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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/37

17. Wahlperiode

11.10.2018

 

37. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 11. Oktober 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Änderung der Tagesordnung. 5

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Christian Loose
betreffend TOP 4 der 36. Plenarsitzung
am 10. Oktober 2018. 5

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Helmut Seifen
betreffend TOP 4 der 36. Plenarsitzung
am 10. Oktober 2018. 5

1   Tod durch Brand in der JVA Kleve – unrechtmäßige Verhaftung, Warnungen und Hinweise des Gefangenen ignoriert, schleppende Aufklärung des Brandes? Landesregierung muss rück­haltlos alles aufklären!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3850. 5

Sven Wolf (SPD) 5

Angela Erwin (CDU) 6

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 8

Marc Lürbke (FDP) 9

Thomas Röckemann (AfD) 11

Marcus Pretzell (fraktionslos) 12

Minister Peter Biesenbach. 13

Sonja Bongers (SPD) 15

Dr. Günther Bergmann (CDU) 16

Berivan Aymaz (GRÜNE) 18

Markus Wagner (AfD) 19

 

2   Das Rheinische Revier muss Sonderfördergebiet werden, um den Braunkohlen-Strukturwandel erfolgreich gestalten zu können

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3811. 20

Stefan Kämmerling (SPD) 20

Romina Plonsker (CDU) 20

Ralph Bombis (FDP) 22

Horst Becker (GRÜNE) 23

Christian Loose (AfD) 25

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 26

Josef Hovenjürgen (CDU) 28

Marc Herter (SPD) 30

Ergebnis. 31

3   Fluggastrechte stärken – Hilfen bei der Rechtsdurchsetzung auf den Weg bringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3808

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3866. 32

Dr. Christian Untrieser (CDU) 32

Stephan Haupt (FDP) 33

Inge Blask (SPD) 34

Arndt Klocke (GRÜNE) 35

Thomas Röckemann (AfD) 36

Ministerin Ursula Heinen-Esser 37

Ergebnis. 38

 

4   Für eine menschenwürdige und integrative Unterbringung: Kommunen stärken – keine Kasernierung von Geflüchteten

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3793. 38

Berivan Aymaz (GRÜNE) 38

Katharina Gebauer (CDU) 40

Ibrahim Yetim (SPD) 41

Andreas Terhaag (FDP) 42

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 43

Minister Dr. Joachim Stamp. 44

Marc Blondin (CDU) 45

Ellen Stock (SPD) 47

Minister Dr. Joachim Stamp. 48

Ergebnis. 48

5   Duldung des Kirchenasyls in Deutschland beenden – Vereinbarung zwischen dem BAMF und der evangelischen bzw. katholischen Kirche aufkündigen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3799. 48

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 48

Björn Franken (CDU) 49

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD) 51

Stephen Paul (FDP) 52

Sigrid Beer (GRÜNE) 53

Minister Dr. Joachim Stamp. 54

Ergebnis. 55

6   Gesetz zur Umsetzung der Pflegeberufereform in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3775

erste Lesung. 55

Minister Karl-Josef Laumann. 55

Daniel Hagemeier (CDU) 56

Christina Weng (SPD) 57

Susanne Schneider (FDP) 58

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 59

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 60


Ergebnis. 61

Siehe auch unter
‚Nachtrag zu der Abstimmung
zu TOP 6 der 37. Plenarsitzung ‘ im Plenarprotokoll der 38. Sitzung nach
der Abstimmung zu TOP 3

7   Keine Doppelmandate im Landtag NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3798. 61

Herbert Strotebeck (AfD) 61

Daniel Hagemeier (CDU) 62

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 63

Angela Freimuth (FDP) 64

Arndt Klocke (GRÜNE) 64

Marcus Pretzell (fraktionslos) 65

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Marcus Pretzell 66

Ergebnis siehe TOP 1
im Plenarprotokoll der 38. Sitzung. 66

8   Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2992

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales,
Bauen und Wohnen
Drucksache 17/3678

zweite Lesung. 67

Fabian Schrumpf (CDU) 67

Volkan Baran (SPD) 67

Stephen Paul (FDP) 68

Arndt Klocke (GRÜNE) 68

Roger Beckamp (AfD) 69

Ministerin Ina Scharrenbach. 69

Ergebnis. 69


9   Einrichtung einer Enquete-Kommission zum bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union („Brexit“) im Hinblick auf die Folgen und Auswirkungen für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3792. 70

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 70

Oliver Krauß (CDU) 71

Sebastian Watermeier (SPD) 73

Rainer Matheisen (FDP) 74

Sven Werner Tritschler (AfD) 75

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 77

Frank Müller (SPD) 78

Ergebnis. 79

10 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (Gesetz zur Stärkung der Abgeordnetenrechte)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3801

erste Lesung. 79

Thomas Röckemann (AfD) 79

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 80

Hans-Willi Körfges (SPD) 81

Angela Freimuth (FDP) 82

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 83

Ergebnis. 83

11 Gesetz zur Umsetzung des bereichsspezifischen Datenschutzes im Bereich der Justiz (Justizdatenschutz-Anpassungsgesetz – Just-DSAnpG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2350 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschuss
Drucksache 17/3756 – Neudruck

zweite Lesung. 84

Angela Erwin (CDU) 84

Hans-Willi Körfges (SPD) 84

Christian Mangen (FDP) 85

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 85

Thomas Röckemann (AfD) 86

Minister Peter Biesenbach. 86

Ergebnis. 87

12 Unerlaubte Gülleimporte nach Nordrhein-Westfalen schnellstmöglich stoppen!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3688. 87

Wilhelm Korth (CDU) 87

Markus Diekhoff (FDP) 88

Annette Watermann-Krass (SPD) 89

Norwich Rüße (GRÜNE) 90

Dr. Christian Blex (AfD) 92

Ministerin Ursula Heinen-Esser 92

Ergebnis. 93

13 Starke Denkmalpflege – starke Heimat! Eigentümer beim Erhalt und der Nutzung von Denkmälern unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3807. 94

Ergebnis. 94

Entschuldigt waren:

Ministerin Yvonne Gebauer

Minister Karl-Josef Laumann    
(ab 16 Uhr)

Minister Lutz Lienenkämper

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart      
(ab 15 Uhr)

Susana Dos Santos Herrmann (SPD)

Gabriele Hammelrath (SPD)

Norbert Römer (SPD)

Berivan Aymaz (GRÜNE)         
(ab 16:30 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 17:30 Uhr)

Johannes Remmel (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)

Alexander Langguth (fraktionslos)


Beginn: 10:01 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen 37. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen.

Mein Gruß gilt auch unseren Gästen oben auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien und den Menschen an den Bildschirmen.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiern heute Herr Professor Dr. Rainer Bovermann von der Fraktion der SPD und Herr Kollege Christian Loose von der Fraktion der AfD.

(Allgemeiner Beifall)

Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!

Vor Eintritt in die Tagesordnung:

Ich weise darauf hin, dass der ursprünglich für heute als Tagesordnungspunkt 7 vorgesehene Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Fortsetzung der Flüchtlingsfinanzierung für NRW und seine Kommunen sicherstellen“ Drucksache 17/3796 durch die antragstellende Fraktion zurückgenommen wurde. Hierüber habe ich bereits mit Drucksache 17/3861 unterrichtet. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Im Nachgang zu Tagesordnungspunkt 4 der gestrigen Sitzung habe ich noch zwei nichtförmliche Rügen auszusprechen. Sie betreffen Herrn Abgeordneten Christian Loose und Herrn Abgeordneten Helmut Seifen von der Fraktion der AfD.

Herr Loose hat sich durch einen Zwischenruf während der Rede der Frau Abgeordneten Beer zu Tagesordnungspunkt 4 „Digitalisierung im Bildungsprozess konstruktiv und bildungsfördernd gestalten – gegen den Missbrauch der schulischen Digitalisierung als ‚trojanisches Pferd‘ für die Durchsetzung wirtschaftlicher und ideologischer Interessen“ unparlamentarisch verhalten, indem er gegenüber Frau Beer eine unparlamentarische Äußerung getätigt hat.

Auch Herr Seifen hat sich durch einen Zwischenruf während derselben Rede der Frau Abgeordneten Beer unparlamentarisch verhalten, indem er gegenüber Frau Beer eine unparlamentarische Äußerung getätigt hat.

Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen. Ich werde die verwendeten Äußerungen nicht wiederholen. Herr Kollege Loose und Herr Kollege Seifen, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen künftig zu unterlassen.

Ich rufe nun auf:

1  Tod durch Brand in der JVA Kleve – unrechtmäßige Verhaftung, Warnungen und Hinweise des Gefangenen ignoriert, schleppende Aufklärung des Brandes? Landesregierung muss rückhaltlos alles aufklären!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3850

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Wolf das Wort. Bitte schön.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Mensch ist tot. In der Obhut unseres Staates verstirbt ein Mensch, der dort nicht hingehört hat.

Amed A. hat in seinem zu kurzen Leben viel erleben und erleiden müssen. Der Bürgerkrieg in seiner Heimat zwingt ihn zur Flucht. Es gibt dann ein sehr langes Hin und Her. Er wird in ein anderes Land gebracht. Der Deutsche Bundestag setzt sich für ihn ein. Wir alle, der Staat, sichern ihm Schutz zu.

Er landet in einem Haftraum in Kleve. Er weiß, dass er dort unschuldig sitzt. Er zweifelt. Ein Feuer bricht aus, warum auch immer. Tage nach schweren Operationen, einer Lungentransplantation, liegt er auf der Intensivstation. Am 29. September 2018 stirbt er.

Allein dies lässt uns alle sprachlos zurück.

Aber wie viel tragischer ist es, wie die Familie von diesem Schicksalsschlag erfährt. Am 4. Oktober 2018 meldet sich sein Vater auf einer Polizeiwache. Dort erhält er die Mitteilung: Ihr Sohn ist tot. – Fünf Tage nach seinem Tod.

Herr Minister Reul, Herr Minister Biesenbach, das haben Sie gestern hier so eingeräumt.

Ich frage Sie: Ist das der Umgang mit der Familie von Amed A., den die Landesregierung für angemessen hält?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Trotz aller Beteuerungen der Empathie hätten Sie als Landesregierung hier aktiv die Familie persönlich und direkt über diesen Schicksalsschlag informieren müssen.

Amed A. ist etwas passiert, was wohl für uns alle die größte Angst ist – für mich, aber für Sie mit Sicherheit auch –: Wir werden verwechselt. Wir werden für jemand anderen gehalten. Wir sitzen in einer Zelle, und keiner glaubt uns. Diese Angst ist bei Amed A. Wirklichkeit geworden.

Bereits am 9. Juli 2018 hat er gegenüber dem Anstaltsleiter, dem Anstaltsarzt und der Anstaltspsychologin gesagt: Ich komme aus Syrien und nicht aus Mali.

Die Schreibweise des Namens stimmt nicht. Der Geburtsort stimmt nicht. Das Geburtsdatum stimmt nicht. Amed A. spricht nicht einmal die Amtssprache von Mali, nämlich Französisch. Das Foto stimmt nicht.

Herr Minister, an wen hätte sich Amed A. denn noch wenden sollen? Niemand hat Amed A. geglaubt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wird dieser unglaubliche Fall aufgearbeitet? Schleppend! Immer wieder erfahren wir Neues oder Widersprüchliches.

(Zuruf: Das stimmt doch gar nicht!)

Erst war es ein Haftraumbrand, dann eine unglückliche Verwechslung. Dann stirbt ein Unschuldiger. Erst wusste keiner etwas. Dann gab es immer wieder Hinweise und Zweifel. Eine reine Salamitaktik!

Sie haben sich an Spekulationen beteiligt. Sie haben keine Aufklärung geleistet, sondern Sie haben Nebelkerzen geworfen.

(Marc Lürbke [FDP]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Am Anfang war es ein Unfall. Dann war es ein Suizid. Widersprüche, die Sie uns verschweigen! Zumindest haben Sie objektiv die Unwahrheit gesagt.

(Marc Lürbke [FDP]: Wo? An welcher Stelle?)

– Ich kann es Ihnen gerne sagen. Aber vielleicht gibt es ja ein paar Kollegen, die Herrn Minister Biesenbach noch glauben. Sie können ja einmal aufzeigen. – Oh, so viele.

(Zurufe von der SPD – Beifall von der SPD)

Auf einen Widerspruch will ich noch einmal eingehen. Wann gab es Zweifel an der Identität?

(Unruhe)

– Hören Sie mir doch zu. – Wann gab es Zweifel an der Identität? Nicht erst am Abend des 26.09. Wir wissen jetzt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg bereits am 24.09. darauf hingewiesen hat. Das wissen wir. – Doch, das haben Sie ja selber im Bericht geschrieben, Herr Biesenbach. Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Und am 26.09. in der Sitzung des Rechtsausschusses: kein Wort dazu.

Genauso ist es bei den Hinweisen zur Selbstmordgefahr. Amed A. hat sich selbst als suizidal bezeichnet. Er hat seine Narben gezeigt. Am Tag des Brandes sprach die Justiz noch von einem tragischen Unfall, der kein Suizid sei. Kurze Zeit später hieß es: wahrscheinlich ein Suizid.

All diese Schilderungen schüren doch Zweifel daran, dass Sie hier ernsthaft aufklären wollen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Nach meinen Informationen hat Amed A. das Fenster im Haftraum geöffnet. Er wollte also gar nicht in den Flammen ums Leben kommen.

(Zuruf von der CDU)

Nach meinen Informationen stand Amed A. an der Tür und rannte aus dem Raum. Er wollte also nicht in den Flammen ums Leben kommen.

(Zuruf von der CDU)

All das hätte ein Brandsachverständiger schnell und zügig aufklären müssen. Er wurde aber erst eineinhalb Wochen danach beauftragt, nachdem die Polizeibeamten die ersten Fragen des ermittelnden Staatsanwalts nicht beantworten konnten.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Wir wissen auch, dass in dieser Zeit der Haftraum mindestens viermal geöffnet worden ist. – Herr Biesenbach, das ist Ihr Siegburg.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Unglaublich! – Unverschämtheit!)

Sie haben jetzt die letzte Chance.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Sven Wolf (SPD): Sorgen Sie für Transparenz – vor dem Parlament und der Öffentlichkeit. Sagen Sie die ganze Wahrheit. Sonst werden wir diesen Fall in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege. – Für die CDU spricht nun Frau Abgeordnete Erwin.

Angela Erwin (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns diese Debatte sachlich führen.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Herr Wolf, wir haben eben miterlebt, dass Sie versuchen, den Tod von Amed A. zu instrumentalisieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Das ist unanständig.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Durch ein tragisches Unglück ist in der Obhut des Staates ein junger Mann ums Leben gekommen –

(Zurufe von der SPD)

und das an einem Ort, an dem er nicht hätte sein sollen. Das macht uns betroffen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen,

(Zuruf von der SPD: Die Sie nicht informiert haben!)

die einen geliebten Menschen verloren haben.

(Zurufe von der SPD)

Es ist wohl für uns alle selbstverständlich, dass ein solcher Vorfall nicht und vor allem nicht mehr vorkommen darf und sollte.

Es gilt nun, umfassend aufzuklären, was genau falsch gelaufen ist. Die Fraktionen von CDU und FDP sind daher den Ministern Biesenbach und Reul sehr dankbar, dass ihre Häuser zügig, umfassend und proaktiv – und nicht, wie von der Opposition in der Überschrift zu dieser Aktuellen Stunde suggeriert, schleppend –

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von der SPD: Von welchem Fall reden Sie?)

für Aufklärung sorgen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Erstens. Innenminister Reul hat in der Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuss am 5. Oktober 2018 deutlich gemacht, dass entgegen der eindeutigen Erlasslage die Polizisten versäumt haben, die Identität von Amed A. näher zu überprüfen. Er sagte eine transparente Aufklärung und Verbesserung der Abläufe zu.

Zweitens. Es wurden sofort staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt und Disziplinarverfahren gegen die Polizeibeamten eingeleitet. Das ist richtig und unterscheidet ihn und sein Amtsverständnis von früheren Innenministern.

(Beifall von der CDU und der FDP – Thomas Kutschaty [SPD]: Oh, oh, oh! Klares Organisationsversagen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Normale Strafprozessordnung ist das!)

Drittens. Der Justizminister hat gestern eindeutig erklärt, der Justizvollzug trage ebenfalls Verantwortung dafür, dass alles Mögliche getan wird, um so etwas zu vermeiden.

Viertens. Es wurde umfassend über den jeweils aktuellen Erkenntnis- und Ermittlungsstand informiert, und zwar in der Sitzung der Vollzugskommission, in der Sitzung des Rechtsausschusses sowie in mehreren persönlichen Telefonaten. Außerdem wurden gestern im Nachbericht alle 191 Fragen des Fragenkatalogs von SPD und Grünen vollumfänglich beantwortet.

(Michael Hübner [SPD]: Was? Auf welcher Veranstaltung waren Sie denn gestern?)

Fünftens. Der Innenminister hat nach Bekanntwerden des Fehlers schnell gehandelt und einen erneuten Erlass verschicken lassen, die für erkennungsdienstliche Maßnahmen aufgestellten Grundsätze, Organisationsstrukturen und Abläufe zwingend zu beachten. Zudem hat er die Leiterin seiner Polizeiabteilung, Frau Dr. Lesmeister, und seinen Landeskriminaldirektor persönlich nach Kleve geschickt.

Sechstens. Der Justizminister hat gestern angekündigt, eine dritte Sicherheitsstufe zur Identitätsfeststellung in den Justizvollzugsanstalten zu entwickeln.

Siebtens. In der gestrigen Fragestunde haben sowohl der Innenminister als auch der Justizminister alle Fragen der Opposition umfassend beantwortet.

(Lachen von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dass beide Minister mit großem Einsatz und großer Transparenz den Sachverhalt und seine Folgen aufarbeiten. Die laufenden Verfahren werden zur weiteren Aufklärung beitragen.

Wir wollen heute aber auch nicht vergessen, dass im Zuge dieses Unglücks auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA verletzt wurden. Ihnen wollen wir für ihr geistesgegenwärtiges und schnelles Reagieren danken, das einen noch größeren Schaden verhindert hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wünschen ihnen auf diesem Wege gute Besserung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Respekt vor dem Opfer, seinen Angehörigen und den Verletzten sollten wir dieses tragische Unglück nicht zum Spielball der politischen Auseinandersetzung machen.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Grünen erteile ich nun dem Abgeordneten Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Was wir jetzt tun können, ist erstens, aufzuklären. Zweitens können wir versuchen, die Frage zu beantworten – wir müssen es auch –: Wer trägt für all das, was passiert ist, die Verantwortung?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Drittens müssen wir uns fragen: Welche Konsequenzen ziehen wir jetzt?

Wir als Opposition haben angefangen, uns intensiv an der Aufklärung – also am ersten Punkt; in dieser Phase sind wir gerade noch – zu beteiligen. Als die SPD-Fraktion und wir am Montag letzter Woche eine Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses beantragt haben, war ich mir so sicher wie noch nie, dass das der absolut richtige und notwendige Schritt ist, um anzufangen, offene Fragen, die im Raum stehen, zu beantworten.

Wir haben zu der Sondersitzung einen Fragenkatalog von 161 Fragen vorgelegt. Wir haben ihn daraufhin gekürzt und noch einmal 83 Fragen an die Landesregierung gestellt. Wir versuchen, aufzuklären: Was ist da genau passiert?

Gestern haben wir im Vorfeld der Fragestunde noch einen nachträglichen öffentlichen Bericht der Landesregierung zum Tod eines Häftlings der JVA Kleve bekommen. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel, was da geantwortet wurde.

Auf Seite 6 wird auf unsere Frage 37 eingegangen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben gefragt: Wo wurde ein Erstscreening durchgeführt, und von wem wurde es durchgeführt?

Es kostet mich leider ein bisschen Redezeit; aber ich lese Ihnen jetzt einmal die Antwort der Landesregierung auf diese Frage vor. Sie lautet – Zitat –:

Gemäß § 8 Strafvollzugsgesetz NRW ist mit allen neu aufgenommenen Gefangenen unabhängig von der Haftart, der Vollstreckungsbehörde sowie der Nationalität möglichst am Tag der Aufnahme ein Zugangsgespräch zu führen, in dem sie über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet werden und ihre aktuelle Lebenssituation erörtert wird. Das Zugangsverfahren dient dazu, Inhaftierten durch eine möglichst schnelle Unterrichtung über grundlegende Rechte und Pflichten eine Orientierung zu ermöglichen und Ängste, insbesondere bei Erstverbüßern, abzubauen. Es hat auch den Zweck, zügig Erkenntnisse über den Gesundheitszustand, suizidale Tendenzen, Suchtmittelabhängigkeit oder aber auch akute Notlagen von Angehörigen zu gewinnen.

Ende der Antwort. Diese Frage ist nicht beantwortet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Vollumfänglich!)

Hier wird dem rechtspolitischen Sprecher schlichtweg erklärt, was ein Erstscreening ist. Das hat nichts mit Transparenz zu tun. Das hat nichts mit vollumfänglicher Aufklärung zu tun.

Wissen Sie, warum wir diese Frage gestellt haben? Nicht, weil wir kleinkariert sind, sondern, weil dahinter die ganze Fragestellung steht, die immer mehr in den Fokus rückt: Wie hafttauglich war Amed A. eigentlich? Das ist der Hintergrund der Frage.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Anwalt erhebt schwere Vorwürfe. Ich zitiere einmal aus der „WELT“ vom 5. Oktober 2018. – Ich finde die Stelle gerade nicht. Daher nehme ich einmal eine andere Fundstelle und zitiere aus der „Rheinischen Post“ von heute:

„Amed A. litt an einer hochgradigen posttraumatischen Belastungsstörung. Das war ihm anzumerken“, sagte der Büroleiter einer Siegener Anwaltskanzlei. Der 26-Jährige hätte nie eingesperrt werden dürfen, sagte Herr Stanek, weil er suizidgefährdet gewesen sei. Der Syrer hätte sich selbst beigefügte Verletzungen an beiden Armen gehabt.

Noch einmal unsere Frage: Wo wurde das Erstscreening durchgeführt? Von wem wurde es durchgeführt? Sie antworten ja noch nicht einmal „in der JVA Geldern“ oder „in der JVA Kleve“. Sie beantworten gar nichts. Sie erklären nur das Verfahren. Und bei allem Respekt, Herr Minister Biesenbach: Das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt mehrere offene Fragen und Widersprüche. Ich gehe einmal auf die Widersprüche ein.

Erster Punkt: Amed A. soll in der gesamten Zeit von der Verhaftung am 6. Juli 2018 bis zum Haftraumbrand über mehrere Monate nur ein einziges Mal, nämlich am 3. September 2018, gegenüber der Psychologin geäußert haben: „Ich war es gar nicht; ich kenne Braunschweig nicht; ich kenne Hamburg nicht; ich bin nicht der Gesuchte“ – und danach, vom 3. September 2018 bis zum Haftraumbrand am 17. Oktober 2018, nie wieder.

Ich frage Sie, liebe Abgeordnetenkollegen: Würde das irgendjemand von uns in diesem Saal machen – unschuldig verhaftet werden, über Monate im Knast einsitzen und in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal äußern: „Ich war es nicht“? Ich halte das für lebensfremd. Ich würde das nicht machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zweiter Punkt: Er soll während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal seinen Rechtsanwalt kontaktiert haben. Der Rechtsanwalt wundert sich: Ich verstehe überhaupt nicht, warum er sich nicht gemeldet hat. – Die Landesregierung sagt uns: Es gab keinen Kontakt zum Rechtsanwalt.

Der Rechtsanwalt hat ihn – Kollege Wolf hat es ausgeführt – noch vor einem Jahr über eine Petition im Deutschen Bundestag aus Ungarn nach Deutschland zurückgeführt. Das ist ein erfolgreicher Einspruch gewesen. Er kannte ihn. Der Anwalt sagt aus: Noch bis Juli 2018 hatten wir Kontakt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Amed A. unschuldig inhaftiert ist, von seiner Verwechslung wusste und nicht einen einzigen Versuch unternommen hat, seinen Anwalt zu kontaktieren: „Hol mich hier raus!“? Das ist lebensfremd.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das lässt für mich nur eine einzige Conclusio zu – an diesen beiden Beispielen festgemacht, obwohl es mehrere Stellen gibt –:

(Bodo Löttgen [CDU]: Mutmaßungen sind das!)

Hier stimmt irgendetwas nicht. Hier stimmt irgendetwas gewaltig nicht. Das stinkt für mich. Ich kann nicht glauben, dass das so ist. Das kann ich nicht glauben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zur Frage der Verantwortung: Ich bin dem Innenminister sehr dankbar, der in der Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses letzten Freitag klar gesagt hat, dass es gravierende Fehler der Polizei gegeben hat. Sie haben sich öffentlich dafür entschuldigt, Herr Reul.

Beim Justizminister sieht es anders aus.

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ja, letzter Punkt. – Diese Klarheit, die ich respektiere und gut finde, haben Sie, Herr Biesenbach, bis jetzt vermissen lassen. Sie zeigen auf die Polizei; die habe da Mist gebaut. Sie zeigen auf die Psychologin; die habe es nicht richtig gemacht. Sie zeigen auf die Staatsanwaltschaft und die Behörden in Hamburg; die hätten Briefe verschlampt.

Sie übernehmen nicht die politische Verantwortung. Amed A. war die meiste Zeit in Ihrer Verantwortung. Er ist in Ihrer Obhut verstorben.

Ich fordere Sie auf, genauso, wie es der Kabinettskollege Reul getan hat, hier und heute ganz klar die politische Verantwortung dafür zu übernehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Für die FDP hat unser Abgeordnetenkollege Lürbke das Wort.

Marc Lürbke*) (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Vorfall macht auch mich wie die gesamte FDP-Fraktion tief betroffen. In der Obhut des Staates ist ein Mensch gestorben, der dort gar nicht hätte sein dürfen. Das ist ein tragischer Vorgang, dessen Dramatik erschüttert.

Umso mehr ist es Verpflichtung für uns, daraus nun die richtigen Schlüsse zu ziehen und alles mit aller Sorgfalt zu analysieren, damit sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen kann.

Deswegen bin ich beiden Ministern, Minister Reul und Minister Biesenbach, außerordentlich dankbar für die größtmögliche Transparenz und Information des Parlaments und die sofort eingeleiteten konsequenten Schritte. Denn wir müssen ohne Wenn und Aber sicherstellen, dass Versäumnisse bei der Identitätsprüfung – trotz klarer Erlasslagen, trotz Vorschriften – sowohl seitens der Polizei bei der Festnahme als auch seitens der Vollstreckungsbehörde bestmöglich ausgeschlossen werden können.

Klar ist aber auch: Es ist nie zu 100 % garantiert, dass in einem so großen Apparat wie der Polizei oder der Justiz trotz größtmöglicher Professionalität, die wir hier in Nordrhein-Westfalen haben, nicht doch individuelle Fehler geschehen.

Entscheidend ist dann aber der Umgang damit. Entscheidend ist, dass man Fehler erkennt, diese offen benennt und dann konsequent handelt. Und das hat die Landesregierung getan.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das kann man ja einmal festhalten. Denn ich nehme hier immer wieder Äußerungen wahr, die einfach so in den Raum gestellt werden, an dieser Stelle werde etwas verschwiegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil ist doch der Fall. Alles ist von Beginn an direkt offen kommuniziert worden.

Es gab keine Salamitaktik, Herr Wolf. Es gibt keine scheibchenweisen Informationen. Alles wird benannt. Es gab umfassende detaillierte Sprechzettel in den Sitzungen bis hin zum Schriftverkehr der Staatsanwaltschaft Hamburg. Alles wurde zur Verfügung gestellt.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, beide Minister haben stets zugesagt, alle Fragen des Parlaments offen zu beantworten. Sie tun das auch. Ich finde, der gesamte Fragenkatalog des Parlaments – sowohl von der Opposition als auch von uns – wurde in einem bemerkenswerten Tempo vollumfänglich beantwortet.

So viel muss man doch einmal konstatieren. Da können Sie doch nicht sagen, es werde etwas verschwiegen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Immer neue Fragen!)

Ich halte diese Transparenz für wichtig und richtig. Ich finde sie aber auch vorbildlich.

Es verdient großen Respekt, dass der Innenminister von ganzem Herzen die Familie des Verstorbenen um Entschuldigung gebeten hat. Das zeigt Verantwortungsbewusstsein.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das stimmt!)

Der Umgang der Landesregierung mit dem Fall mag ja kritisiert werden.

(Zuruf von der SPD: Wie hat denn die Familie vom Tod erfahren?)

Aber ich will ganz ehrlich sagen: Ein solches Verhalten hätten wir uns bei der Vorgängerregierung, beim ehemaligen Innenminister, an der einen oder anderen Stelle sehr deutlich gewünscht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich kann mich nicht erinnern, dass in Ihrer Regierungszeit Fehler so klar benannt wurden,

(Andreas Bialas [SPD]: Permanent!)

eingestanden wurden, geschweige denn sich sogar dafür entschuldigt wurde. Daran kann ich mich nicht erinnern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch in der Aufarbeitung dieses dramatischen Falls, meine Damen und Herren, schaue ich wirklich in Richtung SPD, weil man bei Ihnen ein gewisses Muster erkennen kann, wie Sie hier arbeiten, und das finde ich sehr bedauerlich: Sie beschuldigen, ohne Antworten abzuwarten, gern alles vorschnell, bloß nicht zuhören.

Herr Kollege Wolf, ich habe Ihnen das schon in der Sondersitzung gesagt: Sie haben damit angefangen mit Ihrem Pressestatement am 2. Oktober. Das kann man ja alles nachlesen. Darin haben Sie Minister Biesenbach einfach vorgeworfen, er hätte dem Rechtsausschuss etwas verschwiegen. Das Ganze stellte sich aber Stunden später als völlig haltlos heraus, weil Sie genau wissen, dass das Justizministerium erst nach dem Rechtsausschuss Kenntnis über die Verwechslung erhalten hatte. Das wissen Sie.

(Sven Wolf [SPD]: In dem Bericht steht doch etwas ganz anderes, Herr Lürbke!)

Die Wahrheit ist sogar: Der Minister hat zum Hörer gegriffen, Sie persönlich angerufen und Sie informiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Und Sie stellen sich hier heute hin und wiederholen das!? – Das finde ich absolut unredlich.

(Sven Wolf [SPD]: Im gestrigen Bericht steht doch etwas ganz anderes drin, Herr Lürbke! Haben Sie den denn gelesen?)

Es zeigt, dass es Ihnen eben nicht um die Aufklärung geht, sondern darum, hier zu skandalisieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich habe Ihnen auch in der Sondersitzung gesagt, Herr Wolf: Da posaunen Sie sogar noch den Vorwurf hinaus, der Minister hätte objektiv die Unwahrheit gesagt. Das ist schon eine echte Frechheit. Ich hatte Sie damals aufgefordert, das zurückzunehmen. Ich hatte gedacht, Sie würden heute die Chance ergreifen. Sie haben sich nicht entschuldigt – nein, Sie haben das wiederholt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da wird er wohl recht haben!)

Ich finde das absolut unredlich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Stattdessen wird hier weiter aus der Hüfte geschossen und versucht zu skandalisieren.

(Andreas Bialas [SPD]: Ablenkungsmanöver!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Umgang mit diesem Fall setzt das Verhalten der SPD gestern in der Fragestunde die Krone auf; das will ich nicht verschweigen. Das muss man hier doch auch mal sagen.

Frau Hannelore Kraft, die jetzt offenbar das Abo der SPD auf die letzte unpassende Frage dahinten aus dem Off hat,

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

wirft dem Justizminister allen Ernstes vor – Zitat Frau Kraft –, wissentlich und willentlich habe der Minister dem Rechtsausschuss Informationen vorenthalten, obwohl der Justizminister noch Sekunden vorher laut und deutlich hier klargestellt hat, dass er diese Information erst nach dem Rechtsausschuss, vorgestern, erhalten hat,

(Zuruf von der SPD: Gucken Sie doch mal im Protokoll nach! – Weitere Zurufe)

weil bis dahin die Gefangenenpersonalakte noch unter Verschluss war. – Wieder nicht zugehört, aber einfach mal mit maximaler Tonlage hier etwas hinausposaunt, Anschuldigungen erhoben, nicht zugehört

(Zurufe von der SPD)

und hier munter bewertet, ohne Antworten abzuwarten!

(Beifall von der FDP und der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ein schlimmer Auftritt, Herr Kollege! – Widerspruch von der FDP und der CDU)

– Ich bedaure Ihr Verhalten, weil es dem Vorgang nicht gerecht wird.

Ich frage Sie mal: Wollen wir gemeinsam daran arbeiten, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholt? Oder wollen Sie instrumentalisieren, wollen Sie diesen Fall missbrauchen, um vermeintlich politische Geländegewinne erzielen zu können?

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wenn Letzteres der Fall ist, sollten Sie Ihr Verhalten wirklich überdenken, denn das wird der Dramatik dieses gesamten Vorfalls ganz sicher nicht gerecht. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die AfD erteile ich dem Abgeordneten Röckemann das Wort. Bitte sehr.

Thomas Röckemann (AfD): Nach einem Dichterwort sind Namen Schall und Rauch. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein mutmaßlich syrischer Staatsbürger ist bei einem Brand in der JVA Kleve ums Leben gekommen. Das ist tragisch und verdient unser aller Mitgefühl.

Doch auch das gehört zur Wahrheit, sehr verehrte Damen und Herren Kollegen: Der zu Tode Gekommene war kein unbeschriebenes Blatt. Zum ersten Mal wurde er im Oktober 2017 wegen Körperverletzung inhaftiert.

(Unruhe)

Die Inhaftierung, die zu seinem Tod führte, fand dann am 6. Juli dieses Jahres statt. Auch dieses Mal hatte sich der Mann zuvor strafbar gemacht. Laut Protokoll der aufnehmenden Polizeibeamten hat er am Tage der Ingewahrsamnahme vier Frauen an einem See bedrängt und Masturbationsbewegungen gestikuliert.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Schon mal was von „In dubio pro reo“ gehört?)

Die Frauen riefen die Polizei, und erst dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Bei der polizeilichen Abfrage gab es unter seinem Namen und Geburtsdatum einen Treffer. Gesucht wurde durch die Staatsanwaltschaft Hamburg ein Mann gleichen Namens mit zwei offenen Haftbefehlen. Dieser Mann hatte mindestens einen Aliasnamen und kam aus Mali oder Mauretanien; Genaueres weiß man bislang noch nicht.

Eigentlich komisch: Bei zwei Haftbefehlen auf dieselbe Person muss der Mann aus Hamburg doch mindestens zweimal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein. Haftbefehle – da kenne ich mich als Strafverteidiger ganz gut aus – werden schließlich nicht einfach so ausgestellt.

Nun verlangt ausgerechnet die SPD-Fraktion eine lückenlose Aufklärung des Falls. Ich erinnere mich, während meiner Anfrage im Rechtsausschuss nach dem Aufenthaltsstatus des Verstorbenen eher auf spürbare Ablehnung bei sämtlichen Teilnehmern der Altparteien gestoßen zu sein.

Aber inzwischen erklärte Innenminister Reul von der CDU die Angelegenheit zur Chefsache. So teilte Herr Reul vergangenen Freitag mit, es seien bereits Disziplinarverfahren und Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt eingeleitet worden. – Das nenne ich mal Tatkraft, Herr Minister Reul. Wenn Sie sich darüber wundern, dass ich Ihren Namen bereits zum dritten Mal nenne, warten Sie einmal das Ende meiner Rede ab.

(Zurufe: Oh!)

Sicher: Auch Polizisten sind nur Menschen. Ich wünschte mir aber, Herr Minister Reul, Sie würden mit ähnlicher Entschlossenheit, mit der Sie versuchen, Polizisten als Sündenböcke abzustempeln, 4.500 nicht vollstreckte Haftbefehle in NRW durchsetzen – und das ist nur der Stand Mai 2018.

(Beifall von der AfD)

Sie führten in der Sonderausschusssitzung vergangenen Freitag aus, die aufnehmenden Polizeibeamten hätten Fehler bei der Identitätsfeststellung gemacht. Für Sie war das Handeln der Polizisten – und ich zitiere – Ausgangspunkt der Tragödie gewesen.

Da habe ich allerdings eine etwas andere Wahrnehmung: Für mich liegt der Ausgangspunkt der Tragödie zeitlich früher. Gehen wir deshalb noch einmal einen Schritt zurück.

Der in der JVA zu Tode Gekommene war bei den Behörden als Amed, Amed, geboren 01.01.1992 in Aleppo, Syrien, gemeldet – ein Geburtsdatum, wie so viele es haben, die meinen, aus dieser Region zu stammen. Aus eigener Erfahrung und einer Reise nach Syrien kann ich Ihnen berichten, dass es in der Region Aleppo Schulen gibt, in denen die Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Ich bin also der festen Überzeugung, dass Menschen, die aus Syrien und insbesondere aus der Region um Aleppo stammen, in der Lage sind, ihren Namen und ihr Geburtsdatum zu kennen.

(Beifall von der AfD)

Es stand also bereits bei der Erstregistrierung durch die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge fest, dass die Identität des Verstorbenen gefälscht war. Auch eigentlich ein Fall für die Staatsanwaltschaft, nicht verfolgt wie Zehntausende ähnlich gelagerte Fälle. Vermutlich hätte er sich auch „Kaiser Wilhelm“ nennen können.

(Zuruf von der SPD: Oder Gauland!)

Das wäre dann auch nicht aufgefallen. Dann hätte er bei der Namenslotterie allerdings Glück gehabt und würde vermutlich heute noch leben. Sein Pech war, dass jemand mit genauso falscher Identität in Hamburg mittels zweier Haftbefehle gesucht wurde.

Wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist? Das sind allesamt Sie, meine Damen und Herren von den alten Parteien. Ihre gemeinsame Kanzlerin, auch Ihre Kanzlerin, Herr Minister Reul, hat alle diese Menschen mit all ihren falschen Namen in unser Land hereinspazieren lassen. Da kann dann schon mal eine Verwechslung vorkommen. Das alles wurde und wird geduldet. Sie wissen selbst nicht, wie viele Menschen mit ungeklärten Identitäten in unser Land ziehen und Unheil anrichten.

(Frank Müller [SPD]: Was hat das mit diesem Fall zu tun?)

Aber jetzt – und das ist erbärmlich –, wo ein Menschenkind im Feuer umgekommen ist, fangen Sie an, wehzuklagen und zu heulen. Und mit Verlaub, Ihre Krokodilstränen nehme ich Ihnen nicht ab.

Ich konstatiere: Ausgangspunkt der mutmaßlichen Selbstverbrennung ist das Staatsversagen der Merkel-Regierung seit der Grenzöffnung 2015.

(Beifall von der AfD)

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge auf Grundlage von offensichtlich falschen Angaben Bescheide erlässt, die ihrerseits Grundlage für weitere Verwechslungen bieten. Das treibt durchaus Blüten. Vielleicht können Sie sich noch daran erinnern, dass selbst ein deutscher Bundeswehrsoldat ohne Kenntnis der arabischen Sprache den offenbar überforderten Mitarbeitern im BAMF mit Erfolg auftischen konnte, er sei ein syrischer Flüchtling.

Aber was taten die Verantwortlichen, als die katastrophalen Missstände im Frühjahr endlich offenkundig waren? Sie taten gar nichts. Sie erwarteten von der Polizei, und sie erwarten jetzt von den Polizeibehörden, das staatlich angeordnete BAMF-Versagen auszubügeln und lenken die Verantwortung auf die Polizeibeamten. Sie beschuldigen Polizisten, weil diese einem fehlerhaften Treffer aus einer völlig zugeschlampten Datenbank aufsaßen. Dafür sind Sie, Herr Minister Reul, in letzter Instanz verantwortlich, und darum wollen Sie sich drücken. Ich persönlich nenne das unehrlich und auch feige.

In der Rechtswissenschaft ist bekannt, dass hinter einem Tatausführenden ein wahrer Täter stehen kann, welcher das Geschehen wirklich beherrscht. Fragen Sie sich doch mal, wer hier die Täter hinter den Tätern sind. Das sind Sie, Sie, die die jungen Männer zu Hunderttausenden in unser Land holten und weiter ins Land holen, und zwar ohne Rücksicht auf Machbarkeit und Folgen. Das sind Sie, die Regierenden, die untergeordnete Befehlsempfänger für sich in die Bresche springen lassen. Sie sind Täter hinter den Tätern. Denn Sie haben Herrschaftswissen. Haben Sie Anstand und leiten Sie entsprechende Verfahren gegen sich selbst ein!

Nun fordert die SPD einen Untersuchungsausschuss. Wir begrüßen dies. Wir als Alternative für Deutschland behalten uns vor, ebenfalls die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu beantragen,

(Marlies Stotz [SPD]: Schande!)

gerade im Hinblick auf die deutschen Opfer Nordrhein-Westfalens, die der Einwanderung seit 2015 zum Opfer fielen. – Guten Tag.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Als Nächstes erteile ich Herrn Abgeordneten Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine in der Tat ausgesprochen tragische Situation, die eigentlich Anlass gibt, über die Verbesserung von Verfahren nachzudenken. Dass ein Mensch in staatlicher Obhut stirbt, der in diese staatliche Obhut nicht gehört hat, egal was er vorher getan oder auch nicht getan hat, das ist tragisch, und in der Tat muss das Anlass zur Überdenkung von Verfahrensweisen sein.

Aber Ursache für ein mögliches Fehlverhalten bei Polizisten ist die Tatsache, dass diese ganz sicher mit der aktuellen Situation überfordert sind. Denn wir haben eine Situation, in der wir ausgesprochen unglückliche Namensdopplungen und vermutlich noch ganz andere Zahlen von Namensüberschneidungen dort draußen haben. Wir haben die Situation, dass wir massenhaft Menschen haben, die ihr Geburtsdatum mit dem 01.01. irgendeines Jahres angeben. Das heißt, die Geburtsdatenzuordnung ist nicht mehr akkurat.

Wir haben Aliasnamen, wir haben verschiedene Herkünfte, wir haben unklare Geburtsortzuordnungen – all das, was üblicherweise in Deutschland in der Vergangenheit immer eindeutig zuzuordnen war. Wenn Sie nämlich einen Geburtsort, ein Geburtsdatum und einen Namen hatten, dann haben Sie in Deutschland normalerweise ganz wenige Fälle, in denen es überhaupt zwei Menschen gibt, die denselben Geburtsort, dasselbe Geburtsdatum und denselben Namen aufweisen.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das stimmt!)

Ich weiß nicht, wie viele Fälle es in ganz Deutschland gibt.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ach ja!)

Aber wir haben mit der Situation seit 2015 diese Fälle verzigfacht. Wir haben massenhaft solcher Fälle, und es ist die Polizei, die damit selbstverständlich überfordert ist, die wir eben nicht mehr in die Lage versetzen, relativ simpel mit diesen einfachen Mitteln eindeutige Identitätsfeststellungen zu treffen. Deswegen ist es falsch, auf die Polizei zu zeigen, auch wenn dort möglicherweise Versäumnisse vorliegen.

Es ist aber noch viel falscher, wenn Sie hier auf die Minister an dieser Stelle zeigen. Denn die haben sich in der Tat in einer sehr unübersichtlichen und schwierigen Lage um Aufklärung bemüht, und es ist völlig offenkundig, dass die Faktenlage eben nicht ausreichend ist, dass nicht klar ist, wann was passiert ist.

Wir wissen, dass der Umgekommene selbst keinen Kontakt zur Familie hatte, dass eben keine Angaben zur Familie vorlagen. Und dass Sie hier jetzt den Ministern vorwerfen, nicht persönlich bei der Familie erschienen zu sein, meine Damen und Herren, das ist schon eine Art und Weise des Umgangs und des Vorwurfs, den wir hier in diesem Plenarsaal nicht pflegen sollten. Es ist wirklich unerhört, wie Sie hier mit den Ministern umgehen an dieser Stelle. Da gibt es ganz andere Fälle aus Ihrer eigenen Partei. Da sollten Sie sich an die eigene Nase fassen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal was zur Identität!)

Präsident André Kuper: Ich darf dann für die Landesregierung Herrn Minister Biesenbach das Wort erteilen.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt von allen gehört, wie stark doch die Betroffenheit sein soll. Damit steht das Verhalten nicht immer im Einklang, muss ich sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will hier zu der Art und Weise nicht mehr Stellung nehmen, weil ich glaube, hierzu ist von der Kollegin Erwin und auch von Herrn Lürbke deutlich genug etwas gesagt worden.

(Zurufe von der SPD)

Ich will nur noch eines zu Herrn Wolf sagen. Herr Wolf, Sie haben ja nun bekannterweise mehrfach den Vorwurf erhoben, ich hätte den Rechtsausschuss am 26. September getäuscht, nicht informiert, belogen. Dazu haben wir deutlich genug Stellung genommen. Dass Sie es heute aber wieder indirekt tun, sollte uns allen zu denken geben;

(Zuruf von der SPD: Ihnen!)

denn Sie haben heute erneut hier behauptet, die Staatsanwaltschaft Hamburg hätte am 24. September bereits nachgefragt und darauf hingewiesen. Ich habe Ihnen mehrfach gesagt, auch heute, und werde es ständig tun, bis Sie es endlich mal verstehen: Wir als Justiz sind etwa zwei bis zweieinhalb Stunden nach der Ausschusssitzung informiert worden und keine Minute früher.

Wenn die Staatsanwaltschaft Hamburg an die Polizei in Kleve eine Meldung gibt und die Staatsanwaltschaft oder die Polizei in Kleve erst anschließend die Justiz informiert, halten Sie mir doch nicht vor, ich hätte Sie getäuscht und nicht informiert!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist die Art und Weise, weshalb ich Sie in meinem Kopf inzwischen als „Mr. Fake News“ abgeheftet habe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine schleppende Aufklärung lasse ich unseren Geschäftsbereichen auch nicht vorhalten.

(Zurufe von Sven Wolf [SPD] und Dietmar Bell [SPD])

So schnell wir konnten, haben wir es getan. Sie haben Fragen gestellt, die wir nicht beantworten konnten, weil die Gefangenenpersonalakte bis gestern von der Staatsanwaltschaft in Kleve beschlagnahmt war. Sorry, was wir nicht wissen, können wir nicht mitteilen. Wir haben uns bemüht, die Akte schnell zu bekommen. Sie sind dann unmittelbar informiert worden.

Ich darf auch in diesem Zusammenhang, Herr Engstfeld, einen Fehler korrigieren. Ich habe gestern gesagt, dass die Gesundheitsakte auch beschlagnahmt worden sei. Das war ein Fehler. Die Gesundheitsakte war verschlossen bei den Ärzten. Auch sie haben wir am 9. erst zu Gesicht bekommen, sodass Sie die Informationen gestern teilweise hatten, teilweise auch nicht.

Diese Landesregierung hat sich vorgenommen und hält das eisern durch – der Kollege Reul macht es, ich mache es –: Alles, was wir wissen, können Sie von uns erfahren. Wir haben uns gestern noch darauf verständigt. Weil Sie sagten, einige Fragen sind nicht vollständig beantworten, habe ich Ihnen angeboten: Bitte sagen Sie, was Sie noch wissen wollen, und wir berichten alles nach, aber erst dann, wenn wir die Informationen selbst erhalten können. Das haben wir getan.

Damit Sie jetzt zu den beiden Bereichen Suizidrisiko und Brandursachen noch ein bisschen mehr erfahren, will ich mich gar nicht weiter mit dem Procedere aufhalten, sondern Sie informieren, was wir nach dem 9. jetzt auch aus der Gesundheitsakte wissen. Die am 9. Oktober gesichtete Gesundheitsakte des Gefangenen hat folgende Erkenntnisse gebracht:

In den Justizvollzugsanstalten Geldern und Kleve fand jeweils die Zugangsuntersuchung durch den Anstaltsarzt statt. Hierbei wurden neben einer körperlichen Untersuchung auch anamnestische Daten abgefragt. Es erfolgte im Verlauf auch die Behandlung einer Sportverletzung. Der Gefangene war gelegentlich in medizinischer Behandlung, unter anderem wegen einer Sportverletzung oder Sodbrennen.

Folgende Diagnosen wurden ärztlicherseits festgehalten: THC-Abhängigkeit, schädlicher Konsum von Alkohol, Persönlichkeitsstörung (Dauerdiagnose: Anpassungsstörung), Zustand nach oberflächlichen Schnittverletzungen rechter Unterarm (selbst beigebracht vor der Inhaftierung, Linkshänder), Sodbrennen, Hautabschürfung linker Unterschenkel und Kleinzeh (Sportverletzung).

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Die Schnittverletzungen sind aufgrund ihres Erscheinungsbildes – so der Arzt –

(Sven Wolf [SPD]: Ich kann mitlesen, Herr Minister!)

nicht in Kontext mit einer mutmaßlichen Suizidalität zu bringen, sondern sind eher vergleichbar mit psychisch entlastenden Schnittverletzungen im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

In Bezug auf eine Suizidgefahr wurde vom Arzt Folgendes vermerkt: Zunächst erfolgte eine Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum. Dann wurde im Verlauf aufgrund der vermuteten Suizidgefährdung eine 15-minütliche Beobachtung vom Anstaltsarzt angeordnet. Am 2. August wurde diese Beobachtung bei nicht mehr erkennbarer Gefährdung vom Anstaltsarzt in Kleve nicht mehr für notwendig erachtet. Somit wurde bereits seitens des Anstaltsarztes am 2. August keine suizidale Gefährdung mehr gesehen.

Darüber hinaus vermerkt der Anstaltsarzt Folgendes: Bekannte Cannabisabhängigkeit, somit aus hiesiger Sicht mutmaßlich Raucher. – Einzelne Gesprächsinhalte wurden nicht dokumentiert, jedoch Vermerke niedergelegt, wann Kontakt mit dem Arzt oder auch mit der Krankenabteilung gewesen ist.

Zu dem Eintrag des Anstaltsarztes, vor allem „Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörung, soweit in der Untersuchungssituation im besonders gesicherten Haftraum eruierbar“, wird angemerkt, dass hier eine psychiatrische Störung vermutet wird, die nicht einer gesonderten psychiatrischen Behandlung bedarf.

(Zurufe von der SPD)

Der JVA Kleve soll im Anschluss an die Obduktion des Gefangenen mitgeteilt worden sein, dass dieser an einer nicht offenen Tuberkulose erkrankt gewesen sei.

Der Gefangene befand sich nicht in regelmäßiger psychologischer Betreuung. Der psychologische Fachdienst der Justizvollzugsanstalten Geldern und Kleve war im Zusammenhang mit der Einschätzung der Suizidalität mit dem Gefangenen befasst. Bei der Einlieferung in die JVA Geldern am 06.07.2018 äußerte der Gefangene im Erstgespräch akute Suizidgedanken und hat als besondere Merkmale vermerkt: verschiedene Narben am Körper. Er war zunächst bis zum 09.07. in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht.

Im elektronischen Wahrnehmungsbogen ist ein Gespräch des Gefangenen mit dem psychologischen Fachdienst der JVA Geldern vermerkt, das seine persönliche und psychische Situation betraf. Eine akute Suizidgefahr hat sich nicht bestätigt. Eine Personenverwechslung oder eine fehlerhafte Inhaftierung durch den Gefangenen ist nicht vermerkt.

Im elektronischen Wahrnehmungsbogen hat der psychologische Fachdienst unter „Texte zum Gefangenen“ am 09.07.2018 im Zusammenhang mit einem Gespräch in Anwesenheit des Abteilungsleiters, des Anstaltsarztes und von Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes Folgendes vermerkt:

Er scheine in Deutschland weitgehend ohne soziale Bildungen zu sein. Er sei alleine aus Syrien nach Deutschland gekommen, habe aber Anschluss an eine deutsche Familie gefunden. Er befinde sich zum ersten Mal in Haft.

Es wurden keine aktuellen Alkohol- oder Drogenproblematiken festgestellt. Derzeit wegen Diebstahls inhaftiert. (Er ist eines Sexualdelikts verdächtigt, die Vernehmung durch die Kripo wird aber erst morgen stattfinden. Da in dieser Angelegenheit noch ermittelt wird, wurde sie nicht angesprochen. Herr Amed sprach jedoch von sich aus davon, dass er Ärger mit einem Mädchen hatte.) Keine Suizidversuche in der Familiengeschichte, aktuell wird eine suizidale Tendenz verneint. Keine lebensbedrohlichen Krankheiten oder chronischen Schmerzen. Er verneint aktive Suizidgedanken und habe sie auch in der Voranstalt nicht gehabt. Er sei mit der Unterbringung mit anderen Gefangenen einverstanden.

Herr Amed wirkte gefasst und beherrscht. Symptome einer vorliegenden psychiatrischen Störung waren nicht erkennbar und wurden auch nicht berichtet. Die Beteiligten waren damit einverstanden, dass Herr Amed zunächst in eine zuverlässige Gemeinschaft vorzugsweise mit Gefangenen mit ähnlichem kulturellem Hintergrund verlegt werden kann. Es wurde jedoch auch angemerkt, dass unmittelbar nach der Vernehmung durch die Kripo eine erneute Evaluierung stattfinden muss, da zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht sicher ist, ob und wie die Kripo ihm das ihm vorgeworfene Sexualdelikt mitteilen und wie er darauf reagieren wird.

Das sind die Situationen ganz aktuell. Ich könnte jetzt noch etwa zwei weitere Seiten vorlesen. Ich habe Ihnen zugesagt, dass Sie all die Informationen bekommen werden. Wir werden sie nachliefern. Wenn Sie dann weitere Fragen haben: Stellen Sie sie! Wir haben nichts zu verbergen. Wir werden nichts verbergen. Wir legen alles offen. Nur, Sie sollten uns einen Gefallen tun: Lassen Sie uns zumindest ein paar Stunden Zeit,

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

damit wir die Sachen vernünftig zusammenstellen können, und behaupten Sie bis dahin nicht, wir wollten nichts offenlegen. Wir sind transparent.

Das können Sie auch an einem anderen Beispiel feststellen: Ich habe eben gesagt, dass die Gesundheitsakte bei den Ärzten war. Wir haben gestern noch geklärt – das war auch eine Frage, die offen blieb –, inwieweit eine Kontaktaufnahme zur konsularischen Vertretung erfolgt ist. Aus der uns gestern wieder zugänglichen Gefangenenpersonalakte ist nicht ersichtlich, dass der Gefangene bei der Aufnahmeverhandlung die Einschaltung der konsularischen Vertretung verlangt hat.

