum, dass auch der private Rundfunk, so wie er in Nordrhein-Westfalen angeboten wird, über ein Qualitätsmerkmal verfügt, welches man in anderen Ländern nicht immer in der Form vorfindet.

Das hat etwas mit der Konstruktion zu tun, auf die Herr Vogt eben zu Recht schon hingewiesen hat. Die hat in Nordrhein-Westfalen eine Geschichte und sorgt für ein interessantes und in gewisser Weise auch ausgewogenes Verhältnis zwischen Lokalfunkangeboten einerseits und – über das Regionale und das Land hinweg – dem öffentlich-rechtlichen Angebot des WDR andererseits.

Vor dem Hintergrund kann ich es etwas kürzer machen, als die Redezeit es ermöglichte: Wir werden im Ausschuss, so hoffe ich, konstruktiv über das Thema diskutieren. Der Antrag bietet Anlass dazu, ebenso wie die Vorschläge im vorgelegten Entwurf der Regierung, den wir noch genauer studieren werden. Wir werden hoffentlich zu Lösungen kommen, die im Lokalfunk weiterhin das ermöglichen, was wir von ihm kennen und was wir gut finden.

Ich hoffe sehr, dass wir den Hörfunk betreffend in einer digitalen Welt auch in eine digitale Zukunft blicken und nicht auf Dauer nur auf die analoge Technologie setzen. Ich habe Sie, Herr Nückel, aber so verstanden, dass Sie das im Prinzip auch so sehen.

Wir werden DAB+ also weiter im Blick halten, uns technisch gemeinsam darauf einstellen und die politischen Voraussetzungen dafür schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganze sechs Radiosender leistet sich der WDR inzwischen im UKW-Bereich, weitere fünf Sender kommen digital hinzu. Mit seinem gewaltigen Budget von über 1 Milliarde Euro aus Rundfunkgebühren kann sich der Sender das natürlich auch leisten.

Man könnte also annehmen, dass die Bürger unseres Landes für das, was die Altparteien unter Meinungsvielfalt subsumieren, bereits mehr als genug bezahlen. Aber weit gefehlt: Jetzt soll der Gebührenzahler in seiner Funktion als Steuerzahler auch noch für den Ausbau einer Senderkette für vermeintlich unabhängige Rundfunkbetreiber aufkommen.

Wenn man nun wie wir dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einigermaßen kritisch gegenübersteht, hat man natürlich erst einmal eine positive Sicht auf unabhängige, private Anbieter. Aber auch da lohnt sich ein genauerer Blick – insbesondere, wenn die SPD sich für diese Anbieter starkmacht.

Auf den ersten Blick scheint es eine wirkliche Vielfalt zu geben. Ganze 44 lokale Radiosender gibt es in unserem Bundesland neben dem WDR. Das ist aber zumindest zum Teil eine Mogelpackung. Das Programm, welches unter 44 verschiedenen Labels versendet wird, kommt größtenteils von einem landesweiten Monopolisten, nämlich von radio NRW. Dieser liefert nicht nur große Programmstrecken an die sympathischen kleinen Sender, sondern er vermarktet gleichzeitig auch noch sämtliche Werbezeiten und teilt sich so mit dem WDR den Markt auf. Ein Einstieg für neue Anbieter ist quasi unmöglich.

Schauen wir einmal genau hin: Wer ist radio NRW? Wem gehört das Unternehmen? Herr Vogt hat es bereits angesprochen: Größter Anteilseigner ist die Funke Mediengruppe – den Europaminister freut das –, und bis vor Kurzem war der WDR selbst noch mit einem Viertel beteiligt. Das wurde durch das Kartellamt glücklicherweise beendet. Auch die SPD sollte hier lieber nicht mit dem Finger zeigen: Sie ist über ihre Medienholding ebenfalls beteiligt.

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

Mit anderen Worten: Sie bedienen sich bei dieser Gelegenheit mal wieder selbst, Herr Vogt. „Berlusconismus“ nennt man das in Italien.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Pharmakonzern!)

– Es war ein Pharmahändler, und wir haben es zurückgezahlt, Herr Kollege.

(Michael Hübner [SPD]: Der aus Belgien?)

Meine Damen und Herren, die Medienmärkte sind durch die Digitalisierung mitten in einem massiven Umbruchprozess.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Belgien auch?)

– Also, was schwarze Koffer angeht, muss ich mir von der CDU wirklich nichts erzählen lassen, Herr Kollege.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Herr Schäuble prüft das jetzt; er kennt sich ja bestens mit der Materie aus.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Wenn Sie es schon selber zugeben, dann wissen Sie ja, was auf Sie zukommt! – Gegenruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Es muss daher die Frage erlaubt sein, ob es sich überhaupt noch lohnt, größere Investitionen in eine Broadcast-Technologie zu tätigen, die der Verbraucher seit Jahren verschmäht. Im Videobereich erleben wir den Siegeszug der Streaming-Dienste, und auch im Audiobereich wartet die jüngere Generation nicht mehr darauf, bis ein Programmdirektor ihr Lieblingsprogramm abspielen lässt. Dafür hat man heute Spotify.

