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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/39

17. Wahlperiode

14.11.2018

 

39. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 14. November 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

1   Diesel-Urteile: Was unternimmt die Landesregierung, um Fahrverbote in NRW noch zu verhindern?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4161

In Verbindung mit:

Diesel-Fahrverbote in Köln und Bonn – Regierung Laschet ist gescheitert

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4162

In Verbindung mit:

Welchen Plan hat die Landesregierung zur Verhinderung von Fahrverboten?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4163. 5

Arndt Klocke (GRÜNE) 5

Christian Loose (AfD) 7

Thomas Kutschaty (SPD) 8

Rainer Deppe (CDU) 10

Bodo Middeldorf (FDP) 12

Ministerin Ursula Heinen-Esser 13

Jochen Ott (SPD) 15

Jochen Ritter (CDU) 16

Arndt Klocke (GRÜNE) 18

Markus Diekhoff (FDP) 19

Dr. Christian Blex (AfD) 20

Ministerin Ursula Heinen-Esser 21

André Stinka (SPD) 22

Josef Hovenjürgen (CDU) 24

2   Mit der Strategie für ein digitales Nordrhein-Westfalen gut gerüstet für die digitale Zukunft

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3579

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Digitalisierung und Innovation
Drucksache 17/4149. 25

Florian Braun (CDU) 25

Christina Kampmann (SPD) 26

Marcel Hafke (FDP) 28

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 29

Sven Werner Tritschler (AfD) 31

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 31

Ergebnis. 33

3   Gesetz zur Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4115

erste Lesung. 33

Christian Dahm (SPD) 33

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU) 35

Henning Höne (FDP) 37

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 39

Roger Beckamp (AfD) 41

Ministerin Ina Scharrenbach. 41

Bodo Löttgen (CDU) 43

Stefan Kämmerling (SPD) 45

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 48

Henning Höne (FDP) 48

Ergebnis. 49

4   Lebenswert, innovativ und klimafreundlich: Zukunftsfähige Entwicklung des Rheinischen Reviers strategisch gestalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4104. 49

Wibke Brems (GRÜNE) 49

Romina Plonsker (CDU) 50

Guido van den Berg (SPD) 52

Dietmar Brockes (FDP) 56

Christian Loose (AfD) 58

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 58

Christian Loose (AfD) 60

Wibke Brems (GRÜNE) 61

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 62

Ergebnis. 64

5   Sepsissterblichkeit nachhaltig verringern – Erstellung und Umsetzung eines landesweiten Sepsisplans

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4124. 64

Dr. Martin Vincentz (AfD) 64

Daniel Hagemeier (CDU) 65

Christina Weng (SPD) 66

Susanne Schneider (FDP) 67

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 67

Minister Karl-Josef Laumann. 68

Dr. Martin Vincentz (AfD) 69

Ergebnis. 70

6   Fragestunde

Drucksache 17/4160. 70

Mündliche Anfrage 28

der Abgeordneten Regina Kopp-Herr (SPD)

Dramatische Entwicklung der Wohnungslosigkeit von Frauen in Nordrhein-Westfalen  70

Welche Gründe sieht die Landesregierung in der steigenden Obdachlosigkeit von Frauen?  70

Was tut die Landesregierung, um die Wohnungslosigkeit von Frauen in NRW zu bekämpfen?  70

Minister Karl-Josef Laumann. 70

Mündliche Anfrage 29

des Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)

Welche konkreten Forderungen und Maßnahmen zur Bewältigung des Kohleausstiegs durch die nordrhein-westfälische Steinkohlewirtschaft, insbesondere die heutigen Steinkohlekraftwerksstandorte, hat die Landesregierung in die Verhandlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung eingebracht?. 81

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 81

Mündliche Anfrage 30

der Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt (SPD)

Was kosten die Fehleinschätzungen des Ministerpräsidenten Laschet die NRW-Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?. 88

Wieviel Kosten verursacht der bereits erfolgte Planungsprozess durch das Architekturbüro? Warum setzt Ministerpräsident Laschet kein Limit für die Umbaumaßnahmen im Landeshaus?  89

Beantwortung in der nächsten Fragestunde

7   Weiterentwicklung der Digital Hubs als regionale Digitalagenturen für StartUps und Mittelstand – Stärken ausbauen und eigene Profile weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4114. 89

Florian Braun (CDU) 89

Jörn Freynick (FDP) 90

René Schneider (SPD) 91

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 93

Sven Werner Tritschler (AfD) 94

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 94

Ergebnis. 95

8   Strukturwandel im Rheinischen Revier konkret machen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4117. 95

Guido van den Berg (SPD) 95

Dr. Patricia Peill (CDU) 97

Ralph Bombis (FDP) 98

Wibke Brems (GRÜNE) 99

Christian Loose (AfD) 101

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 102

Ergebnis. 103

9   Wie steht es um die Mitbestimmung, die gesellschaftliche Verantwortung und das selbstbestimmte Studium an den Hochschulen in NRW?

Große Anfrage 5
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2612

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 17/3674. 103

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 103

Dr. Stefan Berger (CDU) 104

Dietmar Bell (SPD) 106

Moritz Körner (FDP) 109

Helmut Seifen (AfD) 110

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 112

Dietmar Bell (SPD) 113

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 114

10 Neue Flächen für Wohnraum-, Gewerbe- und Industrieentwicklung im Rheinischen Revier ausweisen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4118. 114

Guido van den Berg (SPD) 114

Henning Rehbaum (CDU) 116

Jörn Freynick (FDP) 117

Horst Becker (GRÜNE) 118

Christian Loose (AfD) 119

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 120

Ergebnis. 120

11 Mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Elektroschrott – Entsorgungsinitiative für ausgediente Smartphones auf den Weg bringen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4109. 121

Norwich Rüße (GRÜNE) 121

Dr. Christian Untrieser (CDU) 122

Jürgen Berghahn (SPD) 123

Stephan Haupt (FDP) 123

Dr. Christian Blex (AfD) 125

Minister Herbert Reul 125

Ergebnis. 126

12 Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (AG InsO)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3947

erste Lesung. 126

Minister Dr. Joachim Stamp
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)

Ergebnis. 126

13 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Ablösung und Änderung weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/4097

erste Lesung. 127

Minister Lutz Lienenkämper
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 127

14 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Prüfung der Wahlen zum Landtag des Landes NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4112

erste Lesung. 127

Ergebnis. 127

15 Fit für die Zukunft europaaktiver Kommunen – In eine reibungslose Zusammenarbeit von Kommune, Land, Bund und EU investieren

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4120. 127

Ergebnis. 127

16 Versteigerung der 5G-Frequenzen stoppen und neu ausrichten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4111. 127

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 127

Thorsten Schick (CDU) 128

Sebastian Watermeier (SPD) 129

Rainer Matheisen (FDP) 130

Sven Werner Tritschler (AfD) 130

Minister Herbert Reul 131

Ergebnis. 132

17 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 12
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/4159. 132

Ergebnis. 132

18 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/16. 133

Ergebnis. 133

Anlage 1. 135

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (AG InsO)“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Dr. Joachim Stamp. 135

Anlage 2. 137

Zu TOP 13 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Ablösung und Änderung weiterer Gesetze“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Lutz Lienenkämper 137

Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach        
(ab 15 Uhr)

Ministerin Ursula Heinen-Esser 
(ab 16:30 Uhr)

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 
(ab 17 Uhr)

Ralf Jäger (SPD)         
(bis 14 Uhr)

Eva Lux (SPD)

Karl Schultheis (SPD)

Berivan Aymaz (GRÜNE)          

Sigrid Beer (GRÜNE)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 16:30 Uhr)

Verena Schäffer (GRÜNE)        
(ab 15 Uhr)

Marcus Pretzell (fraktionslos)

Frank Neppe (fraktionslos)       
(ab 12 Uhr)

 

 

 

Beginn: 10:02 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 39. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

(Unruhe – Glocke)

1   Diesel-Urteile: Was unternimmt die Landesregierung, um Fahrverbote in NRW noch zu verhindern?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Drucksache 17/4161

In Verbindung mit:

Diesel-Fahrverbote in Köln und Bonn – Regierung Laschet ist gescheitert

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4162

In Verbindung mit:

Welchen Plan hat die Landesregierung zur Verhinderung von Fahrverboten?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4163

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion der AfD und die Fraktion der SPD haben jeweils mit Schreiben vom 12. November 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu den oben genannten drei aktuellen Fragen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Abgeordneten Klocke für die Grünen das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns zum wiederholten Male hier im Plenum mit diesem Thema. Wir haben im letzten Herbst, im Frühjahr und im Sommer schon ausführlich debattiert, und heute ist das Ganze erneut Thema.

Im letzten Herbst war hier in der Debatte der Tenor sehr klar: Um Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen zu verhindern, braucht es eine wirksame Hardwarenachrüstung, es braucht eine blaue Plakette, und es muss weitere Maßnahmen zur Verkehrswende geben, die der Bund finanzieren sollte.

Es gab bereits 2015 einen einstimmigen Beschluss der Umweltministerkonferenz, unter anderem aus NRW initiiert, der ein solches Maßnahmenpaket gefordert hat, aber die Bundesregierung hat es nicht durchgesetzt.

Im letzten Jahr – ich erinnere mich an meine Rede und will mich jetzt nicht selber zitieren – haben wir gesagt: Wenn diese Maßnahmen – konsequente Hardwarenachrüstung, blaue Plakette, wirksame Nachrüstungsmaßnahmen –, wie sie auch viele Oberbürgermeister in Nordrhein-Westfalen gefordert haben – so der Oberbürgermeister von Bonn, die Oberbürgermeisterin von Köln und der Oberbürgermeister von Düsseldorf –, nicht umgesetzt werden, wird es möglicherweise oder mit großer Wahrscheinlichkeit zu Fahrverboten kommen.

Das haben damals die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen weit von sich gewiesen. Die These lautete in etwa, die Deutsche Umwelthilfe wäre gekauft und all die Klagen wären nicht rechtmäßig zustande gekommen.

Dann kam es im Februar dieses Jahres zu dem Grundsatzbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Dieses Urteil sagt ganz klar: Fahrverbote sind grundsätzlich als Maßnahme möglich, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen und als Ultima Ratio.

Statt dann zu handeln, hat der heute leider nicht anwesende Ministerpräsident in einer Pressekonferenz für seine Verhältnisse ungewöhnlich hemdsärmelig erklärt, dieses Urteil aus Leipzig sei nicht nur falsch, sondern Fahrverbote seien unverhältnismäßig, überdies er halte Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen für rechtswidrig.

Meine Damen und Herren, zum Begriff „rechtswidrig“: Nun haben wir seit vielen Jahrzehnten zum Glück die Situation, in einer Demokratie zu leben – in Deutschland seit 100 Jahren, wenn auch mit einem traurigen Intermezzo. Eine Verbindung zwischen Exekutive und Judikative existiert nicht. Darüber, ob Fahrverbote rechtswidrig sind, entscheiden in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik immer noch Gerichte und kein Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

So kam es, wie es kommen musste: zunächst das Verwaltungsgericht in der Heimatstadt des Ministerpräsidenten, in Aachen, mit einem klaren Urteil, und in der letzten Woche das Verwaltungsgericht in Köln mit einem glasklaren Urteil. In dieser Woche urteilt noch das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Wir werden sehen, wie der Richterspruch dort ausfällt.

Ich würde mich wundern, wenn er deutlich von dem abwiche, was bisher in zehn deutschen Städten – darunter drei nordrhein-westfälische Metropolen – geurteilt worden ist. Insgesamt sind 14 Klagen von der Deutschen Umwelthilfe gegen Städte in Nordrhein-Westfalen anhängig.

Wir Grüne haben heute diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir von der Landesregierung wissen wollen: Was unternimmt die Landesregierung, um die Städte, für die es jetzt schon ein Urteil gibt, dabei zu unterstützen, diese Fahrverbote noch zu verhindern?

Denn darüber bestand politische Einigkeit in diesem Haus: Fahrverbote sind kein guter Weg, um eine Verkehrswende voranzubringen und für saubere Luft zu sorgen.

Liebe Frau Umweltministerin Heinen-Esser, es ist nicht fünf vor zwölf, sondern es sind dreißig Sekunden vor zwölf, wenn man Fahrverbote noch verhindern will. Deswegen interessiert uns sehr, was Sie in den kommenden Monaten unternehmen wollen, damit es zum Stichtag 01.04.2019 möglicherweise doch nicht zu Fahrverboten in Köln kommt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin nicht unbedingt dafür bekannt, der FDP nahezustehen und sie zu loben. Ich habe mich aber durchaus gefreut und fand es richtig, dass sowohl der Fraktionsvorsitzende als auch der verkehrspolitische Sprecher hier in mehreren Parlamentsreden deutlich gemacht haben, dass die FDP ganz klar für eine herstellerfinanzierte Hardwarenachrüstung eintritt.

Ich frage mich nur, warum die FDP sich in der Landesregierung damit nicht durchsetzen konnte. Warum macht die Landesregierung des größten Bundeslandes mit Ministerpräsident Laschet – dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU – an der Spitze in Berlin keinen konsequenten Druck, damit dies auch zur Position der Bundesregierung wird?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Stattdessen irrlichtert Herr Scheuer herum. Wer letzte Woche das „Vergnügen“ – das kann man nur in Anführungsstrichen setzen – hatte, das Interview mit Frau Slomka zu sehen, konnte feststellen: Dort hat er in einer Kaskade von Fake News Sachen behauptet, die in keiner Hinsicht stimmen.

Er hat behauptet, dass die millionenfach manipulierten Diesel in keinster Weise dazu beitrügen, dass die Schadstoffbelastung in den Innenstädten hoch sei und es zu Fahrverboten komme. Er hat auch behauptet, dass es keine einsatzfähigen Nachrüstsätze gäbe. Zudem lasse er im Keller seines Ministeriums keine Nachrüstsätze zusammenschrauben. – Das ist wirklich Quark!

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt alleine in Nordrhein-Westfalen zwei Hersteller, HJS und Twintec, die über solche Hardware-Nachrüstsätze verfügen und nur darauf warten, dass das Kraftfahrtbundesamt die notwendige Genehmigung erteilt und diese Nachrüstsätze in die betroffenen Pkw eingebaut werden können.

Warum hat Herr Scheuer in diesem Bereich so viel Spielraum in der Bundesregierung? Warum gibt es bei dieser Frage keinen Widerspruch aus dem größten Bundesland? Das sind Fragen, die Sie zu beantworten haben.

Ein weiteres Argument von Herrn Scheuer in aller Kürze: Er behauptet, Hardwarenachrüstungen würden dazu führen, dass es zu einem erhöhten Verbrauch und zu einem erhöhten Schadstoffausstoß kommt. Dazu gibt es eine bemerkenswerte ADAC-Langzeitstudie, die genau diese Zahlen widerlegt.

Stattdessen setzt die Bundesregierung auf Flottenerneuerung, also auf den Neukauf von Pkw. Dazu – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – sagt Herr Frank Mund, Präsident des Kraftfahrzeuggewerbes in Nordrhein-Westfalen: Das ist eine kalte Enteignung. Auf den Wertverlusten bleiben die Käufer, aber auch die Händler hängen. – So die Aussagen von Herrn Mund in der „WAZ“ vom 3. November 2018. Deswegen wollen wir von der Landesregierung wissen: Warum setzen Sie sich nicht für die konsequente Hardwarenachrüstung ein?

Zum Schluss noch ein Wort zur Umweltministerin Frau Heinen-Esser: Sie sind hier mit vielen Vorschusslorbeeren ins Amt gestartet. Es wurde gesagt: Eine schwarz-grüne Ministerin; der Umweltschutz hat eine neue Stimme im Land. – In Ihrer Reaktion auf das Urteil haben Sie jedoch nirgendwo Luftreinhaltung, Gesundheitsschutz, Umweltschutz etc. erwähnt.

Sie haben stattdessen nur darauf hingewiesen – dies noch als schneller letzter Satz; ich sehe, meine Zeit ist um –,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

dass es sich um einen massiven Eingriff in die Verkehrsstruktur der Stadt Köln mit ganz erheblichen Auswirkungen für Anwohner, Pendler und den gesamten Wirtschaftsstandort Köln handele. Das Gericht habe die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht dargelegt; aus diesem Grund würden Sie selbstverständlich in Berufung gehen.

Frau Heinen-Esser, solche Aussagen sind einer Umweltministerin, die ihr Amt ernst nimmt und der es um Gesundheit und Umweltschutz in diesem Land geht, nicht würdig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sind eindeutig unter der von Ihnen gelegten Latte hindurchgesprungen, und ich bin sehr gespannt, wie Sie gleich die Fragen der grünen Fraktion zum weiteren Vorgehen beantworten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Letzte Woche hat das Kölner Verwaltungsgericht entschieden, dass in Köln und Bonn ab April 2019 Dieselfahrverbote wegen hoher Luftverschmutzung eingeführt werden müssen.

Mit den Sperrungen gehen unabsehbare Folgen für die Menschen einher. Wie kommen die Handwerker zu den Kunden? Wie kommen die Pendler in die Stadt und aus der Stadt heraus? Was passiert mit den Anwohnern?

Ministerpräsident Laschet – jetzt ist er tatsächlich schon da – hat diese Verbote nicht verhindert. Was waren das doch für markige Sprüche vor ein paar Monaten! Der Tenor lautete: Mit ihnen wird es keine Fahrverbote geben.

Solche Sprüche kennen wir von der CDU, zum Beispiel beim Euro. Da sollte es auch keine Haftung für die Schulden anderer Länder geben. Am Ende sind die Versprechen von der CDU wieder nichts wert, so auch hier bei den Fahrverboten.

(Beifall von der AfD)

Betroffen von den Fahrverboten sind Dieselfahrzeuge der Klasse Euro 4, später auch Euro 5. Aber auch ältere Benziner mit den Klassen 1 bis 3 sind von den Fahrverboten betroffen.

In Köln soll die komplette Umweltzone mit dem Fahrverbot belegt werden. Die Umweltzone umfasst dabei nicht nur die Innenstadt, sondern reicht weit hinaus in die äußeren Stadtbezirke.

In Bonn trifft es nur zwei Straßen im Zentrum. Pikant dabei ist aber, dass diese Straßen in Rheinnähe liegen, wo neben dem Pkw-Verkehr auch noch die Binnenschiffe zur Stickoxidbelastung beitragen. Offen ist damit, ob die Grenzüberschreitung nicht auf die Schiffe zurückzuführen ist.

In Bochum wartet man Gerichtsentscheidungen erst gar nicht ab. Dort hat die Verwaltung bereits jetzt selbstständig Hand an die Mobilität der Bürger gelegt. Dort hat man vor ein paar Wochen auf der Herner Straße, einer der Hauptverkehrsverbindungen in Bochum, die Geschwindigkeit auf Tempo 30 runtergedrückt. Da die Ampelschaltungen aber nicht auf Tempo 30 eingestellt sind, stehen die Autos dort jetzt noch viel länger als vorher bei Tempo 50. Ob das wirklich der Luftreinhaltung dient, mag zu bezweifeln sein.

Die Stadt aber hat auf jeden Fall etwas davon; denn kurz danach begann sie, die Autofahrer dort abzuzocken und mobile Blitzer einzusetzen.

Beim Fahrverbot in Köln stellt sich jetzt die Frage, wie Handwerker zum Kunden kommen, wenn sie mit ihren etwas älteren Fahrzeugen nicht mehr in die Gebiete hineinfahren dürfen. Im Zweifel werden die Handwerker, die schon jetzt volle Auftragsbücher haben, einfach nicht mehr in diese Gebiete hineinfahren und nur noch Kunden außerhalb des Gebietes bedienen.

Gerade kleinere Handwerksbetriebe können sich nicht einfach kurzfristig neue Fahrzeuge beschaffen. Insbesondere besteht auch das Problem, dass die älteren Fahrzeuge durch die Verbotspolitik massiv entwertet wurden und die Inzahlungnahme der Fahrzeuge beim Autohändler nur mit größeren Verlusten erfolgen kann.

Laut „Bild“ soll es jetzt – so stand es gestern in der Zeitung – für die 1 Million Pkw der Handwerker eine Umrüstung geben, bezahlt durch den Staat. Der Staat hat aber gar kein Geld, sondern das ist das Geld, das von den Steuerzahlern, von den Malochern, kommt. Letztlich sind sie jetzt dafür verantwortlich, die Umrüstung der Handwerker zu bezahlen. Wie lange wird das außerdem mit den Umrüstungen dauern?

In Bonn und Köln gibt es ein wenig Hoffnung und bereits die ersten Proteste. Sowohl die Handwerkskammer zu Köln als auch die IHK in Bonn sind entsetzt. Die IHK sieht sogar einen Versorgungsengpass auf Bonn zukommen.

Auch die Messwerte werden in Zweifel gezogen. Die Handwerkskammer zu Köln hat sogar eigene Messstationen aufgestellt und herausgefunden, dass die Messstationen der Stadt nicht an einer repräsentativen Stelle stehen.

Die Überprüfung der Messung wäre aber eigentlich die Aufgabe der Regierung gewesen. Herr Laschet, Sie lassen hier die Handwerksbetriebe im Stich. Inzwischen weiß doch jeder Malocher auf der Straße, dass der Grenzwert für Stickoxid, der dieser gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegt, willkürlich und völlig an der Realität vorbei von EU-Politikern festgelegt wurde.

(Beifall von der AfD)

Die Arbeitsstättenverordnung sieht bei industriellen Arbeitsplätzen einen Grenzwert von 960 µg vor. Ein Adventskranz produziert auch schon mal einen Wert von 200.000 µg. Eine einzelne Zigarette führt zu einer Freisetzung von bis zu 100.000 µg. Dennoch fallen die Menschen nicht reihenweise tot um.

Wie sieht es eigentlich mit dem Ozon aus? Vielerorts wurde in den letzten Jahren vor dem gefährlichen Ozon gewarnt; es wurde in den letzten Jahren aber immer weniger.

Der Hintergrund ist, dass durch die Zunahme der  Zahl von Dieselfahrzeugen Ozon vernichtet wurde. Der Ozongehalt wird durch die Reaktion von Ozon (O3) und Stickstoffmonoxid (NO) reduziert. Dadurch entstehen NO2 und O2, also Stickstoffdioxid und Sauerstoff. Das Ozon wird also durch den Diesel aus der Luft herausgefiltert. Dieser positive Effekt wird aber bei der Diskussion um den Diesel von den Politikern gerne vergessen.

Nicht nur die Handwerkskammer zu Köln zeigt sich angesichts der Messmethoden in Köln besorgt. Deutschland misst im europaweiten Vergleich vielfach anders als von der EU vorgesehen. Die Messstation soll laut EU eigentlich von drei Seiten weitreichend von Luft umgeben sein und an einem Ort stehen, der für die weitere Umgebung repräsentativ ist.

In Deutschland wird aber häufig an stark befahrenen Straßen gemessen – grob gesagt: Es wird praktisch am Auspuff gemessen. Im Gegensatz dazu steht beispielsweise in Athen die Messstation auf dem mehrstöckigen Unigebäude. Die Messwerte werden in Deutschland in die Höhe getrieben, während sich das Ausland eher einen Spaß aus der Geschichte macht.

Fazit: Die Grenzwerte wurden künstlich zu niedrig gesetzt. Die Aufstellung der Messstellen erfolgt nicht repräsentativ. Frau Merkel hält ein Ende des Verbrennungsmotors aber trotzdem für richtig.

Sie, Herr Laschet, sind mit Ihrer CDU damit der Sargnagel für unsere deutsche Autoindustrie.

(Beifall von der AfD)

Sie, Herr Laschet, gefährden damit in Summe 1,8 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland, allen voran in NRW, und die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Familien.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Loose. – Für die SPD hat nun der Abgeordnete Herr Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Donnerstag hat das Verwaltungsgericht Köln eine besondere Entscheidung getroffen. Es hat nicht nur Fahrverbote für Diesel-Pkw in einzelnen Straßenbereichen angeordnet, sondern erstmals wird eine gesamte Stadt davon betroffen sein: Der Stadtkernbereich und weitere Stadtbezirke in Köln fallen demnächst unter das Dieselfahrverbot.

Die Landesregierung hat daraufhin angekündigt, in Berufung zu gehen und Rechtsmittel einzulegen. Das ist ihre Chance; das ist ihre Möglichkeit. Das ist ihr Recht.

Ist das aber alles, was Sie tun sollen? Handeln Sie! Klagen Sie nicht nur, liebe Landesregierung!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Landesregierung muss endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Der Ministerpräsident sollte zuhören und sich um die Interessen der Menschen in diesem Lande kümmern.

Noch Anfang März dieses Jahres haben Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, erklärt, angesichts der Vielzahl von Maßnahmen zur Senkung der Stickoxidwerte und der seit Jahren sinkenden Belastung im Hinblick auf die Luftverschmutzung seien Fahrverbote im Sinne des Urteils unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

Diese Auffassung ist in der Folge schon mehrfach von den Verwaltungsgerichten korrigiert worden. Aber gut: Mit Entscheidungen der Verwaltungsgerichte haben Sie in der Vergangenheit schon Ihre Erfahrungen gemacht, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen werden die Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen auch Ihren Namen tragen. Sie, Herr Laschet, waren es, der den Menschen versprach: Mit mir wird es keine Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen geben. – Sie sind es aber auch gewesen, der überhaupt nichts getan hat, um diese Fahrverbote zu verhindern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das Einzige, was von Armin Laschet kam, war eine Rechtsexegese für Amateure: Fahrverbote seien unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, und was rechtswidrig ist, kommt nicht, und mit Armin Laschet schon gar nicht. – Das war es, was Sie die Menschen glauben machen wollten, und das war es auch, was Ihnen viele Menschen abgenommen und geglaubt haben.

Herr Ministerpräsident, jetzt müssen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande aber feststellen: Auf das Wort dieses Ministerpräsidenten ist kein Verlass.

(Beifall von der SPD)

Allein der Versuch, Herr Laschet, den Gerichten über die Medien Ihre Rechtsinterpretation aufzwingen zu wollen, war anmaßend und dilettantisch.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: So ist das!)

Eine Irreführung der Öffentlichkeit war es ohnehin. Herr Laschet erdrückt jede Expertise, jede Warnung, jede konstruktive Kritik mit einer Tonnenlast von Beschwichtigungen, Absichtserklärungen und Plattitüden. Doch gegen die Realität kommen Sie damit nicht an, Herr Laschet. In Köln – das steht uns jetzt bevor – droht das Chaos möglicherweise schon in den nächsten Monaten.

Diese Landesregierung hat bisher keine einzige Maßnahme ergriffen, keinen einzigen eigenen Euro ausgegeben, um Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen abzuwenden. Anderthalb Jahre lang keine einzige Maßnahme, kein eigenes Geld. Stattdessen schmücken Sie sich mit Bundesprogrammen oder Programmen der rot-grünen Vorgängerregierung.

Wo ist denn das landeseigene Zuschussprogramm für die Umrüstung von Bussen und von Schiffen in Nordrhein-Westfalen? Wo sind, Herr Verkehrsminister, neue Investitionsprogramme für einen besseren öffentlichen Personennahverkehr? – Fehlanzeige!

Und vor allem: Wo war Ihr Einsatz, Herr Ministerpräsident, für Nordrhein-Westfalen in Berlin? – Völlig verfehlt!

Die Autokonzerne haben Millionen ihrer Kunden betrogen. Die Menschen sind sauer. Alle Dieselfahrer sind sauer; wir alle bekommen diese Zuschriften. Sie sind sauer, wenn sie sehen, was die Automobilkonzerne in den USA an Schadenersatz leisten und an Ersatzleistungen bringen müssen. Sie müssen Fahrzeuge zurücknehmen.

(Zuruf von der CDU)

Deutschland hat in diesem Bereich nichts getan – im Gegenteil: Noch hier in diesem Parlament haben es CDU und FDP abgelehnt, eine Initiative zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts zu ergreifen. Sie lassen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land allein die Zeche zahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen sind gleich dreimal gekniffen: Nicht nur dass sie das versprochene umweltfreundliche Auto nicht bekommen haben; sie haben auch einen rapiden Wertverlust ihrer Fahrzeuge feststellen müssen. Solche Fahrzeuge sind nahezu unverkäuflich. Wenn man sich gedacht hat: „Wenn ich das Auto nicht mehr verkaufen kann, dann fahre ich es wenigstens noch bis zum Schluss“, dann wird das demnächst auch nicht mehr möglich sein.

Verstehen Sie das unter einer gerechten Lastenverteilung in einer Gesellschaft, Herr Ministerpräsident? Ist das „Maß und Mitte“? – Ich glaube, wohl kaum.

(Beifall von der SPD)

Kein anderes Bundesland ist so stark von diesen Maßnahmen betroffen. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, Herr Ministerpräsident, sich an die Seite der Bundesumweltministerin zu stellen und für Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller zu kämpfen.

Das haben Sie nicht getan. Im Augenblick haben Sie in Berlin offenbar parteiinterne Sachen zu regeln. Kümmern Sie sich um die Bedürfnisse der Menschen in Nordrhein-Westfalen, nicht nur um die Ihrer Partei in Berlin.

(Beifall von der SPD)

In nur fünf Monaten werden alle Diesel-Pkw mit der Euronorm 4 und ältere Modelle möglicherweise mit Fahrverboten belegt sein. Ab dem 1. September gilt das dann übrigens auch für Fahrzeuge mit der Euronorm 5.

Allein in Köln werden dann rund 90.000 Bürgerinnen und Bürger vom drohenden Fahrverbot betroffen sein. Ihnen wird es untersagt sein, zur Arbeit zu fahren oder die Kinder zur Kita zu bringen. Handwerker kommen nicht mehr zur Baustelle oder zu ihren Kunden. – Es ist ein Desaster. Es ist ein soziales, ein ökonomisches und wegen des zu erwartenden Verkehrschaos auch ein ökologisches Desaster.

Köln und ganz Nordrhein-Westfalen brauchen jetzt einen Notfallplan. Diesen Notfallplan erwarten wir von der Landesregierung. Lassen Sie mich zum Schluss einige wenige Beispiele nennen, was in einem solchen Notfallplan drinstehen könnte:

Erstens. Die Automobilkonzerne müssen kurzfristig die Hardwarenachrüstung für die betroffenen Fahrzeuge organisieren und bezahlen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben es gerade schon gehört: Namhafte Firmen, die die Produkte für die Umrüstung produzieren, kommen aus Nordrhein-Westfalen. Das wäre Wirtschafts‑ und Industrieförderung auch für Nordrhein-Westfalen.

Zweitens. Für die Fälle, in denen eine Nachrüstung nicht möglich ist, müssen die Hersteller den Geschädigten einen adäquaten Ersatz zur Verfügung stellen.

Auch darüber hinaus müssen wir nachdenken. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat für Köln schon Vorschläge unterbreitet. Haben Sie sich damit einmal beschäftigt?

Wie bleiben die Menschen in dieser Region mobil, falls das Fahrverbot tatsächlich kommt? Welche Ersatzfahrzeuge gibt es? Haben Sie mal darüber nachgedacht, für die Betroffenen eine kostenlose ÖPNV-Nutzung anzubieten oder den Umstieg auf das E-Bike dort, wo es möglich und sinnvoll ist, zu ermöglichen und zu unterstützen, wie vom DGB gefordert?

Drittens. Liebe Landesregierung, starten Sie zusammen mit dem Bund eine Großoffensive für den öffentlichen Personennahverkehr. Hier geht es um Milliardeninvestitionen in Busse und Bahnen und die Einführung eines 365-Tage-Tickets, das für 1 Euro am Tag freie Fahrt mit dem ÖPNV gestattet. Das wären mal vernünftige Ansätze dieser Landesregierung.

(Beifall von der SPD)

Mit der Ruhe, der Untätigkeit muss es vorbei sein. Herr Laschet, handeln Sie im Interesse der Menschen nicht nur in Köln, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen! Es ist Zeit zu handeln – tun Sie etwas! – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Für die CDU hat nun der Abgeordnete Deppe das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kutschaty, ich habe festgestellt, Sie sind in der Opposition angekommen.

(Widerspruch und Lachen von der SPD)

– In der Opposition, genau. Und da werden Sie bleiben.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD)

Sie haben Ihre Redezeit dazu benutzt, vor allem Kritik zu üben.

(Zurufe von der SPD)

Keinen einzigen realisierbaren Vorschlag haben Sie heute hier gebracht. Das ist das Kennzeichen Ihrer Politik.

(Marc Herter [SPD]: Wer schreibt Ihnen denn so etwas auf, Herr Deppe? – Weitere Zurufe von der SPD)

Das Verwaltungsgericht in Köln hat dem Vernehmen nach, nach dem, was die Medien gemeldet haben – auf die Begründung warten wir ja noch –, darauf abgestellt, dass die Grenzwerte 2010 einzuhalten waren. Jetzt haben wir das Jahr 2018. Die Prognose für das Jahr 2019 lautet, dass sie immer noch nicht eingehalten werden.

(Christian Dahm [SPD]: Das hätten Sie heute Morgen korrigieren müssen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wer war denn von 2010 bis jetzt in der Regierung? – Sieben Jahre Sie, ein Jahr wir.

(Frank Müller [SPD]: Ist das eine Begründung für das Nichtstun? – Weitere Zurufe von der SPD)

Also, was soll das? Sie können das, was Sie jetzt sagen – die Regierung hätte ihre Hausaufgaben nicht gemacht –, genauso auf sich beziehen.

(Zurufe von der SPD)

Ein Wort noch an die Kollegen der Grünen. Herr Klocke, einen Tag nach dem Urteil in der letzten Woche hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim die Landesregierung von Baden-Württemberg zu einem Zwangsgeld verurteilt, weil sie den Luftreinhalteplan von Stuttgart noch nicht in der Form erlassen hat, wie sich das Gericht das vorgestellt hat.

Das heißt, die baden-württembergische Landesregierung ist von den Gerichten schon einen wesentlichen Schritt weitergetrieben worden als wir hier in Nordrhein-Westfalen.

(André Stinka [SPD]: Das droht Ihnen auch!)

Sie können sich natürlich hinstellen und sagen: Wenn Herr Kretschmann versucht, Fahrverbote zu verhindern, ist das gut; wenn Herr Laschet das tut, ist es schlecht. Aber das Ergebnis haben Sie in Stuttgart vom Verwaltungsgerichtshof geliefert bekommen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

– Meine Damen und Herren, diese ständigen Schuldzuweisungen führen doch überhaupt nicht weiter. Ich weiß gar nicht, was diese Debatte hier soll.

(Zuruf von Frank Müller [SPD] – Marc Herter [SPD]: Aber die Dieselfahrer wissen, was die Debatte soll!)

– Regen Sie sich nicht so auf! – Was die Menschen von uns allen erwarten – dazu gehören alle –,

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

ist doch: Wie vermeiden wir – Sie haben es eben selbst beschrieben; Bonn ist übrigens auch nicht viel besser als Köln, auch wenn es da nur Streckenfahrverbote sind –, dass es in diesen Städten zum Kollaps kommt? Das ist doch die entscheidende Frage.

(Christian Dahm [SPD]: Beantworten Sie das doch mal!)

Das hat nichts damit zu tun, welche Regierung ein Jahr oder sieben Jahre oder wie lange regiert hat,

(Nadja Lüders [SPD]: Welche denn?)

sondern es geht darum, dass wir heute Lösungen finden auf einem Pfad, auf dem wir uns – zum Glück – bewegen.

(Marlies Stotz [SPD]: Haben Sie denn schon angefangen mit der Suche?)

Wir haben über Streckenfahrverbote und über die Sinnhaftigkeit hier schon mehrfach diskutiert. In Bonn kann man das Ganze jetzt beobachten.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Die zwei Hauptachsen sind sozusagen gesperrt. Das wird auch dort zu erheblichen Konsequenzen führen.

Ich komme zum Fahrverbot in Köln. Sie haben vorhin von der Innenstadt gesprochen. Herr Kutschaty, schauen Sie sich lieber mal die Karte an.

(Zuruf von Thomas Kutschaty [SPD])

Betroffen ist der komplette Bereich innerhalb des Autobahnrings. Es gibt kaum noch Stadtteile, die nicht davon betroffen wären, wenn es denn so käme.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Eben!)

Ich sage Ihnen hier als Vorsitzender des Regionalrats: Es geht nicht nur um die Stadt Köln, es geht nicht nur um die 500.000 Pendler, die nach Köln oder wieder hinaus wollen. Es geht um die ganze Region. Das ist nicht nur ein Problem der Stadt Köln; denn die Sperrung hätte Auswirkungen weit über die Stadtgrenzen hinaus.

(Marc Herter [SPD]: Dann machen Sie doch was!)

Wie können wir hier Mobilität erhalten, wie können wir die Wirtschaft, das Handwerk, die Industrie, den Handel erhalten? Es sind mehr als drei Millionen Menschen betroffen.

(Nadja Lüders [SPD]: Zustandsbeschreibungen helfen da nicht! – Weitere Zurufe)

– Jetzt regen Sie sich doch nicht so auf. Warten Sie erst einmal ab! – Es geht um eine halbe Million Leute, die nach Köln pendeln, und darüber hinaus um die ganze Region. Und das ist die wirtschaftlich stärkste Region in Nordrhein-Westfalen;

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ach!)

die können wir nicht einfach lahmlegen. Die Region ist ohnehin gebeutelt – jetzt kann man auch da Schuldzuweisungen machen –: Leverkusener Brücke, Mülheimer Brücke, Bahnknoten Köln.

(Volkan Baran [SPD]: Die Staus sind doch alle da!)

Ich erinnere mich noch an die Versprechungen von Herrn Schröder, ehemaliger Bundeskanzler, im Jahr 2004 zum Bahnknoten Köln. Was ist passiert? – Meine Damen und Herren, das hilft doch alles nichts.

(Zurufe)

– Ich bitte Sie, auch mal zuzuhören und sich nicht nur aufzuregen.

(Sarah Philipp [SPD]: Wir sagen ja nichts!)

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Februar geurteilt: Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden.  Darum geht es doch. Was ist verhältnismäßig? Ich muss Ihnen sagen, der Begriff der Verhältnismäßigkeit wird aus meiner Sicht viel zu häufig auf die individuellen Rechte des Einzelnen bezogen. Das greift meines Erachtens zu kurz. Das Berufungsverfahren bringt hoffentlich Gelegenheit, den Verhältnismäßigkeitsbegriff weiter zu fassen.

Ich hoffe, dass sich das Oberverwaltungsgericht auch mit der Frage befasst,

(Marc Herter [SPD]: An die Gerichte! Das hat schon mal nicht geklappt!)

ob das Lahmlegen einer ganzen Region nicht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit abgewogen werden muss. Der Bezirksregierung kann ich nur empfehlen, auch diesen Aspekt im Berufungsverfahren sehr dezidiert einzuführen und vorzutragen.

Die Ministerin wird gleich die Einzelmaßnahmen, die diese Landesregierung ergriffen hat, noch darstellen.

(Frank Müller [SPD]: Ah! Die Fraktion hat keine Ahnung!)

Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein: Es ist nie die Einzelmaßnahme, es ist auch nicht die Nachrüstung allein, sondern es ist eine Kombination von vielen Maßnahmen, die wir angehen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Zum Beispiel!?)

Da will ich wieder auf meinen eigenen Kreis zurückgreifen. Wir haben uns 2011 auf den Weg gemacht, Wasserstoff-Busse einzuführen. Die ersten Busse werden 2019 fahren.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Das hat nichts mit CDU, SPD oder sonstigen Landesregierungen zu tun; es hat einfach mit den ganz normalen technischen Abläufen zu tun.

Wir haben uns in Deutschland, in Europa, ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt, und wir erkennen jetzt, dass dieses Ziel so schnell wohl nicht zu erreichen ist. Diese Ehrlichkeit sollten wir mitbringen. Jetzt müssen wir mit Hilfe der Gerichte, mit Hilfe der Politik und – ich lade Sie dazu herzlich ein – mit Hilfe der Opposition Lösungen finden,

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

damit wir in Köln und in anderen Städten der Region nicht zum Stillstand kommen.

Ich bin mir sicher, wir können das alle gemeinsam schaffen. Wir müssen es nur wollen, und wir müssen vor allem die technischen Lösungen vorantreiben. Frau Heinen-Esser wird dazu gleich noch etwas sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die FDP erteile ich dem Abgeordneten Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fahrverbote – das will ich für meine Fraktion gleich zu Beginn sehr deutlich sagen – sind für uns nach wie vor kein Instrument, das wir für tauglich halten, die Emissionsprobleme in unseren Innenstädten zu lösen. Wir lehnen Fahrverbote nach wie vor ab, und wir werden alles unternehmen, um sie noch abzuwenden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Keinem Autobesitzer ist es zu vermitteln, dass der Staat noch vor wenigen Jahren zur Anschaffung eines Dieselfahrzeugs aufgerufen hat und er heute von kalter Enteignung bedroht ist. Deswegen unterstützen wir die Landesregierung nachdrücklich in der Absicht, gegen das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts Berufung einzulegen.

In derselben Klarheit will ich sagen: Wenn wir heute über die drohende Verhängung von Dieselfahrverboten in den Städten unseres Landes sprechen, dann sind diese ausschließlich das Ergebnis einer jahrelangen Untätigkeit der Bundesregierung und der vorangegangenen rot-grünen Landesregierung.

(Andreas Bialas [SPD]: Das ist Betrug der Autokonzerne!)

Seit 2010 gelten die bestehenden Grenzwerte.

(Zuruf von der SPD)

Seit 2015 – hören Sie von der SPD ruhig einmal zu;

(Zuruf von Andreas Bialas [SPD])

Sie werden gleich noch einiges lernen können – ist klar, dass die Automobilindustrie illegale Abschalteinrichtungen verbaut hat, um die Vorgaben zu umgehen. Und spätestens seit 2016 ist bekannt, dass auch die Fahrzeuge, bei denen keine Manipulation vorgenommen wurde, im Realbetrieb etwa zehnmal so viel Stickstoffdioxid ausstoßen.

Aber bis heute, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, hat die Bundesregierung kein schlüssiges und vor allen Dingen kein integriertes Konzept zur Lösung dieses Problems vorgelegt. Medienwirksam inszenierte Gespräche mit der Automobilindustrie erwiesen sich als Rohrkrepierer. Die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen wurde systematisch verschleppt. Hardwarenachrüstungen wurden wider besseren Wissens als nicht realisierbar und zudem wirkungslos beschrieben. Damit wurde im Schulterschluss mit der Automobilindustrie und zum Schaden der Autobesitzer über Jahre eine technische Lösung torpediert, die einen nennenswerten, wenn nicht sogar einen entscheidenden Beitrag zur Emissionsreduzierung hätte leisten können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Hätte der Bund frühzeitig und entschlossen gehandelt und den Weg für Hardwarenachrüstungen freigegeben, dann wäre uns die sich jetzt abzeichnende Entwicklung in Nordrhein-Westfalen erspart geblieben.

(Beifall von der FDP)

Die FDP hat sich sowohl auf Bundesebene als auch hier in Nordrhein-Westfalen immer dafür ausgesprochen, die Automobilhersteller in die Verantwortung zu nehmen. Wir stehen klar an der Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ausgerechnet der Volkswagenkonzern ließ sich unlängst mit der Aussage zitieren, er würde selbst keine Hardwarenachrüstungen anbieten und eine Gewährleistung für etwaige Hardwarenachrüstungen ausschließen.

Im Wissen um die technischen Möglichkeiten und die Tatsache, dass solche Systeme wohlgemerkt herstellerseitig in den USA längst verfügbar sind und dort auch eingebaut werden, ist eine solche Aussage schwer erträglich.

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Und sie ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Kunden, der befürchten muss, dass sein Auto demnächst nicht mehr voll einsatzfähig sein könnte. Wenn eine eigentlich zur Neutralität verpflichtete staatliche Stelle wie das Kraftfahrtbundesamt bei Besitzern von Dieselfahrzeugen für den Erwerb eines neuen Autos bestimmter Marken wirbt, dann ist das ein beispielloser Vorgang, und dann zeigt sich vor allem die ganze Hilflosigkeit und Konzeptlosigkeit der Bundesregierung im Umgang mit dieser Frage. Hier werden die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher von staatlicher Seite mit Füßen getreten.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD)

Mit der Untätigkeit der Bundesregierung – gepaart mit der Verweigerungshaltung der Autohersteller – wurde und wird die Vermögensvernichtung bewusst in Kauf genommen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Gleichzeitig wird das Problem bei den Ländern und Kommunen abgeladen. Ihnen – also uns – steht jetzt ein reduzierter Instrumentenkasten zur Verfügung,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sagt das auch Herr Wüst?)

der nur punktuell Rahmenbedingungen verbessern kann, der aber natürlich weniger wirkungsvoll ist, als bei den Verursachern selbst anzusetzen. Und trotzdem unternimmt die Landesregierung seit Beginn ihrer Tätigkeit alles, um zusammen mit den Kommunen Wege zur Vermeidung von Fahrverboten zu finden.

Die Förderung elektrischer Antriebssysteme – die Umweltministerin wird sicherlich gleich noch darauf eingehen –, die Attraktivierung von ÖPNV und Radverkehr, die Veränderung des innerstädtischen Modal-Splits, auch die systematische Vernetzung von Verkehrsträgern zur Verflüssigung und Vermeidung von Verkehren – das sind nur einige wenige Beispiele, die ich an dieser Stelle nennen will. Intensiv wird vonseiten der Ministerien, der Bezirksregierungen und der Kommunen zudem an der Aufstellung und Fortschreibung der Luftreinhaltepläne gearbeitet. Diese Landesregierung lässt ihre Kommunen nicht im Stich.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Selbst in diesen Fragen ist auf den Bund kein Verlass, liebe SPD. Die Umsetzung des Maßnahmenpaketes aus dem Dieselgipfel hätte längst vollzogen sein müssen. Stattdessen stockt die Mittelvergabe durch hohe bürokratische Hürden und unklare Bedingungen. Jüngst mussten wir in der Presse lesen, dass das Bundesumweltministerium mit Verweis auf offene Zuständigkeitsfragen – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – eine 20-%-Förderung zur Anschaffung von Elektrobussen in Bochum verweigert. Das halte ich schlichtweg für einen Skandal.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir werden nicht nachlassen in unserem Bemühen, für die betroffenen Kommunen in Nordrhein-Westfalen Maßnahmenpakete zu schnüren und damit Lösungen anzubieten, mit denen Fahrverbote möglichst vermieden werden können. Mir ist aber auch wichtig: Jede Stadt stellt dabei einen Einzelfall dar, und deshalb braucht es – das will ich an dieser Stelle noch einmal mit Nachdruck sagen; ich habe das an anderer Stelle schon einmal ausgeführt – den Schulterschluss zwischen den Behördenebenen und den ernsthaften gemeinsamen Willen, dieses Ziel zu erreichen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Das engagierte Zutun unserer Städte ist hierbei unerlässlich. Auch ihr Interesse muss es sein, nicht den vermeintlich leichtesten Weg zu beschreiten, sondern alles zu unternehmen, damit die Luftreinhaltung auch ohne Fahrverbote erreicht werden kann.

Wenn Ihnen an diesem Ziel wirklich gelegen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD, dann sollten Sie bei Ihren Parteifreunden, die auf kommunaler Ebene Verantwortung tragen, auch genau hierauf hinwirken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Middeldorf. – Für die Landesregierung erteile ich nun Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, für die meisten hier im Hause steht völlig außer Zweifel, dass die Einhaltung der gesundheitsbezogenen Luftqualitätswerte in der Umweltpolitik einen sehr hohen Stellenwert hat. Das ist so, und dahinter stehen wir, und zwar, wie ich hoffe, alle zusammen.

Aber jetzt müssen wir leider doch – ich mache das ohne Schuldzuweisung – einen Blick in die Vergangenheit werfen; denn gerade das Kölner Urteil zeigt uns ganz deutlich, über welche Zeitspanne wir hier tatsächlich reden.

Seit dem Jahr 2010 – das ist das, was der Kölner Richter extrem moniert hat – gibt es Grenzwerte für Stickstoffdioxid. Ich will kurz die Zahlen aus Köln nennen, wie sie sich damals, im Jahr 2010, dargestellt haben. Da gab es auf dem vieldiskutierten Clevischen Ring 65 µg, auf der Justinianstraße 60 µg und auf der Aachener Straße in Köln-Weiden 61 µg.

Ich komme zum Jahr 2017. Dazwischen gab es einen Luftreinhalteplan, der vorsah, im Jahr 2012 diese Grenzwerte deutlich unter 40 µg zu bekommen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Aber jetzt darf ich Ihnen die Zahlen aus dem Jahr 2017 vortragen: am Clevischen Ring 62 µg – es waren 65 µg im Jahr 2010 –, auf der Justinianstraße 50 µg – 60 µg waren es davor –, und 50 µg in Köln-Weiden auf der Aachener Straße nach 61 µg im Jahr 2010. Es hat sich zwar etwas getan, aber die bisherigen Luftreinhaltepläne haben es nicht geschafft, die Werte deutlich unter den Grenzwert zu bringen. Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen.

Dieses Problem – auf die entsprechenden Ausführungen komme ich gleich zu sprechen – können wir nicht von 2017 bis 2018 innerhalb von zwölf Monaten regeln.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden dafür einige Monate Vorlauf benötigen.

Ein Faktor sind in der Tat – das wurde schon angesprochen, und das ist auch richtig – die Abgasmanipulationen, die es gegeben hat. Wir sehen jetzt an den aktuellen Werten, dass wir, wenn wir die Softwareupdates in die neuen Luftreinhaltepläne einberechnen, gleich um 1 µg bis 2 µg bessere Werte in den Städten schaffen. Das heißt, dass wir auch hierbei nur ermuntern können: Leute, rüstet die Autos nach – vor allen Dingen dort, wo die Automobilhersteller gezwungen sind, das zu tun.

Ein zweites Thema ist entscheidend – das kann ich hier abkürzen; ich bin insbesondere meinem Vorredner Herrn Middeldorf dankbar, dass er das Thema so deutlich adressiert hat –, nämlich die Hardwarenachrüstung. Sie ist ein zentrales Element.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sieht Herr Scheuer aber anders!)

Aber auch hierbei bitte ich, vernünftig damit umzugehen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Nicht alle Pkw werden nachgerüstet werden können, und zwar aus technischen Gründen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ach!)

Wir gehen von einer …

(Zurufe)

– Wissen Sie was? Ich möchte den Menschen ehrlich sagen, wie wir weiter vorgehen und was realistisch ist. Meine Politik ist es nicht, den Leuten Sand in die Augen zu streuen

(Zuruf von der SPD: Das machen Sie doch gerade!)

und zu sagen: „Wir versprechen euch das Blaue vom Himmel“, wenn es nicht zu halten ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD)

Deshalb sage ich ehrlich: Wir werden eine Nachrüstquote von 50 % bis 60 % haben, die uns in den Städten tatsächlich weiter voranbringt. Letzte Woche hat es eine Umweltministerkonferenz in Bremen gegeben. Da haben die Umweltminister aller Länder noch einmal das Thema „Hardwarenachrüstung“ bekräftigt.

(Nadja Lüders [SPD]: Zulasten von wem?)

Zwei Automobilhersteller haben sich dazu bekannt, die Kosten zu übernehmen. Mittlerweile sind die Haftungsfragen geklärt. Ich stimme Ihnen allen zu: Es geht nicht schnell genug, aber es geht voran. – Auch das ist ein Thema, das wir noch weiter aus NRW betreiben werden; dies haben wir im Bundesrat mit unseren Voten ganz klar zum Ausdruck gebracht.

Meine Damen und Herren, alle haben gesagt: Gleich sagt die Umweltministerin genau, wie es weitergeht. Das will ich jetzt auch gerne tun.

Aber vorab, Arndt Klocke: Ich habe keinen Nachholbedarf dahin gehend, zu wissen, was Luftreinehaltepolitik und was auch Umweltpolitik tatsächlich bedeutet. Ich möchte nur darauf hinweisen: Mit Blick auf das Kölner Urteil, das quasi eine gesamte Stadt mit einem Dieselfahrverbot belegt, gestatten Sie mir die Äußerung, dass es sich hierbei um einen so massiven Eingriff in die Struktur einer Stadt handelt, dass ich das auch als Umweltministerin nicht gutheißen kann,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Aber nicht ausschließlich!)

sondern dagegen tatsächlich vorgehen muss. Damit erkläre ich direkt auch die Berufung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Ich rufe in Erinnerung – ich habe mit Abgeordneten aus dem Umland gesprochen –: Der ÖPNV in Köln ist – Stand heute, Jochen Ott – gar nicht in der Lage, 200.000 zusätzliche Diesel-Pkw-Fahrer aufzunehmen und in die Stadt zu transportieren. Wir drücken den Verkehr in das Kölner Umland mit dem Ergebnis, dass sich die Werte dort verschlechtern.

Was sind unsere nächsten Schritte? Der entscheidende Schritt ist, dass wir Anfang nächsten Jahres einen Luftreinhalteplan für Köln vorlegen werden; denn im Gegensatz zu anderen Städten liegt er in Köln nicht vor. Warum liegt er noch nicht vor? Weil sehr lange zwischen Stadt und Regierungspräsidium hin und her diskutiert wurde, weil der Maßnahmenplan noch nicht so gesessen hat, wie wir es uns vorgestellt haben,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

von dem wir sagen könnten, dass wir die Werte tatsächlich erreichen. Wir sind aber auf einem sehr guten Weg. Wir haben auch in der Gerichtsverhandlung Entsprechendes vorgelegt.

Wir sind deshalb auf einem guten Weg, weil die Kölner Verkehrs-Betriebe beispielsweise 50 neue Busse bestellt haben – Hendrik Wüst –, und zwar aus dem Programm des Bundes, das vom Land Nordrhein-Westfalen begleitet wird, weil es Verkehrslenkungsmaßnahmen gibt, weil es Investitionen in Park and Ride gibt, weil es noch viele weitere Themen gibt, beispielsweise die Leverkusener Brücke.

Ich habe eben vorgelesen, dass die Belastung mit Stickstoffdioxid an den meisten Straßen um 10 µg zurückgegangen ist, jedoch auf dem Clevischen Ring nicht. Warum nicht? Wegen der Leverkusener Brücke, weil der Verkehr über den Clevischen Ring abgeleitet wird und damit diese Straße zusätzlich belastet ist. Das sind die Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch als Landesregierung sind wir verantwortlich. Wir müssen jede Stadt zusammen mit den Verantwortlichen in der Stadt ganz individuell betrachten. Der Clevische Ring in Köln ist anders strukturiert als die Reuterstraße oder der Belderberg in Bonn. Jede Stadt hat das Recht darauf, individuell mit ihren Maßnahmen betrachtet zu werden. Das Allerwichtigste ist, dass wir das zusammen mit den Verantwortlichen vor Ort tun. Das ist der Weg. Im Januar legen wir den Luftreinehalteplan vor. Wir werden in Köln die Grenzwerte so gut wie möglich einhalten. Dann, hoffe ich, haben wir das Thema damit abgehakt.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Eines möchte ich zum Schluss sagen – ich weiß, dass meine Redezeit zu Ende ist – und Ihnen mitgeben: Wenn wir verantwortliche Luftreinhaltepolitik machen, dürfen wir nicht nur auf einen Wert schauen. Wenn wir die Leute alle aus den Dieseln heraus- und in die Benziner hineintreiben, werden wir in zwei Jahren hier sitzen und darüber diskutieren, dass die CO2-Werte angestiegen sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das dürfen wir so nicht machen, sondern wir müssen verantwortlich handeln. In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich um Ihre Unterstützung. Ich bin fair, seien Sie bitte auch fair. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Bislang hatten wir allen Rednern eine Redezeitüberschreitung von etwa 40 Sekunden zugestanden. Die Ministerin hat um eine Minute überzogen. Daher würden wir, falls Bedarf besteht, den anderen Fraktionen 20 Sekunden nachgeben.

Als nächster Redner hat für die SPD der Kollege Ott das Wort.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus einem Leserbrief der vergangenen Tage aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“:

„,Jeder möchte saubere Luft atmen‘, sagt Rieke Römer, die an der Inneren Kanalstraße lebt. ,Aber ein Verbot, das auf diese Weise erlassen wird, grenzt an Zwangsenteignung. Die Menschen werden mit einer Lösungsfindung und ihrem finanziellen Schaden allein gelassen. Die Entscheidung wird das Vertrauen in die Politik weiter schwächen.‘„

Herr Deppe hat gesagt, er wisse nicht, was diese Debatte soll. Das muss ein Schlag ins Gesicht all der Menschen sein, die solche Leserbriefe geschrieben haben.

(Beifall von der SPD)

Lieber Herr Deppe, och em hillije Kölle helfen weder Hoffen noch Beten, wenn man ein Problem hat, sondern man muss es lösen. Hoffen und Beten sind zu wenig.

(Beifall von der SPD)

Deshalb ist es zwar schön, wenn zum Beispiel Herr Middeldorf lange davon erzählt, was alles geplant werden müsse usw. Das Problem an der Sache ist: Am 30.03. nächsten Jahres müssen Sie geliefert haben, weil ab dem 01.04. vielen die Enteignung droht. Aus diesem Grund möchte ich noch einmal sehr grundsätzlich deutlich machen, um was es geht, damit es nicht in Vergessenheit gerät: Die deutsche Automobilindustrie hat die Menschen, hat ihre Käufer beschissen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)

Das ist der Ausgangspunkt.

(Beifall von der SPD)

Die Menschen sind jetzt diejenigen, die kalt enteignet werden. Während in den Vereinigten Staaten Ausgleich und Ersatz aus der Automobilindustrie förmlich aufgedrängt werden, damit man bloß keine weiteren Probleme bekommt, passiert das bei uns nicht. Das können die Menschen nicht verstehen. Sie verstehen nicht, warum die Politik und die Regierungen vor der Automobilindustrie kneifen.

Ich möchte noch einmal die entsprechenden Zahlen dazu nennen: 2017 waren laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Köln 475.000 Pkw zugelassen. Davon waren 159.000 Diesel-Fahrzeuge, und 90.000 davon wiederum waren in den Euro-Normen 4 und 5 zugelassen. Darüber hinaus gab es 106.000 Einpendler – und ich bin wie Herr Deppe der Meinung, dass man das auch regional betrachten muss –, darüber hinaus 790 Handwerksbetriebe, 530 Mitglieder des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes und 10.500 Mitgliedsunternehmen der IHK.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle diese Leute erwarten von der Politik und von den Regierungen Antworten. Die Situation hat sich verändert. Es geht nicht mehr darum, Pläne zu machen, sondern es muss zum 01.04. des nächsten Jahres konkrete Lösungen geben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

An den einen oder anderen hier, nicht jedoch an unsere Landesregierung, möchte ich noch Folgendes adressieren: Zu glauben, man könne die Grenzwerte erhöhen und damit das Problem lösen, ist falsch. Gute Luft gehört genau wie die Mobilität in unseren Städten zum Leben dazu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihr habt hier alle herumgeeiert. Sagt doch einmal ganz klar, was jetzt passieren muss! Zur Hardware – das hat die Ministerin bereits angesprochen – wurden in diesem Landtag seit der Wahl 2017 vier Anträge eingebracht, und zwar zweimal von den Grünen und zweimal von den Roten. Jedes Mal wurde die Hardwarenachrüstung hier mit großen Worten abgelehnt. Ihr wolltet sie nicht. Jetzt so zu tun, als ob ihr sie wolltet, ist einfach falsch.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieser Ministerpräsident, der da vorne sitzt, zur Rückendeckung seiner Fraktion, hat öffentlich erklärt: Es gibt keine Fahrverbote. – Er kann sein Wort nicht halten, und deshalb muss er erstens dafür sorgen, dass es diese Hardwarenachrüstungen geben wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Wo dies nicht möglich ist, muss für Entschädigungen gesorgt werden. Es muss deutlich werden, dass die Menschen nicht enteignet werden.

(Gordan Dudas [SPD]: Was ist denn daran lustig, Herr Laschet?)

Drittens. Ich will hier noch einmal deutlich machen, was der SPD-Fraktionsvorsitzende eben gesagt hat, damit es jeder mitbekommt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Köln hat vollkommen recht, und die SPD sieht das genauso. Wenn wir der Auffassung sind, dass wir bis zum 01.04. bestimmte Lösungen nicht hinbekommen, dann brauchen alle Dieselfahrer, die direkt betroffen sind, und die ab dem 01.04. nicht mehr mit ihrem Auto losfahren können, ein Angebot für alternative Mobilität. Ob das in Form eines kostenlosen Fahrscheins für ein Jahr geschieht oder man die Möglichkeit anbietet, E-Bikes zu nutzen, ist letztlich egal. Aber wir brauchen eine Mobilitätsgarantie für über 100.000 Menschen in Köln.

(Beifall von der SPD)

Was die FDP hier macht, ist keine Mittelstandspolitik. Was bieten Sie den Mittelständlern denn an? Welche Möglichkeiten haben sie denn? Wie sollen die Handwerksbetriebe, die wir für den Straßen- und Wohnungsbau und für vieles mehr brauchen, demnächst in der Stadt fahren? Das können sie doch gar nicht mehr. Ich bin schon gespannt, wie die Gerichte auf so viele Ausnahmegenehmigungen reagieren werden. Auch da braucht es also so schnell wie irgend möglich ein Ausnahmepaket.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat darauf aufmerksam gemacht, dass wir auch an der Schnittstelle zur Frage der Industriepolitik stehen. Auch das haben wir hier verschiedentlich diskutiert. Wo werden die Elektrobusse in Zukunft gebaut? Sorgen wir eigentlich dafür, dass das in Nordrhein-Westfalen stattfinden kann? Wie sorgen wir dafür, dass das, was wir gerade rund um die Diskussion im Rheinischen Revier mit StreetScooter, DHL und Ford entwickeln, auch für die Arbeitsplätze in dieser Region genutzt werden kann und dass die moderne Antriebstechnologie hier produziert wird und nicht in anderen Ländern?

Last but not least möchte ich noch auf die Verantwortung der kommunalen Ebene zurückkommen. Der Kölner Umweltdezernent war ein halbes Jahr nicht da, weil er woanders Wahlkampf betrieben hat. Als er wiederkam, hat er öffentlich erklärt, es gebe jetzt Fahrverbote. Ob das einer Lösungsfindung zuträglich gewesen ist, wage ich zu bezweifeln.

Ich möchte aber deutlich machen, dass in Köln viele Vorschläge in den Bezirksvertretungen und im Rat gemacht worden sind, unter anderem am 06.09.2016 sowie am 22.09.2016. Auch Anfang dieses Jahres, am 06.02., gab es den erneuten Vorschlag, auf dem von der Ministerin dankenswerterweise gerade erwähnten Clevischen Ring beispielsweise eine Busspur zu schaffen, beispielsweise Pförtnerampeln einzusetzen, beispielsweise endlich Umfahrungen für Lkw zu organisieren. Wir alle wissen, dass die Stadt Köln wegen der Sperrung der Leverkusener Brücke einen maßgeblichen Beitrag zum Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen geleistet hat, weil diese Verkehre durch die Kölner Innenstadt abgeleitet worden sind.

Alle diese Vorschläge sind von Ihrer Mehrheit, nämlich von einer schwarz-grün-gelben Mehrheit in Köln, abgelehnt und somit nicht umgesetzt worden, und der Ministerpräsident hat sich nicht um diese Fragen gekümmert. Deshalb finde ich es sehr richtig, auf die Geschichte zu blicken und zu überlegen, welche Vorschläge denn eigentlich umgesetzt worden sind.

Die Gerichte in Nordrhein-Westfalen haben diese Entscheidung auch deshalb getroffen, weil sie den Eindruck haben, dass zumindest in diesem Fall keinerlei Bemühungen erkennbar gewesen sind, konkrete Schritte zu unternehmen. Deshalb ist es neben der grundsätzlichen Debatte, die wir führen müssen, erforderlich, folgende Fragen zu beantworten: Wie schaffen wir es, dass die Binnenschifffahrt endlich weniger Schadstoffe ausstößt? Wie sorgen wir dafür, dass die E-Bus-Flotten tatsächlich flächendeckend eingesetzt werden? Wie sorgen wir für Leihfahrräder und Leihautos in den Städten? Es geht also, kurz gesagt, um folgende Frage: Wie organisieren wir die Verkehrswende, über die wir seit vielen Jahren gemeinsam diskutieren?

Das alles ist richtig, aber es wird am Ende nicht ausreichen. Denn am 1. April nächsten Jahres und dann am 1. September werden über 100.000 Familien in der größten Stadt des Landes erleben, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Deshalb müssen Sie endlich liefern. Herr Deppe, hören Sie auf, zu hoffen und zu beten! Herr Laschet, drücken Sie sich nicht weiter weg, sondern machen Sie den Menschen ein konkretes Angebot, wie die Mobilität und die Gesundheit in diesem Land weiter gesichert werden können! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Ritter.

Jochen Ritter (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kann man so machen, muss man nicht so machen, es sei denn, es geht nicht anders. – Das war, sehr vereinfacht gesagt, die Botschaft des Bundesverwaltungsgerichtes Ende Februar dieses Jahres zu der Frage, inwieweit Fahrverbote in Luftreinhalteplänen prinzipiell Gegenstand sein können.

Die beiden Urteile betreffen Düsseldorf und Stuttgart. Sie machten den Weg für Fahrverbote frei, lieferten allerdings keine Carte blanche für Fahrverbote, wie am Tag darauf von teils unverständiger, teils interessierter Seite in dieser Angelegenheit der Eindruck erweckt wurde, die eigentlich mehr Differenzierung als Skandalisierung, wie sie hier auch teilweise in Plenum betrieben wird, benötigt. Wir gehen damit seriös um. Das ist unsere Art, Politik zu machen, und wahrscheinlich der Weg, der aus mittlerer Sicht erfolgreicher sein wird als der Klamauk, der hier teilweise provoziert wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zurück zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes: Vielmehr sind dahin gehende Regelungen von nicht unerheblichen Voraussetzungen abhängig, und zwar flächendeckende, zonale – so sagt man wohl neuerdings –, wie vom Verwaltungsgericht für Köln vorgesehen, mehr noch als streckenbezogene, wie für Bonn angedacht.

Auf der einen Seite verbietet das Übermaßgebot – um es einmal so auszudrücken – dem Richterspruch zufolge, derart weitreichende Verkehrsverbote auszusprechen, ohne die damit für die Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite dürfen die Grenzwerte nicht erst irgendwann – nach 2020 – eingehalten werden. Dahin gehende Maßnahmen müssen vor 2020 wirken. Die überragende Bedeutung der körperlichen Unversehrtheit drängt Zweifel – die können durchaus aufkommen, wenn man beispielsweise die „Aachener Nachrichten“ vom gestrigen Tage dazu gelesen hat – am Zustandekommen der Grenzwerte und der Messergebnisse in den Hintergrund.

In diesem Spannungsfeld verläuft unter den gegebenen rechtsstaatlichen Anforderungen ein schmaler Grat, der von den für die Luftreinhaltung zuständigen Behörden alles andere als einfach zu beschreiten ist. Die Bundeskanzlerin will ihn insofern dankenswerterweise ein wenig verbreitern und hat dazu angeregt, im Bundes-Immissionsschutzgesetz eine Klarstellung zur Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen im Fall von Grenzwertüberschreitungen vorzunehmen.

Diese Initiative hat Frau Ministerin Heinen-Esser für Nordrhein-Westfalen genauso begrüßt wie die Bemühungen, zum Beispiel von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, die Autohersteller zu Hardware-Nachrüstungen auf deren Kosten zu bewegen. Dazu hat sie im September-Plenum gleich drei gute Gründe angeführt. Dabei geht es einmal um schnelle Erfolge für die Gesundheit. Am Clevischen Ring – Herr Ott, Sie haben es eben angesprochen – brächte das bis zu 8 µg. Dann wäre Köln fast schon ein Fall für diese gegebenenfalls neue Regelung im BImSchG.

Zweitens geht es um die Vermeidung einer faktischen Enteignung der Verbraucher – also Verbraucherschutz – und nicht zuletzt – drittens – um den Diesel, der wegen der höheren Effizienz und weniger Feinstaub unbestreitbare Vorzüge hat. Es geht also darum, ihn in dieser Phase nicht über Gebühr zu desavouieren, denn er hat – davon bin ich überzeugt – allen Unkenrufen zum Trotz mit Harnstoffeinspritzung – so sauber und sparsam, wie er dann wäre – nach wie vor eine gute Zukunft.

Die Nachrüstung scheint, technisch gesehen, doch in mehr als nur wenigen Fällen möglich zu sein. Rechtlich durchzusetzen ist sie allerdings – auch wenn Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen das hier im Plenum oder auch in diversen Talkshows anders suggerieren – nicht. Wenn überhaupt, ist das nur ausnahmsweise per Gesetz möglich. Auch hier greift der Rechtsstaat – diesmal mit dem Rückwirkungsverbot. In dieser Hinsicht, Herr Klocke, bedarf es sicherlich keiner Belehrungen gerade von Ihrer Seite über die Funktionsweise des Rechtsstaates und die Rolle der Gerichte in diesem Land.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch unterhalb der Ebene des Landes ist die Regierung teilweise darauf angewiesen, dass die Adressaten ihrer Maßnahmen mitspielen. Das gilt beispielsweise für die Kommunalpolitik, wenn es – wie in Düren – um Ortsumgehungen geht. Dort ziehen – Kollege Middeldorf hat es angesprochen – Vertreter derselben Parteien, deren Fraktionen hier im Landtag dicke Luft in Städten beklagen, eben nicht immer mit, wenn der Verkehr um das Zentrum herumgeführt werden soll, wodurch die Schadstoffbelastung verringert werden könnte.

(Beifall von der CDU)

Wir sind nicht unbelehrbar, sondern nehmen aus den Urteilen durchaus auch Erkenntnisse mit. Konsequent beschreiten wir den Weg mit vielfältigen Ansätzen, den Frau Ministerin eben zitiert hat. Diesen Weg haben wir beim März-Plenum folgendermaßen tituliert: „Luftqualität in unseren Städten verbessern – Fahrverbote vermeiden – Maßnahmen der Landesregierung für eine nachhaltige Mobilitätswende ergreifen“. Dass dieser Weg in Sachen Luftqualität der richtige ist, hat uns nicht zuletzt mein Vorredner Arndt Klocke in seiner Plenarrede am 19. September dieses Jahres attestiert. Sie wollten sich eben nicht selbst zitieren, dann mache ich es jetzt. Sie waren sich seinerzeit sicher:

„Wir werden die Erfolge – und ich bin sicher, dass sie bei der Frage der Luftreinhaltung eintreten werden – ...“

– davon waren Sie überzeugt –

„... im Bereich der ÖPNV-Nachrüstung, der Umstellung der Busantriebe auf Elektro, Wasserstoff oder Hybrid etc. erst in den nächsten Jahren spüren.“

In punkto Fahrverbote halte ich es tatsächlich nicht für ausgeschlossen, dass zumindest pauschale, sprich flächendeckende Einschränkungen vermieden werden können, nämlich wenn es der Bezirksregierung Köln gelingt, den vorliegenden frühen Entwurf der Fortschreibung des Luftreinhalteplans bis zu einer etwaigen Berufungsverhandlung so mit Angaben über neuerliche Entwicklungen und plausiblen Prognosen zu ergänzen, dass sein zukunftsgerichteter Gehalt in der zweiten Instanz stärker verfängt als in der ersten, die sich dem Vernehmen nach – warum auch immer; dazu muss man die schriftliche Begründung abwarten; das kann auch an Form, Inhalt und Zeitpunkt der Unterlagen gelegen haben – auf die Vergangenheit kapriziert hat, statt die nächsten Jahre in den Blick zu nehmen.

In Sachen „nachhaltige Mobilitätswende“ bin ich nicht zuletzt unter Bezug auf unseren diesbezüglichen sozusagen interdisziplinären Antrag vom April dieses Jahres „Innovative Antriebe fördern und technologieoffenen Fortschritt ermöglichen“ nach wie vor davon überzeugt, dass es im Land der Ingenieure möglich sein wird, Verkehr sauber und ohne Fahrverbote zu organisieren. Denn das hat mit Nachhaltigkeit fürwahr nichts zu tun. Auch deshalb lehnen wir Fahrverbote weiterhin ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ritter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will auf einige Argumente eingehen, die in der ersten Runde gekommen sind. Herr Deppe, Sie haben gesagt – es gab auch einige Zwischenrufe aus dem CDU-Lager –: Sie haben sieben Jahre nichts getan. – Mal ganz kurz die Erfolgsbilanz in diesem Bereich heruntergebetet: RRX auf die Schiene gebracht, Radschnellwege als neues Instrument eingeführt, die ersten Teilabschnitte Radschnellweg Ruhr schon gebaut, die Straßensanierung hochgefahren, Erhalt vor Neubau als Prinzip durchgesetzt.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Herr Ministerpräsident, Sie waren bei meiner ersten Rede nicht da. Ich habe mehrfach an Sie adressiert. Sie dürfen kommen und gehen, wann Sie wollen, aber wenn ich im zweiten Abschnitt beginne, zu reden, dann bitte ich Sie, einfach zuzuhören. Das gebietet die Höflichkeit hier im Parlament.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Hören Sie einfach mal zu! Dann können Sie in der zweiten Runde hier reden.

Wir haben die entsprechenden Mittel organisiert. Herr Wüst wird in den nächsten Jahren viel mehr Geld für den ÖPNV haben. Warum? – Weil Rot-Grün den Kieler Schlüssel durchgesetzt hat. Das heißt, Nordrhein-Westfalen bekommt deutlich mehr Geld für den ÖPNV. Das sind alles Punkte, mit denen umweltfreundliche Mobilität vorangebracht wird, wofür wir sieben Jahre in der Regierung gekämpft haben. Da brauchen Sie uns nicht vorzuhalten, hier wäre nichts gelaufen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie fragen uns: Was ist zu tun? Man kann natürlich ein Sofortprogramm schnüren. Was wäre mit einem landesweiten ÖPNV-Ticket? Wir haben das im Wahlkampf als 2-Euro-Ticket propagiert. Kollege Kutschaty hat es eben 1-Euro-Ticket genannt. Wien macht es vor. Warum gucken Sie sich das nicht ab und bringen das voran?

Was ist mit einer Initiative „JobRad“, wo das Land Baden-Württemberg ganz vorne ist? Was ist mit einem Job-Ticket, das in Hessen eingeführt worden ist? Wir Grüne haben dazu einen Antrag eingebracht. Die Anhörung steht in nächster Zeit an. Das sind alles Instrumente, die man, wenn man die Innenstadtluft sauberer machen will, als Landesregierung entsprechend unterstützen kann.

Frau Heinen-Esser, nein, wir wollen nicht zurück zum Benziner. Wir wollen auch nicht, dass Diesel ausgebaut wird. Wir wollen in alternative Antriebe nicht nur investieren, sondern sie müssen zügig durchgesetzt werden: Wasserstoff, E-Mobilität. Das, was in Aachen im Kleinen läuft, das muss im Großen laufen.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Herr Laschet, ich glaube, ich habe mehr Termine mit e.GO gemacht als Sie. Da brauche ich keine Nachhilfe von Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Ministerpräsident Armin Laschet: Gar nichts haben Sie gemacht!)

Frau Heinen-Esser, Sie haben mir eben gesagt, Sie bräuchten keine Nachhilfe im Bereich Luftreinhaltung. Ich habe mich bezogen auf die Pressemitteilung der Staatskanzlei am Nachmittag nach dem Urteil. In dieser Pressemitteilung vom 8. November, 15 Uhr – mit freundlichen Grüßen, Ihr Landespresse- und Informationsamt –, steht von Umweltschutz, Gesundheitsschutz etc. kein Wort.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist mit Ihrem Namen gekennzeichnet. Sie beziehen sich ausschließlich auf die Verhältnismäßigkeit und auf den Wirtschaftsstandort Köln. Ich sage Ihnen: Eine grüne Umweltministerin, ein grüner Umweltminister hätte eine solche Pressemitteilung nach einem solchen Urteil nicht herausgegeben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Herr Deppe, Sie haben eben auf Baden-Württemberg abgehoben. Der Unterschied zu Baden-Württemberg – die Situation in Mannheim kenne ich persönlich nicht auswendig – ist, dass der Ministerpräsident, der stellvertretende Ministerpräsident, der Innenminister Herr Strobl und der Verkehrsminister Herr Hermann gemeinsam vor die Presse getreten sind und zum Thema „Fahrverbot und Luftreinhaltung“ einen gemeinsamen Maßnahmenplan vorgestellt und angekündigt haben, dass es ab 1. Januar 2019 in Stuttgart für Euro-4-Dieselfahrzeuge zu Fahrverboten kommen wird. Das ist die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg. Das unterscheidet sich zu der Politik hier, wo sich der Ministerpräsident erdreistet, zu behaupten, diese Urteile wären rechtswidrig. Es steht Ihnen nicht zu, Herr Laschet, so etwas zu behaupten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von Ministerpräsident Armin Laschet)

Was Recht und Gesetz in diesem Land ist, entscheiden nämlich die Gerichte und nicht der Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sind nicht der Kaiser von Aachen, sondern der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Zum Schluss, weil Sie vermutlich gleich noch einmal reden, Frau Heinen-Esser: Sie haben den Luftreinhalteplan Köln angesprochen. Beim Luftreinhalteplan in Düsseldorf war es so, dass die Bezirksregierung wenige Tage vor dem Urteilsspruch diesen Plan vorgestellt und damit mit großer Wahrscheinlichkeit das Urteil der Richter abgemildert hat.

Ich frage mich – Frau Heinen-Esser, es wäre schön, wenn Sie mal zuhören –: Warum hat die Bezirksregierung Köln …

(Zuruf von Ministerin Heinen-Esser)

– Ja, es wäre ganz gut, wenn ich an Sie adressiere, wenn Sie einfach zuhören. Sie hatten mich gerade auch zu diesem Punkt angesprochen.

Die Bezirksregierung Köln hatte für Montag, nachdem das Urteil für Donnerstag angekündigt war, die Vorstellung des neuen Luftreinhalteplans angekündigt und hat wenige Stunden vor der Pressekonferenz diese Einladung zurückgezogen und dies damit begründet, dass erst das Urteil abgewartet werden müsse. Warum wurde in Düsseldorf anders vorgegangen, wo das Urteil anders ausgefallen ist, und warum hat die Bezirksregierung hier anders gehandelt?

Ich frage mich: Haben Sie hier interveniert, und, wenn ja, warum? Und wenn Sie nicht interveniert haben, dann würde ich gerne wissen, warum Sie nicht interveniert haben.

(Ministerin Ursula Heinen-Esser: Wir haben nicht interveniert!)

Dann hätte man sich dieses Urteil, das in Köln zustande gekommen ist, möglicherweise ersparen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das würde uns sehr interessieren.