(Sven Wolf [SPD]: Welche denn? Mali oder Syrien?)

Die Prüfung, ob die Belehrung wie vorgeschrieben erfolgt ist, dauert noch an.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Sollte er sich jetzt vom Assad-Regime vertreten lassen? Er ist davor geflohen! – Weitere Zurufe)

– Nun regen Sie sich nicht auf. Stellen Sie die Fragen, Sie bekommen alle Antworten.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie sind kein Sachbearbeiter, Sie sind der Minister!)

– Hier laut hereinzurufen, bringt überhaupt nichts, junger Mann.

Wenn Sie mich danach fragen, ist das doch ganz einfach. Sie haben mich gefragt: Was ist denn Verantwortung? – Ich habe es jetzt schon mehrfach mitgeteilt. Verantwortung bedeutet für mich: Fehler klar zu benennen, sie aufzuarbeiten und Verbesserungen in der Praxis durchzusetzen. Das ist die Aufgabe, und die werde ich erfüllen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 3:50 Minuten überzogen. Dementsprechend würden wir bei weiteren Wortbeiträgen und weiterem Bedarf den anderen Fraktionen diese Zeit hinzugeben.

Für die SPD-Fraktion darf ich jetzt Frau Bongers bitten.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Erwin, Herr Lürbke, proaktive Aufklärung, so wie Sie beide es eben nannten, sieht anders aus.

(Beifall von der SPD)

Erst gestern in der Fragestunde entgegnete Minister Biesenbach auf meine Frage, warum er nichts von der Selbstmordgefährdung in der Aktuellen Viertelstunde des Rechtsausschusses gesagt hat: Danach haben Sie nicht konkret gefragt. – Das ist also proaktive Aufklärung.

(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

So weit, so gut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident, der Bürgerkrieg in Syrien ist eine der grausamsten menschlichen Tragödien, die momentan auf dieser Welt stattfinden. Viele von uns haben die Bilder der zum größten Teil zerstörten Stadt Aleppo aus den Medien vor den Augen. Man stelle sich nun vor, dass ein junger Mann, 26 Jahre alt, aus genau dieser Stadt flieht, um Leib und Leben zu retten. Dieser junge Mann ist Amed A. Dann kommt Amed A. nach Monaten der Flucht und der Ungewissheit in Deutschland an. Er hofft auf einen Neuanfang. Vielleicht hat er schon ganz gut Deutsch gelernt, vielleicht hofft er auf eine Arbeit, aber mit Sicherheit hofft er auf Unversehrtheit an Leib und Leben.

Was passiert stattdessen? – Er wird unschuldig inhaftiert. Das allein ist schon schrecklich genug. Das allein wäre für uns alle, für die allermeisten Menschen das Schlimmste, was passieren kann: Man sucht beim Staat Hilfe und Unterstützung, und stattdessen landet man hinter Schloss und Riegel. – Ein entsetzlicher Albtraum, aber es war kein Traum, sondern entsetzliche Realität.

Aber damit nicht genug der Ungerechtigkeit. Denn wir sind Amed A. jetzt die Aufklärung dieser schrecklichen Vorgänge schuldig – transparent, schonungslos und vor allen Dingen ehrlich. Aber so haben wir gerade Minister Biesenbach nicht erlebt. Hier sprach kein betroffener, um Aufklärung ringender Staatsnotar. Hier sprach jemand, der mit aller Gewalt versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

jemand, der bis heute der Familie des Opfers eine persönliche Erklärung verweigert. Das war und ist erbärmlich.

(Beifall von der SPD)

Ich werde jetzt gegenüber Peter Biesenbach nur Peter Biesenbach mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Ihre Sammlung Ihrer alten Pressemitteilungen auf Ihrer Homepage ist eine wahre Schatztruhe. Ich zitiere: Solange der Minister

„diesen Sachverhalt nicht klarstellen kann, muss sein Vorgehen als Lüge gegenüber dem Parlament gewertet werden.“

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Was? – Weitere Zurufe von der CDU)

15. April 2014, ein weiteres Zitat: Der Minister

„ist jetzt einzig und allein mit der Verteidigung und Rechtfertigung beschäftigt. Damit ist er nicht mehr in der Lage, die Missstände nachhaltig zu beheben und für die Zukunft auszuschließen.“

(Beifall von der SPD)

Nochmals ein Zitat, und zwar vom 13. April 2017: Der Minister

„tut alles, damit die Wahrheit in der Causa Jäger/Wendt nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Dabei zeigt er null Respekt vor den Rechten von Parlament und Öffentlichkeit.“

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Herr Minister Biesenbach, wenn Sie schon nicht auf die Presse und auf die Opposition hören, hören Sie doch wenigstens auf sich selbst.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihr Rücktritt ist jetzt schon zu spät. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Bongers. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Bergmann.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wir haben heute von vielen Seiten Betroffenheit vernommen, wir haben von vielen Leuten Details gehört. Auch ich will mich natürlich der Betroffenheit anschließen. Es ist furchtbar, was passiert ist. Bei mir ist die Betroffenheit noch nicht einmal gespielt, denn ich komme aus der Region, über die Sie die ganze Zeit sprechen und die Sie oftmals wahrscheinlich nur von der Landkarte kennen.

(Sarah Philipp [SPD]: Das stimmt nicht!)

Ich bin der direkt gewählte Vertreter für Kleve, und ich bin Mitglied des Beirates der Justizvollzugsanstalt. Ich kenne Bedienstete, die an dem Tag, als das passierte, dort reingegangen sind und ihr Leben riskiert haben, um diesen Mann zu retten. Wenn diese Menschen dann von einem Justizskandal hören, fühlen sie sich selber angegriffen, und das ist erbärmlich, um einmal die Ausdrucksweise von Frau Bongers aufzugreifen, die ich völlig unparlamentarisch und schäbig finde.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Das kommt darauf an, wer es sagt! – Andreas Bialas [SPD]: Wieder die kleinen Leute vorschieben! Unfassbar!)

Ich möchte Herrn Engstfeld explizit danken, weil er wie im Ausschuss im Gegensatz zu vielen anderen versucht hat, nachzufragen und dem nachzukommen, was wir Parlamentarier tun sollten, nämlich aufzuklären, zu fragen. Wir sind in der Phase der Aufklärung, haben Sie vorhin gesagt. Das stimmt. Das finde ich gut. Und das unterscheidet Sie von vielen anderen, die hier Dinge geäußert haben.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber Sie sagen doch, das ist doch alles schon passiert!)

Das gilt zum Beispiel für Frau Bongers und ihre Rede, die offensichtlich gestern geschrieben worden ist und überhaupt nicht das aufgreift, was sie fünf Minuten vorher hier erlebt hat. Wenn Sie nicht aufgreifen können, was Sie gerade zu hören bekommen haben, dann ist das zwar schade,

(Zurufe von der SPD: Oh! – Nadja Lüders [SPD]: Das ist erbärmlich!)

aber dann sollten Sie das nicht mit persönlichen Angriffen gegen …

(Nadja Lüders [SPD]: Das ist erbärmlich! – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Es ist erbärmlich, das immer wieder aufzugreifen!)

– Sie können so lange brüllen, wie Sie wollen, Herr Maelzer – dafür sind Sie ja bekannt –, aber es ändert nichts an den Tatsachen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Wenn jemand in einer gestern geschriebenen Rede heute, nachdem sich der Minister erklärt hat, immer noch etwas behauptet, was drei Minuten vorher widerlegt wurde,

(Nadja Lüders [SPD]: Das ist erbärmlich!)

zeugt das nicht davon, dass er parlamentarisch auf der Höhe ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sven Wolf [SPD]: Was hat der Minister denn erklärt? – Zuruf von der SPD: Boah! – Andreas Bialas [SPD]: Das ist an Frechheit nicht zu überbieten, Herr Kollege!)

Erst müssen alle Informationen auf den Tisch – das ist überhaupt nicht die Frage –,

(Zuruf von Andreas Bialas [SPD])

und dann können wir eine endgültige Beurteilung vornehmen. Dann können wir auch Maßnahmen, die mit Sicherheit notwendig sind und die er in Teilen …

(Andreas Bialas [SPD]: Da muss ja doch mehr sein!)

– Herr Bialas, ich komme gleich auf Sie zu sprechen. Dann lassen Sie uns das vorziehen, wo Sie gerade so nett hereinrufen. Ihre Frage in der gestrigen Fragestunde hat Sie für den Rest des gesamten Verfahrens desavouiert.

(Sarah Philipp [SPD]: Ist das so?)

Sie fragten den Minister bezüglich des „RP“-Artikels, ob er es denn passend fände, dort lächelnd mit Blick aus dem Fenster abgebildet worden zu sein.

(Andreas Kossiski [SPD]: Er hat sich bedankt dafür!)

Sie sagten, Sie würden vor dem Hintergrund nicht glauben, dass er diese Betroffenheit ernst meine, und fragten ihn: Wie können Sie sich, angesichts der Tatsache, dass so etwas passiert ist, lächelnd in der Zeitung abbilden lassen?

(Andreas Kossiski [SPD]: Das hat er so nicht gesagt!)

– Genau das war die Frage.

(Andreas Kossiski [SPD]: Nein! – Zurufe von der SPD: Nein!)

Ein Blick unter das Foto – ich bin Leser der „RP“ – offenbarte es.

(Andreas Kossiski [SPD]: Fragen Sie den Herrn Minister!)

Dort stand: „Foto: dpa“. Sie als Politiker wissen, dass es Fotodatenbanken gibt und dass Politik in der Presse dazugemischt wird.

(Sarah Philipp [SPD]: Darum geht es jetzt aber nicht!)

Das war eine Art der Betroffenheit, die Ihnen hier niemand abnimmt. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn ich Politik so betreiben würde, wie Sie es im Moment tun, dann würde ich das wie folgt machen – ich spiele jetzt einmal SPD –:

(Andreas Kossiski [SPD]: Spielen Sie lieber CDU!)

Herr Kutschaty, können Sie sicherstellen, dass es in Ihrer Amtszeit niemals zu einer Verwechselung bei einer Inhaftierung gekommen ist?

(Sarah Philipp [SPD]: Darauf haben wir gewartet!)

Diese Art von Fragen stellen Sie hier, und, Herr Kutschaty, Sie könnten Sie nicht beantworten.

(Christian Dahm [SPD]: Wer hat denn die politische Verantwortung?)

Die Aufklärung des Funklochproblems Ihrer ehemaligen Ministerpräsidentin hat doch länger gedauert als die Beantwortung der hier gestellten Fragen. Das ist doch das Faktum.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Bell [SPD]: So viel Nebel!)

Pauschalierungen und Unterstellungen sind einfach unerträglich, und sie sind hier auch immer nur auf der Basis von der Unterstellung, dass Informationen vorenthalten würden, getätigt worden.

Herr Engstfeld, Sie haben 160 oder 161 Fragen gestellt, und Sie von der SPD hatten 107 Fragen gestellt. Davon haben Sie im Rechtsausschuss – das haben Sie selber konstatiert – ganz viele beantwortet bekommen.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber die entscheidende leider nicht!)

Die beiden Minister haben Rede und Antwort gestanden, und zwar in einem Stil, der Ihnen von der SPD in früheren Auseinandersetzungen gut zu Gesicht gestanden hätte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben sich in der Ausschusssitzung geeinigt und gesagt: Wir reduzieren und stellen euch die Fragen noch einmal. – Das ist seitens Herrn Engstfeld und der SPD erfolgt. Die beiden Minister antworteten innerhalb von 48 Stunden. Schneller geht es bei einer dreistelligen Anzahl von Fragen nicht. Vor diesem Hintergrund ist es völlig in Ordnung, dass dann subjektiv nicht alle Fragen so beantwortet werden, wie man sich das wünscht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Subjektiv? – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Subjektiv?)

Das ist Ihre Wahrnehmung. Die Frage, die Sie vorher gestellt haben, ist mit Sicherheit nicht ordentlich beantwortet worden; da gebe ich Ihnen recht. Aber dann muss man daran arbeiten. Das ist doch der Prozess, in dem wir uns gerade befinden.

Mit Verallgemeinerungen kann es jedenfalls nicht weitergehen. Wo Probleme sind, müssen wir handeln. Es müssen systemische Verbesserungen eingeführt werden. Schließlich handelt es sich nicht, wie behauptet, um die Erstinhaftierung dieses Herrn, sondern er war zum zweiten Mal in der Justizvollzugsanstalt in Kleve.

(Andreas Bialas [SPD]: Das ist ja noch schlimmer! Dann muss man ihn doch kennen!)

Er wurde dort genau registriert. Er ist in diesem Fall nicht zuerst in Kleve, sondern in Geldern inhaftiert gewesen. Das sind alles Punkte, wo man genau nachgucken muss.

Ich möchte Sie auffordern, diese Politamnesie endlich sein zu lassen. Sie haben uns fünf Jahre lang etwas anderes vorgelebt und tun jetzt so, als sei das alles unglaublich.

Die Berufskrankheit, die Herr Wolf hier auslebt, indem er versucht, aus einem Parlament ein Gericht zu machen, finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben sich mit Ihrem Auftritt gerade selber blankgezogen, diese Oberlehrerhaftigkeit und diese Selbstgefälligkeit. Selbstgefälligkeit – das habe ich Ihnen schon im Ausschuss gesagt –

(Lachen von der SPD)

birgt ein Problem: Nachher gefällt sie einem immer nur noch selbst.

Was hier passiert, ist nicht in Ordnung. Wir müssen alle Fakten auf den Tisch legen und von Vorverurteilungen absehen. Das ist für Juristen eigentlich sowieso ein No-Go, aber das muss ich Ihnen ja nicht sagen.

Ich kann mir nur wünschen, dass wir die Informationen seitens der Ministerien weiterhin in der Weise bekommen, wie es in den letzten Tagen der Fall war. Ich bedanke mich dementsprechend bei Herrn Minister Biesenbach und Herrn Minister Reul. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Fall des zu Unrecht inhaftierten und vor fast zwei Wochen verstorbenen Amed A. ist noch nicht geklärt. In diesem Justiz- und Polizeiskandal sind noch viele Fragen offen. Es fängt bei der unrechtmäßigen Inhaftierung an. Es betrifft die Ursache des Brandes in dem Haftraum. Es betrifft die hierzu unternommenen Ermittlungsmaßnahmen. Es betrifft aber auch die Art und Weise, wie diese Landesregierung mit den Hinterbliebenen des Opfers umgeht.

Herr Minister Reul, Sie haben sich in der Sondersitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am vergangenen Freitag öffentlich für die Fehler, die in Ihrem politischen Verantwortungsbereich erfolgten, entschuldigt. Angesichts der Dramatik dieses Falles war das auch wichtig und richtig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit welcher Intention Sie aber gestern in der Fragestunde einen absolut nicht vergleichbaren Verwechslungsfall aus Essen erwähnten, ist mir vollkommen unverständlich. Das sei nur am Rande erwähnt, Herr Minister Reul.

(Zuruf von Minister Herbert Reul)

Herr Minister Biesenbach, Sie sprechen davon, dass Ihnen dieser Fall unter die Haut geht. Das will ich Ihnen gerne glauben. Aber es macht mich schon fassungslos, mit welcher Empathielosigkeit Sie hier eben gestanden haben und salopp ausführten, dass die syrische Botschaft informiert worden sei. Es muss Ihnen doch bekannt sein, dass Amed A. ein Geflüchteter war, einer, der vor dem Assad-Regime geflüchtet war und in unserem Land Schutz gesucht hat. Dafür ist nicht die Vertretung von Assad zuständig, sondern Sie sind für seinen Schutz zuständig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, ich finde es ein Armutszeugnis, dass es Ihnen auch drei Wochen nach dem Brand nicht gelungen ist, den in NRW lebenden Vater des Verstorbenen zu kontaktieren, über den Vorfall zu informieren, und dass zumindest bis gestern weder Sie, Herr Reul, noch Sie, Herr Biesenbach, sich an die Angehörigen des Amed A. gewandt haben.

Angesichts der Tatsache, dass ein Mensch in unrechtmäßiger Gefangenschaft des Staates derart schwer verletzt wurde, dass er zu Tode kam, wäre es da nicht angebracht, sich Ihrerseits persönlich an die Angehörigen, zumindest an den in NRW lebenden Vater zu wenden, Ihr Mitgefühl und Ihre Anteilnahme auszudrücken und sich für die Fehler im Namen der Landesregierung persönlich zu entschuldigen?

Ich sage Ihnen: Es ist wirklich nicht sehr schwer, den Kontakt zu dem Vater von Amed A. herzustellen, ihn ausfindig zu machen. Mir zumindest ist das in kürzester Zeit gelungen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt in dieser Sache nicht mehr viel gutzumachen. Sorgen Sie jetzt aber dafür, dass nicht nur der hier lebende Vater, sondern auch die fluchtbedingt sich in der Türkei befindende Mutter des Verstorbenen Abschied von ihrem Sohn nehmen kann und er würdevoll nach den Vorstellungen seiner Angehörigen bestattet werden kann. Sorgen Sie dafür, dass seine Eltern eine Stelle finden, an die sie sich wenden können. Und stellen Sie endlich sicher, dass sich die Angehörigen auch an diese Landesregierung wenden können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Für die AfD-Fraktion hat Herr Kollege Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Mensch ist gestorben, der nicht hätte sterben müssen, der auch nicht hätte sterben dürfen unter solchen Umständen. Er war vermutlich ein Syrer; wir wissen es nicht genau. Er wurde aufgegriffen, als er an einem See in Geldern vier Frauen sexuell belästigte. Er war bereits vorher mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Der Minister des Innern berichtete uns vom Verdacht des Raubes, vom Verdacht der Bedrohung, vom Verdacht des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, vom Verdacht auf Körperverletzung, vom Verdacht auf Leistungsmissbrauch. Wir vermuten, dass der mutmaßliche Täter Amed A. heißt. Auf seiner Sparkassenkarte findet sich allerdings ein anderer Name.

Nachdem nun die Polizei am Badesee in Geldern die Frauen von dem Belästiger befreien konnte, ihn stellte und, wie es üblich ist, seine Daten durch den Computer jagte, ergab es sich, dass ein vermutlich in Hamburg lebender Mann aus Mali oder Mauretanien oder von irgendwoher – auch hier wieder wissen wir nichts Genaues –, der sich mit mehreren Identitäten in Deutschland aufhält, sich unter anderem zufällig oder nicht – auch das wissen wir nicht – mit dem gleichen Namen wie der verstorbene vermutliche Syrer gemeldet hatte.

Wir wissen auch nicht, ob der Mann aus Mali oder Mauretanien oder sonst woher kam und ob er unter diesen diversen Identitäten vielleicht mehrfach Sozialbezüge kassierte.

Was wir hingegen wissen, ist, dass ihn die Staatsanwaltschaft Hamburg per Haftbefehl suchte, dass er wegen mehrfachen Diebstahls verurteilt war und eine Haftstrafe anzutreten hat.

Individuelle Fehler bei der Aufnahme des vermutlichen Syrers kamen hinzu. So fiel die vermutliche, zufällige oder auch nicht zufällige Namensgleichheit nicht auf und wurde wohl auch nicht proaktiv aufgeklärt.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich dem Minister Reul dafür danke, dass er um Entschuldigung gebeten hat. Denn eines ist klar: Niemand will, dass in unseren Gefängnissen Menschen sterben – auch nicht, wenn es sich dabei um eine mögliche Selbsttötung handelt. Auch das wissen wir noch nicht ganz genau so, wie wir vieles in diesem Fall nicht genau, manches vermutlich nie in Erfahrung bringen werden.

Was wir hingegen wissen, ist, dass dies kein Zustand in einem zivilisierten Land sein kann,

(Beifall von der AfD)

dass wir so wenig wissen über die Menschen, die in unser Land kommen, die sich hier legal oder illegal aufhalten und – wie in diesem Fall – mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt kommen, ja, sogar dafür verurteilt werden.

Immer wieder erleben wir im Zuge von Unglücksfällen oder Straftaten, bei denen sogenannte Flüchtlinge beteiligt waren – sei es als Opfer, als Täter oder als Zeugen –, dass ganz nebenbei immer wieder herauskommt, dass sie sich unter diversen Aliasnamen mehrfach angemeldet haben, zum Teil mehrfach soziale Bezüge kassieren, dass ihre Geburtsdaten variieren. Mal sind sie 15, mal 25 Jahre alt, mal haben sie im Sommer Geburtstag, mal im Winter und viele eben am 1. Januar irgendeines Jahres. Mal kommen sie aus Mali, dann aus Mauretanien oder gleichzeitig aus Syrien. Meine Damen und Herren, es ist ein absolutes Chaos. Es ist nicht hinnehmbar und kann nicht dem Anspruch eines zivilisierten Landes entsprechen, dass wir nicht wissen, wer auf welchem Wege in unser Land kommt und was er hier tut.

(Beifall von der AfD)

Spätestens nach dem Anschlag des Terroristen Amri am Berliner Breitscheidplatz hatten Sie, meine Damen und Herren von den Altparteien, uns versprochen, dass wir keinen Menschen mit Mehrfachidentitäten mehr in unserem Land haben werden, dass Sie wissen werden, wer diese Menschen sind. Das einzige, was wir wirklich wissen, ist, dass wir nicht wissen, wer in unserem Land ein und aus geht. Das einzige, was wir wirklich wissen, ist, dass Sie, meine Damen und Herren von den alten Parteien, Ihrer Aufgabe nicht nachkommen, unser Land und unsere Bürger zu schützen. In diesem Fall konnten Sie nicht einmal einen Eingereisten vor sich selbst schützen.

Sie haben in diesem Land Chaos angerichtet; ein Land, das einst bekannt war für eine ausgezeichnete Bürokratie und Verwaltung, für Organisationstalent, Genauigkeit und Akkuratesse – Werte, die Ihnen anscheinend nicht mehr so wichtig sind.

Der Minister hat nun angekündigt, auf diesen Fall zu reagieren und mögliche Fehlerquellen bei der Aufnahme von Gefangenen abstellen zu wollen. Das ist auch richtig so. Aber ich möchte Sie, auch im Namen der Menschen in unserem Lande, bitten: Gehen Sie mit der gleichen Energie daran, bereits an den Grenzen unseres Landes dafür zu sorgen, dass sie und wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, wen wir hereinlassen wollen und wen nicht, damit Probleme – bis hin zu Toten –, die völlig unnötig sind, gar nicht erst entstehen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Wagner. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1, der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf:

2  Das Rheinische Revier muss Sonderfördergebiet werden, um den Braunkohlen-Strukturwandel erfolgreich gestalten zu können

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3811

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Kämmerling das Wort.

Stefan Kämmerling (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern zu der Region, die in unserem Antrag behandelt wird, eine sehr emotionale Diskussion geführt. Heute, unter diesem Tagesordnungspunkt, besteht die Gelegenheit, das Rheinische Revier nicht immer nur vor dem Hintergrund von Problemen zu thematisieren, sondern vielmehr auf seine großartigen Chancen Bezug zu nehmen.

Das Revier – viele Redner haben das gestern in der Debatte angerissen – hat große Potenziale vorzuweisen, Potenziale, die gehoben werden wollen: Innovationsgesellschaften, Ratsfraktionen, Vereine, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister usw. haben nicht die Zeit verschlafen, wie das leider – vielleicht auch aus Unkenntnis – auch schon mal berichtet wird. Vielmehr waren sie in den vergangenen Jahren ausgesprochen produktiv und haben nicht wie das Kaninchen vor der Schlange gesessen. Nein, sie haben den Strukturwandel kommen sehen und haben sich vorbereitet. Im Revier ist man – und das ausdrücklich unter ausgesprochen positiver Mitwirkung des Konzerns RWE und seiner Mitarbeiter – insbesondere auch bezüglich der In-Nutzung-Setzung von Flächen längst auf einem in die Zukunft gerichteten Weg.

Aber das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Region auch ganz konkrete Hilfe braucht. Wir als Fraktion der SPD wollen diesen Bedarf nicht nur erkennen, sondern wir machen Ihnen heute den Vorschlag für einen Baustein, der ganz konkret positiv im Revier wirken kann. Sie alle kennen die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe mit der Bezeichnung „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ – GRW. Die GRW eröffnet wichtige Fördermöglichkeiten bzw., besser gesagt, sie kann bessere Fördermöglichkeiten eröffnen, wenn eine Region den Status einer entsprechenden Förderfähigkeit hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Land Nordrhein-Westfalen haben die Möglichkeit, der Zukunft des Rheinischen Reviers und seiner Menschen eine an Folgen reiche Unterstützung zukommen zu lassen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass rund um die Tagebaue die Entwicklung auch von GRW-Szenarien profitieren kann. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das Rheinische Revier Sonderfördergebiet wird.

Wenn nicht das, was uns vor Ort durch das absehbare Ende der Braunkohleförderung, -veredelung und -verstromung erwartet, eine Gemeinschaftsaufgabe ist, dann weiß ich nicht, was sonst eine sein soll. Wir in der betroffenen Region wollen dem Strukturwandel präventiv begegnen. Und wir haben Ideen, die wir auch längst alle veröffentlicht haben. An denen arbeiten wir seit Monaten bzw. seit Jahren. Aber wir brauchen auch Hilfe, unsere vorhandenen PS auf die Straße zu bringen.

In den neuen Bundesländern haben die Braunkohlereviere längst kompletten Zugang zur GRW-Kulisse. Niemand kann bestreiten, dass auch bei uns in Nordrhein-Westfalen die Herausforderungen nach der Braunkohle gewaltig sind. Ist es im Osten der Bundesrepublik alleinig die Strukturschwäche, ist die Situation hier bei uns noch mal deutlich komplexer. Viel mehr Menschen hängen bei uns an der Entwicklung. Industrien ganz anderer Größenordnungen hängen daran, und ganz andere Flächengrößenordnungen sind zu bewältigen.

Bitte lassen Sie uns das gemeinsam erkennen. Bitte lassen Sie uns den Anschub dafür geben, dass hier in diesem Haus nicht immer nur über das Rheinische Revier diskutiert wird, sondern lassen Sie uns endlich auch konkret helfen. Unser Vorschlag dafür liegt jetzt auf dem Tisch. Er ist sachbegründet und sinnvoll, und er wird der Region helfen und ihren Weg in die Zukunft sinnvoll unterstützen können. Ich darf Sie ganz herzlich bitten, diesem Vorschlag zu folgen und ihn zu unterstützen. Ich freue mich auf die weitere Diskussion mit Ihnen hier und natürlich auch im Ausschuss. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Plonsker.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag gibt uns die Möglichkeit, über die Gemein­schafts­aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts­struktur“, kurz GRW, zu diskutieren.

Die GRW-Mittel sind eine gute Möglichkeit für gewerbliche Unternehmen, Kommunen, Kommunalverbände, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen, in Infrastruktur, Wachstum und Erweiterung zu investieren.

Für einen erfolgreichen Strukturwandel darf es natürlich nicht nur einen Blick nach Berlin geben. Allein die Mittel aus der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung reichen nicht aus. Es müssen alle zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel durch die örtlichen Akteure genutzt werden.

Geld alleine ist aber auch nicht alles. Der Strukturwandel betrifft das gesamte Rheinische Revier; also alle Teilräume von der StädteRegion Aachen bis in den Rhein-Kreis Neuss, von Mönchengladbach bis in den Kreis Düren und von Heinsberg über den Rhein-Erft-Kreis bis in den Kreis Euskirchen.

Im Revier bestehen jedoch Unterschiede: Die Anrainerkommunen rund um den Tagebau Inden sind im Strukturwandel schon sehr weit. Seit Jahrzehnten steht fest, dass dieser Tagebau ca. im Jahr 2030 ausgekohlt ist. Gleichzeitig schließt das dortige Kraftwerk Weisweiler.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das hoffe ich aber nicht!)

– Wenn der Tagebau ausgekohlt ist.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Nee, das hoffe ich nicht!)

So ist zumindest der Braunkohle…

(Stefan Kämmerling [SPD]: Ich hoffe, Sie wollen nicht, dass das Kraftwerk dann schließt!)

– Alles klar, ich korrigiere mich; Herr Kämmerling, Sie haben recht. Zumindest die Braunkohleverstromung im Kraftwerk Weisweiler endet aber.

Die Teilregionen sind unterschiedlich weit; das haben auch Sie betont, Herr Kämmerling: Die Entwicklungsgesellschaft indeland wurde bereits im Jahr 2006 gegründet.

Im Jahr 2014 haben sich die Kommunen rund um den Tagebau Garzweiler zu einem informellen Planungsverband zusammengeschlossen, und uns ist bereits ein Drehbuch für die Tagebaufolgelandschaften präsentiert worden.

2016 hat sich dann die Tagebauumlandinitiative des Tagebaus Hambach aufgemacht, einen Masterplan zu entwickeln.

Allein an der zeitlichen Reihenfolge der Gründung der Zweckverbände und der Entwicklungsgesellschaften lässt sich die unterschiedliche zeitliche Abfolge im Revier festmachen.

Um es noch mal zu betonen: In der Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung wurde das jeweilige Ende der verschiedenen Tagebaue beschlossen – zuerst der Tagebau Inden, dann der Tagebau Hambach und zum Schluss der Tagebau Garzweiler.

Welche neuen Hausaufgaben allein die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung uns mitgibt, lässt sich final derzeit nicht abschätzen.

So unterschiedlich die Tagebaue enden, so unterschiedlich weit sind auch die Teilregionen mit ihren Visionen für den Strukturwandel; so unterschiedlich sind die Visionen auch in ihrer Ausprägung.

Das Aachener Revier ist immer noch vom Ausstieg aus der Steinkohle geprägt. So lässt es sich auch erklären, warum die StädteRegion Aachen und der Kreis Heinsberg in der GRW aufgelistet sind.

Wie gestern Minister Professor Dr. Andreas Pinkwart mitgeteilt hat, sind in den letzten Monaten enge Abstimmungen zwischen den regionalen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik erfolgt. Dabei wurden wir alle mit ins Boot geholt, um ein umfassendes Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven auszuarbeiten. Dieses soll, wie der Minister angekündigt hat, am Freitag der Kommission in Berlin vorgestellt werden.

Wichtig ist die Maßnahmenvielfalt wie beispielsweise die Bereitstellung von Gewerbeflächen, Infrastrukturmaßnahmen sowie Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Da es sich um tolle Projekte handelt, nenne ich einige: der Brainenergy-Park, das interkommunale Gewerbegebiet der Gemeinden Jülich, Titz und Niederzier – dort könnten in der Nähe des Solarinstituts neue und nachhaltige Arbeitsplätze durch intelligente Ansiedlung von Unternehmen entstehen; gleichzeitig werden dort spannende Themenfelder wie „neue Energie“ oder „Energiewende“ bedient. Gleiches gilt für das Industriedrehkreuz Weisweiler, das Aldenhoven Automotive Testing Center, :terra nova bei Bergheim und weitere interessante Ansätze im Revier. Zusätzlich ist die Ausgründung „Campus Rhein-Erft“ der TH Köln zu nennen.

Der räumliche Transformationsprozess kann durch die gestern ebenfalls von Minister Pinkwart vorgestellte, internationale Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Zukunftsrevier zusätzlich beflügelt werden.

Die unterschiedlichen Maßnahmen münden in einer Stellung des Rheinischen Reviers als Sondergebiet, um optimale Flächenausweisung und schnelle Genehmigungsverfahren realisieren und die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen – es ist wichtig, diese mitzudenken – schnell umsetzen zu können.

Für einen solchen Transformationsprozess braucht die Regierung Zeit und natürlich Anschubfinanzierung. Die Mittel für die GRW-Förderkulisse sind im Haushaltsentwurf 2019 mit über 6,8 Millionen Euro, wovon Land und Bund jeweils 50 % tragen, etatisiert und bereits erhöht worden.

Die aktuelle Förderperiode läuft noch bis 2020; sie startete im Jahr 2014. Im Umkehrschluss heißt das vielleicht, dass die rot-grüne Vorgängerregierung es versäumt hat, die Förderkulisse so zu erweitern, dass das gesamte Rheinische Revier eingeschlossen wird. Oder ist es aufgrund der Förderbedingungen vielleicht gar nicht möglich, das gesamte Revier in die Förderkulisse einzubeziehen? Bei der Förderung geht es nämlich um die strukturschwachen Regionen; wir sollten uns ja nicht unter Wert verkaufen.

Im Ausschuss können wir gerne alles erläutern; denn egal, was in Berlin verhandelt wird oder wie das Gericht über die Fortsetzung des Tagebaus Hambach urteilt: Die Hausaufgaben rund um den Strukturwandel müssen jetzt gemacht; es können nicht Förderanträge in ein paar Jahren abgewartet werden.

Für das Gelingen des Strukturwandels ist ein ganzer Blumenstrauß an Maßnahmen notwendig; einige davon habe ich aufgegriffen. Wir als NRW-Koalition wollen das Revier fit für die Zukunft machen und freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Plonsker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Sie können das besser, Herr Bombis! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Als wer? – Heiterkeit)

Ralph Bombis (FDP): Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Im Rheinischen Revier geschieht Strukturwandel in Echtzeit. Wir Menschen aus dem Rheinischen Revier gestalten den Wandel; was dringend nötig ist, um Fehler und Strukturbrüche, die es – wie wir alle wissen – anderswo hier im Land durchaus auch gegeben hat, zu vermeiden.

Damit dieser Strukturwandel gelingen kann, braucht es vorrangig drei Dinge. Es braucht erstens den Willen und die Bereitschaft in der Region für eine Neuausrichtung, für eine Gestaltung, für den positiven Blick nach vorne. Es braucht zweitens ein Leitbild, ein Konzept und ein daran angelegtes Förderkonzept, das den besonderen Interessen der Region gerecht wird und das vorausschauende Perspektiven für die zukünftige Gestaltung eröffnet.

Es braucht schließlich drittens ganz konkret – das möchte ich heute auch als Forderung in Richtung der Strukturwandelkommission in Berlin nennen – die konsequente Umsetzung des eigenen Auftrags dieser Kommission, nämlich sich um den Strukturwandel in der betroffenen Region zu kümmern.

Ich möchte kurz auf die drei Punkte eingehen.

Erstens. Der Wille und die Bereitschaft in der Region sind zweifelsohne da. Mit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier haben wir eine Vernetzungsstelle – bereits von der Vorgängerregierung auf die Schiene gesetzt –, die sich als Innovationsagentur versteht und die kürzlich die Eckpunkte für ein Strukturprogramm mit vielen Projekten vorgelegt hat.

Für die Menschen im Rheinischen Revier – ich komme selber dorther; daher möchte ich auch meinen persönlichen Eindruck schildern – ist es selbstverständlich, sich am Strukturwandel zu beteiligen. Es ist bemerkenswert, mit welcher Gestaltungsfreude sich die Akteure in der Region in diesen Prozess einbringen, wie stark der Wille ist, für die Region – die in der Vergangenheit immer auf die Braunkohle angewiesen war, die immer von der Braunkohle gelebt hat, die auch mit der Braunkohle gelebt hat – eine Zukunft zu gestalten.

Die Braunkohle ist immer noch da, aber man richtet sich trotzdem bereits neu aus, denn man weiß, dass diese Zeit zu Ende gehen wird und dass man sich neu aufstellen muss. Dieser Vorgang ist in vollem Gange; er ist noch nicht abgeschlossen. Er wird – das will ich hinzufügen – hoffentlich niemals abgeschlossen sein, weil sich diese Region natürlich immer weiter entwickeln soll.

Zweitens. Für diese Entwicklung müssen wir die Fördermöglichkeiten in den Blick nehmen. Ich sage ausdrücklich: Der Antrag der SPD geht hier in die richtige Richtung. Allerdings rennt er mit seinen Forderungen Türen ein, die längst offenstehen. Denn dass die Region ein Teil der Förderkulisse der GRW werden soll, ist ein Anliegen, für das sich die Landesregierung mit Minister Pinkwart bereits intensiv einsetzt. Auch wir sehen die Notwendigkeit, die für die Herausforderungen des Rheinischen Reviers passenden Förderinstrumente zu Verfügung zu stellen.

Für die CDU und die FDP ist hierbei ganz entscheidend, dass am Ende die Bettdecke nicht zu kurz wird; das heißt, dass sich die Förderung nicht einfach verschieben darf und anderswo Dinge weggenommen werden. Wir haben das ganze Land im Blick. Das ist etwas, wofür diese NRW-Koalition immer steht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen, um im Bild zu bleiben, eine ausreichend große Decke. Über die konkreten Maßnahmen hierfür können wir dann im Ausschuss diskutieren. Dass die NRW-Koalition auch die anderen notwendigen Schritte geht, zeigen wir zum Beispiel dadurch, dass wir geplante Änderungen des Landesentwicklungsplans bereits vorgelegt haben,

(Beifall von der FDP und der CDU)

die das ebenfalls im Blick haben.

Wir wollen, dass hier Industrie- und Gewerbegebiete vereinfacht ausgewiesen werden können. Wir wollen darüber hinaus andere Impulse setzen für eine verstärkte wirtschaftliche Tätigkeit vor allem in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen sowie für Investitionen in zukunftsfeste Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren von Rot-Grün: Das ist etwas, was die Vorgängerregierung sehr gründlich versäumt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Drittens. Damit komme ich zu einem Punkt, der ebenso wichtig, in der jetzigen Phase vielleicht sogar wichtiger ist, um die Wertschätzung unseres Bundeslandes und des Rheinischen Reviers auch über die Region hinaus erkennbar zu machen: Das ist der Blick nach Berlin und auf die Strukturwandelkommission.

Es ist fatal, dass sich die Debatte hier alleine auf ein Ausstiegsdatum aus der Kohle konzentriert. Die Kommission hat den Auftrag, sich vornehmlich um das Gelingen des Strukturwandels, um zukunftsfeste Arbeitsplätze und Entwicklungsperspektiven im Revier zu kümmern. Wir erwarten, dass dieser Auftrag auch umgesetzt wird.

(Beifall von der FDP)

Ich bin deshalb sehr froh, dass Minister Pinkwart sich rechtzeitig mit den anderen betroffenen Bundesländern in Verbindung gesetzt hat und versucht, die Diskussion unter die Überschrift „Rationalität“ zu stellen. Wir haben in dieser emotional aufgeladenen Debatte leider viel zu wenig von dieser Rationalität.

Gestern haben wir in diesem Haus eine energiepolitische Debatte geführt, in der diese fehlende Rationalität mal wieder sehr deutlich geworden ist. Dabei konnte jeder, der es hören wollte, im Laufe dieser Debatte hören – der Minister hat dazu umfangreiche Ausführungen gemacht –, dass es hier nicht um eine theoretische Diskussion geht, sondern dass hier konkret schon etwas passiert. Das, was in Berlin passiert, hat konkrete Auswirkungen. Die Menschen in der Region haben ein Recht darauf, dass sie auch in Berlin ernst genommen werden, dass wir nicht leichtfertig über ihre Zukunft sprechen, sondern dass da die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die SPD bringt sich hier in Nordrhein-Westfalen in diesen Vorgang durchaus konstruktiv ein. Ich will allerdings hinzufügen: Ich wünschte mir, dass Sie das mit dem gleichen Nachdruck auch ehemaligen NRW-Kabinettskollegen in Berlin mit auf den Weg geben. Dort werden unter dem Deckmantel der Umweltministerin Dinge veranstaltet, die das konterkarieren, was Frau Schulze hier als Ministerin im rot-grünen Kabinett noch ganz anders gesehen hat. Das zeigt fatale Wirkungen. Wir als Nordrhein-Westfalen können so nicht erwarten, dass man uns in Berlin ernst nimmt. Wirken Sie bitte entsprechend auf Ihre Ministerin ein!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Aber eines möchte ich in Richtung der Grünen ganz deutlich machen: Sie stellen sich bei diesem Vorgang ins Abseits. Sie veranstalten irgendwelche Parteiräte als Jubelfeier mit Zeltromantik. Das sind kurzsichtige Maßnahmen; das sind kurzfristige politische Geländegewinne, die Sie da im Blick haben. Von Ihnen hören wir nichts über die Beschäftigten und deren Angst um die Arbeitsplätze. Von Ihnen hören wir nichts über die Perspektive im Rheinischen Revier, über die Opfer, die dort gebracht worden sind, oder über die zukünftige Entwicklung.

Sie provozieren mit Ihren Forderungen Brüche. Lassen Sie uns den Wandel gemeinsam gestalten! Wir als NRW-Koalition wollen diesen Wandel nach vorne gerichtet gestalten. Wir werden die Zukunftsagentur Rheinisches Revier und die Akteure in der Region dabei unterstützen, konkrete Perspektiven für das Rheinische Revier zu entwickeln.

Wir werden die Strukturwandelkommission in Berlin beim Wort und in die Pflicht nehmen, diesen Strukturwandel mitzugestalten und uns dabei zu unterstützen. Dafür wird auch dieser Antrag eine interessante Grundlage sein. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Becker.

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich überlegt, zu sagen: Es ist gut, dass wir heute über den Strukturwandel reden – ein Strukturwandel, der unweigerlich kommen wird, und von dem schon lange klar ist, dass er unweigerlich kommen wird.

Wir alle wissen, dass er unter anderem aus Gründen des Klimawandels kommen muss. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir aber auch, dass wir schon seit einigen Jahren im Strukturwandel sind. Die Zahl der Arbeitsplätze im Braunkohletagebau hat schon deutlich abgenommen, und die Bedeutung des Braunkohletagebaus hinsichtlich der Arbeitsplätze hat stark nachgelassen.

Herr Bombis, insofern sind Sie etwas hinter den Antrag und dessen Diktion zurückgefallen. Ich will an dieser Stelle gerne etwas dazu sagen. Die Frage, ob man Strukturwandel gestalten kann oder ob Strukturwandel sozusagen über einen kommt, hängt zunächst ganz wesentlich davon ab, ob man anerkennt, dass der Strukturwandel auf einen zukommt und dass es tatsächlich den Bedarf gibt, sich zu verändern.

Da kann man nicht immer weiter an alten Strukturen festhalten; denn das verhindert – das haben wir schon an anderen Stellen des Landes gesehen – den Strukturwandel, so wie er angemessen wäre. Deswegen geht die ewige Leier der Versorgungssicherheit – das Agora-Gutachten hat längst etwas anderes nachgewiesen – an dieser Stelle fehl.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Davon steht hier aber nichts drin!)

– Sie haben dazu nichts gesagt, sondern er hat dazu etwas gesagt.

Ich will abweichend von meinem Manuskript direkt etwas zur regionalen Struktur der ZRR sagen. Es ist durchaus infrage zu stellen, ob die drei Oberzentren, so wie sie jetzt zu einem Gebiet verbunden sind, idealtypisch zu einer richtigen Gebietskulisse verbunden sind. Es war ein wesentliches Motiv, dass man die Bereiche Energiesicherheit, Versorgungssicherheit und Chemische Industrie räumlich damit verbunden hat. Ob es am Ende des Tages reichen wird, eine solche Positionierung vorzunehmen, wenn man GRW-Mittel bekommen will, halte ich zumindest für zweifelhaft.

Vorweg: Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil wir der Meinung sind, dass GRW-Mittel auch in diese Region gehören, und zwar über die Steinkohleabbaugebiete hinaus. Das ist doch der eigentliche Punkt: Das war ein Steinkohleabbaugebiet und nicht ein Braunkohleabbaugebiet.

Schauen Sie sich an, wie sich die Lausitz positioniert, wie sich die räumliche Konzentration darstellt und wie sich die Bedürfnisse von strukturschwachen Gebieten überhaupt darstellen. GRW – das ist ein Mittelansatz für strukturschwache Gebiete. Ob das gesamte in Rede stehende Gebiet ein strukturschwaches Gebiet ist, kann durchaus in Zweifel gezogen werden. Ob die räumliche Abgrenzung also dazu geeignet ist, tatsächlich GRW-Mittel zu bekommen, darf man durchaus infrage stellen. Es ist jetzt aber so, wie es ist, und wir haben die ZRR in der heutigen räumlichen Abgrenzung.

Ich will deutlich machen, dass die räumliche Abgrenzung das eine oder andere Problem zeitigt. Wenn wir heute über Verkehrswege reden, zum Beispiel in der ZRR, dann stellen sich einige Fragen: Meinen wir solche Verkehrswege, die sich auf die drei Oberzentren zubewegen? Meinen wir Verkehrswege, wie sie zum Beispiel in der Lausitz diskutiert werden, mit schnellen Zugverbindungen? Oder meinen wir beispielsweise einen vollständigen dreigleisigen Ausbau der Strecke Köln–Aachen, was strukturell für die Region wichtig wäre? – Das ist unklar. Das wird in den drei Teilräumen sehr unterschiedlich behandelt.

Das geht sogar so weit, Herr Herter, dass beispielsweise Aachen den Ausbau der A 1 als besondere Maßnahme für das Rheinische Revier in ein Positionspapier aufgenommen hat. Mit Verlaub, das ist einfach – Entschuldigung – gaga. Genauso gaga ist es, die in unserer Regierungszeit gemeinsam vorangetriebene Realisierung des RRX jetzt plötzlich als Maßnahme des Rheinischen Reviers anzugeben, obwohl wir sie ohnehin gefördert bekommen. Genauso dumm ist es – Entschuldigung, ich sage das einfach mal so –, den Exzellenzcampus Aachen jetzt plötzlich als Maßnahme für das Rheinische Revier aufzuschreiben.

Sie sind insgesamt wenig konkret, Herr Pinkwart. Gestern habe ich auf die Fragestellung, was denn diese Landesregierung mache, vernommen, dass am Freitag mittelfristige und langfristige Maßnahmen vorgestellt würden. Die kennen wir alle nicht. Vielleicht ist das ist eins zu eins das 42-Seiten-Papier der ZRR. Darum bin ich gespannt darauf, das zu hören. Jedenfalls stellt sich die Frage, was eigentlich die Aufgabe dieser Landesregierung ist.

Sie haben gestern ausgeführt, dass die Landesregierung zunächst nur sagen kann: „Der Fahrplan kann nur sein, dass wir die Kommission arbeiten lassen. Dabei kommt die Kommission hoffentlich zu einem Ergebnis, das für alle betroffenen Teile – für die Bürger, die Arbeitnehmer, die Wirtschaft und auch für unsere Umwelt – verantwortbar ist. Das ist die Aufgabe.“ – Ja, das ist die Aufgabe der Kommission, aber Aufgabe dieser Landesregierung wäre es, dazu Vorschläge zu machen und sie hier im Parlament mit uns zu diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Was ich jetzt seit Monaten höre, sind immer nur Schlagworte: Wir wollen Innovation, wir wollen Entfesselung, wir wollen ein Batteriewerk. – Wenn man dann konkreter wird, findet sich von alledem nichts.

Das Papier der ZRR beinhaltet die Forderung auf Ausweitung des GWR-Gebiets – meine Damen und Herren von der SPD, das ist auf Seite 16 des Papiers nachzulesen – sowie andere Forderungen. So wird beispielsweise gefordert, für diesen Raum möglicherweise eine einheitliche Sonderzone einzurichten. Das ist ein bisschen anders formuliert, aber das ist faktisch genau das, was gefordert wird.

Ich nenne das Stichwort „planerische Erleichterungen“. Sie reden immer von Entfesselung, aber an dieser Stelle wird nichts entfesselt. Es wird nichts dargestellt, wodurch sich planerische Erleichterungen ergeben könnten. Sie gehen nicht hin und erklären dem Landtag und der Region, wie Sie zwischen Bund, Land, Regionalräten, Kreisen und Kommunen in der vertikalen Struktur diese Aufgaben lösen wollen. Sie erklären überhaupt nicht, wie Sie zu einem Batteriezellwerk kommen wollen.

Wer gestern den „Tagesspiegel“ und den „Spiegel“ gelesen hat, der konnte feststellen, dass Herr Altmaier auf einem ganz anderen Weg ist. Wir haben die ganze Zeit etwas vom zukunftsweisenden Batteriewerk für Euskirchen gehört; Tesla war da zuletzt in Rede. Vorher war ein asiatisches Unternehmen in Rede, und das ist inzwischen in Gera.

Herr Altmaier spricht von 1 Milliarde Euro für ein Batteriezellwerk, für ein Forschungswerk in der Lausitz. Wo sind Sie da? Ich höre Sie nicht. Sie reden immer: „Wir wollen, wir wollen“, aber Sie können nicht. Sie tun nichts!

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Herr Laschet, wenn das Quatsch ist, dann gehen Sie hier an das Rednerpult und sagen Sie, was Sie dafür getan haben. Dann lerne ich gerne mal die Fakten kennen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber nein, Sie sagen immer nur: Sie wollen, Sie wollen. – Sie sind jetzt seit eineinviertel Jahren am Wollen. Gehen Sie endlich mal zum Machen über, oder gehen Sie wieder in die Opposition! Das Wollen reicht nicht mehr!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

Sie sind jetzt lange genug dran, und ich sage Ihnen: Diese Regierung muss langsam raus aus dem Wollen-Modus und rein in den Arbeitsmodus kommen, damit diese Region tatsächlich eine Chance hat.

(Zuruf von der FDP)

Das Einzige, wo Sie konkret sind, ist immer wieder die Leier: Die Braunkohle muss länger verstromt werden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Entschuldigung, das war Ihre Entscheidung!)

Genau das wird den Strukturwandel …

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Genau das wird den Strukturwandel ...

(Unruhe – Glocke)

verhindern und nicht befördern. Sie sind immer wieder nur im Rückwärtsgang statt im Vorwärtsgang.

(Unruhe)

Ich sage Ihnen deswegen noch einmal: Sagen Sie diesem Parlament am Freitag, was Sie zum Strukturwandel vorschlagen. Wenn Sie das nicht tun, müssen Sie sich genau die Vorwürfe gefallen lassen, wie ich sie Ihnen gerade gemacht habe.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag, liebe SPD, betreiben Sie die Spaltung dieses Landes. Von Ihnen wird behauptet, es sei nicht tragbar, dass die Braunkohlereviere im Osten Gelder bekommen, während das Rheinische Revier leer ausgehe. Damit spielen Sie die einzelnen Regionen gegeneinander aus und schüren den Neid gegen unsere Mitbürger im Osten Deutschlands.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, seit 150 Jahren geben Sie vor, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Anscheinend waren Sie aber nicht sehr erfolgreich dabei, sonst würden Sie nicht immer wieder neue Gerechtigkeitslücken finden. Vor allen Dingen ist es interessant, dass Sie immer dort Lücken finden, wo Sie vorher selbst in der Verantwortung standen.

Fragen wir einmal konkret nach: Wer sitzt denn im Planungsgremium des Bund-Länder-Programms? – Dort finden sich unter anderem der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister. Der Bundesfinanzminister ist übrigens Herr Olaf Scholz. Vielleicht kennen Sie ihn; er ist wohl Parteimitglied bei Ihnen in der SPD. In der Vergangenheit waren das unter anderem auch Herr Steinbrück oder Herr Eichel – alle SPD. Als Bundeswirtschaftsminister und -ministerin waren es in der Vergangenheit Frau Brigitte Zypries und Herr Sigmar Gabriel – ebenfalls SPD.

Noch viel interessanter: Zum Gremium gehören auch die jeweiligen Landeswirtschaftsminister, also auch die Minister aus NRW. In der letzten Legislaturperiode saßen hier die Herren Garrelt Duin und Harry Voigtsberger – beide ebenfalls ganz zufällig von der SPD.

Haben Sie für Ihren Antrag die Herren Duin und Voigtsberger eigentlich einmal befragt? Offenbar haben sich die beiden nicht ausreichend für die Berücksichtigung der von Ihnen genannten Landkreise eingesetzt. Beide hatten es aber doch in der Hand. Ihre Parteikollegen hatten es in der Hand, diese Fördergebiete selbst abzugrenzen – und jetzt wundern Sie sich! Wie viele Fördergebiete gibt es in Deutschland überhaupt? Heute ist mein Geburtstag, und da habe ich ein Geschenk mitgebracht, eine Grafik.

(Christian Loose [AfD] hält eine Grafik hoch.)

Das sind nicht die Wahlergebnisse der AfD, wo das so schön blau ist, sondern das sind die Fördergebiete in Deutschland. Mehr als die Hälfte von Deutschland ist bereits Fördergebiet.

Unabhängig vom bundesweiten Programm hätten Sie aber auch Mittel aus NRW stellen können. Sie hätten auch Änderungen beim GFG, dem Gemeindefinanzierungsgesetz, durchsetzen können. So werden beim GFG jedes Jahr etwa 10 Milliarden Euro an die Städte und Gemeinden verteilt. So stand es Ihnen doch frei, mehr Geld für die 26 Städte in dieser Region zu fordern, damit diese die Strukturreform selbst in die Hand nehmen konnten.

Stattdessen sieht es bei der Verteilung der Gelder in NRW ganz anders aus. Würde man die Schlüsselzuweisungen fair nach der Bevölkerungsanzahl verteilen, würden diese 26 Städte im Rheinischen Revier etwa 520 Millionen Euro bekommen.

(Zuruf von der SPD)

Nun werden die Gelder aber nach Bedarf verteilt, und den Bedarf bestimmen die Gesetzgeber, also die Politiker. Nach den aktuellen Kriterien besteht kein großer Bedarf bei diesen Städten. So bekommen diese 26 Städte und Gemeinden lediglich etwa 230 Millionen Euro und damit 190 Millionen Euro weniger als bei einer Verteilung nach der Bevölkerungszahl. Anscheinend besteht in dieser Region also gar kein Bedarf.

Hier könnten Sie, liebe SPD, einfach einen Antrag auf Änderung des GFG und gegebenenfalls der Landesverfassung stellen. Hier könnten Sie dann auch Kriterien für den Strukturwandel einbeziehen lassen, zum Beispiel mittels Erfassung von strukturwandelbedingten Aufwendungen. Mit dem Instrument des GFG würde das Geld dann einfach innerhalb von NRW so verteilt, wie Sie es benötigen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie rufen stattdessen nach mehr Geld vom Bund oder der EU.