Spätestens dann, wenn eine breitbandige Internetverbindung mobil flächendeckend verfügbar ist – und das wird hoffentlich irgendwann passieren –, wird das klassische Radio vermutlich auch sein letztes Refugium – das Auto – räumen müssen.

Die Frage danach, ob das passiert und wie schnell es geht, kann heute aber offenbleiben; denn darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass es ganz sicher nicht Aufgabe des Steuerzahlers ist, privaten Medienanbietern ihre Distribution zu bezahlen. Insbesondere dann, wenn politische Parteien daran beteiligt sind, hat die Sache einen ganz faden Beigeschmack.

Nein, das ist einzig und allein die Aufgabe der Programmanbieter selbst. Und wenn sie das nicht leisten können, dann sind sie offenbar nicht marktfähig. Dann nützt es auch nichts, sie noch eine Weile künstlich am Leben zu erhalten. Eine 30 Jahre alte Medienordnung ist vielleicht einfach nicht mehr für das digitale Zeitalter tauglich.

Ich kann die Radionostalgie der SPD und anderer hier ganz gut nachvollziehen, schließlich hatten Sie die vermeintliche Medienvielfalt im Lande früher ganz gut im Griff – aber die Zeiten sind zum Glück vorbei.

Meine Fraktion jedenfalls wird eine weitere staatlich sanktionierte Zwangsbestrahlung mit Rundfunk nicht mittragen; schlimm genug, dass die Bürger WDR und Co. jedes Jahr mit Milliardenzahlungen finanzieren müssen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – In Vertretung für Herrn Ministerpräsidenten Laschet hat nun Herr Minister Laumann für die Landesregierung das Wort. – Bitte schön.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag der NRW-Koalition heißt es klipp und klar: „Wir entwickeln eine Gesamtstrategie ‚Radio NRW 2022‘ für ein vielfältiges und zukunftsfähiges Radio und einen wirtschaftlich tragfähigen Lokalfunk im digitalen Zeitalter.“ Wir sind uns also einig darin, dass wir in unserem Land auch in Zukunft einen starken Lokalfunk brauchen. Er ist für die Meinungsvielfalt in unserem Land unverzichtbar.

Der SPD-Antrag bezieht sich auf einen von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenes Gutachten zur Radiolandschaft. Dieses Gutachten hat bei seiner Vorstellung am 25. September 2018 erhebliche Aufmerksamkeit erfahren, weil es verdeutlicht, vor welche Herausforderungen die Digitalisierung des privaten Lokalfunks das Land Nordrhein-Westfalen stellt.

Jetzt kommt es darauf an, dass alle beteiligten Akteure gemeinsam den besten Weg hin zu einer guten Zukunft des Lokalradios definieren. Dafür hat die Landesanstalt für Medien einen transparenten, systematischen Prozess begonnen, in den sich auch die Landesregierung mit zahlreichen Gesprächen einbringen wird.

Die Leitfragen sind:

Erstens. Wie erhalten wir auch im digitalen Zeitalter ein vielfältiges Radio in NRW, das die Menschen vor Ort, in ihrer Heimat, mit allen wichtigen Informationen versorgt?

Zweitens. Wie lässt sich sicherstellen, dass der Lokalfunk wirtschaftlich stark genug ist, um den digitalen Wandel aktiv anzugehen?

Drittens. Wenn ein Einstieg in DAB+ der richtige Weg ist, wie lässt er sich finanzieren?

Viertens. Welche Strukturen braucht der Lokalfunk in Zukunft, um auf all diese Fragen selbstständig und unabhängig Antworten geben zu können?

Der Landesregierung ist es wichtig, die Diskussion voranzutreiben, auch hier im parlamentarischen Raum. Mit dem Entwurf zum 17. Rundfunkänderungsgesetz, der am Dienstag im Kabinett verabschiedet worden ist und im nächsten Plenum in den Landtag eingebracht werden soll, wird die Landesregierung in Abstimmung mit den Landesanstalten für Medien dafür die ersten Impulse geben.

Ziel ist, dass sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren alle relevanten Akteure konstruktiv einbringen. So können zeitnah wichtige Weichen für die Sicherung des nordrhein-westfälischen Lokalradios im digitalen Zeitalter gestellt werden.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass wir auch in Zukunft starke Lokalradios in Nordrhein-Westfalen haben, vor allem im Kreis Steinfurt. In diesem Sinne – schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt eine rechtzeitig angemeldete Kurzintervention des Abgeordneten Vogt von der Fraktion der SPD. Es steht Ihnen frei, darauf gleich vom Rednerpult oder von Ihrem Platz aus zu antworten. – Jetzt aber hat erst einmal der Kollege Vogt für 90 Sekunden Kurzintervention das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Herr Laumann, auch wenn Sie jahrelange Ministererfahrung haben und ein mächtiger Minister in diesem Kabinett sind, ist es doch ein Problem bei solchen Debatten, wenn der Medienminister selber nicht anwesend ist. Es ist natürlich schwierig, Ihnen eine Frage zu stellen oder auf eine Reaktion von Ihnen zu warten.

(Widerspruch von der CDU und der FDP)

– Sie sind ganz schön dünnhäutig, wenn es um dieses Thema geht; Frau Stullich lässt keine Zwischenfragen zu.

