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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/29

17. Wahlperiode

14.06.2018

 

29. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 14. Juni 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Antrag der Fraktion der AfD auf Durchführung
einer Schweigeminute für die zunehmende Zahl
an Opfern von sexualisierter Gewalt 5

Markus Wagner (AfD)
zur GeschO.. 5

Sarah Philipp (SPD)
zur GeschO.. 5

Ergebnis. 5

1   Ministerpräsident Laschet muss nach dem Aachener Dieselurteil Farbe bekennen

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2801. 5

Arndt Klocke (GRÜNE) 6

Rainer Deppe (CDU) 7

André Stinka (SPD) 9

Bodo Middeldorf (FDP) 11

Dr. Christian Blex (AfD) 12

Ministerin Ursula Heinen-Esser 14

Carsten Löcker (SPD) 15

Klaus Voussem (CDU) 16

Arndt Klocke (GRÜNE) 18

Markus Diekhoff (FDP) 20

Christian Loose (AfD) 20

2   Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2749. 22

Daniel Hagemeier (CDU) 22

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 23

Angela Freimuth (FDP) 25

Verena Schäffer (GRÜNE) 26

Markus Wagner (AfD) 28

Minister Dr. Joachim Stamp. 29

Dr. Stefan Nacke (CDU) 30

Helmut Seifen (AfD) 31

Carina Gödecke (SPD) 32

Minister Dr. Joachim Stamp. 34

Ergebnis. 34

3   154 Wirtschaftsprofessoren warnen: Der Euro darf nicht in die Haftungs-union führen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2763. 34

Markus Wagner (AfD) 34

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 35

Rüdiger Weiß (SPD) 37

Ralf Witzel (FDP) 39

Johannes Remmel (GRÜNE) 40

Minister Lutz Lienenkämper 42

Christian Loose (AfD) 42

Ergebnis. 43

4   Neustart in der Verkehrspolitik – Gemeinsam die Zukunft der Mobilität gestalten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1282

Beschlussempfehlung und Bericht
des Verkehrsausschusses
Drucksache 17/2747. 44

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2825 – Neudruck

Klaus Voussem (CDU) 44

Carsten Löcker (SPD) 45

Bodo Middeldorf (FDP) 46

Arndt Klocke (GRÜNE) 47

Nic Peter Vogel (AfD) 48

Minister Hendrik Wüst 48

Ergebnis. 50

5   Raus aus der „Teilzeitfalle“ – Teilzeitrecht weiterentwickeln, Brückenteilzeit einführen und Rückkehrrecht in Vollzeit ermöglichen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2756 – Neudruck. 50

Nadja Lüders (SPD) 50

Britta Oellers (CDU) 50

Susanne Schneider (FDP) 51

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 51

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 51

Minister Karl-Josef Laumann. 53

Ergebnis. 53

6   Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2767 – Neudruck. 53

Verena Schäffer (GRÜNE) 53

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 54

Dr. Stefan Nacke (CDU) 56

Lorenz Deutsch (FDP) 56

Markus Wagner (AfD) 57

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 58

Ergebnis. 59

7   Arbeitsplatzmotor für NRW – Stärkung der deutschen Verkehrsflughäfen und Fluggesellschaften – Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Luftverkehrsteuer

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2762. 59

Christian Loose (AfD) 59

Olaf Lehne (CDU) 60

Susana Dos Santos Herrmann (SPD) 61

Bodo Middeldorf (FDP) 62

Arndt Klocke (GRÜNE) 62

Minister Hendrik Wüst 63

Christian Loose (AfD) 64

Ergebnis. 64

8   Präventive Maßnahmen gegen die steigende Gewalt am Arbeitsplatz – Nordrhein Westfalen muss handeln!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2758. 64

Dr. Martin Vincentz (AfD) 64

Daniel Sieveke (CDU) 65

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD) 67

Dr. Werner Pfeil (FDP) 68

Verena Schäffer (GRÜNE) 69

Minister Herbert Reul 70

Dr. Martin Vincentz (AfD) 71

Christina Weng (SPD) 71

Ergebnis. 72

9   Keine Kürzungen bei der Sozialen Wohnraumförderung: NRW braucht mehr mietpreisgebundenen Wohnungsbau und nicht weniger!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1438

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen
Drucksache 17/2797. 72

Fabian Schrumpf (CDU) 72

Sven Wolf (SPD) 73

Stephen Paul (FDP) 74

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 76

Arndt Klocke (GRÜNE) 76

Roger Beckamp (AfD) 78

Ministerin Ina Scharrenbach. 79

Ergebnis. 81

10 Zuführung zum Pensionsfonds auch in den nächsten Jahren erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2408

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/2798. 81

Arne Moritz (CDU) 81

Markus Herbert Weske (SPD) 82

Ralf Witzel (FDP) 84

Monika Düker (GRÜNE) 85

Herbert Strotebeck (AfD) 86

Minister Lutz Lienenkämper 87

Ergebnis. 88

11 Stärkung der Judikative – Für eine öffentliche Ausschreibung der Verfassungsrichterstellen des Landes Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2760. 88

Thomas Röckemann (AfD) 88

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 89

Sonja Bongers (SPD) 90

Christian Mangen (FDP) 91

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 91

Ergebnis. 93

11 Freiflächen-Photovoltaik ausbauen: land- und energiewirtschaftliche Nutzung sind kein Widerspruch

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2754. 93

André Stinka (SPD) 93

Rainer Deppe (CDU) 94

Jörn Freynick (FDP) 95

Wibke Brems (GRÜNE) 96

Christian Loose (AfD) 97

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 98

Ergebnis. 100

Entschuldigt waren:

Ministerpräsident Armin Laschet

Ministerin Yvonne Gebauer

Ministerin Ursula Heinen-Esser 
(ab 11:30 Uhr)

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen

Angela Erwin (CDU)

Charlotte Quik (CDU)

Andreas Becker (SPD)

Guido van den Berg (SPD)

Hannelore Kraft (SPD) 
(ab 15 Uhr)

Thomas Kutschaty (SPD)         
(11:30 bis 16 Uhr)

Serdar Yüksel (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)         
(ab 16:30 Uhr)

Marcus Pretzell (fraktionslos)

 


Beginn: 10:04 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 29. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; die Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Bevor wir in die heutige Tagesordnung eintreten, kommen wir zu einem Antrag der Fraktion der AfD. Die Fraktion der AfD hat gemäß § 20 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung mit Schreiben vom gestrigen Tag beantragt, vor Eintritt in die Tagesordnung eine Schweigeminute einzulegen. Wird dazu das Wort gewünscht, zur Geschäftsordnung? – Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD-Fraktion hat beantragt, heute eine Schweigeminute einzulegen für die zunehmende Anzahl an Opfern von Gewalt, von sexualisierter Gewalt – in erster Linie an Frauen und Kindern – in den vergangenen Wochen und Monaten.

Wir haben gestern eine sehr eindrucksvolle Veranstaltung gehabt und Opfern unglaublicher Brutalität gedacht. In diesem Zusammenhang hat der Herr Landtagspräsident dankenswerterweise auch auf die Opfer anderer Gewalttaten hingewiesen.

Uns geht es allerdings darum, als Landtag gemeinsam ein sichtbares Zeichen für die Opfer und ihre Angehörigen zu setzen. Mit diesem sichtbaren Zeichen wollen wir unsere Solidarität mit den Opfern bekunden, egal ob sie ermordet wurden oder „nur“ geschändet worden sind wie in Viersen, Velbert, Wuppertal, Harsewinkel oder Bonn.

In diesem Zusammenhang ist nicht mehr notwendig, als uns gemeinsam für eine Minute schweigend von den Plätzen zu erheben, um damit symbolisch unsere Solidarisierung zum Ausdruck zu bringen. Darum möchte ich Sie bitten.

Präsident André Kuper: Für die SPD erteile ich der Kollegin Philipp das Wort.

Sarah Philipp (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Namen aller vier Fraktionen, der CDU, der FDP, der Grünen und meiner Fraktion, kann ich nur mein Befremden darüber zum Ausdruck bringen, auf welch offensichtlich kalkulierte Art und Weise Sie heute versuchen, ein furchtbares und grausames Gewaltverbrechen für Ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dass Sie offensichtlich den gleichen Vorgang, der sich letzte Woche im Deutschen Bundestag abgespielt hat, hier und heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen nachspielen wollen, macht für uns nur eines deutlich: Es geht Ihnen – wie so oft – nicht um die Sache, sondern es geht Ihnen um den medialen Effekt und um Ihre Selbstdarstellung, und deswegen lehnen wir diesen Antrag heute ab.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir noch drei persönliche Sätze. – Ich finde Ihr Verhalten wirklich beschämend. Im Namen der ganz großen Mehrheit dieses Parlamentes möchte ich mich für Ihr Verhalten bei den Angehörigen der Opfer ausdrücklich entschuldigen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Andreas Keith [AfD]: Sie sollten sich alle schämen!)

Ihnen und allen Menschen, die Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sind, sowie ihren Familien und ihren Freunden gehört unser aufrichtiges Mitgefühl. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin.

Ich komme damit zur Abstimmung  über den Antrag der AfD. Wer dem Antrag der AfD folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der AfD. Wer ist dagegen? – Das sind die Abgeordneten von der SPD, von den Grünen, von der CDU, von der FDP. Wer enthält sich? – Das sind die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Damit ist der Antrag der AfD, vor Eintritt in die Tagesordnung eine Schweigeminute einzulegen, abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf:

1   Ministerpräsident Laschet muss nach dem Aachener Dieselurteil Farbe bekennen

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2801

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 11. Juni 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Klocke das Wort. Bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute hier im Plenum erneut mit möglichen Dieselfahrverboten. Wir haben das zuletzt im März getan, als der Ministerpräsident den Landtag über die vermuteten Auswirkungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts unterrichtet hat.

Was gibt es Neues? Warum wurde die Aktuelle Stunde von uns Grünen beantragt? – Am letzten Freitag hat das Verwaltungsgericht in Aachen – ausgerechnet in Aachen – verkündet und festgestellt, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit dort zum 1. Januar 2019 zu Fahrverboten kommen wird.

Warum? – Weil die bisher ergriffenen Maßnahmen der Stadt Aachen nicht ausreichen werden. Selbst der Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Herr Philipp von der CDU, hat festgestellt, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit mit den Maßnahmen, die in diesem Herbst noch an den Start gehen werden, nicht möglich sein wird, die Grenzwerte zu erreichen.

Insofern wurde das, was Ministerpräsident Laschet hier im Plenum im März verkündet hat, dass Fahrverbote unnötig, rechtlich unzulässig und damit auch unverhältnismäßig sind, vom Verwaltungsgericht in seiner Heimatstadt Aachen mit einem klaren Richterspruch am letzten Freitag konterkariert.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Deswegen haben wir die Aktuelle Stunde beantragt, um erneut über dieses Thema zu diskutieren. Daher wenden wir uns jetzt an die Landesregierung – eigentlich an den Ministerpräsidenten, der heute aber in Berlin weilt, von daher selbstverständlich gerne an seinen Stellvertreter oder an die Umweltministerin.

Wir haben in der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses gelernt, dass nicht der Verkehrsminister innerhalb der Landesregierung federführend ist, sondern die Umweltministerin. Das blieb über längere Zeit unklar, weil bei den bisherigen Debatten zum Thema „Fahrverbote und Luftreinhaltung“ immer der Verkehrsminister gesprochen und in der Fragestunde geantwortet hat. Frau Schulze Föcking war auch schon damals zuständig; man hat aber von ihr ein Jahr lang zu dieser Thematik nichts gehört. Nun gibt es eine neue Ministerin, die seit gestern im Amt und vereidigt ist.

Deswegen geht die Frage an Frau Heinen-Esser: Was gedenkt die Landesregierung konkret zu tun, um Fahrverbote in den betroffenen 28 Kommunen in Nordrhein-Westfalen abzuwenden? Diese Frage stellen wir Ihnen heute.

Und ich stelle Ihnen auch die konkrete Frage: Was tun Sie, um seitens des größten Bundeslandes gegenüber der Bundesregierung Druck zu machen,

(Christian Loose [AfD]: Das geht doch nicht!)

damit Hardwarenachrüstungen erfolgen?

Denn nach Einschätzung aller Expertinnen und Experten ist das die einzige Möglichkeit, um Fahrverbote zu verhindern. Wir hatten hier im April eine von der Grünenfraktion beantragte große Anhörung. Hier saßen die Expertinnen und Experten: Städtetag, Städte- und Gemeindebund, BUND, ADAC, IHKen, Handwerkskammern etc. Bis auf den Vertreter des VDA haben wirklich alle geladenen Experten die Position, die auch von den Grünen geteilt wird, unterstützt, dass es zeitnah Hardwarenachrüstungen bei den manipulierten Pkw geben muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen sehen wir uns hier in guter Gesellschaft. Man würde ja vielleicht vermuten, es wären nur die Umweltverbände oder alternative Mobilitätsverbände gewesen. Nein, es ist der Deutsche Städtetag mit einer sehr klaren Stellungnahme, es sind die IHKen, es ist die Handwerkskammer, die sagen: Wenn nicht zeitnah Nachrüstungen erfolgen, dann sind die Grenzwerte nicht zu erreichen und dann wird es zu Fahrverboten in Nordrhein-Westfalen kommen.

Deswegen meine Frage an die neue Umweltministerin: Was tun Sie, um in Berlin die Bundesregierung zum Einlenken zu bringen, damit nicht nur Umweltministerin Schulze, die das ja mehrfach schon betont hat, sondern das gesamte Kabinett, insbesondere Verkehrsminister Scheuer, gegenüber der Automobilindustrie Druck macht, damit zeitnah Hardwarenachrüstungen durchgesetzt werden? Das ist gleich Ihre Chance, Frau Heinen-Esser, das uns hier mitzuteilen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben gestern in einem großen Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger“ das erste Mal Grundzüge Ihrer Politik vorgestellt. Ich war durchaus überrascht. In der Überschrift gibt es ein Zitat aus diesem Interview: „Es wird nicht zu Fahrverboten kommen“. Das finde ich – ehrlich gesagt – angesichts der Tatsachen, die uns allen bekannt sind, und angesichts des Richterspruchs in Aachen eine mutige Einlassung.

Ich finde es richtig und vernünftig, zu sagen: Wir tun alles dafür, damit es nicht zu Fahrverboten kommt. – Aber als neue Ministerin ins Amt einzusteigen und zu erklären „Es wird nicht zu Fahrverboten kommen“, da würde mich sehr interessieren, wie Sie zu dieser Aussage kommen und auf Grundlage welcher Daten und Fakten Sie sich so in der Öffentlichkeit positionieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Frage lautet: Warum hat die deutsche Politik, warum hat die Bundesregierung so viel Angst vor der Automobilindustrie? Sie ist selbstverständlich ein großer und wichtiger, relevanter Arbeitgeber für die Bundesrepublik und die internationale Produktion. Warum aber ist das, was in den USA möglich – und auch rechtlich möglich – ist, nicht auch in der Bundesrepublik möglich? Warum setzen die Automobilhersteller ausschließlich auf Softwareupdates und geben mittlerweile zu, die Zielmarke bis Ende des Jahres gar nicht erreichen zu können, obwohl die Softwareupdates bis Ende des Jahres umgesetzt sein sollten? Warum trauen sich die Bundesregierung und auch die nordrhein-westfälische Landesregierung nicht zu, den Druck zu erhöhen und zu fordern: „Hier muss jetzt aber geliefert werden“?

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Minister Professor Dr. Pinkwart fehlt auf der Regierungsbank. – Das wäre auch für Nordrhein-Westfalen eine wirtschaftliche Perspektive, denn es gibt zwei Hersteller in Nordrhein-Westfalen – im Sauerland und in Königswinter –, die mit kompletten Hardwareupdates am Start sind. Derzeit läuft noch das Genehmigungsverfahren beim Kraftfahrtbundesamt. Man wartet täglich auf die Genehmigung zum Einsatz. Es sind nordrhein-westfälische Hersteller und nordrhein-westfälische Betriebe, die eine innovative umweltfreundliche Lösung vorgelegt haben und jetzt darauf warten, dass sie in der Praxis eingesetzt wird.

Deswegen die Frage: Warum verschläft die Landesregierung diese Chance, die Initiative zu ergreifen, federführend voranzugehen unter dem Motto: „Im größten und verkehrsreichsten Bundesland setzen wir darauf, durch Hardwareupdates zu sauberer Luft in den Innenstädten zu kommen.“?

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Ende meiner Rede möchte ich noch eine Anmerkung zu den Messstellen machen. Diese Debatte wird seit einigen Tagen geführt, ausgehend von Köln. Die Frage ist, in welchem Abstand zur Straße Messstellen errichtet werden.

Die EU-Kommission hat bereits im letzten Herbst erklärt, dass sie die Messstellen in Deutschland grundsätzlich kontrolliert habe und es keine Beanstandungen gebe, insbesondere nicht in Nordrhein-Westfalen. Einzig in Mönchengladbach war eine Messstelle nicht ganz fachgerecht angebracht worden.

Natürlich müssen Messstellen fachgerecht und rechtlich sicher justiert werden. Die Messwerte müssen stimmen. Es ist nicht verwunderlich, dass man zu unterschiedlichen Werten kommt, wenn man in einem Abstand von einem halben, von einem oder von zehn Metern von der Straße entfernt misst.

Bei uns aber steht der Gesundheitsschutz zentral im Mittelpunkt. Wenn ich mit meinem Fahrrad jeden Morgen vom Hauptbahnhof über die Corneliusstraße zum Landtag fahre, atme ich das ein, was direkt an der Straße emittiert wird, und nicht das, was in zehn Metern Abstand emittiert wird.

(Zuruf von der AfD)

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit, bitte.

Arndt Klocke (GRÜNE): Deswegen ist es völlig nachvollziehbar, dass die Grenzwerte eingehalten werden müssen. Eine juristische Prüfung scheint notwendig. Die Ministerin hat es gestern angekündigt. Mir scheint es jedoch eher wieder eine Nebelkerze zu sein, um die grundsätzliche Debatte darüber, was in diesem Themenbereich notwendig ist, zu verhindern – eine Nebelkerze, die den Menschen signalisieren soll: So schlimm ist es doch gar nicht.

Hier muss auch die Landesregierung Rechtssicherheit schaffen. Es würde mich interessieren, inwieweit die Landesregierung die Kommunen bei dieser rechtlichen Prüfung unterstützt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Abgeordneten Deppe das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klocke, zum wievielten Mal bringen Sie von SPD und Grünen eigentlich das Thema „Diesel“ in dieser Wahlperiode auf die Tagesordnung? –

(Monika Düker [GRÜNE]: Solange, bis Sie etwas tun!)

Acht Mal in Form von Anträgen oder Aktuellen Stunden im Plenum! In den letzten fünf Jahren – in der letzten Wahlperiode – haben Sie sich demgegenüber gerade einmal mit dem Thema „Diesel und Luftreinhaltung“ beschäftigt. Die Grenzwerte gelten seit 2010 und nicht erst seit 2017.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den GRÜNEN: Warum tun Sie nichts?)

Interessanterweise lautete damals Ihr Antrag, dass man für eine langfristige Verbesserung der Luftreinhaltung sorgen solle. Es ist schon interessant zu sehen, wie Ihre Liebe zum Diesel in den letzten Monaten gewachsen ist.

Eben habe ich aber doch Zweifel bekommen. Sie stellen allen Ernstes die USA als Vorbild dar. Die Dreckschleudern, die dort fahren, die Benzin-Fahrzeuge dort, die massenhaft CO2 ausstoßen und viel mehr Treibstoff verbrauchen als unsere Fahrzeuge, sind offenbar das Vorbild für Sie. Das können Sie hier doch niemandem erzählen!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Jedes Mal beteuern Sie, Sie wollen keine Fahrverbote. Jedes Mal aber laufen Ihre Diskussionsbeiträge – heute wurde es endlich einmal richtig deutlich – genau darauf hinaus. Sie twittern dann auch noch ziemlich deutlich an der Wahrheit vorbei, in Aachen gäbe es ab 1. Januar Fahrverbote. Ich sage Ihnen: Es wird keine geben.