Das mit dem Osten-Bashing haben Sie selber schon erkannt, deswegen soll denen jetzt wohl nichts mehr weggenommen werden. Der Bund soll einfach noch mehr Geld ins System geben und dann an das Rheinische Revier verteilen. Woher das Geld kommt, sagen Sie, liebe SPD, aber nicht.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Nein, aber wir sagen im Revier, dass Sie kein Geld geben wollen!)

Ich kann Ihnen aber sagen, woher das Geld kommt. Egal, ob es die EU oder der Bund auszahlt: Das Geld stammt von unseren Malochern in Deutschland,

(Unruhe)

von den hart arbeitenden Menschen, die sich jeden Tag für uns krumm machen. Und diese Menschen sind bereits viel zu stark belastet. – Ja, Sie lachen darüber. Ich weiß nicht, ob Sie die Belastung dieser Menschen wirklich für so lustig halten; ich finde das eigentlich sehr traurig.

(Beifall von der AfD)

Sie fordern jetzt trotzdem noch mehr Geld für einen neuen Fonds für Strukturwandel. Eines kennen wir aber doch bereits aus den vorherigen Förderprogrammen: Diese führen nur zu einem Punkt: die Bürokratie wird wieder unglaublich aufgebläht, es wird viel Geld verbrannt, und es gibt viele neue Posten für die Freunde der Politiker. Da werden erst mal Förderrichtlinien geschrieben, Anträge gestellt und geprüft, mal bewilligt, mal abgelehnt. Im Ergebnis gehen uns 30 % der Fördersumme bei der Bürokratie wieder verloren.

Herr Becker, wir brauchen auch keine Sonderwirtschaftszone, sondern wir brauchen überall Erleichterungen; Erleichterungen bei der Planung und für die Ansiedelung von Unternehmen, und zwar nicht nur im Rheinischen Revier. Wenn Sie, liebe SPD, wirklich etwas für die Menschen im Rheinischen Revier tun wollen, dann empfehle ich Ihnen: Hören Sie diesen Menschen zu. Sie wissen dann, dass diese Menschen dort gerne arbeiten, auch im Tagebau gerne arbeiten. Hören Sie auf, Ihre eigenen Leitentscheidungen immer wieder infrage zu stellen.

Sorgen Sie dafür, dass die Unternehmen sich in Deutschland und in NRW wieder wohlfühlen können. Im Moment machen Sie das genaue Gegenteil. Sie zerstören unsere industrielle Kultur. Sie zerstören unsere Lebensgrundlage. Von Luft und Liebe allein aber wird keiner in Deutschland existieren können. Glück auf!

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Loose für die AfD-Fraktion. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ja gestern schon Gelegenheit genommen, sehr ausführlich auf die Notwendigkeiten von Anpassungsmaßnahmen im Rheinischen Revier einzugehen.

In Nordrhein-Westfalen werden wir den anstehenden Strukturwandel jedenfalls vorausschauend anpacken; denn hochwertige Alternativen jeglicher Art brauchen Vorlauf. Planungsverfahren brauchen Zeit, und Strukturwandel erfordert langjährige Qualifizierungs- und Entwicklungsprozesse.

Deswegen arbeiten wir in der Kommission auch darauf hin, dass es beim Ausstieg aus der Kohle keine Sturzgeburten, sondern einen fließenden Übergang gibt, der es erlaubt, neue Strukturen aufzubauen, bevor man vorhandene Strukturen abbaut.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Strategie „Rheinisches Revier“ steht seit Ende September dieses Jahres und folgt einem integrierten Ansatz. Es gilt nicht nur, Fördermittel einzuwerben, sondern viel wichtiger ist es, dass es Strategien, Projekte und Kooperationen in zentralen Zukunftsfeldern aus der Region selbst gibt, die von den Menschen und Akteuren gewollt sind, die von ihnen mit erarbeitet und entwickelt werden; denn dann ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass diese Projekte tatsächlich umgesetzt werden können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dass Sie die 44 Seiten eben so abgetan haben, Herr Becker – so nach dem Motto: Was ist das denn schon? –,

(Horst Becker [GRÜNE]: 42!)

finde ich unglaublich den Menschen gegenüber, die das erarbeitet haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir zwei haben uns als Kreistagsabgeordnete damals beim Bonn-Berlin-Beschluss selbst darum kümmern müssen, dass unsere Region eine bessere Zukunft hat. Da haben wir uns doch auch im Kreistag hingesetzt und haben Projekte erarbeitet.

(Horst Becker [GRÜNE]: Da stand mehr drin!)

Ich hätte mal sehen wollen, was geschehen wäre, wenn ein Abgeordneter hier im Landtag sich hingestellt und gesagt hätte: Ach, was wollen wir denn mit dem Quatsch, den die da beschlossen haben?

(Horst Becker [GRÜNE]: Sie müssen schon zuhören!)

Da muss ich ganz ehrlich sagen: Das kann man nicht so abtun, Herr Becker! So geht das nicht!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das sind ganz ernstgemeinte Projekte. Das sitzen Leute zusammen; es haben mehrere Konferenzen stattgefunden. Das sind ernstzunehmende Menschen, die ihre Region nach vorne bringen wollen. Wir sollten doch dankbar dafür sein, dass es diese Menschen und diese Initiative gibt.

Man kann da nicht sagen: Da steht „RWTH Aachen“ drauf. – Ja, Gott sei Dank haben wir die RWTH Aachen in der Nähe! Gott sei Dank haben wir Jülich! Gott sei Dank haben wir andere Einrichtungen in der Nähe, und wir haben Männer und Frauen aus der Region, die mit ihrem Sachverstand und den Menschen im Rheinischen Revier gemeinsam Zukunftsprojekte gestalten wollen. Das ist ein Gewinn an sich und die beste Voraussetzung dafür, dass das Geld, das dann bereitgestellt wird, sinnvoll ausgegeben werden kann.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Becker würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ja, sehr gern.

Horst Becker (GRÜNE): Auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrungen, aber ohne jetzt auf die Geschichte einzugehen, welche Projekte wir damals vorgeschlagen haben: Herr Pinkwart, würden Sie mir zustimmen – das waren die Dinge, die ich vorhin genannt habe –, dass jedenfalls der Lückenschluss der A1, der von Herrn Wüst inzwischen umgeplant worden ist und dessen er sich schon gerühmt hat, dass der RRX, der bereits auf den Weg gebracht ist, und dass der Campus in Aachen zwar Teile sind, die man für wichtig halten kann, dass es aber keine Teile sind, die man für den Strukturwandel neu einfordern sollte, weil es doch nicht intelligent ist, das, was man hat, einzufordern, anstatt Sachen einzufordern, die man neu braucht?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Becker, darauf kann ich sehr gerne antworten. Sie haben dieses Papier an anderer Stelle erwähnt.

(Horst Becker [GRÜNE]: Aber nicht so, wie Sie es zitiert haben!)

Darauf habe ich jetzt erst einmal reagiert. Dieses Papier ist ein sehr umfassendes Papier – das haben wir deutlich gemacht –, das die verschiedenen Handlungsfelder und auch Maßnahmen benennt.

Wir haben gesagt, auf dieser Grundlage wird es ein Aktionsprogramm mit priorisierten Maßnahmen geben. Das habe ich Ihnen auch im Ausschuss dargelegt. Das stimmen wir gerade ab, und das werden wir auch einbringen. Wir werden bei diesen priorisierten Projekten natürlich die nehmen, bei denen wir gezielte Unterstützung brauchen. Alles andere würde ja keinen Sinn machen. Schon durchfinanzierte Projekte braucht man nicht noch einmal zu beantragen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wo wir bei der Verkehrsinfrastruktur die Hilfe des Bundes brauchen und die Region die ergänzende Hilfe des Landes braucht, müssen wir die entsprechenden Projekte kennzeichnen. Wir müssen diese Verkehrsinfrastrukturprojekte auch im Hinblick auf die Planungsbeschleunigung mit einbringen, damit sie schnell umgesetzt werden können.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich etwas zu den zusätzlichen Mitteln sagen. An dieser Stelle ist ganz wichtig zu erwähnen, dass wir zusätzliche Strukturmittel brauchen, seien es GRW-Mittel oder andere. Eines will ich in diesem Zusammenhang auch mit Blick auf die letzten Jahre sagen: Diese Mittel wollen wir nicht nur beim Bund einfordern, sondern wir wollen sie auch kofinanzieren. Sie wissen, in Ihrer Amtsperiode war es so, dass der Bund durchaus mehr Mittel für Nordrhein-Westfalen bereitgestellt hätte, wenn Sie als Landesregierung bereit gewesen wären, die Kofinanzierung dafür sicherzustellen.

(Marc Herter [SPD]: Und wenn die Mittel abgeflossen wären! Das war das Problem!)

Wir haben das jetzt geändert. Es sind mehr Konfinanzierungsmittel bereitgestellt worden – an dieser Stelle ein Dank an den Finanzminister und die Fraktionen –, sodass wir Bundesmittel abrufen können. Wenn sie von anderen Bundesländern im Laufe des Jahres nicht gezogen werden, dann können wir in Nordrhein-Westfalen sie ziehen, weil uns zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen. Das werden wir in den nächsten Jahren fortsetzen, bzw. wir werden es mit Blick auf die Herausforderungen verstärken, damit wir den Mittelspielraum, den der Bund uns gibt, tatsächlich ausschöpfen können.

Die Strukturkommission „WSB“ und die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ fokussieren sich auf strukturschwache Regionen und die verstärkte Nutzung bestehender Programme. Die Forderung der Aufnahme des gesamten Rheinischen Reviers in die Förderkulisse der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist in diesem Kontext für uns selbstverständlich. Auch von Strukturschwäche bedrohte Regionen müssen vorbeugend handeln können. Aus diesem Grund sollte uns das gelingen.

Aber es gilt auch, die Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ sowie die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die im Bund eingerichtet worden ist, in diesem Zuge zu nutzen. Schließlich ist ein großer Teil des Rheinischen Reviers ländlich geprägt und somit in deren Gebietskulisse bereits enthalten.

Ein weiterer Schwerpunkt wird überdies auf Forschung und Innovation liegen. Hier profitiert die Region von den hochinnovativen Unternehmen und Wirtschaftsstandorten im und um das Revier herum. Ziel ist es darüber hinaus, weitere Forschungs- und Innovationsstandorte im Revier aufzubauen und zukunftsfähige Infrastrukturen zu schaffen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen Punkt ansprechen, auch weil Sie ihn noch einmal erwähnt haben, Herr Becker. Ich hatte ja gestern beispielhaft einige Projekte benannt. Manche Projekte sind im Werden. Da kann man nicht jeden Tag über jedes Detail reden, weil man viele Partner zusammenbringen muss. Aber die Projekte, die ich schon gestern erwähnt habe, und viele weitere Projekte sind sehr konkret. Ich will gar nicht im Vergleich zu den Projektvorschlägen anderer sagen, ob sie nun konkreter sind oder nicht. Denn jeder hat seine Hausaufgaben selbst zu machen.

Nur, wenn wir gestern als Landesregierung gesagt haben: „Wir wollen für diese Region, auch für Nordrhein-Westfalen insgesamt, das Thema ‚Batteriezellproduktion‘ vorantreiben und sind seit Monaten sehr konkret in Gesprächen mit Unternehmen, dem Bund und der EU – in der Elektromobilitätskommission beim Ministerpräsidenten, in dem Zusammenwirken der verschiedenen Mitglieder der Landesregierung, mit den verschiedenen Akteuren von Unternehmen und Wissenschaft“, dann können Sie wirklich davon ausgehen, dass wir das tun. Und wir tun das mit großer Leidenschaft und Freude.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Ich möchte auch Folgendes sagen, ohne ins Detail zu gehen: Gestern wurde über den „Tagesspiegel“ bekannt, dass Bundeswirtschaftsminister Altmaier bei diesem Thema besonders auf ein Cluster setzt und dabei Firmen genannt hat, die ihren Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen haben.

(Horst Becker [GRÜNE]: In der Tat!)

Daran sehen Sie, dass dieses Thema sich nicht ganz unerfolgreich entwickeln könnte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Großen und Ganzen war die bisherige Debatte sehr sachlich und am Ziel orientiert, im Rheinischen Revier Zukunft gestalten und daran gemeinsam mitwirken zu wollen.

Aber die Geschichtsvergessenheit des Kollegen Becker reizt mich jetzt doch, das einmal ein bisschen näher zu beleuchten. Lieber Kollege Becker, Sie haben 2016 zusammen mit Ihrem Koalitionspartner eine Leitentscheidung getroffen.

(Zuruf von der SPD: Die war gut!)

Wir haben damals als Opposition gegen diese Leit­entscheidung gestimmt, haben aber zugesagt, nachdem es dafür eine Mehrheit gab, uns an diese Beschlüsse zu halten, damit die Menschen Berechenbarkeit haben und auch für die Menschen im Rheinischen Revier definitiv Zukunft geplant werden kann. Es ist schade, dass Sie das vergessen haben, lieber Herr Becker.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern ist es wichtig, einen Gesamtblick auf die Region, auf die weiter gefasste Region, zu werfen. Wie wird ausgebildet? Wo kann ausgebildet werden? Wie können wir Betriebe ansiedeln, bei denen diese gut – zum Beispiel von der RWTH Aachen – ausgebildeten Menschen Jobs finden können? Wie können wir Angebote unterbreiten?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Hovenjürgen, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Josef Hovenjürgen (CDU): Ich habe doch gerade erst angefangen, Frau Präsidentin. Aber gerne. Wer fragt denn?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ich habe ja nicht zu beurteilen, wann man die Frage anmeldet. – Ich bin mir nicht ganz sicher. Herr Klocke, wollen Sie fragen?

(Arndt Klocke [GRÜNE] nickt.)

Möchten Sie die Frage zulassen?

Josef Hovenjürgen (CDU): Gerne, Herr Klocke. Bitte.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Frau Präsidentin. Ich sitze auf dem Platz von Herrn Klocke, und es ist auch die Zwischenfrage von Herrn Klocke.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie scheinen es zu sein!)

Danke, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege Hovenjürgen. – Sie haben eben ausgeführt – das ist auch sachlich richtig –, dass Sie damals gegen die Leitentscheidung gestimmt haben und der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende und heutige Ministerpräsident damals ausgeführt hat, dass die Entscheidung im Falle einer Regierungsübernahme der CDU mitgetragen würde.

Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die damalige Entscheidung zur Verkleinerung der Braunkohletagebaue Garzweiler für zu weitgehend hielten und eigentlich der Auffassung waren, dass man den Braunkohletagebau in der bis dahin beschlossenen Form weiterführen sollte? Oder waren Sie damals der Auffassung, man hätte ihn eigentlich noch deutlicher verkleinern müssen, was Sie uns Grünen jetzt vorwerfen, die das damals nicht durchgesetzt haben?

Josef Hovenjürgen (CDU): Wir haben damals nicht zustimmen können, weil wir nicht Ihre Auffassung teilten. Wir dachten, dass es bei dem bleiben soll, was man miteinander beschlossen und beantragt hat. Das bestreitet auch niemand. Aber wir haben gesagt: Wenn es dann so ist, stehen wir zu den Beschlüssen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Und das tun wir zurzeit – im Gegensatz zu dem, was Sie hier abliefern. Denn Sie stehen nicht mehr zu dem, was Sie selbst beschlossen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Insofern glaube ich, dass es gut ist, einen Gesamtblick zu nehmen, wie es der Wirtschaftsminister macht, wie es die Landesregierung macht, wie es aber auch die NRW-Koalition macht – gemeinsam mit denjenigen, die sich daran beteiligen wollen. In der Region wirken dankenswerter viele gemeinsam mit und fragen: Wie kriegen wir diese Region so aufgestellt, dass wir zukunftsfähig werden?

Die Strukturkommission formuliert ja nicht nur ein Ausstiegsdatum – darauf wird sie verengt und eingegrenzt –, sondern hat auch die Perspektive zu beschreiben: Was wird danach sein? Es gilt, miteinander auszuhandeln und zu verhandeln, was danach sein wird. Da sollten wir uns nicht regional gegeneinander ausspielen – die Strukturregionen im Osten oder die hiesige Region –, sondern wir sollten als Zuständige in Nordrhein-Westfalen für unsere Region nach dem besten Weg suchen. Der Wirtschaftsminister hat diesen Prozess beschrieben und treibt ihn dankenswerterweise auch intensiv voran.

Deswegen noch einmal: Herr Becker, so macht man keine Politik. Wenn man erst Entscheidungen trifft, die man dann, wenn man nicht mehr in der Verantwortung ist,

(Zuruf Horst Becker [GRÜNE])

fallen lässt, lässt man doch die Menschen im Regen stehen. Die Menschen, für die wir Politik machen – auch in ihrer Heimat –, haben ein Recht darauf, dass die Beschlüsse der Politik eine längere Halbwertzeit haben als zwei Jahre. Das, was Sie hier abliefern, ist eigentlich ein trauriges Beispiel von Verantwortungslosigkeit. Das muss ich Ihnen attestieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb noch einmal: Die Einladung an all diejenigen, die diesen Prozess begleiten wollen, gilt. Wir wollen dies vertrauensvoll und vernünftig miteinander erörtern. Deswegen ist es auch gut, dass wir diesen Antrag der SPD, der unstreitig gute Ansätze enthält, im Ausschuss beraten werden. Wer weiß; vielleicht gibt es dort eine gemeinsame Entscheidungsmöglichkeit. Wir werden sicherlich bereit sein, daran zu arbeiten.

Wir haben den Menschen im Rheinischen Revier eine Perspektive zu liefern, und wir haben Erfahrungen zu sammeln, die wir zum Beispiel im Ruhrgebiet sammeln könnten, bzw. zur Kenntnis zu nehmen, dass wir dort vielleicht zu lange an alten Strukturen festgehalten haben und uns zu wenig neuen Strukturen zugewandt haben.

Zum Beispiel haben wir es uns durch Baurechtschaffung komplizierter gemacht, im Ruhrgebiet Altstandorte wieder in Nutzung zu bringen. Das Baurecht macht uns dort erhebliche Probleme. Lasst uns doch aus den Erfahrungen, die wir da gemacht haben, die Schlüsse ziehen, die wir brauchen, um uns im Rheinischen Revier vernünftig aufzustellen.

Vielleicht schaffen wir es auch, gemeinsam Beschlüsse zu finden, die uns im Bereich des Baurechts Möglichkeiten eröffnen, auch im Ruhrgebiet Altstandorte zu nutzen. Ich denke zum Beispiel an die Möglichkeit der Erweiterung des Bestandsschutzes – nicht nur für den Betrieb, der dort aktiv arbeitet, sondern vielleicht auch für die Fläche, auf der sich dieser Betrieb befindet, sodass die Fläche bei Aufgabe des Betriebes nicht pauschal für eine weitere Nutzung verloren geht. Das wäre eine Aufgabe, an der wir gemeinsam arbeiten könnten und sollten. Sie sind herzlich eingeladen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ich bin einmal gespannt!)

Ich hoffe, das Rheinische Revier hat eine gute Zukunft. Wir freuen uns über alle, die dabei mitarbeiten wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Kollege Herter das Wort. Bitte schön.

Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Wirtschaftsminister, Herrn Professor Pinkwart, ausgesprochen dankbar dafür, dass er meine zeitweilige Verwirrung wieder ins Lot gebracht hat, die entstanden war, als ich die beiden aufeinanderfolgenden Wortbeiträge von Frau Plonsker und Herrn Bombis gehört habe.

Ich weiß nicht, wie es den anderen hier im Raum ging.

(Henning Höne [FDP]: Gut!)

Aber das eine konnte man schon als das Gegenteil des anderen werten. Während Frau Plonsker uns gewarnt hat, die GRW-Förderkulisse so positiv miteinander zu diskutieren, weil man noch einiges prüfen müsse, hat Herr Bombis uns wissen lassen, dass der Wirtschaftsminister sich in der Strukturwandelkommission schon längst dafür einsetzt, dass es so kommt. Ich hoffe, dass er das im Sinne von Frau Plonsker geprüft hat, gehe aber auch davon aus, dass das geschehen ist.

Ich habe den Eindruck, dass die Diskussion sich, wie so oft, darum rankt, dass Anträge nach Absender beurteilt werden, Frau Plonsker, und dass es Ihnen schlicht und ergreifend nicht passt, dass die SPD hier einen Antrag eingereicht hat, der gut für die Region und gut für das Land sein wird.

(Beifall von der SPD)

Wir haben in der Tat für das Rheinische Revier miteinander die Verantwortung, den Strukturwandel nicht einfach nur zu begleiten, sondern ihn auch mit eigenen Initiativen zu versehen, mit einem Leitbild zu versehen.

Es geht übrigens auch nicht nur um das Sammeln von wirklich guten Vorschlägen aus der Region; da stimme ich all denjenigen zu, die das hier gesagt haben. Vielmehr geht es darum, diese guten Vorschläge aus der Region auch insgesamt für das Land mit einer Überschrift und mit wichtigen Entwicklungsimpulsen zu versehen.

Mir fallen für das Rheinische Revier zwei Überschriften ein.

Erstens haben wir es dort mit einer Region zu tun, die im Moment mit hoher Wertschöpfung unterwegs ist und in der gute Löhne gezahlt werden. Der Strukturwandel muss am Ende wieder produzierende, wieder industrielle Arbeitsplätze bringen. Darauf sind die wirtschaftspolitischen Initiativen auszurichten. Darauf sind die technologiepolitischen Initiativen auszurichten. Darauf sind die Initiativen hinsichtlich der Infrastruktur auszurichten.

Zweitens haben wir es damit zu tun, dass das Rheinische Revier mitten in einer wachsenden Region liegt, dass es selbst wächst. Was hält uns eigentlich davon ab, die hier richtigerweise vorgeschlagene Internationale Bauausstellung dafür zu nutzen, Antworten darauf zu geben, wie in einem wachsenden Revier mit den Problemen umgegangen werden soll? Dabei geht es um den Umgang mit Verkehrsproblemen und Mobilitätsproblemen, aber auch darum, in den drei großen Ballungskernen in der Region Entlastungen vorzunehmen, um den Druck auf dem Wohnungsmarkt zu reduzieren.

Alles das muss hinterher in einem Konzept zusammengefasst werden. Dieses Konzept braucht dann Maßnahmen, aber eben auch eine entsprechende Finanzierung.

Da waren wir gestern schon weiter, was die GRW-Finanzierung angeht. Der Ministerpräsident rief mir zu: Machen wir doch! – Wir haben uns gestern so weit ausgetauscht – jedenfalls so weit, wie wir hier voneinander entfernt sind –, dass wir es heute auch beschließen könnten. Davon höre ich heute nichts mehr. Wir können es aber dann auch gerne im Verfahren miteinander auf die Reise schicken.

Denn eines ist doch richtig und wichtig: Die gesamte GRW-Förderkulisse stellt bisher auf die Vergangenheit ab. Die gesamte Förderkulisse arbeitet mit Arbeitslosenzahlen und Wertschöpfungszahlen aus der Vergangenheit. So wird man nie vorsorgenden Strukturwandel hinbekommen, sondern immer warten müssen, bis das Kind in den Brunnen fällt.

Deshalb schlagen wir als SPD auch nicht einfach vor, die Förderkulisse zu erweitern. Vielmehr ist unser Vorschlag, einen neuen Fördertatbestand einzuführen. Denn in der Tat sprechen die ökonomischen Rahmendaten gar nicht dafür, dass das Rheinische Revier dort eingefügt wird.

Allein die Situation, dass wir im Rheinischen Revier nicht darauf warten wollen, dass das Kind in den Brunnen fällt,

(Beifall von der SPD)

sondern präventiv dafür sorgen wollen, dass Strukturwandel möglich wird und neue Wertschöpfung in die Region kommt, treibt uns dazu, dass wir die GRW-Förderkulisse entsprechend anpassen wollen und an dieser Stelle entsprechende Finanzierung ermöglichen wollen.

Herr Pinkwart, Sie haben darauf hingewiesen, dass in den vergangenen Jahren Mittel nicht in dem Ausmaß verausgabt werden konnten, wie es wünschenswert gewesen wäre.

Es wäre schön gewesen, wenn Sie hier am Pult auch eingeräumt hätten, dass das nichts mit der Kofinanzierung, sondern etwas mit dem Mittelabfluss zu tun hatte. Wir hatten als Land Nordrhein-Westfalen in den entsprechenden Jahren gar nicht genug Projekte dafür. Dass wir nicht genug Projekte hatten, hängt natürlich wiederum mit der Förderkulisse zusammen. Wenn ich dort, wo ich präventiv tätig werden will, nicht tätig werden darf, kann ich auch keinen entsprechenden Mittelabfluss generieren.

Deshalb ist es gar keine Frage: Wir sorgen damit auch dafür – und das ist durchaus gewünscht –, dass mehr Geld nach Nordrhein-Westfalen fließt. Es ist doch unser gemeinsamer Auftrag, unsere Strukturwandelregionen mit zusätzlichen Mitteln zu versorgen.

Ich habe aber doch noch eine Frage zum Batteriewerk. Denn Sie haben es gestern in der Debatte sehr prominent gesetzt und deutlich gemacht, dass der gemeinsame Wunsch nach der Ansiedlung eines Batteriewerks besteht – natürlich aufgrund des Invests, natürlich aufgrund der Arbeitsplätze, die damit verbunden sind, aber natürlich auch, weil damit ein Teil der Frage beantwortet wird, wie eigentlich Speicherung von Energie für Elektromobilität möglich sein wird.

Da hat es in der Tat schon überrascht – da bin ich bei Herrn Becker –, dass gestern im „Tagesspiegel“ und heute dann auch in den anderen Medien deutlich gemacht wurde, dass das Batteriewerk – jedenfalls, was die Bundesförderung angeht – hinterher in der Lausitz seinen Ort finden wird.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Sie können gleich sagen, dass das nicht der Fall war. Dann müssen sich die Kollegen in der Lausitz intensiver damit beschäftigen. Aber diese abgeschlossene Sicherheit, die Sie hier gestern zu vermitteln versuchten, habe ich heute von Ihnen nicht gehört. Vielmehr habe ich Leidenschaft und Freude an dem Auftrag gehört. Die teilen wir mit Ihnen. Wir würden uns aber auch mit Ihnen zusammen freuen, wenn aus Leidenschaft und Freude am Ende Erfolg für das Rheinische Revier würde.

Als letzten Punkt möchte ich hier ansprechen, dass „Förderkulisse“ nicht etwa mit „schwache Region“ gleichzusetzen ist, Frau Plonsker. „Förderkulisse“ ist vielmehr damit gleichzusetzen, dass wir eine Region im Wandel haben und dafür sorgen, dass eine Region nicht erst schwach werden muss, damit wir sie dann hinterher fördern, damit sie wieder stark wird.

(Romina Plonsker [CDU]: Richtig!)

Es ist doch viel schöner, wenn wir eine starke Region dazu nutzen, dass sie weiter den Karren in diesem Land zieht.

(Romina Plonsker [CDU]: Richtig!)

Das ist übrigens auch Wertschätzung der Menschen in diesem Land. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. – Das bleibt auch beim Blick in die Runde so.

Dann kommen wir zur Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/3811 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die Überweisung des Antrages mit Zustimmung des Hohen Hauses so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

3  Fluggastrechte stärken – Hilfen bei der Rechtsdurchsetzung auf den Weg bringen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3808

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3866

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Dr. Untrieser das Wort. Bitte schön.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! So viele Verspätungen im Luftverkehr wie aktuell gab es noch nie. Bis zum Juli 2018 – von Anfang dieses Jahres an gerechnet – sprechen wir von 18.749 Annullierungen. Im Jahr davor, dem gesamten Jahr 2017, lagen wir noch bei 11.000. Die Zahl der Verspätungen hat mittlerweile 5.000 Fälle erreicht. Im Jahr davor waren es 3.300. Kürzlich ist ein Flug mit sage und schreibe 53 Stunden Verspätung in Paderborn gelandet.

Nordrhein-Westfalen ist davon besonders betroffen. Denn allein vom Flughafen Düsseldorf sind in den Sommerferien dieses Jahres 3,9 Millionen Fluggäste abgeflogen. Diese Situation ist für die Betroffenen, die in Urlaub oder woandershin fliegen, ärgerlich. Sie ist aber auch für unsere Wirtschaftsunternehmen ärgerlich. Denn unsere Unternehmen – das höre ich in meinem Wahlkreis immer wieder – sind auch darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter rechtzeitig am Zielflughafen ankommen. Das ist auch für unseren Standort wichtig.

Noch ärgerlicher ist aber das Verhalten einiger Airlines, die die Rechte von Fluggästen nicht ernst nehmen. Seit dem Jahr 2004 gibt es die europäische Fluggastrechte-Verordnung. Darin sind einzelne Rechte von Fluggästen detailliert aufgeführt.

Wenn Sie zum Beispiel von Düsseldorf nach München fliegen und der Flug annulliert wird oder eine Verspätung von drei Stunden hat, steht Ihnen eine Schadenersatzzahlung in Höhe von 250 Euro zu. Wenn Sie beispielsweise von Köln nach New York fliegen und der Flug annulliert wird oder diese Verspätung hat, sind es sogar 600 Euro.

Nicht alle Menschen wissen das. Daher ist es jetzt schon ein Erfolg, dass die mediale Berichterstattung das aufgenommen hat und einige Medien darüber berichten, dass wir heute über diesen Antrag diskutieren. Wir fordern aber in diesem Antrag auch die Verkehrsunternehmen dazu auf, dass sie die Verbraucher informieren und vor allem über die Entschädigung stärker aufklären.

Noch ärgerlicher ist für mich, dass die Rechtsdurchsetzung sich oft als schwierig gestaltet. Wir haben eigentlich kein Regelungsdefizit, sondern ein Rechtdurchsetzungsdefizit.

Ich kann das aus eigener Erfahrung berichten. Ich bin selbst auch Anwalt und habe schon sowohl eigene Prozesse als auch Prozesse für meine Mandanten aus dem Familien- und Freundeskreis gegen Fluggesellschaften geführt. Man schreibt erst den ersten Brief an die Fluggesellschaft, die in einem ganz klaren Fall die Entschädigung zahlen muss. Auf den ersten Brief bekommt man gar keine Antwort. Dann schreibt man den zweiten Brief, auf den man auch keine Antwort bekommt. Manchmal war es so, dass man erst ins Mahnverfahren gehen musste, bevor man dann das Geld bekommen hat.

Das ist keine gute Situation. Daran müssen wir etwas ändern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen wollen wir auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen beauftragen, ein digitales Medium zu entwickeln und vorzubereiten, mit dem Betroffene schnell, einfach und unbürokratisch ihre Ansprüche zunächst einmal prüfen lassen können. Das ist ein Teil unseres Antrags.

Heute Morgen, als ich im Büro war, habe ich noch den Entschließungsantrag der AfD auf den Tisch bekommen. Dazu muss ich auch noch einige Sätze sagen.

Herr Röckemann, ich habe auf der Homepage gelesen, dass Sie auch Anwalt sind. Daher müssten Sie sich eigentlich mit der Thematik auskennen. Wenn ich Ihren Antrag lese, muss ich aber sagen: Sie kennen anscheinend weder die Rechtslage der Verordnung noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Denn in Ihrem Antrag schreiben Sie, dass die pauschale Regelung, die das europäische Recht vorgibt, bei Einzelreisenden eine Schlechterstellung bedeutet – sprich: dass ich als einzelner Betroffener nicht das bekäme, was ich nach deutschem Recht bekommen könnte.

Das ist grundsätzlich falsch. Schauen Sie einfach einmal in die Verordnung. Dort ist in Art. 8 Abs. 1 Buchstabe a ganz klar geregelt, dass Sie bei einer Verspätung von mehr als fünf Stunden Anspruch auf – ich zitiere – „vollständige Erstattung der Flugscheinkosten“ haben. Sie sind also in keinem Fall schlechtergestellt; denn Sie können statt der Pauschale die vollständige Erstattung verlangen.

Laut Art. 12 derselben Verordnung haben Sie Anspruch auf weiter gehenden Schadensersatz nach nationalem Recht. Es ist also keinesfalls so, dass Sie nach europäischem Recht schlechtergestellt sind; denn Sie können auch den immateriellen Schadensanspruch nach deutschem Recht geltend machen.

In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf das letzte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. September 2018. Ich sage es Ihnen genau, damit Sie sich auf dieser Grundlage fortbilden können: Rechtssache C-601/17. Auch dort ist ganz klar geregelt, dass Sie bei einem Flugbuchungsportal mehr geltend machen können als nur den Preis, den die Fluggesellschaft Ihnen in Rechnung gestellt hat.

Ich empfehle Ihnen, sich das nächste Mal, wenn Sie einen solchen Antrag stellen, vorher über die Rechtslage und über die Rechtsprechung zu informieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich komme damit zum Schluss. Wir stärken Verbraucherinnen und Verbrauchern den Rücken. Wir bieten Hilfe bei der Rechtsdurchsetzung an. Und wir werden ganz genau beobachten, wie die Fluggesellschaften in Zukunft mit gesicherten Rechten der Fluggäste umgehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Dr. Untrieser. – Für die weitere antragstellende Fraktion der FDP hat nun Herr Kollege Haupt das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Stephan Haupt (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flugausfälle und ‑verspätungen an sich sind ärgerlich, lassen sich aber leider nicht vollständig vermeiden. Die nun aber zu beobachtenden steigenden Fallzahlen und insbesondere der Umgang mancher Flugunternehmen mit den daraus resultierenden Ansprüchen ihrer Kunden machen deutlich, dass hier ein offensichtlicher Handlungsbedarf besteht.

Allein bis August dieses Jahres wurden bereits über 19.000 Flüge von und nach Deutschland sowie innerhalb Deutschlands annulliert. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Anstieg von über 67 %. Dass allein eine Fluggesellschaft für über 500 Flugausfälle allein am Flughafen Köln/Bonn verantwortlich ist und an dem Amtsgerichten in NRW bis zu 30 % aller Zivilverfahren durch Flugausfälle und Verspätungen ausgelöste Entschädigungsansprüche zum Gegenstand haben, zeigt, dass hier etwas gehörig schiefläuft.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da sich ein lässlicher Umgang mit der Zuverlässigkeit der Flugzeit nicht rechnen soll, regelt die europäische Fluggastrechte-Verordnung explizit die Ansprüche, welche Fluggästen in diesen Fällen zustehen. Denn für die Betroffenen ist der Ausfall eines Fluges immer mit Unannehmlichkeiten und mit zusätzlichen Kosten verbunden. Die rechtlichen Regelungen sind einfach, klar, eindeutig und zudem noch recht verbraucherfreundlich.

Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, dienen insbesondere die Pauschalen, die Sie nicht haben möchten.

Allerdings setzt die Mehrzahl der Anspruchsberechtigten ihre Rechte tatsächlich gar nicht durch. Zum einen kennen viele Menschen ihre Rechte nicht. Zum anderen gibt es Unternehmen, welche ganz bewusst die berechtigt gestellten Ansprüche ihrer Kunden verschleppen, ignorieren oder wider besseres Wissen pauschal abweisen.

Wir als NRW-Koalition wollen nicht zulassen, dass das Ignorieren und Blockieren von Verbraucherrechten zu einem Geschäftsmodell für Fluggesellschaften wird und sich manch einer auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher einen Wettbewerbsvorteil verschafft,

(Beifall von der FDP und der CDU)

auch und insbesondere gegenüber anderen Verkehrsträgern wie zum Beispiel der Schiene, bei der die Entschädigungsansprüche weitestgehend problemlos abgewickelt werden. Hier darf der Ehrliche nicht der Dumme sein.

Den Gesellschaften kommt zugute, dass auch 14 Jahre nach der Einführung der europäischen Fluggastrechte-Verordnung 90 % der Betroffenen ihre Rechte gar nicht kennen und von denen, die sie kennen, viele nicht wissen, wie und gegen wen man sie geltend machen kann.

Mit unserem Antrag setzen wir genau hier an und gehen diese Missstände proaktiv an. Mithilfe der Verbraucherzentrale werden wir die Entwicklung einer Fluggastrechte-App voranbringen. Diese soll über die Rechte informieren, eine Anspruchsprüfung durchführen, Wege aufzeigen, wie und wo man seine Rechte geltend macht, und den Verbraucher hierbei aktiv unterstützen.

Flankierend hierzu fordern wir die Flugunternehmen auf, ihre Kunden aktiv über ihre Rechte zu informieren und berechtigten Ansprüchen eigeninitiativ und vollumfänglich abzuhelfen.

Des Weiteren wollen wir die Einrichtung eines Pünktlichkeitsportals an den großen Flughäfen in NRW voranbringen.

Mit den vorgenannten Maßnahmen in Verbindung mit einer fortlaufenden Berichterstattung im Ausschuss zu diesem Thema stärken wir die Interessen der Verbraucher massiv. Abweisen, Verschleppen und angesichts der klaren Rechtslage völlig überflüssige Gerichtsverfahren sollten damit endgültig der Vergangenheit angehören. Die Kundinnen und Kunden haben ein Anrecht darauf, ihre rechtlichen Ansprüche erfüllt zu bekommen, und zwar ohne Verlust von Zeit und Geld. Dafür setzen wir uns als NRW-Koalition mit diesem Antrag ein. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Haupt. – Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Kollegin Blask das Wort. Bitte schön.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Folgende Begriffe sind Ihnen sicher alle unangenehm vertraut: Verspätung, Delay, Überbuchung, Annullierung, Downgrade.

Genauso wie die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben wir alle schon Bekanntschaft mit Verzögerungen oder gar Stornierungen von geplanten Flügen gemacht. Das Thema „Fluggastrechte“ ist also ein wichtiges Thema, das wir als Fraktion im Interesse der Verbraucher gerne unterstützen wollen. Hier sollten wir einen fraktionsübergreifenden Konsens finden.

Der Handlungsbedarf ergibt sich für uns nicht nur aus der Urlaubslust der Deutschen, sondern auch aus der Tatsache, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit Düsseldorf und Köln/Bonn zwei der zehn größten Flughäfen in Deutschland haben. Damit werden in Nordrhein-Westfalen nicht nur die meisten Passagiere abgefertigt. Vielmehr kommt es hier dann leider auch zu den meisten Verspätungen und Annullierungen von Flügen.

Deutschlandweiter Spitzenreiter – das ist gerade schon einmal gesagt worden – war die Verbindung Köln/Bonn–Berlin-Tegel. Im letzten Jahr wurde allein diese Verbindung meines Wissens 319 Mal gestrichen.

Für das Bundesgebiet hat die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr bis Ende September dieses Jahres 20.861 Anträge auf Entschädigung gezählt. Schon zum jetzigen Zeitpunkt sind es also fast doppelt so viele Anträge wie im gesamten Vorjahr.

Die Tatsache, dass sich eine solche Schlichtungsstelle mit Flugreisen befasst und dabei so intensiv in Anspruch genommen wird, ist Beleg dafür, dass im Verhältnis zwischen den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen Seite und den Unternehmen der Flugverkehrsbranche auf der anderen Seite im Argen liegt.

Die entsprechende EU-Verordnung ist hier schon erwähnt worden. Sie regelt eigentlich alles, was bei einer Flugreise schieflaufen kann. Die Verordnung legt dabei klare Maßstäbe an, welche Ausgleichszahlung dem Fluggast in welchem Fall zusteht.

Warum bedarf es eigentlich einer solchen öffentlichen Schlichtungsstelle, um gesetzliche Ansprüche einfordern zu können? – Weil wir so viele Verbraucherbeschwerden in diesem Fall haben und es schwierig ist, sein Recht durchzusetzen. Es gibt auch viele Inkassounternehmen und private Einrichtungen, die versuchen, für die Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht durchzusetzen. Das ist nicht nur lästig und aufwendig, es ist nicht nur ein Umweg, sondern bedeutet in der Regel auch eine Menge Kosten, die anfallen; man muss Provisionen zahlen. All das muss ja eigentlich gar nicht sein; denn im Gegensatz zur üblichen Entschädigungspraxis haben die Luftverkehrsunternehmen eine Bringschuld und nicht die Verbraucher eine Holschuld.

Ich denke, hier wird tagtäglich Recht gebrochen, meine Damen und Herren, und das kann so nicht sein.

(Beifall von der SPD)

Es gibt sogar Airlines, die in ihren AGBs Klauseln haben, die es den Verbrauchern verbieten, ihre Entschädigungsansprüche an Portale abzutreten. Auch das ist eine Sache, die nicht in Ordnung ist.

„Auch der Himmel stößt mal an seine Grenzen“ – Mit diesem Statement entschuldigte sich der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft bei seinen Kundinnen und Kunden zuletzt per ganzseitiger Zeitungsanzeige. Das ist nicht nur physikalisch eine fragwürdige Aussage. Wenn man sich die Gewinnzahlen der Branche in den letzten Jahren vor Augen führt, ist es auch unter ganz irdischen Maßstäben irreführend. Sie impliziert nämlich, dass den Luftverkehrsunternehmen sowohl bei den besseren Abwicklungen der Flugreisen als auch bei der schnelleren Bearbeitung von Entschädigungsansprüche die Hände gebunden seien.

Erst am vergangenen Freitag fanden sich aus diesem Grunde in Hamburg Vertreter der Branche und der Politik zum Luftfahrtgipfel zusammen und erklärten unisono, man wolle sich des Luftverkehrschaos annehmen und schnell Verbesserungen erreichen. Ich denke, das Thema „Fluggastrechte“ gehört auf die Tagesordnung in Berlin. Dort muss zur Stärkung der Fluggastrechte beigetragen werden.

Wir begrüßen aber auch diesen Antrag von CDU und FDP, um die Fluggastrechte hier in Nordrhein-Westfalen zu stärken. Verbraucher und Verbraucherinnen brauchen Information und Aufklärung. Das allergrößte Problem ist, das ist schon gesagt worden, die Rechtsdurchsetzung.

In diesem Zusammenhang bringen Sie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ins Spiel und erwähnen eine App, ohne deren Funktion wirklich zu präzisieren. Unserer Auffassung nach sollte die App dafür sorgen, dass man bereits am Flughafen nachsehen kann, was bei Verspätungen oder Annullierungen zu tun ist. Sie kann aufklären, welche Ansprüche man hat. Idealerweise könnte man direkt aus der App den Musterbrief an die Verkehrsunternehmen schicken und auch den Eingang verfolgen und automatisch, wenn nichts passiert, die Einschaltung der Verbraucherzentrale beauftragen.

Wenn viele mitmachen, könnte dies ein geeignetes Marktwächterinstrument sein. Es sind circa 200 bis 700 Millionen Euro an Entschädigungszahlungen, die jedes Jahr nicht geltend gemacht werden. Ich finde, die Landesregierung sollte an dieser Stelle auch die Luftfahrtgesellschaften ins Boot holen, denn nur wenn die Luftfahrtgesellschaften mitmachen, kann eine solche App ein Erfolg sein, und daran wollen wir sie gerne messen.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich hätte mir gewünscht, wenn Sie dieses Thema auch zur Bundesratsinitiative gemacht hätten, man hätte es nach Berlin tragen und hier in Nordrhein-Westfalen ein Vorzeigemodell etablieren können. Das wäre aus meiner Sicht ein guter Weg gewesen. Wir werden dennoch Ihrem Antrag heute zustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Klocke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Koalitionsfraktionen, wir diskutieren ein Thema, das wirklich in den letzten Monaten, in den letzten zwei Jahren zu einem hochrelevanten Aspekt des Reisens geworden ist. Von daher ist es sicher gut und richtig, dass Sie dies aufgegriffen haben.

In dem, was Sie uns als Beschlussvorschläge vorgelegt haben, und auch in der Begründung skizzieren Sie die Symptome, die auch so wahrzunehmen sind, aber Sie diskutieren nicht mit uns die systemischen Gründe dieser Problemlage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da muss man gar nicht in irgendwelche grünen oder grünnahen Wahlprogramme oder Beschreibungen von alternativen Mobilitätsorganisationen schauen, es reicht ein Blick in die aktuelle Ausgabe der „Wirtschaftswoche“. Ich möchte gerne aus der Titelgeschichte mit der Erlaubnis der Präsidentin kurz zitieren:

„Schluss mit Billig? Nach dem Chaos-Sommer mit Rekordverspätungen stoßen die Discounterairlines an ihre Wachstumsgrenzen. Steigende Spritkosten, überlastete Flughäfen, Managementfehler, ausfallende Flüge belasten die Bilanzen. Nun wird gespart, getrickst und an der Preisschraube gedreht – zulasten der Kunden.“

Das fasst die „Wirtschaftswoche“ so zusammen und ist sicherlich auch ein wesentlicher Grund, warum wir es mit den Vorkommnissen zu tun haben, die der Kollege Untrieser eben beschrieben hat: mit Verspätungsflügen, mit ausfallenden Flügen, mit Chaos an den Flughäfen, Problemen in den Sicherheitskontrollen etc.

Wenn Sie hier ehrlich und offen mit uns über die Problemlagen an den Flughäfen diskutieren wollen, dann lassen Sie uns auch über die Probleme der Billigairlines sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wissen ja, dass es beispielsweise Überlegungen an den größeren Flughäfen gibt, das komplette Grounding auszulagern. Das heißt, die Arbeitsaktivitäten an den Flughäfen selber zusammenzufassen, ist eine relevante Frage. Mein Blick richtet sich auch an die SPD, denn es geht hier auch um die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte. Das haben wir sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Sicherheitskontrollen als auch bei der Frage der Menschen, die im Grounding aktiv sind.

Deswegen ist vieles, was Sie vorschlagen, politisch durchaus richtig, also beispielsweise eine Alternative zu den Überbuchungen oder bessere Organisation bei den Sicherheitskontrollen. Diese App, wenn sie denn technisch möglich ist, wenn sie eingeführt werden kann, ist sicherlich kein schlechter Vorschlag. Aber aus unserer Sicht greift es zu kurz, weil wir über die politischen Alternativen oder die politischen Eingriffsmöglichkeiten, was das System der Billigairlines betrifft, auch diskutieren müssten.

Deswegen finde ich es schade, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dass Sie den Antrag heute hier zur direkten Abstimmung stellen. Das Thema wäre durchaus einer intensiveren Betrachtung und Beobachtung im Ausschuss wert. Da würde sich ein Sachverständigengespräch mit Sicherheit anbieten. Vielleicht überlegen Sie das noch einmal.

Wir von der grünen Fraktion werden uns, weil in dem Antrag nicht viel Falsches steht, bei der Abstimmung gleich enthalten, aber es fehlen uns entsprechende Aspekte.

Lassen Sie uns auch über die Fragen des Lärmschutzes beraten, weil das auch ein Aspekt der Billigairlines ist. Da geht es um die Umläufe, um den Blick in die Nacht. Köln/Bonn ist ja der einzige nachtoffene Flughafen, aber die Probleme, die wir am Flughafen Düsseldorf mit der ständigen Überschreitung der Nachtflugregelung feststellen, haben auch damit etwas zu tun, dass die Billigairlines mit mehr Umläufen planen, als es eigentlich von dem Geschäftsmodell angelegt ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist auch ein Teil der Wahrheit. Das fehlt in Ihrem Antrag.

Alles, was darin steht, ist, wie gesagt, richtig, manches jedoch fehlt. Ich würde mir wünschen, dass wir die Chance bekämen, diese Debatte intensiver zu führen. Vielleicht überlegen Sie noch einmal, ob es diese Möglichkeit entweder jetzt oder bei anderer Gelegenheit gibt. Es handelt sich um ein hoch relevantes Thema an der Schnittstelle zwischen Verkehr und Verbraucherschutz. Wir sagen Ihnen zu, das sachlich, interessiert und engagiert miteinander zu diskutieren, weil wir die Problemlagen genauso sehen.

Auf der einen Seite ist es gut zu wissen, dass es den nordrhein-westfälischen Flughäfen – das belegen die Fluggastzahlen – wirtschaftlich einigermaßen gut geht. Aber das Problem der Fluggastrechte, sprich das, was die Menschen an den Flughäfen tagtäglich erleben müssen – das betrifft vor allen Dingen die Ferienflüge –, ist eine Debatte wert. Die Tatsache, dass Sie diese Debatte anstoßen, ist aller Ehren wert, aber es ist unzureichend in der Problembeschreibung und auch in den Konsequenzen. Denken Sie noch einmal darüber nach, ansonsten enthalten wir uns. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klocke. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Röckemann das Wort. Bitte schön.

Thomas Röckemann (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fluggastzahlen in Nordrhein-Westfalen haben weiter zugenommen, und sie sollen an vielen Flughäfen weiter ansteigen. Eine Rekordzahl reiht sich an die nächste. Das freut die Flughafenbetreiber und ist zudem gut für den Arbeitsmarkt. Der Himmel wäre strahlend blau, wäre da nicht die Sache mit den Verspätungen und den Flugausfällen, denn davon gibt es plötzlich mehr – wie ärgerlich!

Mit der Fluggastrechte-Verordnung sollte alles geregelt werden. So weit, so schlecht; denn mit diesem Import aus Brüssel können und werden Sie in Turbulenzen geraten. Seit Jahren stehen diese Regeln in der Kritik. Unpräzise Vorgaben laden die Fluggesellschaften zum Taktieren ein. Die Berufung auf außergewöhnliche Umstände wird zum Schlupfloch. Bei der Freistellung von der Zahlungspflicht entwickeln die Fluggesellschaften Fantasie. Das zeigen auch die vielen Urteile der Gerichte.

Wenn CDU und FDP allerdings meinen, die schwarzen Schafe seien nur bei den Fluglinien und den privaten Anbietern zur Geltendmachung der Ansprüche zu suchen, dann sind sie im Blindflug unterwegs. Sie verfahren frei nach dem Motto: ein bisschen mehr Aufklärung, ein bisschen mehr up to date sein. Eine Fluggastrechte-App muss also her. Damit wollen Sie wohl auch eine Alternative zu den privaten Beratern schaffen, die doch tatsächlich Geld für ihre Dienste beanspruchen. Das ist auch gut so, entspricht der Ansatz doch unserer „Alternative für Deutschland“-Vorstellung von freier Marktwirtschaft. Schon allein deshalb verstehen wir Ihren Ansatz nicht.

Sie betreiben also Populismus im wahrsten Sinne des Wortes und lösen damit keine Probleme. Nein, meine Damen und Herren, hier sind nicht die Airlines und die Rechtsberater der Fehler im System. Die Lösung à la Brüssel in Form der Fluggastrechte-Verordnung entpuppt sich bei näherer Betrachtung als handwerklich schlecht gemachtes Regelwerk. Die Verordnung taugt nichts, sie ist lückenhaft und unausgegoren. So gibt es zum Beispiel keine Insolvenzabsicherung zum Schutz der Kunden. Diese Erfahrung habe ich selbst diesen Sommer machen müssen, als ich mit meiner Familie auf einem Flughafen strandete.

(Ministerin Ursula Heinen-Esser: Im Ausland?)

Das System mit einer Fluggastrechte-App behandeln zu wollen – allein das Wort ist schon schrecklich –, ändert am Befund nichts. Eine schlechte Verordnung wird nicht durch Aufklärung besser. Die Kritik geht an die europäische Politik, die eine Verordnung erlässt, die die Fluggäste dann im Grunde jahrelang allein lässt. Die schwarzen Schafe müssen Sie daher also in Brüssel suchen, und dort werden Sie sie zu Genüge finden.

Eine Novellierung der Verordnung war schon 2013 ein Thema. Nichts hat sich seitdem getan. Seit Jahren liegen die Verhandlungen dort quasi auf Eis. Ich gebe zu, in Ihrem Antrag haben Sie präzise die Zahlen zu den Fluggästen und den Flughäfen in Nordrhein-Westfalen präsentiert. Na und?

Die deutsche Luftfahrtbranche macht sich seit Jahren für Veränderungen in der EU-Verordnung stark. Die Lobby hat gerufen, und eilfertig tut sich was in Berlin. Die Passagierrechte wurden im Frühjahr wieder im Koalitionsvertrag der GroKo verankert. In den Vereinbarungen heißt es – ich zitiere –:

„Wir unterstützen den Novellierungsvorschlag der EU-Kommission für die europäische Fluggastrechte-Verordnung.“

Die Fluglinien halten das für einen Fortschritt. Doch Vorsicht, allzu große Freude ist verdächtig. Anders wird ein Schuh daraus. Das Fluggastrechte-Portal Flightright geht angesichts der von Brüssel geplanten Einschränkung davon aus, dass 72 % weniger Passagiere Anspruch auf Ausgleichszahlungen haben werden. 483 Millionen Euro könnten jährlich eingespart werden, heißt es. Für die Airlines ein Geschenk, für die Verbraucher wieder einmal ein Griff ins Portemonnaie. Das ist massive Beschneidung der Passagierrechte und würde übrigens auch den Kreis der Interessierten an Ihrer App drastisch reduzieren.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Die 28 Mitgliedstaaten können sich hierauf nicht einigen. Die Branche meint, dass frühestens 2020, wenn Deutschland die Ratspräsidentschaft übernimmt, Bewegung in die Sache kommt. Bis dahin bleibt den Lobbyisten nur die Vorfreude und uns die Hoffnung, dass es nicht zur Bescherung kommen wird.

Mit Ihrem Antrag zeigen Sie, dass Sie zu tiefgreifenden Reformen nicht in der Lage sind. Verbraucherschutz geht anders, und darum lehnen wir Ihren Antrag ab. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Röckemann. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal gilt mein herzlicher Dank den Kollegen von CDU und FDP dafür, dass sie diesen Antrag heute hier einbringen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn er heute hier verabschiedet würde. Mein Dank gilt zudem den Kollegen der SPD, die ihm zustimmen wollen. Die Grünen würde ich gerne noch überzeugen. Leider ist ihr Redner gerade nicht anwesend. Ich möchte gleich noch etwas dazu sagen.

Es wurden schon viele Zahlen benannt, unter anderem dazu, wie viele Verspätungen, Flugausfälle, schleppende Abfertigungen und Pannen es bei den Sicherheitskontrollen etc. gab. Die Zahl der Beschwerden im Reiserecht hat enorm zugenommen, sowohl bei der Verbraucherzentrale – auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen – als auch bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr. Die Fallzahlen, vor allen Dingen bei Verspätungen und Annullierungen, sind stark angestiegen. Es ist also höchste Zeit, im Bereich des Verbraucherrechts Änderungen herbeizuführen und Missstände zu beheben.