Wenn Sie über eine neue Struktur reden, würde ich gerne von Ihnen wissen, ob Sie zu den Menschen stehen, die darauf achten, dass wir Medienvielfalt haben, und die letztendlich auch die Programmverantwortung tragen: Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lokalfunksystem, mehrere Tausend Aktive, die ehrenamtlich in den Veranstaltergemeinschaften tätig sind: Sozialverbände, Rotes Kreuz, die Kirchen, ganz verschiedene Organisationen.

Stehen Sie weiterhin zum Zweisäulenmodell, in dem die Verleger auf der einen Seite den betriebswirtschaftlichen Teil abdecken und die gesellschaftlichen Gruppen auf der anderen Seite die Programmverantwortung tragen?

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Es geht dabei nicht um die DAB+ sondern um das existierende UKW-System. Oder wollen Sie das verändern? Sagen Sie es doch eindeutig, wenn Sie es verändern wollen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie wissen doch genau, dass der Minister diese Frage nicht beantworten kann!)

Möglicherweise wollen Sie den Verlegern die Lizenzen, oder was auch immer übertragen. Das müssen Sie dann auch erklären, anstatt dieser Frage die ganze Zeit auszuweichen, nichts dazu zu sagen und sich nicht zum Zweisäulenmodell zu bekennen – das ist ein starkes Stück, und da werden wir Sie so einfach nicht rauslassen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen (CDU): Was Sie hier abliefern, ist ein starkes Stück!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege. Die 90 Sekunden haben wir absichtlich so in der Geschäftsordnung festgehalten. – Jetzt hat Herr Minister Laumann das Wort für die Entgegnung.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Kollege, Sie können erstens davon ausgehen, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen immer nah bei den Menschen steht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie können zweitens davon ausgehen, dass wir die Meinungsvielfalt, die Unabhängigkeit des Radios, auch des Lokalradios in Nordrhein-Westfalen, auf jeden Fall erhalten wollen.

(Beifall von der CDU)

Sie können darüber hinaus davon ausgehen, dass für die Landesregierung die Begriffe „Regionen“ und „Heimat“ eine außerordentlich wichtige Bedeutung haben.

(Dr. Nadja Büteführ [SPD]: Oooh!)

Wir wissen, dass das Lokalradio Informationen verbreitet, die nur in bestimmten Regionen von Interesse sind; es aber gerade wegen dieses regionalen Bezugs relativ hohe Einschaltquoten hat.

Ich habe eben in meiner Rede sehr deutlich gemacht, wie wir den Prozess hin zu einer Struktur, die auch in der neuen Zeit wirtschaftlich tragfähig ist, gestalten wollen. Natürlich steht noch nicht jeder Zwischenschritt fest, aber wie wir dieses Thema strukturell angehen wollen, steht fest. Wenn man den Weg weiß, wird man auf diesem Weg Erkenntnisse gewinnen und das Ziel erreichen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ob die Struktur dann letztlich noch UKW oder vielleicht anders heißt, ist eine Wie-Frage, aber keine Ob-Frage.

(Alexander Vogt [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)

Die Ob-Frage zielt darauf ab, dass wir zu einem vielfältigen, unabhängigen, regionalbezogenen Lokalfunk stehen – der im Übrigen für mich die einzige Möglichkeit ist, meine Stammwähler zu erreichen. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war die Erwiderung auf die Kurzintervention. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein interessanter Tagesordnungspunkt und eine interessante Aussprache. Gleichwohl sind wir am Ende der Aussprache, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.

Somit könnten wir nun abstimmen über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/4119 an den Ausschuss für Kultur und Medien zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Darf ich fragen, ob es hierzu Gegenstimmen gibt? – Enthaltungen? – Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

11 Lernen über Europa für Europa: Europapolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit weiter stärken

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4106

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Abgeordneten Remmel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat ist das aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Thema: „Lernen über Europa für Europa: Europapolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit weiter stärken“. Ich möchte dazu – das ist vielleicht etwas ungewöhnlich – nicht selber reden, sondern andere reden lassen.

„Ein Ausbau der Förderung von europapolitischer Bildungsarbeit und Unterstützung pro-europäischer Zivilgesellschaft ist dringend nötig. Eine aktive Teilhabe junger Menschen am politischen und gesellschaftlichen Leben kann nur sichergestellt werden, wenn das nötige Demokratieverständnis vorhanden ist. Die Arbeit der politischen Bildung muss stärker unterstützt und ausgebaut werden. In einer Zeit der Unsicherheit und großer Herausforderungen muss das europäische Bewusstsein junger Menschen aktiv gefördert werden.“

So jedenfalls die Forderungen der Jungen Europäischen Föderalisten.

Bei der Europäischen Bewegung Deutschland heißt es:

„Um den zahlreichen nationalen und europäischen Herausforderungen beizukommen, muss die Bildungsarbeit intensiviert werden. Die Europäische Union kann durch vermehrte und neue Bildungsangebote nur profitieren – Bildung über Europa ist gleichermaßen Bildung für Europa.“

Außerdem heißt es dort:

„Europapolitische Bildungsarbeit muss in den Schulen vorangetrieben werden, darf sich jedoch nicht auf den schulischen Kontext beschränken. Außerschulische politische Bildung nimmt bei immer knapper werdenden zeitlichen Ressourcen im Schulalltag eine stetig wachsende Rolle ein.“

So jedenfalls die Europäische Bewegung Deutschland, in der auch Parteien engagiert sind.

