Das Dokument ist auch im PDF und Word Format verfügbar.

Landtag

https://www.landtag.nrw.de/portal/Grafiken/Logos/pp_wappen.jpg

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/36

17. Wahlperiode

10.10.2018

 

36. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 10. Oktober 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 7

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 7

Änderung der Tagesordnung. 7

1   Planungen der Landesregierung zu aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen

Unterrichtung
der Landesregierung

In Verbindung mit:

Gericht verhängt Rodungsstopp im Hambacher Wald – Landesregierung muss sich jetzt der politischen Verantwortung für das Rheinische Revier stellen!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3849

In Verbindung mit:

Gesellschaftlichen Konsens zum Kohleausstieg ernst nehmen: Rodungsmoratorium und neue Leitentscheidung jetzt!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3791. 7

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 7

Marc Herter (SPD) 12

Bodo Löttgen (CDU) 15

Monika Düker (GRÜNE) 19

Markus Wagner (AfD)
(zur GeschO) 21

Christof Rasche (FDP) 22

Christian Loose (AfD) 24

Marcus Pretzell (fraktionslos) 26

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 27

Guido van den Berg (SPD) 29

Wibke Brems (GRÜNE) 31

Bodo Löttgen (CDU) 32

Dr. Christian Blex (AfD) 34

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 37

Ergebnis. 38

2   Die berufliche Bildung fit für die Zukunft machen – Berufskollegs regional weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3806. 39

Petra Vogt (CDU) 39

Martina Hannen (FDP) 40

Jochen Ott (SPD) 41

Sigrid Beer (GRÜNE) 42

Helmut Seifen (AfD) 43

Ministerin Yvonne Gebauer 44

Ergebnis. 45

3   Gesetz über Gleichen Lohn für Gleiche Arbeit – Anpassung der Lehrerbesoldung an ihre Ausbildung (Lehrerbesoldungsgleichstellungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3812

erste Lesung. 45

Jochen Ott (SPD) 45

Arne Moritz (CDU) 46

Ralf Witzel (FDP) 47

Sigrid Beer (GRÜNE) 48

Herbert Strotebeck (AfD) 49

Minister Herbert Reul 50

Jochen Ott (SPD) 51

Ergebnis. 52

4   Digitalisierung im Bildungsprozess konstruktiv und bildungsfördernd gestalten – gegen den Missbrauch der schulischen Digitalisierung als „trojanisches Pferd“ für die Durchsetzung wirtschaftlicher und ideologischer Interessen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3802 – Neudruck. 52

Helmut Seifen (AfD) 52

Frank Rock (CDU) 53

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 55

Franziska Müller-Rech (FDP) 55

Sigrid Beer (GRÜNE) 57

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Christian Loose
s. Protokoll der 37. Plenarsitzung
vor Eintritt in die Tagesordnung. 58

Formlose Rüge  
des Abgeordneten Helmut Seifen
s. Protokoll der 37. Plenarsitzung
vor Eintritt in die Tagesordnung. 58

Ministerin Yvonne Gebauer 58

Ergebnis. 59

5   Sie sind in Nordrhein-Westfalen willkommen! – Berufsanerkennungsverfahren verbessern und im Sinne der antragstellenden Menschen weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3805. 59

Marco Schmitz (CDU) 59

Stefan Lenzen (FDP) 60

Josef Neumann (SPD) 61

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 62

Dr. Martin Vincentz (AfD) 63

Minister Karl-Josef Laumann. 64

Ergebnis. 65

6   Demokratiefördergesetz 2.0 – Demokratinnen und Demokraten brauchen kontinuierliche Demokratieförderung!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3809. 66

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 66

Dr. Stefan Nacke (CDU) 67

Angela Freimuth (FDP) 68

Josefine Paul (GRÜNE) 69

Markus Wagner (AfD) 70

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 71

Ergebnis. 72

7   Gründungen fördern statt Programmbürokratie: Hochschul-Gründerbudgets einführen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3795. 72

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 72

Florian Braun (CDU) 73

Dietmar Bell (SPD) 74

Moritz Körner (FDP) 75

Helmut Seifen (AfD) 76

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 77

Ergebnis. 78

8   Export von Schlachtrindern einschränken – Mehr Tierschutz bei Tiertransporten durchsetzen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3800. 78

Nic Peter Vogel (AfD) 78

Heinrich Frieling (CDU) 79

André Stinka (SPD) 80

Markus Diekhoff (FDP) 81

Norwich Rüße (GRÜNE) 82

Ministerin Ina Scharrenbach. 83

Nic Peter Vogel (AfD) 84

Ergebnis. 85

9   Fragestunde

Drucksache 17/3847. 85

Mündliche Anfrage 24

der Abgeordneten Wibke Brems (GRÜNE)

Kosten des Polizeieinsatzes im Hambacher Wald. 85

Wie hoch waren die Gesamtkosten der Räumung der Baumhäuser im Hambacher Wald im Zeitraum vom 13.09. bis 08.10.2018?  85

Wie viele Dienststunden sind bei der Polizei im Zeitraum vom 13.09. bis 08.10.2018 beim Einsatz im Hambacher Wald angefallen?  85

Minister Herbert Reul 85

(Schriftliche Beantwortung
s.
Vorlage 17/1269)

Mündliche Anfrage 25

1. Was tut die Landesregierung, um ähnlich gelagerte Fälle aufzudecken bzw. organisatorisch auszuschließen?  91

2. Welche Fehler sind im Geschäftsbereich des Ministeriums der Inneren in diesem Fall geschehen?. 91

Hartmut Ganzke (SPD)
(zur GeschO) 91

(Schriftliche Beantwortung
s.
Vorlage 17/1270)

Mündliche Anfrage 26

der Abgeordneten Berivan Aymaz (GRÜNE)

Haftraumbrand in der JVA Kleve am 17. September 2018  92

1. Wie vollzogen sich die polizeilichen Ermittlungen zum Brand in der JVA Kleve?. 92

2. Wer betrat seit dem Brand den betreffenden Haftraum in der JVA Kleve?. 92

Berivan Aymaz (GRÜNE)
(zur GeschO) 92

(Schriftliche Beantwortung
s.
Vorlage 17/1211)

Minister Herbert Reul 92

Minister Peter Biesenbach. 92

Mündliche Anfrage 27

der Abgeordneten Lisa Kapteinat (SPD)

1. Was tut die Landesregierung, um ähnlich gelagerte Fälle aufzudecken bzw. organisatorisch auszuschließen?  94

2. Welche Fehler sind im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz in diesem Fall geschehen?. 94

Minister Peter Biesenbach. 94

10 Gesetz zur Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2659

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/3823

zweite Lesung. 102

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU) 102

Ellen Stock (SPD) 103

Stefan Lenzen (FDP) 103

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 104

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 105

Minister Dr. Joachim Stamp. 106

Ergebnis. 107

11 Mobilität für Landesbeschäftigte in NRW

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3794. 107

Arndt Klocke (GRÜNE) 107

Arne Moritz (CDU) 108

Carsten Löcker (SPD) 109

Bodo Middeldorf (FDP) 110

Nic Peter Vogel (AfD) 111

Ministerin Ina Scharrenbach. 112

Ergebnis. 113

12 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3587

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/3755

zweite Lesung. 113

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 113

Sonja Bongers (SPD) 114

Christian Mangen (FDP) 114

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 114

Thomas Röckemann (AfD) 115

Ergebnis. 115

13 Integration strukturiert gestalten – Qualifizierung und Professionalisierung von Migrantenselbstorganisationen weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2157

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3873

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/3822. 115

Heike Wermer (CDU) 115

Eva Lux (SPD) 116

Stefan Lenzen (FDP) 117

Berivan Aymaz (GRÜNE) 118

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 119

Minister Dr. Joachim Stamp. 119

Ergebnis. 120

14 Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3699

erste Lesung. 120

Minister Herbert Reul
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)

Ergebnis. 120

15 Gesetz für einen qualitativ sicheren Übergang zu einem reformierten Kinderbildungsgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3773

erste Lesung. 120

Minister Dr. Joachim Stamp. 121

Ergebnis. 122

16 Gesetz zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3774

erste Lesung. 122

Minister Peter Biesenbach
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 122

17 Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und weiterer wahlrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3776

erste Lesung. 122

Minister Herbert Reul
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 122

18 Gesetz zur Änderung des Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverbandsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3778 – Neudruck

erste Lesung. 122

Ministerin Ursula Heinen-Esser
zu Protokoll
(siehe Anlage 4)

Ergebnis. 122

19 Wahl von Mitgliedern des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3848. 123

Ergebnis. 123

20 Nachwahl zur Umbesetzung eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I (Fall Amri)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3816. 123

Ergebnis. 123

21 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 11
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/3834. 123

Ergebnis. 123

Anlage 1. 125

Zu TOP 14 – „Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Herbert Reul 125

Anlage 2. 127

Zu TOP 16 – „Gesetzes zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Peter Biesenbach. 127

Anlage 3. 129

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und weiterer wahlrechtlicher Vorschriften“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Herbert Reul 129

Anlage 4. 131

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverbandsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Ursula Heinen-Esser 131

 

Entschuldigt waren:

Ministerin Ursula Heinen-Esser

Minister Karl-Josef Laumann    
(ab 14 Uhr)

Minister Lutz Lienenkämper

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen       
(ab 13:30 Uhr)

Susana Dos Santos Herrmann (SPD)

Gabriele Hammelrath (SPD)

Karl Schultheis (SPD)

Andreas Terhaag (FDP)

Verena Schäffer (GRÜNE)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen.

Im Moment höre ich über die Lautsprecher kaum etwas. Wir müssen die Technik nachsteuern.

(Präsident André Kuper wird ein Mikrofon gereicht.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem diese kleine Tonpanne behoben ist, darf ich Sie alle zu unserer 36. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen heißen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass der ursprünglich für heute angesetzte Tagesordnungspunkt 22 entfällt.

Damit treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1  Planungen der Landesregierung zu aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen

Unterrichtung
der Landesregierung

In Verbindung mit:

Gericht verhängt Rodungsstopp im Hambacher Wald – Landesregierung muss sich jetzt der politischen Verantwortung für das Rheinische Revier stellen!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3849

In Verbindung mit:

Gesellschaftlichen Konsens zum Kohleausstieg ernst nehmen: Rodungsmoratorium und neue Leitentscheidung jetzt!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3791

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 8. Oktober mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu Planungen der Landesregierung zu aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen zu unterrichten.

Zudem hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Schreiben vom 8. Oktober gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung eine Aussprache zu einer aktuellen Frage der Landespolitik beantragt, welche uns als Drucksache 17/3849 vorliegt.

Diese beiden Punkte sollen gemeinsam beraten werden. Ebenfalls in die Debatte mit einbezogen wird der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/3791.

Die Unterrichtung der Landesregierung erfolgt durch den Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, Professor Dr. Pinkwart. Ich erteile Herrn Minister Pinkwart nun das Wort. Bitte schön.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten …

(Präsident André Kuper reicht Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart das Mikrofon.)

– Funktioniert es nicht? Das ist mal eine neue Form der Kommunikation.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich darf noch einmal neu beginnen. Dann läuft aber auch die Zeit neu.

(Heiterkeit – Am Redepult wird ein neues Mikrofon angebracht.)

– Das ist ja toll; wunderbar. Ich sehe, es liegt nicht an der Energieversorgung.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und der AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die NRW-Koalition ist angetreten, Gegensätze zu überwinden und Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen. Unser Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen bis spätestens 2030 zum innovativsten, leistungsstärksten und klimafreundlichsten Industrieland weltweit zu machen.

Die NRW-Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung klar zum Klimaschutzabkommen von Paris und dem Ziel bekannt, dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weitgehend treibhausgasneutral wirtschaften soll. Das im Klimaschutzgesetz Nordrhein-Westfalen für 2020 vorgegebene Minderungsziel für Treibhausgasemissionen in Höhe von 25 % gegenüber 1990 werden wir nicht nur einhalten, sondern Nordrhein-Westfalen wird es übererfüllen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zur Erreichung der Klimaziele bedarf es auch, aber nicht nur einer Wende in der Energieerzeugung. Die Energiesysteme der Zukunft sind dabei so zu gestalten, dass sie die Faktoren Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglichkeit gleichrangig berücksichtigen und langfristig in Einklang bringen.

Dies ist angesichts der komplexen energiewirtschaftlichen Wirkungszusammenhänge eine anspruchsvolle Aufgabe. Diese Aufgabe kann und wird gelingen, wenn wir sie offensiv, aber auch sachlich und mit klarem Verstand und Weitsicht angehen. Die Gestaltung der Energiesysteme der Zukunft erfordert Entscheidungen mit strukturellen und langfristigen Auswirkungen – nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern auch für die energieintensive Industrie und ihre Beschäftigen sowie auch für unsere Gesellschaft insgesamt.

Diese Aufgabe ist deshalb nicht geeignet für politische Kurzsätze nach dem Motto: Raus aus der Kohle, rein in die Erneuerbaren; es wird schon irgendwie klappen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit solchen pauschalen und unterkomplexen Aussagen mag man kurzfristig politischen Zuspruch bekommen, der Sache selbst helfen sie wenig.

Wir wollen auch vor dem Hintergrund der Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ für ein Gelingen der Energiewende sorgen, die die Belange der nordrhein-westfälischen Wirtschaft, ihrer Beschäftigten und der Bürgerinnen und Bürger in berücksichtigt. Wir brauchen eine verlässliche Perspektive für alle Beteiligten hier in unserem Land und in Deutschland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Energiewirtschaft selbst und die mit ihr direkt und indirekt verbundenen Zuliefererbranchen sind ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor. Das ist jedoch nicht alles. Eine zuverlässige und stabile Energieversorgung ist auch für Nordrhein-Westfalen insgesamt von existenzieller Bedeutung.

Unsere heimische Wirtschaft ist auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen wie kaum ein anderes Bundesland. Nur so kann sich Nordrhein-Westfalen als Industriestandort weiterentwickeln und Wertschöpfung und Hunderttausende hochwertige Arbeitsplätze erhalten.

Allein die Unternehmen in den weitgehend energieintensiven Branchen Papier, Glas, Chemie, Kunststoff, Mineralöl und Metallerzeugung beschäftigen in Nordrhein-Westfalen mehr als eine Viertelmillion Arbeitnehmer. Das sind sehr gute Arbeitsplätze mit ordentlichen Tarifverträgen und Einkommen für die Menschen in unserem Land.

Hinzu kommen zahlreiche Arbeitsplätze bei Zulieferern, im Investitionsgüterbereich wie dem Maschinenbau und bei unternehmensnahen Dienstleistern wie Güterverkehr, IT, Leasing oder Forschung und Entwicklung, die auch in Nordrhein-Westfalen vielfach ohne die energieintensive Industrie überhaupt nicht denkbar wären.

Um diese wirtschaftliche Kraft zu erhalten, benötigen wir auch in Zukunft eine leistungsstarke, eine hoch innovative Energieerzeugung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie lange die Kohleverstromung noch als Brücke benötigt wird, darüber berät derzeit die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Diese Ergebnisse wollen wir abwarten. Die Landesregierung steht in diesem Prozess dafür ein, die Klimaziele nicht gegen die Wirtschaft auszuspielen. Wir können und wollen die Klimaziele nur zusammen mit einer starken und modernen Wirtschaft erreichen und nicht auf Kosten einer Deindustrialisierung unseres Landes.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vor welche immensen Herausforderungen uns die Energiewende stellt, zeigt unter anderem ein Blick in die Quartalsberichte zu Netz- und Sicherungsmaßnahmen der Bundesnetzagentur. Im Jahr 2012 waren Redispatch-Maßnahmen im deutschen Übertragungsnetz in einem Umfang von rund 5.000 GWh erforderlich, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Im Jahr 2017 waren bereits Redispatch-Maßnahmen in Höhe von 20.500 GWh nötig. Dies bedeutet eine Vervierfachung des Eingriffsvolumens innerhalb von nur fünf Jahren.

Die dabei anfallenden Kosten sind allein von 2016 mit 880 Millionen Euro auf 1,4 Milliarden Euro in 2017 gestiegen, und man geht davon aus, dass sich die Kosten in 2025, wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet worden sind, auf über 4 Milliarden Euro pro Jahr belaufen könnten.

Meine Damen und Herren, die Zunahme netzstabilisierender Maßnahmen verdeutlicht, dass die Zuverlässigkeit unseres Energiesystems zunehmend auf die Probe gestellt wird. Veränderungen im Verhältnis von erneuerbaren zu konventionellen Energieerzeugungskapazitäten führen dazu, dass sich auch das Verhältnis volatiler Kapazitäten aus erneuerbaren Energien auf der einen Seite und grundlastfähiger Kapazitäten aus konventioneller Erzeugung auf der anderen Seite verändert.

Da weder der Netzausbau noch die Entwicklung leistungsfähiger Speichertechnologien mit dieser Entwicklung Schritt halten, hat diese Verschiebung massive Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Verschärfen wird sich die Situation in den kommenden Jahren durch den beschlossenen Kernenergieausstieg, mit dem bis Ende 2022 weitere rund 10 GW gesicherte Kraftwerksleistungen täglich nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Über Jahrzehnte haben wir die Netzstabilität aber als gegeben ansehen können.

Netzstabilität ist und bleibt ein unerlässlicher Faktor für den dauerhaften Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes. Diesen Standortfaktor dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Digitalisierung liefert uns einerseits neue Antworten zur Lösung dieser Flexibilitätsanforderungen. Andererseits werden aber auch die Ansprüche an die Versorgungssicherheit und Netzstabilität durch die Digitalisierung noch einmal erheblich steigen. Vom Smart Home bis zur Smart Factory – alles wird am Strom hängen.

Es wäre fahrlässig, eine Reduzierung des Niveaus der Versorgungssicherheit hinzunehmen und gleichzeitig über die Weiterentwicklung von Industrie 4.0, vernetze Mobilität oder Cybersicherheit zu sprechen. Deutschland kann nicht digital werden wollen, aber gleichzeitig seine Stromversorgung schwächen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um die Kohlekraftwerke schneller vom Netz nehmen zu können, wird gerne angeführt, dass Deutschland schon genügend Strom produziere und sogar exportiere. Verschwiegen wird dabei gerne, dass die Bruttostromleistung aus Wind- und Fotovoltaik zwar für einen Stromüberschuss sorgt, dieser Strom beim deutschen Verbraucher und der deutschen Industrie aber nicht verlässlich ankommt –

(Zuruf von der AfD)

erstens wegen der Wetterabhängigkeit und zweitens wegen fehlender Übertragungsnetze. Von den für 50 % Anteil der Erneuerbaren an der Energieversorgung bis 2030 bisher geplanten 7.700 km Übertragungsnetzen sind gerade einmal 13 % fertiggestellt worden. Das müssen wir uns vor Augen führen.

Die Erneuerbaren tragen zwar bruttobezogen mittlerweile ein Drittel zur Stromumwandlung bei, insgesamt aber nur 10 % der täglich gesicherten Leistung.

(Zuruf von der AfD)

Je nach Ausstiegsszenario aus der Kohleverstromung würde Deutschland als größtes Industrieland Europas zum Stromimporteur. Ihre Rolle als Mitte des nächsten Jahrzehnts einzige Nettostromexporteure in Europa würden Polen und Frankreich ausbauen. Das eine Land produziert 90 % seines Stroms aus Kohle, das andere Land 75 % seines Stroms aus Atomkraft. Wir würden in Deutschland nicht nur die Atomkraft, sondern auch die Kohle aufgeben, um beides in den Nachbarländern in schlechterer Qualität für Sicherheit und Umwelt zu fördern und dafür auch noch teuer bezahlen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist die Politik der Grünen!)

Wir können und wollen die Energiewende aber nicht negativ, sondern positiv und zukunftsgerecht gestalten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dazu müssen wir die Energiewende in Deutschland vom Kopf auf die Füße stellen

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und sie mit einem verlässlichen Plan unterlegen, wie wir bis wann aus den konventionellen Energien aussteigen können. Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen und wegen der Endlichkeit der Ressourcen unzweifelhaft notwendig,

(Zuruf von der SPD)

aber er muss bezahlbar sein und darf die Versorgungssicherheit nicht infrage stellen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für eine Neujustierung der Energiewende benötigen wir ein ganzes Maßnahmenbündel, das die derzeit losen Enden der Energiewende sinnvoll zusammenführt. Hierzu erarbeitet die Landesregierung derzeit gemeinsam mit der Industrie, der Energiewirtschaft, den Verbänden und den Gewerkschaften eine Energieversorgungsstrategie. Aus Sicht der Landesregierung müssen dabei unter anderem die folgenden wichtigen Aspekte berücksichtigt werden:

Erstens: schnellerer Ausbau der Strom- und Gasnetze für den Transport des Ökostroms zum Verbraucher und Synchronisation mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies reduziert auch die stark gestiegenen Kosten, von denen ich eben sprach.

Zweitens: Erhalt der Versorgungssicherheit durch eine Verlagerung der Energieerzeugung aus Gaskraftwerken, die unter anderem auf bestehenden Kohlekraftwerksstandorten in Nordrhein-Westfalen entstehen und längerfristig auf synthetisches Gas aus erneuerbaren Quellen umgestellt werden können.

(Zuruf von der SPD)

Drittens: stärkere Anreize für eine Sektorenkoppelung und Belebung der Sektoren, die nicht dem EU-weiten Emissionshandel unterliegen, mit einem CO2-Preis, der Teile der bisherigen Abgaben und Steuern ablöst.

Viertens: Förderung dezentraler urbaner Energielösungen aus Fotovoltaik, Geothermie, Kraft-Wärme-Kopplung und Elektromobilität. Hier hat Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Siedlungsstruktur große Potenziale.

Fünftens: Schaffung von angemessenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für gesicherte Leistungen und Förderung einer marktorientierten Flexibilisierung bei Angebot und Nachfrage.

Last, not least, meine Damen und Herren: Reduzierung von Steuern und Abgaben auf Strom sowie anteilige Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt, nicht zuletzt – das füge ich hinzu – im Interesse einer sozial gerechteren Kostenverteilung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese wichtigen Maßnahmen sind entscheidende Voraussetzungen für eine schnellere Reduzierung der Kohleverstromung und könnten das Fundament für einen Neustart der Energiewende bilden, der Deutschland wieder zu einem Vorbild in der Welt werden lässt. Das waren wir einmal. Inzwischen schaut das Ausland aber kopfschüttelnd auf die Ineffizienz der deutschen Energiepolitik. Das müssen wir ändern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die rot-grüne Vorgängerregierung hat den Ausstieg aus der Braunkohle für nach 2045 vorgesehen. Das ginge schneller, aber nur, wenn die zuvor beschriebenen Maßnahmen zur Neujustierung der Energiewende schneller und verlässlich umgesetzt werden und die Frage des Strukturwandels in der Region konkret und nachhaltig beantwortet wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nur wenn Deutschland es schafft, die Energiewende so weiterzuentwickeln, dass sie den Wohlstand sichert und der Umwelt dient, wird es weltweit Nachahmer geben. Zu dieser Aufgabe gehören die Förderung der Transformation in der Industrie, die Forschung und Entwicklung und der in die Zukunft gerichtete Strukturwandel in den Regionen.

Die Landesregierung arbeitet daran, diese Voraussetzungen zu schaffen, und setzt gezielte Maßnahmen und Initiativen um. Der Schlüssel dafür sind Innovationen und Investitionen. Für beides schaffen wir in Nordrhein-Westfalen wieder bessere Rahmenbedingungen, indem wir den Zeitraum bis zur Genehmigung von modernen und klimafreundlichen Anlagen halbieren und dafür sorgen, dass die neuen umweltfreundlichen Anlagen in Nordrhein-Westfalen schneller errichtet werden können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen sind bereit, den Weg der Energiewende mitzugehen. Diese Akzeptanz gilt es aber zu erhalten. Der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofes belegt, was jeder Bundesbürger leistet, um den Atomstrom und konventionelle Energieträger durch Erneuerbare zu ersetzen. Bislang hat die Energiewende 160 Milliarden Euro gekostet. Einen Großteil haben die Verbraucher direkt bezahlt. Allein im vergangenen Jahr waren es 24 Milliarden Euro über die EEG-Umlage, hinzu kamen weitere Umlagen über den Strompreis.

Im Ergebnis attestiert der Bundesrechnungshof der Energiewende aber, dass zwei der drei Grundpfeiler einer verantwortungsvollen Energiepolitik brüchig sind: Bezahlbarkeit und Klimaschutz.

Einerseits hat Deutschland die höchsten Strompreise, was zunehmend zu einer sozialen Frage wird. Gerade die einkommensschwachen Haushalte und der Mittelstand leiden am meisten unter der Verteuerung. Andererseits – das muss uns zu denken geben – verbessert sich die CO2-Bilanz bei Weitem nicht so stark, wie es eigentlich notwendig wäre.

Doch damit nicht genug, meine Damen und Herren. Mit der Forderung nach einem übereilten Kohleausstieg gerät nun auch der dritte Grundpfeiler einer klugen Energiepolitik ins Wanken: die Versorgungssicherheit.

In seinem Bericht vom 28. September 2018 stellt der Bundesrechnungshof fest – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –:

„Trotz des erheblichen Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht …“

Weiter heißt es:

„Aus Sicht des Bundesrechnungshofes sind entscheidende Verbesserungen bei der Koordination und Steuerung der Energiewende unumgänglich. Die Bundesregierung bleibt zum Handeln aufgefordert. Anderenfalls könnte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen …“

So weit der Bundesrechnungshof, ich denke, eine neutrale Instanz.

Genau an dieser Kritik des Bundesrechnungshofs setzt unsere Politik für Nordrhein-Westfalen an, die ich eben in Eckpunkten beschrieben habe. Wir müssen alles tun, um die Energiewende vom Kopf auf die Füße zu stellen, ein breites Fundament zu legen. Genau das erwarten wir auch von der Arbeit in der Kommission „Wachstum, Struktur und Beschäftigung“.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In den vergangenen Monaten ist immer wieder die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung zur Zukunft des Rheinischen Reviers aus dem Jahr 2016 angesprochen worden. Man muss anerkennen, dass die gerade einmal zwei Jahre zurückliegende Leitentscheidung von einem energiewirtschaftlichen Realismus geprägt war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossene Leitentscheidung vom 5. Juli 2016 basierte auf der Bedeutung der Braunkohleverstromung für Versorgungssicherheit und Preisstabilität und berücksichtigte bereits den künftigen Rückgang der Braunkohleverstromung. Die damalige Landesregierung hatte in der Leitentscheidung zur Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II unter anderem festgestellt, dass – ich zitiere – „Braunkohlenabbau in den Tagebauen Garzweiler II, Hambach und Inden in Nordrhein-Westfalen zur langfristigen Energieversorgung weiter erforderlich“ bleibe.

Im Rahmen der Erarbeitung der Leitentscheidung hat die Landesregierung ein Onlinebeteiligungsverfahren durchgeführt. In diesem Verfahren ist bereits eine Schonung des Hambacher Forstes von den Bürgern thematisiert worden. In der Abwägung hat sich die von den Grünen mitgetragene Landesregierung aber gegen diese Anregung entschieden. Der zurückgehende Bedarf an Braunkohle könne genutzt werden, um auf eine sonst noch notwendige Umsiedlung von Menschen zu verzichten. Dies sei der schwerste mit dem Braunkohleabbau verbundene Eingriff. Der mit der damaligen Leitentscheidung ausdrücklich bestätigte Bedarf für Braunkohleabbau auch nach 2030 mache aber den Tagebau Hambach, in dem keine weiteren Umsiedlungen mehr erforderlich werden, in seinen unveränderten Abbaugrenzen erforderlich.

(Heiterkeit von der CDU)

Mit Blick auf die Leitentscheidung der rot-grünen Landesregierung ist anzumerken – die Abwägung „Menschen vor Bäumen“, die Sie getroffen haben,

(Zuruf von Michael Hüber [SPD])

die aus meiner Sicht richtig war –, dass das im selben Jahr war, in dem das Pariser Klimaabkommen geschlossen wurde und der Bund mit dem Land eine Herausnahme von fünf Kohlekraftwerksblöcken vereinbarte, da die Bedrohung der nationalen Klimaziele für 2020 schon zu diesem Zeitpunkt vollumfänglich bekannt war. Sie haben also wissentlich, wie sich die Lage entwickelt, entschieden. Rückblickend war das eine rational vernunftgeleitete Entscheidung. Es wäre nur schön gewesen, Sie hätten sich in den letzten Wochen und Monaten an diese Entscheidung und Ihre Begründung erinnern können.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir eine Vermischung von Sachverhalten aus politischem Kalkül erlebt, die nicht geschehen darf. Während die WSB-Kommission über die mittel- bis langfristige Ausrichtung der Energieversorgung berät, geht es bei den Diskussionen um den Hambacher Forst um die Umsetzung von bestehenden Abbaugenehmigungen auf der Grundlage der eben zitierten Leitentscheidung.

Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht in der Hauptsache bisher nicht entschieden, sondern sich für die Entscheidung mehr Zeit erbeten. Diese Entscheidung respektieren wir selbstverständlich.

Gleichzeitig erwarten wir aber auch, dass die Demonstranten den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 2018 zur Vollziehung der Räumungsanordnung der Baumhäuser respektieren und angesichts der im Beschluss bestätigten – ich zitiere das Gericht – „Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser unter Gesichtspunkten des Brandschutzes und einer mangelnden Sicherung vor Stürzen in die Tiefe“ jetzt eine erneute Errichtung von Baumhäusern unterlassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden Rechtsbrüche – damit das ganz klar ist – auch künftig nicht akzeptieren. Wir können den Ordnungsbehörden und Einsatzkräften aber auch nicht fortlaufend zumuten, die Bewohner der Baumhäuser vor sich selbst und das vom BUND als besonders schutzwürdig angemeldete Gebiet vor den Aktivisten zu schützen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte für die Landesregierung die Gelegenheit nutzen und den Rettungskräften, den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihren anspruchsvollen und besonnenen Einsatz im Zuge der Räumungsmaßnahmen großen Dank aussprechen.

(Lang anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist unter anderem mit dem Ziel eingesetzt worden, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich eines Abschlussdatums vorzulegen.

Die Kommission hat aber auch den Auftrag zur Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen im Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den wirtschaftlichen Akteuren.

In den letzten Monaten haben wir in enger Abstimmung mit den regionalen Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein umfassendes Programm zur Entwicklung neuer Perspektiven für das Rheinische Revier entwickelt und der WSB-Kom­mission vorgelegt.

Darüber hinaus haben wir eine Prioritätenliste für das Start- und Langfristprogramm abgestimmt, das wir am Freitag mit der WSB-Kommission besprechen.

An die traditionsreichen Stärken der Energiewirtschaft in unserem Land anzuknüpfen, ist unsere größte Chance, damit wir auch an den neuen, wachsenden Geschäftsfeldern eines sich wandelnden Energiesystems teilhaben.

Die bestehenden Kraftwerke in Verbindung mit den energieintensiven Unternehmen bilden gemeinsam mit unseren Innovationskompetenzen die hohe Lagegunst des Rheinlandes für das Erzeugen von Produkten, die wir nach der Energiewende mehr denn je brauchen. Ich spreche hier vom Produkt „Versorgungssicherheit“, das neu konzipiert werden muss.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Das Sie kaputt gemacht haben!)

Denn es wird anspruchsvoller, kontinuierlich und zuverlässig Energie bereitzustellen.

Wir setzen uns daher in Berlin unter anderem dafür ein, dass als eines unserer Leitprojekte das Reallabor Wärmespeicherkraftwerk MS-Store-to-Power eingerichtet wird.

Dieses Wärmespeicherkraftwerk soll an einem ehemaligen Kraftwerkstandort als Reallabor geschaffen werden. Dabei handelt es sich um einen Flüssigsalz-Wärmespeicher, der bis zu 1 Gigawatt Wärme speichern soll. Er ist schwarzstartfähig und kann in einer sogenannten Dunkelflaute als Back-up-Kraftwerk dienen.

Mit einem Gesamtsystemwirkungsgrad von ca. 40 % kommt der Speicher einem modernen Braunkohlekraftwerk in seiner Wirkung nahe. Durch die Entwicklung von Hochtemperaturwärmepumpen werden in Zukunft sogar Gesamtwirkungsgrade von bis zu 70 % möglich.

Deswegen werden wir uns als weiteres Leitprojekt um die Ansiedlung eines DLR-Instituts für Hochtemperaturwärmepumpen bemühen. Sie werden zur Verbesserung des Wirkungsgrades für die Weiterentwicklung der Wärmespeicher in Zukunft dringend benötigt.

Neue Chancen brächte dem Rheinischen Revier auch die Ansiedlung einer Batteriezellproduktion. Hier arbeiten wir in der vom Ministerpräsidenten geleiteten Kommission für Elektromobilität in unserem Land zusammen mit den Akteuren in Bund und Europa intensiv daran, dass eine solche Produktion mit eigenen Unternehmen aus der Region und Europa hier in Nordrhein-Westfalen im Rheinischen Revier angesiedelt werden kann.

Vor dem Hintergrund des anstehenden Strukturwandels gewinnt der räumliche Transformationsprozess zusätzlich an Bedeutung. Hierzu planen wir eine internationale Bau- und Technologieausstellung „Rheinisches Zukunftsrevier“, die die Neuordnung des Raumes und die Weiterentwicklung der Siedlungen als Orte der Zukunft in einem Mobilitätsrevier der Zukunft mit dem Anspruch verknüpft, wegweisende Schritte in eine innovative und klimafreundliche Zukunft mit hoher Lebensqualität zu gehen.

Um diese und andere Projekte wie etwa auch die Errichtung eines Campus Rhein-Erft der TH Köln zu fachlichen Schwerpunkten der Transformation zu realisieren, soll das Rheinische Revier als Sondergebiet ausgewiesen werden, um optimierte Flächenausweisung und schnelle Genehmigungsverfahren zu realisieren und die notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen schnell umsetzen zu können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen in den kommenden Monaten und Jahren vor großen Herausforderungen: der Neujustierung der Energiewende, aber auch der strukturpolitischen Entwicklung der von der Reduzierung der Kohleverstromung betroffenen Regionen.

Hier benötigen wir keine Symbolpolitik, sondern brauchen vernunftgeleitetes nachhaltiges Handeln.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Emotionen können helfen, einen Politikwechsel einzuleiten. Sie allein machen ihn aber noch nicht erfolgreich. Das große Risiko einer Politik, die sich vom Pathos großer Emotionen tragen lässt, ist: Löst sie ihre Versprechen nicht ein, ist die Enttäuschung derart groß, dass das emotionale Pendel heftig zur anderen Seite ausschlägt.

(Zuruf von der SPD: Das kennt die FDP ja gut!)

Dies wäre ein Desaster für den Klimaschutz, meine Damen und Herren. Das wollen wir nicht. Deshalb wollen wir den Erfolg für die Energiewende hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Herter das Wort.

Ich darf Sie darüber informieren, dass wir – Sie haben es gemerkt – in einem Bauteil der Plenarsaalanlage einen technischen Defekt haben. Daher bitte ich um Ihr Verständnis dafür, dass wir bis auf Weiteres auf die Handmikrofone, die normalerweise für den Besucherdienst genutzt werden, zurückgreifen müssen. Danke für Ihr Verständnis.

Marc Herter (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Pinkwart, Sie sind sehr ambitioniert gestartet und haben gesagt, es gehe der Koalition um die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.

Dann haben Sie hier 15 Minuten lang einen Statusbericht geliefert – einen Statusbericht darüber, was in der Energiewirtschaft so vor sich geht, einen Statusbericht darüber, wo Ihre Sorgen sind, die ich übrigens in großen Teilen teile, und einen Statusbericht darüber, was der eine oder andere Akteur machen müsste.

Herr Minister, Folgendes habe ich vermisst: Was will denn die Landesregierung machen? Was will denn die NRW-Koalition machen?

(Beifall von der SPD)

Herr Pinkwart, das war doch alles rheinische Mystik nach dem Motto „Man müsste mal“: Man müsste mal dies tun; man müsste mal das tun – und immer andere müssten mal was tun.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das war auf ganzer Linie enttäuschend – ein ganz und gar nicht entfesselter Wirtschaftsminister.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Man hätte sich übrigens wünschen können, dass nicht der Wirtschaftsminister, sondern der Ministerpräsident zu dieser zentralen Frage der Landespolitik Stellung nimmt, wie er das ja in den Talkshows auch tut.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Man hätte sich wünschen können, dass er uns und die Menschen im Land wissen lässt, wohin denn die Reise gehen soll – wenn er sich dabei nicht nur auf Plattitüden zurückziehen würde wie den am Sonntagabend gegebenen Hinweis, das mit der Energie sei ja auch nicht so einfach.

(Lachen von der SPD)

Allerdings fasst es ganz gut das zusammen, was diese Koalition in den letzten Monaten an Irrfahrt in der Energiepolitik hingelegt hat. Ihnen, meine Damen und Herren, fehlt der energiepolitische Kompass.

(Beifall von der SPD)

Sie haben angefangen, die Frage der kurzfristig stillzulegenden Kraftwerke anzugehen. Die einen haben von 5 Gigawatt gesprochen; dann waren es 7 Gigawatt. Hätte man mit Herrn Laschet an jenem Abend noch ein bisschen mehr Rotwein getrunken, wäre wahrscheinlich sogar mehr drin gewesen.

(Zurufe von der CDU)

– Alles gut; alles gut.

Herr Pinkwart hat gleichzeitig gesagt – man muss sich das einmal vor Augen führen –, die Laufzeiten sollten nicht angetastet werden,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

während der Ministerpräsident ausführte, die 2030er-Jahre müssten schon erreicht werden. Herr Pofalla, der immerhin – die Älteren werden sich erinnern – lange Jahre Vorsitzender der CDU am Niederrhein war, hat dann 2038 als das Enddatum ausgerufen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da geht es ein bisschen wie auf dem Basar zu. Das ist ganz und gar nicht dem Thema angemessen. Es ist übrigens auch ganz und gar nicht den Menschen angemessen, um die es hier im Rheinischen Revier geht.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Es ist eben auch keine ehrliche Kommunikation, die Sie pflegen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Da schickt Herr Reul die Polizei in den Hambacher Forst. In der Tat ist den Einsatzkräften im Dienst zu danken – wie immer Einsatzkräften im Dienst zu danken ist, Herr Pinkwart, die sich für die Umsetzung von Recht und Gesetz einsetzen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Frage ist doch nicht, ob dieser Einsatz so, wie Sie ihn durchgeführt haben, rechtmäßig und zweckmäßig war, sondern, ob es sich dabei nicht einfach nur um ein vorgeschobenes Argument gehandelt hat und Sie damit Eskalation in die Sache gebracht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Hinterher haben Sie sich dann hingestellt und gesagt, es gehe doch nur …

(Ralph Bombis [FDP]: Sie haben rechtsfreie Räume geschaffen!)

– Haben Sie Herrn Pinkwart vorhin zugehört, was die Frage angeht …

(Zurufe von der CDU)

– Haben Sie Herrn Pinkwart vorhin zugehört, als es um die Frage ging, wie es in den nächsten Monaten und Jahren weitergeht? Wir als SPD sind sehr gespannt, ob die Themen „rechtsfreie Räume“ und „Bauordnung“ denn für Sie in den nächsten Monaten eine ähnlich große Rolle spielen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)

Da sind wir sehr gespannt.

Sie jedenfalls haben die Landesregierung in dieser Angelegenheit zum Winkeladvokaten gemacht.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Da war er wieder: Armin, der Trickser.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Das wäre alles verkraftbar.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Jetzt weiß ich, warum Sie nicht Vorsitzender geworden sind! – Gegenrufe von der SPD)

Das wäre alles verkraftbar, Herr Hovenjürgen, wäre da nicht Ihr schlampiger Einsatz in der Sache gewesen.

(Unruhe – Glocke)

Das Gericht hat Ihnen doch eines ganz klar ins Stammbuch geschrieben. Es hat nämlich die Darlegung der energiepolitischen Notwendigkeit bemängelt. Da geht es eben nicht darum, sich hinter einer rot-grünen Leitentscheidung zu verstecken, sondern darum, hier dem Parlament zu erklären, warum es denn zu dieser mangelhaften Darlegung vor dem Oberverwaltungsgericht gekommen ist –

(Beifall von der SPD)

übrigens Ihres Hauptbetriebsplans, des Hauptbetriebsplans, der am 29.03. dieses Jahres durch die obere Bergbehörde genehmigt worden ist.

Am Ende wollte Armin Laschet dann den Unfallort unerkannt verlassen.

(Heiterkeit von Nadja Lüders [SPD])

Am Freitag hat er ausgeführt, Sie hätten immer wieder gesagt, die Gerichte müssten entscheiden. Deshalb haben Sie vermutlich auch räumen lassen. Außerdem hat er gesagt, es sei nicht Ihre Entscheidung, sondern eine rot-grüne Entscheidung gewesen. Deshalb ist die Entscheidung auch am 29.03. dieses Jahres gefallen.

Jetzt wollen Sie innehalten und überlegen. „Innehalten und überlegen“ wäre in der Tat eine ratsame Strategie gewesen. Nur: Wann innehalten und überlegen? Dann, wenn ein Oberverwaltungsgericht spricht? Oder wäre es nicht klug gewesen, als Ministerpräsident diejenigen, die dort als Akteure unterwegs sind – egal, ob es RWE ist, ob es die Naturschützer sind, ob es die Gewerkschaften sind, ob es die Kommunen sind –, an einen Tisch zu holen und so lange zu reden, bis man diese Angelegenheit löst, und zwar, bevor es zur Eskalation gekommen ist?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben die Angelegenheit ordentlich vor die Wand gefahren. „DER SPIEGEL“ schreibt, es sei eine Blamage; Sie stünden vor dem Scherbenhaufen Ihrer Energiepolitik. Jedenfalls haben Sie fahrlässig Zukunft aufs Spiel gesetzt.

Jetzt wollen Sie also reden; Sie wollen denken; Sie wollen handeln. Mein Zutrauen ist begrenzt.

Allerdings ist es in der Tat an der Zeit, über eine gelingende Energiewende zu reden. Wir brauchen einen neuen energiepolitischen Konsens. Da sind wir uns ausgesprochen einig, Herr Pinkwart.

Es geht übrigens auch nicht darum, ob wir aus der Kohle aussteigen, sondern es geht darum, wann und wie wir aus der Kohle aussteigen.

In Bezug auf die Braunkohle hat die rot-grüne Landesregierung schon im Jahr 2016 in der Leitentscheidung, die hier hinreichend erläutert worden ist, diesen Ausstieg dem Grunde nach festgelegt.

Wann und wie wir aussteigen, wird übrigens über Erfolg und Misserfolg der Energiewende und über Akzeptanz und Nichtakzeptanz entscheiden.

Ich bin froh, dass wir einig sind, dass wir die Klimaziele erreichen wollen. Es war auch hier im Hause gelegentlich – ich erinnere an Äußerungen von Herrn Lindner – umstritten, ob das die gemeinsame Position ist. Ich bin froh, dass es die gemeinsame Position ist.

(Zurufe von der CDU – Gegenruf von Jochen Ott [SPD])

Wir sind gut beraten, dabei die Punkte „Industriestandort Nordrhein-Westfalen“ und „Beschäftigte nicht nur in der Energie-, sondern auch in der energieintensiven Industrie“ sowie die Frage bezahlbarer Energie im Auge zu behalten und als gleichwertige Eckpunkte in diese Debatte einzuführen. Dem dient die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“.

Mir reicht es nicht aus, Herr Pinkwart, die Ergebnisse abzuwarten, die diese Kommission denn zeitigt, sondern ich wäre froh, wenn sich das größte Bundesland mit einer der vier produzierenden Braunkohleregionen dort einbringen und diese Kommission gestalten würde. Das wäre unsere Anforderung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Stefan Kämmerling [SPD]: So ist das! – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dazu müsste man dann übrigens nicht nur darüber reden, dass man eine energiepolitische Strategie „am Ausarbeiten dran ist“ –

(Vereinzelt Heiterkeit von der SPD)

und dann auch noch darüber, mit welchen Akteuren man da unterwegs ist. Vielmehr müsste man uns eine Vorstellung davon verschaffen und uns hier im Hohen Hause in die Diskussion darüber einbeziehen, wie denn diese Strategie aussehen soll, mit der wir in Zukunft den energiepolitischen Kompass in diesem Lande legen wollen.

(Beifall von der SPD)

Es wäre gut, wenn wir die Energiewende endlich als ökonomisches Projekt und als soziales Projekt begreifen würden. Es wäre gut, neue Perspektiven zu schaffen und nicht immer nur über Ausstieg zu reden, sondern über Einstieg in neues Wirtschaften und neue Arbeit zu sprechen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.

(Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen dazu drei Vorschläge machen.

Erster Vorschlag: Investitionen in Wertschöpfung. Ja, wir brauchen all die Technologien, die Sie hier vorgestellt haben. Wir brauchen Speicher und Leitungen, damit die immensen Redispatch-Kosten wegfallen.

(Zurufe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist aber auch notwendig, dass diese Landesregierung ihren Kreuzzug gegen die Windkraft aufgibt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Landesregierung fördert vom Windkrafterlass über den LEP bis zur Bundesratsinitiative eben nicht den Umstieg, sondern blockiert die Energiewende an diesen Punkten.

Zweiter Vorschlag: Das Rheinische Revier ist hier angesprochen worden. Mein Kollege Guido van den Berg aus dem Revier wird zu verschiedenen Punkten, die dort unter dem Stichwort „Wertschöpfung“ und unter dem Stichwort „Wachstumsregion der nächsten Generation“ eine Rolle spielen, gleich einiges sagen.

Mir ist eines wichtig, nämlich, dass wir uns einig sind, dass der Umbau in der Region nicht nur durch Lippenbekenntnisse vonseiten der Landesregierung nach dem Motto „Macht mal!“ begleitet wird, sondern dass er aktiv unterstützt wird – finanziell, organisatorisch und auch von den Personalkapazitäten her. Das ist unsere Anforderung.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben Ihnen für morgen einen Antrag vorgelegt, in dem es darum geht, das Rheinische Revier als Sonderfördergebiet auszuweisen und dafür zu sorgen, dass an dieser Stelle …

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Dann sind wir uns einig. Dann können wir das ja morgen machen. Wunderbar. Perfekt. Dann ändern wir die Empfehlung von „Überweisung“ auf „direkte Abstimmung“. Dann können wir das ja morgen direkt beschließen. Wunderbar. Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Dritter Vorschlag: Der frühere Wirtschaftsminister dieses Bundeslandes, Garrelt Duin, und Ilse Aigner als bayerische Wirtschaftsministerin haben sich vor nicht ganz zwei Jahren einmal Gedanken darüber gemacht, wie man eigentlich die Frage der doppelten Kosten für das bisherige System und das neue System in den Griff bekommen kann. Sie haben den Vorschlag gemacht: Lasst uns doch einmal über einen Streckungsfonds nachdenken. Lasst uns doch einmal darüber nachdenken, ob wir nicht Lasten, die heute unterwegs sind, in späteren Jahren, in denen die Finanzierung günstiger ist, abbezahlen können. – Ich glaube, dass wir das in diesem Hause sehr ernsthaft diskutieren müssen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, von den Grünen würde ich mir in der Frage der Umsetzung der Energiewende etwas mehr Nachdenklichkeit eines Reiner Priggen wünschen. Ja, man kann immer „höher, schneller, weiter“ rufen. Man kann aber auch sagen: Wir müssen die Menschen in diesem Strukturwandel mitnehmen; wir müssen die Wirtschaft in diesem Strukturwandel mitnehmen. – Ich glaube, dass das eine gemeinsame Herausforderung ist, der wir uns immer gemeinsam gestellt haben. Darauf lege ich großen Wert. Es wäre schön, wenn wir uns weiter gemeinsam dieser Herausforderung stellen würden. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die CDU erteile ich nun dem Kollegen Löttgen das Wort.

Bodo Löttgen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Herter, man hätte sich gewünscht, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD zu diesem für unser Industrie- und Energieland so wichtigen Thema heute hier gesprochen hätte.

(Zuruf von Volkan Baran [SPD])

Er kann sich nicht einfach in der letzten Plenarsitzung an dieses Rednerpult stellen und kritisieren, dass die SPD bei Entscheidungen des Landtagspräsidiums benachteiligt wird, wenn es um industriepolitische Fragen geht, und anschließend, Herr Kutschaty, auf seinem Sessel sitzen bleiben, wenn eine solche Frage hier aufgerufen wird.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Was ist das für eine Strategie, Herr Löttgen? – Weitere Zurufe von der SPD)

Durch Ihr heutiges Schweigen, Herr Kollege Kutschaty, haben Sie weitere Glaubwürdigkeit in diesem Landtag verspielt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD]: Ganz starker Vortrag! Jetzt bin ich einmal auf die energiepolitischen Leitlinien gespannt! – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke)

– Wenn Sie das gleiche Engagement, das Sie jetzt an den Tag legen, um hier Lärm zu erzeugen, während Ihrer Regierungszeit an den Tag gelegt hätten, dann wäre vielleicht auch etwas daraus geworden; so aber nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren …

(Michael Hübner [SPD]: Energiepolitik ist kompliziert, Herr Löttgen! Das merkt man an Ihren Ausführungen! – André Stinka [SPD]: Was kommt jetzt? Nichts! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Weitere Zurufe)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie um Ruhe bitten. Der Redner hat das Wort.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Ja, so wie eben, oder? Klar, ja! Unparteiisch! Super! – Michael Hübner [SPD]: Sagen Sie einmal etwas Energiepolitisches! Dann können wir Ihnen zuhören! – Unruhe)

Bodo Löttgen (CDU): Ich habe den Ausführungen des Kollegen Herter zugehört, ohne einen einzigen Zwischenruf zu tätigen.

(Marc Herter [SPD]: Das kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie sollten die Größe besitzen, mir jetzt ohne weitere Zwischenrufe zuzuhören. Wenn Sie das nicht können, können Sie gern herausgehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der 5. Oktober 2018 ist in Deutschland für die allermeisten Bürger ein ganz normaler Freitag; bald ist Wochenende. Gegen 11 Uhr wird durch den Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster bekannt, dass RWE die bewaldeten Flächen des Hambacher Forstes vorerst nicht für die Braunkohleförderung in Anspruch nehmen darf.

Am 5. Oktober 2018 um 11 Uhr hatten BUND und Grüne Grund zum Feiern.

Seit dem 5. Oktober 2018 um 11 Uhr haben die Beschäftigten in der Braunkohle und ihre Angehörigen Angst vor einer ungewissen Zukunft. Seit dem Eilbeschluss haben sich Menschen in der Region gefragt: Was wird aus uns?

Und besonders Eilige hatten Forderungen, die es am besten gestern umzusetzen galt.

Ich bin der Landesregierung, Herr Minister Professor Pinkwart, dankbar dafür, dass sie in einer solch ambivalenten Lage die Gelegenheit zu einer Unterrichtung genutzt hat, Antworten gegeben hat, eingeordnet hat und bewertet hat.

Meine Damen und Herren, am 5. Oktober 2018 um 11 Uhr morgens liegt der Stromverbrauch in Deutschland bei gut 72 Gigawatt. Konventionelle Kraftwerke erzeugen davon 44 Gigawatt. Regenerative Energie liefert 36 Gigawatt. Der Strompreis beträgt 53 Euro pro Megawattstunde. Wir können 8 Gigawatt Strom exportieren.

Acht Stunden später, um 19 Uhr, als weitere Sektkorken knallen, beträgt der Strombedarf in Deutschland 67 Gigawatt. 53 Gigawatt davon werden durch konventionelle Kraftwerke geliefert. 15 Gigawatt liefert die regenerative Energie. Wir exportierten nichts mehr. Der Strompreis liegt bei 83 Euro pro Megawattstunde. Die Fieberkurve des deutschen Strommarktes, täglich abzulesen auf den Internetseiten von Agora Energiewende, macht das komplizierte Geflecht von Abhängigkeiten – Einspeise- und Lastverteilungsmechanismen, Dispatchen und Redispatchen, Kapazitätsüberhang oder ‑mangel – von Preisfindungsprozessen deutlich. Sie, Herr Minister, haben das dankenswerterweise hier ausführlich beschrieben.

Dieses hochkomplexe System muss von Politik und Energieerzeugern neu geregelt werden, um unseren Beitrag zum Klimaschutz – übrigens ebenfalls ein hoch komplexes System – zu leisten.

Nun gilt aber bekanntermaßen, dass es zu jedem komplexen Problem eine einfache und leicht verständliche, aber leider falsche Lösung gibt. Eine grundfalsche Lösung ist es, komplexe Herausforderungen wie das Umsteuern in der Energiepolitik und bei dem Klimaschutz über Symbolpolitik lösen zu wollen.

Der Hambacher Forst wurde von vielen zum Symbol gemacht – übrigens ein falsches Symbol für ein richtiges Ziel. Aber eine Politik der Zeichen, der Worte, der Gesten, der Transparente, der bewusst erzeugten Bilder darf nicht zum Scheinersatz für faktische Politik werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Faktische Politik – auch das haben Sie in Ihrer Rede klar und deutlich aufgezeigt – war und ist die Leitlinie des Handelns und der Planungen der NRW-Koalition.

„Die Energiewende ist dann erfolgreich, wenn Deutschland auch bei wachsenden Anteilen erneuerbarer Energien ein starker Industriestandort bleibt.“

Das war ein Zitat von der Internetseite von Agora Energiewende – bekanntermaßen nicht gerade eine Kampftruppe für CDU und FDP. Dennoch wird damit, zusammen mit dem bisher Gesagten, deutlich, welches die vier Ecken des Quadrates sind, die es im Gleichgewicht zu halten gilt.

Erstens: bezahlbare und planbare Energiekosten für den in hartem Wettbewerb stehenden Industriestandort Nordrhein-Westfalen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Verlässlichkeit von Rahmenbedingungen seit der Zeit Ludwig Erhards eine Erfolgsgarantie für die Zukunft ist. Wenn die Strompreise so weit steigen, dass das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr bezahlbar ist, ist es zu spät.

Zweitens: vorausschauende Politik für notwendigen Strukturwandel, die zuerst die Voraussetzungen für den Einstieg in zukunftssichere Arbeitsplätze schafft und dann den Ausstieg sozial verträglich verwirklicht.

Drittens: die Gewährleistung von Versorgungssicherheit und Systemstabilität – sprich: der Ausbau von Netzen und regenerativen Energieträgern unter Wahrung der Akzeptanz der davon Betroffenen.

Viertens: eine zeitliche Einordnung der Maßnahmen, die mit der größtmöglichen Effizienz und den geringstmöglichen Grenzkosten den bestmöglichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Auch Sie, Herr Professor Pinkwart, haben für die Landesregierung klipp und klar herausgearbeitet, dass das Gleichgewicht zwischen diesen vier Eckpunkten Maßstab unseres Handelns ist. Sie haben Maßnahmen konkret benannt, die notwendig sind, um wirksam auszutarieren.

Jetzt kommt Bündnis 90/Die Grünen ins Spiel – die gleichen Grünen übrigens, in deren Wahlprogramm zur Landtagswahl 2017 der Begriff „Hambach“ nicht ein einziges Mal auftaucht, die uns heute aber erklären, dass man dieses Quadrat der Abhängigkeiten auf einen einzigen Punkt reduzieren kann: auf den symbolischen Punkt „Hambacher Forst“.

Sie haben den Menschen suggeriert und tun es heute noch, dass hier über nicht mehr und nicht weniger als die Rettung des Weltklimas entschieden wird.

Klar, meine Damen und Herren; wer den Abstand zu einem Quadrat nur groß genug wählt, der kann Verbindungslinien nicht mehr erkennen. Für ihn sieht das Ganze aus der Entfernung wie ein Punkt aus. Durch die Überhöhung der Symbolkraft dieser 100 ha haben Sie von Bündnis 90/Die Grünen erheblichen Anteil daran

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie haben doch die Polizisten dahin geschickt!)

– auch Sie, Herr Rüße –, dass nicht mehr differenziert wird. Sie haben sich gegen Stabilität und Ausgleich und für Polarisierung und Monokausalität entschieden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will es noch einmal für diejenigen, die es nicht verstanden haben, etwas klarer ausdrücken: Die Grünen sind eine Klientelpartei und sie bleiben eine Klientelpartei.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

Und deshalb ist auch für mich der Hambacher Forst zu einem Symbol geworden; einem Symbol für die Unfähigkeit der Grünen, ein komplexes System von Abhängigkeiten ausgewogen und auf Interessenausgleich bedacht zu betrachten.

(Beifall von der CDU und der FDP – Norwich Rüße [GRÜNE]: Mann, ist das schlecht! – Zurufe von Monika Düker [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Aber die Debatte um den Hambacher Forst hat über die Themen Energieversorgung, Energiesicherheit, Bezahlbarkeit von Energie, Sicherheit von Arbeitsplätzen, Strukturwandel und Klimaschutz hinaus die Frage aufgeworfen, welchen Wert wir der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien noch zumessen.

Im Antrag des Landesvorstands der Grünen zum Landesparteirat am 7. Oktober in der Nähe des Hambacher Forstes liest man – Zitat: „Wer diesen Weg“ – gemeint ist der Weg des friedlichen Protests – „verlässt und Gewalt gegen Personen, zum Beispiel Stein- oder Fäkalienwürfe, ausübt, ist nicht mehr Teil unseres Protestes.“

(Zuruf von der SPD: Ja, ja!)

Was für eine hammermäßig harte Abgrenzung gegen Gewalttäter! Eine klare Verurteilung von Gewalt gegen Polizeibeamte? – Keine klare Verurteilung von Gewalt, sondern vorsichtiges Herantasten an eine Grenzlinie des Rechtsstaates.

(Zurufe von Berivan Aymaz [GRÜNE] und Josefine Paul [GRÜNE])

„Nicht mehr Teil unseres Protestes“ – das ist mir zu wenig. Das ist das Gegenteil eines klaren Signals, das notwendig gewesen wäre, um zu deeskalieren. Sie wollen Rechtsstaatspartei sein? Aber Sie verteidigen den Rechtsstaat doch nur dort, wo es Ihnen in den Kram passt.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie sind zu einer Partei geworden, die duschen will, ohne nass zu werden.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Und das ist in einer parlamentarischen Demokratie schlicht und einfach nicht möglich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie leisten im Übrigen damit denjenigen Vorschub, die sagen, es bedarf unrechtmäßiger Handlungen, damit der Kohleausstieg schnellstmöglich kommt. Viele Grüne haben Plakate …

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

– Herr Blex, zu Ihren klimapolitischen Positionen nach dem Motto „Den Klimawandel gibt es gar nicht“, kommen wir gleich. Ich freue mich ganz besonders auf diese Vorlesung, die uns gleich ereilen wird. Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass ich dabei sein werde.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Sie leisten, meine Damen und Herren von den Grünen, damit denjenigen Vorschub, die sagen, es bedürfe unrechtmäßiger Handlungen, um den Kohleausstieg schnellstmöglich hinzubekommen.

Viele Grüne haben Plakate in den Händen gehalten, auf denen der Satz „Reden statt Roden“ stand.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist die Position!)

Aber meine Damen und Herren, auch von den Grünen, wie soll das denn funktionieren, wenn man sich der Diskussion durch den Bau neuer Baumhäuser entzieht? Der Rechtsstaat ist doch keine Wendejacke, die Sie im Hambacher Forst ausziehen und hier wieder anziehen können.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wer morgens für sich einfordert, dass ein Beschluss des OVG von allen Beteiligten ohne Wenn und Aber akzeptiert werden muss, der darf nachmittags nicht mit dem Bau neuer Baumhäuser beginnen.

(Beifall von der CDU und der FDP, Herbert Strotebeck [AfD], Alexander Langguth [fraktionslos] und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Es sei denn, das Ziel ist nicht der Schutz von Bäumen oder des Klimas, sondern die Herausforderung des Rechtsstaats. Deshalb lautet mein eindringlicher Appell: Wir können und wollen keine Zonen unterschiedlichen Rechts in unserem Land dulden. Mit Vernunft und etwas gutem Willen können jetzt Konfliktsituationen vermieden werden.

(Zurufe von Berivan Aymaz [GRÜNE] und Norwich Rüße [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, tauschen Sie den Text Ihrer Plakate und Transparente aus! Wie wäre es mit „Akzeptieren statt Agitieren“ oder „ Zuhören statt Zimmern“?

Die Rechtslage ist klar; eine Rodung wird bis zur Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren nicht stattfinden. Bis dahin kann die von vielen und ebenso von Ihnen geforderte Ruhe im Wald endlich einkehren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ein letzter Punkt aus dem Antrag der Grünen, der heute debattiert werden sollte: die von den Grünen geforderte neue Leitentscheidung.

(Unruhe)

Ministerpräsident Armin Laschet hat zu Recht darauf hingewiesen, dass jetzt die Chance bestehe, innezuhalten und nach Lösungen zu suchen.

(Zurufe von Monika Düker [GRÜNE] und Josefine Paul [GRÜNE])

Innehalten heißt, die Zeit zu nutzen und die Folgen einer Entscheidung auf komplexe Systeme verantwortlich und vorausschauend zu bewerten. Das kann am Ende zu einer neuen Leitentscheidung führen; aber es wäre doch geradezu fahrlässig, die Entscheidung der Strukturwandelkommission und deren Auswirkungen auf das Industrie- und Energieland Nordrhein-Westfalen nicht abzuwarten.

(Unruhe – Glocke)

Und es wäre geradezu grotesk, das Urteil des OVG im Hauptsacheverfahren bei einer solchen Entscheidung nicht zu berücksichtigen.

Ich kann verstehen, Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dass Sie die alte Leitentscheidung Ihrer rot-grünen Landesregierung schnellstmöglich loswerden wollen –

(Zuruf)

eine Leitentscheidung, die Ursache für den Konflikt im Hambacher Forst ist und die Sie als Grüne zwischenzeitlich bis zur Selbstverleugnung relativiert haben. Aber es ist Gott sei Dank nicht meine Aufgabe oder die der NRW-Koalition oder die der Landesregierung, für Seelenfrieden bei den Grünen zu sorgen.

(Zuruf: Was ist Ihre Aufgabe?)

Eine Leitentscheidung soll …

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Dann sagen Sie uns doch mal, wie es bei der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke 2010 war!)

– Herr Klocke, darüber können wir uns gerne an anderer Stelle unterhalten. Ich war gerade bei der Leitentscheidung, …

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Sie können auch mal auf den Zuruf eingehen!)

… und eine Leitentscheidung …

(Unruhe – Glocke)

Ich habe das Gefühl, dass manch knallender Sektkorken das Ziel nicht erreicht und empfindliche Stellen getroffen hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Klocke, eine Leitentscheidung soll, nein muss Planungs- und Rechtssicherheit geben. Das ist Gegenstand einer landesplanerischen Leitentscheidung. Planungs- und Rechtssicherheit mögen für Sie keine Werte sein, für uns sind es wichtige Werte. Verlässlich bleiben, rechtsstaatliche Prinzipien garantieren, Energieversorgung, Arbeitsplätze und Umweltschutz zusammendenken – das ist die ganzheitliche Politik in Verantwortung für unser Land.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das hat man bei der Atomkraft gesehen!)

Das ist die Politik dieser NRW-Koalition. – Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum findet eigentlich hier und heute diese Debatte in der Form einer Unterrichtung statt? – Die ehrliche Analyse ist, Herr Pinkwart, Herr Laschet: weil Ihre Augen-zu-und-durch-Strategie des Aussitzens, der einseitigen Interessenvertretung von RWE, die Strategie der Diffamierung, der Kriminalisierung

(Zurufe von der CDU)

des Protestes – das hat Herr Löttgen gerade wieder gemacht –, die Strategie des Versteckens und Verschanzens hinter rot-grünen Entscheidungen aus der letzten Legislaturperiode – das hat ja den größten Teil der Redezeit von Herrn Löttgen und Herrn Pinkwart ausgemacht – und schlussendlich Ihre Strategie der Verweigerung der Übernahme von Verantwortung für die Zukunft des Rheinischen Reviers krachend und auf der ganzen Linie gescheitert ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen reden wir hier und heute über dieses Thema. Die Strategie ist krachend gescheitert vor einem Gericht und vor der Zivilgesellschaft, krachend gescheitert an der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten Politik an den Menschen in NRW vorbei gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was haben wir uns nicht alles anhören müssen – Herr Löttgen, Sie konnten es nicht lassen und mussten es heute wieder vortragen –: Der Hambacher Wald sei sowieso nicht mehr zu retten, ein Rodungsstopp gefährde die Versorgungssicherheit, die ausgehenden Lichter, die verlorenen Arbeitsplätze und dann – Ihr großer Auftritt heute wieder, Herr Löttgen – der Hambacher Wald als Treffpunkt einer militanten, international vernetzten linken Szene aus ganz Europa.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja! Genau!)

Unser Innenminister Herbert Reul prognostizierte im August, Hunderte von Gewalttätern aus dem internationalen Linksextremismus seien auf dem Weg. Und Frau Scharrenbach attestierte uns, wir würden zu dieser Gewalt aufwiegeln und einen Schutzzaun um die Linksextremisten ziehen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Genau das haben Sie gesagt!)

Diese Szenarien sind in dieser Form nicht eingetreten. Das wissen Sie ganz genau.

(Beifall von den GRÜNEN – Matthias Kerkhoff [CDU]: Fragen Sie mal die Polizisten! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

– Herr Sieveke, regen Sie sich wieder ab! – Die nüchterne Bilanz nach dem Fiasko, nach Ihrem Fiasko der letzten Woche ist: Niemand glaubt Ihnen diese Märchen. Das müssen Sie heute einfach mal akzeptieren. Das tut weh. Ich kann es verstehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist nicht leicht. Dafür habe ich eine gewisse Empathie. Aber Sie müssen da jetzt durch.

Erstens. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen schreibt Ihnen ins Stammbuch: Es gibt – entgegen Ihrer Behauptung – keine Belege, dass die sofortige Rodung des Hambacher Waldes für die Energieversorgung notwendig sei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das kann man übrigens in Studien nachlesen. Herr Laschet, Sie hätten das in diesen Studien nachlesen können, diese Entscheidung treffen und sich dafür einsetzen müssen, nicht das Gericht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Die Gewaltausübung durch Steinwürfe und den widerwärtigen Fäkalienbewurf – anders kann man es nicht nennen – wurden, Herr Löttgen, anders als Sie es behaupten, von uns Grünen stets und bei jeder Gelegenheit abgelehnt. Hören Sie endlich auf, uns in eine Ecke mit den Gewalttätern zu stellen! Das stimmt nicht!

(Zurufe von der CDU, der FDP und der AfD)

Klar ist auch, dass die Gewalt bei Weitem nicht die vom Innenminister prognostizierten Ausmaße angenommen hat. Ihre Hysterie, Herr Minister, war ja geradezu grotesk.

(Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU)

Es waren Ihre leitenden Polizeibeamten, Herr Minister, die die Mär vom Tunnelsystem à la Vietcong in die Welt gesetzt und behauptet haben, dass wir uns im Hambacher Wald eigentlich im Vietnamkrieg befinden.

(Minister Herbert Reul: Sie wissen, dass das nicht stimmt!)

Das waren Ihre leitenden Polizeibeamten, oder die „Rheinische Post“ hat falsch zitiert.

Drittens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Umfragen belegen, dass die große Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen eine Rodung dieses Waldes ablehnt, einen schnellen Kohleausstieg will. Und gleichzeitig brechen Ihre Umfragewerte, Herr Laschet, dramatisch ein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn es ist auch eine Mehrheit Ihrer Wähler, die diese Politik ablehnt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eindrucksvoll belegten 50.000 Menschen am 6. Oktober, dass der Antikohleprotest von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen wird.

Und, Herr Reul, es ist Ihre Polizei, die sich klar …

(Bodo Löttgen [CDU]: Es ist nicht „Ihre Polizei“; das sagen Sie! Entlarvend!)

– Unser aller Polizei, aber es ist auch Ihre Polizei.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Herr Reul, Herr Löttgen, …

(Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

– Meine Herren, wir sind hier nicht auf dem Pavianhügel, sondern in einem deutschen Parlament. Kommen Sie alle mal wieder runter!

(Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt zur Sache: Es ist der Innenminister, der diesen größten, aus unserer Sicht völlig unnötigen Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens zu verantworten hat. Und es war die Polizei in Nordrhein-Westfalen,

(Dietmar Brockes [FDP]: Weil Sie nichts getan haben!)

die sich klar gegen diese Räumung, gegen diese Maßnahmen ausgesprochen hat und

(Minister Herbert Reul: Stimmt doch gar nicht!)

Ihnen gesagt hat: Reden statt Roden muss jetzt passieren. – Ich zitiere den Bund Deutscher Kriminalbeamter. Herr Reul, das ist nicht gerade eine Vorfeldorganisation der Grünen. Ich zitiere aus der Stellungnahme des Bundes Deutscher Kriminalbeamter:

„Diese Amtshilfe hätte zum jetzigen Zeitpunkt versagt werden müssen, weil dem Land erhebliche Nachteile bei der Gewährleistung der Sicherheit für die Bevölkerung entstehen.“

Das ist unmissverständlich. Weiter sagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter:

„Hier werden die Kollegen regelrecht verheizt …“

So weit die Polizei in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Tatsache ist: Diese Sicherheitslücken sind entstanden, Herr Reul – und dafür haben Sie Verantwortung – an den Kriminalitätsbrennpunkten in Duisburg-Marxloh, in der Düsseldorfer Altstadt und in all den Städten, aus denen Sie Unterstützungskräfte der Bereitschaftspolizei abgezogen haben. Und ich frage Sie hier und heute: War es das wert?

(Beifall von den GRÜNEN)

Da ist es nicht mit dem getan, was wir selbstverständlich auch tun: Dieser Polizei in Nordrhein-Westfalen kann gar nicht genug gedankt werden für diesen Einsatz. Aber damit ist es nicht getan.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Ich habe im Gegensatz zu Ihnen, Herr Löttgen, genau mit diesen Polizeibeamten vor Ort

(Unruhe – Glocke)

gesprochen und habe mir das angehört, was sie da alles auszuhalten haben. Sie waren da nicht, nein, ich habe Sie nicht gesehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber ich glaube, dass dieser Dank hier und heute nicht ausreicht. Ich denke, es ist an der Zeit, Herr Reul, sich für diesen unnötigen Einsatz bei den Polizeibeamtinnen und -beamten in Nordrhein-Westfalen zu entschuldigen. Das würde hier Größe zeigen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Pinkwart, wenigstens haben Sie heute anerkannt, dass hier endlich etwas passieren muss – das ist ja schon mal was, ein richtiger Schritt in die Realität –, dass wir die Energiewende hier beherzt angehen müssen.

Aber das, was dann gekommen ist, was wir heute von Ihnen gehört haben, reicht bei Weitem nicht aus. Was war das? Da wurden von Ihnen ausführlich Probleme beschrieben: Ja, das ist alles ganz schwer! – Für „leicht“ sind Sie auch nicht gewählt worden, Herr Pinkwart! Die allgemeinen Ziele wurden wieder formuliert. Besonders ausführlich berichten Sie immer gerne, was alles nicht geht. Das haben Sie auch noch einmal dargestellt. Fast schon genüsslich tragen Sie Ihre Bedenken vor, was alles problematisch ist.