Im Antrag und auch in der Debatte geht es heute nicht darum, eine große verkehrspolitische oder verkehrstechnische Diskussion zu führen. Das ist auch alles wichtig; aber angesichts der Tatsache, dass demnächst die Herbstferien und dann Weihnachtsferien, Osterferien etc. anstehen, benötigen die Menschen Hilfe, weil sie sie an den Flughäfen tatsächlich nicht erhalten. Es ist wichtig, dass wir hier ein paar Pfeiler einschlagen und sagen: So stellen wir uns das zur Stärkung der Verbraucherrechte vor.

Ich wurde eben darauf angesprochen, dass da in Berlin nichts läuft bzw. man es nicht über den Bundesrat versucht. Als Verbraucherschutzministerium haben wir aber schon einiges getan. Wir haben uns für eine verpflichtende Insolvenzabsicherung für Fluggesellschaften auf europäischer Ebene eingesetzt. Wir haben uns mit Überbuchungen beschäftigt – das ist auch ein bewährtes, gern genutztes Instrument. Jeder Flug wird um 10 bis 15 % überbucht, und wenn dann tatsächlich alle Passagiere da sind, haben nicht alle einen Platz im Flieger, und einige müssen draußen bleiben.

Vor allem als ich noch in Berlin war, habe ich selbst schon umfangreiche Erfahrungen damit gemacht, wie es ist, wenn man plötzlich nicht mehr mitgenommen wird. Das ist noch ärgerlicher, wenn es auf dem Weg in die Ferien passiert.

Es ist wichtig, dass Flugreisende aktiv Informationen durch die Airlines über Verspätungen, Annullierungen oder Überbuchungen erhalten. Gestern Morgen bin ich nach Berlin geflogen – gestern Nachmittag bin ich im Übrigen mit dem Zug zurückgekommen; das war auch nicht viel besser.

(Heiterkeit von Bodo Löttgen [CDU])

Ich habe gestern einen Blick in die App der Airline geworfen, und da stand schon gar nichts mehr drin. Ich habe dann getwittert, ob das nun das Beispiel dafür sein soll, dass jetzt gar nichts mehr ginge. Prompt war es am Flughafen so, dass das Fluggerät getauscht wurde, und statt 180 Personen flogen nur noch 75 mit. Das ist auch ein üblicher Vorgang.

Flugreisende benötigen die Informationen über ihre Fluggastrechte im Vorfeld und am Flughafen. Und sie brauchen die Rechtsdurchsetzung. Wir wollen uns darum kümmern – darum ist der Antrag so wichtig –, dass Verbraucherschlichtungsstellen und Verbraucherzentralen dabei sind, weil sie eben nicht kommerziell sind.

Es geht darum, dass die Verbraucher zu ihrem Recht kommen, ohne noch einmal soundso viel Prozent an private Vermittler abführen zu müssen. Das ist die Idee dahinter. Es soll hier nicht darum gehen, dass die Menschen noch Erfolgshonorare zahlen müssen, sondern dass sie wirklich zu ihrem Recht kommen.

Deshalb noch einmal herzlichen Dank für den Antrag und auch herzlichen Dank für die App. Die App muss jetzt auf den Weg gebracht werden, und auch deshalb ist die heutige Abstimmung so wichtig. Wenn der Antrag angenommen wird, wollen wir die Verbraucherzentrale, mit der wir eng zusammenarbeiten, beauftragen, diese App zu entwickeln und einzuführen. Und wir wollen darüber hinaus ein Portal entwickeln, in das alle Verspätungen einfließen.

Natürlich ist es richtig, dass wir nicht alle Probleme im Bereich „Flüge“ hier in Nordrhein-Westfalen lösen können, aber wir können Initiator für eine gute Entwicklung sein und zeigen, dass wir uns im bevölkerungsreichsten Bundesland in der Politik, in der Regierung und im Landtag für die Nöte der Passagiere an den Flughäfen interessieren. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache angelangt sind.

Wir können zur Abstimmung kommen; zunächst über den Antrag der Fraktion von CDU und FDP Drucksache 17/3808. Von den antragstellenden Fraktionen wurde direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nunmehr über den Inhalt des Antrags ein Votum einhole. Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3808 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich lasse im Weiteren über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/3866 abstimmen. Ich frage auch hier, wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das sind erwartungsgemäß die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP, von Bündnis 90/Die Grünen sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Ich frage der guten Ordnung halber, ob es Enthaltungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/3866 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

4  Für eine menschenwürdige und integrative Unterbringung: Kommunen stärken – keine Kasernierung von Geflüchteten

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3793

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordneten Aymaz das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Bei der am kommenden Sonntag in Bayern anstehenden Landtagswahl hat ein Thema sicherlich enorm zur Polarisierung beigetragen, nämlich die Errichtung der sogenannten Ankerzentren von Bundesinnenminister Seehofer.

Trotz großer Widerstände aus Ländern und Kommunen, aber auch aus der Zivilgesellschaft, von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und sogar von der Gewerkschaft der Polizei will der selbst ernannte Heimatminister, der in den letzten Monaten immer wieder die Republik spaltet, die Errichtung von sogenannten Ankerzentren durchpeitschen.

In den Massenunterkünften sollen alle nach Deutschland eingereisten Geflüchteten isoliert und kaserniert untergebracht werden und – je nach sogenannter Bleibeperspektive – bis zum Ende des Asylverfahrens bleiben. Das bedeutet, dass bis zu 1.500 Geflüchtete 18 Monate lang in Ankerzentren ausharren sollen, bis sie letztendlich von dort abgeschoben werden können.

Und was passiert bei uns in NRW? – Während sich fast die ganze Republik eindeutig gegen Seehofers Pläne ausspricht, duckt sich die schwarz-gelbe Landesregierung vor einer eindeutigen Positionierung gegen die Kasernierung von Geflüchteten. Und warum tut sie das? – Weil sie nämlich zeitgleich mit einem Asyl-Stufenplan Seehofers restriktivem Kurs nacheifert. Der NRW-Kasernierungsplan – also der sogenannte Asyl-Stufenplan – sieht sogar eine Verweildauer von bis zu 24 Monaten in Landeseinrichtungen vor; und das alles unter dem Deckmantel, die Kommunen zu entlasten.

Dabei hat sich doch auch in NRW am Beispiel der Zentralen Unterbringungseinrichtungen – wie zum Beispiel in Oerlinghausen – gezeigt, dass die Perspektivlosigkeit durch eine zu lange Aufenthaltsdauer in Landeseinrichtungen fatale Folgen für die Integration und für den sozialen Frieden im Umfeld hat. Bereits jetzt weisen die psychosozialen Zentren auf eine hohe Anzahl von traumatisierten Menschen innerhalb der Gruppe der Geflüchteten hin,

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja, ja!)

und der Bedarf an psychologischer Beratung ist enorm gewachsen.

(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Expertinnen und Experten warnen davor, dass durch die isolierte Unterbringung über einen derart langen Zeitraum die Wahrscheinlichkeit, an psychischen Störungen zu erkranken, massiv verstärkt wird. Schauen wir uns mal die Zahlen aus Bayern an: Dort haben sich die Suizidversuche von Geflüchteten in den Landeseinrichtungen in den letzten drei Jahren verdreifacht! Spätestens deswegen sollten wir diese Warnungen ernst nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Massenunterkünfte lösen kein einziges Problem, sondern sie schaffen nur neue Probleme. Sie konterkarieren jegliche Integrationsbemühungen und verursachen hohe Folgekosten für die Kommunen, wenn ihnen Geflüchtete nach langem Aufenthalt in den Großeinrichtungen doch zugewiesen werden müssen. Daraus entsteht ein weitaus größerer Betreuungsbedarf – sei es, um im regionalen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, um nachholend auf eine selbstständige Lebensführung vor Ort vorbereitet zu werden, um nachholend eine – noch kostenintensivere – Sprachförderung zu erhalten oder um nachholend in Kita und Schule eingeführt zu werden.

Sehr geehrter Herr Minister Stamp, so kann doch eine tatsächliche Entlastung von Kommunen nicht aussehen. Sie versprechen hier etwas, was Sie nicht einhalten können.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Die Vorstellung, dass den Kommunen zukünftig nur noch Personen zugewiesen werden, die bereits als Schutzbedürftige anerkannt sind, geht doch völlig an der Realität vorbei. Die Zahlen der Menschen, die geduldet sind oder aus anderen berechtigten Gründen eben nicht zurückgeführt werden können, liegen Ihnen ja vor. Außerdem bedeutet das Festhalten von Geflüchteten in Landeseinrichtungen noch lange nicht, dass dadurch auch eine Effizienzsteigerung der Asylverfahren und der Rückführungen erreicht werden könnte. Denn wir wissen ja inzwischen, dass wir dafür vor allem mehr und besser qualifiziertes Personal beim BAMF und funktionierende Rückkehrabkommen mit den Herkunftsländern brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daher, Herr Minister Stamp, sage ich Ihnen, wird Ihre Rechnung nicht aufgehen. Wer Kommunen ernsthaft entlasten will, muss ihnen bei ihren Aufgaben der Unterbringung und Integration von neu Zugewanderten zur Seite stehen.

Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt hinweisen: Gerade die fehlende Beschulung von Kindern und Jugendlichen ist absolut nicht hinnehmbar.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist fatal, dass sich fast 40 % der Kinder und Jugendlichen in den sogenannten beschleunigten Asylverfahren länger als ein halbes Jahr in den Landeseinrichtungen befinden und nicht beschult werden.

Herr Minister Stamp, Sie werden sicher gleich auch auf Ihren Erlass hinweisen, womit diese Fragen gelöst werden sollen. Aber – ich habe es berechnet – auch nach Umsetzung Ihrer Vorgaben befänden sich immer noch 90 Kinder und Jugendliche viel zu lange ohne Beschulung in den Einrichtungen. Hier geht nicht nur wertvolles Integrationspotenzial verloren, sondern das ist ein klarer Bruch von international verankerten Kinder- und Menschenrechten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von einem Minister, der auch für Kinder zuständig ist – das muss ich ehrlich gestehen –, hätte ich mehr Verantwortungsübernahme gerade in dieser Frage erwartet.

Auch bei der Umsetzung des noch von der vorherigen rot-grünen Landesregierung erarbeiteten Gewaltschutzkonzeptes bewegt sich wenig – das hat sich immer wieder durch unsere Kleinen Anfragen herausgestellt.

Das alles zeigt, dass die schwarz-gelben Pläne zur Isolation von Schutzsuchenden langfristig zur Verschärfung von Problemen führen, anstatt zu deren Lösung beizutragen. Geflüchtete, die nach bis zu zwei Jahren Perspektivlosigkeit in den Landeseinrichtungen dann doch den Kommunen zugewiesen werden müssen, können nur noch schwer durch Integrationsangebote erreicht werden. Daher muss die Zuweisung auch so schnell wie möglich stattfinden, damit Kinder im Einklang mit den EU-Aufnahme­richtlinien nach spätestens drei Monaten zur Schule gehen und Erwachsene ihr Leben selbstständig gestalten und in die Hand nehmen können.

Deshalb finde ich: Anstatt Geflüchtete zu isolieren, muss das Land die Kommunen bei deren Aufgaben unterstützen. Dazu gehört auch, die Kosten für Geduldete über die bisherigen drei Monate hinaus zu übernehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch auf einen Punkt hinweisen: Gerade in Zeiten rechtspopulistischer und rassistischer Hetze kommt es doch darauf an, ganz klar deutlich zu machen, dass unsere Werte der Humanität und Rechtsstaatlichkeit auch vor Geflüchteten nicht Halt machen. Daher fordern wir Grüne eine menschenwürdige und integrative Unterbringung von Geflüchteten, anstatt sie abzuschotten und abzuhängen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Gebauer das Wort.

Katharina Gebauer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ansieht, muss man sich ernsthaft fragen, ob die Damen und Herren die Maßnahmen der Landesregierung auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik in den vergangenen Monaten nicht wahrgenommen haben oder nicht wahrnehmen wollten.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Seit der Regierungsübernahme im Mai 2017 arbeitet die Landesregierung mit Hochdruck daran, die Situation auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik zu ordnen.

Mit dem vorliegenden Asylstufenplan der Landesregierung, dessen Ziel es ist, den Kommunen in Nordrhein-Westfalen künftig möglichst nur noch anerkannte Flüchtlinge oder Personen mit guter Bleibeperspektive zuzuweisen, setzen wir unser Versprechen zur Entlastung der Kommunen um.

Personen, die nach Prüfung in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht schutzberechtigt sind, sollen bereits aus den Landeseinrichtungen möglichst konsequent und schnell in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Sie sollen nicht, wie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert, auf die Kommunen in unserem Land verteilt werden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Beifall von Roger Beckamp [AfD])

Damit ermöglichen wir es den Kommunen, sich auf die Integration derjenigen zu konzentrieren, die ein Bleiberecht haben. Dafür schaffen wir auch eine landesgesetzliche Regelung zur Ausweitung der möglichen Aufenthaltsdauer in den Landeseinrichtungen bei offensichtlich unbegründeten oder unzulässigen Asylanträgen.

Als Nordrhein-Westfalen-Koalition setzen wir uns nachdrücklich für eine Fortführung und ein starkes finanzielles Engagement des Bundes bei der Entlastung der Länder und Kommunen bei den Flüchtlingskosten ab 2019 ein.

Sehr geehrte Grünenfraktion, gestatten Sie mir ein paar Worte zu dem Vorwurf, dass wir in Nordrhein-Westfalen die frühkindliche Bildung und Sprachförderung von Kindern in zentralen Unterbringungseinrichtungen nicht genug honorieren würden. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Das ist die Antwort aus der Kleinen Anfrage!)

Für Kinder von Asylbewerberinnen und -bewerbern besteht nach dem Schulgesetz NRW Schulpflicht, sobald sie einer Gemeinde zugewiesen sind und solange ihr Aufenthalt gestattet ist. Die Schulpflicht erstreckt sich ausdrücklich nicht auf Aufenthalte in Erstaufnahmeeinrichtungen oder zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes, die der vorübergehenden Unterbringung bis zur Zuweisung an eine Gemeinde dienen.

Dennoch werden im Rahmen der Kinderbetreuung in allen Aufnahmeeinrichtungen des Landes altersangemessene Bildungsangebote sowie Aktivitäten im motorischen Bereich organisiert. Durch die spielerische Vermittlung eines Grundwortschatzes wird die Sprachkompetenz der Kinder gefördert. In einigen Zentren werden in Zusammenarbeit mit benachbarten Schulen auch Bildungsangebote zur Verfügung gestellt, mit denen der Erstspracherwerb gefördert wird.

Mithilfe des Landesprogramms KOMM-AN des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration können auch Ehrenamtliche diese Zusatzangebote organisieren und anbieten.

Im Zuge der geplanten Weiterentwicklung des Landesaufnahmesystems wird die Landesregierung zudem prüfen, in welchem Umfang zusätzliche Bildungsangebote in den Landeseinrichtungen angeboten werden.

Es bleibt dabei: Menschen, die eine gute Bleibeperspektive haben oder bereits anerkannte Flüchtlinge sind, sollen auch zukünftig möglichst schnell in unsere Gesellschaft integriert und unterstützt werden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Nicht auf unsere Kommunen verteilen wollen wir Personen, die aus sicheren Herkunftsländern zu uns kommen; bereits abgelehnte Asylbewerber, die einen sogenannten Folgeantrag stellen; Personen, die durch falsche Angaben oder Dokumente oder das Verschweigen wichtiger Informationen über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit unsere Behörden offensichtlich getäuscht haben; Personen, die einen Asylantrag zum Zweck der Verzögerung oder Behinderung einer bevorstehenden Abschiebung stellen, und Personen, die aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen wurden oder bei denen es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung sind.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Stattdessen wollen wir dafür sorgen, dass diese im Rahmen des beschleunigten Asylverfahrens unter Beachtung des Gebots der Rechtsstaatlichkeit möglichst konsequent und schnell in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Gebauer, gerade haben Sie die Grünen angesprochen und gesagt, dass diese die Maßnahmen der Mitte-rechts-Koalition im Integrationsbereich wahrscheinlich gar nicht mitbekommen. Ich sage Ihnen: Ich habe sie auch nicht mitbekommen.

Seit anderthalb Jahren warten wir nämlich darauf, dass in der Integrationspolitik etwas passiert. Bisher ist da nicht viel passiert; und was nicht stattfindet, kann man auch nicht wahrnehmen – um das an dieser Stelle sehr deutlich zu sagen.

Sie haben davon gesprochen, dass Sie die Kommunen dadurch entlasten wollen, dass Sie die Menschen für bis zu zwei Jahre in den Einrichtungen behalten. – Ich glaube, genau das ist der Denkfehler, den sie machen.

Wenn Sie die Menschen nach zwei Jahren doch in die Kommunen geben, dann haben Sie dort – Frau Aymaz sprach es gerade an – Menschen, die traumatisiert sind. Und durch die zwei Jahre in der Isolationshaft sind sie zusätzlich traumatisiert. Dann haben sie nämlich Menschen, die auf engstem Raum …

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja, ja! – Matthias Kerkhoff [CDU]: Das ist doch keine Isolationshaft! So ein Unsinn!)

– Herr Sieveke, das ist kein Unsinn, das ist so. Sie waren wahrscheinlich noch nicht da drin; das ist auch Ihr Glück.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Erstens habe ich nicht Unsinn gesagt, und zweitens ist das keine Haft!)

Die Frage ist doch, ob Nordrhein-Westfalen ein oder sogar mehrere Ankerzentren bekommt oder nicht. Darum geht es doch im Kern.

Der Integrationsstaatssekretär Bothe hat im Integrationsausschuss vor einiger Zeit von einem Gespräch mit Bundesinnenminister Seehofer berichtet und dabei erklärt – nein, Herr Bothe ist gar nicht Integrationsstaatssekretär; Entschuldigung! –, dass er kein NRW-Ankerzentrum haben will und dass es das nicht geben wird. Ich sage Ihnen aber: Der Asyl-Stufenplan – das hört sich schöner an als Ankerzentrum – enthält wenig Neues im Vergleich zu den Vorschlägen des Bundesinnenministers. Der Paritätische Wohlfahrtsverband – wenn Sie schon nicht auf uns hören wollen, dann hören Sie wenigstens auf diejenigen, die sich tagtäglich mit dieser Materie auseinandersetzen – sagt dazu: Das, was im Asyl-Stufenplan der Landesregierung beschlossen wurde, ist keinen Deut besser als die Pläne von Herrn Seehofer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das, was Sie vorhaben, ist sogar schlimmer als das, was Herr Seehofer plant. Denn Herr Seehofer plant, Menschen bis 18 Monate in den Einrichtungen zu behalten. Die NRW-Landesregierung, die Mitte-rechts-Koalition, will das bis zu zwei Jahre. An der Stelle sind Sie viel schlimmer.

Herr Stamp, ich finde, für einen Integrationsminister ist das ein erschreckendes Menschenbild, um das mal ganz deutlich zu sagen. Gerade Sie müssten wissen, dass Isolation für die ankommenden Menschen, wenn Sie so eine lange Zeit da drin sind, nicht hilfreich ist. Es wird wertvolle Zeit verschwendet. Spracherwerb, Arbeitsmarktzugang, Integration in die Gesellschaft, Kennenlernen unserer Gesellschaft – all das wird an der Stelle für bis zu zwei Jahre verschenkt. Die Menschen kommen überhaupt nicht mit unserer Bevölkerung in Kontakt. Deswegen sind diese Lager, die Sie planen, eine große Gefahr für unsere Gesellschaft und für die Integration.

Weswegen ist es eine Gefahr? Wenn Sie auch da nicht auf uns hören wollen, dann hören Sie wenigstens auf diejenigen, die damit beschäftigt sind. Wir haben über Probleme in den großen Einrichtungen, zum Beispiel in der ZUE Oerlinghausen, sehr lebhaft diskutiert. Wir haben Erkenntnisse aus Ellwangen. Der Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung sieht in diesen Lagern die Einhaltung der UN-Menschen­rechts­konvention gefährdet. Der Bamberger Oberbürgermeister sagt sehr deutlich, und er warnt davor, weil er die Erfahrungen mit so großen Einrichtungen gemacht hat, dass das an der Stelle dazu führt, dass es zu einem sozialen Unfrieden in der Stadt kommt, dass es da zu Spannungen in der Stadtgesellschaft wegen dieser großen Einrichtungen kommt. Und die Gewerkschaft der Polizei – wir sind ja immer alle sehr nah bei der Polizei – warnt vor einer Verrohung und einer Gefährdung des sozialen Friedens in der Kommune. Die GdP warnt aufgrund von Enge, karger Versorgung und Isolation vor einem erheblichen Aggressions- und Gefährdungspotential.

An der Stelle sage ich Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie nicht auf uns hören, hören Sie auf die Experten! Hören Sie auf diejenigen, die tagtäglich damit arbeiten müssen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie begründen Ihre Lager mit einer angeblich spürbaren Entlastung der Kommunen. Ich bin gerade kurz darauf eingegangen. Ich will aber auch noch einmal das Thema der spürbaren Entlastung bei der finanziellen Frage ansprechen.

Wenn Sie die Kommunen entlasten wollen, dann halten Sie Ihre Versprechen ein, die Sie den Kommunen gegeben haben. Sie haben im Landtagswahlkampf sehr deutlich gesagt, dass Sie die Kommunen mit der Integrationspauschale voll umfänglich ausstatten wollen. Sie wollten alles das, was von Berlin kommt, weitergeben. Das haben Sie als CDU, FDP im Wahlkampf versprochen. Dann wurden Sie zur Mitte-rechts-Koalition, und auf einmal hat das Geld an Ihren Fingern geklebt – schneller, als Sekundenkleber klebt. Das ging ganz schnell. Sie haben das Geld behalten. Von den 436 Millionen Euro – das werden Sie gleich wieder sagen – geben wir den Kommunen 100 Millionen Euro; weniger als ein Viertel geben Sie ab.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Was haben Sie denn abgegeben? Was ist da angekommen? Das ist lächerlich!)

Das hilft an der Stelle nicht. Das ist zu wenig. Ich gehe davon aus, dass diese Mitte-rechts-Koalition – wenn Berlin jetzt beschließt, dass mehr Mittel in die Kommunen gegeben werden – dann dieses Geld komplett an die Kommunen weitergeben. Denn die Kommunen sind diejenigen, die die Integrationsarbeit an der Stelle für uns stemmen müssen. Deswegen halten Sie sich wenigstens daran, dass die Kommunen ihr Geld bekommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Freien Demokraten stehen für eine geordnete Einwanderungspolitik mit klaren Regeln. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen der humanitären Verantwortung für individuell politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge sowie dauerhaften Einwanderern.

Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Wen wollen wir in unser Land einladen, auf unserem Arbeitsmarkt dauerhaft Fuß zu fassen? Wer benötigt dauerhaft oder nur vorübergehend Schutz? Und wer erfüllt keines dieser Kriterien für einen Aufenthalt in Deutschland? Das bedeutet letztlich auch, dass Menschen unser Land sobald wie möglich wieder verlassen müssen, die nicht schutzbedürftig sind

(Beifall von der FDP und der CDU)

oder die nicht so qualifiziert sind, um als Fachkraft einwandern zu können.

Wir wollen deshalb die Ausreisepflicht von Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, zügiger und konsequenter durchsetzen. Eine geordnete Politik muss neben einem Eingang auch einen Ausgang kennen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Politik unterscheidet sich damit deutlich von der Politik jener, die Deutschland abschotten wollen und die vorrangig auf Abschreckung und Abschiebung setzen und dadurch Fremdenfeindlichkeit propagieren. Wir unterscheiden uns aber auch von den Grünen, nach deren Intention praktisch jeder Mensch, der es schafft, Deutschland zu erreichen, auch hier bleiben soll.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Stimmt doch gar nicht! Jetzt hören Sie doch auf, diese Legenden zu verbreiten! Sie wissen, wer diese Legenden verbreitet!)

Dieser Geist der Grünen findet sich auch in dem uns vorliegenden Antrag. Sie wollen alle Asylsuchenden schnellstens auf die Kommunen verteilen und so möglichst umgehend in Gemeinschaften und Strukturen vor Ort einbeziehen. Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass es damit kaum noch möglich sein wird, selbst die Menschen später einmal zurückzuführen, die kein Bleiberecht bekommen können.

Wir stehen stattdessen für eine differenzierte Politik. Wir unterscheiden zwischen Asylsuchenden mit geringer Bleibeperspektive, die möglichst bis zum Abschluss des Verfahrens in den Landeseinrichtungen bleiben sollen, und denjenigen Menschen mit Bleibeperspektive, bei denen wir auf eine schnelle Integration in den Kommunen und damit in unsere Gesellschaft setzen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu gehört auch, dass Asylbewerber und Flüchtlinge innerhalb kurzer Zeit wissen sollten, ob sie eine Bleibeberechtigung haben oder nicht. Wir wollen auch, dass abgelehnte Bewerber dann nach Möglichkeit direkt aus den Landeseinrichtungen zurückgeführt werden. Dafür brauchen wir schnelle Entscheidungen und die Verpflichtung zum Aufenthalt in zentralen Einrichtungen.

Dabei hat für uns die Abschiebung der Personen allerhöchste Priorität, die sich gar nicht integrieren wollen. Das gilt insbesondere für Straftäter oder Gefährder. Erst dann können wir großzügiger bei den Regelungen für diejenigen sein, die sich gut integrieren wollen und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien weitestgehend selbst leisten können. Das sind die zentralen Begründungen für den Stufenplan der Landesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Gesichtspunkt spielt dabei auch noch eine wesentliche Rolle. Wir wollen die Kommunen spürbar entlasten, damit sie sich grundsätzlich auf die Integration der Menschen mit Bleiberecht konzentrieren können. Da ist das Verhalten der Grünen in dem uns vorliegenden Antrag schon recht fragwürdig.

(Zuruf von den Grünen)

– Erst einmal zuhören!

Auf der einen Seite beklagen Sie die Belastungen der Kommunen durch die Kosten für die Versorgung und Integration von Geduldeten. Auf der anderen Seite werden Sie mit der von Ihnen geforderten schnellen Zuweisung im Ergebnis aber nur höhere Zahlen von Geduldeten bewirken, die von den Kommunen zu finanzieren sind.

Oder wollen Sie etwa Geduldete als eigentlich vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer in ein Regelsystem mit dauerhaftem Aufenthalt und Finanzierung durch das Land überführen? Wir wollen das nicht. Wir wollen die Zahl der Geduldeten deutlich reduzieren, die ohne Perspektive von den Kommunen versorgt werden müssen.

Der Stufenplan der Landesregierung setzt dabei auf verschiedene Maßnahmen, die wir in Nordrhein-Westfalen schrittweise umsetzen werden. So haben wir das beschleunigte Asylverfahren über eine Vereinbarung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeführt.

Die Grünen kritisieren in Ihrem Antrag zum Beispiel auch, dass wir neben den sicheren Herkunftsländern auch Georgien in diese Vereinbarung einbeziehen. Dabei wissen die Grünen doch ganz genau, dass bereits vor der gesetzlichen Verankerung des beschleunigten Verfahrens in § 30a Asylgesetz ein Bund-Länder-Beschluss die Verkürzung von Asylverfahren für Asylbewerber aus Ländern mit einer relativ hohen Anzahl von Asylsuchenden bei zugleich niedriger Schutzquote geregelt hat. In dieses Verfahren war neben den Westbalkanländern eben auch Georgien einbezogen.

Wir wollen erreichen, dass für Asylbewerber aus Georgien ein vergleichbarer Standard erhalten bleibt und es nicht wieder zu einer Verlängerung der Verfahren kommt.

Es sind doch gerade die Grünen, die sich einer Ausweitung der sicheren Herkunftsländer mit der erforderlichen Zustimmung im Bundesrat bisher verweigern. Für Staaten mit geringer Schutzquote wie etwa Tunesien, Algerien, Marokko, aber auch Georgien ist dieser Schritt überfällig.

Doch aus Angst vor dem grünen Koalitionspartner in den Ländern setzt selbst die Große Koalition im Bundestag eine Abstimmung über entsprechende Anträge ab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die NRW-Koalition wird den Stufenplan weiter umsetzen. Eine landesrechtliche Regelung zur Verlängerung der Aufenthaltszeit in Landeseinrichtungen auf bis zu 24 Monate auf der Grundlage von § 47 Abs. 1b Asylgesetz beraten wir derzeit im Integrationsausschuss.

Wir werden Zentrale Ausländerbehörden in allen fünf Regierungsbezirken einrichten. Coesfeld befindet sich im Personalaufbau. Eine weitere Ausländerbehörde wird folgen. Die NRW-Koalition ist damit auf dem richtigen Weg zu einer Neuordnung bei der Aufnahme von Asylsuchenden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist also aus dem vielbeschworenen Asylkonsens geworden: Kasernierung, Inhaftierung, Isolation und Lagerbildung. – Erstaunlich!

Wir erfahren aus dem Antrag der Grünen sehr viel über die Ergebnisse einer Kurzstudie zu Ankerzentren, die im Auftrag des „Mediendienstes Integration“ erstellt wurde. Leider verzichten die Antragsteller auf einen ausführlichen Quellenhinweis, aber dass davon hier nicht viel gehalten oder verstanden wird, haben wir gestern schon im Zusammenhang mit dem Antrag der AfD-Fraktion zur Digitalisierung in Schulen erfahren. Der „Mediendienst Integration“ ist ein Projekt des Rats für Migration e. V., der in der Hauptsache von der Freudenberg Stiftung gefördert wird, wie auch die Amadeu Antonio Stiftung.

Im Ergebnis spricht die Kurzstudie vor allem von Zweifeln und von Annahmen. Als Gipfel wird behauptet, dass eine Zentralisierung der Unterbringung die deutsche Flüchtlingspolitik um Jahre zurückwirft. Gesucht wird tatsächlich die Quadratur des Kreises, aber gefunden wird sie auch diesmal nicht.

Asylantragsteller, insbesondere die mit geringer Bleibeperspektive, sollen möglichst kurze Wartezeiten bis zu einer endgültigen Entscheidung haben. Das bedingt aber die Mitarbeit des Antragstellers, kurze Wege und die Einhaltung aller Termine. Wo, wenn nicht in einer zentralen Einrichtung soll das am besten gewährleistet werden? Der Taxidienst, durch den in vielen Städten versucht wurde, dies zu gewährleisten, war dabei sicherlich nicht richtungsweisend.

An dieser Stelle meldet die Kurzstudie dennoch Zweifel an. Belegen kann sie diese Zweifel nicht. Das wäre auch nach so kurzer Laufzeit des Ankerzentren-Programms von Herrn Seehofer kaum zu erwarten.

Kritisiert wird auch der geringe Kontakt zur Stadtgesellschaft, was auch immer damit gemeint ist. In Unna oder Ratingen gibt es auch Stadtgesellschaften. In Oerlinghausen unterliegen tatsächlich die dort Untergebrachten den gleichen Defiziten wie die dort lebende Bevölkerung, was zum Beispiel das kulturelle Angebot angeht. Dafür profitieren sie von natürlicher Umgebung und geringer Schadstoffbelastung.

(Zuruf von der FDP: Das sind doch keine Defizite! Wovon reden Sie denn?)

Das ist eigentlich ein Grund für viele Städter, aufs Land zu ziehen. Welche Angebote werden aber von den Menschen, die noch nicht sicher hier sind oder die noch nicht wissen, ob sie bleiben können, tatsächlich genutzt? Welche Studien zur Nutzung des kostenlosen Eintritts zum Beispiel in Museen des LWL gibt es denn für diese Nutzergruppe? – Sicher ist die intensive Nutzung von Freifunk, insbesondere um den Kontakt in die Heimat aufrechtzuerhalten. Solche Angebote sind gerade in zentralen Unterbringungen problemlos zu realisieren.

Jetzt sind Ankerzentren in NRW gar nicht in gleichem Maße in Planung, auch wenn viele Parallelen der zentralen Einrichtungen zu Ankerzentren natürlich erkennbar sind.

Das Verbot zur Aufnahme von Arbeit und die Verhinderung von Ausbildung werden beklagt. Wir erinnern uns noch einmal: Es geht um Menschen mit geringer Bleibeperspektive. – Wer Potenziale der zu uns Kommenden realistisch nutzen will, der muss das geringe Angebot, was der Markt zur Verfügung stellt, denen offerieren, deren Aufenthaltsstatus geklärt ist und deren längerfristiger Verbleib in Deutschland heute schon feststeht.

Wir stimmen in der Kritik bezüglich geregelter fehlender Beschulung der Kinder überein. Es gibt ein paar Angebote per Erlass, aber das ist längst nicht das, was wir uns darunter vorstellen. Diese Kritik üben wir aber schon seit Jahren, und sie ist Bestandteil unseres Wahlprogramms. Das macht deutlich, dass dieses eklatante Versäumnis schon in Ihrer Regierungszeit gegeben war.

(Beifall von der AfD)

Herr Terhaag, eines zu dem Unterschied: Wir haben viele gleiche Ansichten, was sich darin zeigt, dass wir zwischen Zuwanderung, Asylrecht und einem Aufenthalt aus anderen Gründen oder einem unberechtigten Aufenthalt trennen müssen. Bis dahin sind wir uns, glaube ich, einig.

Nicht einig sind wir uns darin, wie man diese Probleme vermeidet. Ein Selbsteintrittsrecht hat es in unserem Asyl- und in unserem Ausländerrecht eigentlich nie gegeben; das ist erst entstanden. Wie will man beispielsweise eine Dublin-Verordnung durchsetzen, wenn die Grenzen gar nicht erst kontrolliert werden? Da widerspricht das eine Recht dem anderen.

Wir könnten uns vieles von dem, worüber wir hier diskutieren und wo dann von Lagern, Inhaftierung und sonst etwas gesprochen wird, ersparen, wenn wir schon an den Grenzen feststellen würden, dass jemand kommt, der schon in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat.

Von daher: Es gibt tatsächlich Differenzen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Walger-Demolsky. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vom Abgeordneten Yetim wurden eben die Begriffe „Isolationshaft“ und „Lager“ gebraucht, die in unserem Land auch im historischen Kontext kontaminiert sind. Ich erwarte vom Kollegen Yetim in diesem Zusammenhang eine Entschuldigung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jeder, der meine Arbeit kennt, weiß – und das gilt ausdrücklich auch für die Verbände, für die NGOs –, dass ich einen zutiefst humanitären Ansatz verfolge. Die Unterstellung, es handele sich hier um eine Unterbringung in Lagern – und ich sage das auch als Enkel von jemandem, der im Dritten Reich inhaftiert war –, ist deswegen eine persönliche Beleidigung, und ich erwarte, dass das klargestellt wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen nimmt nicht an dem Pilotprojekt der Ankerzentren teil. Wir halten es für falsch, ein Pilotprojekt aufzusetzen, bei dem es jetzt neu darum geht, große Einrichtungen zu schaffen, in denen sehr viele Bewerber, nämlich deutlich über 1.000, untergebracht werden. Wir erleben gerade auch in Bayern, dass die Kolleginnen und Kollegen große praktische Umsetzungsprobleme haben. In Nordrhein-Westfalen gehen wir einen eigenen Weg.

Wir haben immer gesagt: Das, was uns an der Idee der Ankerzentren richtig erscheint, ist die enge Vernetzung aller Akteure im Verfahren. Dazu gehört gerade vor dem Hintergrund, dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den letzten Monaten auf einmal die Gesamtschutzquote sinkt und wir eine große Anzahl an zusätzlichen Verfahren bekommen werden, die im Übrigen wahrscheinlich in großen Teilen auch positiv beschieden werden, auch ausdrücklich die Verwaltungsgerichtsbarkeit. An anderer Stelle haben wir wiederum die Situation, dass in Länder wie Eritrea usw., die im Moment nur noch eine Schutzquote von 40 % haben, nicht zurückgeführt werden kann, was die Anzahl der Geduldeten wieder nach oben treibt. Das ist die Konsequenz der Politik von Horst Seehofer; wir gehen hier einen anderen Weg.

Ich werde auch nicht müde, zu sagen: Wir brauchen einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen, damit wir uns gemeinsam darauf verständigen können, wie wir die eigentlichen, wirklichen Ziele, nämlich die Verfahrensbeschleunigung, ein vernünftiges Rückkehrmanagement, aber auch die Integration derer, die sich hier gut eingefunden und ein vernünftiges Bleiberecht haben, schnell und zügig gemeinsam umsetzen können. Ich bin bereits auf das erste Bundesland zugegangen. Wenn Horst Seehofer das in Berlin eben nicht auf Reihe bekommt, dann werden wir das aus den Ländern selber gestalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir stehen aber auch in der Verantwortung, das System in Nordrhein-Westfalen zu verändern und zu optimieren, und das, was in unseren Möglichkeiten liegt, so auf den Weg zu bringen, dass es sowohl für die Kommunen als auch für das Land vernünftig gestaltbar bleibt und Verfahren beschleunigt werden können, wir gleichzeitig aber die Rechtsstaatlichkeit und die Humanität im Auge behalten. Es wurde gerade erzählt, wir würden Flüchtlinge oder Geflüchtete 24 Monate kasernieren. Das ist einfach falsch. Das ist eine falsche Behauptung.

Erstens. Es wird nicht kaserniert. Man kann in Landeseinrichtungen genauso ein- und ausgehen, wie das auch in kommunalen Einrichtungen der Fall ist. In der Öffentlichkeit wird hier ein völlig falsches Bild gezeichnet.

Zweitens handelt es sich an der Stelle nicht um Geflüchtete. Diejenigen, für die der Zeitraum bis 24 Monate möglich ist, haben einen unzulässigen Antrag oder offensichtlich unbegründete Anträge gestellt. Das sind dann aber keine Geflüchteten, Frau Kollegin Aymaz, sondern andere Migranten, die möglicherweise aus nachvollziehbaren Motiven ihren Weg in Deutschland versuchen, hier aber keinen Schutzstatus gefunden haben, weil ihr Antrag offensichtlich unbegründet oder unzulässig war. Deswegen sind das keine Flüchtlinge, und deswegen muss auch einmal mit dieser Propaganda Schluss sein, wir würden Flüchtlinge zwei Jahre kasernieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen sind das alles Menschen, die in ihre Heimatländer zurückgehen können, und es ist auch ein Stück weit die Verantwortung der Eltern gegenüber ihren Kindern, dafür zu sorgen, dass sie wieder in die Schule gehen können, und zwar auch in ihrem Heimatland. Das gehört ebenfalls zur Wahrheit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unabhängig davon bin ich ja nicht nur der Minister für Integration und Flüchtlinge, sondern ich bin auch der Minister für Kinder und Familien.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau! Und deshalb sind Sie auch dafür verantwortlich!)

Und deswegen können Sie darauf verlassen, dass wir gerade die Situation der Familien ganz besonders in den Blick nehmen und dafür sorgen, dass es ein Bildungsangebot in allen Einrichtungen geben wird und dass das Gewaltschutzkonzept in allen Einrichtungen sukzessive …

(Zuruf von den GRÜNEN)

– Sie können gleich noch einmal sprechen!

… umgesetzt wird.

Wir lassen uns unsere Politik an dieser Stelle nicht von Ihnen kaputtreden. Wir sorgen dafür, dass wir mehr Ordnung ins System kriegen. Sie können sicher sein, dass unter mir in diesem Land eine humanitärere Politik gemacht wird, als es sieben Jahre lang unter Rot-Grün in diesem Bereich der Fall gewesen ist. In dieser Zeit haben Sie sich um dieses Thema gar nicht wirklich gekümmert!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Blondin jetzt das Wort.

Marc Blondin (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundgesetz gewährt als eine der wenigen Verfassungen der Erde unter bestimmten Voraussetzungen jedem politisch Verfolgten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Asyl und zieht damit die historischen Lehren aus der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft. Es ist ein verfassungsmäßig garantiertes Individualrecht, welches denen gewährt wird, die durch staatliche Mittel in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt werden. Auf diesen Anspruch können wir stolz sein.

(Beifall von der CDU)

Es gilt, diesen Menschen, die aus der Not zu uns kommen, Schutz zu gewähren und ihnen zu helfen, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und zu integrieren. Dies wird für die NRW-Koalition auch weiterhin eine zentrale Aufgabe in der Asylpolitik sein. Darauf sollten sich unsere nordrhein-westfälischen Kommunen in Zukunft konzentrieren. Damit sie dies auch tatsächlich können, hat das Landeskabinett am 24. April 2018 beschlossen, das Aufnahmesystem zur Steuerung von asylsuchenden Flüchtlingen in NRW umzustellen.

Hier setzt nun der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen an, der zum Rundumschlag gegen die „Kasernierung von Geflüchteten“ ausholt. In einer Zeit, in der wir die Verrohung der Sprache in den Parlamenten anprangern und als demokratische Parteien mit gutem Beispiel vorangehen sollten, bringen Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Grünen, die Ankerzentren des Bundesinnenministers und den Asylstufenplan der nordrhein-westfälischen Landesregierung völlig unnötig in Verbindung mit einem Kasernenhof, der wohl die Assoziation des Eingesperrtseins erwecken soll.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist völlig daneben und bringt nur unnötig Zündstoff in eine ohnehin schon aufgeheizte Debatte.

Zur Klarstellung – da kommen wir zu einer völlig unterschiedlichen Einschätzung –: Wir verfolgen in Nordrhein-Westfalen nicht die Einrichtung der Ankerzentren; aber der Asylstufenplan von Minister Dr. Stamp verfolgt durchaus ähnliche Ziele. Es geht dabei um Folgendes: Das Asylverfahren soll schneller und effizienter gestaltet werden.

Schutzsuchende sollen nicht länger endlos auf eine Antwort darauf warten müssen, wie es mit ihnen weitergeht. Sie sollen möglichst schnell eine rechtssichere Antwort auf ihre Asylanfrage erhalten. Die Kommunen sollen künftig möglichst nur noch anerkannte Flüchtlinge oder Personen mit guter Bleibeperspektive zugewiesen bekommen. Allein die Integration dieser Menschen wird in den kommenden Jahren auch in finanzieller Hinsicht eine Herausforderung für unsere Kommunen sein.

Diejenigen, die nicht schutzberechtigt sind und keine Bleibeperspektive haben, wollen wir nach Prüfung in einem rechtsstaatlichen Verfahren konsequent abschieben und gar nicht mehr auf die Kommunen verteilen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie verbleiben bis zu ihrer Rückführung in den Landeseinrichtungen. Die Zuständigkeit für Rückführungen soll damit schrittweise auf Landesebene zentralisiert werden. Wie gesagt, wir sprechen hier von denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben. Doch der Antrag der Grünen suggeriert, wir wollten Flüchtlinge und Schutzbedürftige grundsätzlich kasernieren und isolieren.

Dem möchte ich an dieser Stelle ganz klar und deutlich widersprechen. Wir setzen lediglich das um, was den Ländern durch bundesgesetzliche Vorgaben erlaubt ist. Wir wollen unzulässige oder unbegründete Asylverfahren und die entsprechenden Rückführungen beschleunigen, Ressourcen bündeln und uns auf die Menschen fokussieren, die unsere Hilfe benötigen und unseren Schutz brauchen. Und: Wir werden – wie bisher – besonderen Wert auf die Schutzbedürftigkeit von Familien mit minderjährigen Kindern legen. Diese werden spätestens nach sechs Monaten den Kommunen zugewiesen, auch wenn sie noch keinen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten haben.

Wir entsprechen mit unserer Zielsetzung, den Kommunen möglichst nur noch anerkannte Flüchtlinge zuzuweisen, auch ganz klar dem Wunsch vieler Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in unserem Land.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Umso mehr wundert es mich, dass die Grünen die Landesregierung in ihrem Antrag auffordern, die Kommunen finanziell zu entlasten und sich für die Übernahme der Kosten für Geduldete beim Bund einzusetzen. Natürlich ist die finanzielle Belastung der Kommunen größer, wenn sie für Geduldete nach dem dritten Monat allein aufkommen müssen. Als Partner der Kommunen hat die NRW-Koalition deshalb ein finanzielles Gesamtpaket geschnürt und entlastet die Kommunen gleich an mehreren Stellen, nämlich sowohl in der Asylpolitik als auch durch höhere Zuweisungen durch das Gemeindefinanzierungsgesetz.

Die rot-grüne Vorgängerregierung hingegen hat es in den Jahren 2016 und 2017 nicht einmal geschafft, die Integrationspauschale an die Kommunen weiterzuleiten. Die kommunale Familie hat das völlig zu Recht kritisiert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die NRW-Koalition misst dem Thema „Integration“ im Gegensatz dazu einen deutlich höheren Stellenwert bei. Richtig, Herr Kollege Yetim – ich sage es noch einmal –: Wir leiten in diesem Jahr nicht nur 100 Millionen Euro aus der Integrationspauschale an die Kommunen weiter, sondern die flüchtlingsbedingten Zuweisungen an die Kommunen belaufen sich in 2018 insgesamt auf rund 1,6 Milliarden Euro.

Gleichzeitig wird sich Nordrhein-Westfalen weiterhin für einen stärkeren finanziellen Beitrag des Bundes bei der Übernahme der Kosten für Geduldete einsetzen; denn die Kommunen tragen nicht die Verantwortung für die derzeitige internationale Lage.

Im Übrigen hat das Bundeskabinett gerade erst in dieser Woche beschlossen, die Flüchtlingsfinanzierungen nicht nur fortzuschreiben, sondern die Zuwendungen an Länder und Gemeinden ab dem kommenden Jahr noch einmal deutlich zu erhöhen.

Wir wissen um die Verdienste der Kommunen, insbesondere in den ersten Monaten der Flüchtlingskrise. Nicht nur finanziell, sondern auch personell haben unsere Städte und Gemeinden scheinbar Unmögliches möglich gemacht – nicht zu vergessen die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die sich bis heute für die Integration der Flüchtlinge engagieren. Dafür sind wir ihnen herzlich dankbar.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Für unsere Kommunen und die vielen Aktiven in der Flüchtlingshilfe ist es bis heute ein Kraftakt, die Aufnahme und Integration von Geflüchteten zu stemmen. Dabei wollen wir ihnen als NRW-Koalition weiterhin zur Seite stehen.

Die NRW-Koalition übernimmt Verantwortung in der Flüchtlingspolitik. Wir schaffen nicht nur finanzielle Entlastung, sondern nehmen auch ein wenig den Druck aus der kommunalen Gemeinschaft, indem wir mehr Ordnung und Steuerung in die Migrationspolitik bringen und den Menschen, die länger oder auf Dauer bei uns bleiben, gleichzeitig die Chance auf Integration bieten.

Gerne werden wir diese Themen mit Ihnen in den zuständigen Ausschüssen beraten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Blondin. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Stock.

Ellen Stock (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auftrag der Politik ist es, die Welt menschlicher zu machen, nicht unmenschlicher. – Diese Worte stammen von Johannes Rau, dem ehemaligen Bundespräsidenten und langjährigen Ministerpräsidenten unseres Landes.

Dass wir als Politik den Auftrag haben, die Welt menschlicher zu machen, ist ein wunderbarer, nachvollziehbarer und wichtiger Anspruch, den ich mir bereits lange zu einem der Maßstäbe meiner Arbeit erkoren habe. Aber werden wir diesem Anspruch auch gerecht?

(Zuruf von der CDU: Durch den Antrag!)

Das Thema, über das wir heute reden, zeigt, wie leicht es sein kann, hohe Ansprüche an die eigene Menschlichkeit zu vergessen. Wie menschlich oder, um den Begriff aus dem vorliegenden Antrag zu nehmen, wie menschenwürdig ist es, Geflüchtete immer länger und länger ohne Perspektive und ohne eine Minimum an Teilhabemöglichkeiten in sogenannten Einrichtungen unterzubringen – Orte, an denen viele Menschen gemeinsam auf beengtem Raum leben, vorübergehend und ohne jegliche Ähnlichkeit mit einem Zuhause?

Wie menschlich ist, Kindern kein Zuhause zu ermöglichen, ihnen auf unbestimmte Zeit die Sicherheit, den Schutz und die Behaglichkeit eines Elternhauses vorzuenthalten? Wir müssen auch annehmen, dass diese Kinder, je nachdem, woher sie kommen, bereits unglaublich viel Schreckliches erlebt haben. Kinder sind die verletzlichsten, die unschuldigsten Opfer von Flucht und Krieg. Sie leiden am stärksten unter Gewalt, Hunger, dem Fehlen von vertrauten Strukturen, Sicherheit und einem Zuhause. Vielleicht haben sie bereits Eltern, Geschwister oder Freunde verloren.

Wie menschenwürdig ist es, den Kindern teilweise über Jahre ihr Menschenrecht auf Bildung oder eine Lebensperspektive zu verweigern? Wir reden ja nicht von einem kurzen Aufenthalt unter beengten Bedingungen, der nach ein paar Wochen vorüber ist. Das wünscht man sich so, aber die Realität funktioniert anders. Das wissen wir aus dem Antrag und vielen weiteren Quellen.

Leider wissen wir auch, dass es mit der persönlichen Sicherheit in den Einrichtungen nicht immer zum Besten bestellt ist. Auch wird den Kindern und Jugendlichen kaum Raum zum Spielen und zum Lernen angeboten. Ein Ausschluss von der Regelschule widerspricht aber der UN-Kinderrechtskonvention, welche ein Recht auf Bildung vorsieht. Zudem ist es im Hinblick auf eine mögliche spätere Integration eine fatale Entwicklung.

Das Leben in sogenannten Zentren zementiert die Isolation und die Ausgrenzung vom anderen Leben außerhalb der Einrichtung. Das ist das Gegenteil von Integration.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, den vorliegenden Antrag der Grünen begrüßen wir generell sehr. Wir können den Forderungen in fast allen Bereichen zustimmen.

Richtig ist: Das Land muss Verantwortung übernehmen.

(Zuruf von der CDU)

Es muss in finanzieller Hinsicht eine Entlastung der Kommunen sicherstellen. Die Landesregierung muss endlich ihr Versprechen einhalten und die Integrationspauschale des Bundes in voller Höhe an die Kommunen weiterleiten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Was Sie ja nicht gemacht haben!)

Richtig ist auch: Wer keine Bleibeperspektive hat, muss schnell in seine Heimat zurückgeführt werden. – Trotzdem oder gerade deswegen möchte ich vor allem an unsere Menschlichkeit appellieren. Kasernierung ist keine Lösung!

Wir stimmen der Überweisung zu und freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Stock. – Für die Landesregierung hat noch einmal Herr Minister Dr. Stamp das Wort, um das er gebeten hat.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch Wiederholung wird es nicht richtiger. Es gibt in Nordrhein-Westfalen keine Kasernierung von Flüchtlingen, und das wird auch so bleiben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist eine infame Unterstellung!

Es ist auch eine infame Unterstellung, wenn Sie sagen, wir würden Kinder – Zitat – „über Jahre“ vom Schulunterricht fernhalten. Das stimmt einfach nicht! Ich bitte Sie, einfach mal in den Gesetzentwurf zu schauen. Das stimmt nicht, und ich weise diese Unterstellung in aller Entschiedenheit zurück! Wir werden Bildungsangebote für alle Kinder schaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt gibt es nicht mehr. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3793 an den Integrationsausschuss – federführend – und den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend zur Mitberatung. Die abschließende Abstimmung wird im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Ich sehe keine. Dann haben wir den Antrag Drucksache 17/3793 so überwiesen.

Ich rufe auf:

Duldung des Kirchenasyls in Deutschland beenden – Vereinbarung zwischen dem BAMF und der evangelischen bzw. katholischen Kirche aufkündigen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3799

Wie Sie sehen, hat Frau Kollegin Walger-Demolsky für die antragstellende Fraktion jetzt das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! „Das Kirchenasyl gehört zu Deutschland“, war die gewagte These von Justizminister Biesenbach, als das Verwaltungsgericht Düsseldorf im März dieses Jahres das Kirchenasyl kritisierte und Herr Heusch, der Präsident des Verwaltungsgerichts, die Politik geradezu aufforderte, gegen die stark zunehmende Inanspruchnahme von Kirchenasyl einzuschreiten.

Daraufhin haben wir eine Anfrage gestellt, um uns selbst ein Bild über die Entwicklung zu machen. Pressemeldungen und Informationen aus anderen Bundesländern zufolge sind insbesondere Dublin-Fälle betroffen, denn sie mussten seinerzeit ja nur maximal sechs Monate hinausgezögert werden, um dann endgültig hinfällig zu werden.

Leider lagen der Landesregierung im Hinblick auf NRW keine ausführlichen Daten vor wie zum Beispiel zur Frage, wie viele Rücküberstellungen in andere EU-Länder aufgrund von Kirchenasyl in den letzten Jahren scheiterten. Dabei müsste dieses Wissen doch auch im Interesse des Landes liegen.

Was unser Ministerium nicht weiß, weiß aber „kirchenasyl.de“. Ein paar NRW-Zahlen kann ich Ihnen daher nicht ersparen: Wurden 2014 nur 41 Fälle mit 64 Personen registriert, waren es 2015 bereits 87 Fälle und 2016 dann 81 Fälle. Diese Zahl stieg im Jahr 2017 auf 201 Fälle mit 291 Personen allein in NRW.

Der Anteil der Dublin-Fälle am Kirchenasyl liegt bundesweit bei über 90 %. Dabei handelt es sich aber nicht um unzumutbare Rückführungen in Gefahrenregionen oder in Länder der Dritten Welt; vielmehr reden wir hier in der Hauptsache von Ländern wie Italien, Norwegen, Schweden, Ungarn oder Frankreich.

Wir widersprechen daher Herrn Minister Biesenbach ausdrücklich: Diese Form des Kirchenasyls gehört nicht zu Deutschland und lässt sich auch historisch nicht nachvollziehen.

(Beifall von der AfD)

Das Kirchenasyl, dessen Vorläufer das Tempel‑ bzw. das Heiligtumsasyl waren, hat tatsächlich eine lange Geschichte. Begonnen hat diese Geschichte auch nicht in Deutschland, sondern vermutlich schon in Zeiten des Alten Testaments in Israel, spätestens aber im antiken Griechenland, wo der Begriff erstmalig auftauchte.