Es wird noch interessanter, wenn ich zitiere, was Frau Schulministerin Gebauer und Herr Europaminister Holthoff-Pförtner zur 9. Jahrestagung der Europaschulen, die am kommenden Montag hier im Landtag stattfindet, in ihrer Einladung schreiben:

„Wir wollen europapolitische Bildungsarbeit noch stärker unterstützen, um Schülerinnen und Schülern und ihren Familien aufzuzeigen, welche Chancen Europa bietet und in welchem Europa wir in Zukunft leben wollen. Den Europaschulen in Nordrhein-Westfalen kommt hier eine besondere Rolle zu.“

(Beifall von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Zum Schluss zitiere ich den Wichtigsten, den ich an dieser Stelle noch zitieren müsste, um Sie zu überzeugen, unserem Antrag tatsächlich zuzustimmen:

„Wir müssen daran verstärkt arbeiten, die EU den Menschen besser zu erklären.“

Und:

„Wir wollen die Idee der europäischen Einigung in der nordrhein-westfälischen Zivilgesellschaft fester verankern, zum Beispiel gezielt durch Veranstaltungen von uns und durch Unterstützung proeuropäischer Initiativen und Akteure in unserem Land.“

So der Ministerpräsident in einem Interview neulich in einer nordrhein-westfälischen Zeitung. Wenn es einer noch stärkeren Überzeugung bedurft hätte, dann wäre es an dieser Stelle der Ministerpräsident.

Bitte stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu: für europäische Bildung, für ein geeintes Europa. Das bedarf der Unterstützung.

Machen Sie es nicht, wie so oft an anderen Stellen: viele Worte, keine Taten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das war aber Ihre Spezialität, Herr Remmel! Das war eindeutig Ihre Spezialität!)

Hier sind Taten gefordert. Deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Kollege Dr. Berger das Wort. Ich sehe ihn aber nicht. Wir sind ja auch etwas zügiger vorangekommen.

Aber Herr Kollege Weiß ist im Raum. Herr Kollege Weiß, dann haben Sie jetzt für die Fraktion der SPD das Wort, es sei denn, die CDU meldet mir zum jetzigen Zeitpunkt einen anderen Redner. Ansonsten sind wir flexibel genug, das so zu handhaben. Herr Kollege Weiß, Sie haben das Wort, wenn Sie es denn wollen.

Rüdiger Weiß (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe gehört, ich habe noch einen gut. Dann löse ich das jetzt ein, Michael. Das kriegen wir hin.

(Michael Hübner [SPD]: Sehr gut, Rüdiger!)

Wir unterstützen den Antrag der Grünen, denn er zeigt nicht nur Verbesserungsmöglichkeiten an verschiedenen Stellen unseres Bildungssystems auf, sondern er richtet die Aufmerksamkeit auch auf die gesamtgesellschaftliche Debatte. Das ist dieser Tage, wie ich finde, bitter nötig. Denn wenn wir eines lernen mussten in den letzten Jahren und Jahrzehnten, dann, dass es offenbar keinen Automatismus gibt, der die Menschen das wertschätzen lässt, wovon sie profitieren.

Ich möchte an dieser Stelle auch nicht gefühlt zum hundertsten Mal erklären, wo, wie und warum die Menschen in Europa insgesamt von Europa profitieren. Viele Punkte davon sind auch schon in dem Antrag genannt.

Wir sind der Meinung, dass kein noch so positives Europanarrativ, keine noch so positive Europaerzählung und keine noch so gut funktionierende Öffentlichkeitsarbeit die inhaltliche Weiterentwicklung der EU vorantreiben und ersetzen können. Europa muss besser werden, wenn es beliebter werden will.

Fakt ist aber auch, dass Europa an vielen Stellen schon unglaublich gut ist, viel besser zumindest als sein Ruf. Jahrzehntelang wurde Europa für alles verantwortlich gemacht, was gerade nicht so gut lief. Das und die lange Abwesenheit einer echten Kommunikationsstrategie für Europa sowie der Umstand, dass Frieden, freier Personen- und Warenverkehr, kultureller Austausch und vieles mehr als selbstverständlich hingenommen werden, haben dem Ruf des Projekts Europa nachhaltig geschadet.

Das Resultat können wir in ganz Europa und leider auch in NRW betrachten. Anfang der Woche hat der Herr Minister auf einem Europasymposium in Düsseldorf mit Rolf-Dieter Krause, dem ehemaligen Leiter des ARD-Studios in Brüssel, diskutiert. Ein Satz, den Herr Krause in diesem Zusammenhang gesagt hat, beschreibt das Dilemma, in dem die Europäische Union steckt, ganz gut. Er hat gesagt: Brüssel macht überhaupt nichts, und verschiedene Regierungen machen etwas in Brüssel.

Vieles in Europa – das muss man zugeben, das sagen auch wir – läuft nicht optimal. Um an einer Verbesserung zu arbeiten, muss zunächst klar sein: Welche Probleme und welche Entscheidungen müssen auf welcher Ebene gelöst werden? Es ist zwingend notwendig, eine Öffentlichkeit für europäische Themen herzustellen. Da ist auch die Landespolitik in der Pflicht.