Dann werden Maßnahmen angekündigt, die irgendwann kommen müssen, die Sie aber nicht benennen. Und die bereits vor dem Sommer von Ihnen angekündigte Energieversorgungsstrategie wird hier in mageren Stichworten – ich glaube, es waren fünf, sechs Stichworte – einfach nur angekündigt. Das Härteste ist: Eine Energieversorgungsstrategie, ohne die erneuerbaren Energien nur mit einem Wort zu erwähnen – das muss man erst einmal schaffen. Ich habe gut zugehört. Und ich habe einen Ausbaupfad für die Erneuerbaren in Ihrer Strategie nicht gefunden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was es heute nicht gab, Herr Pinkwart – das ist das, was zu wenig ist –, waren konkrete Antworten. Aber die müssen schnell kommen, wenn wir wirklich noch gegensteuern wollen. Denn der Weltklimarat macht in seinem neuen Bericht eindrucksvoll deutlich, dass die nächsten Jahre wahrscheinlich die wichtigsten in unserer Geschichte sind und dass wir schnell handeln müssen. Das ist ein Weckruf. Es macht einen großen Unterschied, ob die Welt um 1,5°C oder 2 C erhitzt wird.

Und was macht das alles für Nordrhein-Westfalen? Ja, das Kohleabbaugebiet muss drastisch verkleinert werden, egal was bei der Kohlekommission für ein Datum rauskommt, 2030 oder industriefreundlich 2040. Die Abbaumengen werden nicht mehr dieselben sein. Es werden nur noch 15 bis 30 % der Abbaumengen gebraucht. Da können Sie hier nicht nur eine Leitentscheidung ankündigen – das haben Sie ja noch nicht mal gemacht –, sondern da muss man anfangen, diese Leitentscheidung auch zu erarbeiten. Das hätten wir von Ihnen hier und heute erwartet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Abschalten der Kohlekraftwerke, Abbaugebiet verkleinern, das ist die eine Seite der Medaille. Aber man kann keinen Kohleausstieg fordern, hier die Energiewende ankündigen und gleichzeitig, Herr Pinkwart, weiter den Ausbau der erneuerbaren Energien abbremsen und das dann auch noch Entfesselung nennen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Windenergie wird von Ihnen blockiert. Mit keinem Wort erwähnen Sie heute, wie Sie denn nun das Ziel – nicht unser Ziel, das sagt die Große Koalition in Berlin – von 65% Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 umsetzen wollen. Irgendwie finden die Erneuerbaren bei Ihnen in der Energiewende nicht statt. Tatsache ist: Ohne die Erneuerbaren wird diese Energiewende nicht gelingen. Sie können nicht das eine ankündigen und bei dem anderen auf der Bremse stehen. Das funktioniert nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch, was Sie wieder nur angekündigt haben, dass man für die Versorgungssicherheit noch irgendetwas anderes braucht als diese dreckigen Kohlemeiler, nämlich dezentrale Blockheizkraftwerke, flexible Gas- und Dampfturbinen: Ja, wo wollen Sie die denn hinstellen? Kündigen Sie das doch nicht an, sondern sagen Sie uns, wo die entstehen sollen. Sie müssen jetzt damit anfangen. Wenn der Kohleausstieg kommt, müssen die am Netz sein. Dazu kam auch nicht viel Konkretes.

Und was überhaupt nicht gekommen ist: Was machen Sie eigentlich in Berlin in der Kohlekommission? Da gibt es nun viel Geld, 1,5 Milliarden Euro Fördermittel. Was beantragen Sie denn da für Projekte für NRW, ganz konkret?

(Ministerpräsident Armin Laschet: Da müssen Sie zuhören!)

Sie haben Projekte angekündigt. Aber sind die Bestandteil eines Förderprojekts, was Sie von den 1,5 Milliarden Euro dort haben wollen? Das hätten wir gerne einmal vorgestellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus Berlin hört man da durchaus etwas anderes: dass nämlich die ostdeutschen Bundesländer – sagen wir es einmal vorsichtig – ambitionierter unterwegs sind.

Mein Fazit zunächst: Nach Ihrer gescheiterten Politik der Verweigerung von Verantwortung stellen Sie sich endlich dem Diskurs. Das begrüßen wir. Aber was wir heute hier von Ihnen gehört haben, Herr Pinkwart, ist zu wenig. Da war zu viel Bedenkenträgerei. Da war zu viel: Ich mach mir Sorgen. – Da war zu wenig Aufbruch. Da war zu wenig Konkretes. Da war zu wenig Zukunftsweisendes für Nordrhein-Westfalen, wie ganz konkret hier die Energiewende gestaltet werden kann.

Dennoch gilt für uns, den Blick nach vorne zu richten. Wie schon beim Kohleausstieg 2007 möchte ich Ihnen hier und heute auch seitens der Grünen unsere Kooperation und unsere Unterstützung für die Gestaltung und für die Umsetzung des Braunkohleausstiegs anbieten. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, egal wer hier auf den Regierungsbänken sitzt: An dieser Aufgabe kommt verantwortungsbewusste Politik im Jahre 2018 nicht vorbei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Handeln Sie endlich, Herr Laschet! Ich hätte mir auch gewünscht, Sie hätten hier heute das Wort ergriffen, um zu sagen, dass diese Zukunftsaufgabe hier bei Ihnen Chefsache ist. Handeln Sie! Die Menschen in Nordrhein-Westfalen erwarten das von Ihnen. Wenn Sie das tun, haben Sie uns an Ihrer Seite. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Bevor der nächste Redner, diesmal für die FDP, das Wort erhält, hat Herr Kollege Wagner von der AfD sich zur Geschäftsordnung gemäß § 29 gemeldet. – Herr Wagner, bitte.

Markus Wagner (AfD): Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle gemäß § 42 Abs. 1 den Antrag auf Einzelabstimmung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/3791 zu den Punkten II und III, zumal der Punkt II eine klare Distanzierung von Gewalt enthält. Ich glaube, dass wir dem alle im Hause zustimmen könnten, auch wenn wir den Antrag ansonsten vielleicht nicht mittragen können. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Wagner. – Ich bitte die Fraktionen, sich mit diesem Geschäftsordnungsantrag gemäß § 42 – beantragte Einzelabstimmung – zu beschäftigen. Wir werden über den Geschäftsordnungsantrag dann gegebenenfalls unmittelbar vor der Abstimmung entscheiden und festlegen, wie wir damit umgehen werden.

Jetzt hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege Rasche das Wort.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn aus den Reihen der Opposition die Kritik an Minister Pinkwart vom Redezettel abgelesen wird, ist das für mich verdächtig. Das hat dann weniger etwas mit der Rede von Andreas Pinkwart zu tun, sondern vielmehr mit der schlechten Vorbereitung des Redners, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben hier vor nicht einmal 14 Tagen den Landeshaushalt 2019 eingebracht und diskutiert. Wir haben als NRW-Koalition dabei betont, wie wichtig uns Verlässlichkeit und Vernunft sind.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist eben die neue Politik in Nordrhein-Westfalen, und genau das gilt auch für die Energiepolitik dieser Koalition.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Es ist doch, lieber Kollege Herter, die richtige Balance zwischen Ökologie und Ökonomie, die es sieben Jahre lang nicht gegeben hat und an der jetzt grundsätzlich gearbeitet wird.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Grundpfeiler einer klugen Energiepolitik sind doch klar. Das ist Bezahlbarkeit, das ist Versorgungssicherheit, und das ist Klimaschutz. Wir müssen alle drei Punkte miteinander verbinden, um eine vernünftige Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. Das hat sieben Jahre lang nicht geklappt, und wir sind jetzt auf einem guten Weg, diese drei Ziele, die sich zum Teil auch widersprechen, miteinander zu verbinden. Denn nur wenn wir alle drei Ziele erreichen, werden wir für Nordrhein-Westfalen eine gute Energiepolitik gewährleisten können.

Wir kennen Nordrhein-Westfalen alle gut: 18 Millionen Menschen, 8,6 Millionen Haushalte, eine Million Arbeitsplätze in der überwiegend mittelständisch geprägten Industrie, riesige Unternehmen in der Energiewirtschaft, die weltweit agieren, ein starker Mittelstand, innovative kommunale Unternehmen. Das Herz der deutschen Industrie schlägt in Nordrhein-Westfalen. Genau dieses Herz der deutschen Industrie ist auf eine verlässliche Energiepolitik angewiesen. Sie ist geradezu überlebenswichtig für unser Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Was heißt verlässliche Politik? – Energie muss einfach verfügbar sein, egal ob die Sonne scheint, egal ob der Wind weht. Wir können uns in Nordrhein-Westfalen keine Blackouts leisten. Das geht einfach nicht. Dann geht der Wirtschaftsstandort kaputt, und Investoren werden sich in Zukunft zurückziehen. Dieses einfache Beispiel „Nur weil der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, geht das Licht im OP-Saal im Krankenhaus aus“ passt tatsächlich. So eine Politik dürfen wir in Nordrhein-Westfalen niemals machen. Da haben die Grünen und auch die Kollegen der SPD in den sieben Jahren große Sünden in Nordrhein-Westfalen begangen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir brauchen eine verlässliche Politik – das ist genauso wichtig –, damit eben investiert wird, damit innovative Initiativen in Nordrhein-Westfalen entstehen und damit Fortschritt aufgebaut wird. Bei einem bin ich mir sicher, das verbindet mindestens vier Fraktionen hier im Haus: Wir wollen alle gemeinsam den CO2-Ausstoß in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt senken. Die NRW-Koalition – Minister Pinkwart hat es eben gesagt – wird die rot-grünen Klimaschutzziele, die Sie damals so gepriesen haben, als wären sie eine Sensation, übertreffen. Wieso kritisieren Sie uns denn eigentlich noch, wenn wir Ihre eigenen Ziele übertreffen?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das eigentliche Problem der Grünen ist doch: Klimaschutzpolitik ist längst kein grünes Thema mehr.

(Zuruf von den GRÜNEN: Doch!)

Es ist kein grünes Thema mehr. Es ist ein Thema der SPD, es ist ein Thema der CDU, es ist ein Thema der FDP – und natürlich auch ein Thema der Grünen. Aber sie finden eben nicht mehr so statt wie früher, als die anderen Fraktionen und Parteien diese Klimaschutzpolitik vielleicht noch nicht so auf dem Schirm hatten. Aber das hat sich geändert.

Deshalb versuchen die Grünen, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Warten wir mal Bayern ab!)

in zwei Punkten noch Unterschiede deutlich zu machen zwischen den Grünen auf der einen Seite und den anderen Fraktionen auf der anderen Seite.

Der erste Unterschied ist: Die Grünen werden deutlich radikaler. Die Grünen inszenieren sich zumindest vor gewaltbereiten, kriminellen Menschen im Hambacher Forst. Sie inszenieren sich. Das machen sie doch absichtlich, nur um aufzufallen, um radikal rüberzukommen, weil sich ihre Argumente von denen anderer Parteien gar nicht mehr unterscheiden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der zweite große Unterschied in der Energiepolitik ist: Die Grünen sind absolut unverlässlich. Man kann einfach nicht gestern getroffene Entscheidungen heute umwerfen und übermorgen das Gegenteil behaupten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist unglaubwürdig und unverlässlich.

(Beifall von der FDP)

Es war Ihre Leitentscheidung aus dem Jahre 2016. Sie haben damals die Kohleverstromung bis zum Jahre 2045 festgelegt, und die Rodung des Hambacher Forsts war in dieser Leitentscheidung auch inbegriffen. Heute tun die Grünen aber so, als wäre das alles gar nicht passiert.

Ich kann an die Kollegen der Grünen nur sagen: Pinocchio lässt grüßen. Denn kein Mensch nimmt Ihnen das ab. Ich würde Sie im Gegenteil darum bitten, vielleicht in Zukunft zu einer verlässlichen, verständlichen und ehrlichen Klimaschutzpolitik zurückzukommen, vielleicht gemeinsam mit den anderen Fraktionen hier im Haus.

Was heißt vernünftige Energiepolitik? – Eine intakte Umwelt ist uns allen wichtig. Saubere Luft ist uns allen wichtig. Eine Zukunft mit einer guten Umwelt für zukünftige Generationen ist uns allen auch wichtig. Genau daran arbeiten wir doch in Nordrhein-Westfalen. Seit 1990 haben sich die Treibhausgasausstöße der Energiewirtschaft um über 25 % reduziert.

Es ist also nicht so, als wenn die Energiewirtschaft in Nordrhein-Westfalen nichts geleistet hätte. Nein, minus 25 % – das war ein enormes Ergebnis, eine anerkennenswerte Leistung, auch wenn wir daran noch weiter arbeiten müssen.

Wir brauchen zweitens den Weg zur umweltfreundlichen Energieversorgung durch Innovationen, durch Forschung und durch Investitionen. Wir müssen als Koalition, als Regierung und als Landtag insgesamt verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, damit die kluge Forschungspolitik wirklich umgesetzt werden kann; denn eines ist doch sicher: Selbst hier in Deutschland, mit all unserer Kraft, mit all dem Geld, das wir investieren, ist der Umstieg auf erneuerbare Energien von heute auf morgen nicht möglich. Das ist schlicht und einfach nicht möglich. Selbst die Grünen haben gesagt, wir bräuchten noch bis 2045; zumindest sagten sie das vor zwei Jahren noch.

Unser Ziel ist doch nicht nur der Umstieg auf erneuerbare Energien in 5, 10 oder 15 Jahren allein in Deutschland – wahrscheinlich in Abhängigkeit von der technischen Entwicklung bei der Speichertechnik –, sondern unser Ziel ist es, dass sich erneuerbare Energien auch in Europa und auf der ganzen Welt durchsetzen. Was hilft es denn dem Weltklima, wenn wir das nur in Deutschland machen und die anderen Länder in Europa und in der übrigen Welt nicht motiviert werden können, den gleichen Weg zu gehen?

Wenn der deutsche Weg dazu führt, dass die wirtschaftliche Entwicklung sich sogar reduziert und dass auf der anderen Seite die Energiepreise fast ohne Ende nach oben schießen, weil das Tempo zu hoch ist, dann werden uns andere Länder auf der Welt dabei nicht folgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Ein dritter Punkt für eine vernünftige Energiepolitik ist folgender: Wir dürfen den Menschen keinen Sand in die Augen streuen. Wir müssen ehrlich sagen, was geht und was nicht geht. Zur Ehrlichkeit gehört es, zu sagen: Für eine sichere Stromversorgung sind im Moment fossile Energieträger absolut notwendig. Wer das Gegenteil behauptet, sagt den Menschen die Unwahrheit, und genau das sollten wir unterlassen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

In verschiedenen Reden wurde es gerade schon gesagt: Was passiert denn, wenn wir wirklich sehr, sehr schnell aus der Kohleverstromung ausscheiden, so wie es die Grünen wollen? – Dann bekommen wir tatsächlich Atomstrom aus Frankreich, und wir bekommen Kohlestrom aus Polen. Das ist doch die Wahrheit.

Das ist offensichtlich das, was die Grünen wollen. Sie wollen definitiv Kohlestrom aus Polen und definitiv Atomstrom aus Frankreich; denn es gibt keine andere Lösung, lieber Herr Klocke. Es gibt keine andere Lösung für Ihren schnellen Ausstieg! Deswegen werden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, diesen Weg auf keinen Fall mitgehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen rief beim Redebeitrag von Andreas Pinkwart dazwischen: „Ich dachte, es käme mal was Neues.“ – Ist das denn Ihre neue Botschaft: Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Frankreich? Herzlichen Dank an die Grünen! Da werden Ihnen die Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht folgen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Abschließend noch einige Bemerkungen zu den Redebeiträgen des Kollegen Herter und der Kollegin Düker.

Zunächst, Kollege Marc Herter, wenn man Formulierungen benutzt wie „entfesselter Wirtschaftsminister“ oder „Armin der Trickser“, dann führt das in der Regel zu reichlich Applaus, aber so richtig hat das eben keinen von den Bänken gerissen, nicht einmal bei der SPD.

(Widerspruch von der SPD)

– Nein, keinen Einzigen. – Marc Herter sprach in Bezug auf die rot-grüne Koalition, die sieben Jahre hier regiert hat, von gemeinsamen Herausforderungen, denen man sich gestellt hat.

(Zuruf von der SPD: In der Tat!)

Das Problem ist nur, Sie haben keine gemeinsamen Lösungen gefunden, Kollege Herter.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn Sie vermeintlich gemeinsame Lösungen gefunden haben, wurden sie anschließend vom Koalitionspartner blockiert. Genauso wie Ihr früherer Koalitionspartner jetzt in der Energiepolitik agiert, hat er es während Ihrer Regierungszeit gemacht. Sie haben sich in irgendwelchen Hinterstübchen geeinigt, und anschließend wurde gegeneinander gearbeitet. Deshalb wurden Sie auch abgewählt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Abschließend zu den Kollegen von der SPD insgesamt.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

– Ja, Bodo Löttgen hat mir schon einiges vorweggenommen. Tut mir leid, Marc Herter.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

– Nein, er hat ja gesagt, was er mir weggenommen hat. Er hat mir aber auch etwas übrig gelassen.

Bei allem Rollenspiel von Opposition, Regierung und Koalition hätte ich mir gewünscht, die SPD hätte, als den Einsatzkräften gedankt wurde, die Größe gehabt, einfach mal zu applaudieren. Das wäre schön gewesen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Andreas Pinkwart hat sich ausdrücklich bei den Einsatzkräften bedankt; er hat das sehr ausführlich gemacht. Keiner von der SPD hat geklatscht, niemand.

(Zurufe von der SPD: Wir haben uns selber dafür bedankt! – Guck nur mal ins Protokoll! – Weitere Zurufe)

– Klar, mache ich.

Kollegin Düker, Sie haben gerade sowohl Ihr Verhältnis zur Polizei als auch Ihr Verhältnis zu Gewalttätern sehr deutlich gemacht. Mit Ihrem Satz: „Es ist Ihre Polizei“, also nicht Ihre, haben Sie Ihr negatives Verhältnis zur Polizei geradezu dogmatisch hier in den Raum gestellt.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Das spricht für Sie. Das ist die Einstellung bei den Grünen, aber es ist eben nicht unsere Einstellung. Die Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen haben so etwas nicht verdient.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Und dann Ihr überaus rücksichtsvolles Verhalten gegenüber Gewalttätern; ich wiederhole: Ihr sehr rücksichtsvolles Verhalten gegenüber Gewalttätern. Liebe Frau Düker, das geht überhaupt nicht.

(Beifall von der FDP und der CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Das glaubt Ihnen von den 40.000 Polizistinnen und Polizisten keiner!)

Bodo Löttgen warf den Grünen in seiner Rede eben Unfähigkeit vor, und zwar vor allem wegen einer widersprüchlichen und irrationalen Energiepolitik. Ich weiß nicht, ob das Unfähigkeit ist. Vielleicht ist es auch einfach nur Strategie. Frau Düker sprach eben von Strategie, verband damit aber die Verantwortung für die Zukunft. Ich habe den Eindruck, Sie wollen kurzfristig die Umfragewerte steigern. Das ist die einzige Strategie, die die Grünen verfolgen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wer wiederholt in Opposition und Regierung das Gegenteil von dem sagt, was er vorher gemacht hat, und umgekehrt, der kann vielleicht kurzfristige Geländegewinne erzielen. Er wird aber niemals das Vertrauen der Menschen in Nordrhein-Westfalen auf Dauer gewinnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die AfD spricht Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Brandanschläge auf Geschäfte, Anschläge auf Häuser, Bedrohung von Menschen, die nur ihrer Arbeit nachgehen, Jagd auf Menschen – das Kapitel „Hambacher Forst“ ist auch ein dunkles Kapitel der Gewalt. Diese Gewalt geht von der Straße aus – von Vermummten mit Eisenstangen, Molotowcocktails und Stahlschleudern. Es ist an der Zeit, dass wir gegen diese Gewalt aufstehen und den Opfern sagen: Ihr seid nicht allein.

(Beifall von der AfD)

Daneben gibt es aber zum Glück auch friedliche Demonstranten, und zwar auf beiden Seiten. Die einen, zumeist Mitglieder oder Anhänger der Grünen, demonstrieren, um Arbeitsplätze von RWE-Mitarbeitern zu vernichten. Die anderen demonstrieren, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten.

Dabei ist die Entscheidung über die Abholzung des Hambacher Forstes bereits 40 Jahre alt und wurde in der letzten Legislaturperiode von Rot-Grün mehrmals bestätigt. Zuletzt wurde RWE im Jahre 2016 bei der Verkleinerung von Garzweiler garantiert, dass das Abbaugebiet Hambach bestehen bleibt. Das heißt, die Grünen haben explizit die Abholzung des Hambacher Forstes beschlossen.

Diesen Kompromiss wollen die Grünen in der Opposition jetzt einseitig aufkündigen. Hier erkennt man die Unzuverlässigkeit der Grünen, wenn es um die Einhaltung von Kompromissen geht.

(Beifall von der AfD)

Die Industrie braucht Rechtssicherheit, um zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Menschen, die bei RWE oder in der Industrie arbeiten, brauchen Rechtssicherheit.

Und Ihnen, liebe Grünen, reicht noch nicht mal die Unsicherheit, die das aktuelle Urteil des Oberverwaltungsgerichts angerichtet hat. Sie wollen darüber hinausgehen und drohen den Arbeitnehmern von RWE mit dem sozialen Kahlschlag. Was erzählen Sie den RWE-Mitarbeitern jetzt? Was erzählen Sie einem Familienvater, der sich gerade ein Haus gebaut und dafür einen hohen Kredit aufgenommen hat, wenn dieser jetzt aufgrund Ihrer Politik seinen Arbeitsplatz verliert?

Ich weiß, Sie fordern jetzt einfach neue Arbeitsplätze. Aber woher sollen die denn kommen? – Auf den Bäumen wachsen sie jedenfalls nicht.

(Beifall von der AfD)

Jeder hier im Raum sollte sich jetzt die Frage stellen, was diese Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes eigentlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeutet. Bisher konnten Unternehmen auf den Schutz der Eigentumsrechte vertrauen. Diese Rechte wurden RWE nun zumindest temporär entzogen. RWE hat Milliarden Euro in Kraftwerkstechnik, in Großbagger, in Fördersysteme und in die Ausbildung der Mitarbeiter investiert. Diese Investitionen wurden aufgrund der angenommenen Rechtssicherheit getätigt.

Doch jetzt gibt es in Deutschland keine Rechtssicherheit mehr. Wie viele Unternehmen werden nun bei ihrer nächsten größeren Investition Teile ihres Unternehmens ins Ausland verlagern? Wie viele Arbeitsplätze werden aus Deutschland verschwinden? – Aber kein Problem, man fordert als Grüne einfach neue Arbeitsplätze, und dann pumpt man, wie es die SPD am Donnerstag mit ihren Antrag versuchen wird, einfach viel Geld ins System. – Das aber ist Wirtschaftssachverstand, den wir aus der DDR kennen.

(Beifall von der AfD)

Den Grünen reicht aber noch nicht mal die Vernichtung der Arbeitsplätze. Sie müssen auch noch die Menschen im Revier demütigen. So postet Ihre Fraktionsvorsitzende Frau Düker Vergleiche mit Kohle und Nazis und beschimpft damit die hart arbeitenden Mitarbeiter vor Ort. – Ist das Ihr moralischer Kodex? Nur Menschen, die Windkraftanlagen bauen, sind gute Menschen, und die anderen sind in Ihren Augen braun?

Seit sechs Jahren besetzen Ökoterroristen den Hambacher Forst illegal und attackieren immer wieder Polizisten, Sicherheitsmitarbeiter und Mitarbeiter von RWE. Dabei ist diesen Gewalttätern nicht nur die Demokratie, sondern auch die Umwelt egal. Oder wo waren diese, als nur wenige Kilometer entfernt ein Teil des Aachener Münsterwaldes für Windräder gerodet und Tausende von Bäumen gefällt wurden?

Diese Leute lehnen unseren Rechtsstaat ab. So befand sich im Gebiet der Baumhäuser beispielsweise eine riesige Antifa-Flagge. Leider sind die Mitglieder der Antifa nicht für ihre Gewaltfreiheit bekannt, wie wir seit G20 wissen. Leider wird diese Antifa von der SPD und auch von ver.di in zahlreichen Städten unterstützt.

Noch bezeichnender ist aber, dass ver.di nicht mal mehr die Interessen der eigenen Mitglieder vertritt.

(Beifall von der AfD)

So hat ver.di die Landesregierung vor ein paar Wochen schriftlich aufgefordert, die Rodungsarbeiten zu verhindern bzw. zu einem Stopp zu bringen.

(Helmut Seifen [AfD]: Unglaublich!)

Nach Ansicht von ver.di sei dies im Interesse aller gesellschaftlich relevanten Gruppen. Das heißt, ver.di erkennt die RWE-Mitarbeiter, also die eigenen Mitglieder, nicht mal mehr als gesellschaftlich relevante Gruppe an.

(Beifall von der AfD)

Stattdessen sympathisiert ver.di mit der Antifa und entfernt sich damit leider immer weiter vom Rechtsstaat.

Das Forstgebiet im Rheinischen Revier wird übrigens seit dem 16. Jahrhundert als Wirtschaftswald genutzt; das heißt, seit dieser Zeit kam es immer wieder zu Rodungen und Abholzungen.

Auch sind die Bäume dort nicht 12.000, sondern maximal 300 Jahre alt. Dann wird argumentiert, die dortigen Böden seien 12.000 Jahre alt. – Ja, die letzte Eiszeit, das letzte Auftauen der Böden fand vor 12.000 Jahren statt. Alle Waldböden sind aus dieser Zeit und somit 12.000 Jahre alt. Das ist also eine Binsenweisheit. Etwa ein Drittel der Flächen in Deutschland bestehen aus Wald.

95 % des Hambacher Forstes sind bereits abgeholzt. Es geht nur noch um 200 ha Forst.

Zum Vergleich: Von 2002 bis 2012 sind die Waldflächen in Deutschland um 50.000 ha angestiegen – und wir reden hier über 200 ha, die abgeholzt werden sollen. RWE hat bereits über 1.300 ha wiederaufgeforstet und wird am Ende mehr aufforsten, als abgeholzt wurde.

Wie heißt es so schön in der Bibel? Wer ohne Massivholzmöbel ist, der werfe den ersten Stein.

(Heiterkeit und Beifall von der AfD)

Sie können ja mal gedanklich durch Ihre Wohnung gehen und schauen, ob dort nicht ein Massivholztisch oder ein Massivholzbett steht.

(Helmut Seifen [AfD]: Edelhölzer!)

Dann können Sie sich die Frage stellen: Woher stammt eigentlich das Holz?

Was sind Ihre Alternativen, liebe Grüne? Wollen Sie 4.000 Windräder? Dafür bräuchten Sie eine Fläche von zigtausend Hektar. Dafür ist einer Frau Brems auch der Wald nicht zu schade.

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Wenn die Windräder nach der Nutzung abgebaut werden, bleiben die Betonfundamente häufig im Boden und versiegeln den Waldboden dauerhaft.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch nicht! – Gegenruf von Helmut Seifen [AfD]: Doch, das stimmt genau so!)

– In Niedersachsen wird ein Meter abrasiert – wir haben eine Große Anfrage dazu eingestellt –, der Rest wird versiegelt.

Wenn die Windräder nach der Nutzung abgebaut werden, bleiben diese Fundamente häufig im Boden und versiegeln den Waldboden dauerhaft. Hingegen schafft RWE am Ende der Braunkohleförderung ein einzigartiges Ökobiotop im Rheinischen Revier, das zudem das größte ist. Gegen all das darf man sein; das ist Ihr demokratisches Recht. Aber dann sind Sie zumindest moralisch verpflichtet, den Menschen reinen Wein einzuschenken und ihnen zu erklären, welche unangenehmen Folgen mit der Geschichte verbunden sind.

Ich jedenfalls danke heute den hart arbeitenden Menschen in den Energiekonzernen, dass diese jeden Tag aufstehen und für uns den Strom produzieren und verteilen, den wir benötigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Loose. – Nun hat der fraktionslose Abgeordnete Herr Kollege Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Das Oberverwaltungsgericht Münster hat vorläufig einen Rodungsstopp verhängt. Es handelt sich dabei noch nicht um eine endgültige Entscheidung, und deswegen ist hier auch noch gar nichts gescheitert und endgültig, wie es insbesondere vonseiten der Grünen jubelnd behauptet wird.

Vor diesem Hintergrund diskutieren wir – in einer Situation, in der Deutschland nach Dänemark europaweit die höchsten Strompreise und doppelt so hohe Strompreise aufweist wie unsere großen Nachbarländer Frankreich und Polen – über die Abholzung von 100 ha Wald. Sie erheben das hier zum Symbol für Klimapolitik, den Fortbestand des deutschen Waldes und ich weiß nicht, was alles noch.

Es ging ursprünglich mal um 4.000 ha. Davon sind noch 200 ha übrig, von denen jetzt 100 ha gerodet werden sollen. Darüber sprechen wir hier. Dabei geht es um 0,000877 % des deutschen Waldes. Das Ganze ist besonders deshalb so spannend, weil gleichzeitig in Hessen darüber diskutiert wird, 1.400 ha Mittelgebirgswald für die Errichtung von Windkrafträdern zu roden.

Wir reden über 100 ha Wald; das ist ein Kilometer im Quadrat. Daran rauschen Sie auf der A 4 innerhalb von 30 Sekunden vorbei. Das merken Sie nicht einmal. Und das erheben Sie hier zur Symbolpolitik.

Wir diskutieren über eine Bechsteinfledermaus, die so etwas Ähnliches ist wie die Steinlaus und immer dann auftaucht, wenn Sie vorhaben, einen Wald zu retten. Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, wie viele Bechsteinfledermäuse täglich in Ihren Windkrafträdern geschreddert werden?

Kohle ist böse, Windkraft ist gut. Geschredderte Fledermäuse in Windkrafträdern spielen keine Rolle, gerodeter Wald für Windkrafträder spielt keine Rolle.

Es wäre schön gewesen, wenn Sie sich 2016 nicht – wie heute – über die Bechsteinfledermaus Gedanken gemacht hätten, sondern über die Menschen, die umgesiedelt worden sind. Wenn Ihnen das am Herzen gelegen hätte, dann hätte ich sogar verstehen können, dass Sie sich hier engagieren. Aber es geht Ihnen nicht um die Menschen, sondern es geht Ihnen um Symbolpolitik – und noch dazu um eine völlig falsche.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Pretzell. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zu einigen wenigen Punkten, die angesprochen worden sind, Stellung nehmen, insbesondere zu denen von Frau Düker. Ich weiß gar nicht, ob sie jetzt im Saal ist.

(Andreas Keith [AfD]: Das Thema ist so wichtig! Das wichtigste Thema der Grünen! Peinlich! Peinlich!)

Vielleicht kommt sie gleich wieder.

(Andreas Keith [AfD]: Und die anderen spielen mit dem Handy!)

Jedenfalls hatte Frau Düker für die Fraktion der Grünen zwei Dinge angesprochen, die ich gerne geraderücken möchte. Das eine war die Energieversorgungsstrategie, die ich für die Landesregierung angekündigt hatte. Sie hatte in ihrem Beitrag den Eindruck vermittelt – so habe ich es jedenfalls wahrgenommen –, als hätten wir diese schon vor oder während der Sommerpause vorlegen wollen.

Das muss ein Irrtum sein. Wir haben zu Sitzungen eingeladen, die dieses Thema bearbeiten sollen, und diese Einladungen haben wir auch dem Parlament zugeleitet. Möglicherweise meinte sie diese Einladung im Rahmen der Entwicklung der Energieversorgungsstrategie. Dazu habe ich hier bereits wesentliche Eckpunkte benannt, die notwendig sind, damit wir dieses komplexe System auf eine nachhaltig gute Grundlage stellen können.

Ich bin den Rednern dankbar, die auf die Komplexität des Energieversorgungssystems hingewiesen und deutlich gemacht haben, dass wir die Probleme weder mit Symbolakten noch mit Kurzschlusshandlungen oder Sturzgeburten lösen können, sondern das wir sie vernünftig erarbeiten müssen. Dazu dient die von uns bereits eingeleitete Entwicklung einer Energieversorgungsstrategie. Diese wollen wir in den nächsten Monaten mit allen Akteuren gemeinsam weiterentwickeln.

Des Weiteren haben Sie, Frau Düker – schön, dass Sie wieder da sind –, gesagt, Sie würden anerkennen, dass wir Vorschläge vorgetragen hätten,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

vermissten dabei aber die Erneuerbaren.

Die Erneuerbaren sind das Ziel. Ich habe es hier bereits vorgetragen. Das habe ich doch dargelegt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ziele sind doch keine Maßnahmen!)

– Was denn sonst? Ich habe dargelegt – ich darf das noch einmal zitieren –:

      „… und sie mit einem verlässlichen Plan unterlegen, wie wir bis wann aus den konventionellen Energien aussteigen können.“

(Monika Düker [GRÜNE]: Wo ist denn der Plan?)

Wohin sollen wir denn dann? Ganz ohne Energie wird es wohl nicht gehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe sechs Punkte benannt, und in jedem Punkt geht es um die Erneuerbaren, und zwar ein Stück weit auch um die Besonderheit der Erneuerbaren.

Die Erneuerbaren – das habe ich sehr ausführlich dargelegt; Sie haben das aber als negative Zustandsbeschreibung kritisiert, obwohl ich noch einmal darauf hingewiesen habe – sind im Gegensatz zu den Konventionellen nicht so grundlastfähig, sondern sie sind volatil. Wir müssen also das Gesamtsystem jetzt so umbauen, dass es ...

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, dann machen Sie das doch!)

– Liebe Frau Düker, ich will Ihnen mal Folgendes sagen: Sie waren früher auch schon einmal in einer Landesregierung.

(Zuruf von der CDU)

Dann haben Sie sieben Jahre lang mitregiert, und Sie haben wichtige Entscheidungen getroffen, zum Beispiel die Verlängerung der Braunkohle. Zu den anderen Themen haben Sie aber nichts hinterlassen! Das müssen wir uns jetzt erarbeiten; das möchte ich mal festhalten!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)

Sie haben das sicherlich nicht gerne getan – das behaupte ich gar nicht –, aber Sie waren in einer Notlage. Weil Sie noch keine Lösung hatten, haben Sie gesagt: Gut, dann müssen wir die Kohleverstromung als Brücke bereitstellen. Die anderen Antworten sind Sie aber nicht angegangen, sonst hätten wir sie doch vorliegen und könnten direkt daran weiterarbeiten. Wir müssen uns die Antworten jedoch selber erarbeiten, und eine Antwort – das habe ich gesagt – ist der schnellere Ausbau der Stromnetze. Ja, wofür denn? – Für die Erneuerbaren! Das war mein erster Punkt.

Der zweite Punkt: Ich habe vorgetragen, dass wir zur Einhaltung der Versorgungssicherheit und bei einem schnelleren Ausstieg aus der Kohle Übergangstechnologien brauchen. Wir haben vorgeschlagen, dass das Gas sein könnte. Das muss nicht dauerhaft Gas aus Erdgas sein, sondern – das habe ich hier ausgeführt – das kann auch mit synthetischen Gasen aus erneuerbaren Quellen geschehen. Das war meine zweite Forderung, Gas

(Beifall und Zuruf von der FDP)

aus Erneuerbaren zu machen – ich hätte auch sagen können: Power-to-X –, um schrittweise eine Art Speicher zu bekommen.

Die dritte Forderung, die ich für die Landesregierung gestellt habe: Stärkere Anreize für eine Sektorenkopplung. – Warum? Damit wir die Erneuerbaren, wenn sie stark anfallen und gerade nicht zur Stromversorgung genutzt werden können, stärker in die anderen Sektoren hineinbekommen.

Wir müssen uns fragen: Wo stehen wir eigentlich, wenn wir vom Strom einmal absehen, bei dem wir brutto ein Drittel Erneuerbare haben? Wo stehen wir denn bei der Wärme? Hier haben wir bisher gerade mal 12 % Erneuerbare. Wo stehen wir bei der Mobilität? Hier haben wir erst einen Anteil von 6 % an erneuerbarer Energie. So sieht die Lage doch aus!

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Wir wollen jetzt versuchen, das Ganze zu verbessern, indem wir durch Sektorenkopplung den Anteil der Erneuerbaren bei Wärme und Mobilität erhöhen.

Ich komme jetzt zu meiner vierten Forderung. Da habe ich vorgetragen: Förderung dezentraler urbaner Energielösungen

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

aus Fotovoltaik, Geothermie, Kraft-Wärme-Kopplung, Elektromobilität. Für all das haben wir beste Voraussetzungen! Ja, sind das keine Erneuerbaren? Oder haben Sie ein falsches Verständnis von Erneuerbaren?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Fünftens habe ich vorgetragen: Schaffung von angemessenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für gesicherte Leistungen und Förderung einer marktorientierten Flexibilisierung bei Angebot und Nachfrage. Was heißt das denn? – Wenn wir vermehrt die Erneuerbaren haben – wir haben sie volatil –, müssen wir mit der Industrie daran arbeiten, dass eine Umstellung stattfindet.

Denken wir an die Aluminiumindustrie: Bisher funktioniert sie so, dass der Ofen immer gleichbleibend dieselbe Temperatur braucht, weil der Prozess sonst sofort unterbrochen ist. Was macht jetzt unsere Aluminiumindustrie? – Gott sei Dank macht sie es, sonst wäre sie hier nicht überlebensfähig. – Sie baut die Prozesse um, damit sie ihre Aluminiumproduktion über mehrere Stunden hinweg mal höher als normal üblich fahren kann, aber auch mal mit weniger Energie.

Was passiert denn da? Da wird aus einem Aluminiumwerk eine Art Energiespeicher, der mehr Energie aus dem System nehmen kann, wenn viel Erneuerbare vorhanden ist, und der auch auf einen Teil der Energienachfrage verzichten kann, wenn zu wenig Energie im System ist. Diese atmende Industrie brauchen wir, sonst werden wir das mit den Erneuerbaren nicht schaffen.

Sechste Forderung: Reduzierung von Steuern und Abgaben auf Strom und die anteilige Finanzierung der EEG-Umlage. – Wie wollen wir das denn sonst angehen? Wenn wir die Erneuerbaren noch schneller ausbauen wollen, können wir das doch nicht weiterhin nur auf dem Rücken der kleinen Leute machen! Das ist eine regressive Abgabe; das müssen wir uns vor Augen führen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

96 % der Betriebe – Handwerk, Mittelstand – werden belastet.

Das waren die sechs Forderungen. Alle haben mit dem Thema „erneuerbare Energien“ zu tun: wie wir sie schaffen, wie wir besser damit umgehen und wie wir unsere Industrie darauf einstellen. Das ist eine große Herausforderung, die wir aber gerne annehmen wollen.

Wir wollen – das haben wir vor einigen Wochen auf der World Climate Conference in San Francisco deutlich gemacht – mit „IN4climate“ die Industrie beim Umbau hin zu einer klimafreundlichen Produktion mitnehmen. Wir haben eine Energieforschungsoffensive in Arbeit, womit wir die Potenziale, die in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind, nutzen wollen, um bei den sechs Handlungsfeldern zu besseren Ergebnissen zu kommen.

Meine Damen und Herren, wir müssen alles unternehmen, damit die Energiewende in sich schlüssig wird, damit Nordrhein-Westfalen die Energiewende nicht erleiden muss, sondern dabei mitgestalten kann. Wir müssen zusehen, dass wir am Ende nicht als Verlierer, sondern als Gewinner dabei herauskommen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dafür bedarf es Anstrengungen auf vielen Feldern. Wir müssen Komplexität beherrschbar machen, und wir müssen uns davor schützen, dass wir zum Opfer einer rein auf Symbolpolitik handelnden Politik werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Pinkwart. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege van den Berg das Wort.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Professor Pinkwart; Herr Minister! Ich will als erstes Respekt zollen, weil Sie in Ihrem ersten Redebeitrag sehr deutlich gemacht haben, dass Sie die Leitentscheidung der Vorgängerregierung würdigen. Sie haben gesagt, sie sei von Realismus geprägt sowie rational und vernunftgeleitet gewesen.

(Zuruf und Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Ich will jetzt nicht wieder den Ball aufnehmen und hinterfragen, wer sich da vom Acker macht usw. Zur historischen Wahrheit gehört einiges dazu: Ich zitiere jetzt aus der „Aachener Zeitung“ vom 28.03.2014: Diese Entscheidung der rot-grünen Landesregierung geht zulasten der letzten heimischen Energieträger und zulasten von Zehntausenden Arbeitsplätzen in NRW. – Wer hat das gesagt? Der Ministerpräsident.

Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen wir an dieser Stelle einige Dinge richtigstellen, Herr Ministerpräsident. Ich glaube, das tut auch not. Ich komme aus der Region. Diese Region will im Augenblick nur eines: Sie will wieder Frieden haben.

Das, was wir in den letzten Monaten dort erlebt haben – auch an Zerrbildern in der Öffentlichkeit, an falschen Darstellungen, an Simplifizierungen –, wird niemandem gerecht. Es wird den Beschäftigten in den Tagebauen und in den Kraftwerken nicht gerecht. Es wird in keiner Weise den Anwohnern oder Umsiedlern gerecht, die dort in den letzten Jahrzehnten etwas erlitten haben, das aber vielfach auch als Chance in ihrer Biografie begriffen haben. Es wird denjenigen nicht gerecht, die für den Wald werben. Es wird auch den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht gerecht, die nicht Teil einer Partei oder eines Konflikts sein wollten, sondern sich schlicht und ergreifend um den Rechtsstaat kümmern wollten.

(Beifall von der SPD)

Das alles sind die Baustellen, die Wunden, die in dieser Region gerissen worden sind. – Herr Löttgen, man kann hier sagen: Das alles liegt an der Symbolpolitik. In diesem Hohen Hause muss aber die Frage gestattet sein: Wie konnten diese Symbole entstehen?

Natürlich ärgere ich mich auch über vereinfachte Darstellungen unseres ehemaligen Koalitionspartners, der Grünen, die so tun, als ob sie mit der Energiewende nichts zu tun hatten. Deshalb stellen sie heute einen Antrag, eine neue Leitentscheidung zu treffen, weil sie davon ablenken wollen, dass wir bei diesem Thema schon verantwortlich unterwegs waren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Was mich genauso ärgert, ist, dass Sie, Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Innenminister die Polizei in einen Einsatz in diesen Wald geschickt haben, der mit Baurecht und Brandschutz begründet war, obwohl jedes Kind in der Region wusste: Es geht darum, dass nachher gerodet wird und der Bagger kommt.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das hat Vertrauen zerstört, meine Damen und Herren. Das hat ein Bild gezeichnet – das ist in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden –, dass hier getrickst wird.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Der Begriff ist an dieser Stelle leider richtig.

(Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Dann akzeptieren Sie das Urteil auch hinsichtlich …)

– Herr Löttgen, Sie wissen genau, dass ich Urteile eines OVG …

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Natürlich akzeptiere ich dieses Urteil. Aber das, was juristisch vielleicht geht, ist manchmal nicht ausreichend in einer politischen Diskussion, die wir brauchen, Herr Löttgen.

(Beifall von der SPD)

Es fehlt – das hat uns das Gericht doch aufgeschrieben – die energiepolitische Begründung. Diese Landesregierung hat Sondersitzungen über sich ergehen lassen und erklärt, das alles müsse nach Baurecht passieren. Auch bei den Richtern liegen die Zeitungen auf dem Frühstückstisch. Die wissen doch, dass es um mehr geht. Da ist das Zerrbild entstanden. Das ist das, was uns aufregt.

(Beifall von der SPD)

Mich treibt die Frage um: Wie kriegen wir den Frieden wieder hin? Wie wird diese Region versöhnt? Herr Ministerpräsident, zur Wahrheit gehört: Sie haben hier leider einen Beitrag geleistet, der mehr gespaltet als versöhnt hat. Das ist eines der Probleme, die wir haben.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Sie haben sich leider hinter Vorgängerregierungen versteckt, obwohl wir alle wissen: Es geht auch um aktuelle Rahmenbetriebspläne.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Sie haben sich weiter versteckt und gesagt: Nicht meine Regierung ist betroffen, sondern das betrifft nur die Leitentscheidung.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Sie haben sogar so getan, als hätte RWE eine Niederlage eingesteckt. Es war diese Landesregierung. RWE war in dem Prozess nur beigeladen. Das Land Nordrhein-Westfalen ist unterlegen.

(Beifall von der SPD)

Deswegen stellt diese Region Fragen und möchte Antworten darauf. Was kostet der Stopp des Tagebaus Hambach? Wie werden die Arbeitsböschungen wieder zu standsicheren Hängen? Was ist mit drohenden Entlassungen? 4.600 Menschen in dieser Region haben Angst und Sorgen, sie möchten Antworten haben.

Ich habe heute Morgen noch mit dem Betriebsratsvorsitzenden telefoniert. Da mögen Sie grinsen, Herr Ministerpräsident. Er hat Sorgen und Nöte. Da oben sitzt ein langjähriger Betriebsratsvorsitzender des Kraftwerks Niederaußem. Diese Menschen haben Sorgen und Nöte, um die man sich kümmern muss. Darauf erwarten wir Antworten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Was ist mit den Umsiedlern in Morschenich und Manheim? Was ist mit dem Geld der kommunalen Haushalte, das jetzt verbrannt ist, weil der RWE-Aktienkurs im Keller ist? Wie geht es mit den ungeplanten Rekultivierungen weiter? Was ist überhaupt alles machbar, wenn an dieser Stelle möglicherweise gar kein ein See entstehen kann? Wer zahlt den ganzen Kram? Das sind die Punkte, zu denen wir Antworten verlangen. Das alles ist nicht Gegenstand der Regierungserklärung gewesen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Deswegen sage ich: Wir erwarten mehr von dieser Regierung.

Herr Pinkwart, ich nehme es positiv auf, dass Sie einige Punkte von uns aufgegriffen haben, aber wir haben noch viel mehr. Ich denke, wir werden das auch morgen in die Debatte einbringen.

Jetzt muss in dieser Region angepackt werden. Man darf sich nicht verstecken und warten, bis irgendetwas durch die Kohlekommission passiert, sondern man muss die Dinge selbst gestalten. Das ist die Tradition von Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ein kurzer Hinweis: Aufgrund der Redezeitüberziehung der Landesregierung bei der Unterrichtung bekommen alle Fraktionen drei Minuten Redezeit hinzu. Wir konnten das nur nicht in die Technik einspielen, sodass Ihnen das Ende Ihrer Redezeit angezeigt wurde. Ich mache es so wie immer, ich huste dann.

Guido van den Berg (SPD): Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar; denn ich war jetzt irritiert. Die drei Minuten will ich gerne noch nutzen, weil mir das Thema am Herzen liegt.

Herr Minister Pinkwart, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten Übereinstimmung beim Thema der Fördermöglichkeiten. Für das Rheinische Revier muss etwas getan werden. Wir stimmen auch in der Frage überein, ob wir nicht thermische Speicherkraftwerke – auf Salztechnik oder anderer – nutzen können, um Kraftwerksblöcke zu übernehmen. Beim Thema „Batteriefabrik“ sind wir ebenfalls einer Meinung. Aber es muss mehr passieren.

Was ist mit Infrastruktur? Was ist mit Bildung? Wir brauchen einen Sonderverkehrswegeplan für das Rheinische Revier.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen eine Initiative, wie Fachhochschulen, Hochschulen ins Rheinische Revier kommen.

Wir brauchen eine Initiative, die darauf aufbaut, das Know-how der Arbeitnehmer in der Elektrotechnik weiter auszubauen. Wir haben ein virtuelles Kraftwerk im Revier, das weiterentwickelt werden kann und Leittechnik für die erneuerbaren Netze der Zukunft transportieren kann.

Und wir wollen Pilotregion für Kohlenstoffkreislaufwirtschaft werden, Herr Minister Pinkwart. Wir haben in einer Enquetekommission zusammengearbeitet. Herr Rasche hat viele Initiativen auf den Weg gebracht. Ich glaube, es ist lohnenswert, was wir da machen.

Ich sage ganz deutlich: Wir müssen auch Orte des Fortschritts sichtbar werden lassen. Was ist beispielsweise mit dem Brainergy-Park in Jülich? Davon habe ich nichts gehört. Was ist mit der :terra-nova-Klimahülle in Bergheim, den Faktor-X-Siedlungen in Inden, den smarten Stadtteilen in Grevenbroich oder Bedburg?

Hier brauchen wir eine Landesregierung, die den Kommunen unter die Arme greift und uns hilft, Herr Ministerpräsident. Da erwarten wir Hilfe.

(Beifall von der SPD – Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir brauchen vor allen Dingen mehr Flächen. Das haben Sie gesagt, aber wohlfeile Worte reichen an der Stelle nicht. Wir brauchen mehr, und zwar beschleunigt.

Sie schlagen Änderungen für den Regionalplan vor.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Herr Pinkwart, der steht im Regierungsbezirk Köln roundabout erst für 2025 an. Dann haben wir noch kein Bauleitplanverfahren und kein B‑Planverfahren. Das kommt zu spät.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD] – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU]: Keine Ahnung! Unglaublich!)

Wir müssen da schneller werden und vor die Lage kommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Einen allerletzten Punkt will ich noch nennen; der ist mir wichtig. Zu dem, was im Augenblick stattfindet, was auch Herr Pofalla eingebracht hat – ein Deal mit RWE zum Kohleausstieg, zur Vergütung entgangener Förderung etc. –, sage ich für die Sozialdemokratie sehr deutlich: Was wir im Rheinischen Revier nicht brauchen, ist ein Deal mit den Konzernen. Was wir brauchen, ist ein Deal mit der Region und mit den Menschen vor Ort. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Brems das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der beste Zeitpunkt, um mit dem Klimaschutz anzufangen, war vor 25 Jahren. Der zweitbeste ist heute.

Nach der Debatte hier habe ich aber das Gefühl: Kein Redner hat irgendetwas dazu gesagt – außer meiner Kollegin Monika Düker –,

(Lachen von der CDU und der FDP)

vor welchen Herausforderungen wir aktuell beim Klimaschutz stehen, dass wir mehr machen müssen, dass wir beispielsweise dramatische Erkenntnisse seitens des Weltklimarats haben. Dazu hat hier kein anderer Redner gesprochen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte das noch einmal deutlich machen. Sie scheinen offensichtlich völlig unbeeindruckt von solchen Erkenntnissen zu sein, wie wir sie am Montag gehört haben. Der Weltklimarat hat gesagt: Ab einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau wird es unumkehrbare Veränderungen geben.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dieser Zeitpunkt kann höchstwahrscheinlich schon 2030, in zwölf Jahren, erreicht werden, wenn wir nicht endlich etwas tun. Niemand von Ihnen sagt etwas dazu, welche dramatischen Auswirkungen das hat. Niemand von Ihnen ist bereit, das anzuerkennen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen habe ich von Ihnen ein Schulterzucken gesehen. Sie legen die Hände in den Schoß

(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)

oder zeigen sogar auf andere – auf andere Nationen, auf die Bundesregierung – und sagen: „Die müssen etwas machen“ oder: Die machen ja sogar noch weniger. – So funktioniert das mit dem Klimaschutz aber nicht.

Wir müssen auch in diesem Bundesland unserer Verantwortung gerecht werden.

(Zuruf von der FDP: Tun wir doch!)

Das Klimaschutzgesetz wäre beispielsweise ein Punkt. Es ist klar: Auch das reicht nicht mehr. Sie können sich nicht mehr darauf ausruhen, dass alte Ziele erreicht werden. Wir müssen leider neue setzen, und wir müssen ambitionierter werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Herr Pinkwart, das ist nicht nur interessant, das sage ich, ehrlich gesagt, schon seit Monaten. Wenn Sie mir nur einmal zugehört hätten, würden Sie das jetzt nicht als Neuigkeit ansehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)

Ich möchte jetzt darauf zu sprechen kommen, was das bedeutet. Der Kohleausstieg ist kein Selbstzweck, sondern ein Teil dessen, was wir dafür brauchen. Wir brauchen natürlich auch in anderen Sektoren noch etwas, aber der Kohleausstieg ist ein essenzieller Punkt.

Selbst wenn wir in Deutschland erst 2040 aussteigen würden – das wäre ja eher der Wunschtermin von RWE als unserer –,

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

bräuchten nur noch 30 % der Kohle von Hambach und Garzweiler überhaupt aus dem Boden geholt zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu müssen Sie etwas sagen. Die Leitentscheidungen müssen jetzt vorbereitet werden. Sie können nicht so lange warten, bis die Kohlekommission getagt hat oder bis – das haben Sie auch erklärt – alle Gerichtsentscheidungen geklärt sind.

(Zurufe von der CDU)

Es ist klar, dass Sie etwas verändern müssen, und es ist klar, dass Sie jetzt anfangen müssen, dafür die Vorbereitungen zu treffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Pinkwart und Kollegen von CDU und FDP, die Forderungen, Ziele und Ankündigungen, die wir hier gehört haben, ersetzen kein konkretes Handeln. Sie regieren seit mehr als einem Jahr. Ihr Handeln widerspricht dem, was Sie hier als Ziele dargestellt haben.

Nehmen wir die erneuerbaren Energien. Sie haben gesagt: Die erneuerbaren Energien sind das Ziel.

(Zuruf von der FDP)

Was machen Sie aber gleichzeitig? Sie bremsen die Windenergie aus, wo Sie nur können. Das passt einfach nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Sie sagen jetzt: Da stimmt doch gar nicht. – Ich bin vor Ort. Ich spreche mit den Leuten, mit Bürgerinnen und Bürgern,

(Zurufe von der CDU und der FDP: Wir auch! – Weitere Zurufe)

die in eine Windenergieanlage investieren wollen. Die sagen ganz klar: Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen. Wir bekommen kein Geld mehr. Wir wissen einfach nicht mehr weiter.

Hier verspielen Sie Planungssicherheit. Das fordern Sie sonst immer, hier machen Sie es nicht. Das ist einfach unredlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen lächeln Sie die Probleme einfach nur weg. So funktioniert das aber nicht. Sie wollen die Windenergie plattmachen.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Stimmt doch gar nicht! Das ist doch Unsinn! – Gegenruf von Horst Becker [GRÜNE]: Schauen Sie doch mal in den Koalitionsvertrag!)

– Doch, natürlich. Sie machen das einfach immer weiter.

(Widerspruch von der CDU, von der FDP und von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Herr Ministerpräsident, Sie sagen: „Die steigen und steigen und steigen“, Sie tun aber nichts.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet – Gegenruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Wir wissen, dass wir in ein bis zwei Jahren wieder Windenergieanlagen verlieren, weil sie dann aus dem EEG herausfallen und höchstwahrscheinlich abgebaut werden. Wir müssen noch einiges obendrauf legen, um auch nur die Ziele der Bundesregierung zu erreichen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Was Sie hier angefangen haben, reicht noch lange nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich möchte noch kurz darauf zu sprechen kommen, dass Sie ja auch gesagt haben: Wir brauchen verlässliche Perspektiven für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. – Das, was Sie alle bis vor Kurzem gemacht haben, war eben fatal. Nicht über einen Kohleausstieg zu reden, hat dafür gesorgt, dass wertvolle Zeit verstrichen ist, die man hätte nutzen können, um ebendiese Perspektiven sicher und langfristig darzustellen. Jetzt muss man das leider in viel kürzerer Zeit machen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Zum Schluss möchte ich noch sagen: Nicht wir spielen hier Wirtschaft gegen Klima oder Umwelt aus, sondern Sie alle machen das. Die Zukunft von uns allen, auch die unserer Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze, hängt ganz klar davon ab,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

ob wir die Herausforderung dieser Generation, nämlich den Klimawandel nicht nur mit blumigen Worten zu beschreiben, annehmen und auch wirklich danach handeln. Dafür brauchen wir unter anderem einen Kohleausstieg. Dafür brauchen wir aber auch einen ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Wir dürfen nicht erst auf andere Zeiten warten, die noch langsamer sind; jetzt ist die Zeit dafür. Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Brems. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Vorsitzende Bodo Löttgen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Bodo Löttgen (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Bemerkungen zu der Rede von Herrn Kollegen van den Berg machen. Sehr geehrter Kollege van den Berg, Sie erwecken den Eindruck, als sei die Räumung der Baumhäuser unrechtmäßig erfolgt, zumindest …

(Stefan Kämmerling [SPD]: Nein, mit keinem Wort! – Michael Hübner [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

– Vielleicht hören Sie zu. Sie erwecken den Eindruck – ich habe nicht gesagt, dass er das gesagt hat –, als sei sie zumindest

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist respektlos!)

oder wenigstens aus unlauteren Gründen erfolgt.

(Nadja Lüders [SPD]: Das ist unwürdig, was Sie hier tun!)

Das darf ich hier noch einmal richtigstellen. Es ist heftige Gerichtsschelte, was Sie gerade betreiben.

(Zurufe von der SPD)

Denn bevor geräumt wurde, haben das Verwaltungsgericht Aachen, das Verwaltungsgericht Köln, das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt, dass die vorgenommenen Räumungen

(Nadja Lüders [SPD]: Sie haben gerade selber gesagt, dass er das nicht gesagt hat!)

rechtmäßig und aus Gefahrengründen notwendig waren, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Kein Mensch hat das gesagt!)

Jetzt können Sie doch nicht einfach sagen: Das Urteil passt mir, und jenes Urteil passt mir nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist unlauter! Das hat keiner gesagt!)

– Sie möchten also, dass das eine Urteil befolgt, das andere aber nicht befolgt wird, Herr Schmeltzer.

(Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine sehr engagierte Debatte.

(Marlies Stotz [SPD]: Ja genau! Aber man muss trotzdem bei der Wahrheit bleiben!)

Es wäre einfach wunderbar, wenn man dem Redner und gegebenenfalls auch den Zwischenrufern tatsächlich zuhören könnte.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann soll der Redner aber auch …)

Bodo Löttgen (CDU): Ich habe überhaupt nichts dagegen, mich mit Herrn Schmeltzer auf diese Art und Weise zu „unterhalten“. Aber dann kann man ja die Gelegenheit nutzen – das ist ein Satz, den man an diesem Redepult sagt – und erklären, dass man da missverstanden wurde.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist ja lächerlich!)

Ein Zweites zu Herrn van den Berg …

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nur Sie!)

– Herr Schmeltzer, wie wollen Sie eigentlich dem Einfamilienhausbesitzer,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Löttgen, gucken Sie doch erst mal, zu wem die entsprechenden Zwischenrufe gehören!)

der ein kleines Gartenhäuschen schwarz gebaut hat, erklären, dass er die Abrissverfügung bekommt, während Sie sechs Jahre lang einen unrechtmäßigen Zustand im Hambacher Forst tolerieren?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein Zweites, Herr Kollege van den Berg,

(Marc Herter [SPD]: Das ist der direkte Weg nach Wackersdorf, den Sie beschreiben)

zu Ihrer ansonsten wirklich guten Rede, von der ich viele Dinge teile: Sie haben viele Herausforderungen benannt, weinen aber bei einem Punkt Krokodilstränen. Wenn Sie beklagen, dass Entwicklungen im Bereich des Rheinischen Reviers nicht zugelassen worden sind, dann werfen Sie einmal einen Blick auf die Flächenpolitik der rot-grünen Landesregierung der vergangenen sieben Jahre.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Sie haben keine Entwicklungschancen zugelassen. Sie haben eine Verhinderungspolitik betrieben

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was?)

und keine Politik der Ermöglichung von Industriestandorten und ‑ansiedlung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu Frau Brems muss ich sagen – das hat mich jetzt am allermeisten gewundert –:

(Marc Herter [SPD]: Eine gute Rede! – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Sie haben darauf gedrängt, man möge doch bitte die Entscheidungen der Strukturkommission in Berlin abwarten. Jetzt sind Sie schon einen Schritt weiter. Jetzt brauchen wir diese Entscheidungen gar nicht mehr abzuwarten und sollen sofort hier eine Leitentscheidung treffen.

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

Das ist unglaubwürdig, Frau Brems. Es ist unglaubwürdig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu dem Punkt „Windenergie“, den Sie angesprochen haben, will ich noch eines sagen, weil Sie ja permanent davon reden, hier würde irgendetwas nicht möglich gemacht: Das Gegenteil ist der Fall. Aber Achtung! Eben habe ich gesagt – Sie konnten wahrscheinlich nicht zuhören, das kann ich verstehen –, dass Maßnahmen, die mit größtmöglicher Effizienz und mit geringstmöglichen Grenzkosten – Achtung! – den bestmöglichen Beitrag zum Klimaschutz gewährleisten, auf die Akzeptanz der Betroffenen stoßen müssen. Wenn wir das durchsetzen wollen, brauchen Sie Akzeptanz.

(Zuruf von der CDU)

Und auf diese Akzeptanz haben Sie niemals Rücksicht genommen.

(Zuruf von Wibke Brems [GRÜNE])

Deshalb kann ich Ihnen sagen, dass die Menschen, die mir schreiben: „Bitte baut keine Windkraftwerke im Wald, bitte holzt keine Bäume mehr ab“, bei uns auch Gehör finden. Bei Ihnen sind sie vor die Wand gelaufen. Das ist Fakt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Daniel Sieveke [CDU] und von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich habe einen letzten Punkt, der mich wirklich nachdenklich stimmt. Frau Kollegin Düker, Sie haben Ihre Rede geschlossen mit dem Satz: Sie haben uns an Ihrer Seite. –Ich will ganz ehrlich sagen, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich jemanden an der Seite haben möchte, der sich nicht klar zu unserer Polizei bekennt und stattdessen davon spricht: Es ist Ihre Polizei, Herr Innenminister.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Ach du Scheiße!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Blex das Wort. Bitte schön.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Schauen Sie sich mal die Umfragen an. Ergehen Sie sich doch hier nicht so heftig in Showkämpfen. Sie werden irgendwann die sozialistisch-ökologistische Einheitsfront zum Weiterregieren gegen uns bilden. So gesehen: Verscherzen Sie es sich doch nicht komplett mit den anderen.

(Vereinzelt Lachen von der SPD)

– Lachen Sie ruhig. Wir schauen mal.

(Zuruf von der CDU: Das ist ein Brüller!)

Meine Damen und Herren, unsere Vorfahren sind vor Millionen von Jahren von den Bäumen gestiegen. Sie sind durch die Steppe gewandert. Das Gehirn ist gewachsen – bei den meisten zumindest. Vor über 200.000 Jahren entstand der Homo sapiens sapiens.

(Unruhe)

In Zeiten wie heute kehren manche wieder auf die Bäume zurück und schmeißen mit Exkrementen.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Liebe Grüninnen, die Evolution kann manchmal auch regressiv sein.

(Beifall von der AfD)

Die Begründung mag mitunter im Bildungssystem liegen, das Sie alle zu verantworten haben.

Das sieht man auch bei Herrn Herter von der SPD, der tatsächlich sagt, die Energiewende sei ein soziales Projekt.

(Marc Herter [SPD]: Soll es werden!)

Wenn man sich Ihre Studienabschlüsse ansieht, mag es sein, dass Sie meinen, alles sei ein soziales Projekt. Aber das ist es nicht. Es ist ein physikalisch-technisches Projekt.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Genau aus diesen Gründen wird es scheitern. Genau aus diesen Gründen – das merkt man jetzt auch an den Laschet-Parteien – rücken die Frontbegradigungen im Kampf um die Energiewende immer näher an Düsseldorf und Berlin heran.

Man muss Herrn Pinkwart ein bisschen loben. Sie haben ja schon öfter meine Reden gehört, und Sie lernen ja dazu. Ein paar Fehler gibt es noch.

(Heiterkeit von der CDU und der SPD)

Herr Pinkwart, Sie sind kein Physiker. Das ist ja nicht schlimm, Sie lernen dazu. „Atomkraft“ ist der Kampfbegriff der Grünen. Der richtige Ausdruck ist Kernkraft, Herr Pinkwart. Das ist symptomatisch.

(Zurufe und Heiterkeit)

– Lachen Sie nicht über physikalisch wichtige Sachverhalte.

Ganz wichtig ist: Verwechseln Sie bitte nicht Watt und Wattstunden. Wattstunde ist eine Energieform. Watt ist eine Leistung, die regelmäßig erbracht werden muss.

Nichtsdestotrotz hat Herr Pinkwart durchaus erkannt, dass der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint, insbesondere nachts nicht. Leider Gottes ist Herr Pinkwart immer noch Gläubiger der „Church of Global Warming“. Viele von Ihnen sind das auch.

Da Herr Löttgen eben gesagt hat … Oh, er ist rausgegangen. Ich wollte ihm gerade etwas erklären, weil er eben gesagt hat, dass er das nicht so gut versteht. Jetzt ist er gegangen. Ich hatte deshalb eine Grafik für ihn mitgebracht. Das ist einfacher als ohne; mit Zahlen haben es ja nicht alle so.

(Dr. Christian Blex [AfD] zeigt eine Grafik.)

Schauen Sie mal: Hier ist der CO2-Ausstoß im internationalen Vergleich. Das hier ist China, das hier sind die USA, das hier ist Russland, das hier ist Indien, das hier ist Deutschland, und dieses Fitzelchen hier hinten ist NRW. Jetzt gehen wir das mal kurz durch: Paris, Klimarettung. Was wollte Frau Brems? Die Welt retten und alles Mögliche.

Gehen wir das mal weiter durch: Das erste Land, China, braucht kein CO2 einzusparen. Das zweite Land, USA, will gar nichts einsparen. Das dritte Land, Indien, braucht es nicht. Das vierte Land, Russland, will nicht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Sie können die Grafik jetzt bitte runternehmen.

Dr. Christian Blex (AfD): Ich glaube, ich darf hier auch keine Zitate bringen, weil so etwas die Öffentlichkeit informiert. – Okay.

Das hier ist Deutschland. Deutschland möchte das Klima retten. Sie sehen die Absurdität Ihrer Politik.

Jetzt zeige ich Ihnen noch etwas.

(Dr. Christian Blex [AfD] zeigt eine weitere Grafik.)

Das hier war Deutschlands CO2-Ausstoß 1990. Dann kam die Deindustrialisierung in Mitteldeutschland, und das ist heute unser CO2-Ausstoß.

(Zurufe)

Das hier war China 1990, und das hier ist China heutzutage.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Meine Damen und Herren, Sie machen sich wirklich lächerlich. Es ist wirklich lächerlich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Dr. Blex, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie einen Augenblick unterbreche.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Dr. Christian Blex (AfD): Ja, wenn Sie die Redezeit anhalten.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ja, die Redezeit wird dafür angehalten. Auch für Sie gilt, dass Sie aus der Redezeitüberziehung der Landesregierung drei Minuten über die angezeigte Zeit hinaus haben.

Ich möchte nur einen Hinweis geben, weil wir das hier im Parlament in unserer Tradition und Ordnung bisher so hatten: Sie können hier alles sagen, was Sie sagen möchten.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Oh!)

Das Präsentieren von Grafiken hier am Redepult entspricht nicht der parlamentarischen Gepflogenheit. Deswegen bitte ich Sie, davon nur in zwingend notwendiger und zurückhaltender Weise Gebrauch zu machen. Sie haben Ihre Grafiken gerade selbst erläutert, sodass also eine Erklärung über die Sprache und die freie Rede möglich ist. – So viel als Hinweis.

Entschuldigen Sie, dass ich Sie damit unterbrochen habe. Sie haben jetzt selbstverständlich wieder das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Vielen Dank. – Ich wollte das eigentlich gar nicht, aber Herr Löttgen hat ja vorhin gesagt, dass er das nicht so gut versteht. Deshalb sah ich mich gezwungen, das hier so zu zeigen. Ich wollte ja auch, dass er etwas lernt.

Ich mache doch noch etwas.

(Dr. Christian Blex [AfD] zeigt erneut eine Grafik. – Heiterkeit von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das sind die Strompreise in Europa. Das hier ist Deutschland.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege.

Dr. Christian Blex (AfD): Das sind die Strompreise in Deutschland. Das ist Deutschland. Das hier sind die anderen Länder.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, ich möchte Sie jetzt noch einmal bitten, das Zeigen von Grafiken zu unterlassen. Im Übrigen: Von hier hinten kann ich an den Balken in keiner Weise erkennen, ob es sich um China oder Deutschland handelt. Insofern habe ich die Bitte, dass Sie das auch dem Präsidium einmal zeigen.

Dr. Christian Blex (AfD): Das mache ich gerne. Bitte schön.

(Dr. Christian Blex [AfD] wendet sich mit der Grafik zum Präsidium. – Zuruf von der CDU: Das ist hier ja Kindergarten!)

Hier sehen Sie die Strompreise in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Die größte Linie ist Deutschland. Der Rest sind die anderen europäischen Länder.

Noch ganz schnell die letzte Grafik,

(Dr. Christian Blex [AfD] zeigt eine weitere Grafik.)

weil immer behauptet wird, Deutschland wäre ein reiches Land. Das war es auch mal.

(Lachen von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

– Sie lachen. Das ist eigentlich ein bitterernstes Thema. Ein bitterernstes Thema! Sie werden nämlich einst sehen …

(Unruhe)

– Ich bitte doch das Präsidium, hier für Ruhe zu sorgen.

(Lachen von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Abgeordneter, das habe ich mehrfach versucht. – Es klappt doch.

Dr. Christian Blex (AfD): Sie haben eben gesehen, wir haben die teuersten Strompreise Europas. Jetzt könnte man ja meinen, wir wären das reichste Land. Das behaupten Ihre Parteien ja noch. Aber Frau Merkel und die Rot-Grünen zuvor haben das Land in Grund und Boden gewirtschaftet.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Das können Sie am Medianeinkommen sehen. Wir fallen hinter Länder wie Griechenland, Italien und Ungarn, die alle viel billiger sind, zurück. Alle!

Sie haben das hier in Grund und Boden geritten. Sie sehen die Zahlen.

(Lachen von Bodo Löttgen [CDU])

– Sie lachen. Sie sehen die Zahlen zu den Strompreisen in Deutschland. Jetzt stellt sich die Frage: Warum ist das eigentlich so? Der Grund ist ziemlich einfach: Es gab mal ein Land, das noch verrückter war und versucht hat, das Land mit Windkraftanlagen zuzubauen. Das war ein kleines Land im Norden, Dänemark.

Nun ist Dänemark deutlich wohlhabender als Deutschland. Es hat allerdings eines gemacht: Es hat eine Kehrtwende eingeleitet. Die Dänen haben nicht nur ihre Grenzen wieder gesichert und wollen auch keine Schweine von uns mehr in ihr Land lassen. Sie tun auch ganz andere Dinge. Es ist nicht nur so, dass Menschen sich integrieren müssen, wenn sie nach Dänemark kommen, sondern die Dänen haben auch ein Moratorium gegen den Windkraftausbau erlassen. Seitdem bleibt der Strompreis in Dänemark gleich.

In Deutschland steigt er munter weiter. Jetzt können Sie sich natürlich einmal klarmachen, woher das kommt.

(Zuruf von der CDU: Gibt es dazu eine Grafik? – Heiterkeit von der CDU)

– Es ist bezeichnend, dass gerade die CDU sich so verhält. Was Sie gemacht haben, ist eigentlich ein Verrat an Ihren Wählern. Die laufen jetzt zu uns über. Insofern ist alles okay, wenn Sie da so weitermachen wollen.

Es ist jedoch ein superernstes Thema. Denn Sie schröpfen die Bevölkerung jedes Jahr mit 30,5 Milliarden Euro Zwangssubventionierung inklusive Mehrwertsteuer auf den Strompreis.