Auf dem Konzil von Serdika fand das Kirchenasyl seinen Einzug in die christliche Welt. Im Frühmittelalter fand das Kirchenasyl dann Eingang in etliche Rechtssammlungen Europas. Im Hochmittelalter wurde das Asylrecht durch das kanonische Recht geregelt und auf Ungläubige, auf Juden und Häretiker ausgedehnt. Es ging in der Hauptsache um Schutz vor Folter und Todesstrafe, also um eine Art Rechtsschutz Verurteilter gegenüber dem Staat und seine weltlichen Strafen.

Ab der Aufklärung wurde das Kirchenasyl als Behinderung der staatlichen Rechtspflege wahrgenommen und bis zum 19. Jahrhundert von allen europäischen Staaten aufgehoben. Die Entstehung von Rechtsstaaten und Säkularisierung spielten dabei eine besondere Rolle. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich die Kirche nicht einmischen soll oder besser gesagt, dass sich die Kirche nicht manchmal einmischen muss.

Die Zeit des Nationalsozialismus, aber auch die Herrschaft kommunistischer Diktaturen hat deutlich gezeigt, dass es immer wieder Staatsformen geben kann, in denen der Bürger dem Staat ausgeliefert ist, in denen es eben keinen funktionierenden Rechtsstaat mit funktionierendem Rechtsschutz gibt. Widerstand war in solchen Zeiten immer auch kirchlicher Widerstand, und dafür sind wir dankbar.

(Beifall von der AfD)

Aber davon kann im Deutschland von heute doch wirklich nicht die Rede sein. Verwaltungsentscheidungen, also auch Asylentscheidungen, gegebenenfalls auch folgende Abschiebungen unterliegen der Kontrolle durch Widerspruchsverfahren, gerichtliche Überprüfungen in mehreren Instanzen und zuletzt sogar der Möglichkeit der Anrufung der Härtekommission oder des Petitionsausschusses.

Auf dem gesamten Weg kann sich die Kirche einmischen und unterstützend tätig werden. Es muss dann am Ende aber die Akzeptanz des Urteils unseres Rechtsstaats stehen. Wäre dies nicht der Fall, wäre das eine Bankrotterklärung der staatlichen Ordnung. Als solche ist die Zulassung des Kirchenasyls aus unserer Sicht zu bewerten.

(Beifall von der AfD)

Es kann nicht nur darum gehen, dass die Fallzahlen nicht stark anwachsen, um die Akzeptanz nicht durch Inflationierung zu gefährden. Kirchenasyl ist in einem Rechtsstaat kein anerkanntes Rechtsmittel und sollte auch nicht per Erlass und schon gar nicht durch Absprachen oder Vereinbarungen möglich gemacht werden. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Franken das Wort.

Björn Franken (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag zur Skandalisierung des Kirchenasyls zeigt sich auch in diesem Plenarblock die Einfallslosigkeit der AfD.

Im Bundestag wird eine Anfrage zu einem Thema gestellt; hier zum Kirchenasyl. Diese geht dann wie so oft in den Länderverteiler der AfD-Verbände, wird mit Zitaten aus dem Zusammenhang angereichert, und schon hat die AfD landauf, landab einen Antrag produziert. – So sieht man in der AfD also den Arbeitsauftrag im Parlament.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Franken, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Walger-Demolsky würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Björn Franken (CDU): Aber ich habe doch noch gar nichts gesagt. Was wollen Sie denn fragen?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Darf ich das Mikro freischalten?

Björn Franken (CDU): Ich glaube, wir können noch abwarten; es kommen bestimmt noch ein paar Zwischenfragen.

Steigen wir direkt ein: Natürlich steht das Kirchenasyl in Deutschland nicht über dem Gesetz, so wie Sie es darstellen; aber den großen Kirchen kommt doch ohne Zweifel eine Sonderrolle zu hinsichtlich des Seelsorgeauftrags oder hinsichtlich der christlich-humanitären Tradition in Deutschland. Als Partei, die quasi ständig das christliche Abendland in Gefahr sieht, müssten Sie das eigentlich wissen.

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Natürlich sind die Fallzahlen durch die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 angestiegen; Sie gehen aber derzeit auch wieder deutlich zurück.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Nein!)

Weil man Missbrauch vermeiden will, wurde die Verfahrensabsprache durch die IMK vor wenigen Wochen extra noch einmal nachjustiert und stellt künftig noch härtere Anforderungen an das Kirchenasyl. Schon deswegen werden die Zahlen weiter sinken. Sie kommen mit Ihrem Antrag also wieder mal zu spät.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Ihr Antrag hat das Ziel, das Kirchenasyl bundesweit abzuschaffen.

Sie stellen es so dar, als wolle man beim Kirchenasyl quasi gewerbsmäßig Menschen illegal im Land behalten oder sie sogar untertauchen lassen. Darum geht es beim Kirchenasyl aber nicht. Es handelt sich lediglich um eine Verfahrensabsprache zwischen den großen Kirchen und dem BAMF, um eine Entscheidung noch einmal genauer zu überprüfen.

Auch hier sprechen Sie mit gespaltener Zunge; denn gerade für genauere Prüfungen beim BAMF hatten Sie sich beim letzten Plenum noch eingesetzt. Jetzt kritisieren Sie, dass in Einzelfällen genauer geprüft wird. Heute hü, morgen hott. Was wollen Sie denn eigentlich?

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, Sie reden hier nicht über Salafisten, die die Scharia einführen wollen. Sie reden auch nicht über Rockerbanden, die Gewalttaten begehen. Sie reden auch nicht über radikale linke Aktivisten, die Polizisten mit Zwillen beschießen oder mit Fäkalien bewerfen. Sie reden über die katholische und die evangelische Kirche hier in Deutschland und deren Ehrenamtler, die Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft zeigen mit dem Ziel, Menschen zu helfen. Das ist das Ziel. Ihr Antrag zeigt, dass Ihnen diese Eigenschaften gänzlich fehlen.

Wenn man Ihren Antrag liest, bekommt man wie immer das Gefühl, jeden Moment drohe die Welt unterzugehen, so drastisch wird immer alles formuliert. Auch hier ein paar Fakten gegen das Gefühl der Panik: In Nordrhein-Westfalen gab es von Januar bis August 2018 insgesamt 26.000 Asylanträge. Die Zahl der aktuell offenen Kirchenasylfälle in Nordrhein-Westfalen liegt, Stand 10.10.2018, bei 121 Fällen. 121 von 26.000 – das sind 0,5%.

Ich weiß, Ihnen gehen die Probleme aus, die Sie aufbauschen können. Ich weiß, Ihnen gehen die Probleme aus, die Sie skandalisieren können. Aber, werte AfD-Fraktion, langsam wird es peinlich!

(Beifall von der CDU)

Tun Sie uns und den Menschen in diesem Land einen Gefallen und versuchen Sie nicht, mit solch unsinnigen Anschuldigungen von den bisherigen Erfolgen der aktuellen Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen abzulenken.

Ich mache es kurz, weil es vorhin schon thematisiert worden ist: Jeder Flüchtling, der heute in Nordrhein-Westfalen ankommt, wird registriert, Identitäts- und Sicherheitsüberprüfung, strafrechtliche Überprüfung inklusive. Wir sind viel besser geworden bei der Rückführung ausreisepflichtiger Personen. Wir führen das beschleunigte Verfahren ein.

Unser zentrales Anliegen ist es – das ist vorhin gesagt worden –, die Kommunen finanziell und personell weiter zu entlasten.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Um dies zu erreichen, hat die Landesregierung beschlossen, dass nur die Fälle mit Bleibeperspektive an die Kommunen überführt werden. Das sorgt vor Ort für deutliche Entlastung; das merken die Betroffenen direkt und konkret. Das sind die Dinge, über die wir sprechen sollten.

Lassen Sie uns bei der Diskussion eine entscheidende Sache bitte nicht vergessen: Ohne die ehrenamtliche Arbeit, die Sie so kritisieren, die auch in den Kirchen in den letzten Jahren geleistet wurde, wäre die Flüchtlingshilfe in unserem Land in diesem Maße nicht möglich gewesen. Es ist das Mindeste, der Kirche und den dort ehrenamtlich tätigen Menschen Respekt entgegenzubringen,

(Christian Loose [AfD]: Die kriegen auch viel Geld, die Kirchen!)

ihnen Dank auszusprechen und den intensiven Dialog zu suchen, statt in Anträgen und über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu entscheiden oder ohne Sachkenntnis zu skandalisieren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Franken. – Herr Kollege Franken hat bemerkt, dass eine Kurzintervention angemeldet worden ist, und zwar von Herrn Kollegen Seifen von der AfD-Fraktion.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

– Frau Walger-Demolsky? Entschuldigung. Dann ist das hier oben falsch angekommen. Aber Sie müssten sich bitte noch eindrücken, damit ich Ihnen das Mikro freigeben kann.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Danke. Frau Präsidentin! Zum Ersten. Die AfD-Fraktion NRW war die erste Fraktion, die die Anfrage gestellt hat und nicht die Bundestagsfraktion. Das war also ein Fehler in Ihrem Bericht, Herr Franken.

Zum Zweiten. Wir sehen durch die Einhaltung von Recht und Gesetz und durch eine klare Trennung von Staat und Kirche die christliche Tradition in Deutschland in keiner Weise beschnitten oder gefährdet. Das ist richtig.

Bei dem, worauf Sie alles hingewiesen haben – zum Beispiel dass man der Kirche danken muss für ihr Engagement –, hätten Sie vielleicht nicht nur Ihre Rede ablesen, sondern auch meiner Rede folgen sollen. Auch ich habe das Recht der Kirche durchaus positiv bewertet und vor allem den Widerstand, den die Kirche in wichtigen Situationen geleistet hat. Von daher macht es durchaus Sinn, auf Reden direkt zu antworten und nicht nur die eigene Rede einfach abzulesen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Franken, wenn Sie mögen.

Björn Franken (CDU): Vielen Dank für diese Belehrung. Ich habe in der Tat zugehört, nur gab es nichts Substanzielles, auf das ich hätte eingehen können.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Das ist leider das Problem. Ich bitte um Nachsicht.

Da ich jetzt noch 1:20 Minuten Zeit habe, gestatten Sie mir bitte, dass ich diese Zeit nutze. Sie sagen, Sie seien die Ersten gewesen, die den Antrag gestellt haben.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Die Anfrage!)

– Die Anfrage. Die Anfragen in Berlin sind gelaufen, und es gab mittlerweile schon drei Länderparlamente, die ein quasi wortgleiches Konstrukt abgelehnt haben. Sie versuchen, die Sau durch mehrere Dörfer zu treiben.

(Markus Wagner [AfD]: Gut, dass die CDU das nicht macht!)

Das ist einfach nicht der Sinn des Parlamentarismus. Ich würde mich freuen, wenn Sie nach eineinhalb Jahren anfangen würden, zu liefern, wenn Sie die Probleme, für die Sie scheinbar gewählt worden sind, endlich wirklich benennen und konkrete Vorschläge machen würden,

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

anstatt immer nur Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen, irgendetwas aufzubauschen, zu pauschalisieren oder mit irgendwelchen anderen Unterstellungen zu untermauern, sondern wirklich mal Fakten auf den Tisch legen könnten,

(Helmut Seifen [AfD]: Wir haben Ihnen doch Zahlen genannt!)

an denen wir hier arbeiten könnten und die uns weiterbringen würden. – Danke.

(Beifall von der CDU – Helmut Seifen [AfD]: Hervorragende Politik! Sie sollten sich schämen!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Franken. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Kapteinat.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen und Kolleginnen! Sie haben gerade selbst schon darauf hingewiesen: Kirchenasyl findet seinen Ursprung im Heiligenasyl, ein Ort oder auch eine Person, an der damals verfolgte Personen Schutz finden konnten. Heiligenasyl gehört übrigens zu den ersten kulturellen Eigenschaften der Menschheit und hat Eingang in nahezu alle Kulturen gefunden, auch in die unsere. Wir als SPD-Fraktion stehen zu diesen traditionellen Kulturen und Werten.

Insbesondere nach Ihrer Zwischenintervention ist mir nicht mehr ganz klar geworden, auf was Sie in Ihrer Rede hinauswollten, und erst recht nicht, auf was Sie in Ihrem Antrag hinauswollten. Es ist übrigens auch nicht so, dass die Kirche beansprucht, über Sonderrechte zu verfügen.

Sie beziehen sich in Ihrer Begründung für das Kirchenasyl nicht nur auf die Tradition, sondern auch auf Art. 4 GG und Art. 16a GG. Darüber hinaus gibt es die bestehenden Regelungen – der Kollege hat sie vorhin angesprochen – zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Kirchen, die Sie so gern in Ihrem Antrag erwähnen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Genau!)

Es ist dementsprechend keine einseitige Entscheidung der Kirchen, sondern es ist eine Verabredung zwischen der Bundesbehörde, also dem Staat, und unseren Kirchen. Es gibt klare Regelungen und klare Voraussetzungen für Kirchenasyl.

Gerade wurden schon einige Zahlen für NRW genannt. Ich finde, es macht aber durchaus Sinn, auch bundesweite Zahlen zu nennen, um deutlich zu machen, über welchen Umfang wir hier wirklich sprechen. Im Oktober 2018 gab es deutschlandweit 531 Fälle, in denen Kirchen Menschen Asyl gewährt haben. 531 Fälle! Übrigens: 95 % dieser Fälle haben in einem regulären Asylverfahren geendet. Ein Großteil dieser Verfahren hat dann auch noch mit einem Bleiberecht der Betroffenen geendet.

Insofern ist die Frage zu stellen, ob das nicht vielleicht sehr sinnvoll und sehr richtig war und ob insbesondere die Gemeinden, die sich die Entscheidung, ob sie Kirchenasyl gewähren oder nicht, auch nicht leicht machen, nicht doch sehr richtig gehandelt haben.

Dementsprechend wäre es gut, wenn diese Einzelfälle noch einmal geprüft würden; denn das entspricht einfach der Menschlichkeit. Ich weiß, dass das dem einen oder anderen Kollegen fehlgeht, Herr Loose.

Der Großteil Ihres Antrags besteht ja aus Zitaten, die Sie aus einem Urteil des Oberlandesgerichts München herausgerissen haben. Diesbezüglich erlaube ich mir zwei Anmerkungen.

Das Sozialgericht – ebenfalls in München – hat in einem anderen Fall des Kirchenasyls sogar entschieden, dass ein Leistungsanspruch beim Jobcenter auch bei bestehendem Kirchenasyl weiterhin besteht.

Darüber hinaus wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, das Urteil in Gänze zu lesen und nicht lediglich einige Ihnen passende Punkte herauszugreifen; denn gerade in diesem speziellen Urteil wurde zugunsten des Flüchtlings entschieden, der sich im Kirchenasyl befunden hat, und zwar genau wegen der Vereinbarung mit dem BAMF.

Es ist nicht so, dass die Kirchen blind jedem Kirchenasyl gewähren. Ich denke, das haben die Zahlen, die wir heute gehört haben, schon sehr eindrucksvoll bewiesen. Es sind ganz besondere Härtefälle. Diese werden dann noch einmal geprüft. Das ist die Vereinbarung mit dem BAMF. Das ist auch gut so.

Den allermeisten Parteien unterstelle ich, dass sie versuchen, gute Entscheidungen zu treffen. Aber es sind eben einheitliche Entscheidungen. Da ist für persönliche Schicksale nicht immer Platz. Das wissen wir alle. Das tut uns allen auch oft genug leid.

Die Kirchen helfen an dieser Stelle aus; denn sie machen auf die Fälle aufmerksam, bei denen der Staat vielleicht ein zweites Mal hinsehen muss, um dem einzelnen Menschen gerecht zu werden. Das ist der Gedanke dahinter. Das ist Tradition, und das ist unser Verständnis von Menschlichkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben bemerkt, dass wieder eine Kurzintervention angemeldet wurde, diesmal von Herrn Kollegen Wagner von der AfD-Fraktion. Das Mikrofon ist freigeschaltet.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Erstens. Ich habe eben noch einmal in Artikel 4 Grundgesetz und Artikel 16a Grundgesetz nachgeschaut. Über das Kirchenasyl habe ich da nichts gefunden, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich weiß also nicht, woher Sie das da bekommen. Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens hat mit Sicherheit nichts mit dem Kirchenasyl zu tun. Das Kirchenasyl ist kein Bestandteil unseres Rechtssystems – das Grundgesetz allerdings schon. Aber ein Bestandteil unseres Systems ist die Trennung von Staat und Kirche. Sie ist übrigens auch im Grundgesetz geregelt und wird durch das Kirchenasyl ausgehebelt.

Zweitens. Sowohl Ihr Vorredner als auch Sie haben darauf hingewiesen, dass die Zahl von Kirchenasylanträgen – bzw. Anträge sind es gar nicht, also von gewährtem Kirchenasyl – relativ gering ist, also relativ bedeutungslos ist. Wissen Sie, es gibt ein trauriges Beispiel, das noch jedem vor Augen ist. Das ist der Doppelmord an einer Mutter und ihrem Kleinkind in Hamburg. Der Täter wäre ausgewiesen worden und wäre schon nicht mehr im Lande gewesen, hätte er kein Kirchenasyl beansprucht und damit seine Ausweisung verzögert. Damit hätte es diese beiden Opfer nicht gegeben. Das ist für mich nicht bedeutungslos. Das will ich Ihnen einmal ganz klar sagen. – Danke.

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Wo bleibt da die Menschlichkeit?)

Präsident André Kuper: Bitte schön, Frau Kollegin.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Ich denke, ich muss Ihnen nicht mitteilen, dass nicht jeder Satz, der sich aus dem Grundgesetz ableiten lässt, im Grundgesetz so niedergeschrieben steht. Von einem gewählten Abgeordneten erwarte ich schon, dass er das weiß.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Markus Wagner [AfD]: Das ist wirklich unglaublich!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP erteile ich dem Kollegen Paul das Wort.

Stephen Paul*) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gesellschaft und ihre Wertvorstellungen sind ganz zweifellos von christlicher Barmherzigkeit und von Nächstenliebe geprägt. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, Schutz in Gotteshäusern zu suchen, und zwar schon seit Jahrhunderten. Das Kirchenasyl hat diese lange Tradition. Das Kirchenasyl konnte Schutz gewähren, wenn staatliche Hilfe nicht erreichbar war oder wenn sie gar nicht existierte. Darüber ist eben auch schon gesprochen worden.

Unser heutiger deutscher Staat, die Bundesrepublik, hat ein gültiges Ausländer- und Asylrecht. Gerade unser Asylrecht trägt unsere Vorstellungen von Barmherzigkeit und Nächstenliebe in sich.

Jedoch ist es in einem Rechtsstaat, in dem dieses Grundrecht auch ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe darstellt, natürlich entscheidend, geltendes Recht durchzusetzen. Dies schafft Sicherheit gerade für jene, die legitim Schutz begehren.

Wenn dies in besonderen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, ist das zwar mehr als bedauerlich und manchmal menschlich tragisch. Jedoch ist für die 100 Abgeordneten der NRW-Koalition von Freien Demokraten und Christlichen Demokraten ganz klar: Geltendes Recht soll in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt werden.

Übrigens fordern wir Freien Demokraten ja auch deshalb ein Einwanderungsgesetz, um Zweifelsfälle im Verfahren vermeiden zu helfen und den Menschen den Weg in die Legalität zu öffnen. Unser Minister, Dr. Joachim Stamp, hat dies auch schon vor Monaten klargemacht.

Für die Funktionalität unseres Rechtsstaats ist es wichtig, dass Kirchenasyl nur ganz ausnahmsweise gewährt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Nordrhein-Westfalen gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten belastbare Absprachen zur Handhabung und besonders zur Verhältnismäßigkeit des Kirchenasyls, etwa durch die Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche im Rheinland aus den 90er-Jahren.

Die Kirchen haben gerade eine Vereinbarung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffen, nach der Menschen, die nach dem Dublin-Abkommen zurückgeführt werden müssten, wegen untragbarer Härte nicht zurückgeführt werden, wenn Deutschland von seinem Selbsteintrittsrecht als Staat Gebrauch macht. Hier werden also keine rechtsfreien Räume geschaffen oder geduldet.

Ebenfalls hat man sich darauf verständigt, das Instrument des Kirchenasyls restriktiv anzuwenden und damit kein eigenes Recht neben dem Rechtsstaat und seinen Gesetzen für sich selbst zu begründen.

Nichts anderes sagt auch der Wortlaut des im Antrag der Alternative für Deutschland zitierten Urteils des Oberlandesgerichts München.

Aktuell gibt es übrigens deutschlandweit 531 Fälle von Kirchenasyl. Bei 488 Kirchenasylen handelt es sich um die sogenannten Dublin-Fälle. Dahinter stehen deutschlandweit 857 Personen, davon 186 Kinder. Im Jahresvergleich von 2018 mit 2017 sehen wir eine rückläufige Tendenz. Bei uns im Land Nordrhein-Westfalen selbst reden wir über 201 Fälle von Kirchenasyl. Das sind 291 Personen in unserem großen Bundesland.

Eine so seltene und althergebrachte Praxis wie das Kirchenasyl kann kein Grund für eine solche Aufregung sein, wie sie aus dem vorliegenden Antrag herauszulesen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Es ist der richtige Weg, mit dem Kirchenasyl pragmatisch umzugehen. Ich möchte klarstellen: Eine durch das Kirchenasyl ermöglichte erneute Prüfung eines Asylantrags garantiert ja nicht ein vermeintliches Bleiberecht. Es stellt nur sicher, dass das richtige und rechtsstaatliche Ergebnis gefunden werden kann, und das alles in Einzelfällen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen erteile ich der Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin als Demokratin und als Christin froh, dass es das Kirchenasyl gibt. Dieser freiheitliche demokratische Rechtsstaat ist aus historischem Bewusstsein so souverän, dass er sich in Fragen, bei denen es für Menschen um existenziell gefährdende Situationen geht, einer Verfahrenskritik stellt. Und das ist gut so.

Mir ist nämlich nicht bekannt, dass sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jemals auf ein Unfehlbarkeitsdogma berufen hat oder es auch nur könnte.

Wer Kirchenasyl gewährt, stellt sich nicht über die Verfassung, sondern versucht, ihren Sinn zu erfüllen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht um eine verantwortliche Gestaltung des Lebens nach demokratischen Grundsätzen, die sich auch aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und historischem Bewusstsein speist.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Es entsteht auch kein rechtsfreier Raum. Das Kirchenasyl stärkt den Rechtsstaat, und das Kirchenasyl verhilft dem Recht zum Durchbruch. Das belegen die vielen Fälle, in denen die neuerlichen Prüfungen durch die staatlichen Behörden positiv enden.

Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ hat dazu eine Statistik geführt, die Frau Walger-Demolksy natürlich nicht zitiert hat. Im Jahr 2017 wurden 775 Kirchenasyle beendet, von denen mindestens 716 Fälle mit einem enorm positiven Ausgang, nämlich mit zumindest einer Duldung, geendet haben.

Es ist auch schon erwähnt worden, dass in Nordrhein-Westfalen im Augenblick 121 Kirchenasyle zu verzeichnen sind.

Kirchenasyl ist immer Ultima Ratio und wird von Kirchengemeinden verantwortungsvoll und nach sehr sorgfältiger Prüfung im Einzelfall und nicht leichtfertig gewährleistet, um schwerwiegende humanitäre Härten und drohende Verletzungen von elementaren Grund- und Menschenrechten abzuwenden.

Die Vereinbarungen zwischen dem BAMF und den Kirchen aus dem Jahr 2015 enthalten klare Verfahrensabsprachen. Unter anderem ist dazu ein Dossier einzureichen. Auf Grundlage dieses Dossiers entscheidet das BAMF. Allein aufgrund dieses Prüfvorgangs wird auf die Abschiebung verzichtet.

Von der AfD wird seit Längerem das Kirchenasyl aufs Korn genommen. Das ist schon seltsam. Schließlich wird sich bei den vielen fremdenfeindlichen Äußerungen, die wir erleben, doch so oft auf eine christlich geprägte Gesellschaft bezogen. Das Kirchenasyl entstammt in der Tradition genau der gern beschworenen christlich-humanitären Tradition dieses Kulturkreises.

Es ist kein Rechtsinstitut, aber durch die geltende Vereinbarung in den Rechtsstaatkontext eingebettet. Im Kirchenasyl gilt staatliches Handeln. Nur durch die erneute Einzelfallprüfung durch das BAMF ergibt sich ein rechtliches Abschiebungshindernis, solange die Einzelfallprüfung anhält.

Das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Kirche wird dadurch auch nicht verändert, Herr Wagner. Sie möchten das gern anders konnotieren. Das ist aber nicht so. Dieser säkulare Staat gibt sich die Freiheit, im Rechtsstaat so zu agieren. Das ist staatliches Handeln, was wir begrüßen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

„Der christliche Glaube ist keine politische Überzeugung, hat aber sehr wohl politische Konsequenzen.“

Das hat Präses Annette Kurschus gesagt.

Die Bibel ist voll von Migrations- und Fluchtgeschichten, im Alten und im Neuen Testament. Sie erzählt von der Zuwendung Gottes zu den Menschen. Diese Erfahrung bedeutet für Christinnen und Christen eine Implikation für ihr Handeln. Ihnen geht es um die Verbindung von Glaube und Verantwortung.

Professor Wolfgang Huber formuliert es rechtsethisch, indem er aufzeigt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine Pflicht- und Gegenwartsaufgabe ist, ohne deren Übernahme ein Gemeinwesen die Grundlagen eines humanitären Zusammenlebens verliert.

Ich danke allen, die sich verantwortungsvoll im Kirchenasyl engagieren, und begrüße es, dass der Rechtsstaat sich eingesteht, dass auch bei Behörden Fehler passieren können, die niemals auf Kosten von Menschen, die unter existenziellen Bedrohungen stehen, ausgetragen werden dürfen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt eine Kurzintervention der AfD. – Das Wort erteile ich nun der Abgeordneten Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Danke, Herr Präsident. – Eines sollten wir doch noch einmal klarstellen. Es hört sich hier immer so an, als würde das BAMF eine Entscheidung treffen, und dann sei das Ganze abgeschlossen. Erst einmal gibt es ein Widerspruchsverfahren. Es gibt ein Gerichtsverfahren. Es gibt eine zweite Instanz im Gerichtsverfahren. Es gibt eine Härtefallkommission. Sie sitzen ja auch im Petitionsausschuss und haben auch dann noch einmal die Möglichkeit, eine Empfehlung auszusprechen.

Es gibt also jetzt schon auch ohne Kirchenasyl sehr viele Zwischenwege, die diese Entscheidungen des BAMF zu einer Revision führen können. Ich finde, irgendwann muss es dann auch einmal gut sein. Die Kirche sollte diese Wege ruhig alle unterstützen. Aber beim Kirchenasyl kommen sich Staat und Kirche absolut in die Quere. Das ist für mich nicht akzeptabel. So einfach ist es.

(Beifall von der AfD)

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich habe Ihnen ja eben schon dargelegt, dass es das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in keiner Weise verändert. Die Zahlen habe ich auch schon genannt. Ich will Ihnen aber noch einmal sehr deutlich sagen: Wenn allein im Jahr 2017 bei 755 entsprechenden Dossiers, die herübergereicht wurden, in so hoher Zahl, nämlich 716, mindestens Duldungen oder sogar Aufenthaltsrechte ausgesprochen wurden, heißt das, dass Fehler weiterhin passieren.

(Markus Wagner [AfD]: Ausreisepflichtige!)

Es ist menschlich, Fehler zu machen. Und es ist gut, dass das nicht auf Kosten von bedrohten Menschen gehen kann.

Da Sie, Frau Walger-Demolsky, gerade gesagt haben, das sei alles kein Problem, weil es in hoher Zahl um Dublin-Fälle gehe – das ist richtig –, möchte ich Ihnen einmal solche Fälle aus der Petitions- und Kirchenasylarbeit schildern. Worum geht es denn da?

Das erste Beispiel ist der Fall einer Frau, die zurück nach Portugal überstellt werden sollte, aber in Gefahr stand, in einen Ring von Zwangsprostitution zurückgeführt zu werden. Das Kirchenasyl hat dazu geführt, dass ihr ein Aufenthaltsrecht ermöglicht wurde. – Das ist der erste positive Fall.

Zweiter Fall: Ein Folteropfer, dessen geschundener Körper die Erstprüfer nicht überzeugen konnte, wurde erneut untersucht. Es haben alle – ich habe es mir angeschaut – den Kopf geschüttelt und sich gefragt, wie es in den vorausgehenden Instanzen überhaupt zu einem negativen Ausgang hatte kommen können. Auch da hat das Kirchenasyl positiv gewirkt.

Dritter Fall: Ein Christ wurde nicht in die Verfolgung in sein Heimatland zurückgeschickt, weil er das Kirchenasyl angerufen hat.

Das sind nur wenige Fälle. Sie zeigen, wie vielfältig das Ganze ist und was für ein gutes Instrument das Kirchenasyl darstellt. Wir sollten dankbar dafür sein, dass es dieses Engagement bei uns gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, ich kann das nur bestätigen. Auch ich bin als Demokrat und als Christ froh, dass es das Instrument des Kirchenasyls gibt. Ich sage das natürlich auch als Liberaler; aber dem müssen Sie sich jetzt nicht anschließen.

(Heiterkeit von Henning Höne [FDP])

Frau Beer hat hier entsprechende Fälle genannt. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch erkennen, dass es den Versucht gibt, dieses Instrument systematisch auszunutzen,

(Helmut Seifen [AfD]: Ja!)

beispielsweise mit dem Ziel, die Dublin-Fristen auszuhebeln.

In diesem Zusammenhang müssen Missstände auch angesprochen werden. Das tun wir. Darüber sind wir in engem Austausch mit der evangelischen und der katholischen Kirche. Ich habe auch den Eindruck, dass sich hier Dinge in eine positive Richtung bewegen. Dazu braucht es diesen Antrag nicht. – Danke schön.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung – die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt – über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/3799. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der AfD. Wer ist dagegen? – Das sind FDP, CDU, Grüne und SPD. Ich darf damit feststellen, dass der Antrag Drucksache 17/3799 abgelehnt worden ist.

Ich rufe auf:

Gesetz zur Umsetzung der Pflegeberufereform in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3775

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile zur Einbringung des Gesetzentwurfs Herrn Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs geht es schlicht und ergreifend darum, dass wir die Pflegeberufereform, die in der vergangenen Legislaturperiode im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, zum Jahr 2020 in Nordrhein-Westfalen umsetzen müssen und wollen.

Jetzt kommt es darauf an, dass wir den Übergang von dem bisherigen System in das neue System reibungslos gestalten. Dabei müssen wir immer im Hinterkopf behalten, dass es immerhin um rund 13.000 Auszubildende pro Lehrjahr in der Pflege geht. Wir sprechen hier über ein System, das seit vielen Generationen die Trennung zwischen Kinderkranken-, Kranken- und Altenpflege kennt und im Rahmen der Generalistik zusammengeführt werden muss. Das heißt, dass Schulstrukturen zusammengeführt werden müssen.

Dabei müssen wir natürlich auch im Auge haben, dass dies in einer Weise geschieht, die sicherstellt, dass die Pflege weiterhin ein attraktiver Ausbildungsberuf für die Menschen in unserem Land ist. Denn den Personalbedarf in diesem Bereich – das muss ich heute nicht noch einmal betonen – kennen wir alle. Wir sind für jeden und jede dankbar, der oder die sich vorstellen kann, diesen Beruf zu erlernen. Er oder sie soll dann auch gute Rahmenbedingungen vorfinden.

Erstens geht es also um die Zusammenführung der drei Berufsbilder Kinderkranken-, Kranken- und Altenpflege in einen generalistisch geprägten Pflegeberuf.

Zweitens muss es eine strukturelle Umgestaltung der Finanzierung der Ausbildung durch die Einrichtung eines Ausbildungsfonds geben. Die entsprechenden Spielregeln wurden bereits durch den Bund festgelegt. Vom Kabinett bzw. von mir wurde im Übrigen beschlossen, den Fonds bei einer Bezirksregierung für ganz Nordrhein-Westfalen anzusiedeln. Ich möchte ihn nicht mehr zwischen Landschaftsverbänden und Krankenhausgesellschaft aufgeteilt haben. Vielmehr soll wie bei der Generalistik – so ist es auch richtig – eine Stelle zuständig sein.

Drittens geht es um die Schaffung der Grundlagen für eine primärqualifizierende hochschulische Ausbildung.

Ich will aber auch die Spielräume nutzen, die wir als Land in der Gestaltung haben, um die richtigen Antworten für die Situation in Nordrhein-Westfalen zu finden.

So brauchen wir eine Übergangsregelung für die Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer in den Pflegeschulen. Der Bund sagt einfach: Sie müssen alle einen Master haben und Pflegepädagogik studiert haben. – Diese Leute haben wir aber nicht. Es kann ja nicht sein, dass wir zwar Lehrlinge für die Pflege, aber keine Lehrer haben. Das ist doch nicht sinnvoll. Deswegen möchte ich, dass wir für einen gewissen Übergangszeitraum, solange es noch nicht genug Masterabsolventen in der Pflegepädagogik gibt, auch auf Bachelor zurückgreifen können. Wir müssen diese Frage vernünftig regeln. Natürlich brauchen wir auch eine Übergangsregelung für das heute schon in den Pflegeschulen arbeitende Personal.

Vor dem Hintergrund einer so umfangreichen Ausbildung – vom Arbeitsrecht her handelt es sich im Übrigen nicht um Auszubildende in dem Sinne, wie wir es aus dem Handwerk kennen, sondern um Schülerinnen und Schüler – brauchen wir eine Ombudsstelle, die sich gegebenenfalls – ich hoffe, dass es nicht oft vorkommt – um die möglichen Streitigkeiten zwischen Auszubildenden und Ausbildungseinrichtungen kümmert, ähnlich wie es Handwerkskammern oder Industrie- und Handelskammern im Bereich der dualen Ausbildung tun.

Außerdem wollen wir eine Ermächtigungsgrundlage haben, um den Bedarf für Nordrhein-Westfalen an passgenauen, weitergehenden Regelungen für die Ausbildung und die Ausbildungsstrukturen festlegen zu können – hier zum Beispiel an konkreten Regelungen zur Eignung von Einrichtungen, in denen praktisch ausgebildet wird, und an möglichen Regelungen zur Überführung alter Ausbildungen in ein neues Ausbildungssystem.

Ich bin der Meinung, dass wir einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, dessen Umsetzung notwendig ist. Es kommt nun einfach darauf an, dass wir auch verwaltungsseitig erstklassige Arbeit auf allen Ebenen abliefern, damit der Übergang vom bisherigen System in das neue System so reibungslos wie möglich funktioniert. Das ist mein Ziel.

Die Generalistik finde ich im Grundsatz richtig. Wir müssen jetzt aber auch zusehen, dass wir die Dinge vernünftig gestalten. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Hagemeier das Wort.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Pflege – damit berichte ich Ihnen nichts Neues – gehört zu den Mangelberufen mit steigender Nachfrage, aber unattraktiven Arbeitsbedingungen.

Laut Daten des statistischen Landesamts gibt es in Nordrhein-Westfalen rund 640.000 Pflegebedürftige. Durch steigende Lebenserwartung wird bis 2060 ein Anstieg auf immerhin 920.000 Pflegebedürftige erwartet.

Derzeit arbeiten in unserem Bundesland rund 220.000 Beschäftigte in der Pflege. Aber bereits jetzt fehlen etwa 2.300 Fachkräfte, davon ungefähr die Hälfte in der Altenpflege. Diese Fachkräfte erfüllen eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe: Sie helfen denen, die sich selbst zeitweise oder gar nicht mehr helfen können.

Sie gestalten einen ganzheitlichen Pflegeprozess – von der Feststellung des Pflegebedarfs über die Durchführung einer qualitativ möglichst hochwertigen Pflege bis hin zu Stabilisierung und Aktivierung der Pflegebedürftigen. Viele der Fachkräfte tun das Tag für Tag mit Empathie und großem Engagement.

Ein bloßer Dank ist aber als Wertschätzung nicht genug. Wir in der Politik sind in der Pflicht, die Pflegeberufe aufzuwerten. Mit dem Pflegeberufereformgesetz ist auf Bundesebene ein wichtiger und richtiger Schritt dazu eingeleitet worden.

Die Sicherung einer qualitätsvollen Pflegeversorgung ist eine der gesellschaftspolitisch wichtigen Aufgaben der nächsten Jahre. Es ist unbedingt erforderlich, dass künftig in der Pflegeausbildung unter Berücksichtigung des pflegewissenschaftlichen Fortschritts Kompetenzen zur Pflege von Menschen aller Altersgruppen und in allen Pflegesettings vermittelt werden. Moderne, sich wandelnde Versorgungsstrukturen erfordern eine übergreifende pflegerische Qualifikation.

Ziel der Pflegeberufereform ist es, die Pflegeberufe zukunftsgerichtet weiterzuentwickeln, sie attraktiver zu machen und inhaltliche Qualitätsverbesserungen vorzunehmen. Es soll ein modernes, gestuftes und durchlässiges Pflegebildungssystem geschaffen werden, das die Ausbildung der zukünftigen Pflegefachkräfte derart ausgestaltet, dass sie den Anforderungen an die sich wandelnden Versorgungsstrukturen sowie zukünftigen Pflegebedarfen gerecht wird und zugleich die notwendige Basis für die im Sinne lebenslangen Lernens erforderlichen Fort- und Weiterbildungsprozesse bildet.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Beschreiben Sie die doch einmal!)

Die bisherigen drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege werden bundesweit reformiert und zu einem einheitlichen Berufsbild zusammengeführt. Die bestehende Dreigliederung der Pflegeberufe wird aufgehoben.

Was der CDU-Bundesgesundheitsminister auf den Weg gebracht hat, erfordert, wie bereits erwähnt, auch Handlungen von unserem nordrhein-westfälischen Landes-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Das Bundesgesetz enthält eine Reihe von Vorschriften, die zwingend einer Umsetzung durch Landesrecht bedürfen.

Aufgrund des komplexen Rechtsetzungsverfahrens des Bundes und zur Vermeidung einer Verzögerung beraten wir vorliegend einen Gesetzentwurf, der die aktuell regelbaren gesetzlichen Vorschriften enthält. Von den meisten vom Pflegeberufegesetz eingeräumten landesgesetzlichen Ermächtigungen wird im Landesausführungsgesetz Pflegeberufe Gebrauch gemacht.

Um hinreichend flexibel auf Regelungsnotwendigkeiten der Praxis eingehen zu können, sollen dem für die Pflegeberufe zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales umfangreiche Verordnungsermächtigungen eingeräumt werden – beispielsweise für eine Verordnung zur Regelung der Klassenraumgröße.

Die wesentlichen Änderungen, über die wir heute sprechen, betreffen eine Vereinfachung der Lehrqualifikationen für Dozenten an Pflegeschulen. Für eine Übergangsregelung ist ein Bachelorabschluss unter Umständen ausreichend.

Es geht auch um die Schaffung einer Ombudsstelle, die bei der Bezirksregierung Münster zur Schlichtung von möglichen Streitigkeiten zwischen Auszubildenden und Ausbildungseinrichtungen bzw. Schulen eingerichtet werden soll. Dies ist eine reine Formalie, die in diesem Hause unstrittig sein sollte.

Die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit in der Pflege müssen insgesamt verbessert werden. Zu diesem Fakt sehe ich objektiv keinen Diskussionsbedarf.

Dazu gehört auch, dass mehr junge Menschen eine Ausbildung in der Pflege aufnehmen. Schon heute ist die Ausbildung in der Pflege geprägt von der Vermittlung vielseitiger fachlicher Kompetenzen. Durch die Pflegeberufereform, über die die Ausbildung ab 2020 generalistisch erfolgt, wird sie noch attraktiver und moderner werden. Diese jungen Menschen sind eine tragende Säule unseres Gesundheitssystems. Die Ausbildung in einem Pflegeberuf bietet ihnen eine zukunftssichere Karrieremöglichkeit.

Lassen Sie uns heute gemeinsam diesen wichtigen Grundstein legen und den Antrag zur weiterführenden Beratung an den federführenden Ausschuss überweisen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Weng das Wort.

Christina Weng (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sicherstellung der Pflege ist die große Herausforderung im Zuge des demografischen Wandels. In Nordrhein-Westfalen werden laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Jahr 2035 907.000 Menschen pflegebedürftig sein. Das sind 34 % mehr als 2015. Dafür benötigen wir allein in Nordrhein-Westfalen eine halbe Million Pflegekräfte, also rund 44 % mehr als heute.

Doch unter den aktuellen Rahmenbedingungen wird es schwierig, ausreichend viele junge Menschen für einen Pflegeberuf zu begeistern. Und dieser Beruf ist einfach schön.

Ich als ausgebildete Krankenschwester und weitergebildete Fachschwester für Innere und Intensivmedizin habe nicht vergessen, was es heißt, seit Jahren tagtäglich dem zunehmenden Zeitdruck und der wachsenden Arbeitsverdichtung ausgesetzt zu sein. Deutschland ist vor allem in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht stolz, zu den Spitzenreitern zu zählen. In der Pflege hingegen nimmt Deutschland eine beschämende Spitzenposition ein: Eine Pflegekraft im Krankenhaus muss in Deutschland durchschnittlich zehn Patientinnen oder Patienten versorgen. In Norwegen sind es vier.

Richtig heikel ist die Situation im Nachtdienst. In den Pflegeeinrichtungen ist eine Pflegekraft im Schnitt für 52 Bewohnerinnen und Bewohner verantwortlich. Das bedeutet neun Minuten Pflege pro Person – mit sämtlichen Tätigkeiten wie Lagerung, Medikation, Dokumentation, Hygiene etc.; ganz zu schweigen von den eventuellen Notfällen.

Im Krankenhaus sind Pflegekräfte nachts für rund 30 Patientinnen und Patienten verantwortlich. Körperliche Anforderungen, schweres Heben, Schichtdienste gepaart mit immensem psychischem Druck sind in dieser Branche Realität. Es ist also kein Wunder, dass Pflegende die Berufsgruppe mit dem größten Berufsunfähigkeitsrisiko durch psychische und physische Erkrankungen darstellen. Ein Indiz für die hohe Belastung ist der kurze Verbleib von gut ausgebildetem Pflegepersonal.

Der Pflegenotstand hat fatale Folgen für die Patientinnen und Patienten. Eine groß angelegte internationale Studie der University of Pennsylvania belegt, dass mit der Arbeitslast des Pflegepersonals nicht nur die Behandlungsqualität sinkt, sondern auch die Mortalität der Patientinnen und Patienten steigt. Daher sind wir uns vermutlich alle darüber einig, dass eine Pflegeberufereform mehr als überfällig ist, um die Attraktivität des Berufs zu steigern und die auseinanderklaffende Lücke zwischen Pflegebedarf und Pflegepersonal zumindest teilweise zu mildern. Nicht ohne Grund haben Pflegekräfte der Unikliniken Düsseldorf und Essen in erster Linie für Entlastung gestreikt.

Doch im Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses auf Bundesebene, den es nun auf Landesebene umzusetzen gilt, kann von einer tatsächlichen Reform nicht die Rede sein. Vielmehr verschlimmbessert das Gesetz die derzeitigen Missstände durch ein verschulteres System, durch drohende Dequalifizierung und durch hierarchischere Strukturen.

So gut es ist, dass endlich das Schulgeld für die Pflegeausbildung abgeschafft wird, bleibt eines der zentralen Probleme ungelöst: Die Pflegeberufe – allen voran die Altenpflege – leisten professionelle und eine gesellschaftlich so wichtige Aufgabe, werden aber dafür viel zu wenig entlohnt. Die Unionsparteien auf Bundesebene haben gegenüber den privaten Pflegeanbietern so viele Zugeständnisse gemacht, dass nicht mehr viel übrig geblieben ist von der Aussicht auf bessere Verdienstmöglichkeiten. Was bleibt, ist ein Gesetz, das den Namen Reform nicht verdient.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Nadja Lüders [SPD])

Sie, Herr Laumann, waren Pflegebeauftragter der Bundesregierung, als das Pflegeberufereformgesetz erarbeitet wurde. Sie hätten die Chance gehabt, auf Ihren Parteikollegen Gröhe einzuwirken und einen tatsächlichen Mehrwert für die Pflege zu schaffen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Haben wir doch!)

Stattdessen haben Sie zugelassen, dass Ihre Fraktion die Pflegeberufereform komplett verwässert und dass das Gesetzgebungsverfahren noch dazu um ein Jahr verzögert wird.

(Minister Karl-Josef Laumann: Da war ich aber schon weg! – Heiterkeit)

Die Arbeitgeberinteressen in den Vordergrund zu stellen, wird das Problem des dramatischen Fachkräftemangels in der Pflege nicht lösen, sondern weiter verschärfen. Die Attraktivität des Pflegeberufs lässt sich nur steigern, wenn wir die Pflegenden in den Mittelpunkt unseres politischen, gestalterischen Handelns stellen und uns am Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten orientieren.

Das sollten wir auch in der Debatte im Ausschuss tun. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Ich danke auch – und erteile für die FDP der Kollegen Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Pflegekräfte in der Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege verdienen größten Respekt für ihre verantwortungsvolle Arbeit im Angesicht hoher Anforderungen und Arbeitsbelastungen. Ohne sie wäre die Versorgung der Patientinnen und Patienten in unseren Krankenhäusern sowie der pflegebedürftigen Menschen in Heimen oder der durch ambulante Dienste Gepflegten nicht denkbar. Ihnen möchte ich im Namen der ganzen FDP-Fraktion herzlich danken.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt unser Land das Pflegeberufegesetz des Bundes um. Der Entwurf enthält notwendige Zuständigkeitsregelungen, wie die Einrichtung einer Ombudsstelle, eine befristete Ausnahme für die Qualifikation von Lehrkräften an Pflegeschulen sowie Verordnungsermächtigungen. Das sind überwiegend technische Regelungen, die kaum einer Debatte bedürfen.

Ich möchte daher grundsätzlich auf ein paar Aspekte der Pflegeberufereform eingehen. Die Reform sieht die Zusammenführung der bisher geforderten Ausbildung in Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege zu einer einheitlichen, generalistischen Pflegeausbildung vor. Damit verbunden ist die Hoffnung, durch eine stärkere Verknüpfung der Ausbildung in den Pflegeberufen eine Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes zu erreichen.

Mehr Attraktivität und Qualität der Ausbildung in den Pflegeberufen sind auch das Ziel der Freien Demokraten. Wir brauchen zusätzliches qualifiziertes Personal für die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen.

Doch werden wir mit dieser Reform aus dem Deutschen Bundestag die angestrebten Ziele erreichen? Da haben wir leichte Zweifel. Wir sehen die Gefahr, dass die Reform zulasten gerade der bisherigen Ausbildung in der Altenpflege geht und so zum Abbau von Kapazitäten in der Ausbildung führen kann. Das wäre fatal für die Zukunft der Pflege in Deutschland.

In der praktischen Ausbildung sollen die Trägerbetriebe für die Koordinierung aller Einsätze verantwortlich sein. Gerade kleinere Pflegeheime und ambulante Dienste werden damit durch zusätzliche Bürokratie belastet, was sicherlich nicht die Bereitschaft zur Ausbildung fördert.

Aber auch die bisherigen Altenpflegeschulen sind gegenüber den Krankenpflegeschulen in Bezug auf ein umfassendes Unterrichtsangebot mit entsprechend qualifizierten Lehrkräften benachteiligt.

Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP hat dieses Problem erkannt. Wir werden die monatliche Schulkostenpauschale des Landes für die Ausbildung in der Altenpflege von 280 auf 380 Euro je Schulplatz erhöhen. Dazu werden wir den entsprechenden Haushaltsansatz um 22,5 Millionen Euro auf insgesamt 85,5 Millionen Euro aufstocken.

Das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Pflegeschulen. Wir können damit die Voraussetzung für gute Ausbildungsstrukturen – gerade auch im Hinblick auf die Pflegeberufereform – schaffen. Dennoch müssen wir überlegen, wie wir die Schulen und Betriebe der bisherigen Altenpflegeausbildung weiter unterstützen können.

Mir liegt auch die Assistenzausbildung in der Pflege sehr am Herzen. Diese kann den Einstieg in die Pflegeberufe für Hauptschulabsolventen, für Menschen mit Erfahrung in der Pflege ihrer eigenen Angehörigen sowie für Bewerber mit Einwanderungsgeschichte erleichtern, für die ein direkter Einstieg in eine dreijährige Ausbildung nicht infrage kommt. Die einjährige Ausbildung bietet eine Möglichkeit, mehr Menschen für eine Beschäftigung in der Pflege zu gewinnen.

Wir sollten und müssen jedem, der in diesem schönen und zukunftssicheren Bereich arbeiten möchte, die Möglichkeit dazu geben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Leider sind die Zahlen in diesen Ausbildungen überschaubar. Das liegt sicher auch an der kritischen Haltung der früheren Grünen-Ministerin, die dem Aufbau zusätzlicher Ausbildungsangebote eher Steine in den Weg gelegt hat.

Ich erinnere mich gut an einen Besuch in einem Fachseminar, in dem es nicht nur 30 Bewerber, sondern auch die nötigen Ressourcen für deren Ausbildung gab. Das damalige Gesundheitsministerium lehnte aber ab. – Ein solches Vorgehen ist bei der jetzigen NRW-Koalition mit Sicherheit undenkbar.

Wir werden im kommenden Haushalt die freiwillige Förderung des Landes von 660 auf 1.000 Plätze erhöhen. Mit der Pflegeberufereform wird zukünftig zusätzlich eine zweijährige Assistenzausbildung stärker im Fokus stehen: Ein weiterer Baustein, um für jeden Bewerber ein passgenaues Angebot zu finden – für eine gute Pflege für die Menschen in unserem Land. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Für die Grünen erteile ich dem Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schneider, Ihre Reden sind immer so angelegt, dass Sie zuerst den Sachverhalt ein Stück weit schildern und dann eine Nebelkerze werfen. Hinsichtlich der Pflegeausbildung will ich an diesem Punkt ansetzen:

Was der rot-grünen Koalition in der letzten Legislaturperiode gelungen ist, ist eine Verdopplung der Altenpflegeplätze in Nordrhein-Westfalen. Kein anderes Bundesland hat im Bereich „Pflege“ annähernd so erfolgreich gearbeitet wie Nordrhein-Westfalen – das ist die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bis Sie das gesagt hatten, dachte ich: Komisch, zum ersten Mal habe ich eine Menge Überschneidungen mit der Einschätzung der FDP und der Kollegin Frau Schneider.

(Heiterkeit von Susanne Schneider [FDP] und Henning Höne [FDP])

– Wenn Sie das witzig finden und es für einen Sport halten, mag das so sein. Ich würde das aber gerne inhaltlich bewerten.

Die Altenpflege wird meine große Sorge für die nächsten Jahre sein. Herr Minister Laumann, wir haben ja nicht nur dieses Pflegeberufegesetz, sondern auch ein Pflegestärkungsgesetz, das ausgerechnet diejenigen stärkt – was, weil es zu lange verschlafen wurde, auch richtig und notwendig ist –, die zumindest in Nordrhein-Westfalen am wenigsten für die Pflegeausbildung getan haben: die Krankenhäuser. Und das ist sehr eindeutig; denn es sind dort keine Ausbildungsplätze hinzugekommen – in der Altenpflege hingegen immerhin 10.000 pro Jahrgang.

Dass die Krankenkassen jetzt vollumfänglich jeden neuen Pflegeplatz finanzieren werden, wird – wie die letzten Jahre gezeigt haben – das Potenzial für diejenigen, die in die Altenpflege gehen wollen, deutlich reduzieren. Diese Einschätzung teilen eigentlich alle.

Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Warum machen wir das hier heute? – Weil der Bund – statt sich um die Quantität zu kümmern – der Meinung gewesen ist, es müsse – durch die Vereinheitlichung der Pflegeausbildung – etwas an der Qualität getan werden. Die beiden Aspekte wurden nicht zusammengebracht.

Was wird die Folge sein? – Die Altenpflege wird in den nächsten Jahren deutlich geschwächt werden. Frau Kollegin Weng hat aus meiner Sicht schon alle Punkte richtig ausgeführt. Die Qualität ist auf Bundesebene insbesondere in der Altenpflege gesenkt worden und man ist den privaten Anbietern aus völlig unerklärlichen Gründen – es sei denn, man möchte Klientelpolitik machen – entgegengekommen. Das ist völlig falsch und ein schlechter Ausgangspunkt für diese Reform. Daran kann jetzt der Minister hier nichts mehr ändern; er war aber ja durchaus auch in der Bundesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich teile inhaltlich eins zu eins die Einschätzung von Frau Weng. Leider aber hat die SPD im Bund es mitgetragen.

Der Kollege von der CDU hat vorhin vorgetragen, wir bräuchten eine attraktivere und zukunftsfähigere Altenpflegeausbildung. – Das wird es so nun nicht geben. Wir werden Leute, die eigentlich in die Altenpflege gehen wollten, durch die Rahmenbedingungen – das Pflegestärkungsgesetz und die anderen von mir angesprochenen Punkte – eher davon abhalten. Es wird nicht attraktiver, im Gegenteil.

Die derzeitige Situation in der Altenpflege ist folgendermaßen: Es ist zu wenig Personal vorhanden und – das muss man sich mal vorstellen – in anderen Bundesländern muss noch Schulgeld für die Altenpflegeaus­bildung bezahlt werden.

Der Bundesgesundheitsminister hat es in der letzten Legislaturperiode nicht geschafft, ein überzeugendes und umfassendes Konzept vorzulegen – heute ist die Situation unverändert.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])

Herr Minister, ich bin sehr gespannt, wie es weitergehen soll.

Frau Kollegin Schneider hat es angesprochen: Wenn man für die generalistische Ausbildung ist, dann muss man konsequent sein und die Altenpflege auch hinsichtlich der Finanzierung mit der Krankenpflege gleichstellen. Das kann nichts anderes heißen, als dass das Niveau in der Altenpflege einer Ausstattung mit mindestens 500 Euro pro Pflegeplatz entsprechen muss. Genau das werden wir beantragen.

Man kann nämlich nicht Anforderungen auf Bundesebene stellen und als Pflegebeauftragter eine Gleichstellung fordern, und dann aber denjenigen in der Krankenpflegeausbildung über 500 Euro pro Platz zur Verfügung stellen, und in der Altenpflegeausbildung wird gerade mal von 280 auf 380 Euro …

(Minister Karl-Josef Laumann: Deswegen mache ich ja jetzt auch was!)