Wir müssen bessere und nachhaltigere Kommunikationsstrategien entwickeln, die alle Bürgerinnen und Bürger erreichen. Nur so können wir Europa das Image verschaffen, das es verdient.

Den Ansatz, dabei besonderen Wert auf die junge Generation zu legen, vertreten auch wir. Wenn Jugendliche bereits zur Schulzeit mit dem europäischen Konzept in Berührung kommen und die Europäische Union mit all ihren Vorzügen, beispielsweise durch Austauschprogramme, erleben dürfen, ist das ein guter Grundstein für die Zukunft Europas.

Wie der Antrag hervorhebt, gibt es einige gute Bildungskonzepte, die diese Chancen bieten. Ich verweise auf das Erasmus-Programm, das vielen Studierenden die Möglichkeit bietet, das europäische Ausland kennenzulernen.

Dass es ebenfalls Programme für Auszubildende gibt, die Europa kennenlernen möchten, ist noch viel zu wenig bekannt. Das müsste viel mehr in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Auch Zusatzqualifikationen, zum Beispiel zum Europaassistenten, erhalten so gut wie keine öffentliche Aufmerksamkeit. Da muss dringend nachgeschärft werden.

Die Landesregierung ist besonders in der Pflicht, auch diesem Programm Aufmerksamkeit zu schenken und es besonders zu fördern. Europa verbessern können wir nur gemeinsam. Dafür müssen wir in der Lage sein, jungen Menschen die Chance zu geben, sich zu mündigen Europäerinnen und Europäern zu entwickeln. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Weiß. – Für die Fraktion der CDU erhält nun Herr Kollege Dr. Berger das Wort. Bitte schön.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie zunächst um Entschuldigung für das Vorgehen gerade und bedanke mich für Ihr Verständnis. – Wir diskutieren heute über einen Antrag zur europäischen Öffentlichkeitsarbeit. Die Fraktion der Grünen hat es richtig erkannt und formuliert: Nordrhein-Westfalen liegt im Herzen der Europäischen Union. Allein diese Erkenntnis rechtfertigt schon die Befassung mit diesem Thema.

In der Tat ist das Thema „Europa“ in den letzten Wochen verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt und wird mit der Europawahl im nächsten Jahr das herausragende politische Ereignis sein.

Die Forderungen in Ihrem Antrag gehen alle in eine Richtung; sie sind vielfach und oft im Europaausschuss besprochen worden. Ich sichere Ihnen für meine Fraktion eine ergebnisoffene Diskussion zu.

Vorab möchte ich Ihnen aber sagen, dass im Haushalt des Europaministeriums die Ansätze sowohl für Bildungs- als auch für Öffentlichkeitsarbeit und auch für die anstehende Europawahl berücksichtigt werden. Das Land prüft derzeit eine Beteiligung am Erasmus+-Programm.

Die Gründung der Europaschulen war letztlich ein Ergebnis der Regierung von Jürgen Rüttgers. Die Finanzierung der Europaschulen ist gesichert; das ist klar.

Damit sind einige Punkte Ihres Antrages bereits im Vorfeld erledigt.

Lassen Sie mich diesen Antrag zum Anlass nehmen, um einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Auf der einen Seite schreiben Sie, dass das Eurobarometer die höchste Zustimmung zur Europäischen Union seit 35 Jahren zeigt. Auf der anderen Seite führen Sie auf, dass die Europäische Union zur Projektionsfläche diffuser Ängste mutiere und eine ablehnende Haltung gegenüber Politik und den Repräsentanten dieser Politik erfolge.

Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Europapolitische Bildungsarbeit ist – da stimme ich den Grünen ausdrücklich zu – erforderlich. Sie bleibt aber wirkungslos, wenn politische Gruppierungen in unserem Land – von rechts wie von links – hemmungslos gegen Europa agieren.

Wir haben eine politische Rechte in unserem Land. Diese politische Rechte zeichnet die Zukunft negativ, schürt Angst vor dem technologischen Wandel, behauptet, Wahrer einer diffusen Identität zu sein, und versucht damit, künstlich eine Distanz zwischen Bevölkerung und Regierung zu erzeugen.

Aus diesem Versuch, die Gesellschaft zu spalten, soll politisches Kapital gezogen werden. Damit wird nicht nur die Gesellschaft gespalten, sondern durch eine Verunglimpfung des politischen Systems wird eine Europafeindlichkeit erzeugt.

Nicht nur die Bildungsarbeit, die es allein nicht schaffen wird, sondern alle politisch-demokratischen Kräfte sind aufgerufen, Kritik an der EU nicht auszublenden, bestehende Defizite anzupacken und zu beseitigen.

Ähnliche Argumentationsmuster sehen wir bei der politischen Linken. Hier wird beispielsweise mit dem Begriff der Austerität operiert und suggeriert, dass anonyme Kräfte in der Europäischen Union mit bösen Absichten arme Menschen zum Sparen zwingen. Es soll der Eindruck erzeugt werden, dass die Europäische Union Erfüllungsgehilfe eines unmenschlichen internationalen Finanzsystems sei. Im Ergebnis führt auch diese Argumentation zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu einer Entfernung vom Konstrukt Europa.