Manche Grüninnen mögen sagen: Das ist ja gar nicht so viel, wenn man nur den Stromverbrauch des einzelnen Haushalts betrachtet. – Das ist natürlich grober Unsinn. Denn alles, was im Land produziert und von der heimischen Bevölkerung konsumiert wird, muss bezahlt werden. Der Bäcker, der seine Brötchen mit teurem Strom backt, ist ja nicht die EZB und druckt sich einfach das Geld, sondern er erhöht die Brötchenpreise.

Was dank Ihrer Politik hier passiert, kann ich Ihnen sagen. Sie müssen nämlich davon ausgehen, dass diese 30,5 Milliarden Euro von der Bevölkerung zu tragen sind. Legen wir der Einfachheit halber einmal eine Bevölkerung von 80 Millionen Menschen zugrunde. In Wahrheit wird es natürlich von viel weniger Menschen bezahlt. Zwar haben wir seit dem Jahr 2015 viel mehr Menschen im Land und wissen gar nicht genau, wie viele. Das spielt aber gar keine Rolle. Denn alle Menschen, die ab 2015 hierhin gekommen sind, zahlen eh ihre Stromkosten nicht. So gesehen, können wir also von 80 Millionen ausgehen. Dann sind es pro Kopf der Bevölkerung 382 Euro pro Jahr bzw. 32 Euro pro Monat.

Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie eine grüne besserverdienende Beamtenfrau oder ein einfacher Arbeiter sind. Denn die grüne Beamtenfrau mag zwar mit ihrem SUV zum Biomarkt fahren, hat aber in der Regel genauso wie der kleine Arbeiter auch einen Kühlschrank und einen Fernseher zu Hause. Deshalb ist das eine ganz asoziale Geschichte, die hier von Ihnen auf Kosten der kleinen Arbeiter und Angestellten betrieben wird.

(Beifall von der AfD)

Was wir dafür bekommen – das hat Herr Pinkwart dann doch schon ein bisschen verstanden –, ist nichts anderes als volatiler Flatterstrom.

Abschließend noch eine Bemerkung, Herr Pinkwart: Wenn eine Aluminiumhütte heute dank Ihrer Politik gezwungen ist, ihre Produktion der schwankenden Stromproduktion anzupassen, ist das physikalisch gesehen kein Speicher, sondern eine Anpassung an Standards der Dritten Welt. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Blex. – Für die Landesregierung hat jetzt noch einmal Herr Minister Professor Dr. Pinkwart um das Wort gebeten, das er selbstverständlich auch bekommt. Bitte schön, Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der zweiten Runde auf das eingehen, was Sie, Herr van den Berg, und auch Sie, Frau Brems, mit Blick darauf, wann wir was machen werden, angesprochen haben. Herr Löttgen hat es schon mit Blick auf eine gewollte Anpassung der Leitentscheidung gesagt. Wir müssen jetzt nach einer solchen Debatte fragen: Wie gehen wir vernunftgeleitet weiter vor?

Der Fahrplan kann doch nur sein – das ist gefordert worden, und das ist auch der Anspruch der Kommission –, dass wir die Kommission arbeiten lassen. Dabei kommt die Kommission hoffentlich zu einem Ergebnis, das auch für alle Teile, die wir hier diskutiert haben, verantwortbar ist: für die Bürger, die Arbeitnehmer, die Wirtschaft und auch unsere Umwelt. Das ist jetzt die Aufgabe.

Wir erwarten von dort ein Ergebnis. Mit diesem Ergebnis müssen Bund und Länder dann umgehen. Anschließend werden wir dazu Vorschläge erarbeiten, deren Umsetzung wir auf den verschiedenen Ebenen diskutieren werden.

Entscheidend ist nur – auf diese Erwartung, die ich an die Kommission habe, möchte ich noch einmal aufmerksam machen –, dass die Kommission nicht nur sagt, welches Ziel sie erreichen will, sondern auch darstellt, wie sie den Weg, damit das gelingt, gestalten möchte und welche Voraussetzungen wir bis wann, und zwar ganz konkret festgemacht, erreichen müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das muss in einer Empfehlung stehen. Sonst funktioniert es nicht.

Herr van den Berg, damit bin ich auch bei Ihrem Punkt, den Sie angesprochen haben. Ja, natürlich sind es die Beschäftigten, und zwar nicht nur die Beschäftigten im engeren Sinne.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Dann müssen Sie einen Vorschlag machen!)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe sehr bedauert, und zwar nicht nur als Mitglied der Regierung, sondern genauso als Bürger dieses Landes, dass in dieser Debatte der letzten Wochen – auch in ihrer medialen Begleitung, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen – sehr stark nur auf einen Konzern und die dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgestellt wurde. Es wurde eine Art Feindbild geschaffen – als wären die jetzt in einer Situation, in der sie anderen und unserer Umwelt Unmäßiges zumuten würden.

Sie handeln jedoch auf der Grundlage rechtmäßiger Entscheidungen. Außerdem leisten sie jeden Tag einen Beitrag zur Energieversorgung. Das ist in der Rede deutlich geworden. Herr Löttgen hat vorgetragen, wie der Braunkohlestromanteil über den Tag verteilt aussieht. Sie leisten einen Dienst, der notwendig ist.

Dass wir das so verengen und sogar stigmatisieren, halte ich den Menschen gegenüber für nicht verantwortlich. Ich halte es aber auch unserem Land gegenüber für nicht verantwortlich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es sind doch nicht nur die Menschen in den Unternehmen selbst, sondern auch die Menschen in den vielen anderen Bereichen, die davon abhängen. Es sind die vielen Handwerksbetriebe und die Zulieferer, die wir haben. Es sind die energieintensiven Unternehmen. Ich habe das dargelegt. Es geht um Hunderttausende von Beschäftigten.

Wir müssen doch verantwortlich die Zukunft gestalten. Das ist das, was wir jetzt erwarten. Das muss gelingen. Dafür brauchen wir ein Konzept, das in sich stimmig ist.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ja!)

Dann werden wir das beraten. Ich hoffe aber auch, dass wir für die dafür notwendigen Maßnahmen die notwendige Unterstützung bekommen. Denn darin ist auch eine Menge an Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger enthalten. In diesem Zusammenhang bitte ich auch diejenigen, die am lautesten rufen, mit dazu beizutragen, dass wir das möglichst schnell machen können. Meine Bitte ist, dass diejenigen dann auch sagen, dass das alles notwendig ist und dass Konverter, Übertragungsnetze und vieles mehr gebaut werden müssen. Diejenigen sollen sich dann bitte auch klar dazu bekennen.

Dass offensichtlich ein Unterschied in der Vollmundigkeit besteht, liebe Frau Brems, mit der man sich für den Klimaschutz einsetzen kann, möchte ich hier an einem Punkt herausarbeiten, nämlich der starken Differenz zwischen Ihrer sehr wahrscheinlich stärker von Verantwortung getragenen Regierungsarbeit und Ihren Einlassungen, die Sie heute formuliert haben.

Sie sagen, hier hätte nur Ihre Fraktionskollegin etwas zum Klimaschutz gesagt.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Zum Weltklimarat!)

Ich habe in meiner Erklärung für die Landesregierung den Klimaschutz an den Anfang meiner Ausführungen gestellt.

Jetzt komme ich zu Ihrem Klimaschutzgesetz, das Sie im Jahr 2013 mit Zielen für 2020 und 2050 beschlossen haben.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ja!)

Darin haben Sie im Jahr 2013 für 2020 ein Ziel von minus 25 % gesetzt. Ihre Vorgängerregierung von CDU und FDP mit der geschätzten damaligen Kollegin Christa Thoben hatte im Jahr 2008 einen Energie- und Klimaplan mit einem CO2-Minderungsziel für 2020 von minus 33 % vorgelegt.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Ohne Maßnahmen!)

– Nein, nein, mit vielen Maßnahmen.

Sie haben das anders entschieden. Man könnte jetzt sagen: Oh Gott, wie ambitionslos. – War es aber gar nicht. Es war nicht ambitionslos, sondern Sie haben etwas zur Kenntnis genommen, was zwischenzeitlich stattgefunden hat, nämlich dass Deutschland schneller aus der Kernenergie aussteigen will, als es seinerzeit beabsichtigt war.

Sie als Partei müssen sich endlich dazu bekennen, was Sie wollen. Zuerst gehen Sie gegen Kernenergie vor, obwohl diese CO2-arme Energie sicherstellt;

(Zuruf Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

kaum ist das dann erreicht, fordern Sie, dass jetzt auch noch die Energie verschwinden müsse, die den Ausgleich für den Wegfall der Kernenergie schaffen muss. Das beides geht nicht zusammen.

Als Sie die Regierung mitgestellt haben, haben Sie das erkannt und sich deswegen weniger ehrgeizige Ziele gesetzt – zu Recht, weil alles andere nicht funktionieren würde. Dann sagen Sie das aber doch ehrlicherweise bitte auch in solchen Debatten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Um noch ein bisschen Klarheit zu schaffen: Es ist auch nicht so, dass die Regierungen, die bisher gehandelt haben, oder wir einen Fahrplan verfolgt hätten bzw. verfolgen, der keine Veränderungen vorsah bzw. vorsieht. Eingangs habe ich schon erwähnt, dass noch einmal zusätzliche Kraftwerksblöcke aus dem System herausgenommen worden sind.

Es gibt einen– auch durch Ihre Leitentscheidung vorgegebenen – Plan, der vorsieht, dass hier in Nordrhein-Westfalen schon bis 2030 im Vergleich zu heute 50 % weniger CO2 durch Kohle emittiert wird. Es ist ein ganz klar degressiv verlaufender Ausstieg geplant. Die Kohle wird ja nicht bis 2045 oder 2050 weiter in vollem Umfang benötigt werden. Sie ist redundant. Erst kommen die Erneuerbaren; die Kohle steht hilfsweise zur Verfügung und wird im Laufe der Zeit weniger gebraucht werden. Sie wird aber noch gebraucht, und das muss man fairerweise doch auch sagen.

Frau Brems, Sie scheinen eine sehr verengte Vorstellung von erneuerbarer Energie zu haben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn über erneuerbare Energie gesprochen wird, dann reden Sie nur über Windkraft. Sie reden nicht über andere Formen; Sie haben andere Formen behindert. Sie haben die Geothermie hier in Nordrhein-Westfalen behindert

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Was?)

und nicht, wie Hessen, Freiräume für Fotovoltaik – die hier gesetzlich mehr eingeschränkt ist als in anderen Bundesländern – geschaffen.

(Michael Hübner [SPD]: Sie haben unseren Antrag auch abgelehnt!)

Wir schaffen endlich ein Level Playing Field für alle Erneuerbaren,

(Beifall von der CDU und der FDP)

damit wir möglichst viele Technologien mit einbringen können.

Zur Bilanz: Im Jahr 2017 sind in Nordrhein-Westfalen 870 Megawatt Windkraft dazu gebaut worden. 307 Anlagen! Etwas weniger als Niedersachsen und weit mehr als Schleswig-Holstein –

(Zuruf Arndt Klocke [GRÜNE])

obwohl der Wind hier nicht ganz so stark wie an der Küste weht, wenn ich das richtig gelernt habe – hat Nordrhein-Westfalen Windkraft ausgebaut. Nordrhein-Westfalen ist bei der Windkraft – kumuliert nach Anlagenstärke – deutschlandweit Nummer vier!

Also sage ich: Werden Sie doch auch mal etwas weniger klientelbezogen, öffnen Sie sich und verbreitern Sie Ihre Aktivitäten für eine nachhaltige Energiepolitik. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Professor. Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Auch beim Blick in die Runde sehe ich keine mehr. Damit schließe ich die Aussprache zur Unterrichtung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 17/3791. Die antragsstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat eine direkte Abstimmung beantragt. Die Fraktion der AfD hat zu den Punkten II und III des Antrags Einzelabstimmung beantragt. Da die Fraktion der AfD nicht antragsstellende Fraktion des Antrags 17/3791 ist, muss ich fragen, ob es gegen die Einzelabstimmung Bedenken gibt; diese wurden von der antragsstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits angemeldet.

Der Landtag muss daher jetzt mit Mehrheit darüber entscheiden, ob die beantragte Einzelabstimmung durchgeführt wird. Wer möchte für die von der AfD beantragte Einzelabstimmung zu den Punkten II und III votieren? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Pretzell. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine. Damit hat der Landtag mit Mehrheit entschieden, keine Einzelabstimmung vorzunehmen.

Wir gehen zur Gesamtabstimmung über den Antrag 17/3791 über. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen CDU, SPD, FDP, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Pretzell. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3791 abgelehnt.

Damit sind wir am Ende von Tagesordnungspunkt 1 angelangt.

Ich rufe auf:

2  Die berufliche Bildung fit für die Zukunft machen – Berufskollegs regional weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3806

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU der Abgeordneten Kollegin Petra Vogt das Wort. Bitte schön.

Petra Vogt (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Berufskollegs in ihrer Vielfalt sind in unserem Land seit Langem ein Garant für qualifizierte Berufsausbildungen und liefern einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung unseres Arbeitsmarktes verbunden mit kontinuierlich sinkender Arbeitslosigkeit. Diese intensive Arbeit in der Funktion des nachfrageorientierten Dienstleisters für berufliche Aus- und Weiterbildung steht jedoch eher selten im Fokus der Öffentlichkeit, und es ist häufig kaum bekannt, wie viele Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlichster Fächerkombinationen sich an den einzelnen Berufskollegs um die bestmöglichen Bildungsverläufe der jungen Menschen kümmern.

Der rasante Wandel der Arbeitswelt und der Gesellschaft führt jedoch dazu, dass auch diese gewohnt flexibel agierenden Schulsysteme an ihre Grenzen stoßen, die eine optimale Förderung aller Schülerinnen und Schüler nicht mehr ermöglichen. Zu nennen sind hier an erster Stelle sinkende Auszubildendenzahlen und Lehrermangel, der in bestimmten Fächern so gravierend ist, dass man um die Zukunft der Berufsbilder fürchten muss. Denn eines ist klar, sehr geehrte Damen und Herren: Ohne qualifizierten Fachunterricht in der Berufsschule werden wir einige Ausbildungsberufe so, wie wir sie kennen, in der Zukunft nicht mehr haben.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Eine geringe Anzahl von Auszubildenden in einigen Ausbildungsberufen führt ebenfalls – und das natürlich vor allem im ländlichen Raum – dazu, dass das Ausbildungsangebot kaum noch aufrechterhalten werden kann. Wie Sie alle wissen, gibt es eine Klassenmindestgröße. Wenn sich nicht genügend Auszubildende finden, steht die Schule vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Sie muss sich nämlich überlegen, ob man klassenverwandte Ausbildungsberufe zusammenlegen oder jahrgangsübergreifenden Unterricht anbieten kann. Das ist ausgesprochen schwierig. Die Schulen versuchen, Lösungen zu finden.

Aber es gibt nun einmal diese Mindestgröße. Vielleicht müssen wir angesichts dieser besonderen Situationen noch einmal darüber diskutieren. Das führt einfach dazu, dass in Teilen Ausbildungsberufe nicht mehr gewählt werden, weil man um das Berufsschulangebot fürchten muss, oder dass Ausbilder sagen: Es lohnt sich für uns nicht. Wir gehen nicht in die Ausbildung hinein.

Sehr geehrte Damen und Herren, das verringert natürlich die Chancen junger Menschen in unserem Land auf eine qualifizierte Berufsausbildung.

Unser System der dualen Berufsausbildung ist aber ein wesentlicher Standortfaktor im globalen Wettbewerb, um das uns viele andere Länder beneiden. Dieses System wollen wir von CDU und FDP stärken, damit es auch zukünftig seiner Rolle als wichtiger Partner in der beruflichen Bildung nachkommen kann.

Dazu möchten wir den Berufskollegs die Möglichkeit eröffnen, im regionalen Verbund abgestimmt flexibel auf die zukünftigen Anforderungen reagieren zu können.

Das Modellprojekt „Regionales Berufsbildungszentrum Dortmund“ hat bereits wichtige Hinweise in Bezug auf eine Weiterentwicklung der Berufskollegs gegeben. Frühzeitig hat man dort erkannt, dass eine intensive Zusammenarbeit Synergien bildet, die zu verbesserten Bildungsangeboten und Beratungsleistungen führen.

Und eines ist auch klar, sehr geehrte Damen und Herren: Wir befinden uns in unserem Land in einer Situation, in der wir eigentlich sehr viele Arbeitskräfte benötigen, in der wir auch genügend Stellen dafür haben, in der wir aber immer wieder feststellen müssen, dass teilweise das, was in den Stellen gefordert wird, und das, was unsere jungen Menschen leisten können, nicht übereinstimmt.

Deswegen halten wir als CDU-Fraktion und FDP-Fraktion es für ganz wesentlich, in die Bildung dieser jungen Menschen zu investieren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, zu prüfen, ob die vorhandenen Ressourcen in einem solchen regionalen Bildungszentrum effizienter eingesetzt werden können, als das bisher der Fall ist. Die Erfahrungen, die wir auf kommunaler Ebene gemacht haben, sprechen durchaus dafür. So wurde in meinem eigenen Berufskolleg vor vielen Jahren ein Budget von der Stadt freigegeben. Die Kolleginnen und Kollegen dort haben sich sehr bemüht, dieses Budget verantwortungsvoll einzusetzen. Am Ende kam heraus, dass sie die Computer für die Schule ein Drittel günstiger einkaufen konnten als die Stadt für alle Schulen.

Daher fordern wir die Landesregierung heute auf, in einem Schulversuch die Weiterentwicklung der Berufskollegs zu regionalen Bildungszentren zu erproben, damit wir auch den zukünftigen Anforderungen an eine diversifizierte, qualitativ hochwertige berufliche Bildung gerecht werden können. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Auszubildenden haben diese Anstrengungen verdient. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Als nächste Rednerin hat für die weitere antragstellende Fraktion der FDP Frau Kollegin Hannen das Wort. Bitte schön.

Martina Hannen (FDP): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die berufliche Bildung war und ist eine tragende Säule für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Sie hat uns erfolgreich durch die Wirtschaftskrisen nach 2008 gebracht.

Die Mehrheit aller Schülerinnen und Schüler besucht während ihrer Schullaufbahn ein Berufskolleg, wo sie in den unterschiedlichsten Bildungsgängen fit für den Arbeitsmarkt und für das spätere Leben gemacht werden.

Die großen Erfolge und Leistungen der Berufskollegs und des dualen Ausbildungssystems sind unbestritten. Nicht umsonst informieren sich unzählige ausländische Besuchergruppen Jahr für Jahr hier bei uns über dieses Erfolgsmodell.

Trotzdem hat es in den vergangenen Jahren eine deutliche Fokusverschiebung hin zu den allgemeinbildenden Schulen und der hochschulischen Bildung gegeben. Bologna-Prozess, G8/G9, Ganztag, schulische Inklusion, Lehrermangel – in der politischen Debatte ging es in der Vergangenheit häufig nur um allgemeinbildende Schulen.

Ich habe mich oft gefragt, meine Damen und Herren, warum die berufliche Bildung und die Berufskollegs unter unserer Vorgängerregierung ein solches politisches Schattendasein geführt haben. Ist es mangelndes Interesse oder die fehlende Lobby der Elternschaft oder schlicht politische Agenda, meine Damen und Herren? Bei Einheitsschule und Abitur und Studium für alle fallen Berufskollegs eben schnell mal hinten herunter.

Aber viel entscheidender als die Frage, warum über die Jahre die Berufskollegs links liegen gelassen wurden, ist die Tatsache, dass wir nun in der Position sind, es besser zu machen. Und daran, dass wir es besser machen, besteht kein Zweifel.

Seit der Landtagswahl habe ich nicht nur den Austausch mit den Fachverbänden geführt, sondern auch unzählige Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen besucht. Dabei habe ich überall – das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren – hoch motivierte Leitungen und Kollegien getroffen, die bereit sind, für ihre Schülerinnen und Schüler weit über das von ihnen erwartete Maß hinaus zu leisten.

Sie haben mir in Gesprächen über die Situation ihrer Schulen berichtet. Dabei sind mir vor allen zwei Thematiken immer wieder begegnet.

Zum einen war das die Tatsache, dass jedes Berufskolleg unterschiedlich ist und mit ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Problemstellungen zu kämpfen hat. Die Forderung an die Politik ist also sehr differenziert und widmet sich zum Teil auch sehr unterschiedlichen Problemfeldern.

Zum anderen war es Kritik am mangelnden Interesse der ehemaligen Landesregierung, gepaart mit einem Lob für die Schulträger vor Ort. Nicht selten war ich seit Jahren die erste Abgeordnete, die die Schule besucht hat.

Dabei wäre es nur konsequent gewesen, wenn Rot-Grün die Berufskollegs stärker in den politischen Fokus genommen hätte. Denn für keine andere Schulform waren und sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen so entscheidend wie für unsere Berufskollegs.

Unser Land unterlag in den vergangenen Jahren einem grundlegenden Strukturwandel. In Verbindung mit der demografischen Entwicklung, den sich verändernden Anforderungen der Arbeitswelt und tief greifenden gesellschaftlichen Umbrüchen stellt dieser Strukturwandel die Berufskollegs vor immer neue und zutiefst unterschiedliche Herausforderungen.

Diese Herausforderungen haben die nordrhein-westfälischen Berufskollegs in den vergangenen Jahren unter hohem Einsatz stets gemeistert und mit kreativen Lösungen berufliche Bildung in höchster Qualität sichergestellt.

Hier kommen nun aber auch die Berufskollegs an ihre Grenzen. Ob Lehrkräftemangel, Sicherstellung einer ortsnahen Beschulung, Aufrechterhaltung von Berufsfachklassen oder wachsende Herausforderungen bei der Berufsvorbereitung: Die Anforderungen sind mannigfaltig und vor allem regional sehr unterschiedlich.

Die Instrumente, die wir den Berufskollegs in den letzten Jahren zur Verfügung gestellt haben, sind aber aus dem vorherigen Jahrhundert.

Unsere beruflichen Schulen benötigen heute im Hier und Jetzt die Freiheit, spezifische Lösungen und Bildungsangebote zu erarbeiten und anzubieten.

Diese erforderliche Flexibilität, um die geht es, wollen wir im Rahmen eines Schulversuches über die Organisationsstruktur regionaler Berufsbildungszentren erproben und mittelfristig umsetzen.

Im Rahmen des Entwicklungsvorhabens „Regionales Berufsbildungszentrum Dortmund“ konnten wir im Hinblick auf die bestehenden und zukünftigen Anforderungen an die Berufskollegs bereits erste wertvolle und positive Erfahrungen sammeln. Ob gemeinsame Anmeldeverfahren oder die Organisation und Durchführung von Informationsveranstaltungen oder eine regionale Angebotsplanung: Die Chancen und die Potenziale der Zusammenarbeit sind groß und vielfältig.

Mit dem hier eingebrachten Antrag werden wir den beteiligten Schulen die Möglichkeit geben, Formen der Kooperation zu erproben – da, wo regionale Gegebenheiten und regionale Herausforderungen gemeinsam betrachtet werden können.

Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen wollen wir neue Instrumente für die Weiterentwicklung der Berufskollegs zu regionalen Berufsbildungszentren in mehreren Gebietskörperschaften anbieten und bei erfolgreichem Abschluss schrittweise flächendeckend in Nordrhein-Westfalen übernehmen und etablieren.

Mit der Erprobung regionaler Berufsbildungszentren sowohl in ländlichen Regionen als auch im Ballungsraum reagiert die NRW-Koalition, reagieren wir, meine Damen und Herren, auf den jahrelangen Stillstand sowie die geänderten Rahmenbedingungen und tragen den Bedürfnissen und den außerordentlichen Leistungen der Berufskollegs Rechnung.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Debatte und die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Hannen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Kollege Ott das Wort. Bitte schön.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidenten! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich bemerkenswert. Da bleibt einem die Spucke weg. Wie kann man denn, wenn man die aktuelle politische Lage kennt, solche Reden halten? Das ist wirklich von vorgestern. Aber gut.

(Beifall von der SPD)

Ich werde jetzt nicht der Versuchung erliegen, darauf einzugehen, weil das einfach vom politischen Stil her daneben ist. Kein Bürger glaubt davon ein Wort. Ich habe mir jedenfalls den Abschlussbericht des RBZ besorgt. Dort liest man sowohl im Vorwort der Ministerin als auch im Vorwort des Oberbürgermeisters, dass das Ministerium gemeinsam mit der Stadt Dortmund dieses Projekt auf die Schiene gesetzt hat. Insofern sollte man bei den Fakten bleiben. Man hat das gemeinsam vorangestellt.

In anderen Städten – auch in meiner eigenen – existieren ebenfalls Kooperationen und Zusammenschlüsse im Bereich der Berufskollegs. Auch da gibt es wertvolle Hinweise.

Selbstverständlich ist gegen einen Schulversuch in diesem Zusammenhang überhaupt nichts zu sagen. Das werden wir im Ausschuss diskutieren.

Aber – darauf möchte ich hinaus – eine Frage stellt sich natürlich. Bei den unzähligen Wegen, die wir in Deutschland haben, gute Schulabschlüsse zu machen, und der besonderen Bedeutung der Berufsschulen muss man feststellen, dass sie in der Tat im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung nicht verankert sind. Deshalb müssen wir die Arbeit der Berufsschulen natürlich stärker nach vorne bringen. Deshalb müssen wir auch noch einmal deutlich machen, welche unglaublichen Leistungen in diesem Teil des Schulsystems erbracht worden sind. Die Themen „Inklusion“, „Integration von Geflüchteten“ und „Sicherung von Fachkräften“ sind hier nur einige Beispiele.

Auch in der Vergangenheit war es so – das ist das, wofür ich werbe –, dass die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, die Industrie- und Handelskammern und die Politik in diesem Feld keine Scheingefechte geführt haben. Schließlich geht es um die Substanz der beruflichen Bildung in diesem Land. Es geht um die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Es geht darum, junge Menschen gut auszubilden. Deshalb haben wir in der Vergangenheit immer versucht, an dieser Stelle gemeinsam vorzugehen.

Die SPD-Fraktion hat am 10. Januar dieses Jahres alle anderen Fraktionen, die aus unserer Sicht hier demokratisch agieren, gebeten, eine gemeinsame Initiative mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften zu machen, weil beide Seiten uns angesprochen haben. Sie haben uns im Herbst letzten Jahres dringend gebeten, es gemeinsam zu machen. Sie waren sich einig, dass eine Enquetekommission zu lange dauert und es kurzfristig zu Lösungen kommen muss. Deshalb haben wir vorgeschlagen: Lasst uns gemeinsam eine Expertinnenkommission einrichten, gerne auch beim Ministerium. Denn wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir es hinbekommen, die Berufsschule zu stärken.

Bis heute gibt es keine Rückantwort – weder von der CDU noch von der FDP. Das finde ich traurig.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: So wichtig ist das also!)

Denn das Ziel war tatsächlich ein gemeinsamer Antrag, um das Thema nach vorne zu bringen. Es gibt genug Felder in der Schulpolitik, auf denen wir uns leidenschaftlich streiten können. Sie wissen, dass ich das sehr gerne tue. Insofern wäre das nicht das Problem. Aber in diesem Fall müssen wir es gemeinsam machen, glaube ich.

Wir müssen uns vor allen Dingen darüber im Klaren sein, dass neben der Grundschule, neben dem Sekundarstufe-I-Bereich, hier der größte Lehrerinnenmangel besteht und wir hier besondere Herausforderungen zu bewältigen haben.

Selbstverständlich müssen wir uns dann mit diesem Antrag im Ausschuss noch einmal intensiv auseinandersetzen, beispielsweise über die Kapitalisierung von Stellen und die zweckgebundenen Mittel. Das müssen wir konkretisieren. Auch würden wir sehr gerne mit Ihnen noch einmal über den Seiteneinstieg, den Quereinstieg sprechen. Was macht da eigentlich Sinn? Wie organisieren wir das?

Wenn dieser Antrag dazu beitragen würde, dass man sich auf einen gemeinsamen Weg macht, dann wäre es am Ende ja gut. Aber ein Schulversuch in so einem überschaubaren Bereich löst nicht die Herausforderungen im berufsbildenden System, und die haben Sie zu Recht beschrieben, Frau Hannen.

Insofern höre ich mir gerne zum wiederholten Male an, dass es sieben schlechte Jahre waren, und jetzt haben wir ein total tolles Jahr. Es ist alles gelöst. Es gibt genug Lehrer an den Berufsschulen, alles läuft blendend, und die Bevölkerung merkt förmlich, wie der Aufbruch durch dieses Land rüttelt, insbesondere in den Baumhäusern im Hambacher Forst. Aber gut, das nur am Rande. Beim letzten Mal musste ich hier auch eine Rede zu einem anderen Thema halten und mich ständig zum Hambacher Forst äußern. Deshalb wollte ich das Wort jetzt zumindest auch in diesem Kontext einmal erwähnt haben.

Lange Rede, kurzer Sinn: Unsere Bitte wäre, dass wir im Ausschuss tatsächlich darüber reden. Ich mache Ihnen noch einmal das Angebot: Lassen Sie uns eine Expertenkommission einsetzen, um uns grundsätzlich damit auseinanderzusetzen. Einen Bericht, der vor der Sommerpause vorgelegt worden ist und in dem als Empfehlung steht, dass man diesen Schulversuch machen sollte, jetzt als einen Meilenstein von schwarz-gelber Bildungspolitik zu beschreiben, das ist angesichts der Menschen, die hier mitgewirkt haben, Banane, lächerlich.

Insofern hoffe ich auf eine etwas qualifiziertere Diskussion im Ausschuss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Ott. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Beer.

(Das Redepult wird für die Rednerin auf die richtige Höhe eingestellt.)

Sigrid Beer (GRÜNE): Das ist aber nett. Großartig. Das nennt man „individuelle Förderung“.

(Heiterkeit)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ott hat es schon ein bisschen charmant gesagt. Ich habe gedacht: Ist das ein wenig Arbeitsverweigerung bei den Fraktionen von CDU und FDP? Das ist doch wirklich bei diesem Thema ein viel zu schmaler Aufschlag. Das ist doch nicht mehr, als den Impuls aufzunehmen und daraus das Thema „Schulversuch“ zu machen. Ja, das kann man mittragen. Aber Sie haben sich noch nicht einmal dazu ausgelassen: In welcher Zeit soll dieser Schulversuch stattfinden? Wie soll das Ausrollen passieren? Wie wird das evaluiert? Wann ist das dann eigentlich etwas für das Land?

(Jochen Ott [SPD]: Weil das Haus das nicht aufgeschrieben hat!)

Schmaler kann man es wirklich nicht machen.

Wenn man in den Berufskollegs unterwegs ist – Frau Hannen, ich freue mich, dass Sie da jetzt auch ankommen –, dann hätte man zum Beispiel in der Region OWL auch das Innovationszentrum zur beruflichen Bildung wahrnehmen müssen, das in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden ist, genauso wie dieses Modellprojekt auch, das vom Ministerium angestoßen, umgesetzt und begleitet wurde. Da wird die Welt nicht neu erfunden.

Sehr bedauerlich finde ich – ich will das auch einmal sagen –: Wir haben bisher im Bereich berufliche Bildung gemeinsam agiert. Wir haben die APO-BK gemeinsam mit allen Fraktionen auf unsere Einladung hin mit den Verbänden, mit den Partnern im Bereich der Gewerkschaften, des Handwerks und der Unternehmen zusammen beraten. Warum fühlen Sie sich jetzt genötigt, da einen anderen Weg zu gehen? Das finde ich eigentlich sehr schade.

Ich hoffe, dass wir zu diesem Antrag eine Anhörung bekommen werden, weil dieser Ansatz unbedingt verbreitert werden muss. Denn Sie bleiben ja auf der organisationsstrukturellen Ebene hängen. Das ist doch viel zu schmal.

Wie sieht das denn eigentlich aus? Mit wie vielen Gebietskörperschaften wollen Sie denn dann arbeiten? Wie gehen Sie die Probleme im BK bei der Gewinnung von Lehrkräften dann eigentlich weiter an? Was ist mit den technischen Lehrkräften? Was ist mit den Werkstattlehrkräften? Was ist mit der Kapitalisierung? Wir haben die Frage der Stellenverwaltung vor Ort. Wie sieht das mit Budgets aus? Das ist eine wichtige Frage. – Aber das ist viel zu schmal.

Wenn Sie hier über berufliche Bildung sprechen, dann haben Sie in diesem Antrag aber gerade einmal die Anlage A abgebildet, aber es gibt die Anlagen A bis E. Also, wenn Sie unterwegs sind, dann gucken Sie mal in die Landschaft, was die Berufskollegs leisten!

Sie haben es noch nicht einmal hingekriegt, in diesem Antrag deutlich zu machen, dass wir eigentlich eine Marke „Berufskolleg“ brauchen, die viel stärker wahrgenommen werden muss. In den Redebeiträgen der Kollegin Vogt war das ansatzweise enthalten, aber das ist doch zu schmal. Das ist auch nicht die Erwartung der Berufskollegs, der Kolleginnen und Kollegen vor Ort.

Da entledigen Sie sich schön der Aufgabe. Sie geben das an das Ministerium ab, das hoffentlich in der entsprechenden Abteilung mit aller Weisheit damit umgehen wird, aber hoffentlich ein bisschen breiter aufgestellt.

Wir werden im Ausschuss miteinander darüber beraten. Wie gesagt, ich hoffe, dass wir zu einer Anhörung kommen, denn alle anderen, die im Land schon so unterwegs sind, würde ich gerne einbeziehen.

Auch andere Problemlagen haben Sie noch nicht genügend abgebildet. Wie sieht es damit aus – wir haben jahrelang daran gearbeitet; das ist ein zähes Geschäft –, dass der Wirtschaftsraum und das Angebot von Fachklassen im ländlich strukturierten Raum eine enorme Herausforderung ist? Wie sieht es mit weiteren Kooperationen über die Landesgrenzen hinweg aus? Das ist jetzt in einem Fall in Höxter mit Brakel und den Berufskollegs gelungen. Aber es muss weitere Möglichkeiten an allen Ecken und Enden geben.

Also: Hier steht einfach zu wenig drin. Es ist ein Aufschlag. Wir wollen uns gerne weiter beteiligen, daran zu arbeiten. Ich hoffe, dass wir das dann auch gemeinsam tun können. Ich finde es wirklich schade – der Kollege Ott hat es gesagt –: Der Impuls war da. Ich weiß gar nicht, ob das bei Ihnen angekommen ist. Dass dann so ein Papier dabei herauskommt, ist eine vertane Chance für die Berufskollegs. Die erwarten etwas anderes, weil sie es gewohnt sind, dass wir hier gemeinsame Aufschläge machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Beer. – Jetzt spricht für die AfD-Fraktion Herr Seifen.

(Das Redepult wird wieder hochgefahren.)

Helmut Seifen (AfD): Jetzt geht es wieder aufwärts. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das berufliche Ausbildungssystem in Deutschland ist einzigartig und könnte Vorbild sein für viele Länder, in denen man nur den akademischen Abschluss kennt und viele Jugendliche deshalb ohne Perspektive bleiben, weil sie nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Die Berufsschulen und Berufskollegs sind ein Eckpfeiler der dualen Ausbildung hier in unserem Land und dafür verantwortlich, dass unter anderem der handwerklich-technische Standard sowie die Qualität der Arbeit im tertiären Sektor so hoch sind. Sie sorgen dafür, dass für die Arbeitsplätze in Werkstätten, Büros, Amtsstuben, Kliniken und Praxen genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht.

Außerdem haben speziell begabte Jugendliche die Chance, an den Berufskollegs die Zugangsberechtigung zur Hochschule zu erwerben. Damit sind die Berufskollegs ein wichtiges Tor im Durchlässigkeitssystem des deutschen Bildungswesens. Schullaufbahnen können in Deutschland immer zu einem Ziel gebracht werden; denn es gibt eine Reihe von Wegen für die unterschiedlichen Begabungen.

Schließlich fangen die Berufskollegs auch viele Jugendliche auf, die ihre Schullaufbahn an einer allgemeinbildenden Schule nicht erfolgreich beenden konnten. Seit Neuestem kommt noch die Beschulung zahlreicher Migranten in den internationalen Förderklassen hinzu, die für die einzelnen Lehrkräfte und den Schulbetrieb eine besondere Herausforderung darstellt. Es gibt also eine Menge an Herausforderungen und eine Breite des Bildungsangebots, wie wir es in keinem anderen Schulbereich haben.

Wenn man das alles bedenkt, kann man die Bedeutung der Berufskollegs gar nicht hoch genug einschätzen. Insofern ist der vorliegende Antrag von CDU und FDP eine Möglichkeit, die Arbeit der Berufskollegs tatsächlich zu erleichtern. Ich frage mich natürlich, warum die Vorgängerregierung hier geschlampt hat und immer nur das Gymnasium plattmachen wollte.

Das Regionale Berufsbildungszentrum erhält wenigstens eine Teilrechtsfähigkeit mit eigenem Budget und eine weitgehende Personalhoheit. Für eine flexible Reaktion bei Personalnot ist das sehr hilfreich. Wie man aus Dortmund und von überall hört, ist die Personalnot an den Berufskollegs im Land durchaus gegeben. Deshalb ist es entscheidend, dass durch die Einstellung von Fachpersonal die Lehrkräfte von administrativen Aufgaben entlastet werden, sodass man dadurch Lehrerstunden generieren kann. Dabei handelt es sich übrigens um ein Modell, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das man viel häufiger an den Regelschulen ab einer bestimmten Größe anwenden könnte; denn es werden sehr viele Lehrerstunden dadurch – ich will nicht sagen: vergeudet – vergeben, dass Lehrkräfte unterrichtsfremde Tätigkeiten ausüben müssen. Da müsste man auf jeden Fall noch mal ran.

Insofern ist es also zu begrüßen, dass in Anlehnung an die Erfahrungen des Regionalen Berufsbildungszentrums Dortmund weitere Schulversuche dieser Art in bestimmten Gebietskörperschaften durchgeführt werden sollen. Sehr geehrte Frau Beer, sehr geehrter Herr Ott, ich würde schon dabei bleiben, dass es zunächst Schulversuche sind. Ich meine, die Einführung der Inklusion in der letzten Legislaturperiode hat ja gezeigt, was dabei herauskommt, wenn man holterdiepolter ohne Rücksicht auf die Menschen vor Ort ideologisch einfach etwas durchdrückt, was sich dann als Rohrkrepierer erweist.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Frau Beer, ich meine, Sie nehmen das auf die leichte Schulter. Aber zu leiden haben dann immer die Menschen. Das ist das Problem. Sie hier im Parlament leiden ja nicht darunter.

Mit diesem Schulversuch wird möglicherweise ein Modell gefunden, das die Arbeit der Berufskollegs in Form einer flächendeckenden Absicherung bestimmter Bildungsgänge ermöglicht und damit die Ausbildungsmöglichkeiten für unsere Jugendlichen sichert.

Lassen Sie mich trotzdem festhalten, dass dies alleine nicht reicht. Wenn Sie die Arbeit der Berufskollegs und ihrer Lehrkräfte weiterhin stärken wollen, wenn die Qualität der Ausbildung den neuen Herausforderungen gerecht werden soll, dann sollten Sie Ihr Augenmerk auch auf die allgemeinbildenden Schulen lenken, von denen die meisten Schülerinnen und Schüler zum Berufskolleg wechseln. Das sind die Realschulen, die Hauptschulen und die Förderschulen. Auch diese Schulen brauchen eine neue Kultur der Wertschätzung, eine Stärkung in allen Bereichen, vor allem aber ein deutliches Signal, dass die Arbeit der Lehrkräfte an diesen Schulen und die dort erreichten Abschlüsse einen hohen Wert haben.

Haupt- und Realschulen sind in den letzten Jahren immer ein Stiefkind der jeweiligen Regierungen gewesen. Dies sollten Sie schleunigst ändern; denn auch damit stärken Sie die Arbeit der Berufskollegs. Sie bekämpfen auch den Mangel an Fachkräften im gewerblichen Bereich, wenn Haupt- und Realschulen wieder eine gewisse Attraktivität gewinnen. Vor allen Dingen aber – und das ist das Wichtigste – erweisen Sie diesen Kindern und Jugendlichen den Respekt, den sie ebenso verdient haben wie die Kinder und Jugendlichen, die das Gymnasium besuchen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Gebauer.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle meine Vorredner und -rednerinnen haben betont, dass die berufliche Bildung bei uns in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Deutschland insgesamt eine tragende Säule im Bildungssystem ist. Sie trägt ganz entscheidend zur Fachkräftesicherung bei und ist somit auch Grundlage unseres Wohlstands. Nicht umsonst liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich auf einem sehr niedrigen Niveau. Das ist insbesondere ein Erfolg unserer dualen Ausbildung.

Die Landesregierung ist angetreten, die Berufskollegs als erfolgreiche Bildungsakteure dauerhaft zu stärken. An dieser Stelle kann ich Ihnen, lieber Herr Ott, liebe Frau Beer, den Blick zurück dann doch nicht ersparen; denn es war in Ihrer Regierungszeit, als 500 Stellen an den Berufskollegs als sogenannte Präventionsrendite abgebaut worden sind. Für die Berufskollegs haben wir im Haushalt 2018 zunächst 250 Stellen wieder eingestellt, und im Haushalt 2019 wollen wir das mit weiteren 200 Stellen fortsetzen. Es geht darum, diese Form der Beschulung weiter zu stärken. Das tut die neue Landesregierung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine Stärkung der Berufskollegs ist auch deswegen notwendig, weil wir veränderte Anforderungen der Arbeitswelt haben, die sich natürlich auch in unseren Berufskollegs widerspiegeln.

Die Agenda „Stärkung berufliche Bildung“, die derzeit in meinem Haus entwickelt wird, hat zum Ziel, die hohe Qualität der beruflichen Bildung unter den geänderten Anforderungen und Ausgangsbedingungen zu stärken. Ein Handlungsfeld hierbei wird sein, die regionale Verantwortung der Berufskollegs zu stärken. Wir wollen und wir müssen auch in Zukunft ein bedarfsgerechtes, vielfältiges und gleichzeitig natürlich auch spezialisiertes Bildungsangebot bereithalten. Hierzu sollen sich Berufskollegs innerhalb einer Region enger zusammenschließen können, um ihr Bildungs- und Beratungsangebot gemeinsam entsprechend weiterzuentwickeln.

Genau in diese Richtung zielt der vorliegende Antrag. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die Berufskollegs aufgrund der regional unterschiedlichen Anforderungen mehr Freiheit benötigen. Diese Freiheit brauchen sie – Frau Vogt hat es angesprochen –, um spezifische Lösungen und Bildungsangebote erarbeiten und dann natürlich auch anbieten zu können.

Dies erfordert neben der Organisationsstruktur der Regionalen Berufsbildungszentren auch schulrechtliche Anpassungen. Für die Landesregierung heißt das, wir wollen und wir werden die berufliche Bildung, diese wichtige Säule – darüber sind wir uns Gott sei Dank alle einig –, in unserem Land für die Zukunft weiter fit machen, weiter stärken, und hierfür bildet auch die Stärkung der regionalen Gestaltungsmöglichkeiten der Berufskollegs einen wichtigen Baustein.

Aber, meine Damen und Herren, besonders liebe Frau Beer und Herr Ott, seien Sie gewiss, dieses Handlungsfeld wird nicht das einzige bleiben. Ich habe die Agenda angesprochen. Hier gibt es Notwendigkeiten zur Stärkung unserer Berufskollegs, die Sie in Kürze kennenlernen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag einstimmig so überwiesen an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen, wie wir es oft zu tun pflegen.

Ich rufe TOP 3 auf. Zur Begründung des Gesetzentwurfs macht sich der Kollege der SPD-Fraktion, Herr Ott, bereit. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Den Titel muss ich noch vorlesen, damit alle wissen, worüber wir reden. Sonst kommen wir in Teufels Küche.

3  Gesetz über Gleichen Lohn für Gleiche Arbeit – Anpassung der Lehrerbesoldung an ihre Ausbildung (Lehrerbesoldungsgleichstellungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3812

erste Lesung

Herr Ott, bitte schön.

Jochen Ott (SPD): So schön hätte ich das nicht sagen können. Danke. – Herr Präsident!

(Zuruf von der SPD: Dafür ist er da!)

– Ja, dafür ist er da. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Täglich grüßt das Murmeltier. Mit dem 2009 in Kraft getretenen Lehrerausbildungsgesetz durchlaufen alle Lehramtsanwärter die gleiche und gleich lange universitäre Ausbildung. Aber die Besoldung von Lehrerinnen und Lehrern wird der durch Bachelor und Master vereinheitlichte Ausbildung jetzt nicht mehr gerecht.

Derzeit werden beamtete Lehrerinnen und Lehrer, die einheitlich nach dem Lehrerausbildungsgesetz von 2009 ausgebildet werden oder ausgebildet worden sind, unterschiedlich eingestuft: einerseits in das Eingangsamt der Besoldungsgruppe A12 für Lehrerinnen und Lehrer an Grund-, Haupt-, Realschulen und in der Sekundarstufe I der Gesamtschulen und andererseits in das Eingangsamt der Besoldungsgruppe A13Z für Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien, Berufskollegs und in der Sekundarstufe II der Gesamtschulen. – Die Landesregierung hat es trotz gegenteiliger Ankündigungen im letzten Jahr versäumt, dieses Problem zu lösen.

Bestandslehrkräfte dürfen allerdings – auch das ist hier immer wieder diskutiert worden – bei einer möglichen Reform nicht vergessen werden. Denn die Bestandslehrkräfte haben aufgrund ihrer Dienstjahre und ihrer Berufserfahrung eine Höherbesoldung ebenfalls verdient, weil ansonsten das Betriebsklima an unseren Schulen zerstört würde. – Es geht letztlich darum, rund 51.000 Lehrkräfte anzugleichen. Professor Brinktrine hat in seinem Rechtsgutachten für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schon 2015 darauf hingewiesen.

Vor den Wahlen haben alle Parteien bei den öffentlichen Podiumsdiskussionen angekündigt, dass diese Besoldungsanpassung nach der Wahl stattfinden würde. Jetzt sind wir in der Situation, dass diese Angleichung kommen muss, weil im Moment eine Fehlallokation auf dem Lehrerausbildungsmarkt stattfindet. Denn viele junge Menschen, die sich für ein Studium entscheiden, wissen jetzt, dass sie sich, wenn sie A13Z verdienen wollen, auf die Sekundarstufe II konzentrieren müssen.

Angesichts der vorliegenden Zahlen – Überhang bei den Sek.-II-Lehrern und Unterhang bei Grundschullehrern und Sek.-I-Lehrern, ist es vollkommen richtig, diese Fehlallokation zu beenden und dem Markt, um es mal im Sprech der FDP zu sagen, ein klares Signal zu geben, in welche Richtung man sich auch entscheiden kann.

Es ist ganz klar: Alle unsere Lehrkräfte bilden unsere Kinder bestmöglich aus und haben deshalb alle den Anspruch auf den gleichen Lohn. Jeder Lehrer, jede Lehrerin fördert und fordert die Kinder so, wie sie es brauchen. Jedenfalls ist das die Erwartung des Dienstherrn. Das gilt für alle Schulformen. Deshalb haben sie auch Anspruch auf den gleichen Lohn.

Ich will noch mal darauf hinweisen – auch das ist in diesem Gesetzentwurf erwähnt –, dass das natürlich auch für die Tarifbeschäftigten gilt. Deshalb werden die Tarifbeschäftigten bei einer Angleichung profitieren müssen. Ich gehe auch davon aus, dass sich die Landesregierung diesem Wunsch, den alle Fraktionen hier immer wieder geäußert haben, anschließen und in den Verhandlungen über die Tariflöhne dafür sorgen wird, dass das Gap zwischen angestellten und beamteten Lehrern endlich weiter abgeschmolzen wird.

Wir bringen diesen Gesetzentwurf ein, wissend, dass es dazu eine Anhörung geben wird, zu der viele Experten kommen werden. Ich sage ausdrücklich: Für eine Fraktion ist es hochkomplex, im Bereich des Beamtenrechts und der Besoldung eigene Gesetzentwürfe auf den Weg zu bringen.

Wir haben sehr wohl wahrgenommen, was beim letzten Mal diskutiert worden ist; aber der Sache nach ist es eindeutig. Deshalb laden wir Sie herzlich ein. Wenn die vielen Beamten der Landesregierung in den Ministerien für Finanzen und für Schule uns Hinweise geben wollen, wie wir das Gesetz noch besser und noch rechtssicherer machen können, damit es am Ende ein gutes Gesetz wird, freuen wir uns darüber. Wir sind ganz sicher, dann gemeinsam das einlösen zu können, was eigentlich in diesem Land Verfassungsrang hat: Wer die gleiche Ausbildung hat, der muss auch gleich bezahlt werden. Daran gibt es keinen rechtlichen Zweifel.

Deshalb: Lassen Sie uns daran arbeiten! Sie haben jetzt die Zeit – der Fraktionsvorsitzende der CDU hat es öffentlich angekündigt –, mit uns gemeinsam ein gutes Gesetz für die Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen zu verabschieden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Moritz.

Arne Moritz (CDU): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute leiten wir die vierte Runde einer Debatte ein, bei der es erst gar keine Rede hätte geben dürfen, wenn Rot-Grün seinen Job gemacht hätte. Den Fehler haben die SPD-Kollegen schon medienwirksam eingesehen. Ich war jetzt bei der Erklärung, warum der Fehler gemacht wurde, etwas verwundert.

Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten Herrn Ott, der Folgendes gesagt hat: Rot-Grün hat es nicht hingekriegt, die Lehrerbesoldung anzupassen. Das war ein Fehler. Auf der anderen Seite muss man sagen, die Haushaltssituation war extrem angespannt.

Herr Ott, da zeigen Sie eine ganz neue Seite an der SPD. Haben Sie sich einmal gefragt, was Herr Kutschaty, Herr Zimkeit oder Herr Walter-Borjans zu dieser Selbstkritik und Ihrer Sicht der haushalterischen Situation von 2016 sagen?

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das hätten Sie ebenso aus der Zeitung entnehmen können!)

Herr Kutschaty hat uns allen doch in der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs 2018 vorgerechnet, dass es bereits 2016 einen Überschuss von 217 Millionen Euro gegeben habe. Erklären Sie uns das bitte einmal! Auf der einen Seite war Geld da, auf der anderen Seite dann wieder nicht. Was soll man da glauben? Ihre vorgespielte Reue, Ihr Interesse daran, für ordentliche Lehrerbesoldung zu sorgen, oder

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was haben Sie denn gemacht? Sie sind gefragt! Sie regieren! – Jochen Ott [SPD]: Jetzt stimmen Sie zu, ja? Jetzt stimmen Sie dem Gesetz zu? Schön!)

die Glorifizierung der Zeiten von Minister Walter-Borjans? – Ich glaube, ehrlich gesagt, überhaupt nichts davon. Das heißt, wenn ich einmal zusammenfassen darf: Entweder muss Geld dagewesen sein, um die Besoldungsdifferenzen anzupassen, oder es war eben nicht genug da, und Sie haben sich sieben Jahre lang weggeduckt, weil Sie wussten, wie umfangreich eine Angleichung ist.

(Jochen Ott [SPD]: Und was machen Sie jetzt?)

Sei es, wie es ist. Ehrlich sind Ihre Politik und Ihr Interesse daran nicht. Stattdessen wird jetzt mit faulen Ködern gefischt. Die Gründe für den Lehrermangel an Grundschulen allein in der besoldungsrechtlichen Differenz zu suchen,

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Nein!)

löst das Problem nicht einmal im Ansatz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mostofizadeh?

Arne Moritz (CDU): Ich würde es erst lieber durchziehen. Gerne zum Schluss.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann gucken wir, ob wir es hinkriegen.

Arne Moritz (CDU): Gut. Da bin ich mir sicher.

Junge Menschen allein durch die angepasste Besoldung als Grundschullehrer zu angeln, wird nicht klappen. Fragen Sie einmal junge Menschen, die sich dafür interessieren, Lehrer an einer Grundschule zu werden. Ich bin mir sicher, dass gute Lehrbedingungen genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind.

Genau diese Umstände der Lehre in den Grundschulen haben sich seit 2015 deutlich geändert. Immer größer werdende Klassen, steigende Anforderungen durch Inklusion und Integration, eine steigende Zahl verhaltensauffälliger Kinder, geringere Ausbildungskapazitäten und dadurch höhere NCs – das schreckt die Interessierten ab, und das hat zu der von Ihnen beschriebenen Unwucht in der Lehrerausbildung geführt.

Meine Damen und Herren, die sinkende Zahl der unbesetzten Stellen an Grundschulen zeigt, dass das Ministerium von Frau Gebauer und die NRW-Koalition hier auf dem Weg sind, eine Kehrtwende hinzulegen. Und trotzdem: Die Besoldung bzw. die Anpassung der Besoldung ist und bleibt ein Thema.

Die betreffenden Minister haben immer unterstrichen und betont, dass die Konsequenzen aus der Angleichung der Ausbildung gezogen werden.

(Jochen Ott [SPD]: Wann?)

Von der Opposition, die es sieben Jahre lang verpennt hat, für einen Ausgleich zu sorgen, lassen wir uns nicht zu einer unausgereiften, unvollständigen und unangemessenen Lösung treiben. Das haben unsere Lehrerinnen und Lehrer nicht verdient. Deshalb freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Und jetzt möchten Sie noch etwas gefragt werden? – Na dann mal los. Bitte schön, Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident, dass die Frage jetzt noch zugelassen wird. – Sie sagten, wir hätten die Besoldungserhöhung sieben Jahre lang verpennt. Jetzt sind anderthalb Jahre Ihrer Regierungszeit um. Pennen Sie weiter?

Arne Moritz (CDU): Sind Sie fertig?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja!)

– Gut. – Meine Antwort darauf ist, dass wir die Beratungen jetzt in dem entsprechenden Fachausschuss führen und, wie ich in meiner Rede gesagt habe, Ihrem Antrag nicht folgen werden; denn er ist aus unserer Sicht unausgeglichen und bringt es nicht richtig auf den Punkt.

(Jochen Ott [SPD]: Was ist denn der Fachausschuss?)

Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. Dann können wir gern in Ruhe darüber diskutieren.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Moritz. – Nun spricht Herr Witzel für die FDP-Fraktion.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf spricht eine unzweifelhaft wichtige Frage dieser Legislaturperiode an, nämlich wie eine sachgerechte und ebenso möglichst als gerecht empfundene zukünftige Besoldung der Lehrerschaft in Nordrhein-Westfalen aussehen soll.

Die NRW-Koalition arbeitet engagiert an diesen komplexen Fragestellungen und hat daher bereits direkt zu Beginn der Wahlperiode verbindlich erklärt, dass wir auch die notwendigen besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Lehrerausbildungsreform ziehen werden.

Da wir eine seriöse Politik für unser Land gestalten, haben wir allerdings weder zu Oppositions- noch zu Regierungszeiten den Eindruck erweckt, es sei realistisch, jeden Lehrer über Nacht mit mindestens A13 zu besolden. Das haben Sie in Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung schließlich auch nicht getan. Das sollten Sie vor dem Hintergrund der Formulierungen, die Sie im Kontext der aktuellen Debatte verwenden, der Ehrlichkeit halber berücksichtigen.

Fakt ist: Rot-Grün hat bei der Abwahl einen Scherbenhaufen und eine ganze Reihe an Reformbaustellen hinterlassen, deren Reparatur viel Kraft und Ressourcen an unterschiedlichen Stellen erfordern. Es ist eine ganz große Aufgabe unserer Schulministerin, aktuell an ganz vielen Stellen sehr viel zu ändern, um den rot-grünen Hinterlassenschaften entgegenzuwirken.

(Jochen Ott [SPD]: Gut, dass Sie nicht Schulminister sind!)

Allein im Vergütungsbereich gibt es eine Interessenlage mit sehr komplexen Fragestellungen, die uns regelmäßig beispielweise im Personalausschuss und auch öffentlich vorgetragen werden. Dabei geht es zum einen um die Auswirkungen der Lehrerausbildungsreform für neue Lehrkräfte, zum anderen aber auch um die Frage: Wie geht man mit Bestandslehrkräften um?

Wir diskutieren dort über die unterschiedliche Bezahlung angestellter und verbeamteter Lehrer sowie über die adäquate Vergütung von besonderen Lehrkräften und auch kleineren Gruppen wie Werkstattlehrer, Seiteneinsteiger oder Korrekturfachlehrer – eine Vielzahl von Themen, die immer wieder auch öffentlich vorgetragen werden.

Schüler wissen in der Regel in der Tat nicht, in welchem berufsrechtlichen Status sich ein Lehrer befindet, der sie unterrichtet. Für sie zählt die Qualität des Unterrichts. Zur Wahrheit gehört auch: Die Interessenlage der Lehrerschaft ist nicht homogen. Deshalb gibt es keine einfachen Lösungen. Das hat auch die gestrige Anhörung im Personalausschuss einmal mehr gezeigt.

Jede Besserstellung bestimmter Gruppen wird innerhalb des Schuldienstes von denjenigen wahrgenommen, die von einer konkreten Maßnahme persönlich nicht positiv partizipieren, und löst natürlich auch dort wieder Nachfragen aus. Die individuell empfundene wichtige Frage nach der Vergütungsgerechtigkeit ist immer auch eine Frage des sozialen Vergleichs innerhalb der Lehrerschaft und darüber hinaus zwischen den Berufsgruppen im öffentlichen Dienst insgesamt.

Die NRW-Koalition will einen attraktiven öffentlichen Dienst in unserem Land und stellt sich ihrer Verantwortung. Daher arbeiten wir intensiv an den angesprochenen Fragestellungen und werden Ihnen zu gegebener Zeit unsere besoldungsrechtlichen Vorschläge präsentieren. Es ist nur fair, wenn die heutige Opposition sich auch ihrer eigenen Verantwortung bewusst ist und nicht von uns erwartet, bereits ein Jahr nach dem Politikwechsel alle Probleme abschließend gelöst zu haben, die sie selber sieben Jahre lang nicht bearbeitet hat.

Klar ist, dass alle Verbesserungen seriös finanziert werden müssen. Im Endausbau erfordert der hier vorliegende Gesetzentwurf Mehrausgaben von sicherlich 600 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld.

Die NRW-Koalition hat bereits an verschiedenen Stellen im Sinne einer besseren Lehrerversorgung gehandelt, zum Beispiel bei der Lehrerbedarfsprognose mit der Lehrerwerbekampagne, der Studienplatzausweitung oder einer verbesserten Schulleitungsbesoldung. Wir sind hier keinesfalls inaktiv. Die Attraktivität des Lehrerberufes und die Studienwahlentscheidung kann nicht allein auf besoldungsrechtliche Fragen reduziert werden.

Auch an Letzterem arbeiten wir längst engagiert. Wir brauchen dazu keinerlei Aufforderung durch die Opposition. Rot-Grün hat bei der Frage, die Sie jetzt zur Schicksalsfrage erklären, selber sieben Jahre lang nicht gehandelt und den Bildungsverbänden erklärt, man solle doch das Land verklagen, wenn man bessere Bedingungen für Lehrkräfte erreichen wolle.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Vor diesem Hintergrund ist Ihr erhobener Zeigefinger ungerechtfertigt und unglaubwürdig. Die NRW-Koalition erkennt die Herausforderungen im Besoldungsbereich an und wird sie mit großer Ernsthaftigkeit und großer Fachlichkeit bearbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Grünenfraktion spricht nun Frau Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Ich muss erst mal diese Handbewegung machen,

(Sigrid Beer (GRÜNE) macht wischende Auf- und Abwärtsbewegungen mit der Hand)

um den Nebel beiseitezuschieben, der sich nach den Beiträgen der Kollegen Moritz und Witzel hier aufgebaut hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Ich möchte den Fokus auf das richten, was Arne Moritz gesagt hat: Es bleibt ein Thema, und die Lösung soll angemessen sein. Da gibt es jede Menge Fragezeichen. Wie lange bleibt das denn ein Thema? Was heißt „angemessen“?

(Zuruf: Super!)

Ich will gleich zum Kollegen Witzel überleiten, der gesagt hat, dass sich die Frage nach Gerechtigkeit und nach den Abständen stelle. Was heißt das denn? Was heißt außerdem: „Bearbeitung“ und „bereits im Prozess“? Von den Lehrerverbänden wurde uns deutlich rückgemeldet,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

dass weder mit dem VBE noch mit der GEW Gespräche geführt wurden. Wir hätten großes Verständnis dafür – deswegen haben wir bereits zwei entsprechende Anträge vorgelegt –, wenn man zunächst zu einem Stufenplan kommt. Das muss man mit den Beteiligten aber auch mal besprechen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wenn Sie meinen, Sie könnten das im stillen Kämmerlein auf die lange Bank schieben – ich sage Ihnen: Das funktioniert nicht mehr.

Inzwischen ist nicht ein Jahr vergangen, sondern 17 Monate. Sie kommen mit der Nummer nicht mehr durch, einfach zu sagen: „Sie haben sieben Jahre nicht ...“ und „Wir warten jetzt auch erst mal“ oder „Wir sind in Gesprächen“. Es tut sich aber nichts.

(Zuruf von der FDP)

Wir haben jetzt den Haushalt 2019 vorliegen, in dem auch nichts steht. Das heißt, vor dem Haushalt 2020 wird es wohl nichts werden, und ob dann, ist nach den Beiträgen von Herrn Moritz und Herrn Witzel überhaupt nicht klar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Besoldungsanpassung ist längst überfällig. Sie ist mehr als verdient; denn es geht um die Gleichwertigkeit der Lehrämter in der Grundschule, in Sek I und in Sek II. Natürlich geht es auch darum, was sich daraus für die Tarifbeschäftigten ergibt.

Ich will noch einmal deutlich machen: Die Attraktivität eines Grundschullehramtes ist nicht allein mit der Bezahlung abgegolten. Sicherlich steht man da in Konkurrenz mit anderen Schulformen. Wir können aber doch nicht die Kolleginnen und Kollegen aus dem Sek-II-Lehramt für die Grundschulen werben und ihnen dann sagen: Das macht ihr jetzt, ihr habt eine zusätzliche Qualifizierung, aber dann bleibt ihr in A12 hängen. Irgendwann könnt ihr euren Platz am Gymnasium kriegen.

Was ist das denn für ein Signal an die Grundschulen? Die Lehrkräfte kommen dorthin mit der Botschaft: Ich bin gekommen, um wieder zu gehen. – Dieser Ansatz ist richtig klasse!

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, Frau Ministerin, dass das auf Dauer durchtragen soll.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Die Grundschulen investieren in die Kolleginnen und Kollegen. Es gibt das Engagement, sie zu halten und ihnen diese Arbeit gerecht zu besolden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ott?

Sigrid Beer (GRÜNE): Ja. – Ich dachte jetzt gerade, es wäre Herr Witzel. Bitte schön, Herr Ott.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Ott.

(Zurufe von der FDP)

Sigrid Beer (GRÜNE): – Nein, ich kann auch ohne Stützen hier stehen, Herr Höne, das geht immer noch. Ich brauche auch keine Stützfragen! – So, bitte schön.

(Zurufe von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Ott, bitte.

Jochen Ott (SPD): Ich nehme das Recht eines frei gewählten Abgeordneten in Anspruch, eine Frage zu stellen. Wenn Sie das nicht wollen, brauchen Sie das ja nicht zu tun. So weit kommt es noch!

Liebe Frau Beer, weil ich die ganze Zeit die Zwischenrufe höre, die Sie wahrscheinlich nicht so hören können, wollte ich fragen: Können Sie sich noch an die letzte Anhörung zum Thema „Besoldungsanpassung“ erinnern? Herr Witzel hat darin meiner Erinnerung nach einen langen Vortrag darüber gehalten, dass angesichts der Besoldung von Polizisten grundsätzlich die Frage zu stellen sei, ob Lehrerinnen und Lehrer überhaupt nach A13 bezahlt werden sollten.

Können Sie sich so wie ich daran erinnern, dass ihm wohl die Bereitschaft fehlt, das zu akzeptieren, was im Bildungsbereich jetzt eigentlich up to date ist?

(Zuruf von der FDP)

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke, Herr Kollege. – Neben all den Dingen aus den letzten Monaten, an die auch Sie sich erinnern können, kann ich mich vor allem an die letzte Legislaturperiode erinnern, in der Herr Witzel in diesem Bereich 700 Millionen Euro kürzen wollte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der FDP)

Er war derjenige, der das vorangetragen und Rot-Grün in diesem Zusammenhang große Vorwürfe gemacht hat. Daran kann ich mich aber so was von erinnern!

(Zurufe von der SPD und der FDP)

Von daher habe ich kein Vertrauen, wenn die FDP und Herr Witzel das Thema „Besoldungsgerechtigkeit“ aufrufen. Deswegen habe ich mehrere Fragezeichen dahinter gesetzt;

(Zurufe von der FDP)

denn ich möchte wissen, was das Ganze dann in der Gestaltung bedeutet. Hier ist nichts in trockenen Tüchern, und deswegen ist es richtig, diesen Gesetzentwurf jetzt zu beraten und den Druck beizubehalten. Ich sage das ausdrücklich, um der Ministerin, die sich in dieser Landesregierung durchsetzen muss, Rückenwind zu bieten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Strotebeck.

Herbert Strotebeck (AfD): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Ott, Sie sagten es völlig richtig: „Und täglich grüßt das Murmeltier!“ An diesen Filmklassiker aus den 90er-Jahren fühlte ich mich erinnert, als ich auf der Tagesordnung erneut den Titel „Gleicher Lohn für Gleiche Arbeit“ las.

(Zuruf: Die haben nichts anderes!)

Anders als der Kinofilm taugt Ihr Gesetzentwurf allerdings nicht zum Klassiker und noch nicht einmal zur Komödie. Am ehesten würde ich den vorliegenden Text noch der Tragödie zuordnen. Sie wollen es immer allen recht machen und scheitern dabei tragisch.

(Beifall von der AfD)

Wir debattieren heute zum wiederholten Male in großer Runde über Ihr Gleichmachereigesetz. Erst im Juli dieses Jahres fand die zweite Lesung Ihres Gesetzentwurfs statt. Eine große Mehrheit im Landtag hat sich gegen den Gesetzentwurf entschieden.

In den sieben Jahren Ihrer Regierung – wir haben es mehrfach gehört, aber ich wiederhole es trotzdem – hätten Sie alle Zeit gehabt, dieses Gesetz umzusetzen, wenn es Ihnen wirklich so wichtig wäre. Möglicherweise wissen Sie aber, dass Ihr Gesetz neue Ungerechtigkeiten schafft, und haben es daher selbst nicht verwirklicht.

(Zuruf von der AfD: So ist es!)

Die meisten Abgeordneten hier im Landtag haben jedoch durchschaut, dass Sie von der SPD dem komplexen Thema „Lehrerbesoldung“ schlicht und ergreifend nicht gewachsen sind.

(Beifall von der AfD)

Sie lassen sich einfach von Ihrer Ideologie treiben. Sie gehen laut Ihrem Begründungstext davon aus, dass das Besoldungsverfahren der Grund für Lehrermangel an bestimmten Schulformen sei. Mit dieser Annahme reduzieren Sie ein sehr komplexes Thema auf unzulässige Weise.

An unserer grundsätzlichen Kritik ändert sich weiterhin nichts. Sie fordern in Ihrem Gesetz gleichen Lohn für ungleiche Arbeit und wollen dafür fast eine halbe Milliarde Euro jährlich ausgeben. Die notwendigen Anpassungen der Gehälter der tarifbeschäftigten Lehrer sind in dieser Summe noch gar nicht enthalten.

Wenn Sie sich schon die Mühe gemacht haben, Artikel zur Überleitungsvorschrift und zu Bestandslehrkräften zu ergänzen, dann hätten Sie doch auch gleich Ihren Antragstitel überarbeiten können; denn der Antragstitel ist weiterhin sachlich falsch. Sie fordern keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sondern gleichen Lohn für gleiche Ausbildung. Warum schreiben Sie das nicht auch so in Ihren Titel?

(Beifall von der AfD)

Da Sie von der SPD in diesem Fall aber offensichtlich lernresistent sind, bekommen Sie erneut zu hören, was an Ihrem Entwurf falsch ist. Es ist und bleibt sachlogisch verkehrt, die gleiche universitäre Ausbildung als Argument für einen späteren gleichen Lohn heranzuziehen, wenn nicht auch die Arbeit exakt gleich ist. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – dem würden wir von der AfD natürlich sofort zustimmen, da das eine Selbstverständlichkeit ist.

Sie gehen ähnlich wie bei Ihrem Phantomkampf für gleiche Löhne für Männer und Frauen von falschen Prämissen aus. Vielleicht wollen Sie sich selbst hinterfragen, ob es sinnvoll ist, dass ein vielfältiges Berufsbild wie das des Lehrers eine gleichgeschaltete Ausbildung durchlaufen muss.

So warnte nach der eingeleiteten Bildungsreform der Rektor der Bergischen Universität Wuppertal eindringlich vor einer Vereinnahmung der Universitäten durch die Politik. Nach der Umstellung und somit der bolognagerechten Harmonisierung der Lehrerausbildung auf Bachelor- und Masterstudiengänge wurden diese durch die Einführung der Kompetenzorientierung sehr stark ideologisiert.

Angst vor geopolitischen Herausforderungen und der drohende Wettbewerbsnachteil auf dem internationalen Parkett öffnen den zwielichtigen Bildungsreformen Tür und Tor. Die Auswirkungen von Bologna sind bei der Lehrerausbildung in einem besonderen Maße zu hinterfragen. Durch die zunehmende Verwässerung der universitären Lehrerausbildung geraten Bildung und Wissen zunehmend in den Hintergrund.

Die SPD mag davon träumen, dass alle Menschen gleich sind und alle einigermaßen gleich verdienen. Jeder Mensch ist aber individuell. Genauso ist die Arbeit in verschiedenen Schulformen und -stufen individuell. Diese Vielfalt führt zu vielfältigen Besoldungen. Das ist auch gut und motivierend.

(Beifall von der AfD)

Wir begleiten Ihren Gesetzentwurf weiterhin kritisch, gerne auch im Ausschuss. Wir stimmen der Überweisung zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Strotebeck. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Reul in Vertretung des Finanzministers Herrn Lienenkämper. Sie haben das Geld dabei?

Herbert Reul, Minister des Innern: Nein, leider nicht.

(Lachen bei der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Wenn Sie das sagen.

Herbert Reul, Minister des Innern: Das war meine erste Idee. Meine zweite Idee ist, dass ich für den Finanzminister rede, und zwar hoffentlich in seinem Sinne.

Beginnen möchte ich mit der Feststellung – dazu ist schon einiges gesagt worden –, dass noch keine drei Monate vergangen sind, seit sich das Plenum das letzte Mal mit einem sogenannten Lehrerbesoldungsgleichstellungsgesetz befassen durfte. Das war am 13. Juli dieses Jahres. Es ist wirklich bemerkenswert, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, wie Sie Ihr Herz für die Lehrerschaft entdeckt haben, seitdem Sie in der Opposition sind.