Wie irrsinnig die Fahrverbote sind, können wir gerade in Hamburg live besichtigen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist es!)

Der „Express“ hat seinen Lesern letzten Freitag den Vorschlag Ihres Kölner Umweltdezernenten für den Clevischen Ring in Köln vorgestellt: Für 230 m Sperrung schicken Sie Pkw und Lkw auf einen Umweg von 2,2 km. Also: mehr Stickoxid, mehr CO2-Ausstoß, mehr Energieverbrauch, mehr Lärm, mehr Reifenabrieb, mehr Feinstaub. Ist das das grüne Konzept für sauberen Verkehr?

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Herzlichen Glückwunsch!)

Um gerade einmal an einer Messstelle für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen, wird das übrige Gebiet in Summe mehr belastet. Das ist offenbar Verkehrspolitik à la Rot-Grün!

(Zuruf von der SPD: Das ist euer Problem, nicht unser!)

Das ist doch kein Konzept. Die NRW-Koalition will, dass die Menschen Luft einatmen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation in Ordnung ist – vor allem dort, wo die Menschen wohnen und sich über längere Zeiträume aufhalten. Das ist nicht dort, wo manche Messstelle steht, nämlich 55 cm, 60 cm, 80 cm von stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen entfernt, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorgestern nachgewiesen hat. Dort erzielen Sie doch keine repräsentativen Messergebnisse.

Meine Damen und Herren, wir haben ein völlig anderes Konzept. Statt Verbote, statt neue Umwege mit mehr Schadstoffausstoß ist unser Ziel ein immer sauberer Verkehr, und zwar flächendeckend und nicht nur an den Messstellen.

(Beifall von der CDU)

Bei zehn von elf relevanten Luftschadstoffen sind wir in Nordrhein-Westfalen schon so weit, dass die Grenzwerte überall eingehalten werden: bei Feinstaub PM10 und PM2,5, bei Blei, Arsen, Cadmium, Nickel, Benzopyren, Schwefel, Benzol und Ozon. Nur bei den Stickoxiden sind wir noch nicht am Ziel. Aber auch da ist Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren besser und sauberer geworden. An den Messstellen für Verkehr sind wir von durchschnittlich 54 µg auf jetzt durchschnittlich 44 µg vorangekommen.

Der Verkehr – meine Damen und Herren, lassen Sie sich da nichts von Herrn Klocke oder anderen einreden – ist Schritt für Schritt sauberer geworden, und wir werden ihn noch sauberer machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir fördern den Ausbau alternativer Antriebe sowie der entsprechenden Infrastruktur. Wir fördern Mobilstationen in den Kommunen. Wir fördern den Ausbau des ÖPNV und den Umstieg auf den ÖPNV. Wir fördern den Ausbau von Radwegen – übrigens mehr als Sie. 100 Millionen € stellen wir für das Programm „KommunalerKlimaschutz.NRW“ zur Verfügung, 40 Millionen € für das Sonderprogramm „Emissionsfreie Innenstädte“. Seit Februar fördert das Land auch die Errichtung von öffentlichen Ladesäulen und unterstützt die Kommunen bei der Elektrifizierung ihres Fuhrparks.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Ist das die Regierungserklärung?)

Die Programme der NRW.BANK will ich gar nicht erst erwähnen. Wir treiben die Digitalisierung im Verkehrssektor voran, denn die intelligente Verkehrssteuerung wird ein Teil der Lösung der Verkehrs- und Emissionsprobleme sein.

Meine Damen und Herren, jeden Tag geschieht etwas, und zwar jeden Tag etwas mehr, in diese Richtung. Ich will Ihnen nur einige Meldungen aus den letzten Tagen nennen:

Im Mai wurden so viele Erdgasautos zugelassen wie noch nie zuvor – zehnmal mehr als vor einem Jahr. Vor zwei Wochen wurde in Düren das zweite Streetscooter-Werk eröffnet, sodass jetzt jährlich 20.000 Fahrzeuge hergestellt werden können.

Die KVB in Köln teilte letzte Woche mit, sie werde 50 weitere Elektrobusse anschaffen. Letzte Woche konnten wir mit dem neuen Werkleiter sprechen: Bei Shell in Wesseling gehen Planung und Bau der weltweit größten Elektrolysefabrik zur Wasserstoffgewinnung zügig voran. Mehr Wasserstoff aus Strom und weniger Wasserstoff aus Erdgas! Voraussichtlich 2020 wird sie in Betrieb gehen.

(Michael Hübner [SPD]: Weil Sie mit denen gesprochen haben?)

Und wir im Rheinisch-Bergischen Kreis stellen mit unseren kommunalen Unternehmen – die RVK – schrittweise auf Wasserstoffantrieb um, Schritt für Schritt, und Sie wissen genau: Solche technischen Umstellungen sind nicht von einem Tag auf den anderen realisierbar.

(Michael Hübner [SPD]: Das geht nicht von einem Tag auf den anderen!)

Aber wir haben uns bei uns im Kreis 2011 auf den Weg gemacht, wo Sie noch lange geschlafen haben.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie können uns nicht erzählen, dass Hardwarelösungen – das ist ja offenbar die neue Idee von Herrn Klocke – von einem Tag auf den anderen machbar wären.

(Zuruf von der CDU: Wenn Sie mit denen gesprochen hätten, wüssten Sie das!)

Auch das wird Monate, wird Jahre dauern.

Meine Damen und Herren, unsere NRW-Koalition – da spreche ich, glaube ich, für die Kollegen der FDP mit – geht zügig voran. Wir machen den Verkehr in Nordrhein-Westfalen Schritt für Schritt und jeden Tag ein Stückchen sauberer – aber ohne Panik, ohne Alarmismus, ohne Fahrverbote, sondern mit konsequenter technischer Erneuerung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD hat Herr Stinka das Wort.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Wortbeitrag noch einmal die Strategielosigkeit der Mitte-rechts-Regierung in Nordrhein-Westfalen deutlich macht, dann war es der Beitrag von Herrn Deppe gerade.

(Beifall von der SPD)

Lieber Herr Deppe, es hat jetzt nur noch gefehlt: Die Welt ist schön, und am 24. Dezember gibt’s Geschenke!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Heiterkeit von den GRÜNEN)

Das wäre ein guter Abschluss Ihrer Rede gewesen.

Herr Deppe, warum? – Weil Sie keinen aktuellen Anlass finden, aus dem wir uns heute darüber unterhalten sollen.

Herr Deppe, wir machen uns in der SPD-Fraktion ernsthaft Sorgen, denn es wird Folgendes passieren:

1. Januar 2019: Der Ministerpräsident wird wahrscheinlich – zu unserem Leidwesen natürlich – zu einem Neujahrsempfang fahren wollen, aber wegen des Fahrverbots just nicht aus seiner Heimatstadt wegkommen. Uns kann das freuen, das Land aber nicht, Herr Deppe. Darum geht es in dieser Debatte hier.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen ist Ihre Aussage, hier würden Debatten hochgezogen, ganz spannend,.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was haben Sie die letzten sieben Jahre gemacht?)

– Herr Hovenjürgen, hören Sie zu, da können Sie was lernen!

(Zurufe von der CDU)

Wenn Sie schon 2016 Zweifel an der Einhaltung der Grenzwerte gehabt hätten – wo ist denn die CDU-Fraktion im Umweltausschuss gewesen? Null Anfragen zur Luftreinhaltung seitens der CDU.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Von Ihnen gab es dazu keinen einzigen Beitrag!)

Und Sie blasen sich heute auf, als hätten Sie sich jemals um Benzol, um Stickoxide gekümmert, Herr Hovenjürgen. Nullmeldung, gar nix!

(Beifall von der SPD)

Also hören Sie auf damit, das ist alles Unfug.

Sie verkennen in der heutigen Aktuellen Stunde, dass Sie den Pendlerinnen und Pendlern, den Handwerkern, die Sie ja so oft auf den Lippen führen, natürlich eine Antwort geben müssen – beispielsweise in Aachen. Was passiert beim Zulieferverkehr der Firma Zentis? Was ist mit den Menschen im Mittelstand? Darauf gibt es keine Antwort. Herr Deppe hat überhaupt keine darauf gegeben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie hatten nichts gemacht! Gar nichts!)

Nein, man wartet erst ein Verwaltungsgerichtsurteil ab und tut dann so, als käme das überraschend. Das zeugt nicht gerade von einer hohen Staatskunst der gesamten Landesregierung, meine Damen und Herren.

Noch einmal zu den Fahrverboten – ich hatte es mir gleich aufgeschrieben; ich habe gewusst, dass das kommt –: Die SPD will auch keine Fahrverbote, aber das Problem ist: Wir verschließen nicht die Augen und Ohren davor, wissen aber: Wir können hier nicht Wünsch-dir-Was spielen, sondern es sind ganz konkrete Maßnahmen notwendig, um das abzuwenden. Darum geht es doch!

(Christof Rasche [FDP]: Seit sieben Jahren nichts!)

Politik muss handeln.

(Beifall von der SPD)

Jetzt kommen wir – ich wusste, dass das kommt; das ist ja alles typisch; wir sind schon oft hier gewesen – zu den sieben Jahren. Meine Mitarbeiterin – stark eingespannt – hat sich einmal angeschaut, welche der Maßnahmen, die Sie hier verkündet haben, denn nun tatsächlich von Ihnen ist. – Keine! Der Rest ist Rot-Grün oder Bundesprogramm.

(Beifall von der SPD – Thomas Kutschaty [SPD]: Ja! Das ist interessant!)

Blasen Sie sich nicht so auf! Und diese „Keine Maßnahme“ ist dann auch noch mit keinem Geld hinterlegt, und dann erzählen Sie den Leuten, dass Sie sich kümmern!

Noch einmal zurück zu Herrn Deppe: Seine Rede ist plastisches Beispiel dafür, dass Sie immer versuchen, mit Platzhaltern und Plattitüden Handeln vorzugaukeln – wie die gesamte Regierung in allen Problemfeldern.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Vor sieben Jahren war Rot-Grün an der Regierung!)

Jetzt sind Sie aber betroffen; es ist der Wahlkreis Ihres Ministerpräsidenten. Sie werden den Menschen Antwort geben müssen,

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

wie und warum Sie sich beispielsweise bei der Frage der Grenzwerte verhalten, meine Herren. Ich hoffe auf unsere neue Umweltministerin. Grenzwerte sind Gesetze,

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

und ich hoffe, wir sind uns in diesem Hause einig, dass wir als demokratische Parteien Gesetze einhalten.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Jetzt noch einmal zur Luftreinhaltung. Meine Damen und Herren, Luftreinhaltung ist EU-Recht. Wer regiert seit 14 Jahren ununterbrochen mit Mehrheit im Europaparlament? – Die europäischen konservativen Parteien, Herr Hovenjürgen. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Kollegen Pieper und bei anderen!

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Keine Mitteilung aus der CDU-Fraktion, keine Revision dazu, die Grenzwerte sind festgelegt worden, und Sie hatten im Europaparlament seit 14 Jahren die Mehrheit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen ist das alles müßig, und es gibt ziemlich viele Nebelkerzen.

Ich erinnere mich noch an die wirklich unterirdische Rede von Herrn Löttgen, der mal die Grenzwerte hinterfragt hat. Herr Löttgen, erinnern Sie sich daran! Wenn wir als demokratische Parteien Gesetze hinterfragen wollen, dann fragen wir demnächst auch, ob etwa Steuergesetzgebung so in Ordnung ist, Promillegrenzen in Ordnung sind etc. Wir dürfen doch gemeinsam die Beschlüsse, die Sie mit Mehrheit in Brüssel gefasst haben, nicht dauernd hinterfragen. Sich in den Büschen zu verstecken, wenn es schwierig wird, kann wohl nicht Ziel demokratischer Politik sein.

(Beifall von der SPD)

Die Punkte, die Sie hier zur sauberen Luft in NRW anführen, sind, wie gesagt, viele rot-grüne Projekte und Projekte des Bundes. Jawohl, das ist richtig.

Aber jetzt kommt doch der Kern, zu dem man stehen muss. Wir wollen, dass die Automobilindustrie eine Hardwarenachrüstung bei Euro 5 bezahlt. Es geht doch darum, dass die Menschen Produkten, die sie kaufen, vertrauen müssen.

(Zuruf von der CDU)

Dabei erwarte ich bei einem Bundesland mit so viel Zuliefererindustrie, dass der Ministerpräsident mit deutlichem Hinweis auf das Vertrauen in Politik, auf das Vertrauen in Verbraucherschutz ein klares Ja zur Nachrüstung sagt.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wenn der ADAC, der wirklich nicht zur Vorfeldorganisation der SPD gehört, sagt,

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

dass damit Reduktionen von 50 bis 70 % erreichbar sind, dann, Kolleginnen und Kollegen und Frau Umweltministerin, lassen Sie uns doch gemeinsam dafür kämpfen, dass das passiert. Wir stehen der neuen Umweltministerin gerne bei. Sie sprachen ja mit Blick auf die Automobilindustrie von „sanftem Druck“. Frau Heinen-Esser, Sie haben uns an Ihrer Seite.

(Zuruf von der CDU: Och!)

Es geht nicht mit sanftem Druck, sondern wir packen gemeinsam mit Ihnen die Boxhandschuhe aus und wollen, dass nachgerüstet wird – zum Wohle des Wirtschaftsstandorts,

(Beifall von der SPD)

zum Wohle des Klimaschutzes und zum Wohle der Menschen, die an diesen Straßen leben.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

– Herr Blex, hören Sie mit Ihrem Gequatsche auf! Hören Sie auf, das ist doch Unfug.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich würde gerne hier und heute ein Signal aussenden – für die Menschen, für die Automobilindustrie und für den Verbraucherschutz. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dieser Schritt notwendig ist, damit die Menschen das Vertrauen in Politik nicht verlieren. Wir sollten uns nicht in Nebelkerzendebatten à la Herrn Deppe verstricken. Das ist des Hauses unwürdig. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Stinka. – Für die FDP erteile ich dem Kollegen Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich zu Beginn meiner Ausführungen in aller Deutlichkeit sagen: Unsere politische Haltung steht. Wir wollen keine Fahrverbote in NRW, und wir werden alles daransetzen, um Fahrverbote in diesem Land zu verhindern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Seit Arbeitsbeginn dieser schwarz-gelben Landesregierung arbeitet diese genau an diesem Ziel – übrigens als erste Landesregierung seit 2010, seitdem wir diese Grenzwerte haben, überhaupt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

CDU und FDP sind hier im Gegensatz zu SPD und den Grünen übrigens klar aufgestellt, Herr Kollege Stinka. Beide Oppositionsparteien haben wiederholt betont, Fahrverbote vermeiden zu wollen, wie sie es gerade auch wieder getan haben.

Aber nach den Grünen hat in der jüngsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses nun auch Ihre Partei, Herr Kollege Stinka, die Maske fallenlassen. Sie beide stehen für die Einführung der „Blauen Plakette“. Die „Blaue Plakette“ ist aber nichts anderes als die faktische Einführung von Fahrverboten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Sie enteignen damit Millionen älterer Dieselbesitzer. Im Lichte der heutigen Aktuellen Stunde muss man sogar den Eindruck gewinnen, es kann Ihnen gar nicht schnell genug gehen: Ihre Untätigkeit der letzten Jahre,

(Zuruf von der SPD: Es ist Ihre Untätigkeit!)

Ihre Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe, die Forderung nach Einführung einer „Blauen Plakette“ – ich sage es ganz deutlich: Statt systematisch auf die Verhängung von Fahrverboten hinzuwirken, sollten Sie sich endlich darauf konzentrieren, wie wir die Mobilitätsanforderungen unserer Menschen und die saubere Luft unter einen Hut bringen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Herr Kollege Stinka, da klingt Ihre angebliche Sorge um die Menschen und um die Fahrverbote fast wie Hohn. Das muss man an dieser Stelle einfach mal sagen.

(Karl Schultheis [SPD]: Was hat Dobrindt denn gemacht?)

Jetzt in kürzester Zeit gegenzusteuern, ist ohne Frage – das sage ich unumwunden – ein höchst ehrgeiziges Ziel. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist klar, mit welchen rechtlichen Rahmenbedingungen wir es zu tun haben. Fahrverbote sind grundsätzlich möglich – ja – und müssen im Rahmen der Aufstellung von Luftreinhalteplänen auch geprüft werden. Aber anders, als sich das in diesem Hause vielleicht der eine oder andere wünscht, hat das Gericht etwaige Verbote an eine umfassende und an eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit geknüpft.

(Michael Hübner [SPD]: Ach, ehrlich?)

Sie sind damit nur als letztes Mittel zulässig und müssen gegenüber der Versorgungssicherheit in den Städten, der allgemeinen Handlungsfreiheit und den Eigentumsrechten der Autobesitzer abgewogen werden, meine Damen und Herren.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist aber nichts Neues!)

Wenn es also andere Instrumente gibt, mit denen man die Effekte von Fahrverboten ebenfalls erreichen kann, dann sind Fahrverbote unverhältnismäßig. Und nichts anderes hat der Ministerpräsident in diesem Hause gesagt.

(Michael Hübner [SPD]: Die Bewertung nimmt nicht der Ministerpräsident vor!)

Diese Aussage ist nach wie vor richtig.

(Beifall von der FDP)

Selbstverständlich gehen wir fest davon aus, dass das Maßnahmenportfolio in einem neuen Luftreinhalteplan andere Wege zur Grenzwerteinhaltung vorsieht: etwa den Einsatz emissionsarmer Fahrzeuge im ÖPNV, die Verbesserung der Verkehrslenkung. Ich will die einzelnen Punkte gar nicht alle aufzählen; Kollege Deppe hat es bereits getan.

Viele dieser Instrumente kommen ja heute durch die Aktivitäten unserer Landesregierung schon zum Einsatz, und schon jetzt sind in vielen Städten Verbesserungen erkennbar, auch in Aachen übrigens, meine Damen und Herren.

Wir haben es mit einem hochgradig dynamischen Prozess zu tun. Intensiv wird vonseiten der Ministerien, der Bezirksregierung, der Kommunen an der Fortschreibung der Luftreinhaltepläne gearbeitet. Jede Stadt aber – das ist auch klar – stellt einen Einzelfall dar. Deshalb braucht es bei dem Bemühen um eine Verhinderung von Verboten – das habe ich in meinen vorangegangenen Reden auch immer sehr deutlich hervorgehoben – den Schulterschluss und das ernsthafte gemeinsame Bemühen aller Behördenebenen.

Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat übrigens auch das örtliche Verwaltungsgericht in Aachen zu folgen. Sonst wäre das Urteil nämlich anfechtbar. Ohne Urteilsbegründung müssen natürlich heute solche und andere Fragen offenbleiben.

Aber gerade vor diesem Hintergrund verwundert eine politische Bewertung samt einer rechnerischen Prognose über Eintrittswahrscheinlichkeiten von Fahrverboten in der Pressemitteilung des Gerichts schon sehr. Die eigene Unsicherheit des Gerichts dokumentiert sich auch in der expliziten Aussage der Möglichkeit einer Berufung. Darauf jetzt eine politische Debatte aufzubauen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grünen und SPD, das ist schon sehr mutig.

Bei allem, was wir heute wissen, bedeutet das Urteil nämlich nicht, dass die Bezirksregierung Köln zum 1. Januar kommenden Jahres Dieselfahrverbote verhängen muss. Die Bezirksregierung prüft zusammen mit der Stadt und dem LANUV weiterhin alle potenziellen Maßnahmen, um die Grenzwerte an belasteten Straßen schnellstmöglich einzuhalten.

Es wäre hilfreich und notwendig – das will ich an dieser Stelle für meine Partei auch ausdrücklich sagen –, wenn die Autoindustrie endlich Farbe bekennen und die Bemühungen durch eine Hardwarenachrüstung unterstützen würde.

(Zuruf von der SPD: Tun die aber nicht!)