Die Europäische Union wird derzeit von rechts bekämpft und von links verunglimpft. Deshalb ist es richtig und wichtig, wie im Antrag der Fraktion der Grünen angesprochen, europäische Bildungsarbeit zu stärken. Mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger ist es aber, ein Zusammenstehen aller demokratischen Kräfte zu erzielen, um auf die Mehrheit unserer Gesellschaft positiv einzuwirken.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Zukunft der europäischen Gesellschaft kann nicht im Isolationismus, Nationalismus oder im hemmungslosen Schuldenmachen liegen; die Argumentation für eine erfolgreiche Europäische Union muss mehr denn je unser aller Ziel sein. In diesem Sinne freue ich mich auf eine weitere Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Dr. Berger, es gibt eine angemeldete Zwischenfrage der Abgeordneten Walger-Demolsky, wenn Sie die zulassen wollen.

Dr. Stefan Berger (CDU): Meine Redezeit ist beendet. Wir haben ja im Ausschuss alle Zeit, über diesen Antrag zu reden. Ich denke, das ist okay. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Dann hat als nächster Redner für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Nückel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, der Antrag ist gut gemeint, aber eigentlich finde ich ihn überflüssig. Wenn man sich schon als Nachhilfelehrer aufschwingt, sollte man doch besser im Stoff sein. Jetzt wirkte das ein bisschen wie eine an sich lauwarme Inszenierung mit viel heißer Luft.

Natürlich ist es immer toll, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu stärken, aber das wirkt in dem Antrag doch ein bisschen hilflos und hohl, wie es auch immer wohlfeil ist, zur Europawahl aufzufordern. Ja, was denn sonst? Wenn staatliche Stellen das tun, wirkt es manchmal etwas schräg. Da sind Aktivitäten wie „Pulse of Europe“ und aus Verbänden und der zivilen Gesellschaft wesentlich dienlicher. So groß ist die Unzufriedenheit auch gar nicht, wie Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken.

Um zum Antrag zu kommen: Wie die Europaministerkonferenz gestaltet wird, welche Themen im Fokus stehen, werden die bundesdeutschen Landeseuropaminister selbst festlegen können, und niemand muss ihnen dabei die Hand führen. Wir haben mit unserem Minister für Europaangelegenheiten einen leidenschaftlichen Moderator für diese Europaministerkonferenz. Das erarbeitete Konzept – es lohnt sich, es zu lesen – ist wohldurchdacht, und es ist auch keine Nachbesserung von Ihrer Seite aus erforderlich.

Ich habe mir bei der Lektüre des Antrags der Grünen die Frage gestellt, aus welchem Zweck heraus dieser Antrag gestellt wurde. Im Beschlussteil geben Sie Antworten auf Fragen, die doch im Grunde bereits intensiv beantwortet worden sind. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung nach der Stärkung der europapolitischen Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Ja, die ist wichtig, und damit hat sich auch die Europaministerkonferenz im Februar dieses Jahres bereits beschäftigt.

Der Schwerpunkt der Vorsitzperiode von NRW im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit wurde auf die Vorbereitung der Europawahl gelegt, um die Werte und Errungenschaften der Europa-Union besser zu vermitteln und die öffentliche Sichtbarkeit zu erhöhen und deren Nutzen für die Menschen aufzuzeigen.

Ja, es ist notwendig, zu argumentieren, für uns alle draußen, vor allem, wenn immer nur auf die Nachteile der EU, beispielsweise auf die hohen Kosten verwiesen wird. Besser wäre es, zu fragen, wie teuer es uns zu stehen kommen würde, wenn es keine EU gäbe. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Nückel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort. Bitte sehr.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem es den EU-Gläubigen in allen Parteien nicht mehr so recht gelingt, den Bürgern die vermeintliche Großartigkeit ihres Projekts glaubhaft zu machen, bedienen sie sich mehr und mehr des Instrumentariums totalitärer Diktaturen.

Nach dem Brexit, nach den beeindruckenden Erfolgen EU-kritischer Parteien auf dem gesamten Kontinent, nachdem die EU-Institutionen auf immer heftigere Ablehnung stoßen, wäre es eigentlich an der Zeit gewesen, zumindest einen Moment innezuhalten und darüber nachzudenken, ob es nicht Zeit für eine Umkehr oder zumindest für eine Kurskorrektur ist.

Aber auf solche Ideen kommen Sie alle nicht; der vermeintlich dumme Bürger hat einfach nicht verstanden, welche Wohltaten ihm Brüssel doch immer wieder angedeihen lässt. Sicherheitshalber zählt sie der Antrag dann gleich auch noch einmal auf.

Da ist von einer langen Friedenszeit die Rede, von der Sie meinen, sie sei ein Produkt der EU. Das ist historisch gewagt, denn es gibt schließlich die EU erst seit den 1990er-Jahren, und es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die bei der Verhinderung von Krieg in Europa eine Rolle gespielt haben.