Bezüglich der eben angesprochenen Hardware-Nachrüstungshersteller würde mich seitens des Wirtschaftsministers interessieren: Haben Sie je ein Gespräch mit Twintec und HRS über die serielle Fertigung von Hardware-Nachrüstung geführt? Und haben Sie sich in Berlin beim Bundesverkehrsminister Scheuer dafür stark gemacht, damit diese Maßnahme, die gerade die Landesumweltministerin als zielführend und sinnbringend angesprochen hat, in Berlin Recht und Gesetz wird? Das würde mich interessieren, Herr Pinkwart. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Diekhoff das Wort.

Markus Diekhoff*) (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nach dem engagierten Auftritt vom Kollegen Ott und von Herrn Klocke noch einmal festhalten: Nicht wir wurden 2016 von der Deutschen Umwelthilfe verklagt, weil wir keine wirksamen Luftreinhaltepläne aufgestellt haben. Das ist doch Fakt. Das können Sie nachlesen. Das ist doch eindeutig!

Dieses Versäumnis seit 2010 hat in der Folge auch dazu geführt, dass in Köln nicht pünktlich ein Luftreinhalteplan vorgelegen hat, der das Chaos hätte verhindern können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist eine direkte Folge Ihrer Versäumnisse von 2010 bis 2017. Dieses Urteil ist – das kann man nachlesen – auf Basis der Messwerte aus Ihrer Regierungszeit gefällt worden. In diesem Urteil sind die Maßnahmen, die wir als NRW-Koalition und Landesregierung nach vorne bringen wollen, noch gar nicht enthalten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Quatsch!)

Das fällt also komplett in Ihre Verantwortung. Trotzdem gibt es immer noch

(Jochen Ott [SPD]: Nichts kapiert!)

wesentliche Punkte, die geregelt werden müssen – auch aufseiten des Bundes. Das trifft natürlich auch die SPD.

Ziel der FDP bleibt es, Fahrverbote in Nordrhein-Westfalen flächendeckend zu verhindern.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aber dafür brauchen wir natürlich eine ehrliche Überprüfung von Messverfahren. Wir brauchen eine Überprüfung der europäischen Vergleichbarkeit von Messverfahren sowie der Ergebnisse dieser Messungen. Und wir brauchen bessere Lösungen zur Entschädigung der Bürgerinnen und Bürger als diejenigen, die nun in Berlin vorgelegt wurden. Die aktuellen Lösungen sind nicht praktikabel. Zum Beispiel sagt der Wohnsitz eines Fahrzeughalters nichts darüber aus, wo das Fahrzeug eingesetzt wird.

Deswegen ist eine Prämie nur für Bewohner betroffener Städte oder direkt angrenzender Landkreise für die FDP nicht akzeptabel. Die FDP fordert für alle Bürgerinnen und Bürger, die Opfer des Betrugs durch Autokonzerne geworden sind, eine klare und faire Entschädigungs- und Nachrüstungslösung – inklusive der Hardware.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Darüber hinaus brauchen wir zeitnah klare Gesetze und klare Regeln für Fahrverbote.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Dann machen Sie! – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Dazu brauchen wir die Hilfe aus Berlin; das können wir hier nicht leisten. Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, es in der Politik selbst zu klären und es nicht Gerichten zu überlassen.

Die NRW-Koalition und die Umweltministerin sind mit neuen Ideen vorangegangen. Wir gehen weiter. Bitte unterstützen Sie uns auf diesem Weg; das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Blex.

(Britta Altenkamp [SPD]: Darauf habe ich mich schon den ganzen Morgen gefreut! – Lachen von der SPD)

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon wieder beschäftigen wir uns heute mit dem scheinbar weltbewegenden Thema „Dieselfahrverbote“;

(Britta Altenkamp [SPD]: Ja, hurra!)

dem wichtigsten Thema in ganz Deutschland und – wenn man Ihnen glaubt – auch weltweit.

Ich habe Ihnen deshalb mal etwas mitgebracht.

(Der Abgeordnete hält ein Blatt Papier hoch, auf dem eine Weltkarte abgebildet ist. – Lachen von der CDU, der SPD, der FDP und den Grünen. – Unruhe)

Sie sehen hier die Karte aller Länder weltweit, in denen es Dieselfahrverbote ab Euro-4-Norm gibt. Da manche von Ihnen in Geografie nicht so bewandert sein mögen: Dieser kleine Punkt in Giftgrün ist Deutschland.

(Zuruf von der CDU: Das kennen wir schon!)

Sie sehen vielleicht: So weltbewegend ist das Thema gar nicht, und in unserem europäischen Ausland interessiert es – entschuldigen Sie – keine Sau.

Aber wir sind hier in Deutschland, und nur in Deutschland gibt es diese Dieselfahrverbote, und nur in Deutschland betreiben die Regierenden einen Feldzug gegen das Rückgrat der eigenen Wirtschaft. Aufgrund seiner führenden Automobilindustrie sollte Deutschland gerade das letzte Land sein, in welchem die Regierenden die eigene Industrie abwürgen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Der Katalysator war auch schon ein Fehler!)

Doch leider regiert in Deutschland mittlerweile dank Ihnen die politische Unvernunft. Auf rot-grünen Druck hin mussten Verstand und Wissenschaft ideologischen Wunschträumen weichen, und Energie- und Verkehrspolitik werden von Leuten ohne jeglichen Sachverstand vorgegeben.

(Lachen von Britta Altenkamp [SPD])

Denjenigen unter Ihnen, die noch über ein kleines bisschen Sachverstand verfügen, fehlt schlichtweg der Mut, sich der grünen Medienwalze entgegenzustellen.

(Beifall von der AfD)

Da Sie wohl alle fachfremd sind – es mag die eine oder andere Ausnahme geben; ich gehe aber davon aus, dass das eher nicht so ist –, lese ich Ihnen vor, was Toxikologen und andere Experten von der Hetzjagd auf den Diesel, die Sie so inbrünstig betreiben, halten.

Da wäre zum Beispiel Professor Hans Drexler, stellvertretender Vorsitzender der ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft:

„Ich hielte Fahrverbote für medizinisch nicht begründbar, wenn man die Stickoxidbelastung als Grundlage heranzieht.“

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Professor Dr. Joachim Heinrich von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin:

„Ist eine Person an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung gestorben, kann dies nicht eindeutig etwa auf eine Belastung mit Stickstoffdioxid zurückgeführt werden.“

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– Ich weiß, Sie von der SPD ignorieren die Fachleute. – Oder wer war das? War das Frau Heinen-Esser? – Ich glaube, nicht.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Frau Heinen-Esser konnte mir übrigens, anders als angekündigt, auch keine Fachstudien vorlegen.

Des Weiteren Professor Martin Hetzel, Chefarzt an der Stuttgarter Lungenfachklinik des Roten Kreuzes:

„Stickoxide in einer so geringen Konzentration wie in unseren Städten können keine krankmachende Wirkung haben.“

Dann wäre da noch Professor Helmut Greim, Träger des Bundesverdienstkreuzes und Toxikologe an der TU München. Über ihn schreibt „FOCUS Online“:

„Aus toxikologischer Sicht, so Greim, würden die aktuell festgestellten Überschreitungen nicht zu Gesundheitsschäden führen.“

– Nicht zu Gesundheitsschäden führen!

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Ich habe noch einen. Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie sagt über die Grenzwertüberschreitungen in Stuttgart: Die Werte, die am Neckartor gemessen würden, „sind sicher nicht repräsentativ für ein Stadtgebiet“. Damit würde nämlich unterstellt, die Menschen wohnten direkt am Straßenrand; also würden sie quasi an der Bordsteinkante schlafen.

Sie sehen also: Ihr Feldzug gegen den Diesel ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen. Er ist eine rein ideologische Panikmache. Und jede einzelne der 250 Messstationen in Deutschland ist ein Paniksensor.

Einer dieser Sensoren steht übrigens in Oldenburg und verzeichnet ebenfalls angeblich zu hohe Werte, übrigens selbst dann, wenn der Straßenabschnitt für mehrere Stunden wegen eines Marathons für Fahrzeuge gesperrt ist. Wir haben vorhin über Köln gesprochen. Ich glaube, in den Luftreinhalteplan Köln sollte auch ein Marathonverbot aufgenommen werden.

(Andreas Bialas [SPD]: Das ist ja mal was!)

Ich erkläre es Ihnen noch einmal: Bei uns beträgt der Grenzwert für Stichstoffdioxid im Verkehr 40 µg pro Kubikmeter. In den USA sind es 103 µg. Unser Grenzwert ist vor acht Jahren von der EU willkürlich abgesenkt worden. Eine wissenschaftliche Begründung dafür bleibt man in Brüssel uns bis heute schuldig.

Aber das ist Ihnen in Ihrer Gesinnungspolitik vollkommen egal; genauso wie es Ihnen egal ist, dass laut ifo Institut von einem Dieselverbot 159.000 Beschäftigte direkt betroffen sind.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Das ist die Schande. Und Sie müssen mir nicht mit der Gesundheit kommen. Die Fachleute – die es sicher besser wissen als grüne Studienabbrecher – haben ganz klar gesagt: Es gibt keine Gesundheitsgefahr; auch für grüne Ökobauern gibt es keine Gesundheitsgefahr

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Dr. Blex, Ihre Redezeit ist beendet.

Dr. Christian Blex (AfD): Was Sie machen, ist ein rein ideologischer Kampf. Und wir tragen diesen Feldzug nicht mit. – Danke schön.

(Beifall von der AfD – Britta Altenkamp [SPD]: Warum stellt Ihr einen Antrag, der nicht wichtig ist? Scheiße!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war Dr. Blex für die AfD-Fraktion. – Jetzt hat für die Landesregierung noch einmal Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind eine Reihe von Fragen gestellt werden, die ich gerne beantworten möchte.

Kollege Blex, zunächst einmal zu Ihnen. Als Sie die Karte hochgehalten haben, dachte ich: Jetzt ist es passiert – Sie glauben Ihren eigenen Fake News.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Gestern ist für Paris ein Dieselfahrverbot für ältere Diesel-Pkw verkündet worden. Es gibt Städte in Europa, etwa London, in die man nicht einfahren darf.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Es gibt Städte in Norditalien – das gilt übrigens auch für Rom –, in denen man nicht in die historischen Altstädte einfahren darf. Das alles fehlt auf Ihrer komischen Karte. Ich würde Sie herzlich bitten, sich doch mal mit der Realität und nicht mit Ihrer Wünsch-dir-was-Welt zu befassen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD – Heiterkeit von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Nun zu den Fragen, um die es konkret geht: Ich möchte hier noch einmal betonen, dass wir bei der Luftreinhaltung bezüglich der Dieselfahrverbote jetzt zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen unterscheiden müssen.

Die kurzfristigen Maßnahmen betreffen die aktuellen Luftreinhaltepläne, so auch den Luftreinhalteplan in Köln. Arndt Klocke, Sie haben gefragt, warum die Bezirksregierung diesen Luftreinhalteplan in letzter Minute zurückgezogen hat. Das kann ich Ihnen sagen: Es fehlten noch wesentliche Daten für diesen Luftreinhalteplan.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Hört, hört!)

Die Regierungspräsidentin hat dann, auch in Absprache mit der Stadt, entschieden, nicht mit einem offenkundig lückenhaften Luftreinhalteplan in die Verhandlungen hineinzugehen, sondern diesen erst zu komplettieren. Es fehlen noch Daten zur Verhältnismäßigkeit, also welche Ausweichverkehre zu erwarten sind. Das betrifft Dinge, die uns vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mitgegeben wurden.

Diese Daten kommen jetzt und werden in den Luftreinhalteplan eingearbeitet. Zum Anfang nächsten Jahres wird der Luftreinhalteplan in Köln vorliegen.

Zu den kurzfristigen Maßnahmen gehören auch solche – Jochen Ott hat eben schon einige erwähnt –, die beispielsweise ein Lkw-Transitverbot für die Kölner Innenstadt betreffen werden. Das wird erst in Kraft treten, wenn der Luftreinhalteplan vorliegt; dadurch wird es dann wieder eine deutlich spürbare Senkung geben.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber das sind Maßnahmen, die mit anderen Baumaßnahmen der Stadt abgestimmt werden müssen. Ich hatte gestern bereits gesagt, dass jede Stadt individuell betrachtet werden muss; so müssen etwa die Baustellen auf der Leverkusener oder auf der Mülheimer Brücke berücksichtigt werden. Darüber hinaus muss es mit den Software-Updates und den Hardwarenachrüstungen vorangehen – Letzteres ist auch für Köln entscheidend.

Diese Themen müssen wir mit der Vorlage des Luftreinehalteplans kurzfristig jetzt regeln, damit es an den belasteten Straßen tatsächlich zu Verbesserungen bei den Werten kommt.

Darüber hinaus – und das ist eben auch diskutiert worden – gibt es mittel- und langfristige Maßnahmen.

Mittelfristige Maßnahmen. Mein Kollege Wüst, selber ein passionierter Fahrradfahrer, gibt wesentlich mehr Geld für Radwege aus als irgendein Landesregierungsmitglied zuvor – auch das muss mal deutlich gesagt werden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

„Vernetzte Mobilität“ ist ein riesiges Thema. Das müssen wir angehen. In Zukunft werden wir nicht mehr nur mit dem einen Auto von A nach B unterwegs sein; stattdessen wird es vielleicht andere Modelle geben: Elektro-Carsharing in den Innenstädten; Diesel-Pkw im ländlichen Raum, um größere Strecken zurückzulegen; mehr ÖPNV in den Innenstädten, vielleicht auch intelligenteren ÖPNV.

Es wird ganze Maßnahmenbündel zur vernetzten Mobilität geben. Daran arbeitet der Kollege Verkehrsminister für Nordrhein-Westfalen sehr energisch, auch mit deutlich mehr Geld als bisher; das muss man offen sagen.

(Beifall von der CDU)

Ich bitte alle darum, in der Diskussion auch die Auswirkungen zu betrachten. Ich wiederhole: Eine isolierte Betrachtung einzelner Schadstoffwerte birgt das Risiko, dass andere Schadstoffwerte in die Höhe gehen. Das können wir als verantwortliche Umweltpolitiker nicht machen. Unsere Verantwortung liegt darin, das Gesamtsystem in der Balance zu halten. Das Gesamtsystem in der Balance zu halten, das heißt auch, Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die tagtäglich auf ihre Autos angewiesen sind, damit zur Arbeit fahren, ihre Kinder wegbringen müssen etc.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] und Matthias Kerkhoff [CDU])

Ich bitte da um Ihre Unterstützung. Ich bin zuversichtlich, dass wir das vernünftig hinbekommen werden. Den Luftreinhalteplan Köln, mit dem wir ins Berufungsverfahren gehen werden, werden Sie sicher positiv beurteilen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die SPD-Fraktion hat noch einmal das Wort. Herr Kollege Stinka, bitte.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Ritter hatte gesagt, dass wir nicht skandalisieren sollten.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Es ist ein Skandal, dass wir uns seit 425 Tagen mit diesem Thema beschäftigen und wir heute wieder nichts, aber auch gar nichts, gehört haben. Das ist ein Skandal, Herr Ritter!

(Beifall von der SPD – Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Hier wird heute Morgen über einen Luftreinehalteplan aus Köln gesprochen. Man wundert sich, dass die Unterlagen nicht richtig vorgelegen haben. Man ist ganz erstaunt – das sage ich auch mal Richtung Arndt Klocke –, dass Köln die Unterlagen nicht vollständig hat. Wie lange wissen wir eigentlich, dass Köln ein Problem hat? Wo sind die Unterlagen? Was tut die Oberbürgermeisterin, Herr Kollege Klocke? Ja, das ist mal eine Frage.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Lieber Herr Stinka, zuständig ist die Bezirksregierung! Da wäre ich ganz vorsichtig!)

Es kommt darauf an, dass man handelt und Unterlagen pünktlich einreicht und sich nicht jetzt auf das neue Jahr verzockt. Das gehört auch dazu, das muss man ganz klar sagen.

425 Tage Beschwichtigungen – keiner der Redner der regierungstragenden Fraktionen hat das Thema „Gesundheit der Menschen“ auch nur einmal in den Mund genommen. Gesundheit und Umweltschutz müssen koordiniert werden; das sagt auch das DGB-Konzept.

Hier wird weitläufig über Vertrauen gesprochen. Es ist das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher, das durch die Pläne von Herrn Scheuer zerstört wird. Herr Scheuer möchte, dass jemand, der vor drei Jahren einen Wagen für 30.000 Euro gekauft hat – derzeit ist er nicht mal mehr 15.000 Euro wert –, jetzt unter Zahlung einer Prämie von 3.000 Euro erneut einen Wagen kauft.

Ich frage mich: Wo ist Herr Laschet, der selbsternannte Arbeiterführer, um sich für die kleinen Leute einzusetzen? Das kann sich doch niemand leisten!

(Beifall von der SPD)

Wir setzen uns ein; wir wollen das. Deswegen ist diese Umtauschprämie …

(Andreas Bialas [SPD]: Das sagt er doch noch nicht mal!)

Unser Fraktionsvorsitzender hat darauf hingewiesen: Es scheint so zu sein, dass Herr Laschet nicht mal an Herrn Scheuer herankommt.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Wo ist die starke Stimme der CDU in Berlin, die die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Mehrzahl der Wagenbesitzer in Nordrhein-Westfalen in den Mittelpunkt rückt? Auf das Interview mit Frau Slomkas ist schon hingewiesen worden: Das war peinlich.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Wenn Herr Scheuer, der Lobbyist der Automobilindustrie, nur Nachkaufprogramme organisieren will und es nicht schafft, bis 2020 eine Rechtsverordnung für die Nachrüstsätze zu organisieren, in der Finanzkrise jedoch innerhalb von vier Wochen Rechtsverordnungen fertiggestellt werden können, dann liegt das daran, dass jetzt kein Druck gemacht wird und die CDU in Berlin pennt – an sonst nichts anderem.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Serdar Yüksel [SPD])

Im Hinblick auf die Nachrüstsätze ist es auch für den Ministerpräsidenten wirklich eine Schande, dass er unsere Stärken, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, nicht in Berlin einbringt und auch nicht deutlich macht, dass er sich für die hiesigen Unternehmerinnen und Unternehmer einsetzt,

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Er muss das doch bei uns machen! Die Umweltministerin!)

damit wir hier wirklich Veränderungen vollziehen können.

Sie stellen immer darauf ab, dass Berlin handeln muss. Frau Schulze und Frau Hendricks haben seit Beginn des Aufkommens dieser Probleme immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich bewegen muss. Es tut mir leid – ich kann Sie da nicht aus der Verantwortung entlassen –, aber hier muss der Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende dringend handeln.

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Und die Umweltministerin muss nichts machen!)

Wenn es darum geht, zügig zu handeln, hat diese Landesregierung Beispiele parat. Ich gehöre dem Umweltausschuss an und war im Zusammenhang mit der Änderung der Jagdgesetznovelle ganz erstaunt, dass wir plötzlich eine Forschungsstelle mit Rotwild-Sachverständigen bekommen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist im Interesse des Rotwilds!)

Wir haben bei der letzten Plenarrunde eine Gesetzesnovelle eingebracht. Es ist Ihnen möglich, in Nordrhein-Westfalen eine Sachverständigenstelle für Rotwild einzurichten, während eine Taskforce zum Thema „Diesel und Gesundheit“ fehlt. Innerhalb weniger Wochen wird das Rotwild in den Mittelpunkt gestellt, während die Menschen seit 425 Tagen außen vor bleiben. Das sind die Fakten.

(Beifall von der SPD)

Immer wieder heißt es: Wir sind die Einzigen. – Es hätte jedoch durchaus die Möglichkeit gegeben, sich innerhalb einer solchen Taskforce über Mitfahrzentralen zu unterhalten, mal eine Reise nach Oslo oder Rom zu unternehmen, sich in Stockholm umzuschauen und vielleicht sogar nach Paris zu fahren.

(Henning Höne [FDP]: Sie können auch mal die SPD erneuern! Ohne Rotwild!)

Da gibt es Beispiele genug. Es findet aber keine Koordinierung statt. Sie sind Teil dieser Vertrauenskrise, und Sie befördern sie noch weiter. Aus dieser Verantwortung kommen sie nicht heraus, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der SPD)

Wir entlassen Sie auch nicht aus dieser Verantwortung. Wer für Rotwild so viel Zeit übrig hat, der wird für die Menschen auch noch einen Augenblick erübrigen können, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD – Henning Höne [FDP]: Was haben Sie denn gegen Rotwild? Sie dürfen aber in diesem Jahr keinen Wildgulasch mehr essen! – Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Stinka, Sie haben Krokodilstränen geweint: „425 Tage“.

(Henning Höne [FDP]: Rotwildtränen!)

Das Gericht in Köln hat gesagt, man habe acht Jahre lang Zeit gehabt. Davon sind sieben Jahre die Ihren gewesen – 2. 555 Tage, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Also, Entschuldigung!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie hatten Zeit, zu handeln und sich intensiver einzubringen. Sie entdecken Ihre Handlungswut jedoch erst nach dem Regierungswechsel. Das ist in hohem Maße unglaubwürdig, das will ich Ihnen hier mal ins Stammbuch schreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Nadja Lüders [SPD]: Und was machen Sie jetzt?)

Herr Stinka, Sie spielen auf die kleinen Leute vor Ort an: Die haben wir im Auge, Sie offensichtlich nicht.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Jochen Ott [SPD]: Da müssen die aber Angst haben!)

Ihre Umweltministerin kündigt den Griff in die Taschen an: Steuererhöhung bei Heizöl, Steuererhöhung bei Benzin – das ist der Anschlag auf die Taschen der kleinen Leute. Das muss man mal ganz klar sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Nebelkerze!)

Im Übrigen, Herr Ott und Herr Klocke: Sie führen diese Dinge an. Warum aber ist der Luftreinhalteplan Köln nicht vorgelegt worden? Warum ist er zurückgezogen worden? Ja, die sozialdemokratische Regierungspräsidentin hat dies entschieden, und man hat das miteinander besprochen. Die Gründe hat die Umweltministerin gerade genannt. Sie sind also mitten im Thema und wissen auch, warum so entschieden worden ist. Hängen Sie also die Glocken nicht so hoch, dass Sie sie nicht mehr läuten können!

(Beifall von der CDU – Daniel Sieveke [CDU]: Jawoll! – Jochen Ott [SPD]: Du hast nichts in der Hand, Josef!)

Sie wissen genau, dass die Maßnahmen, die die Landesregierung auf den Weg gebracht hat, ihre Zeit brauchen, um ihre Wirkung entfalten zu können.

(Nadja Lüders [SPD]: Welche?)

Sie wissen genau, dass zum Beispiel Maßnahmen zur Elektrifizierung im Bereich der innerstädtischen Verkehre, beim ÖPNV – das wurde vorhin auch vom Kollegen der FDP schon vorgetragen –, leider aufgrund des Bürokratismus im Umweltministerium noch nicht freigegeben worden sind. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Nehmen Sie auf die eigenen Leute Einfluss und sorgen Sie dafür, dass gehandelt und nicht nur geschwafelt wird!

(Nadja Lüders [SPD]: Was? – Michael Hübner [SPD]: Du bist doch in der Regierung! Was erzählst Du denn für einen Scheiß?)

Sie liefern hier einen Bach von Betroffenheitstränen, haben aber selbst keinen Beitrag in Nordrhein-Westfalen geleistet – ganz im Gegenteil: Der grüne Umweltminister hat durch Untätigkeit die Dinge auf sich zukommen lassen, weil er genau diese Situation provozieren wollte, nämlich dass Urteile erlassen werden, die es ihm ermöglichen, seinen Feldzug gegen das Auto fortzuführen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Du bist Regierung, du musst das beantworten!)

Darum geht es am Ende.

(Jochen Ott [SPD]: Ganz schwach!)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen! Der Ministerpräsident und die Landesregierung haben vom Tage des Amtsantrittes an,

(Michael Hübner [SPD]: Ihr seid nicht in der Opposition! – Weitere Zurufe – Glocke)

der übrigens am 30. Juni letzten Jahres war – erst ein Jahr sind wir dabei –, den Versuch unternommen, alles Menschenmögliche zu tun, um die Werte zu senken. Sie wissen auch, welche Diskrepanzen wir …

(Michael Hübner [SPD]: Was denn? In Haltern oder wo?– Bodo Löttgen [CDU]: Da auch!)

– Natürlich wissen Sie das. Sie wollen es nur nicht wahrhaben. Erklären Sie doch erst mal der erstaunten Öffentlichkeit, warum Sie nicht vorher in der Lage waren, das zu bewerkstelligen, was Sie heute so bewegt und was Sie einfordern.

(Sarah Philipp [SPD]: Ihr müsst das machen!)

Warum haben Sie es nicht gemacht?

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Ich habe Vorschläge dabei, die alle abgelehnt worden sind! Hier habe ich sie! – Gegenruf von der CDU)

– Herr Ott, gerade Sie in Köln hatten alle Möglichkeiten der Welt, daran mitzuwirken. Sie haben dort jedoch mehr Lautstärke als Sachkompetenz bewiesen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Jochen Ott [SPD]: Das Ergebnis sieht man jetzt!)

Wir geben Ihnen Folgendes mit auf den Weg: Wirken Sie mit an der Deeskalation der Situation. Machen Sie sich nicht zum Büttel für jemanden, der sich „Umwelthilfe“ nennt. Das sage ich Ihnen auch noch mal ganz deutlich. Machen Sie sich nicht zum Büttel!

(Beifall von der FDP)

Sie wissen doch auch, dass sich die Umwelthilfe ihre Arbeit von Toyota sponsern lässt. Warum wohl?

(Beifall von der CDU)

Toyota verfolgt ein Geschäftsmodell, und die Umwelthilfe offensichtlich auch. Wir aber möchten den Bürgerinnen und Bürgern die Mobilität erhalten.

(Nadja Lüders [SPD]: Wie denn?)

Wir möchten den Menschen die Möglichkeit geben, sich in allen Städten unseres Landes so zu bewegen, dass sie wirtschaften können, dass sie Arbeitsplätze und Stätten der Kultur erreichen können.

(Sarah Philipp [SPD]: Dann macht das!)

Daran können Sie mitwirken. Sie sollten nicht permanent den Versuch unternehmen, anderen Stöcke in die Speichen zu werfen.

Das ist Ihre Art von Opposition: nicht mitwirken, stattdessen Destruktion und Beschimpfungen.

(Weitere Zurufe von der SPD – Glocke)

Sie haben noch keinen sachlichen Beitrag geleistet – keinen einzigen in Ihrer Regierungszeit und heute auch nicht. – Herzlichen Dank.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Lautstärke ersetzt keine Argumente!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Das war die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 1, Aktuelle Stunde. Weitere Wortmeldungen können nicht mehr vorliegen, auch wenn das jetzt alle miteinander bedauern. Deshalb schließe ich Tagesordnungspunkt 1 und rufe auf:

2   Mit der Strategie für ein digitales Nordrhein-Westfalen gut gerüstet für die digitale Zukunft

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3579

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Digitalisierung und Innovation
Drucksache 17/4149

Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Digitalstrategie war schon im Koalitionsvertrag verankert. Als NRW-Koalition haben wir uns im Frühjahr dieses Jahres auf den Weg gemacht, um die Vielzahl der Facetten der Digitalisierung zu begutachten und in den Zusammenhängen zu sehen.

Digitalisierung macht nicht am Glasfaserkabel halt, sondern findet Eingang in alle ministerialen Zuständigkeiten. Von der Medienpolitik über Gesundheit, Arbeit, Landwirtschaft, Energie, Rechts- und Innenpolitik – es gibt keinen Fachbereich, in dem Digitalisierung nicht eine Rolle spielt. Also war und ist es uns wichtig, das alles mit Leben zu füllen und das große Ganze zu sehen: Wie gestalten sich die Zusammenhänge? Welche Voraussetzungen gibt es dabei? Wo müssen wir das Rad nicht noch einmal erfinden?

Wir haben dazu als NRW-Koalition bereits im Frühjahr einen Antrag eingebracht, in dem wir entscheidende Fragen gestellt haben, um ganz bewusst auch externe Expertise einzuholen. Daraufhin hat einen ganzen Tag lang über acht Stunden hinweg eine große Anhörung stattgefunden, um diese Fragen mit den Sachverständigen intensiv zu debattieren.

Im Juli erfolgte dann vom Digitalministerium die Veröffentlichung eines Entwurfs für die Digitalstrategie Nordrhein-Westfalen, in den bereits einige Erkenntnisse aus der Anhörung Eingang gefunden haben. Daran schloss sich die Möglichkeit zur offenen, transparenten Beteiligung an, und das Ganze endete mit der Digitalkonferenz Ende Oktober. Als NRW-Koalition haben wir den Prozess durchgehend tatkräftig begleitet.

Die Opposition wird gleich sicherlich ihr übliches, schon bekanntes und mittlerweile ermüdendes Argument bringen: Wieso habt Ihr so etwas überhaupt nötig? Ihr behauptet doch, von Digitalisierung so viel Ahnung zu haben.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Das habe ich dieser Koalition nie unterstellt! Das weise ich zurück!)

Wir sind durchaus selbstbewusst genug, um gute Ideen für die digitale Zukunft unseres Landes auf den Weg zu bringen. Das haben wir bereits unter Beweis gestellt mit dem 1.000 x 1.000-Gründerstipendium, mit den fünf digitalen Modellregionen, mit der Unterstützung für Breitbandprojekte und mit den Gigabit-Geschäftsstellen in jeder Bezirksregierung. Das alles gab es unter Rot-Grün nicht.

Gleichzeitig haben wir den Mut, uns Expertise hinzuzuholen und Fragen zu stellen, wenn rasante Entwicklungen schwer abzuschätzen sind. Das ist ein Phänomen, das nun einmal das digitale Zeitalter auszeichnet. Statt einer reinen Top-down-Politik setzen wir auf gemeinsamen Austausch, auf Schwarmintelligenz, auf das Wissen von der Graswurzel an. Diesen Mut, mitgestalten zu lassen und auch mal Fragen zu formulieren, ließ Rot-Grün vermissen. Deshalb bin ich stolz auf den Beteiligungsprozess der Digitalstrategie.

Als NRW-Koalition legen wir Wert darauf, jetzt die Erkenntnisse der zahlreichen Gespräche und Foren der vergangenen Monate auch in den finalen Prozess einzubringen. Neben den fachlichen Zusammenhängen wollen wir als Leitfaden ganz besonders den Menschen in den Mittelpunkt stellen, und zwar insbesondere anhand von drei Schnittstellen.

Schnittstelle eins: Mensch zum Device. Der Mensch muss in die Lage versetzt werden, mit Digitalisierung, Algorithmen und Endgeräten umzugehen. Dafür müssen wir von der frühkindlichen Bildung an bis zum lebenslangen Lernen denken.

Schnittstelle zwei: Mensch als Nutzer zum Unternehmen. Der Anwender muss souverän über seine Daten entscheiden können. Gleichzeitig dürfen wir Geschäftsmodelle nicht allein dadurch beschneiden, dass Datenverarbeitung vom Grundsatz her verboten wird. Deshalb ist es uns wichtig, anonymisierte, pseudonymisierte Datenverarbeitung zu stärken, auch durch mehr Forschung und Entwicklung in unserem Land.

Schnittstelle drei: Mensch als Bürger zum Staat. Der Mensch als Bürger hat den Anspruch, mit einem modernen Staat zu kommunizieren, und das sicher; also spielen auch hier Daten eine große Rolle. Wir wollen Blockchain-Anwendungspiloten in den Blick der Verwaltung nehmen. Für die Herausforderungen sollen die Kommunen unterstützt werden und Chief Digital Officers schaffen. Mit diesem Personal und mit einem Open-Data-Gesetz für NRW können und wollen wir von unten wie von oben daran arbeiten, eine neue Kultur des Austauschs und der Kooperation zu etablieren.

Ein zweiter beliebter Vorwurf der Opposition wird gleich sicherlich lauten: Das ist aber nicht konkret genug. – Abgesehen davon, dass ich den Vorwurf weder hinsichtlich der Strategie, wie sie im Entwurf bislang bekannt ist, noch hinsichtlich unserer Anträge teilen kann, waren alle Fraktionen durch unsere Anträge und durch den Strategieentwurf dazu eingeladen, sich an einer ergebnisoffenen Debatte zu beteiligen. Leider haben wir bislang keinerlei Vorschläge, Hinweise und Einlässe – weder von SPD und Grünen noch von der AfD – erhalten, wie eine Digitalstrategie für NRW denn stattdessen aussehen sollte. Der Prozess läuft immerhin seit fünf Monaten – also Zeit genug, wenn man denn eigene konkrete Ideen hätte.

So bleibt der Eindruck von Getöse, vielleicht sogar von Neid, nicht in der Lage gewesen zu sein, diese Grundlage für den digitalen Fortschritt NRWs zu liefern. Da bleibe ich ganz nüchtern: Die Digitalstrategie als Querschnittsstrategie ist die Grundlage – nicht mehr, nicht weniger.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Florian Braun (CDU): Schritt für Schritt werden wir die formulierten Ziele umsetzen, in den kommenden Monaten Fortschritte nachvollziehen, sie bewerten, Schlussfolgerungen ziehen und dann auch die Strategie weiterentwickeln.

Wir haben also noch viel vor. Ich freue mich, wenn sich andere Fraktionen auch endlich auf den Weg machen. Für den heutigen Tag darf ich es dabei belassen, unseren Antrag zur Annahme empfehlen und das Ministerium bitten, die Änderungen einzuarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Kampmann das Wort.

Christina Kampmann (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Florian Braun, dass Sie Ahnung von Digitalisierung haben, das haben sowohl Matthi Bolte-Richter als auch ich noch nie behauptet. Ich glaube, das werden wir so schnell auch nicht tun. Umso schöner wäre es gewesen, wenn die von Ihnen vorgelegte Digitalstrategie das Gegenteil beweisen würde und wir heute über eine echte Strategie diskutieren könnten, die diesen Namen tatsächlich verdient.

Sie aber haben nichts weiter als ein Sammelsurium an längst begonnenen Maßnahmen, an Einzelplänen und an groben Zukunftsszenarien vorgelegt, die allenfalls erahnen lassen, wohin Sie in der Zukunft mit Ihrer Digitalisierungspolitik wollen.

Der Beteiligungsprozess, auf den Sie so stolz waren, wie Sie gerade gesagt haben, hat hervorgebracht, dass gerade mal 0,00096 % der nordrhein-westfälischen Bevölkerung

(Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner: So viele!)

dabei waren und tatsächlich mitgemacht haben. – Wenn Sie mich fragen: Ein erfolgreiches Beteiligungsmodell sieht anders aus. Sie haben hier nichts anderes als ein Armutszeugnis an Ideen und Kreativlosigkeit abgeliefert. Ich finde, das muss man an dieser Stelle ganz konkret benennen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen wir uns doch mal an, was in Ihrem Werk tatsächlich drinsteht:

Erstens. Im Wirtschaftsbereich stört mich eines immer und immer wieder: Sie erheben es zur Maxime, dass eine digitale Wirtschaftspolitik dann erfolgreich ist, wenn wir möglichst viele Start-ups in Nordrhein-Westfalen angesiedelt haben – als könnte das allein unsere Wettbewerbsfähigkeit retten.

Dabei haben wir in unserem Land ein ganz anderes Potenzial. Wir haben noch starke industrielle Strukturen. Wir haben starke Familienunternehmen, einen starken Mittelstand. Unser großes Potenzial besteht darin, das Vorhandene mit den Start-ups, die wir in unserem eigenen Land haben, zusammenzubringen und nicht den Amerikanern und den Chinesen hinterherzulaufen. Die sind schon viel weiter. Wir müssen unsere eigene digitale Identität stärken.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Davon lese ich leider viel zu wenig – sowohl in Ihrem Antrag als auch in Ihrer Digitalstrategie.

Zweitens. Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das ein ganz entscheidender Punkt: Was schreiben Sie eigentlich zur Arbeitsmarktreform? Millionen von Menschen bekommen tagtäglich Zahlen an den Kopf geworfen, wie viele Jobs in ihrer Branche in Zukunft wegfallen werden.

Was schreiben Sie zur Digitalstrategie? Sie haben gerade schon gesagt, wir würden bestimmt kritisieren, dass Sie zu wenig konkret sind. Was schreiben Sie in der Digitalstrategie? Kein Abschluss ohne Anschluss – Entschuldigung! Sie schreiben, dass es in Zukunft eine App geben wird, die das unterstützen wird. – Da frage ich mich: Soll das tatsächlich Ihre Strategie sein? Das ist doch exemplarisch dafür, dass Sie sich gerade im Klein-Klein verlieren.

Die Tatsache, dass der Minister heute noch nicht mal anwesend ist, zeigt doch, dass er sich für diesen für unser Land so wichtigen Prozess überhaupt nicht interessiert. Zudem kündigt er an, auf Dialogreise gehen zu wollen. – Ich sage: Die Zeit für Dialogreisen ist vorbei. Wir erwarten von Herrn Laumann ganz konkrete Umsetzungsmaßnahmen zur digitalen Arbeitsmarktreform, und das erwarten auch die Menschen in unserem Land. Bisher ist aber nicht passiert. Da sollten Sie auf jeden Fall mal ein Stück nachlegen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Florian Braun [CDU]: Wie war das mit Ihren konkreten Ideen? – Zurufe von der FDP)

Was also wird von Ihrer Digitalstrategie bleiben? – Wenn ich Sie anschaue, sehe ich in Ihren eigenen Augen wenig Hoffnung. Ich kann Ihnen sagen, warum wenig von Ihrer Strategie und genauso wenig von Ihrem Antrag übrigbleiben wird: Sie feiern sich dafür, dass Sie einen Digitalminister haben. Das finden auch wir erst mal gut. Der könnte eigentlich alles umsetzen, was er umsetzen wollte.

Das passiert aber nicht. Dafür sind zwei entscheidende Fehler verantwortlich:

Ein Fehler ist, dass Sie das Digitalministerium mit dem Wirtschaftsministerium zusammengelegt haben, was bedeutet, dass alle digitalpolitischen Maßnahmen auch durch die wirtschaftspolitische Brille gesehen werden.

Der zweite Fehler: Auch alle anderen Ressorts feiern ab, dass sie einen Digitalminister haben und fragen sich: Was haben wir eigentlich mit einem modernen Wirtschaftssystem, einem guten Bildungssystem, einer modernen Arbeitsmarktpolitik, mit neuen Mobilitätskonzepten zu tun? Wir haben ja einen Digitalminister.

Genau diese Ambitionslosigkeit der anderen Ressorts spiegelt sich in der Digitalstrategie und in Ihrem Antrag wider. Das ist ein Armutszeugnis, das weder dem Innovationspotenzial der Unternehmen in diesem Land noch der Fortschrittlichkeit der Menschen gerecht wird. Deshalb können wir an dieser Stelle ganz bestimmt nicht mitgehen. Da sollten Sie das nächste Mal etwas anderes vorlegen, was diesem Land tatsächlich gerecht wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Kampmann. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lebendige, demokratische, moderne Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie Veränderungen nicht nur zulassen, sondern den Wandel zu einer ihrer zentralen Stärken machen. Im Wandel, in der Erneuerung liegt die Kraft, sich stets neu zu erfinden, sich persönlich und als Gesamtgesellschaft weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Digitalisierung uns als politisch Verantwortliche vor besondere Aufgaben stellt. Sie wirkt in alle Bereiche des Lebens hinein: in die Wirtschaft, die Arbeitswelt, die Wissenschaft, in agierende Unternehmen, Familienunternehmen, den ländlichen Raum, Eliteuniversitäten oder Grundschulklassen. Die Digitalisierung ist eine allumfassende Transformation in unserer Gesellschaft.

Von daher danke ich der Landesregierung und insbesondere Herrn Minister Pinkwart für die vorgelegte Digitalstrategie hier in Nordrhein-Westfalen. Ich will es in aller Deutlichkeit sagen: Das ist ein einmaliger und exzellenter Vorgang in der gesamten Bundesrepublik, von dem sich andere Bundesländer und auch die Bundesregierung eine Scheibe abschneiden können.

(Beifall von der FDP)

Folgendes will ich insbesondere wegen des Beteiligungsprozesses noch mal betonen: Frau Kollegin Kampmann, das ist eine einmalige Sache, dass eine Landesregierung so viele verschiedene Player mit auf den Weg nimmt; das ist ein exzellenter Weg. – Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie das in dieser Art und Weise kritisieren. Das zeugt entweder von einer gewissen Arroganz, weil Sie meinen, Politik müsste immer allwissend sein und würde nicht die entsprechenden Hinweise aus der Gesellschaft aufnehmen, oder es zeugt von einem gewissen Neid, weil Sie es in sieben Jahren nicht geschafft haben, Ideen zu sammeln und daraus eine Strategie zu entwickeln, wie wir Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren voranbringen.

Deswegen glaube ich, dass die Digitalstrategie, so wie wir sie angelegt haben – auch mit dem Beteiligungsprozess –, der richtige Weg für Nordrhein-Westfalen ist, weil wir Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen, Organisationen, Player und Unternehmen mit auf den Weg nehmen.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch sagen, dass die Punkte, die wir heute in unserem Antrag angesprochen haben, zentral sind, und wir uns freuen, dass sie in die Debatte einfließen werden.

Zum einen geht es darum, dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere Kernkompetenz tatsächlich digital umsetzen, nämlich die Bildungspolitik. Das heißt, wir müssen die Schulen in das digitale Zeitalter mitnehmen, die Infrastruktur dort gemeinsam mit den Kommunen zur Verfügung stellen, aber auch dafür sorgen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die digitalen Medien anwenden können, um die Schüler auf das digitale Leben vorzubereiten.

Das geht bis dahin, dass wir über Coding in den Schulen sprechen und dafür die Rahmenbedingungen auf den Weg bringen müssen. Da haben wir von der Vorgängerregierung leider sehr wenig vorgefunden.

Parallel zur Chancengerechtigkeit ist es zum anderen aber auch unsere Aufgabe, die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Nur wer Herr über seine Daten ist, ist im digitalen Zeitalter wirklich souverän. Der vorliegende Gesetzentwurf greift diesen Aspekt auf. Gerade für die Freien Demokraten – das kann ich an dieser Stelle noch einmal bekräftigen – gilt, dass ein modernes Datenrecht elementarer Bestandteil einer Digitalstrategie sein muss. Ansonsten – so ist es bereits in der Anhörung im Ausschuss angeklungen – bleibt vom Datenschutz nur das moderne Nein übrig, damit ist niemandem gedient. Deswegen muss eine moderne Datenhoheit das Ziel sein.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Drittens. Die digitale Transformation bietet auch eine Chance für eine transparente, dynamischere und effektivere Beziehung des Bürgers zum Staat und umgekehrt. Es braucht eine glaubhafte und gut umsetzbare E-Government-Strategie. Die von der Landesregierung ausgewiesenen digitalen Modellkommunen sind dafür die ideale Plattform. Die Arbeit trägt bereits Früchte. Dort werden gute und zukunftsträchtige Projekte in den verschiedensten Bereichen umgesetzt.

Als Wuppertaler weiß ich, wovon ich spreche: Damit diese Inseln zu Leuchttürmen und zu Vorbildern für ganz Nordrhein-Westfalen werden können, braucht es weiterhin mutige Ideen und Entscheidungen. Allein die Blockchain-Technologie bietet enormes Potenzial, das es zu nutzen gilt: in Pilotprojekten und nach erfolgreichen Testphasen konsequent in der Fläche – so, wie das jetzt in Aachen geplant ist.

Zum Abschluss hätte ich mir gewünscht, dass wir diese Debatte, die Anhörungen und die Ausschussberatungen genutzt hätten, um die Vorschläge, die von der SPD und den Grünen hätten kommen können, mitzuberaten.

Ich finde es bemerkenswert, dass Sie sich nach sieben Jahren Regierungszeit und einem Jahr Opposition jetzt hierhinstellen und nur das Verfahren kritisieren, ohne Impulse in dieser Debatte einfließen zu lassen. Da wäre es gerade wichtig gewesen, von Ihnen, Frau Kampmann, zu hören, was sich die SPD in der Arbeitsmarktpolitik vorstellt. Ich glaube, da gehen die Meinungen und die Haltungen in Teilen auseinander. Hier ist der richtige Ort, um darüber zu diskutieren. Ich hoffe, dass Sie den Vorschlag, den Sie im Kopf haben oder innerparteilich diskutieren, auch mal hier ins Parlament einbringen und wir dann über diese Punkte diskutieren können.

Abschließend möchte ich der Landesregierung danken. Ich freue mich über die Zustimmung zu dem Antrag.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Hafke, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Natürlich hat das jetzt eine Zwischenfrage provoziert, und zwar von Frau Kollegin Kampmann. Möchten Sie sie zulassen?

Marcel Hafke (FDP): Ja.

Christina Kampmann (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. Sie haben mich gefragt, und ich werde mit einer Gegenfrage antworten, aber trotzdem ganz kurz darauf eingehen, was wir geplant haben.

Wir haben unsere Konzepte im Weißbuch von Andreas Nahles zum Thema Arbeiten 4.0 bereits dargelegt.

(Florian Braun [CDU]: Haha!)

Daraus gehen ganz konkrete Konzepte hervor, wie wir Weiterbildung organisieren wollen und was wir uns zur Zukunft des Arbeitsmarktes vorstellen.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

Jetzt frage ich Sie: Was plant denn die FDP ganz konkret? Wo ist Ihr Konzept dafür?

Marcel Hafke (FDP): Es ist bemerkenswert, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten und dabei auf die Bundespolitik zu verweisen, sodass wir das nicht hier im Landtag diskutieren.

Ich nehme die SPD in diesem Bereich derzeit nur so wahr, dass sie Ängste bei den Bürgern schürt und sagt, wie viele Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Wir wollen die Menschen befähigen, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden. Ich habe gerade ausgeführt: Das geht im Bereich der Bildung los, bei den Kleinsten im Kindergarten bis zur Grundschule, Schule und Universität sowie in der Weiterbildung. Wir wollen aber auch die Rahmenbedingungen dafür setzen, dass die digitale Transformation stattfindet.

(Christina Kampmann [SPD]: Wie sehen die aus?)

Das heißt, wir müssen Unternehmen hier in Nordrhein-Westfalen fit machen, aber auch neue Unternehmen ansiedeln. Dazu gehört beispielsweise das schnellste Internet. Sie haben versprochen, dass bis zum Ende dieses Jahres überall in Nordrhein-Westfalen schnelles Internet verfügbar ist. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Die Schulministerin sitzt hier und weiß: Lediglich 13 % aller Schulen sind ans schnelle Internet angeschlossen. Das ist das, was Sie uns hinterlassen haben. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren schnellstmöglich alle Schulen, alle Gewerbegebiete, alle Haushalte an das schnelle Internet angeschlossen werden, damit wir überhaupt in der digitalisierten Welt mitspielen können. Das machen wir hier in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hafke, Sie haben eben nach konkreten Vorschlägen meiner Fraktion gefragt. Ich möchte dazu gerne auf die „Agenda für mehr Innovation und Gründergeist in Nordrhein-Westfalen“ verweisen, die wir am 24. April dieses Jahres hier in diesem Haus in unserer Fraktion beschlossen haben. Es lohnt sich, das zu lesen. Sie könnten auch die Anträge konsumieren, die wir in den letzten Monaten daraus abgeleitet haben; möglicherweise bringt Sie das voran.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wir haben heute genau das erlebt, was wir schon im Ausschuss erlebt haben, nämlich eine Debatte, in der sich die Redner der Koalition vor Superlativen nicht in Sicherheit bringen konnten – und das allein aufgrund der Tatsache, dass sämtliche Ressorts einfach mal alles aufgeschrieben haben, was irgendwie mit Digitalisierung zu tun hat. Das ist Weltklasse, bundesweit vorbildlich usw.

Dass Sie jetzt eine Konsultation gestartet haben – nur nebenbei bemerkt, wir haben zu unserer Regierungszeit auch diverse Onlinekonsultationen gemacht –, in der Sie gefragt haben, was die Nordrhein-Westfälinnen und Nordrhein-Westfalen denn allgemein über die Digitalisierung denken – übrigens ein Prozess, der seit mindestens 30 Jahren läuft und der nicht, wie das in Ihrem Antrag steht, ein Zukunftsthema ist, sondern knallharte Gegenwartspolitik – und dass Sie sich dafür hochleben lassen und selber bewundern, finde ich schon bemerkenswert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was haben Sie denn vorgelegt? – Das ist keine Strategie, das ist auch kein Plan – und genau das ist das Problem der Digitalpolitik dieser Landesregierung.

Als Herr Laschet noch Oppositionsführer war, sagte er einmal zu seiner Vorgängerin: „Ersparen Sie uns diese quälende Aufzählerei. Wir sind nicht die Kassenprüfer des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme.“ Selten hat dieses Zitat so gut gepasst wie auf diese sogenannte Digitalstrategie der Landesregierung. Sie ist kein Plan, sie ist keine Strategie – sie ist schlicht und ergreifend das, was die Referate irgendwann im letzten Jahr mal die Hühnerleiter hochgegeben haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da wechseln sich Bestandsaufnahme und Versatzstücke aus dem Koalitionsvertrag ab – kurz gesagt: verdammt viel nichts auf 68 Seiten. Wenn Sie eine Strategie entwickeln wollten, dann schreiben Sie auf, welche Probleme Sie sehen, welche Probleme Sie lösen möchten, wie Sie das angehen wollen und welche konkreten Lösungen es gibt. Dann schreibt man noch auf, bis wann das passieren soll, wer dafür zuständig ist und was das kosten soll.

Das alles liefern Sie nicht, sondern Sie liefern einen bunten Gemischtwarenladen: da ein Förderprogramm, hier einen Wettbewerb.

Wenn man das jetzt einmal als Zwischenbilanz nach eineinhalb Jahren Digitalisierung auf dem Türschild von Herrn Pinkwart sieht, muss man sich schon fragen: Wenn Sie für ein solches Sammelsurium schon anderthalb Jahre brauchen, wie lange dauert es dann, bis Sie dann konkrete Maßnahmen aufs Gleis gesetzt haben?

Sehen wir uns ein paar Highlights an – einige sind bereits angesprochen worden –: Bildung ist uns allen irgendwie wichtig; darüber sind wir uns alle einig.

Was ist jetzt aber der Plan der Landesregierung? Mehr und bessere digitale Ausstattung an Schulen? Ein konkretes Fortbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer? Open Educational Resources? Mit all dem könnte man bei einer Digitalstrategie rechnen, aber nichts von alledem steht drin.

Stattdessen führt die Strategie – immerhin – aus, dass neben dem Begriff „Medienkompetenz“ auch Begriffe wie „digitale Bildung“, „digitale Kompetenzen“ oder „Medienbildung“ genutzt werden.

Das ist natürlich ein existenzielles Dilemma, und in diesem existenziellen Dilemma kommt jetzt die Schulministerin von der „Weltbeste-Bildung-Digital-first-Bedenken-second“-Partei“ und bringt die Rettung, die heißt: Kompetenzen in einer digital geprägten Welt.

Das ist toll. Die Lehrkräfte und die Lehrenden an Hochschulen haben zwar keine Whiteboards in ihren Klassen, Hörsälen oder Seminarräumen, aber sie wissen, dass sie mit Kreide und Tageslichtschreiber nicht digitale Bildung, sondern Kompetenzen in einer digital geprägten Welt vermitteln sollen.

Diese ganze Planlosigkeit lässt sich beliebig durch Ihre gesamte Strategie durchtragen. Da ist zum Beispiel auch die elektronische Patientenakte – ein Projekt, das seit vielen Jahren läuft und bei dem Sie jetzt mit viel Brimborium verkünden, dass Sie diesen seit Langem laufenden Prozess fortführen wollen. Was Sie aber konkret vorhaben und wie das schneller gehen soll – nichts von alledem. Es ist offensichtlich zu viel verlangt, so etwas in einer Digitalstrategie zu erwarten.

Bei der digitalen Verwaltung ist es genau das Gleiche. Sie haben vor über einem Jahr Ostwestfalen-Lippe als digitale Modellregion ausgerufen. Sie haben dann Monate gebraucht – drei Monate später als vom Minister versprochen –, um eine Förderrichtlinie zu liefern. Hier ist wertvolle Zeit ins Land gegangen, und das Ganze nicht einmal mit einem wirklich schlauen Konzept dahinter.

So schön Geld für OWL auch ist: Sie setzen weiter auf Modellprojekte. Sie setzen weiter darauf, dass es Leuchttürme gibt. Sie achten aber nicht darauf, in die Fläche zu kommen, damit die Leuchttürme auch einmal ein paar Schiffe haben, denen sie den Weg leuchten können.

So geht es dann weiter: „Modernes Datenrecht“ und „Datensouveränität“ bedeuten nichts anderes, als dass Sie den Datenschutz aushebeln wollen. Sie befeuern sogar, Herr Minister, dass die Bundesregierung gerade dabei ist, den 5G-Ausbau komplett zu versemmeln. Auch nichts Genaues dazu, woher Ihre Glasfaser-Fantastilliarden kommen sollen, die Sie immer versprechen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Wahrscheinlich, lieber Kollege Braun, sind die kommunalen Chief Digital Officers sogar hilfreich, die digitale Verwaltung „vorbeizubringen“. Sie werden aber nicht davon bezahlt, dass Sie den Kommunen gut zureden.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende: Dieser Loseblattsammlung wohnt kein Zauber inne. Sie haben riesige Erwartungen geweckt, aber am Ende steht keine digitale Strategie, sondern analoger Käse.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort. Bitte schön!

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man neu in den Landtag einzieht, erwartet man nach anfänglicher Aufregung durchaus, dass sich alles irgendwann wiederholt. Ich hätte jedoch nicht gedacht, dass das so schnell geht.

Die regierungstragenden Fraktionen haben uns am 28. Februar dieses Jahres mit einem Antrag unter dem Titel „Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen“ und am 11. September mit dem Antrag „Mit der Strategie für ein digitales Nordrhein-Westfalen gut gerüstet für die digitale Zukunft“ erfreut. Sehen wir einmal hinein.

Im Antrag „alt“ heißt es: „Die Digitalisierung umfasst alle gesellschaftlichen Bereiche …“

Im neuen Antrag heißt es: „Der Wandel wird alle Bereiche unseres Lebens umfassen …“

Antrag „alt“: „Die Digitalisierung ist keine Bewältigungs‑, sondern eine Gestaltungsaufgabe.“

Antrag „neu“: „Die digitale Transformation ist eine Gestaltungsaufgabe.“

Im Februar heißt es „Die Digitalisierung ändert alles“ und im September: „Die Digitalisierung verändert schon heute alles.“

Irgendwie wirkt dieses Phrasenbingo, als würde man jetzt Christian-Lindner-Wahlplakate vertonen: Es sieht irgendwie nett aus, es tut keinem weh, klingt modern und hat eigentlich auch wenig Folgen.

Sie haben völlig recht, wenn Sie die Digitalisierung thematisieren und zumindest versuchen, aus den veränderten Rahmenbedingungen eine angemessene Politik abzuleiten. Gemessen an den großen Worten in der Einleitung kommt am Ende aber nur ein Klein-Klein.

Es überrascht nicht, dass von der linken Hälfte des Hauses die Digitalisierung in erster Linie als ein Problem gesehen wird, dem man mit Regulierungen begegnen muss. Unvergessen ist etwa der Vorschlag, es Amazon zu verbieten, am Sonntag verkaufen zu dürfen.

Bei der CDU und bei der FDP will man immerhin die Chancen in den Mittelpunkt stellen und nicht immer nur über Risiken sprechen. Daher gibt es jetzt dieses Strategiepapier der Landesregierung, das jetzt durch Landtagsbeschluss quasi zum großen Wurf erklärt werden soll.

Landläufig nennt man so etwas Eigenlob; dazu gibt es im Volksmund ein paar schöne Sprichwörter, die ich Ihnen jetzt erspare. Ansonsten lesen wir aber nichts, was wir nicht schon gefühlt dutzendfach gehört haben.

Die Schulen sind nicht hinreichend auf die Digitalisierung vorbereitet, sie befinden sich jedoch allgemein nicht in einem besonders guten Zustand. Auch im digitalen Zeitalter wird man nicht um die elementaren Dinge des Lebens wie Lesen, Schreiben und eine gute Allgemeinbildung herumkommen. Unsere Schulen können das allerdings immer weniger leisten. Dafür sind sie schon jetzt unzureichend gerüstet, auch weil man sie mit allerlei ideologischen Vorgaben überfrachtet.

Es wird auch nichts mit dem Gründerland NRW werden, solange keiner mehr Naturwissenschaften oder einen Ingenieursstudiengang wählt und solange man an Schulen und Universitäten lernt, dass eine verbeamtete Stelle als Soziologe oder Genderwissenschaftler die höchste Weihe ist, die man in seinem Leben erreichen kann.

Die Antwort, wie Sie es ändern wollen, dass sich hierzulande rekordverdächtig wenige junge Menschen für eine Karriere als Existenzgründer begeistern können, bleiben Sie freilich schuldig. Sie werden das jedenfalls nicht ändern, indem Sie möglichst viele Tablets über unseren Schulen abklappen oder möglichst viele Glasfaseranschlüsse verlegen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie NRW zum Gründerland – zum Vorreiterland der Digitalisierung, wie es heißt – machen wollen, braucht es mehr. Es braucht vor allem mehr Mut, und Sie müssen dann auch an die Bürokratie, an das Steuersystem und vor allem grundlegend an das Bildungssystem herangehen und dürfen nicht nur Kosmetik betreiben.

Sie jedoch bedienen sich ausschließlich des Instrumentariums, das wir von Ihren Vorgängern schon kennen: Hier ein bisschen Fördergeld, da ein neuer Beirat und ganz viel Papier.

Das wirkt bemüht, und es wirkt auch so, als würde etwas passieren. Aber es wird leider nicht reichen, um die Welt, um Europa oder auch nur andere Bundesländer daran zu hindern, in Sachen Digitalisierung immer weiter an uns vorbeizuziehen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich im Namen der Landesregierung bei den Koalitionsfraktionen herzlich für den Antrag bedanken, auch für die in der Debatte ausgesprochene Unterstützung für die bessere Nutzung der Digitalisierungschancen in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte mich vor allen Dingen auch bei den Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung und den Beamtinnen und Beamten in unseren Ministerien bedanken, die sich in den letzten Monaten sehr intensiv in den Prozess der Entwicklung einer Digitalstrategie für Nordrhein-Westfalen eingebracht haben.

Ich glaube, wir können mit Fug und Recht für uns in Anspruch nehmen, dass wir zu den wenigen Ländern zählen, die sich ihre Digitalstrategie nicht von einer externen Unternehmensberatung haben schreiben lassen – nichts gegen Unternehmensberatungen –, sondern die sich selbst sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.

Dabei haben wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien mitgenommen; denn diese sollen zu einem erheblichen Teil die Digitalstrategie leben und mit umsetzen.

Ich freue mich, dass es uns nicht nur gelungen ist, in der Landesregierung einen solchen Entwurf einzubringen und durch die Kabinettsentscheidung in die öffentliche Diskussion zu bringen, sondern dass es uns auch gelungen ist, hierzu einen digital basierten Beteiligungsprozess, aber auch im Rahmen einer Digitalkonferenz zu organisieren. Der eine oder andere von Ihnen, den ich getroffen habe, hat an der Digitalkonferenz teilgenommen.

Mehr als 500 Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, Gewerkschaftsvorsitzende wie Kammerhauptgeschäftsführer und andere, auch Mitglieder des Landtags haben sich an elf Themenforen beteiligt, viele Beamtinnen und Beamten der verschiedenen Häuser.

Herr Ministerpräsident Laschet hat sich einleitend mit einer Grundsatzrede beteiligt. Herr Minister Wüst war dort, viele Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, Beamtinnen und Beamte, Bürgerinnen und Bürger. In den Themenforen wurden unglaublich viele Ideen, Vorschläge und Eingaben eingebracht.

Auch die Online-Beteiligung, Frau Kampmann, die Sie hier so ein bisschen ins Lächerliche zu ziehen versucht haben, hat sehr viele sehr konkrete Eingaben erbracht. Wenn sich 1.400 Menschen auf unsere Website begeben und ihre Prioritäten ankreuzen – wir haben mehr als 400 Online-Eingaben, die alle qualifiziert sind –, dann würde ich sagen, Frau Kampmann: Das hätten Sie zu Ihrer Regierungszeit auch einmal machen können, bevor Sie damals ein E-Government-Gesetz beschlossen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber es ist Ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, dass man an der Digitalisierung auch die Menschen in diesem Land beteiligen könnte. Das ist genau der Unterschied: Wir nehmen das nicht nur in der Frage ernst, was wir an Gesetzen und Verordnungen auf diesem Gebiet schreiben könnten. Entscheidend ist doch, dass wir beim Thema „Digitalisierung“ auch den Mentalitätswechsel hinbekommen, dass wir die Menschen einbeziehen.

Es geht darum, dass wir, wie Herr Braun es gesagt hat – so steht es auch in dem Antrag –, den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung stellen, denn nur dann macht Digitalisierung auch Sinn. Es ist doch kein technokratisches Werk.

Vielmehr geht es darum, wie wir in Zukunft als demokratisch verfasste Gesellschaft zusammenleben wollen. Darüber müssen wir diskutieren. Deswegen bin ich auch so dankbar, dass das heute im Landtag möglich ist.

Wenn wir darüber diskutierten, dann müssen wir auch die Breite des Themas sehen. Ich habe es bei Ihnen vermisst, Frau Kampmann, aber auch bei Ihnen, Herr Bolte-Richter, dass Sie sich auch einmal zu den grundlegenden Themen einlassen.

Wir haben bewusst gesagt: Wir haben eine ethisch-rechtliche Dimension, wir haben eine soziokulturelle Dimension, wir haben auch eine wirtschaftliche Dimension – natürlich, Frau Kampmann –, aber wir haben sie nicht nur. Es ist eine von vier Dimensionen.

Dann haben wir auch eine wissenschaftlich-technische Dimension. Bei Letzterer ist es so, dass wir nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern deutschlandweit bei der Infrastruktur aufholen müssen. Das ist ein riesiges Problem. In den letzten Jahren sind wir langsam vorangekommen, auch weil manche Prozesse sehr kompliziert gestaltet waren, wie wir dann auch feststellen konnten.

Wir haben in den letzten Monaten in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Bund hart daran mitgearbeitet, dass die Förderbedingungen verbessert werden, damit wir die Infrastruktur schneller ausbauen können, damit wir nicht diese Bugwelle vor uns herschieben müssen, die wir in den letzten drei Jahren erlebt haben und worunter die Kommunen sehr stark leiden.

Wir haben bereits eine Richtlinie fertiggestellt, mit der wir auch die Schulen schneller ans Netz bringen können. Sie haben damals mit der Aufgreifschwelle gekämpft. Da hieß es immer: Wer schon 30 Mbit hat, der kann nicht mehr zusätzlich gefördert werden.

Wir sind das Thema sofort angegangen, und wir haben auch erkannt: Eine Schule besteht nicht nur aus einer Klasse, sondern aus sehr vielen Klassen. Man kann eine Schule beihilferechtskonform auch an ein Glasfasernetz anschließen. Jetzt wird das möglich, jetzt setzen wir das um.

Wir gehen in der Digitalstrategie über alle Politikfelder, die relevant sind. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass sich eine Regierung auf Schwerpunktthemen konzentriert: Bildung, Gesundheit, Mobilität. Herr Kollege Wüst beteiligt sich mit ganz hervorragenden Vorschlägen zur Frage, wie wir die Mobilität von morgen organisieren wollen.

(Zuruf von Stefan Kämmerling [SPD])

Alles das versuchen wir hier zusammenzutragen. Wir stellen es zur Diskussion. Wir werden jetzt die vielen Eingaben und Anregungen mit einbeziehen. Dann wird die Digitalstrategie beschlossen, und dann arbeiten wir die verschiedenen sehr konkreten Zielsetzungen so ab, dass sich Nordrhein-Westfalen aus dem Mittelfeld – und da waren und sind wir – bei der Digitalisierung an die Spitze in Deutschland heranarbeiten kann.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Nordrhein-Westfalen hat hierfür beste Voraussetzungen. Aber wir müssen auch alle mitnehmen. Wir müssen es breit verankern. Genau das wollen wir tun. Wir freuen uns, wenn uns die Opposition dabei unterstützt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung hat ihre Redezeit um 59 Sekunden überzogen. Einige Fraktionen haben sich vorauseilend ebenfalls in diese Richtung begeben. Ich frage gleichwohl, ob es noch Wortmeldungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Digitalisierung und Innovation empfiehlt in der Drucksache 17/4149, den Antrag in Drucksache 17/3579 unverändert anzunehmen, sodass ich nun über den Antrag in Drucksache 17/3579 unmittelbar abstimmen lasse und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD.

Dann, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat der Antrag Drucksache 17/3579 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis hier in Hohen Hause eine Mehrheit gefunden und ist damit angenommen.

Wir kommen zu:

3   Gesetz zur Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4115

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Abgeordneten Christian Dahm das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Christian Dahm (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Straßenausbaubeiträge sind bei vielen Menschen in diesem Land ein großes Thema. Fast täglich berichten die Medien darüber, heute Morgen auch noch einmal im WDR. Beim Blick in die sozialen Medien stellen wir fest: Das bewegt die Menschen zurzeit in Nordrhein-Westfalen.

Warum ist das so? Weil viele Bürgerinnen und Bürger existenzielle Ängste vor dem Ausbau ihrer Straße haben. Sie erhalten hohe Gebührenbescheide, die oft ein Vielfaches ihres Einkommens ausmachen. Das KAG nimmt keine Rücksicht auf die finanzielle und wirtschaftliche Situation des Einzelnen.

Schauen wir einmal in die anderen Bundesländer: Immer mehr Bundesländer verabschieden sich von Ausbaubeiträgen. Es gibt sie nicht in Hamburg, es gibt sie nicht in Baden-Württemberg und auch nicht in Berlin, und kürzlich – zu Beginn des Jahres – sind sie auch in Bayern abgeschafft worden. In anderen Ländern wie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen laufen bereits Volksinitiativen gegen diese Beiträge.

Meine Damen und Herren, daher ist die Zeit auch reif für die Abschaffung der belastenden Straßenausbeiträge hier bei uns in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Ich sage das ganz deutlich, ohne Wenn und Aber. Wir sind davon überzeugt: Es gibt bessere und vor allen Dingen gerechtere Wege, die Finanzierung von Straßen hier bei uns in Nordrhein-Westfalen zu garantieren, und zwar ohne Zwang, dass Bürgerinnen und Bürger sich genötigt sehen, hohe Kredite aufzunehmen.

Wir sind der Auffassung: Straßenbau ist eine öffentliche Aufgabe und daher auch von der öffentlichen Hand zu tragen. Wir lassen doch auch nicht die Eltern die Sanierung der Schule bezahlen, die deren Kinder derzeit besuchen.

Ich sage ganz deutlich: Wir reden hier nicht von den Villenbesitzern. Wir reden von den jungen Familien, die hart und ehrlich in unserem Land arbeiten, die die Kinder großziehen, die sich gerade ein Haus gekauft haben und ihre Bankenkredite abstottern und demnächst möglicherweise hören müssen, dass ihre Straße nun zur Komplettsanierung ansteht.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir reden auch von dem Rentnerehepaar, das sich vor vielen Jahren ein Haus gebaut und dieses vielleicht vor Kurzem noch barrierefrei umgebaut hat. Allein mit einer Rente wären sie mit den Ausbaukosten völlig überfordert. Und bekommen Sie heute mal mit 70 Jahren noch einen Kredit bei einer Bank. Die Auflagen unserer Banken machen das nahezu unmöglich.

Wir reden auch von einem großen Maß an Ungerechtigkeit innerhalb unseres Bundeslandes, denn wir haben in den Kommunen unterschiedliche Gebührensätze von 50 %, 60 %, 70 % und 80 % der umlagefähigen Ausbaukosten. Es ist also vom Wohnort abhängig, was die Anlieger zahlen müssen.

Es sind die zahlreichen Initiativen, die Gespräche und Resolutionen, die uns veranlasst haben, Ihnen hier und heute einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge vorzulegen. Mit unserem Vorschlag entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.

(Beifall von der SPD)

Wir geben den Kommunen damit auch Planungssicherheit, und die Kommunen brauchen diese Planungssicherheit ganz dringend, nachdem Sie, meine Damen und Herren der CDU-Landtagsfraktion, für eine große Unsicherheit in diesem Land gesorgt haben, nicht zuletzt – er sitzt jetzt nicht auf der Regierungsbank – durch die Äußerungen des Verkehrsministers, der sich Anfang September auf der Veranstaltung der Landesvereinigung der Mittelständler für eine Abschaffung stark gemacht hat.

Ich zitiere ihn: Das würde die Bürger in diesem Land entlasten und ein Investitionshemmnis bei kommunaler Infrastruktur beseitigen, meinte der Vorsitzende der Mittelstands‑ und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, Hendrik Wüst, Anfang September auf der Landesdelegiertenversammlung. – Hört, hört, meine Damen und Herren!

Machen wir uns nichts vor: Aktuell ist es doch so, dass vor Ort, wo in unseren Städten und Gemeinden die Bürgerinnen und Bürger das Wort erheben, wo sich Bürgerinitiativen bilden, kein Rat mehr einen Beschluss zum Straßenausbau gegen den Willen der Bürger beschließt.

Ich habe Bürgermeister hier gehabt – übrigens aller Fraktionen, aller Parteien –, die gesagt haben: Ich baue doch keine Straße mehr in diesem Land, in meiner Stadt, solange wir diese Diskussion im Land Nordrhein-Westfalen führen.

Seit zehn Tagen ist eine landesweite Volksinitiative gestartet, die bereits mehr als 7.500 Unterschriften gesammelt hat. Ich bin überzeugt, dass hier das geforderte Quorum von 66.000 Unterschriften schnell erreicht wird.

Diesen Landtag erreichen seit Wochen immer mehr Petitionen, Beschlüsse und Resolutionen aus den Räten zu dem Thema. Ich will einige Beispiele nennen:

Aus Erndtebrück: Eine Petentin reicht eine Massenpetition mit 1.000 Unterschriften ein. Aus Bad Laasphe: Hohe Straßenausbaubeiträge in fünfstelliger Höhe belasten Rentner und junge Familien. Aus Lindlar: Die Ausbaubeiträge würden das Eigenheim als Altersvorsorge gefährden.

Dazu kommen die vielen Artikel und Berichte, zum Beispiel aus Rees, wo von den Anliegern bis zu 40.000 Euro für den Ausbau einer Wohnstraße verlangt werden, aus Duisburg-Neumühl, auch hier im fünfstelligen Bereich, aus Mönchengladbach, wo ein Rentner 26.000 Euro zahlen soll.

Das alles zeigt: Es gibt eine klare Notwendigkeit, diese Angelegenheit bürgerfreundlich zu regeln und die Gebühren abzuschaffen.

(Beifall von der SPD)

Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf auf den Tisch, der eine klare Regelung bietet: Die Anwohner müssen künftig für den Ausbau ihrer Straße keinen Cent mehr bezahlen, ihren Anteil übernimmt das Land, und für die Kommunen entstehen keinerlei zusätzliche Kosten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Herr Löttgen, ich bin gleich gespannt auf den Redebeitrag von Ihnen oder von Ihrer Fraktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ich freue mich, dass Sie hier schon Ihren Unmut deutlich machen, Herr Löttgen. Wenn Sie einmal auf Ihre Kommunalpolitiker vor Ort hören würden,

(Bodo Löttgen [CDU]: Genau das tun wir!)

müssten Sie eigentlich unserem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall von der SPD)

Denn an Ihrer Basis, Herr Löttgen, gibt es zahlreiche Beschlüsse und Resolutionen, die die Handschrift der CDU tragen, die mit den Stimmen der CDU-Basis vor Ort getroffen werden.

(Sven Wolf [SPD]: Sie haben vorher die Beiträge abgeschafft!)

Ich gebe Ihnen Beispiele: aus Haltern am See – ich glaube, das ist der Wahlkreis Ihres Generalsekretärs, oder? –, aus Brilon, aus Wesel, aus Siegen, aus Bünde, Neukirchen-Vluyn, aus Dinslaken, aus Lindlar und vielen anderen. Alle Resolutionen tragen einen Titel: Die Gebühren müssen abgeschafft werden! – Das ist die Handschrift der CDU in den Kommunen.

(Beifall von der SPD)

Es liegt jetzt an Ihnen. Wir haben einen Entwurf vorgelegt. Es liegt an Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen von CDU und FDP: Hören Sie in diesem Fall einmal auf Ihre kommunalen Vertreter. Lassen Sie uns gemeinsam eine bürgerfreundliche Lösung angehen. Wir laden Sie herzlich dazu ein. Darauf freue ich mich. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dahm. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Hoppe-Biermeyer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer den vorliegenden Gesetzentwurf der SPD liest, könnte glauben, dass es zur Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen nur weniger einfacher Umformulierungen bedürfe.

(Michael Hübner [SPD]: Ist doch auch so!)

Der Bürger wird entlastet, und in den Rathäusern muss sich niemand mehr des ungeliebten Themas annehmen.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig! – Zuruf von der CDU)

Tatsächlich haben Berlin und Hamburg – Sie haben es gesagt – die Straßenausbaubeiträge abgeschafft, weil in den beiden Stadtstaaten der bürokratische Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum finanziellen Ertrag stand.

Für die Städte und Gemeinden im Flächenland NRW hat sich das System der Straßenausbeiträge aber grundsätzlich bewährt. Natürlich kann man sich trotzdem darüber Gedanken machen, das System zu modernisieren.

Eine Frage drängt sich mir in dem Zusammenhang aber auf: Warum hat die SPD die Straßenausbaubeiträge nicht abgeschafft, als sie dazu die Gelegenheit hatte?

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Sieben Jahre rot-grüne Landesregierung reichten nicht aus, um eine Änderung des KAG auch nur in Erwägung zu ziehen.

(Zuruf von der SPD)

Schlimmer noch: In der letzten Legislaturperiode wurden Sie von der CDU mit einem Gesetzentwurf zur Einführung wiederkehrender Beiträge direkt auf das Thema gestoßen.

(Christian Dahm [SPD]: Das ist aber nicht die Lösung!)

Ihre Reaktion darauf war Nichtbeachtung.

(Christian Dahm [SPD]: Nein!)

Der seinerzeit zuständige Minister Ralf Jäger widmete der Sache im Plenum ganze drei Sätze.

(Zuruf von Inge Blask [SPD])

Dass die SPD jetzt einen Gesetzentwurf vorlegt, der die komplette Abschaffung der Straßenausbaubeiträge fordert, zeigt nur, wie verzweifelt die Genossen angesichts aktueller Wählerumfragen sein müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!  – Marlies Stotz [SPD]: Da ist ja billig, sehr billig!)

Da wird auf den erstbesten Zug aufgesprungen, der ein wenig Popularität verspricht. – So viel zur Motivation der SPD für diesen Gesetzentwurf.

Kommen wir zum Inhalt Ihres Entwurfs,

(Zurufe von der SPD: Ah!)

falls man das überhaupt so nennen kann.

(Beifall von der CDU)

Sie fordern etwas, ohne auch nur ansatzweise Vorschläge zur Umsetzung zu machen. Ihr Gesetzentwurf ist nicht nur handwerklich schlecht, er wirft auch mehr Fragen auf, als er beantwortet.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Hoppe-Biermeyer, entschuldigen Sie. Eine Frage ist gerade explizit aufgeworfen worden, nämlich eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hübner, wenn Sie diese zulassen.

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU): Später, am Ende.

(Lachen von der SPD)

Wer in einem Gesetzentwurf bei der Frage nach dem erforderlichen Kostenausgleich auf ein weiteres Gesetz verweist, das Sie nicht mitliefern, bleibt wesentliche Antworten schuldig.

Ihr Gesetzentwurf erklärt nicht einmal, über welche Kostenhöhe wir überhaupt sprechen. Sie nennen zwar im Gesetzentwurf 112 Millionen Euro bis 127 Millionen Euro, aber soll das der endgültige Betrag sein, der den Kommunen für den Straßenausbau zur Verfügung gestellt wird?

(Stefan Kämmerling [SPD]: Die Ministerin hat das erklärt!)

Oder meinen Sie das gesamte Einnahmepotenzial, das die Kommunen erheben könnten? Oder soll die komplette Finanzierung des kommunalen Straßenausbaus finanziert werden?

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Lieber Kollege Dahm, sagen Sie doch bitte einmal, woher das Land das Geld für die Straßenausbaubeiträge nehmen soll

(Michael Hübner [SPD]: Aus dem Haushalt, woher denn sonst?)

und wer dafür weniger Geld bekommen soll. Woran soll nach SPD-Meinung gespart werden: An den Kitas? An den Schulen? An der inneren Sicherheit?

(Zuruf von der SPD: An der Staatskanzlei!)

Ihr Gesetzentwurf ist einfach nur purer Populismus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nun aber zur Sache.

(Zuruf von der SPD)

Im Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ An diesem Grundsatz orientieren sich die Straßenausbaubeiträge in Nordrhein-Westfalen. Geregelt sind sie im Kommunalabgabengesetz, kurz: KAG. Kommunen sind nach § 8 des KAG NRW verpflichtet, Straßenausbaubeiträge zu erheben.

(Michael Hübner [SPD]: Schön, dass Sie sich damit auseinandergesetzt haben!)

Straßenausbaubeiträge nach KAG müssen in Nordrhein-Westfalen immer dann von Anliegern bezahlt werden, wenn Straßen ausgebaut, verbessert oder von Grund auf saniert werden.

(Zuruf von der SPD)

Unterhaltungs‑ und Instandsetzungsarbeiten sind dagegen keine Verbesserung; hierfür zahlen die Städte und Gemeinden alleine.

Jede Kommune hat zudem eine eigene Straßenausbaubeitragssatzung. Darin wird zum Beispiel zwischen den Straßentypen „Anliegerstraße“ und „Hauptverkehrsstraße“ unterschieden. Grundsätzlich gilt hier: Je höher der Nutzen, den der Anlieger von der Straße hat, desto höher sein Beitrag.

(Michael Hübner [SPD]: Das finden Sie richtig?)

Von Kommune zu Kommune können die prozentualen Anteile für denselben Straßentyp aber stark differieren.

(Zuruf von der SPD)

Je nach Beitragssatzung würden die Städte und Gemeinden also auch unterschiedlich stark von einer Abschaffung der Straßenausbaubeiträge profitieren. Das ist ungerecht und würde die kommunale Familie auseinanderdividieren.

Als ungerecht würden auch die Anlieger die Abschaffung empfinden, die gerade erst einen hohen Anliegerbeitrag bezahlt haben. Würden wir die Straßenausbaubeiträge komplett abschaffen, würde die Gesamtheit aller Steuerzahler dafür aufkommen müssen.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt!)

Der Städte‑ und Gemeindebund hat in einer Schätzung von einem hohen jährlichen dreistelligen Millionenbetrag gesprochen. Steuern müssen deutlich angehoben werden, um die wegfallenden Beträge zu kompensieren. Unter „Beitragsgerechtigkeit“ verstehen wir etwas anderes.