Dass sie ihre Kunden massiv getäuscht hat, daran gibt es spätestens seit den jüngsten Enthüllungen keinen Zweifel mehr. Nun haben es die Autobauer und die Bundesregierung in der Hand, diese Problemlage schnell und effektiv zu lösen,

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

und zwar selbstverständlich – das sage ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich – auf Kosten der Unternehmen. Als Teil des Problems muss die Industrie auch Teil der Lösung bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD erteile ich dem Abgeordneten Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ganz im Ökopopulismus-Trend hat nun auch das Aachener Verwaltungsgericht geurteilt, dass die Stadt Aachen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vorbereiten müsse, um in absehbarer Zeit die Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten.

Ich habe an dieser Stelle schon des Öfteren über den Sinn und Unsinn dieser Grenzwerte gesprochen.

(Michael Hübner [SPD]: Sie sind selber peinlich!)

Ja, es ist manchmal nervig, aber es gibt auch Erfolge. Die AfD hat Erfolg, die CDU lernt von uns. Nach Herrn Löttgen, der beim letzten Mal meine Argumentation komplett übernommen hat, hat Herr Deppe auch dazugelernt und meine Argumentation übernommen. Es gibt noch eine kleine Hoffnung bei der CDU.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Da ich aber als Lehrer weiß, dass manche Schüler sehr lange brauchen, überhaupt etwas zu verstehen, referiere ich für die Linksgrünen gerne noch einmal das Thema.

(Lachen von der CDU)

Es mag Ihnen als naturwissenschaftlich unbedarften Menschen unbekannt sein, aber Stickstoffdioxid ist ein normaler Bestandteil der Atemluft. Der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert von Stickstoffdioxid beträgt am Arbeitsplatz 950 µg/cbm Luft.

(Inge Blask [SPD]: Aber Sie lernen doch nichts! – Weitere Zurufe)

Der festgelegte Jahresmittelwert beim Verkehr liegt lediglich bei …

(Unruhe – Glocke)

– Danke schön. Ja, das kenne ich auch von manchen Schülern. Sie wollen nicht, weil die Wahrheit manchmal schmerzt. Aber Sie lernen noch.

Der festgelegte Jahresmittelwert beim Verkehr liegt bei 4,2 % dieses Wertes: 40 µg/cbm Luft. Dieser Grenzwert wurde laut Bundesumweltamt im Jahr 2016 an lediglich 10 % der Messstellen überschritten, Tendenz stark fallend. Der höchste gemessene Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid wurde dabei 2016 in Stuttgart gemessen – an einem Ort, der mutmaßlich wegen seiner nicht repräsentativen Extrembedingungen gewählt wurde. Doch selbst dort, wo ständig 70.000 Fahrzeuge am Tag vorbeirollen, betrug der gemessene Wert nur 82 µg/cbm Luft. Das sind schlappe 8,6 % von dem erlaubten Grenzwert an einem Industriearbeitsplatz.

Aber es wird noch besser. Es ist längst bekannt, dass die Platzierung der Messstationen ein Politikum ist. Laut EU müssen die Messstationen mindestens 25 m vom Rand verkehrsreicher Kreuzungen und höchstens 10 m vom Fahrbahnrand entfernt sein.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das stimmt überhaupt nicht!)

Was machen unsere Landesumweltämter? Sie platzieren die Messstationen übergehorsam direkt am Straßenrand. Dabei schreibt uns das niemand vor. So blöd sind die Griechen nicht. In Athen stehen die Messstationen mindestens 10 m von der Straße entfernt. Mindestens!

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das finden Sie also richtig!)

Das ist doch klar. Die möchten doch nicht, dass die EU ihnen mit ihren unsinnigen Grenzwerten kommt. Also nutzen sie den Abstand auch maximal aus.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU] – Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann sollten wir das auch so machen!)

Dabei haben die Griechen gar keine Autoindustrie; wir schon. Sehen Sie, wie völlig irre unsere Vorgehensweise ist?

(Beifall von der AfD)

Zum Glück regt sich jetzt Widerstand gegen diesen volkswirtschaftlichen Suizidversuch. In Köln hat die Handwerkskammer just angekündigt, die Messungen des Landesumweltamtes an fünf Standorten mit eigenen Messanlagen zu überprüfen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das machen wir auch so!)

Die Handwerkskammer betrachtet mindestens eine Messung unmittelbar an einem Busbahnhof als rechtswidrig. Auch die Bundesemissionsschutzverordnung sieht nämlich nicht vor, dass der Messeinlass in allernächster Nähe zur Abgasquelle angebracht wird. Da ist Ihr Gesicht übrigens in der Regel auch nicht.

Messingenieure des Karlsruhe Institute of Technology haben ihrerseits bereits in Stuttgart nachgemessen und festgestellt, dass die Stickstoffdioxidkonzentration schon in der angrenzenden Straße 60 % geringer ist als an der besonders befahrenen Messstelle Neckartor. Selbst Herr Löttgen von der CDU, ich habe es eben erwähnt, hat dies schon verstanden und die Messmethoden in Zweifel gezogen und sprach in diesem Zusammenhang von einer höchst unklaren Faktenlage. Wie gesagt: Sie lernen langsam.

Fakten, werte Grüninnen, sind das, worauf man sich als Politiker, der von nichts eine Ahnung hat, aber seinen Namen klatschen kann, dringend beziehen sollte, bevor man verheerende Entscheidungen trifft, die einer Industrienation wie Deutschland das Rückgrat brechen.

(Beifall von der AfD)

Im Übrigen gibt es bis heute keinen einzigen nachgewiesenen Todesfall durch Stickstoffdioxid.

(Inge Blask [SPD]: Was? Ach!)

Ich zitiere Professor Martin Hetzel, Chefarzt an der Stuttgarter Lungenfachklinik vom Roten Kreuz:

„Stickoxide in einer so geringen Konzentration wie in unseren Städten können keine krankmachende Wirkung haben.“

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

Dennoch behauptet das Umweltbundesamt Anfang März, dass Stickstoffdioxid im Jahr 2014 für den vorzeitigen Tod von rund 6.000 Bundesbürgern verantwortlich sei. – Ein Skandal ist das!

(Zuruf von der AfD: Fake News!)

Der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und der RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer erklärten diesen Humbug aufgrund zahlreicher Mängel völlig zu Recht zur „Unstatistik des Monats“.

(Beifall von der AfD)

Sie, werte Grüninnen, fordern von Herrn Laschet, er möge endlich Farbe bekennen, wie es in Ihrem Antrag heißt. Wann bekennen Sie endlich Farbe und geben zu, dass nicht frische Luft, sondern das Ende des Industriestandort Deutschland Ihr Ziel ist?

(Beifall von der AfD)

Jetzt machen wir uns bitte nichts vor: Auf den jetzigen Grenzwert werden weitere folgen. Ich erinnere daran, dass der Stundengrenzwert für Außenluft im Jahr 2010 noch 200 µg Stickstoffdioxid pro Kubikmeter betragen hatte. Sobald dieser Wert praktisch nirgends mehr überschritten wurde, verordnete die EU schlagartig den aktuellen Grenzwert von 40 µg. Eine wissenschaftliche Begründung für den neuen Grenzwert blieb man uns in Brüssel selbstverständlich bis heute schuldig.

In Deutschland sind schätzungsweise 1,8 Millionen Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von der Autoproduktion abhängig sind, von dem rein ideologisch geprägten Feldzug gegen die Industrie bedroht. Während alle Altparteien …

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Dr. Christian Blex (AfD): … bestenfalls Lippenbekenntnisse machen, ist die AfD die einzige Partei, die sich klar und unmissverständlich zu der Dieseltechnologie bekennt und somit unserer ganzen Autoindustrie den Rücken stärkt.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Heinen-Esser das Wort. Bitte schön.

Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Debatte heute früh, denn sie gibt mir die Möglichkeit, noch einmal den einen oder anderen Fakt in Erinnerung zu rufen.

Ich fange gleich mit der Diskussion an, die mein Vorredner begonnen hat, nämlich zur Frage der Grenzwerte. Warum sind die Grenzwerte – das ist ein Thema, das Sie wahrscheinlich auch schon oft im Landtag oder im Ausschuss beschäftig hat – am Arbeitsplatz, jedenfalls an bestimmten Industriearbeitsplätzen, tatsächlich höher als die Grenzwerte, die wir beim Verkehr haben? – Die sind deshalb höher, weil es sich hierbei um Messwerte für Menschen handelt, die tatsächlich gesund sind, die auch gleichzeitig arbeitsmedizinisch betreut werden und die nur über einen bestimmten begrenzten Zeitraum Tätigkeiten in Industriebetrieben oder im Handwerk entsprechend ausüben.

Bei den Grenzwerten, die im Verkehr gelten, geht es um Grenzwerte, die auch Menschen aushalten müssen – wie zum Beispiel Kinder, ältere Menschen, kranke Menschen –, denen höhere Werte, zu hohe Werte nicht zumutbar sind. Ich finde, man muss der Redlichkeit halber deutlich hinzufügen, dass es tatsächlich Unterschiede bei den Grenzwerten gibt und sie auch Gründe haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn ich bei den Fakten bin, möchte ich gleich zu Beginn – und darum geht es hier ja – zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen etwas sagen. – Im Grunde enthält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht wirklich Neues – das muss man klar sagen – zur Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit von Verkehrsverboten. Maßgeblich sind nach wie vor die Hinweise des Bundesverwaltungsgerichts aus seinem Urteil vom Februar 2018. Neu ist die Verpflichtung, dass eine Fortschreibung des Luftreinhalteplans bis zum 1. Januar 2019 erfolgen muss, und damit – das ist der eigentlich neue Punkt – wird erstmals ein Datum verlangt, bis wann fortgeschrieben werden muss.

Dazu kann ich direkt mitteilen, dass es auch bei den Regierungspräsidien in Planung ist, die Luftreinhaltepläne in allen Regionen, in denen schon Klageverfahren laufen, entsprechend bis zum Jahresende zu ändern.

Deshalb noch einmal ganz klar: Das Verwaltungsgericht in Aachen hat nicht verpflichtet, automatisch zum 1. Januar 2019 Verkehrsverbote zu erlassen. Die Deutsche Umwelthilfe hat sogar in diesem Verfahren ihren Eilantrag zurückgezogen, in dem sie verlangt hat, dass Verkehrsverbote zum 1. Januar ausgesprochen werden.

Also noch einmal zur Klarstellung: Bis zum 1. Januar müssen die Luftreinhaltepläne vorgelegt werden, mit denen man zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich schnellstmöglich, so heißt es, die Grenzwerte erreicht. Uns liegt die Urteilsbegründung noch nicht vor, aber das ist das, was wir aus den Presseinformationen, die uns das Verwaltungsgericht gegeben hat, bewerten können. Wir reden also hier über Luftreinhaltepläne, die schnellstmöglich die Grenzwerte erreichen lassen, und die müssen zum 1. Januar 2019 vorgelegt werden.

Meine Damen und Herren, die öffentliche Diskussion beschränkt sich fast ausschließlich auf das Thema „Dieselfahrverbote“. Ich kann noch einmal für die Landesregierung bekräftigen – aber viele Redner haben das heute schon vor mir getan –: Wir wollen keine Dieselfahrverbote. Wir wollen die Grenzwerte einhalten und diese durch viele andere, geeignete Maßnahmen erreichen und alle Potenziale tatsächlich ausschöpfen.

Es geht auch – das muss wiederholt werden – um das Vertrauen der Menschen, die sich im guten Glauben, etwas für die Umwelt und für den Klimaschutz zu tun, noch vor drei, vier oder fünf Jahren einen Diesel-Pkw gekauft haben.

Ich darf daran erinnern – Rainer Deppe hat es dankenswerterweise eben schon getan –: Wir hatten die Diskussion um CO2. Hier leistet der Diesel einen positiven Beitrag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Selbst die Bundesumweltministerin hat gesagt: Wir müssen in der jetzigen Diskussion aufpassen, nicht den Diesel zu verteufeln, der uns eben an anderer Stelle tatsächlich nutzt.

Meine Damen und Herren, es gibt die Maßnahmen des „Nationalen Forums Diesel“ und des Programms „Saubere Luft 2017–2020“. Das sind große Schritte in die richtige Richtung. Die Bundesländer haben in der Umweltministerkonferenz in der vergangenen Woche noch einmal den Bund gebeten, die Mittel zu erhöhen und über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu verstetigen. Im Moment erarbeiten 19 Kommunen in Nordrhein-Westfalen Masterpläne mit Maßnahmen, die auf dieser Basis gefördert werden.

Es gibt auch den Förderwettbewerb in NRW „KommunalerKlimaschutz.NRW“, den Sie alle kennen, und „Emissionsfreie Innenstadt“ als Thema. Daraus haben bisher Aachen und Bielefeld je 15 Millionen €, Bonn und Dortmund je 10 Millionen € bekommen. – Das alles sind Schritte, die wir schon in die richtige Richtung gegangen sind.

Meine Damen und Herren, die Hersteller sind verpflichtet, die Software der manipulierten Pkw auszutauschen. Das geschieht nicht in dem Maße – ich glaube, das können wir offen sagen –, wie wir uns das wünschen würden.

Wir haben 2,84 Millionen Fahrzeuge, die freiwillig nachgerüstet werden sollen. Im März waren davon gerade einmal 40.000 Pkw umgerüstet. Das ist eindeutig zu wenig. Und das ist auch der Punkt: Wir haben erlebt, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die Hersteller tatsächlich in die Pflicht nimmt und beispielsweise von Daimler die Umrüstung von über 200.000 Pkw verlangt hat.

Ich bin von Arndt Klocke darauf hingewiesen worden, das Thema „Nachrüstung“ zu erwähnen. Natürlich ist Nachrüstung der Optimalfall: Wir rüsten alle Euro-5-Diesel nach. In der Tat haben wir hier in Nordrhein-Westfalen die Unternehmen, die über das technische Know-how verfügen, die es einsetzen können. Dann hätten wir vielleicht auch vor den Verwaltungsgerichten bessere Karten, wenn es um die Luftreinhaltepläne geht. Das kann man ja so offen ansprechen.

Es gibt aber das rechtliche Problem, dass die Automobilhersteller zum jetzigen Zeitpunkt nicht gezwungen werden können, das tatsächlich zu tun. Ich finde, wir müssen redlich bleiben: Wir können etwas fordern und uns das auch wünschen. Das tue ich auch. Aber ich muss sehen, ob es sich tatsächlich realisieren lässt.

Der Bund ist derzeit dabei zu prüfen, ob tatsächlich rechtliche Möglichkeiten existieren. Das sieht im Moment nicht so gut aus. Ich zitiere noch einmal die Bundesumweltministerin: „Es gibt keine Möglichkeiten, sie zu zwingen.“ – Deshalb müssen wir ehrlich sein und unsere ganze Kraft darauf verwenden.

Die Nachrüstung dauert, aber unsere Luftreinhaltepläne müssen bis zum Jahresende vorliegen, damit die Jahresmittelwerte spätestens 2020 die Grenzwerte einhalten. Ich habe es schon im Interview gesagt: Dafür stehe ich als neue Umweltministerin hier in Nordrhein-Westfalen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD erteile ich dem Kollegen Löcker das Wort.

(Klaus Voussem [CDU] geht zum Redepult.)

– Für die SPD hatte ich dem Kollegen Löcker das Wort erteilt. Ist er nicht da?

(Carsten Löcker [SPD] eilt zum Redepult. – Zurufe von der SPD: Da kommt er! – Carsten Löcker [SPD]: Ich war vorbereitet, Herr Präsident!)

– Bitte schön. Denn man tau.

(Christian Dahm [SPD]: Trag mal dein Haar offen! – Heiterkeit)

Carsten Löcker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war vorbereitet, gar keine Frage. Ich war schon auf dem Weg. Jetzt ist ja wieder für Ordnung gesorgt. Deswegen ist es gut, dass Sie anwesend waren, Herr Kuper.

Meine Damen und Herren, es gehört wohl zu Ihren politischen Taschenspielertricks – so viel muss man ja sagen, Herr Deppe und auch Herr Middeldorf –, Ihre Untätigkeit uns von der Opposition hier heute Morgen in die Schuhe schieben zu wollen.

(Lachen von der CDU)

Das lassen wir Ihnen auf jeden Fall nicht durchgehen; so viel ist klar.

Es ist doch Ihr Zögern und Zaudern und das Ihrer Ministerin und Ihres Ministers, das jetzt Richter in Aachen zur Ankündigung von Fahrverboten zwingt. Wir sind doch nicht der Auslöser dieser Entwicklung. Sie lassen doch seit Monaten die Städte im Regen stehen und erzählen in der Öffentlichkeit stattdessen weiterhin die Geschichte, dass die Entwicklung noch zu stoppen sei. Darauf muss man erst einmal kommen. Aus meiner Sicht ist es völlig inakzeptabel, was Sie hier vortragen.

(Beifall von der SPD)

Ich habe die Worte des Ministerpräsidenten noch im Ohr, der gesagt hat – ich zitiere –:

„Angesichts der umfassenden Maßnahmen, …“

– Welche denn? Ich kann überhaupt keine erkennen, die bereits wirken. -

„angesichts der externen Faktoren wie Flughäfen, wie Schiffe, wie Industrieanlagen und angesichts der sinkenden Werte wären Fahrverbote unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. “

Ob diese These am Ende des Jahres noch zu halten sein wird, werden wir sehen, meine Damen und Herren. Das entscheiden nämlich nicht Sie, sondern leider die Gerichte in unserem Land.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Man muss eigentlich froh sein, dass sich die Gerichte nicht von Ihren Worthülsen haben beeindrucken lassen. Wir tun das schon lange nicht mehr, und ich glaube: die Menschen im Land auch nicht.

Indessen treibt der Beschiss der Automobilindustrie in Nordrhein-Westfalen auch seine Stilblüten.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Das Urteil aus Aachen ist eine Folge daraus. Man könnte sagen: Es ist kurz vor zwölf für Nordrhein-Westfalen.

Deshalb darf man sich wirklich fragen: Wieso lehnen Sie sich eigentlich so sehr gegen Hardwareumrüstungen auf, die in der Sache auch helfen würden, die seit zwei bis drei Jahren im Gespräch sind und am Ende im Grunde genommen nicht umgesetzt werden, weil man sich gerne mit anderen auf die Couch setzt und so tut, als sei das überhaupt kein probates Mittel? Alle Experten haben bereits in den Anhörungen darauf hingewiesen, dass Hardwareumrüstungen ein wesentliches Instrument dafür sein können, die Luft in den betroffenen Bereichen sauber zu bekommen.

Ich will einen Satz aus dem Leipziger Urteil vorlesen, gerade weil im Grundsatzurteil aus Leipzig geregelt ist, dass von einem Dieselfahrverbot nur abgesehen werden kann, wenn es andere Maßnahmen gibt, die zur Einhaltung des Grenzwertes – und jetzt kommt die Betonung – schnell und nicht erst im Jahr 2025 führen. Deshalb ist die Hardwareumrüstung zwingend, meine Damen und Herren, wenn wir all die Menschen im Land nicht im Regen stehen lassen wollen.

Dieses Fahrverbot auf einzelnen Straßen – so viel muss man sagen; das ist ja ein Anachronismus – ist lediglich eine Verlagerung von einer Straße auf die andere und bedeutet am Ende nichts anderes als Umfahrungsverkehre, längere Staus und verstopfte Innenstädte.

Sie schauen jetzt noch zu. Blickt man auf die Entscheidung, sieht man, dass es am Ende ja zum gleichen Ergebnis wie in Hamburg kommen wird. Das kann doch keiner wollen, meine Damen und Herren. Im Land versteht auch überhaupt niemand mehr, in welcher Form das hier abläuft.

Deshalb haben wir mit unserer Position schon aus dem letzten Jahr recht, dass Sie mit Vollgas in die Fahrverbote fahren werden, wenn Sie nicht endlich tätig werden. „Politische Leistungsverweigerung“ würden andere das nennen.