(Beifall von der CDU)

Vorher war das offensichtlich nicht so Ihr Thema. Es gehört zur Wahrheit dazu: Seit Ihrem Amtsantritt im Jahre 2010 hatten Sie sieben Jahre Zeit, in denen Sie alles hätten machen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie hatten Mehrheiten. Sie konnten kluge Vorschläge machen. Sie haben manche klugen Vorschläge gemacht, aber Sie haben auch manche weniger kluge Vorschläge durchgesetzt. Sie hätten Konsequenzen besoldungsrechtlicher Art ziehen können. Das haben Sie aber nicht getan. Die letzte Reform der Lehrerausbildung ist 2009 erfolgt, und zwar noch vor der Amtsübernahme durch die Vorgängerregierung.

Tatenlos haben Sie die Jahre verstreichen lassen und keinen Gesetzentwurf in dieser Richtung verfolgt. Zum Ende der letzten Legislaturperiode haben Sie sich dann ein wenig bewegt, aber nicht – das gehört auch zur Wahrheit dazu –, um den großen Wurf zu machen, sondern um die Besoldung der Schulleiterinnen und Schulleiter an Grund- und Hauptschulen zu verbessern. Das ist auch gut, aber das war es dann schon. Die Konrektorinnen und Konrektoren haben Sie damals übrigens im Regen stehen lassen; die wurden nicht beteiligt.

Umso mehr verwundert dieser plötzlich Tatendrang, mit dem Sie hier zu Werke gehen und permanent entsprechende Anträge vorlegen. Die Landesregierung hingegen hat – obwohl wir erst kurz im Amt sind und nicht alle Probleme gleichzeitig lösen können – mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2018 die Besoldung der stellvertretenden Schulleitungen an Grund- und Hauptschulen verbessert.

Es ist ganz klar, dass man, wenn man eine Regierung übernimmt, nicht alle Probleme auf einmal in einem Jahr lösen kann. Dafür hat man fünf Jahre Zeit. Ich befürchte, auch in fünf Jahren wird man nicht alle Probleme lösen können, die man lösen möchte. Die Frage der Glaubwürdigkeit einer Regierung hängt davon ab, ob man es schafft, zu beweisen, dass man sich auf den Weg macht.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Die erste Maßnahme ist erledigt. Der Job ist getan. Das heißt noch lange nicht, dass damit alles getan ist – das hat auch niemand hier vorgetragen –, aber das Problem ist nicht nur bekannt, sondern es wird auch gesehen. Wir werden die notwendigen Schritte einleiten, um die besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Reform der Lehrerausbildung zu ziehen.

Allerdings machen wir das mit Sorgfalt, Schritt für Schritt, nicht hopplahopp; sonst scheitert das Unterfangen noch.

Wir werden uns daher die Zeit nehmen, die nötig ist, und sehen den Beratungen mit Freude entgegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Ott.

(Zuruf von der SPD: Minister Ott?)

– Minister Reul!

Nun hat sich noch einmal Herr Ott zu Wort gemeldet. Er hat auch das Wort, nämlich für 32 Sekunden. Weil die Regierung noch Zeit übrig gelassen hat, sind es insgesamt 35 Sekunden, mehr aber nicht.

Jochen Ott (SPD):  Erstens ein Hinweis: Das deutsche Beamtenrecht sieht nun einmal vor, dass gleich bezahlt wird, wer die gleiche Ausbildung hat. – Das geht in diese Richtung.

Zweitens. 2009 begann die neue Form der Ausbildung. Fünf Jahre Studium, dazu kommen zwei Jahre Referendariat, macht sieben Jahre. Damit sind wir im Jahr 2016.

Wir sind mit einer Verschuldung von 6 Milliarden Euro gestartet, die wir von Ihnen übernommen haben. Wir hatten also eine ganz andere Haushaltslage. Sie werden jetzt dafür gerügt, dass Sie verfassungswidrig Geld parken, um für das nächste Jahre Rücklagen zu bilden. Das heißt: Das Geld ist da.

Sie können den Lehrerinnen und Lehrern nicht mehr erklären, warum Sie die überfällige und nach deutschem Beamtenrecht notwendige Anpassung nicht vornehmen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Weitere Rednerinnen und Redner sind nicht angemeldet. Insofern kommen wir nun zum Abschluss der Beratung und zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/3812 an den Haushalts‑ und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Bildung.

Hat jemand etwas dagegen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Nein. Dann ist der Antrag einstimmig so überwiesen, wie es der Wille des Parlaments ist.

Ich rufe auf:

Digitalisierung im Bildungsprozess konstruktiv und bildungsfördernd gestalten – gegen den Missbrauch der schulischen Digitalisierung als „trojanisches Pferd“ für die Durchsetzung wirtschaftlicher und ideologischer Interessen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3802 – Neudruck

Warum das so sein soll, begründet nun Herr Seifen für die AfD-Fraktion. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Da das Mikrofon des Redners nicht funktioniert, sind seine Ausführungen akustisch nicht zu verstehen. – Zurufe – Zuruf von der SPD: Für uns ist es laut genug! – Heiterkeit)

– Ich weiß nicht, Herr Ott: Hatten Sie da die Finger im Spiel?

(Vereinzelt Heiterkeit)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Begriff „Digitalisierung“ ist heute in aller Munde; denn die Leistungsfähigkeit digitaler Systeme ist mittlerweile so gewaltig, dass mithilfe der superschnellen Datenverarbeitung viele auch hyperkomplexe Arbeits‑ und Informationsprozesse technisch gesteuert werden können und damit die Digitalisierung in alle beruflichen und privaten Lebensbereiche Einzug gehalten hat.

So beeilen sich vor allem Politiker, die ja immer an der Spitze des Fortschritts stehen – wollen –, in jeder Rede, die Wichtigkeit und Unausweichlichkeit von Digitalisierung zu betonen und wie sie das Land voranbringen wollen, wie sich alles verändert und vor allem – man kann das durchaus auch als Drohung empfinden –, wie sich für die Menschen alles ändert. Sie werden Ihre Welt nicht wiedererkennen, heißt es da; aber – so die Botschaft – wir sorgen für euch, liebe Bürger. Seid ohne Furcht!

An dieser Stelle setzt unser vorliegender Antrag ein. Er soll dazu beitragen, den tatsächlich unaufhaltsamen Digitalisierungsprozess mit der nötigen Reflexionstiefe und mit kritisch konstruktivem Geist menschenfreundlich zu gestalten.

Denn weiterhin werden Sie mir doch hoffentlich bei dem zustimmen, was bereits über den Stellenwert des wirtschaftlichen Handelns gesagt worden ist, in abgewandelter Form: Die Digitalisierung ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Digitalisierung.

(Beifall von der AfD)

Leider ist diese Selbstverständlichkeit in den politischen Führungsetagen dieses Landes kein Allgemeingut und vielleicht noch weniger in den Führungsetagen der Wirtschaftsunternehmen, die Lehr‑ und Lernmaterialien sowie digitale Endgeräte vertreiben.

Da werden manchmal auch Botschaften formuliert, die einmal mehr den Bürgern müheloses Leben verheißen. So räsonierte der Chef des Bundeskanzleramtes Professor Dr. Helge Braun neulich auf einem Bildungskongress, durch die Digitalisierung sei jetzt Bildung für alle verfügbar, was auch zur Demokratisierung führe. Das Maß an Wissen, das man über das Internet erfassen könne, kollidiere mit dem Zwang zu formalen Abschlüssen. Und: Die Bildungsinstitutionen brauche man eigentlich gar nicht mehr, höchstens noch zur Motivation. – Also quasi: Schulen abschaffen.

Man erkennt an diesen Äußerungen, dass es dringend notwendig ist, sich über das Verhältnis zwischen Digitalisierung und Bildung Klarheit zu verschaffen. Das Internet oder irgendeine Lernsoftware stellen eben keine Bildung zur Verfügung, sondern lediglich Informationen. Der oft erwähnte Hacker, der in die hochgesicherten Computersysteme von Ministerien und Firmen eindringt, ist nicht deshalb schon als gebildet zu bezeichnen.

Bildung ist etwas ganz anderes: Gebildet ist eine Person, welche sich durch die Aufnahme von Informationen Wissen aneignet und in einer intensiven kommunikativen Auseinandersetzung mit diesem Wissen verstehen lernt: sich, seine Mitmenschen und seine Umwelt.

(Beifall von der AfD)

Aus diesem Verstehen bildet sich der Gebildete ein Sinngefüge von der Welt. In diesem Sinngefüge begründet liegt erst sein Urteilsvermögen, seine Reflexionstiefe, und sie ermöglicht ihm eine kritische Distanz zu sich selbst und zu seiner Umwelt.

(Beifall von der AfD)

Der Verstehensprozess aber ist ein analog ablaufender Prozess, in dem sich an Synapsen, Neuronen, ja sogar an den kortikalen Karten im Gehirn plastische Veränderungsprozesse vollziehen. Das Gehirn formt sich also mit jedem tiefgreifenden Lernen um – anders eben als die Speicher eines Computers.

Ein großer Irrtum liegt vor, wenn man meint, man entlaste ein Gehirn, indem man es vor allzu viel Wissen bewahrt; man hat ja Wikipedia oder die Cloud. Das ist ein großer Irrtum.

Ja, die Festplatte muss ich leerräumen, damit sie wieder Informationen speichern kann. Beim Gehirn ist es genau umgekehrt: Je mehr Wissen das Gehirn gespeichert und verarbeitet hat, desto mehr Wissen kann aufgenommen und im Verstehensprozess eingefügt werden: Wer drei Sprachen kann, lernt eine vierte leichter.

(Beifall von der AfD)

Oder wie es Goethe in Bezug auf das Reisen feststellt: Man sieht nur das, was man weiß. Je weniger man weiß, desto weniger versteht man.

Deshalb ersetzen die Möglichkeiten digitaler Endgeräte weder die Aufnahme fundierten Wissens noch die Anwesenheit der Lehrkraft, welche den Verstehensprozess anleiten, befördern und vor allen Dingen zu einem tiefgründigen Ziel führen muss.

Das können Schülerinnen und Schüler nicht alleine und auch nicht mit einer Lernsoftware. Die von Spitzer zusammengetragenen Studien zeigen das überdeutlich. Wir sollten nicht in die Fehler hineingeraten, die in anderen Ländern gemacht worden sind und die man dort korrigiert.

Vor diesem Hintergrund sollten Investitionen in den Schulen des Landes mit Augenmaß getätigt werden. Laptop, Beamer und Dokumentenkamera erfüllen bereits heute ihren Zweck. In der Bildung kann es nicht um Automation gehen; da geht es vielmehr um kommunikative Prozesse denkender Menschen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Nun hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Rock das Wort.

Frank Rock (CDU): Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Allgemeinen sagt man Politikerinnen und Politikern bei Reden und Vorträgen nach, dass sie tendenziell zu Überlängen neigen. Das ist auch in meiner Wahrnehmung so. Namhafte Sprachwissenschaftler haben bereits festgestellt, dass die Länge einer Rede immer abhängig sein muss von der Komplexität der Botschaften, die gesendet werden sollen. Bei uns im Rheinland sagt man: In der Kürze liegt die Würze!

Dies scheint leider für den vorliegenden Antrag der AfD nicht zu gelten. Ich kann Ihnen aber trotzdem versichern, dass ich mich so kurz wie möglich und so lange wie nötig mit Ihrem Antrag beschäftigen werde.

Kommen wir also zum vorliegenden Antrag. Ich habe mich bemüht, die Botschaft zu verstehen, habe mich dabei aber sehr schwergetan. Erstens habe nicht erkannt, was die griechische Sage von Troja mit den zukunftsgerichteten digitalen und notwendigen Veränderungen an unseren Schulen zu tun hat und zweitens weiß ich nicht, wie ich die anfängliche Digital-Schelte – neudeutsch „Bashing“ – in Ihrem Antrag mit Ihren Feststellungen und Forderungen am Ende Ihres Antrags zu verstehen habe.

Der Vortrag von Herrn Seifen hat Selbiges gerade wieder gezeigt. Sind Sie jetzt gegen oder für eine sinnvolle Entwicklung des Unterrichts mit digitalen Medien? Vielleicht werden wir dies im Laufe der Antragsdiskussion dann im Ausschuss herausfinden. Einer Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu.

Sehr geehrter Herr Seifen, ich möchte kurz noch zum Inhalt Stellung beziehen. Herr Seifen, unumstritten ist, dass die digitale Ausstattung der Schulen kein Heilsmittel für bessere Bildung ist. In Ihrem Vortrag eben haben Sie aufgezeigt, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse über den Lernprozess gibt. Aber Sie werden wohl nicht verleugnen, dass wir ohne digitale Ausstattung in unseren Schulen nicht ganz up to date sind. Dass die Digitalisierung ein Heilsmittel für bessere Bildung ist, behauptet auch niemand.

(Ina Spanier-Oppermann [SPD]: Richtig!)

Ich weiß gar nicht, woher Sie das nehmen. Es behauptet niemand in der Landesregierung, auch nicht in der NRW-Koalition, dass das ein Heilsmittel für bessere Bildung wäre. Sie ist eine Notwendigkeit für unsere Schülerinnen und Schüler, die Herausforderungen der Zukunft annehmen zu können. Damit können wir sie darauf vorbereiten.

Ich möchte Ihnen nur zwei Beispiele aus dem Bereich der Schulen nennen, die Ihnen das verdeutlichen sollen:

Wie könnten wir unsere Berufsschülerinnen und Berufsschüler in allen technischen Bereichen zukunftsfähig machen und ausbilden, wenn wir den Bereich der CAD-Technik, also rechnerunterstütztes Konstruieren, nicht lehren würden?

(Helmut Seifen [AfD]: Selbstverständlich!)

Ich muss Ihnen als ehemaligem Lehrer nicht erklären, dass eine curriculare Lernspirale den Schülerinnen und Schülern mit Vorerfahrung das Lernen und Verstehen besser ermöglicht. Jeder weiß auch, dass der Einsatz von interaktiven Tafeln im Schulunterricht keine digitale Bildung ist, sondern nur die Möglichkeit des Einsatzes von neuen und modernen Medien im Unterricht, was wir dringend benötigen, um die Herausforderungen der veränderten Welt anzunehmen. Zu Hause Tablets und bei Ihnen in der Schule Kreide – so geht das nicht! In der „Westfalenpost“ wurde heute noch geschrieben: 95 % der der Bürgerinnen und Bürger sind der Meinung, dass die Schule in diesem Bereich einen Auftrag hat.

Leider vermischen viele in der Diskussion über die Digitalisierung in unseren Schulen zwei Dinge. Es ist nicht ganz einfach zu verstehen, aber sie sind eigentlich klar voneinander zu trennen: erstens digitale Ausstattung für unsere Schulen und zweitens digitale Bildung im Sinne eines Denkprozesses in den Köpfen unserer Kinder. Solange wir diese beiden Aspekte miteinander vermischen, wird es dem Zuhörer und dem Beteiligten immer schwerfallen, sachlich mit diesem Thema umzugehen. Man neigt in Deutschland zurzeit ja sehr zur Entfachlichung und zur Entsachlichung.

Sie haben viele Wissenschaftler zitiert, und Sie wissen auch, wie unterschiedlich Wissenschaftler solche Dinge sehen. Beide Seiten in der Wissenschaft haben Argumente, warum das Ganze richtig oder falsch ist. Ich muss feststellen: In den 36 Absätzen Ihres Antrags haben Sie sich intensiv mit der Sache auseinandergesetzt – aber eine intensive Auseinandersetzung spricht noch nicht von hoher Qualität.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe unsere Aufgabe darin, erstens die sachliche Ausstattung deutlich zu verbessern und in enger Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Verwendung im schulischen Kontext zu schaffen und zweitens unsere Kolleginnen und Kollegen bei den neuen Herausforderungen über Fort- und Weiterbildungen mitzunehmen und keine Ängste zu schüren wegen angeblicher wirtschaftlicher und ideologischer Interessen.

Ich spüre auch keine Digitalisierungseuphorie; vielmehr ist das vonseiten unserer Landesregierung, von unserer Ministerin, ein geplantes, didaktisch aufbereitetes Vorgehen in den Veränderungsprozessen in und an unseren Schulen. Der Medienkompetenzrahmen ist ein vorbildlicher Rahmen – keine Bibel, kein Gesetz, sondern ein Rahmen für all das, womit wir umgehen müssen.

Ich habe auch keine Angst davor, dass Roboter oder Computer die Lehrer ersetzen. Emotionalität und soziale Komponenten werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. In Ihrem Antrag sind viele Annahmen enthalten, aber sie sind oft aus der Luft gegriffen.

Einen Satz möchte ich noch zitieren, für den wir uneingeschränkt stehen.

„Der Landtag stellt fest: 1. Für Deutschland als Hochtechnologieland ist erstklassige Bildung die wichtigste Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wohlstand des Landes und den internationalen wirtschaftlichen Erfolg.“

Dieses Ziel verfolgen wir ununterbrochen seit Mai 2017. Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen im Ausschuss und hoffe darauf, Ihre Vielfältigkeit im Antrag dann besser zu verstehen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rock. Bleiben Sie bitte stehen. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von der AfD-Fraktion. Herr Seifen hat das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Recht herzlichen Dank, Herr Rock. Dann können Sie unserem Antrag ja fast schon zustimmen. Aber vorher ist ja noch die Beratung im Ausschuss.

Sie haben gesagt, dass die Landesregierung nicht vorhat, eine Digitalisierung à la Bertelsmann zu vollziehen. Das kann sein. Aber bedenken Sie, dass die FDP 2016 einen Antrag eingereicht hat, der zumindest ansatzweise vermuten lässt, dass das nicht ganz ausgeschlossen wird. Wenn da von „digitalen Analphabeten“ die Rede ist, „konstatiert Bildungsbenachteiligungen etwa für Jugendliche aus sozial schwierigeren Lagen“ oder dass es an Lehr- und Lernmaterial digitaler Art fehlt, dann ist eine solche Befürchtung zumindest gegeben.

Wenn man dann noch die Beispiele aus dem Ausland nimmt, etwa Australien oder Island, wo gerade eine Reisegruppe war, dann ist zumindest zu befürchten, dass hier möglicherweise im Überschwang der Euphorie Lernen eben doch verändert und sozusagen zu isoliertem Lernen wird.

Die Wissenschaftler, die wir zitiert haben, erzählen das ja nicht einfach nur so vom Himmel herab, sondern es gibt Anzeichen dafür, dass so ein Trend besteht. Wenn Sie dann – persönlich oder Ihre CDU-Fraktion – unserer Meinung sind, begrüßen wir das natürlich in besonderer Weise. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Seifen. – Herr Rock, Sie haben 1:30 Minuten für eine Antwort. Bitte schön.

Frank Rock (CDU): Herr Seifen, wir werden und sind in vielen Bereichen nicht Ihrer Meinung. Es wird auch in dem Bereich nicht so sein, wie Sie es darstellen. Ich glaube, da unterscheiden wir uns noch sehr, sehr deutlich. Das ist auch gut so. Wir werden den Bürgerinnen und Bürgern immer klarmachen, wo der Unterschied zwischen Ihren Annahmen und Ideen und unseren sind.

Um noch mal auf die inhaltlichen Dinge einzugehen: Herr Seifen, hier geht es nicht darum, Ängste zu schüren. Als Schulleiter wissen Sie doch genau, dass man von Verlagen und von anderen natürlich Anleitungen bekommt. Aber Sie wissen genauso, dass jeder Schulleiter in der Lage ist, Dinge zu steuern und mitzunehmen.

Wir sind nicht Apple oder sonstigen Großunternehmen unterlegen. Wir sehen sehr genau hin, was wir machen. Ich glaube, Sie haben unsere Arbeit in den letzten 17 Monaten kennengelernt und wissen, dass es hier nicht um „Digitalisierung über alles“ geht, sondern um einen Prozess, den wir gemeinsam begleiten wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rock. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Spanier-Oppermann.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz zu Beginn einmal auf die Art dieses eingereichten Antrags eingehen; denn er wirkt wie eine Aneinanderreihung von Gedanken und Auffassungen zum Thema „Digitalisierung in der Bildung“.

Die hohe Anzahl der Quellenangaben – 36 Stück an der Zahl – lässt zumindest die Vermutung zu, dass der Antragsteller keine eigene politische Argumentation zu diesem Thema formulieren möchte.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist ja unglaublich!)

Am Ende steht der Leser dieses Antrags etwas ratlos da, ist doch keine eigentliche Auseinandersetzung mit der digitalen Realität erkennbar. In der Diskussion im Ausschuss können Sie uns ja dann mal Fragen beantworten wie: Gibt es nun die digitale Bildung?

(Helmut Seifen [AfD]: Nein!)

Muss Digitalisierung als Thema der Bildung stärker gewichtet werden oder weniger stark? Was ist Digitalisierung in der Schule für Sie? – Die Antworten auf diese Fragen werden wir dann sicherlich noch erläutert bekommen.

Unsere Bildung ist unser Kraftwerk, das unser Land mit Energie versorgt. Durch Bildung sind wir zu dem geworden, was wir heute sind. Unser Land hat sich oft gewandelt. Es hat sich wandeln müssen und mit ihm auch die Bildungslandschaft.

Die Digitalisierung – wir haben es gerade auch von meinem Kollegen gehört – verläuft in einem Tempo, bei dem wir kaum nachkommen können. Deswegen müssen wir, wenn wir uns als Rahmen- und Konzeptgeber verstehen, fortschrittlich und auch ein Stück mutig in der Bildung vorangehen. Das bedeutet nicht, dass digitale Bildung nicht existiert, wie wir in Ihren Quellenangaben nachlesen können, sondern wir haben die Verantwortung, unsere Kinder und Jugendlichen auf ein selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt vorzubereiten. Dafür müssen wir hier den Weg frei machen. Neben der technischen Infrastruktur gehören dazu auch die Lehr- und Lerninhalte.

Ich möchte jetzt auf etwas eingehen, was in dem Antrag doch relativ unerwähnt bleibt, nämlich die große Leistung der Schulen und der Lehrerinnen und Lehrer bei diesem Thema.

Während wir uns noch über Begrifflichkeiten streiten, haben sich viele Schulen im Bereich der Digitalisierung längst auf den Weg gemacht. Leider ist das doch hoch engagierte Lehrpersonal zu häufig auf veraltete Technik und Anleitungen oder auf das Wohlwollen von Fördervereinen, Spendern und ehrenamtlichen Fachleuten angewiesen.

Wir bilden in unserem Land jedes Jahr hervorragende Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen aus. Es ist also unsere Pflicht, das Personal an den Schulen mit Materialien auszustatten, die dem aktuellen Stand der Entwicklung und der Technik entsprechen, und sie für dessen Gebrauch fortzubilden.

Wer eine gute Qualität in den Schulen will – eben nicht nur Kreide, Schulbücher und saubere Klassenräume, sondern auch Whiteboards, Rechner, Netzwerke und das Wissen, wie damit umgegangen werden kann –, der muss viel Geld in die Hand nehmen. Bildung gibt es nicht zum Nulltarif oder, um es in der Sprache der Jugendlichen zu sagen: Zukunft gibt es nicht für lau.

Sie zitieren in Ihrem Antrag Professor Lankau und stellen fest, dass es keine digitale Bildung gibt, wie er äußert. Des Weiteren äußern Sie die Befürchtung der Automatisierung des Lernens sowie, dass das Lehrpersonal durch Maschinen ersetzt wird, und möchten nach dem Vorbild anderer Staaten digitale Geräte aus der Schule verbannen. Dies festzustellen und zu fordern, ist Ihr gutes Recht; unserem Bild einer modernen Schule entspricht das aber nicht.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen: Niemand will durch die Nutzung digitaler Medien, das Schreiben, Lesen oder Rechnen außer Kraft setzen. Es geht um Medienkompetenz und den reflektierten Umgang mit der digitalen Welt.

Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Spanier-Oppermann. – Nun spricht Frau Müller-Rech für die FDP-Fraktion.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann meinem Kollegen Frank Rock nur aus vollem Herzen zustimmen. Der Aufsatz der AfD ist wortgewaltig, es wird jedoch nicht klar, was Sie hier eigentlich beantragen wollen.

Ich persönlich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Sie die Digitalisierung an Schulen als Bedrohung sehen. Beim Thema „Digitalisierung“ haben wir Freie Demokraten eine völlig andere Haltung als die AfD-Fraktion. Die werde ich Ihnen heute gerne noch einmal vorstellen:

Erstens. Ihre Sorge, dass die Digitalisierung zu automatisiertem Lernen führe und analoges Lernen und Kommunikation ablösen könnte, teilen wir überhaupt nicht. Niemand hat das vor. Sie schreiben, dass sich in Deutschland – ich zitiere – „eine unreflektierte Digitalisierungseuphorie im Bildungsbereich“ verbreite. Das Gegenteil ist doch der Fall. Es ist mitnichten so, dass wir jetzt jede Klasse mit iPads ausstatten und sagen: Seht zu, wir ihr klarkommt; ab morgen ist hier Digitalisierung.

Die NRW-Koalition hat immer betont, dass für eine gelingende Digitalisierung die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer Kommunikation und ihrer Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern den Schlüssel zum Erfolg in der Hand halten. Das finde ich sehr reflektiert.

Unreflektierte Euphorie haben wir hier eher von Ihnen gesehen, zum Beispiel als Sie G9 ein Jahr früher einführen wollten. Wir arbeiten sorgfältig und strukturiert an diesem Thema und werden schrittweise die digitale Schule schaffen.

Wie Sie wissen, wurde auch schon der Medienkompetenzrahmen auf den Weg gebracht. Zudem erarbeiten Schulen ihre eigenen pädagogischen Konzepte, um einer unüberlegten Einführung vorzubeugen. Dabei erhalten sie Unterstützung durch die örtlichen Medienberaterinnen und Medienberater. Außerdem arbeiten wir weiterhin an der Lehreraus- und ‑fortbildung, einer Anpassung der Lehrpläne und dem Ausbau der Infrastruktur.

Zweitens. Im Schulausschuss äußern Sie immer wieder Ihre Bedenken, Herr Seifen, dass durch die Einführung digitaler Medien im Unterricht der analoge und gemeinsame Denkprozess verloren gehe. Auch in Ihrem Antrag weisen Sie mehrfach darauf hin. So sprechen Sie von medialer Informationsaufbereitung, die „zu 100 % Frontalunterricht und Instruktion per Algorithmus“ führe. Das kann man sich nicht ausdenken.

Ihre Bedenken sind gänzlich unbegründet. Es ist nicht unser Ziel, Information und Lehrinhalte einfach nur medial aufzuarbeiten. Darum geht es überhaupt nicht bei der Digitalisierung von Schule. Wir wollen eine mediale Bildung, die Schülerinnen und Schülern den Denkprozess eben nicht abnimmt, sondern diesen unterstützt. Die Analyse der Daten und Kontextualisierung liegt doch immer bei den Schülerinnen und Schülern selbst.

Zu Frontalunterricht führt das Ganze erst recht nicht. Digitale Medien können wunderbar dafür genutzt werden, um die von Ihnen doch so oft kritisierten Gruppenarbeiten zu fördern und zu stärken.

Das alles, Herr Seifen, sehen Sie heute schon in der Praxis. Wenn Sie durch das Land reisen und Schulen besuchen, können Sie sich anschauen, wie engagierte Lehrerinnen und Lehrer Digitalisierung schon jetzt mit Erfolg in ihren Unterricht einbauen und was das in den Schülerinnen und Schülern auslöst.

Drittens. Sie stützen Ihren Ansatz auf Daten, die mitunter acht Jahre alt sind. Der technische Fortschritt geht rasend schnell voran, sodass auch die Aussagekraft von Forschungsergebnissen zeitlich viel schneller abläuft, als es in anderen Wissenschaftsfeldern der Fall sein mag. Daher überzeugt es niemanden im Land, wenn Sie unter Bezugnahme auf so alte Daten behaupten, digitale Medien brächten keinen nennenswerten Mehrwert.

Ich möchte einmal die aktuellen Zahlen aufs Tapet bringen. Schauen Sie in die aktuelle Studie „Bildungsmonitor 2018“ des Instituts der deutschen Wirtschaft. Ich nenne ein Beispiel – den Rest erörtern wir bestimmt im Ausschuss –: Fast zwei Drittel der Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad geben darin an, dass das IT-Fachwissen und die Softwareprogrammierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bedeutung gewinnen werden. Bei Onlinekompetenzen sind es sogar 75 %.

Meine Damen und Herren, ich fasse noch einmal zusammen: Mir ist, genauso wie meinen Vorrednern, nicht klar, was Sie wollen. Das ganze Dokument inklusive der Abschnitte II. und III. ist so verschwurbelt, dass Sie uns zu einer Mutmaßung über das politische Ziel dieses sogenannten Antrags zwingen. Wenn Sie einfach nur auf die Digitalisierungsbremse treten wollen – so ist meine Mutmaßung –, dann machen wir das nicht mit.

Was uns aber heute erneut klar geworden ist: Sie lassen uns unbeeindruckt zurück. Wir haben eine völlig andere Haltung, was Zukunftsfragen angeht. Wir begegnen Veränderungen mit Neugier und Zuversicht. Wir sehen nicht nur Risiken, sondern vor allem die Chancen. Wir wollen Digitalisierung gestalten und nicht bewältigen. Wir haben „German Mut“ statt „German Angst“. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Rech. – Für die Fraktion der Grünen erteile ich nun der Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! „Verstehen – Vernetzen – Verantworten“, das ist ein sehr lesenswerter Beitrag, den Thomas Knaus verfasst hat. Es geht um digitale Welt und Schule. Darin geht es auch um Medienbildung und informatische Bildung.

Digitale Medien und Werkzeuge – da folge ich ihm sehr – sind inzwischen in sämtlichen Sozialisationsinstanzen allgegenwärtig und entwickeln sich aufgrund ihrer neuen sozialen Bedeutung zunehmend vom Interface zum kommunizierenden Gegenüber mit allen vielfältigen Folgen, Chancen und Risiken.

Digitale Medien sollten deshalb sowohl als Mittel als auch als Gegenstand einer zentralen Befassung Platz im schulischen Unterricht einnehmen. Medienbildung zielt immer auf die Bildung des Subjekts. Die gesellschaftliche Teilhabe setzt künftig gebildete, kritisch denkende Persönlichkeiten voraus.

Es gilt zu verstehen, was hinter den digitalen Medien und in den Werkzeugen steckt. Es geht um soziale Realitäten, ob digital oder analog. Die sind aktiver und individueller gestaltbar denn je. In dieser Gestaltbarkeit steckt gleichermaßen ein zu nutzendes Potenzial wie eine zu erbringende Pflicht, entsprechend zu gestalten, und vor allen Dingen die Verantwortung, damit umzugehen, zu durchschauen, zu verstehen, zu kritisieren, abzuwehren. Das ist gesellschaftliche und individuelle Verantwortung. Deswegen müssen Medienerziehung und informatische Bildung idealerweise gemeinsam weitergedacht werden.

Ich empfehle für belebende Diskurse in diesem Bereich Autoren wie Thomas Knaus oder auch Jöran Muuß-Merholz. All das gehört zum Bestandteil eines Bildungsverständnisses und einer gebildeten Persönlichkeit. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Um „Digital first. Bedenken second“ – das hat Frau Müller-Rech eben abgeräumt – geht es hier überhaupt nicht. Digitalisierung ist kein Selbstzweck.

– Das zum inhaltlichen Teil.

Jetzt möchte ich zu den anderen Komponenten kommen, die in diesem Antrags-Œuvre verarbeitet wurden.

Ich sage sehr deutlich, dass sich hier ein Schul- bzw. Unterrichtsverständnis widerspiegelt, das dem der ständischen Gesellschaft entspricht.

(Helmut Seifen [AfD]: Ach du meine Güte!)

Wir haben uns hier mit G9 befasst, aber das ist G10-Unterricht, wie ihn uns Herr Seifen immer vorstellt. G10-Unterricht heißt in diesem Zusammenhang: Alle Gleichaltrigen haben zum gleichen Zeitpunkt, im gleichen Fach, beim gleichen Lehrer, im gleichen Raum, mit den gleichen Mitteln, die gleichen Dinge zu tun und zu den gleichen Fragen in der gleichen Zeit die gleichen Antworten zu geben.

Digitalisierung und digitale Medien im Unterricht können das aufbrechen – individuelle Förderung sieht nämlich anders aus.

(Helmut Seifen [AfD]: Das Gegenteil ist der Fall, es geht ums Verstehen! – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Außerdem finde ich es ausgesprochen spannend, dass sich gerade die AfD über neoliberale Tendenzen beklagt. Wer will denn die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen? Wer spricht vom Rentensozialismus? Das ist ein Herr Meuthen. Also bitte, lassen Sie sich nicht über Neoliberalismus aus; schauen Sie doch mal in Ihr Programm.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich gehe noch einmal darauf ein, wie im Augenblick Digitales von der AfD im Bildungsbereich eingesetzt wird. Mir fällt da die Lehrerplattform in Hamburg ein, bei der es um das Denunzieren von Kolleginnen und Kollegen geht, die ihrer demokratischen Pflicht nachkommen.

(Ina Spanier-Oppermann [SPD]: Sehr gut!)

Denn Lehrer und Lehrerinnen sind nicht neutral, sondern sie sind dem Grundgesetz und der Demokratie, den Menschenrechten und der Verfassung verpflichtet. Deswegen haben sie sich grundrechtsklar gegenüber Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und diskriminierenden Positionen zu verhalten. Wir wissen seit gestern, dass das auch in Sachsen der Fall sein wird.

Ich möchte von der AfD wissen, wann wir hier mit der digitalen Plattform zu rechnen haben, auf der Kolleginnen und Kollegen denunziert werden sollen.

(Ina Spanier-Oppermann [SPD]: Sehr gut!)

Das ist Ihre Antwort bezüglich der Digitalisierung.

(Zuruf von Christian Loose [AfD] – Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und genau das ist der Punkt. Im Augenblick arbeiten Sie damit, Kolleginnen mit Dienstaufsichtsbeschwerden zu überziehen, die sich in Kommunalparlamenten oder parteipolitisch nicht in Ihrem Sinne betätigen. – Das ist AfD. Das ist Bildung in Ihrem Sinne.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

In diesem Zusammenhang einen Bildungsantrag zu stellen, halte ich für kaum noch vermittelbar.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE] und Ina Spanier-Oppermann [SPD])

Wir können dem in keinem Fall folgen. Ich danke den anderen Kolleginnen und Kollegen für die Beiträge. So werden wir weiter verfahren.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck, aber wir werden alle Chancen und Risiken abwägen, und wir werden die Schulen bei der Umsetzung unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin Beer, es gibt eine Kurzintervention. – Bitte, Herr Kollege Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Beer, es sind doch gerade die Grünen, die beispielsweise über die Qualitätsanalyse, wie wir sie jetzt noch haben, in die Unterrichtsprozesse an den Schulen kontrollierend eingreifen, indem sie einfach Vorgaben machen, die die Qualitätsprüfer abfragen.

Außerdem: Vielleicht kennen Sie von ver.di die „Checkliste zum Erkennen möglicher Folgen eines Vorgehens: Ein gezieltes Vorgehen gegen Rechts­populisten, AfDler und Rechtsextremisten in Betrieb und Verwaltung kann Folgen haben ...“ Und dann die Kategorien „Situation“ und „Wie schätzen wir das Umfeld ein?“ – Das sind hier die neuen Inquisitoren, die unterwegs sind.

(Zuruf von der SPD: Das müssen Sie gerade sagen!)

Die Gewerkschaft ver.di, Ihre Freunde in ganz besonderer Weise. So etwas vertreten die Leute, die mit Ihnen Hand in Hand über die Straße gehen und gegen Demokraten hetzen. Deswegen sollten Sie hier ganz ruhig und schweigsam sein und die Dinge, die Sie gerade erwähnt haben, hier nicht erwähnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Sigrid Beer (GRÜNE): Wer gemeinsam mit Rechtsextremisten, mit Gewalttätern in Chemnitz auf die Straße geht,

(Helmut Seifen [AfD]: Das machen Sie doch im Hambacher Forst!)

wer dort mit Neonazis gemeinsam auf die Straße geht – auch Kollegen hier aus dem Landtag, was ich wirklich empörend finde –,

(Lachen von Christian Loose [AfD])

das sind diejenigen, die gegen diesen Rechtsstaat, gegen die Demokratie antreten.

(Markus Wagner [AfD]: Sie fantasieren, Sie träumen schlecht!)

Und alle zusammen – wir sind auf Kolleginnen und Kollegen angewiesen – werden wir Fragen der Demokratie, der Verfassung auch im Unterricht mit thematisieren können.

(Christian Loose [AfD]: Sie sollten Ihre Medikamente nehmen, Frau Beer!)

Sie wollen Bespitzelung und Denunzierungen

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD]: Sie sind die Jakobiner des 20. Jahrhunderts!)

von Kolleginnen und Kollegen. Das finde ich ganz interessant. Und ich bin gespannt, ob wir diesen Akt und diese Steigerung jetzt auch von Ihnen hier erleben. Wir werden das engagiert bekämpfen

(Helmut Seifen [AfD]: Welche Steigerung?)

mit den Verbänden zusammen. Und das ist ganz klar,

(Helmut Seifen [AfD]: Genau! Mit Bespitzelung!)

das lassen wir in diesem Rahmen nicht zu; in diesem Parlament nicht

(Widerspruch von der AfD)

und auch nicht in der Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Stasi-Methoden! Ja, da fühlen Sie sich wohl, ich weiß!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Beer. – Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin Gebauer das Wort.

(Helmut Seifen [AfD]: Kontrolletti!)

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für ein Hochtechnologieland, wie Deutschland es ist, ist erstklassige Bildung die wichtigste Voraussetzung für den gesellschaftlichen Erfolg.

Um unseren Schülerinnen und Schüler beste Bildung zu ermöglichen, arbeiten wir Schritt für Schritt an diesem wichtigen Ziel. Im Rahmen unserer Digitalisierungsstrategien sollen dabei die Vermittlung von Medienkompetenz, die Qualifizierung der Lehrkräfte und die Ausstattung unserer Schulen an oberster Stelle stehen.

Vermeintliche Defizite, die der Antrag beschreibt, werden bereits berücksichtigt.

(Helmut Seifen [AfD]: Umso besser!)

Das möchte ich Ihnen gern an einigen Beispielen verdeutlichen. Selbstverständlich gehen wir in Kenntnis der aktuellen Forschungslage zur Wirksamkeit und zu den Chancen des digitalen Lernens und des Lernens mit digitalen Medien vor. Nicht umsonst haben wir uns zum Beispiel bei der Entwicklung des Medienkompetenzrahmens – der Ihnen bekannt sein dürfte – sowie des Lehrerkompetenzrahmens wissenschaftliche Expertise eingeholt.

Ich möchte Sie auffordern, sich in diesem Zusammenhang mit Frau Professor Dr. Eickelmann unterhalten, die uns hier wissenschaftlich zur Seite steht.

Uns ist sehr bewusst, welche Herausforderung die Digitalisierung für unsere Schulen bedeutet. Selbstverständlich lassen wir unsere Schulen mit dieser Aufgabe nicht allein, sondern bieten entsprechend umfassende Fortbildungsmaßnahmen und weitere Unterstützungsmaßnahmen an.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Und ja, die schulische Digitalisierung erfordert mehr, als digitale Medien zum Einsatz zu bringen. Es wurde schon gesagt, dass digitale Technik kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel zum Zweck. Und so bieten beispielsweise digitale Schulbücher die Möglichkeit, eine Lernkultur der individuellen Förderung zu verstärken. Lehrbücher wie das mBook und das BioBook sind hervorragende Beispiele, um sich davon zu überzeugen.

Diese individuelle Förderung kommt auch der Kompetenzerweiterung der Kinder und der Fachlichkeit zugute und erhöht – auch das ist untersucht – die Motivation der Lernenden. Der Einsatz dieser digitalen Schulbücher wird selbstverständlich nicht analoge Lernmittel ersetzen. Vielmehr setzen wir auf eine Kombination von analogen und digitalen Lernmitteln.

Auch das möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, obwohl es, glaube ich, für fast alle Anwesenden eine Selbstverständlichkeit ist: Der Gebrauch digitaler Schulbücher kann, soll und wird keinesfalls den Denkprozess der Lerngruppen einschließlich der Lehrkraft ersetzen.

Letzter Punkt: Genau wie bei anderen curricularen Vorgaben gilt selbstverständlich auch für das Lernen und das Lehren mit digitalen Medien die pädagogische Freiheit unserer Lehrkräfte.

Somit kann ich aus Ihrem Antrag kein einziges neues Handlungsfeld für die Landesregierung ableiten. – Vielen lieben Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3802 – Neudruck – an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisung? – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und der fraktionslose Kollege. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung des Antrags einstimmig so beschlossen.

Damit rufe ich auf:

5  Sie sind in Nordrhein-Westfalen willkommen! – Berufsanerkennungsverfahren verbessern und im Sinne der antragstellenden Menschen weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/3805

Ich eröffne die Aussprache. – Für die CDU hat Herr Kollege Schmitz das Wort. Bitte schön.

Marco Schmitz (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen folgende Situation: Man hat jahrelang Zeit und Energie in das Erlernen eines Berufs oder eines Studienschwerpunktes investiert und beendet die Ausbildung oder das Studium. Nun möchte man das erlernte Wissen natürlich anwenden.

Ähnlich verhält es sich mit den bereits erworbenen beruflichen Erfahrungen. Wir wollen da weitermachen, wo wir aufgehört haben, und uns gegebenenfalls weiterentwickeln.

Eine noch bedeutendere Rolle kann die Anerkennung dieser Qualifikationen in einem fremden Land oder sogar in einem neuen Heimatland spielen. Denn sie bringt weitere Vorteile mit sich wie die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die damit oft verbundene Integration in die Gesellschaft.

2017 stellten in Nordrhein-Westfalen 7.197 Menschen einen Antrag auf Anerkennung ihrer Abschlüsse. Der überwiegende Teil dieser Anträge kam aus dem medizinischen Bereich. Oft durchlaufen die antragstellenden Menschen jedoch Verfahren, die vor allem im medizinischen Bereich von einer sehr langwierigen Natur und einer unterschiedlichen Handhabung geprägt sind. Im Hinblick auf die Anerkennung beruflicher Qualifikationen aus dem Ausland gilt es deshalb, effektive und aufeinander abgestimmte Verfahren zu entwickeln.

Vor allem im Zuge des demografischen Wandels und der Herausforderung, eine sichere Fachkräftebasis zu schaffen, hat sich die NRW-Koalition daher das Ziel gesetzt, das jetzige Berufsanerkennungsverfahren zu optimieren.

Schon heute hat sich der Fachkräftemangel zu einem Risiko für unser Land Nordrhein-Westfalen entwickelt. Dabei kommen viele Menschen zu uns, die durch ihren in ihren Heimatländern oder im Ausland erworbenen Abschluss die Möglichkeit hätten, auf dem Arbeitsmarkt mitzuwirken. Unter anderem deshalb gilt es, die Potenziale dieser Menschen, die eine Beschäftigung infolge ihres Aufenthaltsstatus ausüben dürfen und über die notwendigen Qualifikationen verfügen, zu nutzen.

Bereits heute leisten ausländische Fachkräfte einen wertvollen Beitrag für unsere Wirtschaft. So können wir auch ein Zeichen für eine offene Willkommenskultur setzen.

Wir stehen also vor einer Win-win-Situation. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen qualifizierter Menschen führt einerseits zur ihrer Teilhabe an unserem Arbeitsmarkt, und andererseits können wir so dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Mit den passgenauen Konzepten haben wir die Möglichkeit, positive Akzente in Gesellschaft und Wirtschaft zu setzen. Mit dem Fokus auf Qualität und Qualifikation müssen wir nun unsere Verfahren weiterentwickeln. Denn über vieles lässt sich streiten, über unseren Qualitätsanspruch aber nicht.

(Beifall von der CDU und Stefan Lenzen [FDP])

Unser Fokus liegt auf Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung. Denn nur qualifizierte Fachkräfte lassen sich langfristig in unseren Arbeitsmarkt integrieren. Konkret muss es nun unser Ziel sein, die Anerkennungsprozesse so weiterzuentwickeln, dass wir in Zukunft einheitliche, besser aufeinander abgestimmte und qualitätsgesicherte Verfahren anbieten.

Auch müssen wir Menschen, deren Abschlüsse nicht 100%ig anerkannt werden können, eine Integrationsmöglichkeit bieten. Das Land muss Angebote zur Verfügung stellen, sodass mit qualitätssichernden Methoden und einheitlichen Konzepten eine Nachqualifizierung absolviert werden kann. Nur so sichern wir uns auf der einen Seite die notwendige Qualität und bieten wir auf der anderen Seite durchdachte und passgenaue Angebote an.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie merken es bereits: Qualität ist für die NRW-Koalition das A und O bei Berufsanerkennungsverfahren. Deshalb gilt es, bestehende Abläufe zur Prüfung der im Ausland erworbenen Abschlüsse so zu erweitern, dass unter anderem Betrug oder Dokumentenfälschung vorgebeugt werden kann. Ich möchte es ganz klar sagen: Wer versucht, mit gefälschten Zeugnissen oder Dokumenten die Anerkennung in NRW zu erhalten, muss dauerhaft für dieses Verfahren gesperrt werden.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

So darf es auch nicht mehr vorkommen, dass Menschen in mehreren Bundesländern Anträge stellen und so nach einer Ablehnung versuchen, in einem anderen Bundesland die Anerkennung zu erhalten. Hier werden in Zukunft die Vernetzung und die Digitalisierung sicherlich mithelfen, diesem Missbrauch vorzubeugen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Menschen, die nach NRW kommen und Abschlüsse mitbringen, in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren. Gleichzeitig müssen wir passgenauere Möglichkeiten bieten, die nicht ausreichenden ausländischen Berufsqualifikationen hier noch zu verbessern und diese Arbeitnehmer als Zeichen unserer Willkommenskultur und im Hinblick auf den Fachkräftemangel ausreichend fortzubilden.

Ich freue mich sehr auf die Diskussionen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die FDP spricht nun unser Abgeordnetenkollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Feststellung der beruflichen Qualifikation durch die Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland ist auch eine entscheidende Frage der Integration in unseren Arbeitsmarkt. Dieser Punkt muss ebenfalls aufgegriffen werden. Es ist wichtig, den Menschen, die zu uns kommen, auch eine Möglichkeit zu geben, mit ihrem erlernten Beruf bei uns auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Daher ist es richtig – wir sprechen immer davon, dass wir den Menschen die Chance auf sozialen Aufstieg durch eigene Leistung geben wollen –, dass man die formalen Qualifikationen entsprechend berücksichtigt. Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus weitestgehend einig, dass es nicht sinnvoll ist, wenn ausländische Ärzte und Ingenieure bei uns als Taxifahrer oder Küchenhilfen arbeiten müssen. Schließlich ist es auch in unserem Interesse, die Potenziale der Menschen hier zu nutzen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So geht es bei der Berufsanerkennung nicht nur um die Integration der großen Gruppe der Geflüchteten. Es gibt auch weitere wichtige und große Gruppen, die zu erwähnen sind. Das sind die EU-Bürger, die in unserem Land ebenfalls entsprechend Arbeit finden können und sollen, aber auch Deutsche mit einem Abschluss an einer ausländischen Hochschule. Wenn man selbst aus dem westlichsten Kreis Deutschlands kommt und unmittelbar an der Grenze zu den Niederlanden und weiter südlich zu Belgien wohnt, muss man sagen: Im Besonderen gilt das auch für unsere Grenzgänger. Es ist richtig, dass zum Beispiel Menschen mit einem niederländischen Abschluss in NRW arbeiten können und auch wollen. Dies möchten wir natürlich ermöglichen.

Man sieht schon: Angesichts der Vielfalt dieser Lebenssituationen, aus denen heraus Menschen ein Anerkennungsverfahren durchlaufen, müssen wir dem auch gerecht werden. Deshalb möchten wir uns als NRW-Koalition und als Freie Demokraten auch dafür einsetzen – das ist zwar nichts Neues; es ist an dieser Stelle aber in der Tat sinnvoll –, das Thema der gesteuerten Einwanderung gerade unter Einbeziehung eines Punktesystems zu berücksichtigen.

Wenn wir davon sprechen, dass ein anerkannter Abschluss aus unserer Sicht ein wesentliches Kriterium sein sollte, muss es auch leichter möglich sein, dass man Anträge aus dem Ausland stellt. Es wäre gut, wenn dies über ein Onlineportal möglich wäre und wir beim Thema „Berufsanerkennung“ damit einen weiteren wertvollen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten würden.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, für uns gilt: Menschen, die bereits im Ausland unter Beweis gestellt haben, dass sie ihren gelernten Beruf beherrschen, sind in NRW willkommen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die im Ausland erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse dieser Menschen sind auch in unserer Gesellschaft wertvoll. Ausländische Qualifikationen dürfen eben keine Berufsabschlüsse zweiter Klasse sein.

Allerdings gilt – da kann ich die Ausführungen des Kollegen Schmitz ausdrücklich unterstreichen – neben dem möglichst schnellen und unbürokratischen Verfahren zur Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikationen auch der Aspekt, dass wir fachliche Standards sicherstellen und unsere hohe Ausbildungsqualität der deutschen Berufsbilder entsprechend wahren müssen. Das ist völlig unstreitig. Ich denke, dies hat man auch den Reden entnehmen können. Man sieht: Wir haben das Ganze von beiden Seiten im Fokus.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf Bundesebene gab es 2011 – auch auf Betreiben des damaligen liberalen Koalitionspartners – ein Anerkennungsgesetz. 2013 gab es das entsprechende Landesgesetz.

Bei der Umsetzung sind allerdings einige Probleme festzustellen. Ich nenne nur die langen Bearbeitungszeiten, aber auch den Wunsch nach einer besseren Beratung und Unterstützung der Antragsteller.

Daher ist es für die NRW-Koalition wichtig, die Verfahren zu verbessern. Sie genießen bei uns hohe politische Priorität. Wir wollen durch die Bündelung der Entscheidungsprozesse und den Aufbau von Datenbanken zu ausländischen Abschlüssen eine einheitliche Bearbeitungspraxis erreichen. Daneben werden wir die Behördenstruktur bei den zuständigen Stellen überprüfen müssen.

Wir müssen gerade bei denjenigen – das ist auch nichts Neues; es ist aber richtig, dies hier zu erwähnen – mit den am häufigsten vorkommenden Abschlüssen und Herkunftsländern anfangen. Dort müssen wir beim Thema „Nachqualifizierung durch standardisierte Module“ ansetzen, um diesen Menschen die entsprechende Unterstützung zuteilwerden zu lassen, damit sie auch bei einer noch nicht ganz anerkannten Berufsqualifikation mit der richtigen Nachqualifizierung schnell die Möglichkeit bekommen, in unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Dabei wäre auch Folgendes zu berücksichtigen – das ist ebenfalls ganz wichtig –: Vor dem Hintergrund, dass die duale Ausbildung nicht weltweit der Standard ist, gibt es auch Menschen, die informell entsprechende Kompetenzen erworben haben. Sie müssen wir systematisch erfassen. Wir müssen dabei auch die Antragsteller unterstützen und nachher im Sinne aller Beteiligten dort auch besser werden.

Dabei geht es genauso um die Sicherstellung der Qualität wie um den Aspekt, dass wir die Fachkräfte brauchen.

Das Ziel der NRW-Koalition bleibt am Ende, die betroffenen Menschen bei der Beschleunigung der Verfahren zu unterstützen. Die Kosten für die Anerkennung sollten dabei noch sinken.

Ich danke zum einen für die Aufmerksamkeit und zum anderen für die weiteren Beratungen im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Für die SPD erteile ich dem Kollegen Neumann das Wort.

Josef Neumann (SPD): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal freue ich mich darüber, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben, der unseren Antrag entspricht, den wir schon am 3. Juli 2018 gestellt haben. Ich habe gesehen, dass er in vielen Teilen mit unserem Antrag übereinstimmt. Insofern bin ich froh darüber, dass er hier auf dem Tisch liegt.

(Beifall von der SPD)

Die Integration von Neuzuwanderern aus der EU, von Menschen aus Ländern außerhalb der EU, von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wird und ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben in unserer Gesellschaft. Vor allem gilt dies angesichts des Hintergrundes eines Fachkräftemangels, den wir in vielen Bereichen – in den Pflegeberufen, im Handwerk, aber auch im hoch qualifizierten Sektor – haben.

Es ist schon schwer nachvollziehbar, dass eine Krankenschwester, die aus einem Land außerhalb der EU kommt, in Nordrhein-Westfalen 18 Monate darauf warten muss, dass sie eine Anerkennung bekommt.

Es ist aber auch schwer zu ertragen, dass Menschen, die den Bachelor oder Master in den Niederlanden erworben haben und dann in der öffentlichen Verwaltung Nordrhein-Westfalens anfangen wollen, diese Abschlüsse nicht anerkannt bekommen, weil sie in englischer Sprache verfasst sind.

Die Frage von Anerkennungsverfahren darf man hier also nicht nur auf bestimmte Teilgruppen beschränken, sondern muss sie sicherlich in einem wesentlich größeren Kontext sehen.

Ich teile das, was die Kollegen Schmitz und Lenzen gesagt haben, ausdrücklich. Diejenigen, die zu uns kommen, verfügen über herausragende Qualifikationen – nicht immer, aber oft. 70 % dieser Qualifikationen sind in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen anerkannt worden; 12 % sind mit Auflagen anerkannt worden; negativ beschieden wurden nur 17 %. Das heißt: Der überwiegende Anteil der Menschen, die in das Anerkennungsverfahren gehen, hat hervorragende Berufsqualifikationen. Diese Menschen haben auch keine Berufsabschlüsse zweiter Klasse.

Es ist wichtig, dass wir dem Beratungsbedarf trotzdem gerecht werden. Dazu gehört natürlich auch, dass wir die Beschleunigung dieser Verfahren sicherstellen. Die Wartezeiten von 18 Monaten, die dann ein Arbeitgeber zwischenfinanzieren muss, bis das Anerkennungsverfahren im Gesundheitswesen gelaufen ist, sind nicht haltbar und keinem zumutbar. Deshalb gilt es, bei der zuständigen Behörde personell aufzurüsten. Da reichen die 500.000 Euro, die Sie hier für Beratungsstrukturen und Sonstiges vorschlagen, im Allgemeinen nicht aus. Wir müssen vor allem die Bearbeitungszeiten verkürzen.

Herr Kollege Schmitz, zum Thema „Digitalisierung“ und der Frage, wie es in einzelnen Bundesländern aussieht, sind wir uns, denke ich, einig, dass wir auch da Sicherheit brauchen – auch die Sicherheit, dass diejenigen, die hier abgelehnt werden, nicht woandershin gehen und umgekehrt. Das dürfte im Zeitalter der Digitalisierung aber machbar sein. Allerdings wissen wir alle: Das kostet Geld. Das kostet Personal. Dies muss sich letztendlich auch im Haushalt und in Stellen wiederfinden.

Das ist ein wichtiger Teil von Willkommenskultur, mit der wir in Nordrhein-Westfalen seit 50 Jahren beste Erfahrungen haben. Dieses Land lebt davon, dass andere Menschen hierhin gekommen sind und am Aufbau dieses Landes mitgewirkt haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Verfahren relativ zügig nach vorne bringen und sie auch so gestalten, dass sie für die Arbeitgeber und für den einzelnen Betroffenen schnell zu einem Job und zu einer entsprechenden Umsetzung führen.

Für mich und für uns ist wichtig, die Beratungsstrukturen zu verbessern und bei der Bezirksregierung das Know-how und die personellen Ressourcen dafür zu schaffen, dass es schneller gehen kann.

Wir müssen uns auch überlegen, wie im Rahmen dieses Anerkennungsverfahrens die von den Menschen mitgebrachten Kompetenzen, die bei uns noch nicht anerkannt sind, vielleicht zusätzlich anerkannt werden.

Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss und werden das Ganze konstruktiv begleiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank. – Für die Grünen erteile ich dem Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir Grünen sind der Auffassung, dass das, was die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, in die richtige Richtung geht. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir beim letzten Plenum auch schon über den ziemlich gleichen Sachverhalt geredet. Damals habe ich dem Kollegen Preuß gesagt: Ich bin froh, dass Sie in Ihrer Argumentation ein Stück weit von dem abgewichen sind, was Sie 2016 vorgetragen haben. – Da klang das alles nämlich noch ein bisschen so: Wir müssen einmal gucken, dass keine gefälschten Zeugnisse vorgelegt werden und dass auch alle die Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Ich will es kurz machen. Wir sind uns nach dem, was Sie vorgetragen haben, offensichtlich in fast allen Punkten einig. Die Frage ist jetzt nur, wie das technisch umzusetzen ist. Das ist dann die Aufgabe, die das Ministerium zu bearbeiten hat. Denn zu entbürokratisieren und trotzdem einen hohen Standard bei der Überprüfung zu gewährleisten, sind zwei nicht zwingend ohne Weiteres übereinzubringende Vorgänge. Dazu bedarf es Personal. Dazu bedarf es auch einer gewissen Grundlage. Wir haben auch überhaupt nichts dagegen, die Daten zu zentralisieren. Dem haben wir auch in der Frage der Asylverfahren immer zugestimmt. Wenn das datensicher gemacht werden kann, sind wir sehr dafür. – Also:

Erstens. Wir sind sehr dafür, die Menschen willkommen zu heißen.

Zweitens. Wir sind sehr dafür, ihnen eine Chance in Deutschland zu geben. Dafür müssen wir sehr schnelle Anerkennungsverfahren schaffen. Wir müssen das möglichst unbürokratisch machen.

Drittens. Wir dürfen nicht das Signal aussenden, dass wir schon von vornherein davon ausgehen, dass irgendetwas gefälscht ist. Es ist im Einzelfall schwierig, Unterlagen zu bekommen. Natürlich ist es richtig – im Zweifel muss man da auch eine Fachprüfung machen –, dass nachgeprüft werden muss, ob die hohe Qualität deutscher Standards gegeben ist.

Wenn ich jetzt sagen würde, ich hätte das Muster, wie das im Detail gehen soll, würde ich mich allerdings ein bisschen zu weit aus dem Fenster lehnen.

Die gute Nachricht dabei ist aber: Die IHKn, die Berufsverbände und alle anderen sind ja guten Willens und wollen auch daran mitarbeiten, um den Fachkräftemangel zu beheben.

Ein wichtiges Anliegen ist für mich – das hat der Kollege Neumann ebenfalls angesprochen –, dass es zügig gehen muss. Es ist schlecht zu ertragen, monatelang auf die Anerkennung zu warten.

Alles in allem finde ich, dass der Antrag in die richtige Richtung geht. Wir werden über die Details dann im Ausschuss beraten. Das, was uns 2016 offensichtlich noch getrennt hat, trennt uns heute nicht mehr, sodass wir in diesem Bereich sachlich und konstruktiv an einem Ergebnis arbeiten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD hat jetzt der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort. Bitte schön.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht zu Ihrer Überraschung: Herr Lenzen, Sie haben gerade selber gesagt, dass das ja ein Stück weit ein Einwanderungsgesetz durch die Hintertür ist. Das ist insofern schön, als dass wir das als AfD auch in unserem Wahlprogramm stehen haben, nämlich ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Seit es die AfD gibt – das ist zugegebenermaßen nicht so lange –, fordern und fördern wir genau das. Daher haben Sie an dieser Stelle schon einmal unsere absolute Zustimmung.

Nun komme ich zu der anderen Seite. Wie ich gerade erwähnte, gibt es uns als Partei noch nicht so lange. Dementsprechend bin ich noch nicht so lange in der Politik. Aber in dieser Zeit habe ich Folgendes gelernt: Wenn eine Regierung weiß, was sie will, legt sie einen Gesetzentwurf vor. Wenn sie noch nicht weiß, was sie will, oder nicht weiß, wie sie es durchsetzen soll, oder wenn das, was sie fordert, doch die Quadratur des Kreises ist, lässt sie die regierungstragenden Fraktionen einen Antrag stellen.

Das ist ein bisschen das, was wir heute hier lesen. Ich spreche sehr gerne zu diesem Thema. Es ist ein sehr wichtiges Thema. Aber fünf Minuten zu diesem Antrag zu sprechen, ist durchaus ein bisschen schwierig. Denn dafür ist sein Inhalt relativ dünn.

Stichwort „Quadratur des Kreises“: Herr Mostofizadeh hat einen der wichtigsten Punkte schon genannt. Wenn ich einen Antrag einer ausländischen Fachkraft intensiv prüfen möchte, kann ich das entweder schnell machen – das ist bestimmt effektiver; dann kriege ich einige Anträge mehr durch –, oder ich muss mir eine gewisse Zeit dafür nehmen. Im zweiten Fall kann ich eine gewisse Sicherheit herstellen. Ich habe selber die Erfahrung gemacht: Wenn ich etwas fix mache, bekomme ich an einem Tag mehr Dinge geschafft; aber sie sind unter Umständen nicht so vernünftig gemacht. Und wenn ich es vernünftig machen will und die Sicherheit herstellen möchte – genau so, wie Sie es gesagt haben –, kann ich es entweder langsam und damit gründlich machen oder aber – und das ist der zentrale Punkt –, indem ich in irgendeiner Art und Weise Ressourcen aufwende, mehr Leute einstelle oder andere Strukturen schaffe.

Aber davon findet sich in Ihrem Antrag nichts. In Ihrem Antrag ist nichts darüber zu lesen, wie Sie das realisieren wollen. Das sind wirklich viele warme Worte. Vieles davon können wir mittragen. Aber das ist einfach nichts Konkretes. Da lassen Sie uns ein Stück weit im Nebel fischen. Wir überweisen den Antrag gerne. Aber es ist wirklich die Frage, wie das letztendlich werden soll.

Der andere Punkt bezieht sich auf den Status quo, vor den Sie uns jetzt stellen. Inzwischen wird immer behauptet – lange wurde das dementiert; aber jetzt wird es einfach behauptet –, dass wir eben ein Einwanderungsland sind. Zack! Darüber hat doch nie jemand abgestimmt. Das wurde nie besprochen. Parlamentarisch hat man das einfach irgendwann als gegeben hingenommen. Jetzt ist es halt so.

Aber man kann sich doch auch angucken: Wie machen das denn andere, moderne, erfolgreiche Einwanderungsländer? Wie gestalten sie denn Einwanderung? Ein Beispiel ist Kanada. Wir plädieren für das kanadische Vorbild. Dann werden Sie deutlich feststellen: Diese Verfahren sind definitiv nicht so, wie wir das machen – ganz im Gegenteil.

Versetzen Sie sich einmal in die Position. Sie haben es in Ihrem Antrag selber geschrieben. 3.600 Personen, die aus dem medizinischen Sektor kommen, möchten hier ein Berufsanerkennungsverfahren haben. Das ist relativ einfach festzustellen. Da muss man in Düsseldorf nur einmal mit dem Taxi fahren. Dann trifft man auch den einen oder anderen Arzt, der hier jetzt Taxi fährt. Das ist bedauerlich.

Sie werden feststellen, dass diese Länder sehr restriktiv mit Einwanderung umgehen und gar nicht so offen sind wie wir. Trotzdem kommen die Menschen in diese Länder. Trotzdem ist zum Beispiel Kanada einer der Märkte, für den sich extrem viele Fachkräfte interessieren. Warum ist das denn so? Da muss man die Diskussion dann auch weiterführen und sagen: Nach all den Lohnabzügen, die es hier gibt, nach dem niedrigen Netto vom Brutto, das hier existiert, ist es für viele der wirklichen Fachkräfte, der high-end-spezialisierten Menschen, einfach nicht attraktiv, in Deutschland zu arbeiten. Sie gehen nach Kanada. Sie gehen in die USA. Sie gehen nach Australien. Diese Länder machen das Rennen um die wirklich guten Fachkräfte. Die Frage ist immer, ob das dann wirklich sozial ist.

Sie sagen: Die Menschen, die zu uns kommen, muss man dann nachqualifizieren. – Ja, genau. Das ist im Prinzip ein Stück weit eine erweiterte Armutsmigration, die da stattfindet. Diese Menschen machen dann zwei Jahre einen Sprachkurs und zwei Jahre Nachqualifikation.

Ich frage mich immer: Warum schaffen wir eigentlich nicht eigene Studienplätze? Die Menschen bei uns wollen doch auch zum Beispiel Mediziner werden. Hier gibt es einen Riesenandrang. Man bekommt mit einem Schnitt von mehr als 1,0 kaum noch irgendwo einen Medizinstudienplatz. Genau da stellt sich doch die Frage: Warum fördern Sie nicht die eigenen Menschen?

Es gibt eine neue Studie, die besagt, dass jede sechste Studentin unter depressionsähnlichen Symptomen leidet. Da stellt sich ja auch die Frage: Was macht Deutschland denn dann im Bildungssystem? Ich sehe nicht, dass die Schulen und Universitäten in Deutschland so ausgerüstet sind, dass wir überhaupt die eigenen Potenziale nutzen. Gleichwohl wollen Sie nach anderen Potenzialen fischen. Das ist nicht sozial. Und international konkurrenzfähig sind Sie schon lange nicht.

Wenn wir uns angucken, dass Deutschland, wie der IWF heute Morgen gesagt hat, netto weniger als Uganda besitzt, dann wird klar: Mittlerweile sind wir nicht einmal mehr ein reiches Land. Die Nettovermögen in Deutschland sind im Median geringer als im europäischen Schnitt. Angesichts dessen kann man wirklich nicht von einem reichen Land sprechen.

Wir müssen uns tatsächlich Gedanken darüber machen, wie wir ein Einwanderungsgesetz vernünftig, zukunftsfähig und tragfähig gestalten können. Denn so nebulös, wie Sie es gerade formulieren, sehe ich da keine Zukunft. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich als Arbeitsminister, aber auch als Gesundheitsminister natürlich darüber, dass es hier im Plenum eine breite Übereinstimmung dahin gehend gibt, dass wir bei der Frage der beruflichen Anerkennung von Menschen, die zu uns gekommen sind, besser werden müssen.

Dass entspricht auch meiner Feststellung nach 14 Monaten im Amt. Die Strukturen sind nicht so, wie sie sein müssen, damit es effektiv läuft. Die Wartezeiten sind lang. Die Antragsteller wissen nicht, wie weit ihr Verfahren ist. Man erhält während des Verfahrens kaum Auskünfte darüber, wo es denn hakt. Diese Fragen müssen wir schlicht und ergreifend transparenter und besser organisieren. Das werden wir in den nächsten Monaten auch tun.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich in den letzten Jahren in unseren Behörden viel Positives getan hat, was die Berufsanerkennung angeht – aber noch nicht überall und an jeder Stelle. Es gibt auch Strukturen bei uns, bei denen man nicht den Eindruck hat, dass wir uns über das Kommen von Fachkräften freuen. Vielmehr hat man eher den Eindruck, dass die Behörde dem sehr neutral gegenübersteht – und damit habe ich es nett ausgedrückt. Auch das muss sich verändern, wenn wir dieses Personal haben wollen, das wir dringend brauchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will ein Weiteres sagen. Im Gesundheitswesen ist das Land in der Frage der Anerkennung ja ganz stark, weil wir es alleine in der Hand haben. Im letzten Jahr haben in Nordrhein-Westfalen 1.700 Ärzte, die hier studiert haben, ihre Approbation erhalten. Gleichzeitig haben wir 1.400 Ärzte aus dem Ausland geholt und anerkannt. Allein diese Zahl spricht für sich.

Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen dabei, dass es auf der einen Seite für jeden Medizinstudienplatz in Nordrhein-Westfalen elf Bewerbungen gibt und dass wir auf der anderen Seite, weil wir die Studienplätze nicht haben, Ländern die Ärzte abwerben, die viel weniger Ärzte haben als wir. Wenn ich dann noch den Altersdurchschnitt unserer Ärzte sehe, dann weiß ich, was hier in den letzten Jahren verpennt worden ist.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Deswegen schaffen wir auch die Fakultät in Bielefeld. Deswegen rüsten wir Witten/Herdecke auf, um schneller voranzukommen. Wir machen den Quereinstieg möglich. Aber ich sage Ihnen: Der Fachkräftemangel bei den Ärzten wird uns in den ländlichen Regionen noch richtig zu schaffen machen. Denn zwei Drittel unserer Ärzte, die dort praktizieren, sind schon über 60 Jahre alt. Und wir wissen, wie lange die Ausbildungen dauern. Deswegen wird es diese Zuwanderung von Ärzten geben müssen.

Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wenn wir in diesem Verfahren so viele Anerkennungen haben, dann dürfen wir uns in der Frage der Begutachtung nicht von KMK-Strukturen in Bonn abhängig machen, die lange brauchen, um Gutachten zu machen und im Übrigen auch noch sehr teuer sind. Angesichts dieser Zahlen möchte ich schon, dass Nordrhein-Westfalen in der Frage dieser Beurteilungen autarker wird. Auch da müssen wir in den nächsten Monaten versuchen, das hinzukriegen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Nun möchte ich Ihnen gerne etwas zu meiner ganz persönlichen politischen Geschichte sagen. Ich war junger Abgeordneter im Deutschen Bundestag, als seinerzeit die vielen Russlanddeutschen zu uns gekommen sind. Damals sind wir mit deren Anerkennung und mit der beruflichen Qualifikation, die sie in Russland oder in Osteuropa erworben hatten, nicht immer gut umgegangen. Ich weiß, dass manch einer von ihnen, obwohl er gute Qualifizierungen hatte, hier als Hilfsarbeiter gearbeitet hat. Damals konnte ich das aufgrund der politischen Möglichkeiten, die ich hatte, nicht ändern.

Aber eines habe ich mir geschworen: Wenn ich einmal eine Administration leite, was jetzt der Fall ist, möchte ich denjenigen, die zu uns gekommen sind, weil sie verfolgt werden, jede Chance geben, damit sie ihre Talente und Fähigkeiten in diesem Land einsetzen können.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Ich will gar nicht pathetisch werden und sagen, dass diese Menschen sich in unsere Gesellschaft einbringen wollen. Das wollen sie auch. Aber es geht schlicht und ergreifend auch darum, dass man, wenn man in ein Land kommt, natürlich eine Arbeit haben will, mit der man eine Wertschöpfung erzielt und von der man leben und seine Familie unterhalten kann. Es ist ein ganz legitimes Interesse von Menschen, mit ihrer Arbeit sich und ihre Familie ernähren zu können. Dass man sich damit gleichzeitig für unsere Gesellschaft engagiert, kommt dazu und ist ein Produkt, das sich durch Steuern und Sozialbeiträge von selber ergibt. Aber die Menschen sollen sich hier nicht nur einbringen, sondern auch von ihrer Arbeit leben können. Dafür müssen sie auch ihre Talente entfalten dürfen.

Ich habe auch noch einen anderen Ansatz. Es ist auch nicht gut, dass Menschen, die qualifiziertere Arbeitsplätze einnehmen könnten, einfache Arbeitsplätze haben, weil ein Teil der Menschen, die hier leben, auch einfache Arbeit braucht. Diese Menschen sollen diese Arbeitsplätze auch nutzen können. Deswegen ist es auch arbeitsmarktpolitisch sehr wichtig, für diejenigen, die mit der modernen theoretischen Welt nicht so gut zurechtkommen, diese Arbeitsplätze zu haben, und denjenigen, die die moderne theoretische Welt gut verstehen, andere Arbeitsplätze zu geben. Dieses Bild habe ich vor Augen.