– Nein, das reicht nicht aus, Herr Minister.

(Minister Karl-Josef Laumann: Werfen Sie mir nicht vor, ich hätte nichts gemacht!)

– Das ist doch Stümperei. Sie haben nur 380 Euro vorgesehen; und Sie haben dieses Gesetz auch nicht gemacht. Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat abgelehnt, was Sie auf Bundesebene vorgelegt haben – und zwar aus sehr guten, inhaltlichen Gründen und weil Sie die Finanzierung nicht nachliefern.

Das fehlt an dem Ganzen. Sie müssen auch offen zugestehen, dass Sie den Teil bei der Altenpflege eben nicht nachgeschoben haben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir natürlich dieses Gesetz ausführlich beraten. Die Fehler liegen in der Vergangenheit. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD erteile ich der Kollegin Dworeck-Danielowski das Wort.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor uns liegt der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Pflegeberufereform in Nordrhein-Westfalen. Das klingt erst mal ziemlich dröge, ist aber alles anderes als dröge, denn es ist ein wirklich wichtiges Thema.

Der mittlerweile fast omnipräsente Pflegenotstand betrifft die meisten Menschen auch persönlich in irgendeiner Form: Entweder man hat selber beruflich damit zu tun, man ist selber gegebenenfalls pflegebedürftig oder hat Angehörige, die pflegebedürftig sind, und somit hat man seine ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht. Deshalb betrifft es jeden Einzelnen von uns, dass sich in der Pflege tatsächlich etwas tut.

Auch wir von der AfD-Fraktion sind froh und auch ein wenig hoffnungsvoll, dass sich mit der Pflegeberufereform mehr junge Menschen für den Pflegeberuf interessieren und ihn dann tatsächlich auch ergreifen. Die Vorzüge liegen auf der Hand. Deutschlandweit bekommen Azubis künftig eine angemessene Vergütung, das Schulgeld entfällt, die generalistische Ausbildung entspricht den EU-Richtlinien und macht es auch deutschen Pflegekräften gegebenenfalls eines Tages einfacher, ins Ausland zu wechseln.

Kontroverser wäre sicherlich die Finanzierungsverordnung, die hier allerdings noch nicht zur Debatte steht, die insbesondere bei den privaten Anbietern einige Fragen offengelassen hat, zum Beispiel: Wie verhält es sich denn im Übergangszeitraum? Für einen mittelständischen ambulanten Pflegedienstanbieter ist es schon nicht ohne Bedeutung, ob man gegebenenfalls gleichzeitig in zwei Umlagetöpfe zahlen muss, einmal für das alte Ausbildungssystem und schon für das neue Ausbildungssystem. Jenseits dieses Klein-Kleins ist es richtig und wichtig, dass die Veränderung in Fahrt kommt.

Allerdings, ich glaube nicht, dass die Pflegeberufereform alleine dazu führen wird, dass mehr junge Menschen nach Abschluss der Schule einen sozialen Beruf ergreifen. Die Probleme in der Pflege wurden nun – wir haben es heute gerade in vorangegangenen Redebeiträgen gehört – sehr deutlich in den öffentlichen Fokus gerückt.

Einerseits ist das gut, denn deshalb stehen wir heute hier, und es werden Veränderungen eingeleitet; aber die andere Seite der Medaille ist doch auch, dass der öffentliche Diskurs in Bezug auf den Pflegeberuf vor allem vom Schlechtreden der Pflege bestimmt wird: schlechte Bezahlung, hohe Belastung, Gewalt in der Pflege, wenig Planungssicherheit, wer seinen Beruf liebt, kann ihn nicht angemessen ausüben, Überstunden, ein zu frühes Ende der Erwerbsbiografie wegen Bandscheibenvorfällen, Burnout usw. sind ständig Thema im Zusammenhang mit Pflege.

Ja, da frage ich mich doch allen Ernstes: Wie will man denn einen jungen Menschen für diesen Beruf begeistern und ihn dazu motivieren, diese Ausbildung zu machen, wenn wir jeden Tag von morgens bis abends hören, wie schlecht das alles ist?

Wir verstehen die Klagen über diese Missstände. Ich habe es gerade schon gesagt: Das ist vielleicht auch die Voraussetzung dafür, dass sich tatsächlich etwas tut. Meiner Meinung nach reicht das nicht aus. Jetzt ist es an der Zeit, auch das Image der Pflege ganz bewusst und gesteuert zu verbessern.

(Beifall von der AfD)

Und das hat auch mit Werten zu tun. Da, wo Bildungsrendite, Work-Life-Balance und Spaßhaben vor allen Dingen die Berufswahl bestimmen, werden soziale Berufe, egal ob Pfleger oder Erzieher oder sonst was, weiterhin das Nachsehen haben. Deswegen verfolgen wir die im Bund angestoßene Diskussion über die allgemeine Dienstpflicht mit großer Neugier.

Herr Laumann, Sie haben mal gesagt, Sie halten nichts von der allgemeinen Dienstpflicht, weil Sie von niemandem gepflegt werden wollen, der dazu gezwungen wird. Ich persönlich sehe das schon etwas anders. Auch da ist es für mich eine Frage der Einstellung dazu und eine Frage der Werte.

Zahlreiche junge Menschen nehmen sich nach der Schulzeit eine Auszeit, wollen erst mal jobben, Erfahrungen sammeln, warten auf ihren Studienplatz, wollen neue Eindrücke im Ausland gewinnen. Work and Travel in Australien und Neuseeland sind so etwas von en vogue, und es ist hip, am anderen Ende der Welt beim Bauer oder Winzer für Kost und Logis zu helfen. Warum kann es nicht auch hip sein, im eigenen Land dort anzupacken, wo man gebraucht wird?

(Beifall von der AfD)

Wir beklagen so häufig, dass viele Menschen sich danach sehnen, einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen, dass jeder ein Recht auf Teilhabe hat. Auch da sehe ich in der Debatte um die allgemeine Dienstpflicht eher eine Chance.

Mir ist klar, in der Tat geht es bei Ihrem Gesetzentwurf nicht um diese Dinge. Da geht es um Ombudswesen, Fristen usw. Aber ich bin überzeugt: Wir müssen auch über Werte sprechen, wenn wir junge Menschen für die Pflegeberufe gewinnen möchten. – Vielen Dank, und wir sind gespannt.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/3775 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Wirtschaftsausschuss. Wenn Sie dieser Überweisungsempfehlung nicht folgen wollen, dann bitte ich um das Handzeichen. – Möchte sich jemand enthalten? – Dann haben wir diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

Keine Doppelmandate im Landtag NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3798

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Strotebeck von der AfD das Wort.

Herbert Strotebeck (AfD): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Diese Woche ist Sitzungswoche – nicht nur hier im Landtag, sondern auch im Bundestag und im EU-Parlament. Dass ein Abgeordneter nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann, das liegt in der Natur der Sache. Das Amt eines Abgeordneten erfordert den ganzen Menschen, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt. Es ist an der Zeit, dass auch wir in Nordrhein-Westfalen uns zu dieser Feststellung bekennen.

(Beifall von der AfD)

Es ist in vielerlei Hinsicht nicht möglich, zwei Vollzeitmandate auszuüben. Nur juristisch ist es bei uns in NRW nach wie vor möglich. Anders als in einigen anderen Landtagen sind hier Doppelmandate ausdrücklich erlaubt.

Warum gibt es überhaupt Doppelmandate? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellt fest: Doppelmandate entstehen, weil Abgeordnete der Landesparlamente ihr Mandat häufig als Karrieresprungbrett nutzen, um sich in den Bundestag wählen zu lassen.

(Helmut Seifen [AfD]: Lindner!)

Die AfD fordert daher, dass es künftig keine Sprungbretter im Landtag von Nordrhein-Westfalen mehr geben darf.

(Zuruf von der SPD)

Gerne liefern wir auch gleich einen Vorschlag mit, wie das erreicht werden kann. Dem Landeswahl- und bzw. Abgeordnetengesetz müsste folgender Satz hinzugefügt werden: „Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages und der Volksvertretungen anderer Länder dürfen dem Landtag nicht angehören.“ – Ende.

Doppelkassierer und Abgeordnete, die sich vor Neuwahlen mit einem Zweitmandat absichern wollen, wären so nicht mehr möglich.

Genau dieses Doppelmandatsverbot steht im Abgeordnetengesetz von Thüringen und in ähnlicher Weise in der niedersächsischen Verfassung. Auch ein Doppelmandat im Bundestag und im EU-Parlament ist seit mehr als einem Jahrzehnt verboten. Warum folgen wir nicht den positiven Beispielen aus anderen Landesparlamenten? – Heute haben wir die Möglichkeit, unser Parlament und damit die Demokratie zu stärken.

Glücklicherweise kommen Doppelmandate nicht häufig vor, aber sie kommen vor, in allen Parteien und in allen Parlamenten. Ja, leider auch die AfD hatte Doppelmandatsträger.

Dem können wir als Landtag NRW für die Zukunft einen Riegel vorschieben. Alle würden davon profitieren. Der Bürger hätte Politiker, welche sich voll und ganz auf ihre Macht und ihr Mandat konzentrieren können. Doppelmandate und auch zahlreiche andere Nebentätigkeiten könnten ein Grund dafür sein, dass manche Abgeordnete zu wenig Zeit für ihr Landtagsmandat haben und höhere Mitarbeiterpauschalen benötigen.

(Beifall von der AfD)

Interessanterweise berichtete sogar die „Rheinische Post“ im August, dass der aktuelle Landtag trotz der erhöhten Mitarbeiterpauschalen weniger arbeitet als die beiden vorherigen, und fordert eine Reduzierung.

Ich nehme wohlwollend zur Kenntnis, dass die Stoßrichtung des AfD-Antrags über Parteigrenzen hinweg geteilt wird. Ein baden-württembergischer CDU-Landtagsabgeordneter sagt, es sei inkonsequent, dass ein Bürgermeister nicht zugleich Landtagsabgeordneter sein darf, aber eine Tätigkeit im Europaparlament und im Landtag miteinander vereinbar sein soll.

Ein hessischer SPD-Bundestagsabgeordneter hält eine doppelte Mitgliedschaft weder zeitlich noch organisatorisch und vor allem demokratietheoretisch nicht miteinander vereinbar.

Ein FDP-Bundestags- und Vorstandsmitglied, Gero Hocker, sprach sich vor kurzer Zeit für eine Gesetzesnovellierung bezüglich der Doppelmandate aus.

Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Holm macht deutlich, eine ordnungsgemäße Abgeordnetentätigkeit ist mit einem dauerhaften Doppelmandat schon wegen des Arbeitspensums nicht zu bewältigen.

Aus der Politikwissenschaft kommt der Vorwurf, dass Doppelmandate die vertikale Gewaltenteilung unterlaufen und nicht gerechtfertigte Kosten verursachen würden.

Kosten: Bislang werden Bezüge aus Doppelmandaten in NRW nur verrechnet. Nicht verrechnet wird unter anderem die Mitarbeiterpauschale. Wer zum Beispiel im Landtag NRW und im EU-Parlament sitzt, hat ein Mitarbeiterbudget von über 32.000 Euro pro Monat.

Jetzt werden die Redner der anderen Fraktionen möglicherweise unseren Antrag als populistisch, zeitlich unpassend und als nicht notwendig bezeichnen. Vielleicht bekommen Sie sogar noch das Wort „rassistisch“ untergebracht. Das können Sie alles gerne machen, aber das hilft uns nicht weiter. Hier helfen uns nur Taten weiter.

Der „Westfälische Anzeiger“ schreibt übrigens über den AfD-Antrag auf Verkleinerung des Landtags: Die Diskussion über Größe und Kosten eines Parlaments darf kein Tabu sein. – Meine Damen, meine Herren, auch das Thema „Doppelmandat“ würden wir gerne aus der Diskussionstabuzone herausholen und direkt zu einem Gesetzestabu machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordnetenkollegen Hagemeier das Wort.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor nicht einmal einem Jahr haben wir hier im nordrhein-westfälischen Landtag einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Fraktionsgesetzes verabschiedet. An diesem Gesetz sehen wir bis dato keinen weiteren Änderungsbedarf. Um es deutlich zu sagen: Den Antrag der Fraktion der AfD „Keine Doppelmandate im Landtag Nordrhein-Westfalen“ lehnen wir ab, weil wir keinen Handlungsbedarf sehen. Ich komme in meinen Ausführungen jetzt noch zur Begründung.

Es hat seit 1990 nur eine einzige Doppelmitgliedschaft zwischen dem nordrhein-westfälischen Landtag und dem Deutschen Bundestag gegeben. Diese hatte Jürgen W. Möllemann für ein gutes Dreivierteljahr inne.

Aktuell haben wir einen Doppelmandatsträger hier im Landtag, der zugleich ein Europamandat innehat. Der ist über die Liste der AfD eingezogen, auch wenn er dieser Fraktion inzwischen nicht mehr angehört.

(Zuruf von der AfD: Zum Glück!)

Herr Strotebeck, Sie haben gerade selbst sehr intensiv darauf hingewiesen.

Stand der Dinge ist: Landtagsmandatsträger, die zu Bürgermeistern oder Landräten gewählt worden sind, müssen ihr Landtagsmandat niederlegen. Dies gilt jedoch nicht für Kandidaten, die in den Bundestag oder das Europäische Parlament gewählt worden sind. In diesem Fall ist ein Doppelmandat gesetzlich nicht ausgeschlossen.

Wenn wir sehen, dass dies in den letzten 38 Jahren gerade zweimal der Fall war, können wir mit Fug und Recht von Einzelfällen reden. Meine Damen und Herren, nicht alles muss immer gesetzlich geregelt sein.

Nach dem Wahlrechtsgrundsatz der freien Wahl soll das passive Wahlrecht möglichst wenig eingeschränkt werden. Das freie Mandat des Abgeordneten bedeutet, dass ihm keine Vorschriften zu machen sind, an welchen Debatten und Abstimmungen er teilnimmt. Entscheidend muss doch sein, wie die Parteien und ihre Mandatsträger das den Wählerinnen und Wählern begreiflich machen wollen. Das muss dann jede Partei bzw. jeder Mandatsträger selbst regeln. Vielleicht fragt die antragstellende Fraktion einmal bei Ihrem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, Herrn Pretzell, nach, wie er das aktuell regelt.

Ob die AfD bei der Aufstellung der Landesliste hätte berücksichtigen müssen, dass sich ein Doppelmandat anbahnen könnte oder vorab eine Absprache mit ihrem damaligen Mitglied hätte treffen sollen, möchte ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen wagen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Finanziell bringt ein solches Doppelmandat dem Doppelmandatsträger übrigens kaum Vorteile. Die Diäten werden, wie im Abgeordnetenentschädigungsgesetz typischerweise geregelt, ganz oder größtenteils verrechnet.

Es ist – wenn ich das nochmals zusammenfassend sagen darf – keine Sache, die wir zwingend gesetzlich regeln müssen. Es ist eine Sache des Anstands.

Obwohl wir den Antrag heute inhaltlich zurückweisen, bin ich auf Ihre Argumentation im federführenden Hauptausschuss gespannt; dort sehen wir uns ja ein zweites Mal. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD hat nun unsere Kollegin Müller-Witt das Wort.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den ersten Blick klingt das gewählte Thema des Antrags durchaus plausibel. Allerdings stellt man beim Lesen desselben schnell fest: Da will eine Partei über ihre Landtagsfraktion ihre hauseigenen Probleme lösen lassen, und das soll am besten die Landesregierung – die Exekutive – erledigen. Das ist haarsträubend!

(Beifall von Marcus Pretzell [fraktionslos])

Wir als Abgeordnete sind grundsätzlich frei in der Ausübung unseres Mandats, und das ist auch gut so. Doppelmandate lassen aber deutliche Zweifel aufkommen, ob der Mandatsträger, die Mandatsträgerin – der Vorredner hat das schon ausgeführt – den Aufgaben in beiden Parlamenten gerecht werden kann.

Rechtlich ist dieser Zustand, ein Doppelmandat innezuhaben, in NRW derzeit möglich, gleichzeitig wird er aber durch unser Abgeordnetenrecht eingeschränkt. Die Diäten – das wurde eben auch schon erwähnt – aus beiden Parlamenten werden miteinander verrechnet, und das ist gut so. Nordrhein-Westfalen unterscheidet sich damit von anderen Parlamenten, aber auch durch sein modernes Abgeordnetenrecht, das für Transparenz sorgt.

Doppelmandate sind in NRW also legal. Sind sie aber auch legitim? – Mandatsträger haben eine Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und müssen ihnen gegenüber Rechenschaft über die geleistete Arbeit ablegen. Es ist also auch eine Frage der Moral, ob jemand beim Übergang von Mandaten kurzzeitig eine doppelte Mandatierung innehat oder diese Situation als Dauerzustand betrachtet. Es ist allerdings ebenso eine Frage des Selbstverständnisses eines Abgeordneten oder einer Abgeordneten, aber auch des Selbstverständnisses einer Partei, in dem Fall Ihrer Partei. Sie entsenden schließlich die Menschen in Mandate.

Bemerkenswert ist, dass die AfD diesen Zustand über eine längere Zeit hinweg billigend in Kauf genommen hat. Interessanterweise hatte die AfD offensichtlich so lange mit den Doppelmandaten kein Problem, solange die Mandatsträger Mitglieder der Fraktion und der Partei waren.

Grundsätzlich ist es fragwürdig, wenn Mandatsträger ihre Partei und ihre Fraktion verlassen und ihr Mandat nicht zurückgeben. Das ärgert jede Partei. Die Aufgabe des Landtages ist es aber nicht, dieses Problem für eine Partei zu beseitigen.

Bislang hat hauptsächlich die AfD Beispiele für Doppelmandate in ihren Reihen. Herr Meuthen hat sich lange gesträubt, ein Mandat abzugeben. Andreas Mrosek hat Monate gebraucht, um sich zu entscheiden. Es scheint sich hier hauptsächlich um ein AfD-Problem zu handeln.

Unsere Kritik an Ihrem Antrag geht aber noch weiter. Es ist geradezu abstrus, dass Sie die Landesregierung auffordern, Angelegenheiten des Parlaments – der Legislative – zu regeln oder vielmehr für die Regelung einen Entwurf zu fertigen. Das Parlament regelt seine Angelegenheiten aus sich heraus. Wenn Sie aber dennoch den Weg eines gesetzlich geregelten Verbots von Doppelmandaten gehen wollen, hätte man zumindest erwarten können, dass Sie dem Parlament einen Entwurf vorlegen, und zwar über das hinausgehend, was eben mündlich dargelegt wurde.

Klären Sie die Angelegenheit erst einmal auf der Ebene Ihrer Partei. Dann werden Sie in Zukunft – egal ob Parteimitglied oder ehemaliges Parteimitglied – das Parlament mit dem Thema „Doppelmandate“ nicht mehr befassen müssen. Am besten, Sie ziehen Ihren Antrag zurück.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Freimuth jetzt das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu der Aufforderung an die Landesregierung hat Frau Kollegin Müller-Witt schon alles zutreffend gesagt. Ich habe wirklich herzhaft gelacht, weil das in der Tat eine Angelegenheit des Parlaments ist, die wir selber regeln müssen – auch aus unserem Selbstverständnis heraus, dass wir im Übrigen der Gesetzgeber sind.

Als ich den Antrag das erste Mal gesehen habe, dachte ich: Mensch, welche Probleme, welche Herausforderungen. – Derzeit hat ein Abgeordneter des Nordrhein-Westfälischen Landtags – ein ehemaliger Vorsitzender der antragstellenden Fraktion; das wurde schon erwähnt – zwei Parlamentsmandate inne: Landtag und Europa. Im Deutschen Bundestag hat eine Abgeordnete – ebenfalls eine ehemalige Vorsitzende der Partei der Antragsteller – zwei Mandate inne: im Bundestag und im Sächsischen Landtag. Insoweit mögen die Antragsteller hierin in der Tat ein Problem sehen. Dafür bedarf es aber einer Änderung einer bestehenden Regelung?

Rechtlich ist das Doppelmandat in den meisten Parlamenten zulässig. Lediglich die Mitgliedschaft im Bundestag ist mit dem Mandat im Europäischen Parlament unvereinbar, und der Niedersächsische Landtag untersagt die Mitgliedschaft in weiteren Parlamenten. Das wurde bereits angesprochen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich entscheidet der Souverän – die Bürgerinnen und Bürger –, wen er mit einem Parlamentsmandat und mit der Volksvertretung im Parlament beauftragt. Darüber hinaus haben politische Parteien bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten ihre Verantwortung zu prüfen. Und jede und jeder Abgeordnete muss sich selbst gewissenhaft prüfen, ob er sein Mandat nach bestem Wissen und Können ausübt, oder ob ein anderes Mandat, eine andere berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit oder eine persönliche Prioritätensetzung bei ihm möglicherweise Vorrang genießt. Die Bewertung wird in jedem Falle letztlich der Souverän vornehmen.

Der Antrag wird ja in den Hauptausschuss überwiesen. Insofern besteht die Möglichkeit, den Diskussionsraum dort dafür zu nutzen, um zu klären, ob zum Beispiel mit Blick auf die Regelungen zur Anrechnung etwaiger steuerfreier Kostenpauschalen und Funktionszulagen ein Anpassungsbedarf besteht, insbesondere um monetäre Anreize zu minimieren, die man möglicherweise bei der Mandatsmehrung im Familienmodell Pretzell und Petry sehen mag.

Insofern werden wir der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. Für den Antrag sehen wir gleichwohl keine Notwendigkeit, erst recht nicht in der gestellten Form. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Reihe von Sachargumenten sind von den Kollegen von CDU und SPD und von der Kollegin Freimuth von der FDP genannt worden. Ich würde Ihnen von der AfD-Fraktion – wir werden die Debatte im Hauptausschuss ja noch führen – gerne ein Zitat von Gustav Heinemann mit auf den Weg geben, der einmal gesagt hat: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, bei dem weisen an der eigenen Hand die übrigen Finger auf ihn selbst.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

– Ich kann mich gut an den Satz erinnern. – Dazu, dass Sie diese Debatte eher bei sich intern zu führen haben, hat die Kollegin Freimuth eben schon eine Fülle von Namen von Leuten genannt, die sich entweder mal in Ihrer Partei und Fraktion bewegt haben oder aber sich nicht mehr darin bewegen, weshalb Sie hier diesen entsprechenden Antrag stellen. Interessant ist auch, dass Sie ihn erst jetzt stellen und nicht vorher gestellt haben, als Herr Pretzell noch zu Ihrer Fraktion gehörte.

Wir Grüne könnten uns durchaus vorstellen, eine Regelung wie in Thüringen und Niedersachsen zu haben – ich glaube, in Schleswig-Holstein existiert sie auch –, nach der es grundsätzlich keine Doppelmandate gibt. Aber man fragt sich, warum Sie dieses Fass jetzt aufmachen. Wenn man sich die letzten 30 Jahre des Nordrhein-Westfälischen Landtags anguckt, dann stellt man fest, dass es einen einzigen Fall gegeben hat, nämlich – das ist hier eben auch genannt worden – mit Jürgen Möllemann, der gleichzeitig ein Bundestags- und ein Landtagsmandat hatte. Also, die Auffassung, dass es sich hierbei um ein schwerwiegendes Problem handelt, mit dem wir als Landtag uns dringend gesetzgeberisch beschäftigen müssten, teilen wir nicht. Die Landesregierung – das ist eben schon zu Recht gesagt hat – ist der falsche Adressat. Vielleicht machen Sie es so, dass Sie das erst einmal intern für sich bei der AfD regeln und diskutieren, und alles andere können wir im Hauptausschuss miteinander austauschen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Es ist mir zuwider, heute die Fortsetzung jahrelanger innerparteilicher Fake-News-Kampagnen zu erleben, und es tut mir leid um die inhaltlichen Gemeinsamkeiten, die ich immer noch mit einigen Mitgliedern der AfD-Fraktion habe.

In aller Kürze zu den Fakten. Anders, als in Ihrem Antrag behauptet, gibt es bei Doppelmandaten im Europa-Parlament und im NRW-Landtag weder doppelte Diäten noch doppelte Altersvorsorge noch doppelte Kostenpauschalen noch doppelte Sitzungsgelder.

Aber darum geht es Ihnen auch nicht, sondern es geht Ihnen um das Mandat, was Sie gerne hätten für das, was Sie Politik nennen. Sie sind wahrlich schnell angekommen an den Futtertrögen, meine Damen und Herren. Aber ich erkläre Ihnen auch, warum Sie dieses Mandat nicht bekommen werden.

Nachrücker, die für mich in den Landtag einziehen würden, wenn ich mein hiesiges Mandat aufgäbe, haben ganz unverblümt meine Kollegen Neppe und Langguth und deren Familien bedroht, um sie zum Mandatsverzicht zu nötigen. Von Strafanzeigen haben wir zunächst abgesehen und lediglich den Präsidenten des Landtags informiert. Einen der Nachrücker beschäftigt Ihre Fraktion. Solche Leute gehören nicht in Mandate.

Aber es sind auch Absonderlichkeiten Ihrer Fraktion, die das nicht wünschenswert erscheinen lassen:

Wenn Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Seifen seine Ablehnung des Faschismus vor der Jungen Alternative damit begründet, dass der Faschismus junge SS-KZ-Aufseher zur Grausamkeit erzogen habe, die Grausamkeit eigentlich ablehnten, und damit die Verantwortung des Individuums in totalitären Systemen leugnet;

wenn Frau Walger-Demolsky, inzwischen zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aufgestiegen, jahrelang berufsunfähig geschrieben, mit dem Mandat ihre Arbeitsfähigkeit wiederentdeckt,

(Heiterkeit)

der Anstand also sprichwörtlich an den Grenzen des deutschen Sozialstaats endet, während Sie sich zum Anwalt der kleinen Leute aufschwingen;

wenn Herr Blex – zu feige zum Eintritt in die NPD, aber eben verschlagen genug – Leute bei der Infiltration der AfD berät, die offiziell auf Unvereinbarkeitslisten stehen;

wenn Sie dem Wähler konservative Familienpolitik versprechen und Ende letzten Jahres ausgerechnet Frau Dworeck-Danielowski verantwortlich machen, die das angesichts der Berichterstattung über sie aus nachvollziehbaren Gründen immer ablehnte und hier wohl einem besonders perfiden innerparteilichen Scherz zum Opfer fällt;

wenn Ihr Landesvorsitzender Röckemann bislang lediglich damit auffällt, dass er AfD-Anhängern Parteieintritte mit der kommenden Verfassungsschutzbeobachtung schmackhaft machen möchte;

wenn Roger Beckamp seine Lebensgefährtin als Mitarbeiterin selbstverständlich steuerfinanziert von der zu hohen Pauschale – nicht wahr, liebe Kollegen von der AfD – beschäftigte.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Warum diskutieren wir in der kommenden Plenarsitzung nicht darüber, wie die AfD Mandate erringt, wie sie Wahlkampfunterstützung erhält, welche Rolle Ihr Parteivorsitzender und zeitweiliger Doppelmandatsträger Jörg Meuthen dabei spielt, welche Rolle im „Dreieck Schweiz Werbedienstleister AfD“ Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Andreas Keith spielt?

Ist Ihnen bekannt, dass die AfD zur konstituierenden Sitzung des Bundestages mit gleich sechs Doppelmandatsträgern aufwartete?

Ist Ihnen bekannt, dass Leif-Erik Holm als Fraktionsvorsitzender 2016 sagte, die Bürger haben uns hier nicht reingewählt, um nach einem Jahr wieder von der Fahne zu flüchten, und im Januar 2017 bereits sagte, er kandidiert für den Bundestag? Er selbst hatte ein Doppelmandat bis Ende November letzten Jahres. Den wählen Sie hier zum Kronzeugen gegen die Doppelmandate? Meuthen begründete seinen Nichtantritt zur Bundestagswahl wie folgt: Es geht um meine Glaubwürdigkeit; denn ich habe ja gesagt, dass ich Fraktionschef in Baden-Württemberg bleibe. Außerdem wollte er sich um seine beiden jüngeren Kinder kümmern. Unmittelbar nach der Bundestagswahl wechselte er sodann mit Doppelmandat ins Europäische Parlament, und in Baden-Württemberg wird übrigens nicht vollständig verrechnet.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit, Herr Pretzell.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Das von Ihnen verwendete Zitat von Herrn Hagel bezieht sich auf eben jenes Verhalten Ihres Parteichefs.

Sie sehen – entschuldigen Sie, die eine Bemerkung vielleicht noch –, es gäbe hier sicherlich ganz vieles zu diskutieren. Wir könnten natürlich auch, statt alte Rechnungen zu begleichen, das tun, was eine Opposition tun sollte und wofür Sie angeblich hierher gewählt worden sind: Man könnte die Regierung kontrollieren und zu besserer Politik ermuntern.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Ihnen fehlt ganz offenkundig das geistige Rüstzeug und der politische Wille dazu, meine Damen und Herren von der AfD.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Pretzell, eine Kurzintervention ist angemeldet worden von Frau Walger-Demolsky.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Die Zeit kann ich gut gebrauchen.

(Heiterkeit)

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Pretzell, ich bin sehr froh, dass wir es im Verlauf dieser Zeit nie zum Du geschafft haben, und heute weiß ich auch warum: Mit Ihrer Ehrlichkeit ist es wirklich nicht weit her.

Zu dem, was Sie zu Nachrückern gesagt haben, die Sie bedrohen: Das kann nur Uta Opelt sein, die Sie bedroht – wie auch immer.

(Zuruf: Richtig!)

Was Sie zu meiner Person gesagt haben, ist eine Lüge sondergleichen. Ja, es gab eine Zeit, in der ich nicht arbeitsfähig war. Bevor ich kandidiert habe, war ich aber lange wieder arbeitsfähig. Ich habe aber nicht gearbeitet, weil ich fünf Jahre lang meine schwer demenzkranke Mutter betreut habe. Dass das in Ihren Augen keine Arbeit ist, ist etwas anderes.

Dass Sie es heute wagen, einzelne Personen in dieser Art zu diffamieren,

(Zuruf von der SPD: Das ist Ihnen ja fremd!)

obwohl Sie hier selbst die größten menschlichen Versäumnisse dokumentieren, finde ich erstaunlich, Herr Pretzell.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Pretzell, Sie haben jetzt Gelegenheit, in der gleichen Redezeit zu antworten.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Es ist schon erstaunlich. Sehen Sie, zu all diesen jahrelangen Auseinandersetzungen innerhalb der AfD habe ich – wunderbar – sehr häufig, viel zu häufig geschwiegen. Ich habe auch hier über ein Jahr geschwiegen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Sie waren gar nicht hier!)

Aber wenn Sie anfangen, persönliche Nickligkeiten und Auseinandersetzungen in diesen Plenarsaal zu tragen, Frau Walger-Demolsky, will ich Ihnen eines sagen: Man kann einen Krieg zu jeder Zeit beginnen; aber man kann ihn nicht auf dieselbe Weise beenden. – Das ist bedauerlich. Sie hätten das einfach nicht tun sollen, wenn Sie mit der Antwort darauf nicht leben können.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist das erste Mal, dass wir alle miteinander im Landtag Nordrhein-Westfalen – ich gehöre ihm seit 1995 an – so etwas erlebt haben. Ich schalte mich normalerweise auch nicht im Nachhinein ein. Aber ich will sehr deutlich sagen, was geht und was nicht geht.

Dass hier Namen von Menschen, die keine Kolleginnen und Kollegen sind, in einer Plenardebatte geäußert werden, und es hin und her geht, ob Sie bedroht haben, bedroht worden sind oder nicht, das geht in dieser Weise nicht.

Dass sich hier Kolleginnen und Kollegen über private und persönliche Dinge in einem Tagesordnungspunkt einer Plenardebatte in dieser Weise austauschen, mag gehen, aber ich halte das für höchst befremdlich. Ich finde nicht, dass wir im Landtag Nordrhein-Westfalen auf dieses Niveau sinken sollten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Damit danke ich erst mal der Landesregierung, dass sie auch heute bei der üblichen Gepflogenheit bleibt und nicht redet, wenn es um das Abgeordnetengesetz, also um Dinge geht, die der Landesgesetzgeber für das Parlament, für sich selbst, zu regeln hat.

Deshalb schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7 „Keine Doppelmandate im Landtag Nordrhein-Westfalen“.

Ich komme zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3798 an den Hauptausschuss – federführend –, den Rechtsausschuss sowie den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung wird dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Ich rufe auf:

8  Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2992

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales,
Bauen und Wohnen
Drucksache 17/3678

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Schrumpf hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Fabian Schrumpf (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem in der Tat bemerkenswerten Tagesordnungspunkt 7 ist Tagesordnungspunkt 8 „Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen“ geeignet, die Stimmung ein wenig abkühlen zu lassen – ein Tagesordnungspunkt, der eher technischer Natur ist. Deshalb will ich es auch bei kurzen Ausführungen bewenden lassen.

Wir haben im Kern eine Gesetzesänderung, die eine Regelungslücke schließt, die infolge einer Gerichtsentscheidung entstanden ist.

Zum Zweiten geht es mit der Gesetzesänderung darum, es zu ermöglichen, geförderten, modernisierten Wohnraum zu erfassen und zu kontrollieren.

Das sind zwei Punkte, bei denen sich der große politische Diskurs erübrigt. Im Ausschuss wurde der Gesetzentwurf deshalb einstimmig angenommen. Ich bitte auch hier um Zustimmung. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schrumpf. – Als Nächster hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Baran das Wort.

Volkan Baran (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen und sollte deshalb ein Grundrecht sein. Ohne eine Wohnung ist eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unmöglich. Wohnen sollte deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Luxus sein. Es muss sichergestellt werden, dass angemessener und bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen vorhanden ist – unabhängig vom Einkommen.

Um das zu gewährleisten, brauchen wir Wohnungsneubau, der in allen Preisklassen für neue Wohnungen sorgt. Hierfür ist das Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum von elementarer Bedeutung.

Diese Ergänzung ist ein guter und notwendiger Schritt. Denn sie schließt eine bisherige Gesetzeslücke, stellt also Rechtssicherheit für Bewilligungsbehörden und Investoren her.

Die Klarstellung und die Vereinheitlichung bei Regeln zur Auswirkung von Aus- und Umbauten für geförderte Wohnbauten auf die Zweckbindung sind gut. Das begrüßen wir. Aber ohne Haken ist diese Änderung nicht, wie wir aus der Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände klar entnehmen konnten. Wir müssen dringend die Kommunen unterstützen und die Höhe der angemessenen Verwaltungskostenbeiträge anpassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Außerdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, der Landesregierung, die nicht hier ist, mit auf den Weg zu geben, dass sie gut daran täte, ihre Wohnungspolitik in Gänze zu überdenken. Seitdem Sie die Landesregierung stellen, gibt es deutliche Rückgänge im Neubau. Sie fahren den Mieterschutz aktiv zurück, während Sie an anderer Stelle Bedingungen für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft deutlich verbessern. Sie planen an der Bedarfslage vorbei.

Allein das unnötige Moratorium der Landesbauordnung 2016

(Fabian Schrumpf [CDU]: Reden Sie doch mal zum Thema!)

hat für Verunsicherung, Investitionszurückhaltung bei Kommunen, Wohnwirtschaft, Investoren und Bauherren gesorgt.

Gegenüber dem Jahr 2016 sind auch deshalb deutliche Einbrüche zu verzeichnen. Diese betrugen allein in allen Fördersegmenten 14,5 % und im Bereich des mietpreisgebundenen Wohnungsbaus sogar 17,2 %. Das soll nur ein Beispiel von vielen sein.

Klar ist für uns: Sie betreiben eine bewusste Politik gegen die 10,1 Millionen Mieter in den 4,5 Millionen Mietwohnungen in Nordrhein-Westfalen.

Sie kommen Ihrer Verantwortung nicht nach, sondern verschärfen die Wohnungsnot in unseren Städten und die Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land. Sie sorgen dafür, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt immer weiter verschärfen wird.

Deshalb fordern wir: Werden Sie aktiv. Machen Sie die Augen auf. Fangen Sie an, Ihre Wohnungspolitik in der Tradition unseres Bundeslandes am Bedarf des Landes zu orientieren.

Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. – Ich bedanke mich mit einem Glückauf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Baran. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Paul.

Stephen Paul*) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, lieber Herr Kollege Baran: In der Tradition der rot-grünen Wohnungsbaupolitik machen wir nicht weiter, denn Sie haben ein beispielloses Elend mit vielen angespannten Wohnungsmärkten in Nordrhein-Westfalen in allen Regionen und Tausende, Hunderttausende verzweifelte Wohnungssuchende hinterlassen. Das ist die Bilanz Ihrer Wohnungsbaupolitik. Da machen wir mit Sicherheit nicht weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Unsere neue öffentliche Wohnraumförderung hilft dabei, diese große gesellschaftliche Herausforderung anzupacken, denn ein Zuhause gewährt Sicherheit, ermöglicht, sich zurückziehen zu können – wichtig in der heutigen Zeit –, und gibt Raum zur persönlichen Entfaltung.

Deswegen stehen wir Freien Demokraten auch dazu, das Wohnen in Nordrhein-Westfalen auch mit Steuermitteln zu fördern, denn wir reden ja hier über Subventionen.

Wir erleichtern damit Privatleuten und gewerblichen Investoren, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, Wohnraum zu erhalten und bedarfsgerecht umzugestalten.

Jährlich 1,1 Milliarden Euro stellt das Land Nordrhein-Westfalen dafür zur Verfügung, garantiert für die nächsten Jahre bis 2022 für die Förderung von Mietwohnungen, Wohneigentum und für studentisches Wohnen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Es ist aber nicht das Geld allein, auch der rechtliche Rahmen, über den wir hier heute zu befinden haben, ist wichtig für jeden, der neu baut, der modernisiert und der erhalten will: vor allem eine nicht sprunghafte, sondern eine verlässliche Bau‑ und Wohnungspolitik, wie wir sie jetzt einleiten, eine Politik, die Rechtssicherheit schafft. Diese Rechtssicherheit ist es, die allen Beteiligten hilft: demjenigen, der baut und öffentliche Förderung in Anspruch nimmt, wie auch jenem, der dann in diesem Wohnraum wohnt.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung hilft in unseren Augen, noch bestehende rechtliche Unsicherheiten bezüglich der Nachwirkungsfrist der Sozialbindungen aus dem Felde zu räumen.

Durch die Klarstellung, dass die Bescheidung der Bewilligungsbehörden über das Ende der Sozialbindung des Wohnraums auch das tatsächliche Ende der Bindung meint, schaffen wir Rechtssicherheit.

Vertrauen in unsere Behörden und Verlässlichkeit schaffen dann die redaktionellen Änderungen des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land NRW.

Das hilft auch ein kleines Stück heute, dass immer mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen ihr Zuhause finden, dort leben, wo sie es möchten, und so wohnen, wie sie es wünschen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das will aber doch die FDP nicht!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche kurz und dann auch zum vorliegenden Gesetzentwurf, nämlich zum Dritten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen.

Obwohl ich sonst gerne und leidenschaftlich debattiere und mich in der Wohnungspolitik gerne zu Wort melde, erspare ich mir sämtliche Ausführungen zur allgemeinen Wohnungspolitik der jetzigen Landesregierung im Vergleich zur vorherigen.

Ich will auch nicht gleich wieder den Kollegen Paul kritisieren, dass wir nur Leid und Elend im Land haben und jetzt endlich die Retter da sind. – Gut, wir lassen das einfach mal alles so stehen.

Wir haben seit dem Jahr 2010 die Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen auf gesetzlicher Grundlage des Landes. Früher war es eine Bundesregelung. Das OVG Münster hat eine Regelungslücke ausgemacht, die sich aus dem bisherigen Bundesrecht ergab.

Deshalb ist es jetzt notwendig, für die Altfälle bei den festgelegten Zweckbindungen eine Verlängerung oder einen vorzeitigen Wegfall von Förderbedarfen zu verhindern.

Was die Landesregierung dazu vorgelegt hat, ist sinnvoll. Deswegen unterstützen wir das auch. Die neue Fassung enthält eine redaktionelle Klarstellung und auch eine Anpassung an die aktuelle Förderdynamik. Das macht Sinn. Deswegen trägt auch meine Fraktion das mit.

Ansonsten werden wir sicherlich noch genügend Gelegenheiten haben bei den diversen Anlässen in der nächsten Zeit, über die Situation auf dem Wohnungsmarkt, die Höhe der Wohnraumförderung, die Umsetzung im Land etc. zu diskutieren und zu debattieren.

An der Stelle finde ich es jetzt nicht unbedingt nötig. Deswegen Zustimmung von der grünen Fraktion. Das waren meine Ausführungen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Beckamp.

Roger Beckamp (AfD): Frau Präsidentin! Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Klocke von den Grünen uneingeschränkt an. Bitte sagen Sie es nicht weiter. – Danke.

(Beifall von der AfD – Jochen Ott [SPD]: Stellen Sie sich mal vor: Wir debattieren öffentlich!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Beckamp. Das wird aber im Protokoll so stehen.

(Heiterkeit)

Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! In der praktischen Anwendung des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen haben sich schlicht Anpassungserfordernisse ergeben; verschiedene Redner haben darauf bereits hingewiesen.

Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz werden verschiedene Regelungen überarbeitet, um eine rechtssichere und landeseinheitliche Anwendung zu erreichen. Das betrifft zum einen Regelungen zur Zweckbestimmung von gefördertem Wohnraum, bei denen Hinweise aus der aktuellen Rechtsprechung aufgegriffen werden.

Zum anderen wird der mit Modernisierungsmitteln geförderte Wohnraum in die üblichen Kontrollen der Sozialbindung einbezogen, denn nach aktueller Förderpraxis ist auch die Modernisierungsförderung mit Sozialbindungen von 20 oder 25 Jahren schlicht verknüpft.

Insofern haben wir Ihnen ein schlankes Gesetz vorgelegt. Ich glaube, wir bekommen heute eine breite Zustimmung, um die Rechtsanpassungen vorzunehmen.

Gestatten Sie mir daher bitte zwei Anmerkungen.

Wenn Sie mit den Rückgängen bei den Baugenehmigungszahlen hantieren, sehr geehrter Herr Abgeordneter, dann sollten Sie zumindest die Aufrichtigkeit besitzen, die Wohnungen, die im Zusammenhang mit der Asylzuwanderung der Jahre 2015/16 die Genehmigungszahlen besonders nach oben getrieben haben, herauszurechnen. Dann würden Sie nämlich feststellen, dass der ganz normale Mietwohnungsgeschossbau sich absolut nur um ein paar kleine Zahlen nach unten verändert hat.

Aber Sie lieben ja die großen Zahlen, mit denen Sie die Leute verunsichern. Das, was Sie hier als Schimäre bezeichnet haben, existiert in Nordrhein-Westfalen de facto nicht.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir als Landesregierung Nordrhein-Westfalen sind stolz darauf – das müsste eigentlich auch im Sinne der Sozialdemokratie sein; das scheint aber nicht, und deswegen tragen wir das als CDU/FDP-geführte Landesregierung hier vor –, dass wir für die Schaffung von preisgebundenem Wohnraum in Nordrhein-Westfalen 5,5 Milliarden Euro bis 2022 zur Verfügung stellen. Das ist mehr, als die Bundesregierung mit 5 Milliarden Euro für die gesamte Republik zur Verfügung stellt.

(Jochen Ott [SPD]: Frau Ministerin, das ist doch albern!)

Das mögen Sie nun als zu wenig betrachten – wie auch immer –, aber wir sind stolz darauf: 5,5 Milliarden Euro für preisgebundenen Wohnraum in Nordrhein-Westfalen.

(Jochen Ott [SPD]: Frau Ministerin, Sie erzählen Unsinn! Das wissen Sie auch!)

Und der sozialdemokratische Textbaustein-Sprechkasten Herr Ott funktioniert auch wieder. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von der CDU und der FDP –Jochen Ott [SPD]: Dass Sie sich für so eine Aussage nicht schämen! So ein Quatsch! Das ist doch albern!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gäbe noch Redezeit, wenn Redebedarf bestände. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen empfiehlt in Drucksache 17/3678, den Gesetzentwurf Drucksache 17/2992 unverändert anzunehmen. Demzufolge kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/2992 angenommen, und zwar in zweiter Lesung verabschiedet, und das Ganze auch einstimmig.

Ich rufe auf:

9  Einrichtung einer Enquete-Kommission zum bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union („Brexit“) im Hinblick auf die Folgen und Auswirkungen für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3792

In meinem Sprechzettel steht, dass ich theoretisch – und ich vermute, es bleibt theoretisch – den Generalkonsul des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland auf der Tribüne begrüßen kann. Da wir in der Zeit aber relativ weit vor sind und ich ihn auf den ersten Blick nicht identifizieren kann, bleibt es, so glaube ich, wirklich bei „theoretisch“. Der Generalkonsul ist sehr interessiert; er wird wahrscheinlich schon im Hause sein und kann vielleicht noch im Laufe der Debatte auf der Tribüne begrüßt werden.

Mit dieser kleinen Vorbemerkung eröffne ich die Aussprache zum Antrag von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und erteile Herrn Kollegen Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich am Anfang klarstellen: Der beste Brexit wäre gar kein Brexit.

(Beifall von den GRÜNEN und von Henning Höne [FDP])

Die demokratischen Fraktionen in diesem Haus hätten sich 2016 ein solches Ergebnis gewünscht. In der letzten Legislaturperiode gab es einen interfraktionellen Antrag von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, in dem wir die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unserem Bundesland und dem Vereinigten Königreich betont und es eingeladen haben, Teil der Europäischen Union zu bleiben.

Wir alle wissen, dass die Abstimmung anders ausgegangen ist. Das britische Volk hat sich demokratisch entschieden. Es hat sich entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Das müssen wir alle respektieren. It happened!

Die Geschichte zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich ist keine einfache; das war sie noch nie. Zweimal stellte das Vereinigte Königreich erfolglos einen Beitrittsantrag in die Europäische Gemeinschaft, zweimal wurde dieser Antrag abgelehnt. Das war 1961 und 1967. 1972, im dritten Anlauf, war es dann endlich so weit, und das Vereinigte Königreich trat der Europäischen Gemeinschaft bei.

Nur drei Jahre später wurde auf der Insel zum ersten Mal über einen Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft abgestimmt. Damals gab es im Unterhaus eine deutliche Mehrheit für den Verbleib. Auch die Bevölkerung wurde befragt, und es gab ein klares Bekenntnis zur Europäischen Gemeinschaft. Mehr als zwei Drittel – 67,2 % – stimmten für den Verbleib.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kaum ein anderer Staat hatte so großen Einfluss auf unser Bundesland. Zu kaum einem anderen Staat sind die Beziehungen noch heute so eng wie die zum Vereinigten Königreich. Durch die „Operation Marriage“ wurde unser Bundesland Nordrhein-Westfalen im Jahr 1946 von den Briten gegründet. Die Briten haben die Demokratie ins Nachkriegs-Nordrhein-Westfalen gebracht. Die Briten haben unsere Medienlandschaft entscheidend geprägt. Die Briten haben unsere Sicherheit gewährleistet, und die Briten haben viele von uns – so auch mich – kulturell geprägt. Ich möchte das nicht missen, seien es die Beatles, sei es Robbie Williams – whatever.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Culture Club! – Monika Düker [GRÜNE]: Nicht Robbie Williams!)

„You’ll never walk alone“, das singen britische Fußballfans. Und wenn wir in Nordrhein-Westfalen heute ins Stadion gehen, singen auch wir das immer wieder gern.

„You’ll never walk alone“, das wollen wir den Menschen in Großbritannien und in Nordirland auch nach dem Brexit zurufen. Die nordrhein-westfälisch-britische Freundschaft soll auch nach dem Brexit festen Bestand haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dafür müssen wir uns auf die zahlreichen Herausforderungen, aber auch auf die Chancen, die der Brexit mit sich bringt, einstellen. Das wollen wir mit der Arbeit in dieser Enquetekommission tun. Wir folgen damit im Übrigen der Empfehlung der EU-Kommission, die angemahnt hat, dass sich nicht nur Nationalstaaten, sondern auch deren regionale Einheiten auf den Brexit vorbereiten müssen. Wir wollen uns bereits jetzt intensiv damit beschäftigen, welche Bereiche betroffen sein werden, und welche Verbindungen auf der Insel im Einzelnen bestehen.

Die engen wirtschaftlichen Beziehungen kennen wir alle. Das Vereinigte Königreich ist unser viertgrößter und viertwichtigster Handelspartner. Dass hier Herausforderungen auf uns zukommen, ist wohl jedem klar.

Aber was ist mit den über 140 Städtepartnerschaften?

Was ist mit den 400 Schulpartnerschaften? Was passiert mit den Hunderten von Kooperationen im Hochschulbereich, bei der Forschung und im Mittelbau? Was ist mit den 850.000 Menschen, die jährlich von Nordrhein-Westfalen ins Vereinigte Königreich reisen? Welche Zugangsrechte haben sie? Welche Verbraucherschutzrechte gibt es überhaupt noch?

Was ist mit den 25.000 gebürtigen britischen Staatsbürgern, die in NRW leben? Ein Viertel aller Briten, die in Deutschland leben, lebt hier bei uns. Was ist mit dem Austausch im kulturellen Bereich, bei Textil, bei Mode, bei Musik und in der bildenden Kunst?

Was geschieht mit dem deutschen Atommüll, der zur Aufbereitung auf die Insel exportiert wird? Das ist auch eine wichtige Frage; denn Großbritannien scheidet aus dem Euratom-Vertrag aus.

Es gibt noch viele Fragen mehr. Wir haben jede Menge Themenbereiche aufgelistet. Wir wollen uns auf einem breiten Feld ansehen, was das alles bedeutet, und wir werden versuchen, in der Enquetekommission Antworten darauf zu finden. Wir betreten mit der Enquetekommission zugleich parlamentarisches Neuland: Diese Enquetekommission arbeitet langfristig an einer speziellen Fragestellung, hat aber zugleich eine hohe Tagesdynamik.

Unser Ziel ist es nicht, Einfluss zu nehmen auf den wie auch immer gearteten Deal, auf das Vertragswerk, das gerade verhandelt wird, worin der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union geregelt wird.

Letzten Montag war ich in London und habe dort politische Gespräche geführt. Dank des britischen Generalkonsuls – der immer noch nicht da ist; ich sehe ihn auf jeden Fall nicht – war es mir möglich, in London mit den Verhandlern selbst zu sprechen – sie verhandeln aktuell in Brüssel –, aber auch mit weiteren Multiplikatoren wie der Außenwirtschaftskammer. Meine Einschätzung wird vermutlich von den meisten geteilt: Wir werden bis zum Ende dieses Jahres irgendein Ausstiegsszenario haben; bis dahin wird ein Vertragswerk, ein Deal vorliegen.

Nach den Parteitagen von Labour und Torys erleben wir jetzt eine hohe Dynamik. Ich glaube, dass diese Dynamik Erfolge nach sich ziehen wird. Wir haben einen Deal, und dann kommen wir mit unserer Enquetekommission. Dann wissen wir nämlich: Okay, so sieht das Ausstiegsszenario aus. Danach wird wohl eine zweijährige Übergangsphase folgen, in der dekliniert wird, was das für die einzelnen Politikbereiche heißt. Da setzt unsere Enquetekommission an, um Übersetzungsarbeit zu leisten: Was heißt das an negativen Folgen, und wo können Chancen liegen?

Wir wollen mit Zwischenberichten arbeiten. Ich glaube, das bietet sich einfach an. Wir wollen in den verschiedenen Themenbereichen mit Expertise und auch mithilfe von Gutachten sagen können: Hier bräuchten wir vielleicht ein neues Förderprogramm. Hier bräuchten wir vielleicht eine andere gesetzliche Regelung. Hier brauchen wir vielleicht andere Strukturen. – Wir wollen Plattform und Ansprechpartner sein.

Wir sind übrigens keine Konkurrenzveranstaltung zu Herrn Merz. Wir alle – die Exekutive wie die Legislative – sind in diesem historischen Neuland, das wir innerhalb der Europäischen Union und auch hier in Nordrhein-Westfalen mit dem Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union betreten, gut beraten, unsere Kräfte zu bündeln und synergetisch zu arbeiten. Wir wollen unseren Beitrag aus dem Parlament dazu leisten. Das wird eine echt spannende Enquetekommission. Das Thema ist es allemal wert, sich damit genauer zu beschäftigen.

Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen: Sollte das britische Volk zu einer anderen Haltung kommen – sei es durch ein zweites Referendum, sei es durch Neuwahlen und dadurch eine Verschiebung der politischen Gewichte –, sollte es nach zehn Jahren auf die Idee kommen, dass der Austritt vielleicht doch nicht die klügste Idee war: Großbritannien, the door will be always open for you. You are always very welcome to join us here in North Rine-Westphalia. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Stefan Engstfeld für die Grünen. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Krauß.

Oliver Krauß (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, auch ich hätte gerne darauf verzichtet, heute mit Ihnen über die Einrichtung einer Enquetekommission zum bevorstehenden Austritt von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union zu beraten. Doch auch wir respektieren selbstverständlich das Ergebnis des britischen Referendums vom 23. Juni 2016, selbst wenn wir es nicht nachvollziehen können.

Gerade dem Staat Großbritannien ist die Europäische Union in der Vergangenheit an vielen Stellen entgegengekommen. Wir haben akzeptiert, dass das Vereinigte Königreich weder der Eurozone noch dem Schengener Abkommen beigetreten war. Großbritannien muss weniger an die EU bezahlen als seiner Wirtschaftskraft angemessen wäre. Selbst beim Fiskalpakt bekam London eine Sonderstellung.

Es hat nun wirklich nichts mit fehlendem Respekt zu tun, wenn deutlich wird, dass beim Austritt Großbritanniens eine Rosinenpickerei nicht akzeptiert wird. Es geht dabei nicht darum, ein abtrünniges Mitglied zu bestrafen. Der Austritt ist das gute Recht eines souveränen Mitgliedsstaates.

Es ist aber doch zwangsläufig konsequent, dass beim Austritt die mit der Mitgliedschaft verbundenen Rechte zunächst einmal verloren gehen. Es muss für uns alle deutlich bleiben, welchen Mehrwert eine Mitgliedschaft im Kreis der EU hat; denn nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern können wir gegenüber den Märkten der Welt bestehen, können wir die aktuellen politischen Herausforderungen lösen.