Ich habe bereits in einer Plenardebatte im letzten Jahr deutlich ausgeführt, wie man Fahrverbote verhindern kann. Jetzt seien Sie einmal mutig, meine Damen und Herren. Springen Sie heute Morgen und sagen hier: Ja, wir wollen uns gemeinsam, auch in Berlin, dafür verwenden, dass die Hardwareumrüstungen großflächig kommen, damit die Menschen am Ende auch noch Vertrauen in unsere Arbeit in Düsseldorf haben können.

Sie haben diese Dinge vor anderthalb Jahren abgetan und gesagt, es sei vor allen Dingen ein rechtliches Problem. Das haben Sie heute Morgen auch noch einmal vorgetragen. – Ich glaube das gar nicht. Es ist vor allen Dingen ein Versagen der Akteure in Berlin, die nicht klar erklärt haben, wohin die Reise in diesem Land gehen muss, damit die Menschen saubere Luft vor Ort bekommen.

Lassen Sie mich abschließend noch einen Experten aus der Anhörung, Axel Friedrich, zitieren. Er hat im Rahmen der Anhörung vorgetragen, dass wir zum ersten Mal seit Langem eine Chance haben, das System neu zu gestalten. Damit wollte er ausdrücken, dass man die Chance hat, in Zukunft Autos auf der Straße zu sehen, die die Abgaswerte, die sie angeblich haben sollen, auch tatsächlich einhalten. Das ist notwendig, damit das Vertrauen der Menschen wiederhergestellt wird.

Die Zeit läuft ab. Das will ich abschließend feststellen. Deshalb möchte ich noch einmal ganz pointiert und deutlich sagen …

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Na ja; Sie sind ja in der Verantwortung, nicht ich. Jetzt können Sie natürlich hämisch grinsen. Aber ich sage Ihnen zum Abschluss noch Folgendes: Hören Sie endlich auf, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU, die Automobilindustrie weiter zu pampern. Fordern Sie mit uns heute Morgen die Hardwareumrüstung,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

und zwar kostenlos, wie das hier bereits vorgetragen worden ist, damit auch klar ist, dass nicht diejenigen die Zeche bezahlen müssen, die im guten Vertrauen diese Fahrzeuge gekauft haben und sich jetzt darüber wundern, dass Sie sich hier wegducken. Das kann ja wohl nicht sein.

Deshalb ist Ihr Verbleib in der Beruhigungsallianz der Automobilschoner schon ein starkes Stück. Das kann niemand nachvollziehen. Daher hoffe ich, dass, wenn Sie schon zu spät kommen, nicht die Ministerin und der Minister darauf warten, dass auch Nordrhein-Westfalen zu spät kommt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün und Rot! Ein permanenter Hauch von Querulanz ist noch lange kein frischer Wind.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sven Wolf [SPD]: Von wem stammt denn dieses Zitat?)

Mit der von Ihnen heute zum x-ten Male angezettelten Debatte zum Thema „Dieselfahrverbote“ reiten Sie ein totes Pferd. Ihre larmoyant vorgetragenen Reden sorgen nicht für bessere Luft in unseren Städten; sie sorgen allenfalls für eine weitere Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger.

In diese Kerbe haut auch Ihr gestriger Tweet, sehr geehrter Herr Kollege Klocke. Ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin:

Drohen weiteren NRW-Städten Fahrverbote? Nach der richterlichen Entscheidung, nach der in Aachen ab 01.01.019 – so steht es da – Fahrverbote ausgesprochen werden, haben wir Grüne im Landtag für morgen, 10 Uhr, eine Aktuelle Stunde beantragt.

Fake News, meine Damen und Herren, Fake News! Sie behaupten wahrheitswidrig, dass das Verwaltungsgericht Aachen zum 1. Januar 2019 Fahrverbote verhängt habe.

(Christian Dahm [SPD]: Ja, das ist doch richtig!)

Sie haben heute die Chance verpasst, lieber Kollege Klocke, das geradezurücken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Entlarvend ist Ihr Vorgehen im Hinblick auf Ihre wahren Ziele. Fakt ist: Das Land muss bis zum 1. Januar 2019 neue Luftreinhaltepläne erstellen. Das haben die Bezirksregierungen ohnehin vor.

Ob und inwieweit das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen mit dem Aktenzeichen 6 K vom 8. Juni 2018, zu dem wir bislang ja nur die Pressemitteilung kennen, Bestand haben wird, wissen wir heute nicht. Es ist nicht rechtskräftig. Die Berufung wurde zugelassen.

Was wir aber dank der Recherche großer Zeitungen ziemlich genau wissen, ist, mit welchem Kläger wir es vorliegend zu tun haben. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bezeichnete die Deutsche Umwelthilfe im März 2017 folgendermaßen – ich zitiere ebenfalls mit Erlaubnis der Präsidentin –: „ein von Abmahnungen lebender Interessenverein“.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

In einem weiteren Artikel der „FAZ“ vom 25. Juli 2017 war zu lesen – ich zitiere weiter –:

„Das Brot-und-Butter-Geschäft sind Unterlassungserklärungen und Vertragsstrafen, die Umweltschützer sind dadurch finanziell in der Lage, Klagen gegen Landesregierungen oder Konzerne zu führen. Im Jahr 2014 nahm die Umwelthilfe mit den Verbandsklagen 2,32 Millionen Euro ein, das waren 1.265 Abmahnungen und 438 Gerichtsverfahren – insgesamt ein Drittel des Etats.“

(Zuruf von der CDU: Hört! Hört!)

Weiter heißt es dort, meine Damen und Herren:

„Eine den Grünen nahestehende Nichtregierungsorganisation, die Deutsche Umwelthilfe, klagte gegen das Land Baden-Württemberg, genauer: gegen die Umweltpolitik des Grünen-Verkehrsministers Winfried Hermann. Grund des Streits: Die Umwelthilfe fordert deutliche Nachbesserungen im Luftreinhalteplan für Stuttgart und ein generelles Diesel-Fahrverbot auch für Euro-6-Fahrzeuge. Hermann, ein linker Grüner, nennt diese Forderung ,absolut überzogen‘.“

Seit 2005 hat die Umwelthilfe gegen 16 deutsche Städte wegen des Verstoßes gegen Umweltauflagen geklagt.

Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, ein Genosse, zugleich Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen, nennt das Vorgehen dieser Organisation – ich zitiere ihn – „infam“ und „intransparent“.

Letztlich betroffen von den Klagen ist die Krankenschwester mit ihrem kleinen Diesel-Pkw. Die, Herr Genosse Stinka, haben Sie bei Ihrer Parteitagsantrittsrede eben völlig vergessen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dubiose Geldströme gehören seit Jahren zur DUH. Als der Verein für das Dosenpfand kämpfte, sponserte das Recyclingunternehmen Tomra die Kampagne mit bis zu 50.000 € jährlich. Die Norweger sind Marktführer bei Pfandautomaten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine neue Facette bekommt die Debatte in der Tat nach der Berichterstattung des „Kölner Stadt-Anzeigers“ vom 12. Juni 2018. Unter der Überschrift „Diesel-Fahrverbote sind anfechtbar“ ist dort zu lesen – ich zitiere –:

„Recherchen des ,Kölner Stadt-Anzeiger‘ haben ergeben, dass das Landesumweltamt fast alle Anlagen“

– gemeint sind die Messstellen in Köln –

„dicht am Fahrbahnrand positioniert hat, obwohl das Gesetz es zulässt, die Geräte in einem Abstand von bis zu zehn Metern aufzustellen. In anderen Ländern der Europäischen Union, …, wird der großzügige Spielraum hingegen ausgenutzt.

Die Luftqualitätsrichtlinie der EU fordere ,ausdrücklich, dass alle Ergebnisse unionsweit vergleichbar sein müssen‘, sagte der Rechtswissenschaftler Wolfgang Durner von der Universität Bonn.“

Die Zeitung kommt zu dem Schluss:

„Sollten in Köln Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verhängt werden, können deren Eigentümer juristisch dagegen vorgehen, …“

(Carsten Löcker [SPD]: Das geht doch auch immer! Das ist doch egal!)

Hierzu hat unsere Umweltministerin bereits klare Worte gefunden. Alle 128 Messstellen in NRW sollen überprüft werden. Mit der Aufgabe werden externe Gutachter betraut. Wir begrüßen dieses Vorgehen ausdrücklich.

(Beifall von der CDU)

Denn alle Messstellen müssen zu gleichen Bedingungen aufgestellt werden, um eine Vergleichbarkeit herzustellen.

Auch die Verkehrsministerkonferenz hat im April 2018 in Nürnberg zu Tagesordnungspunkt 4.2 „Luftreinhaltung“ unter b) „Valide NO2-Messungen als Grundlage für rechtssichere Luftreinhaltepläne“ die Anregung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur begrüßt, dass die Validität von Standorten von Messanlagen gemäß den europäischen Vorgaben überprüft werden soll.

Die geforderten objektiven Belastungswerte sind entscheidend für die erforderliche Rechtskonformität der Luftreinhaltepläne. Es kann ja wohl nicht sein, dass weitere Gerichtsurteile oder sogar mögliche Strafzahlungen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens auf einer nicht rechtssichereren Messergebnisbasis gründen.

Last, but not least: Selbst der Berater der Deutschen Umwelthilfe, Herr Dr. Axel Friedrich, hat im Rahmen einer Anhörung hier im Landtag am 12. April 2018 zugestanden – ich zitiere erneut, diesmal Herrn Dr. Axel Friedrich –, für ihn sei ganz klar,

„dass man auch in NRW manche Messstellen falsch aufgestellt hat. Ich kenne eine Reihe von Stationen, die nicht korrekt aufgestellt worden sind, was zum Teil daran liegt, dass man örtliche Probleme hat, keine Stromversorgung und was sonst alles.“

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Das kann doch, bitte schön, nicht so bleiben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Vielleicht ist die Häuserkante auch nicht 10 m von der Straße entfernt!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Klaus Voussem (CDU): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – So wie es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Automobilhersteller sein muss, die Eigenschaften des Pkws, die sie den Kunden zugesagt haben, sicherzustellen, geht es auch für die Politik darum, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen.

Wir müssen die 13 Millionen Dieselfahrer in diesem Land rechtlich und finanziell absichern. Das machen wir besser als mit Plaketten und Verboten. Letztere wollen wir vermeiden. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, dies mit anderen Maßnahmen zu erreichen.

(Das Ende der Redezeit wird erneut signalisiert.)

Die Devise lautet: keine Panik und keine Verbote, sondern Anreize und Maßnahmen, und zwar konkret und schnell. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Voussem. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht noch einmal Herr Kollege Klocke.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das macht die Sache leider nicht besser!)

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die erste Runde der Debatte war durchaus interessant. Ich habe auch einiges mitgenommen, was ich vorher nicht erwartet hatte, beispielsweise klare Aussagen zur Frage der Herstellerhaftung oder zur Frage der Hardwarenachrüstung vom Kollegen Middeldorf.

(Ralf Witzel [FDP]: Hat er immer getätigt!)

– Das ist positiv. Ich meine das wirklich durchaus positiv.

(Ralf Witzel [FDP]: Ist nicht neu!)

Ich muss auch sagen: Was Frau Ministerin Heinen-Esser gesagt hat, halte ich inhaltlich und substanziell für das Weitreichendste, was ich im letzten Jahr seitens des Umweltministeriums zu dieser Frage gehört habe. Das waren durchaus Aussagen, an die man anknüpfen kann und mit denen man weiterarbeiten kann.

Frau Ministerin, was Sie hinsichtlich der Rechtssicherheit von Hardwarenachrüstungen dargestellt haben, entspricht zwar der heutigen Rechtslage. Damit habe ich mich selbstverständlich auch befasst. Diese Dinge sagt auch Frau Bundesministerin Schulze. Aber natürlich sind Sie als Bundesregierung in der Lage, diese Rechtslage zu ändern.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Minister Hendrik Wüst: Ja, so wie beim Thema „Atom“! Und dann Milliarden an Schadenersatz zahlen!)

Der Auftrag an Sie wäre, das entsprechend vorzunehmen.

Herr Kollege Voussem, die Frage der Rechtssicherheit der Messstellen richtet sich natürlich auch an die Kommunen. Da stellt man sich aber doch die Frage: Wer regiert denn in Land und Bund? Wer könnte bei dieser Frage Rechtssicherheit herstellen?

(Bodo Löttgen [CDU]: Deshalb machen wir das doch gerade!)

Wie haben die Gespräche von Herrn Bundesverkehrsminister Scheuer mit der EU-Kommission ausgesehen? Wo gab es die Intervention seitens der Bundesregierung in Brüssel dahin gehend, klare Aussagen zu fordern?

(Minister Hendrik Wüst: Das ist doch Kokolores!)

Sie haben durchaus recht: Was die Positionierung der Messstellen angeht, gibt es einen Spielraum zwischen 10 m und maximal 25 m an Kreuzungen. Ich frage mich aber, was die Landesregierung und auch die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten unternommen haben, um in dieser Frage Rechtssicherheit für die Kommunen zu erreichen. Das ist doch die Frage, die sich stellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Deppe, Sie werden überrascht sein: Einige Aussagen, die Sie getroffen haben, finde ich durchaus richtig und unterstützenswert. Selbstverständlich haben Sie recht damit, dass die Umstellung des ÖPNV dauern wird. Sie wird einige Jahre brauchen. Sicherlich ist auch das löblich, was bei Ihnen im Kreis da in den letzten Jahren unternommen wurde.

Ich gebe Ihnen durchaus auch recht, dass die Verbote, die jetzt in Hamburg oder auch in Kiel ausgesprochen werden, nicht dazu führen werden, dass die Luft grundsätzlich besser wird, weil sie natürlich zu Umgehungsverkehr führen. Es werden einzelne Streckenabschnitte gesperrt. Das ist die Ausführung des Leipziger Gerichtsurteils. Es können eben nur einzelne Abschnitte gesperrt werden und keine großräumigen Fahrverbote verhängt werden. Deshalb wird die Luft auch nicht besser werden.

Gerade deswegen – da gebe ich Ihnen ja durchaus recht – ist doch die zentrale Frage, ob wir hier noch zeitnah Maßnahmen erreichen.

Herr Kollege Voussem, Sie haben meinen Tweet zitiert. Ich zitiere den Oberbürgermeister der Stadt Aachen, der am Freitag vergangener Woche in einer Pressekonferenz erklärt hat, es sei höchstwahrscheinlich, dass es zu Fahrverboten komme, weil die Maßnahmen der Stadt Aachen nicht mehr greifen würden.

(Zuruf von Klaus Voussem [CDU])

So weit liege ich mit der Einschätzung des Aachener Oberbürgermeisters, der Ihrer Partei angehört, also nicht auseinander.

Ich führe noch ein weiteres Zitat an. Es stammt ebenfalls von einem Parteifreund von Ihnen, nämlich dem neuen Vorsitzenden des Städtetags Nordrhein-Westfalen und Oberbürgermeister der Stadt Hamm, Herrn Hunsteger-Petermann. Er hat beim Städtetag in Bielefeld erklärt – ich zitiere aus einer dpa-Meldung der letzten Woche zu den Themen „Fahrverbote“, „Hardwarenachrüstung“ und „Blaue Plakette“ –:

Um einen solchen Irrsinn zu vermeiden, ist es dringend notwendig, dass die gekauften Fahrzeuge zulasten der Automobilindustrie nachgerüstet werden. Sollten sich Verbote nicht abwenden lassen, plädiere ich für die Einführung einer „Blauen Plakette“.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ach!)

So äußert sich Herr Hunsteger-Petermann, Oberbürgermeister der Stadt Hamm.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich könnte Ihnen weitere Zitate nennen, zum Beispiel von Herrn Kufen aus Essen, der auch Mitglied Ihrer Partei ist. Ähnlich formuliert es Frau Reker. Frau Reker hat mit einer schwarz-grünen Ratsmehrheit in Köln den klaren Beschluss gefasst, bei der Bundesregierung eine „Blaue Plakette“ und Hardwarenachrüstungen einzufordern.

Das sind alles Ihre Leute. Uns hier vorzuhalten, das sei auf grünem Mist gewachsen, ist schon ein ziemlich starkes Stück. Das sind Ihre Parteikollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt kommen wir noch zu der Frage, was denn in den letzten Jahren getan worden ist. – Sie knüpfen an das an – das ist ja auch die Chance der Landesregierung –, was von Rot-Grün schon auf den Weg gebracht worden ist.

Unter TOP 4 beraten wir nachher den Antrag zur Verkehrspolitik. Darin loben Sie das Programm „Emissionsfreie Innenstadt“. Das Programm „Emissionsfreie Innenstadt“ ist von Herrn Remmel mit 100 Millionen € eingeführt worden. Frau Ministerin hat eben hier vorgetragen, dass die Städte jetzt die Mittel aus dem Programm abrufen. Das sind Gelder, die von Rot-Grün im letzten Etat auf den Weg gebracht worden sind. Es ist schön, dass Sie das verkaufen können. Aber es sind Projekte, die wir vorangebracht haben.

Das Gleiche gilt für die ÖPNV-Finanzierung – Stichwort: Kieler Schlüssel. Minister Groschek hat jahrelang für eine Umstellung bei der ÖPNV-Finanzierung gekämpft, damit Nordrhein-Westfalen mehr Geld bekommt. Wir werden bis 2030 jedes Jahr Hunderte Millionen an zusätzlichen Geldern bekommen – jedenfalls letztlich. Das wächst an. Dafür haben wir massiv gekämpft. Es brauchte eine Einstimmigkeit in der Verkehrsministerkonferenz. Die rot-grüne Landesregierung hat es durchgesetzt. Der aktuelle Minister darf das Geld jetzt verteilen. Das sei ihm auch gegönnt, weil es für eine gute und richtige Sache ist.

Hier zu behaupten, Herr Middeldorf, wir hätten sieben Jahre lang geschlafen und Sie müssten das jetzt aufräumen, ist einfach unredlich. Wir diskutieren nachher einen Antrag, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Arndt Klocke (GRÜNE): … in dem Sie vier Punkte nennen, die Sie hier voranbringen wollen. Drei Punkte davon stammen aus rot-grüner Regierungszeit. Das ist wirklich Nebelkerzen-Werfen. Das ist unredlich. Dafür sollten Sie sich ein Stück schämen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Diekhoff.

Markus Diekhoff (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier! Wir diskutieren heute ja nicht zum allerersten Mal hier über dieses Thema. Trotzdem heißt es, wir müssten noch einmal darüber sprechen; denn die Landesregierung habe immer noch nicht dargestellt, wie sie das Problem der Dieselfahrverbote angehen wolle. Diese Wiederholung macht das Ganze nicht richtiger. Es bleibt falsch.

Seit Monaten beten wir Ihnen vor, was wir vorhaben und wie ein Luftreinhalteplan funktionieren kann. Gerade hat auch unsere neue Ministerin, Frau Heinen-Esser, eindrucksvoll die Problematik dargestellt und deutlich gemacht, zu welchen Punkten wir uns an dieser Stelle bekennen und was wir tun wollen. Sie ignorieren das einfach.

Herr Löcker fordert das klare Bekenntnis zu den Hardwareumrüstungen. Das haben wir immer getan. Die FDP hat sich immer zu den Hardwareumrüstungen bekannt. Herr Middeldorf hat es mehrfach hier eingebracht,

(Zuruf von der SPD: Wann war das denn?)

und zwar nicht erst heute. Herr Klocke, das haben wir immer schon gesagt.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ich habe es heute erst gehört!)

– Das ist das Problem. Sie hören nicht zu. Das hat man daran ja gesehen.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Deswegen merken Sie auch nicht, dass wir Ihnen seit Monaten vorbeten, wie es geht. Sie können ja nicht einmal die fünf Minuten zuhören zwischen der Rede der Ministerin und der Aussage der SPD, wir würden das nicht fordern.