Dazu gehört natürlich auch – auch dazu habe ich nichts vorgefunden –, dass es für diese Menschen Unterstützungsstrukturen geben muss. Es kann doch nicht sein, dass wir einer ausländischen Pflegekraft sagen: „Du musst dich soundso viele Stunden nachqualifizieren“, aber in unserem Land keine geordnete Struktur haben, in der sie das machen kann. Das geht doch nicht. Diese Strukturen müssen natürlich in den Pflegeschulen geschaffen werden.

Wenn die Pflegekräfte aus dem osteuropäischen Ausland kommen, arbeiten sie hier als Pflegehilfskräfte, weil sie Geld verdienen müssen, um Lebensmittel kaufen und wohnen zu können. Wir brauchen Strukturen, die sich an Zeiten am Wochenende oder nach Feierabend orientieren, damit sie diese Weiterbildung machen können. Alles das ist in diesem Land nicht vorhanden gewesen, als ich in das Ministerium kam.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Teilweise waren in den Bezirksregierungen nicht einmal die Stellen, die in diesem Bereich vorgesehen sind, besetzt. Deswegen habe ich mich entschieden, in meinem Ministerium eine Taskforce einzurichten, um die Kompetenzen aus allen Abteilungen – Arbeit, Pflege, Gesundheit – zu bündeln.

Wenn es so weit ist, werden wir dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sagen, wie wir uns die Strukturen in Nordrhein-Westfalen für die Zukunft vorstellen müssen. Ich will, dass unser Land in die erste Liga der Anerkennung der Berufe der Bundesrepublik Deutschland aufsteigt. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat die Redezeit um 1:53 Minuten überzogen. Daher frage ich in die Runde: Möchte eine der Fraktionen noch das Wort ergreifen? Dann würde ich die entsprechende Redezeit zur Verfügung stellen. – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3805 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, den Integrationsausschuss sowie den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es jemanden, der gegen diese Überweisungsempfehlung stimmen möchte? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann darf ich feststellen, dass wir die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen haben.

Ich rufe auf:

Demokratiefördergesetz 2.0 – Demokratinnen und Demokraten brauchen kontinuierliche Demokratieförderung!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3809

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD der Kollegin Müller-Witt das Wort. Bitte schön.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade ein gutes Jahr her, dass sich dieses Parlament mit dem SPD-Antrag „Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz“ intensiv befasst hat. Warum müssen wir uns nun schon wieder mit einem Antrag zur Unterstützung einer Gesetzesinitiative für ein Demokratiefördergesetz befassen?

Lassen Sie uns auf dieses Jahr zurückblicken. Bereits im September 2017 sprachen ausreichend Gründe für ein Demokratiefördergesetz. Die Anhörung hat das sehr deutlich gemacht. Allerdings vertrat die CDU-Fraktion in der damaligen abschließenden Plenardebatte die Ansicht, dass die Forderung nach einem solchen Gesetz überholt sei und ausreichend Maßnahmen implementiert seien.

In der Zwischenzeit hat sich leider mehr als deutlich gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Es wurden zwar eine Reihe befristeter Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie ergriffen, die aber offensichtlich weder ausreichend sind noch durch ihre Befristung der tatsächlichen Entwicklung gerecht werden.

In unserer Verfassung wird mehrfach der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ verwendet. Damit ist die demokratische Grundordnung in Deutschland gemeint, in der demokratische Prinzipien und oberste Grundwerte gelten, die unantastbar sind.

Allen voran gehört dazu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Vorkommnisse wie jüngst in Chemnitz oder in Dortmund zeigen,

(Zuruf von der AfD)

dass die laufenden Projekte und Maßnahmen bei Weitem noch nicht ausreichen, um allen Menschen die demokratischen Grundwerte nahezubringen.

Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht für Nordrhein-Westfalen schildert eine bedenkliche Lage. Die Ansichten in der Gesellschaft werden immer extremer. Es gibt so viele Reichsbürger wie noch nie. Die Zahl der sogenannten Identitären hat sich fast verdoppelt. Ob religiös oder politisch motivierter Extremismus – eines verbindet sie alle: die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und ihrer konstitutiven Grundwerte sowie eine stetig steigende Gewaltbereitschaft.

Immer häufiger wird die Würde von Menschen in unserem Land missachtet, ja im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten – sei es, weil sie anderer politischer Überzeugung sind, sei es, weil sie einer Religionsgemeinschaft angehören oder eine andere Hautfarbe haben oder zugewandert sind.

Unser Grundgesetz differenziert aber nicht hinsichtlich der Würde der Menschen nach den aufgezählten oder irgendwelchen anderen Merkmalen. Der Grundrechtschutz gilt für alle Menschen. Demokratien zeichnen sich durch Achtung der Menschenrechte, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ein Mehrparteiensystem sowie gleiche, freie und geheime Wahlen aus.

Diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten sind heute, 69 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes, offensichtlich nicht mehr allen Menschen in diesem Land präsent oder sie werden von ihnen nicht mehr respektiert.

Wir sind deshalb an einem Punkt angekommen, an dem wir uns wieder dieses Fundamentes unseres Staates vergewissern müssen, nein, es sichern müssen. Ein Fundament ist notwendig und gibt Sicherheit. Wenn das Fundament erst einmal Risse bekommt, droht das ganze Haus ins Wanken zu geraten und schließlich einzustürzen. Deshalb ist es unabdingbar und unverzichtbar, dass bereits in der frühen Kindheit demokratische Spielregeln eingeübt und gelebt werden. Das beginnt in der Familie, aber auch in unseren Kindergärten und Schulen. Sie sind Trainingsorte der Demokratie.

Wenn sich nun aber zunehmend zeigt, dass das Bewusstsein für die Alternativlosigkeit der Demokratie schwindet, dann sind die Parlamente gefordert. Wir müssen die Strukturen und Mittel bereitstellen, um dem schwindenden Zutrauen etwas entgegenzusetzen und der Demokratie wieder mehr Leben einzuhauchen. Demokratieförderung darf aber nicht nur ein zeitlich begrenztes Projekt sein, nein, Demokratieförderung muss zur permanenten Aufgabe werden, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt hält.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Das Fundament unseres Hauses, die demokratische Grundordnung, benötigt stetige Pflege, um das Entstehen von Rissen zu verhindern, um bestehende Risse zu schließen und künftige Brüche zu vermeiden. Nur dadurch kann die dauerhafte Stabilität des gesamten Hauses gewährleistet werden.

Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, mit einem Zitat von Willy Brandt schließen: „Die Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern der Sittlichkeit.“ – Lassen Sie uns also um der Verantwortung für unser Land willen in diesem Sinne sittlich handeln. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Nacke.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zu behandelnde Antrag der SPD-Fraktion ist eine Wiederauflage eines Antrags, zu dem mein Kollege Daniel Hagemeier bereits im März gesprochen hat.

Mit Bezügen auf bundespolitische Aktivitäten greifen Sie erneut die Forderung nach einem sogenannten Demokratiefördergesetz auf. Mit einem solchen Gesetz wollen Sie das Engagement für Demokratie und Vielfalt auf Dauer absichern. Wer ein solches Gesetz verhindere, blockiere die Nachhaltigkeit von Demokratieförderung und Gewaltprävention.

So wortreich Ihr Antrag auch formuliert ist – mir wird nicht klar, warum ein solches Gesetz zwingend und dauerhaft notwendig sein soll, wie Sie schreiben. Im Gegenteil: Ich empfinde die Begrifflichkeit eines Demokratiefördergesetzes kontraintuitiv. Das heißt, Sie bewirken das Gegenteil von dem, was Sie eigentlich erreichen wollen.

Wenn man so etwas Grundlegendes wie Demokratie fördern will, kann man sich doch nicht auf die Formulierung eines Gesetzes beschränken und damit so tun, als habe man das Problem bearbeitet. Das ist reine Symbolpolitik, und die Wirkung solcher Anträge ist fatal. Sie führen zu einer weiteren Beschleunigung der Erosion von Voraussetzungen unseres politischen Handelns.

Auf zwei Punkte möchte ich Sie hinweisen.

Zunächst möchte ich Ihnen den vielzitierten Satz Ihres Parteigenossen und hochgeschätzten Verfassungsrichters, Staatsphilosophen und Juraprofessors Ernst-Wolfgang Böckenförde in Erinnerung rufen: Ein liberaler Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht leisten kann.

Meine Damen und Herren, Böckenförde beschreibt damit, dass es etwas der Politik Unverfügbares und nicht Sanktionierbares gibt, das dem demokratischen Staat vorausliegt, auf das ein liberaler Staat für sein Selbstverständnis angewiesen ist. Es geht um Kultur, Bildung, gelebte Wertegemeinschaften und Traditionen. Abstrakt gesprochen geht es um Sinnhorizonte, die Politik nicht selbst produzieren kann, auf die sie aber in ihren Verfahrensabläufen wie bei ihrer inhaltlichen Zielorientierung angewiesen ist.

Politik kann diese Grundlagen nicht selbst herstellen. Es ist aber Aufgabe von Politik, in ihrer ganzen Themenbreite, und es ist Aufgabe aller Demokraten, beizutragen, dass eine Kultur des demokratischen Zusammenlebens nicht behindert, sondern immer weiter und möglichst mehr ermöglicht wird. Mit seinem kurzen Satz drückt Böckenförde den Respekt vor diesen Voraussetzungen aus, die wie ein kostbares Pflänzchen zu hegen und zu pflegen, aber nicht billig abzuspeisen sind.

In der Linie Böckenfördes kann man nicht symbolisch ein Demokratiefördergesetz verlangen und damit ein anspruchsvolles Thema der gesellschaftlichen Voraussetzungen unseres demokratischen Gemeinwesens wegdelegieren. Von Sozialdemokraten auch in diesem Haus hätte ich zum Thema „Demokratie“ mehr erwartet als die Wiedervorlage eines auch gedanklich unausgegorenen Antragstextes.

Zum Zweiten. Sie wollen, dass der Landtag feststelle, dass die Politik dafür sorgen solle, dass die Wünsche und Probleme von Menschen gehört und aufgegriffen würden. Politik müsse nah am Alltag und an den Bedürfnissen der Menschen sein.

Meine Damen und Herren, das ist schon witzig, denn es erinnert doch sehr an Aussagen Ihres Fraktionsvorsitzenden, der in einem „dpa“-Interview vom 13. Mai 2018, ein Jahr nach der für die SPD verlorenen Landtagswahl, selbstkritisch feststellte, dass die SPD ihre Wähler nicht ernst genug genommen habe. Kutschaty wörtlich:

„Wenn die Schlaglöcher auf den Straßen nicht repariert werden und sich die Kinder nicht mehr auf die Schultoilette trauen, dürfen wir

– und damit ist die SPD gemeint –

uns nicht wundern, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren.“

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Vielleicht wäre es besser gewesen, sich rückblickend an die eigene Nase zu fassen und an eigene Verantwortung zu erinnern, als diesen vorliegenden Antrag aufzuwärmen.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, mit dem Wahlkampfmotto „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“ haben wir vor anderthalb Jahren die Wahl gewonnen.

(Zurufe von der SPD: Oooh!)

Das sind für uns nicht einfach dahingesagte Worte, sondern das leben wir alltäglich und selbstverständlich.

Wir machen Sach- und keine Symbolpolitik. Wir machen es uns nicht so einfach. Wir nehmen das Thema der Gefährdung unserer demokratischen Kultur sehr ernst. Deswegen werden wir in diesem Haus auf Antrag der CDU-Fraktion am Freitag eine Enquete-Kommission beschließen, die den Auftrag hat, gemeinsam mit Sachverständigen aus Wissenschaft und Gesellschaft neue Wege zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie zu finden.

Das wird viel Arbeit werden, und wir werden nicht …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Stefan Nacke (CDU): … die eine Lösung für alle Probleme finden. Wir werden aber viele Ideen quer durch alle Politikbereiche entwickeln. Wir werden entsprechende Handlungsempfehlungen formulieren, diese Handlungsempfehlungen diesem Parlament vorlegen und damit die Wirklichkeit konkret gestalten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Nacke. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Demokratieförderung – dazu hat die Kollegin Müller-Witt eine ganze Reihe von Punkten angesprochen – ist uns ein gemeinsames Anliegen.

Wir sind davon überzeugt, dass die Demokratie die beste und die widerstandsfähigste Staats- und Regierungsform ist, auch wenn wir natürlich jeden Tag daran arbeiten, dass unsere Demokratie noch attraktiver und noch intensiver gelebt wird, und dass wir auch den Demos – das Volk – tatsächlich gewinnen, sich an dem Prozess aktiv zu beteiligen, für die Herausforderungen, vor denen wir stehen, die besten Lösungen im Wettbewerb der unterschiedlichen Lösungskonzepte zu finden. – So weit völlig d’accord.

Wir haben uns mit der Forderung nach einem Demokratiefördergesetz schon einmal beschäftigen dürfen und hatten dazu auch eine ausgesprochen intensive und gute Sachverständigenanhörung. Natürlich haben die Sachverständigen insgesamt auch darauf hingewiesen, dass es richtig und notwendig ist, Demokratieförderung, demokratische Bildung und Extremismusbekämpfung in allen Bereichen unserer Gesellschaft mit in den Blick zu nehmen.

Richtig und wichtig ist deswegen auch, dass wir zum Beispiel die Arbeit unserer Landeszentrale für politische Bildung in besonderer Weise unterstützen. Wir haben uns in der Anhörung und in parlamentarischen Beratungen im Fachausschuss immer wieder mit den Angeboten der Landeszentrale für politische Bildung auseinandergesetzt. Wir unterstützen auch die Weiterbildungsträger in unserem Land, die ebenfalls attraktive Weiterbildungsangebote in unterschiedlichsten Schattierungen und Nuancen anbieten. Es ist wichtig, dass wir mehr Menschen den Zugang ermöglichen, sich mit demokratischen Prozessen auseinanderzusetzen und demokratische Bildung und demokratische Förderung zu erarbeiten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Freimuth, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Müller-Witt würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Angela Freimuth (FDP): Bitte sehr, Frau Kollegin.

Elisabeth Müller-Witt*) (SPD): Vielen Dank. – Frau Freimuth, sehen Sie die Ausstattung der Weiterbildungsträger und der Landeszentrale für politische Bildung als ausreichend an – so, wie sie auch in dem vorgelegten Haushaltsplanentwurf von der Landesregierung vorgesehen ist –, oder sind Sie nicht auch der Meinung, dass dann, wenn es so ist, wie Sie das gerade geschildert haben, ein deutlicher Aufwuchs passieren müsste?

Angela Freimuth (FDP): Frau Kollegin Müller-Witt, wir führen jetzt an dieser Stelle keine Haushaltsberatungen. Wir werden das aber in den Haushaltsberatungen miteinander erörtern und wägen; dafür wird es dann auch reichlich Möglichkeiten geben.

Ich möchte aber – weil ich durchaus das teile, was Sie an allgemeinen Notwendigkeiten und an allgemeinem Konsens beschreiben, was Demokratieförderung angeht – jetzt auf Ihren Antrag eingehen, und da gibt es einige Punkte, bei denen ich mit Ihnen nicht mehr d’accord gehe oder eine andere Vorgehensweise als sinnvoller erachte.

Dazu zwei Anmerkungen. Nicht nur, weil wir die Debatte schon einmal im Landtag hatten – die Frage des Demokratiefördergesetzes wird insbesondere auch von zahlreichen sozialdemokratischen Politikern auf Bundesebene erörtert. Ich erlaube mir, wie auch schon bei der letzten Debatte, durchaus den Hinweis: Warum war das im Koalitionsvertrag der letzten Legislatur auf Bundesebene verabredet, findet sich aber in dieser Sondierung bzw. in diesem Koalitionsvertrag nicht wieder? Wenn Sie ein solches Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, sind das doch erst einmal diejenigen, die Sie in der Bundesregierung und mit den Mehrheiten im Deutschen Bundestag auch tatsächlich erreichen können.

Wir haben hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen mittlerweile aber doch eine ganz andere Debatte erreicht. Wir haben übermorgen den Antrag der Kollegen der Union auf Einsetzung einer Enquete-Kommission, die sich genau mit der Demokratie und der Demokratiestärkung beschäftigen wird. Ich denke, dass wir gut beraten sind, wenn wir diese Gespräche und Beratungen in der Enquete-Kommission – die wir, wenn ich das richtig sehe, gemeinsam auf den Weg bringen werden – aufgreifen, um dann zu sehen, an welchen Stellen wir landesgesetzlich einen Handlungsbedarf haben und welche Schlussfolgerungen wir aus den Beratungen der Enquete-Kommission ziehen können, damit wir eine lebendige und attraktive Demokratie in unserem Land Nordrhein-Westfalen und in Deutschland sein und bleiben können. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute Morgen im Foyer zwei Ausstellungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge eröffnet, die zeigen, wohin es führen kann, wenn internationale Verständigung, Demokratie, Zivilgesellschaft und Menschlichkeit versagen. Es muss uns Mahnung und Auftrag zugleich sein, dass wir dagegen konsequent arbeiten müssen.

Das muss uns auch ein Auftrag sein; es muss uns ein Zeichen sein, wofür wir eigentlich arbeiten, wofür wir gemeinsam hier in diesem Parlament arbeiten, aber wofür auch die vielen Engagierten der Zivilgesellschaft und überhaupt allgemein in unserer vielfältigen Gesellschaft jeden Tag arbeiten. Denn klar ist doch auch: Demokratie ist keine einmalige Entscheidung, sondern sie ist ein konstanter Prozess. Wir müssen jeden Tag für und an der Demokratie arbeiten.

Dafür braucht es Projekte, beispielsweise die Ausstellung im Foyer zur historisch-politischen Bildung. Wir haben insgesamt eine breite Landschaft in diesem Land, die auf vielfältigste Art und Weise unterschiedlichste Themen aus dem Bereich historisch-politischer Bildung in den Blick nimmt. Wir haben eine breite Gedenkstättenlandschaft, die ganz unterschiedliche Themen der Erinnerungskultur aufgreift. Wir haben Projekte, die sich mit ganz unterschiedlichen Bereichen von Antidiskriminierungsarbeit und von konsequenter Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Homophobie usw. beschäftigen.

Wir brauchen natürlich diese starke Zivilgesellschaft, die sich zum einen für Demokratiebildung engagiert und zum anderen aber auch klar die Antidiskriminierungsarbeit in den Blick nimmt. Natürlich braucht sie dafür verlässliche Unterstützung. Das bedeutet auch, dass sie dafür eine nachhaltige Förderung und Finanzierung braucht.

Unsere Demokratie ist streitbar und wehrhaft. Daraus ergibt sich zum einen der Auftrag, Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuwehren – das ist auch ein Auftrag an uns als Parlament und ein Auftrag an den Staat –, und zum anderen ergibt sich daraus der Auftrag, proaktiv und präventiv zu arbeiten, also Demokratiebildung eben nicht nur als Abwehr und Schutz zu sehen, sondern auch als Gestaltungsauftrag und präventive Maßnahme.

Das Bundesprogramm, das auch im Antrag der SPD-Fraktion genannt wird, „Demokratie leben!“ – wir kennen es alle, und wir kennen die vielfältigen Projekte, die damit finanziert werden, die vielfältige gute Arbeit, die damit überall in Deutschland geleistet wird –, leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.

Jetzt komme ich zu dem, was Sie kritisieren, Herr Dr. Nacke: Was soll denn ein einziges Gesetz tun, um Demokratie zu fördern? – Dann haben Sie aber den Kern des Gesetzes und den Kern der Forderung gar nicht verstanden. Es geht doch gar nicht darum, ein Gesetz zu verabschieden, und dann hat man sich einmal für die Förderung von Demokratie entschieden, dann hat man sich einmal für Demokratie entschieden. Nein, es geht doch darum – so verstehe ich jedenfalls das Ansinnen der SPD-Fraktion –, zu ermöglichen, dass die Projektmittel, die sich im Projekt und im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ befinden, auf einer gesetzlichen Grundlage verstetigt werden, damit eben die wichtigen Projekte dauerhaft gefördert werden können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Darum geht es. Es geht nicht um eine einmalige Entscheidung für die Demokratie, sondern es geht darum, eine verlässliche gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit all die Dinge, die Sie angesprochen haben, die Sie in Ihrer Enquetekommission besprechen möchten, tatsächlich finanziert werden können.

Ich gebe Ihnen vollkommen recht: Es ist gut, dass wir eine solche Enquetekommission machen. Es ist gut, dass der Landtag jetzt kontinuierlich und in weiterer Tiefe – wir beide haben schon einmal gemeinsam in einer Enquetekommission gesessen – von Grund auf diese Diskussion führt.

Ich will aber auch sagen: Es ist nicht allein seligmachend, hier in einer Enquetekommission über Demokratie zu sprechen, sondern es gibt heute auch in landespolitischer Verantwortung schon genügend Ansatzpunkte, um Demokratiebildung, historisch-politische Bildung und Antidiskriminierungsarbeit weiter zu stärken und zu unterstützen. Dazu gehört natürlich, dass wir Partizipation in Kita und Schule weiter stärken; denn auch hier ist es nicht so, dass Demokratie einfach ein Bildungsinhalt ist, sondern Demokratie kann nur gelernt werden, indem man sie lebt. Da gibt es Bereiche, in denen wir durchaus die Demokratie noch stärken können.

Ich sehe, der Kita-Minister ist auch anwesend. Die Partizipation bereits im Kita-Alter zu verankern, ist ein ganz wichtiger Auftrag, den wir auch mit dem neuen Kita-Gesetz verbinden werden in der Hoffnung, dass das dort einen wichtigen Bereich einnehmen wird.

Auch andere Bereiche, die wir in NRW bereits auf den Weg gebracht haben, wie beispielsweise das Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus, müssen konsequent umgesetzt werden. Das muss auch mit finanziellen Mitteln verlässlich hinterlegt sein. Das gilt auch für Projekte wie „NRWeltoffen“. Das sind Dinge, die sich schon konkret auf dem Weg befinden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die müssen wir weiterhin stärken. Dazu brauchen wir keine Enquetekommission – die ich nach wie vor für richtig halte –, sondern dafür brauchen wir im Haushalt zur Verfügung gestellte Mittel, um die Arbeit der Menschen vor Ort zu unterstützen.

Eine kleine kritische Anmerkung gestatten Sie mir aber noch zu Ihrem Antrag. Ich bin nämlich über die Formulierung „Vielfalt kann verunsichern“ gestolpert. Ich möchte gerne, dass wir das hier miteinander anders besprechen. Vielfalt kann herausfordern. Vielfalt ist aber in erster Linie eine Chance. Vielfalt ist etwas, was wir im Zusammenleben unserer Gesellschaft gemeinsam gestalten. Verunsicherung entsteht …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Josefine Paul (GRÜNE): … in erster Linie da, wo Unwissenheit grassiert. Dagegen müssen wir gemeinsam arbeiten. Vielleicht lassen wir dann das nächste Mal diese Verunsicherungsformulierung einfach weg. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Wagner.

Markus Wagner (AfD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Reste der SPD! Sie haben hier einen Antrag vorgelegt, den Sie doch tatsächlich allen Ernstes Demokratiefördergesetz nennen. Wie so oft treiben Sie dabei mit eigentlich hehren Begriffen wie „Toleranz“, „Anstand“ oder wie in diesem Fall „Demokratie“ Schindluder.

Viel zu häufig geht es Ihnen dabei aber leider gar nicht um die tatsächliche Förderung von echter Toleranz, von wirklichem Anstand und der Demokratie, wie sie von der griechischen Antike bis hin zu den Vätern und Müttern unseres Grundgesetzes gedacht und entwickelt wurde. Regelmäßig geht es allzu vielen von Ihnen stattdessen nur um eines: Ihren Machterhalt!

(Beifall von der AfD)

Es geht Ihnen nicht nur um die Demokratie als solche und auch nicht um die Demokratie als Ganzes, sondern zu oft nur um Ihr Parteiinteresse und um Ihre Deutungshoheit. Sie wollen bestimmen, und zwar alleine, was Demokratie ist und was nicht.

(Zuruf von der SPD)

Sie haben sich ein ganzes System geschaffen, um sich selbst auf Kosten der Steuerzahler zu alimentieren.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Parteienfinanzierung, parteiendominierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Fraktionsmittel, Stiftungsgelder, Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung und, und, und. Dazu schaufeln Sie in den letzten Jahren auch noch Millionen um Millionen Steuergelder an sogenannte NGOs, also an Ihre ideologischen Vorfeldorganisationen.

(Beifall von der AfD)

Mit dem heutigen Antrag wollen Sie das noch weiter ausbauen und verstetigen.

Ich sage Ihnen: Wir benötigen keine Abermillionen für eine nur sogenannte Demokratieförderung. Ihre grottenschlechte Politik findet auch durch teure Werbe‑ und Manipulationsprogramme keine dauerhafte Unterstützung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD – Josefine Paul [GRÜNE] schüttelt mit dem Kopf.)

Sie haben sich selbst delegitimiert. Sie haben diese Krise ausgelöst, in der Sie sich befinden, und Sie müssen diese nun auch ausbaden. Das kann man auch Gerechtigkeit nennen – ein Begriff, mit dem Sie sich früher mal beschäftigt haben. Nur: Wer nicht selbst für seine Fehler einsteht, wird eben vom Wähler verantwortlich gemacht. Aber aus Ihrer Krise darf keine Krise des Staates werden. Aus Ihrer Delegitimation darf keine Delegitimation unserer Ordnung werden.

Hören Sie endlich auf, auf Ihrem Weg in den Bedeutungsverlust immer mehr Begrifflichkeiten umdeuten zu wollen. Was Sie in den letzten Jahren unter dem Begriff „liberale Demokratie“ subsumieren wollen, ist ganz bestimmt nicht das, was ihren Begründern dabei vorschwebte. Vielleicht lesen Sie dazu noch einmal bei Alexis de Tocqueville nach.

(Zuruf von Dr. Nadja Büteführ [SPD])

Wer Regierungskritik übt, ist bei Ihnen ein staatsfeindlicher Hetzer. Wer für den Erhalt von Recht und Gesetz eintritt, ist ein Faschist. Und wer die Probleme Ihrer Multikultiseligkeit beschreibt, ist ein Nazi. Doch die Menschen beugen sich Ihren Diffamierungskampagnen nicht mehr. Das ist Ihr eigentliches Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD – Josefine Paul [GRÜNE] und Christian Dahm [SPD] schütteln mit dem Kopf.)

Aber was verstehen Sie eigentlich unter Demokratie? Bei einem SPD-Parteifest veranstalten Sie ein sogenanntes Rechtspopulisten-Dosenwerfen.

(Helmut Seifen [AfD]: Menschenwürde?)

Auf wen soll da geworfen werden? In einer Reihe stehen da Ihr eigener Parteigenosse Thilo Sarrazin, unsere Alice Weidel, der Bundesinnenminister und die verurteilte Naziterroristin Beate Zschäpe. – Sagen Sie mal in der SPD: Ticken Sie eigentlich noch ganz richtig?

(Beifall von der AfD)

Der Innenminister, Frau Weidel und eine verurteilte Terroristin sind für Sie ein und dasselbe? – Das ist keine Demokratieförderung, meine Damen und Herren, das ist Demokratieverachtung.

(Beifall von der AfD)

Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich endlich von den Extremisten in Ihren Reihen distanzieren.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Haben Sie auch einen Satz zur Sache?)

Ducken Sie sich nicht feige weg, sondern machen Sie öffentlich klar, dass Sie mit solchen Radikalinskis nicht in einer Partei sein wollen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Fünf Minuten können sehr lang sein!)

Stattdessen wollen Sie ganz demokratisch lieber so verdiente und beliebte Sozis wie Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky ausschließen. Das ist geradezu zum Fremdschämen.

(Zuruf von der SPD)

Als sei das noch nicht genug, um noch mehr Wähler von der SPD zur AfD zu lotsen, beweisen Sie in diesen Tagen auch noch gleich, für was Ihr Laden vor allem gut ist: nämlich für Postengeschacher und Ämterpatronage. Ihrem abgehalfterten Genossen Machnig wollen Sie mal eben einen 200.000-Euro-Job zuschanzen. Von dem Job hat er zwar keine Ahnung, aber Sie sind der Meinung, der stünde der SPD zu. – Nein, das steht Ihnen eben nicht zu. Hören Sie endlich auf mit Ihrer Parteibuchwirtschaft! Das wäre ein Schritt zur Demokratieförderung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Eine tatsächliche Förderung der Demokratie begrüßen wir. Genau deshalb lehnen wir Ihren Selbstbedienungsantrag, den Selbstbedienungsantrag der abstürzenden SPD, ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war er Abgeordneter Wagner für die AfD-Fraktion. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner in Vertretung von Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes‑ und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Danke. – Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Abgeordnete! Liebe Frau Kollegin Müller-Witt, die Notwendigkeit Ihres Anliegens ist gerade etwas unfreiwillig aktualisiert worden.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Josefine Paul [GRÜNE]: Der Anlass des Antrags sitzt ja direkt hier! – Gegenruf von der AfD)

– Entschuldigung, es war nicht meine Absicht, Sie zu wecken.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Die Landesregierung hat am 21. März 2018 hier im Plenum über ein Demokratieförderungsgesetz debattiert. Seitdem hat sich der Sachstand nicht geändert. Die Beratungen auf Bundesebene sind nicht abgeschlossen.

Das heißt nicht, dass wir nichts tun können – ganz im Gegenteil: Die Landesregierung sieht den Mittelpunkt ihrer Arbeit in Nordrhein-Westfalen. Wirksame Demokratieförderung und Prävention brauchen kontinuierliche und passgenaue Programme vor Ort. In diesem Sinne ist die Demokratieförderung fester Bestandteil der Arbeit der Landesregierung.

Das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus werden wir weiterentwickeln. Daran arbeitet die Landesregierung parallel zum Umsetzungsbericht. Dieser Prozess soll partizipativ unter Berücksichtigung neuer Herausforderungen neu entwickelt werden.

Die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung steht auf der Agenda der NRW-Koalition an vorderster Stelle. Insbesondere die geschichtliche und die politische Allgemeinbildung stehen im Fokus. Damit leisten wir einen Beitrag zu wirksamer Prävention gegen jede Form von Extremismus.

Ziel ist es, dass sich junge Menschen als informierte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in unser Gemeinwesen einbringen und sich in ihm engagieren.

Eine wichtige Rolle für das demokratische Bewusstsein bilden Gedenkstätten gerade unserer Vergangenheit. Sie führen uns die Verantwortung jedes Einzelnen für eine demokratische Gesellschaft vor Augen. Damit fördern wir das Verständnis, dass Demokratie leider nicht selbstverständlich ist, sondern ein Bewusstsein verlangt, das auch jeden Tag gelebt werden muss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass sich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6 an dieser Stelle schließen kann.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3809 an den Hauptausschuss – federführend – und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend sowie an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Gibt es auch keine. Dann haben wir den Antrag so überwiesen.

Ich rufe auf:

7  Gründungen fördern statt Programmbürokratie: Hochschul-Gründerbudgets einführen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3795

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wer etwas verändern will, braucht Mut. Wer etwas Neues schaffen will, braucht Mut. Wir haben viele dieser mutigen Menschen in unserem Land. Ich habe bei meiner Start-up-Tour in diesem Jahr – ebenso wie viele Kolleginnen und Kollegen bei ihren Unternehmensbesuchen – viele dieser Menschen kennengelernt: Innovatorinnen und Innovatoren, die den Standort Nordrhein-Westfalen fit machen für die Zukunft, die die Digitalisierung gestalten, die die Welt bewegen.

Unser Land verändert sich durch die Digitalisierung tiefgreifend und rasend schnell. Wir wollen diesen Wandel mit Mut und Zuversicht gestalten. Wir Grüne streiten für eine Digitalisierung, die dem Planeten und den Menschen dient. Wir stellen die Chancen der Menschen in den Mittelpunkt, und eine dieser Chancen ist es, durch digitale Innovationen das Klima zu schützen, die Wirtschaft zukunftssicher aufzustellen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

An diesen Punkten werden die Unterschiede zwischen unserer Herangehensweise und der der Landesregierung sichtbar. Für uns sind Start-ups nicht allein eine schöne Kulisse für gelungene Schwarz-Weiß-Fotos. Man musste nicht erst auf die Unterrichtung heute Morgen warten, um festzustellen: Wo außen „Innovation“ und „Start-up“ draufsteht, steckt bei Schwarz-Gelb immer noch RWE drin.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gründungen als Innovationstreiber müssen gut finanziert sein; Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen leicht an die Förderung kommen können. Wir machen Ihnen heute einen guten und pragmatischen Vorschlag, wie das in Zukunft leichter gehen kann. Dabei stellen wir die Möglichkeiten und die Kenntnisse der Hochschulen in den Mittelpunkt. Sie sollen mehr Freiheit bei der Förderung von Gründungen erhalten. Wir bauen Bürokratie ab, wo sie Innovation bremst. Das machen wir anders als Schwarz-Gelb. Bei Ihnen steht auch oft „Bürokratieabbau“ drauf, und in Wahrheit schwächen Sie die Studierendenrechte, Sie reduzieren hochschulinterne Mitbestimmung und Sie gängeln die Studierenden.

Wir wollen es mehr Studierenden ermöglichen, direkt aus dem Hörsaal in ein Start-up zu starten. Eine bekannte, wenn nicht sogar die zentrale Herausforderung ist die Gründungsfinanzierung. Das Gründerstipendium – das erkennen wir gern an, Herr Minister Pinkwart – läuft gut an. Das freut uns sehr. Wir brauchen aber mehr, gerade wenn wir die Potenziale an den Hochschulen nutzen wollen, wenn es um die Gründungsförderung an den Hochschulen geht. Die Hochschulen sind der Ort, an dem in unserem Land gesellschaftlicher Fortschritt gestaltet wird. Gründerinnen und Gründer sind Antrieb und Transmissionsriemen dieses Fortschritts, und deshalb wollen wir, dass die Gründerförderung zur dauerhaften Third Mission der Hochschulen wird.

Wir müssen wegkommen von der Programmbürokratie und hinkommen zu einer einfachen und unbürokratischen Förderung von Gründerinnen und Gründern. Die Hochschulen kennen potenzielle Gründerinnen und Gründer am besten. Sie können ihre Chancen und Potenziale am besten und am leichtesten einschätzen und bewerten. Sie haben mit vielen dieser jungen Menschen in Gründerzentren zusammengearbeitet und sie durch Beratungsangebote unterstützt.

Was aber fehlt, ist die Möglichkeit, Studierende bei der Gründung direkt auch finanziell zu fördern. Das möchten wir ändern, indem wir zukünftig Gründerbudgets für die Hochschulen direkt zur Verfügung stellen wollen. Dadurch können Mittel leichter, schneller und vor allem unbürokratischer ausgezahlt werden. Gerade in einem hochinnovativen und sehr dynamischen Umfeld sind schwerfällige Bewilligungsverfahren ein großes Ärgernis für Gründerinnen und Gründer und zudem ein Faktor, der Innovation in unserem Land bremst.

Im Rahmen der Hochschulverträge soll festgelegt werden, dass diese Mittel, diese Gründerbudgets als zweckgebundene Verausgabung von den Hochschulen genutzt werden müssen, um Ausgründungen aus den Hochschulen gezielt finanziell zu unterstützen. Dadurch können wir Innovationspotenzial freisetzen und weiter ausschöpfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen die Studierenden, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihre Kreativität und ihren Mut in den Mittelpunkt unserer Überlegungen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dabei sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Braun.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erneut die Gelegenheit nutzen, um über die Perspektiven von Gründerinnen und Gründern und die Chancen von Ausgründungen zu sprechen.

Herr Bolte-Richter hat gerade von Mut und Zuversicht gesprochen, die wir den Menschen in unserem Land zusprechen wollen. Das hat unsere vollste Unterstützung. Denn wenn wir politische Einigkeit beweisen bei dem Gedanken, junge Menschen für Gründungen zu begeistern, dann steht es auch gut um die Zukunft unseres Landes. Wenn wir junge Menschen fördern, um mit ihren innovativen Ideen einen Unternehmensaufbau zu wagen, steht es ebenfalls gut um die Zukunft unseres Landes.

Ich glaube, wir alle wollen dieses Forschungs- und Entwicklergen der Jugend am Leben halten, vielleicht sogar wieder erwecken und weiter entwickeln. Dieser Gedanke begleitete jedenfalls auch die Arbeit von uns als NRW-Koalition und der Landesregierung. Schon in unserem Koalitionsvertrag steht – wenn ich zitieren darf –:

„In diesem Sinne werden wir die Menschen und Unternehmen von überbordender Bürokratie befreien, Investitionen wieder beflügeln und die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft durch eine forschungs- und gründerfreundliche Innovationspolitik unterstützen.“

Deswegen kann ich, Herr Bolte-Richter, den Satz aus dem Antrag der grünen Fraktion unterstreichen.

„Notwendig ist ein Umdenken: weg von der Programmbürokratie, hin zu einer einfachen und unbürokratischen Förderung von Gründerinnen und Gründern.“

So weit, so gut. Aber, mit Verlaub: Auf genau diesem Weg befinden wir uns seit Regierungsübernahme und leisten einen Beitrag nach dem anderen, um dieses Umdenken peu à peu voranzutreiben. Durch die Entfesselungspakete schaffen wir Bürokratieabbau, zum Beispiel bei der digitalen Gewerbeanmeldung. Es gibt immer mehr Hubs, Startercenter, Inkubatoren und weitere Ansprechpartner vor Ort und an den Unis, die beim Wunsch nach Gründungen supporten – direkt und unmittelbar.

Durch das Gründerstipendium 1.000 mal 1.000 – das hat vorhin auch Ihr Lob empfangen – schaffen wir eine dezentrale unbürokratische Möglichkeit für Gründerunterstützungen. In zwei der entscheidenden Gründerphasen, der Pre-Seed- und Seed-Phase, gibt es für 1.000 Gründer 1.000 € im Monat für ein ganzes Jahr – ein Konjunkturprogramm für gute Ideen in unserem Land.

(Beifall von der CDU)

Wir leisten dazu einen Beitrag durch unsere aktuelle Forderung nach einem Urlaubssemester für Gründer, das in das neue Hochschulgesetz eingebarbeitet werden soll, damit sich die Gründer voll und ganz auf ihre Projekte fokussieren können, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Idee gärt. Dann können die Klausuren ruhigen Gewissens mal eine Zeit lang auf die lange Bank geschoben werden, und trotzdem bleiben alle Chancen erhalten.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Hauptsache, der Dozent vergisst es nicht!)

Es gibt bereits bestehende, durchaus bewährte Konzepte wie das Programm „START-UP-Hochschul-Ausgründungen“, das übrigens von den Grünen initiiert wurde. Das sind Mittel, die die Hochschulen schon heute beantragen können, um Gründungsprojekte zu fördern. Eine Expertenjury entscheidet über die Vergabe.

Lassen Sie das alles mal sacken. Ich behaupte, das ist ein recht rundes Paket. Das muss ja nicht dazu führen, die Augen vor neuen Ideen zu verschließen.

Die Grünen beantragen nun, die Mittel der sogenannten START-UP-Hochschul-Ausgründungen pauschal und ohne jegliches Entscheidungsverfahren an die Hochschulen zu geben. Eine gute Idee? Die Grünen begründen ihren Antrag damit, Ausgründungen fördern zu wollen. Das leistet das aktuelle Programm bereits jetzt.

Darüber hinaus darf man nüchtern festhalten: Die Budgets des Programms speisen sich hauptsächlich aus europäischen EFRE-Mitteln. Diese können, was sicherlich die allermeisten in diesem Raume wissen, nicht einfach irgendwem zur freien Verfügung überwiesen werden. Dafür braucht es Nachweise, schlicht und einfach.

Wenn wir auf die EU-Mittel verzichten und lediglich auf die verbliebenen Kofinanzierungsmittel des Landes abstellen, dann wird, sehr geehrter Herr Kollege Bolte-Richter, aus dem Programm schnell nur noch ein Progrämmchen. Ob das wirklich in Ihrem Sinne ist, wage ich zu bezweifeln.

Das Programm läuft in der aktuellen Auflage erst an. Die Frage, welche Hochschule in welchem Umfang Unterstützung für die Gründungsvorhaben erhält, entscheidet sich frühestens im nächsten Monat. Erst dann werden wir wissen, wie die Resonanz und die Verteilung der aktuellen Fördermittel aussehen. Dann laufen die Projekte erst einmal 18 Monate. Das heißt, die Gelder sind bereits verplant und verausgabt. Vielleicht wollen wir uns diese Gedanken in ein, zwei Jahren noch einmal machen, wenn tatsächlich die Chance einer Neuzuordnung der Gelder besteht. So jedenfalls steht Ihr Antrag im luftleeren Raum.

Es werden noch nicht einmal Gedanken dazu zu Papier gebracht, wie hoch die Gründerbudgets sein sollen, wie sie finanziert werden sollen – wenn nicht aus EFRE-Mitteln – und nach welchem Schlüssel die Hochschulen die Gelder erhalten sollen. Machen wir uns doch nichts vor: Auch an den Hochschulen müsste entschieden werden, wer welche Mittel erhält.

Da macht ein Expertenkreis, bei dem sich die Hochschulen gemeinsam mit den Gründerinnen und Gründern mit ihrer Idee das erste Mal beweisen können, ganz einfach Sinn, wenn man den Zuschlag von immerhin bis zu 240.000 Euro pro Projekt erhalten möchte.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Florian Braun (CDU): Dieser Kreis ist kein Akt der Bürokratie, sondern er dient der Qualitätssicherung und der Bestenauslese.

Im Ziel sind wir uns also weiter einig: Wir brauchen Innovation und Unternehmertum in unserem Land. Der vorliegende Antrag erscheint aber noch unausgegoren und lässt Fragen offen.

Wenn Sie uns als regierungstragende Fraktionen sinnvolle Ideen für die Weiterentwicklung der Gründerlandschaft in unserem Land unterbreiten wollen, dann muss da noch etwas mehr Fleisch an den Knochen. So ist es eher – wenn überhaupt – eine Kraftbrühe. Ich bin gespannt, ob in den Ausschussdebatten noch das Fleisch hinzukommt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen suggeriert, dass die vorbehaltlose Überweisung von Haushaltsmitteln in einen Gründungsfonds der Hochschulen die Lösung ist, um Ausgründungen unbürokratisch durch Hochschulen unterstützen zu lassen. Er behauptet zudem, dass den Hochschulen bisher die Möglichkeit fehlt, Gründungswillige selbst zu fördern.

Abgesehen davon, dass ich beim Antragsteller zurzeit die politische Linie in Fragen von Governance und Autonomie der Hochschulen nicht mehr so ganz erkennen kann, habe ich aktuell nicht den Eindruck, dass die Hochschulen nicht in der Lage sind, Start-ups und Entrepreneurships sehr massiv unterstützen zu können.

Fakt ist, dass an den Hochschulen neben den staatlichen Programmen, die von Ihnen dargestellt worden sind, bereits umfangreiche Formen der Zusammenarbeit mit Geldgebern existieren. Schauen Sie sich an, wie Inkubatoren und andere Dinge gebaut sind: In der Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen ist es bereits so, dass die Hochschulen in vielfältigen Kooperationen mit Geldgebern wie der NRW.BANK und anderen in Netzen zusammenarbeiten, um Gründungen unterstützen zu können.

Wir reden nicht nur über Zuschüsse aus staatlichen Mitteln, sondern wir reden auch darüber, wie Gründerinnen und Gründer in Netzwerken unter anderem durch Geldgeber unterstützt werden können, die häufig die Rolle von Mentorinnen und Mentoren übernehmen.

Die Landschaft in Nordrhein-Westfalen ist an dieser Stelle ausgesprochen bunt. Sie ist zum jetzigen Zeitpunkt auf einem guten Weg, wie ich finde. Das zeigt auch die Entwicklung an den Hochschulen der letzten drei, vier Jahre. Ich verweise nur auf die wirklich vorbildlichen Aktivitäten in Köln, Wuppertal, Aachen, Paderborn und anderswo. Daran kann man klar erkennen, wie viel mittlerweile an den Hochschulen passiert und was gebündelt nach vorne getragen wird.

Ich will deutlich sagen, dass meine Fraktion einer Debatte über Veränderungen und Entbürokratisierung in diesem Bereich überhaupt nicht ausweichen will. Man kann fragen: Was kann verändert werden? Was kann besser gemacht werden? – Aktuell ist die NRW-Förderung jedenfalls gekoppelt – ich finde, Sie haben das richtig dargelegt –, und zwar als eine gemeinsame Förderung aus Landeszuschuss und aus EFRE-Mitteln.

Das hat für den Antragsteller im Übrigen den Vorteil, dass es eine bestimmte Art von inhaltlicher Ausrichtung gibt. Im EFRE-Programm werden zielgerichtet inhaltliche Förderschwerpunkte gesetzt, die nach vorn gebracht werden können. Das halte ich für einen nicht unwesentlichen Faktor bei der Frage, wie man mit den nicht so zahlreichen staatlichen Mitteln, die im Projekt vorhanden sind, umgeht.

Ich persönlich glaube übrigens, dass die Forderung, die hier erhoben wird, nicht ohne Änderung des Haushaltsrechts vonstattengehen kann. Vor dem Vorschlag, die Gelder einfach an die Hochschulen zu vergeben, damit diese die Mittel freihändig an Gründer auskippen, würde ich unsere Hochschulen sehr gern schützen wollen.

Das Ganze wird möglicherweise durch den Landesrechnungshof überprüft. Wenn es keine klaren Vergabekriterien gibt, unter denen Mittel ausgekippt werden, geraten wir möglicherweise in die Situation, dass all diejenigen, die an diesen Projekten arbeiten, auch innerhalb der Hochschulen große Legitimationsprobleme bekommen. Wenn die Rahmenvorgaben nicht klar sind, kann das heftige Auseinandersetzungen nach sich ziehen, die in die Hochschulen getragen werden. Ich glaube, das hier andiskutierte Mittel ist nicht wirklich geeignet.

Für Debatten über diese Fragen sind wir jederzeit offen.

Hier wird deutlich suggeriert: Wir haben den Stein der Weisen gefunden. – Leider sinkt der Stein, wenn man ihn ins Wasser schmeißt, schnell nach unten. Wir stimmen der Überweisung natürlich gerne zu und freuen uns auf die Debatte im Ausschuss.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Florian Braun [CDU])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Körner.

Moritz Körner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir erleben jetzt den zweiten Antrag der Grünen zu diesem Thema. Nach dem letzten Plenum hatte ich ein wenig das Gefühl, dass hier Beziehungstraumata aufgearbeitet werden sollen. Erst kommen die Grünen mit tollen Vorschlägen, was man alles an den Hochschulen ändern müsste, und dann kommt die SPD-Fraktion und stellt dar, dass das alles nicht so einfach ist und vieles

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

– ich verteidige gerade die SPD-Fraktion – schon auf den Weg gebracht worden ist.

Wenn vonseiten der Grünen von „Programmbürokratie“ gesprochen wird, fragt man sich, wer denn dieses Programm eingeführt hat. Im Jahr 2015 – da haben Sie noch gemeinsam regiert – habt ihr Verantwortung getragen. Aus dieser wollt ihr euch jetzt an den verschiedenen Stellen verabschieden, und das ist nicht redlich.

Jetzt komme ich zur Sache. Warum ist das auch in der Sache falsch, was die Grünen mit diesem Antrag vorschlagen? Natürlich kann man sagen: Wir geben den Hochschulen die Mittel – Stichwort: Hochschulfreiheit –; alle Hochschulen bekommen ein Budget und sollen dann einfach mal machen. Aber das ist gerade keine Hochschulfreiheit; denn Hochschulfreiheit bedeutet, dass die Hochschulen differenziert an die Sache herangehen können. Nicht alle Hochschulen müssen die absoluten Gründerschmieden sein. Die Hochschulen müssen zudem unterschiedliche Perspektiven aufweisen können.

Deswegen ist eine wettbewerbliche Ausschreibung genau richtig. Man muss prüfen, wo es die besten Gründungen gibt. An welchen Universitäten finden sich besonders gute Gründerzentren? Wo gibt es Fachbereiche, die zusammenwirken? Wo gibt es ein begleitendes Gründerökosystem? Wo gibt es diese Schwerpunkte? Anschließend im Rahmen eines Wettbewerbs zu überlegen, in welche Projekte, in welche guten Ideen das Geld fließen soll, ist meines Erachtens besser, als es mit der Gießkanne einfach so über das Land zu verteilen.

Hinsichtlich der extremen Bürokratie können wir sicherlich über Förderrichtlinien sprechen. Da sind wir ganz offen. Sie sprechen davon, wie unglaublich schwierig und aufwendig das Ganze sei. Tatsache ist: Es gibt eine Jury, und da wird eine Gründungsidee gepitcht. Das ist nicht wirklich anders als in privaten Geldgeberrunden. Auch da muss ich, wenn ich etwas gründen will, meine Ideen vorstellen. Das muss eine gute Idee sein, und dann setze ich mich durch. So etwas im Rahmen des Programms „START-UP-Hochschul-Ausgründungen“ zu üben, ist vielleicht gar nicht so schlecht.

Wir sind uns, glaube ich, einig: Wir wollen die Hochschulen dabei unterstützen, das wichtige Thema „Transfer und Gründung“ voranzutreiben. Herr Kollege Bolte-Richter, es ist schon fast frech, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: Die Landesregierung redet über Gründer, aber gemeint ist eigentlich nur RWE. Das ist so ein „Hambi-bleibt“-Spruch, aber mit der Realität hat das nichts zu tun.

(Beifall von der FDP und der CDU – Dietmar Bell [SPD]: Nur kein Neid!)

Das finde ich wirklich unredlich.

Schauen wir uns einmal das an, was wir beim Thema „Hochschulen“ schon auf den Weg gebracht haben. Da ist der Antrag zum Gründersemester, wobei wir jetzt auch die die Flexibilität möglich machen wollen. Wir haben die zusätzlichen 1.000 x 1.000 Gründerstipendien. Wir bringen jetzt die „Exzellenz Start-up Center.NRW“ für die Hochschulen auf den Weg. Darin machen wir genau das, was Sie wollen: Wir geben Geld an die Hochschulen, damit dort die Gründersysteme zusammengelegt und gute Ideen nach vorne gebracht werden können.

All das machen wir, aber wir machen es wettbewerblich, indem sich die Hochschulen mit ihren Konzepten dafür bewerben müssen. Dafür stellen wir in den nächsten Jahren 150 Millionen Euro zur Verfügung. Drei konkrete Projekte, wie wir Gründer auch an Hochschulen unterstützen, habe ich Ihnen genannt. Da ist durchaus etwas passiert. Dies einfach zu negieren, ist schlicht und einfach unredlich.

Die NRW-Koalition wird Nordrhein-Westfalen zum Gründerland machen. Dafür werden wir den Hochschulen im neuen Hochschulgesetz mehr Freiheiten geben. Wir unterstützen sie mit dem Gründersemester und mit den Exzellenz Start-up Centern. Wir bringen richtig Tempo auf die Straße. Die Grünen sollten sich das einfach etwas genauer anschauen; dann müssten Sie hier nicht diese unnötigen Anträge stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körner. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass ich mit Herrn Körner zwischenzeitlich partiell auch mal übereinstimme, hat sich im letzten Jahr schon einmal ergeben. Dass ich aber auch noch mit Herrn Bell übereinstimme, ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Das, was Sie zuletzt gesagt haben, teile ich voll und ganz.

Herr Bolte-Richter, Sie sind ein junger, dynamischer Mann.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Absolut!)

– Genau. Dass Sie mutig sein wollen, ehrt Sie. Das ist bei vielen jungen Männern so. Lassen Sie sich jedoch von einem älteren Herren sagen: Man sollte Mut von Übermut unterscheiden und vor allen Dingen von Leichtsinn. Ich habe das Gefühl, dass Ihr Antrag schon etwas mit Leichtsinn zu tun hat.

Ich selbst – das muss ich Ihnen ehrlich sagen – halte diesen Antrag nicht für seriös. Sie stellen hier Vorschläge in den Raum, die entweder nicht durchdacht sind oder davon zeugen, dass Sie irgendwie mutwillig das System der Universitäten und Fachhochschulen schwächen wollen.

Sie selbst haben doch das Start-up-Programm aufgelegt – ich meine, das war 2014 oder 2015 –, das inzwischen schon etliche Projekte gefördert hat. Mittlerweile sind 39 Geschäftsideen gefördert worden, die aus 23 Universitäten und 16 Fachhochschulen stammen. Ich weiß nicht ganz genau, warum Sie das ändern wollen.

Das Forschungszentrum Jülich stellt das Gutachtergremium. Darin sind Gründer, Unternehmer, Vertreter aus dem Ministerium und vor allen Dingen wissenschaftliche Experten vertreten. Das ist genau das, was eigentlich die Gewähr für Objektivität leistet.

Ihre Überlegung, das Geld nach dem Gießkannenprinzip an die einzelnen Hochschulen zu geben, ist in mehrfacher Hinsicht unverantwortlich, zumindest aber nicht durchdacht.

Herr Körner hat es gerade schon angesprochen: Die Mittel werden im Grunde genommen dem zentralen Verfügungsraum entzogen und mit der Gießkanne an die Universitäten gegeben. Auch Herr Bell hatte sich entsprechend geäußert. Wir halten Ihre Überlegungen jedenfalls für wenig hilfreich.

Die Hochschulen sind unterschiedlich strukturiert. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass Sie hauptsächlich den naturwissenschaftlich-technischen Bereich ansprechen. Von den Geisteswissenschaften ist hier überhaupt nicht die Rede. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass an vielen Hochschulen gerade die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften einen wesentlichen Bestandteil der Forschung und der Lehre ausmachen. Insofern halte ich es für sinnvoll, das Geld zentral zu beaufsichtigen und dann je nach Bewerbung der Zuteilung zuzustimmen oder nicht.

Außerdem möchte ich daran erinnern, dass wir in Jülich ein bewährtes Gutachtergremium haben. Dieses kann nicht durch Gremien an einzelnen Hochschulen ersetzt werden.

Sie haben gesagt, die Hochschulen würden ihre Absolventen bzw. Professoren am besten kennen und diese daher besser einschätzen können. – Es geht aber eigentlich nicht um eine Einschätzung, sondern um eine gewissenhafte Prüfung des jeweiligen Start-ups. Die Risiken der fehlenden Kenntnis und der fehlenden persönlichen Distanz zu den Antragstellern sind deutlich gegeben.

Darüber hinaus möchte ich auf den zusätzlichen bürokratischen Aufwand an den Universitäten verweisen. Ich halte die Vorgehensweise nicht für einen Bürokratieabbau geeignet, Herr Bolte-Richter. Vielmehr glaube ich, dass es zu einer Aufblähung der Bürokratie an den einzelnen Universitäten kommen würde.

Auf der letzten Seite Ihres Antrags lenken Sie von der eigentlichen Aufgabe der Hochschulen ab. Sie wollen eine dritte Säule neben Forschung und Lehre installieren – Sie nennen das „Third Mission“.

Das halte ich für falsch. Diejenigen, die die Universitäten hier in Deutschland eingerichtet haben, haben ganz bewusst auf Forschung und Lehre gesetzt. Den Bereich „Forschung“ haben Sie im Übrigen durch das Bologna-System schon ziemlich geschwächt.

Bei Forschung und Lehre geht es um das, was für eine Universität zentral ist: die Wissenschaft, die Durchdringung von Sachverhalten. Dazu bedarf es Zeit und intensiver Beschäftigung. Die Idee, eine solche „Third Mission“ zu schaffen, ist sehr schlecht für die Universitäten. Diese würde die Leistungsfähigkeit der Universitäten noch weiter, als es Bologna schon geschafft hat, verringern.

Der besagte verkürzte Blick auf Technik verengt die Leistung der Universitäten im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.

Wir werden das im Ausschuss noch mal diskutieren. Ich sage aber ganz ehrlich, dass ich diesen Antrag für völlig überflüssig, sogar für leichtsinnig halte. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Danke, Herr Kollege Seifen. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich widerspreche meinem Vorredner direkt. Ich begrüße den Grundsatz des Antrags. Es ist völlig richtig, dass die Hochschulen in dem Bereich ihr Möglichstes tun sollten. Im Übrigen ist die „Third Mission“ bzw. Transfer eine der drei Aufgaben von Hochschulen; das steht so schon im Hochschulgesetz und ist auch Teil der Zielvereinbarungen.

Es geht darum, dass die Steuerzahlerrinnen und Steuerzahler ihr gutes Geld in Bildung investieren, wir durch Transfer und Innovation aus dem Wissen, das durch Bildung, Forschung und Technologie entstanden ist, wieder Geld machen, um dieses dann wieder neu investieren zu können. Das ist eigentlich der Kreislauf, der unser Land am Leben hält. Wir müssen alles dafür tun, dass dieser noch besser funktioniert. Je besser er nämlich funktioniert, desto mehr können wir wieder in Bildung, Forschung und Technologie investieren und damit wettbewerbsfähiger werden.

Die Hochschulen haben im Bereich „Transfer“ verschiedene Möglichkeiten, ihr Wissen weiterzugeben und mit der Praxis zu teilen – nämlich mit bestehenden Unternehmen und mit Gründungen; sowohl durch eigene als auch durch die Unterstützung außerhalb der Hochschule entstehender Gründungen. Das tun sie auch, aber das Potenzial ist sicherlich noch nicht ausgereizt.

Deswegen fordert die NRW-Koalition eine neue Gründerzeit für Nordrhein-Westfalen. Blickt man auf die Leistungsdaten des Gründungsgeschehens an Hochschulen, ist erkennbar, dass noch Luft nach oben besteht. Als eine für die Bemessung in Betracht kommende Statistik nenne ich die EXIST-Förderung des Bundes, die schon lange existiert. Blicken wir auf die letzten sechs Jahre zurück, hat Nordrhein-Westfalen 15 % der Stipendien sowie 12 % der EXIST-Forschungstransfer-Gelder in dieses Bundesland geholt. Das ist gemessen an der Zahl der Hochschulen und Studierenden sowie an der Größe unseres Landes natürlich unterdurchschnittlich.

Berlin hat mehr Mittel aus diesem Programm abgeworben als Nordrhein-Westfalen. Das zeigt, dass noch etwas zu tun ist. Ich glaube, dass wir da übereinstimmen. Dort wollen wir ansetzen.

Es gibt verschiedene Wege dahin; unter anderem haben wir einen davon ergriffen, indem wir das Gründerstipendium an den Start gebracht haben, welches auch von Gründungen aus Hochschulen genutzt werden kann und von Herrn Bolte-Richter angesprochen wurde.

Um die Exzellenz von Gründungen noch weiter zu fördern, haben wir aktuell die Einrichtung von „Exzellenz Start-up Center.NRW“ an bis zu sieben Universitäten, in ihr jeweiliges Eco-System eingebettet, ausgerufen. Daran können sich auch andere Hochschulen und Forschungseinrichtungen beteiligen. Wir sind sehr gespannt, wie die Hochschulen auf den Wettbewerbsaufruf reagieren und wie sie sich einbringen werden und erhoffen uns durch das Programm wesentliche Verbesserungen.

Parallel wird auch der Bund seine Angebote verstärken. Es gibt ein BMBF-Programm zur Förderung der Gründungskultur an Fachhochschulen. Darüber hinaus gibt es eine EXIST-V-Förderrunde für Hochschulen. Wir wollen auch unsere Hochschulen dazu aufrufen, sich daran zu beteiligen, um die Gründerförderung zu verstärken.

Hinsichtlich der Forderung nach Gründerbudgets für Hochschulen bin ich skeptisch, weil es diese verschiedenen Programmlinien sowie Möglichkeiten zur Beteiligung bereits gibt; beispielsweise auch „START-UP-Hochschul-Ausgründungen NRW“. Dieses Programm steht landesweit zur Verfügung und fördert besonders die Gründungen, die sich – unabhängig von der Grundausstattung an der jeweiligen Hochschule – abheben.

Last but not least ist die Forderung nach unkomplizierter Bürokratie – ich würde es nicht Bürokratieabbau nennen – ganz wichtig. Das entspricht dem Ziel, das wir bei der Entfesselung im Blick haben. Es freut mich ganz besonders, wenn die Fraktion der Grünen das unterstützt. Ich halte es auch für absolut notwendig.

Auch beim Thema „EFRE“ klang an, dass wir – soweit Programme durch „EFRE“ gefördert werden – dringend etwas tun müssen. Es gibt eine Arbeitsgruppe mit den Beamtinnen und Beamten aus dem Finanzministerium und aus meinem Haus, die klären soll, was wir tun können. Im vierten Entfesselungspaket werden wir konkrete Vorschläge machen, wie wir – auch durch Änderungen der Landes­haus­halts­ordnung – zu einer deutlichen Vereinfachung kommen können.

Ich pflege immer gerne zu sagen: Wer schnell gibt, gibt doppelt. – Das sollte gerade für die Förderung von Gründungen gelten. Hier ist weniger oft mehr. Deswegen wollen wir uns darum kümmern.

Ich denke, dass die Beratungen im Ausschuss Gelegenheit geben werden, das weiter auszuführen. Wir jedenfalls werden das gerne als eine Stärkung und Bekräftigung der Aktivitäten verstehen, die wir schon eingeleitet haben und in Zukunft vorantreiben wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kann ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3795 an den Wissenschaftsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir den Antrag so überwiesen.

Ich rufe auf:

Export von Schlachtrindern einschränken – Mehr Tierschutz bei Tiertransporten durchsetzen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3800

Ich eröffne die Aussprache. – Als erster Redner hat für die AfD-Fraktion Herr Abgeordneter Vogel das Wort.

Nic Peter Vogel (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten 25 Jahren haben sich die Produktion und die Dienstleistungen global verdoppelt, Waren und Dienstleistungen. Das heißt, wir hatten eine 100%ige Steigerung in nur einem Vierteljahrhundert.

Wir stellen immer mehr Lebensmittel her, Getreide, Gemüse, Obst und natürlich auch Fleisch. Und hier kommen wir zum Thema „Massentierhaltung“. Es macht aber keinen Sinn, mit erhobenem Zeigefinger dazustehen und sich in moralischer Überlegenheit zu wähnen, denn nicht jedem Menschen ist es möglich, nicht jeder Mensch hat die Bildung, das Interesse oder gar den Geldbeutel, Biofleisch nach artgerechter Tierhaltung zu konsumieren. Das heißt, in unserer Konsumgesellschaft wird es weiterhin Massentierhaltung geben. Alles andere ist pure Ideologie.

Hier geht es nun darum, diese zu verbessern und immer wieder dafür zu sorgen, dass unserem Nutzvieh eine wirklich würdevolle Behandlung zukommt. In dieser Sache herrscht doch sicher fraktionsübergreifend Konsens und auch ein Konsens in der Bevölkerung.

Aber es gibt sehr große Missstände, nicht nur innerhalb der EU, sondern die größten Missstände haben wir in Ländern außerhalb der europäischen Grenzen, wo es überhaupt keinen Tierschutz gibt, und in europäischen Ländern verortet, die nicht der EU angehören. Die Frage ist also, ob wir wirklich auf eine langwierige Novellierung der EU-Verordnung warten müssen oder ob das vielleicht ein Fall für den Europarat wäre. Da gab es schon mal was, aber das ist alles nicht mehr praktizierbar und nicht mehr zeitgemäß.

Ich weiß nicht, ob Sie beispielsweise die Bilder von den bulgarischen Außengrenzen kennen, wenn dort in den Sommermonaten die Superstaus sind und die Tiere teilweise tagelang in großer Hitze warten müssen. Da ist nichts mit Tierschutz, auch nichts mit Kontrollen oder einer GPS-Überwachung, und Sanktionen gibt es in der Sache auch nicht. Die örtlichen Veterinäre sind absolut überfordert und sehen sich auch noch Druck ausgesetzt. Sie werden körperlich angegangen und erhalten Morddrohungen.

Meine Damen und Herren, mir leuchtet sowieso nicht ein, warum wir Nutzvieh kreuz und quer über den ganzen Kontinent schicken müssen. Wir priorisieren die kürzesten Transportzeiten und die heimische Schlachtung. Das hätte sehr viele Vorteile.

Laut Bundesregierung – das leuchtet doch jedem ein – ist der Transport von gefrorenem Fleisch sehr viel günstiger als Lebendtiertransporte. Wir könnten beispielsweise die frei werdenden Kapazitäten bei den Veterinären an unseren Schlachthöfen bündeln und dafür sorgen, dass dort europäisches Tierrecht und der Tierschutz durchgesetzt werden. Das sollten wir uns nicht aus der Hand nehmen lassen. Darüber hinaus könnte die Wertschöpfung weiter in diesem Land verbleiben.

Bei Tiertransporten – die Schlachthöfe spezialisieren sich immer mehr – könnte man beispielsweise Regelwerke der IATA, der Internationalen Luftfrachtorganisation, berücksichtigen. Die haben nämlich seit Jahrzehnten Praxis darin, mit Lebendtiertransporten umzugehen, und Regelwerke, die man nicht austricksen kann.

Ich weiß aber, was gleich kommen wird: Herr Vogel, Ihr Antrag ist überflüssig, denn die Beratungsgespräche im Bundestag sind doch längst angelaufen. – Darum geht es doch. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen noch gar nicht darüber gesprochen. Wir haben nun die Möglichkeit, unsere Stimme, unser Gewicht in die Verhandlungen einzubringen, beispielsweise in die Agrarministerkonferenzen.

Dementsprechend möchte ich, dass Sie diesen Antrag als Statement verstehen, dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere Stimme erheben und für mehr Tierschutz und Tierwohl eintreten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und jede Ihrer Stimmen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Frieling das Wort. Bitte schön.

Heinrich Frieling (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch den vorliegenden Antrag wird klar: Die AfD wird nie ein verlässlicher Partner der Landwirtschaft und der lebensmittelverarbeitenden Betriebe in Nordrhein-Westfalen sein.

(Beifall von der CDU)

Unsere Betriebe benötigen Verlässlichkeit und langfristig durchdachte Lösungen. Ständige Schnellschüsse und vor allem billige Kopien helfen nicht weiter.

(Beifall von der CDU)

In Ihrem Antrag – Sie haben es selber gesagt – nehmen Sie Bezug auf Anträge der Bundestagsfraktionen von FDP und Grünen, die längst gelaufen sind, aus denen Sie abgeschrieben haben. Das ist übrigens noch keine eigenständige politische Leistung.

Aufgrund der Anträge von FDP und Grünen hat bereits im Januar eine erste umfassende Diskussion des Themas im Deutschen Bundestag stattgefunden; Sie haben es gerade selber gesagt.

Bereits im April hat sich aber auch die Agrarministerkonferenz mit diesem Thema beschäftigt, und zwar unter nordrhein-westfälischer Leitung, und Beschlüsse dazu gefasst.

Noch in der vorletzten Woche hat in meinem Wahlkreis, in Bad Sassendorf, die Agrarministerkonferenz stattgefunden, ebenfalls unter nordrhein-westfälischer Leitung, sich mit diesem Thema beschäftigt und Beschlüsse dazu gefasst.

Außerdem wird heute im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestags ebenfalls über die Ergebnisse der Agrarministerkonferenz berichtet.

Daher erschließt sich mir der Mehrwert Ihres Antrags nicht. Im Gegenteil: Ihr Vorschlag einer rein nationalen Strategie geht in die völlig falsche Richtung.

Grundsätzlich – da sind wir uns einig – sprechen Sie mit Ihrem Antrag ein sehr wichtiges und sensibles Thema an. Selbstverständlich muss der Tierschutz auch bei Tiertransporten uneingeschränkt gewährleistet sein. Das ist politisch unbestritten.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Immerhin!)

Für den Transport lebendiger Tiere trifft die Tierschutztransportverordnung daher auf europäischer Ebene umfangreiche Regelungen, vor allem im Hinblick auf die Versorgung mit Futter und Wasser, die Temperatur im Fahrzeug, die Ladedichte, Ruhepausen usw. Sofern aber bei Tiertransporten, insbesondere zu Zielen, die außerhalb der EU liegen, schwerwiegende Missstände aufgefallen sind, besteht zusätzlicher Handlungsbedarf. Wenn hier keine tiergerechten Transporte sichergestellt werden können, müssen die Transporte von Schlachttieren in letzter Konsequenz unterbleiben.

Auch ohne Ihren Antrag hat die Agrarministerkonferenz im April bereits entsprechende Forderungen formuliert. Gemeinsam begrüßt wurden dabei auch die ebenfalls vorhandene Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zur Überarbeitung der EU-Tierschutztransportverordnung und das Engagement für einen einheitlichen und konsequenten Vollzug dieser Verordnung in allen Mitgliedsstaaten.

Dabei handelt das Bundesministerium gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten, etwa den Niederlanden und Dänemark. So wird die Begrenzung der Transportdauer für Schlachttiere auf acht Stunden bereits angestrebt.

Die von Ihnen nunmehr geforderte nationale Lösungsstrategie macht vor dem Hintergrund, dass es sich um eine grenzüberschreitende Thematik handelt, überhaupt keinen Sinn. Vielmehr muss es, wie bereits von unserer Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gefordert, eine EU-weite Lösung geben.

Insgesamt zeigt die Thematik einmal mehr, wie wichtig es ist, dass auch wir in Nordrhein-Westfalen funktionierende landwirtschaftliche und lebensmittelverarbeitende Strukturen erhalten. Wir dürfen unsere Bauern nicht immer mit weiteren Vorgaben überziehen, sondern müssen verlässliche Rahmenbedingungen auf Grundlage gemeinsamer, europaweiter Standards schaffen.

Genauso müssen wir darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Schlachthöfe vor Ort, insbesondere der kleineren Betriebe, nicht durch einseitige nationale Auflagen unnötig gefährdet wird. Nur so verhindern wir die Verlagerung von Produktion und Verarbeitung ins Ausland und können Tiertransporte im Sinne der Tiere auf das notwendige Maß reduzieren.

Wie Sie sehen, sind alle Beteiligten bereits auf dem Weg, um die Situation der internationalen Tiertransporte zu verbessern. Dafür braucht es keinen Antrag der AfD und erst recht nicht die Forderung nach einem nationalen Alleingang, wie Sie ihn formulieren. Die CDU-Fraktion lehnt den Antrag daher ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Frieling. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Stinka das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal begrüßen wir es, dass wir uns mit dem Thema „Tierwohl“, mit dem Blick auf Tiertransporte auseinandersetzen. Dem Grunde nach – davon bin ich überzeugt – sind wir uns hier im Hause in der Sache gar nicht so uneinig. Denn wenn wir uns an die ZDF-Reportage „37 Grad – Geheimsache Tiertransporte“ erinnern, dann wird mir jeder zustimmen, dass die Tiertransporte mit ethischen Grundsätzen unter gar keinen Umständen vereinbar sind. Derartige Tiertransporte sind schlichtweg Tierquälerei und nicht zu rechtfertigen. Solch ein Leid und Elend ist nicht akzeptabel und muss beendet werden.

Wer glaubt, dass uns dies nicht betrifft, weil die Tiere die deutsche Grenze überqueren und teilweise sogar in Zielländer außerhalb der EU gebracht werden, der liegt falsch. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahre 2015 in einem Urteil bekräftigt, dass die Einhaltung der europäischen Standards und Regeln nicht nur für die EU und ihre Mitgliedsstaaten verpflichtend ist, sondern diese bis zum Zielort des Transportes sichergestellt werden müssen, auch wenn der sich außerhalb der EU befindet.