(Beifall von der CDU)

Für eine Beibehaltung des Systems der Straßenausbaubeiträge spricht, dass sich das System über Jahrzehnte bewährt hat und entsprechend rechtssicher ist.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt! Letzteres stimmt!)

Anliegerbeiträge sind für Städte und Gemeinden ein ganz wichtiges Instrument, um die Verkehrsinfrastruktur aufrechtzuerhalten.

(Zuruf von der SPD: Genau! Und den Bürgerfrieden!?)

Bereits jetzt haben die Kommunen einige Möglichkeiten, um den Bürgern entgegenzukommen, zum Beispiel die Stundung der Beiträge oder das Abschließen von Ablöseverträgen mit den Anliegern vor Baubeginn.

Dennoch sind die Straßenausbaubeiträge aktuell ein vieldiskutiertes Thema – fast deutschlandweit. In vielen Bundesländern wird über eine Abschaffung oder Neuregelung der Straßenausbaubeiträge diskutiert.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nur Sie tun das nicht! – Michael Hübner [SPD]: Richtig!)

Wir als Abgeordnete erhalten – das haben Sie richtig erkannt – vermehrt Bürgeranfragen zu diesem Thema.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig! Stimmt!)

Die an uns herangetragenen Anliegen nehmen wir ernst.

(Zuruf von der SPD: Das hört man! – Lachen von der SPD)

Leider gibt es Einzelfälle, in denen hohe Summen von den Anliegern gefordert werden,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Einzelfälle?)

besonders im ländlichen Raum, wo mitunter die Kosten für sehr lange Straßenabschnitte auf wenige Anlieger umgelegt werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie leben nicht in dieser Welt!)

Deshalb denken wir schon seit geraumer Zeit über eine Modernisierung des KAG NRW nach.

(Zurufe von der SPD: Oh! Aha! – Michael Hübner [SPD]: Offenbar erfolglos!)

Ziel sollte es sein, eine Regelung zu schaffen, die die Bürgerinnen und Bürger entlastet und die zugleich rechtssicher ist.

(Christian Dahm [SPD]: Das können Sie doch heute auch schon machen nach § 8 KAG!)

Der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf schießt eindeutig über dieses Ziel hinaus.

(Nadja Lüders [SPD]: Über welches jetzt genau?)

Die regierungstragenden Fraktionen von CDU und FDP wollen keinen vorschnellen Aktionismus. So komplex dieses Thema ist, so komplex sind auch die Lösungsmöglichkeiten

(Stefan Kämmerling [SPD]: Sagen Sie das mal Ihren Abgeordneten, die vorne was anderes erzählen!)

und ihre Vor- und Nachteile. Wir schauen dabei natürlich auch auf die Erfahrungen, die andere Bundesländer gemacht haben.

(Nadja Lüders [SPD]: Das nennt man dann abschreiben!)

Bei Weitem nicht jede landauf, landab vorgenommene Änderung ist nachahmenswert. So hat das Land Bayern die Straßenausbaubeiträge vor einigen Monaten zwar komplett abgeschafft, aber organisiert ist die Gegenfinanzierung noch nicht.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt!)

Ansätze für mögliche Lösungen, etwa flexiblere Zahlungsmodelle oder eventuelle Härtefallregelungen, werden bereits von uns diskutiert. Sie sehen: Wir sind in unseren Überlegungen schon bei konkreten Lösungsansätzen. Es bedurfte also des SPD-Gesetzentwurfs nicht.

(Britta Altenkamp [SPD]: Mann, Mann, Mann!)

Sie bringen den Gesetzentwurf ohnehin nicht ein, um den Diskurs voranzutreiben und vernünftige Ideen beizusteuern,

(Michael Hübner [SPD]: Sondern?)

sondern einzig und allein,

(Sven Wolf [SPD]: Um die Probleme der Menschen zu lösen!)

um sich als Bürgerversteher aufspielen zu können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Das machen wir aus Spaß, genau!)

Dieser Gesetzentwurf wird der Problematik nicht annähernd gerecht. Darum lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Christian Dahm [SPD]: Das ist Raumschiffpolitik!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Hoppe-Biermeyer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Höne das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die intensive Diskussion der Straßenausbaubeiträge, die wir in der Berichterstattung und durch Zuschriften von Bürgerinnen und Bürger mitbekommen, haben wir heute auch im Plenarsaal.

Die CDU hat dazu in der letzten Legislaturperiode einen Antrag eingebracht, der sehr lange im Kommunalausschuss immer wieder beraten wurde. Wir Freien Demokraten hatten im Frühjahr auf unserem Landesparteitag dazu auch eine Debatte. Das Ganze ist natürlich auch bei den Koalitionsverhandlungen besprochen worden. Kurzum: Das Thema ist für uns nicht neu; es beschäftigt uns schon länger,

(Heike Gebhard [SPD]: Und was steht dazu jetzt in Ihrem Koalitionsvertrag?)

was man vom Gesetzentwurf der SPD nicht sagen kann. Dieser zeigt, dass Sie sich offensichtlich nicht länger und intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben keine Koalitionsverhandlungen geführt! Henning, da hast du recht!)

Sie gehen den einfachsten aller möglichen Wege: Beiträge weg, über den Landeshaushalt gegenfinanzieren. Aber selbst den einfachsten aller Wege, Herr Kollege Dahm, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, gehen Sie nicht zu Ende.

Christian Dahm hat gerade vollmundig versprochen, mit diesem Gesetzentwurf würden den Kommunen keine Kosten entstehen.

(Christian Dahm [SPD]: So ist das!)

Das ist schlichtweg falsch.

(Zuruf von der SPD: Aha?)

Denn Sie sagen: Das müsste man später durch ein Landesgesetz regeln. Bei dem Gesetz, wie der Kostenausgleich dann aussehen soll, haben Sie aufgehört. Da war dann wahrscheinlich Feierabend oder vielleicht Mittagspause.

(Christian Dahm [SPD]: Lesen Sie mal Seite 3 des Gesetzentwurfs, Herr Höne! Da steht es drin!)

Sie schreiben: Es geht wahrscheinlich um 112 Millionen Euro bis 127 Millionen €.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Nein, Ihre Ministerin schreibt das! – Weiterer Widerspruch von der SPD)

– Nein, nein, aufpassen: Details. – Die Ministerin hat beschrieben, dass das die Summen der Einnahmen der Kommunen in den letzten Jahren sind.

(Christian Dahm [SPD]: So ist es! – Stefan Kämmerling [SPD]: Der Haushalt ist auch nicht jedes Jahr gleich!)

Was ist denn eigentlich mit den Erfahrungen in Bayern,

(Nadja Lüders [SPD]: Wir sind aber gerade in Nordrhein-Westfalen!)

die zeigen, die Kosten bleiben nicht gleich, sondern sie steigen? Was ist eigentlich mit Kostensteigerungen? Der Städte- und Gemeindebund hat noch einmal darauf hingewiesen: Allein beim Tiefbau gab es in den letzten Jahren Kostensteigerungen in Höhe von 30 %.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was erzählt Ihre Ministerin denn da?)

Von einer entsprechenden Dynamik steht im Gesetzentwurf auch nichts. Auch der lapidare Hinweis auf steigende Steuereinnahmen reicht nicht aus. Allein die Forderungen der Kollegen Maelzer und Ott, was Haushalt und Mehrausgaben angeht, übertreffen die steigenden Steuereinnahmen um ein Vielfaches, und zwar wöchentlich. Machen Sie sich doch erst einmal ehrlich, bevor Sie in diese Debatte einsteigen!

Meine Damen und Herren, …

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Höne, entschuldigen Sie bitte.

Henning Höne (FDP): … dieses Thema sollte man ganz nüchtern betrachten. Was heißt das? Fakt: In Nordrhein-Westfalen finanzieren Steuerzahler gemeinsam mit Anliegern den kommunalen Straßenbau.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Höne, ...

Henning Höne (FDP): Nein.

(Christian Dahm [SPD]: Stellt euch mal der Debatte!)

Das ist vom Grundsatz her auch nachvollziehbar, weil einerseits Infrastruktur eine öffentliche Aufgabe ist, andererseits aber anliegende Eigentümer auch wirtschaftliche Vorteile haben. Das sagt nicht nur die FDP, das sage nicht nur ich persönlich, sondern das ist auch zum Beispiel zuletzt im Juni dieses Jahres durch das Bundesverwaltungsgericht entsprechend festgestellt worden.

Also kann man im Einklang mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung und übrigens auch im Einklang mit den kommunalen Spitzenverbänden festhalten: Das System hat sich grundsätzlich bewährt.

Eben war ich beim Thema „Ehrlichmachen“. Lieber Christian Dahm, das hat die SPD in Regierungsverantwortung auch noch so gesehen. Ich erinnere an den 20. Januar 2017. Da wurde nämlich im Kommunalausschuss abschließend über den Gesetzentwurf der CDU, den ich eingangs erwähnt habe, gesprochen.

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt!)

Jetzt zitiere ich den Kollegen Christian Dahm. Er spricht über die Beitragsveranlagung bei den Straßenausbaubeiträgen – Zitat –:

Diese Vorgehensweise und die Möglichkeiten, diese vor Ort zu gestalten, haben sich bewährt.

(Heiterkeit und Zurufe von der FDP und der CDU)

Aha! Das ist ja interessant. – Ich sage Ihnen jetzt aber einmal, worin wir uns unterscheiden. Das heutige System hat sich zwar grundsätzlich bewährt, es ist aber nicht frei von Fehlern und Problemen;

(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

im Gegenteil. Der Unterschied ist: Wir erkennen das das zunächst einmal an.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sprechen CDU und FDP über das Wie.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Für uns steht fest – und das ist hier auch unsere Leitlinie; daran arbeiten wir übrigens auch in vielen anderen Bereichen und auf vielen anderen Ebenen –: Wohnen muss bezahlbar sein. Wohnen muss an ganz vielen Stellen überhaupt wieder bezahlbar werden. Darum wollen wir eine Modernisierung des Kommunalabgabengesetzes, die die Überforderung von einzelnen Betroffenen zukünftig ausschließt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieser Diskussion stellen wir uns, auch wenn die Diskussion um das Wie natürlich immer ein bisschen komplexer und unbequemer ist als die Forderung nach der Abschaffung, also die Diskussion um das Ob. Aber – daran erinnere ich noch einmal – auch bei steigenden Steuereinnahmen kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden.

(Zuruf von der SPD: Nicht so viele Stellen schaffen!)

Es gibt viele andere Bereiche, über die wir politisch viel diskutieren, die – und so ehrlich wollen wir doch einmal sein – dazu in Konkurrenz stehen. Denken Sie einmal an den Ausbau von Kitaplätzen. An die Forderung des Kollegen Maelzer habe ich eben schon erinnert. Quasi wöchentlich möchte er dafür mehr Geld haben. Denken Sie an die Fragen der Bildungspolitik, denken Sie an die Kultur.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Denken Sie an das Aufbauschen der Ministerbüros! Denken Sie an den Umzug des Ministerpräsidenten!)

Ich darf übrigens auch noch einmal an Folgendes erinnern: Eine schwarze Null und keine Nettoneuverschuldung kann auch immer nur der erste Schritt sein. Bei fast 150 Milliarden Euro Altschulden, die dieses Land noch hinter sich herschleppt, finde ich, gehören ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein in dieser Finanzfrage auch dazu.

(Beifall von der FDP und der CDU – Marlies Stotz [SPD]: Dazu tragen Sie doch den größten Teil bei!)

Meine Damen und Herren, ich habe gerade gesagt, wir wollen eine Modernisierung. Vier Aspekte, an denen wir arbeiten, sind mir dabei besonders wichtig.

Erstens. Wir wollen eine frühzeitige und verpflichtende Bürgerbeteiligung, frühzeitiger, als es heute der Fall ist.

(Michael Hübner [SPD]: Die gibt es doch!)

Wir wollen, dass die Bürger besser und mehr als in anderen Bereichen Einfluss nehmen können, sowohl bei der Frage, was da eigentlich passiert – schließlich ist das auch ganz oft Quelle von Unzufriedenheit –, als auch bei der Kostenfrage.

Zweitens. Wir wollen – und das gibt es heute eben nicht – im Zweifelsfall auch einen Rechtsanspruch auf Ratenzahlung. Heute ist ein Rechtsanspruch in dieser Form nicht vorhanden.

(Christian Dahm [SPD]: Natürlich! – Michael Hübner [SPD]: Natürlich ist er da!)

Dort, wo die Möglichkeit besteht, sprechen wir von 5 % oder 6 % Zinsen. Das ist angesichts der aktuellen Zinslage doch wohl nicht ernst zu nehmen. Da müssen wir also ran.

Drittens. Förderprogramme für den kommunalen Straßenbau sollten sich zukünftig an den Gesamtkosten ausrichten und nicht nur an dem kommunalen Anteil. Die Bürgerinnen und Bürger haben diese Förderprogramme schließlich über ihre Steuern mitfinanziert. Dann ist es doch auch nur richtig, wenn sie davon profitieren können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Viertens. Wir brauchen eine Härtefallregelung, die es Kommunen rechtssicher ermöglicht, die individuelle Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen,

(Christian Dahm [SPD]: Das ist mehr Demokratie in diesem Land, Herr Kollege?)

da diese Treffsicherheit eben auch eine soziale Frage ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU und FDP werden nach längeren Diskussionen – ich habe gerade noch einmal skizziert, wann wir intern damit begonnen haben – noch in diesem Jahr Eckpunkte für eine Modernisierung des KAG vorlegen, und diese Modernisierung wird die Überforderung Einzelner zukünftig verhindern, aber gleichzeitig vor haushaltspolitischen Realitäten nicht die Augen verschließen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Stefan Kämmerling [SPD]: Das war aber enttäuschend, Herr Höne!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Kollege Mostofizadeh das Wort. Bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern Gebühren erhebt, dann muss dies sachlich gerechtfertigt sein. Es muss ein echter Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger entstehen, und es muss nach nachvollziehbaren und transparenten Kriterien gerechtfertigt sein. Das ist unser Auftrag, den wir sehr ernst nehmen müssen.

Deswegen nehmen wir auch sehr ernst, was jetzt passiert, nämlich die Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, die sagen, die Ausbaubeiträge seien im Einzelfall zu hoch, sie seien falsch abgerechnet oder das Verfahren sei nicht klar, weil zu intransparent. Damit sollten wir umgehen, und das sollten wir sehr ernst nehmen.

(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

In dem Zusammenhang möchte ich schildern, was im ländlichen Raum, aber auch in abgelegeneren Teilen von Großstädten passiert und auch nachvollziehbar ist. Da ist eine Anliegerstraße und dahinter entsteht ein Neubaugebiet. Die Anliegerstraße wird verbreitert und schöner gemacht, damit die Leute dort besser durchfahren können. Dann kommt die örtliche Gemeinde auf die Idee, Straßenausbaubeiträge zu verlangen und durchzusetzen, die sie vermutlich sogar rechtskonform durchsetzen kann.

Natürlich müssen wir uns um diesen Fall kümmern und sagen: Nein, das haben wir so nicht gewollt. Wir wollen, dass diejenigen Anliegerinnen und Anlieger, die in einer neuen Straße wohnen, mit einem höheren Beitrag belegt werden als diejenigen, die sogar noch zusätzlich belastet werden. Das sollte uns einen.

Wir sollten uns auch einig darin sein, dass es nicht richtig ist, wenn Städte und Gemeinden Straßen über Jahre hinweg nicht ausbauen und verfallen lassen und die nicht erbrachten Sanierungskosten dann zu größeren Teilen wieder auf die Anliegerinnen und Anlieger abwälzen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] – Bodo Löttgen [CDU]: So ist das!)

Da gehen wir ganz konform. Das müssen wir sehr ernst nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin der Meinung, dass es verschiedene Aspekte gibt, die man im weiteren Verfahren diskutieren kann. Beispielsweise könnte man nominelle Höchstgrenzen für Ausbaubeiträge festlegen. Es wäre auch denkbar – davon halte ich allerdings nur wenig; das will ich ganz offen sagen –, den Gemeinden in unterschiedlicher Weise den Verzicht auf Ausbaubeiträge zu gestatten. Dann ergäben sich bei den Stärkungspaktgemeinden allerdings schnell Probleme,

(Stefan Kämmerling [SPD]: Da wird man sich in Essern aber freuen!)

was ich – Stand heute, Herr Kämmerling – für falsch hielte.

Zwingend, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist jedoch mehr Transparenz. Das Einfachste, was eine Kommune tun könnte, wäre, Transparenz darüber herzustellen, wo Ausbaubeiträge anfallen könnten und wo sie bereits abgerechnet sind. Man könnte ein Informationsportal beispielsweise auf der Homepage der Stadtverwaltung einrichten, damit jeder weiß, womit er es zu tun hat. Das ist ein ganz konkreter Vorschlag, den wir hier heute auch einbringen wollen.

Zur Entlastung der Kommunen in Höhe von 120 Millionen Euro! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich war schon einigermaßen erstaunt über Ihren Gesetzentwurf. Die große Sozialpartei SPD kümmert sich nicht um den Mieterbund, sondern steht jetzt an der Seite von Haus & Grund sowie des Bundes der Steuerzahler.

(Beifall von Bodo Löttgen [CDU])

Fünf Millionen Euro würden ausreichen, um die Beitragsfreiheit bei den Gesundheitsberufen herzustellen. 30 Millionen Euro würden ausreichen, um die Altenpflegeschüler den Krankenpflegeschülern gleichzustellen, und ihr haut 120 Millionen Euro dafür raus, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Das halte ich für eine völlig falsche Prioritätensetzung. Deshalb sollten wir uns an dieser Stelle wieder der Sache zuwenden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die Sie jetzt klatschen – vielen Dank auch dafür –: All die Fragen, die Herr Höne, wie ich finde, sehr zutreffend formuliert hat, stellen sich natürlich auch an den jetzt nicht im Raum befindlichen Landesverkehrsminister. Wenn dieser Landesverkehrsminister, der nicht irgendein Ortsvereinsvorsitzender der CDU ist, auf der Tagung der Mittelstandsvereinigung erklärt „Wir müssen die Straßenbaubeiträge abschaffen, weil das ein Investitionshemmnis für die Kommunen ist“, dann kann ich nur sagen: Das ist Populismus.

Ich erwarte noch heute ein durchgerechnetes und nachvollziehbares Konzept, sonst sind Sie – ganz genauso wie die SPD mit diesem Gesetzentwurf – blamiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

An dieser Stelle will ich Ihnen ganz offen sagen: Wenn wir heute über den Gesetzentwurf der SPD abschließend abstimmen müssten, hätte ich ernsthafte Probleme, zu erklären, warum wir in die eine oder in die andere Richtung gehen wollen. Wir wollen die Zeit nutzen, um die Punkte, die ich eben geschildert habe – das haben auch Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen getan –, sehr ernsthaft zu prüfen. Es kann am Ende auch sein, dass es so kompliziert ist, da Gerechtigkeit herzustellen, dass auch wir zu der Auffassung kommen: Dann lieber etwas anderes, dann lieber ein anderes Finanzierungsinstrument.

Aber nach all dem, was ich in Vorbereitung auf die heutige Sitzung in Bezug auf die Rechtsprechung, die uns zur Verfügung steht, angelesen habe, wäre mein Vorschlag, sich mit der Materie sehr intensiv auseinanderzusetzen. Auch würde ich vorschlagen, dazu eine rechtliche Expertise einzuholen und dann sehr genau zu prüfen: Was nutzt dem Land? Was nutzt den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern? Und was ist am Ende nicht nur fachlich, sondern auch sozial gerecht?

Das, was hier abläuft, ist ein Populismuswettstreit, den wir schon in der Großen Koalition in Berlin erleben können. Die SPD will den Ausstieg aus der Großen Koalition jetzt nach Nordrhein-Westfalen holen. Das ist ihr Problem. Wir wollen aber nicht das Gewurstel aus Berlin auch noch hier in Nordrhein-Westfalen simulieren. Davor kann ich nur warnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mostofizadeh. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Beckamp. Bitte schön.

Roger Beckamp (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen wird in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt. In etwas wohlhabenderen Kommunen zahlt man wenig, in etwas ärmeren Kommunen mehr. Wenn man sich jetzt dieser Sache annimmt und die Straßenausbaubeiträge abschaffen möchte, kann man das Bürgernähe oder, wie die Grünen, Populismus nennen.

Wir finden das gut. Populismus ist ja unsere Sache. Wir halten das für sinnvoll. Insofern vielen Dank an die lieben Genossen. Es ist richtig, den Antrag zu stellen. Wir sind – entgegen anderslautenden Berichten des  WDR – auch dafür.

Uns sind, ehrlich gesagt – mit Blick auf die Redewendungen, die Sie anwenden, wenn es um uns geht –, zwei Punkte aufgefallen. Die waren nämlich handwerklich schlecht gemacht.

Erstens. Es gibt – das wurde, glaube ich, schon kurz angesprochen – keine Stichtagsregelung. Das heißt, es ist unklar, ab wann das überhaupt gelten soll. Ab wann sollen die Leute wissen, was auf sie zukommt?

Zweitens. Es wurde von allen völlig zu Recht die fehlende Gegenfinanzierung bemängelt. Wir haben doch jetzt bald Haushaltsberatungen. Da stünde es Ihnen gut an, zu sagen, wo das Geld herkommen soll. Es gibt genügend Positionen, in denen ganz viel Geld enthalten ist, das man umschichten kann. Es wäre doch in der Tat mal ein kreativer Beitrag gewesen, zu sagen, wo das Geld herkommen soll.

(Zuruf von der SPD)

Sie sind – dazu gratuliere ich Ihnen auch – populistisch. Danke für den Zwischenruf.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt erwähnen. Wir sollten über folgende Frage noch einmal genau nachdenken: Wo ist denn, Herr Dahm, der Unterschied zwischen einer Straße, die nach 30 oder 40 Jahren abgenutzt ist und wiederhergestellt werden soll, und der erstmaligen Herstellung einer Straße?

Sie haben es doch eben selber gesagt: Straßenbau ist öffentliche Aufgabe. Das ist die große Überschrift. Dann müssten Sie konsequenterweise auch, wenn man über Erschließungsbeiträge redet, die im Baugesetzbuch geregelt sind – Herr Löttgen, das alles ist richtig, schön und gut –, darüber nachdenken, auch den Punkt „Erschließungsbeiträge“ anzugehen. Denn das ist genau das Gleiche. Darüber darf man nachdenken. Herr Löttgen, die CDU wehrt sich schon.

Wir werden aber die Möglichkeit haben, im Rahmen der Sachverständigenanhörung, die wir sicherlich im Ausschuss durchführen werden, über Erschließungsbeiträge nachzudenken. Wir stimmen gerne zu. – Vielen Dank für Ihren schönen Antrag.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beckamp. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode über fast fünf Jahre schon eine sehr lange Debatte darüber geführt, wie man denn den § 8 KAG ändern kann. Leider sind wir nicht zum Zuge gekommen. Sie haben gerade schon den wertvollen Redebeitrag des SPD-Abgeordneten – er wurde vom FDP-Abgeordneten Höne zitiert – gehört.

Sie wissen, dass Gegenstand dieses Antrages unter anderem war, die Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern bezüglich folgender Fragen zu erhöhen: Wann kommt eine Maßnahme? Und in welchem Umfang kommt solch eine Maßnahme? – Das finden Sie jetzt wieder. Wir haben damals Wert darauf gelegt und legen auch heute darauf Wert, dass wir in der Zukunft hier wesentlich besser in die Verbindung zu dem kommen, was Stadträte bzw. Verwaltungen für die Bürgerschaft planen. Das ist essenziell. Darüber brauchen wir, glaube ich, gar nicht zu streiten.

Ich glaube mich zu erinnern, dass eine Änderung des KAG in der letzten Legislaturperiode an den Grünen letztendlich nicht gescheitert wäre. Sie ist an der Sozialdemokratie gescheitert. Ich glaube, das darf man hier durchaus so formulieren.

(Christian Dahm [SPD]: Aber das war ein völlig anderes Thema, Frau Ministerin! – Weitere Zurufe von der SPD – Zuruf von der CDU)

Sie haben – gestatten Sie mir, dass ich das zurückweise, auch als Ministerin für Kommunales –, …

(Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Weitere Zurufe)

Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Ich weise diese Unterstellung, die insbesondere aus den Reihen der Sozialdemokratie, aber auch vonseiten des Bundes der Steuerzahler permanent gegenüber den Stadträten vorgetragen wird, zurück, dass man bewusst kommunale Straßeninfrastruktur verfallen lässt, um das am Ende abzurechnen.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, das wird selbst den Stadträten, die Sie als Sozialdemokraten stellen, nicht gerecht. Denn nach allen Erfahrungen geht man in allen Stadträten dieses Landes Nordrhein-Westfalen sehr bewusst mit der Frage um, ab wann eine KAG-Maßnahme gegenüber Bürgern abgerechnet wird. Das gilt vor allen Dingen auch für die Frage, wann sie durchgeführt werden soll. Im Zweifel verzichtet man, offen gesagt, eher auf die Abrechnung, weil man nämlich die Situation der Bürgerschaft vor Ort sieht.

Sie haben einen Gesetzentwurf vorliegen, der dafür Sorge tragen soll, dass die Erhaltungsmaßnahmen am kommunalen Infrastrukturvermögen wieder gestärkt werden. Ich gehe davon aus, meine sehr geehrten Damen und Herren der SPD, dass Sie den Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten NKFG damit auch annehmen, denn der beinhaltet genau diese Möglichkeit, Kommunen wieder in die Lage zu versetzen, besser als heute Erhaltungsmaßnahmen am kommunalen Straßeninfrastrukturvermögen vorzunehmen.

(Beifall von der CDU)

Des Weiteren diskutieren wir – auch das wissen Sie; das habe ich schon öfter öffentlich formuliert – über die 5-%ige Verzinsung. Ich halte das unverändert nicht mehr für sachgerecht in der Frage, auch vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsniveaus.

Damit komme ich zum Schluss, weil wir in der Tat in dem Fachausschuss darüber weiter beraten werden, in welcher Art und Weise wir denn künftig den § 8 Kommunalabgabengesetz ausgestalten.

Hätten wir als Landesregierung solch einen Gesetzentwurf vorgelegt, wie Sie ihn hier eingebracht haben, so – das vermute ich – wären wir von Ihnen im Landtag mit schlagwortartigen Vorwürfen überzogen worden, und zwar mit diesen Beispielen: Die Landesregierung betreibt eine Umverteilung von unten nach oben; die Landesregierung entpuppt sich als Vertreter der Grundbesitzenden und der Besserverdienenden. – Das hätten wir von Ihnen gehört, wenn wir Ihnen diesen Entwurf vorgelegt hätten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

widerlegt dieser Gesetzentwurf der SPD-Fraktion in eindrucksvoller Weise den Herrn Maaßen zugeschriebenen Vorwurf, dass in der SPD linksradikale Kräfte am Werk seien.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben damals nämlich die wiederkehrenden Straßenausbaubeiträge abgelehnt, indem Sie gesagt haben,

(Nadja Lüders [SPD]: Die so was behauptet haben, sind im vorläufigen Ruhestand!)

damit werde die Basis derer, die zahlen müssten, verbreitert. Das war Ihr Argument, warum Sie den Antrag damals abgelehnt haben.

Insofern freuen wir uns auf die Debatte. Wir sind uns sicher, dass es eine Lösung gibt. Wir wissen – und das ist unverändert zu 2013, als wir als CDU den Antrag in diesen Landtag eingebracht haben –, dass es Unbill in Zusammenhang mit der Veranlagung von Beiträgen nach KAG gibt. Das wissen wir.

(Christian Dahm [SPD]: Aha!)

Es wäre falsch, wenn man das hier nicht darlegt. Mit dieser Unbill haben wir umzugehen.

Gestatten Sie mir eine weitere Zahl, die Sie offensichtlich nicht präsent haben. Mitte der 90er-Jahre war das Aufkommen aus KAG-Beiträgen in Nordrhein-Westfalen wesentlich höher, teilweise über 200 Millionen Euro. Mit diesen Beiträgen wurden die Bürger belastet. Wir bewegen uns derzeit – damit wird deutlich, dass sich die Städte und Gemeinden langsam auf den unteren Rand zubewegen – bei einem Beitragsaufkommen von 112 Millionen Euro bis 127 Millionen Euro, weil man nämlich sehr genau vor Ort überlegt,

(Nadja Lüders [SPD]: Weil man nicht ausbaut!)

ob man diese Beiträge überhaupt zur Abrechnung bringt oder nicht. Und das ist das Verantwortungsgefühl unserer ehrenamtlichen Ratspolitikerinnen und Ratspolitiker in den Städten und Gemeinden.

Wenn wir eine Lösung finden – ich bin mir sicher, dass wir sie finden –, die sowohl die Interessen des Landes auf der einen Seite wie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite berücksichtigt, dann gehört da auch ein drittes Interesse mit an den Tisch – das ist hier so gut wie gar nicht erwähnt worden –, nämlich das Interesse der Kommunen insgesamt.

Herzlichen Dank. Wir freuen uns auf die Debatte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Ich konnte Sie nur nicht in den letzten Zeilen unterbrechen. Wollen Sie die zulassen? – Das steht Ihnen aber frei.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Nein.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Okay, gut. – Dann hat nach den mir vorliegenden Wortmeldungen als nächster Redner der Kollege Löttgen für der Fraktion der CDU das Wort, anschließend Herr Kollege Kämmerling.

Bodo Löttgen (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Mostofizadeh: 90 %, 95 % von dem, was Sie sehr sachlich und pragmatisch hier vorgetragen haben, kann ich unterschreiben.

(Christian Dahm [SPD]: Jamaika lässt grüßen!)

Das unterscheidet Sie wohltuend von der SPD.

Die Chuzpe, sich hier hinzustellen, und Ihre freundliche Einladung haben mich ermuntert, Ihnen noch einmal zu sagen, was wir hier heute gehört haben. Was Ihnen die SPD präsentierte, das ist Heldenmut nach Ladenschluss – nichts anderes.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Dahm [SPD]: Da gibt es kaum Applaus von der Seite!)

Herr Kollege Dahm, Sie haben gesagt, das KAG nehme keine Rücksicht auf Einkommensverhältnisse. Da frage ich Sie: Hat denn das KAG während Ihrer Regierungszeit Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse genommen? – Nein, das hat es natürlich nicht.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

– Nichts, nada, null haben Sie unternommen während Ihrer Regierungszeit. Sie hatten die Mehrheit. Aber augenscheinlich stellen Sie erst heute fest, dass das der Fall war.

(Beifall von der CDU)

Und das, meine Damen und Herren, nicht nur in diesem Bereich. Wenn ich die drei Diskussionen heute Morgen nehme – Umweltpolitik, Digitalpolitik, kommunale Zukunftsthemen –, SPD und teilweise auch Grüne bei den anderen Themen: Sie machen den Menschen Angst, wie Sie hier die Themen vortragen. Sie schüren die Sorgen der Menschen, statt sich um konstruktive Lösungen zu kümmern.

(Michael Hübner [SPD]: Wie viele tote Hühner wollen Sie noch über den Zaun werfen?)

Schlimmer noch: Zumindest bei diesem Thema, Herr Hübner, verwechseln Sie Opposition mit Opportunismus. Sie pflegen eine Kultur des Scheiterns.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und wir müssen uns darum kümmern, dass die Dinge hier im Land gelingen. Sie verfahren nach dem Motto wie beim Schützenfest: Freibier für alle, egal, was es kostet!

(Nadja Lüders [SPD]: Da kennen Sie sich aus!)

Hauptsache, ich erkläre: Es ist mehr!

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Löttgen, ...

Bodo Löttgen (CDU): Meine Damen und Herren, im Übrigen kein einziges Wort zum Thema Gegenfinanzierung: null Komma null, nichts. Das überlassen Sie gerne den anderen. Das zeigt, auf welcher populistischen Meinungsbildungsschiene Sie sich gerade fortbewegen. Sie sagen, fachlich hörten Sie auf Ihre Kommunalpolitiker. Da frage ich mich, mit wem Sie gesprochen haben. Da frage ich mich wirklich, mit wem Sie gesprochen haben.

(Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Löttgen, ...

Bodo Löttgen (CDU): Ich habe mit etwa 30, 40, 50 Bürgermeistern unterschiedlicher Couleur, SPD-Bürgermeistern und CDU-Bürgermeistern gesprochen. Das, was die sagen, wird in dem Brief des Städte- und Gemeindebundes, der auch an Ihre Fraktion gegangen ist, ganz klar deutlich: Bitte, meine Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie es bei dem bestehenden Finanzierungssystem!

(Lachen von der SPD)

Bitte, modernisieren … – Haben Sie den Brief gelesen? Frau Lüders, haben Sie den Brief gelesen oder nicht?

(Nadja Lüders [SPD]: Ja!)

– Ja, und dann lachen Sie dabei? Bei einer solchen Aussage, die klipp und klar darin steht, lachen Sie darüber, dass Sie gerade dabei sind, die Ärmsten und die Schwächsten der Gesellschaft zu belasten.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Löttgen, ...

Bodo Löttgen (CDU): Sie haben Ihre Hausaufgaben nämlich nicht gemacht. Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In welchem Film spielen Sie eine Nebenrolle? – Zuruf von Christian Dahm [SPD])

– Nur ein kleines Beispiel, Herr Dahm. Sie führen hier an, Baden-Württemberg habe die Regelung abgeschafft. – Baden-Württemberg hatte nie eine Regelung über diese Beiträge.

(Michael Hübner [SPD]: Das hat niemand gesagt! Hat ja keiner behauptet! Das ist eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Löttgen …

Bodo Löttgen (CDU): Sie wissen gar nicht, meine Damen und Herren von der Opposition, …

(Frank Müller [SPD]: Gezielte Desinformation nennt man das!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Löttgen, wenn …

Bodo Löttgen (CDU): Wir können gerne ins Plenarprotokoll schauen: Das hat Herr Dahm so gesagt. Aber da können wir ja gerne nachschauen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hoffentlich entschuldigen Sie sich dann! – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU]: Oder Sie!)

Sie wissen gar nicht, worüber Sie reden, wenn Sie über die Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen sprechen.

Zum Thema „erstmalige Erstellung“: Wissen Sie, wie viele Straßen im ländlichen Raum nicht erstfestgestellt sind und was Sie damit erzeugen würden? Mit der Abschaffung hätten Sie …

(Nadja Lüders [SPD]: Ja, warum denn wohl nicht?)

Mit der Abschaffung …

(Nadja Lüders [SPD]: Warum denn wohl nicht?)

– Frau Lüders, das haben sowohl die SPD als auch die CDU …

(Nadja Lüders [SPD]: Warum denn wohl nicht? – Heiterkeit von der CDU, der FDP und der AfD)

– Sind Sie jetzt an einer Antwort interessiert, oder wollen Sie irgendeinen Dezibelwettbewerb gewinnen?

Sowohl SPD- als auch CDU-geführte Kommunen

(Nadja Lüders [SPD]: Das habe ich jetzt schon gehört!)

haben es nicht gemacht, weil es nicht in der Zuständigkeit des Landes liegt, sondern entsprechend § 135 ff. Baugesetzbuch beim Bund,

(Nadja Lüders [SPD]: Deswegen haben die das nicht gemacht?)

und weil, wenn Sie heute eine Ausbaumaßnahme vornehmen, zuerst die Erstfeststellung passieren müsste.

(Nadja Lüders [SPD]: So!)

Und plötzlich kämen die Damen und Herren in den Genuss, jetzt – nach 30, 40, 50 Jahren – Gebühren für eine Straße zu zahlen. Wollen Sie das? Wir wollen das nicht!

(Beifall von der CDU und der FDP – Nadja Lüders [SPD]: Dann müssen Sie aber unserem Gesetzentwurf zustimmen! – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ja ein offener Dialog hier!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Löttgen, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dahm zulassen?

Bodo Löttgen (CDU): Selbstverständlich.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Das finde ich gut, dann machen wir das auch.

Bodo Löttgen (CDU): Selbstverständlich lasse ich eine Zwischenfrage von Herrn Dahm zu, denn meine Redezeit war gerade zu Ende. Vielen Dank.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Da Sie uns opportunistisches Verhalten vorwerfen: Ich weiß, dass Sie im Landtagswahlkampf 2017 durch das Oberbergische gezogen sind und den Menschen versprochen haben, die Straßenausbaubeiträge abzuschaffen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Wie werten Sie denn dann die Aussage Ihres heutigen Verkehrsministers, die Straßenausbaubeiträge abzuschaffen? Wie sehen Sie das denn?

Bodo Löttgen (CDU): Ich möchte Ihre Frage gerne beantworten. Erstens. Ich hoffe, Sie haben den schriftlichen Nachweis dafür, was ich da gesagt haben soll. Ich hoffe sehr, dass Sie ihn haben.

(Christian Dahm [SPD]: Wollen Sie mich verklagen?)

– Nein, ich will Sie nicht verklagen. Ansonsten fordere ich von Ihnen, dass Sie Ihre Aussage hier öffentlich zurücknehmen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zweitens, in der Sache:

(Sarah Philipp [SPD]: Jetzt mal die Fragen beantworten!)

Sie haben beispielsweise Bayern erwähnt.

(Christian Dahm [SPD]: Ich habe den Verkehrsminister erwähnt!)

In Bayern passiert aktuell Folgendes: In Bayern wird die mangelhafte Finanzierung von den Kommunen auf die Grundsteuer B umgelegt. Die Grundsteuer B ist aber umlagepflichtig

(Christian Dahm [SPD]: Das stimmt!)

bzw. sie kann umgelegt werden. Und jetzt passiert Folgendes: Plötzlich werden Mieterinnen und Mieter zu Straßenbaumaßnahmen herangezogen,

(Sarah Philipp [SPD]: Das war jetzt keine Antwort!)

die vorher von Straßenbaubeiträgen nicht betroffen waren. Das ist die soziale Komponente, die die SPD vorschlägt. Und auch das wollen wir nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen eine frühzeitige Bürgerbeteiligung.

(Nadja Lüders [SPD]: Das haben wir nicht vorgeschlagen! Haben Sie das schriftlich?)

– Sie schreien dazwischen, Frau Lüders. Was sagen Sie eigentlich den Leuten, die 60 Jahre lang diese Beiträge gezahlt haben?

(Nadja Lüders [SPD]: Haben Sie das schriftlich, dass wir das wollen, Herr Löttgen? Nein, das haben Sie nicht!)

Wir wollen frühzeitige Bürgerbeteiligung, Härtefallregelungen, Rechts- und Planungssicherheit und eine bürgerfreundliche Möglichkeit zur Abgeltung dieser Gebühren. Diesen Vorschlag werden wir Ihnen gerne machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Löttgen. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Löttgen,

(Bodo Löttgen [CDU]: Herr Kämmerling!)

Sie haben uns jetzt ganz viele Ratschläge gegeben. Nun müssen Sie sich einen einzigen Ratschlag auch mal anhören.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja?)

Ich empfehle Ihnen: Sehen Sie mal ganz intensiv in Ihren Rückspiegel und schauen nach, was Ihre Fraktion tut. Die Hälfte ist nicht da, und die andere Hälfte, die hier im Saal ist, klatscht nicht, weil sie vor Ort unterwegs ist

(Christian Dahm [SPD]: So ist das!)

und das Gegenteil von dem erzählt, was Sie hier sagen.

(Beifall von der SPD)

Und dann sprechen Sie hier, Herr Löttgen, bei diesem wichtigen Thema – wir sind uns alle einig, dass es wichtig ist –

(Dietmar Brockes [FDP]: Wo sind denn Ihre Leute?)

von – ich zitiere Sie – „Freibier für alle“. „Freibier für alle“, haben Sie gerade gesagt! Das ist eine Unverschämtheit und verkennt die Diskussion, die es im Land gerade gibt!

Und es zeigt auch, dass Sie nach anderthalb Jahren der Verantwortung in der Landesregierung den Sensus dafür verloren haben, was im Land ein Thema ist und was nicht.

(Beifall von der SPD)

Ich will nicht nur Ihnen, Herr Löttgen, sondern auch Ihnen, Frau Ministerin Scharrenbach, und Ihrem kommunalpolitischen Sprecher, Herrn Kollegen Hoppe-Biermeyer, sagen: Wenn Sie uns vorwerfen: „Warum habt ihr das von der SPD früher nicht gemacht?“, dann teile ich Ihnen jetzt mal eine Wahrheit mit, die unbestritten ist: Die Welt dreht sich weiter, Herr Löttgen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP – Unruhe)

Sie können doch hier nicht so tun,

(Dietmar Brockes [FDP]: Wenn man bei 10 % angekommen ist, muss man populistisch werden!)

als wäre hier seit Jahren nichts mehr passiert!

Der Kollege Dahm hat Ihnen – und das im Übrigen im Gegensatz zu mir – in aller Sachlichkeit dargelegt, dass sich etwas tut. Es hat sich eine Volksinitiative gegründet, es gibt Räte im ganzen Land, die Resolutionen beschließen, Fraktionen schreiben uns an, kommunalpolitische Spitzenverbände sprechen das Thema an. – Sie können doch nicht so tun, als wäre „Freibier für alle“ die Forderung, weil es kein Problem gibt! Das ist völlig an der Sache vorbei!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Kämmerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Löttgen?

Stefan Kämmerling (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident, im Gegensatz zum kommunalpolitischen Sprecher der CDU und der Kommunalministerin

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Sie müssen schon „Ja“ oder „Nein“ sagen!)

lasse ich selbstverständlich eine Nachfrage zu.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Löttgen.

Bodo Löttgen (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Da Sie ja der neue Anwesenheitsbeauftragte der SPD sind: Würden Sie vielleicht dem geneigten Plenum noch einmal mitteilen, wer ursächlich für diesen heutigen Tagesordnungspunkt verantwortlich, wer also Antragsteller ist, und wie viele Abgeordnete der SPD-Fraktion denn zu diesem Antrag erschienen sind?

(Beifall von der CDU, der FDP und Roger Beckamp [AfD] – Zuruf von der SPD: Unterirdisch! – Dietmar Brockes [FDP]: Drehen Sie sich bloß nicht um! – Unruhe)

Stefan Kämmerling (SPD): Vielen Dank, Herr Löttgen.

(Fortgesetzte Unruhe – Glocke)

Ich versuche, mittels der Mikrofonanlage gegen Sie anzureden. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, aber ich versuche es.

Es ist eine interessante und großartige Frage, die Sie stellen. Wir alle sind uns einig, dass das Thema im Lande diskutiert wird. Sie stellen Ihre Frage und erwidern dadurch etwas auf meine Aussagen, weil ich Ihnen vorgeworfen habe, dass Ihre Fraktion hier nicht besonders gut vertreten ist. Sie fragen mich: Warum ist die SPD nicht besser vertreten? – Soll ich Ihnen mal etwas sagen? Wo ist eigentlich Ihre Landesregierung?

(Christian Dahm [SPD]: Hört, hört!)

Das ist die Antwort auf die Frage!

(Beifall von der SPD)

Das ist doch die eigentliche Peinlichkeit! Herr Reul ist gerade noch nachgekommen. Den gesamten Tagesordnungspunkt über sitzt hier eine einzige Ministerin, und die schaut die ganze Zeit auf ihr Blatt Papier.

(Unruhe – Zuruf: Herr Reul!)

– Ja, er ist vor einer Minute reingekommen.

(Minister Herbert Reul: Nein, nein! – Frank Müller [SPD]: Herr Reul, Sie sind ein Teil der Landesregierung! Sie sind nicht die Landesregierung!)

Dann machen wir mal weiter. Ich wende mich von den Koalitionsfraktionen ab und widme mich dem Kollegen Mostofizadeh. Lieber Kollege Mehrdad Mostofizadeh, ich sage es so laut, weil du gerade nicht zuhörst.

(Zuruf von der CDU: Noch einer, der nicht zuhört!)

Also: Dieser Vorwurf – weil die SPD sich plötzlich um Oma ihr klein' Häuschen kümmert –, das sei nicht mehr sozialdemokratisch, ist genauso am Thema vorbei. Das ist unfassbar –

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– nur weil wir uns nicht so sehr um Baumhäuser, sondern um richtige Häuser kümmern!

(Beifall von der SPD)

Das ist unverschämt!

Ich darf noch auf den Vorhalt, den Ministerin Scharrenbach Christian Dahm gemacht hat, zu sprechen kommen: Frau Scharrenbach, Sie haben eben gesagt, wir hätten uns in der vergangenen Legislaturperiode über das Thema „Straßenausbaubeiträge“ über einen Zeitraum von fünf Jahren intensiv unterhalten. Außerdem haben Sie noch ein Zitat von Herrn Dahm gebracht, das sich nicht auf das Thema bezog, das wir heute diskutieren, sondern auf Ihren eigenen Antrag. Sie wollten damals Straßenausbaubeiträge abschaffen und wiederkehrende Beiträge einführen. Das ist ein völlig anderes Thema.

(Michael Hübner [SPD]: So ist es!)

Das ist eine Vermischung von zwei Dingen, die nicht viel miteinander zu tun haben.

Sie sagen, wir hätten fünf Jahre lang darüber geredet. – Das ist Unsinn. 2013 hat die Fraktion der CDU diesen Antrag eingebracht. Es folgte eine Sachverständigenanhörung, in der Sie mit Ihrem Gesetzentwurf – auch aufgrund handwerklicher Fehler – untergegangen sind. Untergegangen sind Sie! Dann haben Sie ihn zurückgezogen, weil Sie erkannt haben, dass er so schlecht ist. Drei Monate vor der Landtagswahl 2017 haben Sie ihn dann wieder rausgeholt. Dass wir uns fünf Jahre darüber unterhalten hätten, trifft einfach nicht zu.

Kommen wir noch mal zu den Mitgliedern der Landesregierung. Sehr geehrter Herr Löttgen, vielleicht haben Sie Herrn Dahm eben nicht zugehört. Herr Dahm hat Ihnen noch mal erklärt, was Herr Wüst gesagt hat.

(Christian Dahm [SPD]: Der sitzt da oben in der letzten Reihe!)

Herr Wüst sagt: Straßenausbaubeiträge abschaffen, Kompensation für die Kommunen durch das Land; damit Bürger entlasten

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wen denn?)

und ein Investitionshemmnis bei kommunaler Infrastruktur beseitigen. Ihr Verkehrsminister – ich weiß nicht, wo er ist –, hat das gesagt.

(Rüdiger Weiß [SPD]: Letzte Reihe! – Volkan Baran [SPD]: Der versteckt sich hinten!)

Das ist wohl unwidersprochen. So viel dazu.

In der Klausurtagung des Haushaltsausschusses habe ich den Finanzminister Folgendes gefragt – Herr Lienenkämper kommt gerade rein; er kann das vielleicht durch ein Kopfnicken bestätigen –: Was halten Sie denn von dem Vorwurf von Herrn Wüst und von dem, was einige CDU-Abgeordnete fordern? Da hat Herr Lienenkämper gesagt: Das ist ein willkommener Debattenbeitrag.

(Christian Dahm [SPD]: Hört, hört!)

Dann sind wir ein paar Wochen weiter, und das Thema ist auf unseren Antrag hin im Kommunalausschuss. Die besagte Kommunalausschusssitzung hat 15 Tagesordnungspunkte; bis Tagesordnungspunkt 14 bleibt Frau Ministerin Scharrenbach im Raum. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 – KAG –: Sie verlässt den Raum

(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD])

und überlässt die Beantwortung unserer Fragen ihrem Abteilungsleiter. – Das ist auch kein sachgemäßer Umgang mit diesem Thema.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Ich habe eine ziemlich große Sammlung; aufgrund der Zeit, die mir wegläuft, kann ich aber nur noch auf eine Ihrer Kolleginnen hier im Raum eingehen:

(Bodo Löttgen [CDU]: Schade, das hätten wir gern gehört!)

Sie schreibt großartige Briefe

(Christian Dahm [SPD]: Wer ist das denn?)

und stellt die Position der CDU-Fraktion zu diesem Thema dar. Sie schreibt einem Bürger – Zitat –: Seit November des letzten Jahres setze ich mich nachweislich immer wieder für das Thema im Landtag ein. Mittlerweile habe ich auch zahlreiche Kollegen aus der CDU-Fraktion von der Dringlichkeit und Notwendigkeit überzeugen können.

Dann erklärt sie, sie habe nicht nur mit der Ministerin gesprochen, sondern mehrfach auch mit dem Fraktionsvorsitzenden Löttgen, mit dem Staatssekretär, mit ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer und auch noch mal mit Herrn Wüst. Anschließend kommt sie zu folgendem Schluss, den sie der Bürgerin mitteilt:

Wir haben auch eine Lösung parat: Es kommt entweder die Kompensation aus Landesmitteln infrage –

(Christian Dahm [SPD]: Aha!)

– oder – ich zitiere –: alternativ ein speziell eingerichteter, zweckgebundener Fonds oder ein Fördermodell. – Sie führt weiter aus, dass sie das alles aber eigentlich nicht besonders gut findet, sondern vielmehr ganz nah an der Seite von Verkehrsminister Wüst steht: für die Abschaffung und die Kompensation aus Landesmitteln.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört! – Rüdiger Weiß [SPD]: Gute Frau!)

Das schreibt Ihre Abgeordnete einem betroffenen Bürger in ihrem Wahlkreis.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Löttgen, das scheint belegbar zu sein!)

Sie hat – bei diesem Bürger liegt der Bescheid schon vor – auch noch eine Empfehlung, und auch das – kluges Vorgehen! – verschriftlicht sie in diesem Brief. Ich darf wieder aus diesem großartigen Brief zitieren, was sie dem besorgten Bürger, der den Bescheid offensichtlich in der Hand hält, zu seiner konkreten Situation empfiehlt: Die Verwaltung vor Ort solle doch mal prüfen, ob im Falle des Bürgers nicht Aufschub gewährt werden könne, bis Düsseldorf endlich eine rechtsichere Gesetzesnovellierung auf den Weg gebracht hat. – Zitat Ende.

(Zurufe von der SPD)

Und dann stellen Sie, Herr Löttgen, Herr Hoppe-Biermeyer und Frau Ministerin Scharrenbach, sich hierhin, und sagen: Wir diskutieren über Freibier für alle

(Bodo Löttgen [CDU]: Nee, Sie diskutieren über Freibier!)

und hätten keine Ahnung. Mittels der „Rheinischen Post“ werfen Sie uns zu diesem Thema Opportunismus vor. Ich sage: Das ist kein Opportunismus. Sie haben nach anderthalb Jahren Mehrheit das Ohr nicht mehr am Puls der Zeit. Sie bekommen nicht mit, was im Land vor sich geht.

(Heike Gebhard [SPD]: Sie sprechen mit gespaltener Zunge!)

Kehren Sie zurück zur Sachdebatte, die wir im Ausschuss gerne fortführen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kämmerling. – Nun hat sich für die Grünen noch einmal Herr Mostofizadeh zu Wort gemeldet.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Disput zwischen Herrn Kämmerling und Herrn Löttgen vorhin konnten wir ungefähr erahnen, wie es in Berlin gerade abgeht.

(Heiterkeit – Zuruf von der SPD: Ablenkungsmanöver! Nadja Lüders [SPD]: Ich dachte, das hier wäre Düsseldorf!)

Das, was hier vorgetragen worden ist, macht deutlich, dass es euch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht um die Sache geht. Wie Herr Kämmerling hier aufgetreten ist – das war eine reine Parteitagsrede,

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

die dazu dienen sollte, Leute abzuqualifizieren. Es ging nicht mehr darum, für das Thema werben. Das finde ich ausgesprochen schade, weil dieses Thema es verdient hätte, sachlich diskutiert zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Nadja Lüders [SPD]: Ein Widerspruch in einen Satz!)

Weil es mir wichtig ist und zum Diskurs dazugehört, sage ich es hier noch einmal: Der Kollege Becker, der in der Reihe hinter mir sitzt, hat noch im Januar 2017 in einem Ausschuss, der sich mit KAG-Beiträgen befasst, erklärt, dass am Ende die Summe, die zum Ausbau aufgewendet werden muss, auch von irgendjemandem aufgebracht werden muss. Da hat er ausgesprochen recht.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Kommune erhebt die Beiträge nicht mehr, dann muss sie sie im eigenen Haushalt kompensieren.

(Christian Dahm [SPD]: Da hat er recht!)

Dann steht Straßensanierung gegen Schulsanierung, gegen Kita-Sanierung und gegen den Ausbau von Sportplätzen. Das ist ganz klar.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Oder, die andere Variante wäre, Frau Ministerin, es im Landeshaushalt zu kompensieren.

Deswegen ist es ein starkes Stück – das will ich an der Stelle schon sagen –, dass ein Landesverkehrsminister im August dieses Jahres auf einer öffentlichen Versammlung sagt, diese Ausbaubeiträge wären ein Investitionshemmnis, während er gleichzeitig kein Konzept vorzuweisen hat, wie es gemacht werden bzw. wie es ausgebaut werden soll. Alle Fragen, die Herr Höne gestellt hat, müsste sich auch Herr Wüst gefallen lassen – das ist überhaupt keine Frage.

(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Herr Kollege Löttgen, bei aller Kollegialität in der heutigen Sitzung erwarte ich von Ihnen eine klare Distanzierung bzw. eine klare Ansage an den Verkehrsminister, dass man so nicht mit den Interessen der Bürgerinnen und Bürger umgeht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die müssen ja den Eindruck gewinnen, dass Sie ein Konzept zu genau dieser Kompensation hätten. Ich kann Ihnen nur sagen: So schürt man Politikverdrossenheit,

(Jochen Ott [SPD]: Bewusste Täuschung!)

nämlich so, wie ihr und die Sozialdemokraten es machen und wie der Landesverkehrsminister im Hinblick auf diese Frage aufgetreten ist. Davon distanzieren wir uns ganz eindeutig. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun hat das Wort für die FDP-Fraktion noch einmal Herr Höne.

(Michael Hübner [SPD]: Der lenkt jetzt ein!)

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politische Verantwortung zu tragen und zu übernehmen, heißt, das eine oder andere Mal auch unbequeme Diskussionen zu führen und auch vor Details nicht zurückzuschrecken. Ich zumindest kann sagen, dass ich das zwar nicht immer mit riesiger Freude tue, wenn sich Bürgerinnen und Bürger bei mir zum Beispiel zu diesem Thema melden, aber diese Diskussion muss man der Ehrlichkeit halber schon führen.

Nehmen wir mal – einfach weil es von der Summe her einigermaßen passt – die ca. 100 Millionen Euro, die jetzt noch einmal zusätzlich in den Kitaplatzausbau gehen, weil es lange Wartelisten von jungen Familien gibt. Mit dem Geld, das Sie ausgeben wollen, stehen diese Gelder natürlich ein Stück weit in der Konkurrenz. Da kann ich nur sagen: Es hilft überhaupt nicht, Kollegen Dahm und Kämmerling, zu versuchen, das mit parteipolitischen Spielchen zu übertünchen.

(Nadja Lüders [SPD]: Sie reden aber jetzt über Bundesgeld!)

Wir haben gerade eine relativ lange Debatte geführt, aber eines sind Sie uns schuldig geblieben, und das ist kein kleines Detail: die Antwort auf die konkrete Gegenfinanzierung. Vielleicht kommt das ja noch in der Ausschussberatung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege …

Henning Höne (FDP): Einen abschließenden Punkt, Herr Präsident.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich wollte Sie eigentlich fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Henning Höne (FDP): Nein. – Von Ihnen beiden, die jeweils die Hand dafür gehoben haben, und insgesamt von der Vorgängerregierung müssen wir beim Thema „Wohnen muss bezahlbar bleiben“ keine Nachhilfe annehmen. Das fängt mit der Dichtheitsprüfung im Kleinen an und geht mit Ihrer Fast-Verdoppelung der Grunderwerbsteuer weiter. Dass Ihnen dieses Thema in Wahrheit nicht am Herzen liegt, das haben Sie sieben Jahre lang bewiesen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Stefan Kämmerling [SPD]: Schaffen Sie das denn ab? – Christian Dahm [SPD]: Ihr wollt doch Familien entlasten!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Höne. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/4115 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend –, an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen sowie an den Verkehrsausschuss. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Lebenswert, innovativ und klimafreundlich: Zukunftsfähige Entwicklung des Rheinischen Reviers strategisch gestalten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4104

Für die antragstellende Fraktion hat nun Frau Brems das Wort. Bitte schön, Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen ein kleines Angebot machen: Heute müssen wir uns einmal nicht darüber streiten, wann der Kohleausstieg nun kommen wird; denn es ist definitiv klar, dass er kommen wird. Wir müssen vielmehr heute darüber reden, wie wir damit umgehen wollen.

Ich bin der Meinung – wir sind der Meinung –, dass wir uns zunächst das Ruhrgebiet anschauen und unsere Lehren daraus ziehen müssen. Dort ist Folgendes passiert: Der Niedergang der Steinkohleförderung war unvermeidlich, und leider wurde es gerade von den großen Parteien immer weiter hinausgezögert, den Menschen vor Ort die Wahrheit zu sagen: Hier ist irgendwann Schluss, und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen. – Das darf im Rheinischen Revier nicht weiter geschehen. Leider ist das aktuell weiterhin der Fall.

Eine wichtige Lehre aus dem Ruhrgebiet ist zu ziehen, und zwar, dass kein Bergmann ins Bergfreie fallen darf. Das muss auch im Rheinischen Revier gelten, und das ist absolut wichtig. Ich muss aber auch sagen, dass das allein leider nicht ausreicht; denn die Lehre aus dem Ruhrgebiet ist eben auch, dass wir nicht nur an die Bergmänner denken müssen, sondern auch an alles, was darum herum und danach kommt. Deswegen brauchen wir für das Rheinische Revier eine Perspektive, eine Gesamtidee.

Da reicht das, was hierzu von der Landesregierung kommt – 30 Projekte bzw., wenn man den Verkehr hinzuzählt, 50 Einzelprojekte –, einfach nicht aus. Wir brauchen eine Gesamtidee, und da muss die Landesregierung endlich ihre Hausaufgaben machen.

Ich möchte kurz unsere Ideen für das Rheinische Revier vorstellen. Wir finden, dass wir uns an Leitlinien und nicht nur an einzelnen Projekten orientieren sollten. Das Wichtigste ist für uns, die Region als Ganzes im Blick zu behalten. Wenn wir uns anschauen, wie diese Region zusammengesetzt ist – aus vier Landkreisen, einer kreisfreien Stadt, 44 Kommunen, zwei zuständigen Bezirksregierungen, zwei Verkehrsverbünde usw. –, dann sehen wir, dass wir es mit sehr vielen Akteuren zu tun haben, die sehr viele Kompetenzen haben.

Wir müssen aber auch darauf achten, dass diese Kompetenzen gebündelt werden. Mit dem Klein-Klein muss Schluss sein. Es darf nicht nur jeder an sich denken. Wir brauchen eine Gesamtstrategie.

Deswegen fordern wir zum Beispiel eine Taskforce für Raumplanung, Flächenmanagement und Verkehrsinfrastruktur; denn es muss daran gedacht werden, dass die kommunalen Planungsprozesse unterstützt und Planungen vereinfacht werden. Das wäre eigentlich auch in Ihrem Sinne. Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen, dass eine nachhaltige, flächensparende Flächenentwicklung in der Region nötig und wichtig ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die zweite Leitlinie, an der sich das Rheinische Revier unserer Meinung nach in Zukunft orientieren sollte, ist, den Wandel mithilfe von Digitalisierung zu erleichtern. Das ist zwar ein Punkt, bei dem wir gemeinsam in großen, groben Linien einer Meinung sind, ich sehe aber Folgendes bei dieser Landesregierung nicht: Wir fordern ganz konkret ein Netzwerk „Digitales Revier“; denn gerade Zulieferunternehmen, die bisher hauptsächlich mit RWE gearbeitet haben, brauchen Hilfe bei der Umstellung in die Zukunft, in die Digitalisierung. Sie müssen mit Start-ups und mit dem Handwerk vernetzt werden.

Das alles muss ein Netzwerk leisten. Für uns gilt da das Netzwerk „it’s OWL“ als gutes Beispiel. Dort arbeiten konkurrierende Firmen zusammen daran, dass es eine gemeinsame Leitlinie gibt, dass man sich fortentwickelt und die Region nach vorne bringt. Das muss Leitlinie sein. Das muss diese Landesregierung auch im Rheinischen Revier unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die dritte Leitlinie ist für uns der große Bereich Infrastruktur. Denn das ist die Grundvoraussetzung. Schauen Sie sich an, was die Tagebaue mit der Region – man muss es so sagen – angerichtet haben: Sie haben bestehende Verbindungen zwischen den Kommunen gekappt. Die Tagebaurandkommunen sind für Jahrzehnte benachteiligt. Diese Benachteiligung muss man aufheben. Deswegen ist eine unserer Hauptforderungen auch, dass gerade Breitband und 5G bei diesen Tagebaurandkommunen anfangen müssen, und zwar innerhalb von kürzester Zeit.

Ein zweiter Aspekt ist dabei, dass wir ein ganzheitliches Verkehrskonzept für die ganze Region brauchen, und zwar ausgerichtet auf Fahrrad, auf Bus und auf Bahn. Beispielsweise bei den alten, dann irgendwann nicht mehr notwendigen RWE-Trassen, was Nord-Süd-Bahn und Hambachbahn angeht, müssen wir jetzt schon anfangen, zu überlegen: Wie können wir die mit der Nachnutzung in Einklang bringen?

Im Bereich Infrastruktur bringt die Region wirklich ideale Voraussetzungen mit allem, was wir heute Morgen auch schon gehört haben, bei der Elektromobilität, aber eben auch mit der Teststrecke in Aldenhoven. Diese Region soll nicht nur austesten, sondern hier soll wirklich eine Modellregion für die autonome Elektromobilität entstehen. Genau das ist die Zukunft dieser Region.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann soll natürlich das Rheinische Revier auch weiter Energieregion bleiben. Aber das bleibt es nur, wenn es eben digitale Energiewenderegion ist. Dafür müssen wir uns schon jetzt damit beschäftigen: Wie geht es eigentlich mit den Kraftwerksstandorten weiter? Wo können da vielleicht Gaskraftwerke hingestellt werden? Wo können auch Projekte, die neuere Ideen umsetzen, vorgestellt werden? Welche Standorte werden aber nicht mehr gebraucht und können vielleicht jetzt schon weiterentwickelt werden? In der Region ist noch sehr viel zu tun, um diese Region als Pilotregion voranzutreiben, was die digitale Energiewende angeht.

Das, was die Landesregierung da vorhat, ein Blockchain-Institut, ist leider nicht ausreichend. Wir brauchen dort ein Forschungsinstitut, das interdisziplinär auf Technik und auf Akzeptanzforschung setzt. Das ist viel breiter angesetzt. Genau das bräuchten wir in Verbindung mit einem Regionalbüro, das die Zielsetzungen für die Region zusammenhält.

Dann kommen wir zum fünften Punkt. Den vergisst diese Landesregierung leider viel zu häufig. Strukturwandel und Naturschutz müssen miteinander vereinbart werden; denn die Tagebaue haben dazu geführt, dass in der Region Artenvielfalt verloren gegangen ist. Die muss mit einem Verbund an Naturschutzflächen wiederhergestellt werden. Dabei muss auch der Hambacher Wald eine Rolle spielen und mit eingebunden werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Unternehmen RWE hat auch eine Verantwortung – für die Mitarbeitenden, aber auch was die Ewigkeitslasten angeht. Das ist ein Thema, das wir hier angehen müssen, das nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden kann. Das sind Punkte, die wir ganz klar fordern.

Die Landesregierung muss ihre Hausaufgaben machen. Die Landesregierung muss ihre Blockadehaltung, was den Kohleausstieg und die weitere strukturelle Entwicklung der Region angeht, aufgeben. Denn dann kann die Region wirklich lebenswert, innovativ und klimafreundlich werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Plonsker.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie aktuell das Rheinische Revier im Fokus der Politik steht, sehen wir alleine daran, dass wir dreimal über dieses Thema debattieren. Morgen werden zum wiederholten Male in einer Mahnwache RWE-Mitarbeiter vor dem Landtag stehen, um die Sorgen um ihre Arbeitsplätze zu artikulieren.

Aber es sind eben nicht nur die Arbeitsplätze, die wir fit für die Zukunft machen müssen. Auch die Region, die Zulieferunternehmen, die Anwohner, die Kommunen und – natürlich nicht zu vergessen – die Natur müssen sich auf die Zeit nach der Braunkohle vorbereiten.

Dabei fordern Sie, die Grünenfraktion, einen schnelleren Ausstieg. Wir als Christdemokraten bezeichnen die Braunkohle als Brückentechnologie. Aber wir sehen aktuell noch zu hohe Risiken bei einem kurzfristigen Ausstieg: Risiken für die Versorgungssicherheit, Risiken für die Energiepreise und dementsprechend Risiken für den Industriestandort NRW.

Nicht nur wegen der Auswirkungen auf den Industriestandort brauchen alle Akteure Planungssicherheit, Verlässlichkeit und vor allem Zeit. Aber das steht leider im Widerspruch zu dem, was von den Grünen immer wieder vorgetragen wird: das sofortige Ende der Braunkohle. – Damit fallen die Bergleute ins Bergfreie. Frau Brems, das widerspricht sich.

Aber es lassen sich noch weitere Widersprüche in Ihrem Antrag finden. So sprechen Sie völlig korrekt davon, dass der Strukturwandel von unten heraus organisiert werden soll. Das ist auch gut so. Denn die Kommunen und Kreise wissen am besten, was gut für sie ist.

Dann aber kritisieren Sie, dass es kein Konzept für den Strukturwandel gebe und präsentieren in diesem Antrag ein Sammelsurium von Maßnahmen und Themen. Die meisten übrigens sind in der Zukunftsagentur Rheinisches Revier bekannt.

Ihrem Antrag liegt kein Konzept zugrunde.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Man bekommt das Gefühl, dass Sie dennoch einen Strukturwandel von oben verordnen wollen.

(Beifall von der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: Ganz genau!)

Das von Ihnen eingeforderte Konzept liegt bereits vor, nämlich das Konzeptpapier der ZRR: „Das Rheinische Zukunftsrevier“. – Das wurde im September dieses Jahres von der ZRR verabschiedet. Die Landesregierung hat daran mitgewirkt. Darin sind sehr bewusst vier Cluster aufgeführt worden, die das Revier fit für die Zukunft machen sollen: das Zukunftsfeld Raum und Infrastruktur, das Zukunftsfeld Energie und Industrie, das Zukunftsfeld Innnovation und Bildung und das Zukunftsfeld Ressourcen und AgroBusiness. An dem Wirtschafts- und Strukturprogramm haben viele Akteure mitgearbeitet. Also ist es ein Eckpunktepapier aus dem Revier für das Revier.

Frau Brems, Sie sprachen eben von interdisziplinären Forschungseinrichtungen. – Auch diese sind im Revier bereits vorhanden, beispielweise im Forschungszentrum Jülich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ganz besonders gilt für uns als NRW-Koalition jedoch, dass wir Strukturbrüche vermeiden wollen. Das ist unser oberstes Leitprinzip.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Doch was ist an den Vorwürfen der Opposition dran, außer der politischen Rhetorik? Was steht denn in der Bilanz der rot-grünen Regierungszeit? – Die Initiierung der Innovationsregion Rheinisches Revier. Und weiter? – Wenig, außer einem wachstumsfeindlichen Landesentwicklungsplan, der einem gelingenden präventiven Strukturwandel, wie Sie ihn immer fordern, entgegensteht. Dazu kommen wir noch heute Nachmittag.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist das!)

Wir, die NRW-Koalition, haben in dem einen Jahr jedenfalls geliefert und viele Themen angepackt. Zur Sonderstellung des Rheinischen Reviers im LEP möchte ich beispielsweise die Neuaufstellung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier und das umfassende Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven für das Rheinische Revier zusammen mit den lokalen Akteuren nennen, eingespeist in die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“.

Außerdem war die Kommission auf Einladung des Ministerpräsidenten vor Ort im Revier. Unser Ministerpräsident Armin Laschet hat dort allen Teilnehmern die Erwartungen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen, der Betriebe und der Unternehmen vor Ort veranschaulichen können.

Darüber hinaus wurde eine Prioritätenliste für das Starter- und Langfristprogramm abgestimmt, in die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingespeist und natürlich der Bundesregierung präsentiert.

Ministerpräsident Armin Laschet sowie Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart machen immer wieder die Standpunkte des Energie- und Industrielandes Nummer eins in Deutschland klar. Es muss doch Ziel sein, Klimaschutz zu erreichen und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland und vor allen Dingen des Standorts NRW zu erhalten. Für die betroffenen Regionen brauchen wir echte Perspektiven für die Zeit nach der Kohle – keine Schnellschüsse auf Kosten Zehntausender Familien – und gute Arbeitsplätze.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Zwischenbericht der WSB-Kommission greift vieles von dem auf, was Sie in Ihrem Antrag richtigerweise schreiben. Dabei geht es natürlich ums Geld, aber nicht nur. Der Bund steht in der Pflicht, und ich denke, wir sind uns alle einig, dass 1,5 Millionen Euro im Koalitionsvertrag nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein können. Mit der Identifikation von Zukunftsfeldern und Handlungsoptionen werden hier Einzelprojekte im Rheinischen Revier zu einem stringenten Gesamtbild für das ganze Revier.

Die zukunftsfähige Neuausrichtung des Rheinischen Reviers erfordert einen massiven Ausbau von Straße und Schiene. Es geht darum, teilräumliche Initiativen zu einem gesamtregionalen Mobilitätskonzept zu bündeln. Es geht um Daten, und es geht um Mobilfunkinfrastruktur.

Es geht um die Gestaltung des Energievorsorgesystems der Zukunft, Speichertechnologien, die Nutzung von Kraftwerksstandorten, Power to Gas, Tiefengeothermie, Wasserstoff. Es geht aber auch um die Verknüpfung von Innovationsimpulsen der Hochschullandschaft – RWTH oder Forschungszentrum Jülich – mit der lokalen Wirtschaft.

All das schafft im besten Sinne die Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungsdynamik.

Wenn ich Ihren Antrag durchlese, finde ich es schon interessant, dass Sie auch wieder den Punkt „Ewigkeitslasten“ anbringen. Darüber haben wir vor nicht allzu langer Zeit hier im Plenum diskutiert und Ihren Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Andere Punkte sind schon im Zwischenbericht der Strukturkommission enthalten, aber trotzdem gute und wichtige Punkte wie die Förderung des Breitbands und 5G.

Damit das Rheinische Revier den Strukturwandel schafft, brauchen wir den gesellschaftlichen Konsens, und zwar ohne Wenn und Aber. Aber genau das hintertreiben die Grünen in Nordrhein-Westfalen immer wieder. Ich weiß, es tut weh, es immer und immer wieder zu hören; wir lassen Sie hier aber nicht aus der Verantwortung.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie haben 2016 gemeinsam die Leitentscheidung getroffen. Halten Sie sich also bitte an Verlässlichkeit und Planungssicherheit für Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Energie- und Industrieunternehmen hier in NRW!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Erfolgreicher Strukturwandel braucht Zeit. Diese Zeit wollen Sie, liebe Grüne, dem Rheinischen Revier verwehren. Realismus statt Ideologie – immer wieder wiederholen die Grünen, dass man sich um die Versorgungssicherheit keine Sorgen machen müsste, dass die Strompreise durch einen schnelleren Ausstieg sogar sinken würden. Studien sollen dies belegen, schreiben Sie in Ihrem Antrag, ohne jedoch anzugeben, welche Sie meinen. Dann könnte man wahrscheinlich nachlesen, wie groß der Importstrom aus belgischen und französischen Kernkraftwerken ist. Hauptsache, die Modellierung passt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir als NRW-Koalition verfolgen einen anderen Ansatz. Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit sind die Zielkoordinaten unserer Energiepolitik. NRW muss in Zukunft sowohl für energieintensive Unternehmen als auch für Unternehmen, die hochwertigen Strom benötigen, ein attraktiver Standort bleiben.

Für all diese Vorhaben, die in die Zukunftsfähigkeit des Rheinischen Reviers einzahlen, müssen wir unsere Kräfte bündeln. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen, um uns in Berlin für das Rheinische Revier einzusetzen.

Deshalb freue ich mich, dass wir den Antrag gemeinsam im Ausschuss noch einmal in aller Tiefe und Breite diskutieren werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Plonsker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

(Zurufe von der SPD)

– Entschuldigung, für die SPD-Fraktion. – Das kam von mir. So weit sind wir noch nicht, Herr Kollege.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Bitte schön, Sie haben das Wort, Herr van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, würde ich gerne etwas zur CDU-Fraktion sagen.

Vizepräsident Oliver Keymis: So soll es sein.

Guido van den Berg (SPD): So soll es sein. – Ich will als Erstes bemerken: Ich glaube, die Darstellung, die einen hätten die ganz genialen Ideen und die anderen bauten beim Strukturwandel nur Murks, bringt uns nirgendwo weiter.

Frau Kollegin Plonsker, wenn Sie sich die Arbeit der ZRR – früher IRR –, die vor Ort im Strukturwandel geleistet wird, genauer anschauen, werden Sie größte Schnittmengen von Projekten finden, die dort in den letzten Jahren erarbeitet worden sind – auch unter SPD-Verantwortung, auch mit einer SPD-Landesregierung.

Sie sollten vielleicht ein bisschen vorsichtiger sein, wenn Sie automatisch immer nur eine Einordnung in Kästchen vornehmen; denn letztendlich geht es um eine Jahrhundertaufgabe. Es geht um einen Transformationsprozess, der in dieser Region gelingen soll: Deswegen sollten wir alle einladen, die gute Ideen haben.

Ich finde es gut – ich sage das ausdrücklich –, dass die Fraktion der Grünen heute einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Wir beraten später am Tag auch noch zwei weitere Anträge von uns.

Es ist mir an dieser Stelle extrem wichtig, deutlich zu machen, wo wir Schnittmengen haben. Frau Brems, Sie haben völlig zu Recht dargestellt, dass der Zwischenbericht für viele in der Region eher enttäuschend war. Schauen Sie sich mal an, was netto zum Strukturwandel im Rheinischen Revier geschrieben wurde: Das umfasst eine DIN-A4-Seite, und das ist in der Tat leider etwas dünn.

Ich mache das niemandem zum Vorwurf. Ich weiß sehr wohl, dass das die Arbeitsweise der Kommission betrifft. Ich weiß auch, dass unsere Partei in der Bundesregierung beteiligt ist. Wir müssen die Probleme jedoch effektiv angehen. Deswegen, Frau Brems, ist es gut, dass wir jetzt auch im Landtag und in einer breiteren Öffentlichkeit anfangen, diese Projekte und Ideen miteinander zu beraten und zu diskutieren – all das, was die Kommission vor dem Hintergrund ihres Arbeitsauftrages vielleicht auch gar nicht leisten konnte.

Deswegen, Frau Brems, besteht unsere zweite Übereinstimmung darin, dass viele in der Region die „Sowieso-Projekte“ – so bezeichnen Sie das in Ihrem Antrag – kritisiert haben. Das ist richtig. Das sind Projekte, die in der Pipeline sind; ich nenne nur mal die Rheinquerung bei Wesseling oder die FH in Erftstadt. Diese Projekte haben wir in der Region völlig unabhängig von der Frage entwickelt, ob es einen Strukturwandel gibt oder nicht. Die Leute fühlen sich natürlich verschaukelt, wenn wir solche Dinge zu Papier bringen, obwohl man weiß, dass dies mit der Kernsache nicht viel zu tun hat.

Ich stimme Ihnen auch darin zu, dass wir uns mehr Gedanken über eine Förderkaskade machen müssten. Wir tun so, als ob alle gleich wären, obwohl es natürlich kernbetroffene Gebiete und weniger betroffene Gebiete gibt. Wenn man eine Batteriefabrik in Euskirchen baut – im letzten Plenum hatten Sie, Herr Minister, das Beispiel Euskirchen angeführt –, kann man natürlich sagen, dass das auch etwas mit dem Rheinischen Revier zu tun habe. Der Arbeitnehmer aus Grevenbroich wohnt aber schon 60 km von Euskirchen entfernt. Ob das also alles so genau auf das Kerngebiet des Rheinischen Reviers fokussiert ist, ist fraglich.

Der letzte Punkt, in dem wir übereinstimmen, Frau Brems, ist die Tatsache, dass kein Bergmann ins Bergfreie fallen soll. Es ist gut, dass wir in der Frage, wie solche Transformationsprozesse gestaltet werden, einen so breiten Konsens in diesem Hause haben. Das sollte nicht verloren gehen.

Jetzt will ich aber auch zu den Punkten kommen, Frau Brems – wenn Sie gestatten und auch ein bisschen zuhören; ich habe Ihnen vorhin ja auch zugehört –, bei denen unsere Unterschiede deutlich werden.

Ihr Vergleich mit OWL – man müsse alles nur so machen wie die anderen und auf Digitalisierung setzen, dann werde das schon funktionieren – zeigt mir, dass Sie in Ihrer Fraktion leider wenig Vertreter mit direktem Bezug zum Rheinischen Revier haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das hat doch niemand gesagt! – Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Frau Brems hat vorhin gesagt, wir sollten das nach dem Vorbild von OWL angehen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie hat auch den Vergleich zum Ruhrgebiet gezogen und gesagt, man hätte dort viel zu lange geschlafen und hätte das viel früher machen sollen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Da hat sie doch recht!)

– Nein, da hat sie nicht recht, und ich will Ihnen auch darlegen, warum. Wie das Ende der Steinkohle zustande gekommen ist, hatte ganz wesentlich damit zu tun, dass dieser Energieträger in unserem Land hochsubventioniert war und die Gesellschaft irgendwann gesagt hat: Das wollen wir so nicht mehr mittragen; stattdessen wollen wir lieber in andere Zukunftschancen investieren.

Bei der Braunkohle ist das grundsätzlich anders. Die Braunkohle ist hochwettbewerbsfähig; sie ist wettbewerbsfähiger als Erdgas. Sie steht unsubventioniert auf dem Markt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wir diskutieren politisch aus Klimaschutz- und anderen Gründen, dass wir bei der Stromerzeugung früher aus der Braunkohle heraus wollen. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Da wird doch deutlich, dass hier ein Verweis auf OWL nicht ausreicht. Sie setzen sich in Ihrem Antrag zu wenig mit der Struktur der Braunkohlenregion auseinander. In Ihrem Antrag steht: Das sind ja nur 9.000 Arbeitsplätze. Dann rechnen wir das mal klein, und dann wird das schon nicht so schlimm werden, mit Vorruhestandsregelungen usw.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Becker?

Guido van den Berg (SPD): Sehr gerne.

Horst Becker (GRÜNE): Herr Kollege van den Berg, Sie haben eingangs ausgeführt, dass Sie unter anderem auch das Verbindende sehen wollen. Jetzt haben Sie aber gesagt, dass sich die Braunkohle wesentlich von der Steinkohle in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit unterscheide.