(Beifall von der FDP und Rainer Deppe [CDU])

Ich wiederhole es also noch einmal – das wurde ja heute hier schon mehrfach gesagt; vielleicht können Sie es sich dann merken –:

Das Aachener Verwaltungsgericht hat auch in diesem Fall keine Fahrverbote direkt gefordert. Sie sind nur eine Möglichkeit, die es gibt. Die rechtlichen Hürden für diese Möglichkeit sind recht hoch. Das wurde auch dargestellt. Das Aachener Urteil betont und fordert lediglich noch einmal das, was die Landesregierung, was die NRW-Koalition und was die Bezirksregierungen seit Monaten tun, nämlich, einen vernünftigen Luftreinhalteplan in einer angemessenen Zeit aufzustellen. Und das werden wir tun. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn uns sind Klarheit und Planungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Punkt besonders wichtig.

Das gilt auch für die Messstationen, die uns Werte liefern, mit denen wir selbstverständlich umgehen müssen und auch wollen, die aber trotzdem im Zweifel gravierende Folgen haben. Es mehren sich auch die Zweifel, ob die Messstationen entsprechend den europäischen Vorgaben korrekt aufgestellt sind. Das gilt es zu überprüfen.

Es geht uns nicht darum, Messstationen an kritischen Punkten abzubauen, sondern um eine Evaluation aller Standorte, auch der Standorte, die keine Grenzwertüberschreitungen dokumentieren. Denn dazu sind wir verpflichtet, weil – und das ist das andere Problem – sich natürlich die Stimmen von Fahrzeugbesitzern mehren, die gegen die Aufstellung im Zweifel gerichtlich vorgehen wollen.

Diese weitere Rechtsunsicherheit in dem ganzen Verfahren können und wollen wir uns als NRW-Regierung und als Koalition nicht leisten.

Die Bürgerinnen und Bürger – egal, ob sie Anwohner oder Eigentümer von Fahrzeugen sind – haben einen Anspruch darauf, dass die Messstellen korrekt aufgestellt sind und korrekte Messwerte liefern.

Deshalb gilt für uns weiterhin: Die NRW-Koalition und die Landesregierung lehnen Fahrverbote auch nach dem Urteil aus Aachen ab. Wir werden keine Fahrverbote anordnen, sondern setzen auf die geeigneten Maßnahmen, die wir Ihnen seit Monaten vorbeten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Diekhoff. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grenzwerte sind in Brüssel politisch festgelegt worden und eben nicht wissenschaftlich oder nach toxikologischen Gutachten, die diese Grenzwerte begründen. Das hat Ihnen Herr Dr. Blex bereits klar dargelegt.

Das gilt auch für die Grenzwerte im Straßenverkehr, liebe grüne Ministerin Heinen-Esser. Auch dazu gibt es nicht ein einziges wissenschaftliches Gutachten, das belegt, ob 40 richtig ist, ob 500 richtig ist oder ob 200 richtig ist. Sie sollten vielleicht einmal mit Herrn Löttgen darüber reden. Er hat das Problem schon verstanden.

(Beifall von Helmut Seifen [AfD])

Trotzdem haben Ihre Kollegen im EU-Parlament die Grenzwerte durchgewunken – die politischen Grenzwerte. Am Ende werden wieder unsere Bürger die Zeche für Ihre Entscheidungen zahlen müssen, allen voran die Eigentümer der Dieselfahrzeuge. Viele leiden schon jetzt, weil ihr Auto nicht mehr so viel wert ist und sie nichts mehr für das alte Auto bekommen, wenn sie einmal ein neues Auto kaufen wollen.

Der Weggang vom Diesel ist ohnehin eine absolute Blödelei. Denn das wäre auch eine absolute Ressourcenverschwendung. Allein die 13 Millionen privaten Pkw in Deutschland sparen 5 Millionen Tonnen Treibstoff jährlich.

Diese Debatte wird hier zudem völlig ohne Vernunft geführt. Bei über 90 % der Messstationen in Deutschland werden selbst die politisch gesetzten Grenzwerte eingehalten.

Die Fahrzeuge erfüllten zudem beim Bau sämtliche gesetzlichen Bedingungen – abgesehen von der Schummelsoftware.

Eine Nachrüstung zulasten der Autobauer wäre demnach auch juristisch gar nicht durchsetzbar. Das geht an die Adresse der Grünen und der SPD, die das ja beide fordern. Das, was Sie fordern, ist schlichtweg eine industriefeindliche Träumerei.

Zum Beispiel lassen sich Fahrverbote über die „Blaue Plakette“, die Sie beide fordern, im Falle einer Einführung überhaupt gar nicht kontrollieren. Aktuell wird hinsichtlich der „Grünen Plakette“ nur der ruhende Verkehr kontrolliert, und der fließende Verkehr kann ungehindert weiterfahren. Oder wollen Sie demnächst wie im Mittelalter Schlagbäume aufstellen, um die Leute beim Passieren der Stadtgrenze zu kontrollieren?

Fahrverbote sind Gift für die Taxiunternehmen, die überwiegend Diesel fahren. Fahrverbote sind Gift für unsere Handwerker, die nicht mehr in die Städte hineinfahren können. Fahrverbote sind Gift für unsere Pendler, für die Malocher, die das Geld verdienen, das wir Abgeordnete bekommen.

(Beifall von der AfD)

Was sind Ihre Antworten darauf, liebe Abgeordnete? Etwa mehr StreetScooter wie bei der Post? Schauen wir einmal 106 Jahre zurück. Bereits 1912 stellte die Firma Bergmann aus Berlin einen elektrisch angetriebenen Zwei-Tonnen-Elektrolaster her, der insbesondere von der Deutschen Reichspost genutzt wurde. Zuladung und Reichweite waren ähnlich wie beim heutigen StreetScooter. Es handelt sich also um eine Technik von vor 106 Jahren.

Sie kommen jetzt mit dieser rückwärtsgewandten Technik aus der Schublade und wollen uns damit überzeugen. Haben Sie bei der Post einmal nach dem Erfolg gefragt? Vorgestern kam die Meldung, dass der Hersteller, eine Tochterfirma der Deutschen Post, im letzten Jahr damit 70 Millionen € Verlust gemacht hat.

Ich habe aber gehört, liebe Parteien des letzten Jahrtausends, dass Ihnen Recht und Gesetz ohnehin nicht immer so wichtig erscheinen. So war es auch Ihre Kanzlerin, die mit einer mündlichen Anweisung unsere Grenzkontrollen aushebelte und damit hunderttausendfach Recht und Gesetz brach. Warum bitten wir nicht einfach Ihre Kanzlerin um einen Zwischenerlass, der die Grenzwerte außer Kraft setzt? Wir könnten einfach einmal die EU ignorieren. Die Polizei müsste dann keine Kontrollen durchführen, und jeder Diesel würde einfach durchgewunken. Ich sehe schon Verkäufer von T-Shirts mit tollen Aufdrucken wie „Kein Diesel ist illegal“, „Diesel Welcome“ oder „Verschrottung ist unmenschlich“.

(Beifall von der AfD – Norwich Rüße [GRÜNE]: Wie blöd!)

Wie sieht es denn generell mit der Einhaltung des europäischen Rechts aus? Die Italiener erpressen uns aktuell beim Euro, und die Maastrichter Kriterien halten zum Beispiel bei der Verschuldung allein zwölf von 19 Ländern aus dem Euroraum nicht ein. All diesen Ländern sind die Regeln in der EU egal, und sie setzen ihre Interessen einfach durch.

Aber wenn es um eine der wichtigsten Branchen in Deutschland geht, nämlich die Automobilindustrie, schafft es die deutsche Regierung – allen voran Ihre Kanzlerin – nicht, darauf zu pochen, dass diese Grenzwerte endlich auf wissenschaftlich fundierter Basis festgelegt werden. Das ist ein wahres Armutszeugnis für das politische Verständnis Deutschlands und die diplomatischen Fähigkeiten Ihrer Kanzlerin.

Wir sollten in der EU eigentlich selbstbewusst auftreten.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Sie wollen doch austreten!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Christian Loose (AfD): Aus der EU austreten können wir auch gerne, Herr Klocke. – Wir sollten nicht nur Zahlmeister sein, sondern auch jemand, der die Interessen des eigenen deutschen Volkes wahrnehmen kann. Wir stehen hier für unser deutsches Volk. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Loose für die AfD-Fraktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1, der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf:

2   Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2749

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der CDU Herr Kollege Hagemeier das Wort.

Daniel Hagemeier (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Die 17. Wahlperiode im Landtag Nordrhein-Westfalen ist gerade ein Jahr alt, und wir debattieren heute zum wiederholten Male über das Thema „Antisemitismus“. Leider gibt es dafür genügend Anlässe.

Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere demokratische, weltoffene und tolerante Gesellschaft, den wir nicht dulden können und nicht dulden werden. Antisemitismus ist ein Angriff auf die Menschen jüdischen Glaubens, die zu Nordrhein-Westfalen und Deutschland dazugehören.

Deshalb liegt dem Parlament heute ein Antrag aller demokratischen Fraktionen vor, dessen wichtigste Forderung zugleich die Überschrift ist: Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er kann und darf nicht allein staatliche Aufgabe oder gar Aufgabe der hier in Nordrhein-Westfalen lebenden Menschen jüdischen Glaubens sein. Auch die Politik muss deutlich machen, dass in unseren Reihen für antisemitische Ansichten kein Platz ist.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Zur Unterstützung der Aufgabe, auf Antisemitismus hinzuweisen, vor ihm zu warnen und sichtbar gegen ihn einzutreten, brauchen wir einen Beauftragten. Vor dem Hintergrund der Shoah und der Ermordung von über 6 Millionen Juden im Dritten Reich deutschlandweit tragen auch wir in Nordrhein-Westfalen eine besondere Verantwortung dafür, dass Antisemitismus in unserem Land nicht immer weiter wachsen darf. Das sind wir Deutschen unserer Geschichte und unserer Verantwortung für ein gutes Zusammenleben aller Menschen schuldig.

Sehr geehrte Damen und Herren, in vielen Städten und Gemeinden weisen Stolpersteine die Bürgerinnen und Bürger auf das hin, was einst geschehen ist und was nie wieder geschehen darf. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der Antisemitismus wieder in unsere Gesellschaft einschleicht.

Im September 2017 nahm die Bundesregierung eine einheitliche Definition des Begriffs Antisemitismus an. Die Definition wurde auf Basis von Arbeiten der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken, IHRA, erarbeitet.

Antisemitismus ist demnach eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.

Die Definition soll aus Sicht der Bundesregierung auch im Schulunterricht oder in der Ausbildung von Berufen in der Justiz oder im Polizeidienst verwendet werden. Entscheidend dabei ist auch, vor allem bei der jüngeren Generation das Bewusstsein zu schärfen. Es darf nicht passieren, dass junge Menschen bei uns die Schule verlassen und über das Thema „Antisemitismus“ kein einziges Wort oder wenn, dann nur am Rande, gehört haben. In Nordrhein-Westfalen darf es nie wieder Antisemitismus geben – nirgendwo und von niemandem.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wir schlagen heute konkrete Punkte vor, um die Maßnahmen gegen den Antisemitismus zu verstärken. Wir wollen zeitnah einen Beauftragten einsetzen. Er soll unter anderem präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung koordinieren und Ansprechpartner für Opfer von antisemitischen Taten sein.

Die Schule ist dabei ein zentraler Präventionsort. Die Demokratiebildung, das Demokratieverständnis generell und das Bewusstsein dafür, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, sollte in jeder Schule gelebt werden. Ich wiederhole einige Sätze aus meiner Rede im Plenum im Dezember 2017. Damals sagte ich:

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt für alle hier lebenden Menschen gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie hier geboren wurden oder zu uns gekommen sind. Es darf hier nichts verharmlost und verschwiegen werden. … Der Holocaust hat die deutsche Geschichte in ein Davor und ein Danach geteilt.

Meine Damen und Herren, wir dürfen niemals vergessen, dass wir im Danach leben. Wir verdanken es jüdischen Überlebenden, die sich nach 1945 entschieden haben, in Deutschland zu bleiben, dass heute wieder rund 27.000 Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen mitten unter uns leben. Es darf nie wieder ein Davor und ein Danach geben.

Nachdem der Bund einen Antisemitismusbeauftragten eingesetzt hat, ist es nur folgerichtig, dass wir auch auf nordrhein-westfälischer Ebene eine solche Instanz schaffen. Bildung ist Ländersache, und vieles, was für die Antisemitismusbekämpfung wichtig ist, liegt maßgeblich in den Kompetenzen der Länder – allen voran Bildung, Erziehung und Sicherheit.

Verehrte Abgeordnete, lassen Sie mich abschließend feststellen: Antisemitismus ist ein Thema, bei dem wir als Politik mit der Gesellschaft ebenso wie Bund und Land gemeinsam handeln müssen. Daher werbe ich für den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen und wiederhole die in meiner Rede zuerst genannte Forderung, die zugleich das Fazit ist: Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hagemeier. – Bevor ich Frau Kollegin Müller-Witt für die SPD-Fraktion das Wort erteile, möchte ich, wie es guter Brauch ist, besondere Gäste begrüßen, die gerade auf der Tribüne Platz genommen haben und über deren Kommen wir uns wirklich ausgesprochen freuen. Es sind nämlich Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden und der Landesverbände hier.

Ich begrüße namentlich für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein Frau Leah Floh, Herrn Ran Ronen und Herrn Michael Rubinstein. Für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe begrüße ich dessen Geschäftsführerin, Frau Ruth Prinz. Für die Synagogengemeinde Köln heiße ich Herrn Abraham Lehrer und Herrn Dr. Schotland willkommen.

Für den Landesverband Progressiver Jüdischer Gemeinden in Nordrhein-Westfalen – wir nennen ihn auch den liberalen Landesverband – ist die Vorsitzende Frau Khariakova heute Morgen zu uns gekommen. Außerdem begrüße ich den Geschäftsführer des Jüdischen Nationalfonds Deutschlands KKL, Herrn Paul Jurecky.

Seien Sie uns herzlich willkommen! Ihr Kommen zeigt auch die tiefe Freundschaft, die der Landtag von Nordrhein-Westfalen seit jeher zu den jüdischen Landesverbänden pflegt. Wir wissen, dass Sie genau diese Debatte mit sehr großer Aufmerksamkeit verfolgen und deren Inhalt auch in die jüdischen Verbände und Gemeinden weitertragen werden. Herzlich willkommen im Namen des Landtags von Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Jetzt hat für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Müller-Witt das Wort.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Parlamentsdebatten, von denen wünscht man sich, sie wären nicht nötig. Eine solche Debatte ist die heutige Debatte zum Antrag auf Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten.

73 Jahre nach dem Ende der Shoah gaben sich viele Menschen in unserem Land der Illusion hin, dass der Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen – in Deutschland – keinen Nährboden mehr findet. Aber das war ein Irrtum – vielleicht weil wir uns bei der Befassung mit der Shoah und ihren Ursachen am Kern des Antisemitismus glaubten.

Dabei hätte eine nähere Betrachtung der unheilvollen Geschichte des Antisemitismus zeigen müssen, dass menschenverachtendes Verhalten gegenüber Menschen jüdischen Glaubens leider bereits seit Jahrhunderten in unterschiedlichster Ausprägung und Motivation in Europa und darüber hinaus immer wieder in Erscheinung tritt. Theodor Adorno beschreibt den Antisemitismus wie folgt – Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –:

„Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden. Er ist immer falsch und unwahr. Der Antisemit formt sich sein Weltbild so, wie es ihm passt – und lässt sich dabei von Fakten, Wahrheit oder Realität nicht irritieren. Antisemiten glauben ihr Weltbild nicht, obwohl, sondern weil es falsch ist – es dient ihren emotionalen, höchst aggressiven Bedürfnissen.“

Gerade deshalb war und ist es bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht allein mit der Aufarbeitung und der Aufklärung über den Holocaust getan.

Nein, hier gilt es, dem verabscheuungswürdigen Phänomen tiefer nachzugehen, vermehrt Handlungsempfehlungen zu entwickeln und Prozesse in Gang zu setzen. Erste Versuche wurden mit den Berichten der unabhängigen Expertenkreise „Antisemitismus“ im Auftrag des Bundes in den Jahren 2012 und 2017 veröffentlicht.

Aber hinter dieser durchaus notwendigen sachlichen Analyse stehen die Schicksale von Menschen, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind. Wenn wir uns die erschreckende Zunahme antisemitischer Äußerungen, körperlicher Angriffe und Straftaten ansehen, dann stellen wir fest: Da sind immer Menschen betroffen, die das Recht auf unsere Solidarität haben – Menschen, die in ihrer Würde verletzt werden, in der freien Ausübung ihrer Religion zunehmend Einschränkungen erfahren, die eines besonderen Schutzes unserer Gemeinschaft vor Übergriffen bedürfen.

Das sind zum Beispiel Kinder, die nur mit besonderem Schutz zum Kindergarten oder zur Schule gebracht werden können oder Menschen, die beim Besuch des Gotteshauses, der Synagoge, ein Kordon als Schutz passieren müssen. Sie haben vielfach den Eindruck gewonnen, dass sie sich nicht mehr ohne Weiteres frei in der Öffentlichkeit bewegen können.

Im öffentlichen Raum erfahren sie vielfältige Formen des Antisemitismus, von Mobbing über Anfeindungen bis hin zu strafbaren Handlungen. Anscheinend subkutan hat sich der Antisemitismus wieder in unserer Gesellschaft ausgebreitet. Anders lässt sich das Mobbing auf deutschen Schulhöfen gegen Mitschüler jüdischen Glaubens nicht erklären. Das darf nicht weiter gelebte Normalität sein.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die Entwicklung des zunehmenden Antisemitismus hat schleichend – von der Öffentlichkeit leider weitgehend unbemerkt – eingesetzt. Deshalb wird auch gerne der kurzsichtige Trugschluss gezogen – absichtlich oder unbewusst –, dass das Anwachsen des Antisemitismus allein mit der Fluchtbewegung aus muslimischen Ländern nach Europa zusammenhängen würde. Dies wäre für manche sicherlich eine bequeme Erklärung, und ein neues Feindbild wäre geschaffen.

Dagegen stellt zu dieser vermeintlich jüngsten Entwicklung eines verstärkten Antisemitismus der Politologe und Antisemitismusforscher Professor Salzborn fest – ich zitiere, Frau Präsidentin –:

„Diese Entwicklung zeichnet sich aber bereits seit zehn Jahren ab. Antisemitismus ist in Europa zunehmend sichtbar und aggressiver geworden. Das hat mit den sozialen Medien zu tun.“

Ich füge hinzu: unter anderem.

„Der antisemitische Leserbrief, der vor 30 Jahren vielleicht noch im Mülleimer der Redaktion landete und nicht gedruckt wurde, erscheint heute im Internet und in den Online-Kommentarspalten vieler großer Zeitungen. Wer sich früher mit antisemitischen Positionen noch eher isoliert fühlte, findet heute auch in den sozialen Netzwerken Bestätigung. Das ist im Zusammenhang mit dem Antisemitismus im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich, weil es nicht nur bestärkt, sondern auch mobilisiert.“

„Antisemitismus ist eine Einstellung, in der Diskriminierung, Gewalt und Vernichtung im Denken angelegt sind. Das Radikalisierungspotenzial ist immer da. Wer sich im Internet bestärkt, setzt das auch später in irgendeiner Form um: in Witzen, Beschimpfungen, Ausgrenzungen von Menschen oder tatsächlichen Gewalttaten.“

 – Zitat Ende.

Das ist eine weitere von zahlreichen durchaus vielschichtigen Ursachen für den wachsenden Antisemitismus in unserem Land. Auch deshalb ist davor zu warnen, es sich allzu leicht zu machen und den muslimischen Zuwanderern oder gar der Politik des Staates Israel die Schuld am wachsenden Antisemitismus zu geben. Damit wäre die Schuldfrage zwar mal wieder auf Dritte abgeladen; aber es würde hier überhaupt nichts ändern.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Aus diesem Grund wollen wir mit dem heute vorliegenden Antrag einerseits an der Vielzahl von Ursachen von Antisemitismus ansetzen, andererseits soll durch das Einsetzen eines Antisemitismusbeauftragen durch das Land zum Ausdruck gebracht werden, dass dieses Parlament, diese Landesregierung sich dem Ernst der Lage bewusst ist und die Bekämpfung des Antisemitismus als einen gemeinsamen Auftrag verstehen. Antisemitismus ist keine Frage der Haltung; er ist eine Schande, die in unserer Wertegemeinschaft keinen Platz haben darf.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Es ist also ein gesellschaftliches Bündnis gegen Antisemitismus zu schließen. Dabei sind alle Bereiche des täglichen Lebens mit einzubeziehen, angefangen bei den Schulen. Hier bedarf es einer Sensibilisierung der Lehrerinnen und Lehrer, um antisemitische Tendenzen frühzeitig zu erkennen.