Die Bundesregierung setzt sich deshalb auf europäischer Ebene für die Änderung der EU-Tierschutz­transportverordnung und den Vollzug ein. Auch die Forderung nach einer EU-weiten Begrenzung der Transportzeiten von Schlachttieren auf acht Stunden stößt in Berlin nicht auf taube Ohren; vielmehr werden der EU-Kommission seit 2014 umfangreiche Vorschläge gemacht.

(Helmut Seifen [AfD]: Das sind vier Jahre!)

Das Wohl der Tiere ist uns also definitiv nicht egal – so stellen Sie es in Ihrem Antrag dar –, schließlich hat Tierwohl unter SPD-Regierungsverantwortung Verfassungsrang bekommen. Artikel 20a des Grundgesetzes wurde 2002 eingeführt. Das will ich hier noch einmal hervorheben.

Zu Beginn meiner Rede sprach ich davon, dass wir uns in der Sache sicherlich grundsätzlich einig sind: Ja, Tiertransporte müssen rechtskonform erfolgen. Ja, die Tiertransportbedingungen müssen verbessert werden. Und sollte dies nicht möglich sein, müssen Tiertransporte unterbleiben.

Einen Teil Ihres Antrags haben Sie aber in Ihrer Rede gerade elegant umschifft, Herr Vogel. Denn wenn wir darauf schauen, welche Länder Sie besonders hervorheben, in denen Verstöße gegen Tiertransporte vorliegen, dann stellen wir fest, das sind unter anderem der Libanon und die Türkei. Ich glaube, gerade wir Sozialdemokraten gehen Ihnen da nicht auf den Leim, dass Sie just die Länder herausheben, in denen Schächten und andere Schlachtarten praktiziert werden, die Sie in Ihrem Wahlprogramm immer diffamieren.

(Helmut Seifen [AfD]: Ansprechen!)

Wenn Sie mit Ihrem Antrag auf den Tierschutz abzielen wollen, dann muss ich sagen: Es geht darum, dass alle Tiere in alle Länder ordentlich verbracht werden, nicht nur in einige wenige.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Dann sollten da nicht unterschwellig andere Religionsgemeinschaften reingebracht werden. Deswegen fand ich Ihre Rede ganz bezeichnend. Sie haben in Ihrer eigenen Rede über den Tierschutz Ihren Antrag nur halb wiedergegeben, Herr Vogel.

Unter dem Deckmäntelchen dieses Antrags versuchen Sie, wie so häufig, eine Spaltung in die Gesellschaft zu tragen, Ressentiments zu fördern. Sie tun so, als wollten Sie etwas für die Tiere tun, diffamieren aber unterschwellig andere Religionsgemeinschaften. Das lassen wir Sozialdemokraten Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall von der SPD)

Entweder wir reden universell über den Schutz von Tiertransporten und Tierrechten, oder wir reden darüber, die Gesellschaft zu spalten. Sozialdemokraten reden darüber, dass wir Tierrechte achten und die Gesellschaft nicht spalten sollen, Herr Vogel. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Abgeordneter Diekhoff das Wort, bitte schön.

Markus Diekhoff*) (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Ziel, Transporte von Schlachttieren außerhalb der EU zu reduzieren, ist ja unstrittig. Hierzu hat die FDP-Bundestagsfraktion bereits vor gar nicht allzu langer Zeit einen Antrag im Bundestag gestellt. Die AfD beklagt nun in ihrem Antrag, dass CDU/CSU und SPD einen entsprechenden Antrag abgelehnt hätten. Die ganze Wahrheit ist aber: Die AfD hat das auch getan. Der Antrag der FDP Drucksache 19/435 wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

(Helmut Seifen [AfD]: NRW ist eben fortschrittlich!)

– NRW ist fortschrittlich.

Sie haben dann einem weitergehenden Antrag der Grünen im Bundestag zugestimmt. Diesen Beschlussteil haben Sie jetzt inhaltlich eins zu eins kopiert und hier heute wieder eingebracht. Das ist insofern interessant, als sonst das Verhältnis zwischen Ihnen und den Grünen nicht immer so super ist. Aber nehmen wir das mal hin.

Sie haben dabei aber völlig übersehen oder schlecht recherchiert – das wurde ja vorhin bei meinem Vorredner schon deutlich –, dass der Antrag und damit auch die Forderungen längst überholt sind. Denn – ich erkläre es Ihnen kurz noch einmal – es gibt einen AMK-Beschluss aus dem April 2018, mit dem die Ministerinnen und Minister und Senatoren die Bundesregierung bereits auffordern – ich zitiere –,

„sich auf EU-Ebene für eine Änderung der Verordnung … dahin gehend einzusetzen, dass ein Transport von Schlachttieren aus der EU in Drittländer nur dann erfolgen kann, wenn der Bestimmungsschlachtbetrieb nachweislich bestimmte Tierschutzstandards … erfüllt“.

Solange kein EU-weites Verbot für den Export von lebenden Tieren zur Schlachtung gültig ist, sprechen sich die Ministerinnen und Minister der Agrarressorts der Länder dafür aus, dass von Deutschland aus Lebendtransporte von Schlachttieren in Drittländer – außer Norwegen und der Schweiz – nur durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass diese nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH tierschutzgerecht möglich sind. Dazu gehören auch Transporte während der Sommerzeit, die aufgrund der Hitze problematisch sind. Dazu hat sich die AMK ebenfalls positioniert.

Die FDP sieht sehr lange Tiertransporte kritisch, weil das erheblichen Stress für die Tiere bedeutet. Deshalb haben wir auch den Antrag im Bundestag gestellt, dem Sie nicht zugestimmt haben.

Da zeigt sich: Die wirkliche Stoßrichtung Ihres Antrags ist eine andere. Das zeigt sich tatsächlich erst im hinteren Teil, den Sie nicht erwähnt haben. Die SPD hat das schon deutlich gemacht. Sie nutzen diesen Antrag, um gegen religiöse Vorschriften von Muslimen zu hetzen. Es geht Ihnen nicht darum, Tiertransporte generell auf ein unbedingt erforderliches Maß zu begrenzen, sondern es geht Ihnen darum, Viehtransporte in muslimische Länder zu stoppen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Schächtungen nach muslimischem Ritual werden von der AfD nicht akzeptiert, und daher soll kein Rind mehr in diese Länder exportiert werden.

(Helmut Seifen [AfD]: Wird das denn von Ihnen akzeptiert?)

Hier wird der Tierschutz nämlich nur vorgeschoben – hören Sie mir zu –, um das Schächten zu verhindern, und zwar interessanterweise nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Kulturen. Denn Sie haben in mehreren Kleinen Anfragen gezielt nach Anzahl und Durchführung auch von Schächtungen in Nordrhein-Westfalen gefragt. Die Antworten passten Ihnen nicht. Deshalb möchten Sie jetzt das Schächten nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der EU unterbinden. Das steht auch in Ihrem Parteiprogramm. Es wurde vorhin schon deutlich.

Aber nicht nur die Muslime, sondern auch die Juden werden mit dieser Forderung vor den Kopf gestoßen. Das bestätigt auch der Zentralrat der Juden, der Ihre Forderung zu Recht als antisemitisch gebrandmarkt hat.

Ich halte deswegen fest: Die FDP und auch die NRW-Koalition setzen sich auf allen Ebenen gegen unnötige und quälerische Tiertransporte ein. Im Gegensatz zu Ihnen bekennen wir uns aber zum Grundgesetz und damit auch zur Religionsfreiheit, unter die nach geltender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch das Schächten fällt.

Wir fordern, dass Lebendtiertransporte nach Maßgabe der bestehenden Gesetze und der europäischen Verordnungen durchgeführt werden, weil es uns um das Tierwohl geht und nicht darum, Muslime und Juden in ihrer Religionsausübung zu verletzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Diekhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Rüße das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag beschäftigt sich mit einem ernsten Thema. Jeder von uns, der die Bilder im Fernsehen gesehen hat, kann sich, glaube ich, gar nicht vorstellen, dass Menschen Tieren so etwas antun. Insofern finde ich es erst einmal gut, solch einen Antrag zu stellen und dieses Thema zu setzen. Das ist so weit in Ordnung.

Dass Sie aber mit Ihrem Antrag bei dem stehen bleiben – das ist hier schon mehrfach gesagt worden –, was im Bundestag längst diskutiert und auch festgestellt wurde, finde ich wiederum deutlich zu kurz gegriffen. Sie hätten in Ihrem Forderungsteil schon einen Schritt weitergehen müssen. Sie können nicht einfach nur noch einmal das fordern, was die Bundesregierung längst beschlossen hat, was die Agrarminister längst beschlossen haben, was also auf dem Weg ist. Das müssen wir doch hier nicht noch einmal beschließen. Welchen Sinn soll das haben?

Besonders ärgerlich finde ich – das ist Ihrem Nationalismus geschuldet –, dass Sie glauben, Sie könnten einem internationalen Problem mit einer nationalen Lösung begegnen. Das ist doch irre. Das geht doch nicht. Wir können doch nicht glauben, dass wir Fehler an der osteuropäischen Grenze Europas hier in Deutschland lösen können. Wie sollte das gehen? Das wird nicht möglich sein.

Wir haben in der Vergangenheit – ein anderes Thema, über das wir morgen auch noch einmal beraten – darüber diskutiert: Wie kriegen wir die Gülleimporte in Europa gesteuert? Wie geht das? – Da gibt es europäisches Recht. Da gibt es klare Vorgaben. Da haben wir auch keine Möglichkeit, das auf nationaler Ebene von Nordrhein-Westfalen aus irgendwie hinzubiegen. Das klappt nicht.

Wenn es Ihnen wirklich darum geht, etwas für die Tiere zu tun, dann müssen Sie das auf europäischer Ebene lösen. An der Stelle ist es auch gut angesiedelt. Sie haben ja lang und breit dargestellt, um wie viel größer der Handel geworden ist. Das ist alles richtig. Weil das so ist, ist es gut, dass wir europäische Institutionen haben, die es uns ermöglichen, diesem Elend ein Ende zu setzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will auch noch sagen – bei Herrn Diekhoff klang das auch an –: Mich stört, dass Sie hier ein Segment herausgreifen und es dann noch einmal wieder zuspitzen auf die Frage der Schlachtung in der Türkei. Wenn wir uns um den Umgang mit Tieren nicht nur bei Muslimen, sondern in der gesamten Gesellschaft kümmern wollen, dann wissen wir, dass das Problem viel, viel größer ist. Jedes Jahr landen eine halbe Million Schweine in Deutschland unbetäubt und nur mangelhaft getötet im Brühkessel. Sie sind nicht wirklich fachgerecht getötet. Wir wissen eigentlich, dass man im Schlachthof nicht im Akkord arbeiten sollte. Dann müssen wir das auch mal anpacken.

Ihr Antrag suggeriert quasi, hier wäre alles in Ordnung und dort alles falsch. Das greift deutlich zu kurz. Das zeigt, dass Sie mit diesem Antrag gar nicht wirklich den Tierschutz meinen. Sie meinen etwas ganz anderes. Es handelt sich in der Tat wieder um den Versuch, dieses Land zu spalten. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag auch ablehnen müssen.

Sie sagen, Sie wollen das Thema hier in den Landtag einbringen. Wir hätten es ja auch beraten können. Was hilft es denn, wenn alles schon ausdiskutiert ist, hier noch einmal ein Signal zu setzen?

Es wäre gut und sinnvoll, wenn wir hier im Landtag tatsächlich mal über tierschutzrechtliche Probleme in der gesamten Nutztierhaltung nach dem landwirtschaftlichen Betrieb reden würden. Denn wir reden oft genug darüber, wie in landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet wird.

Wir sollten tatsächlich einmal darüber reden, was bei den Transporten passiert, und zwar nicht nur bei denen nach Bulgarien. Es gibt durchaus Probleme innerhalb von Deutschland. Die Frage ist ja: Kriegen wir die Transportzeiten auf vier Stunden in Deutschland und auf acht Stunden in Europa reduziert?

Dann zur Frage der Schlachthöfe: Im Februar 2018 war ich in Düren und habe an einer Veranstaltung zum Schlachthof Düren teilgenommen. Auf diesem Schlachthof gab es massive tierschutzrechtliche Verstöße. Da muss man doch dann auch ran.

Deshalb müsste man es deutlich weiter fassen. Ich habe überhaupt keine Lust, diesem Antrag zuzustimmen; denn damit wird nur ein kleines Segment herausgegriffen und tatsächlich nur das eine Ziel verfolgt, nämlich die Gesellschaft zu spalten. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Rüße, es gibt eine Kurzintervention. – Herr Abgeordneter Seifen, Sie haben das Wort.

Helmut Seifen*) (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Rüße, Sie haben verschiedene Dinge angesprochen, denen ich Folgendes entgegensetzen will. Zunächst einmal: Sie sind für das Schächten, wenn ich es richtig verstanden habe. Bei Ihnen war das nicht so ganz klar, aber bei Herrn Diekhoff war das klar. Sie können mir natürlich gerne widersprechen; das ist klar.

Als Zweites stelle ich fest, dass Sie die Widersprüchlichkeit Ihres eigenen Redens und Handelns nicht erkennen. Sie wollen das Klima retten, indem Sie zum Beispiel aus der Kohle aussteigen wollen. Sie wollen also das Klima durch einseitige nationale Maßnahmen retten. Beim Tierschutz aber sagen Sie, dieser sei durch einseitige nationale Maßnahmen nicht zu gewährleisten, sondern das ginge nur auf europäischer Ebene. Ich sehe darin einen Widerspruch. Aber Sie können mir ja gleich antworten und erläutern, ob das widersprüchlich ist. Also, das eine kann man national regeln, das andere nicht.

Ein Letztes: Sie sagen, der Bundestag diskutiere darüber. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wie lange will er noch diskutieren? Ihre Partei ist zwar nicht in der Bundesregierung, aber in etlichen Länderregierungen vertreten. SPD und CDU sind seit ewigen Zeiten in der Bundesregierung und haben offenbar ignorant zugesehen, wie Tausende von Tieren gequält werden; es hat sie nicht gekümmert.

Mit diesem Antrag möchten wir Sie aufrütteln. Dieser Antrag ist unbedingt notwendig, damit Sie zu Potte kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Seifen, das waren ja etliche Punkte, die Sie angesprochen haben. Ich fange einmal hinten an.

Sie sagen, dass nichts passiert ist. Aber genau das ist falsch. Durch das Bundeslandwirtschaftsministerium sind den beiden Ländern, in denen die gravierendsten Verstöße aufgetaucht sind, nämlich Libanon und Libyen, die Zertifikate entzogen worden. Das heißt, es ist gar nicht mehr möglich, dorthin zu exportieren. Daran können Sie doch schon sehen, dass sehr wohl etwas passiert. Daher ist Ihr Vorwurf an der Stelle falsch.

Dann haben Sie das Schächten angesprochen. Das ist eine Frage, mit der ich mich als Grüner auch unter tierschutzrechtlichen Aspekten in der Tat beschäftige. Ich habe mir dazu zwei Schlachthöfe angeguckt. Der eine Schlachthof war die Firma WIESENHOF in Niedersachsen, die genau das macht, nämlich Geflügel nach Halal-Vorschriften schlachtet. Das ist auch gar kein Problem; denn so, wie Sie sich das vorstellen, wie das in Ihrer Welt abläuft, funktioniert es dort nicht.

Dort gibt es ein Gebäude, das Richtung Mekka ausgerichtet ist. In dem Gebäude gibt es einen merkwürdigen Ausschnitt. Man weiß überhaupt nicht, was das soll. Die Fließbänder haben eine ganz eigenartige Kurve. Das macht arbeitstechnisch eigentlich wenig Sinn, aber es entspricht eben den Vorschriften. Die Tiere, die dort geschlachtet werden – das ist eine Putenschlachterei –, werden alle vorher im Elektrobad betäubt. Das ist für Muslime an der Stelle kein Problem.

(Zuruf von Nic Peter Vogel [AfD])

Der zweite Schlachthof, mit dem ich mich beschäftigt habe, ist in Nordrhein-Westfalen. Es ging um die Frage – diese Initiative ist heftigst bekämpft worden –,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

in Neuss einen solchen Schlachthof einzurichten, der das genauso gemacht: Rinderbetäubung nicht mit Bolzenschuss, sondern mit Kurzzeitelektrobetäubung. – Das funktioniert, ist alles machbar.

Wir wären an der Stelle deutlich weiter, wenn es nicht ständig Störfeuer geben würde. Wenn solchen Schlachthöfen, die tierschutzrechtlich gut arbeiten, nicht ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen würden,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

würden wir von illegaler Schlachtung und allem, was es sonst noch geben mag, wegkommen und solche Schlachthöfe voranbringen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ich hatte ja vorher viel Redezeit eingespart!)

– Das betraf die Redezeit der Fraktion. Aber das war jetzt die Erwiderung auf die Kurzintervention, und die findet üblicherweise im Anschluss an einen Redebeitrag statt.

Jetzt hat Frau Ministerin Scharrenbach in Vertretung für Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das vorgebrachte Anliegen ist in der Realität längst überholt und geht somit letztendlich ins Leere. Das haben dem Grunde nach vier Redner vor mir schon mehr als deutlich gemacht.

Es steht völlig außer Frage, dass Tiere bei Transporten besonderen Belastungen ausgesetzt sein können, vor allem dann, wenn diese sehr lange dauern. Schon seit acht Jahren verhandelt deswegen die Bundesregierung keine neuen Zertifikate mehr für den Export von Schlachttieren in Drittländer; Herr Rüße ist gerade darauf eingegangen.

Diese sogenannten Veterinärzertifikate sind eine notwendige Grundlage für den Export von Tieren. Schlachttiere spielen daher bei Drittlandtransporten kaum noch eine Rolle. Im Jahr 2017 wurden lediglich 64 Schlachtrinder von Deutschland aus in Nicht-EU-Staaten, nämlich in den Libanon, exportiert. Seit Mai dieses Jahres sind die letzten Zertifikate für die Ausfuhr von Schlachtrindern für ungültig erklärt worden. Damit gibt es schlichtweg gar keine Grundlage mehr für den Export von Schlachttieren in diese Drittländer. Der Antrag ist demnach in Bezug auf derartige Schlachttiertransporte mehr als hinfällig, weil das schon geregelt ist.

Die Agrarministerkonferenz unter Vorsitz der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat bereits bei ihrer Frühjahrstagung am 27. April 2018 in Münster die Bundesregierung gebeten, auf der europäischen Ebene für eine Änderung der EU-Verordnung zum Tierschutz beim Transport einzutreten.

Die Aufforderung bezieht sich auch auf den Tierschutz in anderen Mitgliedsstaaten. Es geht letztendlich auch darum, dass über die reinen Transportbestimmungen hinaus gewährleistet sein sollte, dass Tierschutzstandards erfüllt werden.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat daher bei der Europäischen Union angefragt, um die Überarbeitung dieser maßgeblichen Rechtsgrundlage zum Tierschutz beim Transport zu veranlassen – wohlgemerkt eine Initiative dieser Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Insbesondere sollen dabei die Transportzeiten für die Tiere weiter begrenzt werden sowie Vorgaben zum Platzangebot für die Tiere konkretisiert und die behördlichen Kontrollmöglichkeiten verbessert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem gleichen Ziel der Änderung der EG-Tierschutz­trans­portverordnung gab es auch schon 2014 eine Initiative Dänemarks, der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland, die an die Europäische Kommission gerichtet war. Darauf ist hier schon eigegangen worden.

Außerdem gibt es den geforderten Dialog zu dieser Thematik mit Bund und Bundesländern schon längst. Bei den Agrarministerkonferenzen findet seit Jahren immer wieder ein reger Austausch zu diesen Fragen statt – im Übrigen auch bei beiden Agrarministerkonferenzen in Nordrhein-Westfalen unter dem Vorsitz Nordrhein-Westfalens in diesem Jahr.

Abschließend möchte ich anmerken, dass es auch zu Tiertransporten im Sommer bei großer Hitze mittlerweile eine wichtige Neuerung gibt; das ist noch nicht angesprochen worden. Die Agrarministerkonferenz hat auf ihrer diesjährigen Herbstsitzung auf Antrag Nordrhein-Westfalens einen wichtigen Beschluss gefasst. Die Agrarministerinnen und ‑minister sowie ‑senatoren haben die zuständigen Behörden gebeten, sehr genau auf zu hohe Temperaturen bei Tiertransporten vorwiegend in die mediterranen Drittländer zu achten und dies bei der Abfertigung zu berücksichtigen.

Auf dieser Grundlange ist im nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium bereit ein Erlass in Vorbereitung, der für die warmen Sommermonate Juli, August und September bei zu hohen Temperaturen ein Transportverbot vorsieht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie merken also: Das Thema ist bei der Landeregierung Nordrhein-Westfalen mehr als gut aufgehoben. Daher können wir eigentlich nur empfehlen, diesen Antrag zurückzuziehen, weil, offen gesagt, alles beschlossen, in die Wege geleitet und auf dem Weg ist. Insofern tragen wir Sorge dafür, dass das vorgebrachte Anliegen auch in die Realität umgesetzt wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Vogel das Wort. Die Fraktion der AfD hat noch 55 Sekunden Redezeit. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Nic Peter Vogel (AfD): Danke schön. – Ein paar Dinge müssen hier noch klargestellt werden.

Erstens. Sie werfen mir die ganze Zeit vor, die Intention des Antrags sei nur das Schächten. Gleichzeitig wird gesagt, dass auch in Deutschland beispielsweise bei Wiesenhof doch geschächtet werden kann – nach jüdischem oder muslimischem Ritus. Das ist hier überhaupt kein Problem, weil die Tiere vorher betäubt werden.

Zweitens. Der nächste Punkt ist der nationale Ansatz. Ich wäre auch dagegen, wenn aus Bayern Tiere extra nach Thüringen verbracht würden.

Drittens. Sie reden die ganze Zeit immer nur von EU-Recht, obwohl ich eben präzise gesagt habe, dass diese Verfehlungen außerhalb der EU vorkommen, und zwar nicht nur in außereuropäischen Ländern, sondern außerhalb der EU in europäischen Ländern.

Bei diesen drei Punkten konnten Sie mich mit Ihren Gegenreden nicht widerlegen. Und dass wir hier ein Statement haben wollten, habe ich gerade kurz dargestellt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir auch beim Blick in die Runde nicht vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Da die antragstellende Fraktion der AfD direkte Abstimmung beantragt hat, lasse ich somit über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/3800 abstimmen. Wer dem Inhalt zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/3800 abgelehnt.

Damit sind wir am Ende von Tagesordnungspunkt 8 und kommen zu:

Fragestunde

Drucksache 17/3847

Mit dieser Drucksache liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 24, 25, 26 und 27 vor.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 24

der Frau Abgeordneten Wibke Brems von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf:

Kosten des Polizeieinsatzes im Hambacher Wald

Am 13. September 2018 begann durch eine Anweisung des Bauministeriums die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Wald. Polizistinnen und Polizisten der Bereitschaftspolizei sowie der Spezialeinheiten aus ganz NRW, unterstützt durch Polizeibeamtinnen und -beamte aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei, mussten dafür über Wochen Amtshilfe leisten.

In einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird Innenminister Reul am 7. Oktober 2018 damit zitiert, dass die Hundertschaften aufgrund des vom Oberverwaltungsgericht verfügten Rodungsstopps am 8. Oktober 2018 abgezogen werden. Damit ist der Polizeieinsatz im Hambacher Wald beendet und eine Bilanz der Kosten und des Einsatzes kann gezogen werden.

Wie hoch waren die Gesamtkosten der Räumung der Baumhäuser im Hambacher Wald im Zeitraum vom 13.09. bis 08.10.2018?

Wie viele Dienststunden sind bei der Polizei im Zeitraum vom 13.09. bis 08.10.2018 beim Einsatz im Hambacher Wald angefallen?

Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet.

Die Landesregierung hat davon Gebrauch gemacht und mitgeteilt, dass Herr Minister Herbert Reul antworten wird. Insofern darf ich Herrn Minister Reul für die Antwort der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage 24 das Wort geben.

Herbert Reul, Minister des Innern: Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Im Rahmen der Mündlichen Anfrage

(Der Redner spricht das Wort „Anfrage“ sehr verwaschen aus, sodass man „Fangfrage“ verstehen könnte.)

wird die Frage gestellt, welche Fehler …

(Zuruf von der SPD: Fangfrage?)

– Was? – Das fängt schon gut an. Ich habe die falsche Antwort gegriffen, weil ich heute zweimal dran bin.

(Michael Hübner [SPD]: Falscher Redezettel! Kann mal passieren!)

Das geht aber ganz schnell. Dafür ist die Antwort auch kürzer.

Zur ersten Frage, die ich natürlich gerne beantworte: Es gibt Fragen, die gar nicht so leicht zu beantworten sind. Dabei geht es …

(Lachen von Michael Hübner [SPD])

– Passen Sie auf. Ich bin es gewohnt, dass man ernsthaft miteinander umgeht. Wir können es auf dieser Ebene machen. Dann gebe ich gar keine Antworten mehr. Ich habe keine Lust mehr, so miteinander umzugehen.

Ich versuche jetzt einmal ernsthaft, die Frage zu beantworten. Dann können wir uns nachher gerne streiten, ob das vernünftig oder nicht vernünftig ist. Damit meine ich nämlich nicht das, was Sie wahrscheinlich vermutet haben – den Aufwand, die technischen Aspekte –, sondern mich treibt seit ein paar Tagen die Frage um: Was muss, was soll, was darf man veröffentlichen? Dabei geht es nicht um juristische Aspekte. Naturgemäß wird diese Frage in meinem Hause öfter gestellt als in anderen Ministerien. Das liegt an der Natur der Aufgabenstellung in meinem Haus.

Sie wissen, wenn Sie sich um die Sache gekümmert haben, dass ich in den ersten Monaten meiner Amtszeit bereits einige Male die bisherige Praxis des Hauses, Daten nicht zu veröffentlichen, verändert habe. Bei der Frage nach Straftaten im Rahmen von KURS, nach Straftaten von Ausländern oder nach dem Thema „Messerattacken“ habe ich ganz bewusst auf Transparenz gesetzt.

Bei der vorliegenden Anfrage zu den Kosten habe ich mich hingegen entschieden, so zu handeln wie mein Vorgänger. Das Innenministerium hat in der Vergangenheit Kosten, die bei Polizeieinsätzen entstanden sind, nicht veröffentlicht.

Ich möchte auf die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2015 hinweisen. Damals ging es um die Einsatzkosten bei Spielen der Fußball-Bundesliga. Es gab auch eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2014 zu den Kosten von Einsätzen von Einsatzhundertschaften ganz allgemein. In beiden Fällen war die Antwort meines Vorgängers die gleiche. Sie lautete nämlich sinngemäß: Dazu können wir nichts sagen.

Warum ein Innenminister darauf verzichtet, die Gesamtkosten von Polizeieinsätzen genau zu beziffern, habe ich zunächst nicht verstanden. Das hat auch meiner Auffassung widersprochen. Mittlerweile habe ich jedoch mehr Verständnis für diese Haltung. Ich würde sogar sagen, dass ich diese Ansicht inzwischen teile. Der Grund dafür sind mehrere Aspekte.

Erstens. Durch die nordrhein-westfälischen Polizeibehörden mit Bereitschaftspolizei werden Kosten, die im Zusammenhang mit Einsätzen in Nordrhein-Westfalen entstehen, grundsätzlich gar nicht erhoben. Hiervon unberührt bleibt die Erhebung und Erstattung von sogenannten einsatzbedingten Mehrkosten im Rahmen länderübergreifender Unterstützungseinsätze, etwa der Kosten für Überstunden, Unterkunft und Verpflegung.

Auch beim Einsatz im Hambacher Forst wurden zwar Einsatzkräfte von anderen Länderpolizeien und von der Bundespolizei eingesetzt. Da jedoch nur einsatzbedingte Mehrkosten und zusätzliche Kosten der auswärtigen Unterstützungskräfte erhoben wurden, ist es schlichtweg nicht möglich, die Gesamtkosten des Einsatzes im Hambacher Wald zu beziffern.

Zweitens. Die polizeiliche Praxis zeigt, dass es äußerst schwierig ist, die wahren Kosten eines solchen Großeinsatzes zu ermitteln. Bei den im Hambacher Wald eingesetzten Einsatzkräften handelt es sich nämlich um Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die ohnehin im Einsatz waren. Wären die Beamten nicht im Hambacher Wald eingesetzt worden, hätten sie andernorts ihren Dienst verrichten müssen, sodass auch hierfür Kosten entstanden wären. Wollte man die Gesamtkosten des Einsatzes im Hambacher Forst bemessen, müsste man diese sogenannten Sowieso-Kosten also abziehen.

Drittens. Ich halte es schließlich auch aus demokratietheoretischen Erwägungen für unklug – und ich bitte darum, eine Minute darüber nachzudenken; ich versuche es wenigstens –, konkrete Angaben zu den Gesamtkosten eines oder jedes Polizeieinsatzes zu machen. Die öffentliche Sicherheit lässt sich, glaube ich, nicht wie ein Wirtschaftsgut kommerzialisieren. Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit hat keinen Marktwert. Ich glaube, Sicherheit sollte man nicht betriebswirtschaftlich berechnen und bewerten.

Ich glaube, dass diese Aussage so allgemein bei relativ vielen Menschen Zustimmung findet. Ich befürchte allerdings – und deswegen mache ich das so behutsam –, dass das beim Thema „Hambacher Forst“ wieder anders bewertet wird. Schließlich ist beim Hambacher Forst alles anders. Das haben wir auch schon bei der Debatte über Rechtsstaatlichkeit erlebt.

Ich wünsche mir und hoffe, dass die Menschen eine Minute nachdenken und meine Bedenken zumindest einmal gründlich überdenken. Die konkrete Bemessung der Kosten eines Polizeieinsatzes führt nämlich nicht zuletzt dazu, dass der Nutzen des Einsatzes dann anhand seiner Kosten beurteilt wird. Wenn wir damit anfangen, dann klebt in Zukunft nicht nur auf jeder Demonstration ein Preisschild – auf jeder rechten, aber auch auf jeder linken –, sondern auch auf jedem Rosenmontagszug, jedem Schützenumzug, jedem Martinszug und jedem Christopher Street Day. Wollen wir das wirklich? Oder sollten unsere Demokratie und unser Rechtsstaat uns das nicht wert sein?

Die Frage, ob ein Polizeieinsatz anlässlich einer Demonstration oder eines Fußballspiels zu teuer ist oder ob der Rechtsstaat ihn sich leisten kann, halte ich für falsch. Nach wie vor gilt: Zwingend notwendige Polizeimaßnahmen scheitern nicht an Kostenfragen und sind nicht anhand ihrer Kosten zu beurteilen. Das ist eine andere Frage als die Frage, ob man es als richtig oder falsch oder als angemessen oder übertrieben empfindet. Das ist eine andere Debatte. Wenn man das aber in Euro beziffert – darum geht es mir –, dann wird man das in Zukunft bei jedem Polizeieinsatz tun. Das kann man toll finden. Ich wollte nur einmal davor warnen, was das bedeuten kann. Ich halte es für einen Fehler, Polizeieinsätze so zu bewerten, und würde darum bitten, das nicht zu machen.

Zu Ihrer zweiten Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass in der Zeit vom 13.09. bis zum 08.10.2018 bei dem Einsatz im Hambacher Forst genau 378.857 Einsatzstunden angefallen sind. – So weit meine Antwort. Ich stehe natürlich für weitere Fragen zur Verfügung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Die weiteren Fragen folgen auch direkt, und zwar zunächst von der Abgeordneten Brems. Bitte schön, Frau Kollegin. – Ihr Mikrofon ist jetzt freigeschaltet.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, ich wüsste gerne, wer denn Auftraggeber für das Mieten von Hebebühnen und ähnlichem Material war. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen.

Herbert Reul, Minister des Innern: Bezahlt hat die Hebebühnen, wenn ich mich nicht vollkommen irre, eine größere Firma. Vielleicht reicht Ihnen das.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat der Kollege Klocke das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf das eingesetzte Personal. Können oder würden Sie uns sagen, wie viele Polizeibeamte grundsätzlich an dem Einsatz beteiligt waren, wie viele Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen an dem Einsatz beteiligt worden sind und, wenn möglich, wie viele Dienststunden in diesen Einsätzen abgeleistet wurden?

Herbert Reul, Minister des Innern: Das Letzte habe ich nicht verstanden.

(Zurufe von der CDU: Die letzte Frage wurde schon beantwortet!)

Arndt Klocke (GRÜNE): Gut. Schön, dass meine Kollegen besser zuhören als ich. – Dann darf der Minister meine ersten beiden Fragen gerne beantworten.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe die zweite Frage nicht ganz verstanden.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Im Augenblick ist das mit der Akustik ein bisschen schwierig. Vielleicht sind Sie so freundlich, Herr Kollege Klocke, den ersten Teil Ihrer Frage noch einmal zu stellen, damit Herr Minister auch die Chance hat, es akustisch wahrzunehmen.

Arndt Klocke (GRÜNE): Okay. Schließlich ist das heute mit der Mikrofonanlage etwas schwierig. – Meine Frage lautet, wie viele Polizeibeamte grundsätzlich am Gesamteinsatz beteiligt worden sind und wie viele Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen dort eingesetzt worden sind.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Diese Frage habe ich verstanden. Die zweite hatte ich nicht verstanden.

(Unruhe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Wenn Sie erlauben und mich gegebenenfalls korrigieren: Wie viele der eingesetzten Polizeibeamtinnen und ‑beamten stammten aus Nordrhein-Westfalen?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich musste mich vergewissern, kann das aber noch einmal genau nachliefern. lch will die Zahl jetzt unter Vorbehalt nennen, weil ich mich nur rückversichert habe: 31.000 Menschen – also Dienstschichten; 31.000 Menschen in Schichten. Das ist ja klar. Es gab mehrere Schichten. Darum kommt auch die hohe Anzahl von Stunden zusammen. Das ist ja logisch.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Als nächste Fragestellerin hat Frau Abgeordnete Düker das Wort. Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Herr Minister, Sie haben eine Frage beantwortet, die wir gar nicht gestellt haben, nämlich die Grundsatzfrage: Darf man überhaupt nach Kosten fragen? Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ist das überhaupt legitim?

Wir haben das aber nun einmal gemacht. Wir halten es für legitim, hier nach Kosten zu fragen. Sonst hätten wir das auch sein gelassen. Die GdP beantwortet Ihre Frage, ob man nach Kosten fragen darf, ja eindeutig mit Ja. Denn die GdP beantwortet sie auch. Dahin geht meine Frage. Die GdP schätzt, dass in den vergangenen fünf Wochen die Polizei in diesem Jahr nahezu … Ich zitiere:

„Nach Schätzungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat der heute von Innenminister Herbert Reul beendete Einsatz im Hambacher Wald die Polizei in diesem Jahr nahezu eine Million Arbeitsstunden gekostet.“

Die GdP beziffert das also auf eine Million Arbeitsstunden. Meine erste Frage ist, ob Sie die Veröffentlichung der GdP so bestätigen können.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. Sie kennen die Geschäftsordnung. – Herr Minister, Sie haben das Wort zur Beantwortung.

Herbert Reul, Minister des Innern: Erstens. Frau Düker, natürlich sind die Fragen, die Sie stellen oder die jeder hier stellt, immer legitim. Das habe ich auch nicht bestritten. Das möchte schon klarstellen. Ich habe nur dafür geworben, darüber nachzudenken, ob es klug ist, das Fass aufzumachen und damit in Zukunft ein Preisschild an jede Veranstaltung zu kleben, die die Polizei begleitet. Ich will dafür nur einmal werben – mehr nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will darum bitten, darüber zumindest nachzudenken. Vielleicht kann man auch morgen abschließend beantworten, ob man das macht oder nicht. Das heißt: Es ist legitim. Damit ist das glasklar.

Zweitens. Die GdP kann jede Zahl schätzen und behaupten, die sie will. Dafür bin ich nicht zuständig. Sie haben aber richtig gesagt, dass sie geschätzt haben. Und sie haben die Stunden und nicht die Kosten geschätzt. Ich habe Ihnen eben aber die Stunden vorgezählt, die wir haben.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Das waren nicht eine Million, sondern 378.857. Das heißt: Zumindest was die Stunden angeht, irrt die Gewerkschaft ausnahmsweise.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wie viele Überstunden sind denn für Polizeibeamtinnen und ‑beamte aus Nordrhein-Westfalen im Zuge des Einsatzes im Hambacher Wald angefallen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Herbert Reul, Minister des Innern: Diese Frage kann ich jetzt nicht beantworten; wirklich nicht. Denn das sind die Stunden, die geleistet wurden. Dafür müsste man bei jedem Fall individuell nachsehen, wie viele Stunden davon sie sowieso leisten mussten und wie viele Stunden sie zusätzlich leisten mussten. Das wird auch bei jedem anders sein. Deswegen kann ich diese Frage nicht beantworten – ich weiß gar nicht, wann; aber vorläufig auf jeden Fall nicht. Es müsste ja bei jedem Polizisten, der eingesetzt worden ist, geprüft werden, wie viele der Stunden, die er geleistet hat, Überstunden sind und was die normalen Stunden sind. Irgendwann können wir das vielleicht ermitteln. Das ist allerdings vermutlich ein gigantischer Aufwand. Heute könnte ich das aber auch gar nicht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Abgeordneter Engstfeld hat sich für seine erste Nachfrage gemeldet.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich war vor Ort und habe mir den Einsatz angesehen – auch die Arbeit der Höheninterventionsteams. Ich habe folgende Frage: Können Sie uns dazu genaue Angaben machen, insbesondere dazu, wie viele Beamtinnen und Beamte im Bereich der Höheninterventionsteams aus anderen Bundesländern eingesetzt waren?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich biete Ihnen an, Ihnen schriftlich eine genaue Auflistung zu geben. – Aus anderen Bundesländern, wollen Sie ja wissen, oder?

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Natürlich insgesamt. Aber mich interessiert vor allem, wie viele aus anderen Bundesländern es waren. Es wäre aber natürlich auch interessant, die absolute Zahl zu wissen.

Herbert Reul, Minister des Innern: Passen Sie auf. Ich kann Ihnen das pro Einsatzzeitraum sagen. Das sind ein paar Seiten. Ich lese sie Ihnen aber gerne vor.

Es war vom 14.09. bis zum 17.09. eine Bereitschaftspolizei aus Baden-Württemberg da. Dann war aus Baden-Württemberg ein leMKW vom 13.09. bis zum 16.09. da. Am Einsatztag 18.09. gab es noch einmal eine BFH. Im Einsatzzeitraum vom 18.09. …

(Zuruf von der SPD: Was ist denn das?)

– Ich biete Ihnen an, Ihnen das schriftlich zu geben, wenn Sie möchten.

(Zuruf von der SPD: Aber dann mit Abkürzungsverzeichnis!)

– Auch das bekommen Sie dazu.

Es waren aus Baden-Württemberg … Vielleicht nenne ich einmal die Bundesländer: Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen, Thüringen, Bund. Es waren aus fast allen Bundesländern, sage ich einmal auf den ersten Blick, Kräfte da. Es waren aber nicht immer die von Ihnen angefragten Höheninterventionsteams; denn die hat ja nicht jeder. Insofern müsste man sie aus dieser Liste noch einmal herausziehen. Das liefere ich aber gerne nach, wenn Sie einverstanden sind. Ich denke, das macht jetzt keinen Sinn (schriftliche Beantwortung s. Vorlage 17/1269).

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Wie ich sehe, ist der Kollege Engstfeld damit einverstanden. Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt hat Frau Abgeordnete Brems das Wort für ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Frau Abgeordnete Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Frage der Auftraggeber oder der Kosten zu sprechen kommen und noch einmal nachfragen, weil Sie gerade gesagt haben, ein großes Unternehmen habe die Mieten für die Hebebühnen und Ähnliches bezahlt. Es gab ja noch andere Sachen, die in dieser Zeit passiert sind oder gemacht wurden. Zum Beispiel wurden feste Wege hergestellt, um das schwere Gerät durch den Wald zu bekommen, und dafür auch einige Bäume gefällt. Gilt bei diesen Maßnahmen genau das Gleiche, sodass der Auftraggeber – so, wie ich Sie jetzt interpretiere – ebenfalls das Unternehmen RWE war?

Herbert Reul, Minister des Innern: Da muss ich präzisieren. Der Auftraggeber dafür ist die untere Bauaufsicht. Das sind also Städte und Gemeinden. Nach unserem Kenntnisstand – deshalb habe ich es sehr vorsichtig formuliert – werden die Kosten für die Hebebühnen aber übernommen.

Zum zweiten Teil: Dass dabei auch einzelne Bäume gefällt worden sind, stimmt, weil man damit nicht durchkam. Dazu kann ich Ihnen aber keine präzise Zahl liefern; denn wir haben sie nicht gezählt. Genauso kann ich Ihnen leider nicht die Zahl der Bäume liefern, die im Moment gefällt werden, um neue Baumhäuser zu bauen. Es tut mir leid; ich weiß es nicht so genau.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächste Fragestellerin hat Frau Abgeordnete Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Noch einmal zu den Veröffentlichungen der Gewerkschaft der Polizei: Die Gewerkschaft der Polizei spricht die Überstunden an. Sie beziffert sie nicht. Aber Tatsache ist – sie stellt das auch fest –, dass sehr viele Überstunden geleistet wurden. Sie sagt, dass sie nicht abgebaut werden können, weil ohnehin schon ein großer Berg angehäuft wurde. Meine Frage lautet: Gibt es für die Überstunden aus diesem Einsatz eine zusätzliche Vergütungsregelung?

Herbert Reul, Minister des Innern: Erste Anmerkung: Sie haben recht. Natürlich haben die Polizisten eine Riesenanzahl von Überstunden gemacht – wie übrigens bei anderen Einsätzen auch schon. Allerdings war das öffentliche Interesse bei den Überstunden der Polizei bei den anderen Fällen nie so groß wie dieses Mal. Ich hoffe, dass wir dieses große Interesse in Zukunft auch haben; denn das würde uns insgesamt helfen, die Interessen der Polizei noch stärker gewichten zu können.

Zweite Anmerkung: Wir können im Moment – das habe ich eben ausgeführt – keine präzise Aussage zu der Anzahl machen, erst recht nicht individuell. Ich bin aber bei Ihnen, dass wir klug überlegen müssen, wie wir vernünftig damit umgehen. Ich habe noch keine klare Antwort. Aber es wird eine Antwort darauf geben. Ich bin gerne bereit, das dann hier oder im Ausschuss vorzustellen. Aber es gibt noch kein abschließendes Ergebnis.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat Herr Abgeordneter Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich würde das in Bezug auf die Kostenseite gerne einmal komplett zusammenfassen. Sie haben gesagt, dass die Auftragserteilung für die Beseitigung der Baumhäuser beim Kreis gelegen habe. Deswegen stellt sich die Frage, ob die Kosten im Nachhinein bei RWE oder Dritten eingefordert werden, und zwar für die gesamte Beseitigung der Baumhäuser, und wenn ja, welche.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe die Frage wieder nicht verstanden.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Mostofizadeh, könnten Sie sich noch einmal eindrücken? Dann gebe ich Ihnen noch einmal das Wort, damit Sie den letzten Teil Ihrer Frage wiederholen können. Aufgrund der heutigen Akustik kommt das schlecht hier vorne an.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Ich versuche es noch einmal. Obwohl Herr Kollege Löttgen jetzt versucht, in Vertretung des Ministers zu antworten, stelle ich die Frage noch einmal. – Die Bauaufsichtsbehörde hat die Verfügung erlassen. Infolge dieser Verfügung sind die Baumhäuser entfernt worden. Dabei sind Kosten für alle möglichen Dinge entstanden. Werden die entstandenen Kosten beim Eigentümer des Geländes eingetrieben, der sie sich dann – in Klammern, Herr Kollege Löttgen – auch zurückholen kann? Werden diese Kosten also zunächst einmal RWE auferlegt?

(Minister Herbert Reul: Nein!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Um es noch einmal zu wiederholen: Auftraggeber sind die Bauordnungsämter. Das ist gar nicht immer der Kreis. Es sind ganz verschiedene. Die haben das erledigt. Es ist richtig, wie Sie das beschrieben haben. Man hat übrigens auch die Rettungswege freigeräumt und all die anderen Tätigkeiten verrichtet. Da sind Kosten entstanden, die ich im Moment gar nicht kenne. Vermutlich kennt sie auch nur jeder für sich, wenn überhaupt schon alle Kosten bekannt sind. Irgendwann kommt das aber.

Meine Aussage bezüglich des größeren Unternehmens bezog sich, soweit ich das weiß – da muss ich einen kleinen Vorbehalt machen; aber ich möchte Ihnen ja auch Auskunft geben – nur auf die Frage der Hebebühnen. Das ist nur ein Teil. Es sind ja mehr Kosten entstanden als nur für die Hebebühnen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Fragesteller hat Herr Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Danke sehr, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben eben auf die Frage von Frau Brems geantwortet: Die Kosten für die Hebebühnen wurden übernommen. – Mich interessiert, auf welcher rechtlichen Grundlage diese Kosten übernommen wurden. Denn ich habe das zumindest so verstanden, dass die Beauftragung letztlich über die untere Bauaufsichtsbehörde stattgefunden hat. Dann wurden die Kosten von irgendjemanden übernommen. Mussten sie übernommen werden, oder wurden sie auf einer freiwilligen Basis übernommen?

Herbert Reul, Minister des Innern: Nun muss ich doch ein bisschen deutlicher werden. Da fragen Sie eigentlich den Falschen, weil ich mit der Frage der praktischen Räumung gar nichts zu tun habe, sondern, wie Sie wissen – das ist halt so –, die Bauordnungsämter die Anweisung gegeben haben. Die Bauordnungsämter realisieren das. Ich wollte Sie nur an dem Halbwissen teilhaben lassen, das ich zu dieser Frage vielleicht habe – nämlich, dass mir zu den Hebebühnen mitgeteilt worden ist, dass dieses größere Unternehmen dazu eine Finanzierung realisieren wird.

Die anderen Fragen nach Kosten können am Ende nur die Städte und Gemeinden beantworten. Wie damit umgegangen wird, wird dann besprochen, wenn die Kosten bekannt sind. Das kann ich nicht beurteilen. Dann wäre es auch noch nicht einmal meine Aufgabe, sondern dann wäre das Bauministerium die zuständige Stelle, die da vielleicht weiterhelfen kann – aber auch nicht heute. Das macht heute wirklich keinen Sinn.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Brems, ich erteile Ihnen das Wort zu Ihrer dritten und letzten Nachfrage. Bitte schön.

Wibke Brems (GRÜNE): Herr Minister, ich muss jetzt noch einmal die gleiche Frage stellen, die ich gerade gestellt habe, weil Sie meine Frage anscheinend falsch verstanden haben. Ich habe nämlich nicht danach gefragt, wie viele Bäume gefällt wurden und ob sie gefällt wurden – das habe ich selbst gesehen –, sondern ich habe festgestellt, dass welche gefällt wurden und dass feste Wege hergestellt wurden.

Meine Frage an Sie war aber, ob ähnlich wie bei den Hebebühnen nach Ihrem Wissen – oder Halbwissen, wie Sie es jetzt nennen – dafür das Unternehmen RWE aufkommt oder ob das bei den entsprechenden Kommunen vor Ort verblieben ist. – Danke schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich teile Ihr Interesse an der Frage, wer welche Kosten bezahlt. Mein Kenntnisstand ist klar: Für den Polizeiteil bin ich zuständig, für den anderen Teil die Bauordnungsämter, die das in Auftrag gegeben haben. Es gibt nur den kleinen Zusatz: Hebebühnen – RWE.

Mehr kann ich Ihnen nicht mitteilen – das ist der Sachstand –, weder die Größenordnung noch ob nachher irgendwer von irgendwem die Kosten übernimmt. Das bleibt abzuwarten. Ich kann es nicht ausschließen, weil ich es nicht weiß. Mein Haus – und ich werde gefragt – wird auf jeden Fall nur die Kosten tragen, die für die Polizei anfallen; das ist ja klar.

Übrigens darf ich mal die Frage … – Nein, ich gebe keine Fragen zurück. Entschuldigung.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Entschuldigung?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich habe gerade gedacht, dass es eine interessante Frage ist, über die ich auch einmal nachdenken muss, wer eigentlich die Bäume bezahlt, die gefällt worden sind, um die Baumhütten zu bauen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Jetzt hat erst einmal Herr Kollege Mostofizadeh das Wort für seine zweite und damit auch letzte Nachfrage. Bitte schön, Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Brems hat noch einmal die Frage gestellt; ich will es jetzt noch ein drittes und letztes Mal versuchen: die Frage gar nicht nach den konkreten Vorgängen, sondern wie Sie es juristisch einschätzen würden.

Wenn ich zu Hause in meinem Garten einen baufälligen Gegenstand habe und die Bauordnungsbehörde oder eine andere Ordnungsbehörde mich anweist, dass ich das da nicht so liegen lassen darf, ist es üblicherweise so, dass ich das auf meine Kosten entfernen muss, auch wenn der Nachbar, Herr Kollege Löttgen, das möglicherweise zerstört hat.

Jetzt die Frage konkret an Sie: Sind Sie der Auffassung, dass zunächst einmal der Eigentümer die Räumungskosten – außerhalb der Polizei, also alles, was mit dem Abbau und Sonstigem zu tun hat – tragen müsste, unbeschadet der Frage, ob er sich das dann bei Dritten wiederholt, und nicht die öffentliche Hand?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Diese Frage ist genauso berechtigt und klar. Ich kann sie nicht beantworten, weil ich nicht die Kommune bin; das muss die am Ende entscheiden.

Wenn das bei Ihnen im Garten passiert, werden Sie entweder aufgefordert, dieses baufällige Gerät sofort zu beseitigen; das ist klar. Dann müssen Sie es auch bezahlen. Oder die Stadt macht es für Sie und wird Ihnen vermutlich nachher die Rechnung stellen. Das kenne ich auch so.

Hier ist es nur ein bisschen komplizierter. Bei Ihnen im Garten ist es klar: Sie haben dieses Klettergerät selbst aufgebaut, also sind Sie auch verantwortlich. – Hier haben wir die kleine Schwierigkeit, dass die Kommunen die Entscheidung treffen müssen. Erst einmal müssen sie in Vorleistung treten. Dann werden die sicherlich der Frage nachgehen: Wem können wir das rechtlich einwandfrei in Rechnung stellen?

Ich bin aber nicht derjenige, der das beurteilt. Es könnte Ihre Vermutung zutreffen. Es könnte aber auch sein, dass sie sagen: Diejenigen, die die Baumhäuser gebaut haben, müssen bezahlen. – Das wäre ja auch eine Variante.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Aber ich bin kein Jurist, und es ist auch nicht meine Zuständigkeit. Insofern sage ich nur: Die Frage kann möglicherweise unterschiedlich beantwortet werden. Sie wird aber zu beantworten sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Reul. – Ich habe hier keine weitere Frage vorliegen; damit danke ich dem Minister für die Beantwortung.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 25

des Herrn Abgeordneten Ganzke von der SPD-Fraktion auf:

In Folge eines Brandes am 17.09.2018 in einem Haftraum der Justizvollzugsanstalt Kleve ist ein 26-jähriger Syrer am 29.09.2018 seinen Verletzungen erlegen und verstorben. Wie mittlerweile feststeht, saß der Syrer zu Unrecht in der JVA ein. Die Frage, warum der Syrer über 2 Monate zu Unrecht in Haft saß und ob es Fehler bei der Aufklärung der Brandursachen gibt, ist auch nach der gemeinsamen Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss vom 05.10.2018 ungeklärt.

1. Was tut die Landesregierung, um ähnlich gelagerte Fälle aufzudecken bzw. organisatorisch auszuschließen?

2. Welche Fehler sind im Geschäftsbereich des Ministeriums der Inneren in diesem Fall geschehen?

Ich habe gerade erfahren, dass hier eine kurze Wortmeldung zur Geschäftsordnung angemeldet worden ist. Habe ich das richtig registriert? – Bitte schön.

Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! Ich verzichte auf mein Recht, dass die gestellten Fragen durch Herrn Minister des Innern Reul jetzt im Plenum mündlich beantwortet werden,

(Minister Herbert Reul: Och!)

und beantrage und bin damit einverstanden, dass meine Fragen seitens des Herrn Ministers Reul schriftlich beantwortet werden (schriftliche Beantwortung s. Vorlage 17/1270).

(Minister Herbert Reul: Das ist aber schade! Ich habe mich so vorbereitet! Mein Gott, alles umsonst! – Allgemeine Heiterkeit)

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann wird die Vorbereitung ja in die schriftliche Beantwortung einfließen, Herr Minister.

(Heiterkeit)

Vielen Dank, Herr Kollege Ganzke. Dann verfahren wir natürlich so, wie Sie es beantragt hatten. Das wird auch so zu Protokoll genommen, und Sie bekommen schriftlich die Antwort, die Herr Minister schon vorbereitet hat – umso besser. Danke dafür. Damit ist diese Mündliche Anfrage aufgerufen und für heute abgearbeitet.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 26

der Kollegin Aymaz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf:

Haftraumbrand in der JVA Kleve am 17. September 2018

Der zu Unrecht inhaftierte Syrer Amed A. ist am 29. September nach einem Feuer in einer Gefängniszelle in der JVA Kleve gestorben. Der 26-Jährige hatte mehr als zwei Monate lang unschuldig im Gefängnis gesessen. Am 17. September brach in seiner Zelle ein Feuer aus, der junge Mann erlitt schwerste Verbrennungen. Noch am selben Tag soll die Zelle versiegelt worden sein.

Zunächst übernahm die Polizei Kleve die Ermittlungen, später wurden diese an die Polizei Krefeld übergeben. Am 2. Oktober soll schließlich ein externer Brandsachverständiger hinzugezogen worden sein.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie vollzogen sich die polizeilichen Ermittlungen zum Brand in der JVA Kleve?

2. Wer betrat seit dem Brand den betreffenden Haftraum in der JVA Kleve?

Auch hier ist vorher ein Wortbeitrag zur Geschäftsordnung angekündigt. – Bitte schön, Frau Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE) : Vielen Dank. – Auch ich möchte um eine schriftliche Beantwortung der Fragen bitten. Ich muss Sie enttäuschen, Herr Minister Reul: Auch hier bitte schriftlich beantworten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Möchten Sie dazu das Wort haben, Herr Minister?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich möchte nur einen kleinen Hinweis geben und weiß nicht, ob Ihnen das schon zugegangen ist. Sowohl der Kollege Biesenbach als auch ich haben die 80 oder 90 Fragen, die Sie schriftlich gestellt haben, schon beantwortet. Die Antworten müssten bei Ihnen angekommen sein.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Ja!)

– Okay. Was Sie jetzt meinen, betrifft das, was heute vorgetragen worden wäre?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja. Dazu wäre ja auch Herr Minister Biesenbach in Anspruch zu nehmen, wenn ich das richtig nachvollziehe. Dies wird schriftlich beantwortet, wie von der Abgeordneten erbeten (schriftliche Beantwortung s. Vorlage 17/1211). – Vielen Dank dafür.

Ich möchte jetzt die Mündliche Anfrage 27 aufrufen, und ich darf vorab darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, wer antwortet. – Herr Biesenbach, Sie haben das Wort.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Präsident, vielen Dank. Herr Reul hatte sich gerade gemeldet: Wir wollen noch eine aktuelle Nachinformation geben, damit keiner sagt, wir hätten sie nicht vorgetragen. Deswegen bitte ich darum, Herrn Reul doch noch kurz das Wort zu geben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Wenn Sie sich innerhalb der Landesregierung so verständigen wollen, ist das kein Problem. – Herr Reul, bitte schön.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich wollte nur über einen Sachverhalt aufklären, weil ich das immer gerne schnell mache. Von Kleve war berichtet worden; dazu bekommen Sie auch die schriftlichen Informationen.

Es hat gestern einen ähnlichen Fall gegeben. Es ist zwar keine Ausschusssitzung, aber wir haben es immer so gehalten, dass wir schnell informieren. Ich will das in Kürze vortragen. Der Fall ist zwar anders, aber trotzdem ähnlich. Es hat in Essen/Gelsenkirchen folgenden Vorgang gegeben:

Bezirksdienstbeamte haben aufgrund eines Haftbefehls die Wohnung eines Iraners aufgesucht. Im Vorfeld wurde ein Abgleich der Einwohnermeldedaten vorgenommen. In der Wohnung waren zwei Personen gemeldet. Dabei handelt es sich um iranische Staatsangehörige mit Duldung.

Auf Schellen wurde den Beamten die Eingangstür von einer Person geöffnet. Die Beamten sind dann in die Wohnung eingetreten. Dort gab es eine zweite Person. Beide Personen sprachen gebrochen Deutsch. Die Beamten versuchten, die Identitäten beider Personen festzustellen. Eine Person wies sich mit einer AOK-Gesundheitskarte und einem Methadonausweis aus und gab an, die im Haftbefehl gesuchte Person zu sein. Daraufhin wurde die Person – logischerweise – festgenommen und der JVA Gelsenkirchen zugeführt.

Damit endet schon fast mein Teil. Denn er wurde dann in Gelsenkirchen eingeliefert, und es wurde ein, zwei Stunden später festgestellt – das wird Peter Biesenbach nachher genau erklären –, dass es gar nicht die Person war, sondern der Bruder. Das heißt, der Bruder hatte sich ausgegeben als der, der mit Haftbefehl gesucht wird.

Das ist ein anderer Fall, er weist aber auf das gleiche Problem hin. Deswegen will ich das vortragen.

(Zuruf von der SPD: Wir wissen nicht, wer das ist! Das ist das Problem!)

– Es hat sich jemand mit falscher Identität …

(Unruhe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Kolleginnen und Kollegen, ich darf darauf hinweisen, dass der Minister hier das Wort hat.

Herbert Reul, Minister des Innern: Lassen Sie mich das nur zu Ende vortragen, damit der Sachverhalt klar ist.

Es wurden sofort gestern Morgen erste Maßnahmen ergriffen, Nachbereitung. Es wurde gegen die Polizeibeamten, die nach unserer Auffassung nicht ausreichend die Identität geprüft haben, ein Disziplinarverfahren eingesetzt. Die Einsatzkräfte wurden bis zur Aufhellung des Sachverhalts umgesetzt. Es gab eine Strafanzeige gegen die Einsatzkräfte und Ermittlungen durch das Polizeipräsidium Bochum, also eine dritte Behörde, und die Betroffenen wurden zu einem persönlichen Gespräch mit der Behördenleitung eingeladen.

Erneut wurde in der Behörde und in anderen Behörden darauf hingewiesen, was genau der Inhalt, die Gestaltung des Verfahrens ist, was hier zu üben ist. Das heißt, die dürfen sich nicht zufriedengeben mit einem Ausweis der Gesundheitskarte, auch nicht mit einer anderen Ausweiskarte. Auch wenn der Mann sagt, er sei der Gesuchte, dürfen sie sich nicht zufriedengeben, sondern müssen sich den Personalausweis zeigen lassen oder notfalls die Identität auf andere Art und Weise feststellen.

Insofern hat es sich – und das ist die Identität – in dem Fall auch darum gehandelt, dass jemand mit falscher Identität in ein Gefängnis gekommen ist, weil Polizisten einen Fehler gemacht haben. Das ist Gott sei Dank mit sehr überschaubaren Folgen in wenigen Stunden geändert worden.

Ich will die Gelegenheit nutzen, hinzuweisen auf das, was ich im Ausschuss schon vorgetragen habe. Es gibt – ich verkürze das – seit Mai dieses Jahres ein gemeinsames Pilotprojekt mit dem Innenministerium und dem Justizministerium, weil wir seit geraumer Zeit Hinweise, Vermutungen haben, dass in Justizvollzugsanstalten – das habe ich im Rechtsausschuss vorgetragen – auch mal Menschen sind, die dort gar nicht hingehören, entweder weil sie sich selbst mit falscher Identität ausstatten …

(Zuruf von der SPD)

– Ja, das gibt es, dass Leute mit falscher Identität ins Gefängnis gehen. Es gibt ganz unterschiedliche Hintergründe, warum so etwas passiert.

Genau deshalb ist Anfang des Jahres ein Pilotprojekt begonnen und im Frühjahr des Jahres vorangetrieben worden, bei dem wir sicherstellen können, dass in Zukunft auch beim Eintritt in die Justizvollzugsanstalt noch einmal gecheckt wird, geprüft wird: Ist das die richtige Identität? Dafür braucht es Technologie, dafür braucht es einen Zugang zu den Polizeidaten. Deshalb ist das nicht so ganz einfach.

Es gibt übrigens nicht nur die Fälle, dass Polizisten Haftbefehle vollstrecken oder wo man jemanden wie in Kleve auf der Straße trifft und dann irrtümlich ein Haftbefehl vollstreckt wird. In den allermeisten Fällen geht jemand, der einen Haftbefehl hat und in die Justizvollzugsanstalt gehen muss, selbst zur Justizvollzugsanstalt und meldet sich. In allen drei Fällen brauchen wir eine höhere Sicherheit bei der Identitätsfeststellung. Ich wiederhole: Deshalb wurde im Frühjahr dieses Jahres mit dem Pilotprojekt begonnen, und wir gehen davon aus, dass das um die Jahreswende dann auch fertig ist – die Geräte sind schon angeschafft, bei der Technologie ist es ein bisschen komplizierter –, sodass man in Zukunft sicherstellen kann, dass so etwas nicht mehr passiert.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. Das war quasi eine Art Vorwort zu dem, was jetzt noch kommt. Ich habe das so verstanden.

(Minister Herbert Reul: Danke schön!)

Ich glaube, das kann man im Zuge der Aufklärung dem Hohen Hause auch entsprechend so anbieten. Danke dafür.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 27

der Frau Kollegin Kapteinat von der Fraktion der SPD auf:

In Folge eines Brandes am 17.09.2018 in einem Haftraum der Justizvollzugsanstalt Kleve ist ein 26-jähriger Syrer am 29.09.2018 seinen Verletzungen erlegen und verstorben. Wie mittlerweile feststeht, saß der Syrer zu Unrecht in der JVA ein. Die Frage, warum der Syrer über 2 Monate zu Unrecht in Haft saß und ob es Fehler bei der Aufklärung der Brandursachen gibt, ist auch nach der gemeinsamen Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss vom 05.10.2018 ungeklärt.

1. Was tut die Landesregierung, um ähnlich gelagerte Fälle aufzudecken bzw. organisatorisch auszuschließen?

2. Welche Fehler sind im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz in diesem Fall geschehen?

Es antwortet für die Landesregierung zunächst Herr Minister Biesenbach. Bitte schön.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Der gestorbene junge Syrer wurde aufgrund einer Personalverwechslung bei der Polizei festgenommen und aufgrund von Vollstreckungshaftbefehlen der Staatsanwaltschaft Hamburg in der Justizvollzugsanstalt Geldern aufgenommen. Ein paar Tage später wurde er von dort in die Justizvollzugsanstalt Kleve verlegt.

Bei einem Vollstreckungshaftbefehl ist eine Vorführung vor einem Haftrichter nicht vorgesehen, da ein bereits bestehendes Urteil vollstreckt wird. Die gesuchten Personen werden daher von der Polizei direkt dem Justizvollzug zugeführt.

Der Justizvollzug hat keinen Zugriff auf die Fahndungsdaten der Polizei, anhand derer im vorliegenden Fall die Fehlzuordnung der Personalien zu den offenen Vollstreckungshaftbefehlen der Staatsanwaltschaft Hamburg erfolgt ist. Er konnte vor allem nicht die Lichtbilder abrufen, mit dem die offenkundige Abweichung zwischen der gesuchten Person und der festgenommenen Person ins Auge gesprungen wäre.

Dennoch gab es Anhaltspunkte, die Zuordnung durch die Polizei Kleve und die Staatsanwaltschaft Hamburg infrage zu stellen. Der Geburtsort und das Geburtsdatum waren nicht identisch. Auch die polizeilichen Führungspersonalien wichen voneinander ab. Wochen nach der Inhaftierung hat der Verstorbene außerdem die Psychologin der Justizvollzugsanstalt Kleve darauf hingewiesen, er sei der Falsche. Der von der Psychologin verfasste Vermerk über das Gespräch hat schließlich dem Leiter der Justizvollzugsanstalt vorgelegen. Auch er hat keinen Anlass gesehen, diesen Nachweisen nachzugehen – eine Fehleinschätzung, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.

In Anbetracht dieser Fakten muss sich die Justiz zu Recht fragen lassen, ob alle Beteiligten in den Justizvollzugsanstalten richtig reagiert haben. Wäre den Abweichungen bei den Personaldaten und den Hinweisen des Gefangenen konsequent nachgegangen worden, hätte rückblickend auch der Justizvollzug zur Aufklärung der Personenverwechslung beitragen können.

Deshalb sage ich heute klar: Auch der Justizvollzug trägt Verantwortung, Verantwortung in dem Sinne, alles ihm Mögliche zu unternehmen, um künftig derartige Geschehnisse zu verhindern. Auch ist es mir an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass in unseren Anstalten des Landes, die hervorragende Arbeit leisten, nach bestem Wissen und Gewissen tagtäglich Ermessensentscheidungen getroffen werden müssen und getroffen werden.

Die Rekonstruktion des Aufenthalts des Syrers in unseren Gefängnissen ist noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, hat aber bisher gegen Bedienstete des Justizvollzugs keinen Anfangsverdacht gesehen.

Auch wenn daher eine abschließende Bewertung erst nach dem Abschluss aller Ermittlungen möglich ist, ist für den Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen klar, dass wir zukünftig anders reagieren und nach Polizei und Staatsanwaltschaft eine dritte Sicherheitsstufe bei der Prüfung der Personalien im Justizvollzug entwickeln müssen. Von daher werte ich auch das Ergebnis der Situation in Gelsenkirchen, bei der heute Morgen in der Anstalt festgestellt wurde, dass sich der Falsche in Strafhaft begeben wollte, als einen ersten Schritt dazu. Es macht jedenfalls klar: Es wird intensiv geprüft. – Wir werden das auch intensiver fortsetzen.

Ein Lösungsansatz für diese dritte Sicherheitsstufe wird als gemeinsames Projekt von Justiz und Polizei entwickelt werden. Der Innenminister und ich haben bereits vor Wochen darüber gesprochen, dass wir ein solches Projekt vertiefen müssen, weil auch uns das Risiko bekannt ist. Es ist nicht neu, sondern besteht schon seit Langem.

Der Justizvollzug ist aber weder Vollstreckungsbehörde noch Polizei und hat dementsprechend nicht die gleichen Erkenntnis- und Aufklärungsmöglichkeiten. Dennoch sind Hinweise auf Personenverwechselungen von jeder staatlichen Stelle ernst zu nehmen. Auch die Justizvollzugsanstalt hat eine verantwortliche Überprüfung der Personalien nochmals anzustoßen, wenn es Ungereimtheiten gibt.

Ganz konkret heißt das für den Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen:

Erstens. Bei der Aufnahme von Gefangenen müssen künftig Widersprüche offen angesprochen und ausgeräumt werden. Sie dürfen nicht im Raum stehen bleiben.

Wir wollen für die Prüfung durch die Bediensteten Kriterien entwickeln, die nicht allein an den positiven Abgleich eines Fingerabdrucks anknüpfen. Anhand strukturierter und für die Bediensteten verständlicher Vorgaben soll ein Warnsystem entwickelt werden, das einer fehlerhaften Zuordnung von Straftaten zu Gefangenen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft entgegenwirkt. So darf beispielsweise die Übereinstimmung bei den Aliaspersonalien nicht als ausreichend akzeptiert werden, wenn die polizeilichen Führungspersonalien nicht identisch sind. Anhand dieses Warnsystems können die Bestandsfälle noch nacherfasst und geprüft werden.

Welche Daten schon bei der Aufnahme eines Gefangenen besondere Beachtung finden müssen und wie dies im Justizvollzug praktisch gehandhabt werden kann, soll in dem bereits erwähnten Projekt geklärt werden. So sollen Risiken einer Personenverwechslung, auch wenn sie bei einer anderen Behörde verursacht worden ist, vermieden oder erfolgte Verwechslungen aufgedeckt werden.

Zweitens. Alle Hinweise auf Personenverwechslungen, die im Laufe des Vollzugs auftreten, müssen aktenkundig gemacht und von den Bediensteten verantwortlich geprüft werden. Dies gilt vor allem für Hinweise, die von den Gefangenen selbst kommen. Ein solcher selbstkritischer Umgang mit Gefangenendaten ist ein wichtiger Baustein zur Eigen- und Fremdkontrolle bei der Vollstreckung und im Vollzug.

Zur Umsetzung dieser Ansätze sind die Justizvollzugsanstalten mit Erlass vom 9. Oktober für einen sorgsamen Umgang mit Identitätsdaten sensibilisiert worden. Sie haben künftig auf die Erfassung eindeutiger Führungspersonalien – erforderlichenfalls auch durch Nachfragen bei der Polizei und den Einweisungsbehörden – hinzuwirken.

Im Rahmen einer gemeinsamen Erörterung mit den Justizvollzugsanstalten des Landes, die für den 25. Oktober angesetzt worden ist, soll den Justizvollzugsanstalten konkrete Hilfestellung zur Erkennung von Zweifelsfällen an die Hand gegeben werden. Nur so können die alltägliche Nutzung von Aliaspersonalien auf der einen Seite und kritische Hinweise auf eine abweichende Identität auf der anderen Seite zuverlässig voneinander abgegrenzt werden. Auch die Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen werden wir in geeigneter Weise ergänzend sensibilisieren.

Bestehen begründete Zweifel an der Identität eines Inhaftierten, muss dies sofort geklärt werden, also nicht allein auf dem Schriftwege, den die Vollstreckungsbehörde in Hamburg gewählt hat, sondern direkt per Telefon. Das werde ich deutlich machen. Das haben die Anstalten auch zwischenzeitlich verstanden.

Weitere Maßnahmen werden wir nach Abschluss der Arbeiten der Projektgruppe ergreifen, die insbesondere im Formular- und Erfassungswesen neue Akzente setzen sollen.

Was die staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung zur Aufklärung des Brandgeschehens anbelangt, wollte ich den Gang der Ermittlungen eigentlich bei der Beantwortung der Frage von Frau Aymaz erklären. Da diese aber darauf verzichtet hat, stellen Sie die Frage bitte gleich, wenn Sie das noch interessiert.

Lassen Sie mich nur noch eben zu dem von einigen angesprochenen Zeitpunkt der Hinzuziehung eines Brandsachverständigen durch die Staatsanwaltschaft Folgendes ergänzen: Die Frage der Beauftragung eines Sachverständigen in einem Ermittlungsverfahren hat grundsätzlich die sachleitende Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu entscheiden. Gemäß Nummer 69 Satz 1 der bundesweit einheitlich geltenden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren soll ein Sachverständiger dabei nur zugezogen werden, wenn sein Gutachten für die vollständige Aufklärung des Sachverhalts unentbehrlich ist.

In der Brandsache, über die wir heute erneut sprechen, hat dies die Staatsanwaltschaft Kleve zunächst verneint. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat das geprüft und berichtet, dass er hiergegen keine Bedenken habe. Zu derselben Einschätzung gelangen auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes auch die Strafrechtsexperten meines Hauses.