Würden Sie mir denn wenigstens insoweit recht geben, als die Ewigkeitslasten, die es selbstverständlich auch bei der Braunkohle geben wird, bis heute nicht ordentlich abgebildet sind, und dass sich die Wirtschaftlichkeit nur noch auf Kosten Dritter – zum Beispiel der Umwelt, der Bevölkerung etc. – rechnerisch und betriebswirtschaftlich darstellen lässt, das Ganze volkswirtschaftlich aber ganz anders aussieht?

Guido van den Berg (SPD): Herr Becker, ich glaube, Sie verkennen, dass es auch in diesem Bereich einen großen Unterschied zwischen Braunkohle und Steinkohle gibt. Bei der Steinkohle werden wir über viele Generationen, wahrscheinlich für die Ewigkeit, menschliche Maßnahmen durchführen müssen, um Wasserhaushalte und Grundwasserstöcke in Ordnung zu halten. Das ist bei der Braunkohle erkennbar nicht der Fall.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Der Braunkohlebergbau, Herr Becker, ist dort seit 70 Jahren in Betrieb. Wir wissen, dass dort das Grundwasser zurückkommt. Sie können im Südrevier beobachten, was da in der Vergangenheit geschehen ist. Es gibt nur sehr kleine Bereiche – nämlich genau meine Heimat, die Erftaue –, in denen wir dauerhaft Pumpleistung vorhalten müssen. Deswegen halte ich es für unredlich, den Vergleich zwischen Braunkohle und Steinkohle an dieser Stelle zu ziehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, Sie müssen sich als grüne Fraktion intensiver mit der Region auseinandersetzen. Diese Region – das habe ich vorhin versucht, auszuführen – ist von energieintensiver Industrie geprägt. Die drei IHKen in dem Bezirk haben uns vorgerechnet, dass über 90.000 Menschen direkt mit den energieintensiven Betrieben zu tun haben. Das sind 5,4 % der Beschäftigten in dieser Region.

Von jedem dieser Arbeitsplätze hängen zwei weitere Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen ab. Das macht am Schluss über 250.000 Beschäftigte, die insgesamt 32 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Das ist nicht Klein-Klein. An Ihrem Antrag ärgert mich, dass Sie sich dieser Herausforderung nicht stellen.

(Beifall von der FDP)

In Ihrem Antrag formulieren Sie, Herr Becker, zudem, dass die Strompreise durch das Braunkohleende sinken würden. Den volkswirtschaftlichen Kurs müssen Sie mir mal zeigen! Wenn das Angebot knapper wird, sinken die Preise – wo haben Sie das denn gelernt, und welchen Gutachter haben Sie da aufgetrieben, der solch einen Unfug in die Welt setzt?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich empfehle Ihnen dringend, mit den Betroffenen zu reden. Reden Sie mit der Hydro in Grevenbroich, die Aluminium produziert. Die sagt Ihnen sehr deutlich, dass sie Angst und Sorgen hat, wie sich die Strompreise entwickeln. Reden Sie mit Vinnolit in Hürth bei mir im Rhein-Erft-Kreis, die im Kunststoffbereich unterwegs sind. Ich glaube, hier müssen die Grünen mehr Verantwortung übernehmen. Da stimme ich mit Frau Plonsker völlig überein.

Frau Brems, ich glaube, Sie waren auch auf der Tagung der IG BCE, bei der Vertreter von triton und der Bank Merrill Lynch als Investoren aufgetreten sind und eines sehr deutlich gesagt haben: Was die Politik für erfolgreichen Strukturwandel gewährleisten muss, ist vor allen Dingen Planbarkeit und Verlässlichkeit. – Wie Sie sich jedoch bei Ihren eigenen Entscheidungen, die Sie im Rahmen der Leitentscheidung getroffen haben, vom Acker machen, ist ein Beweis dafür, dass Sie der Verantwortung für das Rheinische Revier nicht gerecht werden.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Sie schlagen in Ihrem Antrag ferner vor, beim Thema „Flächen“ sollten nicht ungebremst Flächen für Gewerbe, Industrie und Wohnbebauung ausgewiesen werden. Damit dies gelingt, schlagen Sie eine Verteilung über die Bezirksregierung und eine regionale Wirtschaftsförderungsagentur vor. Das macht mir deutlich: Sie haben mit keinem einzigen der Bürgermeister oder Stadträte vor Ort gesprochen. Die werden sich freuen, wenn künftig die Bezirksregierungen für diese Themen zuständig sind und nicht mehr sie selber.

Die Bürgermeister und die Region sagen sehr deutlich: Wir brauchen dringend Flächen, um einen präventiven Strukturwandel betreiben zu können. – Hier reicht es nicht aus, auf Kraftwerksstandorte zu warten; denn wenn die erst mal abgeräumt sind, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen und die Beschäftigung an diesen Standorten weg. Wir müssen jetzt handeln, damit diese Dinge funktionieren, und dürfen nicht warten, bis das Kind im Brunnen liegt!

(Beifall von der SPD und der FDP)

Sie haben auf die E-Mobilität verwiesen. Sie sind ja beim Thema „StreetScooter“ auch intensiv unterwegs, Herr Becker. Wenn Sie mit den Menschen dort darüber sprechen, was sie für eine Batteriezellenfabrik oder für einen Fertigungsstandort benötigen, sagt Ihnen jedes dieser Industrieunternehmen: Das Minimum ist eine Freifläche von 25 ha, die entsprechend in Gewerbeindustrie überführt werden muss. – Sie müssen den Kommunen vor Ort konkret helfen. Es reicht nicht, zu sagen: „Da gibt es irgendeinen Beauftragten bei der Bezirksregierung“, sondern es muss konkrete Flächen geben, die vor Ort angeboten werden können.

Was ich am Antrag der Grünen gut finde – auch das will ich betonen –, ist der Fokus auf Natur und Lebensraum. Die Bergleute im Rheinischen Revier haben zwei Produkte. Das eine Produkt ist die Kohle, und das andere die Landschaft, die sie hinterlassen. Hier, Frau Brems, tun Sie der Region unrecht. Sie schreiben in Ihrem Antrag:

„Abgebaggerte naturschutzwürdige Wälder können nicht durch Renaturierung und Wiederaufforstung … hergestellt werden.“

(Zuruf von der FDP: Dann waren sie noch nie da! – Gegenruf von den GRÜNEN)

Das ist falsch; das ist schlichtweg falsch. Ich beginne mal mit der Forstwirtschaft. Schauen Sie sich einmal die Ertragstafel von Ihrem geliebten Hambacher Forst an, der übrigens nicht Hambacher Wald heißt, sondern Hambacher Forst, weil es ein forstwirtschaftliches Gebiet ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der FDP: Genau!)

Auf dieser forstwirtschaftlichen Ertragstafel, die von eins bis fünf reicht, hat der Restforst von Hambach eine Einstufung von zwei bis drei. Die Rekultivierung auf der Sophienhöhe liegt klar über der Stufe eins. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen.

Gleichzeitig sage ich Ihnen: Schauen Sie sich auch mal den Artenreichtum auf den rekultivierten Flächen an. Auf der Sophienhöhe gibt es 1.200 Tierarten und über 800 Pflanzenarten. Darunter befinden sind auch 90 Tierarten, die auf der sogenannten Roten Liste stehen – fünf davon galten in NRW sogar als ausgestorben. Es gibt 80 Pflanzenarten, die auf der Roten Liste gestanden haben, davon galten drei als in NRW ausgestorben. Ich empfehle Ihnen: Gehen Sie nicht nur zu den Baumhäusern. Machen Sie sich lieber ein umfangreicheres Bild über die Situation in der Region.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Ein alter Restwald hat natürlich für Altwaldspezialisten eine besondere Bedeutung, und dass Sie zum Beispiel eine Bechsteinfledermaus bei einer Rekultivierung nicht sofort ersetzen können, ist selbstredend. Aber auch hier lade ich Sie herzlich ein: Kommen Sie mit mir mal in das Südliche Revier. Kommen Sie nach Liblar, nach Brühl oder nach Erftstadt,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und Sie werden feststellen, dass Sie dort diese Altwaldspezialisten – inklusive der heißgeliebten Bechsteinfledermaus, die in den Rekultivierungsgebieten wieder anzutreffen ist – alle wiederfinden. Schauen Sie sich das Ganze genauer an.

Wenn Sie der Region vorschlagen, sie solle die Restseen künftig nur so behandeln, dass das quasi ein Beitrag für Pumpspeicherlösungen ist, glaube ich auch hier, dass Sie mit der Region zu wenig gesprochen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dieses Thema ist in der IRR intensiv diskutiert und untersucht worden. Es gibt dazu sogar Studien aus dem Umweltministerium – Herr Becker, Sie werden sich vielleicht daran erinnern.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich sage es sehr deutlich: Die Menschen in der Region wollen natürlich, dass eine hochwertige Landschaft an sie zurückgegeben wird. Die Diskussion über Betonbecken auf Halden – ob das technisch überhaupt möglich ist und ob es ökologisch und landschaftspolitisch gewollt ist – müssen Sie deshalb mit der Region führen. Das dürfen Sie nicht einfach in einem Antrag reinrotzen – wenn ich das mal umgangssprachlich formulieren darf.

Meine Damen und Herren, es geht an dieser Stelle auch darum, sich einmal anzuschauen, wie andere Regionen vorgegangen sind. Der Osten hat bei dem Thema „Restseen“ intensive Vernetzungskonzepte von ehemaligen Tagebauseen betrieben. Wir haben in Inden eine große Diskussion darüber geführt, dass der Restsee vergrößert werden müsse, um noch mehr Kommunen als Anrainer dorthin zu bringen. Ich sage mal ganz selbstkritisch: Dort wurde daran gedacht, dass jede Kommune ihren Yachthafen bekommt.

Wenn wir Ökologie ernstnehmen, Frau Brems, können wir gerne darüber diskutieren, was mit den neuen Restseen in Garzweiler und mit Hambach passieren muss. Ich würde mir dort Flachwassergebiete wünschen, in denen bestimmte Pflanzen- und Tierarten heimisch werden können, die ebenfalls vom Aussterben bedroht sind. Auch damit müssten Sie sich beschäftigen und das angehen, was die Rekultivierung hierbei leisten kann.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine herzliche Bitte: Schauen Sie sich nicht nur den Hambi an. Ich lade Sie mal auf die Sophie ein, und dann schauen Sie sich die Gebiete dort an. Wir müssen aufhören, dieser Region unrecht zu tun.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir haben große Potenziale, den Strukturwandel dort gemeinsam zu gestalten. Dazu gehört aber – und auch hier stimme ich mit Frau Plonsker überein –, dass es zu kurz gegriffen ist, alles nur noch auf die Frage zu reduzieren: Werden die Klimaschutzziele erreicht – ja oder nein?

Wir leben in einer hochkomplexen Industriegesellschaft, die nicht nur die Frage des Ob klären muss, sondern vor allen Dingen die Frage des Wie.

(Zurufe von den GRÜNEN und der CDU)

Wir müssen die Frage klären, wie man solche Prozesse demokratiekonform gestalten kann, und, Herr Rüße, was mit den Betroffenen passiert, damit man ihnen ordentliche Antworten geben kann.

Hinweise auf Blockchain oder auf „OWL und alles wird digital“ reichen nicht, um bei den Menschen Vertrauen für einen gelingenden Strukturwandel zu erreichen. Wir stehen in der Verantwortung, und ich hoffe sehr, dass wir im Fachausschuss mit Ihrem Antrag, aber auch mit den Anträgen, die wir heute noch beraten, eine breitere Diskussion hinbekommen. Klar ist: Was die Kommission in Berlin bislang vorgelegt hat, reicht aus unserer Sicht nicht aus.

Dort geht es im Kern um einen Deal, nämlich um einen Deal zwischen dem Konzern und dem Staat über die Ablösung für einen früheren Braunkohleverstromungsausstieg. Herr Minister Pinkwart, wir müssen dringend hinbekommen, dass es ein Deal mit der Region und mit den Menschen wird. Das ist das, was uns an dieser Stelle wichtig ist. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr van den Berg. Lassen Sie mich sagen: Der eine Ausdruck war mir zu umgangssprachlich. Sie wissen, welchen ich meine.

(Guido van den Berg [SPD]: Ich habe für die CDU gesprochen!)

– Das habe ich gemerkt. Ich würde aber ein bisschen mehr Sensibilität walten lassen; denn ich glaube, wir unterstellen keiner Fraktion, dass sie irgendetwas in einen Antrag – nun ja – hineintut.

Wir kommen zum nächsten Redner. Es spricht für die FDP-Fraktion Herr Brockes. Bitte schön.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Rheinische Revier steht heute im Fokus der Debatte. Das ist wirklich gut so. Wenn eben noch der Kollege Kämmerling die geringe Anwesenheit der einen oder anderen Fraktion beklagt hat, so muss ich sagen, dass ich generell finde, dass die Debatte, die für das Rheinische Revier von enormer Wichtigkeit und Bedeutung ist, bei allen Fraktionen mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Der Kollege Kämmerling, der selbst aus der Region stammt, ist jetzt leider ebenfalls nicht da.

(Frank Sundermann [SPD]: Der kommt zum nächsten Antrag! Es gibt ja noch zwei!)

Ich glaube, diese Debatte ist richtig und wichtig. Sie lohnt sich. Sie wird zudem anders geführt als die sonst üblichen Debatten hier, in denen die Regierung ihre Position hat und die Opposition eine andere.

Es ist gut, lieber Kollege van den Berg – von dem einen Ausdruck vielleicht mal abgesehen –, dass an Ihren Ausführungen deutlich geworden ist, dass wir gemeinsam schauen müssen, wie wir einen Weg finden. In dieser Hinsicht war die Debatte bisher deutlich besser als der vorliegende Antrag der Fraktion der Grünen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben gleich noch über zwei weitere Anträge zu demselben Thema zu beraten. Man hätte meines Erachtens die Debatten verbinden können. Vorhin ist schon häufig auf die anderen Anträge eingegangen worden. Aber sei es drum – es lohnt sich wirklich, diese Debatte hier zu führen.

Die Anträge zeigen erhebliche Qualitätsunterschiede, um das einmal deutlich zu machen. Insoweit will ich der Debatte heute Nachmittag nicht vorgreifen. Ich muss jedoch sagen, Herr Kollege van den Berg, der Antrag Ihrer Fraktion ist, was die Beschreibung der Ausgangslage und der Herausforderungen angeht, deutlich besser als der Antrag der Fraktion der Grünen, über den wir jetzt reden. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, scheitern bereits an der ersten Hürde. Ihre Beschreibung der Ausgangslage ist nämlich völlig unzutreffend, und jetzt wollen Sie wieder der Landesregierung Vorwürfe machen, die so nicht haltbar sind.

Da findet sich in Ihrem Antrag der Satz, die Landesregierung kämpfe weiterhin mit aller Kraft für ein möglichst spätes Ende der Braunkohle. Das kann man aus der Sicht der Grünen natürlich immer mal wieder in den Raum hinein behaupten. Aber dann müssen Sie sich auch fragen lassen, ob Sie ernsthaft eine Debatte über die zukünftige Entwicklung des Rheinischen Reviers führen wollen, ob Sie Interesse daran haben, oder ob es Ihnen einfach nur um die Polemik geht.

Man fragt sich, ob Sie eigentlich zuhören können. Die Position der Landesregierung und der NRW-Koalition ist ganz klar, auch wenn man es anders behauptet. Ich kann es Ihnen gerne noch einmal deutlich machen. Anscheinend sind Sie, was die Positionierung der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen angeht, politisch etwas schwerhörig.

Um es klar zu sagen: Wir kämpfen für eine gute Entwicklung in der Region, im Rheinischen Revier. Wir kämpfen für einen vernünftigen Ausstiegspfad, der faktenbasiert auf eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energiepolitik setzt. Und wir kämpfen für die Arbeitsplätze, die durch eine ideologische Wünsch-dir-was-Politik gefährdet werden.

(Beifall von der FDP)

Das, liebe Grüne, ist genau der Unterschied zu Ihrer Politik und zu Ihrem Antrag.

Damit komme ich zur zweiten Anmerkung, zu Ihrer Beschreibung der Ausgangslage. Da kommen auf einmal die Beschäftigten vor. In all den Debatten vorher ging es nie um die Beschäftigten.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Jetzt sind sie auf einmal Thema. Nun könnte man sich eigentlich freuen, dass Sie endlich erkannt haben, dass Ihre Politik am Ende auch die Menschen trifft, dass eine Politik, die um Ausstiegsdaten feilscht, als ob das alles keine Auswirkungen hätte, am Ende eben doch sehr deutliche Konsequenzen nach sich zieht, nämlich die Gefährdung von Arbeitsplätzen.

Man könnte sich eigentlich freuen, dass Sie die Forderung aufnehmen: Kein Bergmann darf ins Bergfreie fallen. – Aber ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Ich glaube Ihnen das nicht; denn das war bei Ihnen bisher nie ein Thema. Sie haben sich damals auch ohne große Umschweife von Ihrer Leitentscheidung distanziert. Sie verunsichern die Beschäftigten mit Ihren Vorstellungen davon, man könnte buchstäblich schon morgen aus der Kohle aussteigen. Und dann sprechen Sie auf einmal von Planungssicherheit, die die Beschäftigten bräuchten. Ich sage es ganz deutlich: Das ist aus meiner Sicht heuchlerisch.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie zeigen auch sehr deutlich, dass Ihnen die wirtschaftlichen Zusammenhänge fremd sind. Die Formulierung dazu ärgert mich sehr. Sie sprechen von einem „Hemmschuh“, den die Braunkohlewirtschaft darstelle, von einem „Bremsklotz“, der die Energiewirtschaft im Rheinischen Revier bedeute. Das ist, ehrlich gesagt, ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, die mit ihrer ehrlichen und guten Arbeit seit Jahrzehnten zur Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen beigetragen haben.

(Beifall von der FDP und der AfD)

Es ist auch schlichtweg sachlich falsch. Die Energiewirtschaft sorgt für Versorgungssicherheit, die Unternehmen sorgen für Arbeitsplätze. Es sind Wertschöpfungsketten entstanden, die für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen von zentraler Bedeutung sind.

Das alles als „Hemmschuh“ zu bezeichnen, ist nicht nur fragwürdig, sondern das ist auch unredlich.

(Beifall von der FDP)

Aber das fügt sich ja in das Zerrbild, das Sie hier von der Kohle zeichnen wollen. Ansonsten wäre es auch interessant, einmal über die weltweit modernsten Kraftwerke oder auch über Themen wie die stoffliche Nutzung der Kohle zu sprechen. Das würde sich sicherlich lohnen, aber ehrlich gesagt gibt das natürlich Ihr Weltbild auch nicht wieder.

Ich könnte hier jetzt einige Punkte aufführen, die gerade die Kollegin Plonsker und der Kollege van den Berg schon aufgeführt haben. Ihr Antrag beklagt ein Leitbild der Landesregierung. Dabei ist allen bewusst, dass hier bereits gut gearbeitet wurde.

Die Landesregierung hat eben nicht wie von Ihrem Antrag gefordert sozusagen par ordre du mufti gesagt, was gut für die Region ist, sondern die Landesregierung hat gemeinsam mit der Region Schwerpunkte entwickelt. Dass das Bild natürlich noch nicht komplett ist und es viele gute Ideen gibt,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

die wir auch aufnehmen können, ist ganz klar. Aber hier ist etwas von unten gewachsen; das gilt es jetzt zu stärken.

Da bin ich auch bei Ihnen, Herr Kollege van den Berg. Es ist natürlich traurig, dass das in dem Zwischenbericht zu wenig vorkommt. Da ist aber abzuwarten oder dafür zu sorgen, dass jetzt die wesentlichen Punkte in den Abschlussbericht kommen. Ich glaube, daran arbeitet die Landesregierung sehr intensiv. Ich möchte mich beim Wirtschaftsminister Professor Pinkwart ganz herzlich für seine Arbeit in der Kommission bedanken.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Brockes, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Brems?

Dietmar Brockes (FDP): Ich wollte eigentlich zum Schluss kommen. Aber dann nehme ich …

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann kommen Sie zum Schluss – oder? Entscheiden Sie sich.

Dietmar Brockes (FDP): Das zeitliche Schnäppchen nehme ich dann noch mit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie sind aber drauf heute! – Gut. Also dann, Frau Brems. Sie haben das Wort.

(Heiterkeit)

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich wollte Sie einfach nur fragen, weil Sie gerade aus unserem Antrag zitiert haben. Sie haben uns vorgeworfen, da stünde, dass die Braunkohlewirtschaft ein Hemmschuh sei.

Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, wie das Zitat richtig lautet, und zwar:

„Viele kleine und mittlere Unternehmen haben nicht genug Alternativen zur Braunkohlewirtschaft, sie ist daher zum Hemmschuh für die künftige wirtschaftliche Entwicklung geworden.“

Ich möchte Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das ein deutlicher Unterschied ist, dass es natürlich so ist, dass die Braunkohlewirtschaft in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt hat, dass in der Region Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft vorhanden sind? Das heißt aber nicht automatisch, dass es in Zukunft mit dieser Braunkohlewirtschaft auch so ist.

Dietmar Brockes (FDP): Frau Kollegin Brems, so, wie es in Ihrem Antrag steht, entsteht der Eindruck, dass Sie ganz klar sagen, dass auch perspektivisch das, was in der Vergangenheit war, ein Hemmschuh ist. Deshalb muss ich dem ganz deutlich widersprechen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Sie beklagen unsererseits ein Leitbild, eine klare Vision. Diese Vision sich aber auch nicht in Ihrem Antrag.

Sie haben in Ihrem Antrag einfach mal 16 Punkte aufgeführt, ein grünes „Wünsch-dir-was“, die mit der Anforderung in der Region in großen Teilen – einige Punkte kann man übernehmen – nicht übereinstimmen. Ich halte es für den falschen Weg, dass die Politik hier im Landtag der Region vorschreibt, was zu tun ist.

Lassen Sie uns – so, wie es Kollegin Plonsker und Kollege van den Berg gesagt haben – die Region gemeinsam mit der Landesregierung dahin gehend unterstützen, dass aus der Region heraus die richtigen Zukunftsthemen entwickelt werden, um für eine gute Zukunft dort zu sorgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockes. – Nun hat für die AfD-Fraktion Herr Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute reden wir über einen „Wir-träumen-und-andere-zahlen-Antrag“ der Grünen. Realitäten werden dabei gern einmal ausgeblendet. Wozu soll man die auch beachten?

Die Oberschichtenwähler interessieren sich sowieso nicht für die Malocher in der Fabrik, die aufgrund Ihrer Klimapolitik ihre Arbeitsplätze verlieren, Wähler wie zum Beispiel eine Lehrerin, die sich eine Solaranlage auf ihr Eigenheim packt und in der Garage ihr Elektroauto auflädt. Dann fährt diese Lehrerin morgens 20 km zur Schule und sagt den Kindern, dass die Energiewende funktioniert, man müsse nur wollen.

Dabei verschweigt diese Lehrerin aber den Schulkindern, dass der Großteil des Geldes für die Solaranlage oder auch für die Kaufprämie von den Eltern dieser Kinder erbracht werden muss – Eltern, die mit ihren drei Kindern im Mietshaus wohnen und Prospekte durchwälzen müssen, um den günstigsten Preis für ein Pfund Gehacktes für die Spaghetti Bolognese zu finden, die sie sich leisten. Die Lehrerin aber fährt derweil abends mit ihrem Familienauto, einem schönen SUV, zum Bio-Supermarkt, um dort das gute Bio-Rindersteak für ihren Mann zu kaufen.

So nämlich sieht die sogenannte Energiewende in der Realität aus: Die Öko-Lehrerin sonnt sich moralisch auf ihrer Terrasse, während die Malocher dafür zahlen müssen.

Ganz vergessen bleibt aber auch nicht, dass jede in Deutschland eingesparte Menge an CO2 einfach in Polen in die Luft gepustet werden kann; denn es gibt einen EU-weiten Zertifikatehandel, und die Reduzierung in einem Land kann zu einer Erhöhung im anderen Land genutzt werden.

Im EU-weiten Zertifikatehandel werden die Mengen jedes Jahr abgeschmolzen, das heißt, die Reduktion von CO2 erfolgt ganz automatisch. Automatisch – das heißt ohne Ihre Träumereien, liebe Grüne, ganz ohne Klimaregionalbüro, ganz ohne Bürgerstromhandel, ganz ohne schwimmende Fotovoltaikanlagen. Deshalb braucht kein Mensch Ihre Öko-Fake-Projekte. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Loose. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Professor Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir hier sehr sachbezogen über die laufende Arbeit der WSB-Kommission sprechen können. Sie geht jetzt mit ihren Gesprächen in die heiße Schlussphase.

Der Zwischenbericht zu den Strukturfragen ist auch schon Gegenstand der Debatte gewesen. Jetzt werden die energiewirtschaftlichen Teile entsprechend eingefügt, und es muss insgesamt gelingen, dass wir das Ziel, den Klimaschutz noch weiter intensivieren zu können, mit einer sichereren und bezahlbaren Energieversorgung und einem gelingenden Strukturwandel in den betroffenen Regionen zusammenbringen können.

Das ist die Aufgabe der nächsten Tage und Wochen. Ich denke, dass es in der heutigen Debatte darum geht, dass der strukturpolitische Teil dabei auch angemessene Berücksichtigung findet.

Dabei hat Strukturpolitik gerade im Rheinischen Revier – wir haben das hier wiederholt besprechen können – eine doppelte Dimension: Es geht nicht – in Anführungszeichen – „nur“ um die im Bergbau dann unmittelbar wegfallenden Arbeitsplätze und die damit im Zusammenhang stehenden Arbeitsplätze, sondern es geht – gerade hier bei uns in Nordrhein-Westfalen – natürlich auch um die Folgewirkungen auf die energieintensive Wirtschaft.

Da ist es tatsächlich so, dass die Energiepreise auf keinen Fall sinken werden. Wie schon zutreffend gesagt wurde, gibt es auch kein Gutachten, das der Kommission vorgelegt worden wäre – von welchem Institut auch immer –, dass bei einer vorzeitigen Rücknahme von auf Kohle basierender Energieumwandlungskapazität die Energiepreise sinken könnten.

Die Frage ist nur: Um wie viel Prozent steigen die Energiepreise? Da gibt es allerdings unterschiedliche Szenarien, aber dass es keine negative Wirkung auf die Preise hätte, darüber liegt mir keine Erkenntnis vor.

(Beifall von der FDP)

Umso wichtiger ist es, dass wir einen Zeitplan und auch einen Maßnahmenplan finden, die die Energieversorgung vollumfänglich sicherstellen, auch die Bezahlbarkeit.

Ich bitte an dieser Stelle, einen kleinen Blick auf die Energieversorgungssituation zu richten, wie sie aktuell in Belgien vorherrscht. Wir müssen sehen, dass Frankreich seine Energieversorgung auf lange Frist wesentlich in Abhängigkeit von der Kernenergie gestaltet hat.

Wir wissen zudem, dass der Kraftwerksbestand immer älter wird, das heißt: Ab Mitte des nächsten Jahrzehnts, wenn hier ganz erhebliche Kapazität zusätzlich vom Netz genommen werden sollte, können wir uns nicht ohne Weiteres auf diese Kapazitäten verlassen – im Gegenteil: Möglicherweise sind die Nachbarn dann noch stärker auf die Energieversorgung auch aus Deutschland angewiesen.

(Zuruf von der AfD: Wie soll das gehen?)

Insofern bedarf es hier wirklich eines sorgfältigen Vorgehens. Aber dafür sehe ich auch alle Voraussetzungen in der Kommission.

Die sehe ich allerdings auch hier bei dem zwischenzeitlich vorliegenden Zwischenbericht. Da möchte ich Ihnen, Herr van den Berg, widersprechen, weil Sie gesagt haben, das sei noch nicht ausreichend und vor allen Dingen mit Blick auf das Rheinische Revier zu wenig.

Wenn Sie sich einmal die 41 Seiten anschauen, eng bedruckt, dann haben Sie alleine auf den Seiten 8 bis 16 einen Analyseteil, wo wiederholt das Rheinische Revier genauso wie andere Regionen benannt wird.

Dann haben Sie die Grundsätze für die Strukturentwicklung, die gelten für alle Regionen. Auch das ist auf den Seiten 28 bis 31 nachzulesen. Dann haben Sie Maßnahmen zur Begleitung des Strukturwandels auf den Seiten 31 bis 41, wo Sie vielfältig auch das Rheinische Revier finden können.

Wenn ich jetzt das alles aus dem Zwischenbericht vorlesen würde, würde die Redezeit bei Weitem, Herr Präsident, nicht reichen: Das ist wirklich sehr umfassend

Dann gibt es nicht eine Seite, sondern es sind insgesamt zwei Textseiten zum Rheinischen Revier, wie jeweils auch zu den anderen Regionen, wo sehr konkret die vier Felder beschrieben sind, die aus der Region erarbeitet worden sind. Diese haben wir mit der Region sehr gerne in die Kommission eingebracht, weil sie auf den Stärken dieser Region aufbauen, anknüpfend an die Potenziale, die wir hier sehen, nämlich erstens das Zukunftsfeld „Energie und Industrie“, wo wir für die Zukunft Kapazitäten aufbauen wollen, um Versorgungssicherheit für die energieintensive Wirtschaft gewährleisten zu können.

Wir gehen davon aus, dass im Zuge der Energiewende auch die Versorgungssicherheit ein eigenes Gut sein wird, für das man Preise und Erlöse erzielen muss und damit auch eine wirtschaftliche Tragfähigkeit gewinnt.

Wir haben zweitens das Feld „Innovation und Bildung“. Wir haben die Region eingebettet in einen sehr engen Hochschul‑ und Wissenschaftsraum mit vielen Forschungseinrichtungen. Wir wollen versuchen, dass hier durch eine Abteilungsgründung der Technischen Hochschule in Köln, aber auch durch andere Aktivitäten dieses Know-how stärker in die Region hineinkommt.

Damit es dort ankommen und sich aus der Region heraus wieder entfalten kann, brauchen wir Maßnahmen für Raum- und Infrastruktur, das ist unser dritter Schwerpunkt. Hier planen wir eine internationale Bau‑ und Energieausstellung, Orte der Zukunft, auch beim Thema „5G“, neue Mobilität und vieles mehr.

Ich denke, das sind alles ganz wichtige Themen – nicht nur für die Region, sondern für Nordrhein-Westfalen, für Deutschland insgesamt, wenn sie hier entsprechend durchgeführt werden.

Das vierte Feld ist „Ressourcen und Agro-Business“, weil wir auch hier Fähigkeiten besitzen, wie wir mit natürlichen Ressourcen der Region auch in Zukunft Märkte erschließen können.

Es sind also vier große Handlungsfelder mit vielen Maßnahmen und Projekten, die zum Teil im Zwischenbericht schon unterlegt bzw. im erweiterten Programm enthalten sind.

Wichtig ist natürlich – und das klang schon an –: Bisher ist das eine, wie ich finde, sehr gut gelungene Analyse, eine gute Beschreibung eines Strukturentwicklungsprozesses. Sie beschreibt die Maßnahmen, auch die Bedingungen, unter denen das am besten gelingen kann, auch was die Beschleunigung, etwa bei Planungsverfahren, anbelangt.

Entscheidend ist jedoch, dass dann auch die Mittel bereitstehen, damit das umgesetzt werden kann. Hier sagt der Zwischenbericht mit Blick auf das, was bisher seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellt worden ist, nämlich 1,5 Milliarden Euro, dass das, wenn überhaupt, nur der Einstieg sein und nur die Mittel betreffen kann, die für eine Vorlauffinanzierung infrage kommen können.

Das Gesamtpaket für alle betroffenen Regionen – wir reden in der Fragestunde noch über Steinkohle, die in dem Zwischenbericht auch berührt wird – wird sich über 15 bis 20 Jahre erstrecken und diesen Betrag von 1,5 Milliarden Euro um ein Vielfaches übersteigen.

Hier möchte ich aber Ihnen, Herr van den Berg, und Ihrer Fraktion zurufen: Sie stellen in Berlin den Bundesfinanzminister, und wir werden sehr gespannt sein auf das Votum des Bundesfinanzministers, inwieweit er hier diese Mittel auch bereitstellt. Denn das muss unterlegt werden, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft mit den notwendigen Mitteln. Das sagt der Zwischenbericht auch eindeutig.

Wir brauchen darüber hinaus vertragliche Klärungen, damit nicht nur die Maßnahmen und vielleicht in Aussicht gestellte Mittel Gegenstand sind, sondern wir brauchen Vertragswerke, die für alle Beteiligten sicherstellen, dass diese Maßnahmen verlässlich umgesetzt und solide finanziert werden.

Dafür werden wir uns im Rahmen der Arbeit der Kommission, aber eben auch begleitend über die Abstimmung der Ministerpräsidenten der betroffenen Länder, wie dann eben auch im Verhältnis Bundesregierung – Landesregierung einsetzen, und ich hoffe Sie dabei auch auf unserer Seite. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Für die AfD bittet noch einmal der Kollege Loose ums Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grünen erzählen uns in ihrem Antrag einmal mehr das Märchen von den sinkenden Strompreisen. Deshalb – so die Argumentation von ihnen – drohe auch keine Abwanderung der Unternehmen mit energieintensiver Produktion.

Liebe Grüne, ich würde Ihnen empfehlen, einfach mal mit den Unternehmern zu reden. Selbst Professor Pinkwart musste im Wirtschaftsausschuss zugeben, dass zum Beispiel keine asiatischen Firmen zu uns nach NRW kommen, weil die Energiepreise zu hoch sind.

Sie, liebe Grüne, geben aber in Ihrem Antrag noch nicht einmal die Quelle für Ihre abstrusen Behauptungen an. Es wäre Ihnen wohl zu peinlich, wenn die Menschen die Informationen dieser Quelle mal nachprüfen würden.

Sie sprechen davon, dass der Börsenpreis sinken würde, wenn es mehr Erzeugung sogenannter erneuerbarer Energien gäbe. Ja, das ist sogar einleuchtend, denn mehr Angebotsmenge bedeutet am Markt bei gleichbleibender Nachfragemenge natürlich sinkende Preise.

Sie verschweigen aber, dass der Börsenpreis für die Kunden nur einen Bruchteil des gesamten Strompreises ausmacht. Der Gesamtpreis für die Kunden steigt aber unweigerlich, wenn es mehr Menge aus den sogenannten erneuerbaren Energien gibt. Denn hierbei sind neben dem Börsenpreis zusätzlich noch die Subventionen zu bezahlen.

Daneben steigen auch noch die Netzgebühren, denn durch den zufälligen wetterabhängigen Strom müssen die Netzbetreiber immer mehr ins Netz eingreifen, was inzwischen jährlich Kosten in Milliardenhöhe verursacht.

Aber Sie kommen auch noch mit dem Märchen, dass es keine Probleme mit der Versorgungssicherheit gäbe, wenn neben dem Strom aus Kernkraftwerken auch noch der Braunkohlestrom wegfallen würde.

So wundert es auch, dass Ihre Bundeschefin, Frau Annalena Baerbock, behauptet hat, dass das Netz als Speicher fungiere. Weniger Ahnung, liebe Leute, geht eigentlich kaum noch.

(Beifall von der AfD)

Aber diese Frau meint auf ihrer Webseite auch, dass Versorgungssicherheit im europäischen Kontext gedacht werden soll – ich zitiere –: „Das entspricht europäischem Recht, und kein EU-Staat darf dies be‑ oder gar verhindern.“

Auch hier empfehle ich den Grünen, einfach mal mit Experten zu reden. Die Polen setzen nämlich jetzt schon Phasenschieber ein, um sich vor der Flut an deutschem Strom zu schützen. Nach Ansicht Ihrer Vorsitzenden muss das jetzt bestraft werden.

Im Oktober hat Deutschland die Übertragungskapazität von Deutschland nach Österreich von mehr als 10.000 auf 4.900 MW reduziert, um mehr als die Hälfte. Grund für die Verknappung der Grenzkapazitäten: Die Bundesnetzagentur will Engpässe bei der Stromkapazität verhindern, wenn die Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet werden.

Ein seit 15 Jahren bestehender freier Handel zwischen Deutschland und Österreich muss aufgrund Ihrer Politik begrenzt werden. Deutschland muss sich abschotten. Es gibt eine Grenzsicherung zum Schutz eigener nationaler Interessen, zum Schutz vor einem Blackout. Das sind die Folgen Ihrer Politik.

(Helmut Seifen [AfD]: Unglaublich ist das!)

Von Ihrem Antrag bleibt ein fader Beigeschmack. Entweder haben Sie den Energiemarkt nicht mal in den Grundzügen verstanden, oder Sie streuen den Wählern bewusst Sand in die Augen. Gehen wir auf ein paar Details ein.

So ist schnell klar, worum es eigentlich geht, nämlich um mehr Geld: mehr Geld für den Aufbau von Klimabüros, Geld für Fernwärmenetze mit Wärme aus hochsubventionierter Biomasse, mehr Geld für die Erforschung von Pumpspeicherkraftwerken für die Restseen usw.

Der erste Tenor ist recht klar in Ihrem Antrag: mehr Geld für grüne Öko-Fake-Projekte.

Aber es gibt auch noch einen zweiten Tenor in Ihrem Antrag, nämlich: RWE soll, RWE muss. – Wenn das nicht geschieht, soll Ihrer Ansicht nach RWE auch noch gedrängt werden. Das sind Worte aus Ihrem Antrag.

Sie ziehen mit der deutschen energiepolitischen Geisterfahrt RWE den Teppich unter den Füßen weg, und was machen Sie dann? Sie fordern immer mehr von dem am Boden liegenden Gegner – immer mehr und mehr, bis die Existenz dieser Firma zugrunde gerichtet wird und bis die Existenzen von Zehntausenden von Arbeitnehmern und ihren Familien zerstört werden. Das ist eine zutiefst asoziale Politik.

(Beifall von der AfD)

Ihre NRW-Fraktionsvorsitzende bringt auch noch einen Vergleich zwischen Braunkohle und Nazis, und Sie als Fraktion treten immer wieder mit solchen Anträgen nach.

Wir jedoch sagen den Arbeitnehmern und deren Familien: Wir werden weiter für euch kämpfen, trotz der asozialen Politik von SPD und Grünen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Asozial? Na, na, na!)

Wir stehen zu einer sicheren und günstigen Energieversorgung. Wir stehen zur Braunkohle. Wir stehen zu diesen Familien. Wir stehen zu euch. – Danke schön.

Präsident André Kuper: Für die Grünen hat die Kollegin Brems noch einmal um das Wort gebeten, und ich erteile ihr das Wort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Und „asozial“ wird nicht gerügt, oder was?)

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Einen Satz muss ich zum Abschluss doch noch sagen: Ich danke für die vielen differenzierten Aussagen.

Aber an einer Stelle zieht sich die Aussage durch die Redebeiträge der anderen Fraktionen, dass ein erfolgreicher Strukturwandel Zeit brauche. So generell kann ich diesen Satz natürlich unterstützen, aber ich möchte sagen: Sie haben seit Jahren diese Diskussion um einen Kohleausstieg verweigert und haben damit diese Entscheidung immer weiter hinausgezögert, sodass wir jetzt vor dieser zeitlich drängenden Situation stehen.

(Zurufe von Ralf Witzel [FDP] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Dass wir diese Notwendigkeit anmahnen, tun wir – und das schon seit Jahren – auch im Sinne der Beschäftigten.

(Ralf Witzel [FDP]: Was haben Sie denn für eine Leitentscheidung getroffen? – Josef Hovenjürgen [CDU]: 16! – Weitere Zurufe)

Da reiche ich Ihnen, Herr Brockes, gern die Nachweise nach, genauso wie die Nachweise, die Sie für die entsprechenden Studien eingefordert haben. Das gebe ich Ihnen gern noch mit, damit wir dann im Ausschuss auch auf der fachlichen Debatte …

(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben doch entschieden: 2045! – Dietmar Brockes [FDP]: Die Leitentscheidung ist doch auf dem Platz! – Weitere Zurufe – Glocke)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte!

Wibke Brems (GRÜNE): Okay, ich scheine mal wieder in irgendein Nest gepiekt zu haben.

(Zuruf von der FDP: Frau Düker!)

Ich möchte Ihnen anbieten, die Nachweise nachzuliefern, wie wir in den letzten Jahren auch im Sinne der Beschäftigten angemahnt haben, dass wir frühzeitig über den Kohleausstieg sprechen müssen. Das müssen wir weiterhin tun. Aber hier geht es ganz konkret um den Strukturwandel. Ich freue mich auf die Debatte. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung hat Herr Professor Pinkwart noch einmal um das Wort gebeten, und ich erteile ihm hiermit das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Brems, Sie müssen zwischen dem differenzieren, was Sie auf Parteitagen beschlossen haben, dem, was Sie hier als Vertreter Ihrer Fraktion vorgetragen haben, und dem, was Sie mit Ihrer Partei in Regierungsverantwortung beschlossen haben. Das müssen Sie hier schon darlegen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Ralf Witzel [FDP]: Jawohl! So ist es!)

Frühere Mitglieder der Landesregierung und Ihrer Partei gehören auch Ihrer Fraktion an. Wir haben noch vor Augen, wie seinerzeit Umweltminister Remmel und Ministerpräsidentin Kraft Ihre Leitentscheidung öffentlich vorgetragen haben.

Das haben Sie öffentlich mitgeteilt. Sie haben das den Menschen in dieser Region mitgeteilt. Sie haben das auch den Unternehmen der energieintensiven Wirtschaft mitgeteilt, was nichts anderes bedeutet, als dass mindestens bis zum Jahr 2045 Braunkohle gefördert und hier energetisch genutzt werden kann.

(Beifall von der CDU und der FDP – Ralf Witzel [FDP]: So ist es! Eine grüne Entscheidung!)

Das heißt, Sie haben eine langfristige Perspektive politisch entschieden und haben bis 2017…

(Wibke Brems [GRÜNE]: So ein Quatsch!)

– Das ist kein Quatsch, das ist Fakt.

Sie haben dieses Ergebnis, Frau Brems, auch noch als großen Erfolg auf Ihrer Fraktions-Homepage gefeiert.

Präsident André Kuper: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mostofizadeh?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich möchte noch einen Punkt nennen; dann beantworte ich gern Zwischenfragen, Herr Präsident.

Frau Brems, wenn das Quatsch wäre, was es nicht ist – wir unterstellen aber mal, es wäre Quatsch –, wenn immer klar gewesen wäre, dass die Grünen in der Landesregierung den schnellsten Ausstieg aus der Kohleverstromung ever gefordert und umgesetzt hätten, dann frage ich mich allerdings, was Sie in den letzten Jahren bei IRR gemacht haben. Was sind denn dann die Strukturmaßnahmen gewesen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Da hätten Sie doch massiv klotzen müssen. Sie merken doch, das passt nicht zusammen.

Ich spreche Ihnen nicht ab, dass Sie jetzt aus der Rolle der Opposition heraus in dieser Hinsicht schneller werden wollen. Wir sind auch bemüht, die Dinge so schnell wie möglich mit den Klimaschutzzielen in Einklang zu bringen.

Aber wir sollten hier nicht den Fehler begehen, Aussagen, die wir getroffen haben, im Nachhinein als nicht gültig zu betrachten. Menschen haben darauf ihre Zukunft gebaut und haben deshalb jetzt umso mehr einen Anspruch darauf, ernst genommen zu werden und von der Politik erwarten zu dürfen – von Bund, Land und allen Beteiligten –, dass sehr ernsthaft daran gearbeitet wird, wenn wir jetzt einen schnelleren Wandel und eine schnellere Anpassung wollen, und dass wir alles tun, damit dies ohne Strukturbrüche für die Menschen gelingt. Darum kämpfen wir auch im Bund, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Aus der ehemaligen Zwischenfrage ist eine Kurzintervention geworden, und der Kollege Mostofizadeh hat das Wort.

(Monika Düker [GRÜNE]: Beides! Zwischenfrage und Kurzintervention!)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich hatte den Herrn Minister so verstanden, dass er eine Zwischenfrage zulässt. Ich habe keine Kurzintervention angemeldet. Wenn es zugelassen ist, würde ich jetzt gern meine Frage stellen.

Herr Minister, ich freue mich, dass Sie sich so sehr hinter die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung stellen und immer wieder betonen, wie wichtig sie sei. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie sich nicht in der Lage sehen, von dieser abzuweichen.

Deswegen meine konkrete Frage: Am Freitag steht eine Debatte über die Stichwahl an. Die haben Sie gemeinsam mit SPD und Grünen in diesem Landtag abgeschafft. Können Sie für die FDP als Teil der Landesregierung zusichern, dass Sie diese Stichwahl auch weiterhin beibehalten werden? Schließlich verstecken Sie sich sonst immer hinter rot-grünen Entschlüssen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich finde es bemerkenswert – wenn ich darauf antworten darf, Herr Präsident –, welche Verzweigungen in Ihrem Kopf stattfinden können. Aber sei‘s drum.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe einer Landesregierung angehört, die seinerzeit die Stichwahl abgeschafft hat; das wissen Sie. Dazwischen war ich nicht beteiligt – weder parlamentarisch noch in einer Regierung. Deswegen will ich mich dazu auch nicht weiter einlassen.

Ich will hier nur Folgendes sagen: Die Leitentscheidung, die Sie zur Kohle getroffen haben, ist eine, die weit in die Zukunft hineinreicht und auf die Menschen und Unternehmen ihre Erwartungen, Planungen und Entscheidungen basiert haben. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen.

Wir wollen Ihnen nicht absprechen, dass Sie damals vielleicht mehr gewollt haben – das will ich Ihnen durchaus zusprechen –, aber Sie haben nicht mehr erreicht. Sie haben das als Landesregierung und Fraktion mit vertreten, und dann sollten Sie nachher auch dazu stehen. Das ist das Einzige, was ich erwarte, nämlich dass wir ehrlich mit den Menschen im Land umgehen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Jetzt folgt noch die Kurzintervention von Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Ihre Aussagen, Herr Minister, können am Schluss nicht unwidersprochen stehenbleiben. Ich würde Sie gern herzlich darum bitten, einmal in unsere Wahlprogramme oder in grüne Grundsatzprogramme zu schauen und darin über die Suchfunktion nach dem Wort „Kohleausstieg“ zu suchen.

Sie werden feststellen, dass dieser Kohleausstieg, nachdem es auch mit ein grüner Erfolg war, dass wir aus der Kernkraft aussteigen konnten, für uns in der Folge immer Teil grüner Grundsatzprogrammatik war. Wir haben sowohl innerhalb wie auch außerhalb dieses Parlaments nie einen Zweifel daran gelassen, dass dieser Kohleausstieg unser Ziel ist.

Des Weiteren sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer rot-grünen Regierung eine Verkleinerung des Rheinischen Reviers vorgenommen haben und es erstmals überhaupt passiert ist, dass ein bereits beschlossenes Abbaugebiet – alle Grundsatzbeschlüsse waren bereits getroffen, und es gab immer wieder Teilbeschlüsse – verkleinert wurde.

(Zuruf von der AfD)

Heute möchte ich mich dafür bedanken, dass der CDU-Vorsitzende Armin Laschet zugesichert hat, dies nicht wieder rückgängig zu machen. Das möchte ich ganz klar an diese Regierung adressieren.

Klar war aber auch, dass zu diesem Zeitpunkt mit dieser Leitentscheidung neben der Verkleinerung von Garzweiler die Tagebaue Inden und Hambach – und das ist richtig – unberührt bleiben.

(Dietmar Brockes [FDP]: Aha!)

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): Aus diesem Sachverhalt abzuleiten – das ist mein letzter Satz –, dass wir Grüne – nicht die Regierung – für einen Kohleausstieg in 2045 seien, halte ich für eine Verdrehung der Fakten.

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Ich bitte Sie noch einmal ausdrücklich, diese Unterstellung hier und heute zurückzunehmen.

Präsident André Kuper: Herr Minister, bitte.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Düker, ich kann wegen Ihrer Leidenschaft und auch aufgrund Ihrer Programmatik verstehen, dass Ihnen das – auch gerade im Nachhinein – sehr wehtut und auch leidtut.

(Monika Düker [GRÜNE]: Tut es uns nicht! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

– Okay! Dann auch das nicht.

(Zurufe von den GRÜNEN – Gegenrufe von der CDU – Glocke)

Frau Düker, ob es Ihnen leidtut oder nicht: Fakt ist aber – das habe ich unlängst in der Debatte, die wir hier hatten, ausführlich dargelegt –, dass Sie die Abbaumenge verkleinert haben. Das ist völlig richtig. Damit haben Sie aber – und zwar planvoll – die Voraussetzung geschaffen, dass wir in Nordrhein-Westfalen bis mindestens 2045 – das ist noch nicht einmal ein Auslaufdatum; es könnte auch länger dauern – Braunkohle zu Verstromungszwecken nutzen können. Das war die Absicht. Die Planung der Landesregierung bzw. die Energieversorgungsstrategie des Landes baute darauf auf, was noch heute der Fall ist. Das wurde durch Sie in der Regierungsverantwortung mit entschieden.

Aufgrund Ihrer Entscheidung sind Genehmigungen erteilt worden, die dem Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, das zu tun. Das ist das, was ich hier gesagt habe. Wenn das so war, dann stehen Sie, meine ich, genauso wie wir, die wir jetzt daran anknüpfen und vorher auch schon einmal in der Verantwortung waren, in der Verantwortung. Das gilt auch für die SPD-Fraktion. Wir stehen in der Verantwortung, mit den Menschen jetzt umso mehr fair umzugehen und dafür zu sorgen, dass wir, wenn wir jetzt in stärkerem Maße herausgehen wollen, im Hinblick auf die Energieversorgung, aber auch auf den Strukturwandel verantwortungsvoll vorgehen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Gegen unser Wahlprogramm!)

Das ist mein Punkt. Ich glaube, dass Sie auch nach Ihren Darlegungen gar nicht dagegen sprechen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Also schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/4104 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend –, an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen sowie an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Die anschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung? – Möchte sich jemand enthalten? – Dann haben wir diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe damit auf:

5   Sepsissterblichkeit nachhaltig verringern – Erstellung und Umsetzung eines landesweiten Sepsisplans

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/4124

Herr Dr. Vincentz steht schon am Rednerpult. Bitte.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Menschen verbindet uns mehr, als uns trennt. Wenn wir nach einem geselligen Abend mit Freunden nach Hause kommen und vielleicht das eine oder andere Gläschen getrunken haben – das kann ja passieren; deswegen haben wir uns von einem Taxi nach Hause bringen lassen –, fällt uns beim Zubettgehen noch der fermentative Kohlenhydratstoffwechsel des Streptococcus mutans ein.

Wir sind ja Menschen, deshalb denken wir an solche Dinge. Dann greifen wir fast schon im Dämmerschlaf zur Zahnseide und versuchen, uns noch die Zahnzwischenräume von dem leckeren äthiopischen Fladen zu reinigen, der uns sonst mit seinem Laktatstoffwechsel unter Umständen Karies bringen könnte. Und schon ist es in diesem leicht angeheiterten Zustand passiert, dass wir uns das Zahnfleisch verletzt haben.

(Zuruf – Heiterkeit)

– Das ist ein Zwischenruf, den Ihr Zahnarzt nicht durchgehen lassen wird. Das sei Ihnen aber zugestanden. – So leicht passiert das. Bei der Bakterienflora, die Sie im Mund haben, sind einige – man nennt sie so – fakultativ pathogene Keime dabei. Die dringen durch diese kleine Verletzung in Ihr Blut ein. Diese sogenannte Bakteriämie ist in den meisten Fällen absolut harmlos. Bakteriämie bedeutet das Übertreten von Bakterien in den Blutkreislauf. Damit kommt Ihr Körper ganz gut klar. Wäre das nicht der Fall, würden wir wahrscheinlich gar nicht mehr hier sitzen.

Es ist kein neues Problem, dass Bakterien in den Blutkreislauf übergehen. So etwas gibt es wahrscheinlich, seitdem es Menschen gibt, die sich in geselliger Runde am Feuer treffen und dort Fleisch verspeisen oder andere Dinge. Beim Zähnesäubern sind der Kreativität im Prinzip auch keine Grenzen gesetzt.

Dieses Problem kannten schon die alten Griechen. Das Wort „Sepsis“ leitet sich dementsprechend auch aus dem Altgriechischen ab. Heute sind wir ein Stück weiter und wissen, dass die Sepsis nicht unbedingt – so wie es sich vom Namen herleitet – die Blutvergiftung ist, sondern ein relativ komplexer pathophysiologischer, biochemischer Vorgang, der sich im Körper abspielt und letztlich die inneren Organe angreift. Das ist so kompliziert, dass wir nach wie vor gar nicht so genau wissen, was letztlich im Körper passiert und dazu führt, dass die Organe versagen.

Warum diskutieren wir dieses steinzeitliche Thema heute hier einmal in Landtag? Ich kann Ihnen dazu sagen, dass die Erkrankungsrate in den Industrienationen in den letzten zehn Jahren jeweils pro Jahr zwischen 8 % und 13 % gestiegen ist. Das hat sicherlich viele Gründe. Es mag darauf zurückführen sein, dass mehr Hochrisikooperationen durchgeführt werden, oder auch darauf, dass wir eine alternde Gesellschaft haben und ältere Leute in Bezug auf diese Keime einfach vulnerabler sind.

Das Ganze trifft aber ganz viele Leute. Zum Beispiel gibt es auch die Neugeborenen-Sepsis. Es kann aber auch jeden treffen, der einen Infekt verschleppt. Es ist also ein sehr wichtiges Thema.

Die Sepsis kostet inzwischen mehr Menschen das Leben als Darm- und Brustkrebs zusammen. Das beides sind Themen, über die in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiert wird. Über die Sepsis wird aber sehr selten diskutiert. Nachdem es nun die neue Sepsis-3-Definition gibt – sie gibt es noch nicht sehr lange –, ist es folgerichtig, dass die Deutsche Sepsis-Gesellschaft die Politik auffordert, genau dieses Thema in den Mittelpunkt zu rücken. Sie bittet, die Rückendeckung zu geben, die die Politik den Fachgesellschaften an dieser Stelle geben kann, um sich dieses wirklich sehr sensiblen Themas anzunehmen.

Wenn die Politik dort ihrer Aufgabe nachkommt, kann Deutschland, was die Ziele der Deutschen Sepsis-Gesellschaft angeht – denn in anderen Ländern sterben deutlich weniger Menschen an Sepsis –, wieder in die internationale Spitzengruppe geführt werden. Damit kann innerhalb Deutschlands tausend Menschen – vielleicht sogar Tausenden von Menschen – pro Jahr das Leben gerettet werden.

Ich denke, selten sollte die Entscheidung für einen Antrag so einfach sein wie heute. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die CDU erteile ich unserem Kollegen Hagemeier das Wort.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr interessanter Einstieg, Herr Dr. Vincentz. Ich habe da sehr gespannt zugehört.

„Sepsissterblichkeit in Deutschland höher als in anderen Ländern“ – so lautet eine Überschrift aus dem „Ärzteblatt“, datiert auf den 17. November 2017. Sepsis ist meist Folge einer unbeherrschten Infektion der Atemwege, des Harntrakts, des Bauchraums, des Gehirns oder des Haut- und Muskelgewebes. Ich hoffe, das ist richtig.

(Nicken von Dr. Martin Vincentz [AfD])

– Sie nicken, das ist gut. Aber auch beispielsweise Grippeviren können eine Sepsis auslösen. Zu spät  oder unbehandelt kommt es in der Folge zu irreparablen Organschäden und schließlich auch zum Tod. Ein Bündnis aus Betroffenen, Fachgesellschaften und Experten forderte im „Ärzteblatt“ von der nächsten, also der nun aktuellen Bundesregierung einen nationalen Sepsis-Plan. Was diese Forderung angeht, ist die Bundesregierung auf einem guten Weg.

Die 91. Gesundheitsministerkonferenz, also die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder, haben einstimmig beschlossen, dass die Gesundheitsministerkonferenz die Forderung der Weltgesundheitsorganisation zur Verbesserung der Prävention, Diagnostik und des klinischen Managements der Sepsis zur Kenntnis nimmt. Die Gesundheitsministerkonferenz stellte weiter fest, dass es zur Umsetzung der Kernforderung der WHO-Sepsis-Resolution eines konzentrierten Vorgehens auf nationaler Ebene bedarf.

Das Bundesgesundheitsministerium ist gebeten worden, eine Ad-hoc-Expertengruppe am Robert Koch-Institut einzurichten, welche die notwendigen, bedarfsgerechten Maßnahmen zur Umsetzung der Forderungen der WHO hinsichtlich einer Verbesserung der Prävention, Diagnostik und des klinischen Managements der Sepsis berücksichtigt.

Sie werden es bemerkt haben: Meine Betonung lag auf der nationalen Ebene. Die föderalen Vertreter haben dies so beschlossen. Daher sehe ich landesseitig für Nordrhein-Westfalen keinen alleinigen Handlungsbedarf, wenn der Bund schon die wichtigen Schritte eingeleitet hat. Natürlich muss das Land ergänzend tätig werden – und das geschieht bereits.

Für den Bereich Forschung und Entwicklung, für Prävention, Diagnostik und Therapie stellt die Landesregierung insgesamt 75 Millionen Euro zur Verfügung. Hier wird das Thema Sepsis ebenfalls aufgegriffen. An dieser Stelle sei stellvertretend an das Projekt SepsisDataNet.NRW erwähnt. Weiter bin ich sicher, dass Ihnen Herr Minister Laumann gleich aufschlussreich wird erläutern können, was in seinem Haus bereits getan bzw. in Kürze begonnen wird, um dieses wichtige Thema anzugehen.

Sepsis ist – das steht schon in der Wikipedia – eine der häufigsten und kostenintensivsten Erkrankungen im stationären Sektor. Der frühestmögliche Therapiebeginn ist entscheidend für das Überleben. Etwa 154 Menschen deutschlandweit sterben täglich an einer Sepsis – ähnlich viele wie bei Herzinfarkten mit Todesfolge und mehr Opfer als bei der Todesursache Lungenkrebs. Sie wird in der Todesursachenstatistik allerdings nicht abgebildet, weil dort nur Grunderkrankungen aufgeführt werden – das nur als erklärende Bemerkung an dieser Stelle.

Nicht nur aus diesen Gründen können Sie versichert sein, dass die NRW-Koalition diesem Thema eine sehr hohe Priorität verleiht. Die Landesregierung ist sich der Problematik des Auftretens von Sepsen bewusst. Die Reduktion der Sepsishäufigkeit und Sepsissterblichkeit hat daher bereits jetzt eine hohe Priorität.

Selbstverständlich werden wir der Überweisung in den federführenden Ausschuss zustimmen. Wir können uns dort näher inhaltlich mit diesem so wichtigen Thema auseinandersetzen und befassen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Danke sehr. – Für die SPD hat die Kollegin Weng das Wort.

Christina Weng (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zur Sepsissterblichkeit ist tatsächlich der einzige, den die AfD zu diesem Plenum gestellt hat. So war die Erwartung an die Substanz wirklich hoch. Doch nach näherer Draufsicht war schnell zu erkennen, dass der Antrag in seiner Beliebigkeit in jedem Plenum in jedem anderen Bundesland hätte gestellt werden können. Die Suche zu einem Bezug zu Nordrhein-Westfalen – Fehlanzeige! Unser Bundesland, das Sie hier eigentlich repräsentieren sollen, wird mit keinem Wort erwähnt.

Aber wenn man den Text des Antrags mal bei Google sucht, dann versteht man, warum. Faktisch befassen wir uns hier nicht mit einem Antrag der AfD, sondern mit übernommenen Inhalten einer Pressemitteilung der Sepsis-Stiftung und dem Aktionsbündnis Patientensicherheit. Ein seltsames Verständnis von politischer Arbeit, Herr Dr. Vincentz: vollständige Absätze kopiert – noch dazu ohne Kenntlichmachung – und politische Forderungen eins zu eins von einzelnen Interessengruppen abgeschrieben.

Aber zurück zum Inhalt und zu einer kritischen Würdigung dieser Pressemitteilung oder – Entschuldigung – des Antrags. Das Problem ist für Patientinnen und Patienten existentiell. Die Sepsis endet überhäufig tödlich. Den Kampf dagegen aufzunehmen, ist aller Ehren wert.

Bekannt ist – Punkt eins –: Im Rahmen der Diagnostik liegen wir in Deutschland bei der Blutkulturenabnahme am Ende der europäischen Statistik. Das heißt, wir verlieren sehr viel Zeit, bis ein Keim im Rahmen der Sepsisdiagnostik identifiziert wird. Gleichzeitig erhöht sich die Sepsissterblichkeit pro Stunde um jeweils 10 %, wenn nicht das richtige Antibiotikum in der richtigen Dosierung gefunden und gegeben wird. Das gilt übrigens auch für die sehr teuren PCR-Verfahren.

Damit wären wir bei Punkt zwei, der Therapie; denn das eigentliche Hauptproblem liegt in dem mangelnden Wissensstand der behandelnden Ärzte. Umso wichtiger sind daher eine fortwährende Weiterbildung und Schulungen im Sinne der Antibiotic Stewardship. Dazu haben wir uns bereits im Rahmen der Debatte um multiresistente Keime ausführlich im Gesundheitsausschuss beschäftigt.

(Zuruf von Dr. Martin Vincentz [AfD])

Gleichermaßen ist bekannt, dass die personelle Situation der bundesdeutschen, aber auch der nordrhein-westfälischen Intensivstationen hochbrisant ist. Sepsispatienten sind extrem instabil; sie bräuchten häufig eine Eins-zu-eins-Betreuung. Und zum Hinweis auf das Krankenhauspersonal – Ärzte wie Pflege –: Wir haben uns in den letzten Wochen hinlänglich damit beschäftigt. Die Sterblichkeit von Sepsispatienten bei Aufnahme in eine Intensivstation liegt bei ca. 50 %.

Nun Punkt drei, die Prophylaxe. Herr Dr. Vincentz, können Sie uns eine Studie nennen, welche den Zusammenhang zwischen verbesserter Hygiene, Impfung und der Reduzierung von Sepsisfällen zeigen kann? Das Sepsisregister sollten wir allerdings ernsthaft in Erwägung ziehen. Eine Dokumentation als Grundlage für Evidence-Based Medicine kann für diese Patientengruppe nicht nur hilfreich, sondern überlebenswichtig sein.

Einer Überweisung an den Ausschuss stimmen wir zu. Vielleicht liefert in diesem Rahmen die Sepsis-Stiftung auch noch weitere Hinweise, welche das Thema erhellen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Liebe Kollegin, ich würde Sie bitten, am Redepult stehen zu bleiben. Es gibt eine Kurzintervention der AfD; Herr Seifen hat sich gemeldet. – Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Frau Weng, ich finde es wirklich abgrundtief zynisch, dass Sie Herrn Vincentz vorwerfen, dass er ein Problem, welches in den Medien dargestellt wird, aufnimmt, einen Antrag dazu vorbringt und hier mit Ihnen darüber debattiert.

Warum ich es zynisch finde? – An der Sepsis sterben, wie deutlich geworden ist, sehr, sehr viele Menschen. Wir haben vorhin über Dieselfahrverbote gesprochen, und dabei zeigt sich: Alle Experten sagen, dass keine Menschen an den Stickoxiden sterben. Wir von der AfD bringen nun ein echtes Problem ins Plenum, und Sie kanzeln es zynisch mit der Bemerkung ab, es sei nicht relevant.

Ich muss Ihnen sagen, Frau Weng: Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Christina Weng (SPD): Lassen Sie sich eines gesagt sein: Ich habe zehn Jahre intensivmedizinische Erfahrung, und ich habe es selbst gesehen. Was ich kritisiere, Herr Seifen und Herr Dr. Vincentz, ist die Inhaltsleere dieses Antrags, gemessen an der Schwere des Themas.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Sie haben es ja gar nicht verstanden! – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Weng. – Für die FDP hat nun die Kollegin Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Sepsis ist ein Notfall. Je früher die Behandlung beginnt, desto geringer ist das Sterberisiko.

Ein großer Teil der durch Sepsis verursachten Todesfälle wäre nach Ansicht der WHO vermeidbar. Impfungen, bessere Hygiene und Infektionsschutz, ein sachgemäßer Einsatz von Antibiotika sowie eine effektive Früherkennung und Therapie sind dazu die geeigneten Instrumente. Anstrengungen zur Reduktion der Häufigkeit der Sepsis sowie der Sterblichkeit sind deshalb sinnvoll.

Allerdings braucht die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP dazu keinen Antrag.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

Wir sind bereits auf einem guten Weg und handeln, indem wir die genannten Instrumente zur Bekämpfung von Sepsis unterstützen.

Auch die Sepsis-Stiftung weist darauf hin, dass Impfungen von Risikopopulationen zum Beispiel gegen die Influenza – also die Grippe – oder gegen Pneumokokken Tausende Todesfälle durch Sepsis verhindern könnten.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Wenn Sie meine politische Arbeit im Landtag verfolgen, dann wissen Sie, dass ich mich schon in der letzten Legislaturperiode für einen besseren Impfschutz eingesetzt habe. Leider ist Nordrhein-Westfalen unter Rot-Grün aber hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Die NRW-Koalition hat sich hingegen in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel der Verbesserung der Impfquote bekannt und leitet nun eine Trendwende ein.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Im Haushalt sind zusätzliche Mittel bereitgestellt, um mit Experten aus Wissenschaft und Gesundheitswesen eine landesweite Impfkampagne zu starten. Wir wollen eine nachhaltige Bewerbung des Impfgedankens, um die Eigenverantwortung der Menschen zu fördern, Wissenslücken zu schließen, Misstrauen gegenüber Impfungen zu reduzieren und die Motivation zum Impfen zu steigern. Denn auch die Sepsis-Stiftung sagt: Je weniger Infektionen ein Mensch durchmacht, desto geringer ist das Risiko, später an einer Sepsis zu erkranken.

Hygiene und Infektionsschutz im Krankenhaus erfordern die regelmäßige Desinfektion der Hände vor und nach jedem Patientenkontakt sowie die Identifikation und Isolation von Patienten mit resistenten Keimen. Um das Bewusstsein für Hygiene zu stärken, hat das Land gemeinsam mit der Krankenhausgesellschaft die breit angelegte Initiative „Keine Keime“ auf den Weg gebracht. Dazu zählen unter anderem eine Wanderausstellung zur Aufklärung der breiten Öffentlichkeit und eine videobasierte Lernplattform zur Schulung von Beschäftigten in den Kliniken anhand der aktuellsten Empfehlungen.

Es gibt in unserem Land außerdem 32 regionale Netzwerke zur Bekämpfung multiresistenter Erreger, die beim Erkennen und Beseitigen von Anwendungshindernissen und Umsetzungsproblemen helfen. Eine frühzeitige Diagnostik und leitliniengerechte Therapie kann die Sepsissterblichkeit um etwa die Hälfte absenken. Telemedizinische Anwendungen ermöglichen, medizinisches Wissen genau dort zu nutzen, wo es benötigt wird.

Ein wichtiges Anwendungsfeld sind schwere Infektionen, die eine gezielte Antibiotikagabe erfordern. Deshalb soll mit dem Projekt „TELnet@NRW“ die intensivmedizinische und infektiologische Behandlungsqualität in der Arztpraxis und im Krankenhaus weiter verbessert werden.

(Beifall von der FDP)

In den beiden Modellregionen stehen die Universitätskliniken Aachen und Münster, Teams aus erfahrenen Fach- und Oberärzten sowie Intensivpflegekräfte über eine gesicherte Datenleitung kontinuierlich mit Rat und Tat zur Seite.

Am kommenden Dienstag findet hier im Landtag erneut der schon traditionelle Gesundheitstag statt. Es wird auch eine Grippeschutzimpfung angeboten. Sehr geehrte Damen und Herren, ich würde mich sehr freuen, wenn ausgesprochen viele von Ihnen dieses Angebot nutzten.

Dies waren nur einige Beispiele dafür, dass Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg ist. Ich bin gespannt auf die Beratung im Ausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Grünen erteile ich dem Kollegen Mostifizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise werfen wir der Regierung bzw. den regierungstragenden Faktionen vor, dass sie sich hinter Rot-Grün verstecken und sich immer darauf berufen, erst seit anderthalb Jahren im Amt zu sein und deshalb noch nicht alles hätten ändern können.

Bei Frau Schneider ist das anders: Regierungswechsel, Trendwende, alles neu, alles super – ich bin schwer beeindruckt, Frau Schneider, wie Sie das immer darstellen.

(Susanne Schneider [FDP]: Danke! – Allgemeine Heiterkeit – Beifall von der FDP)

– Immerhin jemand, der sich vom grundsätzlichen Kurs der sonstigen Koalitionsarbeit emanzipiert; das finde ich in Ordnung.

In der Sache hat insbesondere Frau Weng das Notwendige gesagt. Es gibt mehrere Aspekte, die bei diesem Thema ganz wichtig sind. Wir brauchen eine hochwertige Krankenhaushygiene; hier kann man sicherlich nacharbeiten. Wir brauchen gut geschulte Ärztinnen und Ärzte, die das Problem besser erkennen können. Den von der Sepsis-Stiftung vorgelegten breiten Katalog unterstützen wir ausdrücklich, ohne dass das jemand beantragen muss. Insofern werden wir der Überweisung an den Ausschuss natürlich zustimmen.

Ein weiteres Thema – das ist mir wichtig – ist der Umgang mit Antibiotika. Wir hatten eine lange Anhörung, in der es um die Anwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung bzw. Tierhaltung ging. Aber es geht auch noch um einen anderen Aspekt, nämlich darum, inwieweit Ärztinnen und Ärzte Antibiotika ganz gezielt einsetzen. Auch die Forschung muss gefördert werden, damit der Umgang mit Antibiotika und die Folgen von Antibiotikaeinsatz abgeschätzt werden können.

(Minister Karl-Josef Laumann: So ist das!)

Wir sind sehr dafür, das weiter zu fördern. Insofern stimmen wir der Überweisung an den Ausschuss zu.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier nicht über ein neues Thema, aber über eins, das es in sich hat.

Tatsache ist, dass trotz aller Anstrengungen in der Vergangenheit bei uns in Deutschland jedes Jahr ungefähr 70.000 Menschen an der Sepsis versterben. Deswegen finde ich es richtig, dass wir uns hier und im Ausschuss damit beschäftigen. Dieses Thema muss immer wieder – wenn ich es mal so ausdrücken darf – ins Rampenlicht gestellt werden, damit wir in unseren Anstrengungen, diese Krankheit zu bekämpfen und erfolgreich zu handhaben, nicht nachlassen.

Eigentlich sind die zu ergreifenden Maßnahmen bekannt: Natürlich spielen Impfungen eine große Rolle. Wir alle kennen die Diskussionen, die es darüber in der Gesellschaft gibt, im Übrigen auch unter Medizinern.

Darüber hinaus hat die Infektionsprävention einen großen Stellenwert. Das Thema „Entkeimen in Krankenhäusern“ ist nicht neu. Daran wurde während der letzten 10, 20 Jahre in vielen Krankenhäusern sehr intensiv gearbeitet. Trotzdem gibt es das Problem noch immer – und ich behaupte auch, dass wir mit dieser Problematik immer zu tun haben werden.

Wir müssen immer wieder Initiativen auf den Weg bringen, auch in den einzelnen Krankenhäusern, um das Wissen wachzuhalten, dass man bestimmte Vorkehrungen treffen muss – die im Übrigen oft sehr banal sind: Hände waschen und nochmals Hände waschen, Türklinken sauber machen und nochmals Türklinken sauber machen usw. –, um in dieser Sache voranzukommen.

Außerdem sollte die Früherkennung dieser sehr plötzlich auftretenden Erkrankung in den Schulungen des Personals im Gesundheitswesen immer wieder thematisiert werden.

Allerdings sollten die Symptome auch Teil des kollektiven Gedächtnisses zum Thema „Volksgesundheit“ sein. Die Sepsis bricht schließlich nicht immer im Krankenhaus oder einer Arztpraxis aus, sondern sehr oft ganz schlicht und ergreifend im privaten Umfeld. Wenn man die Symptome nicht kennt, reagiert man nicht, und dann bekommt man Probleme. Deswegen halte ich viel davon, dass es in der Bevölkerung ein gewisses Grundwissen über bestimmte Anzeichen und Symptome von Krankheiten geben muss.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Generation vor uns in diesen Fragen besser aufgestellt war als die Generation, die zurzeit lebt. Daher halte ich es für eine wichtige Aufgabe, dass in Parlamenten, im politischen Raum und in unserer Gesellschaft darüber geredet wird. Zum Führen eines Haushalts gehört es, auch in diesen Dingen ein Stück weit Bescheid zu wissen. Die alten Hausmittelchen waren nicht immer verkehrt, um mit bestimmten Entwicklungen umzugehen.

Präsident André Kuper: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein, jetzt nicht.

Präsident André Kuper: Okay.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich möchte mich zu einem weiteren Punkt äußern. Natürlich müssen wir Impfkampagnen durchführen. Dazu stehe ich, ich bin für das Impfen, auch wenn ich um die Risiken weiß. Aber in der Abwägung ist für mich völlig klar, dass man sich als Gesundheitsminister mit gutem Grund hinter die Impfkampagnen stellen und auch selber welche betreiben kann.

Dabei ist es wichtig, vor allen Dingen die Bevölkerungsteile zu erreichen, die man nur schwer erreicht. Ein Teil der Bevölkerung ist in gesundheitlichen Fragen Gott weiß wie gut aufgeklärt; andere Teile der Bevölkerung erreichen wir gar nicht.

Die Kunst von Kampagnen besteht immer darin, diejenigen zu erreichen, an die man nicht so leicht herankommt. Auch bezüglich der Mittel, die wir in Nordrhein-Westfalen einsetzen, müssen wir noch mehr darüber nachdenken, wie wir an diejenigen herankommen, die keine Tageszeitungen lesen oder öffentlich-rechtliche Radiosender hören, die nicht die das Erste oder das Zweite oder die dritten Programme im Fernsehen schauen, sondern eher die Programme, in denen all das, worüber wir heute reden, überhaupt kein Thema ist. – Darüber mache ich mir zumindest viele Gedanken. Präventionspolitik ist immer die Kunst, diejenigen zu erreichen, die sich eigentlich nicht für das Thema interessieren. Nur so kommen wir weiter voran.

Natürlich ist die Sache mit den Antibiotika eine wichtige Frage, wenn auch nicht neu. Im Übrigen glaube ich, dass wir in der Tiermast heute wesentlich sensibler hinsichtlich des Einsatzes von Antibiotika sind als noch vor zehn Jahren.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich finde, diese Sensibilisierung ist eine große Leistung der Tiermedizin und der Landwirtschaft in diesem Land. – Dafür bin ich auch dankbar.

Aber seien wir doch mal ehrlich: Geben wir dem Arzt immer einen Tag Zeit, erst mal eine Blutuntersuchung zu machen, um dann zu überlegen, welches Medikament man gezielt einsetzen könnte? Oder entscheiden wir uns sofort für Breitbandantibiotika nach dem Motto: „Gib mir irgendwas, ich muss morgen wieder können“?

Und das hat auch viel damit zu tun, dass mit dieser Frage ehrlich umgegangen werden muss. Es handelt sich nicht nur um eine Frage an die Profis im Gesundheitswesen, sondern sie richtet sich auch an uns selbst, und wir sollten darüber auch in unseren Familien reden. Antibiotika werden natürlich dann eingesetzt, wenn wir die Wirksamkeit dieses tollen Arzneimittels brauchen, wenn wir es wirklich nötig haben, und wir wollen natürlich, dass es da auch noch anschlägt.

Da sind wir bei einem weiteren Punkt: Wir müssen natürlich auch in der Forschung alles tun, um mehr zu wissen. Dabei spielt die Infektionsforschung eine ganz wichtige Rolle, und auch die personenbezogene Antibiotikatherapie bei einer Sepsis muss weiterhin im Interesse der Forschungsarbeit in der Medizin liegen.

Dann haben wir TELnet@NRW ins Leben gerufen, weil wir damit leitliniengerechte Behandlungen überall verfügbar machen. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie uns die Digitalisierung neue Chancen und Informationswege gerade in der Medizin ortsunabhängig zur Verfügung stellt.

Sie sehen also, dass wir uns als Ministerium in diesem Bereich engagieren, und dass wir auch vieles, was in den letzten Jahren gemacht worden ist, fortführen. Manchmal trägt eine solche Debatte über ein Problem, das es schon lange gibt, auch dazu bei, neuen Elan, neuen Schwung in einer solchen Frage zu entwickeln. Ich finde deshalb, dass eine solche Debatte und auch Beratungen im Ausschuss zu diesem Thema Sinn machen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Der Minister hat die Redezeit der Landesregierung um 2 Minuten und 25 Sekunden überzogen. Diese Zeit steht damit auch jeder Fraktion zur Verfügung.

Als nächster Redner hat sich für die AfD-Fraktion Dr. Vincentz gemeldet. Sie haben das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst bin ich sehr dankbar, dass man anscheinend unter den bürgerlichen Parteien so sachlich über solche Themen sprechen kann.

Die Situation sieht wie folgt aus: Zum einen haben wir in Deutschland die höchste Dichte – NRW bildet da keine Ausnahme – an intensivmedizinischen Betten. Zum anderen haben wir in Nordrhein-Westfalen und Deutschland innerhalb der Europäischen Union eine der höchsten Sterblichkeitsraten durch Sepsis. Wir haben den Mechanismus noch nicht ganz verstanden, aber es ist gut, den europäischen Vergleich zu haben. Es ist gut, ein Europa der Vaterländer zu haben – ich komme immer wieder gerne darauf zurück –, in dem es gibt unterschiedliche Systeme gibt. Man kann sich bei unterschiedlichen System gerne etwas abgucken. Das freut mich. Dabei sehen wir, dass wir da nicht unbedingt zu 100 % gut aufgestellt zu sein scheinen.

Natürlich spielen dabei – Herr Hagemeier, Sie sagten es vorhin – viele bundespolitische Themen eine Rolle, aber bei einem solch komplexen Thema sind das auch landespolitische Elemente. Ich freue mich, wenn wir das im Ausschuss in dieser Sachlichkeit miteinander debattieren können. Natürlich gibt es auch landespolitische Aspekte, die dabei eine Rolle spielen und mit denen wir den Kliniken und den hervorragenden Fachgesellschaften unter die Arme greifen können.