Untersuchungen zeigen auch, dass die Schulbildung in mehrfacher Weise zu einer Reduktion von Vorurteilen im Allgemeinen und zu einer judenfeindlichen Einstellungen im Besonderen beitragen kann. So stellt auch der zweite Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus aus dem Jahre 2017 fest – ich zitiere –:

„Längere und bessere Schulbildung führt zudem zu einer stärkeren normativen Sozialisierung, das heißt, zur Übernahme der zentralen Werte der demokratischen politischen Kultur, zu denen auch die Toleranz gegenüber anderen ethnischen Gruppen gehört. Mit längerer Schulbildung steigt auch die Möglichkeit, demokratische Spielregeln wie Debatten, Kompromisse auszuhandeln und Vertreterinnen und Vertreter zu wählen, einzuüben.“

– Zitat Ende.

Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Einüben von demokratischen Regeln im Schulalltag und die Unterstützung durch die Einrichtung der politischen Bildung präventiven Charakter haben kann.

Es geht um Respekt vor der anderen Religion, nicht um Toleranz. Es geht um Respekt. Dabei können die zahlreichen Mahn- und Gedenkorte in unserem Land als bleibende steinerne Zeugen der dunkelsten Zeit der Geschichte unseres Landes durchaus Denkanstöße für Gesprächsrunden bieten, was angesichts der sinkenden Zahl von Zeitzeugen zunehmend unverzichtbar wird.

Politische Bildung darf aber nicht am Schultor enden, sondern muss weit darüber hinaus in die Gesellschaft wirken. Dabei ist die enge Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden und Landesverbänden unverzichtbar, um auch die Träger der politischen Bildung für latenten Antisemitismus im Alltag zu sensibilisieren.

Die Aufgabe des Landesantisemitismusbeauftragten hat also einerseits koordinativen Charakter, andererseits aber auch die eines verlässlichen Ansprechpartners für jüdische Gemeinden und Opfer von antisemitischen Anfeindungen und Taten.

Außerdem könnte er die längst überfällige Dunkelfeldstudie veranlassen und dadurch zur besseren Dokumentierung des tatsächlichen Ausmaßes des aktuellen Antisemitismus beitragen.

Ich komme zum Schluss. 73 Jahre nach dem Ende der Shoah sind wir glücklich, dass es in Nordrhein-Westfalen wieder jüdisches Leben und jüdische Gemeinden gibt. Es ist unser Selbstverständnis, dass Angriffe – welcher Art auch immer – auf unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Angriffe auf unsere demokratische Gesellschaft, auf uns alle sind. Deswegen stimmen wir heute fraktionsübergreifend für die Schaffung eines nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht lange her, da wurden israelische Flaggen vor dem Brandenburger Tor verbrannt. Immer wieder erreichen uns Schilderungen über Anfeindungen und Angriffe gegen jüdische Gemeinden und ihre Mitglieder.

In den vergangenen zwei Jahren wurden in Nordrhein-Westfalen 537 antisemitische Straftaten registriert, in 2017 waren es bundesweit 1.453 Straftaten. Liebe Frau Kollegin Müller-Witt, da bin ich mit Ihnen ganz d’accord: Auch ich würde mir wünschen, dass wir diese Debatte nicht führen müssten. Die Zahlen jedoch, die ich gerade genannt habe, machen bereits deutlich, dass wir uns in diesem Parlament, in unserer Gesellschaft immer wieder aufs Neue damit auseinandersetzen müssen.

Diese Übergriffe machen betroffen, traurig, und – ich gebe unumwunden zu – sie machen mich manchmal auch wütend. 73 Jahre nach der Beendigung des nationalsozialistischen Terrorregimes, 73 Jahre nach dem Holocaust finden offensichtlich die Ewiggestrigen aller Generationen mit kruden Verschwörungstheorien, menschenverachtendem Rassismus, mit völkischer Hetze und Vorurteilen und eben auch mit Antisemitismus leider immer noch Gefolge. Ein großer Teil der antisemitischen Übergriffe ist rechtsextrem motiviert; sie aber alleine einem bestimmten Milieu zuzuschreiben, griffe zu kurz.

Es ist wichtig, nicht zwischen linker, rechter oder religiöser – welcher Religion auch immer – Motivation zu unterscheiden. Der Antisemitismus spielt in unserem Land 73 Jahre nach der Shoah bedauerlicherweise immer noch eine Rolle. Wir müssen beobachten, dass zurzeit die Tabugrenzen Schritt für Schritt, Stück für Stück verschoben werden.

Dass jüdische Einrichtungen überwacht und geschützt werden, ist seit Jahrzehnten in unserem Land leider notwendig. Dass aber trotz aller politischen und historischen Bildung das Wort „Jude“ als Schimpfwort, als Drohung, als Angriff – auch an unseren Schulen – ausgesprochen wird, das muss uns alarmieren. Und wenn dann Künstler auch bei aller Kunstfreiheit für Songs mit antisemitischen Texten noch mit dem „Echo“ ausgezeichnet werden, verdeutlicht das, dass hier eine Grenzverschiebung stattfindet.

Wir haben die Verantwortung – gerade aus unserer Geschichte heraus –, in der Bevölkerung Toleranz, Aufgeschlossenheit und Respekt gegenüber anderen Religionen und Kulturen zu gründen und zu festigen. In dieser Verantwortung sind wir verpflichtet, dem Antisemitismus entschieden entgegenzutreten. Alle Religionen haben in unserem Land ihren Platz. Der Wertekanon unseres Grundgesetzes hebt keine über die andere.

Unser Grundgesetz schützt die bürgerlichen Freiheitsrechte, und dazu gehört auch die Religionsfreiheit. Unser Grundgesetz und die Geschichte, auf der das Grundgesetz entwickelt wurde, gebieten es, Hetzern und Spaltern einer freien, toleranten, weltoffenen Gesellschaft Einhalt zu gebieten.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Glücklicherweise verfügt Nordrhein-Westfalen heutzutage wieder über ein lebendiges jüdisches Gemeinwesen. Wir wollen, dass das auch so bleibt – ohne Angst, ohne Übergriffe, ohne Anfeindung. Mit diesem Antrag erklären wir uns solidarisch mit der jüdischen Gemeinschaft in unserer Heimat.

Um das Thema „Antisemitismus“ in der Öffentlichkeit präsent zu machen, wollen wir einen Antisemitismusbeauftragten berufen. Er oder sie soll insbesondere das zivilgesellschaftliche, das ehrenamtliche Engagement gegen Antisemitismus unterstützen und fördern; denn der Kampf gegen Antisemitismus erfordert das mutige und couragierte Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Alltag.

Gleichzeitig ist es wichtig, die Erinnerungskultur in unserem Land zu stärken. Die Gräueltaten der Vergangenheit dürfen nicht vergessen werden. Sie dürfen auch nicht relativiert werden. Dies gilt auch dann, wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt, die aus erster Hand über die NS-Zeit und die Shoah berichten können. Jeder, der die Möglichkeit hatte, mit Zeitzeugen zu reden, weiß, wie wichtig es für das Verständnis ist, wie und trotz dieser Gräueltaten ein Überleben, ein Weiterleben, ein Entstehen von Neuem und die Versöhnung möglich wurden.

Schulveranstaltungen, der Besuch von Gedenkstätten – all das ist notwendig, um diese Erinnerungskultur lebendig zu halten und den heutigen Formen des Antisemitismus entgegenzutreten. Antisemitismus darf in Nordrhein-Westfalen keinen Platz haben. Aus diesem Grunde bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war letzte Woche beim grünen Kinoabend meines Kollegen Arndt Klocke, der den Film „Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“ gezeigt hat. In dem Film geht es um vier junge jüdische Menschen, die der Shoah entkommen sind, indem sie sich unter sehr widrigen Umständen in Berlin versteckt haben.

Ich kann den Film allen, die ihn noch nicht gesehen haben, nur sehr empfehlen. Denn dieser Film regt sehr zum Nachdenken an und wirft die Frage auf: Wie hätte ich mich eigentlich als Teil der Mehrheitsgesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus gegenüber verfolgten Minderheiten verhalten?

In der anschließenden Diskussion stand eine ältere Dame auf – selbst Jüdin – und wies darauf hin, dass aus ihrer Sicht jüdisches Leben viel zu oft nur auf die Zeit von 1933 bis1945 verkürzt würde, aber die reichhaltige deutsch-jüdische Geschichte vor 1933 in Vergessenheit gerate. Ich glaube, da ist etwas dran.

Ich darf sicher auch für uns alle hier im Haus sagen, dass wir als Demokratinnen und Demokraten froh darüber sind, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen gibt. Es gibt jüdische Institutionen, von der Kita bis zum Altenheim; es gibt ein jüdisches Gymnasium hier in Düsseldorf. Jüdische Menschen gehören ganz selbstverständlich zu unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Meine Vorrednerinnen haben sich schon ähnlich geäußert, und auch ich würde mich freuen, wenn wir im Jahr 2018 nicht einen solchen Antrag bräuchten und wir nicht darüber nachdenken müssten, einen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen. Die traurige Realität ist jedoch, dass Jüdinnen und Juden zum Ziel von antisemitischen Angriffen und von Alltagsdiskriminierung werden. Der Antisemitismus ist in der Mitte unserer Gesellschaft verankert.

Es gibt historische Kontinuitäten des Antisemitismus. Es gibt Neonazis, es gibt neurechte Strömungen, die die Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten verharmlosen und eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordern. Es gibt einen israelbezogenen Antisemitismus, auch in linken Kreisen, der Kritik an der Politik Israels übt und diese Kritik pauschal gegen alle Jüdinnen und Juden wendet und diese für israelisches Regierungshandeln verantwortlich macht. Israelbezogen ist auch der Antisemitismus bei Menschen mit palästinensischem oder arabischem Hintergrund, der insbesondere dann, wenn sich die Situation im Nahostkonflikt wieder zuspitzt, neu entflammt.

Eines muss uns klar sein, nämlich dass wir gegen jede Spielart dieses Antisemitismus, egal aus welcher politischen Motivation er stammt, gemeinsam vorgehen müssen und ihn niemals tolerieren dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aus meiner Sicht muss die oder der Antisemitismusbeauftragte Ansprechpartner sein für die vielen und unterschiedlichen Facetten: für die jüdischen Gemeinden zur Unterstützung des vielfältigen jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen, vor allem aber für die Betroffenen antisemitischer Diskriminierung sowie für die vielen Institutionen und Behörden, die sich gegen Antisemitismus wenden.

Die oder der Antisemitismusbeauftragte soll die Maßnahmen gegen Antisemitismus bündeln und koordinieren. Damit es auch etwas zu bündeln und zu koordinieren gibt, dürfen wir nicht bei der Einrichtung dieser Stelle stehenbleiben, sondern wir brauchen Maßnahmen gegen Antisemitismus in vielen verschiedenen Bereichen. Ich will kurz drei Bereiche ansprechen.

Erstens: die Erfassung der Straftaten. Letztes Jahr wurden 324 antisemitische Straftaten in Nordrhein-Westfalen von der Polizei erfasst. Das ist ein Anstieg von 9 % gegenüber dem Vorjahr. Dieser Anstieg ist erschreckend. Aber wir wissen auch, dass das Dunkelfeld wahrscheinlich sehr viel höher ist, weil nicht alle Straftaten zur Anzeige gebracht werden und weil angezeigte Straftaten nicht immer in der Statistik auftauchen.

Deshalb ist aus meiner Sicht eine Dunkelfeldstudie unerlässlich, die genau das aufarbeitet, die das wahre Ausmaß von Antisemitismus und auch die politischen Hintergründe für die Taten aufzeigt, damit es möglich ist, konkret Maßnahmen zu entwickeln und dagegen vorzugehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Zweitens: der Bereich „Schule“. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder von furchtbaren antisemitischen Vorfällen auf Schulhöfen lesen müssen. Das ist nicht hinnehmbar. Es sind vor allem die Lehrerinnen und Lehrer, die sehr konkret damit konfrontiert werden und mit diesen Situationen umgehen müssen.

Daher ist es aus meiner Sicht wichtig – das ist die Aufgabe des Schulministeriums –, Handlungsempfehlungen für Lehrerinnen und Lehrer, für pädagogische Fachkräfte in der Schule und in der Jugendarbeit zu entwickeln, um dort mit Antisemitismus und Diskriminierung ganz konkret umgehen zu können.

Ich möchte mich Frau Müller-Witt anschließen. Wir sollten nicht den Fehler machen, immer nur über Antisemitismus bei Kindern und Jugendlichen zu reden. Denn wir wissen auch aus der Einstellungsforschung, dass Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen gerade in der älteren Bevölkerung stärker vertreten sind als bei Jugendlichen. Also müssen wir alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen ansprechen, wenn wir in der Bekämpfung des Antisemitismus erfolgreich sein wollen.

Drittens: die Frage, wie wir Betroffene unterstützen können. Im vergangenen Herbst wurde die Antidiskriminierungsstelle Sabra der jüdischen Gemeinde Düsseldorf eröffnet. Das ist eine Antidiskriminierungsstelle, die vom Land gefördert wird. Solche Angebote sind enorm wichtig, weil sie Betroffene von Antisemitismus, Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung unterstützen, beraten und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind, sondern dass sie von dieser Gesellschaft unterstützt werden.

Mir ist im Gespräch mit Sabra eines deutlich geworden: Die Mitarbeiterinnen dieser Beratungsstelle sagen selbst, dass die Antidiskriminierungsarbeit insgesamt eine wichtige Bedeutung hat. Das ist der Punkt. Wir wissen aus der Einstellungsforschung, dass menschenverachtende Einstellungen sich bedingen; dass jemand, der homophob ist, eher dazu neigt, auch antisemitisch zu sein; dass jemand, der rassistisch ist, eher dazu neigt, auch islamfeindlich zu sein.

Deshalb muss uns natürlich die Bekämpfung des Antisemitismus am Herzen liegen – und sie liegt uns am Herzen.

Wir müssen aber darüber hinausgehen. Wir werden Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn wir sie alle in den Blick nehmen und die Bekämpfung angehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus meiner Sicht muss sich eine demokratische Gesellschaft immer auch daran messen lassen, wie sie mit den Minderheiten in unserer Gesellschaft umgeht. Jeder Angriff auf einen Menschen aufgrund seiner Religion, Herkunft, Sexualität ist ein Angriff auf diese demokratische Gesellschaft. Das dürfen und werden wir als Demokratinnen und Demokraten nicht hinnehmen.

Für mich ist die Einrichtung dieser Stelle ein wichtiger Schritt, den wir heute gemeinsam gehen. Ich bin froh, dass wir gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Antrag stellen.

Es ist ein erster Schritt. Ich fordere Sie auf – das schaffen wir zusammen auch –, gemeinsam weitere Schritte auf dem Weg gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu gehen, damit wir den Kampf erfolgreich führen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Wagner.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch nie habe ich verstanden, warum man etwas gegen Juden haben kann, nur weil sie Juden sind. Immer dachte ich: Das ist so dumm, so grenzenlos dumm. – Es erschließt sich mir einfach nicht. Man könnte es mit dem Verweis auf die Dummheit mancher Menschen bewenden lassen – das wäre tröstlich –, aber leider wissen wir nur zu gut, dass aus dieser Dummheit grausame und unvorstellbare Verbrechen erwachsen sind.

Es ist daher prinzipiell richtig, dass wir heute gemeinsam beschließen, einen Antisemitismusbeauftragten zu bestellen.

Leider – das empfinde ich bei diesem für uns Deutsche so wichtigen Thema als besonders beschämend – konnten Sie von den alten Fraktionen noch nicht einmal bei diesem Antrag von Ihren parteipolitischen Spielchen lassen. Wieder einmal wurden die 626.000 Wähler der AfD ausgegrenzt, wo es doch um ein starkes und gemeinsames Handeln gehen muss. Wollen Sie keine Gesellschaft, in der wir alle zusammen für die Sicherheit von Juden einstehen? Oder ist Ihnen einfach der Ernst des Themas nicht eingängig? Sicher ist jedenfalls, dass Sie sich vor der Verantwortung drücken und die AfD als Ihr schlechtes Gewissen deswegen unterdrücken.

So verwundert es mittlerweile kaum noch, wie Sie in der Antragsbegründung den Elefanten im Raum nicht sehen, nicht sehen wollen. Warum wohl kommen Sie im Jahre drei des von Ihnen gewollten Staatsversagens auf die Idee: „Wir benötigen einen Antisemitismusbeauftragten“? – Sie wissen es, wir wissen es, jeder im Land weiß es: Sie haben teils naiv, teils bewusst eine Unzahl von Judenfeinden ins Land geholt – so viele, dass wir nun einen Beauftragten nötig haben.

Frau Freimuth, Sie sagen, dass viele antisemitische Straftaten rechtsextrem motiviert sind. – Das mag einesteils stimmen. Anderenteils verweise ich auf den Bericht des Onlinemagazins „NRW.direkt“. Dort wird berichtet vom Besuch der Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen WerteUnion bei der Jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach.

Gerade diese Jüdische Gemeinde in Mönchengladbach hat sich vehement gegen den Einsatz der Polizeilichen Kriminalstatistik rechts im Zusammenhang mit judenfeindlichen Straftaten ausgesprochen, weil – so sagen sie –: Jeder Hitlergruß, der auf einer „Free-Gaza-Demonstration“ gezeigt wird, wird in die Kategorie politische Straftat rechts eingeordnet, obwohl sie da gar nichts zu suchen hat. Jede Hakenkreuzschmiererei – und sei sie auf das Auto eines AfD-Mitglieds geschmiert, wie kürzlich in Lippe passiert – wird in die PKS-rechts eingestuft, obwohl das gar nichts damit zu tun hat. Jede Hackenkreuzschmiererei auf eine Synagoge – egal, wie sie motiviert war – wird in die PKS-rechts eingestuft, obwohl sie da nicht unbedingt hingehört.

Natürlich möchte ich nicht verhehlen, dass es auch einen deutschen Antisemitismus gibt. Es gibt ihn von links, von rechts und aus der Mitte – sei er religiös motiviert oder verschwörungstheoretisch. All das gibt es. All das ist klar zu verurteilen und strikt zu bekämpfen.

Ich frage Sie aber: Warum müssen wir uns davon noch mehr ins Land holen? Reichen Ihnen ein paar Neonazis und linke Israelfeinde nicht? – Mir persönlich reichen die völlig. Ich brauche nicht noch zusätzlich massenhaft unkontrollierte Kippa-Wegschläger, Juden-ins-Gas-Brüller und andere Judenhasser, die nicht hierher gehören. Ich sage Ihnen: Die Mehrheit der Deutschen braucht das nicht – und die Mehrheit der jüdischen Deutschen erst recht nicht.

Lassen Sie uns gemeinsam jüdisches Leben in Deutschland verteidigen. Doktern wir nicht nur an den Symptomen herum und ernennen symbolisch Beauftragte, sondern ändern wir endlich die Politik, die dafür sorgt, dass sich Juden bei uns nicht mehr sicher fühlen.

Nicht nur in Gesprächen mit jüdischen AfD-Mitgliedern und -Kandidaten, sondern auch in Gesprächen mit Juden in Deutschland, von denen ich oft nicht einmal weiß, ob und wen sie wählen, höre ich immer wieder die Sorge davor, wie es für sie in Deutschland weitergehen kann.