In diesem Zusammenhang möchte ich an den Besuch der irischen Ministerin für Europaangelegenheiten Miss Helen McEntee, die am 24. Juli 2018 im Landtag zu Gast war, erinnern. Wir nehmen die Sorgen der irischen Partner ernst. So müssen die Verpflichtungen aus dem Karfreitagsabkommen, welches Nordirland seinerzeit den Frieden gebracht hat, weiterhin gelten. Zentral ist daher für uns die Frage der künftigen Außengrenze sowie die Frage, wie die künftigen Beziehungen zwischen beiden Ländern aussehen sollen.

Gestern gab es glücklicherweise positive Anzeichen, dass sich in dieser Hinsicht vor dem EU-Gipfel, der in der kommenden Woche stattfinden wird, etwas bewegen könnte. Sollte sich bei diesem Gipfel aber herausstellen, dass es für ein Abkommen nicht reicht, werden wir uns auf ein Scheitern der Verhandlungen einstellen müssen. Im Falle des sogenannten No-Deal-Brexits müssen wir die nötigsten Fragen bis zum 29. März 2019 geregelt haben.

Eine Enquetekommission, wie von den Grünen beantragt, kann hierbei eine hervorragende Unterstützung der bisherigen Anstrengungen der Landesregierung und der NRW-Koalition sein. Daher werden wir diese Kommission nicht nur aufgrund der guten Gepflogenheiten dieses Hauses mittragen.

Der Kollege Engstfeld hat es dargestellt: NRW hat ganz besondere Beziehungen zu Großbritannien. Das Bindestrichland Nordrhein-Westfalen entstand aufgrund der Einigung der damaligen britischen Besatzungsmacht, der „Operation Marriage“, und dem Zusammengehen mit dem Land Lippe.

Für die positive freundschaftliche Verbundenheit, die den geschichtlichen Boden nach 1945 bereitet hat, haben wir allen Grund, dankbar zu sein.

Daher gilt es, die Partnerschaft im Falle des Brexits auf eine neue Basis zu stellen; denn selbstverständlich brauchen wir unsere Nachbarn auf der Insel. Wir benötigen aber ebenso eine neue Balance von Rechten und Pflichten. Dazu kann diese Enquetekommission trotz der vielen Unwägbarkeiten ihren Beitrag leisten.

So können wir in der Arbeitshypothese des heutigen Antrags lesen: das Weißbuch als letztes Angebot, keine signifikanten Verhandlungsfortschritte sowie die Forderung, ein mögliches Scheitern noch vor Dezember dieses Jahres mitzuteilen.

Die Ausgangssituation greift der Antrag im Wesentlichen auf. Die Rahmendaten sind vielfach mit Blick auf die Verflechtungsgrade und die Enge unserer Beziehungen ausgetauscht. Von daher hätte ich mir, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr Gespür und auch ein bisschen mehr Realismus bei der Beschreibung der Problemlagen gewünscht, ebenso eine Präzisierung der Fragestellungen.

Es ist nämlich wenig hilfreich, prinzipielle Zweifel an dem Zusammenhalt über den Ärmelkanal hinweg nach einem Brexit zu schüren, wie bei den angesprochenen Städtepartnerschaften, den Schulpartnerschaften, der Berücksichtigung kultureller Aspekte und bei Reisen. Bei allem denkbaren Anpassungsbedarf im Einzelnen hätte ich mir eine Note gewünscht, die das Vertrauen in unsere Freundschaft zu Großbritannien ausdrückt.

Der Antrag zitiert ferner Meinungsunterschiede innerhalb der britischen Politik und eine zum Teil offen gezeigte anti-europäische Stimmung. Ebenso richtig ist, dass in London Zehntausende gegen den Brexit mobil machen und zum Westminster ziehen. Andernorts geschieht Vergleichbares. Davon lese ich in Ihrem Antrag leider nichts, aber auch das müssen wir würdigen.

Am vergangenen Montag war in einer großen deutschen Tageszeitung ein Beitrag von Sir Sebastian Wood zu lesen, der die Überschrift trug: „Wir betreten Neuland“. – Herr Kollege Engstfeld hat den Begriff „Neuland“ ja auch aufgegriffen.

Der Botschafter Großbritanniens in Berlin erinnert in diesem Artikel an die fortwährende Gemeinsamkeit. Wir begrüßen das ganz klar geäußerte Bekenntnis, weiterhin bedingungslos für Europas Sicherheit einzustehen. Beim globalen Handelssystem, beim Pariser Klimaabkommen, beim Atomabkommen mit dem Iran will sich Großbritannien Schulter an Schulter mit Deutschland engagieren.

Die Landesregierung, unser Minister Herr Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, der derzeitige Vorsitzende der Europaministerkonferenz, hat die Bewältigung des Brexits zum Schwerpunktthema gemacht. NRW bereitet sich auf die denkbaren Szenarien vor. Das Brexit-Übergangsgesetz wird finalisiert. Für den Fall eines Austritts ohne Abkommen wird Handlungsfähigkeit hergestellt. Die Landesregierung agiert partnerschaftlich und proaktiv im Bund und im Kollegium der Bundesländer sowie auf europäischer Ebene.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönliche Anmerkung: Bis heute habe ich nicht verstanden, warum das ehrenamtliche Engagement von Friedrich Merz für unser Land in den Reihen der Antragssteller so wenig Anerkennung findet. Von daher, Herr Kollege Engstfeld, bin ich dankbar für die Klarstellung, dass die Enquetekommission keine Konkurrenz zu den Bemühungen von Herrn Merz ist.

Sie können zu Herrn Merz und seinen beruflichen Aufgaben stehen wie Sie mögen. Er hat sich jedoch in dieser historisch kritischen Situation an die Seite der Landesregierung und unseres Landes gestellt – extern, ohne Honorar. Die hervorragenden Kontakte zu den wirtschaftlichen Akteuren in Großbritannien, zu den politisch Handelnden, zu den Instituten der Wissenschaft, der Wirtschaft und in die Zivilgesellschaft sind in der aktuellen Situation unverzichtbar.

Positive Wendungen des Brexits werden vorgedacht, die die hier vorgeschlagene Enquetekommission differenzieren soll. Der Brückenbau für die britischen Unternehmen in NRW und umgekehrt für die nordrhein-westfälischen Unternehmen im Vereinigten Königreich steht ganz oben auf der Agenda. Wir sagen zu britischen Unternehmen nicht: „Thank you and good bye“, sondern wir sagen: „Welcome“.

Daher erwarten wir von der Enquetekommission, dass sie von haltlosen politischen Reflexen absieht. Gerade weil der Prozess um den Brexit so volatil ist, ist der Erfolg von unbedingter Sachdienlichkeit und Konzentration abhängig. Richtig sind aus unserer Sicht die flexiblen Momente, die Ihr Antrag vorgibt: die Betrachtung der denkbaren Austrittsszenarien, bis der Eintritt eines Szenarios auszuschließen ist, ebenso die Arbeit mit den Zwischenberichten.

Das partnerschaftliche sachdienliche Handeln ist Wegweiser für gute Arbeit, wie wir sie in der Enquetekommission leisten können. Wir wollen die bilateralen Beziehungen stärken, einen engen Austausch mit unseren Partnern in Großbritannien und Nordirland, und wir wollen für unser Bundesland und seine Standortvorteile Werbung machen.

Schließlich wollen wir Hilfen leisten, wenn sich die Voraussetzungen ändern: bei Kitas, bei Wohnungen, bei internationalen Schulen, bei Städtepartnerschaften, bei Universitäten und bei Behördenangelegenheiten.

Eine Enquetekommission, die in ihren Arbeitsschritten und Analysen solchen konkreten Zielen folgt, kann in jedem Szenario, das zur Debatte steht, einen Mehrwert leisten.

Meine Damen und Herren, ich bin mir mit der Mehrheit im Hause sicherlich einig, und der Kollege Engstfeld hat es auch angesprochen: Der beste Brexit ist der, der überhaupt nicht stattfindet. Insofern stehen unsere Türen natürlich offen. Wir freuen uns jetzt auf eine gute und konstruktive Arbeit in der Enquetekommission.

Am Ende bleibt mir nur die Hoffnung, dass wir bei der Arbeit in der Kommission nicht von den aktuellen Entwicklungen rund um den Brexit eingeholt oder gar überholt werden, sondern noch rechtzeitig tätig werden können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN )

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Watermeier.

Sebastian Watermeier (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die besonderen Beziehungen Nordrhein-Westfalens zum Vereinigten Königreich sind erst in der letzten Woche hier in diesem Saal bei der Fachkonferenz zum Haus der Geschichte NRW ausführlich diskutiert worden. Ohne Großbritannien gäbe es weder dieses Parlament noch den Westdeutschen Rundfunk. Ohne Großbritannien wäre Nordrhein-Westfalen nicht das, was es heute ist, und fände sich als Bundesland wahrscheinlich nicht auf der Landkarte.

Umso mehr bedauere ich die Entscheidung, die eine denkbar knappe Mehrheit der Britinnen und Briten am 23. Juni 2016 getroffen hat. Mit ihrem Beschluss zum Austritt aus der Europäischen Union haben die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs Fakten geschaffen, mit denen wir nun umgehen müssen. Der Brexit ist eine ungeheure Herausforderung für alle Beteiligten.

Es kommt selten vor, dass ich Hans-Werner Sinn zitiere; doch hat er, wie ich finde, eindrucksvoll die ganze ökonomische Dimension des Brexits dargestellt, wenn er in der „FAZ“ schreibt:

„Gemessen an der Wirtschaftskraft ist der Brexit gleichbedeutend mit dem simultanen Austritt von 19 der 28 EU-Staaten.“

Wenn man diese Dimension vor Augen hat, erscheinen die Aktivitäten, die die Landesregierung in Sachen Brexit bisher unternommen hat, in der Tat zaghaft. Einmal hat bisher der Beauftragte der Landesregierung für den Brexit, Friedrich Merz, im Europaausschuss einen Bericht über seine Tätigkeiten in diesem Bereich gegeben. Das war am 16. März dieses Jahres. Ein anderes Mal stand er dann im September dieses Jahres zu transatlantischen Fragen zur Verfügung.

In der Analyse der Problemstellung des Brexit war Herr Merz damals sehr klar und deutlich, insbesondere mit Blick auf die wirtschaftlichen Verflechtungen. Bereits damals war die größte Sorge, dass es zu einem ungeregelten Austritt des Vereinigten Königreiches kommen könnte.

Nun, ein gutes halbes Jahr später, ist diese Wahrscheinlichkeit nicht geringer geworden, auch wenn Frau Merkel heute über die Presse Beruhigungspillen verteilt hat. Sowohl die Parteitage der Tories als auch die der Labour-Partei haben mehr Fragen aufgeworfen denn beantwortet. Während auf der konservativen Seite die Frage, ob sich die Befürworter eines harten Brexit mit allen unabsehbaren Folgen für die Stabilität nicht nur des Vereinigten Königreiches durchsetzen, noch längst nicht geklärt ist, versucht Labour mit der Option auf Neuwahlen und auf ein zweites Referendum, seine Position erst noch zu finden.

Neueste Umfragen deuten übrigens darauf hin, dass nun, da immer klarer wird, welche Folgen der Austritt aus der Europäischen Union hat, eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreiches für den Verbleib in der Union stimmen würde. Ob ein zweites Referendum jedoch ein realistisches Szenario ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Auch der jüngste europäische Gipfel in Salzburg hat leider nicht dazu geführt, Klarheit zu geben und Vertrauen zu schaffen. Die Möglichkeit eines harten Brexits steht tatsächlich im Raum, denn den Verhandlungsführern läuft schlicht und einfach die Zeit weg. Auf britischer Seite scheint die Entschlossenheit der übrigen 27 Mitgliedstaaten, keine Rosinenpickerei zuzulassen, immer noch nicht angekommen zu sein. Stattdessen ergehen sich einige Befürworter eines harten Brexits in geschichtsrevisionistischer Rhetorik und sprechen beispielsweise vom Geist von Dünkirchen.

Wir dürfen wohl alle sehr gespannt sein, ob und wie auf dem alles entscheidenden Gipfel am 16. und 17.10. dieses Jahres in Brüssel ein Weg aufgezeigt wird, um einen harten Brexit zu verhindern, und ob die Nordirland-Problematik gelöst werden kann.

Zugegeben, die Einrichtung der Enquetekommission ein halbes Jahr vor dem Brexit ist ein ambitioniertes Projekt. Natürlich werden nicht alle Fragestellungen, die in dem umfangreichen Einrichtungsbeschluss aufgelistet sind, bis zum 29. März nächsten Jahres bearbeitet werden können. Es wäre also schön gewesen, wenn ein Großteil dieser Fragen bereits heute von der Landesregierung hätte beantwortet werden können oder zumindest eine Strategie sichtbar geworden wäre, wie wir denn nun in Nordrhein-Westfalen auf den Brexit reagieren. Es wäre schön gewesen, wenn wir dazu auch von Herrn Holthoff-Pförtner mehr Substanzielles gehört hätten. Das ist bisher aber Fehlanzeige.

Herr Merz hat bereits im Frühjahr sehr deutlich gemacht, dass er eine beratende Tätigkeit habe und nicht das Handeln der Landesregierung ersetzen könne. Über seine Gesprächspartner und den genauen Inhalt der Gespräche machte er aber keine Angaben. Was nützt es, wenn er seine Kontakte spielen lässt, daraus aber keine konkreten Handlungen oder Strategien erwachsen? Eine auswärtige Kabinettssitzung in Brüssel ersetzt keine Brexit-Strategie, liebes Landeskabinett.

Wenn in Sonntagsreden von den Brücken in das Vereinigte Königreich die Rede ist, die nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden müssten, dann kann ich nur sagen: Bisher reicht das Handeln der Landesregierung gerade einmal für eine wackelige Hängebrücke auf dem Kletterpfad. Sie haben es sich bisher mit dem Thema „Brexit“ sehr leicht gemacht. Das könnte uns allen am Ende auf die Füße fallen.

Wir haben bis heute noch nichts dazu gehört, welche Anstrengungen die Landesregierung unternommen hat, um auch Chancen des Brexits für NRW auszuloten. Gibt es Unterstützung dafür, die Unternehmen, die natürlich weiter in und mit der EU Geschäfte machen wollen, nach NRW zu holen? Ich denke vor allem an Investitionen aus dem asiatischen Raum. Hier bietet sich die Metropole Ruhr als Alternative doch geradezu an. Was hat die Landesregierung unternommen, um mögliche Produktionsverlagerungen nach NRW zu holen? Die Kommunen machen sich inzwischen selbst auf den Weg, diese Fragen zu beantworten.

Insofern ist die Einrichtung der Enquetekommission die notwendige Konsequenz und Antwort des Parlaments auf das fehlende Handeln der Landesregierung. Wir als Parlamentarier kommen damit unseren Aufgaben nach, was man von der Landesregierung nur eingeschränkt behaupten kann. – Ich freue mich auf die Arbeit der Kommission.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Watermeier. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Matheisen.

Rainer Matheisen (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade haben wir ganz viel Meckern und Gemäkel gehört. Ich möchte jedoch etwas Positives sagen, statt in dieses klassische Gemäkel zwischen Regierung und Opposition einzustimmen.

Ich finde es gut, dass die Grünen in ihr Recht auf eine Enquetekommission in dieses wichtige Thema „Brexit“ investieren. Ich finde es gut, dass Sie hier nicht nur bestimmte – beispielsweise ökologische – Aspekte aufgreifen, sondern ganzheitlich auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte. Ich halte das für eine gute Ergänzung zur Arbeit der NRW-Koalition und der Landesregierung.

Lassen Sie mich drei Beispiele nennen.

Eines ist eben schon genannt worden: Mit Friedrich Merz haben wir als einziges Bundesland einen Brexit-Beauftragten, der unser Bundesland nach außen hin repräsentiert. Wir haben darüber hinaus mit NRW.INVEST eine Niederlassung in London gegründet, die Herr Professor Dr. Pinkwart vor Kurzem eröffnet hat. Das heißt, wir sind vor Ort präsent und aktiv. Aktuell befinden wir uns in intensiven Diskussionen zur Einrichtung eines Commercial Court. Die FDP-Landtagsfraktion wird dort in wenigen Wochen ein Werkstattgespräch zu diesem Thema führen. Der Justizminister hat sich ebenfalls entsprechend geäußert. Da sind diverse Aktivitäten im Gange.

Ich möchte nicht alles wiederholen, was eben schon gesagt wurde. Wichtig ist: Wir sollten die engen und guten Beziehungen zwischen Großbritannien und Nordrhein-Westfalen als Chance begreifen. Wir dürfen nicht nur die Risiken betrachten, sondern auch die Chancen; daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Dafür ist es fast schon etwas spät; denn die Diskussionen sind bereits im Gange. Nichtsdestotrotz sollten wir jetzt umso schneller anfangen, gemeinsam zu diskutieren. Die Bürgerinnen und Bürger haben keine Lust mehr darauf, dass Parteien, die im Prinzip die gleiche Sichtweise haben, in irgendwelche Diskussionen eintreten, in denen die Themen zwischen Regierung und Opposition totdiskutiert werden. Deswegen begrüße ich diese Initiative sehr.

Wir wollen die Probleme vielmehr gemeinsam lösen, die Herausforderungen annehmen und die Chancen nutzen. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken! Ich werbe dafür, in einer guten Arbeit das Thema „Brexit“ gemeinsam zu beackern, in welcher Form auch immer. Wir sollten die Chancen für Nordrhein-Westfalen herausarbeiten und gemeinsam etwas Gutes schaffen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Matheisen. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 23. Juni 2016, vor über zwei Jahren, hatten unsere Freunde in Großbritannien die Möglichkeit, in einer freien, gleichen und geheimen Abstimmung über ihren Verbleib in der Europäischen Union zu befinden. Ich freue mich darüber, dass wir uns hier alle einig sind, dass wir das Ergebnis einer solchen Abstimmung auch akzeptieren.

Am 29. März 2017 löste die Premierministerin Theresa May mit einem Schreiben an den Europäischen Rat den zweijährigen Austrittsprozess aus, der nach Art. 50 des Vertrags von Lissabon bis zum 30. März des nächsten Jahres abgeschlossen sein muss.

Obwohl das alles schon eine Weile her ist, beantragten die Grünen am 2. Oktober 2018 eine Enquetekommission, die ebenfalls für zwei Jahre tagen und sich nun mit den Folgen des Brexit befassen soll. Das ist etwas spät – aber immerhin.

Wie dem auch sei: Wir sind froh, dass sich endlich einmal jemand ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen will. Seit Beginn der Legislaturperiode weisen wir im Ausschuss und im Plenum immer wieder auf die möglichen verheerenden Folgen eines Hard Brexit auf die deutsche Exportindustrie hin – vergeblich.

Es ist immer dieselbe Leier: Die SPD hat keine größere Sorge, als dass die Fleischtöpfe der EU nicht mehr voll genug sind, und beantragt nun im Monatsrhythmus neues Geldzuweisungen aus Deutschland. Und die Regierung, vertreten durch Minister Holthoff-Pförtner und gerade auch durch Herrn Krauß, predigt die Dogmen der Brüsseler Nomenklatura nach. Man sagt, die Freiheiten der EU seien unteilbar. Auf gut Deutsch heißt das: Es ist gottgegeben, dass jeder, der mit uns zollfrei handeln will, gleichzeitig auch die Grenze für Sozialtouristen offenhalten muss.

Dabei steht gerade für uns Deutsche sehr viel auf dem Spiel. Die deutsche Automobilindustrie – unstreitig immer noch Schrittmacher unserer Wirtschaft – exportiert mehr Fahrzeuge in das Vereinigte Königreich als nach ganz Asien oder nach Nord- und Südamerika zusammen. Meine Damen und Herren, das ist der Industriezweig, der einschließlich der Zuliefererindustrie mehr Deutsche in Lohn und Brot bringt als jeder andere – auch in Nordrhein-Westfalen.

Im Übrigen ist das auch der Industriezweig, dem Sie mit exzessiver und irrationaler Umweltpolitik immer mehr zu schaffen machen. Im September ist dank der Diesel-Hysterie die Zahl der Neuzulassungen in Deutschland um 30 % eingebrochen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Automobilhersteller dafür Menschen auf die Straße setzen. Und wenn im März ein Hard Brexit kommt und die deutschen Autos im Vereinigten Königreich mit Zöllen belegt werden, wird das wieder viele Existenzen kosten.

Sie alle, sämtliche Altparteien, sägen an dem Ast, auf dem Sie sitzen. Sie gefährden unseren Wohlstand – nur um die Dogmen von der heiligen EU und vom heiligen Klima nicht infrage stellen zu müssen.

Da der Antrag von den Grünen stammt, findet sich natürlich nicht ein einziges Wort zur Automobilindustrie darin. Diese ist schließlich böse, und die Menschen, die dort arbeiten, sind Ihnen offenbar egal.

Sie sorgen sich um viel wichtigere Dinge – etwa um Städtepartnerschaften. Diese haben zwar wenig oder eigentlich gar nichts mit der EU zu tun; denn es gab sie lange vor der EU, und es gibt sie mit zahlreichen Ländern außerhalb der EU. Aber im Antrag heißt es:

„Unter den zwölf Staaten, in denen die NRW-Kommunen die meisten Städtepartnerschaften pflegen, befinden sich nur drei Nicht-EU-Staaten. Partnerschaften in Nicht-EU-Staaten sind also eher die Ausnahme als die Regel.“

Das haben Sie zumindest richtig recherchiert, aber offensichtlich einen falschen Schluss daraus gezogen. Auf den Top-Plätzen landen nämlich Frankreich, Polen, die Niederlande, Belgien und Österreich. Das sind tatsächlich EU-Länder, aber natürlich auch unsere Nachbarländer, zu denen wir eine besondere Beziehung haben. Deswegen ist es naheliegend, dass diese Länder auch viele Städtepartnerschaften mit uns pflegen.

Abenteuerlich sind auch die Ausführungen zum Erasmus-Programm, welches wir – das hatte ich hier schon erklärt – ausdrücklich begrüßen und unterstützen. Die britische Regierung hat in Person ihrer Premierministerin sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass Großbritannien weiterhin daran teilnehmen möchte. Im Übrigen tun das jetzt schon einige Länder, die nicht der EU angehören, wie Mazedonien, Island, Norwegen oder die Türkei. Warum sollte man also dem Vereinigten Königreich den Zugang dazu verwehren?

Es sei denn, Sie haben vor, es wie mit der Schweiz zu machen und Schüler, Studenten und Lehrlinge in Geiselhaft für einen demokratischen Volksentscheid zu nehmen. Die Schweiz wurde aus dem Erasmus-Programm geworfen, nachdem die Bürger die Masseneinwanderungsinitiative angenommen hatten. Das ist wieder einmal ein Zeichen der besonderen Größe unserer begeisterten Europäer.

(Beifall von der AfD)

Schön ist auch die Sorge um den visafreien Personenverkehr mit dem Vereinigten Königreich. Auch dieser steht von britischer Seite nicht ernsthaft zur Debatte. Meine Damen und Herren, wenn die Briten sich um Massenmigration sorgen und diese Sorge beim Brexit-Votum möglicherweise sogar ausschlaggebend war, dann dachten sie nicht an Deutsche, die in das britische Gesundheitswesen drängen, und meinten auch keine Österreicher, die in London Sozialfürsorge beantragen. Sie dachten an genau zwei Personenkreise: Personen aus Südosteuropa und Personen aus Afrika, die bekanntlich auch hier im Land das eine oder andere Problem in der Gesellschaft oder in den Sozialkassen verursachen.

(Minister Dr. Joachim Stamp: Wie Ihre identitären Freunde!)

Wir Deutsche haben mit einer Vielzahl von Ländern Abkommen über den visafreien Verkehr. Die meisten davon sind nicht in der EU. Dabei handelt es sich um so namhafte Länder wie Albanien, Bosnien, El Salvador, Honduras, Kiribati, Moldawien, Nicaragua und Tonga. Warum sollte das nicht auch mit Großbritannien gehen?

Schließlich wird es unfreiwillig komisch, wenn Sie zu Ihrem Lieblingsthema kommen – zum Klima. Da loben Sie die Briten erst einmal als Vorreiter bei der CO2-Einsparung. Ich lasse jetzt einmal dahingestellt, ob es ein so großer Verdienst ist, wenn ein Land quasi deindustrialisiert ist. Viel wichtiger ist aber das, was Sie im nächsten Absatz immerhin zugeben. Die Briten erreichen diese vermeintlich vorbildlichen Werte nämlich vor allem deshalb, weil sie konsequent auf Kernkraft setzen und aktuell 15 neue Meiler in Planung haben. Da zahlt es sich eben aus, wenn man keine Grünen im Parlament hat.

(Beifall von der AfD)

Dazu heißt es dann in Ihrem Antrag – Zitat –:

„Mit dem Brexit scheidet das VK auch aus der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) aus. Diese hat Sicherheitsrichtlinien, etwa zur Überwachung und Stilllegung der Anlagen, aufgestellt, die für das VK dann nicht mehr gelten.“

Das muss eine ganz neu entdeckte grüne Liebe zur EURATOM sein. 2002 hat der Grünen-Parteitag in Hannover den deutschen Austritt – quasi den Dexit – aus EURATOM gefordert. Noch zwei Monate vor dem Brexit-Referendum forderte die Grünen-Bundestagsfraktion in einem Antrag den Austritt aus der EURATOM, sollten die Wünsche der Grünen nach deren Umstellung nicht erfüllt werden. Und im letzten Jahr, 2017, äußerte Ihre atompolitische Sprecherin, Frau Kotting-Uhl:

„60 Jahre Euratom – ein völlig aus der Zeit gefallener Uraltvertrag. … Deshalb würden wir sagen: Austreten, also einfach beenden.“

Was soll es sein, Herr Engstfeld? Ist EURATOM jetzt gut? Sollen die Briten drinbleiben? Sollen die Deutschen austreten? Darüber sollten Sie sich vielleicht noch einmal mit Ihren Parteifreunden verständigen.

Es ist gut, dass über den Brexit gesprochen wird; denn er kann im schlimmsten Fall verheerende Folgen für Deutschland haben. Es ist auch gut, dass die Grünen – wenn auch spät – diese Enquetekommission angeschoben haben. Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn sie in diesem Zusammenhang die drängenden Fragen ansprechen würden.

Wie es sich für gute Demokraten gehört, werden wir diesen Antrag natürlich unterstützen. Wir würden uns aber freuen, wenn der Arbeitsauftrag der Kommission noch etwas verbreitert würde.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler.

Bevor ich nun für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Holthoff-Pförtner das Wort gebe, möchte ich das tun, was die Kollegin gerade bereits angekündigt hat. Er ist mittlerweile bei uns auf der Gästetribüne. Ich möchte ganz herzlich hier im Landtag Nordrhein-Westfalen den Generalkonsul des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, Herrn Courage, willkommen heißen. Wir freuen uns, dass Sie unseren Beratungen aufmerksam zuhören.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner, Sie haben jetzt das Wort.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme natürlich mit fast allen Vorrednern überein und beabsichtige auch nicht, deren Aussagen zu wiederholen.

Ich bin den Grünen und dem Kollegen Engstfeld ausgesprochen dankbar für den Antrag zur Einrichtung dieser Enquetekommission, weil nach meiner Überzeugung die Richtung des Brexit mit der Wirtschaft bzw. Wirtschaftsgemeinschaft eigentlich das Wenigste zu tun hat.

Ich glaube, dass der Brexit vor dem Hintergrund der Entscheidungen in London einen Angriff auf die EU darstellt, einen Angriff auf ein freies, selbstbewusstes und erfolgreiches Europa. Dieses Interesse haben sicherlich auch – ich wehre mich innerlich dagegen, zu sagen: die Amerikaner – der amerikanische Präsident und ganz bestimmt auch Russland und China.

Die Diskussion um die Symptome wird an den Kern nicht herankommen. Deswegen erspare ich mir auch eine Stellungnahme zu Herrn Tritschler.

Ich glaube, dass in London die Murdoch-Presse, also die Printpresse, die von Menschen in plus/minus meinem Alter gelesen wird, wesentlich zum Ergebnis der Abstimmung beigetragen hat. 40 Jahre lang massive Lügen über die EU und über Europa haben Wirkung gezeigt. Und darüber, wessen Interessen Herr Murdoch vertritt, brauchen wir uns nicht zu unterhalten.

Ich glaube aber auch – und das ist das Gute an der Auseinandersetzung –, dass es für uns nicht zu spät ist, wach zu werden. Die Dinge, die wir machen und die Sie aufgezählt haben – der Brexit-Beauftragte, die Enquetekommission –, bewirken ein Bewusstsein darüber, was eigentlich in Gefahr ist und welches Risiko wir damit eingehen, unsere Märkte aufzuteilen und dann innerhalb der Weltpolitik keine Rolle mehr zu spielen.

Der amerikanische Botschafter hat bei seinem Besuch – das ist zitierfähig; er wiederholt das ja auch in der Presse – uns Nordrhein-Westfalen aufgefordert, doch direkt mit ihm und seinem Präsidenten über unsere Interessen zu verhandeln. Wir sollten doch bitte nicht auf das alte Europa warten. Ein ähnlicher Satz würde mir in Amerika nicht einfallen. Das ist ein massiver Angriff auf das, was wir in Jahren aufgebaut haben, was wir von unseren Eltern und Großeltern geerbt haben und was wir eigentlich verpflichtet sind, weiterzugeben. Das ist in Gefahr. Diese Gefahr sollten wir ernst nehmen.

Nordrhein-Westfalen hat nun für ein Jahr den Vorsitz der Europaministerkonferenz inne. Für mich war es ein unglaublich positives Erlebnis, die bestehenden Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Dazu gehört natürlich auch die wirtschaftliche Verantwortung. Dazu gehört aber auch die Verantwortung für die Freiheiten – für Pressefreiheit, für Meinungsfreiheit, für die Zivilgesellschaften.

Was beim Brexit immer diskutiert wird, sind die Zahlen. Was wir leider überhaupt nicht diskutieren, ist das Auseinanderbrechen von Zivilgesellschaften, die uns – da stimme ich völlig mit Ihnen überein – ungeheuer positiv geprägt haben. Das bezieht sich nicht nur auf das duale System. Wir verdanken unseren britischen Paten und Freunden wirklich das Bindestrichland. Wir verdanken unseren amerikanischen Freunden, dass es das Europa von heute gibt. Wenn die Amerikaner – ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg – nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegangen wären, gäbe es diese Freiheit nicht.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Ich glaube, dass wir diese Chancen nutzen müssen und uns über die wesentlichen Dinge unterhalten sollten. Wir müssen wissen, was gemeint ist und was gefährdet ist und dass probiert wird, dies an allen Symptomen vorzuführen.

Bei der Europaministerkonferenz sind von Kiel bis München, von Erfurt bis Saarbrücken alle Farbenspiele dieser Republik vertreten – alle bis auf eine Farbe. Es besteht von Jamaika über die Ampel bis Rot-Rot-Grün ein ungeheurer Konsens, wenn es um die wahren Werte, die Freiheit unserer Bürger und um unseren Auftrag geht.

Lassen Sie uns die Mahnung der Präsidentenwahl in Amerika und die Mahnung des Brexit ernst nehmen und zu den wesentlichen Dingen kommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Müller das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frank Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Errungenschaft der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union als Sozialtourismus diffamiert, hat die Freizügigkeit nicht verstanden.

(Beifall von der SPD – Minister Herbert Reul: Wohl wahr!)

Wir verlassen die Europäische Union, aber wir bleiben ein Teil Europas – so lautet das oft vorgetragene Bekenntnis der britischen Regierung mit Blick auf den bevorstehenden Brexit und die Zeit danach. Aber dieser Satz muss noch mit Leben gefüllt werden, sind doch die vielfältigen Beziehungen zwischen den Menschen unserer beiden Länder mehr als nur die Summe von Wirtschafts- und Handelsdaten. Auch deswegen ist der Brexit eine Tragödie, und zwar dies- und jenseits des Kanals.

Aber so ist es eben – das wurde schon angesprochen –, wenn man die EU-Mitgliedschaft zum Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen macht und ein Feuer entfacht, das man am Ende nicht mehr unter Kontrolle bringt.

Dazu kommt es, wenn für alles Gute nationale Regierungen zuständig sind und für alles Schlechte die in Brüssel. Und das, obwohl die nationalen Regierungen für viele Entscheidungen durchaus selbst verantwortlich sind. Nach dem Motto „Ich weiß auch nicht, was die in Brüssel oder in Straßburg da wieder gemacht haben“ schieben sie die Verantwortung aber gerne ab.

Am Rande sei selbstkritisch erwähnt, dass das auch in Deutschland ein gern genutztes Mittel ist. Das Beispiel „Brexit“ macht deutlich, wie schnell so was zu so was führt.

Nun ist die Entscheidung für einen Austritt gefallen. So sehr ich mir – und ich bin mir ganz sicher, viele andere in diesem Saal auch – ein zweites Referendum zumindest über die Verhandlungsergebnisse wünsche: Es wird sehr wahrscheinlich nicht kommen – auch, weil sich die Opposition im Unterhaus – das wurde schon erwähnt – ebenfalls von innenpolitischen Motiven leiten lässt und politischen Honig aus dem beispiellosen Versagen der Tories saugen möchte.

Aber Spott und Häme sind eben nicht angebracht, genauso wenig wie das Statuieren von Exempeln im Aushandlungsprozess; denn viele Menschen in Großbritannien, aber auch hier in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus, haben Fragen und erwarten von uns allen Antworten.

Wie geht es nun weiter? Wie gestalten wir die Beziehung zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Vereinigten Königreich? Wie gelingt es uns, den Austausch zwischen den Menschen zu beleben? Was bedeutet der künftige Rahmen der formalen Beziehungen ganz praktisch für das Zusammenleben und den Alltag der Menschen?

Deswegen bin ich sehr dankbar, dass im Antrag zur Einsetzung einer Enquetekommission auch diese Aspekte eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen. Auch wenn ich mich wiederhole: Es geht um mehr als rein ökonomische Fragen; es geht um die Frage, wie wir die europäische Zukunft gestalten und wie wir über den Tag hinaus denken.

Natürlich kann man der Auffassung sein, dass der Antrag ein bisschen spät kommt. Aber ich finde, dass die Arbeit dieser Enquetekommission und das, was in die Zukunft wirkt, nicht mit dem Brexit Day endet; vielmehr fängt die Arbeit dann erst so richtig an. Deswegen wäre es auch gut, wenn wir als Parlament bzw. als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht alles den Regierungen und deren Beauftragten überlassen; wir müssen eine aktivere Rolle übernehmen.

Die Beziehungen zwischen NRW und dem Vereinigten Königreich sind vielfältig. Vor allem aber sind sie zu einer Zeit entstanden, in der es einem Wunder gleichen musste, dass uns unmittelbar nach dem Krieg und den unfassbaren Verbrechen, die von deutschem Boden ausgingen, Menschen freundschaftlich die Hand gereicht haben.

Die Partnerschaft meiner Heimatstadt Essen mit Sunderland geht auf das Jahr 1949 zurück; 70-jähriges Bestehen feiern wir im kommenden Jahr. Das war ein historischer Akt der Versöhnung, dem ein reger Austausch folgen sollte.

Doch gegen Ende der 80er-Jahre, als sich die Beziehungen längst normalisiert hatten, hatte auch das Engagement rapide nachgelassen. Auch das gehört für viele Partnerschaften zur Wahrheit.

Wer füllt diese langjährigen Beziehungen nun mit neuem Schwung? Ganz sicher haben wir auf beiden Seiten nicht genug getan, damit aus dem Besonderen nicht das Selbstverständliche, das Alltägliche wird. Nichts ist selbstverständlich und nichts ist von Bestand, wenn man sich nicht darum kümmert und wenn man nicht dafür kämpft.

(Beifall von der SPD)

Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass das alles nicht unser Problem sei; mit den Entscheidungen und Folgen müssten die jetzt irgendwie selber klarkommen. – Kann man so machen, ist aus meiner Sicht aber nicht klug, und es entspricht auch nicht meinen Vorstellungen vom europäischen Gedanken.

Gerade SchülerInnenaustausche und Schulpartnerschaften sind gut geeignet, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Es liegt also nah, diese Austäusche zu stärken – so weit, so richtig.

Allerdings gibt es auch hier eine Menge Hausaufgaben zu erledigen. Die ILKA-Datenbank des Landes Nordrhein-Westfalen weist 235 NRW-Schulen mit Kontakt ins Vereinigte Königreich aus. Wir müssen uns gleich mal darüber austauschen, welche Zahlen stimmen. Wir sind nämlich nicht auf 400 gekommen, sondern nur auf 235. Zum Vergleich: Mit unseren französischen Freundinnen und Freunden gibt es 517 partnerschaftliche Verbindungen, also mehr als doppelt so viele.

Schulen berichten mir davon, dass es Schwierigkeiten gibt, entsprechende Partnerschaften einzugehen und Schulen zu finden, hier wie dort. Im Gegensatz zum Austausch mit beispielsweise Frankreich oder Polen gibt es keine finanzielle oder organisatorische Unterstützung.

Das mag sicherlich nicht der einzige Grund sein, aber es sagt etwas aus über den Stellenwert, den wir dem viele Jahre lang beigemessen oder eben auch nicht beigemessen haben. Auch darüber müssen wir reden: Wie können wir den Austausch unter dann erschwerten Bedingungen wieder stärken und nachhaltig gestalten?

Vor ähnlich großen Herausforderungen stehen wir auch in den Bereichen Kultur und Wissenschaft – der Kollege Engstfeld sprach es an. Wie sieht es vor dem Hintergrund des drohenden Wegfalls der Freizügigkeit mit dem Austausch unserer Länder untereinander aus – auch wenn hier sicherlich gerade hinter den Kulissen verhandelt wird?

Studierende könnte es ebenfalls hart treffen, wenn sie möglicherweise nicht mehr unabhängig von ihrem eigenen Geldbeutel oder dem ihrer Eltern an britischen Universitäten studieren können. Ich glaube, auch hier brauchen wir noch Zeit im Aushandlungsprozess.

Was ist mit Studierenden aus Großbritannien – insbesondere vor dem Hintergrund der noch nicht auf Eis gelegten Pläne bezüglich der Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer, die diese Landesregierung zumindest ersonnen hatte, die aber vermutlich nicht kommen werden?

Wir alle haben – alle ist wahrscheinlich nicht richtig –; die überwiegende Mehrheit von uns hat den Brexit nicht gewollt. Seine verantwortliche Umsetzung in der Zeit danach ist aber eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Auch wenn nach der Brexit-Entscheidung ein Traum für viele, insbesondere junge Menschen, ausgeträumt ist, bleiben doch Hoffnung und Auftrag, einen Weg zu finden, unsere Beziehung zum Vereinigten Königreich sowie die europäische Zukunft zu gestalten.

Denn die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden wir nur gemeinsam lösen können. Herr Kollege Engstfeld hatte schon eine Anleihe bei der Fußballpoesie gemacht. Wir singen es gerne in Stadien in Liverpool oder Dortmund – und ich möchte gerne daraus zitieren –:

„Though your dreams be tossed and blown
Walk on with hope in your heart
And you’ll never walk alone.“

(Christian Dahm [SPD]: Uiii!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Müller. – Weitere Wortmeldungen gibt es nicht.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat eine direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/3792 ab. Wer stimmt diesem zu? – Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP, AfD und …?

(Zurufe von der SPD: Wir! Wir alle!)

– SPD.

(Heiterkeit)

Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthält sich jemand? – Sehen wir von hier oben ebenfalls nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3792 einstimmig angenommen. Vielen Dank.

Ich rufe auf:

10 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (Gesetz zur Stärkung der Abgeordnetenrechte)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3801

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die AfD-Fraktion hat Herr Röckemann das Wort.

Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Je mehr an Informationen, desto größer die Verwirrung – das muss sich der letzte Landtag zumindest gedacht haben, als die Verfassungskommission der 16. Legislaturperiode die Überarbeitung der Akteneinsichts- und Zugangsrechte für Abgeordnete ablehnte.

Als Gründe wurden genannt, dass die Ausschüsse und Untersuchungsausschüsse ausreichende Informationsrechte innehätten. Diese kämen auch den Abgeordneten zugute. Ein persönliches Informationsrecht der Abgeordneten könne zu detailliert ausfallen und zu Mehrbelastungen der Landesregierung führen.

Dass man unter Rot-Grün nicht gern gearbeitet hat, zeigt die miserable Bilanz der letzten Regierungsjahre. Dies sollte auf keinen Fall fortgesetzt werden, liebe – oder auch unliebe – Regierungskoalition.

Auch wurde angeführt, dass mit der Einführung derartiger Abgeordnetenrechte folglich mit einer Zunahme gerichtlicher Verfahren zu rechnen sei.

Seien Sie ehrlich: Sie haben doch nur Angst vor dem Rechtsstaat. Und zum Rechtsstaat gehört nun einmal auch, dass Waffengleichheit zwischen den streitenden Parteien herrscht.

Da ist der Osten uns im Westen mal wieder weit voraus – und das nicht nur in Sachen „Umfragewerte für die Alternative für Deutschland“. Das Land Brandenburg hat nach der Wiedervereinigung ausdrücklich ein Akteneinsichts- und Zugangsrecht für Abgeordnete in der Verfassung normiert. Man wusste schließlich um die wichtige Bedeutung der parlamentarischen Kontrollrechte, schon allein aus der sozialistischen Historie heraus. Das ist echte Transparenz statt eines Scheinparlaments.

Trotz der kollektiven Informationsrechte der Ausschüsse und Untersuchungsausschüsse besteht noch immer ein Bedarf an individuellen Informationsrechten für Abgeordnete.

Ich möchte Sie an ein aktuelles Beispiel aus diesem Jahr erinnern, nämlich das Geplänkel vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses Schulze Föcking. Rot-Grün echauffierte sich im Vorhinein über das mangelnde Mitwirkungsinteresse der Landesregierung. Es seien dringende und wichtige Informationen zurückgehalten worden. Die Laschet-Koalition wiederum entgegnete, das Ministerium habe Akteneinsicht angeboten. Das war doch nett.

Meine Damen und Herren Kollegen, mit Nettigkeiten und Gefälligkeiten sollten wir uns aber nicht weiter abgeben. Es kann schließlich nicht sein, dass ein Ministerium aufgrund seiner Machtfülle Akteneinsichten gewähren oder verwehren kann, wie es ihm beliebt. Ministerien sind riesige Verwaltungsapparate mit einer ganzen Schar an Beamten und Angestellten, nicht zu vergleichen mit den personellen Ressourcen eines Abgeordneten.

Das Recht auf Akteneinsicht ist im Rechtsstaat ein essenzieller Grundpfeiler. Nur zwei Beispiele: Jeder Strafverteidiger fordert Akteneinsicht, bevor er seinen Mandanten verteidigt. Jedes Verwaltungsgericht fordert im Klageverfahren die Akten der Behörde an, um eine Entscheidung treffen zu können – usw. usf. Es ist daher nur folgerichtig, dieses Recht auch demokratisch legitimierten Volksvertretern zuzubilligen.

Vielleicht kommen Sie auch wieder mit dem abstrusen Argument, dass es ja ein generelles Informationsfreiheitsgesetz gebe, auf das man sich als Abgeordneter im Zweifel berufen könne.

(Angela Freimuth [FDP]: Nein!)

Dieses Einsichtsrecht greift jedoch zu kurz und gewährt nur bei der Wahrnehmung eigener Betroffenheit und Interessen Einsicht.

Wozu das führen kann, haben wir im Fall des Vorgangs um Sami A. gesehen. Unser Antrag zwecks Akteneinsicht zur ersten Sondersitzung am 20. Juli dieses Jahres wurde uns verwehrt. Das war nicht nett.

Wie gesagt: Es geht nicht um Nettigkeiten, sondern um die Gewährung eines Rechts, das anderen Parteien zugestanden wird. So etwas ist gesetzlich zu normieren.

Ich möchte an das anschließen, was Minister Biesenbach gesagt hat. Wir sind heute so transparent. Der Minister ist transparent. Klar! Deshalb stimmen Sie auch alle spätestens bei der zweiten Lesung unserem Antrag zu, wenn Sie auf Demokratie, Transparenz und Waffengleichheit Wert legen. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Röckemann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD-Fraktion beantragt – das haben wir soeben gehört – ein allgemeines Akteneinsichts- und Zugangsrecht für Abgeordnete gegenüber der Landesregierung und dem Landesrechnungshof. Dazu soll der Art. 30 unserer Landesverfassung ergänzt werden.

Glaubt man den schriftlichen Ausführungen der AfD, dann greift der Gesetzentwurf – ich zitiere aus der Antragsbegründung – „Anmerkungen und Anregungen von Sachverständigen bzgl. der Anhörungen der Verfassungskommission in der 16. Legislaturperiode des Landtages Nordrhein-Westfalen“ auf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe noch einmal in den Bericht der Verfassungskommission hineingeschaut. Dort steht im Dritten Teil unter dem Punkt I.5 „Akteneinsichts- und Zugangsrechte für Abgeordnete“ geschrieben:

„Die Verfassungskommission hat beschlossen:

Die Verfassung wird nicht geändert.“

Weiter heißt es dort:

„In der Verfassungskommission haben sich im Rahmen der Anhörung vom 7. April 2014 die Sachverständigen dahin gehend geäußert, dass eine Normierung solcher Rechte unterbleiben solle.“

Liebe Kollegen der AfD, schon ein Jurastudent im ersten Semester lernt, dass das, was man aus anderen Schriften zitiert oder erwähnt, dort auch wirklich geschrieben stehen muss. Nun sind wir hier nicht im Hörsaal, sondern im Plenarsaal und schreiben keine staatsrechtliche Hausarbeit, sondern beschäftigen uns mit der Landesverfassung. Aber auch Erstsemester wüssten, wie sie hier handeln müssen. Es ist eher peinlich, dass Sie das so beantragen.

Nun könnte ich es mir einfach machen und sagen: Lesen Sie doch einfach nach, was die Verfassungskommission beschlossen hat. – Ich will dennoch einige Argumente nennen, warum ich die von der AfD-Fraktion beantragte Verfassungsänderung für nicht sinnvoll halte.

Erstens. Es gibt bereits Akteneinsichts- und Zugangsrechte – das haben Sie eben erwähnt –, und zwar für Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und den Petitionsausschuss. So ist es in den Art. 41 und 41a der Verfassung geregelt. Das heißt: Dort, wo es ein zwingendes Interesse des Parlaments an Aufklärung gibt, wo ein unabweisbares Bedürfnis an Informations- und Zugangsrechten besteht, die über die in Art. 30 Abs. 3 normierten Rechte der Abgeordneten hinausgehen, sieht die Verfassung schon jetzt solche Rechte vor. Das ist gut und richtig und hat sich auch bewährt.

Zweitens. Wer weitergehende Akteneinsichts- und Zugangsrechte für Abgeordnete eröffnen will, muss sich auch mit den Grenzen auseinandersetzen. Aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung ergibt sich eine Begrenzung der Unterrichtungspflicht einer Regierung. Das mag uns nicht immer gefallen. Aber es gibt einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der den grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt.

Deshalb besteht zum Beispiel dann kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung, wenn die interne Willensbildung der Bundesregierung – und damit wohl auch der Landesregierung – nicht abgeschlossen ist. – So zuletzt das Bundesverfassungsgericht im 131. Band seiner Entscheidungen. Diese verfassungsrechtlich gebotene Einschränkung dürfte zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen.

Drittens will ich etwas zu den praktischen Auswirkungen individueller Akteneinsichts- und Zugangsrechte für Abgeordnete sagen. Bereits jetzt wendet die Landesregierung erhebliche Ressourcen für die Aktenvorlage in den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen auf. In dieser Wahlperiode sind es bereits zwei, in der vergangenen waren es sogar fünf. Die Bearbeitung der zu erwartenden Akteneinsichts- und Zugangsbegehren würde weitere Ressourcen in erheblichem Umfang erfordern. Darüber hinaus ist auch mit einer beträchtlichen Anzahl von gerichtlichen Verfahren zu rechnen.

Einer vertieften Auseinandersetzung über diese und weitere Argumente in den Fachausschüssen sehe ich mit Interesse entgegen. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Geerlings. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als ich mir den Gesetzentwurf, der hier heute eingebracht wird, einmal genauer angesehen habe, habe ich mich gefragt, was die antragstellende Fraktion bewirken will.

Ich habe einen ersten Hinweis bekommen, als der Vertreter der antragstellenden Fraktion hier von echter Transparenz statt Scheinparlament gesprochen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz offensichtlich ist es auch Absicht der antragstellenden Fraktion, unsere demokratische Institution, unseren Landtag, in ein schlechtes Licht zu rücken.

(Beifall von der SPD – Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Denn das, was Sie betreiben, kann nicht allen Ernstes ein seriöser Versuch sein, die Verfassung mit entsprechenden Mehrheiten zu ändern. Das haben Sie auch gar nicht vor. Dieser Gesetzentwurf ist sicherlich dazu geeignet, die offensichtliche Unkenntnis der Antragsteller zu dokumentieren. Dazu hätte es aber dieses Antrags nicht bedurft.

Im Gesetzentwurf wird das Recht der Abgeordneten auf Information angesprochen. Information ist ein tolles Stichwort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wer solche Gesetzentwürfe schreibt, hat allerdings auch die Pflicht, sich zu informieren. Dabei ist es nicht ausreichend, wenn man den Gesetzentwurf – die neuen Bundesländer sind angesprochen worden – vom 17.03.2017 der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hier beinahe wortgleich einbringt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt doch, dass es sich nicht um Verfassungsdefizite in Nordrhein-Westfalen, sondern um eine politische Kampagne einer Außenseiterpartei handelt.

(Markus Wagner [AfD]: 15 %! – Weitere Zurufe von der AfD)

Ich hatte als Sprecher der SPD-Fraktion das Privileg, mich in der vergangenen Wahlperiode intensiv mit Fragen von Parlaments- und Abgeordnetenrecht zu beschäftigen. Wir haben das seinerzeit gründlich und ernsthaft mit allen damals im Landtag vertretenen Fraktionen getan. Zusätzlich hat sich im Rahmen des Fachbereichs „Parlamentarismus und Landesregierung“ eine ganze Reihe von führenden Staatsrechtler mit der Frage der Verankerung von Informationsrechten in der Landesverfassung beschäftigt.

Ich erwarte gar nicht, dass Sie sich detailliert – darauf hat Herr Dr. Geerlings schon abgehoben – mit den einzelnen Stellungnahmen der Sachverständigen beschäftigen, aber ich hätte schon erwartet, dass Sie, bevor Sie hier falsch zitieren, einen Blick in den Abschlussbericht unserer Verfassungskommission werfen. Ich empfehle Ihrem Studium die Seiten 28 ff.

Für besonders Interessierte darf ich dann noch darauf hinweisen, wer uns die Ratschläge gegeben hat. Zum Beispiel Herr Professor Dr. Wolfgang Zeh, Bundestagsdirektor a. D., Herr Professor Dr. Klaus Gärditz, Herr Professor Dr. Fabian Wittreck, Herr Professor Stefan Marschall und Herr Dr. Jörg Menzel. Das ist das Who’s who der Staatsrechtler in Nordrhein-Westfalen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die haben uns den Rat gegeben – diesem Rat sind wir gefolgt –, über den Art. 40 der Landesverfassung die Parlamentsinformationsvereinbarung auch zum Gegenstand der Verfassung werden zu lassen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen an der Stelle nicht ersparen, dass Sie sich diesen Erkenntnissen komplett verweigert haben.

Ich will nicht im Einzelnen das wiederholen, was Herr Kollege Geerlings vorhin gesagt hat, aber ich will noch auf den Art. 30 unserer Landesverfassung hinweisen. Unter Juristen sagt man ja: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Auch daraus kann man nämlich, wenn man die entsprechende Rechtsprechung hinzuzieht, sicherlich individuelle Abgeordnetenrechte ableiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem abstrakt behaupteten Kontrolldefizit kann ich nicht folgen. Gerade der von Ihnen angesprochene Beispielfall zeigt doch, dass uns die Landesverfassung sinnvolle Instrumente gibt, um detaillierter nachfassen zu können, nämlich zum Beispiel durch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses.

Die Tatsache, dass Sie beinahe wortgleich – sie haben zwei oder drei Worte verändert –, obwohl die Landesverfassung in Sachsen-Anhalt eine vollkommen andere ist – ich habe mich da informiert –, das Gleiche wie in Sachsen-Anhalt beantragen, zeigt, dass Sie sich mit Ihren Freunden aus Sachsen-Anhalt – bei Ihnen sagt man wohl eher Kameraden – gut abgesprochen haben.

Ich komme zu dem Fazit: Es handelt sich nicht um einen ernsthaften Versuch, die Demokratie in unserem Bundesland zu verbessern, sondern es handelt sich eher um einen Versuch, Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen zu diffamieren. Wir stimmen zwar der Überweisung zu – aber für solche Zwecke steht die Sozialdemokratie nicht zur Verfügung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Körfges. – Nun spricht Frau Freimuth für die FDP-Fraktion.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung vorab: Ein Wesensmerkmal unserer parlamentarischen Demokratie ist die Gewaltenteilung und das Prinzip wechselseitigen Kontrolle durch die jeweils anderen Gewalten.

Das Parlament insgesamt und auch einzelne Abgeordnete können ihre Kontrollaufgaben nur dann ausüben, wenn sie die dafür notwendigen Informationen erfragen und erhalten können und sie darauf vertrauen dürfen, dass die erteilten Auskünfte sachlich richtig und gegebenenfalls durch Zugang zu den Basisinformationen überprüft werden können. Der einzelne Abgeordnete entscheidet letztlich selbst, in welcher Detailtiefe er erhobene Daten und Informationen abrufen will.