Letzteres ist eine der ausgemachten Stärken hier in Deutschland: Wir haben nun mal diese hervorragenden Fachgesellschaften. Es gibt Patientenschützer, die sich zu gewissen Themen durchaus fundiert äußern. Wir haben da zum Glück ein gutes System. Und da ist es fast schon ein bisschen tragisch, dass der Rechtspopulist am Mikrofon die SPD – sozusagen Vorlesung Politologie 1.0 – darüber belehren muss, was es bedeutet, solch eine Forderung auch mal ins Plenum zu bringen. Das Plenum ist die politische Öffentlichkeit, und in diese gehören die Forderungen von Patientenschützern ab und zu auch mal transportiert. Vielen Dank, Frau Weng.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Gibt es den Wunsch nach weiteren Wortmeldungen aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4124 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Federführung sowie an den Wissenschaftsausschuss zur Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

6   Fragestunde

Drucksache 17/4160

Mit der Drucksache liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 28, 29 und 30 vor.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 28

der Frau Abgeordneten Regina Kopp-Herr von der Fraktion der SPD auf:

Dramatische Entwicklung der Wohnungslosigkeit von Frauen in Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen gibt es über 32.000 wohnungslose Menschen, fast 10.000 davon sind Frauen. Die neusten Zahlen einer Studie der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe zeigen erneut, wie dramatisch sich die Wohnungslosigkeit bei Frauen in Nordrhein-Westfalen entwickelt.

Wie die SPD-Landtagsfraktion bereits in der Aktuellen Stunde vom 09.07.2018 betont hat, steigt die Zahl der Frauen, die wohnungslos bzw. obdachlos werden, besonders stark. Die Verantwortung der Landesregierung mit der Begründung abzutun, die Kommunen würden das Thema der Wohnungslosigkeit von Frauen immer noch als Randthema behandeln, reicht nicht aus. Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) betont im Interview mit „Westpol“ in der Sendung vom 11. November 2018, dass er sich die vorhandenen Strukturen danach anschauen möchte, ob sie „frauengerecht“ sind.

Wohnungslosigkeit hat verschiedene Ursachen und verschiedene Ausprägungsformen. Ein grundlegendes Problem ist jedoch immer die zunehmende Armut in Deutschland sowie der Wohnungsmangel besonders in Ballungsgebieten in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung unterstützt die Kommunen und Kreise mit einem Aktionsprogramm bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit von Frauen trotz der gestiegenen Zahl hilfesuchender Frauen derzeit mir nur einer Million Euro jährlich.

Ich bitte daher den Minister um Beantwortung nachfolgender Fragen:

Welche Gründe sieht die Landesregierung in der steigenden Obdachlosigkeit von Frauen?

Was tut die Landesregierung, um die Wohnungslosigkeit von Frauen in NRW zu bekämpfen?

Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung selbstverständlich in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet. Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Laumann antworten wird. – Herr Minister, Sie haben jetzt das Wort für die Antwort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Kollegin Kopp-Herr, Ihre Anfrage lautet: Welche Gründe sieht die Landesregierung in der steigenden Obdachlosigkeit von Frauen? – Ich muss zunächst einmal darauf hinweisen, dass wir in Nordrhein-Westfalen als einziges Land seit vielen Jahren eine Wohnungslosenstatistik führen. Immer zum Stichtag 30. Juni fragen wir die Zahlen bei allen Kommunen in Nordrhein-Westfalen ab. Wir haben dabei eine sehr hohe Rücklaufquote von über 90 %.

Die letzte Abfrage ist zum Stichtag 30. Juni 2017 gemacht worden – im Übrigen ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen; denn da bin ich als Minister vereidigt worden.

(Heiterkeit von Henning Höne [FDP])

Zu dem Zeitpunkt hatten wir 32.286 wohnungslose Personen in Nordrhein-Westfalen; 2016 waren es 25.045. Die absolute Zahl der gemeldeten männlichen Wohnungslosen ist höher – 2017: 21.936 – als die der Frauen – mit 9.524. Drückt man es in Prozent aus, hatten wir eine Zunahme bei der Zahl der wohnungslosen Frauen von Juni 2016 auf Juni 2017 um 47,9 % und eine Zunahme bei der Zahl der wohnungslosen Männer um 22,9 % zu verzeichnen. Das sind erst einmal die Zahlen, die ich Ihnen nennen kann.

Die Kommunen sagen, dass ein größerer Teil dieses Anstieges daran liegt, dass wir Menschen haben, die im Asylverfahren anerkannt sind, sie aber keine Wohnung haben, die sie ihnen zuweisen können, und diese Menschen dann auch weiterhin in den Unterkünften sind, also ein Dach über dem Kopf haben, aber – so wie wir die Statistik in Nordrhein-Westfalen machen – dann zu den Wohnungslosen zählen.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Möchte jemand eine Frage stellen? – Die erste Nachfrage stellt Frau Kopp-Herr.

Regina Kopp-Herr (SPD): Danke schön, Herr Minister, dass Sie die statistischen Zahlen dargelegt haben. Sie haben jetzt – wenn ich das richtig verstanden habe – als einzigen Grund genannt, dass anerkannte Asylbewerberinnen – ich gehe jetzt mal auf die Frauen ein – mit in die Wohnungslosigkeit gerechnet werden, weil ihnen die Wohnung fehlt. Das sind also auch die, die weiter in den Flüchtlingsunterkünften leben?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Der enorme Anstieg der Zahlen ist nach Aussagen der Kommunen in erster Linie auf die anerkannten Asylbewerberinnen und Asylbewerber zurückzuführen, die wegen des angespannten Wohnungsmarktes zunächst keine Wohnung finden, aber von den Kommunen untergebracht werden müssen. Damit gelten sie statistisch als wohnungslos.

Ich will noch einmal sagen – ich habe das auch heute noch einmal in der Fachabteilung nachgefragt –: Dass wir rund 30.000 Menschen haben, die wohnungslos sind, heißt nicht, dass diese 30.000 Menschen ohne ein Dach über dem Kopf übernachten müssen. Wie viele davon aber im wahrsten Sinne des Wortes kein Dach über dem Kopf haben, wissen wir aus dieser Statistik nicht genau. Das muss man auch sagen.

Es gibt Notunterkünfte, zu denen man gehen kann. Aber Sie wissen auch, dass diese Notunterkünfte in den letzten Jahren teilweise abgebaut worden sind. Die Kommunen haben bei uns in Nordrhein-Westfalen den gesetzlichen Auftrag, die Menschen unterzubringen, und sie gehen da sehr unterschiedliche Wege. Ein Teil macht es über Wohnungen, die sie dafür freihalten. Das brauchen wir vor allen Dingen dann, wenn wir es mit Familien mit Kindern zu tun haben oder überhaupt Kinder beteiligt sind, weil wir die nicht in Notunterkünften unterbringen möchten. Das wird sicherlich auch sehr stark bei Frauen gemacht. Andere Kommunen greifen auf Pensionen, auf Hotels zurück.

Erst einmal ist ganz klar – das kann auch gar nicht anders sein, weil die Kommune vor Ort ist –, dass die Kommune den Auftrag hat, die Leute unterzubringen. Aber sie hat nicht in jedem Fall eine Wohnung zur Verfügung. Dass wir eine Wohnungsknappheit in Nordrhein-Westfalen haben – zumindest in vielen Regionen unseres Landes –, ist wohl jedem bekannt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Paul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir haben jetzt gerade ein Stück weit über den Anstieg im Hellfeld gesprochen. Es gibt aber insbesondere bei Frauen in dieser Thematik ein hohes Maß an versteckter Wohnungslosigkeit. Viele Frauen versuchen, sich möglichst lange sozusagen im Verborgenen zu halten. Wir haben da hohe Dramatiken, was auch neue Abhängigkeitsverhältnisse bis hin zu sogenannter Schlafprostitution angeht, bei der Frauen versuchen, sich so vor Obdachlosigkeit zu schützen.

Meine konkrete Frage geht dahin, welche Maßnahmen Sie und die Landesregierung denn nun planen, gegebenenfalls auch dieses Dunkelfeld zu erhellen. Denn diese Frauen begeben sich mitunter in sehr gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Im letzten Jahr habe ich erst einmal die Entscheidung getroffen, im Bereich von Gesundheitshilfen für obdachlose Menschen zusätzlich 850.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Vorher war da gar nichts außer dieser 1 Million Euro, die es schon immer gab.

Der zweite Punkt ist: Vor einigen Wochen – ich habe schon einmal in einer Rede hier darüber erzählt – haben wir im MAGS einen Kongress zum Thema „Frauen und Wohnungslosigkeit“ abgehalten. Ich selber habe daran teilgenommen, und muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin sehr, sehr nachdenklich dort weggegangen. Mich lässt die Sache auch nicht kalt. Für mich ist das eine Gewissensfrage. Es darf nicht sein, dass es in Nordrhein-Westfalen Menschen gibt, die nicht wissen, wo sie hinsollen.

Es erscheint mir logisch, was Sie sagen. Aber ich kann die Dunkelziffer natürlich nicht messen. Wenn jemand irgendwo unterkommt – egal, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen – und sich nicht bei der Kommune meldet, wie soll ich das wissen?

Ich weiß nur: Wir haben in Nordrhein-Westfalen ungefähr 60 Fachstellen, die sich um die Frage der Wohnungslosigkeit kümmern, und die Berichte der Menschen, die dort arbeiten und dann einen gewissen Kontakt in die Szene haben, bestätigen das, was Sie sagen. Lassen Sie mir mal bis Ostern Zeit. Wir müssen im MAGS ein richtiges Konzept entwickeln, wie wir damit umgehen.

Ich will mal sagen, worum es geht: Wir sind Gott sei Dank auch das Arbeitsministerium und nicht nur das Sozialministerium. Wir haben ein MAGS gebildet, weil es sinnvoll ist, beide Bereiche in einem Haus zu haben. Es ist einfach wichtig, dass wir Einfluss auf die Jobcenter nehmen, dass dann, wenn die Wohnung, in der die Menschen wohnen, einige Quadratmeter zu groß ist, man nicht sagt: Wir zahlen euch nur die Quadratmeterzahl, die euch zusteht, und das andere müsst ihr von den 416 Euro bezahlen. – Dann kommt es irgendwann zu Mietschulden, und wir wissen ja, welchen Gang die Dinge dann nehmen.

Ich finde, wir müssen auf unsere Jobcenter einwirken, dass dann, wenn man keine kleinere Wohnung hat, auch nicht der Auszug verlangt werden kann. Ein Drittel der Jobcenter in Nordrhein-Westfalen ist kommunal. Da habe ich relativ viel zu sagen. Zwei Drittel sind beim Bund. Über diese Frage muss geredet werden.

Ich glaube, dass viele Menschen, denen Obdachlosigkeit droht, schon Kunden der Grundsicherung sind. Das scheint mir zumindest logisch zu sein. Wir müssen vermehrt dahin, dass dann die Mieten direkt von den Grundsicherungsämtern an die Vermieter überwiesen werden, damit Mietschulden gar nicht erst entstehen, die dann zu Räumungsklagen führen. Räumungsklagen werden – wenn ich richtig informiert bin – nicht von einem Tag auf den anderen entschieden. Kann man diese Zwischenzeit stärker nutzen, damit sich auch die Hilfesysteme darum kümmern?

Das sind alles Dinge, die mir durch den Kopf gehen, wenn es darum geht, Obdachlosigkeit zu verhindern. Wir müssen aber auch über andere Fragen nachdenken, zum Beispiel darüber: Was ist mit psychischen Erkrankungen?

Ich glaube, das Thema muss in der Verantwortung der Kommunen bleiben. Das Problem wird wohl auch allein mit Geld nicht zu lösen sein. Aber ich will ein Gesamtkonzept aus den Kompetenzen der Sozialabteilung und der Arbeitsmarktabteilung haben – vor allen Dingen mit dem Ziel, Wohnungslosigkeit zu verhindern. Denn das Rausschmeißen aus den Wohnungen ist doch ein Problem, das in Abhängigkeiten und in diese Situation führt.

Wir müssen überlegen – das habe ich vor –, wie wir in dieser Frage einen ganzheitlichen Ansatz hinkriegen. Ich kann Ihnen versichern: Für mich geht es um ein schlimmes soziales Problem, obwohl es sich um eine kleine Gruppe handelt. Seine Wohnung zu verlieren, halte ich für das Schlimmste, was einem passieren kann. Das Einzige, was noch schlimmer ist, ist Hunger.

Von meinem ganzen Wertesystem her werde ich mich nicht darauf beschränken, dass wir das alleine machen. Auch mit dem Familienministerium werde ich mich beraten müssen: Was können wir gemeinsam unternehmen? Das Familienministerium sagt: Wir brauchen eine Initiative mit der Wohnungswirtschaft, dass Frauen, wenn sie in Frauenhäusern leben, bevorzugt Wohnungen erhalten. – Richtig.

Aber ich brauche in der Wohnungswirtschaft auch für die Menschen, die ganz unten auf der Skala zur Verteilung einer Wohnung stehen, die Chance, an eine Wohnung zu kommen. Deswegen werden wir das Thema sehr konsequent anpacken, um es möglichst klein zu halten.

Wir haben auch Wohnungslosigkeit in Städten mit leerstehenden Wohnungen – auch das ist die Wahrheit –, weil zurzeit ein Teil, wie es die Fachleute nennen, nicht mietfähig ist. Je mehr ich mich in das Thema hineindenke, umso vielschichtiger wird es.

Das Problem der Wohnungslosigkeit von Frauen ist deswegen so schwierig zu beheben, weil unsere Strukturen – zumindest bei den Notunterkünften – traditionell sehr männlich sind. Ich habe mir mal ein paar Unterkünfte angesehen. In die vorhandenen Strukturen passt – zumindest nach meinem Geschmack – eine Frau nicht so ganz rein. Man muss also auch überlegen: Wie kann man da ein frauengerechteres Angebot schaffen?

Im Übrigen sind, wenn ich Ihnen das mal sagen darf, die Standards in unseren Gefängnissen teilweise höher als in den Notunterkünften.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Düker von Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Düker (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Minister, dass Sie sich diesen Problemen so offen stellen. Sie haben eben die präventiven Hilfen angesprochen. Wie kann man Wohnungslosigkeit und dann auch Obdachlosigkeit verhindern? Eine Mietschuldenübernahme gibt es schon. Wir reden heute über den frauenspezifischen Aspekt.

Meine Frage lautet: Wo sehen Sie bei dem präventiven Hilfestruktursystem frauenspezifischen Nachbesserungsbedarf? Denn oftmals – Sie haben es gerade gesagt – ist es bei Frauen nicht unbedingt eine Frage der Mietschuldenübernahme, sondern das sind unter Umständen auch Gewaltbeziehungen, also ganz andere Gründe, wegen der Frauen in die Obdachlosigkeit geraten.

Mich interessieren der frauenspezifische präventive Hilfebedarf und die regionale Verteilung der präventiven Hilfen. Wo sehen Sie da in der Struktur konkret Nachbesserungsbedarf?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich habe ja gesagt, dass wir zurzeit dabei sind, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten. Die Wahrheit ist, dass die Zunahme der Frauenobdachlosigkeit in unserem Ministerium ein Thema der letzten Wochen ist. Ich habe im Übrigen nicht sehr viel an Vorarbeiten dazu gefunden.

Da muss man einem Ministerium etwas Zeit einräumen, darauf eine evidenzbasierte Antwort geben zu können. Ich habe sie, wenn ich ehrlich bin, heute nicht. Ich könnte Ihnen ganz viel sagen, was man dann so sagt. Aber all das hätte weder Hand noch Fuß, und deswegen lasse ich es lieber.

Nehmen Sie einfach Folgendes mit: Die Strukturen der Notunterkünfte sind zurzeit in der Regel nicht sehr frauenkonform.

Für Frauen, die aus einer Gewaltbeziehung kommen, haben wir Frauenhäuser. Aber Frauenhäuser nehmen keine Obdachlosen. Deswegen muss man sich umschauen. Ich glaube, dass wir sehr viel Expertise bekommen können. Wir haben immerhin 60 Fachberatungsstellen, in denen Menschen arbeiten, die das sehr viele Jahre machen. Deswegen glaube ich, wenn man da guten Willens rangeht, kann man schon zu handfesten Lösungsansätzen kommen.

Aber als Land kann ich keine entsprechenden Unterkünfte bauen. Am Ende geht es darum, dass es eine Struktur geben muss, wo man hingeht.

Von einer Sache will ich nicht weg, nämlich von der Verantwortung der Kommunen, dafür zu sorgen, dass ihre Bürgerinnen und Bürger ein Dach über dem Kopf haben. Denn das kann nur die kommunale Ebene leisten, die da ist, wo die Menschen leben, und keine Struktur, die weit von ihnen entfernt ist.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Paul von Bündnis 90/Die Grünen. Damit sind Ihre Fragemöglichkeiten erschöpft.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Minister, für die sehr offenen Antworten.

Ich habe noch mal eine konkrete Nachfrage zu der Situation, wenn Frauen mit Gewalterfahrung gezwungen sind, gegebenenfalls mit ihren Kindern ihre Wohnung zu verlassen. Sie haben die Frauenhäuser angesprochen. Der Frauenhausaufenthalt löst das Problem nicht.

Das ist auch Frau Ministerin Scharrenbach als Frauenministerin bewusst, dass es eine Problematik mit weiterer Wohnungsvermittlung gibt. Deswegen – das haben Sie bereits angesprochen – gibt es eine Vereinbarung über Allianz für mehr Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen, die auch in die Vereinbarung der Frauenministerin mit den Frauenhäusern Eingang gefunden hat. Schaut man sich diese Allianz für mehr Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen an, stellt man fest, dass dort nicht einmal das Wort „Frauen“ vorkommt.

Meine konkrete Frage lautet: In welcher Art und Weise und wann planen Sie mit Blick auf das, was Sie gerade gesagt haben, und auf das, was Frau Ministerin Scharrenbach behandelt hat, eine Überarbeitung dieser Allianz für mehr Wohnungsbau mit Blick auf diese besonderen Zielgruppen?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich finde es erst mal wichtig, dass in Nordrhein-Westfalen wieder mehr Wohnungen gebaut werden. Eine Wohnung ist zunächst geschlechtslos. Deswegen geht es darum, vor allem den Wohnungsbau anzukurbeln.

Und da kann ich Ihnen nur sagen: Der Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen leidet vor allem darunter, dass wir keine Baugrundstücke haben. Der soziale Wohnungsbau leidet darunter, dass die wenigen Baugrundstücke, die wir haben, so teuer sind, dass man da keine Sozialwohnungen drauf bauen kann. Und weshalb die Bauplätze in Nordrhein-Westfalen so knapp sind, das hat ein bisschen mit Ihrer Politik zu tun.

Deswegen müssen wir die Landesplanung in diesen Fragen völlig verändern. Das dauert allerdings ein bisschen. Wohnungslosigkeit und Wohnungsknappheit kann man nur durch eine einzige Maßnahme bekämpfen: bauen, bauen und nochmals bauen und dafür sorgen, dass Grundstücke zur Verfügung stehen, auf denen man mietpreisgebundenen Wohnungsbau finanzieren kann.

Natürlich brauchen wir mit der Wohnungswirtschaft Vereinbarungen darüber, dass auch die, die in der Spirale, eine Wohnung zu finden, ganz unten stehen, Chancen erhalten. Da sehe ich in großem Umfang in den Städten auch die gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in einer besonderen Verantwortung. Ich erwarte auch von dem genossenschaftlichen Wohnungsbau, dem kommunalen Wohnungsbau und den großen Wohnungsgesellschaften – wenn ich etwa an die RAG denke, da gibt es ja auch sehr viele Wohnungen, vor allen Dingen im Ruhrgebiet – eine gewisse Sensibilität, uns bei der Problemlösung zu helfen. Natürlich müssen wir auch als Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit denen reden und versuchen, Vereinbarungen zu treffen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Herr Kollege Mostofizadeh von Bündnis 90/Die Grünen.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, eigentlich wollte ich eine andere Frage stellen, aber Ihr Beitrag hat mich jetzt doch ein wenig verwirrt, um ehrlich zu sein.

Ich gebe Ihnen zwei, drei Hinweise, um die Frage zu präzisieren. Aus meiner Sicht ist eine Wohnung nicht geschlechtslos, wie Sie das formuliert haben. Ich sage Ihnen auch, warum: Eine 180-m²-Wohnung in Köln-Ehrenfeld oder noch teureren Stadtteilen ist etwas anderes als eine 60-m²- oder 70-m²-Wohnung in Essen-Frohnhausen. Ich will damit sagen, dass die Bezahlbarkeit sich auch nach Größe, Ausstattung und sonst etwas richtet.

Deswegen möchte ich die Frage von Frau Paul noch einmal aufgreifen. Das Programm, das Frau Scharrenbach formuliert hat, kennt das Wort „Frau“ nicht. Es gibt sehr häufig Situationen, in denen eine Frau – das haben Sie selber beschrieben – aufgrund der Gewalt ihres Partners ihre Wohnung fluchtartig verlassen und die Kinder mitnehmen muss. Wenn sie dann eine neue Zuflucht finden will, muss das eine für sie bezahlbare Wohnung sein, wenn wir nicht gleich alle im Transferbezug haben wollen.

Deswegen noch einmal die Frage, die Frau Paul eben formuliert hat: Wann wird das Programm überarbeitet, damit frauenspezifische Aspekte berücksichtigt werden? Da geht es zum Beispiel um den Vorrang für einen gewissen Personenkreis oder darum, die Förderfähigkeit von bestimmten Wohnquartieren davon abhängig zu machen, dass Anbieter so etwas mit einbauen.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich finde es schon einmal eine gute Leistung unserer Frauen- und Bauministerin, dass sie über die Frage, wie wir Frauen aus Frauenhäusern in Wohnungen kriegen, eine Vereinbarung mit der Wohnungswirtschaft abgeschlossen hat. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Plätze in den Frauenhäusern für die Frauen frei werden, die in dieser Problematik, von der Sie sprechen, leben.

Eine Frau, die zu Hause eine Gewalterfahrung gemacht hat, braucht am gleichen Tag oder in der gleichen Nacht erst einmal eine Zuflucht, wo sie hingehen kann. Da nützt mir eine Wohnung gar nichts. Dafür brauchen wir die Frauenhäuser, vor allem dann, wenn sie nicht bei einer Freundin – diese informellen Bereiche gibt es ja Gott sei Dank auch noch – unterkommt.

Deswegen ist wichtig, dass wir bei der Wohnungsknappheit in Nordrhein-Westfalen auch mit denjenigen, die Wohnungen besitzen, reden müssen, damit auch diejenigen, die bei einer normalen Mietwohnungsbesichtigung nicht zum Zuge kommen, gewisse Möglichkeiten haben, an Wohnungen zu kommen. Ich glaube, so etwas muss man machen.

Aber jetzt fragen Sie mich bitte nicht, ab wann. Die Zahlen, die hier genannt habe, sind entstanden, als noch andere die Ministerien besetzt haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass das Thema „Frauen und Wohnungslosigkeit“ da überhaupt eine Rolle gespielt hätte. Jetzt erwarten Sie von mir von heute auf morgen die perfekten Antworten. Ich glaube, dass ich heute in der Fragestunde sehr deutlich gemacht habe, dass ich dieses Thema konsequent angehen werde. Aber ich habe nicht in allen Punkten schon die Lösungsansätze.

Auch in ein paar Jahren wird es noch Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen geben. Die hat es auch vor 10 und vor 20 Jahren gegeben. Die wird man nie ganz wegkriegen. Aber dass ich diesen Kongress ins Leben gerufen habe, dass wir 800.000 Euro für die Gesundheitsfrage zur Verfügung gestellt haben, dass ich letzte Woche in Bielefeld zu einem großen Kongress der Wohnungsloseninitiativen aus Deutschland zugegen war, macht deutlich, dass sich der jetzige Sozialminister nicht vor dieser Frage drückt, sondern sich dieser Frage stellt. Der Anfang einer Problemlösung ist immer, öffentlich zu einem Problem zu stehen und es nicht zu vertuschen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Schäffer von Bündnis 90/Die Grünen.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben gerade zu Recht selbst darauf hingewiesen, dass Einrichtungen für obdachlose Menschen sehr männlich dominiert sind. Da wir wissen, dass Frauen auch aufgrund von Gewalterfahrungen in eine Wohnungslosigkeit rutschen können, stellt sich für mich die Frage, wie es in den Einrichtungen für Obdachlose aussieht. Planen Sie dort zum Beispiel Gewaltschutzkonzepte explizit für Frauen, damit diese in den Einrichtungen nicht wieder sexualisierte Gewalt erleben?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich denke, dass für einen Träger einer Notunterkunft eine solche Gewaltprävention schon seit vielen Jahren zum Konzept gehört und dass dies nichts Neues ist.

Dass die Systeme so stark männlich dominiert sind, liegt einfach an den faktischen Zahlen. Wenn bislang drei Viertel aller Wohnungslosen Männer waren, ist doch vollkommen klar, dass das Hilfesystem zu drei Viertel männlich dominiert ist. Wenn das Verhalten von Frauen in der Wohnungslosigkeit so ist, wie uns die Fachleute sagen, nämlich dass sie sich gar nicht so sehr an das offizielle System wenden, sondern viel stärker versuchen, irgendwo anders unterzukommen – wobei manche, die davon sehr viel verstehen, vermuten, dass das auch mit Abhängigkeiten zu tun hat –, dann ist natürlich klar, dass das System sich dieser Frage noch nicht so angenommen hat, wie wir es in der jetzigen Zeit zumindest an gewissen Stellen in Nordrhein-Westfalen brauchen könnten.

Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass eine Notunterkunft für Menschen, die wohnungslos sind, betrieben wird, ohne zugleich ein Gewaltpräventionskonzept zu haben. Das gehört da einfach dazu.

Ich habe in letzter Zeit einige Leute kennengelernt, die in den Notfallberatungsstrukturen arbeiten, und ich habe durchaus den Eindruck, dass sie sehr wohl wissen, worüber sie sprechen, und dass sie über eine Menge Expertise verfügen, um mit diesen Fragen umzugehen. Die immerhin 60 Fachstellen in Nordrhein-Westfalen verfügen über eine gewisse Expertise – und zwar nicht erst seit gestern, sondern schon seit Längerem – im Umgang mit dieser Problematik.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage ist von Frau Düker, Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön für die Gelegenheit, hier noch einmal fragen zu können. – Herr Minister! Ich möchte auf die Zahlen zurückkommen. Sie sagen – das finden wir auch gut und richtig –, wir benötigen einen zielgruppenspezifischen Ausbau der Hilfestruktur. Dafür braucht man aber zunächst eine Analyse der Zielgruppe.

Hier, so glaube ich, müsste man noch einmal nachhaken. Sie sagten am Anfang, wir hätten 9.524 registrierte wohnungslose – nicht obdachlose – Frauen, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 47,9 % darstelle. Als Begründung dafür führten Sie den Anstieg der Flüchtlingszahlen an.

Da bleiben bei mir ein paar Fragezeichen stehen. Ich kenne zwar die Obdachlosenunterkünfte nicht so gut, dafür aber die Flüchtlingsunterkünfte, und allein reisende Frauen in der Zielgruppe „Flüchtlinge“ sind in den Flüchtlingsunterkünften nur sehr, sehr vereinzelt vorzufinden. Die Zahl der allein reisenden Flüchtlingsfrauen ist marginal, weil Frauen – ich will jetzt nicht zu weit ausholen – einfach eine solche Flucht selten alleine auf sich nehmen.

Mir erschließt sich deshalb die Begründung nicht, dass so viele der wohnungslosen Frauen allein reisende Flüchtlingsfrauen sein sollen. Ich kann jetzt natürlich keine Widerrede herleiten, sondern muss die Zahlen erst einmal zur Kenntnis nehmen. Meine Rückfrage lautet jedoch: Sehen Sie hier nicht den Bedarf, diesen Anstieg noch einmal genauer zu analysieren? Was sind das für Hintergründe? Welche Zielgruppen von Frauen sind das? Welche Gründe bestehen für die Wohnungslosigkeit?

Da sehe ich in der Tat noch einige offene Fragen, und meine Frage an Sie ist: Sehen Sie das auch so, und wollen Sie diese Fragen stellen, bevor man eine Hilfestruktur anlegt, ohne die Zielgruppe genau zu kennen?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Düker, ich muss Ihnen erst einmal sagen: Alles, was wir über dieses Thema wissen, wissen wir von unseren Kommunen. Wenn uns die Kommunen auf die Frage nach dem Anstieg der Zahl der wohnungslosen Frauen antworten, dass das auch mit anerkannten Asylbewerberinnen zu tun habe, die die Kommunen untergebracht hätten – die jetzt also durchaus ein Dach über dem Kopf haben, wie ich zu sagen pflege, aber trotzdem aufgrund ihres Status zu den Wohnungslosen gehören, weil sie nicht in eine Wohnung eingewiesen sind, sondern von den Kommunen meinetwegen in einem Hotel, in einer Pension oder wo auch immer untergebracht wurden –, dann ist das einfach so.

Ich muss diese Antwort, selbst wenn sie uns bzw. Ihnen – das will ich jetzt aber gar nicht unterstellen – nicht so ganz passt, hier erst einmal so vortragen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ich hinterfrage die nur!)

Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Natürlich werden wir auch die Kriterien, die Sie angesprochen haben, analysieren müssen. Ich möchte jedoch nicht ein ganzes Jahr im Ministerium damit zubringen – was man im Ministerium oft tut –, erst einmal zu analysieren und Gutachten in Auftrag geben. Irgendwann hat man dann die Gutachten, der Winter ist schon wieder um, und dann wird irgendwann gehandelt.

Wir müssen vielmehr zusehen, dass wir das Analysieren und das Handeln ziemlich nahe zusammenbringen. Dazu habe ich Ihnen gesagt, dass ich dafür gerne bis Ostern Zeit hätte. Ostern ist ein festes Datum, während man die Zeitangabe „bis zum Frühjahr“ dehnen könnte.

(Zuruf von der SPD: Sie haben auch nicht gesagt, welches Ostern!)

– Nächstes Jahr! – Im Anschluss werden wir dann sehen, was wir machen.

Im Übrigen sind heute in vielen Städten getrennte Notunterkünfte für Männer und Frauen Standard. Es ist also nicht so, dass alle Notunterkünfte gemischt wären. Wir haben sehr wohl, vor allem in den großen Städten in Nordrhein-Westfalen, getrennte Einrichtungen und damit auch getrennte Angebote in diesem Bereich.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Herr Kollege Remmel von Bündnis 90/Die Grünen.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Minister! Vielen Dank für die Möglichkeit, noch einmal nachzufragen. Ich fand Ihre bisherigen Ausführungen konstruktiv, offen, nach vorne gewandt und problemlösend, insofern ausbau- und anknüpfungsfähig. Sie haben sich dann aber doch dazu hinreißen lassen, sozusagen Rückgriffe in die Vergangenheit zu machen.

Das bringt mich jetzt zu meiner Frage: Erinnern Sie sich an die Kabinettsentscheidung – an der Sie teilgenommen haben –, zwischen 2005 und 2010 die landeseigene Wohnungsgesellschaft zu verkaufen? Haben Sie damals die Argumente, die sehr vehement pro sozialen Wohnungsbau gingen, und die die soziale Bedeutung des Wohnens unterstrichen haben, in die Kabinettentscheidung mit eingebracht? Warum haben Sie sie dann nicht verhindert?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich erinnere mich sehr wohl an diese Kabinettsentscheidung, weil es eine sehr wichtige Entscheidung war. Sicherlich wurde diese Kabinettsentscheidung damals bei einer anderen Situation auf dem Wohnungsmarkt getroffen – das muss man auch ehrlich sagen. Ich denke schon, dass wir uns heute in einer Situation befinden – wenigstens aus meiner Beurteilung –, in der wir den sozialen Wohnungsbau und den gemeinnützigen Wohnungsbau wieder stärker brauchen, und in der wir auch Wohnungsbaugenossenschaften brauchen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Ich persönlich bin der Meinung, dass auch so alte Instrumente wie die Erbpacht nicht ganz schlecht waren; denn die Frage, wie teuer die Grundstücke sind, hat einen Einfluss darauf, wie teuer Wohnungen sind. Ich fand Erbpacht immer eine ganz gute Lösung, um auf diesem Gebiet etwas hinzubekommen. Viele Kirchengemeinden haben das in der Vergangenheit auch gemacht.

(Jochen Ott [SPD]: Sie konnten sich nur nicht durchsetzen in Ihrem Laden!)

– Nein, nein. – Ich will Ihnen noch etwas zu LAG 1 sagen. Da hatte einige Jahrzehnte eine bestimmte Partei die Verantwortung.

Ich kann Ihnen sagen: Die LAG-Wohnungen waren in einem erbarmungswürdigen Zustand; sie wiesen einen riesigen Investitionsstau auf. Das ist auch die Wahrheit. Hätten Sie uns damals eine LAG mit Wohnungen hinterlassen, die nach menschlichem Ermessen, wie man im Volksmund sagt, in Schuss gewesen wären, dann, glaube ich, wären wir gar nicht erst zu der Privatisierung gekommen; denn dann wären wir in der Lage gewesen, das Ganze fortzuführen. Aber der Investitionsstau war so groß …

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist Schönrederei! Das war damals Ideologie!)

Wissen Sie, wenn man sich hierhinstellt und so redet, selbst aber in einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft nicht genug in die Wohnungen investiert hat, dann sollte man auch daran denken, dass man jahrelang die Verantwortung dafür innehatte.

(Jochen Ott [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)

– Selbstverständlich geht es darum!

(Jochen Ott [SPD]: Es geht darum, dass ihr sie verkauft habt! Sie sind weg! – Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Und ihr habt abgewirtschaftet!)

Sie haben die Wohnungen verlottern lassen und greifen jetzt diejenigen an, die sie privatisiert haben, damit sie wieder in Schuss gebracht werden konnten.

(Zurufe von der SPD – Unruhe)

– Geschenkt gar nichts, die haben die Wohnungen renoviert!

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Fragestunde heißt Fragestunde, weil man laut und vernehmlich Fragen stellen kann, wenn man dran ist.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich kann mich gut erinnern!

(Unruhe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, Sie waren jetzt mit Ihrer Antwort fertig?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich war fertig; ich habe die Wohnungen doch gerade beschrieben.

(Heiterkeit)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Gut, gut. Ich wollte Sie nur nicht zusätzlich unterbrechen. Dann danke ich Ihnen an dieser Stelle. Herr Mostofizadeh vom Bündnis 90/Die Grünen stellt Ihnen seine zweite Frage.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Minister, vielen Dank. Man könnte jetzt auf viele Ihrer Antworten erwidern. Aber dafür haben wir ja einen Ausschuss. Die Fraktion der Grünen hat schon vor den Ferien in weiser Voraussicht ein umfassendes Papier zur Wohnungspolitik, insbesondere zur Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, vorgelegt. Ich bin gespannt, wie sich Ihre Fraktion, aber vielleicht auch das Ministerium, zu diesen Punkten verhalten wird.

Ich möchte gerne einen Punkt aufgreifen, weil das schlicht falsch ist, was Sie an dieser Stelle gesagt haben, und die Frage daran anknüpfen. Sie haben eben gesagt, im Bereich „Wohnungslosigkeit von Frauen“ sei in den vergangenen Jahren nichts passiert. Tatsache ist, dass wir dank des Landesprogramms „Hilfe bei Wohnungslosigkeit“ eine ganze Menge frauengerechter und bedarfsorientierter Programme und Angebote vorgelegt haben. Von den 180 Standorten, die es auf Bundesebene gibt, liegen 70 in Nordrhein-Westfalen, also weit, weit über dem Königsteiner Schlüssel.

Daher die Frage – weil das vor den Ferien in den Medien eine Rolle spielte –: Die Standorte sind sehr ungleich verteilt. Was tun Sie, damit der ländliche Raum deutlich stärker daran partizipieren kann?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Erst einmal ist es so, Herr Mostofizadeh: Wenn man sich einmal die Haushaltspläne der letzten Jahre anschaut, dann kann ich nicht erkennen, dass man in den sieben Jahren der letzten Epoche einer rot-grünen Regierung die Haushaltsansätze in diesem Bereich erhöht hätte. Ich kann es schlicht nicht erkennen.

Natürlich hat man mit der 1 Million Euro viele Programme gestartet. Sie waren sowieso sehr programmgläubig. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich glaube, dass man die Probleme nicht allein über Programme löst, sondern dass man sie strukturell angehen muss. Ich bin der Meinung – darin unterscheidet sich meine Auffassung von Sozialpolitik von Ihrer –, dass man in einem so großen Land wie Nordrhein-Westfalen die Probleme nur über Strukturen lösen kann

(Jochen Ott [SPD]: Dann machen Sie das!)

– Da sind wir ja dabei –

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Danach habe ich doch gefragt, Herr Minister!)

und nicht über Programme. Das ist, finde ich, eine ganz wichtige Sache.

Jetzt kommen wir zu den ländlichen Räumen. Es ist schon so, dass es die Kommunen in den ländlichen Räumen sicherlich sehr viel einfacher haben, Wohnungslose in Wohnraum zu bringen als die Kommunen in Ballungsgebieten. Ebenso gehört zur Wahrheit, wie ich jetzt aus der Szene gehört habe, dass die wohnungslosen Menschen auf dem Land oft doch lieber in die Städte gehen, weil es dort ein gewisses Umfeld gibt, das sie präferieren.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Entschuldigung, das ist nun einmal so. Deswegen muss man nicht sofort eine Debatte über das Land führen. Wir haben in den Landkreisen erheblich weniger Probleme damit als in den Ballungsräumen, was im Übrigen wieder dazu führt – so habe ich wiederum aus der Szene gehört –, dass diejenigen Städte, die gute Notversorgungssysteme aufgebaut haben, manchmal sagen: Weil wir diese Strukturen aufgebaut haben, kommen sie alle zu uns.

Das muss man sich auch noch einmal genau anschauen. Wenn man nur begrenzte Mittel zur Verfügung hat, dann ist die Problematik in den Metropolen viel größer und dringlicher als in den Landkreisen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Butschkau von der SPD-Fraktion.

Anja Butschkau (SPD): Herr Minister Laumann, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich freue mich eigentlich immer, wenn ich höre, dass die Minister mit Leuten – wie Sie es gerade gesagt haben – aus der Szene sprechen, also mit Fachleuten vor Ort. Diese Fachleute sind es, die eine Ahnung von der Arbeit haben.

Hier reden wir von Wohnungslosigkeit. Wenn Sie mit den Fachleuten vor Ort gesprochen haben, dann werden Ihnen mit Sicherheit zwei Tatsachen begegnet sein.

Erstes Angebot für wohnungslose Frauen: Es gibt die Frauenhäuser. Das ist gerade alles ein bisschen durcheinandergeraten. Ich weiß, die Übergänge sind fließend, aber ich möchte aufgrund der großen Bedeutung doch noch einmal darauf eingehen. Ja, es gibt Frauenhäuser, und in den Frauenhäusern finden überwiegend Frauen Zuflucht, die Gewalt erfahren haben. Herr Minister, Sie werden gehört haben, dass es viel zu wenig dieser Plätze gibt. Darüber müssen wir hier nicht diskutieren. Diese Diskussion führe ich gerne im Ausschuss für Frauen und Gleichstellung weiter.

Das zweite Angebot für wohnungslose Frauen – jetzt kommen wir in Ihre Zuständigkeit – sind die Angebote in den Frauenübernachtungsstellen. Auch dort haben Sie mit den Menschen vor Ort gesprochen. Ich habe das ebenfalls getan. Es ist, glaube ich, kein Geheimnis: Ich war fast 30 Jahre lang, genau 28 Jahre, Sozialarbeiterin in verschiedenen Feldern, auch in der Obdachlosenbetreuung. Daher weiß ich, wovon ich spreche. Ich kann Ihnen sagen – das bestätigen auch die Aussagen der Kollegen vor Ort –, dass in den Frauenübernachtungsstellen Frauen Zuflucht finden, die wohnungslos sind.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Gibt es noch eine Frage?)

Wohnungslosigkeit – das ist ganz wichtig – ist immer ein Symptom für verschiedene Ursachen.

Da – jetzt komme ich zu meiner Frage – interessiert mich, was Sie dagegen tun. Erstens kennen wir das Symptom „Armut“; ein zweites Symptom ist häufig eine Überschuldung als Ursache. Die dritte Ursache sind psychische Erkrankungen. Wir könnten jetzt noch über weitere Ursachen sprechen; aber das machen wir dann an anderer Stelle. Es geht also um diese drei Faktoren.

Was gedenkt die Landesregierung dafür zu tun, dass diesen Frauen geholfen wird? Denn wenn den Frauen hier geholfen wird, dann sind die Frauenübernachtungsstellen vielleicht an der einen oder anderen Stelle nicht mehr so überfüllt, wie sie es im Moment sind.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich habe Ihnen eben gesagt, dass ich an einem Gesamtkonzept arbeite. Das Thema, das Sie jetzt angesprochen haben – also Armut – hat immer etwas damit zu tun. Wir haben jedoch für die Menschen, die gar nichts haben, in Deutschland eine Sozialgesetzgebung, wonach ihnen eine warme Wohnung in einer gewissen Größe zusteht, die von der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird, wonach ihnen auch 416 Euro pro Monat für die Führung des Haushalts zustehen, die ebenfalls von der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden.

Wir müssen zusehen, dass wir die Menschen, die irgendwie aus diesem Regelsystem herausgefallen sind – durch Suchterfahrungen, durch psychische Erkrankungen, durch Gewalterfahrungen, wodurch auch immer –, möglichst schnell wieder in das Regelsystem bekommen. Wir bekommen sie nur dann in das Regelsystem, wenn wir umfassende Hilfen haben.

Wenn das Problem jedoch erstmals auftaucht, braucht man nicht nur die umfangreiche Hilfe, sondern man braucht das, was ich Barmherzigkeit nenne: Es muss sich jemand darum kümmern, dass dieser Mensch einen sicheren Ort findet, wo er erst einmal bleiben kann. Danach kann man mit der Überführung in das Regelsystem beginnen.

Die dafür notwendigen Sozialgesetze haben wir alle. Aber wir haben auch Menschen, die nicht im Regelsystem angekommen sind.

(Anja Butschkau [SPD]: Genau!)

Ihnen muss man dabei helfen, dass sie in diesem Regelsystem ankommen, und das hat mit Begleitung, mit menschlicher Zuwendung, mit Beratung, aber auch mit begleitenden Strukturen zu tun.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Kopp-Herr von der SPD-Fraktion stellt Ihnen ihre zweite Frage.

Regina Kopp-Herr (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Minister! Ich komme noch einmal zurück auf die Sendung „Westpol“ vom Sonntagabend, in der auch Sie zu Wort gekommen sind. Dort ist zurückgegriffen worden auf eine Studie der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Es sind auch betroffene Frauen selbst zu Wort gekommen, die deutlich gemacht haben, dass sie die Beratung durch Frauen wollen, und dass sie, wenn sie sich im betreuten Wohnen befinden, dort leben wollen, wo sie Betreuung durch Frauen finden.

Darüber hinaus fordert diese Studie, dass solche Angebote für Frauen im Umkreis von 25 km erreichbar sein sollen. Damit wird nicht nur der städtische, sondern auch der ländliche Raum einbezogen. Sie sagen, Sie wollen ein Gesamtkonzept entwickelt. Hier haben Sie eine gute Grundlage; greifen Sie diese auf.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Bei unseren Überlegungen wird sicher auch die Expertise durch solche Gutachten eine Rolle spielen. Ich will aber mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halten: Ich persönlich glaube nicht, dass es im Sozialapparat im Land Nordrhein-Westfalen an Beratung fehlt, sondern ich glaube vielmehr, dass wir ein Problem damit haben, dass die Beratungsangebote so vielfältig ist, dass man sie nicht mehr findet. Manche reden schon von der Koordination der Koordination der Beratung.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir auch hier nach Möglichkeiten suchen müssen. Auch in den Landkreisen gibt es heute natürlich Familien- und Frauenberatung. Das wird überall angeboten. Man kann sich manchmal die Frage stellen: Warum erreichen die etablierten Beratungen nicht diejenigen, die uns jetzt vor eine solche Problematik stellen? Ist das eher eine „Geh-hin-Struktur“ in der Beratung, oder ist es nur eine „Komm-Struktur“?

Da stellen sich viele Fragen hinsichtlich der Strukturen, die über Jahrzehnte in unterschiedlicher Trägerschaft und mit unterschiedlichen Finanzierungsquellen aufgebaut worden sind.

Ich will hier ganz klar sagen, dass ich aus meiner langjährigen politischen Erfahrung heraus nicht der Meinung bin, dass wir einen großen Mangel an Beratung in Nordrhein-Westfalen haben. Vielmehr geht es um das Auffinden derjenigen, die aus dem Regelsystem herausgefallen sind, und die hin zu diesen Strukturen gebracht werden müssen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Frau Kollegin Schäffer von Bündnis 90/Die Grünen, die damit auch ihre Fragemöglichkeiten erschöpft hat.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich will noch einmal auf das Thema „Gewaltschutzkonzepte“ in den Einrichtungen für Obdachlose zurückkommen. Sie haben wahrscheinlich recht, Herr Minister, dass es in den Einrichtungen präventive Konzepte zur Gewaltvermeidung gibt. Mir ging es aber um Gewaltschutzkonzepte speziell zum Thema „Sexualisierte Gewalt“.

Ich würde behaupten – und meine auch, im Ohr zu haben, dass Expertinnen und Experten dieser Meinung sind –, dass wir deshalb mehr wohnungslose Frauen haben, die nicht in die Obdachloseneinrichtungen gehen, weil sie diese meiden. Die Frauen kommen beispielsweise eher bei Bekannten unter; sie begeben sich möglicherweise in Abhängigkeitsverhältnisse, um diese Einrichtungen zu vermeiden.

Ich denke, das geschieht gerade deshalb, weil sie vielleicht Angst vor sexualisierter Gewalt in diesen Einrichtungen haben. Deshalb ist es wichtig, dass es spezialisierte Gewaltschutzkonzepte gibt, also nicht zur allgemeinen Gewaltprävention, sondern speziell zum Thema „Prävention von sexualisierter Gewalt“.

Meine Frage ist, wie Sie das sehen, ob Sie das in Ihre Überlegungen einbeziehen, und ob Sie es wichtig finden, dazu gemeinsam mit den Einrichtungen Konzepte zu entwickeln.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Was Sie gesagt haben, erscheint mir ziemlich logisch, aber evident basiert bestätigen kann ich Ihnen das nicht. Das muss ich ganz klar sagen. Es entstehen Dunkelziffern, wenn jemand eine offizielle Struktur meidet und stattdessen irgendwo unterkommt. Das alles sind Dinge, die wir nicht messen können.

Doch es scheint mir relativ logisch zu sein, was Sie hier an Denke aufgebaut haben. Das war auch der Grund, warum wir vor einigen Wochen die große Fachtagung im MAGS durchgeführt haben. Es ging darum, überhaupt über dieses Thema zu sprechen, es aber auch einer gewissen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit es zum Thema wird. Mir ist zunächst wichtig, dass es ein Thema wird.

Das ist nicht nur in meiner Administration zum Thema gemacht worden. Daran erkennen Sie, dass ich mich vor diesen Fragen nicht drücken will. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe nicht alle Antworten, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Fragen stellt Ihnen Herr Kollege Ott von der SPD-Fraktion.

Jochen Ott (SPD): Vielen Dank. Herr Minister! Weil Sie gerade von „strukturell“ sprachen, will ich noch daran erinnern, dass Ihr Parteifreund und mein Pastor, als er als Pfarrer in Köln-Vingst und Köln-Höhenberg angefangen hat, immer dann, wenn er vom langjährigen Leiter des Gesundheitsamts damit konfrontiert wurde, gefragt wurde: Was nutzt es, wenn ein Pastor Frikadellen verteilt? – Als der Leiter dann zehn Jahre später in den Ruhestand gegangen ist, hat er gesagt: Herr Meurer, verteilen Sie weiter Frikadellen; ich kriege es strukturell nicht gelöst.

Die Frage des strukturellen Lösens ist das eine, sowohl in der christlichen Soziallehre wie auch in der sozialdemokratischen Ideenwelt. Das andere ist die Frage: Wie löst man solche Dinge konkret?

Deshalb eine konkrete Frage: Sie haben davon gesprochen, dass man bauen, bauen, bauen müsse. Würden Sie mit mir übereinstimmen, dass eines der Probleme darin besteht, dass wir gerade im geförderten Wohnungsbau über viele Jahre hinweg eine Stimmung hatten – insbesondere in den ländlicheren Bereichen, in den Bereichen außerhalb der Großstädte –, die den geförderten Wohnungsbau mit sozial unterirdischen Zuständen verwechselt haben? Ist es nicht so, dass deshalb das Angebot im preiswerten Wohnungsbau so beschaffen ist, dass für Frauen und für Wohngruppen schlicht zu wenig Möglichkeiten vorhanden sind?

Auf Deutsch: Brauchen wir nicht einen Minister Laumann, der sich massiv für geförderten Wohnungsbau einsetzt, insbesondere da, wo er bisher nicht stattgefunden hat?

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ein Sozialminister ist immer dafür zuständig, dass die kleinen Leute zurechtkommen, wie ich sagen würde. Natürlich ist in einem Land, in dem ungefähr 20 % der Menschen vollschichtig arbeiten und ein Einkommen von unter 2.000 Euro brutto im Monat haben, bezahlbarer Wohnraum für fleißige Menschen, die sehr wenig verdienen, eine zentrale Herausforderung – ohne Frage.

Wenn ich mir anschaue, was jetzt alles im Bauministerium auf den Weg gebracht wird – dass 1,1 Milliarden Euro für Förderung in den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, dass wir auch Schwellenhaushalten sehr viel stärker helfen wollen, zu Wohneigentum zu kommen –, dann meine ich schon, dass wir Akzente setzen.

Ich war in meinem Leben viele Jahrzehnte Kommunalpolitiker. Ich kann Ihnen nur sagen: Selbst da, wo ich lebe, wo es sehr ländlich ist, waren die Bauplätze noch nie so knapp, wie sie es jetzt sind. Es fehlt an allen Ecken und Kanten an Baugrundstücken, im Übrigen auch in den Ballungsgebieten.

Das ist eine Aufgabe, die natürlich durch Landesplanung und durch die Kommunen gelöst werden muss. Es geht aber auch darum, einzusehen, dass die Allianz für die Fläche nicht immer die einzige Antwort ist, wenn man Wohnraum braucht. Das geht nicht nur über Innenstadtverdichtung; sonst werden wir die Menge an Wohnraum nicht zur Verfügung stellen können, die wir bei uns in der Bundesrepublik Deutschland brauchen. Wohnungen sind wichtig.

Sie haben die Geschichte mit der Frikadelle und den Strukturen angesprochen: Da bin ich sehr klar aufgestellt. Die beste Sozialstruktur, die beste Sozialgesetzgebung kommt ohne Barmherzigkeit nicht aus. Man braucht beides: Man braucht klare Strukturen wie zum Beispiel die Grundsicherung, das Recht auf Wohnung und all diese Dinge; aber man braucht dann, wenn jemand in diesem Wegesystem nicht klarkommt, die Barmherzigkeit, um ihm erst einmal zu helfen.

Wenn jemand Hunger hat, besteht die erste Hilfe nicht darin, zu sagen, wo das Sozialamt ist, sondern darin, dass man ihm etwas zu Essen gibt und danach über das Sozialamt redet. Das schließt einander überhaupt nicht aus.

(Jochen Ott [SPD]: Vielen Dank für die Klarstellung!)

Ich will Ihnen ganz klar sagen, dass die Wohnungslosigkeit für mich ein sehr großes Thema ist, weil das für mich zugleich eine Gewissensfrage ist. Das hat auch mit meiner religiösen Überzeugung zu tun. Wir dürfen uns in einem Land wie dem unseren nicht damit abfinden, dass einige Leute kein Dach über dem Kopf haben. Das ist mir ganz ernst!

(Jochen Ott [SPD]: Mir auch!)

Ich bin in einer Frage ganz klar aufgestellt: Man muss als Politiker vieles gegenüber dem Wähler verantworten, aber am Ende muss man sich auch jemand anderem gegenüber verantworten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister.

Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. – Das bleibt offensichtlich auch so. Dann erkläre ich die Debatte zur Mündlichen Anfrage Nr. 28 an Herrn Minister Laumann für beendet.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 29

des Herrn Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh von Bündnis 90/Die Grünen auf.  

Das Thema nenne ich sofort, will aber darauf hinweisen, dass die Fragestunde schon über 50 Minuten läuft und wir damit automatisch in eine Verlängerung kommen, weil ich weder die Frage nicht aufrufen noch nach 60 Minuten die Frage für erledigt erklären kann. Zum Thema der Frage:

Am 25.10.2018 hat die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung ihren Zwischenbericht vorgelegt und darin erste Hinweise für einen Fahrplan eines Kohleausstiegs und die Gestaltung des damit verbundenen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Strukturwandels gegeben. Darin weist die Kommission deutlich auf den enormen Förderbedarf der heutigen Braunkohlereviere für die kommenden Jahrzehnte hin.

Der Zwischenbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung macht gleichzeitig deutlich, dass es der Landesregierung bislang offenkundig noch nicht gelungen ist, den Blick der Kommission für eine Gesamtbetrachtung der vielschichtigen Strukturbrüche in Nordrhein-Westfalen zu weiten. So finden die Steinkohlestandorte und auch die Standorte der Konzernzentralen der großen nordrhein-westfälischen Energieunternehmen im Zwischenbericht nur am Rande Erwähnung.

Ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung wird jedoch nicht nur das rheinische Braunkohlerevier direkt betreffen, sondern die Energiewirtschaft Nordrhein-Westfalens insgesamt. Darum ist es die Verantwortung der Landesregierung, die Interessen aller direkt und indirekt in der Energiewirtschaft Beschäftigten im Rahmen der Kohlekommission zu vertreten. Auch für die heutigen Steinkohlestandorte, insbesondere für die erst vor wenigen Jahren in Betrieb genommenen Kraftwerke in Lünen, Hamm und Duisburg-Walsum, müssen tragfähige und nachhaltige Lösungen gefunden werden.

Doch der Zwischenbericht macht auch deutlich, dass es hierfür noch nicht zu spät ist, so heißt es:

„Die Arbeit der Kommission umfasst die gesamte Kohleverstromung, das heißt sowohl Braun- als auch Steinkohle. Laut Einsetzungsbeschluss vom 6. Juni 2018 fokussiert der Zwischenbericht zum Strukturwandel auf die Braunkohlereviere. Die Kommission ist sich jedoch einig darüber, dass die mit der Steinkohleverstromung verknüpften Themenfelder im Rahmen der anstehenden Beratungen und bei der Erstellung der weiteren Berichte vertieft diskutiert und adressiert werden müssen. Dies umfasst sowohl die klima- und energiepolitische Dimension als auch die beschäftigungs- und strukturpolitischen Aspekte.“ Vor diesem Hintergrund bitten wir die Landesregierung um die Beantwortung der folgenden Frage:

Welche konkreten Forderungen und Maßnahmen zur Bewältigung des Kohleausstiegs durch die nordrhein-westfälische Steinkohlewirtschaft, insbesondere die heutigen Steinkohlekraftwerksstandorte, hat die Landesregierung in die Verhandlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung eingebracht?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Professor Dr. Pinkwart antworten wird. Ihr Mikro ist offen, bleibt offen, und Sie haben jetzt Gelegenheit zur Antwort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für die Landesregierung und für Nordrhein-Westfalen aus unserer Sicht insgesamt unverzichtbar, dass auch der Steinkohlesektor mit in die Betrachtung beim Strukturausgleich aufgenommen wird.

Zwar läuft die heimische Förderung von Steinkohle Ende 2018 aus, aber an diversen Standorten wird weiterhin Steinkohle verstromt, vornehmlich im Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet sind nach dem aktuellen Gutachten des RWI, das mein Haus beauftragt hat, 1.300 Menschen in den Steinkohlekraftwerken beschäftigt. In Nordrhein-Westfalen insgesamt sind es knapp 2.000 Personen. Einschließlich der indirekten und induzierten Beschäftigten umfasst der Steinkohlesektor im Ruhrgebiet 3.500 Beschäftigte, auf ganz Nordrhein-Westfalen bezogen 6.100 Beschäftigte.

Im Ruhrgebiet liegt die durch die Steinkohleverstromung induzierte Wertschöpfung bei gut 0,5 %, in Hamm sogar knapp 1 %, im Kreis Unna bei 1,4 %. Wenn die Kohlekommission eine vorzeitige Beendigung der Steinkohleverstromung beschließt, muss sie sich also auch mit diesen Wertschöpfungs- und Beschäftigungsverlusten beschäftigen.

Richtig ist aber auch, dass der Steinkohlesektor im Vergleich zum Braunkohlesektor niedrigere Beschäftigungsanteile hat. Das liegt daran, dass sich die Vorleistungsstruktur – Steinkohle wird bei uns in Zukunft nur noch auf dem Weltmarkt gekauft – unterscheidet und die Arbeitsproduktivität in den Steinkohlekraftwerken hoch ist. Gelsenkirchen jedoch hat noch immer eine weit überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit.

Beschäftigungseffekte, die im nördlichen Ruhrgebiet ausgelöst werden, müssen wir strukturpolitisch begleiten, um keine neuen Strukturbrüche entstehen zu lassen. Schon die Anbahnung politischer Entscheidungen führt dazu, dass Unternehmen ihr Handeln darauf ausrichten. Das gilt für Wartungs‑, Revisions‑ und Ersatzinvestitionsentscheidungen für Steinkohlekraftwerke in der Metropole Ruhr.

Energiewirtschaft ist eine Schlüsselindustrie für das Ruhrgebiet. Standortentscheidungen in der Energiewirtschaft werden daher zum Nachteil des Ruhrgebiets getroffen.

Ganz konkret: Die Standorte der Altkraftwerke müssen für eine künftige energiewirtschaftliche oder gewerbliche und industrielle Nutzung sowohl planerisch gesichert als auch aufbereitet werden. Sie dürfen nicht in Wohn‑ oder Grüngebiete umgewandelt werden.

Hierzu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen des Bundes, des Landes und der Kraftwerksbetreiber, um die bisherigen Kraftwerksbauten rückzubauen. Hier liegen Flächenpotenziale, die wir für die Ansiedlung von neuen Unternehmen im Ruhrgebiet nutzen können. Diese Potenziale gemeinsam zu heben, ist eine Forderung, die wir an die WSB-Kommission stellen und auf die Entscheidungsagenda für das Ruhrgebiet holen.

Dabei muss man wissen – das haben Sie schon in Ihrer Fragestellung hervorgehoben –, dass zunächst einmal mit Blick auf den Zwischenbericht selbst in der Aufgabenstellung der WSB-Kommission dies noch nicht vorgesehen war. So heißt es im Einsetzungsbeschluss – ich darf zitieren mit Genehmigung der Präsidentin –:

„Ihre Empfehlungen für Maßnahmen zur sozialen und strukturpolitischen Entwicklung der Braunkohleregionen sowie zu ihrer finanziellen Absicherung legt die Kommission WSB bereits Ende Oktober 2018 schriftlich vor.“

Im Einsetzungsbeschluss selbst war, bezogen auf den Zwischenbericht, schwerpunktmäßig die Braunkohle gemeint.

Nichtsdestotrotz – daran haben wir mitgewirkt, soweit wir als Ländervertreter durch unser Rederecht teilnehmen können; aber auch die Mitglieder der Kommission haben das getan – war im Zwischenbericht, wie er Ihnen jetzt vorliegt – Sie haben ihn gesehen –, in mehreren Passagen die Steinkohle ausdrücklich benannt worden, ohne dass im Einzelnen Strukturmaßnahmen benannt worden sind, weil a) das nicht vom Auftrag der Kommission zum Zwischenbericht umfasst war und b) wir natürlich jetzt schauen müssen, wie die energiewirtschaftlichen Vorschläge aussehen und in welchem Umfang sie zu einer vorzeitigen Herausnahme von Steinkohlekraftwerken führen würden. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat sich für seine erste Nachfrage Herr Kollege Mostofizadeh gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, vielen Dank für Ihren Bericht. Er gibt Anlass zu Nachfragen, insbesondere mit Blick auf die Strategie.

Die Kollegen aus Ostdeutschland haben, wie ich finde, ziemlich unverhohlen die Kohlekommission als ein Instrument gesehen – sie betrachten es nach wie vor so –, das die jetzige Situation als Fortsetzung des Strukturwandels nach der Wende bzw. seit der Vereinigung Deutschlands betrachtet. Sie haben sehr stark auf die energiewirtschaftliche Wende abgehoben. Das wird auch an den Zahlen deutlich, die Sie eben genannt haben.

Daher die konkrete Nachfrage: Haben Sie eine andere Strategie als die Kollegen aus Ostdeutschland, oder würden Sie sowohl im Rheinischen Revier als auch im Kontext des Ruhrgebiets – an der Stelle würde mich das Ruhrgebiet interessieren – dies nehmen, um den Strukturwandel, den vorhandenen Erneuerungsprozess voranzutreiben?

Wir hatten 1958 etwa 600.000 Arbeitsplätze unmittelbar in der Steinkohle und selbst vor weniger als 15 Jahren noch gut 100.000 Arbeitsplätze unmittelbar in der Steinkohle.

Wir hatten auch – das will ich ebenfalls betonen – 5 Milliarden Euro Steinkohlesubventionen, weswegen wir beim Länderfinanzausgleich und in verschiedenen anderen Bereichen immer mit Verweis auf die Steinkohlesubventionen gesagt bekommen haben: Bei der Verkehrsförderung bekommt ihr weniger und bei der Forschungsförderung – das wissen Sie als damaliger Wissenschaftsminister besser als ich –,

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart nickt.)

deutlich weniger, als uns nach Studierendenzahl zugestanden hätte. Deswegen die konkrete Frage: Hat die Landesregierung eine Strategie, den Strukturwandelprozess mitzudenken und Forderungen genau davon abzuleiten, und das Ganze nicht nur auf die energiewirtschaftliche Seite zu beschränken?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, bitte. Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Man muss jetzt schauen, Herr Abgeordneter, wie das Ergebnis insgesamt erzielt werden kann: was sich die Kommission vorgenommen hat, was ihr Auftrag ist, nämlich Beiträge zu erzielen – noch kurzfristig, 2020/2022, und auf der Zeitachse 2030 und auf dem Weg hin zu 2050, und das möglichst früh – und die bisherigen Planungen noch dahin gehend zu übertreffen, dass durch die frühere Herausnahme von Steinkohlekraftwerken die CO2-Emissionen reduziert werden können. Das ist die Aufgabenstellung.

Da spielen viele Faktoren mit hinein, so natürlich die Netzstabilität. So war es von Anfang an problematisch, die Steinkohle etwa in Baden-Württemberg infrage zu stellen. Man muss sehen: Baden-Württemberg ist das zweitgrößte Steinkohleverstromungsland Deutschlands. Das wird in der öffentlichen Debatte nicht immer so wahrgenommen, aber das entspricht den Tatsachen.

Dennoch gibt es keine großen Bemühungen aus Baden-Württemberg, die Steinkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, weil der süddeutsche Raum durch den Ausstieg aus der Kernenergie nach 2022 in ganz erheblichem Maße gesicherte Energieleistungen verliert und auch nach Aussagen der Bundesnetzagentur darüber hinaus die Netzstabilität im südlichen Teil Deutschlands dadurch zusätzlich belastet würde, wenn wir neben der Kernenergie auch dort noch Steinkohlekraftwerksblöcke vorzeitig vom Netz nehmen würden.

Daher können wir natürlich einerseits klimapolitisch über gewisse Gigawattleistungsmengen und CO2-Mengen, die man vorher herausnehmen möchte, reden. Aber energiewirtschaftlich muss man über die Frage reden: Wo kann man sie überhaupt wann wie am besten herausnehmen, auch was die Versorgungssicherheit und die Netzstruktur betrifft?

Dann muss man sich fragen: Was heißt das auch strukturpolitisch? Haben wir hinreichende Vorläufe für die Regionen, damit keine Strukturbrüche auftreten oder weitgehend vermieden werden? Das ist natürlich auch Teil der Diskussion in der Kommission und auch im politischen Raum.

So fragt man sich etwa bei der Braunkohle: Wo kann man das früher machen? Wo kann man oder sollte man es strukturpolitisch vielleicht später machen? Welche Verteilung sollte man anstreben, damit die Belastungen nicht einseitig erfolgen?

Das Gleiche sehe ich bei der Steinkohle. Aber dazu wird man jetzt abwarten müssen, wie der energiewirtschaftliche Vorschlag, die Mengen, die Anzahl der Blöcke aussehen, die in Rede stehen. Dann muss man das strukturpolitisch abwägen und zu einem möglichst klugen Gesamtvorschlag kommen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt hat sich Frau Kollegin Schäffer für ihre erste Nachfrage gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben als Landesregierung für das Rheinische Revier bereits Eckpunkte erstellt. Das sehen wir als Grüne zwar noch nicht als Gesamtstrategie an, aber immerhin haben Sie Eckpunkte vorgelegt. Darauf haben wir uns zum Teil heute Morgen auch in der Debatte zu unserem Antrag bezogen.

Soweit ich weiß, haben Sie diese Eckpunkte auch in der Kohlekommission vorgestellt und eingebracht. Haben Sie für das Ruhrgebiet, sprich: die Steinkohleregion in Nordrhein-Westfalen, ähnliche Eckpunkte oder vielleicht sogar ein Konzept erstellt? Und wenn ja: Haben Sie vor, diese auch in die Kohlekommission einzubringen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete, ich will noch einmal bekräftigen, dass der Einsetzungsbeschluss für die WSB-Kommission zum Zwischenbericht ausschließlich die Braunkohle zum Gegenstand hat.

Wir haben aber daran mitgewirkt, dass die Steinkohle in dem Bericht schon Berücksichtigung findet und darauf aufmerksam gemacht wird, dass es dort auch zu Strukturproblemen kommen kann. Ich habe Ihnen auch dargelegt, wie wir diese für uns in Nordrhein-Westfalen sehen.

Es wird jedoch den weiteren Verhandlungen und Beratungen vorbehalten bleiben, inwieweit Steinkohlekraftwerke überhaupt berührt sind, inwieweit sich daraus auch strukturwirksame Folgen für die Regionen ergeben und wie man diesen dann begegnen kann.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat Herr Abgeordneter Remmel das Wort.

Johannes Remmel (GRÜNE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, was Sie gerade ausgeführt haben, interpretiere ich einmal so: müsste, hätte, könnte. – Sie beschreiben die Situation, ohne bisher konkret auf unsere Frage geantwortet zu haben, was die Landesregierung an konkreten Vorstellungen in die Kommissionsarbeit eingebracht hat.

Ich gehe mal davon aus, Sie haben, außer dass Sie später vielleicht auf die Grundstücke spekulieren, bisher keine konkreten Vorstellungen. Aber vielleicht können Sie das korrigieren.

Nennen Sie bitte konkrete Vorstellungen der Landesregierung, Projekte oder auch energiewirtschaftliche Notwendigkeiten, beispielsweise den Ersatz der bestehenden Kraftwerke durch drei bis vier Gaskraftwerke, ähnlich wie wir sie in Düsseldorf haben. Das wäre ja mal was, wenn die Landesregierung das fordern würde. Haben Sie solche konkreten Vorstellungen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Remmel, man kann auch noch einmal anders fragen.

Ich bleibe bei meiner Antwort. Ich habe Ihnen dargelegt, wie wir generell in dieser Sache verfahren: Wir können nur dann Vorschläge einbringen, wenn sie tatsächlich angenommen und somit Gegenstand der Beratung werden.

Das war bisher nicht der Fall – das habe ich Ihnen dargelegt –, weil der Zwischenbericht dazu bislang keine Projekte vorsah, sondern sich auf die Braunkohleregionen bezog. Ich habe Ihnen das vorgeschlagen.

Wir haben zum Zwischenbericht Wert darauf gelegt, dass vorsorglich auch Steinkohlekraftwerke mit angesprochen werden, und wir können auch nur dann Vorschläge machen, wenn tatsächlich Steinkohlekraftwerke infrage stehen sollten. Das wissen wir aber noch nicht, weil wir den energiewirtschaftlichen Teil noch gar nicht kennen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie haben also gar nichts gemacht!)

Zum Zweiten ist völlig klar, dass wir für Kraftwerkstandorte, auch für Braunkohlestandorte – das habe ich in dieser Debatte schon dargelegt – genauso wie bei der Steinkohle die Möglichkeit sehen, sie auch künftig energiewirtschaftlich zu nutzen.

Es gibt Überlegungen beispielsweise von STEAG, ein Kohlekraftwerk in ein GuD-Kraftwerk umzuwandeln. Das wird sich nur als wirtschaftlich erfolgreich erweisen, wenn es gelingt, das KWK-Gesetz zu verlängern. Dafür setzen wir uns als Landesregierung ein, aber es gibt noch keine positive Entscheidung. Das muss geklärt werden, und daran arbeiten wir.

Solche Projekte gibt es also auch.

Aber Sie haben danach gefragt, was wir eingebracht haben. Wir haben es bisher nicht eingebracht, weil es bisher nicht einzubringen war. Es wird vielmehr dann eingebracht werden, wenn die Kommission tatsächlich für diese Vorschläge offen ist.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat nun Herr Abgeordneter Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Pinkwart, als Abgeordneter aus dem Kreis Steinfurt interessiert mich Folgendes ganz konkret: Sie sagten, Sie hätten dafür gesorgt, dass die Steinkohle im Zwischenbericht erwähnt wird. Mit Bottrop und Ibbenbüren haben wir zwei Zechen, die in diesem Jahr geschlossen werden. Daher würde es sich geradezu anbieten, diese beiden Gebiete als Fördergebiete aufzunehmen.

Mich würde interessieren, ob Sie konkret beabsichtigen, diese beiden Standorte einzubringen bzw. zu fordern, dass sie aufgenommen werden.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, bitte.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sie sollten sich den Einsetzungsbeschluss und den Arbeitsauftrag der WSB-Kommission noch einmal genau anschauen.

In Ibbenbüren befindet sich ein Kohlekraftwerk, das bisher aus der Zeche, die dort in Arbeit war und dieses Jahr geschlossen wird, gespeist worden ist. Es gibt eine Bahnverbindung, die nach meinem heutigen Kenntnisstand dieses Kohlekraftwerk in Zukunft mit Importkohle versorgen wird.

Für den Fall, dass das so bliebe und weiter genutzt würde, ist aus Sicht der WSB-Kommission kein Kompensationsfall gegeben, weil dort kein Kraftwerk vom Netz genommen wird und damit dann auch kein Klimabeitrag vor Auslauf dieser Kraftwerksnutzung erfolgen würde. Also wären hier keine Strukturausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Punkt.

Sollte es aber anders kommen – das möchte ich hinzufügen; ich formuliere bewusst im Konjunktiv – und sollte es beispielsweise Überlegungen des Kraftwerksbetreibers geben, vielleicht eine Vereinbarung zu treffen – aber nehmen Sie mich jetzt nicht beim Wort; bleiben wir im Abstrakten – und irgendwo ein Kraftwerk vorzeitig vom Netz genommen werden, um einen Beitrag im Rahmen dieser Kommissionsarbeit zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu leisten, dann wäre natürlich zu fragen:

Gibt es Entschädigungszahlungen an das Unternehmen? Gibt es einen Strukturbeitrag für die Region? Oder leistet etwa das Unternehmen den Strukturbeitrag, indem eine andere Aktivität – etwa der Betrieb eines Gaskraftwerkes – erfolgt?

Das muss im Einzelnen Punkt für Punkt entlang eines Fahrplans besprochen werden. Dabei geht es um den Dreiklang „Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz“.

Das wird in den nächsten Tagen und Wochen verhandelt. Man wird dann auch in Regionen zu Strukturmaßnahmen kommen, wo es – auch über die Braunkohleregion hinaus – stärkere Einschränkungen geben würde. Das sieht auch der Zwischenbericht genauso vor.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächster hat für seine zweite Nachfrage Herr Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Minister, ich bin – das muss ich sehr offen sagen – schon überrascht. Die Kollegen aus Ostdeutschland gehen unverhohlen – damit haben sie bisher offensichtlich Erfolg – mit folgender These in die Kommission hinein: Wir haben einen Strukturwandel, der über die Frage der unmittelbaren Kompensation von stillzulegenden Kraftwerksblöcken hinausgeht. Und dazu stellen wir sehr klare Forderungen. – Was dabei herauskommt, ist eine zweite Frage.

Wir haben aber jetzt die Situation, dass das Ruhrgebiet im Zwischenbericht zweimal als mahnendes Beispiel für einen verpassten Strukturwandel  vorkommt. Allein aus dieser These würde ich, ganz offen gesagt, Folgendes ableiten: Wenn schon ein verpasster Strukturwandel vorliegt – darüber kann man jetzt lange philosophieren; das müssen wir an anderer Stelle machen –, wäre es doch als Land Nordrhein-Westfalen unsere Aufgabe, diesen Strukturwandel konsequent fortzusetzen, entsprechende Maßnahmen vorzuschlagen, zu kämpfen und zu schauen, was dabei herauskommt.

Deswegen stelle ich Ihnen, Herr Minister, noch einmal die Frage: Können wir noch damit rechnen, dass diese Landesregierung für diese notwendigen Strukturanpassungen im Ruhrgebiet ganz konkrete Projekte vorschlägt? Wenn ja, wäre es natürlich schön, zu wissen, welche das sind.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Herr Minister Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren! Das habe ich Ihnen genauso vorgetragen. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir, wenn wir in der Kommission zum Thema „Steinkohle“ Projekte vorlegen können, dieses auch tun werden.

Da sind wir nicht alleine. In der Kommission ist – nur um ein Beispiel zu geben – auch das Saarland vertreten. Natürlich werden die Saarländer dann ebenfalls ihre Vorschläge mit einbringen. Auch das Land Niedersachsen ist dort vertreten. Wir sind also nicht allein.

Es sind nicht nur Braunkohleländer vertreten, sondern auch Steinkohleländer, die von der Bundesregierung ausdrücklich mit in diese Kommission hineingenommen worden sind. Für all diese Länder finden Sie – auch zum Thema „Steinkohle“ – im Moment noch keine Vorschläge; sonst wäre es wirklich kritikwürdig: Andere hätten einen Vorschlag, nur wir nicht.

Das liegt an dem Einsetzungsbeschluss und daran, dass bis hierhin nur die Braunkohleregionen im Vordergrund standen. Nur diese Regionen wurden bereist; sonst hätte man auch ins Saarland und ins Ruhrgebiet fahren können. Auch hätte man – das sage ich jetzt mal so – nach Stuttgart oder Mannheim fahren können.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Einen Moment mal: Wir sind als Länder mit Beratungsrecht Teilnehmer dieser Kommission. Wir sind nicht Mitglied der Kommission. Eingesetzt wurde die Kommission von der Bundesregierung. Die hat eine unabhängige Kommission berufen. Die Kommissionsmitglieder sind unabhängig. Sie haben sich eine Geschäftsordnung gegeben. Nach dieser Geschäftsordnung haben die Bundesminister und wir Länderminister ein Rederecht. Wir haben kein Initiativrecht und kein Stimmrecht.

Natürlich können wir in der Kommission – das tun wir auch – mitwirken. Wir können informell und auch in Zusammenarbeit mit den Kommissionsmitgliedern mitwirken. Auch treffen wir uns mit den Mitgliedern der Kommission aus Nordrhein-Westfalen. Mit ihnen reden wir ebenfalls über die Strukturthemen.

Wir können uns aber nur an die Spielregeln und die Vorgaben halten, welche die Kommission sich selbst setzt. Wir können sie nicht für uns selbst schreiben. Das können wir leider nicht.

Sie können aber versichert sein – das haben wir in diesem Bericht auch deutlich gemacht –, dass, wenn und wo Steinkohle berührt sein sollte, Struktureingriffe und Folgen – ich habe sie beschrieben – entsprechende kompensatorische Gegenmaßnahmen erforderlich machen. Es gibt verschiedenen Möglichkeiten. Einige davon haben wir eben schon diskutiert.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat Herr Abgeordneter Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, auch wenn Sie uns jetzt wortreich dargelegt haben, was Ihre Rolle in der Kohlekommission ist – demnach sind Sie beratendes Mitglied –, muss man doch konstatieren:

Beratendes Mitglied heißt nicht nur, zuzuschauen und an der Seitenlinie zu stehen – gerade mit Blick darauf, dass im Einsetzungsbeschluss der Kommission auch klar benannt ist, dass ihr Auftrag insgesamt ein Ausstiegsfahrplan aus der Kohle ist.

Da ist unsere Erwartung schon, dass Sie für alle Bereiche der Kohle – das gilt auch für die Kohleverstromung im Ruhrgebiet – Perspektiven entwickeln. Letztlich ist es auch die Aufgabe eines Wirtschaftsministers, sich Gedanken darüber zu machen, wie es mit dem Standort Nordrhein-Westfalen weitergeht.

Für den Bereich Rheinisches Revier trifft die Situation zu, dass wir detaillierte Prognosen zu Auswirkungen eines beschleunigten Kohleausstiegs haben. Dabei geht es zum Beispiel um Arbeitsplatzverluste: 10.000 Menschen sind direkt betroffen, 10.000 indirekt. Diese Prognosen betreffen auch Einkommensverluste und wegbrechende Auftragsvolumina.

Dazu habe ich die Frage: Hat die Landesregierung etwas Vergleichbares auch in Bezug auf die Steinkohlewirtschaft mit Blick auf die Folgen eines beschleunigten Kohleausstiegs untersucht, also mit Bezug auf die Arbeitsplätze insbesondere bei Zuliefererunternehmen? Hat sie die Einkommensentwicklung, die regionale Wertschöpfung und die Wirtschaftskreisläufe untersucht?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen die Zahlen vorgetragen. Wir haben extra ein Gutachten in Auftrag gegeben, damit wir auch hierzu etwas sagen können.

Nach meiner Erinnerung hat das Bundeswirtschaftsministerium auch das RWI beauftragt, um uns und der Kommission Zahlen zur Verfügung zu stellen. Dabei war, wenn ich mich richtig erinnere, das Thema „Steinkohle“ gar nicht berücksichtigt worden.

Das haben wir in unserem Gutachten entsprechend erarbeiten lassen. Wir haben die Zahlen da und können – auch was den Vergleich mit anderen Regionen angeht – argumentieren. Damit haben wir eine Grundlage, um – genau wie andere Länder das auch tun werden – dann, wenn das Thema aufgerufen wird, ebenfalls unsere Forderungen zu stellen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächste Fragestellerin hat Frau Abgeordnete Schäffer das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ehrlich gesagt, Herr Minister, macht es mich schon ein bisschen fassungslos, Ihren Antworten zuzuhören. Sie sind ja nicht der Pressesprecher der Kohlekommission, mit Verlaub, sondern Sie sind Landesminister,

(Beifall von den GRÜNEN)

der aus meiner Sicht auch eine Lobbyfunktion hat. Sie stehen dort und sind beratendes Mitglied, und zwar auch mit der Aufgabe, für das Land einzutreten. Das betrifft eben nicht nur das Rheinische Revier und die Braunkohle, sondern natürlich auch das Ruhrgebiet und das Thema „Steinkohle“.

Sie sagten, die Steinkohle wäre bislang kein Thema gewesen. Ich habe gerade noch einmal in den Zwischenbericht der Kohlekommission geblickt. Daraus geht eindeutig hervor, dass die Steinkohle doch ein Thema sein soll; es gibt da eine Tür.