Ich habe vor einigen Wochen in den Fluren des Landtages mit einem jüdischen Funktionär gesprochen, der eine Kippa trägt, und ihn gefragt: Tragen Sie die Kippa auch in der Öffentlichkeit, wenn Sie durch die Stadt gehen? Er hat mir geantwortet – ein stattlicher Mann –: Ich habe mein Leben lang meine Kippa in der Öffentlichkeit getragen, auch wenn ich durch die Stadt gegangen bin. Ich sage Ihnen aber: Seit einigen Monaten tue ich das nicht mehr. Es ist mir zu gefährlich geworden.

Gerade auch diesen Menschen verspreche ich: Wir sind an eurer Seite. Wir werden den heimischen Antisemitismus entschieden bekämpfen.

Was den durch die alten Parteien massenhaft importierten Antisemitismus angeht, sage ich: Importierte Antisemiten haben hier nichts zu suchen. Wenn sie überhaupt jemals ein legales Gastrecht hatten – spätestens damit haben sie es verwirkt. Ich sage: raus mit ihnen, und zwar schnell. Wir wollen endlich wieder ein sicheres Land sein – auch und gerade für Juden aus aller Welt und für jüdische Deutsche. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Fraktionsvorsitzender Wagner, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Die pauschale Verhetzung von Gruppen von Menschen, die Sie offensichtlich meinen, ohne sie zu benennen, halte ich wirklich für unerträglich.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Ich rüge das nicht förmlich. Ich lasse mich auch nicht auf eine Debatte ein. Das ist hier nicht meine Arbeit. Sie debattieren hier vor mir, und ich habe die Sitzung zu leiten.

(Zuruf von der AfD)

Sie sollten schwer überlegen, ob Sie das noch einmal so sagen, denn sonst müssen wir das möglicherweise doch mit härteren Maßnahmen belegen.

(Markus Wagner [AfD]: Ich habe das gesagt, was die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach gesagt hat!)

Ich rüge das nicht förmlich. Ich erhebe hier nur den Anspruch, das Hohe Haus …

(Markus Wagner [AfD]: Dann müssen Sie das tun! Ich habe nur das gesagt, was die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach selbst kritisiert hat!)

– Herr Wagner, Sie sollten mir nicht widersprechen; dazu haben Sie nicht das Recht. Dem sitzungsleitenden Präsidenten wird nicht widersprochen – auch nicht von Ihnen.

(Starker Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Ich widerspreche Ihnen hier sehr wohl!)

Ich gebe Ihnen als Fraktionsvorsitzendem nur den guten Rat, die Passage, die Sie eben gebracht haben, hier nicht zu wiederholen, sonst müssen Sie sich darauf einstellen, dass wir das demnächst in anderer Form sanktionieren. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.

(Markus Wagner [AfD]: Dann kennen Sie das Gesetz nicht! Ich habe nur gesagt, was die Jüdische Gemeinde selbst kritisiert hat und was auch Sie in Ihrem Antrag thematisiert haben!)

Bei allem Recht auf die freie Rede: Hier wird nicht gegen einzelne Gruppen gehetzt!

(Starker Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Bitter genug, das in einem deutschen Parlament aussprechen zu müssen.

Als Nächster spricht für die Landesregierung Minister Dr. Stamp in Vertretung von Ministerpräsident Laschet.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben gemeinsam den Antrag „Nordrhein-Westfalen braucht einen Antisemitismusbeauftragten“ eingebracht. Wir als Landesregierung sind sehr dankbar dafür, dass sich eine so große Mehrheit im Landtag darauf verständigt hat, bei diesem wichtigen Thema gemeinsam zu handeln.

Die zunehmende Berichterstattung über antisemitische Vorfälle – auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen – erfüllt auch die Landesregierung mit Besorgnis. Es ist höchst alarmierend, wenn Josef Schuster sagt, dass Juden in Deutschland zwar nicht auf gepackten Koffern säßen, aber – ich zitiere ihn –: Der eine oder andere schaut schon mal nach, wo er die Koffer hingestellt hat. – „Süddeutsche Zeitung“ vom 6. März 2018.

Es muss deshalb ganz klar sein: Jeder Angriff, jede Beleidigung, jede antisemitische Tat, jede brennende israelische Fahne ist ein Angriff auf uns alle, eine Beleidung für uns alle, und dagegen wehren wir uns alle gemeinsam und mit großer Konsequenz. Es muss in diesem Land möglich sein, ohne Furcht eine Kippa zu tragen, genauso, wie es auch möglich sein muss, ein Kopftuch oder ein Kreuz zu tragen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Die meisten antisemitischen Übergriffe gehen auf das Konto rechter Kräfte; auch dies muss an dieser Stelle gesagt werden. Die These, der Antisemitismus sei eingewandert, ist vorgeschoben, denn er war immer da und ist auch 70 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland latent vorhanden.

Synagogen werden nicht erst seit 2015 polizeilich geschützt, aber mit der Migration ist auch Antisemitismus in anderer Form hinzugekommen, der geprägt ist durch Gesellschaften, die mit Israel im Konflikt stehen und in denen Antisemitismus weit verbreitet ist. Dies erfüllt auch die Landesregierung mit Besorgnis.

Wir können dankbar dafür sein, dass in Nordrhein-Westfalen mit rund 27.000 Menschen jüdischen Glaubens sogar die größte jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik beheimatet ist. Es ist der Landesregierung ein wichtiges Anliegen, das jüdische Gemeindeleben zu schützen und zu fördern. Die Landesregierung wird Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden und wo nötig auch mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegentreten.

Aufgrund aktueller antisemitischer Vorfälle in Berlin, Nordrhein-Westfalen und an anderen Orten hat das Ministerium für Schule und Bildung mit Schul-Mail vom 8. Mai 2018 alle Schulen in Nordrhein-Westfalen, Bezirksregierungen, Schulämter der Kreise und kreisfreien Städte sowie die kommunalen Spitzenverbände unterstützend dazu aufgefordert, Antisemitismus entschieden entgegenzutreten und antisemitische Straftaten bei der Polizei anzuzeigen. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für körperliche Angriffe. Auch antisemitische Äußerungen erfüllen in vielen Fällen den Straftatbestand der Volksverhetzung, der Nötigung oder der Beleidigung.

Die Zielsetzung der Landesregierung ist klar: Auch und gerade in der Schule soll jeder Umgang miteinander frei von jeder Art von Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – wie neuem Antisemitismus oder Islamophobie – sein. Wegschauen ist immer falsch!

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Es liegt in der Verantwortung der gesamten Schulgemeinschaft, deutlich zu machen, dass sie keine Form von Diskriminierung und Rassismus duldet.

Rechtsstaatliche Mittel sind aber in diesem Bereich die Mittel der letzten Wahl. Wir müssen uns verstärkt dafür einsetzen, dass es erst gar nicht so weit kommt. Die Bekämpfung antijüdischer Polemik und Gewalt muss überfall verankert werden. Dazu gehören viele verschiedene Maßnahmen, sei es in den Bereichen Schule und Bildung, Integration oder auch Erinnerungskultur, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Fraktionen von CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben die Landesregierung aufgefordert, das Amt eines Antisemitismusbeauftragten zeitnah einzurichten, der all diese und weitere präventive Maßnahmen koordinieren könnte.

Auf Bundesebene und in einigen Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und – nach Ankündigung – auch in Hessen wurden mittlerweile Antisemitismusbeauftragte eingerichtet bzw. werden auf den Weg gebracht.

Vertreter der Jüdischen Gemeinschaft in Nordrhein-Westfalen haben Vertreter der Landesregierung und auch den Ministerpräsidenten persönlich darum gebeten, über die Einrichtung eines solchen Amtes auch in unserem Land nachzudenken.

Ich habe es schon gesagt: Die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ist der gesamten Landesregierung ein besonders wichtiges Anliegen. Daher wird die Landesregierung prüfen, wie das Amt eines Antisemitismusbeauftragten zeitnah realisiert werden kann, und ich freue mich, dass all jene mit Anstand in diesem Hause das gemeinsam vertreten werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Es spricht nun für die CDU-Fraktion Herr Dr. Nacke.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie wieder sollten sich Juden – Zitat – auf dem blutgetränkten deutschen Boden – Zitat Ende – ansiedeln – so der Jüdische Weltkongress im Juli 1948. Im August 1950 stellte die Jewish Agency, die Interessenorganisation der in Israel und Palästina lebenden Juden, das Ultimatum, dass alle noch in Deutschland lebenden Juden innerhalb von sechs Wochen ihre Koffer packen sollten.

Meine Damen und Herren, es ist ein Wunder, dass es nach 1945 und nach dem deutschen Versuch der Vernichtung aller Juden heute wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt und dass das zarte Pflänzchen neue Blüten trägt. Die vielfach neu eingewanderten jüdischen Mitbürger aus der ehemaligen Sowjetunion und zunehmend auch aus Israel bieten mit all ihren kulturellen Kontexten gute Anknüpfungspunkte auch für die reiche Geschichte des Judentums in Deutschland und des deutschen Judentums. Dafür bin ich sehr dankbar.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist für unser Gemeinwesen und unsere demokratische Gesellschaft eine Schande, dass bis heute jüdische Institutionen Polizeischutz brauchen und sich das in Schulen, Synagogen und Gemeindezentren abspielende jüdische Leben nur unter Polizeischutz entfalten kann.

Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf Menschen, die als Juden erkennbar sind, sowie auf jüdische Symbole. Orte jüdischen Lebens werden missbraucht, mit menschenverachtenden Parolen beschmiert. Friedhöfe werden geschändet, und in der politischen Kommunikation werden mit Andeutungen nationalsozialistischen Vokabulars die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte heraufbeschworen.

Leider ist Antisemitismus immer wieder und aktuell häufiger gesellschaftliche Realität – egal ob religiös, rassistisch, politisch oder antizionistisch konnotiert oder rechts- oder linksradial ideologisch untermauert.

Als demokratisches Gemeinwesen werden wir dies nicht zulassen. Wir stellen uns als Bundesland Nordrhein-Westfalen gegen jegliche gruppenbezogene Diskriminierung und Ausgrenzung. Stereotypisierungen, Vorurteile und Ressentiments widersprechen unserer demokratischen und weltoffenen Kultur und gehören geächtet.

Wir ziehen heute mit dem Bund und den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gleich und schaffen durch den gemeinsamen Antrag der demokratischen Parteien dieses Hauses die neue Landesinstitution eines Antisemitismusbeauftragten.

Das Wort „Antisemitismusbeauftragter“ ist ein etwas schwieriger Begriff. Gerne möchte ich einem Missverständnis vorbeugen. Wenn wir heute die Landesregierung beauftragen, einen Antisemitismusbeauftragten zu ernennen, bedeutet das nicht, dass wir als Parlament das Thema wegdelegieren, um dann zur Tagesordnung zurückzukehren. Im Gegenteil, es geht darum, das Thema „Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ in besonderer Weise hervorzuheben und unsere Bereitschaft zu zeigen, uns immer wieder öffentlich mit seinen Gefährdungen zu konfrontieren. Dies tun wir, weil es zu unserer deutschen Verantwortung gehört und Teil deutscher Staatsraison ist.

Für unsere politische Kultur ist es darüber hinaus ein Gewinn, wenn wir die Sichtbarkeit der Normalität jüdischen Lebens als Teil der nordrhein-westfälischen Gesellschaft steigern. Deswegen geht es beim Thema „Antisemitismus“ auch nicht allein um die Verfolgung von Straftaten und um aktuelle Sicherheitsgefährdungen unserer jüdischen Landsleute im polizeilich-innenpolitischen Sinne. In meinen Augen hat der Antisemitismusbeauftragte auch einen kulturpolitischen Akzent.

Ich wünsche mir, dass das Profil des zukünftigen Antisemitismusbeauftragten vor allem auch geprägt ist von der Pflege eines besonderen Verantwortungsbewusstseins aufgrund unserer Geschichte und einer entsprechenden Erinnerungskultur, von Aktivitäten im Bereich politischer Bildung in Schule und Erwachsenenbildung und insbesondere von persönlichen Kontakten.

Direkte Kommunikation ist zentral. Es gilt, weniger übereinander als vielmehr miteinander zu reden. Wir wollen die Perspektiven der jüdischen Mitbürger direkt einbeziehen. Zeitzeugen und die Frage, wie man ihre Erfahrungen in geeigneten Formaten für die nachgeborenen Generationen begreifbar macht, sind dabei sicher wichtig.

Wir müssen aber auch unsere aktuellen Zeitgenossen berücksichtigen und ihre Lebenssituation, Hoffnungen und Ängste thematisieren. In diesem Sinne habe ich mich über die Aktionswoche „Von Schabbat zu Schabbat – Gemeinsam gegen Antisemitismus“ des CDU-Bundesvorstands gefreut. Hier wurde jüdisches Leben in Deutschland ganz konkret durch Besuche und Gespräche vor Ort, durch Kommunikation unter Anwesenden, durch Medienberichtserstattung sichtbar gemacht. Es wurden Solidaritätsbekundungen zum Ausdruck gebracht und das Zeichen gesetzt, dass Antisemitismus bei uns auf entschlossenen Widerstand trifft.

Auf Antisemitismus reagieren wir strafrechtlich durch einen starken Staat und mit einer klaren Antwort aus der Mitte der Gesellschaft.

Die „Jüdische Allgemeine“ vom 14. Juni berichtet über den Besuch unseres Sozialministers Karl-Josef Laumann in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorfs und beschreibt das Gespräch als eindrucksvolle Geste, und dies nicht zuletzt, weil der Minister als aufmerksamer Zuhörer gekommen sei, sich für das konkrete Lebensgefühl vor Ort interessiere und klar Stellung bezogen habe.

Der Zeitungsbericht endet mit dem Zitat des Verwaltungsdirektors der Jüdischen Gemeinde:

„Es bestärkt uns darin, dass wir von der Politik nicht alleingelassen werden und dass der Kampf gegen Antisemitismus wirklich breite Akzeptanz findet.“

Meine Damen und Herren, das ist Kompliment und Anspruch zugleich – auch für die hoffentlich bald beginnende Arbeit des neuen Antisemitismusbeauftragten Nordrhein-Westfalens und für unsere Arbeit hier im Landtag. Wir wollen der Normalität jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen Sichtbarkeit verleihen. Wir dulden keine Angriffe und Ausgrenzungen. Wir sind dankbar für und stolz auf jüdisches Leben unter uns. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Nacke. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir brauchen jetzt heute im Jahr 2018 einen Antisemitismusbeauftragten, 73 Jahre nach Beendigung des schrecklichen Massenmordes an den Juden Europas, 85 Jahre nach Beginn der Nazi-Herrschaft in diesem Lande, mit der die Hetze und Ausgrenzung von Juden ihren schändlichen Höhepunkt erreichten und im Holocaust endeten.

Trotzdem hielt es nach 1949 niemand für nötig, Antisemitismusbeauftragte zu ernennen, obwohl der Antisemitismus in der damaligen Gesellschaft, übrigens auch in Ihren Parteien, weit verbreitet war.

Aber 73 Jahre nach dem Ende des Schreckens ist es nun soweit, dass Sie einen Antisemitismusbeauftragten benötigen. Da stehen wir nun entsetzt da, und Sie versuchen, Ihre Hauptverantwortung für die Zunahme antisemitischer Straftaten zu verschleiern, indem Sie sich als Speerspitze im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus gerieren.

Aber Ihre Blindheit und Duldsamkeit denjenigen gegenüber, die den lauten Antisemitismus in unserem Land wieder neu aufleben lassen, ist evident und macht Sie mitverantwortlich, auch wenn Sie davon nichts wissen wollen und nur allgemein von extremistischen Kräften sprechen und gerne auch die AfD dazuzählen.

Für diese elendige Verleumdung einer demokratischen Partei sind Sie sich nicht zu schade. Aber wegen Herrn Gauland oder wegen Frau Weidel hat noch kein einziger Jude Deutschland verlassen müssen oder verlassen. Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, dass Deutschland zurzeit mit demselben Phänomen zu kämpfen hat, das in Frankreich und in Schweden zu beobachten ist.

Nur Heuchler oder Ignoranten können verschweigen, dass dies auch mit der massenhaften Zuwanderung aus dem arabisch-palästinensischen Raum zu tun hat. Denn wenn man genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass sich die jetzt zu beobachtende Feindseligkeit gegen Juden im Grunde genommen ja nicht aus den herkömmlichen Quellen des Antisemitismus speist, sondern sie sind der Ausdruck eines tiefen Hasses gegenüber Juden. Und dieser Hass ist anerzogen und durch eine entsprechende Sozialisation gebildet in einer politischen Situation, wie sich im Nahen Osten zeigt, und befeuert durch eine systematische Hasspropaganda unter anderem auch in den dortigen Schulen, aber auch hier bei einigen Jugendgruppen.

Diese falsche Toleranz gegenüber Hass, der aus dem Nahen Osten über Menschen zu uns getragen wird, ist eine der Hauptursachen für die Ausbreitung dieses lauten Judenhasses, wie wir ihn jetzt wieder auf deutschen Straßen erleben. Und wenn er diesen stillen Antisemitismus, den wir weiter in unserem Lande haben, begleitet, ist das umso schlimmer. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Gödecke für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Carina Gödecke (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen! Ich habe hier schon oft an diesem Pult gestanden und zu unseren jüdischen Freundinnen und Freunden, meinen jüdischen Freundinnen und Freunden, aus dem ganzen Land gesprochen. Das ist mir oft nicht leichtgefallen, weil es in der Tat um Vergangenheit ging. Manchmal habe ich hier gestanden und mich gefragt: Bin ich eigentlich berechtigt, in dieser Weise zu reden, wie ich rede?

Aber heute bin ich unendlich froh und dankbar, dass ich hier als Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen stehen darf, die Debatte verfolgt habe und zu Ihnen und zu meinen, unseren Freunden reden darf. Denn ich bin entsetzt, was auch in unserem Parlament gesagt werden kann und gesagt wird.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich will den Gedanken des Stolpersteins aufgreifen. Ich wünsche mir, dass diese Debatte, dieser Antrag, den wir gleich mit vier Fraktionen beschließen werden, ein Stolperstein für uns im Parlament, für uns in der Politik wird und bleibt.

(Zuruf von der AfD)

Denn was ist der Sinn eines Stolpersteins? – Der Sinn eines Stolpersteins ist doch, sich zu erinnern, nicht zu vergessen, immer wieder einmal innezuhalten und das, was wir heute in großer demokratischer Einheit beschließen, immer in uns zu tragen. Der Sinn eines Stolpersteins ist dann, dass wir, wenn wir wieder einmal in der Alltagsroutine nachlässig werden, wenn wir über Dinge etwas leichter hinweggehen, weil vielleicht die Zeiten oder die Alltagsdebatten andere sind, dann darüber stolpern, erneut innehalten und sagen: Ja, lasst uns wachsam sein, lasst uns aus dem Tritt geraten, wenn es notwendig ist.

Ich finde, wir sind eben in diesem Parlament durch zwei Redebeiträge der AfD so aus dem Tritt geraten, dass das, was gesagt wurde, wahrscheinlich entlarvender und hoffentlich auch nachhaltiger ist, als die beiden Redner geahnt haben. Oder aber Sie haben es beabsichtigt.

Ich frage mich: Wie verblendet muss man eigentlich sein, wenn man wie Herr Wagner und erst recht wie Herr Seifen, der ja für die zweite Runde seinen Redebeitrag vorbereitet hat, die heutige Debatte, den heutigen Antrag instrumentalisiert, um die eigenen Thesen und Aussagen zur Flüchtlingspolitik wieder und wieder in diesem Landtag fälschlicherweise zu wiederholen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Herr Wagner, es gibt nicht auch einen deutschen Antisemitismus

(Markus Wagner [AfD]: Gibt es nur!)

– das haben doch die Rednerinnen und Redner vor mir deutlich gemacht –, es gibt zuerst und seit Jahrhunderten einen deutschen Antisemitismus. Die Rednerinnen und Redner vor mir haben auch sehr differenziert argumentiert. Deshalb ist das, was Sie getan haben, nicht das, was man in einer solchen Debatte erwarten darf und erwarten muss.