Auch das freie Reisen verdanken wir, wie es heißt, Brüssel. Auch das gehört eher ins Märchenreich. Wir Deutschen können mit unserem Reisepass – das können Sie nachlesen – in 177 Länder der Welt reisen, ohne ein Visum zu beantragen. Das ist mehr als bei jedem anderen Land.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

– Rein rechnerisch, Herr Kollege: 151 Länder, die nicht in der EU sind.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Aber ich wohne an der Grenze und kenne den Unterschied!)

Natürlich darf der freie Warenverkehr nicht fehlen. Das ist für uns als Exportland freilich auch ein zweischneidiges Schwert. Zwar können wir zollfrei in den Binnenmarkt exportieren, aber der schrumpft im weltweiten Vergleich seit Jahren. Im Verkehr mit Drittstaaten ist die EU nichts anderes als eine Zollunion und erhebt teilweise erhebliche Zölle, die unseren Exporteuren natürlich auch zu schaffen machen.

Meine Damen und Herren von den Grünen, Herr Remmel, Sie bedienen also schon in der Einleitung Ihres Antrags einen bunten Strauß von Lebenslügen, mit dem Sie sich Ihr EU-Projekt schönbeten wollen. Demnach fällt es dann auch schwer, Ihnen zu glauben, dass es Ihnen – wie es im Antrag heißt – um bessere Informationen gegen Vorurteile und Falschmeldungen in Bezug auf Europa und die EU geht. Falsch ist in Ihrer Filterblase offenbar nur die Information, die die EU in einem schlechten Licht erscheinen lässt, und davon gibt es leider so einige.

Sie können und dürfen der Auffassung sein, dass die EU die Lösung aller unserer Probleme ist, dass wir einen Superstaat brauchen und dass die Nationalstaaten abgeschafft gehören. Das ist völlig legitim, aber es ist nicht besonders klug. Schwierig und sogar totalitär und antidemokratisch wird es erst, wenn Sie diese Meinung zur allgemeingültigen erklären wollen und sich staatlicher Mittel und Steuergelder bedienen, um die Bürger unseres Landes, insbesondere die jungen Menschen, damit zu indoktrinieren.

Wenn Ihre EU so toll ist, wie Sie das immer behaupten, und wenn das so sehr auf der Hand liegt, dann sollten Sie doch keinen Grund haben, sich vor einem fairen und demokratischen Meinungsaustausch zu fürchten.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Da machen Sie sich mal keine Sorgen!)

Schon jetzt lässt sich die EU ihre Öffentlichkeitsarbeit Millionen kosten und finanziert mit hübschen Fördersummen die gewünschte Berichterstattung in den Medien, glücklicherweise und offenbar ohne nennenswerten Erfolg. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu grotesk, wenn Sie diesem Steuergeld nun weiteres hinterherwerfen wollen, um den EU-Propagandaapparat weiter aufzublähen. Und demokratisch ist das ganz sicher nicht.

In Amerika sagt man: Du kannst ein Schwein mit Lippenstift anmalen, und es bleibt trotzdem ein Schwein. So ist das auch mit der EU. Wenn alle bisherigen Propagandaanstrengungen nicht ausgereicht haben, um sie den Bürgern schmackhaft zu machen, dann muss man sie vielleicht schön machen und nicht schönreden.

Es wird Sie daher nicht überraschen, dass meine Fraktion den Antrag nicht unterstützen kann, einer Ausschussüberweisung aber natürlich zustimmt.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Meine Damen und Herren, das war der Abgeordnete Tritschler für die Fraktion der AfD. – Nun hat für die Landesregierung in Vertretung von Herrn Minister Holthoff-Pförtner Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage es vorweg: Ich glaube, diese Debatte ist doch nötig. Ich habe anfangs gedacht, sie sei nicht nötig, weil wir ja alle überzeugte Europäer sind.

(Helmut Seifen [AfD]: Sind wir auch!)

Das habe ich gedacht bis zum letzten Redner.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Danach habe ich etwas erlebt, was ich in meiner Zeit als Abgeordnete noch nie erlebt habe:

(Helmut Seifen [AfD]: Wir sind überzeugte Europäer!)

jemand, der die friedens- und freiheitsstiftende Wirkung der Europäischen Union verneint

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

und in diesem Plenum sogar ablehnt.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, …

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein, keine Zwischenfrage. Ich möchte das gern im Zusammenhang vortragen.

In den 50er-Jahren ist die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Vorläufer der Europäischen Union mit sechs Staaten gegründet worden.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Seitdem haben die Europäer zusammengefunden. 500 Millionen Menschen leben heute in Frieden und Freiheit. Wir haben einheitliche Standards.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Wir Deutschen gehören zu den Hauptprofiteuren dieser Europäischen Union. Das muss auch einmal ganz deutlich gesagt werden.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich danke all jenen, die sich hier in diesem Parlament wirklich für die Europäische Union aussprechen, die sich für Frieden und Freiheit aussprechen,

(Helmut Seifen [AfD]: Das tun wir auch!)

die sich dazu bekennen, dass wir für die Idee der Europäischen Union weiter werben, auch in schwierigen Zeiten. Noch einmal: Die EU hat uns den Wohlstand gegeben, den wir heute haben.