Ich finde, jetzt ist es an der Zeit für die Landesregierung, nicht nur Gutachten in Auftrag zu geben – das ist schon mal gut –, sondern auch eigene Vorschläge, konkrete Forderungen aufzustellen und jetzt die Vorarbeit zu leisten. Eigentlich hätte sie schon längst geleistet werden müssen. Es gibt ja auch die Ruhrkonferenz.

Ich frage mich ein Stück weit, was da bislang an Ergebnissen produziert wurde,

(Olaf Lehne [CDU]: Die Frage!)

die man auch im Sinne der Frage nach dem Strukturwandel einbringen könnte. Deshalb meine konkrete Nachfrage, welche Vorarbeiten bislang seitens der Landesregierung gelaufen sind, um konkrete Forderungen in die Kohlekommission einbringen zu können.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schäffer. – Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Bisher hatte ich nicht den Eindruck gewonnen – da können die Wahrnehmungen schon mal unterschiedlich sein –, dass wir uns seitens des Landes Nordrhein-Westfalen nicht hinreichend eingebracht hätten.

Ich glaube, wir waren mit diejenigen – wir haben mit den anderen Ländern zusammen klare Forderungen formuliert –, die versucht haben, hier eine energiepolitisch, wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch insgesamt tragfähige Arbeit der Kommission zu ermöglichen und zu guten Ergebnissen zu führen.

Das Rheinische Revier steht nun einmal im Vordergrund, weil gerade Ihre Partei – wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen – den Schwerpunkt in ihrem Landtagswahlkampf und Bundestagswahlkampf auf eine vorrangige Reduzierung der Braunkohle gelegt hat.

Es war doch gerade Ihre Partei, die vorrangig die Braunkohle in den Blick genommen hat, um dort sicherzustellen – das müssen Sie auch mal sehen –, dass diese Konzepte aus der Region erarbeitet und vorgelegt werden. Sie stehen auch im Mittelpunkt des Zwischenberichts; so ist die Arbeitsvorgabe. Daran müssen wir uns genauso wie alle anderen orientieren, und das haben wir auch getan.

Darüber hinaus ist die Steinkohle natürlich ebenfalls mit in den Blick zu nehmen. Darauf haben wir immer Wert gelegt – mehr als Ihre Partei im Übrigen. Wir haben immer gesagt: Die Steinkohle muss mitberücksichtigt werden, damit wir zu einem fairen Ausgleich kommen.

Aber das wird man nicht nur im Ruhrgebiet machen können, auch um die Energiestabilität nicht zu gefährden, sondern da wird man Steinkohle an verschiedenen Standorten in Deutschland mit in den Blick nehmen und versuchen, die ältesten und unwirtschaftlicheren Kraftwerke zuerst vom Netz zu nehmen. Wir werden sehen, wo das am besten gelingen kann und in welchem Umfang.

Dann wird man sehen: Gibt es an den Standorten, wo das dann tatsächlich auftritt, entsprechende Projekte, um dort zum Beispiel Gaskraftwerke in Folge in Angriff zu nehmen? Dann hat man andere Strukturherausforderungen, als wenn das Kohlekraftwerk ganz eingestellt werden soll und wir Folgeindustrien ansiedeln müssen.

Wir werden genau zu diesen Themen passend Strukturvorschläge vorlegen. Damit habe ich überhaupt keine Probleme. Wir sind darauf natürlich auch vorbereitet, das ist gar keine Frage: argumentativ wie auch lösungsorientiert.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller für seine zweite und damit auch letzte Nachfrage hat Herr Abgeordneter Remmel das Wort. Bitte schön.

Johannes Remmel (GRÜNE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, verzeihen Sie mir das etwas martialische Bild: Es macht keinen Sinn, auf ein offensichtlich totes Pferd einzuprügeln. Deshalb versuche ich es mal andersherum mit Wiederbelebung. Verstehen Sie es als Unterstützung und Wiederbelebung eines notwendigen Impulses auch aus Nordrhein-Westfalen.

Sie haben auf den Einsetzungsbeschluss verwiesen, der nicht nur die Braunkohle im Blick hat, sondern insbesondere die Einhaltung der Klimaziele. Im Übrigen bekennt sich auch der Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung zu den Klimazielen von Paris.

Es ist eine rein mathematische Berechnung, dass selbstverständlich die jüngeren Steinkohlekraftwerke im Ruhrgebiet – das sind nicht wenige, weil sie alle erst in der Zeit zwischen 2005 und 2010 größtenteils ans Netz gegangen sind – betroffen sein werden, wenn es sich um die Frage dreht, frühzeitig vom Netz zu gehen.

Deshalb noch einmal konkret: Welche Vorstellungen hat die Landesregierung, insbesondere wenn es darum geht, die Nah‑ und Fernwärmeversorgung dauerhaft zu sichern?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin, Herr Remmel, auch für Ihre Vorbemerkung, die ich noch nicht ganz verstehe.

Wir können es doch ganz pragmatisch betrachten; das haben wir hier immer wieder dargelegt. – Wollen Sie jetzt zuhören oder nicht? – Wir müssen uns entscheiden – Sie haben es schon sehr schön beschrieben –, ob wir die besonders leistungsfähigen und modernen Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung mit hohem Effizienzgrad vom Netz nehmen wollen oder ob wir eher die älteren vom Netz nehmen.

Das Gleiche könnten wir im Rheinischen Revier auch noch einmal diskutieren, wenn ich mir gewisse Demonstrationen der jüngeren Zeit anschaue. Solche Sachverhalte sind da nie Gegenstand der Erörterung gewesen, sondern man ist eher im Plakativen stehengeblieben.

Wir werden im Energiesektor mit den bisher schon vorliegenden Maßnahmen, auch der Herausnahme von Kraftwerksblöcken, das 2020-Ziel im energiewirtschaftlichen Bereich erfüllen und mutmaßlich auch 2030.

Es geht darum – dazu ist die Kommission eingesetzt worden –, dass der Energiesektor darüber hinaus Beiträge erbringen soll, die andere Sektoren mutmaßlich nicht erbringen werden. Das ist doch der springende Punkt.

Deswegen steht die Politik hier in besonderer Weise in der Verpflichtung, auch den Regionen, die strukturpolitisch dadurch benachteiligt sein können, angemessene Ausgleiche mit hinreichendem zeitlichen Vorlauf einzuräumen. Gleichzeitig muss ich sicherstellen, dass die Energieversorgung gesichert ist, ebenso wie die Stabilität der Netze.

Ich habe schon gesagt: Da könnten auch andere Regionen bei der Steinkohle berührt sein, die aber, bedingt durch die Frage der Versorgungssicherheit, möglicherweise gar kein Interesse daran haben, dass bei ihnen die Kohle zuerst abgeschaltet wird, sondern die möglicherweise daran interessiert sind, dass sie möglichst lange auf die Steinkohleverstromung aufbauen können, wie uns das gegenwärtig in Baden-Württemberg jedenfalls vorgetragen wird.

So werden wir erkennen, wo Kraftwerke überhaupt infrage kommen – hoffentlich klimapolitisch und auch strukturpolitisch die richtigen. Dann werden wir zu den jeweiligen Standorten Konzepte entwickeln bzw. zum Vorschlag bringen, und wir werden durch die Kommission auch entsprechende Finanzierungsmittel dafür vorsehen müssen. Genau so ist der Fahrplan.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat für seine dritte und damit abschließende Frage der Kollege Mostofizadeh das Wort. – Ich weise darauf hin: Weitere Nachfragen werden mir aktuell nicht angezeigt. – Herr Kollege Mostofizadeh, Sie haben das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, das mit dem toten Pferd möchte ich nicht versuchen, zu erklären; ich lasse es mal so im Raume stehen. Offen gesagt war das meiner Meinung nach eine Bankrotterklärung, was Sie hier abgeliefert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben nicht eine einzige Maßnahme für das Ruhrgebiet vorgestellt. Sie sind nicht in der Lage, eine Strategie vorzulegen, wie das Ruhrgebiet seine Strukturprobleme bearbeiten soll.

Ich möchte ein paar Dinge in Erinnerung rufen. Im unmittelbaren Kernbereich gibt es 150.000 Langzeitarbeitslose. Der Arbeitsminister, der aktuell nicht anwesend ist, hat sich in dieser Hinsicht auf Bundesebene für Maßnahmen und Programme eingesetzt. Und es geschieht auch etwas: Im Rheinischen Revier gehen Sie anders vor als im Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet gilt: null; Ende der Durchsage. Das habe ich zur Kenntnis genommen.

Ich komme jetzt zur Frage, Frau Präsidentin. – Sie haben zum Beispiel die rekultivierten Tagebaue im Rheinischen Revier zu den Fördergebieten des Rheinischen Reviers hinzugezählt. Es steht auch die Forderung im Raum, dass die Förderrichtlinien für die Förderstrukturen geändert werden können – die SPD hat das in ihrem heutigen Antrag aufgegriffen. Wenn man diese entsprechend anpasst, könnte es dazu führen, dass das Ruhrgebiet sogar schlechter abschneidet.

Meine konkrete Frage an Sie: Ist damit zu rechnen, dass die GRW-Förderung das Ruhrgebiet demnächst benachteiligen, also noch schlechter stellen wird, als es heute der Fall ist?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! – Ich muss schon sagen: Ich habe Ihnen auf Ihre Frage dazu, was wir in die Kommission eingebracht haben, sehr umfänglich dargelegt, wie wir es einschätzen. Vielleicht lesen Sie es noch mal nach. Wir machen deutlich, dass die Steinkohle auf jeden Fall in die Betrachtung einbezogen werden muss. Ich habe auch argumentiert, warum das so ist, und ich habe bezogen auf das Problem in vollem Umfang dargelegt, was eintreten könnte, aber nicht eintreten muss.

Ich habe Ihnen deutlich gemacht, wie wir an den Standorten üblicherweise verfahren können. Da verfügen wir über sehr viel Erfahrung. Wenn Sie das – in Ihren Worten – als unzureichend qualifizieren, bitte ich Sie, noch einmal nachzulesen und zur Kenntnis zu nehmen, dass ich Ihnen auch mitgeteilt habe, welche Ersatzmaßnahmen möglich sind.

Weil wir sie brauchen – zum Beispiel zur Kraft-Wärme-Kopplung –, entwickeln wir Kraftwerke in aller Regel weiter, und wenn nicht die Kohle, dann wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit Gas sein. Also bleiben auch in erheblichem Umfang Arbeitsplätze erhalten. Das heißt: Wir müssen jeden einzelnen Fall ganz konkret in den Blick nehmen und daraus unsere Maßnahmen ableiten.

Ich möchte außerdem sagen: Was Sie für das Ruhrgebiet darstellen und uns als Landesregierung unterstellen, weise ich schlicht und ergreifend zurück – und zwar mit Nachdruck.

(Beifall von Claudia Schlottmann [CDU])

Ich war von 2005 bis 2010 Mitglied der Landesregierung. Wir haben damals die letzte Phase der Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus beschlossen. Was haben wir damals gemacht? – Wir haben erhebliche Maßnahmen beschlossen, um nachhaltig die Strukturen zu verbessern.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Also können Sie es eigentlich! Warum wussten wir das denn nicht?)

Wir konnten vier neue Fachhochschulen in der Metropole Ruhr aufbauen; als Wissenschaftsminister hatte ich selbst die Freude, daran mitzuwirken. Die können Sie alle besuchen, und ich bitte Sie, das auch zu tun und zu schauen, wie hervorragend sie arbeiten.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Was haben Sie denn während Ihrer Regierungszeit konkret für das Ruhrgebiet an nachhaltigen Strukturen geschaffen?

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Haben Sie von Rot-Grün vor 2005 oder nach 2010 irgendwo im Ruhrgebiet eine Hochschule gegründet? – Die möchte ich gerne mal sehen!

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wenn Sie hier also sagen, es kümmere sich niemand ums Ruhrgebiet, weise ich das entschieden zurück. Wir haben damals Wort gehalten, und das tun wir jetzt wieder.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich habe Sie konkret zu heute gefragt!)

Der Kollege Holthoff-Pförtner hat eine Ruhrgebietskonferenz einberufen. Wir haben ganz konkrete Projekte an den Start gebracht. Wir nutzen die Partner in der Region – aufsetzend auf einer in den letzten zehn Jahren deutlich verbesserten Entwicklung in der Metropole Ruhr. Und dann sagen Sie, da werde nichts getan! Wo waren Sie denn in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Haben Sie eine Ruhrgebietskonferenz gemacht? Haben Sie Projekte erarbeitet? – Null! Absolut nichts! Sie haben sich auf dem ausgeruht, was wir getan haben.

Ich kann Ihnen sagen: In der gleichen sportlichen und freundlichen Weise, in der wir es seinerzeit gemacht haben, werden wir es jetzt wieder tun und die Themen bearbeiten: zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Form und nachhaltig. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Amen!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Fragen liegen mir nicht vor.

Da wir den Zeitrahmen der Fragestunde um mittlerweile bereits 30 Minuten und 10 Sekunden überschritten haben, werden wir die

Mündliche Anfrage 30

der Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt von der Fraktion der SPD

Was kosten die Fehleinschätzungen des Ministerpräsidenten Laschet die NRW-Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?

Der Ministerpräsident hat die Entscheidung, aus dem Stadttor in das Landeshaus zu ziehen, damit begründet, dass das Landeshaus bürgernäher und repräsentativ sei. Er wurde in Zeitungen zitiert mit den Worten, dass das Land dort internationale Gäste angemessen empfangen könne.

Rund über ein Jahr nach dieser Entscheidung lässt sich feststellen, dass der Ministerpräsident in seiner Einschätzung falsch lag und die Entscheidung des Ministerpräsidenten einen Rattenschwanz an Kosten nach sich zieht, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Allein beim Umzug aus dem Stadttor in das Landeshaus kamen hohe Fehlkalkulationen zu Stande.

Zudem: Am 8. November 2018 wurden im Hauptausschuss die Planungen der Landesregierung zum Umbau des Landeshauses vorgestellt. Der Chef der Staatskanzlei hat gemeinsam mit dem Architekten Professor Petzinka die geplanten Umbaumaßnahmen präsentiert, ohne konkrete Kosten für die umfangreichen Umbaumaßnahmen zu nennen. Auf die Nachfrage, ob ein Kostenlimit für die Planungen bestünde, wurde lediglich bestätigt, dass es ein Limit geben müsse, aber nicht, wie hoch dieses sei. Die Umbaumaßnahmen sollen aber bereits im Sommer 2019 beginnen.

Ich bitte daher den Ministerpräsidenten um Beantwortung nachfolgender Fragen:

Wieviel Kosten verursacht der bereits erfolgte Planungsprozess durch das Architekturbüro? Warum setzt Ministerpräsident Laschet kein Limit für die Umbaumaßnahmen im Landeshaus?

heute nicht mehr aufrufen können. Ich frage die Kollegin, wie mit der Mündlichen Anfrage verfahren werden soll.

(Michael Hübner [SPD]: Beim nächsten Mal! – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: In der nächsten Plenarrunde!)

– In der nächsten Fragestunde erfolgt die mündliche Beantwortung, in Ordnung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir sind damit am Schluss der Fragestunde angelangt, und ich rufe auf:

7   Weiterentwicklung der Digital Hubs als regionale Digitalagenturen für StartUps und Mittelstand – Stärken ausbauen und eigene Profile weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/4114

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Braun das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die sogenannten DWNRW-Hubs in Nordrhein-Westfalen leisten einen wertvollen Beitrag für die Start-up-Landschaft unseres Landes. Die sechs seit Ende 2016 bestehenden Standorte in Düsseldorf, Aachen, Bonn, Köln, Essen und Münster haben sich unterschiedlich entwickelt, unterschiedliche Erfahrungen gemacht und unterschiedliche Herausforderungen gemeistert.

Kollegin Kampmann hat in der Debatte zur Digitalstrategie heute Morgen behauptet, wir würden uns zu viel um Start-ups kümmern. Ich möchte zwei Dinge erwidern:

Erstens. Man kann sich gar nicht genug um die berufliche Zukunft junger Menschen kümmern. Man kann sich gar nicht genug den Menschen mit Ideen zuwenden und ihnen gar nicht genug Mut zusprechen, ihre Ideen auch umzusetzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Die DWNRW-Hubs sind eines der wenigen Dinge, die Sie in Ihrer rot-grünen Regierungszeit eingeführt haben, um Start-ups explizit zu fördern. Darauf sollten Sie doch zumindest ein wenig stolz sein.

Die Hubs haben eine Laufzeit von drei Jahren, laufen also bis Ende nächsten Jahres. Deshalb ist nach dieser Erprobungsphase – wie ich es mal nennen will – unser aller Aufgabe, herauszufiltern, was gut läuft, was besser laufen kann und wie die Digital Hubs für die Zukunft aufzustellen sind.

Kollegen meiner Fraktion und auch ich haben in diesem Jahr unsere Zeit genutzt, um mit allen Hubs vor Ort zu sprechen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Wie die Start-ups selbst haben die Hubs nicht nur Erfolge gefeiert, sondern auch gemerkt, wo Ideen in Sackgassen endeten, und was von Gründerinnen und Gründern gar nicht in Anspruch genommen wird.

Zur Ausgangslage im Markt: Die Vielfalt des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen spiegelt sich regional wider. Die Branchenanforderungen hinsichtlich Digitalisierung sind im Land unterschiedlich stark ausgeprägt, ebenso all das, was an Infrastruktur, Partnern, Inkubatoren, Coworking Spaces schon vorhanden ist. Dem mussten und müssen die Hubs natürlich gerecht werden.

Dafür muss man ihnen Freiheit für flexible Antworten und eigene Profile geben. Diese Freiheiten wollen wir ihnen geben und im gleichen Atemzug die Profilschärfung einfordern. Aufgrund der Marktanalyse und der Gespräche sind meine Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP zu dem Schluss gekommen, unter verbesserten Bedingungen und geschärften Zielvorgaben die Hubs fortentwickeln zu wollen.

Wenn das Ministerium den Hubs einen Folgeauftrag erteilt, dann bauen die Hubs auf guten Grundlagen auf. Wir sind der Meinung, dass sich die Hubs vom Eigenverständnis her zu Digitalagenturen weiterentwickeln sollten, um als Mittler zu dienen – nicht in Konkurrenz zu den Angeboten von Kammern, Verbänden, Hochschulen und Privaten, sondern ergänzend dazu.

Die einzelnen Hubs haben weitgehend bereits Netzwerke aufgebaut, auch zum Mittelstand. Der Anspruch muss sein, dass die Netzwerke ineinander übergreifen – damit auch ein Bonner Start-up von einem Handwerksbetrieb in Münster profitieren kann und umgekehrt. Vernetzung ist dafür das A und O. Der Ausspruch des 20. Jahrhunderts „Think Big“ heißt heute „Think Connected“. Da müssen wir hinkommen, das ist unser Anspruch.

In den vergangenen Wochen wurde im Parlament die Frage aufgeworfen, ob und was wir mehr für soziale und nachhaltige Gründungsideen tun könnten. In Essen habe ich die Erfahrung gemacht, dass dort bereits sehr gut mit dem Impact Hub Ruhr zusammengearbeitet wird. In Aachen hat der Kollege Oliver Kehrl die Gründerin des Start-ups Pacific Garbage Screening kennengelernt, die sich um die Plastikbefreiung der Meere kümmert, ohne dabei Lebewesen zu gefährden. Das ist ein tolles Projekt mit weltweiter Aufmerksamkeit; entstanden in einem unserer nordrhein-westfälischen Hubs.

Diese Beispiele zeigen mir, dass es keine eigenen Social Labs des Landes braucht, sondern dass die existierenden Hubs als Drehscheibe und Berater dienen können. Das wollen wir mit dem Antrag betonen.

Eine wesentliche Aufgabe der Hubs muss auch sein, die vielfältigen Angebote des Marktes und des Staates als Agentur zu bündeln und zu kommunizieren. Die Entwicklungen der letzten Jahre sind positiv, aber vielfach unkoordiniert. Das wollen wir ändern.

Die einzelnen Hub-Netzwerke sollen sich zu einer NRW-weiten Metaplattform für digitale Innovation und Kompetenz entwickeln, auch um besser nach außen in den Markt zu wirken. Diesbezüglich bitten wir das Ministerium, explizit zu prüfen, wie administrative Aufwände und bürokratische Vorgaben minimiert werden können; denn auch das war ein Feedback aus all den Gesprächen vor Ort. Natürlich sind Finanzierungsnachweise bei öffentlicher Förderung notwendig, aber in dem Umfang und in der analogen Form oftmals nerven- und zeitraubend.

Wenn wir all das anpacken, dann stärken wir die Marke „Hub“ als Netzwerk für ganz Nordrhein-Westfalen, ebenso die vorhandenen Angebote der Szene sowie die Gründerinnen und Gründer unseres Landes. Das ist also eine Win-win-win-Situation. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP )

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Braun. – Als Redner der weiteren antragstellenden Fraktion der FDP hat nun Herr Abgeordneter Freynick das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Jörn Freynick (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal ein Dankeschön an den Kollegen Braun, der gerade sehr intensiv die Sicht der Digital Hubs geschildert hat.

Ich möchte die Sicht der Unternehmen ein Stück weit beleuchten. Die Digitalisierung stellt eine umfassende Umwälzung für die Gegenwart dar; nach der Industrialisierung kommt nun die Digitalisierung. Es ist wichtig, sie zu gestalten, und es ist wichtig, dass wir die Aspekte der digitalen Wirtschaft im Blick behalten.

Diese Entwicklung setzt eine Bereitschaft und ein entsprechendes Wissen in den Unternehmen voraus. Dies sind auch Voraussetzungen, um sich der Vorteile der Digitalisierung in der Arbeitswelt bewusst sein zu können. Die Bereitschaft zu dieser Entwicklung besteht bei den Unternehmen durchaus. Oft fällt es den bestehenden Unternehmen aber schwer, diese Entwicklung umzusetzen, da es an Know-how und Praxiserfahrung fehlt.

Um dies ermöglichen zu können, benötigen noch viele KMUs Hilfe und Aufklärung in Bezug auf dieses wichtige Themenfeld. Die besten Ansprechpartner dafür sind die sechs Digital Hubs, die wir in NRW haben. Diese erfüllen nämlich bereits eine wichtige Aufgaben bei uns im Land: Sie dienen als Inkubatoren der Entwicklung einer digitalen Wirtschaft und sind unerlässlicher Partner für die bereits bestehenden Unternehmen im digitalen Transformationsprozess.

Bei meinen Besuchen in den Digital Hubs in Bonn und Köln konnte ich mir selbst ein Bild davon machen, was allein in diesem Bereich an unserem Wirtschafsstandort geleistet wird und wie viel Vielfalt darin steckt. Dort befinden sich viele kluge Köpfe mit innovativen Potenzialen, die bereit sind, ihr Wissen in die Wirtschaft und die Gesellschaft einzubringen. Daher ist es unabdingbar, die Vernetzung der Digital Hubs zwischen der Gründerszene, der Forschung, der Industrie und dem Mittelstand zu intensivieren.

Die NRW-Koalition fordert die Landesregierung aufgrund dessen auf, dass die Digital Hubs fortentwickelt und regional angepasst werden, dass eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Hubs und den Hochschulen insbesondere mit den Exzellenz Start-up Centern zu bewerkstelligen ist und dass bürokratische Vorgaben für die Hubs auf Notwendigkeit kritisch überprüft werden. Des Weiteren soll es langfristig möglich sein, den Hubs ein eigenwirtschaftliches Arbeiten zu ermöglichen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass Drittmittel eingeworben werden können.

Eine stärkere Vernetzung unter den Hubs und auch die Herausbildung der Marke „Hub“ sind absolut wichtig, genauso wie auch nachhaltige und soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen, wenn Gründungsideen geprüft werden. Letztendlich verfolgen wir als NRW-Koalition mit diesen Maßnahmen das Ziel, die Digital Hubs in unserem Land zu verknüpfen und zu stärken und sie zu regionalen Digitalagenturen für bestehende KMUs und Neugründungen auszubauen.

Ich bitte daher, einer Überweisung in den federführenden Ausschuss für Digitalisierung sowie auch an den Wissenschafts- und den Wirtschaftsausschuss zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Freynick. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Schneider das Wort. Bitte schön.

René Schneider (SPD): „Die Branchenanforderungen hinsichtlich der Digitalisierung, der digitale Footprint und die regionale Wirtschaftsstruktur sowie vorhandene Acceleratoren, Inkubatoren und etablierte Coworking-Spaces sind im Land unterschiedlich stark ausgeprägt.“

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die meisten Menschen auf der Tribüne und daheim am Stream verstehen bei solchen Sätzen immer nur Bahnhof. Und dabei soll Politik doch eigentlich für die Menschen verständlich sein.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Henning Höne [FDP]: Trauen Sie den Menschen doch mal was zu! – Florian Braun [CDU]: Haben Sie eine Umfrage bei den Fraktionen gemacht?)

Im Bereich der Digitalisierung, so scheint mir, ist das aber nur selten der Fall, wie der vor uns liegende Antrag sehr deutlich macht. Deswegen möchte ich für alle Zuhörer hier und anderswo den Inhalt des Antrags von CDU und FDP kurz auf den Punkt bringen.

(Florian Braun [CDU]: Reden Sie doch mit uns!)

2016 hat die damalige rot-grüne Landesregierung eine von vielen guten Ideen gehabt. Wir haben damals Büros in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln, im Ruhrgebiet sowie in Münster aufgemacht, die für Existenzgründerinnen und -gründer da waren, die ganz spezielle Ideen mitbrachten, zum Beispiel hinsichtlich einer neuen Firma.

Heutzutage nennt man das Start-up. Junge Leute gründen keine Firmen mehr, sondern nur noch Start-ups, die im Internet Geschäfte machen wollen. Weil diese Büros Unternehmer, Geldgeber, andere Kreative und Wirtschaftsförderer miteinander verbinden, hat man sie Hub genannt. So nennt man am Computer kleine Kisten voll Technik, die Rechner sternförmig miteinander verbinden; siehe Wikipedia.

(Florian Braun [CDU]: Wissen das die Zuhörer eigentlich?)

Seit zwei Jahren läuft das so richtig gut. Dank der Kleinen Anfrage unseres Kollegen Matthi Bolte-Richter wissen wir: Nach unterschiedlichen Vorlaufzeiten haben die sechs Hubs bis heute rund 225 junge Unternehmen betreut und sie mit über 400 Unternehmen aus Industrie und Mittelstand zusammengebracht. Daran beteiligt sind über 30 Hochschulen, knapp 70 Investoren und fast 100 beteiligte Kooperationspartner in über 130 Städten und Gemeinden.

Also, alles gut, möchte man meinen. „Never touch a running system“, würde der Programmierer sagen. Frei übersetzt: Rüttle nicht an Dingen, die gut funktionieren. – Hier könnte man die verabredete Evaluation, also die Überprüfung, ob die Fördermittel an die Digital Hubs gut angelegtes Geld sind, abschließen. Ergebnis: alles gut.

Weder Herr Braun noch Herr Freynick haben Argumente vorgebracht, die wirklich werthaltig sind. Ich kann lesen, und ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen können lesen. Nur den Antrag zu paraphrasieren, ist ein bisschen knapp. Stattdessen stellen Sie einen Antrag, den wir als SPD sehr typisch für das aktuelle Regierungshandeln finden.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Jetzt hören Sie zu: Zunächst – und jetzt reden wir mal inhaltlich und kommen zu einer Bewertung – wollen Sie die Hubs – Zitat – mittelfristig eigenwirtschaftlich arbeiten lassen. Mithilfe von Drittmitteln und Erlösen sollen die Hubs ohne öffentliche Förderung auskommen. Bei Ihnen von der FDP nennt man das „Privat vor Staat“. Aber wie, bitte schön, soll ich mir das denn nun vorstellen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, entschuldigen Sie. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage beim Kollegen Braun. Wollen Sie die zu lassen?

René Schneider (SPD): Das können wir gerne am Ende machen. Ich würde das gerne einmal zusammenhängend vorstellen.

Bei Ihrer Idee, das eigenwirtschaftlich zu tun, wird es nämlich interessant. Wie wollen Sie das machen? Werden die hoffnungsfrohen, aber leider meist klammen Jungunternehmer für die Beratung dann zur Kasse gebeten, oder finanzieren Google und Facebook die Beratung der Start-ups? Und was ist dann die Gegenleistung? Dass die Gründungsberater Google Ads empfehlen oder Facebooks Big-Data-Paket gleich mit zum Verkauf anbieten? Besonders erfolgversprechende Geschäftsideen werden gleich an Rocket Internet oder Frank Thelen weitergemeldet, die dann ganz uneigennützig das neue Unternehmen unter ihre Fittiche nehmen?

Sie müssen uns noch mal in Ruhe im Ausschuss erklären, wie Sie sich das vorstellen. Das brauchen Sie gar nicht jetzt tun.

Ich lese viele sogenannte Optimierungsvorschläge, die doch längst selbstverständlich sind. Die Hubs sollen künftig eigene Profile entwickeln und den Gründern regional angepasste Angebote machen. Meine Damen und Herren, machen sie das nicht schon längst? Wie sonst soll denn deren Arbeit funktionieren? Das versteht sich doch von selbst.

Jetzt könnte man meinen, Sie wüssten es nicht besser, doch das ist falsch. Ich glaube, Sie fordern solche Dinge ganz plakativ, um sich anschließend als diejenigen feiern zu lassen, die ein rot-grünes Kind vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Ob sinnvoll oder nicht, da muss einfach irgendwas anders gemacht werden, damit man sich künftige Erfolge auf die eigenen Fahnen schreiben kann.

Momentan habe ich ein wenig das Gefühl, dass Sie auf der permanenten Suche nach Dingen aus der rot-grünen Zeit sind, die Sie in Ihrem Sinne umbranden können. Auch dieses Wort erkläre ich kurz: Das Branden ist das Versehen mit einer eigenen Marke. Es kommt aus der Zeit der Cowboys, die ihr Brandzeichen auf eine Kuh gesetzt haben.

(Henning Höne [FDP]: Jetzt hat sich Ihre Rede wirklich gelohnt!)

Dieses Bild finde ich sehr treffend; denn manchmal kommen Sie mir mit diesen Initiativen vor wie Cowboys, die über Nacht über einen Zaun auf eine fremde Weide geklettert sind. Jetzt eilen Sie ganz schnell von Kuh zu Kuh, um diesen prächtigen Tieren Ihr Brandzeichen aufzudrücken. Auch wenn andere den Tieren auf die Welt geholfen haben und sie aufgezogen haben, wollen Sie ihnen Ihren Stempel aufdrücken. So sehr ich diesen Wunsch verstehen kann, so sehr finde ich ihn auch gefährlich, weil er die Arbeit der Hubs gefährdet.

An dieser Stelle würden wir gerne mit Ihnen im Ausschuss weiter diskutieren. Deshalb stimmen wir selbstverständlich der Überweisung zu. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und schon jetzt für die folgende Frage. Ich wünsche Ihnen ein herzliches Glück auf und Gottes Segen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Sie haben Ihre Redezeit bereits um 33 Sekunden überzogen.

(Henning Höne [FDP]: Hat auch nichts genutzt!)

Ich bin geneigt, wenn alle einverstanden sind, die Zwischenfrage noch nachträglich zuzulassen, wenn auch Sie das tun. Aber ich weise darauf hin, dass die Zwischenfrage an sich anders vorgesehen ist. – Herr Kollege Braun, bitte sehr.

Florian Braun (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zumindest zum Schluss noch zulassen. Ihre eher belehrende Rede und Ihre Übersetzung von „Never change a running system“ haben mich doch durchaus … – Ich weiß, ich bin bei einer Zwischenfrage.

Ich darf die Frage stellen, ob Sie selbst auch mit den Hubs mal vor Ort gesprochen und auch mit den Akteuren diskutiert haben, ob sie denn vielleicht selber Verbesserungsvorschläge hätten, oder ob sie Ihrer Meinung anhängen, dass alles super und in Butter ist. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte, Sie haben das Wort.

René Schneider (SPD): Wenn das bei Ihnen oberlehrerhaft oder belehrend angekommen sein sollte, kann ich dafür noch nicht einmal um Entschuldigung bitten, weil das gar nicht so gemeint war. Aber es scheint ja zumindest einen Nerv getroffen zu haben.

(Zuruf von Florian Braun [CDU])

– Wollen Sie die Antwort hören oder nicht?

(Florian Braun [CDU]: Ja, bitte!)

Ich bin im Austausch mit den Hubs, und sicherlich gibt es Kleinigkeiten, die man verbessern kann; da ist aber nichts – das habe ich versucht, deutlich zu machen –, was so essenziell wäre, dass man hier so tun müsste, als gäbe es fundamentale Dinge zu ändern.

Vor allem kritisieren wir, dass hier Dinge genannt sind, die ohnehin automatisch laufen. Denn welcher Hub könnte nicht regional arbeiten und trotzdem erfolgreich sein? Sie fordern hier Selbstverständlichkeiten. Das gilt es zu kritisieren.

Darüber sollten wir einfach im Ausschuss noch einmal in Ruhe reden. Das wird dann sicherlich nicht belehrend sein, sondern hoffentlich fruchtbringend in dem Sinne, dass die Hubs ihrer erfolgreichen Arbeit auch weiterhin nachgehen können.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ja, ich bin – der Kollege Braun hat diese Frage aufgebracht – stolz darauf, dass wir die Hubs in der rot-grünen Regierungszeit an den Start gebracht haben. Das war eine gute Maßnahme; das war eine richtige Maßnahme. Ich bin stolz, dass es die Hubs gibt, und bin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre Arbeit dankbar.

Ich habe mir auch die sechs Hubs vor Ort angeschaut. Wir hatten einen kleinen Wettbewerb. Ich war, glaube ich, ein paar Tage langsamer als Sie, Herr Minister. Aber wir haben alle Hubs ungefähr zur gleichen Zeit nacheinander besucht.

Gerade wegen dieser Erfahrung, Kollege Braun, bin ich nicht ganz sicher, was Sie mit diesem Antrag eigentlich wollen. Ich habe mich jedenfalls gefragt: Was soll das eigentlich? Da hat mir Ihre Rede auch nicht wesentlich weitergeholfen. Denn auf der einen Seite finden Sie alles total gut – ich glaube, das ist auch sehr nahe an der Realität –, und auf der anderen Seite muss jetzt aber alles doch irgendwie anders und irgendwie weiter entwickelt werden.

Die Punkte, die Sie konkret benennen, passieren aber schon längst. Insofern finde ich persönlich: Dieser Antrag ist irgendwo zwischen unangemessen und frech. Denn Sie unterstellen doch im Grunde, dass die Hubs alles das, was eigentlich ihre Aufgabe ist, nicht tun. Das ist unangemessen.

Außerdem fragt man sich: Auf welcher Grundlage kommen Sie zu dieser Unterstellung? Die Evaluation läuft ja gerade noch. Auch da ist die Frage: Sind das jetzt eher gefühlte Wahrheiten, die Sie in Ihren Antrag geschrieben haben, oder wo nehmen Sie diese Dinge her?

Das kann man an drei Punkten festmachen. René Schneider hat einige davon gerade schon angesprochen.

Erstens: Regionalisierung. Die sechs Hubs sind ganz klar mit einem regionalen Ansatz gestartet. Ich wüsste nicht, wie man Regionalisierung noch regionaler machen sollte – es sei denn, Sie fügen noch zehn Hubs dazu. Dann könnten Sie kleinere Regionen bilden. Aber die Hubs reden mit den Mittelständlern in der Region, sie reden mit den Start-ups in der Region, sie reden mit den Hochschulen in der Region. Da noch mehr Regionalisierung einzufordern – ich weiß nicht, was Sie da vorhaben.

Gleiches gilt für die Kooperation mit Hochschulen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir sprechen immer wieder darüber, wie wir das eigentlich voranbringen können, dass es mehr Ausgründungen aus den nordrhein-westfälischen Hochschulen gibt. Auch da sagen Sie: Das müssen die Hubs irgendwie machen.

Ich habe an keiner Stelle die Erfahrung gemacht, dass das nicht funktionieren würde, und zwar, sowohl wenn man die Hubs fragt, als auch, wenn man die Hochschulen fragt. Das funktioniert ganz gut.

Bei den Drittmitteln und der Eigenwirtschaftlichkeit muss man einfach konstatieren: Es gibt bereits die regionalen Partnerschaften mit der regionalen Wirtschaft über die Konsortien, die jeweils die Hubs tragen. Das funktioniert vor Ort auch sehr gut.

Letzten Endes muss man bei dieser Drittmittelfrage immer im Auge behalten, dass es auch für die Hubs ein Vorteil ist, dass sie sich mit einer gewissen Unabhängigkeit am Markt bewegen und sich nicht alleine ein Unternehmen einen DWNRW-Hub hält oder Ähnliches mehr. Von daher sind wir da eigentlich auch sehr gut aufgestellt.

Genauso zeigen das auch die Zahlen. Ich habe es letztes Jahr abgefragt, ich habe es dieses Jahr abgefragt. In Aachen ist die Zahl der betreuten Start-ups im Hub von 55 auf 101 gestiegen, in Düsseldorf von 65 auf 119, im Ruhrgebiet von 24 auf 68. In den anderen Hubs sieht die Entwicklung ähnlich aus.

Also lautet die Frage: Warum wollen Sie jetzt grundlegend etwas ändern bei einem System, bei Institutionen, die auch so gut funktionieren? Was wollen Sie da eigentlich tun? Denn der einzige wirklich substanzielle Punkt, der vielleicht jetzt noch neu dazugekommen ist – neben dem, was man schon in dem Förderaufruf von 2016 nachlesen konnte –, ist tatsächlich der Bereich Sustainability, und da kann ich nur sagen: Es ist besser, nicht zu plagiieren als schlecht zu plagiieren. Ich finde, unser Ansatz, mit einer eigenen Struktur reinzugehen und nicht immer noch mehr Aufgaben in die bestehenden Hubs reinzupacken, ist klüger. Er ist auch klüger, weil er genau einer Forderung aus der Szene entspricht. Das werden wir nächste Woche im Ausschuss noch erleben. Ich glaube, auch da sind wir ordentlich aufgestellt.

Ich finde, die Mäkeleien in Ihrem Antrag sind der falsche Weg. Lassen Sie uns lieber die Hubs gemeinsam voranbringen. Lassen Sie uns die Hubs gemeinsam tragen. Sie machen eine wichtige Arbeit, und diese wichtige Arbeit machen sie gut. Lassen Sie uns heute den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Hubs für ihre gute Arbeit aussprechen.

(Beifall von den GRÜNEN und René Schneider [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort. Bitte schön.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man eine nüchterne Bestandsanalyse des Digitalstandorts NRW vornimmt, geht es für uns schon lange nicht mehr darum, um internationale Spitzenplätze zu ringen. Anders als der Minister noch neulich auf der Digitalkonferenz verkündete, stehen wir nicht davor, in die Champions League einzuziehen, sondern befinden uns leider eher im Abstiegskampf.

Bevor wir also von nordrhein-westfälischen Silicon Valleys träumen, sollten wir als Landespolitik dort unsere Hausaufgaben machen, wo wir wirklich gefragt sind, zum Beispiel bei der Bildung. Hier schneiden unsere Schüler im internationalen Vergleich regelmäßig mittelmäßig ab. Katastrophal wird es, wenn man sich die Leistungen in den MINT-Fächern anschaut.

Die digitale Infrastruktur – darüber werden wir heute noch sprechen – bewegt sich auf einem Niveau, das man bestenfalls einem Schwellenland zutrauen würde. Auch bei den Wagniskapitalgebern stehen Deutschland im Allgemeinen und NRW im Besonderen nicht besonders gut da.

All das sind keine besonders guten Voraussetzungen für eine blühende Start-up-Szene. Wenn aus diesen mageren Rahmenbedingungen trotzdem kluge Köpfe erwachsen, zieht es sie oft schnell ins Ausland, wo die Steuern niedrig und die Lebensbedingungen inzwischen häufig besser sind. Wir sind im Kampf um die klugen Köpfe längst nicht mehr konkurrenzfähig und bekommen eher die Leute ab, denen man noch elementare Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben beibringen muss.

Es gibt so viele Baustellen und offenbar wenig Ideen und wenig Willen, die Kernprobleme wirklich anzugehen. Projekte wie die Digital Hubs sind da eher Krücken, die die Defizite in anderen Bereichen bestenfalls kaschieren können. Ich will diesen Projekten, die noch unter Rot-Grün entstanden sind, die Erfolge gar nicht absprechen. Natürlich gibt es Erfolgsgeschichten. Natürlich wird da wertvolle Arbeit geleistet. Und natürlich ist all das besser als nichts. Aber es ist auch die Kür staatlichen Handelns.

Wir müssen erst mal in den Pflichtbereichen liefern: bei Bildung, bei Infrastruktur, beim Bürokratieabbau und bei der Standortaktivität. Der immer undurchdringlicher werdende Dschungel an Förderbürokratien entspringt einer eher planwirtschaftlichen Denke und produziert keine Digitalisierungsexperten, sondern Förderbürokratie-Experten. Früher hat sich der Gründer überlegt, wie er den Kunden begeistern kann. Heute schaut er mehr auf die Förderbürokratien und wie er diese davon überzeugen kann, dass seine Idee sozial gerecht und nachhaltig ist, wie es im Antrag heißt.

Vor diesem Hintergrund ist es zumindest anzuerkennen, dass die Regierungsparteien dieses Projekt nun evaluieren und einige Fehlentwicklungen, wie zum Beispiel Doppelstrukturen, abschaffen wollen.

Im Wesentlichen geht es aber wohl – das klang auch schon an – eher darum, wer sich mit diesen Hubs schmücken darf. Ob vor diesem Hintergrund bei der Debatte im Ausschuss besonders viel herauskommen wird, wagen wir zu bezweifeln.

Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Professor. Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien die Weiterentwicklung der Initiative „Digitale Wirtschaft Nordrhein-Westfalen“ beschlossen. Die sogenannten DWNRW-Hubs sind das Kernelement dieser Initiative. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren eine wichtige Aufbauarbeit geleistet, die wir von Anfang an tatkräftig unterstützt haben.

Daher freut es mich sehr, dass die Fraktion der CDU und die Fraktion der FDP mit dem vorliegenden Antrag die Bedeutung der Hubs als regionale Drehscheiben betonen und deren Weiterentwicklung fordern. Genau hieran arbeiten wir mit großer Begeisterung. Nordrhein-Westfalen will künftig noch mehr Lust auf digitale Gründungen machen. Die Landesregierung will die Anziehungskraft auf digitale Start-ups und Spin-offs erhöhen und eine deutschlandweite, international herausragende Gründerszene aufbauen.

Viele etablierte Unternehmen gerade aus dem Mittelstand Nordrhein-Westfalens haben erkannt, wie wichtig der Kontakt zur digitalen Gründerszene ist, um bestehende Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, neue Geschäftsfelder zu erschließen und technologischen Fortschritt frühzeitig aufzugreifen. Sie haben ein hohes Interesse an einer lebendigen Gründungskultur direkt vor ihrer Haustür.

Diese Dynamik wird die Landesregierung unterstützen und erhöhen. Dabei halten wir an der bewährten Struktur fest: In den Zentren arbeiten die Hubs, und in den Flächen sind die Networks aktiv. Im Übrigen bauen wir diese Networks tatkräftig weiter aus.

Die Hubs sind ein bedeutender Hebel für die regionale und überregionale Vernetzung von Start-ups, mittelständischen Firmen, Venture Capital, Großunternehmen und unseren Hochschulen. Sie tragen mit ihrer Arbeit dazu bei, dass in Nordrhein-Westfalen die Zahl der erfolgreichen digitalen Gründungen steigt, zunehmend digitale Geschäftsmodelle in etablierten Unternehmen entwickelt werden und ein NRW-weites Start-up-Ökosystem weiter mit aufgebaut werden kann.

Kürzlich wurde eine interne Evaluation der Hubs in meinem Haus durchgeführt. Diese hat in meinen Augen gezeigt, dass sich die Hubs als zentrale Akteure in ihren jeweiligen regionalen Ökosystemen etabliert und Start-ups mit Mittelständlern und Großunternehmen zusammengebracht haben – auch wenn es Unterschiede gibt. Das will ich bei aller Anerkennung und allem Dank sagen. Es wäre komisch, wenn jeder Hub gleich funktionieren würde.

Eine unabhängige Jury wird am 13. Dezember dieses Jahres auf der Basis der neuen Projektanträge über die Weiterförderung der Hubs gegebenenfalls mit Auflagen zu entscheiden haben. Um die Arbeit der Hubs zu verstetigen und tiefer wirken zu lassen, habe ich entschieden, den Förderzeitraum für die erfolgreichen Anträge nicht nur, wie bisher vorgesehen, auf zwei Jahre zu begrenzen, sondern auf drei Jahre zu verlängern. Das eröffnet den Hubs die Perspektive, ihr Profil zu hinterfragen und zu schärfen und sich für fast vier Jahre etwas vornehmen zu können.

Da möchte ich Ihnen, Herr Bolte-Richter, widersprechen, wenn Sie sagen: Es ist doch besser, es einfach weiterlaufen zu lassen. Deswegen begrüße ich den Antrag der Koalitionsfraktionen, weil im Zeitalter der Digitalisierung schon zwei Jahre eine sehr lange Zeit sind, drei Jahre erst recht. Und das merken die Hubs selbst, weil sich um sie herum – das ist ja das Positive – in jüngerer Zeit noch viele andere Akzeleratoren gegründet haben.

Eine gemeinsame Veranstaltung – Sie haben sie auch selbst besucht; einige von Ihnen jedenfalls – hat gezeigt, dass wir mittlerweile hier in Nordrhein-Westfalen allein 25 verschiedene Akzeleratorenprogramme haben. Es muss unser Ziel sein – neben vielen Coworking Spaces –, dort keine Doppelarbeit zu leisten, sondern immer genau das komplementär anzubieten, was Private selbst noch nicht leisten, damit die staatliche Hilfe ganz gezielt ihren Zweck erfüllen kann.

Insofern finde ich es großartig, dass die Hubs jetzt Gelegenheit nehmen können, sich im Lichte der Selbstevaluierung und der von uns vorgenommenen Evaluierung zu fragen: Wie geht es weiter? Wie können wir unsere Arbeit fortentwickeln? Wie können wir sie in neue Konzepte einbinden, wie wir sie jetzt mit den Exzellenz-Start-up-Centern zusätzlich an den Start bringen wollen, um zu einem in sich voll funktionsfähigen und erstklassigen Gründungs- und Innovationsnetz in Nordrhein-Westfalen zu kommen?

Ich freue mich über die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, aber auch über die freundlichen Kommentierungen der Abgeordneten aus der Opposition. Ich denke, das wird alle beflügeln, die hier bislang gut gearbeitet haben und dies gerne auch in Zukunft fortsetzen wollen. –Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit sind am Ende der Beratungen zu Tagesordnungspunkt 7.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung des Antrags Drucksache 17/4114 an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation – federführend –, an den Wissenschaftsausschuss sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung stattfinden. Ist jemand dagegen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Nein. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Wir rufen auf:

8   Strukturwandel im Rheinischen Revier konkret machen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4117

Die Aussprache ist eröffnet. Für die SPD-Fraktion – ich habe etwas gelernt seit heute Morgen – spricht nun Herr Kollege van den Berg. – Bitte, Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Guido van den Berg (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin noch einmal darüber nachgedacht, Herr Präsident. Es wäre natürlich reizvoll, wenn das hier ein Wunschkonzert wäre und ich einfach mal für die CDU-Fraktion die Rede halten könnte. Den Ball können wir gerne noch einmal aufnehmen.

Herr Minister Pinkwart – ich sehe ihn jetzt gerade nicht, aber ich hoffe, er ist nicht weit – hat vorhin noch einmal darstellen wollen, dass der Zwischenbericht der WSB-Kommission doch nicht ganz so enttäuschend ist, weil er über 40 Seiten stark ist. Ich will noch einmal deutlich sagen, dass dies in der Region anders wahrgenommen wird. Wenn man den beschreibenden Teil und Ähnliches weglässt, sind nur auf zwei Seiten konkrete Maßnahmen dargestellt. Das ist letztendlich netto eine DIN-A4-Seite. Das ist deutlich zu wenig.

Das kommt der Aufgabe, konkret zu beschreiben, was die Entwicklungspfade sind und sein können, und auf welche Strukturen wir vor Ort zurückgreifen können, nicht ausreichend nach. Ich will Ihnen gar keinen Vorwurf machen. Das liegt auch mit Sicherheit an der Zusammensetzung der Kommission, an dem Beratungsauftrag und an vielem mehr.

Um Vertrauen in der Region zu gewinnen, ist es aber wichtig, mehr zu liefern als am Ende nur ein Ausstiegsdatum und einen Preiszettel. Vielmehr muss so etwas wie ein Plan und auch eine Antwort auf die Frage erkennbar werden, was mit der nachgelagerten Industrie, die heute von sicherer und preisgünstiger Versorgung abhängig ist, geschieht.

Unser Eindruck ist leider, dass wir diesen Prozess in den letzten Monaten nicht ausreichend begleitet haben und nicht genug in die Tiefe gegangen sind. Ich weiß, dass das Wirtschaftsministerium sehr aktiv war und dass Sie, Herr Pinkwart, sich mit einzelnen Akteuren der Kohlekommission abgestimmt haben.

Man kann das aber nicht mit dem vergleichen, was der Osten gemacht hat. Die haben Telefonbücher an Maßnahmen vorgelegt und diese sehr breit in einem laufenden Prozess abgestimmt. Die machen dort einen abgestimmten Prozess mit den Industrie- und Handelskammern, mit den Fachhochschulen, mit den Bildungsträgern der Region und vor allem mit den Bürgermeistern aller betroffenen Kommunen. Sie wissen, Herr Professor Pinkwart, dass die Lausitz-Runde dort sehr aktiv ist. Dort findet kommende Woche zum Beispiel ein Abstimmungsgespräch mit den beiden Ministerpräsidenten statt. Da kommen Herr Woidke und Herr Kretschmer, um gemeinsam zu diskutieren, wie es weitergeht.

Davon sind wir leider ein Stück weit weg. Auch ist unser Konkretisierungsgrad nicht so hoch. Daher soll unser Antrag heute dazu dienen – ebenso mit Sicherheit auch der Antrag der Grünen-Fraktion –, diesen Konkretisierungsgrad zu erhöhen.

Wir legen Ihnen heute dazu 33 Punkte vor, von denen wir glauben, dass es sich um Projekte handelt, die in diesen Strukturwandelprozess eingebracht werden können. Ich will heute nicht jeden einzelnen Punkt vorstellen, aber deutlich machen, dass dabei Punkte sind wie zum Beispiel ein virtuelles Kraftwerk. Das entwickelt insbesondere das große Know-how und das große Können der Arbeitnehmerschaft im Bereich Energie- und Steuerungstechnologie weiter in die Zeit der erneuerbaren Energien, der fluktuierenden Energien und bietet dort sinnvolle Lösungen an. Die sind mittlerweile so weit, dass sie für diese Leittechnik gerne eine Factory bauen würden. Dafür haben sie ganz konkrete Planungen. Von daher meine ich, dass es sich um ein Vorzeigeprojekt handelt.

Sie selber, Herr Minister, haben bezüglich der Batterien das Thema „Speicher“ angesprochen. Ich sage sehr deutlich: Sie alle wissen, dass es dafür erst einmal ein Marktmodell geben muss, bevor man das überhaupt in einen vernünftigen Rollout bringen kann.

Aber in der Region gibt es noch deutlich mehr. Es gibt Überlegungen zum Thema „Wasserstoff“, zum Thema „chemische Speicher“; wir haben ja den Kölner Chemiegürtel vor der Tür. Und auch zum Thema „Schwungradspeicher“ haben wir sehr innovative Unternehmen, die dort etwas bewegen.

Wir glauben, es müssen konkrete Projekte weiterentwickelt werden, die vor Ort schon entwickelt worden sind wie der Brainenergy Park in Jülich, der auf Grundlagen von Überlegungen der FH Aachen entsteht, und der Solarcampus. Ich will das Industriedrehkreuz Weisweiler erwähnen, weil das ein integriertes Konzept eines Railports ist, das für die Region eine ganz große Ausstrahlungskraft haben kann.

Ich will die LEP-Flächen benennen, weil Sie als Minister und das Land dabei unmittelbar tätig werden können. Ich denke da an Grevenbroich oder auch an das Rheinische Sixpack, das bereits über Regierungsbezirksgrenzen hinweg agiert. Das sind Kommunen, die alle diese Grenzen schon aufgegeben haben, die sich aber mehr Unterstützung des Landes wünschen. :terra nova Klimahülle ist zu nennen, ebenso vieles andere.

Ich will zum Schluss noch erwähnen, dass wir auch Projekte wie Closed Carbon Cycle Economy in Niederaußem, Bioökonomie Huminstoffe und das Metal Camp im Rhein-Kreis Neuss haben. Diese Projekte kann man in Zukunft stärken.

Ich habe vorhin zum grünen Antrag gesagt, dass wir auch das Thema „Rekultivierung“ einmal anders darstellen müssen. Ich glaube, auch dieses Thema ist es wert, das hohe ökologische Niveau, das wir dort entwickelt haben, im Rahmen einer Fachhochschule oder einer Campusausgründung in die Breite zu tragen.

Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss. Wir wissen, dass unser Antrag mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss ist, aber die Debatte muss konkret werden. Dazu legen wir Ihnen heute diesen Antrag vor. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Dr. Peill das Wort.

Dr. Patricia Peill (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Strukturwandel konkret gemacht“ – als ich diesen Titel las, habe ich mich, ehrlich gesagt, darauf gefreut und gedacht: So, jetzt endlich, Schulter an Schulter gehen wir hier einen Schritt nach vorne.

Ich habe dann die Einführung gelesen. Analyse und Ausgangslage, Zielsetzung der präventiven Strukturpolitik – ja, da sind wir wie immer nah beieinander. Dann kamen aber zwei Drittel des Antrags mit 33 Projekten, und ich habe gedacht, dass das wie eine gute Seminararbeit ist. Es wurde alles Mögliche zusammengetragen, ein wenig die Landesregierung kritisiert. Ein konkretes Mehr als das, was wir schon haben, konnte ich jedoch fast nicht finden.

Mir fiel dann auf, dass uns die Strukturwandelkommission in eine Art Zeitmaschine gesetzt hat, und das geht unglaublich schnell. Vielleicht merken wir in der Verantwortung auch ein wenig stärker, wie schnell das geht, als in der Opposition. Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, die vorhandenen Projektideen stark zu konkretisieren, Prioritäten zu setzen und zu sehen, welches Zeitfenster für den Wandel es in den einzelnen Tagebauregionen oder Revieren zu definieren gilt und wie wir die Kommunen vor Ort unterstützen können. Wir befinden uns bereits in diesem Prozess, und wir wären froh, wenn Sie mit rüberkommen würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Sammlung guter Projektideen zu Ihrer Regierungszeit in die IRR eingebracht hätten. Das hätte unser Rheinisches Revier früher und konkret nach vorne gebracht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Heute wäre ich froh gewesen, wenn Sie einen konkreten Vorschlag gemacht hätten, wie wir einen SPD-Finanzminister davon überzeugen können, mehr Mittel für den Strukturwandel zur Verfügung zu stellen.

Was ich sagen möchte, ist: Dort, wo Sie mit diesem Antrag stehen, ist der Zug schon durch den Bahnhof gefahren. Wir sind schon zwei Stationen weiter.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Recht gebe ich Ihnen natürlich, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier ein doppeltes Vorzeichen hat. Einerseits haben wir diese regionalen Strukturwandel, andererseits stehen wir alle unter einem riesigen globalen Strukturwandel im Zeichen der Digitalisierung. Wir müssen wir gemeinsam diese Chancen nutzen, gemeinsam diese Herausforderungen annehmen und – ich denke, da sind wir auch ganz beieinander – jede Art von negativen Strukturbrüchen vermeiden. Es bedarf jetzt bei uns im Revier eines weiteren Schritts. Wir müssen die Bedingungen fürs Gelingen festlegen und Mut zum Handeln haben.

Ich komme nun zu den 33 Projekten in Ihrem Antrag. Vieles davon ist wirklich richtig – das muss ich einfach sagen, und ich freue mich auch auf die Diskussion –, es ist aber nicht so viel Neues. Was gibt es denn schon? Wir haben das heute schon sehr oft gehört: Die Stakeholder des Rheinischen Reviers haben sich auf vier Zukunftsfelder und daraus abgeleitete Ziele und Strategien für eine nachhaltige Strukturpolitik verständigt.

Es wurden Ideen der teilräumlichen Initiativen, der Kreistage, des Regionalmanagements, von Werkstätten hineingetan – ich möchte mich von hier aus einmal ausdrücklich für all das Engagement bedanken – und zu einem Gesamtregionalkonzept zusammengefasst. Daraus wurde dann mit der ZRR und der Landesregierung das Sofortprogramm, woraus wiederum Starterprojekte erwuchsen. Vor bereits acht Wochen wurde das Ganze der Strukturkommission übergeben. Fast alle dieser 33 Projekte finden sich in einem dieser Berichte wieder.

Die Projekte wurden von Minister Pinkwart und Staatssekretär Dammermann, denen ich an dieser Stelle sehr danken möchte, in die Beratung der Kommission so eingebracht, dass sie sich in dem differenzierten Zwischenbericht vom 25. Oktober dieses Jahres widerspiegeln. Deswegen – und jetzt zurückkommend auf die Fragestunde – kann man großes Vertrauen haben, dass sich die Sachen auch bei der Steinkohle widerspiegeln, wenn sich unser Staatssekretär und unser Minister dafür einsetzen.

Dieses Engagement der Landesregierung ist ein ganz konkretes Engagement für den Strukturwandel. Sie hingegen kritisieren, dass der Regierung eine Strategie in der Landesregierung fehle, obwohl unsere Landesregierung in den letzten Monaten für den Strukturwandel mehr umgesetzt und sich für NRW in Berlin mehr eingesetzt hat als die Regierung davor in sieben Jahren. Sie sprechen, denke ich, von einem gesellschaftlichen Konsens – wir auch –, den Sie mit diesem Antrag aber unterlaufen.

Die ZRR hat in einem breiten Konsens zusammen mit der SPD und den Grünen vier Zukunftsfelder identifiziert. Ich sage sie heute noch einmal: Raum und Infrastruktur, Energie und Industrie, Innovation und Bildung, Ressourcen und Agro-Business. In diesen Zukunftsfeldern werden alle Projekte eingegliedert. Eine Neuordnung, wie Sie sie hier vornehmen, verwässert die strategische Ausrichtung der Konzepte und damit der Handlungsfelder. Das schwächt unsere Region, und das kann nicht Ihr Wille sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Schluss: Wir müssen uns jetzt einfach aus der Phase des Jagens und Sammelns von Projektideen herausbewegen, wir müssen uns auf die Umsetzung konzentrieren, und wir müssen die Menschen mitnehmen. Ziel des Strukturwandels ist, den Menschen wieder regionale Geborgenheit zurückzugeben. Und das schaffen wir nur, wenn wir jetzt an einem Strang ziehen und uns nicht parteipolitisch profilieren; denn das schwächt uns.

In diesem Sinne stimmen wir der Überweisung zu, und ich freue mich auf die Beratung im Detail. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Peill. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Wir sprechen heute zum zweiten Mal über die Zukunft des Rheinischen Reviers, und es steht noch ein dritter Punkt zu diesem Thema auf der Tagesordnung. Heute Mittag haben uns die Grünen noch einmal deutlich aufgezeigt, dass sie die Ausgangslage und die aktuelle Situation zur Strukturkommission, zur Versorgungssicherheit und zur Bezahlbarkeit der Energie nach unserer Auffassung völlig falsch einschätzen

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und deshalb vielfach zu falschen Schlüssen kommen, was die Gestaltung der Zukunft angeht.

Diesen Vorwurf – das will ich eingangs deutlich sagen – kann man dem Kollegen der SPD jedenfalls nicht machen. Hier wird zumindest anerkannt, dass die Politik alles tun muss, um Strukturbrüche im Rheinischen Revier abzuwenden, und dass die Energiepreise und die Versorgungssicherheit zentrale Aspekte bei der Energiewende sein müssen.

Man merkt auch – bei Guido van den Berg ist das bekannt –, dass die SPD hier durchaus fleißig war. Sie haben sich die Mühe gemacht, das im September beschlossene Wirtschafts- und Strukturkonzept der Zukunftsagentur Rheinisches Revier nicht nur zu lesen, soweit es nicht bekannt war, sondern die wesentlichen Punkte in einem Antrag aufzuschreiben.

Ich finde es schade, dass hier jetzt ein wenig der Klang hineinkommt, das seien alles Ideen, die von der SPD entwickelt worden seien. Aber sei es drum. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter.

In dem angesprochenen Wirtschafts- und Strukturkonzept haben die Akteure der Region zusammen mit der Landesregierung – die Akteure der Region vor allem – viele gute Ideen entwickelt, um die Zukunft des Rheinischen Reviers zu gestalten. Es liegt mir übrigens ebenfalls fern, zu behaupten, dass das nur durch oder aufgrund dieser Landesregierung so ist. Das Konzept ist, wie schon gesagt, eine Leistung der Akteure in der Region in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der Landesregierung.

Mit der Gestaltung der Zukunft des Rheinischen Reviers müssen wir dringend anfangen, noch bevor der Kohleabbau und die Kohleverstromung zu Ende gehen. Wenn es erst einmal zu Strukturbrüchen kommt, dann wird es unendlich schwer, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Region wiederherzustellen. Dann brechen den Kommunen die Einnahmen weg, dann verlieren die Menschen ihre Arbeit, und dann verliert die Region ihre wesentlichen Zukunftsperspektiven.

Das müssen wir immer im Blick haben. Denn wir wollen die Fehler aus anderen Teilen des Landes, namentlich dem Ruhrgebiet, hier nicht wiederholen, auch wenn die Strukturen – das ist heute Morgen auch schon an geklungen – sicherlich nicht vergleichbar sind.

Wir wollen und wir werden rechtzeitig in die Zukunft des Rheinischen Reviers investieren. Die NRW-Koalition will und wird die Region dabei unterstützen, die weltweit innovativsten und modernsten Zukunftstechnologien in das Rheinische Revier zu holen, um ein neues Silicon Valley – so ist es schon formuliert worden – für Schlüsseltechnologien der Zukunft zu werden und gleichzeitig damit auch die Voraussetzungen für einen modernen Industriestandort in Nordrhein-Westfalen weiterhin zu schaffen.

Ich möchte ein Projekt beispielhaft herausgreifen, weil es unmittelbar das Wohnumfeld, in dem ich lebe, betrifft und weil es ein gutes Beispiel für Projekte ist, die die Region wirklich voranbringen können, und weil dort heute Morgen ein etwas anderer Zungenschlag hineingekommen ist.

Wir diskutieren derzeit in diesem Kontext – ich bin dem Wirtschaftsminister außerordentlich dankbar, dass er das ganz prominent gemeinsam mit dem Landrat des Rhein-Erft-Kreises eingebracht hat – eine Ausgründung der TH Köln, einen Campus Rhein-Erft in Erftstadt. Der Standort, über den wir hier reden, liegt direkt am Rande des Reviers und befindet sich unmittelbar in dem Bereich, wo vor 70 Jahren die Braunkohle abgezogen ist, exakt im Bereich der rekultivierten Fläche.

Hier sollen in einer modernen Bildungseinrichtung Angebote gemacht werden, um den Herausforderungen des Reviers etwa bei der Raumplanung zu begegnen, um gleichzeitig dringend benötigte Fachkräfte auszubilden und zur Verfügung zu stellen und zum Beispiel auch Ausgründungen zu ermöglichen, die einer solchen neuen Struktur wichtige Impulse geben können.

Das ist der richtige Weg, um die Voraussetzungen zu schaffen, in dieser Region auch zukünftig die Wachstumspotenziale, die Arbeitsplätze und den Wohlstand zu erhalten. Dazu gehören natürlich auch viele weitere Projekte wie Infrastrukturmaßnahmen, Forschungsvorhaben, Digitalisierungs-, Industrie- oder Freizeitprojekte. Ich will deutlich sagen, Guido van den Berg, der Satz heute Morgen, dass sich die Leute im Revier für dumm verkauft fühlen, wenn solche Projekte mit in die Strukturwandeldiskussion eingeführt werden – das sehe ich deutlich anders.

Es ist am Ende nicht entscheidend, welche Projekte zu welchem Zeitpunkt von wem entwickelt worden sind, um diesen Leitgedanken des Strukturwandels voranzubringen, um auf das Konto des Strukturwandels einzuzahlen. Entscheidend ist, dass tragfähige Perspektiven aus diesen Projekten hervorgehen. Entscheidend ist, Zukunftsperspektiven für das Rheinische Revier zu generieren.

Wir alle wissen, dass die Braunkohleverstromung heute noch wichtig und unerlässlich, aber eben eine Brückentechnologie ist. Ein Ende wird kommen. Darauf muss die Politik reagieren. Diese Landesregierung wird darauf reagieren. Ich freue mich wirklich darauf, unter diesem Leitgedanken über den Antrag im Ausschuss zu beraten.

Lassen Sie mich einen letzten Satz anfügen, Herr Präsident, weil mir das aus der Diskussion von heute Morgen noch ein Anliegen ist.

Ich sehe mit Sorge, dass hier namentlich seitens der Grünen – das sage ich ganz ohne Angriff – von teilweise völlig anderen Voraussetzungen, von Studien, die hinterher nicht nachgewiesen werden, von Kosten, die gar nicht so hoch werden oder die an der anderen Stelle gar nicht so ins Gewicht fallen, gesprochen wird, dass Klimaschutz, der uns alle antreibt, hier in erster Linie national gesehen wird und in Kauf genommen wird, dass Zielen, die Sie noch in den 80er- und 90er-Jahren bis in die 2000er-Jahre verfolgt haben wie etwa den Atomausstieg, rein nationale Aufmerksamkeit gewidmet wird

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

und es Ihnen egal ist, was in anderen Ländern passiert. Ich sage Ihnen sehr klar: Wir müssen hier zu einer gemeinsamen Basis und zu einer gemeinsamen Sachlichkeit kommen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Denn sonst ist das nicht im Sinne des Landes Nordrhein-Westfalen oder der gesamten Bundesrepublik, es ist nicht im Sinne der Menschen, und es ist am Ende des Tages vor allen Dingen auch nicht im Sinne des Klimaschutzes, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss sagen, Herr van den Berg von der SPD, Sie haben sich in der Kritik an unserem Grünenantrag heute Vormittag relativ weit aus dem Fenster gelehnt, um hier einen Antrag vorzulegen, der aus meiner Sicht keinen erkennbaren Mehrwert gegenüber bereits bekannten Papieren hervorbringt. Das finde ich schon kurios.

Wenn man sich diesen Antrag anschaut, dann stellt man eine Aneinanderreihung von Einzelprojekten fest. Sie haben selbst gesagt, es sind 33 Projekte. Das kann man gut und richtig finden. Ich finde allerdings, dass daran genau die gleiche Kritik angebracht ist, die wir auch an der Landesregierung üben, nämlich dass Leitlinien und Strategien für das Rheinische Revier insgesamt fehlen.

Dass ich die gleiche Kritik wie an die Landesregierung auch an Sie richte, ist, ehrlich gesagt, auch kein Wunder, wenn man sich das anschaut, was Sie in dem Antrag haben, und das mit dem Sofortprogramm von Minister Pinkwart vergleicht. Wir haben dort vier Projekte, die Sie wortwörtlich kopiert haben, und acht Projekte, deren Bezeichnung sprachlich leicht verändert ist. Ich finde es, ehrlich gesagt, ein bisschen peinlich, dass Sie sich das einfach so einverleiben, ohne das hier zu sagen. Das zeigt, wie wenig Neues hier dabei ist.

Ich möchte ganz klar sagen: Heute Morgen haben wir den Vorwurf zu hören bekommen, dass die Strategien und Leitlinien, wie wir sie als Grüne vorgestellt haben, dafür da wären, den Regionen und den Leuten vor Ort etwas zu diktieren. – Das Gegenteil ist der Fall! Es muss doch so sein, dass eine Landesregierung Leitlinien entwickelt und all die Strategien, all das, was vor Ort passiert, zusammenführt und Netzwerke und Hilfen bereitstellt. Nur so funktioniert das. Alles andere würde bedeuten, dass sich eine Landesregierung einfach aus der eigenen Verantwortung stiehlt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch ein weiterer Punkt ist sehr auffällig. Dass wir unterschiedliche Meinungen zur Leitentscheidung haben, ist, glaube ich, keine Neuigkeit. Wenn man sich aber die Darstellungen in Ihrem Antrag anschaut, dann zeigt das schon das Grundproblem, nämlich dass Sie als SPD nicht ehrlich mit den Menschen vor Ort sind.

Sie tun so, als ob es bis 2045 im Rheinischen Revier so weitergehen könnte wie bisher. Aber spätestens seit dem Einsetzen der Kohlekommission sollte wirklich auch dem Letzten klar sein, dass der Kohleausstieg früher kommt und dass wir dafür Lösungen parat haben müssen. Ich finde, Sie sollten aufhören, den Menschen Sand in die Augen zu streuen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Weil die Zeit es jetzt nicht hergibt, und wir noch länger darüber diskutieren werden – so wollen Sie es jedenfalls –, kann ich heute nicht auf jedes Ihrer 33 Projekte eingehen. Sicherlich sind auch einige Projekte dabei, die Ähnlichkeiten mit einigen von unseren Ideen haben. Ein paar Projekte, die vor Ort schon laufen, sind sicherlich richtig.

Ich möchte zwei Aspekte herausgreifen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, würden Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn van den Berg gestatten?

Wibke Brems (GRÜNE): Natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr freundlich. – Bitte schön.

Guido van den Berg (SPD): Vielen Dank, Frau Brems, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass wir den Menschen Sand in die Augen streuen und einen vorzeitigen Ausstieg aus der Verstromung der Kohle nicht kommunizieren würden. Das sei in unserem Antrag so nachzulesen. Ich würde gerne mal die Fundstelle wissen, wo das stehen soll.

Wibke Brems (GRÜNE): Das mache ich doch gerne. Gut, dass ich den Antrag mitgenommen habe. Es ist genau der Punkt, den ich gerade schon genannt habe, wo Sie sich – wie Sie immer sagen – zur Leitentscheidung bekennen und damit bekräftigen – so steht es hier –, „... dass es mit der Leitentscheidung einen Plan zum Ausstieg aus der Braunkohleverstromung gibt.“

Sie suggerieren damit: Genau das ist der Plan, und davon weichen wir nicht mehr ab. Das bleibt haargenau so. – Damit streuen Sie den Leuten Sand in die Augen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme jetzt, wie ich gerade schon gesagt habe, zu einigen einzelnen Projekten. Ich habe mir einmal Ihre Ideen zum Thema „Erneuerbare Energien“ angesehen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Da lesen wir, dass Sie nur den „Innovationspark Erneuerbare Energie Jüchen“ erwähnen, dann noch einen schon vorhandenen Windpark sowie einige kleinere Ideen für Projektanlagen von Straßen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Da ist ja sogar diese Landesregierung weiter,

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

die wenigstens 1 GW zusätzliche erneuerbare Energien für die Region fordert. Da hätte ich schon mehr von Ihnen erwartet. Wenn wir wollen, dass diese Region eine Energieregion bleibt, dann muss man schon die Anstrengung erhöhen und kann nicht nur auf vorhandene Windparks verweisen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Zu guter Letzt möchte ich noch auf den Punkt zu sprechen kommen, den Sie hier noch einmal ausführen: Das ist die stoffliche Nutzung der Braunkohle. Sie sagen hier, diese sei klimaneutral, und Sie wollen sie auch noch für Dünger einsetzen. Ich finde das wirklich problematisch, und es zeigt auch wieder, dass Sie nur am Alten und an überkommenen Strukturen festhalten wollen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Es ist klar, dass die Braunkohleverstromung ein Ende hat, und auch die Tagebaue werden ein Ende haben. Das werden Sie nicht künstlich weiter in die Länge ziehen. Das ist kein Projekt, das zukunftsfähig ist.

(Dietmar Brockes [FDP]: Dem haben Ihre Kollegen zugestimmt in der Enquetekommission!)

Zu guter Letzt möchte ich noch eine wirklich ernstgemeinte Frage an die SPD stellen. In dem Forderungsteil sagen Sie konkret, dass Sie die Landesregierung auffordern, sich mit Nachdruck für einen erfolgreichen Abschluss der Arbeit der „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ einzusetzen.

Aber Sie wollen auch, dass die Projekte und Maßnahmen, die Sie anführen, in der Kohlekommission eingebracht werden. Wenn Sie das wirklich wollen, dann verstehe ich nicht, warum wir das Ganze jetzt überweisen und in den nächsten Wochen noch darüber sprechen sollen. Wir schaffen es garantiert nicht, dass dieser Antrag wieder rechtzeitig hierher zurückkommt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie es wirklich wollen, dass die Landesregierung das Ganze mitnimmt, dann sollten wir es jetzt verabschieden und nicht erst überweisen. Wenn Sie jedoch wollen, dass wir überweisen und in den nächsten Wochen noch darüber sprechen, dann mache ich das gern und freue mich darauf. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Herr Loose spricht nun für die AfD-Fraktion.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich musste zweimal hinschauen; denn ich dachte zunächst, es wäre ein schrulliger Träumerantrag der Grünen. Es entpuppte sich dann aber tatsächlich als ein SPD-Antrag.

Anscheinend waren Sie gemeinsam auf einem Seminar,

(Beifall von der AfD – Frank Müller [SPD]: Das machen wir jedes Wochenende!)

vermutlich mit dem Titel „Wie vernichtet man deutsche Arbeitsplätze mit radikalen Öko-Fake-Projekten?“

Gehen wir Ihren Antrag doch mal durch. Auf Seite 1 beklagen Sie allen Ernstes, dass der Braunkohlentagebau durch seine Flächeninanspruchnahme die Kommunen über Jahrzehnte gehindert habe, Flächen für andere Wirtschaftszweige bereitzuhalten.

Ich muss Ihnen mal ein Geheimnis anvertrauen: Man kann eine Fläche gleichzeitig immer nur an eine Einheit geben, genauso wie man einen Euro auch nur einmal ausgeben kann. Wenn Sie also ein Grundstück beispielsweise an einen Autohersteller geben, können Sie es natürlich nicht mehr für die Bäckerei vergeben usw.

Das Schlimme an Ihrer Aussage ist aber Ihre Intention. Sie beschimpfen hier nämlich den Tagebau, dieser habe aus Ihrer Sicht dort etwas anderes verhindert, und etwas, was Sie den Grünen heute übrigens vorgeworfen haben. Das ist fast die gleiche Textpassage. Da kann man echt nur noch mit dem Kopf schütteln.

Deshalb habe ich für Sie zwei Fakten:

Erstens. Die Flächeninanspruchnahme wurde damals durch die Politik – allen voran durch die SPD – dem Tagebau zugesprochen. Das heißt, wenn, dann sind die Politiker daran schuld.

Zweitens haben die Politiker der umliegenden Kommunen diese Fläche gerne dem Tagebau zur Verfügung gestellt; denn das sorgte am Ende für sprudelnde Kassen. Zehntausende Menschen haben dort einen Arbeitsplatz gefunden, und daran hängen wiederum Zigtausende Familienangehörige.

Wirtschaftlich hat der Tagebau für einen unglaublichen Wohlstand in der Region gesorgt. Deutschlandweit konnten so günstige Strompreise erzielt werden, und im Umland haben sich zahlreiche Firmen angesiedelt. Damit hat die Braunkohle nichts verhindert, liebe SPD, sondern es wurde etwas Großartiges in Deutschland geschaffen, und zwar völlig ohne Subventionen.

Wer, glauben Sie, zahlt eigentlich all die Steuern dort in der Region? Wer kauft die Produkte, die in Deutschland hergestellt werden? Die Familien dieser 10.000 Arbeiter im Tagebaubereich sind eine tragende Säule für diese Region – und das Ganze ohne Subventionen.

Sie aber, liebe SPD, haben anscheinend die Bodenhaftung verloren. Statt den Kumpeln den Rücken zu stärken, fordern Sie jetzt hochsubventionierte Luftschlösser. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: „Projekte mit besonderer Strahlkraft wie die ‚Klimahülle‘“, „Konzept von smarten Industrieparks“, „Bioökonomie-Forschung“, „Klimasiedlung“, „klimagerechte Quartiere“, „Klimaneutrale SmartCity“ – Ende der Zitate.

Für all diese Luftschlösser fordern Sie jetzt einfach nur Grundstücke und Geld, und Sie sprechen von einer Kofinanzierung aus Landesmitteln. Diese Landesmittel sind aber nichts anderes als das Geld der Steuerzahler – und Sie wissen es –, also das Geld der Malocher, welches Sie hier versenken möchten.

Dass Sie fernab der Realität leben, sieht man auch an dem Vorschlag, dass doch einfach neue Gewerbeansiedlungen entstehen sollen. Diese sollen vom Land gefördert werden, und zwar unter anderem aus den Bereichen Automobil-, Maschinen- und Anlagenbau oder gar der Kohlechemie. Kohlechemie ohne Kohle, das wird richtig interessant.

Dabei versuchen doch Sie als SPD – vor allen Dingen auf Bundesebene – die Automobilindustrie zu drangsalieren und zu gängeln, wo Sie nur können. Im Wirtschaftsausschuss des Landes fragen Sie allen Ernstes, warum so viele Autozulieferer in NRW Pleite machen. Dabei sind das einfach nur die Folgen Ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik, die Sie mit diesem Antrag hier weiter zementieren. Statt Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung sollen es nach Ihrer Ansicht hochsubventionierte Arbeitsplätze werden. Hauptsache, es steht irgendwas mit „Energiewende“ drauf. Dann kann es gar nicht teuer genug sein.

Was folgt denn nach den Strompreiserhöhungen der letzten Jahre? Jetzt fordern Sie als SPD auf Bundesebene auch noch eine Benzinpreiserhöhung. Es ist einfach nur noch bedauerlich, wie weit Sie sich von den normalen Bürgern entfernt haben. Wir jedenfalls werden solche Verschwendungen, wie Sie sie hier im Antrag fordern, nicht mitmachen. Wir stehen stattdessen an der Seite der Malocher, aber auch an der Seite des Mittelstandes, der in Deutschland die Arbeitsplätze schafft, die wir zum Erhalt unseres Wohlstands brauchen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, auch diese Debattenrunde zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns bei diesem wichtigen Strukturwandelthema intensiv austauschen, vor allen Dingen mit den Menschen in der Region.

Wir müssen die verschiedenen Projekte, die sich in letzter Zeit entwickelt haben, priorisieren. Wir müssen auch den Mut haben, zu priorisieren. Wir sollten versuchen, das Ganze so in Handlungsfelder zu strukturieren, dass wir eine Geschichte über den Strukturwandel erzählen können, den wir dort über lange Zeit werden gestalten müssen.