Jetzt müssen wir sehen, ob der externe Brandsachverständige und die im Übrigen noch andauernden Ermittlungen die vorläufige Annahme einer Brandstiftung durch den Hauptgeschädigten selbst bestätigen oder nicht. Voreilige Bewertungen dieser Ermittlungen durch Außenstehende will ich heute nicht vornehmen.

Wenn Sie also zum Brandgeschehen weitere Fragen haben, stellen Sie sie. Dann gibt es die ausführliche Antwort.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Die erste Frage stellt Herr Engstfeld. Bitte schön, Herr Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Es geht an beide Minister. Innenminister Reul hat ja nur Vorbemerkungen gemacht. Ich möchte das nur kurz kommentieren. Ich glaube, diese Möglichkeit muss bei diesem etwas ungewöhnlichen Verfahren da sein.

Vielen Dank für die Information, Herr Innenminister. Aber diese beiden Fälle sind überhaupt nicht miteinander vergleichbar.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben es in dem Fall, den wir untersuchen und aufklären, mit einem wirklich eklatanten Behördenversagen zu tun, bei dem die Behörden unseres Landes nicht in der Lage waren, einen Schwarzafrikaner aus Mali von einem Araber aus Syrien zu unterscheiden, der unschuldig inhaftiert wurde. Der entscheidende Unterschied ist: Dieser Mann ist jetzt tot. – Das wollte ich auch einmal kommentieren. Das kann man nicht vergleichen.

Jede Maßnahme, mit der verhindert wird, dass jemand unschuldig in diesem Land inhaftiert wird, ist natürlich zu begrüßen. Das wäre auch meine Frage an den Justizminister: Sie haben ja von Projektgruppen, von Kriterien, die Sie entwickeln wollen, gesprochen. Aber letztendlich müssen wir nach diesem Vorfall doch alles dafür tun, um sehr schnell auszuschließen, dass es weitere unschuldig Inhaftierte in unseren Justizvollzugsanstalten gibt. Denn wenn ich davon ausgehe – das sagte ich ja –, dass man einen schwarzafrikanischen Staatsbürger aus Mali nicht von einem Araber aus Syrien unterscheiden kann, frage ich mich, wie es sich verhält, wenn die Fälle komplizierter sind.

Deswegen interessiert es mich, was Sie als Sofortmaßnahmen bei der Überprüfung der jetzt bei uns in Nordrhein-Westfalen Inhaftierten zu tun gedenken. Denken Sie an eine Überprüfung von Identitäten bei allen Gefangenen oder bei ausgewählten Fällen oder bei denen Aliasnamen verwandt wurden? – Es müsste doch auch Ihr Interesse sein, schnellstmöglich sicherzustellen, dass wir nicht weitere solche Fälle bei uns in den Justizvollzugsanstalten sitzen haben.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Engstfeld, Sie rennen offene Türen ein. Das Phänomen, das leider hier zu dem tragischen Tod geführt hat, ist seit Jahren bekannt. Darum hat auch die Vorgängerregierung angefangen

(Zurufe von der SPD: Oh!)

– ich will Sie doch gerade loben; lassen Sie mich doch vortragen –,

(Angela Lück [SPD]: Gerne!)

an diesem Problem zu arbeiten, und versucht – das werden wir jetzt fortsetzen –, im Justizvollzug jeden, der kommt, über Fingerabdrücke einzeln zu erfassen. Das ist im Augenblick noch alles in der Umsetzung, weil es technisch schwierig ist. Es hätte aber hier nicht geholfen – ich komme gleich auf Ihre Frage zurück –; denn hier wurde jemand in die Anstalt eingeliefert, dessen Fingerabdrücke bekannt waren und von dem klar war: Es wäre immer derselbe Fingerabdruck aufgetaucht, egal wie viele wir angesehen hätten. Warum? – Weil die Anforderung aus Hamburg bei der Untersuchung durch die Polizei diesen Fall aus dem Computer aufwarf.

Das heißt, es ist der Fehler gemacht worden – und der Innenminister hat auch gar nicht drum herum geredet –, dass bei der Erfassung und bei der Festnahme die Bilder nicht verglichen worden sind. Für den Justizvollzug, und ich will ihn damit überhaupt nicht entschuldigen, gab es keinen Anlass, hier nachzufragen, weil er erstens keine Bilder hat und es zweitens nicht den Gedanken gab, es könnte eine Verwechslung vorliegen, weil die Polizei gesagt hatte: Das ist der, der in Hamburg gesucht wird; wir haben den Fingerabdruck festgestellt.

Alle Überlegungen, die wir bisher hatten, auch mit den nachträglichen Identifizierungen, hätten hier leider nicht geholfen, weil die Fingerabdrücke gerade nicht fehlerhaft waren. Wir müssen dafür sorgen – und daran hat auch bisher noch niemand gedacht, weil wir einen ähnlichen Fall noch nicht hatten –, dass bei der Einlieferung alle Daten, die kommen, akribisch noch einmal geprüft werden.

Hier hätte auffallen können, dass wir bei den Haftbefehlen und bei dem Einlieferungsschein unterschiedliche Personalien haben. Wir wollen sicherstellen, dass beim nächsten Mal die Führungspersonalien, die bei der erstmaligen Erfassung in Deutschland erstellt werden, immer und überall verfolgt werden und gleich sind. Das wäre ein erstes Signal. Zweitens hätten wir natürlich erwarten können – das werden wir noch prüfen und hören –, wie intensiv er denn beim Gespräch Monate nach der Einlieferung bei der Psychologin deutlich gemacht hat: Ich bin es nicht.

Jetzt werden Sie weiter fragen. Werden wir nachträglich versuchen, alle zu erfassen? – Ja. Ich kann Ihnen nur nicht sagen, wie schnell das gehen wird. Das ist mühsam. Das muss einzeln händisch erfolgen.

Nächste Situation: Ich erwarte, dass wir gar nicht eine so große Anzahl an Fällen haben, da ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand, der unschuldig im Gefängnis sitzt, darauf nicht irgendwann hinweist. Also werden wir jetzt bitten, alle zu überprüfen, die darauf hinweisen, unschuldig in einer Anstalt zu sitzen. Machen Sie sich aber auch da keine Hoffnung. Das wird auch eine Menge Arbeit werden, da die meisten natürlich behaupten, unschuldig zu sein. Das ist auch ein bekanntes Phänomen, das das alles nicht entschuldigen soll. Sie haben aber recht mit dem Wunsch, dass das eigentlich nicht passieren darf. Da sind wir uns einig. Wir werden versuchen, dem auch nachzugehen, und werden das Mögliche tun, dass das nicht wieder vorkommt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Bongers hat eine Frage. Bitte schön, Frau Kollegin Bongers.

Sonja Bongers (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich muss noch einen Schritt zurückgehen. Ein Mensch ist tot. Dieser junge Mann hat in Deutschland Schutz gesucht und ihn nicht erhalten. Das ist das maßlos Verwerfliche an dieser ganzen Sache. Er ist in seinem Haftraum verbrannt. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Doch anstatt politische Verantwortung zu übernehmen, hören wir auch heute von Ihnen keine Entschuldigung, die an die Familie des Opfers gerichtet ist. Das möchte ich hier ganz klar erwähnen.

Die SPD-Fraktion hat zu dem Haftraum-Brand vom 17. September einen Bericht für die Vollzugskommission beantragt. Das Justizministerium hat zu diesem Zeitpunkt nur sehr dürftig informiert. Insofern mussten wir eine Aktuelle Viertelstunde für den Rechtsausschuss am 26. September beantragen. Dazu meine konkrete Frage: Warum haben Sie in der Sitzung des Rechtsausschusses am 26. September verschwiegen, dass der zu Unrecht inhaftierte Amed A. bereits bei seiner Einlieferung in die JVA Geldern am 6. Juli 2018 akute Suizidgedanken geäußert hat?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: In dieser Sondersitzung ging es um die politische Bewertung des Brandes. Über denjenigen, der dort inzwischen leider verstorben ist, und über all die anderen Umstände gab es auch von der SPD-Fraktion keine Nachfrage. Hätten Sie die Nachfrage gestellt, hätten wir uns natürlich um all diese Informationen bemüht.

(André Stinka [SPD]: Bitte? – Weitere Zurufe von der SPD)

Wie intensiv beide Ministerien um Transparenz bemüht sind, sehen Sie daran, dass wir Ihnen heute um 14 Uhr umfangreich all die Antworten auf die Fragen, die Sie gestellt haben, zugeliefert haben.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Genau das hat der Minister Reul eben getan!)

Ich bitte um Nachsicht, dass ich Fragen nicht beantworten kann, die Sie nicht stellen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Bialas hat eine Frage. Bitte schön, Herr Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Minister, deswegen sind wir ja sehr dankbar, dass Fragen beantwortet werden, die wir gar nicht gestellt haben, wie zu dem ersten Fall, wozu Herr Engstfeld schon genügend kommentiert hat.

Es war jetzt die Frage, inwieweit Sie dem Rechtsausschuss nicht berichtet bzw. ihm in der ersten Sitzung verschwiegen haben, dass er nicht nur in der Justizvollzugsanstalt Geldern, sondern ebenfalls bei der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Kleve akute Suizidgedanken geäußert hat.

Auch hier habe ich eine ganz konkrete Frage. Sie haben uns jetzt noch umfangreiche Unterlagen zukommen lassen. Aus der Gesundheitsakte ergibt sich sehr deutlich, dass bei der Aufnahmeuntersuchung Dinge hineingeschrieben worden sind, die hindeuten auf: Alkoholkonsum, THC-Abhängigkeit, Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörungen, Schnittverletzungen, die entweder auf Borderline-Persönlichkeitsstörung oder suizidale Absichten hindeuten. Es handelt sich also um einen Menschen, der anscheinend suchtkrank ist, der anscheinend auch psychisch krank ist und in seiner Persönlichkeit deutlich instabil ist.

Eine Verwechslung der Person ist das eine, das andere ist, wie mit dieser Person vor Ort umgegangen worden ist. Warum wurde das nicht ernst genommen?

Ob man die Frage stellt oder nicht – ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es eine Selbstverständlichkeit, dass nicht nur wir, sondern auch die Öffentlichkeit darüber frühzeitig informiert wird.

 (Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Bialas, auch diesbezüglich sind Sie so frühzeitig wie möglich informiert worden. Diejenigen, die mit Interesse an einer Sachaufklärung an den bisherigen …

(Zuruf von Andreas Bialas [SPD])

– Ja, ja. – Diejenigen, die mit Interesse an einer Sachaufklärung an den bisherigen Sitzungen teilgenommen haben, haben sicher mitbekommen, dass ich bereits in der ersten Sitzung gesagt habe, dass die Gefangenenakte – dazu gehört auch die Gesundheitsakte – vom Amtsgericht unmittelbar nach dem Brand beschlagnahmt worden ist, weil die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren veranlasst hatte.

Die Gefangenen-Gesundheitsakte ist gestern, am 9. Oktober, freigegeben worden. Wir haben sie sofort ausgewertet, und Sie finden das, was wir in der Akte gefunden haben, heute in den Antworten zu Ihren Fragen. Wir haben also nicht einmal einen Tag gebraucht, um Ihnen heute mitzuteilen, was wir gestern erfahren haben. Am 26. war diese Akte von der Staatsanwaltschaft noch beschlagnahmt. – Schneller geht es nicht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Wolf hat eine Frage. Bitte schön, Herr Kollege.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister! Ich möchte gerne noch einmal auf die Situation bei der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt in Geldern zurückkommen.

Aus dem heute von Ihnen, Herr Minister Biesenbach, vorgelegten Nachbericht kann ich entnehmen, dass am 9. Juli eine sehr umfassende Besprechung stattfand, hochkarätig besetzt: Psychologin, Anstaltsarzt, Anstaltsleiter. Es ging schwerpunktmäßig um die Frage, wie suizidgefährdet der Betroffene war.

Dort soll der Mann bereits darauf hingewiesen haben, dass er tatsächlich aus Syrien und nicht aus Mali stamme. Können Sie mir sagen, warum diesem Hinweis nicht nachgegangen wurde?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Ich kann es nur vermuten, Herr Wolf, denn ich war bei dem Gespräch nicht dabei. Die Aufnahme erfolgt durch die Vollzugsgeschäftsstelle. Die Vorstellung beim Arzt bedingt nicht mehr, dass der Arzt sich darüber Gedanken macht, wenn er keinen Hinweis bekommt.

Wenn der Gefangene ihm gesagt hätte, „Ich bin das nicht“, hätte der Arzt wahrscheinlich den Hinweis gegeben. Der Arzt nimmt auf und stellt seine Untersuchungen an, die aber nicht die Untersuchung von Identitäten umfassen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kapteinat hat eine Frage. Bitte schön.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Noch ein Wort; lassen Sie mich bitte eben noch antworten, Herr Präsident.

Falls Sie gelesen haben, dass der Arzt Zusatzuntersuchungen anstellt: Dabei werden neben einer körperlichen Untersuchung auch anamnestische Daten abgefragt. – Das ist es, was der Arzt macht; er fragt nichts zur Identität oder zur Person.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister – Frau Kapteinat hat eine Frage. Bitte schön.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Gegenüber der Presse soll die Landesregierung die Auskunft gegeben haben, dass die Auffindesituation von Amed A. – so heißt nämlich der Syrer – auf einen Selbstmord habe schließen lassen.

In Ihrem heutigen Nachbericht führen Sie aber auf Seite 12 aus, dass der Gefangene nach dem Öffnen der Tür aus dem Haftraum getaumelt sei. Wie lässt sich das mit den Auskünften und Ausführungen gegenüber der Presse in Einklang bringen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Das kann ich Ihnen gegenwärtig nicht erklären. Auch die Informationen, die wir Ihnen heute mitgeteilt haben, haben wir alle durch Berichte erhalten.

Was Sie möglicherweise in Zeitungen lesen – ich habe das nicht geschrieben.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist ein Widerspruch! – Christian Dahm [SPD]: Die Landesregierung hat es gesagt! – Sven Wolf [SPD]: Das steht in dem Bericht von Ihnen!)

– Ich kann es Ihnen nicht erklären.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Engstfeld stellt seine zweite und letzte Frage. Bitte schön.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben presseöffentlich ausgeführt – und das geht auch aus den Berichten, die uns zugegangen sind, hervor –, dass der unschuldig inhaftierte Syrer sich in dieser Zeit nur ein einziges Mal geäußert habe. Wohl bei der Polizei, aber ich frage mal Sie. Als er in den Händen der Justiz war, habe er beim Gespräch mit der Psychologin nur ein einziges Mal geäußert, dass er der zu Unrecht Inhaftierte sei.

Meine Frage ist: Halten Sie das wirklich für realistisch? Ich würde das nämlich nicht machen. Und ich schwöre, dass jeder in diesem Raum, der unschuldig über Monate in einem Gefängnis säße, sich artikulieren würde – seinen Mitgefangenen, irgendwelchen vertrauten Person, vielleicht dem Personal gegenüber.

Glauben Sie ernsthaft, dass er nur ein einziges Mal in über zwei Monaten „Ich war es nicht“ gesagt hat?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Ich kann Ihnen nur vortragen, was mir aus Berichten bekannt geworden ist. Ich kenne ihn nicht, ich war nicht dabei.

Ich gebe zu, dass mich das ebenfalls wundert und ich mir auch derartige Fragen gestellt habe; ich habe mich viele Dinge gefragt. Nur: Auf Grundlage der Berichte kann ich Ihnen nichts anderes sagen. Wir wissen gegenwärtig nicht mehr, auch nicht aus den Berichten der Anstalt, als dass er das nur einmal der Psychologin gegenüber gesagt hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Aymaz hat eine Frage, bitte.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Aus den Antworten, die Sie uns hier schriftlich vorgelegt haben, geht hervor, dass in dem Gespräch mit der Psychologin kein Dolmetscher zugegen war. Mich würde interessieren, wer nach welchen Kriterien einschätzt, ob jemand über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Ich vermag Ihnen jetzt nicht zu sagen, wer die Einschätzung vorgenommen hat. Ich weiß nur, dass in den Berichten an einer Stelle steht, in einem Verfahren sei ein Dolmetscher dabei gewesen. Es habe sich aber herausgestellt, dass der Betroffene besser Deutsch gesprochen habe als der Dolmetscher und auf einen solchen daher habe verzichtet werden können.

Ich kann Ihnen nur wiedergeben, was mir berichtet wurde, Frau Aymaz. Ich kenne ihn nicht, ich habe ihn nie getroffen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Ich weise darauf hin, dass wir die Zeitstunde bereits überschritten haben. Es gibt noch eine Reihe von Wortmeldungen. Wenn jetzt nicht noch ganz schnell jemand drückt, würden wir die Liste schließen, damit wir etwa in dem Zeitrahmen bleiben, den wir uns für eine Fragestunde gesetzt haben.

Als Nächstes hat Frau Düker eine Frage.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Herr Minister Biesenbach, was bedeutet für Sie eigentlich die Übernahme von Verantwortung als Minister bei möglichen Fehlern in der Justiz mit Todesfolge?

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Das können Sie heute in der „Rheinischen Post“ nachlesen. Das habe ich da deutlich mitgeteilt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wir sind jetzt aber hier! – Zuruf von der SPD: Das ist keine Lesestunde! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Nach dem Motto: Ich habe es vorhin deutlich gesagt; lesen Sie es im Protokoll nach. – Ich mache es ähnlich wie Herr Reul und sage: Machen Sie es so, dass ich den Eindruck habe, Sie machen es sachlich; dann bekommen Sie auch sachliche Antworten. Ansonsten habe ich es bereits gesagt. Sie brauchen es nur nachzulesen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Göddertz hat eine Frage. Bitte schön, Herr Göddertz.

Thomas Göddertz (SPD): Herr Minister, Seite 23 des Nachberichts konnten wir entnehmen, dass der Verstorbene in der Justizvollzugsanstalt Geldern mit Inhaftierten mit ähnlichem kulturellem Hintergrund zusammengelegt werden sollte. Welcher Kulturkreis war das – Mali oder Syrien?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Ich weiß es nicht, aber ich vermute Syrien; denn es ging ja um denjenigen …

(Zurufe: Ahh!)

Gut, an Ihrem „Ahh“ merke ich schon, dass Sie das alles verstanden haben. Nur zu!

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Watermeier hat eine Frage.

Sebastian Watermeier (SPD): Herr Minister, in der gemeinsamen Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuss am 5. Oktober 2018 konnten weder Sie noch Herr Reul ausschließen, dass es weitere Personen gibt, die zurzeit unberechtigt in unseren JVAen einsitzen. Wann haben Sie die Prüfung veranlasst, ob es weitere Personen gibt, die aufgrund einer Verwechselung zu Unrecht in einer JVA einsitzen, und zu welchem Ergebnis ist diese Überprüfung bisher gelangt?

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Auch das habe ich vorhin schon breit und ausführlich dargestellt. Dass das Phänomen existiert und es nicht ausgeschlossen werden kann, ist, denke ich, für jeden nachvollziehbar. Ich habe Ihnen weiter mitgeteilt, dass wir am 09.10., also gestern, den Erlass herausgegeben haben.

Ich gehe davon aus, dass die Anstalten jetzt anfangen, darüber nachzudenken, ob sie Hinweise haben, die vielleicht bisher nicht so ernst genommen wurden. Ich habe Ihnen weiter mitgeteilt, dass wir diese gemeinsame Projektgruppe ins Leben gerufen haben und dass eine Besprechung mit den Anstalten am 25. Oktober 2018 stattfindet.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Bialas hat eine zweite und damit seine letzte Frage. Bitte, Herr Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Justizminister, ich stelle die Frage nicht noch mal. Für mich bleibt im Raume stehen, warum Sie wissentlich verschwiegen haben, dass hier eine Suizidgefahr vorgelegen hat, und warum die psychische Stabilität des Insassen nicht angesprochen worden ist.

Sie haben selbst noch etwas anderes angesprochen, nämlich den Artikel in der „Rheinischen Post“. Neben dem Artikel in der „Rheinischen Post“ – der übrigens die Überschrift trägt: „Dieser Fall geht mir unter die Haut“ – findet sich auch ein Foto von Ihnen. Das Foto zeigt einen lächelnden Justizminister. Ich hätte es selbst nicht angesprochen, aber Sie haben es damit angefangen. Ich bekomme es nicht übereinander, wie man sich in solch einer Situation lächelnd vor die Kamera stellen kann. Oder ist dieses Foto möglicherweise nicht im Zusammenhang mit dem Interview aufgenommen worden? Das würde ich gerne wissen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Bialas, vielen Dank für diese Frage. Am Ende dieser Fragestunde geben Sie mir damit Gelegenheit, deutlich zu machen, dass bei dem Interview kein Foto gemacht worden ist. Ich meine auch, dass unter dem Foto in der Zeitung „dpa“ steht, aber da bin ich mir nicht sicher. Während des Interviews ist jedenfalls kein Foto gemacht worden. Am ganzen gestrigen Tag hat die „Rheinische Post“ kein Foto von mir gemacht.

Ich möchte Ihre Frage nutzen, noch Folgendes zu sagen: Glauben Sie mir, dass mir so etwas unter die Haut geht. Das läuft auch mir nach. Glauben Sie nicht, dass ich das leichtnehme, wenn ein Mensch, der hier Schutz sucht – ich will jetzt aber nicht auf die Empathieschiene abgleiten –, den wir aber zumindest in Obhut haben und für den wir damit eine Fürsorgepflicht tragen, so lange unschuldig in einer Anstalt bleiben muss und dann auch noch umkommt. Das läuft mir schon nach.

Wir haben bis heute auch noch nicht geklärt, was die eigentliche Ursache des Brandes war. Da Frau Aymaz auf eine mündliche Beantwortung verzichtet hat, bitte ich Sie, alles das nachzulesen, was ich hätte sagen wollen. Die Kriminalbeamten kommen zunächst dazu: Der Brand kann eigentlich nur durch Selbstentzündung passiert sein, also durch Brandstiftung. Etwas anderes kann nicht hinkommen. Auch das läuft mir nach, wenn ich sagen muss, dass wir möglicherweise durch die Umstände dazu beigetragen haben, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah. Das mache ich nicht nebenbei weg.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen. Zunächst Herr Wolf mit seiner zweiten und letzten Frage. Bitte, Herr Wolf.

Sven Wolf (SPD): Meine Frage würde ich gerne an beide Minister stellen. In den Berichten wird geschildert, wie die Familie von Ahmed A. über seinen Tod informiert worden ist. Zum einen ist berichtet worden, die Information sei über die Botschaft weitergegeben worden. Zum anderen ist gesagt worden, der Vater – der vermeintliche Vater – sei persönlich informiert worden.

Da findet sich in Ihren beiden Nachberichten ein Widerspruch. Ich bitte Sie, zu erklären, wie denn – wenn Ihnen beiden der Fall so nahegeht – sichergestellt worden ist, dass die Angehörigen von Ahmed A. die Information unmittelbar durch Behörden erhalten haben.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Ich beginne mit der Beantwortung. Danke für die Frage; denn sie gibt uns die Möglichkeit, auf den Wunsch von Herrn Engstfeld aus der letzten Sitzung einzugehen, was die Folgen angeht. Wir haben natürlich die Botschaft informiert, weil die immer informiert werden muss, wenn ein Staatsangehöriger stirbt. Nach meiner Kenntnis – ich bitte den Kollegen Reul, zu sagen, ob das übereinstimmt – haben wir dann über das IM die Polizei gebeten, den Vater zu unterrichten. Das ist mein Kenntnisstand.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister Reul, möchten Sie auch noch antworten? Sie sind angesprochen worden.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte.

Herbert Reul, Minister des Innern: Ich kann Ihnen nur die Information geben, die wir im Haus aus der Behörde haben, nämlich dass am 4. Oktober 2018 ein Mann, der ausgibt, der Vater des Verstorbenen zu sein – wir können es nicht zu 100 % sagen; aber es ist sehr wahrscheinlich –, auf der Polizeiwache in Geldern erschienen ist und dort auch betreut worden ist.

Dann ist der Vater als Person durch die Kreispolizeibehörde Krefeld übernommen worden. Wir wissen, wie gesagt, nicht genau, ob es sich um den Vater handelt; aber es spricht vieles dafür. Mit ihm ist geredet worden.

Ich habe vorhin mit einer Kollegin aus Ihrem Kreise gesprochen, die mir den Hinweis gegeben hat, dass das für die Familie offensichtlich noch kein ausreichendes Kümmern ist. Vielleicht findet man einen Weg, da noch mal nachzulegen. Es ist nicht ganz einfach. Die Polizei hat das gemacht, was sie an dem Tag machen konnte. Es gab den Kontakt, aber mehr auch nicht.

(Sven Wolf [SPD]: Weil er gekommen ist!)

– Weil er gekommen ist, ja. Das ist der Sachstand, den ich habe.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen. Frau Müller-Witt hat eine Frage. Bitte schön, Frau Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Minister Biesenbach, Sie schilderten den Verstorbenen als einen Menschen, der stark suchtabhängig ist. Wie können Sie sich erklären, dass ein Mensch, der stark suchtabhängig ist, der in einer JVA sitzt – also abgeschnitten ist von Nachschub – und weiß, dass er unschuldig ist, nicht mehrfach nachfragt und insistiert und darstellt, dass er unschuldig eingesperrt ist? Oder wurde bei ihm irgendetwas substituiert?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister!

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Von einer starken Suchtabhängigkeit ist mir aus den Berichten nichts bekannt. Es gibt eine ärztliche Diagnose, enthalten in der Gesundheitsakte, in der steht wörtlich Folgendes:

Folgende Diagnosen wurden ärztlicherseits festgehalten: THC-Abhängigkeit, schädlicher Konsum von Alkohol und ähnlichen Dingen. Behandelt wurde er aber nur wegen einer Sportverletzung oder Sodbrennens. –

Daraus schließe ich – das ist jetzt eine reine Vermutung –, dass die THC-Abhängigkeit nicht so stark gewesen sein kann, dass er weiter daraufhin behandelt worden ist.

Wir haben auch ein toxikologisches Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob bei der Obduktion etwas festgestellt werden konnte. Das Ergebnis liegt aber noch nicht vor.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Die letzte Frage stellt Frau Kraft. Bitte schön, Frau Kraft!

Hannelore Kraft (SPD): Herr Minister Biesenbach, ich schicke vorweg: Sie wissen, ich bin weder im Innen- noch im Justizausschuss. Ich verfolge hier die Fragestunde und höre Ihnen zu. Sie sprechen von „nicht leichtnehmen“, und Sie sprechen mehrfach von „Es läuft mir nach“.

Dann kann ich mir nicht erklären – da bitte ich Sie, mir deutlich zu machen, dass Sie das wirklich so gesagt haben, wenn Sie es gesagt haben –, dass Sie einem Ausschuss, der Fragen stellt – Fragen, die den Todesfall eines Menschen betreffen, der unschuldig in Haft sitzt und zu Tode kommt –, in dieser Sitzung wissentlich und willentlich offensichtlich wichtige zentrale Informationen vorenthalten haben. Sie haben also gewusst, dass es eine Suizidgefährdung gab, und Sie haben das dem Ausschuss in dieser Situation vorenthalten. Ist das richtig?

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Nein, Frau Kraft. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie gewusst – ich habe es vorhin gesagt –, wann ich die Daten aus der Gesundheitsakte erhalten habe: gestern.

(Zurufe von Hannelore Kraft [SPD] und Sven Wolf [SPD])

Lassen Sie uns gemeinsam im Protokoll nachlesen, was ich gesagt habe.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD] – Weitere Zurufe)

– Liebe Frau Kraft, wenn ich an dem Tag der Sitzung, also am 26.09., gefragt worden wäre etwa zu seiner Suchtgeschichte, hätte ich mich darauf berufen müssen: Ich weiß es nicht. – Ich wusste es nicht. Wenn Sie mich heute fragen: „Warum haben Sie dazu nichts gesagt?“, dann kann ich Ihnen nur sagen: Alle Daten aus der Gesundheitsakte weiß ich erst seit gestern. Insofern geht es mir auch da nicht darum, irgendetwas zu verheimlichen.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Wenn ich eines für den Kollegen Reul und mich in Anspruch nehme, dann ist das eine komplette, offene, völlige Transparenz. Ob Sie das glauben, ist doch eine ganz andere Geschichte. Das ist nur ein Beispiel für den Umgang. Dass Sie ein Interesse daran haben, das Ganze zu skandalisieren, mag auch dem politischen Geschehen geschuldet sein.

(Sarah Philipp [SPD]: Muss man gar nicht skandalisieren! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn das anders wäre, wäre auch Ihre Reaktion eine andere. Sie können von uns alles erfahren, was wir wissen. Was wir noch nicht wissen und später erfahren, berichten wir dann auch gerne. Sie merken an den Antwortkatalogen und dem Tempo, in dem wir geantwortet haben, wie sehr wir bemüht sind, das zügig zu machen. Und das bleibt auch so.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. Damit sind wir am Ende der Fragestunde, die 14 Minuten und 15 Sekunden länger war, als sie eigentlich vorgesehen ist. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir nun die Fragestunde schließen.

Wir rufen den nächsten Tagesordnungspunkt auf:

10 Gesetz zur Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2659

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/3823

zweite Lesung

Nun hat das Wort für die CDU-Fraktion Herr Kollege Hoppe-Biermeyer.

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe davon aus, dass fast alle hier im Haus die Integration von geflüchteten Menschen für wichtig halten. Liebe Opposition aus Rot und Grün, da schließe ich Sie ausdrücklich mit ein.

Ob einem etwas wichtig ist oder man sogar bereit ist, dafür Geld auszugeben, sind aber zwei Paar Schuhe. Sie jedenfalls waren in Ihrer Regierungszeit 2016 und 2017 nicht bereit, auch nur einen Euro der jährlich 434 Millionen Euro Integrationspauschale vom Bund an die Kommunen weiterzuleiten.

Wäre Rot-Grün 2017 nicht abgewählt worden, hätte sich das 2018 genauso wiederholt. Ihre mittelfristige Finanzplanung sah für 2018 keine Weiterleitung von Mitteln der Integrationspauschale vor. Wir sehen das anders und haben 100 Millionen Euro an zusätzlichen Mittel im aktuellen Landeshaushalt eingeplant. Mit diesem Geld können die 396 Städte und Gemeinden jetzt Integrationsaufgaben erfüllen.

Es ist natürlich einfach und ein ganz natürlicher Reflex der Opposition, nun mehr zu fordern. Diejenigen jedoch, die das jetzt fordern werden, sollten sich an ihren Taten messen lassen – und da steht nun mal nur eine Null.

Darum ist es für mich auch nachvollziehbar,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass sich die Grünen bei der Abstimmung in den Ausschüssen enthalten haben. Warum aber die SPD in den Ausschüssen dagegen stimmt, dass die Städte und Gemeinden Geld bekommen, das müssen Sie mir gleich erklären.

Mit unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes schaffen wir die Rechtsgrundlage, um noch in diesem Jahr 100 Millionen Euro an die Kommunen weiterzugeben. Verteilt werden die Integrationsmittel kommunalscharf zu 60 % nach der Zahl der anerkannten Flüchtlinge mit Wohnsitzauflage und zu 40 % nach der Zahl der Asylsuchenden im Verfahren. Der Mindestbetrag liegt bei 50.000 Euro. So ist sichergestellt, dass auch kleine Gemeinden und die Gemeinden mit Landeseinrichtungen nicht leer ausgehen.

Sowohl der Mindestbetrag als auch die Höhergewichtung von Personen mit Bleiberecht fanden bei der Anhörung im Juli breite Zustimmung und wurden als fair eingestuft.

Gut angekommen ist in der kommunalen Familie auch, dass das Geld genau dorthin fließt, wo es für die Integration den größten Nutzen verspricht, nämlich direkt in die Städte und Gemeinden. Integration passiert vor Ort. Wir wissen um die Verdienste der Kommunen gerade in den ersten Monaten der Flüchtlingskrise. Es waren die Mitarbeiter der Städte und Gemeinden, die in der Krise vor Ort scheinbar Unmögliches möglich machten. Es waren die Mitarbeiter der Städte und Gemeinden, die zahllose Ehrenamtliche motivierten und immer noch motivieren.

Für das Engagement aller Helfer und Helferinnen vor Ort möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bedanken.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ohne ihr Engagement wäre die Flüchtlingskrise zur Flüchtlingskatastrophe geworden.

Mit Dank allein soll es aber ausdrücklich nicht getan sein. Wir wollen die Städte und Gemeinden auch finanziell entlasten. Doch wie viel sind 100 Millionen Euro, heruntergebrochen auf die einzelnen Kommunen? Ich habe mir das für meine Heimatstadt Delbrück im Kreis Paderborn angesehen. Bei der ersten Berechnung kamen knapp 171.000 Euro über die Integrationspauschale heraus. Eingeflossen in die Berechnung sind 230 Personen mit Wohnsitzauflage und 182 Personen nach FlüAG. Delbrück hat 31.000 Einwohner und zählt zum ländlichen Raum. Bei Weitem nicht alle Flüchtlinge konnten zentral untergebracht werden. Angebote vor Ort sind umso wichtiger, ersparen sie den Flüchtlingen doch lange Wegstrecken und auch Fahrtkosten.

Mit dem Geld könnten zum Beispiel Sprachkurse für Flüchtlinge finanziert werden, die keinen oder noch keinen Anspruch auf einen Integrationskurs haben. Die Stadt Delbrück bietet in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule vor Ort A1-, A2- und B1-Kurse an. Solche Kurse werden für bis zu 20 Personen angeboten und umfassen bis zu 400 Unterrichtsstunden. Die Kosten dafür liegen je nach Kurs zwischen 4.000 Euro und 9.000 Euro. Wenn man das Geld in Delbrück also nur für Sprachkurse ausgeben würde, ließen sich davon rund 30 Kurse komplett organisieren. Diese Integrationspauschale macht also einen Unterschied für Delbrück, genauso wie für alle anderen 395 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Die Kommunen liegen uns am Herzen, und auch die Integration liegt uns am Herzen. Von gelungener Integration werden alle profitieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hoppe-Biermeyer. – Nun spricht für die SPD Kollegin Stock.

Ellen Stock (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im Ausschuss mehrmals über die Änderung des Gesetzes geredet und dazu auch eine informative Anhörung mit betroffenen Verbänden durchgeführt.

In der Anhörung machten die Sachverständigen deutlich, dass sie den Anteil der weitergeleiteten Mittel für viel zu gering halten; denn die Landesregierung leitet lediglich 100 Millionen Euro an die Kommunen weiter. Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was die Fraktionen der Mitte-rechts-Koalition ursprünglich selbst gefordert haben. Es geht hier immerhin um 434 Millionen Euro, welche der Bund dem Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellt.

(Henning Höne [FDP]: Wie viel haben Sie davon zur Verfügung gestellt? – Gegenruf von der SPD: Stand es bei uns denn im Wahlprogramm?)

Die Landesregierung enthält den Kommunen damit einen ihnen zustehenden Anteil vor.

Dabei waren die Versprechen vor der Wahl im vergangenen Jahr noch ganz andere. Am 1. April 2017 hatte die CDU ihr Wahlprogramm für den damaligen Wahlkampf beschlossen. Darin ist auf Seite 98 zu lesen – ich zitiere –:

„Die durch den Bund dem Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellte Integrationspauschale werden wir künftig zwingend und ohne Umwege oder Kürzungen an die Kommunen weiterleiten.“

Vor diesem Hintergrund ist die Enttäuschung der kommunalen Spitzenverbände natürlich allzu verständlich; denn sie haben sich vor der Wahl auf dieses Versprechen verlassen. Oder sollten wir lieber sagen: „Auf dieses Versprechen sind sie reingefallen“?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht dass Sie mich falsch verstehen: Wir sind absolut dafür, dass die Kommunen bei ihrer Integrationsarbeit unterstützt werden. Sie sollen zudem gestärkt werden. Die Aufgaben, die vor Ort übernommen werden, sind von unschätzbarem Wert.

Zu diesen wichtigen Integrationsaufgaben gehört neben den Leistungen der Kommunen auch die Arbeit des Landesintegrationsrates. Der Landesintegrationsrat hat in der Anhörung darauf hingewiesen, dass in § 10 des Gesetzes die Vertreter auf Landesebene geregelt seien. Derzeit heißt es in Absatz 1:

„Das Land fördert die Arbeit der von den kommunalen Integrationsräten und Integrationsausschüs­sen gebildeten Vertretung der Menschen mit Migrationshintergrund auf Landesebene durch finanzielle Zuwendungen.“

Aus unserer Sicht wäre es logisch und sinnvoll, wenn auch der Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalen namentlich im Gesetz vorkommen würde. Sie sehen: Es gibt einige Punkte, die an dem Gesetzentwurf nicht stimmig sind.

In Richtung der Landesregierung kann ich nur Folgendes sagen: Wir messen Sie an dem, was Sie gefordert haben. Vor diesem Hintergrund liefern Sie eindeutig zu wenig. Die SPD-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf der Landesregierung deswegen ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Stock. – Nun spricht für die FDP Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die NRW-Koalition setzt eine Trendwende. Mit der Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes stellen wir zusätzliche Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro zur Entlastung der Kommunen bei der Integration von geflüchteten Menschen zur Verfügung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Da ist aber der Textbaustein verrutscht!)

Die NRW-Koalition hat damit den finanziellen Spielraum in den Beratungen zum Haushalt 2018 für die Unterstützung der Kommunen bei der Integration vor Ort entsprechend genutzt. In den vergangenen Jahren – ich glaube, man muss es wiederholen, denn bei dem einen oder anderen in der Opposition herrschen ein paar Erinnerungslücken – gab es für die Städte und Gemeinden eigentlich nichts. Die Kommunen gingen leer aus. Die vorherige rot-grüne Landesregierung hatte für die Kommunen im Haushalt 2016 0 Euro, im Haushalt 2017 0 Euro, aber auch in der mittelfristigen Finanzplanung nicht einen Cent übrig.

(Henning Höne [FDP]: Null, null, null!)

Man hatte auf der einen Seite wachsende Belastungen und auf der anderen Seite die fehlende Unterstützung der rot-grünen Landesregierung. Dies haben wir geändert. Das war zu Beginn meiner Rede mit der Trendwende gemeint; das war kein Verrutschen des Textbausteins, lieber Kollege.

Mit diesem Gesetz – zumindest im Ausschuss haben Sie mit der Enthaltung noch die Kurve bekommen – werden wir zusätzliche Mittel entsprechend weitergeben. Damit senden wir ein wichtiges Signal an unsere Kommunen. Wir werden sie bei ihren Aufgaben zum Thema „Integration“ vor Ort nicht alleinlassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So ist auch der Schlüssel für die Verteilung der Mittel richtig gewählt; denn es geht darum, die unterschiedlichen Belastungen der Kommunen zu berücksichtigen. Wir richten uns nach den tatsächlichen Flüchtlingszahlen. Es wurde ja in der Anhörung begrüßt, dass wir uns da ganz klar nach dem FlüAG und der Wohnsitzregelungsverordnung richten und das Verfahren so unbürokratisch wie möglich gewählt haben. Das fand bei den Kommunen ausdrücklich Zustimmung. Jeder, der hier einen anderen Eindruck erwecken möchte, war anscheinend nicht dabei.

Diese zusätzlichen 100 Millionen Euro sind auch nicht die einzige Maßnahme zur Unterstützung der Kommunen; vielmehr werden wir mit dem Stufenplan unseres Ministers Dr. Joachim Stamp die Städte und Gemeinden langfristig entlasten. Wir haben für Planungssicherheit gesorgt und die Kommunalen Integrationszentren bis 2022 abgesichert.

Wir wollen – ich bin frohen Mutes, dass wir das noch gemeinsam hinbekommen – die Migrantenselbstorganisationen entsprechend stärken. Darüber werden wir später ja noch sprechen. Genauso ist es richtig, dass wir das Flüchtlingsaufnahmegesetz anpassen und die Kommunen auch dort weiter unterstützen werden.

Klar, auch der Bund ist gefordert. Wir brauchen eine verlässliche und dauerhafte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Kosten für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen, und zwar mindestens auf dem bisherigen Niveau, aber auch über 2019 hinaus. Nur dann können wir die Kommunen bei den flüchtlingsbedingten Zuweisungen des Landes noch bedarfsgerechter unterstützen und das weiterentwickeln.

Im Gegensatz zu der rot-grünen Landesregierung handelt die NRW-Koalition. Wir verstehen uns als Partner der Kommunen. Frau Kollegin Stock, ich war im Ausschuss ja schon schockiert über Ihr Nein so nach der Devise: ganz oder gar nicht. Spätestens da haben Sie doch ganz klar signalisiert: Wenn es ums Geld geht, lassen Sie die Kommunen bei der Integrationsarbeit im Regen stehen.

(Ellen Stock [SPD]: Nein, wir erinnern Sie nur an Ihr Versprechen! – Zuruf von der SPD: Erzählen Sie nicht so einen Unsinn!)

Sie setzen das Verhalten aus Ihrer Regierungszeit in der Opposition fort. Sie sind weiterhin nicht bereit, nur einen Euro weiterzuleiten.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja Quatsch!)

Es war ein klares, aber völlig falsches Signal, das Sie an die Städte und Gemeinden ausgesendet haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Bürgermeistern. Die wären über jeden Euro Unterstützung glücklich, zufrieden und bräuchten das vor Ort auch. Aber Sie lassen sie im Stich. Sie könnten sich einen Ruck geben;

(Ellen Stock [SPD]: Geben Sie und Ihre Landesregierung sich einen Ruck und geben Sie die 434 Millionen!)

denn auch aus der Opposition heraus kann man Verantwortung übernehmen. Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu. Die Integration gelingt nur gemeinsam mit den Kommunen. Die Grünen haben sich wenigstens der Stimme enthalten. Die Devise „ganz oder gar nicht“,

(Ellen Stock [SPD]: Ist das Ihr einziges Argument die ganze Zeit?)

dass Sie nicht bereit sind, heute die Entscheidung über die 100 Millionen Euro mitzutragen, ist unwürdig. Das wird auch kein SPD-Bürgermeister verstehen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der SPD – Ellen Stock [SPD]: Sie haben Ihr Wahlversprechen gebrochen, und das wissen die Bürgermeister!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen spricht nun der Abgeordnete Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stefan Lenzen, du drehst bei dieser Geschichte eine richtig schöne Pirouette bzw. springst einen Salto. Nehmen wir einmal den Ausgangspunkt: 434 Millionen Euro hat die CDU-Fraktion 2016 per Antrag in diesem Landtag gefordert. Sie hat im Landtagswahlprogramm gefordert: Kein einziger Cent der Integrationspauschale darf beim Land verbleiben. Jeder Euro aus dem Landeshaushalt muss an die Kommunen weitergegeben werden.

Jetzt könnte man sagen: Die Zeiten ändern sich. – Und die Zeiten haben sich verändert. Sie haben sich sogar massiv verändert, was die Frage der Geflüchteten anbetrifft. Dieses Land hat nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Einzelplan 07 mehr als 1,5 Milliarden Euro weniger Kosten für Geflüchtete zu verausgaben als 2016. Das ist die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie drücken sich davor, die Verantwortung zu übernehmen, wie Sie es damals versprochen haben.

Jetzt könnte man auch sagen: 1,5 Milliarden Euro hat das Land nun weniger auszugeben. – Aber vielleicht geht es den Kommunen auch besser, die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Ja, die Rahmenbedingungen haben sich verändert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber wie? Die kommunalen Spitzenverbände haben in der Anhörung zum GFG letzte Woche vorgetragen, dass sie mittlerweile 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Personenkreis der Geduldeten ausgeben müssen. Das wäre ein weiterer Ansatzpunkt, Herr Kollege Lenzen und auch Herr Kollege Hoppe-Biermeyer, zu sagen: Okay, die Rahmenbedingungen haben sich so sehr geändert, dass wir das jetzt anpassen müssen. Wir müssen auch anders damit umgehen.

Ich habe heute im Berichterstattergespräch auch noch einmal nachgefragt. Dort wurde gesagt, dass eine Ergänzungsvorlage geplant ist, weil, Herr Kollege Lenzen, nämlich auch für 2019 bei der Integrationspauschale 0 Euro im Haushalt stehen. Die Ankündigung aus dem Ministerium ist, dass man sich dafür einsetzen wird – ich will das jetzt vernünftig ausdrücken, da es noch keine Kabinettsvorlage gibt –, 100 Millionen Euro für 2019 bereitzustellen.

Ich kann Ihnen nur sagen: Angesichts dessen, was Sie im Wahlkampf veranstaltet haben, insbesondere die CDU – es gibt zahlreiche Pressemitteilungen aus Städten, wo gesagt wurde, dass, wenn die CDU an der Macht ist, 434 Millionen Euro von 434 Millionen Euro an die Städte und Gemeinden weitergegeben werden –, ist das hier eine Bankrotterklärung, eine Peinlichkeit. Es ist lächerlich, was Sie als Gesetzentwurf vorlegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich komme zu einem zweiten Aspekt, der auch im Flüchtlingsaufnahmegesetz eine Rolle spielen wird – auch darüber werden wir sprechen müssen, möglicherweise noch in den nächsten Wochen –, nämlich die Frage der Kosten, was den Einzelfall im Flüchtlingsaufnahmegesetz betrifft.

Ich kann Ihnen unser Abstimmungsverhalten im Ausschuss sehr klar erklären. Natürlich sind 100 Millionen Euro besser als 0 Euro. Natürlich stimmen wir dann nicht dagegen, wenn es eine Verbesserung gibt. Das wäre ja auch albern. Aber dass wir das richtig finden – deswegen können wir dem auch nicht zustimmen –, können wir alles andere als konstatieren.

Der Grund – das will ich wiederholen, ich habe es vorher in meinen Reden auch immer gesagt – ist folgender: Ich empfinde es schon als Betrug am Wähler, wenn man vor der Wahl sagt: „Wir leiten jeden Cent weiter“ und bei 1,6 Milliarden Euro Minderausgaben nach der Wahl das Gegenteil tut. Das ist nicht in Ordnung. Das kritisieren wir an diesem Gesetzentwurf sehr klar, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Bitte ist, weil wir das nicht mehr werden ändern können – die Schlachten sind für den heutigen Tag geschlagen –: Wenn Sie es mit der Integration ernst meinen und wenn Sie das Verhältnis zwischen Kommune und Land ernst nehmen, dann müssen wir das Thema – davon gehe ich aus – neu anpacken, und zwar umfassend; Sie haben es eben angesprochen.

Bei einem Thema ist das schon angelegt. Bei den Kosten für den einzelnen Fall wird es nach den Gesprächen mit Sicherheit einen Vorschlag der Regierung geben. Aber auch was den gesamten Umgang mit der Integration angeht, wird es nicht nur fachlich, sondern auch finanzpolitisch eine Neuaufstellung geben müssen.

Das, was wir aus Berlin hören, ist alles andere als erfreulich. Nach der ersten Vermutung, dass es mehr Geld geben muss, hat der Finanzminister sofort Alarm geschlagen: Nein, es stimmt gar nicht, was in der „Süddeutschen Zeitung“ steht. Das haben wir in der Großen Koalition nicht vereinbart.

Ich kann es nicht beurteilen, ich kann nur Zeitung lesen. Ich muss davon ausgehen, da bis heute nichts Regierungsamtliches vorliegt, dass der schlechte Fall bis jetzt Stand der Dinge ist.

Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass 100 Millionen Euro statt wie vorgesehen 0 Euro rüberkommen. Aber eines ist auch klar: Sie geben nicht 100 Millionen Euro mehr für die Integration in den Städten aus, sondern mindestens 1,5 Milliarden Euro weniger. Das ist das Fazit, das ich nach zwei Jahren Regierungsarbeit ziehen muss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD erteile ich der Abgeordneten Frau Walger-Demolsky das Wort. Bitte schön.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was man hier heute erleben konnte, war natürlich eine Steilvorlage für uns als Opposition. Die einen schimpfen: „Es ist nicht genug“ und haben selbst gar nichts ausgeschüttet. Die anderen versprechen im Wahlkampf, 100 % auszuschütten, und schütten jetzt immerhin ein Drittel aus. Das ist besser als null.

Der Bürger kann sich selbst ein Urteil darüber bilden, was ein Wahlkampfversprechen wert ist und was die Oppositionsarbeit der SPD und der Grünen wert ist – im Verhältnis zu dem, was sie früher selbst getan haben.

(Beifall von der AfD)

Gesetz zur Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes klingt umfassend. Tatsächlich geht es aber nur um die Verteilung der Mittel, nämlich die vom Bund für Integrationsmaßnahmen sowie die, die im Zusammenhang mit dem Familiennachzug zur Verfügung gestellt werden.

Leider wird die Beschulung von Kindern in Landeseinrichtungen immer noch nicht neu geregelt. Für diese Kinder, deren Entwicklung massiv behindert wird, ist eine Änderung mindestens genauso zeitkritisch wie für die Haushalte unserer Kommunen. Wenn Sie zur Umsetzung noch Tipps brauchen, lesen Sie in unseren Anträgen oder auch im Landeswahlprogramm der AfD NRW nach.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der AfD: Machen die ja nicht!)

Die SPD bemängelt, dass nicht die gesamte Summe in Höhe von 434 Millionen Euro an die Kommunen weitergeleitet wird, sondern nur 100 Millionen Euro. Vergessen wird dabei, dass sich das Land und die Kommunen die Integrationsaufgaben ebenfalls teilen. Prinzipiell kommt das Geld also doch vor Ort an, nämlich insbesondere bei denjenigen mit einer längerfristigen Bleibeperspektive. Ob da jede Maßnahme sinnvoll ist, sei dahingestellt. Aber Integrationsaufgaben sind auf Länder und Kommunen verteilt, nicht nur auf die Kommunen.

Der Landesintegrationsrat mag Ihre Ablehnung verstehen, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD. Die Kämmerer der Städte und Gemeinden sollten aber ganz genau hinsehen. Denn ein Nein des Plenums würde billigend in Kauf nehmen, dass dringend benötigte Gelder gar nicht bei den Kommunen ankommen. Für einen Änderungsantrag war Ihnen die Sache offensichtlich nicht wichtig genug.

(Beifall von der AfD)

Sowohl die Größenordnung der geplanten Auszahlungen an die Kommunen wie auch die Bedingungen, die an die Kommunen zur Zuweisung gestellt werden, wurden von den beteiligten Sachverständigen, unter anderem auch von Vertretern der Städte und Kreise, in der Anhörung als angemessen beurteilt. Dem ist also nichts hinzuzufügen. Wir stimmen dem Entwurf zu. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Integration findet vor Ort in den Städten und Gemeinden unseres Landes statt. Um in der Lage zu sein, das erfolgreich umzusetzen, brauchen die Kommunen die finanzielle Unterstützung des Landes. Für diese notwendige finanzielle Unterstützung werden wir sorgen, und zwar noch in diesem Jahr.

Die rot-grüne Landesregierung hat die Integrationspauschale des Bundes Jahr für Jahr komplett selbst verbraucht und auch in der Mittelfristigen Finanzplanung keine Mittel vorgesehen.

Jetzt, im ersten Haushaltsjahr der NRW-Koalition, werden endlich auch die Kommunen von der Integrationspauschale profitieren. Das haben wir versprochen, und dieses Versprechen halten wir auch.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes schaffen wir die Voraussetzungen für eine Entlastung der Kommunen in Höhe von 100 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen. Alle 396 Städte und Gemeinden werden einen Anteil an diesen 100 Millionen Euro erhalten.

(Zuruf von der SPD: Abzüglich GFG!)

Wir werden dafür Sorge tragen, die Bescheide zeitnah zum Gesetzgebungsverfahren zu erteilen, um die von den Kommunen dringend benötigten Mittel auch zügig auszahlen zu können.

Meine Damen und Herren, im Rahmen der Anhörung am 10. Juli haben die Sachverständigen die Zielsetzung des Gesetzentwurfs und seine inhaltlichen Regelungen, insbesondere den gewählten Verteilungsschlüssel, als gelungen bewertet. Das hat mich sehr gefreut. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es darum, die Kommunen in 2018 zu entlasten. Insoweit handelt es sich also ausschließlich um eine fiskalische Neuregelung.

Eine Gesamtnovellierung – das ist eben schon mal angesprochen worden – des Teilhabe- und Integrationsgesetzes mit Blick auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Integrationspolitik ist für das Jahr 2020 geplant. Wichtig dafür werden auch die Impulse aus dem Integrationsbeirat sein, der seine Arbeit am 17. September aufgenommen hat und mit dem wir sehr fruchtbare Diskussionen geführt haben.

Das Expertengremium und die Landesregierung werden die Integrationsstrategie 2030 gemeinsam erarbeiten. Ich würde mich freuen, wenn wir dann zu einer sehr breiten Beschlussfassung kämen. Diesem Prozess sehe ich sehr gespannt und auch sehr zuversichtlich entgegen.

Im Parlament werden wir dann die inhaltlichen Fragestellungen zum Teilhabe- und Integrationsgesetz angehen. Dazu gehört auch – es ist eben angesprochen worden – die Frage der Benennung und Förderung des Landesintegrationsrates.

Meine Damen und Herren, Zuweisungen für Integrationsmaßnahmen ab 2019 bedürfen einer erneuten Änderung des Gesetzes. Vorsorglich haben wir bereits bei dieser Gesetzesänderung die gesetzlichen Grundlagen für die angekündigte Weiterleitung von Mitteln aus dem europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds vom Bund an die Kommunen geschaffen. Höhe und Zeitpunkt der Auszahlung für den Familiennachzug von Syrern aus der Türkei stehen noch nicht fest. Unter Umständen wird dieses Verfahren erst 2019 realisiert werden können.

Lieber Herr Kollege Mostofizadeh, Sie haben zu Recht das Problem angesprochen, dass wir nicht wissen, wie sich die finanzielle Entwicklung seitens des Bundes gestalten wird.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen: Es stellt für uns ein ernsthaftes Problem dar, wenn wir bei wesentlichen Herausforderungen, bei Defiziten in der Integrationspolitik, die nicht nur Angelegenheiten der Kommunen sind – es geht schließlich auch darum, dass das Land Dinge steuert, beispielsweise was die Frage der Ausbildungsfähigkeit von nicht schulpflichtigen jungen Geflüchteten betrifft –, an Grenzen stoßen, weil wir keine Programme auflegen können, weil immer nur von Jahr zu Jahr ein Finanzpaket auf den Weg gebracht wird. Wenn wir immer nur einen Batzen für ein Jahr bekommen, dann bleibt es bei einem Strohfeuer, das nicht in dauerhafte und nachhaltige Programme umgesetzt werden kann. Hierüber sind wir auch mit dem Bund im Gespräch. Wir werden das weiterhin einfordern.

Wenn wir die große Herausforderung des enormen Zuzuges von 2015/2016 in einer Weise bewältigen wollen, dass diejenigen, die zu uns gekommen sind, wirklich am Arbeitsmarkt Fuß fassen können, sind eine nachhaltige Finanzierung und eine nachhaltige Unterstützung des Bundes notwendig. Dementsprechend werden wir uns auch weiter gegenüber dem Bund dafür einsetzen und entsprechend verhalten. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit und freue mich, wenn Sie dem Gesetz zustimmen. Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir haben somit den Schluss der Aussprache erreicht und kommen zur Abstimmung.

Der Integrationsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/3823, den Gesetzentwurf Drucksache 17/2659 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/2659 und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP und AfD. Wer ist dagegen? – Das ist die SPD. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Grünen. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/2659 mehrheitlich angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

11 Mobilität für Landesbeschäftigte in NRW

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3794

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Grünen Herrn Klocke das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen von grüner Seite einen weiteren Vorschlag in die Runde einbringen, wie wir mehr Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen durchsetzen können. Wir hatten heute Morgen bereits eine intensive Debatte zum Klimaschutz und zur Energiewende. In unserem Antrag machen wir zwei konkrete Vorschläge, wie man den Klimaschutz und die Energiewende im Konkreten umsetzen kann.

Sie alle wissen – wir haben es bereits intensiv debattiert –, dass im Verkehrsbereich bei den klimaschädlichen Emissionen bislang noch nicht ansatzweise die Einsparungen erbracht worden sind, die notwendig wären. Im Gegenteil, seit 1990 hat es hier Zuwächse gegeben. Bis 2030 müssen wir jedoch den Ausstoß klimaschädlicher Gase im Verkehrsbereich um 30 % senken. Wie kann das auf den Weg gebracht werden? Auch das haben wir schon intensiv diskutiert. Die Antwort lautet: natürlich über den Umstieg auf alternative Verkehrsträger, auf mehr ÖPNV sowie über mehr Radverkehr.

Wir Grüne wollen, dass hier das Land Nordrhein-Westfalen als Arbeitgeber einen wichtigen Schritt nach vorne geht. In Nordrhein-Westfalen gibt es gut 440.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst, zum Großteil Landesbeamte. Was kann ein Arbeitgeber tun? Er kann den Beschäftigten Angebote zur verstärkten Nutzung von ÖPNV und Radverkehr unterbreiten.

Es gibt zwei Beispiele aus anderen Bundesländern: In Hessen wird seit dem 01.01.2018 allen Landesbeamtinnen und Landesbeamten ein kostenloses JobTicket angeboten. In Baden-Württemberg wurde der Weg für das JobRad frei gemacht, analog zu dem, was wir als Dienstwagen kennen. Mit der Nutzung des JobRades wird die Möglichkeit geschaffen, dass Angestellte, Beamtinnen und Beamte mit einem vom Arbeitgeber geleasten Dienstrad zum Arbeitsplatz fahren können.

Johannes Remmel und ich hatten dazu im Ausschuss schon eine Anfrage gestellt. Die Antwort der Landesregierung, sprich: die Aussage, die wir vonseiten des Ministeriums bekamen, war durchaus – ich formuliere es freundlich – ausbaufähig, was die bisherigen Überlegungen zur Einführung von Jobrad und Jobticket sowie die geleisteten Vorarbeiten betrifft. Deswegen bringen wir heute diesen Antrag ein.

Um in Nordrhein-Westfalen beispielsweise ein Jobrad auf den Weg bringen zu können, müssten zunächst die Besoldungsregelungen geändert werden. Es geht hier um einen geldwerten Vorteil, jedenfalls für den Fall, dass ein Jobrad auch privat genutzt würde. Dafür müsste dann das Landesbesoldungsgesetz und das Landesbeamtengesetz geändert werden. Man spricht hier von einem sogenannten Sachlohn, den es bislang nur für die betriebliche Altersversorgung gibt.

Das würde auch voraussetzen, dass man zu einem Einverständnis mit den Gewerkschaften kommt. In den bisherigen Gesprächen gestaltete sich das eher als schwierig, weil es dafür keine Offenheit und Bereitschaft gab. Das Vorbild des Landes Hessens zeigt aber, dass man mit den richtigen Argumenten entsprechend vorankommen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen bringen wir diesen Antrag heute ein. Wir stellen ihn auch bewusst nicht zur direkten Abstimmung, sondern wir wollen eine Diskussion ermöglichen, die es im Ausschuss sicherlich geben wird.

Möglicherweise wird auch eine Anhörung stattfinden, damit das größte Bundesland mit, wie ich eben schon sagte, gut 440.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Landesbeamten die Möglichkeit hat, zu diskutieren, ob nicht über die Kombination von Jobticket und Jobrad oder erst einmal nur mit einem Jobticket der Weg für mehr ÖPNV-Nutzung in Nordrhein-Westfalen frei gemacht werden kann.

Alle, die sich mit dem ÖPNV beschäftigen, wissen – natürlich auch die Kollegen aus den Regierungsfraktionen; Kollege Rehbaum, Kollege Voussem und andere –, dass dazu intensive Gespräche mit den Aufgabenträgern und mit den Verkehrsverbünden notwendig sein werden. Hier müssten wir zu einem Einverständnis kommen.

Wir wissen auch um die belasteten Linien in Nordrhein-Westfalen und um die schon jetzt gut genutzten Regionalzüge und S-Bahnen. Dennoch halten wir die Einführung eines Jobtickets genauso wie das Angebot eines Jobrades für einen wichtigen Schritt hin zu einer größeren Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs.

Wir hören immer wieder – mir geht es dabei, glaube ich, genauso wie vielen anderen –, dass gesagt wird: Wir wären bereit zum Umstieg. Wir wären bereit, andere Verkehrsträger zu nutzen und das Auto zu Hause stehen zu lassen, wenn es gute Angebote gäbe, die bezahlbar sind und die eine entsprechende Servicequalität haben. Jobticket und Jobrad könnten hier wichtige Angebote seitens des Landes sein.

Wir bitten Sie, den Antrag auf jeden Fall wohlwollend zu prüfen. Ich würde mich über eine intensive sachliche Debatte im Ausschuss zu diesen Themen – möglicherweise mit einer Anhörung – freuen. Noch besser würde mir gefallen, wenn wir den Antrag danach gemeinsam hier beschließen könnten. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU erteile ich dem Kollegen Moritz das Wort.

Arne Moritz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klocke, gegen das grundsätzliche Interesse, den Individualverkehr in Nordrhein-Westfalen klimaneutraler zu gestalten, gibt es nichts einzuwenden. Ihre Fraktion hat auch recht damit, dass das Land für attraktive Arbeitsbedingungen sorgen muss. Allerdings führen verkehrspolitisch viele Wege nach Rom. Dabei sehen wir Wege, die zu Ungleichbehandlungen führen, kritisch.

Das ist genau das Problem bei diesem Antrag. Das vorgeschlagene Jobticket würde erstens die Landesbediensteten besserstellen als die restlichen Bürger, Studenten und Azubis und hätte nur einen effektiven Nutzen für die Beamten, die im direkten Umfeld eines gut ausgebauten ÖPNV wohnen.

Momentan würde ein Jobticket für viele der 440.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenig Sinn ergeben, da das ÖPNV-Netz im ländlichen Raum längst nicht so gut ausgebaut ist. Kurz gesagt: Was nutzt mir ein kostenloses Jobticket, wenn ich es nicht nutzen kann, weil in meinem Dorf nur einmal in der Stunde ein Bus fährt oder ich hinterher am Bahnhof beim Umsteigen lange auf einen Zug warten muss?

Das und auch eine eventuelle Überbelastung des ÖPNV-Netzes sind sicher Probleme, und über die Kosten haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen.

Es gibt das Beispiel Hessen. Dort ist das JobTicket im Gegensatz zu NRW fest im Besoldungsrecht verankert. Hessen zahlt für insgesamt 150.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst 51 Millionen Euro für die JobTickets. Wenn man das grob für Nordrhein-Westfalen mit 440.000 Beamten überschlägt, dann kommt hier eine ganz schöne Summe zusammen.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, Entschuldigung. Es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Klocke. Gestatten Sie diese?

Arne Moritz*) (CDU): Klar, immer.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Herr Präsident. – Danke, Herr Kollege. Sie haben eben die Nutzungsmöglichkeiten angesprochen. Wie bewerten Sie denn, dass wir an allen nordrhein-westfälischen Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten Semestertickets vergeben? Das können Personen, die in Studentenstädten mit einem gut ausgebauten ÖPNV leben, sicherlich besser nutzen als Personen an anderen Standorten. Das Semesterticket ist aber allenthalben als großer Erfolg bekannt, auch was die Finanzierung angeht.

Meine Frage ist: Können Sie in Ihrer Argumentation „Semesterticket versus Einführung eines Jobtickets“ darlegen, ob Sie dann auch das Semesterticket für ein Angebot halten, das man eigentlich abschaffen müsste, weil es eben nicht alle im Land gleichermaßen nutzen können?

Arne Moritz (CDU): Sie wissen selbst – insofern war die Frage jetzt nicht sonderlich clever –, wie der öffentliche Nahverkehr rund um die Hochschulen und Universitäten ausgebaut ist.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: In Lemgo? In St. Augustin?)

Dort können sie das gut nutzen. Folglich ist es ein großer Unterschied, ob Sie dort oder irgendwo im ländlichen Raum wohnen bzw. tätig sind.

Das heißt, wir wissen nicht, wie groß der Nutzen ist oder wie das gegenfinanziert werden kann. Wir wissen aber definitiv, dass wir die Beamten ungleich behandeln und damit auch keine attraktiven Arbeitsbedingungen schaffen würden. Ich gestehe Ihnen zu, dass der Antrag im Ansatz gut gedacht ist, im Ergebnis ist er aber zu kurz gedacht.

Um den Umstieg auf Bus und Bahn attraktiver zu machen, hilft es aus unserer Sicht wenig, das für einzelne Bevölkerungsgruppen zu forcieren. Vorteile müssten für alle Bürgerinnen und Bürger entstehen; zum Beispiel sollte ein verbundübergreifendes E-Ticket ebenso wie ein Jobticket höhere Priorität genießen.

Warum sollten wir hier Vorteile für einzelne Gruppen oder Landesbedienstete schaffen, wenn wir den Vorteil deutlich ausweiten können? Der Vorstoß des Wirtschaftsministeriums, Elektrolastenräder mit 30 % bis 60 % zu fördern, ist dafür genau richtig und leistet einen großen Beitrag dazu, den Verkehr in der Masse klimaneutraler zu gestalten.

Abgesehen davon möchte ich auch noch einmal unterstreichen, was Herr Krähmer bereits im Verkehrsausschuss betont hat: Eine Anreizgewährung durch den Dienstherrn, welche nur für die Beamten infrage käme, würde wieder zu einer Ungleichbehandlung von Angestellten des Landes führen.

Herr Remmel hat im Ausschuss deutlich gemacht, dass das für die Grünen kein großes Problem ist. Wir von der CDU nehmen die Benachteiligung der Angestellten des Landes aber nicht einfach in Kauf.

Auch die Gewerkschaft ver.di hat sich zu dem Vorstoß aus Baden-Württemberg geäußert. Das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Ver.di kritisiert an dem Modell, dass die Anschaffung und der Unterhalt durch Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit versüßt würden. Geringere Rentenansprüche sowie Steuervorteile für einzelne Beschäftigte zulasten der Allgemeinheit wären die Folge.

Das alles gilt es im Ausschuss noch zu klären. Insofern freuen wir uns auf die Beratungen im Ausschuss, in dem wir das alles noch einmal miteinander diskutieren können.

Für uns als CDU-Fraktion ist jedoch klar, dass wir keine Ungleichbehandlungen schaffen möchten und die Maßnahmen allen Bürgerinnen und Bürgern nutzen müssen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Moritz. – Für die SPD spricht nun Herr Abgeordneter Löcker.

Carsten Löcker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns von der SPD war immer klar, dass nach der NOx-Debatte natürlich die CO2-Debatte folgen muss. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die wir in diesen Tagen engagiert diskutieren.

Nicht umsonst haben gestern die EU-Gesund­heitsminister eindringliche Anstrengungen mit Blick auf den CO2-Ausstoß angemahnt. Wir alle wissen, dass zur Erreichung dieses Ziels wirklich große Anstrengungen unternommen werden müssen. Insofern sind heute die Beratung und die Befassung mit diesem Antrag, wie ich meine, folgerichtig. Man kann es sicher auch so ausdrücken: Es ist an der Zeit.

Es ist vernünftig und richtig, dass der Fokus heute auch auf die Frage der Mobilität der Landesbediensteten fällt. Da können wir steuern. Wir können darüber diskutieren, was wir hier im Land dazu beitragen wollen, dass Nordrhein-Westfalen CO2-neutraler werden kann.

In Kenntnis dieser Chance, ein Jobrad für Landesbeschäftigte zu ermöglichen, hat sich die SPD bereits im letzten Jahr in einem anderen Zusammenhang mit dieser Frage beschäftigt. Ich muss ehrlich gestehen, dass wir einen Suchauftrag – wenn man so sagen darf, Herr Klocke –zunächst einmal nicht an die Landesregierung delegieren wollten, weil uns nach ersten Gesprächen klar wurde, dass die Situation etwas komplexer ist, als sie allgemein scheint. Man glaubt ja, man müsse nur Vorteile organisieren; dann würden sich die Leute gerne ein entsprechendes Rad mit Unterstützung des Arbeitgebers anschaffen. Deshalb konnten wir uns nicht so sehr dafür erwärmen, daraus eine Initiative zu machen. Dennoch begrüßen wir Ihren Antrag. Es lohnt sich, darüber weiter zu diskutieren, meine Damen und Herren.

Das Versprechen an die Umwelt durch Nutzung des Fahrrads reicht aber nicht aus – das will ich ausdrücklich sagen –, wenn es zulasten – das ist jetzt die Einschränkung, Herr Klocke; wenn Sie mir zuhören würden, wäre das nicht schlecht – der Sozialkassen oder der Rentenversicherung gehen soll. Dann wird es für Angestellte schwierig. Deshalb ist die Idee einer Entgeltumwandlung für Angestellte, in deren Rahmen tarifliche Bestandteile des Gehalts für ein Jobrad gekürzt werden, natürlich keine gute Idee, weil sie negative Auswirkungen auf das eigene Gehalt und die Absicherung für die Zukunft hätte, und zwar nicht nur auf die Rente, sondern auch auf das Krankengeld und die Arbeitslosenunterstützung.

Deshalb kann das Modell Jobrad nur ein Erfolg werden – dafür sind wir allerdings –, wenn das Land als Dienstherr analog zum Jobticket ins Obligo geht. Meine Damen und Herren, das muss doch völlig klar sein; denn niemand wird in dem Zusammenhang einen Vertrag zu seinen Lasten abschließen. Das Jobticket ist ein Erfolg, weil der Arbeitgeber und auch die Verkehrsverbände bereit sind, zu rabattieren. Am Ende wird daraus ein Vorteil für die Nutzerinnen und Nutzer generiert. Deshalb entscheiden sie sich für das Jobticket.

Am Ende muss jedoch klar sein, dass jemand einen Vorteil daraus zieht. Wir sehen diesen Vorteil mit Blick auf die heutigen Ansätze, die wir diskutieren, noch nicht. Dazu gehört meiner Meinung nach noch vieles mehr. Man könnte es auch anders formulieren: Ohne ein gemeinsames Vorgehen werden wir keine Lösung finden.

Sicher ist in diesem Zusammenhang – Herr Klocke, da gebe ich Ihnen recht –, dass wir eine landesseitige Initiative brauchen, um diesen Interessenausgleich, um den es am Ende gehen muss, zu organisieren. Es sind bereits die beiden Stichwörter „Lösungen finden“ und „Interessenausgleich organisieren“ genannt worden.

Für die SPD gibt es noch weitere Optionen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden müssen. Die SPD will dabei auch die Frage diskutieren, welche Fahrten in Zukunft wegfallen können, meine Damen und Herren. Ich nenne das Stichwort „Homeoffice“, das ein großes Thema in den Behörden und bei den Landesbeschäftigten ist. Jede Fahrt, die durch Arbeit zu Hause wegfallen kann, spart auch CO2.

Es lohnt sich also, im Ausschuss ausführlich darüber zu diskutieren. Wir begrüßen die Überweisung. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Für die FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will, bevor ich auf den Antrag der Grünen eingehe, kurz ganz grundsätzlich eines vorwegschicken. Für die Verkehrspolitik der NRW-Koalition gilt: Wir setzen uns für eine unideologische und anreizorientierte Politik ein, die keinen Verkehrsträger benachteiligt, weder Auto noch Fahrrad noch ÖPNV, und die Entscheidung über die Nutzung des Verkehrsmittels dem Nutzer selbst überlässt.

(Jochen Ott [SPD]: Da sind wir modern!)

– Ja, das ist in der Tat modern,

(Beifall von der FDP)

weil das nämlich nicht Ihre Haltung war und ist. Das muss ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich sagen.

(Carsten Löcker [SPD]: Das spart CO2!)