(Zurufe von Sven Werner Tritschler und Helmut Seifen [AfD])

Sie sprechen von schrumpfendem Wachstum innerhalb der Europäischen Union. Aber noch exportieren wir heute am meisten in die Europäische Union.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier über europäische Öffentlichkeitsarbeit. Ich verlasse jetzt das Redemanuskript meines Kollegen, muss ich offen gestehen. Ich meine: Wir brauchen die europäische Öffentlichkeitsarbeit. Das merkt man hier an dieser Debatte.

(Christian Loose [AfD]: Weil Sie keine andere Meinung zulassen wollen, deshalb brauchen Sie die!)

Wir müssen wesentlich stärker in die europäische Öffentlichkeitsarbeit gehen, um zu zeigen, was wir tatsächlich machen, welche guten Themen von der Europäischen Union kommen.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Die Landesregierung ist aktiv dabei. Wir haben zurzeit den Vorsitz der Europaministerkonferenz. – Wissen Sie, wenn Sie immer dazwischenrufen: Ich habe bei Ihrer Rede ganz still dort gesessen, obwohl es mich wirklich ein bisschen gegruselt hat.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Deshalb erwarte ich, dass Sie mir jetzt auch zuhören. Ansonsten werden Sie es ja nie lernen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wir haben seit dem 1. Juli dieses Jahres den Vorsitz der Europaministerkonferenz. Wir verfolgen natürlich Landesinteressen bei dem Thema „Europa“. Wir bringen unsere Interessen dort voran, hin zum Bund, zur Europäischen Union. Es gibt viele Fördermittel, die auch einen Mehrwert der Europäischen Union zeigen. Wir werden sicherlich noch erheblich mehr dort investieren, damit wir es schaffen, auch in unserem Land klarzumachen, welche positiven Wirkungen die Europäische Union hat.

Ich freue mich über jeden Tag, den ich in Frieden und Freiheit in der Europäischen Union leben kann. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin Heinen-Esser, es ist eine Kurzintervention angemeldet worden. Es steht Ihnen frei, diese am Rednerpult entgegenzunehmen und zu beantworten oder von Ihrem Platz aus.

Ich gebe jetzt Frau Abgeordneter Walger-Demolsky das Wort und das Mikrofon für 90 Sekunden Kurzintervention frei.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass auch die Abgeordneten der AfD überzeugte Europäer sind.

(Lachen von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Rüdiger Weiß [SPD]: Das ist der größte Witz, den Europa je gehört hat!)

Wir sind nur keine überzeugten Bürger der Europäischen Union, so wie sie jetzt ist. Sie ist nicht demokratisch aufgebaut, sie wird beherrscht vom Europarat und nicht vom Europäischen Parlament. Demokratie funktioniert anders als das, wie Europa im Moment aufgebaut ist. Derzeit kümmert man sich dort um Bananen, um Staubsauger, um viele Dinge, um die sich die Nationalstaaten selbst kümmern könnten.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Wir freuen uns über ein gemeinsames Europa mit der Schweiz

(Michael Hübner [SPD]: Die Schweiz ist doch nicht Europa!)

und auch demnächst mit Großbritannien.

(Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben 90 Sekunden Zeit für die Entgegnung. Bitte.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Wir waren dann wahrscheinlich auf zwei unterschiedlichen Sitzungen. Denn Ihren Vorredner habe ich ganz deutlich …

(Helmut Seifen [AfD]: Nein! – Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

– Sagen Sie mal, ich habe Ihnen zugehört, und Sie rufen schon wieder dazwischen. Ich finde das ungehörig, muss ich mal deutlich sagen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ihr Kollege hat eben alle Errungenschaften der Europäischen Union in Zweifel gezogen. Das funktioniert so nicht. Es sind deutliche Fortschritte – Sie haben gerade das Thema angemahnt – im Europäischen Parlament erzielt worden. Natürlich muss alles, was an Verordnungen über den Europäischen Rat kommt, im Europäischen Parlament gegengespiegelt werden. Alle Kommissare müssen sich im Europäischen Parlament verantworten. Wir gehen im Jahr 2019 in die Wahlen zum Europäischen Parlament. Sie werden demokratisch ausgetragen.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir wählen demokratisch unsere Europaparlamentarier, die mit Leib und Seele für die europäische Idee eintreten.

Sie haben die Standards kritisiert. Wenn man in Deutschland andere Standards hat als in Spanien, werden Sie sich in Zukunft ganz schön die Augen reiben, wenn Sie dort beispielsweise andere Steckdosen vorfinden und Sie Ihren Fön nicht anschließen können.

(Beifall von der CDU)

In diesem Sinne appelliere ich an Sie: Nehmen Sie, wie hier gefordert, die Mittel zur europäischen Öffentlichkeitsarbeit ernst.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Machen Sie sich mit der europäischen Idee vertraut. Dann können Sie als echte europäische Demokraten auch in diesem Landtag sprechen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Das bleibt auch bei einem Blick in die Runde so.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4106 an den Ausschuss für Europa und Internationales – federführend –, an den Ausschuss für Schule und Bildung, an den Wissenschaftsausschuss und an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Darf ich fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das bei dem festgestellten Abstimmungsverhalten der Fraktionen einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, es ist 16:45 Uhr. Wir sind am Ende unserer heutigen Plenarsitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 16. November 2018, 10 Uhr, und wünsche allen einen angenehmen arbeitsreichen Nachmittag und Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 16:46 Uhr