Ich denke, das ist sehr gut gelungen. Dazu haben auch viele von Ihnen beigetragen, ebenso wie viele, die vor Ort Verantwortung tragen. Dafür bin ich außerordentlich dankbar; denn es geht nur mit den Kräften in der Region, mit denen, die dort in Verantwortung stehen – gemeinsam mit der Landesregierung und dem Landtag sowie allen, die in Berlin mit Verantwortung tragen, nicht nur in der Kommission, sondern auch in der Bundesregierung und in den Bundesministerien.

Das werden wir dringend brauchen, um all das, was wir jetzt zusammengetragen haben, auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren sehr verlässlich umsetzen zu können.

Herr van den Berg, ich möchte es noch einmal sagen: Der Adressat unserer Forderung in finanzieller Hinsicht ist und bleibt die Bundesregierung. Die Bundesregierung tritt an die Kohleländer heran, die in diesem Fall keine subventionierte Kohle fördern, sondern wirtschaftliche Kohle, die sie energetisch umwandeln.

Der Bund will seine Klimaschutzziele dadurch erreichen, dass man zu einem vorzeitigen Ausstieg aus einer wirtschaftlichen Aktivität kommt und insoweit Arbeitsplätze originär in Frage stellt. Deswegen will er den Ausgleich nicht nur leisten, sondern er muss diesen Ausgleich auch leisten. 1,5 Milliarden Euro sind zunächst zugesagt. Die Kommission hat bekräftigt, dass das nur ein Anfang sein kann. Das kann nur der Anfang in der Vorbereitungsphase der nächsten Jahre sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn ...

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ich würde das jetzt gerne zu Ende führen wollen, Herr Präsident! – Und da werden wir alle Anstrengungen brauchen – das will ich noch einmal bekräftigen –, um alleine für die Projektvorschläge, die jetzt in der Kommission vorliegen, die notwendige Anschubfinanzierung angemessen auf die Standorte verteilt zu bekommen und darüber hinaus Mittelzusagen zu erhalten, die dann noch die mittel- und langfristige Realisierung dieser großen Vorhaben erlauben.

Ich will es hier zum Ausdruck bringen: Da kämpft jeder an seiner Stelle und in seiner Verantwortung, zu der wir auch stehen. Beim Bund stehen in der Kommission im Kern vier Bundesministerien. Zwei davon werden von Ihrer Partei, Herr van den Berg, mitgestellt, ganz zentral der Bundesfinanzminister. Ich bitte uns alle, dass wir uns auf die Projekte konzentrieren, dass wir versuchen, für sie zu werben. Ich bitte aber auch darum, dass wir die notwendige finanzielle Unterstützung dafür bekommen, damit wir die Projekte umsetzen können.

Wenn wir dann noch die Steinkohle – das haben wir vorhin in der Fragestunde diskutiert – angemessen berücksichtigen wollen, dann kann es nicht angehen, dass wir versuchen, das sowieso schon als zu klein identifizierte Tischtuch in jeweils eine andere Richtung – Ost/West – und innerhalb Nordrhein-Westfalens noch einmal Nord/Süd zu ziehen. Da müssen wir ehrlich sagen: Wenn es mehr Strukturerfordernisse gibt, dann müssen auch mehr Mittel bereitgestellt werden; sonst wird das nicht funktionieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Trotzdem müssen wir priorisieren, und wir müssen zusehen, dass wir das verantwortlich hinbekommen. Ich meine, dass wir das bislang ganz gut auf den Weg gebracht haben. Ich habe auch nicht den Eindruck – wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen; bei allen Bemühungen auch der anderen Länder, sich zu positionieren –, dass wir in irgendeiner Weise im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern ins Hintertreffen geraten wären.

Ich habe von Mitgliedern der Kommission – auch von Mitgliedern aus den neuen Ländern – gehört, dass sie unsere Vorschläge als sehr strukturiert und vorbildlich wahrgenommen haben. Ich habe auch wahrgenommen, dass die anderen Länder daraufhin noch einmal kräftig nachgearbeitet haben, bis hin zu gewissen Anleihen, die sie bei uns gesucht haben. Wir haben vorhin schon bei den Anträgen gesehen, dass der eine schon mal beim anderen Anleihen nimmt; das muss ja kein Nachteil sein.

Natürlich stehen wir ein Stück weit auch im Wettbewerb, aber – das ist meine Haltung dazu – ich möchte mich nicht daran beteiligen, dass sich die betroffenen Kohleländer und die Menschen, die darin wohnen, auch noch untereinander in einen Konflikt bringen und sich gegenseitig ausspielen lassen. Das kann nicht unser Interesse sein und liegt auch nicht im Interesse übergeordneter Ziele.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen an einem Strang ziehen und sehen, dass es für alle Menschen – für die tragen wir auch Verantwortung – in gesamtstaatlicher Hinsicht, auch in der Lausitz usw., vernünftige und verlässliche Bedingungen gibt – genauso wie im Ruhrgebiet.

Deswegen bin ich daran interessiert, dass wir gemeinsam zu einem für alle vernünftigen Ergebnis kommen. Ich denke, mit unseren Vorschlägen haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet. Mit Ihrer Unterstützung werden wir auch in den nächsten Tagen und Wochen erreichen können, dass alle Länder und damit die Menschen mit einem guten Ergebnis dabei herauskommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht, sondern einen Vorschlag.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4117 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend –, den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen sowie an den Wissenschaftsausschuss. Die abschließende Beratung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Stimmt jemand dafür? – Gibt es Enthaltungen? – Wir haben gemerkt, dass alle dafür waren. Dann ist der Antrag einstimmig überwiesen.

Wir kommen zu:

9   Wie steht es um die Mitbestimmung, die gesellschaftliche Verantwortung und das selbstbestimmte Studium an den Hochschulen in NRW?

Große Anfrage 5
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2612

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 17/3674

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben diese Große Anfrage gestellt, weil wir dokumentieren wollen, welche Fortschritte für Freiheit, Mitbestimmung und Demokratie an unseren Hochschulen in Nordrhein-Westfalen diese Landesregierung kaputtmachen will – aus rein ideologischen Gründen und mit einer Retropolitik, die Studierende und Beschäftigte gängeln und ihre Rechte einschränken will.

Sie wollen Militärforschung statt gesellschaftlicher Verantwortung. Sie wollen weniger statt mehr studentische Selbstbestimmung. Ein selbstbestimmtes studentisches Leben ist Ihnen offensichtlich suspekt. Sie wollen Studierende zu einer Matrikelnummer in einem Massenabfertigungssystem machen.

Wenn Sie dann eines Tages doch mal in der Lage sind, Ihr Studierendengängelungsgesetz – wahrscheinlich als vergiftetes Weihnachtsgeschenk – in diesen Landtag einzubringen, werden wir zeigen: Wo Schwarz-Gelb Hausarbeits-, Klausuren- und Scheinfabriken will, wollen wir kritisches Denken. Wir wollen Studierende, die Querdenkerinnen und Querdenker sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das gibt es aber nur, wenn wir Studierenden die Freiheit lassen, die das Studium eigentlich bedeuten soll. Bei der Anwesenheitspflicht geht es los. Dabei geht es nicht darum, was Studierende in ihrer Freizeit treiben, sondern da geht es um die 6 % der Studierenden in Nordrhein-Westfalen, die Kinder erziehen, um die gut 5 %, die Angehörige pflegen, um die 13 %, die eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben, und natürlich auch um die 68 % der Studierenden, die neben dem Studium arbeiten müssen, um ihren Aufstieg zu ermöglichen. Das sind Zehntausende Menschen, die Sie vor existenzielle Probleme stellen.

Das zeigen auch die Zahlen aus der Antwort auf die Große Anfrage. Sie zeigen, dass es heute mit der sehr engen, sehr restriktiven Regelung schon zum Teil in einigen Studiengängen in Richtung von 57 % Anwesenheitspflicht geht. Das zeigt die Richtung auf. Wenn Sie grundsätzlich Anwesenheitspflichten wieder ermöglichen, wird das zu einer flächendeckenden Anwesenheitspflicht in Seminaren kommen.

Wenn wir über Freiheit reden, reden Sie über die Freiheit der Hochschulräte oder über Kriegsforschung. Das ist der Unterschied zwischen uns, der sich schon durch die ganze Debatte zieht. Wir haben gefragt, wo die Zivilklausel Forschungsvorhaben verhindert hat. Das Ministerium war sichtlich bemüht – das muss man anerkennen –, ein paar Beispiele zu finden.

Richtig erfolgreich war es aber nicht. Es konnte fünf Beispiele liefern, in denen die Zivilklausel Forschungsvorhaben verhindert hat. Aber wenn man sich die Forschungsvorhaben anschaut, um die es da ging, sieht man: Das sind solche Vorhaben, zu denen man definitiv sagen muss, dass es gut war, dass wir die Hochschulen an dieser Stelle auf gesellschaftliche Verantwortung verpflichtet haben.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

– Im Gegenteil, Herr Kollege Dr. Berger: Wenn es eine relevante Zahl an Forschungsvorhaben gegeben hätte, die große Probleme dokumentiert hätte, hätte das Ministerium doch nicht gezögert, die Beispiele aufzuführen. Bei den Beispielen, die Sie genannt haben, handelt es sich um wenige Fälle und um kleine Zahlen.

Beim Hochschulrat lässt sich das ähnlich aus den Zahlen ablesen. Hier sind Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter überproportional vertreten. Das ist schlicht und ergreifend ein Argument mehr für die kommende Debatte und dafür, dass das Hochschulgesetz auch weiterhin dafür plädieren muss, dass alle organisierten Interessen wie Gewerkschaften und Kulturverbände ebenfalls vertreten sind.

Es ist aber auch ein Beleg dafür, wie fragwürdig es ist, dass Sie letzten Endes den Hochschulrat wieder gegenüber dem Senat stärken wollen. Parallel beschneiden Sie dem Senat die demokratische Mitbestimmung und die demokratischen Möglichkeiten.

Es zeigt sich – da sind wir direkt beim Thema „Gruppenparität im Senat“ –: Wir haben an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen mit dem Hochschulzukunftsgesetz mehr Demokratie geschaffen. Die reine Gruppenparität oder eine Quasi-Gruppenparität wurde an mehr als der Hälfte der Hochschulen umgesetzt. Wenn dieses Modell, wie Sie es immer plakativ behaupten, so unglaublich bürokratisch, schwerfällig oder was auch immer wäre, dass es für die Hochschulen überhaupt nicht gangbar gewesen wäre, hätten sie ein einfaches Kommissionsmodell beschließen können. Aber diese einfache Alternative haben wenige Hochschulen gewählt. Selbst die Hochschulen mit einem Kommissionsmodell haben noch viel weitergehende Beteiligungsmöglichkeit für die Statusgruppen von Studierenden und Beschäftigten geschaffen.

Also: Es würde die Demokratie an den Hochschulen deutlich schwächen, würde nicht mehr die Gruppenparität als Regelfall angenommen und würde keine Pflicht zur Genehmigung von alternativen Mitbestimmungsmodellen mehr bestehen.

Auch da gilt: Mit Ihrem Referentenentwurf, wahrscheinlich auch mit Ihrem Gesetzentwurf gibt es durch Schwarz-Gelb einen klaren Angriff auf die Mitbestimmung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gehört zur Demokratie dazu, dass Mitbestimmungsrechte, die der Gesetzgeber gewährt, durch die Exekutive durchgesetzt werden. Es zeigt sich an den Zahlen: An 18 von 243 Fachbereichen gibt es immer noch keine Studienbeiräte.

Es ist ein schlimmes Versäumnis der ministerialen Rechtsaufsicht, dass drei Jahre nach Ablauf der Übergangsfrist in einigen Fachbereichen noch immer die gesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechte von Studierenden missachtet werden. Das Ministerium muss endlich einschreiten, wenn es sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Schluss möchte ich einen grundsätzlichen Ausblick geben. Sie sind jetzt seit anderthalb Jahren in der Regierung, und seit dem Tag, an dem Sie mit Schwarz-Gelb die Regierung übernommen haben, wurde kein Wort mehr über das verloren, was Sie uns immer vorgehalten haben. Es gab kein Wort mehr über die Verbesserung der Betreuungsrelation, kein Wort mehr über die Erhöhung von Qualitätsverbesserungsmitteln und kein Wort mehr über die deutliche Steigerung der Grundfinanzierung der Hochschulen oder insgesamt über mehr Mittel im System.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Studierende einen Anspruch auf gute Lehre erhalten und dass dieser Anspruch dann auch realisiert werden kann. Das geht aber nur, wenn diese Landesregierung endlich dazu übergeht, ihr Geld nicht mehr in Heino und dicke Bohnen zu stecken sondern in die Köpfe, die unser Morgen gestalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte-Richter. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über das selbstbestimmte Studium in Nordrhein-Westfalen. Vorweg möchte ich mich ganz grundsätzlich bei der Fraktion der Grünen für diese Anfrage bedanken. Eine Große Anfrage erfordert viel Zeit und Herzblut, und die Beantwortung dieser Anfrage bereichert uns Fachpolitiker mit Wissen. Herzlichen Dank, Herr Bolte-Richter, dass Sie der Landesregierung die Gelegenheit gegeben haben, unser aller Wissensbasis zu verbreitern.

Das politische Ziel Ihrer Anfrage – Sie haben es selbst noch einmal formuliert – ist, den Nachweis zu führen, dass das bestehende rot-grüne Hochschulzukunftsgesetz eine stärkere Demokratisierung der Hochschulen ermöglicht, und darüber hinaus die geplante Novellierung durch Schwarz-Gelb zu diskreditieren. Eine genauere Analyse der Antworten zeigt jedoch – auch das sei schon mal vorweg gesagt –, dass Sie Ihr geplantes politisches Ziel mit dieser Großen Anfrage nicht erreicht haben. Im Folgenden werden wir darüber diskutieren, warum das der Fall ist.

Beginnen wir mit der Frage der Mitbestimmung in Senaten und Fachbereichen. Die Grünen behaupten in der Anfrage, das Hochschulzukunftsgesetz stärke die Demokratie, vor allem durch die Einführung der Gruppenparität in Senaten. Die Gruppenparität in der reinsten Form ist lediglich in drei Universitäten und fünf Fachhochschulen umgesetzt worden. Ich erinnere noch einmal daran, dass wir 30 Hochschulen plus sieben Kunst- und Musikhochschulen haben. Hier kann man schon den Eindruck gewinnen, dass die beabsichtigten Ziele des Hochschulzukunftsgesetzes von der Mehrheit der Hochschulen abgelehnt werden und auch von den Studierenden an dieser Stelle nicht eingefordert wurden.

Alle anderen Hochschulen haben ein alternatives Mitbestimmungsmodell nach § 11 Abs. 2 Hochschulzukunftsgesetz gewählt. Viele Lösungen sind als gruppenparitätsäquivalente Lösungen zu erachten und ein gleichwertiger Ansatz im Modell der partizipativen Hochschule. Deswegen sehen wir uns auch bei der Novellierung des Hochschulzukunftsgesetzes klar bestätigt, indem wir sagen, dass beim Senat Gruppenparität nicht mehr das gesetzliche Regelmodell sein soll, sondern eine von mehreren Optionen.

Sie sehen also schon zu Beginn der Analyse, dass Ihr Beharren auf einer veralteten ideologischen Praxis, im Grunde aus den 70er-Jahren, nicht zukunftsgerichtet ist und dass wir, Schwarz-Gelb, mit einer geplanten Flexibilisierung jetzt schon nachweisbar auf die Zustimmung der Hochschulen treffen.

(Beifall von der CDU)

Ähnlich sieht es beim Thema „Anwesenheitspflichten“ aus. Die Grünen behaupten, das Hochschulzukunftsgesetz verbessere die Studienbedingungen und stärke das selbstbestimmte Studium, und dann ziehen Sie als Hauptgrund die Abschaffung der Anwesenheitspflicht heran.

Wir sehen dieses Thema grundsätzlich anders. Wir werden das derzeitige Verbot von Anwesenheitspflichten wieder abschaffen. Zukünftig soll die Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden an jeder Hochschule selbst entscheiden, wo Anwesenheitspflichten mit Blick auf den Lernerfolg erforderlich sind oder nicht. Im bisherigen Status sind – unter Ausnahmen – auch Anwesenheitspflichten jetzt schon zulässig. Wenn man die Anfrage auswertet – Sie haben es selbst genannt –, ergibt sich je nach Fachbereich ein Bild zwischen 0 %  und 50 %.

Wir halten also fest:

Erstens. Anwesenheitspflichten können jetzt schon ausgesprochen werden.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Zweitens. Wir werden diesen Weg weiter gehen.

Gerade für Seminare – das möchte ich noch einmal ganz klar sagen – können die Anwesenheit und die aktive Teilnahme aller Studierenden elementar für den Studienerfolg sein. Der Diskurs, also der wissenschaftliche Streit in der persönlichen Begegnung in einem Seminar, ist die zentrale Größe eines jeden Studiums. Ein Diskurs benötigt Anwesenheit, ansonsten könnten wir auch flächendeckend Fernuniversitäten einführen.

(Beifall von der CDU)

Ihre Behauptung, dass Anwesenheitspflichten bisher verboten seien, ist also genauso falsch wie Ihre Suggestion, dass mit der kommenden Novelle Anwesenheitspflichten verpflichtend sein werden. Die Antwort auf Ihre Anfrage zeigt klar: Ein Blick ins Gesetz führt zu Klärung, Erleuchtung und Entemotionalisierung.

Jetzt kommen wir zum Thema „Landeshochschulentwicklungsplan“. Die Fragen dazu wurden auf über 100 Seiten beantwortet. Ich sage Ihnen grundsätzlich: Der Unterschied zwischen Ihrer Philosophie und der unsrigen lässt sich am besten am Landeshochschulentwicklungsplan erkennen.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Für mich gilt ganz allgemein: Die Worte „Plan“ und „Wissenschaft“ passen nicht zusammen.

(Beifall von der CDU)

Sie sind kein Geschwisterpaar, sie ergänzen sich nicht. Im Gegenteil: Sie torpedieren sich. Ihnen und insbesondere Frau Schulze ging es um Lenkung von Wissenschaft durch strenge Vorgaben. Dieses Verständnis von Wissenschaft lehne ich ab, lehnen wir ab, und auch die gesamte NRW-Koalition sowie die Landesregierung lehnen es ab.

(Beifall von der CDU)

Die Antwort zeigt darüber hinaus: Rot-Grün hat den Hochschulen Misstrauen entgegengebracht. Es flossen erhebliche Ressourcen in die mit diesen ganzen Aufstellungsverfahren verbundenen Abstimmungsprozesse. Wir werden durch Zielvereinbarungen mit den Hochschulen die eigenverantwortliche Gestaltungskraft von Hochschulen begünstigen und die Hochschulen von zentraler Steuerung durch das Land befreien.

Wie ich zu Beginn ausführte, sind wir Ihnen wirklich zutiefst zu Dank verpflichtet. Der tiefe Erkenntniskern der Beantwortung Ihrer Anfrage, meine Damen und Herren von den Grünen, liegt in der Tatsache, dass unsere Hochschulen dringend einer Abkehr vom Zwang bedürfen. Es bedarf einer Korrektur der damaligen Regierungsphilosophie.

Alle von Ihnen angesprochenen Themen belegen klar, dass der Versuch, ein so großes System, wie wir es in Nordrhein-Westfalen nun einmal haben, von oben steuern zu wollen, scheitern muss.

Das wird darüber hinaus – das haben Sie ebenfalls angesprochen – auch an der Frage der Zivilklausel deutlich. Sie haben alle Hochschulen genötigt, sich mit Zivilklauseln zu befassen. Vielleicht haben Sie gehofft, damit mit Zwang von oben das Thema „Frieden an den Hochschulen“ erzeugen zu können.

Ich sage Ihnen: Sie haben diese Klauseln – das ist, Herr Bolte, auch in Ihrer Rede eben wieder deutlich geworden – eingeführt, um Forschungsvorhaben, die Ihnen nicht genehm waren, politisch diskreditieren zu können.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Sind Panzerfabriken in autoritären Regimes so etwas Dolles?)

– Sie wollen das entscheiden. Aus Ihrem Zwischenruf wird ganz deutlich, dass Sie in der Position sein wollen, zu entscheiden, was und worüber geforscht werden soll.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Es ist mit unserem Geld finanziert, mit Ihrem auch! – Josefine Paul [GRÜNE]: Es gibt auch politische Verantwortung, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen!)

– Es ist nicht Ihre Aufgabe, Wissenschaftsfreiheit zu planen, auch wenn Sie diese Landschaft gerne zwingen möchten.

Jetzt sage ich Ihnen, wozu das führt. Die Antwort auf Frage 9 belegt klar: In Aachen, Bielefeld, Dortmund und Bochum gab es Forschungsvorhaben, die aufgrund von Zivilklauseln verhindert wurden. Es zeigt sich hier also exemplarisch: Steuerung von oben, grünes Wunschdenken und ein sozialdemokratischer Etatismus erzeugen Stillstand.

(Beifall von der CDU)

Deshalb werden wir die Ergebnisse dieser Anfrage in die Diskussion um die Novellierung des Hochschulzukunftsgesetzes einfließen lassen. Wir werden mehr Freiheit für unsere nordrhein-westfälische Wissenschaftslandschaft erzeugen.

Deswegen bedanke ich mich abschließend noch einmal für die Gelegenheit zur Debatte. Mir hat die Auswertung dieser Anfrage in vielen Dingen noch einmal bestätigt, dass der Weg, den wir hier gehen, der richtige ist. – In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD erteile ich nun unserem Abgeordnetenkollegen Herrn Bell das Wort. Bitte schön.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin immer froh, hinter Dr. Berger sprechen zu können, und war wirklich heilfroh, zur Kenntnis nehmen zu können, dass er die Große Anfrage komplett gelesen hat. Das fand ich echt bemerkenswert.

Wenn man keinen akademischen Abschluss hat, zweifelt man allerdings manchmal an der Analysefähigkeit von Akademikern. Das war so, als ich den Kern des Redebeitrags hier an mir habe vorbeiziehen sehen.

(Beifall von der SPD)

Zum Schluss habe ich mich wieder zu Hause gefühlt. Das, was jetzt wunderbar aufgeschlagen ist, war der Duktus der letzten Legislaturperiode: Alles ist gut, machen Sie weiter so. – Das hilft aber in Bezug darauf, was in der Großen Anfrage deutlich geworden ist, eigentlich nicht weiter.

Ich probiere mal, die Große Anfrage ein bisschen abzuarbeiten. Dabei will ich ein wenig strukturierter vorgehen, damit man weiß, wo wir möglicherweise eine deutlich andere Interpretation haben.

Der erste Bereich der Großen Anfrage hat sich mit der Frage der Partizipation bei den Universitäten befasst. Im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Dr. Berger, vorgetragen haben, hat die damalige Gesetzesnovelle zum einen vorgesehen, dass die Stimmen der Vertreterinnen bzw. Vertreter der jeweiligen Hochschulgruppen im gleichen Verhältnis zueinander gewichtet werden müssen; es sei denn, dass eine Regelung in der Grundordnung vorliegt, mit der eine Berücksichtigung der Interessen der Mitglieder nichtprofessoraler Gruppen bei den Beratungen und Entscheidungen des Senats im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse angemessen sichergestellt wird, die also mithin der Gruppenparität im Senat insofern funktional äquivalent ist.

Wir haben im Gegensatz zu dem, was immer behauptet wird, die Gruppenparität nicht in Gänze entsprechend durchgesetzt, sondern den Hochschulen die Verantwortung zugewiesen, mehr Beteiligung sicherzustellen, aber einen Weg zu finden, der hochschulangemessen ist.

Wenn man diese Große Anfrage liest, kann man feststellen, dass wir eine enorme Vielfalt an Regelungen haben. Die sind aus meiner Sicht ortsangemessen und hochschulangemessen, weil sie die jeweilige Kultur bzw. Mitbestimmungskultur an den Hochschulen entsprechend aufnehmen und ihr gerecht werden.

Selbst das Ministerium schreibt in Beantwortung der Großen Anfrage, dass diese Regelungen autonomieaffin sind, also nicht der Autonomie der Hochschulen widersprechen, sondern ihr sehr wohl entgegengekommen sind und insoweit jedenfalls – so lese ich das – durchaus sachgerecht sind.

Ich frage Sie, Herr Dr. Berger, und auch Sie, lieber Moritz Körner: Was wollen Sie denn dann eigentlich mit der Gesetzesnovelle erreichen, was nicht jetzt schon Realität in diesem Land ist? Selbst für mich waren eine ganze Reihe dieser Modelle, die durch die Hochschulen gefunden worden sind, durchaus überraschend.

Ich will zum Beispiel die Drittelparität an Fachhochschulen erwähnen, die mir vorher nicht bekannt war, aber in der Bewertung durch das Haus mit der Begründung genehmigt worden ist, dass dies wegen des Umstandes, dass es wenige wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Fachschulen gibt, eine adäquate Regelung ist.

Das ist insoweit auch eine sehr pragmatische Betrachtungsweise des Hauses in Bezug darauf, was es an entsprechenden Regelungen – bis hin zur Öffnung der Grundordnung mit dem Zweck der Schaffung der Möglichkeit von Gruppenparität im Fachbereichsrat – gibt. Das hat die Uni Bielefeld gemacht; auch das war mir nicht bekannt.

Deswegen sage ich: Wir haben mit unserem Hochschulzukunftsgesetz die Vielfalt der Beteiligungsmöglichkeiten an den Hochschulen erhöht, und zwar autonomieaffin und standortgerecht. Das ist aus unserer Sicht erfreulich und widerlegt auch die bisher von Ihnen, Herr Dr. Berger, vorgetragenen Argumente ausdrücklich.

Der zweite Bereich, den ich ausdrücklich als Erfolgsmodell betrachten werde – deswegen würde ich es auch nicht so skandalisieren, wie Matthi Bolte es getan hat, sondern erst einmal herausstellen, was da passiert ist –: Wir haben die Studienbeiräte eingerichtet – aus meiner Sicht in Zeiten von Bologna ein absoluter Gewinn für die Hochschulen.

Wir haben in den letzten Monaten Anhörungen zur Bologna-Reform gehabt, in denen wir auch durch die Wissenschaft durch entsprechende Evaluierungen zur Kenntnis genommen haben, dass die Zufriedenheit der Studierenden an den Hochschulen nach anfänglich großen Problemen deutlich zugenommen hat.

Ich sage Ihnen: Dazu tragen auch maßgeblich die Studienbeiräte bei, weil sie eben sehr praxisbezogen Fragen der Studienordnung, der Festlegung von Studieninhalten bei der entsprechenden Aufstellung von Studiengängen diskutieren und damit auch die Sachkompetenz der Studierenden einbeziehen.

Dass wir in 225 Fachbereichen von 243 mittlerweile Studienbeiräte haben und dass mir jedenfalls in den Gesprächen an Hochschulen für diese Arbeit ein großer Respekt der handelnden Akteure übermittelt wird, ist doch ein Erfolg, den man hier auch nicht kleinreden sollte. Vielmehr ist in der Praxisorientierung bei der Beteiligung von Studierenden am Studienalltag der Erfolg dieses Gesetzes insoweit nicht zu beanstanden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo wir sicherlich auseinander sind mit der Regierungskoalition und der AfD, sind die Zivilklausel und Nachhaltigkeit. Ich habe diese Klauseln alle in der Großen Anfrage gelesen.

Ich will Ihnen sagen: Dieses Bekenntnis der Hochschulen zu unseren demokratischen Werten, zur Herausbildung verantwortlicher Persönlichkeiten und zur Friedenssicherung hat mich mit Freude und Respekt berührt. Es ist doch wunderbar, wenn die Hochschulen dies entsprechend in ihren Grundordnungen verankern und damit zum Ausdruck bringen, dass sie eben auch eine werteorientierte Bildungseinrichtung sind und nicht freischwebend im Hier und Jetzt.

Das verstehen wir auch unter politischer Verantwortung, die wahrgenommen werden muss, weil wir eben der Geldgeber für diese Hochschulen sind.

Ich persönlich finde – da will ich mich Herrn Bolte ausdrücklich anschließen –, dass es dann auch Aufgabe dieses Hohen Hauses sein muss, solche Fragen miteinander zu diskutieren und den Hochschulen die Bitte anzutragen, dies entsprechend zu regeln. Sie haben das in einer hervorragenden Art und Weise gemacht. Deswegen gibt es da aus meiner Sicht überhaupt nichts zu meckern.

Wenn vier Projekte, die hier aufgelistet worden sind, nicht realisiert wurden, Herr Dr. Berger, dann frage ich Sie allen Ernstes: Hätte die Hochschule nicht auch diese Projekte, unabhängig von der gesetzlichen Regelung im Rahmen ihrer Verantwortung, diskutieren müssen?

Wir haben damals diese Zivilklausel jedenfalls auch eingeführt, um Konflikte, die zum Beispiel an der RWTH Aachen an der Tagesordnung bestanden, aus den Hochschulen herauszunehmen und unserer Verantwortung mehr gerecht zu werden, damit diese Konflikte ein Stück weit nicht immer wieder in den Hochschulen ausgetragen werden müssen. Insoweit will ich sehr deutlich sagen, dass das aus unserer Sicht eher eine Erfolgsgeschichte ist, die das Hochschulzukunftsgesetz geschrieben hat.

Der weitere Punkt, der sich aus unserer Sicht wirklich ausgesprochen positiv niederschlägt – auch jetzt bei der Beantwortung der Großen Anfrage –, sind die Vertreter der Belange studentischer Hilfskräfte.

Auch das ist eine Regelung, die Sie wieder abschaffen. Zumindest sagen Sie, Sie wollen den Hochschulen freistellen, ob sie es tun. Aber wir haben gesehen, dass hier eine extrem positive Entwicklung Raum gegriffen hat, die aus unserer Sicht ebenfalls autonomieaffin ist.

Es gibt unterschiedliche Amtszeiten, unterschiedliche Freistellungsmöglichkeiten. Das ist ein sinnvolles Instrument, um studentischen Hilfskräften endlich auch Gehör im universitären Alltag zu verschaffen. Ich plädiere ausdrücklich dafür, dieses Instrument nicht nur fakultativ, sondern ausdrücklich beizubehalten.

Suchen Sie doch mal das Gespräch mit den Vertreterinnen und Vertretern der studentischen Hilfskräfte, welche Fälle diese in der Praxis wirklich beraten. Das ist aus meiner Sicht sicherlich erkenntnisleitend, um da weiterzukommen.

Dann zum Thema „Anwesenheitspflicht“. Herr Dr. Berger, das war eine bemerkenswerte Kehrtwende, die Sie in dieser Debatte gerade vorgenommen haben. Sie haben bis jetzt immer behauptet, es wäre überhaupt nicht möglich, Anwesenheitspflichten durchzusetzen.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

– Jetzt sagen Sie nicht nein, sonst hole ich die Protokolle raus. Ihre Behauptung war, es wäre nicht möglich, Anwesenheitspflichten an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen durchzusetzen.

Wir haben Ihnen immer gesagt: Schauen Sie doch einmal in die Begründung des Gesetzes rein, was da schon alles möglich ist. Sie sehen, dass es letztlich auch hier eine angemessene Handhabungspraxis gibt, die nämlich genau das ermöglicht, was Sie immer wollen: bei bestimmten Studieninhalten, wo die Notwendigkeit besteht, auch Anwesenheitspflichten mit zu vereinbaren.

Wir haben da zum Beispiel bei der Universität Bonn einen Anteil von 17 %. Es gibt an der Fachhochschule Aachen Schwankungen in Studiengängen, die relativ hoch sind. Das variiert zwischen 0 % und 57 %. Das zeigt, dass auch dies bereits ein flexibles Instrument ist.

Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Konflikt wieder in die Hochschulen reintragen, wird es Sie nicht von der Frage entbinden, diese Debatte auch in der Perspektive zu führen. Deswegen gilt aus unserer Sicht: auch das gehört praxisnah und vernünftig geregelt. Das bedarf aus unserer Sicht auch keiner entsprechenden gesetzlichen Novellierung.

Dann kommen wir allerdings zur abschließenden Beurteilung der Landesregierung, die nach der Auflistung der entsprechenden Inhalte zum Landeshochschulentwicklungsplan schreibt:

„Den Hochschulen wurde damit von Landesseite nicht nur Misstrauen entgegengebracht,“

– das ist auch Ihre Argumentation –

„sondern es flossen auch erhebliche Ressourcen in die flankierenden Aushandlungsprozesse. Die Landesregierung sieht sich demgegenüber den Grundsätzen moderner Governance und einem partnerschaftlichen Verhältnis mit den Hochschulen verpflichtet.“

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Das werden wir bei der Debatte über das Hochschulgesetz sehr intensiv beraten. Das, was Sie – das ist wirklich eine ganz mutige Interpretation – als moderne Governance bezeichnen, ist nichts anderes als ein Schuh von gestern.

Ich war vor wenigen Wochen auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und habe dort mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass der nordrhein-westfälische Landeshochschulentwicklungsplan die Vorlage für die Strukturierung des bayerischen Landeshochschulentwicklungsplanes darstellt.

Informieren Sie sich mal bei Ihren Kollegen im bayerischen Ministerium: Das ist so. Nordrhein-Westfalen ist in dieser Frage Vorbild für Bayern.

Warum machen die das so? – Ich empfehle dringend, dass Sie sich mit den neuen Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Hochschul-Governance auseinandersetzen. Da heißt es unter anderem – hier geht es um die Frage der Verantwortung der Länder, und ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Für die weitere Entwicklung“

– von Hochschulen –

„ist es von entscheidender Bedeutung, Schwerpunktbildungen, Kooperationen, Infrastrukturnutzungen usw. verschiedener Hochschulen – etwa innerhalb eines Landes oder einer Region – aufeinander abzustimmen. Diese Abstimmung kann in gewissem Maße direkt zwischen den Hochschulen erfolgen. Gleichwohl haben die Länder auch hier eine Verantwortung, für eine Abstimmung der Lehrangebote und Forschungsprofile zu sorgen. Dies muss nicht zwangsläufig im Rahmen übergreifender Entwicklungspläne stattfinden; Kontinuität und Kohärenz sollten jedoch über die Verhandlungen mit den einzelnen Hochschulen hinweg gewährleistet sein.“

Angesichts der Aussagen zum Thema „Digitalisierung an den Hochschulen“ bin ich wirklich gespannt, wie Sie Kohärenz im System sicherstellen wollen, wenn Sie ein Instrument wie den Landeshochschulentwicklungsplan abschaffen, aber nicht im Ansatz eine Idee haben, wie es weitergehen soll.

Ich will auch noch etwas zu der grundsätzlichen Tendenz des Gesetzes sagen, nach der die Mitbestimmungsqualität der Studierenden sehr stark eingeschränkt wird, und durch die ein Bild von Studierenden gezeichnet wird, das nicht unserem Bild eines mündigen Studierenden an nordrhein-westfälischen Hochschulen entspricht. Der Wissenschaftsrat sagt:

„Als Mitglieder der Hochschule sollten Studierende insbesondere in Fragen, welche die Lehre betreffen, in die Governance eingebunden werden. Viele Studierende haben nur geringe Kenntnisse über die Governance-Strukturen und ‑Prozesse ihrer Hochschule. Die Hochschulen sollten die Studierenden dabei unterstützen, sich stärker in der Governance zu engagieren.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen – außer, dass ich hoffe, dass die Regierungskoalition und die Landesregierung lernfähig sind und das, was der Wissenschaftsrat darlegt, bei der Novellierung des Gesetzes noch aufgreifen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die FDP hat nun unser Abgeordneter Herr Körner das Wort.

Moritz Körner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Auch ich möchte mich bei den Grünen für die Große Anfrage bedanken. Es ist das Recht der Opposition, Große Anfragen zu stellen. Ich will meinen Dank aber auf die Mitarbeiter im Ministerium und vor allem in den Hochschulen ausweiten, die die 205 Seiten – auch inhaltlich – zusammenstellen mussten.

Ich finde es ganz spannend, dass der Kollege Bell nun Bayern bzw. die CSU als großes Vorbild dafür heranzieht, wie Hochschulen in Zukunft gesteuert werden sollen. Die Bayern wollen die Dinge immer relativ zentral aus München steuern, und ich finde spannend, dass ihr das, was die CSU als Staatsregierung da macht, zum Vorbild nehmen wollt.

(Vereinzelt Beifall von der FDP – Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Demnächst fordert er noch ein Raumfahrtprogramm!)

Wenn man sich die Antwort auf die Große Anfrage durchliest, ist schon interessant, dass sich hindurchzieht, dass das Thema sehr komplex ist. Ich habe sie mir ebenfalls durchgelesen: Es gibt auf fast alle Fragen sehr unterschiedliche Antworten dazu, wie die Hochschulen es vor Ort machen.

Ich beginne mit den Gruppenparitäten. Es gibt allein fünf Modelle, die an den Universitäten durchgeführt werden. An den Fachhochschulen gibt es sogar noch die Drittelparität – der Kollege Bell hat vorhin zugegeben, dass er gar nicht wusste, dass dieses Modell umgesetzt wurde.

Das heißt, die Hochschulen haben offensichtlich noch ausdifferenziertere Modelle gefunden, als ihr mit eurem Gesetz vorgesehen habt. Ihr beschwert euch jetzt darüber, dass wir diese zentralen Steuerungen wieder herausnehmen wollen? – Das ist doch nicht konsequent.

(Beifall von der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Es gibt keine zentrale Steuerung!)

Die Hochschulen können das meiner Meinung nach sehr gut, und das beweist gerade diese Differenzierung.

(Dietmar Bell [SPD]: Es gibt keine zentrale Steuerung!)

Ich fahre fort mit den SHK-Vertretern. Dazu habt ihr dargestellt, dass es ganz unterschiedliche Regelungen gibt. Was du unterschlagen hast, ist, dass es an vier Hochschulen keinen SHK-Vertreter gibt, weil man niemanden gefunden hat, der bereit war, zu kandidieren.

(Dietmar Bell [SPD]: Deswegen muss man die Regelung doch nicht …!)

Auch dazu ist zu sagen: Das können die Hochschulen selbst entscheiden, und vielleicht ist an Hochschulen, an denen sich offensichtlich kein Studierender findet, der sich bereit erklärt, SHK-Vertreter zu sein, dieses Instrument nicht richtig.

Zu den Anwesenheitspflichten: Auch da zeichnet sich das Bild einer riesigen Vielfalt an den verschiedenen Hochschulen. Vor allem bei den Hochschulen, die sich die Mühe gemacht haben, differenziert zu antworten, sieht man, dass die Vielfalt sich vor allem in den Fachbereichen, in den einzelnen Studiengängen zeigt. Inwieweit Präsenz in verschiedenen Studiengängen vorzusehen ist, macht einen sehr großen Unterschied.

Deshalb ist unsere Regelung genau richtig. Wir sagen nicht, dass es in Zukunft überall Anwesenheitspflichten geben soll, sondern wir sagen, dass es sie genau da geben soll, wo es richtig ist. Das sollen die Leute vor Ort entscheiden.

In diesem Kontext möchte ich auf den Kollegen Bell eingehen, der die Studienbeiräte sehr gelobt hat. Wir haben uns das auch genauer angeschaut, und wir werden auch noch einmal sehr genau darüber nachdenken – ich meine, das kann ich hier sagen.

Wir wollen, dass die Studienbeiräte in Zukunft über Anwesenheitspflichten entscheiden. Deshalb wollen wir, dass die Beiräte obligatorisch bleiben. Das ist dann eine bessere Lösung als die von euch gewählte, denn eure Lösung lautete: Wir schreiben es vom Land aus fest; wir machen es bürokratisch. – Unsere Lösung ist: Wir lassen Professoren und Studierende auf Augenhöhe darüber sprechen. Dann kommen wir zu besseren Lösungen.

Der Landeshochschulentwicklungsplan wurde vorhin sehr gelobt. Zur Digitalisierung sagst du, Dietmar, angesichts der Vielfalt der Antworten: Wie sollen sie das ohne den Landeshochschulentwicklungsplan koordinieren?

An dieser Stelle ging es um die Antworten der Hochschulen auf eure Angaben. Die Hochschulen haben also offensichtlich mit den im Landeshochschulentwicklungsplan sehr abstrakt formulierten Zielen frei gemacht, was sie machen wollten.

Ich glaube nicht, dass dieses Instrument wirklich so durchschlagend ist. Vor allem fragt man sich: Müssen wir den Hochschulen wirklich in einem Landeshochschulentwicklungsplan vorschreiben, dass sie international wettbewerbsfähige Forschung anbieten sollen? Meinen wir nicht, dass unsere Professoren nicht auch selbst auf diese Idee kommen würden, ohne dass wir es in den Landeshochschulentwicklungsplan schreiben?

Ich komme zu den Zivilklauseln, und damit bin ich bei meinem Lieblingsthema. Lieber Matthi Bolte, Sie sagen, alle nicht verwirklichten Projekte, die da drinstehen, seien zu Recht nicht verwirklicht worden. – Ich verstehe nicht, warum die Universität Bielefeld, warum wir in Nordrhein-Westfalen, nicht im Rahmen eines Projekts zum Abbau von Sprengstoffen in der Umwelt forschen sollten.

(Beifall von der FDP)

Ich finde, genau daran sollten wir forschen. Wenn in Krisengebieten Bomben herumliegen, können sich Kinder daran schwer verletzen oder sogar sterben.

Das Problem an Zivilklauseln ist doch, dass man bei der Forschung nicht immer genau weiß, wo sie am Ende hinführt; Dual-Use-Güter unterliegen einer ähnlichen Problematik. Zentral vorzuschreiben, dass so etwas nicht geht, finde ich einfach falsch.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Machen wir doch überhaupt nicht!)

Der Kollege Bell wurde richtig emotional und freute sich über die Formulierungen, die die einzelnen Hochschulen für die Zivilklausel gefunden haben. Ich habe mir die auch durchgelesen; das sind schöne Formulierungen. Du sagst, du fändest es toll, dass die Hochschulen diese Regelungen gefunden. Aber ihr habt sie mit dem Gesetz doch erst dazu gezwungen!

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich möchte gerne, dass Hochschulen das selber entscheiden. Wir zwingen sie nicht, diese Formulierungen wieder herauszustreichen; aber wir nehmen es aus dem Landesgesetz heraus.

Es wurden einige Rahmenvorgaben eingeführt. Wir alle wissen, dass das Instrument nicht so genutzt wurde, wie es tatsächlich hätte genutzt werden können. Natürlich ist das kein großes Drama; aber man hätte das auch auf anderem Weg regeln können, ohne die Rahmenvorgaben.

Zum Schluss möchte ich noch folgenden Punkt ansprechen: Der Kollege Bolte sagte eben, dass die Hochschulräte so unglaublich von der Wirtschaft dominiert würden. In den meisten Hochschulräten sitzen ein bis zwei Mitglieder aus der Wirtschaft. Meiner Ansicht nach wäre es nicht schlecht, eine breite Expertise aus Wirtschaft und Gesellschaft in die Hochschulen hineinzunehmen und diese Persönlichkeiten gleichzeitig dazu zu bringen, sich für die Hochschulen und die Wissenschaftslandschaft verantwortlich zu fühlen und dafür zu werben.

Außerdem sprach der Kollege Bolte-Richter den Haushalt an. Ich bin, ehrlich gesagt, stolz darauf, dass wir 236 Millionen Euro mehr für die Globalhaushalte der Hochschulen zu Verfügung gestellt haben. Ich bin stolz darauf, dass wir 50 Millionen Euro aufwenden, um ein Digitalisierungsprogramm an unsere Hochschulen bringen. Ich bin stolz darauf, dass der Wissenschaftsetat im Vergleich zum Landeshaushalt deutlich überproportional wächst.

Bezüglich des Landeshaushalts argumentiert ihr immer, dass wir jetzt eine viel bessere haushaltspolitische Situation hätten. Ja, aber der Wissenschaftsetat wächst stärker als der Landesetat. Wir setzen einen Schwerpunkt für gute Wissenschaft, für gute Forschung und für gute Lehre. Und das ist auch  richtig so. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Kollege Körner. – Für die AfD spricht der Abgeordnete Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen enthält das ewig gleiche Narrativ dieser Partei: Geschlechtergerechtigkeit, Autoritätsbeschneidung und Leistungsbeliebigkeit.

Sie kämpfen jetzt, im Jahre 2018, immer noch den Kampf Ihrer ergrauten Vorbilder von 1968. Auch wenn dieser Kampf damals sogar eine gewisse Berechtigung hatte, wenn das Augenmerk auf die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich richtig und wichtig war, wenn damals tatsächlich eine Mitbestimmung durchgesetzt werden musste, die außer der Professorenschaft auch den anderen Mitgliedern der Universität die Mitgestaltung ermöglichte; so wirkt dieser Kampf heute, Herr Bolte-Richter, doch bizarr.

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dass Sie so strukturkonservativ daherkommen – Sie als junger, dynamischer Mann –, das hätte ich mir, ehrlich gesagt, nie vorstellen können.

Was Sie in der Großen Anfrage thematisieren, sind doch nicht die wirklichen Probleme, mit denen sich die Universitäten und Fachhochschulen herumschlagen müssen. Sie lenken damit den Blick auf organisatorische Bereiche, die für sich genommen natürlich durchaus wichtig sind, die aber nicht im Zentrum der Universität stehen. Damit zeigen Sie Ihr Desinteresse an den eigentlichen Aufgaben von Universitäten und Hochschulen: die Bedingungen für Forschung und Lehre und um die Intensität der Erkenntnis. Darum muss es doch eigentlich gehen.

Letztlich verschleiern Sie mit ihrer Großen Anfrage auch die gesinnungslenkenden Bestimmungen Ihres Hochschulzukunftsgesetzes aus dem Jahr 2014, welche, von Ihrem ideologischen Missionseifer getrieben, die Hochschulen in das Korsett Ihrer gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Utopien drängen.

So verboten Sie den Universitäten die Überprüfung der Anwesenheitspflicht und glaubten so, die Freiheit der Studierenden dadurch entscheidend zu erweitern. An den Universitäten gibt es aber offensichtlich auch jetzt schon – Gott sei Dank! – die Anwesenheitspflicht, wie die Antwort der Regierung gezeigt hat. Die Hochschulen stärken damit die Leistungsfähigkeit ihrer Seminargruppen; denn die Anmeldung zu einer Seminarveranstaltung gibt den Teilnehmern die Sicherheit, dass jeder das bekommt, was ihm rechtens zusteht.

So ist gerade die Anwesenheitspflicht für Seminarveranstaltungen – überhaupt zu Veranstaltungen, die von der gedanklichen Auseinandersetzung getragen werden – eine Gewähr für die Rechtssicherheit und den Schutz jedes einzelnen Studierenden.

Es gibt nicht nur ein Recht auf individuelle Freiheit – sozusagen ein Recht auf sofortiges Umsetzen von Handlungen als Ergebnis willkürlich, plötzlich getroffener Entscheidungen. Freiheit steht auch dem Einzelnen eines Kollektivs zu, das auf der Grundlage verbindlicher Vereinbarungen besteht.

Ihre ständige Kritik an dieser Anwesenheitspflicht bedeutet jedoch, die Entscheidung über die Anwesenheit in Seminaren dem Einzelnen zu überlassen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen Seminarteilnehmer. Sie wollen die Universitäten knebeln und verhindern, dass sie für sich selbst entscheiden können, wie sie ihre Studiengänge organisieren.

Mit der Zivilklausel gehen die Universitäten sehr verantwortlich um. Sie beschränken sich schon selbst; es entspricht dem Mainstream, Dinge zu tun, die von der Gesellschaft allseits als hochmoralisch anerkannt werden. Wir haben an der Antwort der Regierenden gesehen, wie sehr die Universitäten sich hier schon selbst beschneiden. Das halte ich für eine unglückselige Entwicklung; denn wir können doch gar nicht absehen, inwiefern Grundlagenforschung möglicherweise später in den militärischen Bereich hineinwirkt.

Im Übrigen stelle ich mir die Frage, warum gerade in Deutschland eine derartige Forschung verboten sein sollte. Sie als einziges Land aufzugeben, wäre unglaublich naiv; schließlich wird sie weltweit betrieben: in den USA, in Russland, in China und natürlich auch in unseren europäischen Nachbarstaaten.

Sie dienen ja letztlich auch unserem Militär zur Abwehr von Feinden und zur Sicherheit unseres Landes. Dass Sie da immer nur die Moralkeule schwingen können, meine sehr verehrten Kollegen von den Grünen, halte ich für verantwortungslos und, ehrlich gesagt, auch für bigott.

(Beifall von der AfD)

Außerdem stilisieren Sie die studentische Mitbestimmung zur heiligen Monstranz, die Sie immer wieder vor sich her tragen. Fragen wir doch mal, wie hoch die Wahlbeteiligung an den Hochschulen in den letzten Jahren gewesen ist. In Duisburg etwa wählten gerade einmal 4,8 % der Studenten ihr Parlament. In Oldenburg waren es unlängst mit 1,2 % noch weniger. Wer sitzt denn da also auf der Mitbestimmungsebene? Das ist doch Ihre Klientel, die dann später als Studienabbrecher in Ihrer Partei Parlamentssitze erobert.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Das ist doch genau der Punkt. Die anderen Studenten haben genug damit zu tun, angesichts der derzeitigen Bedingungen durch die Bologna-Reform ihr Studium durchzubringen.

Und Hilfskräfte-Mitbestimmung? Ich möchte fast lachen. Ich war selbst jahrelang Hilfskraft am Institut für vergleichende Städtegeschichte. Da hatte ich keine Zeit, auch noch in ein Gremium zu gehen, über Mitbestimmung zu verhandeln und mir darüber Gedanken zu machen. Wenn wir was wollten, gingen wir zum Lehrstuhlinhaber und haben unsere Sachen durchgesetzt. Das war’s. Da brauchten wir kein Gesetz. Es ist kein Wunder, dass es an einigen Universitäten niemanden gegeben hat, der diese Vertretungsposition tatsächlich ausfüllen will.

Zugleich stecken Sie Ihren Kopf zum Beispiel vor den Beschränkungen in den Sand, die der Bologna-Prozess mit sich gebracht hat. Die Umwandlung der Universitäten zu akademischen Berufsschulen ist ein Anliegen, dass Sie mit Vehemenz vorantreiben. Bei der von Ihnen genannten Anhörung ist dies deutlich geworden. Der Vertreter – ich würde ihn, ehrlich gesagt, nicht als Fachmann bezeichnen – aus Bielefeld hat doch zugegeben, dass die Universitäten zwar immer sagen, sie wollten die Lehre vorantreiben, aber es sich letztlich auch immer um eine Art von Berufsausbildung handele, die mit dem Bachelorexamen verbunden sei. Dagegen verwahren wir uns ganz deutlich. Die Universitäten sollen weiterhin akademische Lehranstalten bleiben und nicht akademische Berufsschulen werden.

Das ist das, was ich der jetzigen Regierung noch vorwerfen kann. Sie bewegen sich meiner Ansicht nach in die richtige Richtung; das sehe ich genauso. Aber letztlich sollten Sie nicht nur die schlimmsten Schäden rot-grüner Bildungs- und Wissenschaftspolitik, sondern auch die tieferliegenden Ursachen der Universitätsmisere beseitigen. Sie sollten endlich den Mut aufbringen, die Blase des augenblicklichen politischen Mainstreams zu verlassen.

Sie wissen, dass der Leiter des Studierendenwerks NRW dringend Geld braucht – ebenfalls für die Beseitigung der vielen Schäden und Probleme, die es im Studierendenwerk insgesamt gibt; bei Gebäuden und bei der Mensaversorgung. Sie sollten sich um die Probleme kümmern, mit denen sich die Universitäten herumschlagen müssen: Überfüllung ihrer Lehrveranstaltungen, ungenügende Personal- und Sachmittelausstattung, die unselige Verpflichtung zum Aufbringen von Drittmitteln, die Bindung finanzieller Mittel an Absolventenzahlen, die Inflation guter und bester Noten und vor allen Dingen die Verschulung der Universitätsveranstaltungen im Zusammenhang mit der sogenannten Bologna-Reform. Ich sage Ihnen: Da müssen Sie noch viel tun.

Ich setze meine Hoffnungen in Sie. Packen Sie es an! Im Augenblick sind wir auf dem richtigen Weg, aber ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob Ihre Einsicht und Ihre politische Entscheidungskraft stark genug sind. Ich hoffe darauf und bedanke mich ganz herzlich.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Seifen. – Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin Frau Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es ist offensichtlich, dass die Anfrage in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der anstehenden Novellierung des Hochschulgesetzes steht. Das wurde bereits mehrfach gesagt. Die Antwort der Landesregierung zeigt, dass wir mit der Novellierung auf dem richtigen Weg sind.

Zur Beantwortung der Großen Anfrage konnte für eine Reihe von Fragen auf die Akten des Ministeriums zurückgegriffen werden. Etliche Fragestellungen erforderten allerdings auch eine intensive Beteiligung der Hochschulen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Herr Bolte-Richter, im gleichen Tiefgang argumentiert hätten, wie das die Hochschulen und das Ministerium getan haben.

Ich möchte nur kurz auf einige Fragestellungen und Antworten zu den Themenfeldern „Hochschulverfassung“ und „Hochschulsteuerung“ eingehen, die hier schon vielfach angesprochen worden sind. Gefragt wurde unter anderem nach der Mitbestimmung in den Senaten und Fachbereichen.

Noch einmal: In etwa einem Viertel der Universitäten, um genau zu sein an drei Universitäten und fünf Fachhochschulen, ist der Senat gruppenparitätisch besetzt. Alle anderen Hochschulen haben gruppenparitätsäquivalente Modelle gewählt, etwa die Errichtung einer Studienkommission, aber auch noch vielfältiges anderes. Darüber haben wir hier eben gesprochen.

Was nun das Thema „Studienbeiräte“ angeht, so will ich doch einmal daran erinnern, dass, wenn man es einfach mal prozentual betrachtet, 92,6 % bereits eingerichtet sind, nämlich 225 von 243. Da, wo es noch keine gibt – das ist aber alles auch en détail in der Beantwortung der Großen Anfrage aufgeführt; da kann man alles nachlesen – sind sie in Vorbereitung, weil es beispielsweise Fakultätsneugründungen gab. Es gab immer bestimmte äußere Umstände – nur um keine Legenden entstehen zu lassen.

Eines der Probleme bei der Einrichtung von Studienbeiräten – auch das muss hier noch mal deutlich gesagt werden –, besteht darin, Studierende zu finden, die bereit sind, sich in diesen Studienbeiräten zu engagieren. Auch das ist ein Punkt, den man ein bisschen betrachten muss.

Ich hatte das wirkliche Vergnügen, in dem ersten Jahr meines Amtes allen Hochschulen Nordrhein-Westfalens Besuche abstatten und sehr viele Gespräche führen zu können. Diese haben zu der Überzeugung beigetragen, dass die Studienbeiräte vielleicht der einzige Ort sind, wo Studierende noch am ehesten bereit sind, sich zu engagieren, weil sie dort wirklich gefragt sind. Deswegen denke ich, dass wir uns – wir befinden uns ja in der Vorbereitung des Regierungsentwurfs – dazu noch einmal neu entschließen werden.

Wir sehen also, um zur Gruppenparität zurückzukehren, dass diese Gruppenparität eben nicht zu einem Standardmodell geworden ist. Vor allem die Universitäten haben darin keine Zukunft gesehen.

Gefragt wurde auch, wie sich die Universitäten und Fachhochschulen zu Frieden und Nachhaltigkeit stellen. Erfreulicherweise, aber eben auch nicht überraschend, fühlen sich sämtliche Hochschulen in der Trägerschaft des Landes den Zielen einer friedlichen und nachhaltigen Welt verpflichtet und äußern sich entsprechend in ihren Grundordnungen.

Ich teile aber nicht die Einschätzung, dass erst die letzte Gesetzesnovelle die Hochschulen dazu bewogen hat, sich auf Frieden und Nachhaltigkeit verpflichtet zu sehen. Das haben Sie, Herr Bell, ja eben auch geradezu bestätigt – positiverweise. Hochschulen gehen verantwortlich mit solchen grundlegenden Fragen um, und sie brauchen dazu wirklich keinen Nachhilfeunterricht, nicht durch die Landesregierung und nicht durch den Gesetzgeber.

(Beifall von der FDP)

Auch wurde nach dem Hochschulrat gefragt. An etwas mehr als 10 % der Hochschulen regelt die Grundordnung, dass die Mitglieder des Hochschulrates sämtlich Externe sein müssen. Sehr viel häufiger ist es so, dass der Hochschulrat genau hälftig oder mindestens hälftig mit externen Mitgliedern besetzt sein muss. Die Wissenschaft spielt bei der Besetzung eine tragende Rolle. Wichtig ist aber auch der Sachverstand aus der Wirtschaft.

Wenn ich das als persönliche Bemerkung noch beifügen darf: Ich selber war viele, viele Jahre in Hochschulräten, zuletzt sechs Jahre im Hochschulrat der Universität Heidelberg, und kann nur immer wieder feststellen, dass es eine Menge guter Gründe gibt, es so zu organisieren. Der Blick von außen und auch die völlig anderen Betrachtungen, zum Beispiel zum Thema „Governance“, aber auch zu vielen anderen Fragen, sind in so einem Hochschulrat sehr gut zu diskutieren. Man sollte das immer als Chance sehen und nicht als irgendwie geartete Einmischung.

Thema „Hochschulsteuerung“: Ich halte fest, dass seit dem Inkrafttreten des Hochschulzukunftsgesetzes fünf Rahmenvorgaben erlassen worden sind. Diese betreffen die Bereiche Vollstreckung, Buchung und Kontierung, Bewertung für die Hochschulrechnungslegung, Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten und Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben an den überlassenen Liegenschaften der Universitäten Köln und Bonn-Rhein-Sieg.

Dies sind Gegenstände, bei denen unter dem alten Recht schlicht und ergreifend Verwaltungsvorschriften erlassen werden konnten. Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt also, dass Rahmenvorgaben als Instrument gar nicht erforderlich sind. Sie haben ja alle auch immer wieder darauf hingewiesen, dass sie nicht besonders genutzt worden sind. Dann brauchen wir sie auch nicht. Also: streichen. Wir werden entsprechende Konsequenzen in der anstehenden Gesetzgebung ziehen.

Nur ein Wort noch zu dem Landeshochschulentwicklungsplan, den wir kritisch sehen – das haben wir hier jetzt auch schon mehrfach gehört –: Wenn Sie jetzt ganz besonders auf den Steuerungsbedarf der Digitalisierung abheben, dann muss ich schlicht darauf hinweisen, dass genau das auf anderem Wege längst erreicht ist, nämlich durch das Konstrukt der Digitalen Hochschule, wo sich ja sämtliche Hochschulen des Landes sozusagen vertraglich verpflichtet haben, gemeinsam für bestimmte Bereiche der Digitalisierung zu arbeiten. Deswegen konnten wir jetzt alle überzeugen, dass es im Haushaltsplan einen ordentlichen Betrag gibt, um diese Überlegungen in den nächsten Jahren auch zu realisieren. Das fängt nächstes Jahr an.

Also: Der Weg der vertraglichen Vereinbarung von bestimmten Zielen, zum Beispiel in der Digitalisierung, ist, glaube ich, sehr erfolgversprechend. Wir brauchen keine riesigen Pläne, sondern wir brauchen gute Vereinbarungen mit den Hochschulen, und zwar partnerschaftlich.

Zur abschließenden Frage der Großen Anfrage nach den geplanten Gesetzesänderungen wird auf den Referentenentwurf verwiesen, welcher derzeit innerhalb der Landesregierung auf der Grundlage der Anhörungen der Hochschulen und der Verbände zu einem Regierungsentwurf weiterentwickelt wird. Das wird auch nicht mehr sehr lange dauern; das kann ich hier schon ankündigen. Dann können wir unsere Debatten hier gerne fortsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Wir haben jetzt noch zwei zusätzliche Wortmeldungen vorliegen. Zunächst erteile ich dem Kollegen Bell für 1 Minute und 23 Sekunden das Wort. Bitte schön.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe mich gemeldet wegen des Redebeitrags des Kollegen Seifen, der gesagt hat, dass wir die Hochschulen angeblich ideologisch indoktrinieren, dass die 68er fortgesetzt werden, dass die Moralkeule immer herausgeholt wird. – Geschenkt.

(Helmut Seifen [AfD]: Das kann ich Ihnen belegen!)

Aber einen Punkt lasse ich Ihnen nicht durchgehen. Dass Sie aktuell mit Ihren Kleinen Anfragen und Ihrem Redebeitrag auch gerade probieren, die studentische Mitbestimmung an den Hochschulen zu diskreditieren, ist ja offensichtlich Teil – ich will das auch so deutlich sagen – einer Agenda, die nicht nur von Nordrhein-Westfalen aus von Ihrer Partei begleitet wird.

Dazu, dass Sie Studienabbrecher ansprechen, die im Parlament für die Grünen arbeiteten, zitiere ich mal aus einer Rede Ihres Kollegen André Poggenburg vom Februar 2017 im sachsen-anhaltinischen Landtag:

„Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deutschen Hochschulen verbannt und statt eines Studienplatzes lieber praktischer Arbeit zugeführt werden.“

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

„Nehmen Sie die linksextreme Bedrohung ernst und beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden.“

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)

– Sehr geehrter Herr Seifen, aus Ihrer Sicht mag das ja Quatsch sein.

(Andreas Keith [AfD]: Kümmern Sie sich um Ihre Leute! Was haben wir mit Poggenburg zu tun?)

Aber offensichtlich ist es das aus Sicht einiger Mitglieder Ihrer AfD nicht. Deswegen: Diese Angriffe, die Sie hier gegen die studentische Mitbestimmung in dieser Diktion führen, sehen wir in diesem Zusammenhang. Das war Ihr Parteimitglied. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ich wäre froh, der Verfassungsschutz würde da sehr genau draufschauen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Das ist das Einzige, was Ihnen einfällt! – Andreas Keith [AfD]: Kümmern Sie sich um Ihre Leute! Dann haben Sie genug zu tun! Kümmern Sie sich um Herrn Edathy!)

Präsident André Kuper: Ich habe eine weitere Wortmeldung von Herrn Bolte-Richter. Ihm stehen noch 1 Minute und 34 Sekunden zur Verfügung. Bitte schön.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich hatte mich noch einmal zu Wort gemeldet zu einigen Reaktionen. Das Thema „Digitale Hochschule“ wurde 2016 letzten Endes auf Basis auch der Diskussionen rund um den Landeshochschulentwicklungsplan vom Land gemeinsam mit den Hochschulen angegangen. Das sollte man, glaube ich, zu den Ausführungen dazusagen.

Lieber Kollege Dr. Berger, entweder haben Sie den Hochschulentwicklungsplan als Instrument nicht verstanden, oder Sie verdrehen Fakten. Beides finde ich in solch einer Debatte nicht unbedingt statthaft. Das haben Sie in der letzten Legislaturperiode immer gemacht, und das machen Sie in dieser Debatte jetzt wieder. Das finde ich, wie gesagt, nicht statthaft. Sie versuchen hier wieder, uns zu unterstellen, wir wollten da wirklich in die Hochschulen hineinregieren.

Im Gegenteil – es geht darum, ein Instrument von Koordination zur Hand zu haben. Das war auch ein Wunsch, der aus den Hochschulen an uns herangetragen wurde. Da geht es um Themen wie „Infrastruktur“ und auch „Digitalisierung“. Es geht um Fragen wie: Wie schaffen wir es, in den kleinen Fächern eine landesweite Versorgung zu gewährleisten?

Es geht genauso wie bei der Zivilklausel, lieber Moritz Körner – Moin! –, nicht darum, zentral vorzugeben, sondern darum, eine Diskussion für bestimmte gesellschaftlich relevante Themen zu ermöglichen. Ich finde, das ist mit dem Modell, wie wir es gefahren haben, sehr gut gelungen.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollte ich gerne noch eine versöhnliche Anmerkung machen, weil es mir im ersten Beitrag tatsächlich passiert ist, das zu unterlassen.

Liebe Frau Ministerin, bitte nehmen Sie auch meinen ausdrücklichen Dank mit in Ihr Haus. Wir haben Ihnen mit dieser Großen Anfrage viel Arbeit gemacht. Sie haben sich mit den Antworten viel Arbeit gemacht. Geben Sie das in Ihr Haus weiter! Geben Sie das auch gerne in die Hochschulen weiter! Auch die hatten damit ein bisschen Arbeit. Deswegen zum Schluss dafür ganz herzlichen Dank! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Damit darf ich feststellen, dass wir keine weiteren Wortmeldungen mehr haben. Wir sind am Ende der Aussprache. Ich schließe die Aussprache und stelle damit fest, dass die Große Anfrage 5 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erledigt ist.

Wir kommen zu:

10 Neue Flächen für Wohnraum-, Gewerbe- und Industrieentwicklung im Rheinischen Revier ausweisen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4118

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Kollegen van den Berg das Wort. Bitte schön.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute der dritte Block, bei dem wir über das Rheinische Revier sprechen.

Herr Minister Pinkwart, Sie hatten vorhin keine Zwischenfrage zugelassen.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart signalisiert Unverständnis.)

– Doch, ich hatte mich eingedrückt. Aber das ist kein Vorwurf. Ich wollte halt jetzt die Gelegenheit nutzen zu antworten, weil Sie mich schon zweimal angesprochen und gefragt hatten: Wie sieht es eigentlich mit Olaf Scholz und der Finanzierung aus?

Sie müssten mich eigentlich als jemanden kennen, der gerne für die Region wirbt und darauf achtet, dass jeder seine Hausaufgaben macht. Ich will daran erinnern: Sie haben round about 5 Milliarden Euro bis 6 Milliarden Euro angemeldet, wenn ich das richtig zusammengerechnet habe.

Die ostdeutschen Ministerpräsidenten Herr Haseloff, Herr Kretschmer und Herr Woidke haben in einer gemeinsamen Stellungnahme eine ganz andere Hausnummer aufgerufen: 50 Milliarden Euro bis 60 Milliarden Euro. Vielleicht unterhalten wir uns darüber, wo der realistische Korridor liegt. Dann sind wir gerne werbend bereit. – So weit die Vorbemerkung.

Zum Antrag selber: Warum ist das Thema „Flächen“ aus unserer Sicht so wichtig? – Es ist ein Thema, das wir unabhängig von der Strukturkommission, Herr Minister, anpacken können und bei dem das Land in einer Poleposition ist und der Region helfen kann.

Die Braunkohleplanung ist ein Sonderfall der Landesplanung. Sie ist aus der normalen Regionalplanung herausgelöst und wird jetzt in eine Situation kommen, in der sie, wenn sie für die Verstromung ausläuft, sukzessive wieder in die normale Regionalplanung zurückgeführt werden muss.

Der Effekt dieser Sonderplanung ist leider auch, dass man bislang die wirtschaftlichen Effekte des wandernden Tagebaus eigentlich unzureichend betrachtet hat. Bis jetzt gab es immer Tagebaue, Anschlusstagebaue, die ineinander übergegangen sind: Frimmersdorf West, Frimmersdorf West-West, Garzweiler I, Garzweiler II, wie die Tagebaue auch immer hießen.

Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem das vielleicht nicht mehr der Fall ist und das Ende dieser Tagebaue ansteht. Der Beschäftigungseffekt dieser wandernden Gewerbegebiete ist eigentlich bei uns in der Landesplanung unzureichend berücksichtigt worden, was konkret den Wegfall dieser Flächen angeht.

Deswegen haben wir Ihnen verschiedene Vorschläge vorgelegt und gesagt: Lasst uns versuchen, das im Landesentwicklungsplan ordentlich zu verankern. Sie haben bereits selber eine Initiative in Form eines Grundsatzes formuliert. – Wir sind der Auffassung: Lasst uns das so hart wie möglich machen und auch über eine Zieldefinition nachdenken. – Denn wenn es eine landesplanerische Aufgabe gibt, die heißt, präventiven Strukturwandel zu betreiben, ist das wahrlich eine Aufgabe, die im Landesentwicklungsplan höchste Priorität verdient.

Der Wandel in der Braunkohle ist anders als in der Steinkohle. Darüber haben wir schon heute Mittag diskutiert. Wir wissen alle, bei der Steinkohle waren am Schluss häufig Industriebrachen und deren Reaktivierungen ein Thema. Das ist in der Braunkohle anders. Hier gibt es bestimmte Flächen, die am Schluss einfach wegfallen.

Ich will an die Tagebauseen Hambach, Garzweiler oder Inden erinnern, die zusammen 7.600 ha ausmachen. Das sind Flächen, die vielleicht irgendwann am Ende dieses Jahrhunderts mal touristisch genutzt werden können, aber der Region erst einmal für eine höherwertige Flächennutzung nicht zur Verfügung stehen.

Der zweite Effekt, der häufig nicht beachtet wird: Die Umsiedlungen haben ebenfalls zu einer Flächenreduktion geführt. Es ist quasi eine Flurbereinigung im großen Stil durchgeführt worden, weil die Leute die Orte nicht eins zu eins wieder aufgebaut, sondern sie an bestehende Siedlungskörper angeflanscht haben.

Ich selber wohne in einem solchen Umsiedlungsort. Mir haben viele Planer vor Ort bestätigt, dass bei diesen Umsiedlungsvorgängen am Schluss etwa 30 % der Fläche aufgegeben werden, wie zum Beispiel Nutzgärten bei Privatleuten, Lagerhaltung im gewerblichen Bereich etc.

Wenn wir jetzt vorangehen wollen, ist es wichtig, der Region den Ausgleich zurückzugeben. Deswegen haben wir Ihnen verschiedene Punkte vorgelegt:

Den Sonderstatus des Rheinischen Reviers habe ich erwähnt. Die Konversion der Kraftwerkstandorte, zu der auch die Grünen heute Mittag schon gesprochen haben, ist für uns ebenfalls ein wichtiger Punkt.

Wir glauben, dass die bestehenden LEP-Flächen eingebracht werden sollen. Wichtig ist auch die Unterstützung von Planungsverbänden.

Der letzte Punkt, den ich deutlich unterstreichen will, ist, die Kommunen vor Ort massiv darin zu stärken, mitzuplanen und mitzudiskutieren.

Im Augenblick findet all dies unter der Regie des Bergrechts statt. Die Bürgermeister vor Ort klagen bei uns eher darüber, dass sie dort zu wenig Einfluss haben. Ich will zum Beispiel Bürgermeister Heller aus Elsdorf erwähnen, der das sehr deutlich gemacht hat. Wir brauchen mehr Mitsprachemöglichkeiten, und man muss sich Gedanken darüber machen, wie wir diese Flächen vielleicht früher aus dem Bergrecht entlassen können.

Wir freuen uns auf die Diskussion über diese Punkte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU erteile ich unserem Abgeordnetenkollegen Rehbaum das Wort.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze braucht man attraktive und schnell verfügbare Flächen. Das weiß nicht jeder in diesem Parlament, aber es stimmt. Das ist im Münsterland – daher komme ich – und auch im Rheinischen Revier so. Darüber wollen wir heute sprechen.

Im Antrag der SPD, der streckenweise mehr einem Geografie-Proseminar über das Rheinische Revier als einem parlamentarischen Antrag gleicht, ist sehr viel von Flächennachteilen im Rheinischen Revier zu lesen.

Selbst die geringere Flächeninanspruchnahme im Rahmen der Umsiedlung wird von der SPD als Problem dargestellt. Man liest von Rekultivierungskonzepten, die die Bedürfnisse des Rheinischen Reviers nicht angemessen berücksichtigten.

Da wird es ein bisschen problematisch. Technisch gibt es zur Restseegestaltung kaum Alternativen. Denn wenn der Abbau in einem Tagebau beendet wird, verbleibt zumeist aufgrund fehlender Massen für eine Verfüllung ein Restloch. Die Wiedernutzbarmachung als See ist dabei eine sinnvolle Nutzung, und das gelingt zum Beispiel in Inden gar nicht schlecht.

Im Übrigen ist Rekultivierung – das muss einmal gesagt werden – kein großzügiges Entgegenkommen des Tagebauunternehmens, sondern eine ökologische und bergbauliche Notwendigkeit und, mit Verlaub, eine knallharte und teure Genehmigungsauflage, die man nicht infrage stellen sollte.

Schauen wir uns noch einmal die rechtlichen Grundlagen an. Die grundsätzlichen Zielsetzungen für die Wiedernutzbarmachung der vom Bergbau in Anspruch genommenen Flächen werden vom Bundesberggesetz, vom Landesplanungsgesetz und vom Landschaftsgesetz vorgegeben. Die nach Landesplanungsgesetz aufgestellten Braunkohlenpläne legen die Grundzüge der Wiedernutzbarmachung und Oberflächengestaltung fest. Die Braunkohlenpläne werden von der Landesplanungsbehörde genehmigt, und diese wurde in den vergangenen Jahrzehnten nun oft genug von Sozialdemokraten geleitet.

Ist Ihr Antrag ein weiterer Versuch, sich von einmal beschlossenen Konzepten stillschweigend zu verabschieden? – Zumindest erwecken Sie den Eindruck einer Distanzierung. Es fällt auf, dass Sie auf langen sieben Seiten nicht einmal klar und deutlich feststellen, was die Grundlagen für Kohleabbau, Rekultivierung und Renaturierung im Rheinischen Revier sind, nämlich Entscheidungen der SPD-geführten Landesregierungen, zum Beispiel die Leitentscheidung aus 2016.

Alles, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was Sie jetzt als Problem oder Nachteil bemängeln, haben Sie selbst beschlossen und genehmigt. Sie stellen im Antrag zu TOP 8 fest, dass es eine Leitentscheidung gibt. Aber stehen Sie auch noch zur Leitentscheidung von 2016?

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Das ist nun schon seit Monaten so: Wenn es ums Rheinische Revier geht, versucht die SPD zu duschen, ohne nass zu werden.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van den Berg?

Henning Rehbaum (CDU): Nein, danke.

Die Menschen und die Unternehmen im Rheinischen Revier brauchen Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Planungssicherheit für ihre Zukunft. Dazu gehören auch Flächen für Ansiedlungen und neue Arbeitsplätze – richtig erkannt. Aber doch bitte nicht schon wieder so verkorkst und verkrampft wie in Ihrem Antrag, der den dirigistischen Geist Ihres bisherigen LEP atmet. Da heißt es:

„… künftige Ausweisung von Gewerbe- und Industrieflächen und damit auch die Entwicklung solcher Flächen im Rheinischen Revier an einer bedarfsgerechten Umsetzung der identifizierten Entwicklungspotenziale auszurichten …“

Das klingt, mit Verlaub, nach einer hochkomplizierten theoretischen Ermittlung möglicher Flächenbedarfe und einem unbarmherzigen Ringen mit den Behörden um jeden Morgen Industrieland. Das ist Rot-Grün pur, das ist Duschen, ohne nass zu werden.

Das Gegenteil wird gebraucht. Ob Start-ups, Mittelständler oder Großansiedlungen – wenn jemand investieren will, dann muss man ihm ein Grundstück auf dem Silbertablett präsentieren können, auf dem er sofort loslegen kann. Das ist schwarz-gelbe Politik pur.

Flächenverfügbarkeit im Rheinischen Revier wird natürlich auch über die Landesplanung gesteuert – absolut richtig. Die NRW-Koalition hat zügig nach der Wahl den wachstumsbremsenden LEP angepackt und ist mit dem Verfahren inklusive Beteiligungen weit vorangeschritten. Schon bald können die neuen, wachstumsbejahenden Planvorgaben in Kraft treten.

Darüber hinaus ist seit April 2018 ein Erlass in Kraft, der den Planungshorizont für Flächen um 25 % erhöht. Das heißt: deutlich mehr Handlungsfreiheit für die Kommunen. Unberührt davon bleibt unsere Grundhaltung des sorgsamen Umgangs mit wertvollen Ackerflächen, die in NRW in der Vergangenheit allzu sehr für Kompensationsmaßnahmen herhalten mussten.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit dem LEP schafft die NRW-Koalition eine wichtige Grundlage für einen gelingenden Übergang auch im Rheinischen Revier, für einfachere Flächenausweisungen, für die Stärkung des ländlichen Raums, für Wachstum und neue Arbeitsplätze, kurz: für einen Strukturwandel mit gesundem Menschenverstand. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die FDP spricht nun der Abgeordnete Freynick.

Jörn Freynick (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum dritten Mal wird heute das Thema „Rheinisches Revier“ aufgerufen. Das finde ich absolut positiv, denn tatsächlich liegt es uns allen am Herzen, dass die Region zukunftsfest aufgestellt wird.

Diese gute Absicht unterstelle ich auch den Kolleginnen und Kollegen der SPD, die mit diesem Antrag das Thema „Flächenentwicklung im Rheinischen Revier“ ansprechen. Im Einzelnen und was den Zeitpunkt der Antragstellung angeht, sind wir allerdings unterschiedlicher Auffassung.

Das Ziel, mit einem ausreichenden Flächenangebot den Strukturwandel im Rheinischen Revier erfolgreich zu gestalten, teilen wir. Dieses Ziel verfolgen wir mit den vorgeschlagenen Änderungen am Landesentwicklungsplan. Damit wird eine bedarfsgerechte Ausweisung von Flächen, sowohl Wohnbau- als auch Wirtschaftsflächen, im Rheinischen Revier möglich sein. Ich verweise auch auf den bereits in Kraft getretenen Erlass zum LEP, mit dem die Planungszeiträume für die Festlegung von Siedlungsflächen verlängert wurden, sodass die Regionalräte mit ihrer Planung entsprechend flächensichernd vorgehen können.

Auch wird die Sonderstellung des Reviers in einem neuen Grundsatz bei der Flächenfestlegung – das ist dann wiederum Aufgabe der Regionalräte – unterstützt. Dies als Ziel festzulegen, wie Sie es fordern, geht aber zu weit. Es ist rechtssystematisch gar nicht möglich und würde auch mit Blick auf andere Regionen im Land der Sonderstellung zu viel sein.

Auch in einem anderen Punkt schießen Sie etwas über das Ziel hinaus: Die Nachnutzung der Kraftwerksstandorte ist sicher in den Blick zu nehmen, aber wenn Sie von „kurzfristig“ sprechen, dann halte ich Ihren Zeitrahmen doch für etwas überhastet. Die Kohlekommission hat, wie Sie wissen, noch keinen Beschluss zum Ausstiegsdatum oder zum Ausstiegspfad gefällt. Wir sollten da jetzt nicht raten oder schätzen, sondern die Beschlüsse der Kommission abwarten und entlang des dann deutlich werdenden Abschaltungspfades die Nachnutzung in den Blick nehmen.