Wir sehen im Übrigen – insofern stimmen wir dem Antrag der Grünen durchaus zu – in den Pendlerverkehren einen zentralen Ansatzpunkt, um zu einer verkehrlichen Entlastung beizutragen. In diesem Kontext wäre es wünschenswert, wenn wir mehr Menschen zum Umstieg auf das Rad oder auch den ÖPNV bewegen könnten. Wir haben im Übrigen die Mittel für den Radwegebau und die ÖPNV-För­derung in NRW vor diesem Hintergrund nicht etwa reduziert, sondern bewusst aufgestockt.

Ja, finanzielle Anreize, etwa in Kombination mit der Anschaffung leistungsstarker, aber eben auch teurer Elektroräder, können ein zusätzliches Argument sein. Grundsätzlich wollen wir uns der Idee einer mittelbaren oder unmittelbaren Förderung daher überhaupt nicht verschließen.

Freilich sind die Hürden, die solchen Instrumenten entgegenstehen, groß. Das ist schon angesprochen worden. Sie nennen sie in Ihrem Antrag selbst – etwa, indem Sie sehr zu Recht feststellen, dass ein Sachlohn im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Augenblick nicht vorgesehen ist und – das ist die wirklich entscheidende Aussage – sich die Tarifparteien bislang auch ausdrücklich dagegen sperren, meine Damen und Herren.

Tatsächlich sind die Regelungen in Hessen und Baden-Württemberg eben nicht eins zu eins auf Nordrhein-Westfalen übertragbar. Im Gegensatz zu Hessen gehört Nordrhein-Westfalen der Tarifgemeinschaft der Länder an, und in Baden-Württemberg führt die Einführung des Jobrades bei den Beamtinnen und Beamten zu einer Besserstellung dieser Berufsgruppe gegenüber den Tarifbeschäftigten und damit zu einer massiven Ungleichbehandlung innerhalb der Mitarbeiterschaft.

Diese Hürden haben – nicht ganz überraschend – bislang übrigens auch andere Bundesländer davon abgehalten, entsprechende Modelle einzuführen.

Eine Lösung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben auch Sie nicht. Im ersten Punkt Ihres Antrags – ich habe mir das genauer angesehen – wollen Sie die Landesregierung auffordern, „nach rechtlichen Möglichkeiten zu suchen, wie das Land NRW seinen Beschäftigten ein kostenloses Jobticket zur Verfügung stellen kann“.

Im Lichte und in Kenntnis der geschilderten Rahmenbedingungen das Thema der Landesregierung ohne einen echten eigenen Lösungsvorschlag vor die Füße zu werfen, ist keine seriöse Oppositionsarbeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir setzen dagegen auf pragmatische Lösungen. In einer Vielzahl von Dienststellen der Landesverwaltung gibt es bereits Jobticket-Angebote. Wir unterstützen die Landesregierung ausdrücklich in dem Bemühen, dies auch noch auszuweiten. Uns scheint das ein sinnvoller Weg zu sein – vor allen Dingen, weil er praktikabel ist.

Der Antrag der Grünen soll in den Ausschuss überwiesen werden. Das begrüßen wir ausdrücklich, weil wir durchaus sehr gespannt sind, welche konkreten Lösungsansätze uns die Grünen vorlegen werden.

Ich sage Ihnen ausdrücklich die Offenheit meiner Fraktion für kreative Ideen zu.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Genauso deutlich sage ich aber auch bereits an dieser Stelle: Die Wege von Hessen und Baden-Württemberg lehnen wir klar ab. Einem System, das zugunsten im Augenblick noch völlig unbestimmter verkehrs‑ und umweltpolitischer Effekte Ungleichbehandlungen in diesem Ausmaß zwischen einzelnen Berufsgruppen in Kauf nimmt oder gar den öffentlichen Dienst gegenüber anderen Beschäftigten einseitig bevorzugt, werden wir in keinem Falle zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Kollege Middeldorf. – Nun spricht für die AfD Herr Abgeordneter Vogel.

Nic Peter Vogel (AfD): Danke schön. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ja schon eine fortgeschrittene Stunde. Irgendwie finde ich einen solchen Antrag auch knuffig. Er hat ein bisschen etwas von „Herr der Ringe“; denn man braucht dafür jede Menge Fantasie.

(Carsten Löcker [SPD]: Bisher war das ja eine sachliche Debatte! Mal schauen, wie es weitergeht!)

Irgendwie ist immer alles gratis und kostenneutral, und der Strom kommt ja aus der Steckdose.

Wir haben bundesweit ungefähr 30 Millionen Benzin- und 15 Millionen Dieselfahrzeuge. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Landesbediensteten in Nordrhein-Westfalen zu zwei Dritteln mit dem Pkw zur Arbeit kommen, reden wir von ungefähr 100.000 Dieselfahrern.

Diese sind jetzt durch Fahrverbote in unseren Innenstädten bedroht und sehen sich auch mit einem enormen Wertverfall ihrer Fahrzeuge konfrontiert.

Man könnte also neben der ganzen Ideologie eventuell auch einmal die Fürsorgepflicht für Landesbedienstete ins Auge fassen, anstatt andauernd aktiv Vermögen zu zerstören.

Wir kommen zum Thema „Jobrad analog zum Dienstwagenprinzip“. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Die meisten Arbeitgeber … Sie haben das im Antrag auch angesprochen: Man kann es machen. Einige tun es auch. Aber wer kommt denn eigentlich in den Genuss von Dienstwagen? Das ist die Führungsetage, oder es sind die Außendienstler.

Mit ein bisschen Fantasie kann ich mir noch vorstellen, dass der eine oder andere aus der Führungsetage mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt, wenn es räumlich passt. Bei Außendienstlern fehlt mir da wirklich Ihre Fantasie.

Die Steuervorteile fallen natürlich auch wieder ins Gewicht; denn – meine Güte – dem Land entgehen dadurch auch wieder Steuermittel. Dementsprechend kann man auch nicht von „kostenneutral“ reden.

Man muss auch bedenken, dass noch enorme administrative Aufgaben regelmäßig dazukommen, beispielsweise die Pflege der Leasing- oder Kaufverträge, die Wartung oder vermeintliche Unfälle oder Diebstähle. Diese ganzen Dinge werden nämlich normalerweise in der privaten Zeit erledigt. Wenn wir diese Verantwortung jetzt auf den Dienstherrn abwälzen, kommen wir wieder zu enormen Kosten bei der ganzen Sache. Uns fehlt einfach die Fantasie, hier von „kostenneutral“ zu reden.

(Beifall von der AfD)

Das kostenlose Jobticket ist auch wieder so eine Sache. Nehmen wir einmal an, nur 100.000 unserer Landesbediensteten würden es in Anspruch nehmen. Bei einer realistischen Kostenkalkulation der Ticketpreise kämen wir auf eine monatliche Belastung von ungefähr 5 Millionen Euro. Das heißt: Per annum fallen wir hier 60 Millionen Euro an, die noch zusätzlich erwirtschaftet werden müssen.

Meine Damen und Herren, ich gebe zu: Ich bin über 50. Ich kann nicht mehr so gut gucken.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Wie wäre es mal mit einer Brille?)

Vielleicht habe ich es im Antrag ja auch überlesen. Aber ich habe nirgendwo eine Gegenfinanzierung dieser enormen Summen feststellen können.

(Carsten Löcker [SPD]: Das sind auch nur Ihre Summen!)

Des Weiteren ärgert mich ein klein bisschen – mein Vorredner von der CDU hat es schon gesagt –, dass es viele Leute gibt, die überhaupt nicht in der Lage sind, auf den ÖPNV zurückzugreifen. Bedienstete Pendler aus den ländlichen Gebieten brauchen mit dem ganzen Umsteigen drei bis vier Stunden, um zur Arbeit zu kommen – und nachher wieder zurück. Der Begriff Zweitjob bekommt bei dieser ganzen Sache doch eine ganz andere Bedeutung.

Wir haben wirklich die Möglichkeiten, vernünftig darüber zu diskutieren. Dagegen werden wir uns auch nicht stellen. Aber ich möchte noch eines sagen: Man kann es sicherlich befürworten, wenn die Leute mehr auf die Fahrräder steigen. Das ist gut gegen die Plauze und gut für den Biopuls. Aber tun Sie mir bitte einen Gefallen: Bremsen Sie nicht zu oft. Sonst haben wir nämlich irgendwann ein Fahrradverbot in den Innenstädten wegen möglicher Feinstaubbelastung. – Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich in Vertretung für Minister Lienenkämper Frau Ministerin Scharrenbach das Wort. Bitte schön.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beinhaltet letztendlich im Wesentlichen zwei Themen, nämlich Jobticket und Jobrad.

Vor diesem Hintergrund gestatten Sie mir, zum einen auf das Jobticket einzugehen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist ohne Frage ein positiver Beitrag zum Umweltschutz. Bei guter Auslastung von Bussen und Bahnen entstehen weniger Lärm, Schadstoffe und Treibhausgase. Das kommt letztendlich Mensch wie Umwelt zugute. Darüber hinaus werden die Innenstädte entlastet.

Die Landesregierung verfolgt eine Mobilitätspolitik, die sich an den unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen der Menschen orientiert. Hierzu gehört auch – das betonen wir sehr ausdrücklich – die Prüfung eines Jobtickets für Landesbeschäftigte.

Vor Verhandlungen mit den Verkehrsverbünden allerdings werden wir als Landesregierung unter den rechtlichen, tatsächlichen und haushälterischen Gesichtspunkten prüfen, wie die energieeffiziente und umweltschonende Mobilität der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen gefördert werden kann.

In Ihrem Antrag verweisen Sie auf das in diesem Jahr eingeführte Modell einer kostenfreien Fahrtberechtigung für Landesbedienstete in Hessen. Anders als ein Jobticket im engeren Sinne, das nur auf bestimmten Strecken sowie zu bestimmten Zeiten Geltung entfalten kann, kann das Landesticket in Hessen zu jeder Tages- und Nachtzeit innerhalb von Hessen genutzt werden. Hierfür entstehen im Landeshaushalt Hessen Kosten in Höhe von rund 51 Millionen Euro bei rund 145.000 Landesbeschäftigten im Bundesland.

Der Abgeordnete Moritz hat gerade schon darauf hingewiesen: Das hessische Modell einer kostenlosen Fahrtberechtigung ist auf Nordrhein-Westfalen eben nicht eins zu eins übertragbar, da es auf einem gesonderten Tarifabschluss in Hessen beruht. Dies ist möglich, weil Hessen im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen eben nicht der Tarifgemeinschaft der Länder angehört.

Lassen Sie mich bitte noch kurz auf den zweiten Aspekt zum Jobrad eingehen. Die Umsetzung des Jobrads als Leasingmodell mit Gehaltsumwandlung durch den Arbeitgeber wäre für die Beamtinnen und Beamten des Landes nach Anpassung des Landesbesoldungsgesetzes möglich – ohne Frage. Für die Regierungsbeschäftigten wäre die erforderliche Änderung des Ländertarifrechts aufgrund der ablehnenden Haltung der Mitgliederversammlung der TdL, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, und der Gewerkschaften jedoch nicht durchsetzbar.

Ein entsprechender Antrag aus Baden-Württemberg wurde in 2014 bereits abgelehnt. Das wissen Sie, weil Sie zuvor die Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen getragen haben.

Eine nordrhein-westfälische Regelung im Landesbesoldungsgesetz würde daher zu einer Ungleichbehandlung der Beschäftigten führen. Zudem spricht gegen eine solche Regelung auch der erhebliche administrative Aufwand, da zunächst entsprechende Strukturen für die Verwaltung dieses Jobrad-Leasings in den Dienststellen des Landes geschaffen werden müssten.

Deshalb halte ich abschließend fest: Für uns gehört zur Mobilitätspolitik, die wir als Landesregierung verfolgen, auch die Prüfung des Jobtickets für Landesbeschäftigte. Aber vor Verhandlungen mit den Verkehrsverbünden werden wir als Landesregierung die entsprechenden rechtlichen, tatsächlichen und haushälterischen Gesichtspunkte prüfen.

Insofern freuen wir uns auf die weitere Beratung dieses Antrags. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor.

Somit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/3794 an den Verkehrsausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss und an den Rechtsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es jemanden, der dagegen ist? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

12 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/3587

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 17/3755

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU Herrn Abgeordneten Dr. Geerlings das Wort.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was in Abschlussberichten von Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen geäußert, festgestellt und bewertet wird, kann schwerwiegende Auswirkungen für die betroffenen Personen haben. Die Berichte werden als Parlamentsdrucksache veröffentlicht, enthalten oftmals politische Wertungen und müssen nicht zwingend dem Anspruch objektiver Sachverhaltsdarstellungen genügen. Also können sie Ehre, Ansehen und andere Rechte der Betroffenen schädigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 44 Abs. 4 Grundgesetz der richterlichen Erörterung entzogen, also nicht mehr justiziabel sind.

Müssen wir deshalb aber als Gesetzgeber darauf reagieren? Bedarf es einer Einführung eines Rechts zur Stellungnahme und zu den Ausführungen im Entwurf eines Abschlussberichts? Bedarf es einer gesetzlichen Änderung, wie sie die AfD-Fraktion beantragt hat? Die Antwort lautet: Nein. Denn ein Anspruch auf rechtliches Gehör vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts besteht schon jetzt aus der Verfassung heraus, und zwar unabhängig davon, ob es eine entsprechende einfachgesetzliche Regelung gibt. Es ist ein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen aus dem Rechtsstaatprinzips des Art. 20 Abs. 3 unseres Grundgesetzes.

Dieses Recht gibt es nicht nur in der Theorie. Im Gegenteil: Es ist gängige Praxis in den Untersuchungsausschüssen von Bund und Ländern und ist sowohl von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als auch der juristischen Literatur bestätigt. Nur beispielhaft nenne ich einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 2. September 1986 zum Untersuchungsausschuss „Neue Heimat“, in dem dies noch einmal deutlich herausgestellt wurde.

Das Recht zur Stellungnahme wird vielfältig gelebt. In der parlamentarischen Praxis wird dazu Gelegenheit gegeben. Es ist auch nur im Untersuchungsausschussgesetz des Bundes und in einigen wenigen Untersuchungsausschussgesetzen der Bundesländer ausdrücklich geregelt. Eine darüber hinausgehende ausdrückliche einfachgesetzliche Regelung ist deshalb in Nordrhein-Westfalen nicht erforderlich. – So weit zum Grundsätzlichen.

Lassen Sie mich aber auch noch etwas zum konkreten Formulierungsvorschlag der AfD-Fraktion sagen, der exakt der Regelung des § 32 der entsprechenden Bundesregelung gleicht. Denn festzuhalten ist auch, dass diese Formulierung ernst zu nehmenden Bedenken in der juristischen Literatur begegnet.

Erstens. Damit jemand das Recht zur Stellungnahme wahrnehmen kann, muss eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen. Der Begriff „erheblich“ ist unbestimmt und deshalb nur unzureichend geeignet, als Kriterium zur Begrenzung des rechtlichen Gehörs zu dienen.

Zweitens. Das Recht zur Stellungnahme soll nach dem Gesetzentwurf gar nicht bestehen, soweit die Ausführungen der beeinträchtigten Personen in einer Sitzung zur Beweisaufnahme erörtert worden sind. Auch diese Begrenzung hat sich in der Praxis als problematisch erwiesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen: Der Gesetzentwurf der AfD-Fraktion ist vielleicht gut gemeint, aber nicht gut gemacht und im Übrigen auch gar nicht erforderlich. Wir lehnen ihn deshalb ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD spricht nun Frau Abgeordnete Bongers.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt die Fraktion der AfD, angeblich bestehende Lücken hinsichtlich des Grundrechtschutzes und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Betroffener im Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-Westfalen zu beheben.

Stein des Anstoßes war hierbei für die AfD insbesondere die Veröffentlichung von Namen im Abschlussbericht des jeweiligen Untersuchungsausschusses, durch die sie potenzielle Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsrechte der genannten Personen sieht.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sind der Schutz und die Verteidigung von Persönlichkeitsrechten für uns ein sehr hohes Gut. Wir finden, dass sich ein Rechtsstaat gerade durch einen angemessenen Schutz der Persönlichkeitsrechte für den Einzelnen auszeichnet. Aber der vorliegende Antrag suggeriert ja irgendwie, dass die Persönlichkeitsrechte Einzelner zurzeit nicht gewährt werden. Dem muss ich ausdrücklich widersprechen. Kein Ausschuss macht es sich leicht mit der Entscheidung, welche Namen und Daten in einen Abschlussbericht aufgenommen werden und welche nicht.

Die Kollegen, die im letzten Plenum zu diesem Thema gesprochen haben, haben genauso wie eben Herr Kollege Geerlings deutlich gemacht, dass eine sensible Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit nach einem umfassenden Bericht und dem Schutz des Einzelnen bereits gelebte Praxis ist. Aus diesem Grund lehnt meine Fraktion den Gesetzentwurf ab. – Danke.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP erteile ich dem Abgeordneten Mangen das Wort.

Christian Mangen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Am 19.09. hatte die AfD diesen Antrag in erster Lesung eingebracht und beantragt, ihn an einen Ausschuss zu überweisen. Da saß man dann auch. Im Ausschuss sagte der Vertreter der antragstellenden Fraktion, AfD-Anträge würde man ja eh nur abweisen; deshalb müsse er weiter nichts dazu sagen. – Wir hatten also gar keine Möglichkeit, im Ausschuss darüber zu beraten.

(Andreas Keith [AfD]: Es ist keiner da! Sie brauchen keine Märchen zu erzählen!)

Deswegen fällt mir jetzt auch nichts Neues ein, sondern nur das, was wir am 19.09. schon hier gesagt haben. Der eingebrachte Gesetzentwurf unterstellt eine Lücke, die es nicht gibt. Es ist bereits geübte Praxis, dass die Namen von Betroffenen meistens nur mit den Kürzeln eingebracht werden.

Deswegen bleibt es bei dem, was wir vorher schon gesagt haben und was auch meine Vorredner bereits gesagt haben. Natürlich lehnt die FDP-Fraktion den Antrag ebenfalls ab. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen spricht der Abgeordnete Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich weitestgehend den Ausführungen meiner Vorredner anschließen. Das gilt besonders für den Punkt, den der Kollege Mangen gerade ausgeführt hat. Ich kann auch auf meine Plenarrede zur Einbringung verweisen, weil es im Ausschuss de facto keine neuen Argumente gab.

Ich hatte damals vorgetragen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden, weil ein solcher Passus, wie ihn die AfD hier vorschlägt, dazu führen würde, dass nach der Beweisaufnahme und der anschließenden Beweiswürdigung durch den Ausschuss, welche in einem geordneten parlamentarischen Verfahren stattgefunden haben, abweichende Meinungen einfach in den Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses gedrückt werden können. Das wollen wir nicht. Theoretisch könnte so die gesamte Arbeit des Untersuchungsausschusses und die Funktion solcher parlamentarischen Verfahren ad absurdum geführt werden.

Deswegen gibt es auch von uns kurz und knapp eine Ablehnung. Neue Argumente gab es von Ihnen ja nicht. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD spricht nun der Abgeordnete Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserem Gesetzentwurf schließen wir dennoch eine Lücke im Untersuchungsausschussgesetz.

Ich bin erfreut über die sachliche Diskussion, die hier stattfindet. Wir hatten schon ein Phrasenschwein bereitgestellt, in das wir etwas hätten hineinstecken können, wenn wieder Floskeln wie „handwerklich schlecht gemacht“ gekommen wären. Aber das haben wir nicht gehört. Schönen Dank dafür.

Sie haben es selbst gesagt: Wir haben ähnliche gesetzliche Regelungen auf Bundesebene und auf Landesebene in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Dort gibt es diese Regelungen natürlich nicht ohne Grund.

Sie haben gesagt, wir hätten verfassungsrechtliche Grundsätze, die schon gelten würden. Diese Ausführungen haben mich nicht überzeugt. Denn in dem Fall, um den es hier geht, der aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf besprochen wurde, passte das nämlich gerade nicht. Wie Sie wissen, war Grundlage der Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Umtriebe des NSU. Hier wurde im Rahmen des Untersuchungsausschusses ein V-Mann als Zeuge angehört, der für die Aufklärung des Sachverhalts nicht von Bedeutung war. Unter voller Nennung seines bürgerlichen Namens tauchte dieser Zeuge dann im Schlussbericht des Ausschusses auf.

Es ist schon ein Unterschied, ob man weiß, dass man ein Recht hat, oder ob das Gericht oder ein Ausschuss eine Verpflichtung hat, jemanden darauf hinzuweisen, dass jemand ein Recht hat. Das ist schon ein Unterschied. Und das ist genau das, was wir ganz gerne hätten.

Die Namensnennung hat natürlich nachteilige Folgen für diesen Menschen. Wir wollen, dass solche Fehler zukünftig nicht mehr begangen werden.

Es war ja ganz klar, und ich habe eingangs gesagt, ich hätte mein letztes Hemd darauf verwettet, dass Sie unseren Antrag, obwohl er eigentlich aus der Feder Ihrer Parteigänger stammt, ablehnen werden, nur weil er von der Alternative für Deutschland stammt. Im Rechtsausschuss haben wir diese Posse ja schon durchexerziert.

Doch denken Sie daran: Hier geht es eben nicht um die politische Reise nach Jerusalem, bei der die Alternative für Deutschland mal wieder keinen Stuhl bekommt. Hier geht es um das Vertrauen in die einwandfreie Arbeit der Untersuchungsausschüsse und vor allem um die schutzwürdigen Interessen Einzelner. Opfer und Zeugen müssen geschützt werden.

In diesem Sinne: Stimmen Sie doch einfach mal für unseren Antrag, und gut ist es. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/3755, den Gesetzentwurf Drucksache 17/3587 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/3587 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die FDP, die CDU, die Grünen und die SPD. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/3587 abgelehnt.

Ich rufe auf:

13 Integration strukturiert gestalten – Qualifizierung und Professionalisierung von Migrantenselbstorganisationen weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2157

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3873

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/3822

Ich weise darauf hin, dass der Änderungsantrag der SPD Drucksache 17/3864 zurückgezogen wurde.

Der Änderungsantrag Drucksache 17/3873 wird gerade gedruckt und dann sofort verteilt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU der Abgeordneten Frau Wermer das Wort.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kulturforen, Sportvereine oder Vereine in der sozialen Arbeit – Migrantenselbstorganisationen gibt es viele. So vielfältig ihre Kulturen, Nationalitäten und Anliegen sind, sind es auch die Verbände und Vereine in Nordrhein-Westfalen. Die Vielfalt der Verbände bietet den Vorteil, dass Migrantenselbstorganisationen, kurz MSO, in unterschiedlichen Lebensbereichen aktiv sind und Lücken und Bedarfe füllen, Bedarfe, die ansonsten manchmal nicht offensichtlich sind oder übersehen werden können.

Eines haben aber die Verbände gemein. Durch ihre Vielfalt und ihre Arbeit verfügen sie über ein großes integratives Potenzial. Sie zeichnen sich durch Engagement und hohe Eigenmotivation aus. Deshalb ist es heute nur sinnvoll, dass wir mit unserem Antrag und dem Änderungsantrag ein Zeichen setzen und die Arbeit dieser Organisationen weiter fördern und stärken wollen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

MSO arbeiten vor Ort in den Kommunen. Sie ermöglichen es oftmals, an der Gesellschaft im Dorf oder in der Stadt teilzuhaben, und schlagen eine Brücke von der einen zur anderen Seite. Ich denke, dass ich den Begriff der Brückenfunktion hier nicht weiter erläutern muss.

MSO erklären, bilden, unterstützen und klären auf. Sie agieren quasi als Kulturdolmetscher in der Gesellschaft. Deshalb ist es auch parteiübergreifender Konsens, die Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten politisch zu unterstützen. Deshalb haben wir uns auch zu einem gemeinsamen Änderungsantrag zusammengeschlossen, über den ich mich sehr freue.

Für eine aktivierende Integration sind MSO unerlässlich. Allein die Zahl von geschätzt 16.000 Organisationen in Deutschland, die der Sachverständige Pries bei uns in der Anhörung genannt hat, spricht wohl für sich. Aber wir haben auch hohe Erwartungen an die MSO im Aufgabenbereich der Integration. Diese Erwartungen wollen wir nicht nur äußern, sondern wollen diese auch durch eine Förderung weitertragen.

Seit dem Jahr 2012 besteht die MSO-Förderung des Landes darin, einen Anschub oder die Entwicklung zu unterstützen. Seit über 18 Jahren fördert das Land weiterhin die Fachberatung „MigrantInnenselbsthilfe“, angesiedelt beim Paritätischen NRW. Die Anhörung im Integrationsausschuss hat gezeigt, dass sich die Instrumente der MSO-Förderung bewährt haben.

Aber es gibt den Wunsch nach differenzierteren, passgenaueren Förderinstrumenten; denn so vielfältig, wie die MSO sind, sind sie es auch in ihrer Struktur, in ihrer Entwicklung, in ihren Möglichkeiten. Wir sehen die großen Unterschiede bei den personellen und finanziellen Ressourcen. Bei wichtigen Projekten stoßen Vereine mit ehrenamtlichem Engagement schnell an ihre Grenzen.

Andere haben sich zu professionellen Akteuren weiterentwickeln können. Hier wollen wir ansetzen, um die Stärkung der Strukturen, die Professionalisierung und Qualifizierung der Selbstorganisationen zu ermöglichen. Die Förderung von MSO muss mit einem gezielten und bedarfsorientierten Beratungs- und Qualifizierungsangebot einhergehen. Als Partner steht hier die Fachberatung „MigrantInnenselbsthilfe“ zur Seite. Sie unterstützt sie bei der Neugründung, beim Aufbau von Strukturen und bei der Planung und Durchführung von Projekten.

Die Fachberatung „MigrantInnenselbsthilfe“ hat mit bereits über 500 Vereinen und Verbänden zusammengearbeitet, sie beraten und Netzwerke gebildet. Auf diese Erfahrung können wir aufbauen.

Durch eine wissenschaftliche Evaluierung kann das Potenzial der MSO verortet werden. Eine Evaluierung soll Bedarfe vor Ort aufzeigen, wie zum Beispiel in der Vergangenheit zum Thema „Flucht“. Wir können hier auf die Jahresberichte und auf das Monitoring der Fachberatung zurückgreifen und so Ansatzpunkte für eine Qualifizierung lokalisieren. Deshalb freue ich mich, wenn der Antrag heute Ihre Zustimmung findet, und bin gespannt auf die Ergebnisse der Evaluierung und die sich daraus ergebenden Schlüsse. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Wermer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Lux.

Eva Lux (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen wollen die Migrantenselbstorganisationen qualifizieren und ihre Professionalisierung weiterentwickeln. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, im Gegenteil. Wir von der SPD begrüßen das.

Organisationen von und für Migranten leisten wichtige Arbeit. Sie befördern Integration. Sie sind Ansprechpartner für Migranten, aber auch für die Politik. Aus diesem Grunde haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode die Förderung von Migrantenorganisationen verdoppelt. Ich bin froh, wenn die neuen Regierungsfraktionen diesen Kurs weiterführen möchten, zeigt dies doch, dass zumindest manchmal der viele Jahre gepflegte Integrationsfriede unter den Fraktionen noch funktioniert.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Allerdings empfanden wir in den Beratungen den Antrag von CDU und FDP doch noch recht unpräzise. Er wiederholte schlicht, was bereits im Koalitionsvertrag der Regierung steht, nämlich – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –:

„Wir werden Migranten-Selbstorganisationen fördern und bereits hier lebende Zuwanderer und geeignete Organisationen aus der Einwanderercommunity stärker in die Integrationsprozesse einbeziehen.“

Dieser gut ein Jahr alten Absichtserklärung fügte man im Antrag dann die Evaluation und eine Fortentwicklung der Fachberatungsstelle MigrantInnenselbsthilfe des Paritätischen NRW hinzu.

Unstrittig ist dabei hoffentlich, dass die Fachstelle seit 18 Jahren hervorragende Arbeit leistet. Der Paritätische NRW unterstützt eine Evaluation selbstverständlich, plädiert allerdings für eine umfangreichere und zielgerichtetere, die sich nicht nur auf die Beratungsstelle beschränkt.

Den Entwicklungen der letzten Jahre müssen wir bei der Fortentwicklung von Maßnahmen und Angeboten Rechnung tragen. Es gibt neue Zuwanderergruppen – dabei denke ich beispielsweise an Syrer, Afghanen, Somalier, Bulgaren und Rumänen. Diese Gruppen müssen sich erst noch organisieren; es steckt vieles noch in den Kinderschuhen.

Das bringt im Vergleich zu bereits etablierten MSO andere Bedarfe mit sich. Deshalb halten wir es für unabdingbar, zu differenzieren, damit die Angebote der MSO nicht an den Bedarfen vorbeigehen.

Wir brauchen vor allem unter den neu zugewanderten Gruppen Organisationen und Netzwerke. Diese müssen wir fördern, weil die MSO einen wichtigen Beitrag zur Selbsthilfe und Selbstintegration leisten können. Andererseits haben bereits etablierte MSO eher angepasste und stabile Finanzierungsbedarfe als Professionalisierungsbedarfe. Viele MSO sind bereits Experten auf ihrem Feld und gleichberechtigte Partner der Freien Wohlfahrtspflege. Wer also die MSO unterstützen möchte, muss diesen breit gefächerten Unterschieden Rechnung tragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Migrantenselbstorganisationen sind nicht nur für die Communitys wichtig. Auch wir in der Politik haben ein großes Interesse an diesen Organisationen; denn nur in einem Netzwerk von Organisationen können wir überhaupt Gestaltungsmacht entfalten. Ohne die MSO fehlen uns schlicht Ansprechpartner. Ohne diese Netzwerke wüssten wir nicht einmal, wen wir anrufen sollen, wenn es einmal brennt; wir wüssten häufig nicht einmal, dass es brennt.

Ziel der Professionalisierung der MSO muss die Partnerschaft auf Augenhöhe mit dem Land sein. Als legitime Interessenvertretung der Menschen mit Migrationshintergrund – also als ein wichtiger Baustein für ein gleichberechtigtes Zusammenleben – können Migranten­selbst­orga­nisationen erst als Ansprechpartner auf Augenhöhe Wirkung entfalten.

Wir freuen uns sehr, dass bei der Förderung der MSO ein gemeinsames Vorgehen der etablierten Fraktionen möglich wurde und wir dem Antrag der Regierungskoalition mit dem gemeinsamen Änderungsantrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zusammen zustimmen und diesen verabschieden können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Lux. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Migrantenselbstorganisationen, kurz MSO, und die sich dort engagierenden Menschen leisten einen entscheidenden Beitrag für Integration und gesellschaftliche Teilhabe. Sie können zur Orientierung in unserer Gesellschaft beitragen, indem sie Alltagswissen vermitteln und Hilfen – insbesondere bei der Integration in Arbeit und Bildung – anbieten.

Über ihre wichtige Rolle und die Brückenfunktion, die sie einnehmen, haben meine Vorredner bereits gesprochen. Es ist wohl unbestritten, dass sie diese Brückenfunktion insbesondere zwischen öffentlichen Institutionen und Migrantencommunities wahrnehmen.

Die Anhörung im Integrationsausschuss hat allen Beteiligten noch einmal vor Augen geführt, welche Bedeutung die Arbeit der Migrantenselbstorganisationen hat, wie vielfältig die bundesweit Tausende von Vereinen sind und welche wichtigen Aufgaben diese übernehmen.

Sie werden dabei weitgehend mithilfe ehrenamtlicher Tätigkeit getragen. Etablierte Organisationen übernehmen aber auch professionelle Aufgaben wie beispielsweise soziale Arbeit. Gerade dabei ist der Austausch zwischen neuen und etablierten Organisationen, wie sie unser Land mit den sogenannten „Tandemprojekten“ fördert, ein wichtiges Instrument für die weitere Entwicklung.

Die von einer Seite in diesem Haus befürchtete Gefahr einer ethnischen Trennung – das konnte ich, während meine Vorredner sprachen, wieder so vernehmen – kann ich und können wohl auch die, bei denen der Inte­grations­konsens besteht, in der Praxis bei den Migrantenselbstorga­nisationen nicht beobachten.

Nicht allein als NRW-Koalition, sondern gemeinsam mit Teilen der Opposition wollen wir die Arbeit der MSO auch in Zukunft voranbringen und fördern. Dies entspricht dem Ansinnen des ursprünglichen Antrags. Wir haben seit Beginn des Verfahrens dazu eingeladen, und es haben nun am Ende diejenigen dazu zusammengefunden, bei denen ein Konsens besteht.

Die Freude darüber ist ernst gemeint und es ist schön, wenn es nicht nur heraufbeschworen, sondern auch gelebt wird. Es ist wichtig und bleibt das Ansinnen, die MSO hinsichtlich der Qualifizierung und Profes­sionali­sierung voranzubringen.

Eine hohe Qualität der Projektarbeit braucht geeignete Strukturen. Von einem kleinen Verein können wir beispielsweise nicht erwarten, dass er eine Geschäftsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern einrichtet. Dies wäre auch bei einer deutlichen Ausweitung der Förderung nicht zu leisten.

Die Fachberatung des Paritätischen spielt daher eine wichtige Rolle für die MigrantInnenselbsthilfe, weshalb diese schon seit 2000 unterstützt wird. Insbesondere die MSO sind beim Thema „Qualifizierung und Vernetzung“ – insbesondere der kleinen Vereine – ein wichtiger Ansprechpartner, um das weiter im Blick behalten zu können.

Die Arbeit der Fachberatung wollen wir evaluieren und verbessern; sie sollte noch besser auf die strukturellen Bedürfnisse der MSO ausgerichtet werden.

Ein erster wichtiger Schritt, den wir gegangen sind, war die Weiterentwicklung der Fachberatung – dort finanziert das Land ab dem Haushaltsjahr 2018 eine zweite Referentenstelle. Das ist ein klares Signal vonseiten der Landesregierung. Dafür auch von meiner Seite und vonseiten der NRW-Koalition meinen Dank.

Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, für die bessere Vernetzung der MSO setzen wir aber auch auf die Kommunalen Integrationszentren. Diese könnten künftig eine Koordinierungsfunktion vor Ort übernehmen. Die Landesregierung – das habe ich heute bereits an anderer Stelle ausgeführt – hat die Arbeit bis 2022 finanziell abgesichert. Wir werden die Strukturen weiterentwickeln. So können wir gemeinsam mit den MSO einen wichtigen Beitrag zur Integration vor Ort leisten. Den vielfach geäußerten Wunsch nach einem jährlichen Gipfeltreffen der Migrantenselbstorganisationen wollen wir gerne umsetzen. Das war ja ein Ergebnis der Anhörung.

Am Ende ist es schön, dass jetzt ein gemeinsamer Änderungsantrag von CDU, SPD, FDP und Grünen vorliegt. Dann leben wir an dieser Stelle den Integrationskonsens. Lassen Sie uns gemeinsam an einer vielfältigen Gesellschaft mit fairen Teilhabechancen arbeiten. – In diesem Sinne: vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist noch nicht so lange her, dass Migrantenselbstorganisationen mit ihrer thematischen Vielfalt als wichtige Akteure der gesellschaftlichen Teilhabe wahrgenommen werden. Viel zu lange wurden sie als folkloristische Hinterhofvereinigungen und als herkunftsorientierte Organisationen betrachtet, die im besten Fall bei Straßenfesten als nette musikalische und kulinarische Begleiterscheinungen auftauchten. Heute hingegen werden Migrantenselbstorganisationen als Ausdruck kultureller Selbstbestimmung und Teil unserer pluralistischen Gesellschaft breit anerkannt, und das ist auch gut so.

Damit das bunte und vielfältige Zusammenleben auch hier in NRW weiter gelingen kann, brauchen wir eine nachhaltige Förderung und Stärkung der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dabei können Migrantenselbstorganisationen eine zentrale Aufgabe in einer teilhabeorientierten Gesellschaftspolitik übernehmen.

Aus meiner langjährigen Arbeit in und mit Migrantenselbstorganisationen weiß ich, dass das Engagement in den Migrantenselbstorganisationen einen entscheidenden Impuls für gesamtgesellschaftliches Engagement geben kann. Nicht wenige Menschen mit Migrationshintergrund, die heute mit ihrem gesellschaftlichen Engagement öffentlich sichtbar sind, haben ihre ersten Erfahrungen der Partizipation in Migrantenselbstorganisationen gesammelt.

Aus der erkenntnisreichen Anhörung, die wir im Zuge des vorliegenden Antrags hatten, ist sehr deutlich geworden, dass – erstens – Migrantenselbstorganisationen in ihrer Zielrichtung, im Handlungsfeld und der Klientel, die sie vertreten, sehr unterschiedlich und vielfältig sind, sich – zweitens – diese Eigenschaft je nach Ablauf von gesellschaftlichem Wandel und Integrationsprozessen verändern kann, drittens immer mehr neue Migrantenorganisationen insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Zuwanderungsbewegungen entstehen und abschließend – viertens – wir leider kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über diese so dynamische Landschaft der Migrantenselbstorganisationen haben.

Daher freue ich mich, dass wir, wenn auch in letzter Minute, heute einen gemeinsamen Änderungsantrag einbringen können, der genau diese Punkte, die für uns Grüne so wichtig sind, berücksichtigt, die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie zur Untersuchung der vielfältigen Landschaft der MSO vorsieht und eben nicht nur, wie im ursprünglichen Antrag vorgesehen, auf die Evaluation abstellt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank. –Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Immerhin, zu Beginn des Antrags gibt es etwas Neues. Darauf kann man sich super vorbereiten. Aber es ist eigentlich nur ein Zusammenfügen dessen, was wir im CDU-Antrag gesehen haben, und der Änderungsantrag der SPD ist eingeflossen. An manchen Punkten ist auch gar nichts zu kritisieren.

„Integration strukturiert gestalten“ – wer kann dazu schon nein sagen? „Qualifizierung und Professionalisierung von Migrantenselbstorganisationen weiterentwickeln“ klingt gut. Der Titel lässt viel erwarten, der Auftrag an die Landesregierung fiel aber besonders im CDU-Antrag extrem dünn aus. Aber auf anderthalb Seiten kann man auch nicht mehr erwarten.

Was fehlt? – Es fehlt die valide Grundlage in Form einer Evaluation über die Arbeit und die Erfolge aus der Arbeit der bis jetzt geförderten MSO. Dem ist selbstverständlich zuzustimmen.

Was aber ebenso fehlt, sind definierte Ziele, die über Ihre Allgemeinplätze hinausgehen. Die Ausgestaltung dessen, was nicht neu ist und nach Ihrem Willen auch gar nicht grundlegend erneuert, sondern nur weitergeführt werden soll, ist Ihr Auftrag an die Landesregierung. Da muss ich mich wundern, denn dazu hätte es wohl keinen Auftrag gebraucht.

Aber jetzt kommt ja etwas dazu. Jetzt soll den neu Zugewanderten ein niederschwelliger Zugang in Selbstorganisationen ermöglicht werden, und der Fokus soll auf Qualifizierungsmaßnahmen, auf die Neubildung von Selbstorganisationen gelegt werden. Das ist genau die Stelle, die wir im Augenblick nicht für sinnvoll halten. Die neu Zugewanderten haben ganz andere Probleme, Frau Aymaz. Neu Zugewanderte sollten erst einmal versuchen, sich die deutsche Sprache anzueignen. Die sind zusammen in Sprachkursen. Sie sind also nicht alleine. Sie bekommen ja keinen Einzelunterricht. Und wenn sie das beherrschen und eine längerfristige Bleibeperspektive in unserem Land haben, dann wird es sich von selbst ergeben, dass auch diese neueren Mitbürger Migrantenselbstorganisationen gründen werden.

Aber warum Sie das jetzt zu diesem Zeitpunkt forcieren wollen, wo wir wissen – die Datenbasis dafür gibt es –, dass beispielsweise die sprachliche Ausbildung absolut unzureichend ist, dass die Hälfte die Sprachkurse nicht durchführt, das verstehe ich nicht. Die gehen dann in Migrantenselbstorganisationen? Sie organisieren sich dann selbst? Das ist hervorragend, klingt für mich aber nicht nach gelungener Integration. Es ist einfach der falsche Zeitpunkt.

Den CDU-Antrag hätten wir nicht abgelehnt, den finden wir zwar dünn, hätten uns aber enthalten. Aber Ihren gemeinsamen Antrag lehnen wir selbstverständlich ab.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Walger-Demolsky. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Vielen Dank auch an den Sitzungsdienst für den Service. Ich denke, es geht auch so ganz gut.

Meine Damen und Herren! Im gemeinsamen Koalitionsvertrag der NRW-Koalition haben wir betont, dass wir die Migrantenselbstorganisationen besonders fördern wollen. Ich möchte das hier noch einmal ausdrücklich unterstreichen. Bürgerschaftliches Engagement hat für uns einen besonderen Stellenwert. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die Möglichkeit haben, wie Max Frisch es so schön ausgedrückt hat, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.

Das macht eine lebendige Demokratie aus, und das gilt ganz selbstverständlich auch für die Bürgerinnen und Bürger mit Einwanderungsgeschichte. Die Migrantenselbstorganisationen sind ganz in diesem Sinne wesentliche Akteure, die wir brauchen, um unsere integrationspolitischen Ziele auch umzusetzen.

Deshalb begrüße ich diesen Antrag, der bereits im Integrationsausschuss behandelt wurde und auch die Zustimmung der Sachverständigen in der Anhörung im Juni gefunden hat, ganz ausdrücklich. Ich freue mich, dass er jetzt auch auf eine breite Basis gestellt worden ist.

Es ist uns allen bewusst, dass die Anforderungen und Erwartungen, die an MSO gestellt werden, sehr hoch sind. Die Arbeit, das Selbstverständnis, die Ziele und Bedarfe von MSO sind ausgesprochen vielfältig. Viele MSO arbeiten ausschließlich ehrenamtlich; andere haben sich bereits zu professionellen Akteuren der Integrationsarbeit weiterentwickelt.

Daher muss die Förderung von MSO mit einem gezielten und bedarfsorientierten Beratungs- und Qualifizierungsangebot einhergehen. Nur so können MSO bei ihrer Professionalisierung auch unterstützt werden.

Ich freue mich deshalb sehr, dass die Projektförderung für die Fachberatung für Migrantenselbsthilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband zu Beginn des Jahres im Vollzug um mehr als 40 % von 151.000 Euro auf 215.000 Euro erhöht wurde und dort eine zweite Vollzeitstelle eingerichtet werden konnte. Durch die Personalaufstockung ist eine Weiterentwicklung der Kapazitäten, Aktivitäten und Konzepte der Fachberatung für Migrantenselbsthilfe angestoßen worden. Diesen Prozess wird mein Ministerium eng begleiten. Eine Überprüfung der Arbeit sollte erfolgen, sobald neue Arbeitsergebnisse und entsprechende Berichte vorliegen.

Die Migrantenselbstorganisationen zu qualifizieren und ausgehend von ihrem Entwicklungsstand zu fördern und zu professionalisieren, ist außerdem ein wesentliches Ziel des MSO-Förderprogramms. Über dieses Programm können neben der Förderung von Einzelprojekten neue, unerfahrene MSO relativ unkompliziert eine Anschubförderung erhalten, um Vereinsstrukturen aufzubauen.

Ein weiterer Baustein des Programms ist die Förderung von erfahrenen und professionell arbeitenden MSO, die andere Organisationen bei ihrer Vereinsarbeit und bei ihrem Weg in die Professionalität in Form einer Partner-Projektförderung unterstützen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Weg. Die für diese Förderung zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel wurden erst im vergangenen Jahr massiv erhöht.

Darüber hinaus werden wir uns dafür einsetzen, dass sich die Akteure, die MSO beraten und qualifizieren, in Zukunft noch besser vernetzen und ihre Angebote aufeinander abstimmen, sodass Synergien optimal genutzt werden können.

Dass diese Ansätze gut und richtig sind, meine Damen und Herren, belegen die Ergebnisse der beiden Sitzungen im Integrationsausschuss und natürlich auch die positiven Stellungnahmen bei der Expertenanhörung. Aktuelle Entwicklungen, die Gründung neuer Dachverbände und das Entstehen neuer kleiner Initiativen wurden von uns in der aktuellen Überarbeitung der MSO-Richtlinie bereits mit bedacht.

Ich freue mich, dass es jetzt hier eine Verständigung gegeben hat, das Thema auf eine breite Grundlage zu stellen. Wir können dazu auch Untersuchungen machen, die darüber hinausgehen. Ich kann Ihnen aber auf der anderen Seite auch versichern, dass wir mit Professor El-Mafaalani auch den entsprechenden Sachverstand bei uns ins Ministerium geholt haben. Von daher sehe ich das nicht als zwingend notwendig an. Aber wenn es vom Parlament gewünscht ist, werden wir uns dem natürlich nicht verweigern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 13.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/3873. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die antragstellenden Fraktionen CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD-Fraktion. – Der fraktionslose Abgeordnete Neppe enthält sich. Dann ist mit dem eben festgestellten Abstimmungsergebnis der Änderungsantrag Drucksache 17/3873 angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag von CDU und FDP Drucksache 17/2157. Wir stimmen sogleich über die soeben geänderte Fassung dieses Antrags ab. Der Integrationsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/3822, den Antrag Drucksache 17/2157 anzunehmen – wie gesagt, in der soeben geänderten Fassung. Über die soeben geänderte Fassung lasse ich abstimmen und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer also dem soeben geänderten Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Die Gegenstimmen – sind auch hier bei der AfD-Fraktion. Die Enthaltung ist auch an dieser Stelle bei dem fraktionslosen Abgeordneten Neppe. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 17/2157 in der geänderten Fassung angenommen.

Ich rufe auf:

14 Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3699

erste Lesung

Herr Minister Reul hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (s. Anlage 1). Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Innenausschuss. Wenn niemand der Überweisung widersprechen möchte – das ist der Fall – und niemand sich enthalten möchte – das ist auch der Fall –, dann haben wir den Antrag so überwiesen.

Ich rufe auf:

15 Gesetz für einen qualitativ sicheren Übergang zu einem reformierten Kinderbildungsgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3773

erste Lesung

Wie Sie sehen, erhält Herr Minister Stamp das Wort zur Einbringung. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Das vergangene Jahr hat für die Kindertageseinrichtungen im Land dank des aufgelegten Kita-Träger-Rettungsprogramms deutliche Verbesserungen gebracht. 500 Milliarden Euro sind zur Soforthilfe in die Einrichtungen geflossen. Damit wurden Schließungen abgewendet und weitere Personaleinsparungen zulasten der Betreuungsqualität verhindert.

(Zurufe)

– Bitte?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, reden Sie ruhig weiter. Es geht um die Zahl.

(Zurufe: 500 Millionen, nicht Milliarden!)

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Ja, 500 Millionen. Wenn Sie „Milliarden“ verstanden haben, liegt das hier an der Akustik.

(Heiterkeit und Beifall)

Ich glaube, ich kann ganz ordentlich mit den kommunalen Spitzenverbänden verhandeln, aber 500 Milliarden sind da nicht zu holen.

Wir haben also die Soforthilfe auf den Weg gebracht und haben damit Schließungen abwenden können und weitere Personaleinsparungen zulasten der Betreuungsqualität verhindert. Wir sind aber noch nicht auf der sicheren Seite. Die Familien im Land können sich darauf verlassen, dass wir diese Situation weiter stabilisieren werden. Darum werden wir die Kitas in Nordrhein-Westfalen selbstverständlich nicht alleine lassen.

Wir wollen der Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen eine gute finanzielle Grundlage, ein dauerhaft tragfähiges Fundament geben. Das Rettungsprogramm war hierfür ein erster notwendiger Schritt, und mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für einen qualitativ sicheren Übergang zu einem reformierten Kinderbildungsgesetz wollen wir den nächsten wichtigen Schritt gehen.

Die verschiedenen Stabilisierungsmaßnahmen des Landes für die Kindertagesbetreuung werden mit Ablauf des Kindergartenjahres 2018/2019 enden: die Anhebung der jährlichen Dynamisierung von 1,5 % auf 3 % seit dem Kindergartenjahr 2015/2016, die zusätzlichen Pauschalen zur Überbrückung mit den Mitteln aus dem weggefallenen Betreuungsgeld und das Kita-Träger-Rettungspaket.

Zu diesem Zeitpunkt kann der Prozess für eine verlässliche, dauerhaft auskömmliche und zukunftsfähige Ausgestaltung der Finanzierung der gesamten Kindertagesbetreuung noch nicht abgeschlossen sein, Stichwort: Verhandlung mit allen entsprechenden Partnern.

Sie wissen selbst, wie schwierig das ist. Deshalb werden wir für einen Übergang sorgen, der den Kitas Verlässlichkeit bietet. Genauso, wie wir das zuvor beim Kita-Träger-Rettungspaket gemacht haben, schaffen wir jetzt auch bei der Übergangsfinanzierung rechtzeitig Planungssicherheit für alle Beteiligten, damit es unseren Kindern in den Kitas gut geht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit der Übergangsfinanzierung für das Kitajahr 2019/2020 mit einem Gesamtvolumen von gut 450 Millionen Euro für die Träger werden wir einen nahtlosen Anschluss an die auslaufenden Maßnahmen gewährleisten. Es wird erneut einen Zuschlag zu den Kindpauschalen geben. Darüber hinaus werden wir die Kindpauschalen für ein weiteres Kitajahr statt nur um 1,5 % um 3 % erhöhen. So sichern wir die Qualität in der Kindertagesbetreuung.

Ich begrüße dabei ausdrücklich, dass es wieder gelungen ist, die Kommunen an diesem notwendigen Zwischenschritt finanziell zu beteiligen. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei den Kommunen für die Zusammenarbeit bedanken. Wir hatten gute Gespräche; wir führen weiterhin gute Gespräche. Das ist angesichts der schwierigen Situation bei den Kitas im Land nicht selbstverständlich.

Meine Damen und Herren, das Gesetz für einen qualitativ sicheren Übergang zu einem reformierten Kinderbildungsgesetz verschafft allen den zeitlichen Spielraum für die notwendigen Vorarbeiten und Umsetzungsschritte einer Reform des KiBiz ab dem Kindergartenjahr 2020/2021. Wir bringen das gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden und allen Trägern der Kindertageseinrichtungen auf den Weg, und zwar mit der angemessenen Sorgfalt, die es für ein solch komplexes Finanzierungssystem braucht.

Die Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen braucht Sicherheit, braucht Stabilität und Qualität, um ihrer großen Verantwortung für die Kinder gerecht werden zu können. Gute Arbeit in Kindertageseinrichtungen muss auch finanziell gut abgesichert werden. Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie alle diesen Gesetzentwurf unterstützen würden und eine zügige Befassung ermöglichen. Dafür möchte ich Ihnen schon jetzt herzlich danken.

Ich möchte noch – ähnlich, Herr Mostofizadeh, wie ich das vorhin getan habe, als wir über die Finanzierung der Integration diskutiert haben – einen erneuten Appell an den Bund richten. Denn auch hier sind wir wieder in der Situation, dass das Gute-Kita-Gesetz droht, ein „Schlechtes-Kita-Gesetz“ zu werden, wenn die Große Koalition es nicht hinbekommt, dieses Gesetz zu entfristen und es bei der Befristung bis 2021/2022 bleibt. Das ist immer Stückwerk, und damit kann man die Länder nicht alleine lassen. Dann gerät nämlich das Bund-Länder-Finanzverhältnis wieder aus den Fugen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: So kann man nicht miteinander arbeiten. Deswegen bitte ich noch einmal den Bund und die Kollegin Giffey darum, dieses Gesetz zu entfristen. Das würde uns allen bei der gemeinsamen Gestaltung für unsere Kinder helfen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister, für die Einbringung des Gesetzentwurfes.

Wir kommen zur Abstimmung, da eine Aussprache heute nicht vorgesehen war. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/3773 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend in der Federführung sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen und an den Haushalts- und Finanzausschuss in der Mitberatung. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir den Gesetzentwurf Drucksache 17/3773 so überwiesen.

Ich rufe auf:

16 Gesetz zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3774

erste Lesung

Herr Minister Biesenbach hat seine Einbringungsrede ebenfalls zu Protokoll gegeben (s. Anlage 2).

Auch hier ist eine Aussprache heute nicht vorgesehen, sodass wir unmittelbar zur Abstimmung und Überweisung kommen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuss in der Federführung sowie an den Integrationsausschuss und an den Hauptausschuss in der Mitberatung. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir den Gesetzentwurf Drucksache 17/3774 so überwiesen.

Ich rufe auf:

17 Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und weiterer wahlrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3776

erste Lesung

Auch hier wurde die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben (s. Anlage 3).

Hier ist ebenfalls für heute keine Aussprache vorgesehen, und wir kommen zur Überweisung des Gesetzentwurfs. Gemäß der Empfehlung des Ältestenrates überweisen wir in der Federführung an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen und in der Mitberatung an den Hauptausschuss. Möchte jemand der Überweisung widersprechen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir den Gesetzentwurf Drucksache 17/3776 so überwiesen.

Ich rufe auf:

18 Gesetz zur Änderung des Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverbandsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/3778 – Neudruck

erste Lesung

Ich kann Ihnen erfreulicherweise mitteilen, dass Frau Ministerin Heinen-Esser ihre Einbringungsrede ebenfalls zu Protokoll gegeben hat (s. Anlage 4). Auch hier haben wir für heute keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen zur Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in der Federführung sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen in der Mitberatung. Möchte jemand dem widersprechen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir den Gesetzentwurf Drucksache 17/3778 – Neudruck – so überwiesen.

Ich rufe auf:

19 Wahl von Mitgliedern des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/3848

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen somit zur Abstimmung.

Wer dem Wahlvorschlag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Ich frage vorsichtshalber, ob jemand dagegen stimmen möchte. – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall.

Damit ist der Wahlvorschlag in der Drucksache 17/3848 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

20 Nachwahl zur Umbesetzung eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses I (Fall Amri)

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/3816

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen, und wir kommen zur Abstimmung.

Wer diesem Wahlvorschlag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Darf ich davon ausgehen, dass es keinen Widerspruch, also keine Nein-Stimmen gibt? – Das ist so. Gibt es auch keine Enthaltungen? – Das ist ebenfalls so.

Dann ist Herr Kollege Wolf einstimmig gewählt worden.

Ich rufe auf:

21 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 11
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/3834

Die Übersicht enthält fünf Anträge und einen Entschließungsantrag, die vom Plenum gemäß § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen können Sie aus der Übersicht erkennen.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 11 abstimmen. Möchte jemand widersprechen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall.

Dann haben Sie die Übersicht einstimmig bestätigt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung und damit auch am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 11. Oktober 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und einen gelungenen Parlamentarischen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19:41 Uhr

 

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

Zu TOP 14 – „Elftes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern – zu Protokoll gegebene Rede

Herbert Reul, Minister des Innern:

Mit diesem Gesetzentwurf unterbreitet die Landesregierung einen Vorschlag zur weiteren Behandlung befristeter Vorschriften.

Im Einzelnen schlägt die Landesregierung dem Landtag die Verlängerung der Geltungsdauer beziehungsweise die Entfristung von zwei Landesgesetzen vor:

Erstens: Die Befristung des Zensusausführungsgesetzes 2011 NRW sollte um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2020 verlängert werden.

Vor den Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen sind derzeit noch 67 Klagen anhängig. Die Kommunen klagen gegen die Feststellung ihrer amtlichen Einwohnerzahl anlässlich des Zensus 2011 durch den Landesbetrieb IT.NRW.

In einer Reihe der Verfahren haben die Verwaltungsgerichte im einstweiligen Rechtsschutz das Land verpflichtet, alle bei IT.NRW als Statistischem Landesamt noch vorhandenen Zensusdaten zu sichern. Dies um gegebenenfalls noch einzelfallbezogene Überprüfungen durchführen zu können.

Im Hinblick auf Klagen der Länder Berlin und Hamburg beim Bundesverfassungsgericht gegen den Zensus 2011 sind diese verwaltungsgerichtlichen Verfahren bis zur verfassungsgerichtlichen Entscheidung ruhend gestellt worden.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2018 festgestellt, dass die bundesgesetzlichen Vorschriften zum Zensus 2011 formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Vor diesem Hintergrund können die vor den nordrhein-westfälischen Gerichten anhängigen Verfahren jetzt wieder aufgenommen werden.

Nach Feststellung der Verfassungsrechtskonformität der bundesrechtlichen Vorschriften zum Zensus 2011 dürften sich viele Argumente der klagenden Kommunen erledigt haben. Ob, wann und wie die Verfahren vor Verwaltungsgerichten abgeschlossen werden, ist derzeit aber noch nicht absehbar. Auch schließt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, dass verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter geführt geprüft werden.

Es können noch Argumente und Umstände geprüft werden, die in den von Berlin und Hamburg geführten Verfahren keine Rolle gespielt haben.

Daher sind die Bestimmungen des Zensusausführungsgesetzes 2011 NRW zur aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen bis zum Abschluss dieser Gerichtsverfahren weiterhin erforderlich. Dies gilt auch für die Ermächtigung des Landesbetriebes IT.NRW zur Feststellung der ermittelten amtlichen Einwohnerzahl.

Deshalb schlägt die Landesregierung vor, das Gesetz zunächst beizubehalten und um zwei Jahre zu verlängern.

Zweitens: Das Gesetz über die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure in Nordrhein-Westfalen sollte entfristet werden.

Die Beibehaltung dieses Gesetzes ist zwingend erforderlich. Nur so kann der Berufsstand der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und -ingenieure gewährleistet werden.

Diese leisten einen unverzichtbaren Beitrag für das öffentliche Vermessungswesen in unserem Land. Ich fände es falsch, durch irgendwelche neuen Befristungen zu suggerieren, es ginge in Nordrhein-Westfalen auch ohne die ÖbVI.

 

Anlage 2

Zu TOP 16 – „Gesetzes zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Rede

Peter Biesenbach, Minister der Justiz:

Die Landesregierung hat sich die Stärkung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität in der Justiz zur Aufgabe gemacht. In der zunehmend pluralistischen Gesellschaft muss auf die Wahrung der Neutralität der dritten Staatsgewalt besonders geachtet werden.

Es ist die vornehme Aufgabe der Justiz Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen und zu bewahren. Die rechtsprechende Gewalt hat ohne Ansehung der Person und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Daher darf nicht der geringste Anschein von Voreingenommenheit entstehen. Damit ist auch das äußere Erscheinungsbild der Justizangehörigen stets im Fokus der Verfahrensbeteiligten und der Bevölkerung.

Durch den heute vorgelegten Gesetzentwurf soll die verfassungsrechtlich gebotene staatliche Zurückhaltung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht für den Bereich der Justiz gestärkt werden.

Mit dem Entwurf werden Regelungen vorgeschlagen, die es allen Beschäftigten in der Justiz – und zwar den Tarifbeschäftigten, Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richtern gleichermaßen – verbieten, religiös oder weltanschaulich konnotierte Symbole und Kleidungsstücke bei der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeiten zu tragen, wenn sie damit rechnen müssen, von Dritten wahrgenommen zu werden.

Als Inbegriff rechtsprechender Gewalt liegt ein besonderer Fokus des Gesetzgebungsvorhabens auf der gerichtlichen Verhandlung. In § 3 Abs. 1 des Entwurfs wird das Verbot normiert, in diesen Verhandlungen Symbole und Kleidungsstücke sichtbar zu tragen, die auf eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Haltung schließen lassen.

Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass – und dies wird in § 1 des Entwurfs ausdrücklich aufgezeigt – die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses der Beschäftigen in der Justiz keineswegs in Frage gestellt werden soll. Selbstverständlich gilt das in Artikel 4 des Grundgesetzes verbürgte Recht auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz.

Es war daher bei Ausarbeitung des Gesetzentwurfs ein Kernanliegen, die Religions-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beschäftigten einerseits und die staatliche Neutralitätspflicht andererseits in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Daher beschränkt sich das Verbot ausdrücklich auf wahrnehmbare Symbolik und Kleidung. Wir sind der festen Überzeugung, damit das mildeste Mittel gewählt zu haben, ohne das gesetzgeberische Ziel aus dem Auge zu verlieren.

Dieses Verbot religiöser und weltanschaulicher Symbole und Kleidungsstücke in der gerichtlichen Verhandlung wird durch § 3 Abs. 2 des Entwurfs flankiert. Danach dürfen die in der Justiz Beschäftigten auch bei den übrigen ihnen übertragenen hoheitlichen Aufgaben keine sichtbaren Symbole und Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an der religiösen und weltanschaulichen Neutralität der Justiz hervorrufen könnten. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit kann dies allerdings nur dann Geltung beanspruchen, wenn die oder der jeweilige Beschäftigte mit seiner Wahrnehmung durch Dritte rechnen muss. Wer also typischerweise nicht mit Dritten in Sichtkontakt tritt, wird von diesem Verbot nicht erfasst.

Der Sache nach werden von den Verboten des § 3 des Entwurfs Symbole oder Kleidungsstücke erfasst, „die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Auffassung zum Ausdruck bringen.“

Damit ist im Sinne einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung sichergestellt, dass christliche Kreuze oder etwa eine Kippa gleichermaßen erfasst sind, wie ein in muslimischer Weise gebundenes Kopftuch. Auf die zum Ausdruck gebrachte Religion oder Weltanschauung kommt es nicht an!

Durch § 4 des Entwurfs wird eine vom Bundesgesetzgeber geschaffene Regelungslücke geschlossen. Im Jahr 2017 hat der Bundesgesetzgeber in § 34 Satz 4 Beamtenstatusgesetz das für Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und Richter geltende Verbot aufgenommen, sich bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug zu verhüllen. Dieses Verhüllungsverbot ist für eine vertrauensvolle Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit anderen Beschäftigten unabdingbar.

Soll dieses Ziel erreicht werden, müssen auch Tarifbeschäftigte von dem Verhüllungsverbot erfasst werden. Dies ist im Übrigen auch ein Gebot der Gleichbehandlung zwischen den Beschäftigten. Die dem § 34 Satz 4 Beamtenstatusgesetz nachgebildete Regelung in § 4 des Entwurfs erfasst alle Beschäftigten gleichermaßen.

Mit dem Gesetzentwurf wird unter Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten an ihrer Religions- und Bekenntnisfreiheit die dem Staat obliegende Neutralitätspflicht gestärkt. Anders als bei anderen staatlichen Aufgaben – wie beispielsweise der Schulbildung – hat der Staat im Bereich der Justiz keinen an der religiösen und weltanschaulichen Pluralität der Bevölkerung ausgerichteten Auftrag. Vielmehr erfordert der staatliche Auftrag – der Justizgewährungsanspruch – von den Beschäftigten der Justiz unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand. Diese Neutralitätspflicht wird durch den vorgelegten Gesetzentwurf in der gebotenen Weise konkretisiert und gestärkt.

 

Anlage 3

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und weiterer wahlrechtlicher Vorschriften – zu Protokoll gegebene Rede

Herbert Reul, Minister des Innern:

Im Herbst 2020 stehen die nächsten Kommunalwahlen in unserem Land an. Wie gewohnt, ist rechtzeitig vorher das Kommunalwahlgesetz zu überprüfen und fortzuschreiben.

Aktuelle Veränderungen im Landtags- und Bundestagswahlrecht sind ebenso zu berücksichtigen wie Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis. Zugleich sind die Vorschriften an die jüngste Rechtsprechung anzupassen. Der Gesetzentwurf der Landesregierung trägt diesen Anforderungen Rechnung.

Der Gesetzentwurf ist in mehrere Artikel gegliedert.

Artikel 1 enthält verschiedene Änderungen des Kommunalwahlgesetzes, Artikel 2 einmalig notwendige Übergangsregelungen wegen der ausnahmsweise 77 Monate langen Wahlperiode der Räte und Kreistage, die von Anfang Juni 2014 bis Ende Oktober 2020 dauert.

Artikel 3 dient der Harmonisierung einiger Vorschriften im Landeswahlgesetz. Und Artikel 4 enthält zwei kleinere Anpassungen im Gesetz über den Regionalverband Ruhr.

Lassen Sie mich kurz auf die wesentlichen Neuerungen im Kommunalwahlgesetz in der Reihenfolge der Vorschriften eingehen.

Das vor der Bundestagswahl 2017 in das Bundeswahlgesetz aufgenommene Verhüllungsverbot für die Mitglieder von Wahlorganen soll auch in § 2 Kommunalwahlgesetz aufgenommen werden. Dies betrifft in der Praxis die Wahlausschüsse und mehr noch die Wahlvorstände in den Kommunen.

Ziel ist es, eine offene und vertrauensvolle Kommunikation und eine unparteiische Amtswahrnehmung in diesen Gremien zu gewährleisten. Eine entsprechende Ergänzung des Landeswahlgesetzes ist ebenfalls vorgesehen.

Mittels Neufassung des § 14 Absatz 2 Kommunalwahlgesetz sollen die allgemeinen Kommunalwahlen auch im vorletzten Monat der laufenden Wahlperiode durchgeführt werden können, das heißt konkret im September 2020.

Ohne diese Änderung bliebe nur der Oktober als Wahlmonat, der sich durch den Tag der Deutschen Einheit und die Herbstferien nur sehr bedingt für Kommunalwahlen einschließlich gegebenenfalls erforderlicher Stichwahlen eignet.

Die Erweiterung des Zeitfensters wird allgemein für sinnvoll erachtet. Wie in der Vergangenheit wird das Ministerium des Innern zu gegebener Zeit den Wahltag festlegen.

Auch die Stichtage für die Eintragung der Wahlberechtigten in das Wählerverzeichnis von Amts wegen, für die Einreichung von Wahlvorschlägen und für die Entscheidung über deren Zulassung sollen um einige Tage vorverlegt werden. Damit wird mehr Zeit für die Durchführung der Briefwahl geschaffen.

In § 33 Absatz 1 Kommunalwahlgesetz soll die 2,5 % Sperrklausel für die Wahlen von Gemeinderäten und Kreistagen gestrichen werden. Anlass sind die Urteile des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in acht Organstreitverfahren vom 21. November 2017, in denen die 2,5 %-Sperrklausel insoweit für verfassungswidrig erklärt wurde.

Vorbehaltlich einer erneuten Erörterung im Landtag und eines Festhaltens an der Sperrklausel mit verfassungskonformer Begründung auch für die Gemeinderats- und Kreistagswahlen ist derzeit die Streichung in § 33 erforderlich.

In Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die 2,5 %-Sperrklausel jetzt nur noch für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr vorgesehen.

Schließlich soll in das Kommunalwahlgesetz ein gänzlich neuer Abschnitt VI.c mit den §§ 46f bis 46k über die Wahl der Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr aufgenommen werden. Der neue Abschnitt enthält neben einer Verweisung auf die allgemeinen Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes spezifische und damit vorrangige Regelungen zum Beispiel über die Wahlorgane des RVR, Inkompatibilitäten, Wahlvorschläge und deren Zulassung, Stimmzettel und die Feststellung des Ergebnisses.

Die Verabschiedung dieser Novelle stellt die Grundlage für die Überarbeitung der Kommunalwahlordnung mit ihren diversen Anlagen dar, die bis zum Herbst 2019 in Kraft treten soll, also ebenfalls rechtzeitig vor den nächsten Kommunalwahlen.

 

Anlage 4

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverbandsgesetzes – zu Protokoll gegebene Rede

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz:

In Nordrhein-Westfalen sind Altlastensanierung und Flächenrecycling weiterhin ein großes Thema. So ist die Zahl der von den Behörden ermittelten Altablagerungen und Altstandorte aufgrund der laufenden Nacherhebungen auch in den letzten beiden Jahren weiter angestiegen.

In konkreten Zahlen ausgedrückt heißt dies:

–  Es wurden bislang insgesamt 26.500 Gefährdungsabschätzungen vorgenommen und 7.800 Sanierungsmaßnahmen durchgeführt,

–  die Anzahl aller ermittelten Altablagerungen und Altstandorte ist inzwischen auf mehr als 96.000 Fälle gestiegen,

–  die Anzahl der noch nicht zugeordneten bzw. noch nicht bewerteten Flächen beläuft sich auf etwa 31.000 Flächen und

–  die Anzahl der altlastverdächtigen Flächen auf etwa 29.600 Fälle.

Diese Zahlen führen uns sehr deutlich vor Augen, dass hier noch immer große Aufgaben vor uns liegen, denen wir uns auch weiterhin widmen müssen. Sie zeigen uns auch, wie wichtig zudem die Aufbereitung vorbelasteter Brachflächen durch das Flächenrecycling ist.

Zur Altlastensanierung und zum Flächenrecycling leistet der „AAV – Verband für Altlastensanierung und Flächenrecycling“ – als anerkannter Fachverband seit vielen Jahren einen bedeutenden Beitrag. Der AAV ist in seinem Wirken über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und in seiner Arbeit äußerst erfolgreich.

Er wird im Rahmen einer Kooperation zwischen öffentlicher Hand, das heißt Land und Kommunen, und privater Wirtschaft tätig. Seine Sanierungsprojekte dienen vorrangig der Abwehr von Umweltgefahren. Gleichzeitig kommen sie aber auch den Kommunen und der Wirtschaft zugute, da durch das Flächenrecycling geeignete Grundstücke für neue Nutzungen angeboten werden können, ohne neue Flächen auf der „Grünen Wiese“ zu verbrauchen. Der AAV leistet damit auch einen wichtigen Beitrag zur Verminderung der Freiflächeninanspruchnahme.

Für seine Aufgabenerledigung erhält der AAV allein vom Land jährlich 7 Mio. Euro. Die Kommunen beteiligen sich mit rund 1,1 Mio. Euro. Das ist so im AAV-Gesetz festgeschrieben. Die Beiträge der Wirtschaft sind freiwillig und betragen derzeit rund 0,5 Mio. Euro.

Angesichts der gestiegenen Anzahl der erfassten und noch nicht bewerteten bzw. bearbeiteten Flächen sind die Mittel, die das Land dem AAV jedes Jahr aus dem Aufkommen des Wasserentnahmeentgeltgesetzes (WasEG) zur Verfügung stellt, auch weiterhin zur Bewältigung der Aufgaben erforderlich.

Vor diesem Hintergrund haben wir im Haushaltsgesetz 2018 dem AAV zur Finanzierung seiner Aufgaben für dieses Jahr weitere Haushaltsmittel in Höhe von 1,5 Mio. Euro bereitgestellt. Die zusätzlichen Mittel dienen als Ergänzung der Beiträge.

Nachdem sich das Land so großzügig gezeigt hat, hoffe ich, dass sich die Wirtschaft auch diesem Beispiel anschließt. Denn so sehr ich das freiwillige Engagement der Wirtschaft schätze, wünsche ich mir doch von weiteren Unternehmen größere finanzielle Beteiligung.

Um dem AAV diese zusätzlichen Haushaltsmittel auszahlen zu können, müssen wir in einem Punkt das AAV-Gesetz ändern, indem wir dort eine haushaltsrechtliche Öffnungsklausel einfügen.

Die Gesetzesänderung muss noch im Jahr 2018 in Kraft treten, damit dem AAV die im Haushaltsgesetz 2018 veranschlagten Finanzmittel ausgezahlt werden können.

Ich bitte um Ihre Zustimmung für diese Gesetzesänderung, damit die zusätzlich bereitgestellten und dringend erforderlichen Mittel nicht verfallen, sondern bestimmungsgemäß zur Altlastensanierung verwendet werden können.