Das parlamentarische Informationsrecht ist für die Wahrnehmung des parlamentarischen Mandats grundsätzlich erforderlich. Dieses Informationsrecht – das wurde schon gesagt – wird zum einen über die Statusbestimmung der Abgeordneten in Art. 30 Abs. 2 unserer Landesverfassung abgeleitet und durch das Fragerecht zum Beispiel in §§ 89 ff. der Geschäftsordnung näher konkretisiert. Zum anderen ist es konkret in Art. 40 der Landesverfassung für Landesgesetze, Staatsverträge, Verwaltungsabkommen sowie Bundes- und Europaangelegenheiten ausdrücklich vorgesehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der heute vorgelegte Gesetzentwurf, mit dem besondere Statusrechte in Art. 30 der Landesverfassung aufgenommen werden sollen, findet dennoch nicht unsere Zustimmung. Der guten Ordnung halber – ich will jetzt gar nicht auf die Sachsen-Anhaltiner Regelung eingehen, das ist in der Tat eine kleine Besonderheit – sei der Hinweis gestattet, dass die Begründung von unzutreffenden Behauptungen ausgeht.

Erstens. Es ist gerade schon angesprochen worden: Die Verfassungskommission der letzten Legislaturperiode hat das Thema „Akteneinsicht und Zugangsrechte“ ausdrücklich behandelt und mit Fachleuten diskutiert, vereinzelt auch über weitergehende Anpassungen der Verfassung. Aber eine Empfehlung zu einer derart weitreichenden Änderung, wie sie der Gesetzentwurf jetzt vorsieht, gab es aber zu keinem Zeitpunkt. Professor Gärditz hat vielmehr dargelegt, dass eine Verankerung detaillierter Ansprüche von Abgeordneten auf Akteneinsicht in der Verfassung nicht zu empfehlen ist. Auch der Abschlussbericht zeigt unter I.5 auf, dass eine solche Änderung nicht empfohlen wurde, da kein dringender Veränderungsbedarf gesehen wurde.

Zweitens. Die beschriebene Ausgangslage ist unzutreffend. Der Informationsanspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen ist, anders als hier dargestellt, nicht an eine persönliche Betroffenheit geknüpft. Es handelt sich vielmehr um ein Jedermannsrecht zum voraussetzungslosen Zugang zu Informationen von öffentlichen Stellen. Das merken wir im Übrigen auch an den zahlreichen anhängigen Gerichtsverfahren, die sich auf die Ausnahmeregelungen zum Informationsrecht beziehen.

Drittens. Auf die in diesem Zusammenhang wesentliche Frage, ob Abgeordnete als Mitglieder des Verfassungsorgans „Landtag“ überhaupt Anspruchsberechtigte im Sinne von § 4 Informationsfreiheitsgesetz sein können, geht der Gesetzentwurf nicht ein. Hier ist die juristische Anwendbarkeit noch nicht gänzlich geklärt – das sei zugestanden –; wohl wird aber dieser allgemeine Informationsanspruch gegenüber den bereits aus Art. 30 Abs. 2 der Landesverfassung abgeleiteten spezielleren Rechten als subsidiär zurücktreten, notfalls auch mit Hinweis auf die entsprechenden Regelungen der Verschlusssachenverordnung.

Viertens. Verfassungssystematisch sei anzumerken, dass eine derartige Konkretisierung zu einer Detailüberfrachtung einer verfassungsrechtlichen Regelung führen würde, die üblicherweise der einfachgesetzlichen Regelung vorbehalten sein muss, um die Wesentlichkeit der Verfassung nicht zu verunklaren.

Nicht ausschlaggebend, aber dennoch nicht unwidersprochen bleiben sollte auch die Behauptung, ein solches grundsätzliches Zugangsrecht zu Behörden und den dortigen Akten sei nicht mit einer Mehrbelastung der Verwaltung verbunden. Ich will jetzt gar nicht auf die Kleinen Anfragen wechselseitig zu der Frage „Aufwand und Kosten“ eingehen. Sicher ist, dass wir infolge der Digitalisierung Informationen auch digital verfügbar haben und sie mit einem anderen Aufwand weiterleitbar werden. Dennoch ist ein erheblicher Aufwand anzuerkennen, um Auskunftsersuchen von uns Parlamentariern für eine zweckdienliche parlamentarische Verwendbarkeit auf den Weg zu bringen; denn Desinformation durch Überinformation ist mit Sicherheit nicht sachdienlich und nutzt dem Anliegen nicht.

Damit will ich zum Schluss kommen. Wir können uns gerne im Ausschuss darüber austauschen, ob die Landesregierung zum Beispiel den Informationsersuchen der Abgeordneten etwa durch die in § 92 unserer Geschäftsordnung vorgesehenen Kleinen Anfragen noch besser nachkommen kann. Bezüglich der Konkretisierung und Detailtiefe mag sich da der eine oder andere auch an der Qualität seiner Fragestellung messen lassen.

Der Überweisung an die Fachausschüsse stimmen wir selbstverständlich zu. Inhaltlich sehen wir dazu die Notwendigkeit nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es relativ kurz, weil von meinen Vorrednern und meiner Vorrednerin eigentlich alles gesagt wurde. Wie Herr Kollege Körfges war ich in der letzten Legislatur für unsere Fraktion Sprecher in der Verfassungskommission. Die Argumente sind hier breit vorgetragen worden; ich muss sie jetzt nicht mehr wiederholen.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Man kann darüber zugegebenermaßen trefflich streiten. Es gibt gute Argumente, den Weg zu gehen, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Wir haben uns in Nordrhein-Westfalen für diesen Weg entschieden, können das aber gerne noch einmal überprüfen. Insofern: Alles weitere im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Engstfeld für diesen Beitrag, der zur Kürze beigetragen hat, obwohl wir heute viel zu schnell sind, wie ich sehe. Insofern haben wir gar keine Eile. Also halten wir einen Moment inne.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: War das eine Kritik? – Heiterkeit)

Wir bemerken, dass sich die Landesregierung nicht zu Wort gemeldet hat. Stimmt? – Okay.

Wir können dann zur Abstimmung schreiten. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3801 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Ist jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3801 einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

11 Gesetz zur Umsetzung des bereichsspezifischen Datenschutzes im Bereich der Justiz (Justizdatenschutz-Anpassungsgesetz – Just-DSAnpG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2350 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschuss
Drucksache 17/3756 – Neudruck

zweite Lesung

Die Aussprache ist eröffnet. An das Pult tritt für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Erwin.

Angela Erwin (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Datenschutz“ ist zurzeit in aller Munde und versetzt – so ist zumindest der verbreitete Eindruck – viele im Land in Aufregung. Die Vorgaben aus Brüssel zu diesem durchaus wichtigen Thema schlagen sich nun auch in dem heute in zweiter Lesung zu beratenden Justizdatenschutz-Anpassungsgesetz nieder, mit dem die Landesregierung insbesondere die Vorgaben der EU-Richtlinie zum Datenschutz für die Bereiche der Verhütung, Ermittlung und Aufklärung von Straftaten sowie der Strafvollstreckung umzusetzen gedenkt.

Mit den von der NRW-Koalition vorgelegten Änderungen haben wir die Anregungen aus der Anhörung aufgegriffen. An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei den Sachverständigen für die Hinweise bedanken. Gerade weil wir uns beim Datenschutz im grundrechtssensiblen Bereich bewegen, also gerade weil die Verarbeitung personenbezogener Daten mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Einklang zu bringen ist, war es uns wichtig, ein größtmögliches Maß an Normenklarheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Oder, um es in einfachen Worten zusammenzufassen: Mit unseren Änderungsvorschlägen verfolgen wir den Wunsch nach größtmöglicher Verständlichkeit des Gesetzes. Exemplarisch möchte ich darauf hinweisen, dass daher eine Änderung der Norm zum Einsatz videogesteuerter Assistenzsysteme sowie eine Änderung der Norm zu den Grundsätzen der Datenverarbeitung angemessen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben unseren klarstellenden Änderungen besteht aber keine Notwendigkeit zu weiteren inhaltlichen Änderungen, wie sie von der SPD gefordert wurden. Das hat auch damit zu tun, dass der Justizminister mit seinem Haus einen guten Gesetzentwurf vorgelegt hat, der uns dem Ziel eines wirksamen Datenschutzes auch in den Bereichen, an die man beim Thema Datenverarbeitung vielleicht nicht als Erstes denken mag, ein Stück näherbringt. Dafür und für die guten Beratungen bedanke ich mich im Namen der CDU-Fraktion ausdrücklich.

Ich bitte um Ihre Zustimmung für den angepassten Gesetzentwurf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Erwin. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Gesetzentwurf – wir werden uns bei der Abstimmung enthalten – gibt es etwas zu loben, aber auch einiges zu tadeln. Positiv anzumerken ist, dass mit dem Gesetz versucht wird, ein einheitliches Gesetzeswerk für den Datenschutz im Justizvollzug zu schaffen. Das war die positive Anmerkung.

Ich komme jetzt zu den etwas schwierigeren Punkten. Das Lob hört an mancher Stelle schnell auf. Aber das mit dem Lob hat ja, wenn es sonst keiner tut, Herr Biesenbach, die Kollegin gerade schon in Ihre Richtung gemacht. Ich will dann einmal die etwas kritischen Dinge ansprechen.

Der Gesetzentwurf folgt der EU-Richtlinie nicht gerade auf dem Fuße. Der von der EU festgelegte Zeitraum zur Umsetzung betrug zwei Jahre und endete am 06.05.2018. Wir, vielmehr Sie als Regierung, haben es geschafft, die erste Lesung anderthalb Wochen vor Ende der gesetzten Frist durch die EU im Landtag NRW stattfinden zu lassen. Das ist wieder einmal typisch. Es wird gerade durch den Justizminister medial viel angekündigt. Bei der Umsetzung jedoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es dann eher schleppend bis gar nicht.

Nach der ersten Lesung sollte dann wegen des Zeitdrucks alles recht schnell gehen, und es sollte möglichst ohne Anhörung gleich im Mai-Plenum die zweite Lesung stattfinden. Liebe Frau Kollegin Erwin, soweit Sie eben die Anhörung gelobt haben, bin ich ganz bei Ihnen. Gott sei Dank gibt es hier im Haus eine Opposition; denn ohne uns hätte es gar keine Anhörung gegeben, wenn ich da einmal an den Ablauf erinnern darf.

Wir haben uns dann auch nicht beirren lassen und sind wesentlichen Anregungen aus dieser Anhörung gefolgt, und zwar nicht nur im Bereich „schöne Sprache“ und „klarer Ausdruck“, sondern wir haben allen Ernstes die Anmerkungen des LDI gut durchgelesen, sie abgearbeitet und dann einen umfänglichen inhaltlichen Änderungsantrag geschrieben, dem Sie leider – ich weiß bis heute nicht, warum – nicht nachkommen konnten. Vielleicht war das getreu dem alten Regierung-Opposition-Rituals: Ihr habt zwar recht, aber wir haben die Mehrheit. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das scheint mir eher der innere Zusammenhang gewesen zu sein.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das kennen Sie noch aus alten Zeiten!)

– Ich glaube, das kennt man wechselseitig so. Aber wenn Sie einräumen, dass wir recht gehabt haben, Herr Kollege, dann ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich will abschließend sagen, dass wir dem Gesetzentwurf nicht in Gänze im Wege stehen wollen; vielmehr wollen wir dafür sorgen, dass die Regelungen zeitnah umgesetzt werden. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben die eine oder andere Peinlichkeit im Verfahren sicherlich zu vertreten. Wir wollen das nicht gegen uns gelten lassen. Deshalb können wir leider nicht zustimmen, sondern uns nur enthalten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Körfges. – Die FDP wird nun vertreten von Herrn Kollegen Mangen.

Christian Mangen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Entwurf werden die bisherigen datenschutzrechtlichen Standards in ein neues, eigenständiges Justizvollzugsdatenschutzgesetz überführt und zugleich die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/680 in Landesrecht umgesetzt. Die erstmalige Zusammenführung der für den Justizvollzug geltenden Datenschutzbestimmungen in einem eigenen Gesetz trägt dem hohen Stellenwert des Datenschutzes im Justizvollzug Rechnung und macht die komplexe Materie des Datenschutzes anwendungsfreundlicher.

Die Regelung des Datenschutzes in einem eigenen Justizvollzugsdatenschutzgesetz entspricht den Bemühungen des überwiegenden Teils der anderen Länder, die ebenfalls die Einführung eigener Gesetzeswerke auf der Grundlage eines Mustergesetzentwurfs der Länder beabsichtigen.

Der Strafvollzugsausschuss der Länder hat in der 125. Tagung vom 10. bis 12. Mai 2017 in Potsdam beschlossen, eine länderübergreifende Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Mustergesetzentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie der EU für Justizvollzug einzurichten, in der Nordrhein-Westfalen zusammen mit Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein die Federführung übernommen hat. Der vorgelegte Gesetzentwurf berücksichtigt die gegenwärtigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe und anderer bereits im Gesetzgebungsprozess befindlicher Entwürfe der Länder zum bereichsspezifischen Datenschutz im Justizvollzug. Ich kann daher nur dafür werben, den Gesetzentwurf mit den Änderungen, die die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion eingebracht haben, anzunehmen.

Herr Kollege Körfges, Sie haben sich hier gerade gerühmt, dass Ihr Änderungsantrag inhaltlich so profund gewesen sei, und gesagt, Sie könnten gar nicht verstehen, warum die anderen den nicht mitgetragen hätten. Sie hätten zuhören sollen; denn wir haben klar dargelegt, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen nicht nötig sind, weil sie im Gesetzentwurf bereits enthalten sind oder sich aus anderen Gesetzen ergeben. Deswegen war dies auch nicht nötig.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich bitte Sie um Zustimmung. – Vielen Dank und Glückauf.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mangen. – Nun spricht Herr Engstfeld für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich werde mich bei Ihnen unbeliebt machen, aber ich werde meinen Beitrag ähnlich kurz halten. Die Argumente sind bei der Einbringung und im Ausschuss schon weitestgehend ausgetauscht.

Herr Mangen, nein, wir haben zugehört. Das war ein sehr guter Änderungsantrag vonseiten der SPD-Fraktion, dem wir ja auch zugestimmt haben. Es wäre hilfreich gewesen, wenn er bei Ihnen Berücksichtigung gefunden hätte. Das ist nicht passiert.

Die Peinlichkeiten im Verfahren und die inhaltlichen Änderungen, die auch durch die Anhörung entstanden sind, haben Sie zum größten Teil beseitigt. Insofern gibt es auch von unserer Seite keine Ablehnung, sondern eine Enthaltung.

Ich weiß es auch nicht – das müssen wir noch mal an anderer Stelle diskutieren –, warum solche guten Vorschläge in der Sache bei den regierungstragenden Fraktionen keine Mehrheit gefunden haben.

Wir enthalten uns. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Engstfeld. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Gesetz mit dem selbsterklärenden Namen „Gesetz zur Umsetzung des bereichsspezifischen Datenschutzes im Bereich der Justiz“, vereinfacht auch als Justizdatenschutz-Anpassungsgesetz bekannt, hat mich an durchlittene Stunden im Lateinunterricht erinnert. Ich sage nur: nomen est omen.

Ihr unaussprechliches Gesetzesvorhaben beruht auf der Datenschutz-Grundverordnung, die nicht weniger unaussprechlich ist. Mit dieser Verordnung wurde bereits der deutsche Mittelstand in Angst und Schrecken versetzt. Besonders schrecklich ist dabei die Flut an Fallstricken, die zu beachten sind und nur vorgeblich dem Verbraucherschutz dienen. Tatsächlich wurde mit der DSGVO ein Brüsseler Bürokratiemonster erschaffen, das bislang niemandem genutzt hat – außer Zeit und Kosten zu verursachen.

Genauso ist es bei Ihrem heutigen Vorhaben: viel Theorie und gute Absichten, aber nicht praxistauglich.

Dazu ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Angehöriger möchte einen Insassen besuchen. Die Daten des Besuchers müssten aufgezeichnet und am Ende des Tages, wenn er die JVA wieder ohne den Insassen verlässt, gelöscht werden. Darauf hat der Besucher einen Anspruch.

Jetzt kommt exakt derselbe Besucher eine Woche später wieder zur JVA, und das gleiche Spielchen beginnt von vorne – bei mehreren Zehntausend Gefangenen und deren Besuchern ein zeitraubendes Unternehmen. Wie gesagt, das ist ein Beispiel.

Bei ausländischen Besuchern unserer ausländischen Gäste ist dies beinahe unmöglich.

Bei der Gelegenheit: Die Frist zur Datenspeicherung ist auch viel zu kurz, um eine vernünftige Datenverarbeitung zu gewährleisten. So werden mühsam gewonnene Erkenntnisse nach kurzer Zeit wieder vernichtet. Was für ein Unfug! Hier schleicht sich Täterschutz unter dem Deckmantel des Datenschutzes ein.

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Anhörung zum Gesetzentwurf aufmerksam verfolgt haben, wird Ihnen sicherlich nicht entgangen sein, dass sich die Vertreter der Praxis skeptisch gegenüber dem Vorhaben geäußert haben. Nach deren vorsichtiger Einschätzung würde die Umsetzung des Bürokratiemonsters einen Mehrbedarf von 465,5 Stellen bedeuten. Das ist eine Zahl, die man nicht so einfach mit einem flapsigen „Wir schaffen das“ wegbügeln kann.

Ernsthaft, wo wollen Sie denn die Leute hernehmen? Sie wissen schon, dass die Gewinnung von Kandidaten, deren Auslese und die anschließende Ausbildung Jahre in Anspruch nehmen werden wird. Sie bekommen doch schon heute nicht genug Personal zusammen, um Ihre großspurigen Wahlversprechen einzulösen.

Ist Ihnen eigentlich entgangen, dass die Mitarbeiter im Vollzugsdienst bereits jetzt über die Maßen belastet sind? Den Eindruck müssen Sie doch auch erhalten haben, als wir diese Anstalten mit dem Justizausschuss besucht haben. Die Beschäftigten werden kilometerweit versetzt, fahren teilweise stundenlang zur neuen Arbeitsstelle – und das im Schichtdienst. Die Krankenstände erhöhen sich hierdurch permanent. Ehen gehen in die Brüche. Diese Leute haben keine Lust mehr. – Sie hingegen sorgen nicht für die notwendige Entlastung, sondern legen die Latte immer noch höher.

Unsere Forderung ist so einfach wie klar: Schaffen Sie zunächst die geeigneten Voraussetzungen, und stellen Sie die erforderliche Anzahl an Vollzugsbediensteten ein! Dann und erst dann verwirklichen Sie Ihr Gesetzesvorhaben. Alles andere ist billige Durchhaltepolemik auf dem Rücken der Mitarbeiter. Mit der Alternative für Deutschland ist das nicht zu machen. Wenn Sie sich beschweren wollen, wenden Sie sich an Brüssel. Dort haben Ihre Leute an verantwortlicher Stelle die Weichen in die falsche Richtung gestellt. – Guten Tag.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Röckemann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach*), Minister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Körfges, heute noch von der SPD zumindest ein kleines Lob zu erhalten, überrascht mich. Ich sage das einmal so.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD] – Zuruf von der SPD: Echte Freunde!)

Ich hätte aber an einer anderen Stelle, an der Sie die zeitliche Schiene ein bisschen kritisiert haben, eigentlich auch ein Lob erwartet. Denn mit diesem Justizvollzugsdatenschutzgesetz entsprechen wir den Bemühungen der meisten anderen Bundesländer, die ebenfalls die Einführung eigener Gesetzeswerke beabsichtigen. Noch diese Anmerkung dazu: Nordrhein-Westfalen geht hier als eines der ersten Bundesländer voraus. Das, was Sie als zeitlich lang bezeichnen, bringt uns also im bundesweiten Vergleich mit an die Spitze.

Meine Damen und Herren, mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf werden für die Justiz die Vorgaben der Datenschutzrichtlinie umgesetzt. Dies erfordert eine grundlegende Neuregelung des gesamten Datenschutzrechts für den Justizvollzug.

Der Entwurf verfolgt dabei mehrere Ziele:

Erstens. Das bereits jetzt bestehende hohe datenschutzrechtliche Niveau soll beibehalten werden.

Zweitens. Die Regelungen sollen eine möglichst große Anwenderfreundlichkeit erreichen.

Drittens. Schließlich soll den Besonderheiten des Justizvollzugs Rechnung getragen werden.

Diese Ziele erreicht der Entwurf, indem er den Datenschutz im Justizvollzug künftig in einem eigenständigen Gesetz regelt und nicht wie bisher in einzelnen Abschnitten der Justizvollzugsgesetze.

Der Entwurf setzt an zahlreichen Stellen auf die bewährte begriffliche Unterscheidung zwischen Erheben, Verarbeiten, Übermitteln und Weiterverarbeiten auf, greift jedoch zugleich auch auf den neuen zentralen Verarbeitungsbegriff der Datenschutzrichtlinie zurück.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält daher in Art. 1 den Vorschlag für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz und in den folgenden Artikeln die Anpassung der Justizvollzugsgesetze.

In das Jugendarrestvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen soll außerdem in Konkretisierung der bisherigen Rechtslage eine Vorschrift aufgenommen werden, die die polizeiliche Zuführung von Jugendlichen zum Jugendarrest ermöglicht.

Der Entwurf enthält eine klare Gliederung in allgemeine Vorschriften und besondere Verarbeitungsvorgänge. In seinen allgemeinen Bestimmungen hebt er die zentralen Grundsätze für eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Justizvollzug hervor. Die besonderen Bestimmungen des Gesetzentwurfs übernehmen bewährte Vorschriften und Verarbeitungsvorgänge aus den Justizvollzugsgesetzen.

Daneben sieht der Entwurf die Möglichkeit der Nutzung von videogesteuerten Assistenzsystemen zur Suizidprävention und die Einführung von gemeinsamen Fallkonferenzen mit den Polizei‑ und Verfassungsschutzbehörden bei einer bevorstehenden Entlassung von gefährlichen Gefangenen vor.

Mit diesen erstmals gesetzlich geregelten Bestimmungen zu gemeinsamen Fallkonferenzen, die den neueren verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen, dient der Entwurf damit zugleich der Erhöhung der Sicherheit.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde vom Plenum am 26. April einstimmig zur alleinigen Beratung nach der ersten Lesung an den Rechtsausschuss überwiesen.

Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf schließlich in seiner zwölften Sitzung am 9. Mai erstmalig beraten und in seiner 16. Sitzung hierzu eine Anhörung durchgeführt.

Auf der Grundlage der eben vorgetragenen Argumente freue ich mich darauf, den Gesetzentwurf heute verabschieden zu lassen, und hoffe auf Ihre Zustimmung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Weitere Wortmeldung haben wir nicht.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/3756 Neudruck, den Gesetzentwurf Drucksache 17/2350 Neudruck in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und nicht über den Gesetzentwurf. Wer stimmt der Beschlussempfehlung zu? – CDU und FDP stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion stimmt dagegen. Wer enthält sich? – SPD und Grüne enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 17/3756 Neudruck mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 17/2350 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

12 Unerlaubte Gülleimporte nach Nordrhein-Westfalen schnellstmöglich stoppen!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3688

Für die CDU begründet diesen Antrag Herr Kollege Korth.

Wilhelm Korth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die einen bedeutet Gülle frische Landluft und hochwertiger Dünger,

(Heiterkeit)

für die anderen stinkt Gülle einfach nur zum Himmel und ist Teufelszeug. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe mein ganzes Leben lang in der Landwirtschaft zu tun gehabt, und ich weiß, wovon ich an dieser Stelle rede.

Für beide Seiten gilt allerdings, dass Gülle kein Abfall, sondern ein natürliches organisches Düngemittel ist.

Mit dem Ausbringen dieses natürlichen Düngemittels werden Kreisläufe geschlossen. Die darin enthaltenen Nährstoffe, zum Beispiel Stickstoff, Phosphor, Kalium und Schwefel sowie verschiedene Spurenelemente, sind Grundlage jedes Pflanzenwachstums.

Jetzt aber geht aus dem Bericht des Ministeriums hervor, dass es offensichtlich zu Unregelmäßigkeiten im Verbringen von Nährstoffen über die Grenze mit den Niederlanden gekommen ist. Diese Unregelmäßigkeiten müssen aufgeklärt werden. Deshalb an dieser Stelle herzlichen Dank für den Bericht.

In der Landwirtschaft gibt es auch bei uns in Betrieben Nährstoffüberschuss, zum Beispiel wenn man sich auf das Halten von Tieren spezialisiert hat. Andersherum fehlen in Ackerbauregionen sehr oft die wertvollen organischen Nährstoffe.

So kommt es dazu, dass Betriebe die Nährstoffe untereinander austauschen. Das geschieht in Deutschland nach einem festgesetzten Muster, um den Austausch auch kontrollieren zu können.

Offensichtlich ist es nun aber leider so, dass das System aus Deutschland nicht mit dem System aus den Niederlanden vergleichbar ist und somit illegalen Machenschaften Tür und Tor geöffnet wird.

Umweltministerin Heinen-Esser hat sich deshalb Ende August mit den Landwirtschaftsministerinnen aus den Niederlanden und Niedersachsen getroffen, aber es gab auch schon zu Beginn des Jahres Gespräche dazu. Das Ergebnis war, dass die zuständigen Behörden beraten, wie die Kontrollen grenzüberschreitender Gülletransporte verbessert werden können. Weitere drei Ländertreffen sollen zu einer Vertiefung der Zusammenarbeit im Bereich der gemeinsamen Herausforderung „Wirtschaftsdüngermanagement“ führen.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht ein zügiges und konsequentes Handeln der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Ziel muss es sein, jederzeit den Weg der Wirtschaftsdünger vom abgebenden Betrieb bis hin zur Ausbringungsfläche des aufnehmenden Betriebes lückenlos zu verfolgen, auch wenn die Gülle, wie nicht unüblich, zwischengelagert wird.

Die ausgebrachten Wirtschaftsdünger sind nach Menge und Nährstofffracht in Kilogramm, Tonnen und Kubikmetern zu bestimmen und in der Düngerplanung darzustellen.

Bei der Diskussion über das sogenannte „undurchsichtige Geschäft“ – so ein Zitat aus dem Artikel der „Westdeutschen Zeitung“ vom 14. September 2018 – sollten wir aber nicht außer Acht lassen: Gülle ist ein legales Wirtschaftsgut, das natürlich weiterhin bei entsprechendem Bedarf auch aus den Niederlanden kommen kann – aber in geregelten Bahnen und besser kontrollierbar als heute.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch kurz drei Sachen ansprechen:

Punkt eins richtet sich an die abgebenden Betriebe. Gülle vorsätzlich und illegal zu verschieben, ist kein Kavaliersdelikt – schon einmal ganz und gar nicht, wenn die Nährstoffe noch in eine Region gelangen, die sowieso schon durch hohe Nitratwerte vorbelastet ist.

Punkt zwei richtet sich an die aufnehmenden Betriebe. Jeder, der meint, besonders schlau zu sein und illegal und über die offizielle Nährstoffbilanz hinaus Nährstoffe aufzunehmen, schlägt damit seinen ehrlich arbeitenden Berufskollegen ins Gesicht.

Punkt drei. Alle Landwirte, die korrekt auf ihren landwirtschaftlich genutzten Flächen Dünger ausbringen, müssen zahlreiche Gesetze und Verordnungen einhalten – und das tun sie auch.

Unter Rot-Grün wurde es den Landwirten in Nordrhein-Westfalen ständig durch neue Gesetze und Verordnungen schwergemacht. Die deutlich strengeren Anforderungen durch das Düngegesetz und die Düngeverordnung an die Düngung tragen zu einer umweltgerechten Anwendung von Düngemitteln und einer effektiveren Überwachung bei. Es sind die Landwirte, die damit an dieser Stelle die Grundlage für eine Verbesserung des Grundwasserzustands schaffen.

Fazit ist aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da, wo es wirklich wichtig und richtig gewesen wäre, mal etwas genauer hinzuschauen, hatte man seitens der Vorgängerregierung – jetzt erlauben Sie mir bitte diese flapsige Bemerkung – Tomaten auf den Augen und Bohnen in den Ohren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch ist es seinerzeit Rot-Grün nicht gelungen, illegale grenzüberschreitende Gülletransporte nach Nordrhein-Westfalen anständig zu kontrollieren. Deshalb bin ich froh, dass die aktuelle NRW-Koalition handelt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung für unseren Antrag. Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Korth. – Nun begründet für die mitantragstellende FDP-Fraktion Herr Kollege Diekhoff den Antrag.

Markus Diekhoff*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausbringung von Wirtschaftsdünger, sprich Gülle, unterliegt sehr strengen Regeln hier in Nordrhein-Westfalen. Es ist umso erschreckender, dass die bestehenden Vorschriften offensichtlich nicht eingehalten wurden und die Einhaltung nicht umfassend kontrolliert wurde.

Wir wurden im Ausschuss erst im September 2018 darüber informiert – wir sind der Umweltministerin für diese schnelle Information sehr dankbar, nachdem man endlich mal kontrolliert hat –, dass seit 2012 unerlaubte Gülleimporte aus den Niederlanden nach NRW gekommen sind. Es war nicht nur ein Gülleimport, sondern Tausende. Es ist im Prinzip ein Skandal, dass hier zugelassen wurde, dass Hunderte von Unternehmen, die angeblich Gülle aufnehmen, überhaupt nicht existieren, dass die Niederländer Lkw-weise Gülle nach Nordrhein-Westfalen verfrachtet haben mit der Adresse einer Eisdiele, die niemals davon wusste, dass sie diese Gülle bekommt. Es ist ein Skandal, dass das möglich war.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es gab immer wieder Hinweise und Presseberichte, die darüber berichteten, gerade im Raum des Niederrheins, wo Anwohner über Güllelieferungen zu komischen Uhrzeiten irritiert waren.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Es gab immer wieder Hinweise. Wir haben uns aber immer auf den damaligen grünen Umweltminister Remmel verlassen, der uns gesagt hat: Das ist alles nicht möglich. Es ist dokumentiert. Wir haben ein wasserdichtes System. Lkw haben GPS. Es gibt ein digitales Dossier. Es passiert gar nichts.

Gleichzeitig wurde in diesen Jahren aber nichts unversucht gelassen, Gülle zu diskreditieren, Dünger immer wieder zu problematisieren, Familienbetriebe mit unglaublich hohen Auflagen an den Rand der Existenz zu treiben. Man musste nachinvestieren, man musste große Gülle-Tümpel für die Lagerung bauen. Ausbringungssperren wurden im großen Stil eingerichtet.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: War das alles falsch?)

– Nein. Aber es ist falsch vor dem Hintergrund, dass man auf der anderen Seite nicht in der Lage ist, über sechs Jahre illegale Machenschaften zu benennen und aufzudecken.

(Beifall von der FDP und der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist interessant!)

Wir haben es anscheinend in zwölf Monaten geschafft, Sie in sechs Jahren nicht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist das!)

Und es ist natürlich eine Unverschämtheit:

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Die Akzeptanz von Gülledüngung ist auch durch Ihr Verhalten, durch die ständige Problematisierung, durch die Angriffe gegen die Familienunternehmen immer weiter gesunken, und gleichzeitig haben Sie nicht dafür gesorgt, dass illegale Machenschaften beendet werden.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit diesem Imageschaden müssen jetzt sowohl die Bauern leben als natürlich auch die Politik, die wieder mal gezeigt hat – zumindest Sie haben es gezeigt –, dass es nicht möglich ist, bestimmte Sachen zu kontrollieren, obwohl alle davon ausgehen, dass es geht.

Deswegen erwarten die Landwirte und auch die Bürger natürlich zu Recht, dass wir jetzt konsequent handeln. Und wir werden das auch tun. Wir werden diese Missstände, die uns ein grüner Umweltminister hinterlassen hat, jetzt abstellen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Bodo Löttgen [CDU]: Richtig!)

Gülle und Wirtschaftsdünger dürfen Nordrhein-Westfalen nur noch dann erreichen, wenn verbindlich geklärt ist, wohin die Lieferung geht und wer sie erhält. Unsere Umweltministerin hat dankenswerterweise sofort die Initiative ergriffen, hat neue Gespräche mit den Niederländern über einen neuen Kontrollmechanismus geführt, wie auch immer wir das machen wollen. Das wird sicherlich nicht einfach. Aber wir packen das Problem jetzt zumindest an, und wir werden es lösen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Diekhoff. – Nur spricht für die SPD-Fraktion Frau Watermann-Krass.

Annette Watermann-Krass (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Korth und Herr Diekhoff, die Schuldzuweisungen an die rot-grüne Vorgängerregierung zeugen in meinen Augen von Realitätsferne und Hilflosigkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Sie sind in dieser Zeit ja gar nicht dabei gewesen.

Ich frage mich bis heute – auch dazu haben wir hier im Plenum schon eine Runde gehabt –, wie dieser Satz den Weg in Ihre Koalitionsverhandlungen gefunden hat: Es wird keinerlei Länderverschärfung geben. – Wir werden ganz genau hinschauen, wenn Sie die Düngeverordnung auf den Weg bringen, wenn Ihnen das Thema, so, wie Sie es gerade vorgetragen haben, wirklich so am Herzen liegt.

Nun zu dem Antrag: Der liest sich ja so, als ob Sie Ihrer Landesregierung jetzt einen Arbeitsauftrag mitgeben müssen. Schnellstmöglich sollen unerlaubte Gülleimporte in NRW gestoppt werden, und es müssen noch in diesem Jahr Maßnahmen eingeleitet werden. Und weiter: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten ein zügiges, ein konsequentes Handeln der nordrhein-westfälischen Landesregierung.

So weit, so gut. Wenn allerdings im Antrag behauptet wird, dass wir, die rot-grüne Vorgängerregierung, für diesen Missstand verantwortlich sind, dann kann ich da nur widersprechen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, wer denn sonst? – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Herr Hovenjürgen, ich kann Ihnen das gerne sagen: Weil wir das eingeführt haben.

(Beifall von SPD und den GRÜNEN

Unter Minister Remmel sind die grenzüberschreitenden Gespräche mit den Niederlanden doch erst intensiviert worden.

(Henning Höne [FDP]: Außer Spesen nichts gewesen!)

2015 wurde durch die rot-grüne Regierung das Memorandum auf den Weg gebracht, damit die Kontrollen gezielter und effektiver erfolgen konnten.

(Markus Diekhoff [FDP]: Das sagen Sie ausgerechnet heute! – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Auch die Kolleginnen und Kollegen, die länger dabei sind, wissen: Wir beschäftigen uns schon die ganzen Jahre mit diesem Thema. Seit 2005 bin ich dabei.

Ich kann heute feststellen: Die sinnvolle Überprüfung und Dokumentation des Verbleibs von sogenanntem Wirtschaftsdünger ist doch überhaupt erst durch Rot-Grün möglich geworden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit der Einführung der Wirtschaftsdüngernachweisverordnung, wie das gute Ding heißt, haben wir es überhaupt erst ermöglicht, dass eine weitere, auch länderübergreifende Kontrolle stattfinden kann. Deswegen hat ja die Landwirtschaftskammer als zuständige Überwachungsbehörde seit 2016 ganze 20 neue Stellen geschaffen, die für diese Überwachung zuständig sind. Wir konnten auch den Ausführungen der Ministerin entnehmen, dass genau diese Kontrollen heute dazu führen, dass wir erste Ergebnisse haben.

Letztendlich ist es doch ein Zusammenspiel: Wir haben das LANUV, wir haben die Landwirtschaftskammer, wir haben die Bezirksregierung und als Kreisordnungsbehörde auch den Kreis mit drin.

Wenn ich jetzt mal Ihren Antrag lese, tun sich Fragen auf. Sie haben da jetzt so herumgeschwurbelt. Wie genau soll denn die lückenlose Kontrolle importierter Güllelieferungen erfolgen? Wie soll das denn gehen? Wie viele Stellen sollen denn in welchen Bereichen geschaffen werden? 20 Stellen haben wir schon. Soll jetzt auch die Kreisbehörde mehr bekommen? Ich weiß es nicht.

Interessant in dem Bericht der Ministerin war doch, dass direkte Transportkontrollen von Gülle-Lkw ganz schwierig und wenig effektiv sind, da die Transporte sehr häufig nachts stattfinden. Wir sehen diese Trucks auf der Autobahn. Natürlich können die Kontrollstellen umfahren werden, wenn man weiß, wo sie sind.

Die Landesregierung präferiert in ihrem Bericht die Kontrollen der aufnehmenden Betriebe. Es hat sich erwiesen, dass das sinnvoll ist. Wie wollen Sie das ändern?

Es bleiben weitere Fragen. Soll etwa die Ausbringungszeit analog den Niederlanden auch hier in Nordrhein-Westfalen weiter eingeschränkt werden? Dazu hätte ich auch gerne mal eine Antwort.

Wir begrüßen, dass Frau Ministerin Heinen-Esser den vom damaligen Minister Remmel eingeschlagenen Kurs weiter verfolgt, beispielsweise zu Gesprächen in die Niederlande fährt und die Maßnahmen gegen den illegalen Gülletransport abstimmt. Die Verzahnung der niederländischen Datenbank mit denen der anderen Bundesländern, aber neuerdings auch nach Belgien begrüßen wir dabei ausdrücklich.

Die Forderung, die illegalen Gülletransporte effektiv und schnell zu bekämpfen, ist berechtigt. Wir haben dies in der Zeit unserer Regierungsverantwortung gemacht und werden dieses Anliegen auch zukünftig unterstützen.

Ihr Antrag ist uns allerdings zu vage, zu bürokratisch und zu praxisfern.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ja was ganz Neues, das Ihnen was zu bürokratisch ist!)

Auch die Schuldzuweisung an die rot-grüne Vorgängerregierung zeugt, wie ich eben sagte, von einer gewissen Realitätsferne und Hilflosigkeit. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Watermann-Krass. – Nun spricht für Bündnis 90/Die Grünen Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2010 bin ich Mitglied im Landtag. Ich glaube, es gibt kein Thema, das mich in den ganzen Jahren so beschäftigt hat wie die Frage einer bedarfsgerechten Düngung, des Gülleanfalls und der Gülleverwendung hier in Nordrhein-Westfalen. Wir sind eine Hochburg der Veredelung. Das will ich an der Stelle noch mal deutlich ansprechen.

Dieser Antrag tut ja jetzt fast so, als ob wir nur mit der niederländischen Gülle ein Problem hätten, die ungefähr 6 bis 7 % der Gesamtmenge ausmacht, die in Nordrhein-Westfalen anfällt. Nein, das Thema ist schon ein bisschen größer zu sehen. Diese Importe sind ein Aspekt eines großen Problems, das wir angehen müssen.

Seit 30 Jahren diskutieren wir insgesamt agrarpolitisch über diese Frage. Es gab den Bericht „Umweltprobleme in der Landwirtschaft“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen, der schon vor 30 Jahren aufgezeigt hat, welche Probleme diese Intensivierung der Stickstoffdüngung, um die es vor allem geht, mit sich gebracht hat, welche Umweltfolgen sie für Wasser, für Boden und für die Natur insgesamt hat. 30 Jahre lang ist eigentlich nicht viel passiert.

Trotz aller Bemühungen und Verschärfungen, die wir gehabt haben, ist es das Ziel, mit dem Stickstoffsaldo, also dem Überschuss an Stickstoff, auf 50 kg runterzukommen. Wir liegen derzeit bei 100 kg. Von dem Ziel sind wir noch weit, weit weg. Wir müssen also noch viel mehr tun als das, was Sie in Ihrem Antrag schreiben.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie haben – das klang eben ein bisschen bei Herrn Diekhoff vorhin an – uns Vorwürfe gemacht, wir hätten immer mehr Vorschriften gemacht und dies und das. Dafür haben Sie uns auch immer kritisiert. Daran kann ich mich gut erinnern. Wir aus NRW heraus haben immer gedrängt, dass bei der Düngeverordnung deutlich mehr passieren muss. Das haben Sie immer kritisiert. Ich glaube, es war genau der richtige Weg, damit wir endlich die Nährstoffe deutlich besser kontrollieren können.

2012 war ja ein wichtiges Jahr. 2012 kam der Herbsterlass. 2012 gab es die Gespräche mit der damaligen Ministerin der Niederlande, Frau Dijksma hieß sie, glaube ich. Das hat alles Minister Remmel gemacht. Wenn Sie heute sagen, das sei falsch gelaufen, dann stelle ich mal eine Gegenfrage: Ist denn der Minister für die Kontrolle dieser Gülleströme zuständig oder die Landwirtschaftskammer? Müssen wir nicht auch mal in Richtung Landwirtschaftskammer fragen: Was habt ihr denn eigentlich mit den 10 Mitarbeitern, die es zuerst waren, und den dann 20 Mitarbeitern gemacht? Vielleicht hätte da auch schon eher und schneller etwas an der Stelle passieren müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Markus Diekhoff [FDP] und Henning Höne [FDP])

Darüber hinaus sind natürlich auch die Behörden der Kreise zuständig. Es ist ja insbesondere ein Problem bestimmter Kreise. Es ist der Kreis Kleve. Er ist ganz klar hauptbetroffen. Es ist der Kreis Heinsberg. Und es ist zum Beispiel nicht Ostwestfalen-Lippe. Da muss man natürlich auch fragen, ob dann nicht auch diese Kreise ihre Untersuchungen noch mal intensivieren müssen und auf ihrer Ebene mehr tun müssen.

Ich finde, wir müssen uns auch noch mal über die Mengen unterhalten. Aus den Niederlanden kommen jährlich ungefähr 13.000 t reiner Stickstoff. In Nordrhein-Westfalen werden in unserer Tierhaltung ungefähr 200.000 t Stickstoff erzeugt. Darin sind 17.000 t aus Biogasgärresten eingeschlossen. Dann sind wir bei 185.000 t aus der Tierhaltung. Interessant ist, dass Ausbringungsverluste von 30 % angerechnet werden können. Das heißt, in den Bedarfsrechnungen der Landwirte tauchen 50.000 t dieser 185.000 t überhaupt nicht mehr auf. Die sind nämlich weg.

Das kritisiere ich seit Jahren. Diese 50.000 t, also das Vierfache der Menge, die wir aus den Niederlanden bekommen, verschwinden. Sie werden aus den Kaminen der Ställe herausgeblasen. Sie sind nicht mehr da. Aber natürlich sind sie noch da; denn sie regnen halt 10 km später wieder ab. Sie sind natürlich auf dem Boden.

Im Münsterland haben wir dadurch zum Beispiel eine Vorbelastung von 50 kg Stickstoff pro Hektar. Warum werden die in der Düngeplanung nicht mit eingerechnet? Solange wir das nicht tun, werden wir weiterhin erhebliche Probleme an der Stelle haben.

Deswegen sage ich noch einmal: Es reicht nicht aus, diesen Antrag hier zu stellen und zu sagen: Wir haben nur ein Problem mit niederländischer Gülle. – Das kann man machen, aber da ist meine Meinung: Das Handwerkszeug ist gegeben, die Stellen der Kammer sind da.

Bei dem Ergebnis, das jetzt bekannt wurde, das die bestehenden Fehler offenlegt, muss man sich auch fragen, ob diese tatsächlich nur bei den Importen aus den Niederlanden auftreten oder ob wir die Probleme auch bei Gülle haben, die innerhalb von Nordrhein-Westfalen von Betrieb zu Betrieb transportiert wird. Sind denn da die Dokumente alle einwandfrei? Können wir das alles kontrollieren? Wissen wir denn, wenn ein Bauer zum Beispiel aus dem Münsterland eine Fläche im Sauerland pachtet – da ist es ja ein bisschen billiger –, ob die Gülle tatsächlich aus dem Kreis Borken wirklich bis ins Sauerland kommt? Passiert das immer? – Das wissen wir doch genauso wenig.

Wenn Sie dann die GPS-Sender an die niederländischen Transporter hängen wollen, müssen Sie sie dann in der Konsequenz nicht auch an jedes Güllefass hängen? Ich frage mich, wie das dann am Ende funktionieren soll. Ich halte das für höchst schwierig.

Ich denke, der Weg, der damals beschrieben wurde, ist der richtige, indem der Empfängerbetrieb genau nachweisen muss, was er mit der Gülle macht. Das ist der richtige Weg. Den haben wir eingeleitet, den gilt es jetzt weiter zu verfolgen.

Ihr Antrag ist da keine Verbesserung. Er ist ein „Wir müssen mal ein Antrag stellen“-Antrag. Wir werden ihn deshalb ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die AfD spricht nun Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist doch wirklich erfrischend, zu sehen, dass Sie nun auch endlich erkennen, dass über offene Grenzen nicht nur Milch und Honig fließen.

(Helmut Seifen [AfD]: Sondern auch Gülle!)

In seiner ersten Regierungserklärung kündigte Herr Ministerpräsident Laschet an – er hat uns schon längst verlassen –, unser Land zur Nummer eins zu machen. Und tatsächlich sind wir auf dem allerbesten Wege dorthin. Nordrhein-Westfalen ist das Erwartungsland Nummer eins für Wölfe, für die Afrikanische Schweinepest, für illegale Migranten

(Bodo Löttgen [CDU]: Das ist es wieder!)

und für illegale Gülle. Da können Sie doch einmal richtig stolz auf sich sein. Das haben Sie doch gut hingekriegt!

(Beifall von Helmut Seifen [AfD])

Nun fordert die Landesregierung schärfere Grenzkontrollen, aber nicht für die illegalen Migranten, sondern für Gülle, weil Sie einmal Zeitung gelesen und einen Bericht in der „Westdeutschen Zeitung“ entdeckt haben. Wir forderten übrigens von Anfang an – das können Sie in unserem Wahlprogramm nachlesen – ein generelles Ende des Gülletourismus. Wir wollen generell keine niederländische Gülle auf unseren Äckern.

Die Landesregierung ist bei der Güllebewirtschaftung heillos überfordert und bei deren Überwachung bis zum Hals in Schwierigkeiten. Dank der EU ist die Verbringung der Gülle schon genauso bürokratisch wie das Abgeben einer Steuererklärung. Es wurde ein System von rechtlichen Regeln und multinationalen Ausführungsbestimmungen erlassen, das kein Laie mehr versteht.

Die Öffnung der Grenzen macht Nordrhein-Westfalen zu einem weltoffenen Entsorgungsland für Gülle. Unfähig, den Warenverkehr zu kontrollieren, bleibt die Erkenntnis, dass die Gülleausbringung sich nicht steuern lässt, wenn unsere Nachbarn ihre eigenen Spielregeln haben. Die Sperrzeiten in den Niederlanden sind deutlich länger als in Deutschland, sodass es immer wieder Anreize zu grenzüberschreitenden Verklappungen gibt. Die Nitratwerte schießen bei uns nach oben, weswegen wir von der alles überwachenden EU-Kommission auch noch eine Klage am Hals haben. Da passt etwas nicht zusammen.

Die Verbringung der Gülle und anderer landwirtschaftlichen Reststoffe auf unseren Äckern ist übrigens nicht alternativlos. Überschüssige Gülle kann zur Biogaserzeugung eingesetzt werden, man kann sie aber auch einfach verbrennen. Die Verbrennung von Geflügelkot funktioniert und hinterlässt in der Asche Phosphat und Kalium, aber kaum Nitrate.

Im Bericht der Landesregierung zu den illegalen Gülletransporten findet sich eine Statistik der Verbringung aus den Niederlanden. Danach sind mengenmäßig bedeutsam die Schweinegülle, die Gärreste aus der Biogaserzeugung, der Geflügelmist sowie – für den Laien überraschend – Champost. Diese Champignonerde eignet sich wegen des hohen Gehalts an organischer Substanz und an Pflanzennährstoffen gut als Dünger, kann aber auch mit Rückgewinnung der Mineralien verbrannt werden.

Mit dem Bericht der Landesregierung bleiben jedoch noch eine Menge Fragen offen: Warum wurden im Jahr 2017 nahezu 400.000 t Champost nach Nordrhein-Westfalen exportiert? Eine Entsorgung und Verwendung in den Niederlanden wäre doch ohne große Fläche möglich gewesen.

Noch etwas: Das Übergreifen der Afrikanischen Schweinepest auf Belgien sollte für die Landesregierung Anlass genug sein, die Importe von Schweinegülle auf Erreger dieser gefährlichen Seuche zu untersuchen. Am besten wäre es allerdings, diesen Schweinemist per Erlass direkt als Abfall zu deklarieren. Die Importe aus Belgien stellen die größte Gefahr dar. Hier besteht ein akuter Handlungsbedarf. Wir werden die Entwicklung aufmerksam beobachten. Es stinkt so einiges in unserem Bundesland. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Heinen-Esser.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Danke schön. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß gar nicht, warum ich immer diejenige bin, die bei Ihnen, Herr Dr. Blex, Aufklärungsarbeit leisten muss.

(Helmut Seifen [AfD]: Weil Sie das so schön können!)

– Genau. Sie hören mir ja auch so schön zu. Ich tue das gerne wieder.

Herr Dr. Blex, Gülle ist – und das ist unser Hauptproblem – als Wirtschaftsgut eingestuft. Deshalb muss es innerhalb der EU auch frei handelbar sein.

Es ist noch nicht lange her, da hat ein Kollege Ihrer Fraktion an diesem Rednerpult bedauernd mitgeteilt, dass es demnächst schwer würde, das Wirtschaftsgut Auto von Deutschland nach Großbritannien zu exportieren. Die Gülle ist – es fällt auch mir schwer, das zu begreifen; aber es ist nun einmal so von der EU-Kommission und auch richterlich bestätigt – ein Wirtschaftsgut. Deshalb müssen wir hier mit starken Kontrollmechanismen arbeiten, und das tun wir auch.

Ich bin froh und dankbar, dass heute ein Antrag vorliegt, der uns die Möglichkeit gibt, das Thema „illegale Gülleimporte“ vernünftig diskutieren zu können. Natürlich enthält er auch Aspekte, die wir innerhalb der Landesregierung bearbeiten müssen.

Ich darf noch einmal einen Schritt zurückgehen und auf die Landwirtschaftskammer zu sprechen kommen, die im Übrigen trotz der vergleichsweise wenigen Mitarbeiter sehr gut arbeitet, Herr Rüße. Allein in NRW werden jährlich 2.500 Betriebe kontrolliert. Was die Kolleginnen und Kollegen dort leisten, ist wirklich ordentlich.

Die Landwirtschaftskammer hat bei der niederländischen Datenbank die Aufnehmer der in Nordrhein-Westfalen registrierten Gülle abgefragt. Die Zahlen dazu habe ich Ihnen bereits im Ausschuss präsentiert. In der Datenbank fanden sich 1.348 Betriebe, wovon 350 Betriebe gar nicht existierten. Es waren sogar Eisdielen darunter. Das war eine ganz spannende Zusammenstellung angeblicher Aufnehmer von Gülle. Es gab also erhebliche Diskrepanzen. Wir waren alle sehr erschrocken über dieses Ausmaß der Unstimmigkeiten, und deshalb arbeiten wir daran, das Problem intensiv anzugehen und die Lücken zu schließen.

Wir haben uns im Sommer dieses Jahres – Herr Kollege Diekhoff hat das netterweise schon einmal erwähnt – mit der niederländischen und der niedersächsischen Agrarministerin getroffen und weitere Schritte vereinbart; denn der Einblick in das niederländische Register reicht nicht aus. Wir brauchen da mehr. Wir müssen beispielsweise wissen, wer tatsächlich die Auftragnehmer sind, und das müssen wir genau abgleichen können.

Natürlich gibt es diese Gespräche schon lange. Christina Schulze Föcking hat sie geführt, Herr Remmel hat sie geführt und Eckhard Uhlenberg hat sie geführt. Alle haben diese Gespräche geführt; denn es gibt in dem Dreieck Niedersachsen – Niederlande – Nordrhein-Westfalen eine ganze Reihe von Themen, die nicht nur die Gülle betreffen, sondern auch weit darüber hinausgehen. Aus diesem Grund werden diese Gespräche schon lange geführt.

Was haben wir vereinbart? Wir – also diese drei Länder – haben vereinbart, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich diesem Thema noch weiter widmet. Schließlich wissen wir zum Beispiel gar nicht: Kommt die Gülle tatsächlich nach Deutschland oder geht sie zurück in die Niederlande? Es kann auch sein, dass es sich hier um einen sehr großen Betrug handelt, der wieder in die Niederlande zurückführt, um zu verschleiern, dass die Gülle dort ausgebracht wird. Oder wird die Gülle über Deutschland nach Belgien transportiert? Das sind alles Fragen, die nicht beantwortet sind, und die wir jetzt in einer Arbeitsgruppe diskutieren werden.

Dem Wunsch des Landtags, in einem Jahr erneut Bericht zu erstatten – auch vor diesem Hintergrund ist der Antrag wichtig –, kommen wir natürlich sehr gerne nach. Ich hoffe, dass wir in einem Jahr vor allen Dingen den betroffenen Menschen in der Region – übrigens auch dank der Abgeordneten aus der Region, die heute hier sind – eine vernünftige Antwort auf die Frage geben können, wie es weitergeht.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Heute sind die Abgeordneten mal hier? Das ist ja auch toll!)

Denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Wir werden sicher noch weitere Möglichkeiten finden. Ich bin zuversichtlich, dass das mit den Kollegen aus den Nachbarländern vernünftig vorangehen wird.

Zu guter Letzt darf ich noch eines sagen: Wir diskutieren über illegale Gülleverklappung, aber das ist nicht der Regelfall in der deutschen Landwirtschaft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Regelfall ist, dass sich die Landwirte bei uns an Recht und Gesetz halten und hohe Standards beachten. Wir haben es hier mit einem echten Sonderproblem zu tun, das quasi nach Deutschland hereingetragen wird. Das Problem werden wir lösen – dafür stehe ich –, und in zwölf Monaten sind wir hoffentlich einen großen Schritt weiter. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Heinen-Esser. – Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/3688. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne. Wer enthält sich? – Es enthält sich die AfD-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3688 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Ich rufe auf:

13 Starke Denkmalpflege – starke Heimat! Eigentümer beim Erhalt und der Nutzung von Denkmälern unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3807

Eine Aussprache hierzu ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3807 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend – sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Beratung und Abstimmung wiederum werden nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Das sieht gut aus. Wer stimmt dagegen? – Das sieht auch gut aus. Enthält sich jemand? – Das sieht auch prima aus. Dann ist der Antrag einstimmig so überwiesen.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung und kommen zum Höhepunkt des heutigen Tages.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 12. Oktober 2018, 10 Uhr.

(Heiterkeit)

Ich wünsche allen einen angenehmen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:35 Uhr