Gleiches gilt für die Forderung nach Landesförderung. Auch hier gilt es, die Ergebnisse der Kommission abzuwarten; denn das Thema „Mittel für den Strukturwandel“ ist in der Tat von großer Bedeutung, auch wenn sich vieles auf das Ausstiegsdatum fokussiert. Wir dürfen nicht vergessen, dass explizit das erste Ziel der Kommission darin besteht, den Strukturwandel in den betroffenen Regionen zu unterstützen. Die bislang genannten Summen sind dafür sicher nicht ausreichend. Insofern ist das Engagement unseres Wirtschaftsministers Professor Dr. Andreas Pinkwart zu begrüßen, der die Interessen Nordrhein-Westfalens in der Kommission einbringt.

Ihr letzter Forderungspunkt wandert dann etwas ins Ungefähre ab. Wir zählen viermal ein „gegebenenfalls“. Das zeigt, dass das Ziel klar ist, der Weg dorthin aber vielleicht nicht. Uns ist jedenfalls klar, dass die Beschleunigung von Prozessen in der Tat ein richtiges Anliegen ist, das wir mit den Änderungen am LEP und der Reform des Landesplanungsgesetzes auch angehen wollen. Ob die Ausweitung von Mitspracherechten dafür ein geeignetes Mittel ist – dahinter mache ich erst einmal ein Fragezeichen, denn wir wissen alle, dass das, was die zeitliche Perspektive angeht, zu Schwierigkeiten führen kann.

Noch zwei Anmerkungen grundsätzlicher Natur.

Erstens. Ihr Antrag behandelt allein das Thema „Flächenbereitstellung“. Wenn wir aber über den Strukturwandel und über neue Entwicklungsperspektiven für das Rheinische Revier sprechen, geht es natürlich auch um die Erschließung der Flächen und um die Schaffung einer leistungsfähigen Infrastruktur. Das gehört zu einer fundierten Betrachtung unverzichtbar dazu. Auch das werden wir im Ausschuss intensiv mit Ihnen beraten.

Zweitens. Ihr Antrag kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich eine Beschlussfassung im Grunde verbietet. Wie Sie wissen, stehen sowohl die Änderungen am LEP als auch beim Landesplanungsgesetz an. Hierzu gibt es umfangreiche Beteiligungsmöglichkeiten wie beispielsweise Stellungnahmen, die wir in dem LEP-Verfahren momentan prüfen. Was dabei zum Schluss herauskommt, gilt es natürlich abzuwarten.

Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. Ich freue mich auf gute Beratungen im Ausschuss. Die drei Anträge zum Rheinischen Revier haben wir heute sehr detailliert und intensiv debattiert. Von daher haben wir schon heute einen guten Dienst für unser Land in diesem Bereich erbracht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Freynick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Becker.

Horst Becker (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen jetzt in der Tat das dritte Mal über das Rheinische Revier, aber wir sprechen, wie wir jedenfalls meinen, über einen interessanten Detailaspekt, nämlich über die Flächenpolitik.

Zunächst einmal ist die Frage, wann dafür der richtige Zeitpunkt entlang der Beschlussfassung der Kohlekommission ist. Im Umkehrschluss heißt das natürlich, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kohlekommission ihre Empfehlung mit hoher Wahrscheinlichkeit vor der Schlusskonferenz in Kattowitz abgeben wird, weil – auch das wissen alle Kundigen – die Preise für die Kohlereviere sinken werden, wenn man nicht vor Kattowitz ein gemeinsames Ergebnis hat und die Kanzlerin dort entsprechend auftreten kann. Das ist jedenfalls der aktuelle Kenntnisstand.

Der Zeitpunkt, an dem es zu Entscheidungen kommt, ist also nicht mehr fern. Am Ende des Tages ist auch nicht entscheidend – jedenfalls nicht für die Frage des Strukturwandels –, ob dort die Zahl 2036, 2037, 2038 oder 2039 – irgendwo in dem Bereich wird das meiner Meinung nach landen – stehen wird, weil der Strukturwandel, den wir heute einleiten müssen, nicht von diesen vier Jahren abhängt. Das ist deshalb wichtig, weil es bestätigt, dass man sich mit dem Ausstieg aus der Braunkohle eigentlich schon lange hätte beschäftigen müssen; denn das ist die Voraussetzung dafür, sich auch gedanklich darauf einzulassen, dass der Strukturwandel stattfinden muss.

In diesem Haus herrscht große Einigkeit darüber, dass er stattfinden muss. Gleichwohl sind wir unterschiedlicher Meinung darüber, in welchem Tempo und möglicherweise auch mit welchen Details das geschieht. Ich will deutlich sagen, dass wir dann in der Debatte an der einen oder anderen Stelle vielleicht zu Unterschieden gelangen, wir aber sehr wohl einer Meinung sind, dass es über die Frage des LEP und den Streit hinaus, den wir auch dazu teilweise haben, tatsächlich Vorrangplanungen für Flächen geben muss.

Ich will an ein oder zwei Beispielen deutlich machen, wo wir gleicher und wo wir anderer Meinung sind. Wer sich mit der Frage der Flächen im Rheinischen Revier beschäftigt, kommt unweigerlich zu dem Punkt, Herr Kollege van den Berg, dass sehr viele dieser Flächen Rheinbraun und RWE gehören. In diesem Zusammenhang ist es nicht ganz einfach, eine innovative Flächenpolitik zu betreiben, weil die Interessen des Besitzers dieser Flächen – und das sage ich jetzt nicht, um ein Feindbild zu pflegen – auch an deren Verwertung im Zweifel andere sind als die Interessen der Kommunen, deren Ziel es ist, innovative Betriebe anzusiedeln.

Es muss nicht per se das gleiche Ziel sein, wie zum Beispiel das der RWE oder das von Rheinbraun, die durchaus ein Verwertungsinteresse haben, was für diese Flächen dann zu anderen Ergebnissen führt. Insofern würde ich an dieser Stelle das eine oder andere Fragezeichen machen, wenn Sie von regionalen Flächenpools sprechen, an denen neben den Kommunen und möglicherweise auch den Kreisen diese Versorger beteiligt sind.

Ausdrücklich würde ich Ihnen aber recht geben, wenn Sie davon sprechen, dass wir Vorrangflächen und eine Vorrangplanung brauchen. Um die nötige Geschwindigkeit – und das hat nicht unbedingt etwas mit der Masse der Ausweisungen zu tun – in der Frage zu erreichen, wie wir innovativen Unternehmen entgegenkommen und schnell reagieren können, um solche Unternehmen zum Beispiel in der Digitalwirtschaft, bei der Elektromobilität oder eben auch bei dem Batteriewerk, das immer in Rede steht, das ich aber noch nicht kommen sehe, anzusiedeln, brauchen wir tatsächlich solche Planungsinstrumente.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass Sie es sich heute Morgen meiner Meinung nach ein Stück weit zu einfach gemacht haben oder dass Sie es nicht richtig verstanden haben, was die Kollegin Brems für uns vorgetragen hat. Wir haben nicht gesagt: „Wir wollen die Kommunen bevormunden“, sondern wir haben immer wieder angeführt, dass wir so etwas wie eine Taskforce brauchen, wo Bezirksregierungen – es sind ja nun zwei damit beschäftigt –, die Kreise – es sind mehrere damit beschäftigt, die auch mit ihren Naturschutzbehörden, der Landschaftsplanung etc. mitsprechen – und die Kommunen zusammensitzen und es eben nicht zu Kirchturmdenken oder zu Konkurrenzen, die teilweise entstehen, sondern zu einer gemeinsamen Arbeit kommt. – Wir sind gespannt auf die Beratung!

Ich finde, dass in dem Antrag viel Richtiges steckt. Ob wir dann am Ende des Tages bei dem mitgehen, was Sie sich offensichtlich vorstellen, von dem ich den Eindruck habe, dass es sehr weit geht, weil Sie zum Beispiel so tun, als würde durch die Rekultivierung industrielle Fläche verloren gehen – die ist aber in Wahrheit schon durch die Braunkohleförderung verloren gegangen; die war vorher lange Zeit schon nicht da –, darauf bin ich gespannt.

Dass wir andere Instrumentarien als die Entfesselungsideologie entlang des LEP brauchen, ist offensichtlich. Übrigens ist es auch eine Forderung – um den Kreis zu schließen – der Kohlekommission, die ausdrücklich die entsprechenden Reviere aufgefordert hat, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Horst Becker (GRÜNE): … infrastrukturell und planungsrechtlich die entsprechenden Voraussetzungen für die Ansiedlungen im Wohnsiedlungsbereich, die Ansiedlungen im Gewerbebereich und für die entsprechenden Verkehrsflächen zu schaffen. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin schon erstaunt, dass Sie als SPD das Zurückgeben von Flächen an die Natur missbilligen. Aber das passt eigentlich auch zu Ihrem zweiten Antrag zum Rheinischen Revier heute.

Danach wollten Sie die Flächen nämlich für viele hochsubventionierte Maßnahmen nutzen. Leitlinie war dort: Hauptsache, es steht „Energiewende“ drauf, dann ist jede Flächennutzung in Ordnung, egal ob für Windkraft, für Biomasseprojekte oder für klimagerechte Neuansiedlungen. Der Flächenverbrauch ist für Sie anscheinend in Ordnung, solange CO2 gespart wird.

Daran erkennt man auch den Unterschied zwischen Ihnen und uns, zwischen einem Klimaschutz von Ihnen und einem Natur- und Umweltschutz von der AfD.

(Beifall von der AfD)

Die AfD steht für einen Natur- und Umweltschutz und nicht für einen Klimaschutz. Die AfD will Flächen für die Natur erhalten, soweit dies möglich ist. Manchmal ist es allerdings im Interesse der Nation, Unternehmen diese Flächen zu geben, zum Beispiel wenn diese Unternehmen Arbeitsplätze schaffen oder für Unternehmen, die günstige Energie erzeugen, das heißt Energieerzeugung ohne staatliche Subventionen betreiben. Dann muss natürlich eine Abwägung erfolgen, ob man die Fläche für die Natur oder für die Unternehmen nutzt.

Bei SPD und Grünen sieht es aber anders aus. Flächen für eine günstige Energieerzeugung stehen bei SPD und Grünen übrigens auch nicht hoch im Kurs, siehe das Beispiel mit dem Hambacher Forst. Die Grünen wollen die Forstfläche um jeden Preis erhalten, und die SPD spielt letztlich dabei mit; denn sie hat jahrelang die Gewalttäter im Hambacher Forst geduldet – Kriminelle, die sich ihre Hände schmutzig machen und deren Wirkung man inzwischen leider sieht: Busse abgefackelt, Geschäfte abgefackelt, Mitarbeiter von Unternehmen mit Hausbesuchen bedroht – eine Gesinnungsgewalt, die Deutschland eigentlich nur aus historisch belasteten Zeiten kennt.

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Jetzt jedoch bemängeln Sie von der SPD, dass die genutzten Flächen am Ende tatsächlich der Natur zurückgegeben werden. Renaturierung nennt man das in der Fachsprache.

Wir als AfD jedoch begrüßen die Renaturierung ausdrücklich. Dort werden eine unglaublich vielfältige Naturlandschaft und Seenplatten entstehen, um die uns die Mecklenburger beneiden werden, ein Paradies für Vögel, Insekten und Amphibien. Wir möchten nicht, dass die Natur auf diese Flächen verzichten muss. Die Natur muss vielmehr das zurückerhalten, was ihr einmal von der Braunkohle genommen worden ist.

Wir sehen auch nicht die von Ihnen genannten Flächenprobleme im Revier. Betrachten wir dabei doch einmal das sogenannte Siedlungsflächen-Monitoring aus dem Jahr 2014. Anmerkung: Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Demnach sind zum Beispiel die Kreise Düren und Euskirchen Spitzenreiter bei den Gewerbeflächenreserven je Beschäftigten. Auch bei den Wohnflächenreserven waren Größenordnungen verfügbar, um die andere Großstädte diese Region beneiden.

Flächen sind somit nicht das Problem. Mit dieser Flächendiskussion lenken Sie von der SPD von den eigentlichen Problemen ab. Das Problem ist nämlich, dass man Unternehmen erst einmal dazu bringen muss, überhaupt noch in Deutschland zu investieren. Insbesondere bei den energieintensiven Unternehmen in der Region wird es zu Problemen kommen; denn diese Unternehmen werden gerade durch die Politik der hohen Strompreise abgeschreckt, die Politik, die alle sozialistischen Parteien hier im Hause, also angefangen bei der SPD über die Grünen und die CDU bis zur FDP, vorantreiben. Solange Sie alle auf dem künstlichen Pfad der hohen Energiepreise voranschreiten, werden weitere Investitionen unterbleiben.

Selbst Professor Pinkwart musste im Wirtschaftsausschuss zugeben, dass eines der großen Probleme, warum zum Beispiel asiatische Firmen nicht in NRW investieren, die hohen Energiepreise sind. Sie können also froh sein, wenn die Unternehmen, die schon in NRW sind, überhaupt noch Ersatzinvestitionen tätigen.

Viel wahrscheinlicher ist es nämlich, dass diese Firmen bei der nächsten größeren Revision einen Teil ihrer Fabriken ins Ausland verlagern. Das wäre wieder ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer, wieder ein Schlag ins Gesicht der Malocher.

Fangen Sie endlich an, wieder im Sinne der Arbeiter zu agieren, statt hier scheinbar den Retter der Region zu spielen, während in Berlin bereits die nächsten Steuererhöhungen auf Benzin geplant sind.

Wir stehen hinter den Malochern im Revier. Aber wir erwarten von RWE auch eine echte Renaturierung mit dem Erhalt einer wunderbaren Natur. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Loose. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über verschiedene Aspekte, die für den Strukturwandel zentral sind, und haben damit Gelegenheit, ein bisschen nachzuvollziehen, womit sich die WSB-Kommission beschäftigt, die auch zu diesen Fragen Stellung nimmt. Ich darf mit Genehmigung der Präsidentin aus dem Zwischenbericht zitieren. Bezogen auf regulatorische Erfordernisse heißt es dort:

„Es müssen Prozesse beschleunigt und bestehende Instrumente auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Das Ziel muss sein, wo immer möglich diese bestehenden Instrumente noch effektiver für die Reviere zu nutzen, beispielsweise in der Strukturpolitik oder Infrastrukturbereitstellung sowie bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren.“

So viel zu der Kritik, die Herr Becker – er ist jetzt nicht mehr hier – eben zu unseren Entfesselungspaketen vorgetragen hat. Das ist genau das, was wir machen, nicht nur für das Rheinische Revier, aber in diesem Fall auch mit Wirksamkeit für das Rheinische Revier. Die Änderungen im LEP, die wir hier schon auf den Weg gebracht haben, beinhalten auch für die Kohleregionen unseres Landes den Grundsatz, dass wir sie bei der Strukturentwicklung entsprechend unterstützen.

Genau das bringt zum Ausdruck, wie wir das sehen. Wir sehen das nicht nur in der Verantwortung des Landes, sondern eben auch in der Verantwortung der Kommunen und der Regionen, dass sie ihre Rahmenbedingungen für die Fortentwicklung ihres Wirtschaftsraums so weit wie möglich selbst beeinflussen können und dabei auch möglichst viel Gestaltungsraum gewinnen. Und der ist notwendig, um den Sonderbedingungen, die wir hier im Rheinischen Revier vorliegen haben, tatsächlich entsprechen zu können.

Insoweit kommen wir hier längst der Aufforderung der Kommission nach. Wir schaffen diese verbesserten Rahmenbedingungen, auch beschleunigte Genehmigungsverfahren, und machen den Standort damit für die vorhandenen Unternehmen wie für neue, die wir in die Region holen wollen, attraktiver.

Das ist auch dringend notwendig, weil wir bei gewissen Standortfaktoren – Löhne, Energiekosten und andere – natürlich global gesehen nicht nur vorne liegen. Da müssen wir durch andere Faktoren wie zum Beispiel durch kluge Köpfe, durch Forschung und Technologie, gute Netzwerke, aber auch durch beste Planungs- und Genehmigungsbedingungen versuchen, das zu kompensieren.

Dazu gehört auch die Entwicklung sogenannter Standorte für landesbedeutsame flächenintensive Großformen, sogenannte LEP-Flächen und damit auch der Flächen etwa – wie hier schon angesprochen – in Grevenbroich – Neurath. Auch das ist nur gemeinsam von Land und Kommunen und den jeweiligen Regionalräten zu entwickeln und zu gestalten.

Hier müssen wir – ich habe das schon im Wirtschaftsausschuss ausgeführt – mit den Regionen, mit den Kommunen sehr nachdrücklich zusehen, dass wir, wenn wir schon LEP-Flächen haben, sie nicht nur flächenmäßig ausweisen, sondern dass wir, was den Grunderwerb und das Genehmigungsrecht anbetrifft, diese Gebiete vorsorgend so ertüchtigen, dass wir dann, wenn der Investor kommt, auch handlungsfähig sind. Das ist uns in der Vergangenheit nicht so gut gelungen, wie man sich das wünschen könnte. Hier gilt es, sich darauf zu konzentrieren – jetzt mit Blick auf das Rheinische Revier, aber auch mit Blick auf andere Regionen –, damit wir handlungsfähig werden. Hier bitte ich um Unterstützung, damit wir das leisten können.

Im Zusammenspiel mit der Region, mit dem Land, mit vereinfachten Planungs- und Genehmigungsverfahren können wir es schaffen, das Rheinische Revier auf diesen Strukturwandel vorzubereiten. Deswegen sehen wir Ihren Antrag als Bestätigung dessen, was wir schon auf den Weg gebracht haben, und als Unterstützung, dass das jetzt auch zügig umgesetzt werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Dann schließe ich an dieser Stelle, sofern das so bleibt – das scheint der Fall zu sein –, die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4118 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – der bekommt die Federführung –, und die Mitberatung geht an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Sehe ich auch keine. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

11 Mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Elektroschrott – Entsorgungsinitiative für ausgediente Smartphones auf den Weg bringen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4109

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Rüße hat als Erster für die antragstellende Fraktion das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Elektroschrott“ beschäftigt uns alle schon seit vielen Jahren, und zwar mit gutem Recht. Jede und jeder von uns produziert im Jahr ungefähr 23 kg davon, und angesichts der Bestandteile, die darin sind, macht es sicher Sinn, sich immer wieder darum zu kümmern, dass das Ganze vernünftig entsorgt wird.

Durch die neuen Medien, durch Handys, durch Fernseher, die internetfähig sind, haben sich die Innovationszyklen noch einmal deutlich gesteigert, sodass die Produkte nicht mehr zehn Jahre halten. Ein Fernseher ist inzwischen zu einem Wegwerfprodukt geworden. Das macht diese ganze Problematik deutlich brisanter.

Wir reparieren immer weniger Produkte, was ich bedaure. Inzwischen ist es der Regelfall, dass die Produkte eventuell sogar beim Discounter gekauft werden, und über mögliche Reparaturen macht man sich keinerlei Gedanken mehr.

Wenn man einmal über seinen eigenen Müll, den man produziert, nachdenkt, dann wird jeder von uns sagen: Einen, zwei oder drei Toaster habe ich nicht zu Hause herumstehen, eine defekte Waschmaschine auch nicht. Das entsorgen wir alles.

Doch wenn wir mal darüber nachdenken, wie viele Handys jeder zu Hause herumliegen hat, dann werden die meisten von uns, wenn sie ein bisschen länger darüber nachdenken, sagen – und das tun wir nicht, weil wir alle Historiker wären und das für die Geschichtsforschung behalten wollen –: Wir alle haben im Durchschnitt vier, fünf Handys zu Hause in Schubladen liegen, die dort ungenutzt bleiben und vor sich hinvegetieren.

Das Problem ist, dass Handys mittlerweile nur noch eine Nutzungsdauer von 18 Monaten haben. Jährlich kommen in Deutschland 24 Millionen neue Handys auf den Markt. Mittlerweile liegen schätzungsweise über mehr als 120 Millionen Althandys in den Haushalten. Wenn man hochrechnet, welche Wertstoffe in diesen Handys steckt, dann ist das pro Handy wenig, aber in der Summe doch jede Menge. 2,9 t Gold, 30 t Silber und 1.100 t Kupfer sind in diesen 120 Millionen Handys verborgen. Alleine diese Zahl macht deutlich, dass es sehr wohl sinnvoll ist, uns über eine ordentliche Rückgabe zu kümmern, damit diese Handys wieder ins Recycling, in den Kreislauf zurückgelangen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sollten eine weitere Sache nicht aus dem Blick verlieren, nämlich wie diese Rohstoffe, die für die Handys gebraucht werden, gewonnen werden. Gerade die Edelmetalle, die Seltenen Erden, die in den Handys stecken, stammen überwiegend aus wirtschaftlich ärmeren, politisch oft eher instabileren Ländern.

Die Rohstoffe werden teilweise unter Bedingungen gewonnen, die menschenunwürdig sind. Der Abbau ist oft illegal. Oftmals werden auch Kinder als Arbeitskräfte eingesetzt. Es gibt Milizen, Clans, die den Abbau dominieren und mit Gewalt dort ihre Interessen durchsetzen.

Das alles macht es sinnvoll, möglichst wenig von diesen Rohstoffen heranzuziehen, sondern dafür zu sorgen, dass die Rohstoffe, die schon da sind, auch wieder genutzt werden – abgesehen davon, dass man sich natürlich darum kümmern muss, dass die Bedingungen in den Abbauländern verbessert werden.

Sicher brauchen wir auch ein gutes Recycling für Handys, weil in den Handys nicht nur die von mir erwähnten Edelmetalle – gute, wichtige Rohstoffe – vorhanden sind, sondern weil auch Schadstoffe in den Handys enthalten sind. Auch deshalb macht es Sinn, die Handys fachgerecht zu entsorgen.

Wir als grüne Fraktion haben im Rahmen der Parlamentsnacht und des NRW-Tags eine kleine Sammelaktion gemacht, wo insgesamt – das war nur eine kleine Aktion – 300 Handys zusammengekommen sind. Wir haben Sie dem NABU und dem BUND zur Verfügung gestellt, die das wiederum weiterreichen.

Bei diesen Sammlungen, von denen es viel zu wenige gibt, ist das Spannende, dass die Handys zu ungefähr einem Fünftel aufbereitet und wiedergenutzt werden, und vier Fünftel werden ordentlich entsorgt und die Rohstoffe werden wiederverwertet. Teilweise versucht man, Ersatzteile aus den Handys herauszuziehen. So hat man insgesamt eine vernünftige Entsorgung.

Das sind, glaube ich, gute Projekte, gute Ansätze, aber natürlich viel zu wenige. Wenn man 120 Millionen Handys hat, aber nur ein Bruchteil in diese Projekte hineinfließt, dann ist das deutlich zu wenig. Die meisten von uns wissen gar nicht, was sie mit einem alten Handy machen sollen. Wo kann man damit hin? Wer nimmt es ab?

Was wir brauchen, ist ein System, bei dem für jeden von uns klar ist, wo wir das Handy abgeben können, wenn wir es nicht mehr brauchen, wer es abnimmt. Das kann in Landesbehörden installiert werden; das kann beim Hausmeister der Schule für die Schüler sein – die haben ja jede Menge Handys –, wie auch immer.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Norwich Rüße (GRÜNE): Wir sollten uns gemeinsam Gedanken darüber machen und – das steht im Antrag – weiter forschen, Anschübe geben, wie man das Recycling verbessern kann. Da ist längst noch nicht alles perfekt.

Ich hoffe, dass ich zumindest Ihr Interesse an diesem Thema ein klein wenig wecken konnte, und freue mich, wenn Sie uns bei diesem Anliegen unterstützen würden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Untrieser.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Rüße, das Interesse haben Sie mit diesem Antrag in der Tat erweckt, und ich wollte eigentlich fragen, wie viele Handys Sie selber noch in der Schublade haben. – Vier, da sehen wir es. Ich habe mich auch gefragt, wie viele Handys bei mir noch in der Schublade schlummern. Zwei oder drei sind es wahrscheinlich auch.

Das ist in der Tat ein wichtiges Thema. Es ist durchaus sinnvoll, dass alte Handys nicht in der Schublade oder im Schrank zu Hause liegen, sondern dass sie an offizielle Sammelstellen zurückgegeben werden. Damit werden wertvolle Metalle und andere Stoffe wiederverwertet sowie Ressourcen und Umwelt geschont.

Seit dem Jahr 2003 regelt deshalb die europäische Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte die ordnungsgemäße Entsorgung von Elektroaltgeräten einheitlich für ganz Europa. In Deutschland wurde die Richtlinie durch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz umgesetzt. Seitdem sind öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger verpflichtet, Sammelstellen für Elektroaltgeräte einzurichten.

Die Rücknahme ist für Verbraucher kostenlos. Ich glaube, das ist ein wichtiger Hinweis. Es gibt in Deutschland ungefähr 2.000 solcher Sammelstellen. Größere Handelsunternehmen ab einer Verkaufsfläche von 400 m2 sind verpflichtet, Elektrogeräte zurückzunehmen, aber viele bieten ihren Kunden auch freiwillig die Rücknahme von Handys und Smartphones an.

Gerade beim Handy ist es so, dass alle großen Mobilfunkanbieter Altgeräte zurücknehmen. Darauf weist der Verband bitcom hin. Dies geschieht entweder direkt in der Verkaufsstelle, oder Sie können portofreie Versandumschläge im Internet ausdrucken oder im Handyshop abholen. Manche Mobilfunkunternehmen geben dafür sogar einen Gutschein, andere spenden für jedes abgegebene Handy an Umwelt-, Sozial- oder andere Hilfsprojekte.

Auch die Deutsche Post – habe ich gelernt – bietet die kostenlose Entsorgung von Handys und Smartphones an. In zahlreichen Postfilialen werden Verbraucher dazu auch beraten. Nach eigenen Angaben hat die Deutsche Post seit dem Jahr 2005 bereits 2,3 Millionen Mobiltelefone fachgerecht recycelt und entsorgt. Zahllose weitere andere Möglichkeiten existieren, und viele Akteure wirken mit, damit Handys nicht in der Schublade oder im Schrank schlummern.

Beim NABU können an über 440 Sammelstellen Handys abgegeben werden. Für jedes Mobiltelefon fließen 1,60 Euro in das Projekt „Renaturierung der Havel“. Bei 37.000 Handys kamen 2016 fast 60.000 Euro zusammen. Andere Modelle spenden an lokale Umweltschutzprojekte des BUND. Verbraucher können ihr Handy – auch das finde ich kurios – für eine Spende für Berggorillas abgeben. Und die Caritas unterstützt mit der Aktion „Handys in die Tüte“ Hilfsprojekte für ehemalige Kindersoldaten im Kongo.

Eine wunderbare Sache gibt es noch – wir sind ja im digitalen Zeitalter –: Wir haben vor Kurzem auf den Weg gebracht, dass wir mit der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen eine App zur Information über Fluggastrechte konzipieren. Im Bereich Elektroschrott gibt es eine solche App sogar schon. Mit der eSchrott-App können Sie bequem vom Handy aus herausfinden, wo Sie dieses oder andere Elektronikgeräte entsorgen können. Die App zeigt Ihnen auf einer Karte die nächstgelegene Sammelstelle an: Wertstoffhöfe, Supermärkte, Drogeriemärkte. Die App nennt Adresse, Telefonnummer, Öffnungszeiten der Sammelstellen und steht kostenlos zum Download zur Verfügung.

Sie sehen also, wir haben eine ganze Menge Möglichkeiten, wie wir Verbraucher darüber informieren, wie sie sinnvollerweise ihre Altgeräte wieder abgeben. Ich glaube, das ist eine wichtige Sache für Umwelt- und für Ressourcenschutz. Trotzdem freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen im Ausschuss. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kolleg Untrieser. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Berghahn.

Jürgen Berghahn (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Problematik, die die Fraktion der Grünen im Antrag zur Entsorgung von ausgedienten Smartphones beschreibt, ist uns allen nur zu gut bekannt. Tatsächlich erhalten viele Verbraucherinnen und Verbraucher in regelmäßigen Abständen neue Geräte – sei es, weil der Vertrag mit dem Anbieter das so vorsieht, sei es, weil das alte Gerät defekt ist oder ein neues Modell gerade auf den Markt gekommen ist, das einen interessiert.

Selten werden Smartphones länger als zwei, maximal drei Jahre benutzt. Es ist leider nur zu offensichtlich, dass die Benutzung dieser uns so kostbaren kleinen Geräte nicht besonders nachhaltig ist. Wenn sie defekt sind, rechnet sich rein wirtschaftlich eine Reparatur kaum. Wenn sie technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand sind, sind sie nicht mehr attraktiv, und dann möchte sie kaum noch jemand benutzen.

Wertvolle Ressourcen werden verschwendet. Hinzu kommen die teilweise katastrophalen Produktionszustände und die unerträglichen Umstände der Gewinnung der Rohstoffe. Wir müssen uns eingestehen: Diese Geräte, die uns allen den Alltag so sehr erleichtern, sind ökologisch gesehen eine echte Belastung. Insofern kann ich den Wunsch sehr gut nachvollziehen, an dieser Stelle tätig zu werden.

Allerdings müssen wir uns im Fachausschuss sicherlich auch noch darüber unterhalten, wie wir dieses wichtige Vorhaben umsetzen können. Im Prinzip haben wir bereits eine rechtliche Rahmenbedingung, mit der eine ressourcenschonende Entsorgung der Geräte gewährleistet werden soll.

Seit 2003 existiert europaweit die Elektro- und Elektronik-Altgeräte-Richtlinie. Sie wurde in Deutschland 2005 durch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz umgesetzt. In 2012 wurde die EU-Richtlinie neu gefasst. Diese wurde durch Novellierung des Elektrogerätegesetzes vom 20. Oktober 2015 in nationales Recht umgesetzt.

Die Regelungen dienen der Schonung wertvoller Rohstoffe und der Reduktion von umwelt- und gesundheitsschädigenden Stoffen. Ab 2016 formuliert die Neufassung des Elektrogerätegesetzes als Sammelziel 45 % der durchschnittlich in den drei Vorjahren in Verkehr gebrachten Mengen. 2019 wird dieses Sammelziel allerdings auf 65 % erhöht. Deutschland erreichte zwar in den vergangenen Jahren stets gute Sammelquoten; allerdings ist der weitere Weg noch recht anspruchsvoll.

Die Pflicht zur unentgeltlichen Rücknahme von Elektroaltgeräten trifft alle Vertreiber mit einer Verkaufsfläche von Elektro- und Elektronikgeräten; 400 m2 oder mehr müssen diese Geschäfte in diesem Fall haben. Kleinstgeräte sind unabhängig vom Verkauf eines entsprechenden Neugeräts zurückzunehmen.

In der Stadt Düsseldorf zum Beispiel existieren 13 Geschäfte, die gemeldet und zur Rücknahme verpflichtet sind. Bei der Behandlung und Verwertung von Elektroaltgeräten sind die Recyclingausbeuten für Massemetalle wie Kupfer und Aluminium sehr gut. Allerdings muss man eingestehen: Die Möglichkeit der Rückgewinnung von Edel- und Sondermetallen zum Beispiel aus Smartphones ist noch deutlich ausbaubar.

Halten wir also fest: Smartphones stellen eine große ökologische Herausforderung dar, die durch konsequente Rückgabe und konsequentes Recycling gelöst werden könnte. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen dies eigentlich zu, es hapert aber noch an der Umsetzung.

(Unruhe)

Eine größere Sensibilisierung der Bevölkerung gerade bei der Abgabe von Smartphones wäre wünschenswert. Hierfür könnte ich mir auch eine Aufklärungskampagne durch die Landesregierung vorstellen. Ebenfalls befürworte ich die Forderung nach mehr Rücknahmestellen.

(Beifall von der SPD und Norwich Rüße [GRÜNE] – Anhaltende Unruhe)

Auch verbesserte Nachhaltigkeit schon bei der Herstellung der Geräte ist natürlich ein sinnvolles Ziel.

Ob und unter welchen Umständen eine eigene Landesinitiative durchgeführt wird, oder ob die bestehenden Möglichkeiten besser genutzt werden müssen, werden wir noch diskutieren müssen. Daher stimmen wir der Überweisung gern zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Berghahn. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Haupt.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen im Raum, ein ganz kleines bisschen ruhiger zu werden; denn der Grundgeräuschpegel ist extrem hoch. Das stört die Rednerinnen und Redner doch sehr. Danke schön.

Stephan Haupt (FDP): Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der uns vorliegende Antrag behandelt eine immer wichtiger werdende Thematik: den Umgang mit ausgedienten Elektroartikeln. Wir alle besitzen eine Vielzahl von Elektroartikeln und nutzen diese entsprechend – gleich welcher Art und Weise. Sie erleichtern uns den Alltag oder dienen der Freizeitgestaltung. Technik bereichert und erleichtert unser Leben; sie bereitet uns auch Freude.

Der Markt bringt unablässig neue Gerätegenerationen von Handys, Fernsehern und Musikanlagen hervor. Hiermit animiert man den Verbraucher, sich immer das neueste Gerät anzuschaffen und sich mit den neuesten Techniken einzudecken. Die Altgeräte, die oftmals noch voll funktionsfähig sind, haben dann ausgedient und werden nicht mehr genutzt. Dies gilt insbesondere für Handys, die oftmals in Schubladen und Schränken verschwinden.

Ein verstärktes Recycling ist daher gerade angesichts der in den Altgeräten vielfach verbauten Ressourcen unbedingt geboten. Die EU-Vorgaben hinsichtlich der Recyclingquoten fordern von uns, ab 2019 mindestens 65 % des anfallenden Elektroschrotts dem Wertstoffkreislauf wieder zuzuführen – ein ambitioniertes Ziel, welches wir unbedingt erreichen sollten.

Der Antrag der Grünen geht insofern völlig in die richtige Richtung, zeigt aber leider keine wirksamen Lösungsansätze auf. Mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Elektroschrott brauchen wir sicherlich; eine weitere Entsorgungsinitiative nur für ausgediente Smartphones, wie im Antrag gefordert, ist aus unserer Sicht wenig hilfreich und sinnvoll.

Es ist eben nicht so, dass es, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, kein flächendeckendes Rücknahmesystem gäbe. Bei jedem größeren Elektromarkt, bei den kommunalen Wertstoffhöfen, bei den zahllosen Handyshops und bei verschiedenen Sammelinitiativen von NABU, BUND, Telekom, WWF, Telefonica und vielen mehr kann jeder Verbraucher sein Smartphone kostenfrei zurückgeben.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Auch im Internet finden sich zahlreiche Angebote, wie man sein Handy unkompliziert zurückgeben kann. Oftmals tut man dabei sogar etwas Gutes, und so wird bei vielen Anbietern für jede Rückgabe eine Spende an einen wohltätigen Zweck entrichtet. Die Rückgabe ist einfach und kann an vielen Sammelstellen oder sogar per Post erfolgen.

Zusätzlich zu den gerade aufgezählten Anbietern und den genannten Sammelinitiativen kommen deutschlandweit noch mehr als 10.000 Sammelstellen der ear-Stiftung hinzu, welche die Sammlung von Elektrogeräten in Deutschland koordiniert und organisiert.

Herr Rüße, Sie sehen: Das Rückgabeangebot insbesondere für Handys ist wirklich sehr groß. Das Problem der unbefriedigenden Rückgabequote kann daher nicht an zu wenigen Abgabemöglichkeiten liegen.

Eine im Antrag geforderte weitere Sammelinitiative erscheint aus unserer Sicht daher wenig erfolgversprechend. Trotzdem horten ca. 60 % der Menschen in Deutschland zwei oder mehr Mobiltelefone zu Hause. Das Massenphänomen des häuslichen Smartphone- und Handy-Hortens muss daher auch andere Gründe haben. Neben einer gewissen latenten Sammelleidenschaft, die wir alle haben, ist einer der Haupthinderungsgründe wohl insbesondere die Befürchtung des Datenmissbrauchs. Viele Verbraucher sind einfach in Sorge, was mit den auf den Altgeräten befindlichen und teils sehr persönlichen Daten und Bildern passiert. Dann behält man sein Handy doch lieber als Ersatzhandy in der Schublade.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Forderung im Antrag nach Recyclingmindestquoten in Produktion und Vertrieb sowie die gesetzliche Fixierung von ökologischen Mindeststandards in der Herstellung von Mobilfunkgeräten geht aus unserer Sicht ebenfalls ins Leere. Die Produktion von Mobilfunkgeräten in Deutschland ist leider extrem überschaubar geworden; denn circa 99 % aller Geräte werden in Asien für den Weltmarkt produziert.

Bereits heute kann der Verbraucher anhand eines Blauen Engels und des EPAT-Kennzeichens umweltschonende Geräte erkennen und erwerben. Diese Kennzeichnung ist aus unserer Sicht zielführender als gesetzliche Vorschriften mit lokaler Bedeutung für ein global gehandeltes Produkt.

Der Antrag widmet sich einem diskussionswürdigen Thema, überzeugt uns aber im Ganzen noch nicht. Er beschäftigt sich lediglich mit einem Produkt, welches einen eher geringen Anteil …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Stephan Haupt (FDP) … am gesamten Elektroschrottaufkommen hat, schlägt Maßnahmen vor, welche in zusätzlichen Sammelinitiativen längst existieren und stellt Forderungen für Produktion und Vertrieb auf, welche wir weder durchsetzen noch kontrollieren können.

Der Ausschussüberweisung stimmen wir natürlich zu und freuen uns auf eine weitere Sachdiskussion. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Haupt. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie können froh sein, dass wir dieses Thema zu solch später Stunde behandeln; so werden Ihre Wähler kaum mitbekommen, welche Dinge für die Grüninnen in unserer grenzenlosen, kunterbunten Welt gerade wichtig sind.

Mitte August befand sich unsere bunte, grenzenlose Republik allerdings in Aufruhr. Mitte August stritt die bunte, grenzenlose Republik über die Aufnahme von 50 Arbeitsmigranten, die auf dem sogenannten Rettungsschiff „Aquarius“ in Italien saßen, und die man nicht loswurde,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie sollten mal zum Thema sprechen!)

weil die dortige Regierung die Häfen für private Schlepper gesperrt hatte. Mitte August stritt die bunte, grenzenlose Republik außerdem über die geplante Abschiebung von 46 Afghanen.

Sie sehen, werte Grüninnen, ich kann nachvollziehen, dass Ihnen bei all dem entgangen ist, dass seit dem 15. August in Deutschland bereits strengere Vorschriften für Elektroschrott gelten. Seitdem werden bedeutend mehr Gegenstände zum Elektroschrott gezählt als vorher. Sogar kleine Blinklichter in den Turnschuhen muss man jetzt als Elektroschrott entsorgen. Viel Spaß beim Abknibbeln!

Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Antrag der Grünen, mehr Elektroschrott zu recyceln, längst überholt. Er ist handwerklich absolut schlecht gemacht und unglaublich naiv. So fordern die Grüninnen eine Quote für Recyclingmaterialien in der Handyproduktion. Diese Forderung ist so überflüssig wie ein Kropf. Seit der Werkschließung von Nokia im Jahr 2008 wird in Deutschland kein einziges Handy mehr hergestellt.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Diese Forderung ist daher posthum eine Beleidigung für die mehr als 1.200 Arbeitnehmer, die damals ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Ihre Forderung ist nicht nur überflüssig, sie ist auch innovationsfeindlich. Sie legt jungen Unternehmen nur noch mehr Steine für eine Produktion in Deutschland in den Weg. Grundsätzlich aber – das müssen Sie vielleicht noch lernen – ist eine klimaneutrale Handyproduktion, wie Sie es nennen, aus prozesstechnischen Gründen überhaupt nicht möglich. Das ist aber schlussendlich auch egal.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– Schön, dass sich auch manche Rote von meiner Rede angesprochen fühlen. Schließlich liegen Sie ideologisch gesehen gar nicht so weit auseinander.

Heutzutage bestellt der Kunde sein Handy einfach per Internet aus China. Dass die Abbaubedingungen dort mitunter nicht so doll sind, dazu muss ich nicht viel sagen, außer vielleicht Folgendes: 95 % der Weltproduktion von Neodym stammen aus China und werden in jeder Ihrer neuen Vogelschredderanlagen verbaut. Sie betreiben also wieder einmal Ökoheuchelei par excellence.

Ich empfehle dem Antragsteller, insbesondere Ihren Fachreferenten oder Referentinnen, einen Grundkurs in Chemie zu besuchen. Denn wer Kupfer, Palladium oder Kobalt als Elemente der Seltenen Erden bezeichnet, offenbart seine eklatanten Wissenslücken. Liebe Grüninnen, das ist schon mehr als peinlich, auch für Theaterpädagoginnen und solche -innen mit irgendeinem sozialem Hintergrund.

Der Handymarkt gehört zu den Branchen mit dem größten Wettbewerbsdruck und damit auch der größten Innovativkraft. Wer ein Handy mit mehr Recyclingmaterial haben möchte, der kann es bereits heute kaufen. Nur: Wer macht das? Wer von Ihnen, werte Grüninnen, hat denn ein Recyclinghandy? – Wahrscheinlich niemand. Darauf würde ich sogar wetten.

Sie selbst wollen es nicht machen, Sie wollen aber Ihre und unsere Wähler mit Verboten überziehen und zum Kauf eines vollkommen überteuerten Produkts zwingen. Sie machen das, was Sie immer gern machen: Kampagnen starten. Jetzt soll Schülern die Umweltauswirkung einer kurzen Nutzungsdauer von Handys aufgezeigt werden.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Sie wollen die nächste Generation von Menschen mit ökologischen Schuldkomplexen heranzüchten, damit diese zumindest am Anfang bei der nächsten Wahl das Kreuz bei Ihnen machen. Sie nennen das „Umweltbewusstsein“, ich nenne es „grüne Indoktrination“.

Wir haben bereits mit die höchsten Umwelt- und Sozialstandards der Welt. Es ist wirklich absurd: In Deutschland wird in 2018 kein einziges Handy produziert, und jetzt wollen Sie auch noch, dass wir uns schlecht dabei fühlen, eines zu benutzen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung spricht jetzt in Vertretung für Frau Ministerin Heinen-Esser Herr Minister Reul.

Herbert Reul, Minister des Innern: Meine Damen und Herren! Die Einschätzung der Antragsteller, dass es in Nordrhein-Westfalen an einem funktionierenden, flächendeckenden und verbraucherfreundlichen Rücknahmesystem für Elektroaltgeräte fehlt, teilt die Landesregierung nicht. Eine Entsorgungsinitiative der Landesregierung brauchen wir deshalb ebenfalls nicht. Auch für die Forderung nach einer Verbesserung der Anforderungen an die Nachhaltigkeit im Sinne von Reparierbarkeit und Produktdesign ist die Landesregierung nicht der richtige Adressat.

Kurz zurückkommend auf das kommunale Angebot zur Erfassung von Elektroaltgeräten: Wir haben im Land 279 stationäre Sammelstellen im Bringsystem, 33 Schadstoffmobile, 76 Holsysteme mit Abholung „ab Grundstücksgrenze“ bzw. „ab Haushalt“ und in 31 Kommunen über 900 Depotcontainer zur Erfassung von Elektrokleingeräten, zu denen logischerweise auch die Handys gehören. Daneben gibt es in einer Reihe von Kommunen alternative Sammelsysteme, zum Beispiel Tauschbörsen und Verschenkmärkte.

Seit einigen Jahren besteht auch eine Rücknahmepflicht des Handels für Elektroaltgeräte. Wir haben uns erst vor Kurzem über die Befolgung dieser Rücknahmepflicht von den Bezirksregierungen berichten lassen. Die Bezirksregierungen haben mitgeteilt, dass es aktuell hierzu kaum Meldungen über irgendwelche Missstände gegeben habe.

Anfang dieses Jahres haben wir als Landesregierung ein Untersuchungsvorhaben zur Umsetzung der Anforderungen des Elektrogesetzes an den kommunalen Sammel- und Übergabestellen in Auftrag gegeben. Zu den vorliegenden ersten Ergebnissen werden wir am 26. November dieses Jahres gemeinsam mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz eine Fachtagung durchführen. Dort sollen und werden die Fachleute auch über weitere Optimierungsmöglichkeiten diskutieren.

Ich möchte beispielhaft kurz auf einige weitere Aktivitäten zur Sammlung von Althandys hinweisen: Die Verbraucherzentrale NRW gibt auf ihrer Homepage Hinweise auf die Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen, wie zum Beispiel den Naturschutzbund Deutschland oder den Verein Deutsche Umwelthilfe. Darauf haben einige Kollegen vorhin schon hingewiesen. Die Deutsche Umwelthilfe empfiehlt ihrerseits, ausgediente Mobilhandys in eine Handysammlung mit hohen Umweltstandards, wie zum Beispiel an die Organisation „Handys für die Umwelt“, abzugeben.

Auch die Deutsche Telekom fordert Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer Rückgabe gebrauchter Handys, Smartphones oder Tablets im Telekom-Shop auf oder bietet einen kostenlosen Versand per Post an das Telekom-Recyclingcenter an.

Ein weiteres Rücknahmesystem bietet die „Mobile-Box“ in Köln an. Nach Angaben von „Mobile-Box“ konnten allein im Jahr 2016 bereits 40.000 alte Handys gesammelt und 95 % dieser Handys einer fachgerechten Entsorgung zugeführt werden. Angesichts all dieser Aktivitäten sieht die Landesregierung nun wirklich keine Notwendigkeit, noch eine weiterer Aktivität draufzusetzen.

Zu den im Antrag angesprochenen Aspekten der Nachhaltigkeit bei der Produktion von Smartphones möchte ich an die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 31. Mai dieses Jahres zum Thema „Ökodesign-Richtlinie“ erinnern. Das EU-Parlament will die Ökodesign-Richtlinie um neue Anforderungen zur Recycling- und Reparaturfähigkeit von Produkten erweitern und insbesondere auch Mobiltelefone mit einschließen. Das Design soll verbessert und der Akku leichter herausgenommen und damit ersetzt werden können.

Dieses Anliegen unterstützt die Landesregierung. Mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben für den gemeinsamen Binnenmarkt sind diese Aktivitäten aber auch zu Recht auf europäischer Ebene angesiedelt. Es würde keinen Sinn machen, das national oder in einem einzelnen Bundesland zu erledigen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/4109 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll und wird dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

12 Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (AG InsO)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3947

erste Lesung

Herr Minister Stamp hat mitgeteilt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. Das ist auch erfolgt. Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen (s. Anlage 1).

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 17/3947 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend in der Federführung sowie an den Rechtsausschuss. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

13 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Ablösung und Änderung weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/4097

erste Lesung

Auch hier kann ich Ihnen mitteilen, dass der zuständige Fachminister, Herr Minister Lienenkämper, mitgeteilt hat, die Einbringungsrede ebenfalls zu Protokoll zu geben. Auch hier ist eine Aussprache heute nicht vorgesehen (s. Anlage 2).

Damit kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes 17/4097 an den Haushalts- und Finanzausschuss in der Federführung sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen in der Mitberatung. Wenn niemand gegen die Überweisung stimmen möchte – das ist der Fall –, sich auch niemand enthalten möchte – auch das ist der Fall –, dann haben wir ebenfalls so überwiesen.

Ich rufe auf:

14 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Prüfung der Wahlen zum Landtag des Landes NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4112

erste Lesung

Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/4112 an den Wahlprüfungsausschuss in der Federführung sowie an den Rechtsausschuss in der Mitberatung. Wenn niemand gegen die Überweisung stimmt – das ist der Fall – und sich niemand enthält – das ist ebenfalls der Fall –, dann haben wir so überwiesen.

Dann kann ich aufrufen:

15 Fit für die Zukunft europaaktiver Kommunen – In eine reibungslose Zusammenarbeit von Kommune, Land, Bund und EU investieren

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/4120

Eine Aussprache ist heute ebenfalls nicht vorgesehen, sodass wir sofort zur Abstimmung kommen.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/4120 an den Ausschuss für Europa und Internationales in der Federführung sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen in der Mitberatung. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dann nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses hier bei uns im Plenum erfolgen. Wenn hier niemand dagegen stimmt – das ist so – und sich auch niemand enthält – was ebenfalls so ist –, dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

16 Versteigerung der 5G-Frequenzen stoppen und neu ausrichten!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/4111

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich denke, wir kennen das alle: Man fährt Zug, und wenn man das Pech hat, durch einen so dünn besiedelten Raum wie den Düsseldorfer Norden zu fahren, dann befindet man sich schnell in einem Funkloch.

Oder man sitzt im ICE, und das WLAN funktioniert mal wieder nicht, dabei würde man doch gerne die E-Mail zum anstehenden Termin lesen, bevor man in den Termin geht – aber dann klappt auch das nicht. Autofahrerinnen und Autofahrer kennen solche Situationen vermutlich auch, zum Beispiel durch die Einöde auf der A2 oder auf der A3 Richtung Bonn.

Wir müssen also nicht nach Höxter-Albaxen oder Höxter-Amelunxen fahren,

(Monika Düker [GRÜNE]: Genau! – Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

um Funklöcher zu finden. Das ist jenseits aller Anekdoten nicht nur ein persönliches Ärgernis, sondern ein durchaus ernstes Thema. Eine der wirtschaftlich stärksten Nationen dieser Erde wird mehr und mehr digital abgehängt. Die Leistungsbilanz beim Netzausbau ist über die letzten Jahre hinweg dürftig gewesen. Funklöcher und digitale Buckelpisten prägen das Bild, und diese Misere ist politisch verursacht.

Dies droht sich nun bei der Auktion der 5G-Lizenzen fortzusetzen. Wenn es darum geht, Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G zu versteigern, machen Landes- und Bundesregierung falsch, was man falsch machen kann.

Wir Grüne wollen für alle Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen eine Versorgung mit dem neuen, leistungsstarken Mobilfunkstandard 5G erreichen. Immer mehr internetfähige Geräte, immer größere Datenmengen und der Bedarf an höheren Übertragungsgeschwindigkeiten machen 5G dringend erforderlich. Auch der Wandel zur Industrie 4.0 und der Wandel zum Internet of Everything werden sich ohne diesen neuen Standard nicht realisieren lassen.

Die Zukunft lässt nicht auf sich warten, und auch in der Gegenwart muss man sich umschauen: Es gibt nach wie vor erhebliche Probleme. Es geht nicht nur um einen neuen Standard, sondern es geht auch um den aktuellen Standard: Je nach Anbieter hat man auf 30 % bis 60 % der Fläche in Deutschland keinen Zugang zum schnellen Funkstandard LTE.

Sicherlich kennen wir alle derartige Beobachtungen. Die Statistiken zeigen, dass sich die Geschwindigkeiten in Deutschland in den letzten Jahren eher noch verringert haben. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass die Performance nicht gut ist.

Werfen wir einen Blick darauf, welche Problemlagen es aktuell bei der 5G-Versteigerung gibt. Die Vergaberichtlinien wurden vor einigen Wochen im Entwurf für den Beirat der Bundesnetzagentur vorgestellt. Es zeigt sich, dass die Fehler der Vergangenheit offensichtlich wiederholt werden sollen. Es soll schlicht und ergreifend ein möglichst hoher Geldbetrag für den Bundeshaushalt erlöst werden, der am Ende an Investitionsmitteln fehlen wird. Die Ausbauvorgaben sind absolut unverbindlich, und zudem beziehen sie sich ausschließlich auf Haushalte und nicht auf Fläche. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir ändern wollen; denn ansonsten wird der ländliche Raum abgehängt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Genau!)

Es handelt sich hier nicht um einen Antrag, bei welchem der Landtag einfach mal seine Meinung zu einem bundespolitischen Thema kundtun soll. Im angesprochenen Beirat der Bundesnetzagentur ist die Landesregierung durch Herrn Staatssekretär Dammermann und Herrn Liminski vertreten; die Landesregierung könnte an dieser Stelle also eingreifen. Sie könnte etwas gestalten, aber sie will nicht.

Im Gegenteil: Mit Ihrem sogenannten Mobilfunkpakt aus dem Juni dieses Jahres wollen Sie den Anbietern bei der anstehenden Frequenzauktion möglichst geringe Ausbauverpflichtungen, möglichst geringe Auflagen verschaffen – und das Ganze für ein Linsengericht, nämlich für gar kein Entgegenkommen der Unternehmen. Das entspricht der Leitlinie „Alles kann, nichts muss“, und das ist keine gute Leitlinie für Politik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen aber nicht nur kurzfristig Nothilfe durch einen Stopp der geplanten Auktion und eine grundsätzliche Neuausrichtung beim 5G-Standard, sondern wir brauchen viel grundsätzlichere Änderungen und Reformen.

Es wäre für die Anbieter und die Endkunden deutlich günstiger, wenn man ein gemeinsames Netz ausbauen würde, anstatt für etwa 200 Milliarden Euro vier parallele Netze aufzubauen. Das würde Mittel bei den Anbietern freisetzen, und diese könnten in zusätzliche Investitionen fließen. Sie könnten aber auch in niedrigere Preise für die Endkundinnen und Endkunden fließen. So kämen wir zu einer höheren Ausbaudynamik und besseren Bedingungen. Dieses Potenzial sollten wir heben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam diese völlig vergurkte Frequenzauktion stoppen. Dann sind Sie nicht nur an unserer Seite, sondern dann sind Sie auch an der Seite …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): … der Wirtschaft, der Verbraucherverbände und des Landkreistags. Dann haben wir die Chance, dass Nordrhein-Westfalen wirklich digitaler wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bolte-Richter, als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich beim ersten Teil gedacht: Na ja, den einen oder anderen Haken können wir an einige Aussagen machen. Selbstverständlich wird das mobil verschickte Datenvolumen weiter ungebremst ansteigen, und das Thema „Latenzzeiten“ ist natürlich sehr wichtig.

Ich selbst komme aus Südwestfalen: Viele Unternehmen beschäftigen sich schon jetzt mit dieser Technologie. Auch das ist also zweifellos richtig. Und natürlich soll der neue 5G-Standard insgesamt möglichst weit ausgerollt werden.

Diese Dinge können wir also durchaus unterstützen. Nicht mittragen können wir jedoch Ihre Forderung, die Versteigerung der 5G-Frequenzen zu stoppen. Das ist in der augenblicklichen Situation die falsche Antwort. Sie wollen gerade in dem Moment den Stecker ziehen, in dem die Diskussion richtig Fahrt aufgenommen hat.

In der Diskussion gibt es tatsächlich Bewegung. Ich möchte dazu – mit Genehmigung der Präsidentin – einen Pressebericht aus der „Rheinischen Post“ vom 12. November zitieren:

„Bei allem Streit ist denkbar, dass die Netzagentur die 5G-Auktion doch zu einem guten Ergebnis führt. So haben sich Mobilfunker und Industrieverbände auf den Vorschlag geeinigt, dass Industrieunternehmen eigene lokale 5G-Lizenzen erhalten können. So könnten etwa Siemens, Henkel oder die Autokonzerne Werke eigenständig vernetzen, was wichtig für eine noch effizientere Automatisierung ist.

Im Gegenzug sind die Mobilfunker bereit, höhere Auflagen für die Flächendeckung zu akzeptieren. Die Telekom kündigte freiwillig für 2025 eine Versorgung von 99 % der Bevölkerung mit 5G an, die Netzbetreiber wollen ‚weiße Flecken‘ gemeinsam schließen.“

– So weit der Bericht. Da sieht man doch: Ein großer Teil der Forderungen, die Sie gerade gestellt haben, ist im Augenblick in der Diskussion und soll entsprechend umgesetzt werden.

Sie haben außerdem den Mobilfunkpakt angesprochen. Das ist sicherlich ein wichtiges Thema, da 5G für viele deshalb so wesentlich ist, weil im Augenblick noch weiße Flecken im LTE-Netz vorhanden sind. Darum hat sich die Landesregierung mit dem Mobilfunkpakt gekümmert und mit den Netzbetreibern verhandelt – Telefonica, die Telekom und Vodafone haben zugesagt, bis 2020 nicht nur 1.350 neue Masten zu errichten, sondern auch 5.500 alte Masten zu modernisieren und damit die Lücken im Netz zu schließen.

Die Landesregierung ist also unterwegs. Sie leistet ihren Beitrag; nicht nur durch die Gründung dieses Paktes, sondern auch durch die Freigabe von Standorten des Behördenfunks zur Mobilfunknutzung und durch ihr Einsetzen für beschleunigte Genehmigungsverfahren.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das sind nicht – wie Sie es gerade gesagt haben – nur Worte. Wir werden vielmehr den Ausbau kontinuierlich begleiten und uns informieren lassen.

Das sind derzeit die richtigen Signale für die Verbraucher. Ich bin mir außerdem sicher, dass die Versteigerung der 5G-Frequenzen langfristig die richtigen Antworten geben wird. Insofern können wir Ihren Antrag beruhigt ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Watermeier.

Sebastian Watermeier (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schnelle Datenverbindungen sind heute unabdingbarer Bestandteil einer leistungsfähigen Infrastruktur. Genauso wie wir Brücken, Straßen, Schienen und Wasserwege brauchen, brauchen wir im Zuge des Breitbandausbaus auch den Auf- und Ausbau schneller mobiler Datennetze, was auch für die Entwicklung der Digitalisierung im ländlichen Raum von entscheidender Bedeutung ist. So weit sind wir uns alle einig.

Dass Deutschland in diesem Feld leider nicht zu den Spitzenreitern gehört, ist ein Zustand, den wir auch hier im Hause oft genug beklagen. Das Ziel, Deutschland zum Leitmarkt für den 5G-Standard zu entwickeln, ist im Koalitionsvertrag auf Bundesebene festgeschrieben. Insbesondere ist dort vereinbart worden – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –, „dass es zu einer verlässlichen und lückenlosen Mobilfunkversorgung insbesondere im ländlichen Raum kommt“.

Der nun von der Bundesnetzagentur vorgelegte Konsultationsentwurf über die Rahmenbedingungen der Versteigerung der 5G-Frequenzen erfüllt in der Tat in vielen Bereichen die Erwartungen, die im Koalitionsvertrag formuliert sind, nicht in ausreichendem Maße.

Die jüngsten Äußerungen aus dem Kanzleramt, dass ein flächendeckender 5G-Ausbau unrealistisch sei, sind in der Tat überraschend und widersprechen dem politischen Auftrag, den die Bundesregierung hat. Dies ist sowohl von der SPD-Bundestagsfraktion als auch von Teilen der Unionsfraktion bereits entsprechend kommentiert und bemängelt worden.

Es ist vieles richtig, was die Grünen in ihrem Antrag an Kritik an der Versteigerung formuliert haben. Das gilt vor allem für die Sorge, dass mit dieser Form der Versteigerung der ländliche Raum nicht gestärkt wird und die reale Gefahr besteht, dass wir auch im 5G-Netz wieder einen Flickenteppich haben werden, bei dem der ländliche Raum das Nachsehen hat.

Klar ist: Die Fehler der Vergangenheit sollen sich nicht wiederholen. Dafür liegen aber schon Vorschläge auf dem Tisch, die – auch unter Beibehaltung des Zeitplans – umgesetzt werden können. Es braucht einen Dreiklang aus klaren Versorgungsauflagen, einer fortlaufenden Kontrolle des Ausbaubestandes und eines Sanktionsmechanismus für den Fall, dass Versorgungsauflagen nicht eingehalten werden.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Wie viel davon hat die SPD umgesetzt?)

Darüber hinaus brauchen wir ergänzende Instrumente, um Gebiete im ländlichen Raum schnell und zuverlässig erschließen zu können.

Deshalb glauben wir nicht, dass wir hier und heute das Kind mit dem Bade ausschütten sollten. Ein vollständiger Stopp der Frequenzversteigerung würde dem Ziel, Deutschland zügig zum führenden 5G-Standort zu machen, diametral entgegenstehen und unvertretbare Verzögerungen im gesamten Prozess nach sich ziehen. Vielmehr kommt es nun darauf an, die verabredeten Ziele des Koalitionsvertrages in Berlin umzusetzen. Die entsprechenden Gespräche zwischen den Fraktionen und der Bundesregierung dazu sind ja im Gange.

Aus diesem Grund können wir uns dem Antrag nicht anschließen, auch wenn wir die inhaltliche Kritik teilen. Wir werden uns deshalb enthalten.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Watermeier. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Matheisen.

Rainer Matheisen (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich finde ich es gut, dass die Grünen sich mit dem Thema „5G“ beschäftigen; denn das ist ein enorm wichtiges Thema.

Wir reden hier nicht nur über ein schnelleres 4G, was vielleicht der ein oder andere denken mag, sondern über die Grundlagen für Themen wie „Telemedizin“, für einen drastisch geringeren Energieverbrauch und über Industrielösungen wie Machine-to-Machine-Kommunikation, die nur mit 5G möglich sind.

Aber gerade weil 5G eine technische Revolution ist, geht der Antrag der Grünen in die komplett falsche Richtung.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie sagen – das haben Sie eben gesagt, und es steht auch in der Überschrift –, dass Sie die Versteigerung der 5G-Frequenzen stoppen wollen. Wir brauchen aber gerade keinen Stopp, sondern viel mehr Tempo. Wir brauchen keine Bremsklötze, sondern müssen auf die Überholspur beim Thema „5G“. Wir brauchen keine endlosen Diskussionen, sondern schnelle Entscheidungen und eine schnelle Umsetzung.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Auch wir halten die Ausschreibung in einzelnen Punkten für verbesserungsbedürftig. Dazu gab es gerade schon Anmerkungen von diversen Kolleginnen und Kollegen. Auch wir hätten eigene Ideen für die Ausschreibung gehabt und uns schon für den ersten Schritt größere Ambitionen gewünscht. So kontrovers man über die konkreten Bedingungen und Auflagen der 5G-Frequenzversteigerung streiten kann, ist es jedoch schlichtweg unverantwortlich, einen Abbruch des Prozesses zu fordern.

(Beifall von der FDP)

Wir müssen jetzt für ein schnelles 5G-Netz Tempo machen, bevor wir international abgehängt werden. Das wollen wir und lehnen deswegen Ihren Antrag ab.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Matheisen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von der fünften Generation des Mobilfunks zu sprechen, wenn weite Teile des Landes noch von einer anständigen 4G-Versorgung träumen müssen, entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie.

Warum sind wir aber bei der mobilen Breitbandversorgung schon heute so schwach aufgestellt? Eine der Hauptursachen – da sind sich die Experten einig; und das sieht der Antragsteller auch richtig – ist und war die mangelnde Regulierung.

Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung für gewaltige 100 Milliarden D-Mark die Lizenzen für den damaligen 3G-Standard versteigert. Umgerechnet waren das etwa 620 Euro pro Bundesbürger – im Vergleich zu Italien mit 200 Euro, den Niederlanden mit 160 Euro oder Österreich mit 100 Euro ein gewaltiger Betrag.

Das waren gewaltige Lasten, die dazu geführt haben, dass einige Anbieter sich derart übernommen haben, dass sie gleich gar kein Netz mehr aufbauen konnten, weil die Mittel gefehlt haben. Auch ist E-Plus inzwischen vom Markt verschwunden, weil durch die hohen Lizenzerlöse ebenfalls die Mittel für einen weiteren Netzausbau fehlten.

2010 und 2015 wurden überwiegend für den Nachfolgestandard LTE oder eben für 4G weitere Lizenzen vergeben. Wieder hat man die Fehler wiederholt und hauptsächlich Milliardenbeiträge erlöst.

Doch natürlich müssen die Anbieter die gewaltigen Erlöse an anderer Stelle refinanzieren. Während man in anderen Staaten strenge Auflagen hinsichtlich Netzqualität und Netzausbau machte und macht, waren diese Ziele in Deutschland noch nie sonderlich ambitioniert und nebenbei auch noch unverbindlich.

Das merkt man dann eben auch: Außerhalb der Ballungsräume ist die Netzqualität bis heute schlecht. Ganze Landstriche müssen sich heute mit Mobilfunk im Schneckentempo begnügen.

So unterdurchschnittlich der Netzausbau, so überdurchschnittlich sind die Preise: Für eine echte LTE-Datenflat zahlt der deutsche Mobilfunkkunde ca. 80 Euro, in den meisten EU-Ländern ist es etwa die Hälfte, im nicht gerade dicht besiedelten Finnland sind es sogar nur 30 Euro.

Es hat sich also herausgestellt, dass das Geld, das die Finanzminister aus Frequenzversteigerungen erlösen, keineswegs herbeigezaubert wird. Es ist de facto eine Technologiesteuer, die am Ende der Verbraucher tragen muss, und die sich negativ auf den Standard auswirkt.

Die fünfte Generation des Mobilfunks wird aber besonders hohe Investitionen erfordern, denn das Netz muss hier viel engmaschiger ausgebaut werden. Es reicht nicht, bisherige Senderstandorte aufzurüsten, wie das bisher geschah; die Anbieter müssen außerdem viele neue Standorte schaffen und mit Glasfaserleitungen verknüpfen.

Wenn man nun die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen möchte, sollte man den Anbietern kein Kapital entziehen, das hinterher beim teuren Netzausbau fehlt, sondern ihnen vielmehr Auflagen für einen möglichst flächendeckenden Ausbau machen.

(Beifall von Christian Loose [AfD])

Frankeich lässt die Anbieter beispielsweise nicht um den Preis konkurrieren, sondern legt diesen vorher fest, und die Anbieter konkurrieren bei einem sogenannten Schönheitswettbewerb um die besten Ausbaupläne, die hinterher auch überprüft werden – ein Verfahren, das sich angesichts der Netzabdeckung in Frankreich offensichtlich bewährt.

Es sieht aber nach allem, was wir wissen, nun leider danach aus, als würde Deutschland hier keine wirklichen Fortschritte machen. Auch diesmal soll für die Regulierungsbehörde wieder der Erlös im Mittelpunkt stehen. Im Gegenzug soll es wieder keine verbindlichen Ausbauauflagen geben.

Wir halten das, ähnlich wie die Grünen im vorliegenden Antrag, für einen Irrweg. Die Netzanbieter werden sich, wenn es dabei bleibt, auf die lukrativen Ballungsräume konzentrieren, während der dünn besiedelte ländliche Raum vermutlich lange darauf warten kann, bis man ein engmaschiges Netz bei ihm ausbaut.

Die Forderung der Grünen nach einem Stopp und einer Neuausrichtung der Lizenzvergabe ist daher richtig, und wir unterstützen den Antrag, auch wenn an der einen oder anderen Stelle Zweifel erlaubt sind.

So sollte ein gemeinsames Netz der verbleibenden Mobilfunkanbieter allenfalls ein Übergangsstadium sein, denn de facto entstünde damit ein Monopolist. Wünschenswert ist aber auf lange Sicht ein Wettbewerb auch um die beste Netzversorgung.

Dem Netzausbau wäre übrigens sicher auch dann geholfen, wenn nicht jeder Grünen-Ortsverband wegen angeblicher Strahlengefahr auf Kriegsfuß mit den Sendemasten wäre.

Wie dem auch sei, die Stoßrichtung des Antrags ist richtig, und die AfD-Fraktion wird ihn daher auch unterstützen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung in Vertretung für Herrn Minister Pinkwart Herr Minister Reul das Wort. Bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Meine Damen und Herren! Der bedarfsgerechte Ausbau der kommenden 5G-Mobilfunknetzversorgung liegt der Landesregierung, wie Sie wissen, sehr am Herzen. Daneben wird die Landesregierung die flächendeckende Versorgung der bestehenden Netze weiter vorantreiben.

Die 5G-Frequenzen sind Grundvoraussetzung für den Erfolg von Industrie 4.0, für autonomes und vernetztes Fahren, das Internet der Dinge sowie M2M. Die Entwicklung der Netze zu 5G wird hierbei von ganz besonderer strategischer Bedeutung sein.

Das Land hat daher auf der Beiratssitzung am 24. September die Vergaberegeln der Bundesnetzagentur für die 5G-Frequenzen im Bereich 2 GHz bis 3,6 GHz begrüßt und unterstützt die Benehmensherstellung im Beirat am 26. November 2018, damit die Frequenzversteigerung noch im Frühjahr des nächsten Jahres erfolgen kann.

Den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hält die Landesregierung für nicht zielführend, da die anstehende Versteigerung der Frequenzen in den Bereichen 2 GHz und 3,4 bis 3,7 GHz nicht für die 98-%ige Versorgung der Fläche geeignet ist. Das wäre nur unter Rückgriff auf Flächenfrequenzen unterhalb 1 GHz umsetzbar, die nicht Gegenstand des aktuellen Verfahrens sind.

Die Forderung nach einer Dienstanbieterverpflichtung wird ebenfalls nicht von uns unterstützt, da dies in die Eigentumsrechte der Frequenznehmer eingreifen würde.

Gleichwohl beabsichtigt die Bundesnetzagentur, den Wettbewerb auf der Dienstebene durch ein Diskriminierungsverbot gegenüber den Mobilfunknetzbetreibern über 2020 hinaus zu erhalten und zu fördern.

Die Bundesnetzagentur leitet aus dem Diskriminierungsverbot für die Netzbetreiber ein Verhandlungsgebot ab. Danach soll die Bundesnetzagentur die Befugnis erhalten, in Fällen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot zum Schutz des Wettbewerbs einzugreifen und somit eine sogenannte Schiedsrichterrolle auszuüben.

Die Landesregierung erachtet ein verpflichtendes nationales Roaming darüber hinaus nicht für zielführend, da im Rahmen des Infrastruktur-Sharings die Mobilfunknetzbetreiber in unterschiedlicher Weise kooperieren können, zum Beispiel durch Frequenzpooling, um gemeinsam Netzelemente auszubauen.

Eine Kooperationsverpflichtung oder ein nationales Roaming würden den Wettbewerb beim Infrastrukturausbau behindern und dazu führen, dass die Anbieter, die nicht in die Infrastruktur investieren, profitieren würden.

Entsprechend wurde auch im Mobilfunkpakt, den die Landesregierung mit drei Netzbetreibern geschlossen hat, ein verpflichtendes National Roaming als erhebliches Hindernis für einen schnellen, leistungsfähigen und wettbewerblichen Ausbau in der Fläche bewertet. Allerdings sollten für nicht versorgte, kommerziell nicht erschließbare Gebiete Möglichkeiten einer freiwilligen gemeinsamen Versorgung durch die Mobilfunknetzbetreiber gefunden werden.

Hinsichtlich der Forderung nach Ausweitung des Prüf‑ und Messwesens der Bundesnetzagentur stellt die Landesregierung wiederum fest, dass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Bundesnetzagentur beauftragt hat, die bereits vorhandene App zur Breitbandmessung zu erweitern.

Auf diese Weise erhalten die Bürger die Möglichkeit, Lücken in der Mobilfunkabdeckung zu melden. Die Bundesnetzagentur wird diese Informationen veröffentlichen, sobald genügend Daten vorliegen.

Des Weiteren haben sich die drei großen Netzbetreiber in dem im Juni geschlossenen Mobilfunkpakt verpflichtet, eine Beschwerdestelle in Nordrhein-Westfalen einzurichten, die die Anliegen der Bürger zeitnah beantwortet.

Ein abrupter Stopp oder gar eine komplette Neuausrichtung der Frequenzvergabe würde das Ziel des 5G-Mobilfunkausbaus bis 2022 gefährden und die zügige Einführung von 5G-Anwendungen für die Industrie 4.0 oder autonomes Fahren behindern.

Eine weitere Verschärfung der Frequenzauflagen, wie sie der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorsieht, steht in keinem angemessenen Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Frequenzen und beinhaltet zudem das Risiko, dass die Mobilfunkunternehmen gegen die Auflagen klagen, was wiederum zu weiteren Verzögerungen führen würde.

Deshalb ist die Landesregierung mit diesem Entwurf nicht einverstanden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Reul.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Antrag nicht vor, sodass ich nun, da die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen direkte Abstimmung beantragt hat, über den Inhalt des Antrags mit der Drucksachennummer 17/4111 abstimmen lasse.

Wer also dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/4111 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Langguth stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der SPD der Fall. Weitere darüber hinaus sehe ich nicht.

Damit ist der Antrag Drucksache 17/4111 mit dem festgestellten Abstimmungsverhalten der Fraktionen abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit zu:

17 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 12
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/4159

In der Übersicht sind vier Anträge und ein Entschließungsantrag enthalten, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend dieser Übersicht 12. Ich darf fragen, ob die Fraktionen zustimmen möchten und das Abstimmungsverhalten bestätigen. – Das ist bei den Fraktionen der Fall. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann sind die in der Drucksache 17/4159 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig bestätigt.

Ich rufe auf:

18 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/16

Gemäß § 97 Abs. 8 GO sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen. Ihnen liegen mit dieser Übersicht 17/16 die Beschlüsse zu den Petitionen vor.

Ich lasse über deren Bestätigung abstimmen, da eine Aussprache nicht vorgesehen ist. Wer möchte diese Beschlüsse bestätigen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses, die in der Übersicht 16 zusammengefasst sind, einstimmig vom Hohen Hause bestätigt.

Damit, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 15. November 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:20 Uhr

 

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (AG InsO) – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration:

Eine Verbraucherinsolvenz ist ein langwieriger Prozess, der hohe Anforderungen an die Betroffenen stellt. Menschen, die diesen Weg gehen, sehen für sich keine andere Möglichkeit mehr, sich aus der Schuldenfalle zu befreien. Und sie haben meistens mehr an Lasten im Gepäck als die finanziellen Lasten, wenn sie ihre Beratungsstelle das erste Mal in der Hoffnung auf kompetente Unterstützung betreten.

Wenn sie dann an unseriöse gewerbliche Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen geraten, hat das fatale Folgen. Genau das wollen wir als Landesregierung mit der Novellierung des AG InsO verhindern.

Der Gesetzentwurf regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Verbraucherinsolvenzberatungsstelle in Nordrhein-Westfalen eine Anerkennung durch die Bezirksregierung Düsseldorf erhält. Das Anerkennungsverfahren erfolgt landesweit über die Bezirksregierung Düsseldorf.

Die Anerkennung ist notwendig, weil laut Insolvenzordnung – einem Bundesgesetz – nur geeignete Beratungsstellen oder Personen die für eine Privatinsolvenz nötige Bescheinigung über einen gescheiterten außergerichtlichen Einigungsversuch ausstellen dürfen.

Die Insolvenzordnung sieht vor, dass die Länder bestimmen können, welche Personen oder Stellen als geeignet anzusehen sind, diesen Einigungsversuch zu bescheinigen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dieses Verfahren 1998 im Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung geregelt.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wurde das geltende Gesetz überarbeitet und trägt den Bedürfnissen der Ratsuchenden nach einer kompetenten Beratung Rechnung. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, Bürgerinnen und Bürger so weit wie möglich vor unseriösen Beratungsangeboten zu schützen und die Qualität der Beratung zu sichern.

Auch hat sich in den letzten zwanzig Jahren die Beratungslandschaft verändert: Beratung findet nicht mehr nur in den „Hauptstellen“ statt. Inzwischen wird auch in Zweig-, Neben- und Außenstellen sowie in sogenannten Sprechstunden Beratung angeboten.

Der vorgelegte Gesetzentwurf regelt daher zunächst, welche Personen per Standesrecht als geeignet gelten, eine Verbraucherinsolvenzberatung durchzuführen. Zudem ist aufgenommen, dass auch Zweig-, Neben- und Außenstellen als Stellen gelten, die einer eigenen Anerkennung bedürfen.

Eine entscheidende Neuerung ist, dass Anerkennungen, die erteilt werden, mit Auflagen und Bedingungen sowie dem Vorbehalt des Widerrufs versehen werden können. Damit kann erstmalig regulierend eingegriffen werden.

Auf diese Weise gibt es endlich die Möglichkeit, gegen unseriöse Angebote vorzugehen. Dabei ist der Gesetzentwurf ausgewogen gestaltet; denn mit der Regelung ist keine verdachtsunabhängige Prüfung aller Angebote in Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Vielmehr kann die Bezirksregierung agieren, wenn sie belastbare Erkenntnisse hat.

Wichtig ist mir noch, dass der Gesetzentwurf eine Bestandsschutzregelung enthält. Die derzeit anerkannten Beratungsstellen müssen also nicht noch einmal das Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Ich bin überzeugt, dass die Landesregierung einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der eine gute Grundlage dafür schafft, dass ratsuchende Schuldnerinnen und Schuldner auch in Zukunft in Nordrhein-Westfalen eine qualifizierte Verbraucherinsolvenzberatung vorfinden und dass unseriöse Beratungsangebote so weit wie möglich ausgeschlossen werden.

 

Anlage 2

Zu TOP 13 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Ablösung und Änderung weiterer Gesetze – zu Protokoll gegebene Rede

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen:

Der Unterhaltsvorschuss wurde – nach einer Einigung von Bund und Ländern – zum 1. Juli 2017 reformiert: Seither ist die Bezugsdauer nicht mehr auf sechs Jahre befristet. Zudem wurde die Altersgrenze von 12 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Dank dieser Gesetzesänderungen ist der Kreis der Anspruchsberechtigten größer geworden.

Alleinerziehende haben das höchste Armutsrisiko. Hier setzt das Gesetz an, indem es Kinder von Alleinerziehenden stärkt, die keinen Unterhalt vom anderen Elternteil bekommen. Das ist ein weiterer Schritt, um für jedes Kind den Aufstieg in Nordrhein-Westfalen wieder möglich zu machen.

Die Ausweitung des Leistungsanspruchs erfordert, den Rückgriff beim Unterhaltsschuldner effizienter und effektiver zu gestalten. Bislang sind die Kommunen sowohl für die Bewilligung als auch für die Rückforderungen beim Barunterhaltsverpflichteten zuständig.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das der Landtag im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2017 am 12. Oktober 2017 beschlossen hat, erfolgt die Übertragung der Zuständigkeit für die Geltendmachung und die Vollstreckung der nach § 7 Unterhaltsvorschussgesetz übergegangenen Forderungen auf das Land.

Das heißt: Ab dem 1. Juli 2019 wird das Land – konkret das Landesamt für Finanzen – nun diese Forderungen geltend machen und vollstrecken.

Ziel ist es, die Effizienz und die Effektivität deutlich zu steigern. Wir wollen die Rückgriffquote deutlich erhöhen und auch im Interesse der Kinder den Druck auf die Unterhaltspflichtigen erhöhen – und zwar so, dass diese ihrer Zahlungspflicht möglichst freiwillig nachkommen.

Wir erwarten Synergieeffekte, weil die Prozesse einheitlich organisiert werden und der Fokus allein auf der Geltendmachung und Vollstreckung liegt. Darüber hinaus stellt die zentrale Geltendmachung und Vollstreckung die einheitliche Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften sicher.

Es wird für diese Aufgaben keine neue Behörde geben. Stattdessen werden wir das Landesamt für Finanzen bedarfsgerecht weiterentwickeln.

Für die Kommunen hat dies folgende Vorteile: Weniger Personal- und Sachaufwand ab dem 1. Juli 2019. Künftig werden die Kommunen bei Neufällen nur über die Bewilligung entscheiden und dann die von ihnen erhobenen Daten an das Landesamt für Finanzen weiterleiten. Diese stärkt im Ergebnis die kommunale Selbstverwaltung.

Schlussendlich ergibt sich eine Win-Win-Situation: zuallererst für die Kinder unterhaltspflichtiger Eltern, aber auch für die Kommunen und für das Land.