Ich sage es sehr klar: In meinen Augen schüren Sie damit die Fremdenfeindlichkeit, und Sie spalten.

Wie anders dagegen äußern sich und handeln unsere jüdischen und unsere muslimischen Freunde in Düsseldorf. Erst vor wenigen Tagen hat es eine ganzseitige Anzeige in der „Rheinischen Post“ gegeben. Sie wendet sich „An die Düsseldorfer und die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger“ und beginnt mit „Salam, shalom und guten Tag!“ Diese ganzseitige Anzeige endet mit einem sehr eindrucksvollen Aufruf, mit einem Bekenntnis. Ich zitiere gerne dieses Bekenntnis. Da heißt es:

Wir fühlen uns wohl in diesem Land und sind Teil der Stadtgesellschaft in Düsseldorf. Das multireligiöse Leben in unserer Stadt ist eine Bereicherung und ein Segen für uns alle. Existenzielle Fragen nach dem Wie können häufig durch die Naturwissenschaft beantwortet werden. Die Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Warum ist eine höchst sensible und persönliche Angelegenheit. Hierbei muss jeder seine persönliche eigene Wahrheit oder Antwort finden. Religion kann hierbei helfen. Es ist aber auch zu akzeptieren, wenn keiner Religion gefolgt wird. Wichtig ist der respektvolle Umgang miteinander, und dazu sollten wir alle auch unsere Kinder erziehen.

So weit unsere jüdischen Freunde. –

Das ist gelebtes Verständnis. Das ist gelebtes Miteinander. Das ist das, was wir brauchen, wenn wir respektvoll miteinander umgehen wollen.

Ich will einen zweiten Gedanken zum Abschluss dieser Debatte in den Mittelpunkt stellen: Schweigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ein Zeichen von Weisheit sein; eben gerade, weil Schweigen manchmal so laut hörbar ist, so vernehmbar eine Botschaft deutlich macht. Aber es gibt Situationen, nicht nur in der Politik, sondern ganz generell, in denen Schweigen das genaue Gegenteil ist. Schweigen hilft mit, Grenzen zu verschieben. Schweigen kann zudem auch stillschweigende Zustimmung bedeuten. Deshalb ist es so wichtig, immer dann, wenn es notwendig ist, das Schweigen zu brechen.

Mit diesem Antrag tun wir das. Wir sagen sehr deutlich: Es gibt eine Verantwortung der Politik, und die besteht nicht nur darin, sich zu bekennen, sondern es gibt eine Verantwortung der Politik, und die besteht darin, zu handeln. Ein erster und ein weiterer Schritt in den Maßnahmen, die wir alle miteinander schon gemeinsam verabredet haben, ist, jetzt, heute und hier den Antisemitismusbeauftragten zu beschließen; denn es ist unser gemeinsames Problem, dass Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland immer noch verbreitet ist.

Ich will einen allerletzten Gedanken aussprechen, weil mich das einfach umtreibt. Ich verstehe nicht, wie man sich morgens um 9 Uhr im Raum der Stille aufhalten kann und ein Lied singt mit dem Text „Wo Menschen sich verbinden, den Hass überwinden und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns“ und sich dann hier hinstellt und einen solchen Redebeitrag hält. Das ist bigott.

(Anhaltender Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gödecke. – Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von der AfD-Fraktion. Es spricht der Fraktionsvorsitzende, Herr Wagner. Bitte schön, Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Frau Gödecke, Sie haben eben in Ihrer Rede betont, das Schweigen müsse gebrochen werden. – Genau das tun wir. Das Schweigen, das beredte Schweigen Ihres Antrags durchbrechen wir, indem wir darauf hinweisen, was in den jüdischen Gemeinden … Wenn Sie den Bericht über die jüdische Gemeinde in Mönchengladbach auch einmal gelesen hätten, dann wüssten Sie das. Dieses Schweigen brechen wir, indem wir darauf hinweisen, dass ein starkes Indiz für das starke Ansteigen des Antisemitismus in Deutschland eben die Tatsache der Zuwanderung von Millionen Menschen aus einem Kulturraum ist, die dort antijüdisch und antisemitisch sozialisiert werden.

Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen, dass antisemitische Zuwanderer, Herr Keymis – und nicht: Zuwanderer sind antisemitisch –, …

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, ich muss darauf hinweisen, dass Sie eine Kurzintervention auf die Rede von Frau Gödecke angemeldet haben und nicht mich ansprechen.

Markus Wagner (AfD): … also diejenigen Zuwanderer, die antisemitisch sind, in diesem Land nichts verloren haben.

Und diese selbstverständliche Erkenntnis könnten Sie teilen, wenn es Ihnen wirklich um die Sache gehen würde. Das tut es nämlich nicht. Es geht Ihnen anscheinend nicht wirklich um die Sache, sondern um die reine Instrumentalisierung der Judenfeindlichkeit in Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Gödecke, Sie haben 1:30 Minuten zur Antwort.

Carina Gödecke (SPD): Ich denke, die brauche ich nicht.

Herr Wagner, wenn Sie mich kennen würden, wenn Sie ein bisschen das verfolgt hätten, was ich in den letzten Jahren und Jahrzehnten getan habe, und wenn Sie ein bisschen hingeschaut hätten, dann wüssten Sie, dass das, was Sie eben behauptet haben, in keiner Weise stimmt. Dann wüssten Sie auch, dass Sie mich mit dieser Kurzintervention weder persönlich noch politisch diskreditieren können.

Wenn Sie mir unterstellen wollten, ich würde nicht mit unseren jüdischen Freunden reden, und ich wüsste nicht, was in den jüdischen Gemeinden los ist

(Markus Wagner [AfD]: Ganz offensichtlich nicht!)

– nein, nein –, dann fragen Sie sie selbst. Ich meine, in dieser Debatte ist von denen, die wirklich etwas zu sagen hatten, alles gesagt worden. Ich freue mich wirklich darauf, dass wir als deutlich sichtbares Zeichen jetzt gemeinsam diesen Antrag verabschieden werden. Und wer nichts zu sagen hat, hat das laut genug getan. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Gödecke. – Frau Freimuth hatte sich zu Wort gemeldet.

(Angela Freimuth [FDP]: Die Kollegin hat alles gesagt!)

– Sie ziehen also Ihre Wortmeldung zurück. Als nächster Redner spricht jetzt Herr Minister Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Gödecke, ich möchte mich im Namen der Landesregierung ausdrücklich bedanken, dass Sie das klargestellt haben. Ich hätte selber auf die Initiative der Muslime und der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf hinweisen wollen, die sich hier gegen Islamophobie und Antisemitismus zusammengeschlossen haben.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Man ist hier in Düsseldorf schon viel weiter. Man feiert sogar Karneval gemeinsam. Und dass Sie nicht einmal den Anstand haben, einmal zu schweigen als ein Vertreter einer Partei,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

die das Zeitalter der Shoah als „Vogelschiss“ bezeichnet hat, ist so erbärmlich,

(Anhaltender Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

das ist nicht mehr zu fassen.

(Lebhafte Zurufe von Markus Wagner [AfD])

Ich freue mich, dass wir hier gemeinsam diesen Antrag beschließen werden, und ich denke, der Charakter der verschiedenen Fraktionen hat sich auch in dieser Debatte gezeigt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Die Heuchler sitzen ja da drüben!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Stamp. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2749. Wer stimmt diesem Antrag zu? – CDU, FDP, SPD und Grüne stimmen zu, ebenso die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2749 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

3   154 Wirtschaftsprofessoren warnen: Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2763

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt für die AfD-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aktuell feuert Italien die Debatte um die Stabilität des Euro erneut an. Nicht von ungefähr warnen jetzt 154 Wirtschaftsprofessoren davor, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen.

Es wird Sie nicht wundern: Die AfD unterstützt die Anliegen der Experten.

Die auch in der Berliner Koalitionsvereinbarung erwähnten Vorschläge des französischen Präsidenten Macron und des EU-Kommissionschefs Juncker, die Ministerpräsident Laschet ja bejubelt, bergen extrem hohe Risiken für unsere Volkswirtschaft.

Geplant ist zum Beispiel, dass der europäische Stabilitätsmechanismus ESM als Rückversicherung für die Sanierung von Banken eingesetzt wird. – Meine Damen und Herren, damit ist für Banken und Aufsichtsbehörden der Anreiz, faule Kredite zu bereinigen, doch völlig dahin. Das geht zulasten des Wachstums und der Finanzstabilität.

Dann soll der ESM noch als Europäischer Währungsfond EWF in EU-Recht überführt werden. So gerät er unter den Einfluss von Ländern, die der Eurozone gar nicht angehören. Und schlimmer: Länder sollen bei dringlichen Entscheidungen des EWF das Vetorecht verlieren. Unsere Schuldner sollen also überstimmen können.

Das ist eine fantastische Idee – nur nicht für uns. Der Deutsche Bundestag soll dabei sein Kontrollrecht verlieren. Das wäre fatal.

Die Wirtschaftsprofessoren warnen auch davor, die Einlagensicherung für Bankguthaben zu vergemeinschaften. Wir können doch nicht unsere Sparer für die Fehler der anderen bezahlen lassen. Dass das der Wunsch der Südländer ist, kann ich noch nachvollziehen, aber die Zustimmung der Eurofantasten hierzulande nun wirklich nicht.

(Beifall von der AfD)

Viel Fantasie benötigen Sie auch für TARGET2-Salden. „Die Unwucht im Euro-System erreicht einen neuen Rekordwert“, meldet die „WeLT“ gestern.

Die Notenbanken aus Italien, Spanien oder Frankreich schulden der Bundesbank fast eine Billion € – so viel wie nie zuvor, Tendenz weiter steigend. Eine Sicherheit für dieses Geld gibt es nicht. Allein Italien steht mit 465 Milliarden € in der Kreide. Die Verbindlichkeiten der Italiener sind im Mai so stark gewachsen wie seit der Euroschuldenkrise nicht mehr: um fast 40 Milliarden €. Und, wie gesagt: Eine Sicherheit für das Geld gibt es nicht. Mein Kollege Christian Loose wird darauf gleich noch näher eingehen.

Dann gibt es noch die Forderung nach einem EU-Finanzminister, die Herrn Laschet ja ganz selig macht – so selig, dass Sie ernsthaft den Währungskommissar, also einen Mann, der nie gewählt worden ist, zum EU-Finanzminister machen wollen.

Bayerns Ministerpräsident Söder ist da schon näher an der Realität. Er lehnt einen EU-Finanzminister rundweg ab und sieht in den Plänen zu Recht einen tiefen Eingriff in das parlamentarische Selbstverständnis der Mitgliedstaaten. Im „SPIEGEL“ sagt der CSU-Politiker:

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brüssel entscheidet, wie wir … unseren Haushalt aufstellen.“

Ich füge hinzu: Ich will mir das auch gar nicht vorstellen.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren, die Professoren schreiben in ihrem Aufruf ganz richtig – ich zitiere –:

„Das Haftungsprinzip ist ein Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Die Haftungsunion unterminiert das Wachstum und gefährdet den Wohlstand in ganz Europa. Dies zeigt sich bereits jetzt in einem sinkenden Lohnniveau für immer mehr, meist junge Menschen. Deshalb fordern wir …, sich auf die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen.“

Ich kann Sie nur bitten, die mahnenden Worte der Experten ernst zu nehmen.

Wir als AfD lieben Europa. Genau deshalb sagen wir nein zu einer Haftungs- und Transferunion.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Wagner. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist die Aufgabe von Politik in schwierigen Zeiten? – Die Aufgabe besteht darin, für die Probleme und Herausforderungen sinnvolle und angemessene Lösungen zu finden und diese dann in Entscheidungen umzusetzen.

Dies ist auch eine Aufgabe für uns im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der stellen wir uns. Wir stellen uns ihr übrigens genauso wie die Kolleginnen und Kollegen der Union in Berlin. Das gilt auch gerade für die zukünftige Finanzverfassung in Europa.

So haben die Kollegen unserer Bundestagsfraktion bereits im April eine umfassende Stellungnahme zu den Vorschlägen der EU-Kommission vom Dezember 2017 vorgelegt, dem sogenannten Nikolauspaket. Dieses Paket war nicht nur ein Paket der Freundlichkeiten, sondern auch ein Paket, was Sorgen ausgelöst hat, nicht nur bei 154 Wirtschaftsprofessoren, die vor zu großen Haftungsrisiken in einem Papier gewarnt haben, sondern es sind auch Sorgen, die in der Politik in Berlin, in Düsseldorf und anderswo und auch bei uns artikuliert werden.

Welche Grundsätze leiten uns übrigens im Verhältnis zur Europäischen Union? – Das sind zunächst die Grundsätze von Solidarität und Subsidiarität. Sie gehören von Anfang an zur Grund-DNA des europäischen Einigungsprozesses. Und dazu sei klar gesagt: Das muss auch so bleiben.

Subsidiarität bedeutet: Die jeweils kleinere Einheit soll das regeln, was sie selbst regeln kann. Nur wenn es gute Gründe gibt, dass eine höhere Ebene etwas wirklich besser regeln kann, soll diese Ebene das im Sinne aller auch tun.

Ein gutes Beispiel aus dem vergangenen Jahr können wir festhalten. Wenn wir in Europa in einer sehr schwierigen Sicherheitssituation leben, ist es sinnvoll, dass beispielsweise nicht jeder einzelne Mitgliedsstaat der EU seine eigene unabgestimmte Verteidigungspolitik betreibt. Dann ist es gut und richtig, dass wir die Aufgabe der Verteidigung zukünftig nicht nur über die NATO, sondern auch innerhalb der europäischen Partner gemeinsam verstärkt angehen.

Genau das geschieht aufgrund der Beschlusslage vom letzten Jahr. Genau das ist richtig. Große Themen, große Entscheidungen müssen dort getroffen werden, wo Wichtiges gemeinsam geregelt werden muss.

Andererseits darf Brüssel aber nicht dort eingreifen, wo die Mitgliedsstaaten selbst ihre eigenen Angelegenheiten regeln können. Für mich ist das derzeit absurdeste Beispiel der jüngeren Vergangenheit das Ölkännchen in Restaurants. Das ist das Gegenteil von Subsidiarität. Kein Mensch muss in Brüssel regeln, ob das Kännchen in Deutschland auf irgendeinem Restauranttisch steht oder nicht.

Es gibt aber viele andere Themen, die beim Thema „Subsidiarität“ in gleicher Weise zu beachten sind. Solche Themen haben auch etwas mit der eigenen Regelungszuständigkeit eines Landtags, mit der Regelungszuständigkeit eines Bundestags und natürlich mit der Souveränität jedes einzelnen Mitgliedsstaates zu tun. Das muss jeweils selbst regelbar bleiben. Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass das in Zukunft so bleibt.

Solidarität bedeutet, dass wir denjenigen helfen, die unsere Hilfe brauchen, und dass wir unsere jeweiligen Fähigkeiten dann den Freunden und Partnern zur Verfügung stellen.

Aber das hat eine Kehrseite: Es ist nämlich nicht nur die Hilfsbereitschaft des Helfenden wichtig, sondern auch die eigene Anstrengung und Fairness des Hilfesuchenden. Da haperte es an manchen Stellen in den letzten Jahren gewaltig. Man kann den Eindruck bekommen, dass der eine oder andere in Europa es ganz schön fände, wenn die Probleme, die er selbst mit verursacht hat, durch andere gelöst würden oder dass die Probleme, die andere verursacht haben, die er aber selbst mit anpacken kann, doch auch durch die anderen gelöst werden und er sich bequem zurücklehnt.

Das können und werden wir nicht akzeptieren; denn das würde die Axt an jede Form gelebter Solidarität legen.

Betrachtet man den Aufruf der Professoren, dann ist das der Kern der Sorge: Wir wollen nicht ausgenutzt werden. – Diese Sorge ist nicht nur verständlich; wir nehmen sie auch ernst. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass der europäische Stabilitätsmechanismus nicht eine Art Rückversicherung für die Sanierung von Banken werden kann.

Die sinnvolle Alternative haben unsere Kollegen in Berlin übrigens schon formuliert. Sie besteht darin, diesen europäischen Stabilitätsmechanismus und einen im Unionsrecht verankerten Europäischen Währungsfonds als eigenständige Institution so auszugestalten, dass daran Finanzierungshilfen mit strikten Auflagen geknüpft werden können. Parallel dazu kommt die Kontrolle der nationalen Parlamente, also die Kontrolle der Mitgliedsstaaten – auch Deutschlands – darüber, dass man nicht durch die Hintertür Solidarität ohne eigene Anstrengung in Anspruch nehmen kann.

Berechtigt ist auch die Sorge vor einer zu einfachen Vergemeinschaftung der Einlagensicherung. Dazu haben wir hier in dieser Wahlperiode des Landtags auf Antrag der CDU bereits vor 2017 intensiv diskutiert. Wir haben hier deutliche Positionen des ganzen Hauses gehabt. Dazu bedurfte es schon keines Aufrufes mehr.

(Beifall von der CDU)

Für uns ist klar: Subsidiarität bedeutet konkret, dass jeder zunächst sein eigenes Einlagensicherungssystem aufbaut. Bei uns besteht das in allen drei Säulen des Bankensystems. Es funktioniert. Es ist da. Es ist dotiert. Andere Länder haben damit noch gar nicht angefangen und spekulieren vielleicht noch immer darauf, dass eine eigene Einlagensicherung durch eine europäische Lösung regelrecht überflüssig wird. Das wird Deutschland aber nicht mitmachen.

Hier gilt: Solidarität ist die Kehrseite von Subsidiarität. Zuerst muss jeder bei sich selbst vorsorgen. Erst dann kann im zweiten Schritt die Frage diskutiert werden, ob darüber hinaus weitere gemeinsame Sicherungen im Sinne einer gemeinschaftlichen Haftung erforderlich sind.

In der Diskussion spielen die sehr technisch definierten TARGET2-Salden seit Längerem eine größere Rolle. Eigentlich sollten sie in der Verrechnung zwischen Zentralbanken wirtschaftliche Ungleichgewichte von Volkswirtschaften anzeigen. Tatsächlich ist der Mechanismus aber inzwischen durch zwei andere Entwicklungen ganz wesentlich überlagert. Zum einen kommt es durch die Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB zu Verzerrungen. Zum anderen gibt es die Anlage von Geldern anderer Zentralbanken, beispielsweise bei der Deutschen Bundesbank.

Inzwischen ist die Bundesbank in immer größerem Umfang Gläubiger von Forderungen insbesondere gegenüber südeuropäischen Notenbanken. TARGET2-Sal-den bilden also nicht mehr das ab, was sie über Jahrzehnte abgebildet haben.

Übrigens: Wer heute hohe TARGET2-Salden in Bezug auf den Euro sehr kritisch sieht, den müsste man doch daran erinnern, dass die Bank Deutscher Länder nach diesen Kriterien 1948 niemals eine D-Mark hätte einführen dürfen. Die TARGET2-Salden waren wegen der sehr unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklung in dem damaligen Währungsraum so hoch, dass Nordrhein-Westfalen mit seiner Schwerindustrie eigentlich für fast alle anderen deutschen Bundesländer hätte haften müssen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Loose?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ja, gern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte.

Christian Loose (AfD): Danke, Herr Optendrenk. – Nur eine kurze Frage dazu: Ist Ihnen klar, dass es bei der Bank Deutscher Länder damals eine gemeinsame Steuer für alle Deutschen und ein gemeinsames Rentensystem gab und sich dies deutlich zum Beispiel von dem jetzigen griechischen und dem deutschen Rentensystem unterscheidet, sodass diese Systeme überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind? – Danke.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Loose, Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an, nämlich die Nichtvergleichbarkeit von Vorgängen. Ich habe eben über zwei konkrete, sehr massive Verzerrungseffekte gesprochen, die schon die Werthaltigkeit eines Vergleiches von TARGET2-Salden sehr infrage stellen, weil die konkreten wirtschaftlichen Disparitäten eben nicht mehr über TARGET2-Salden abgebildet werden. Diese Überlagerung führt dazu, dass ganz viele Notenbanken aus Opportunitätsgründen bei einer anderen Notenbank Geld parken. Das ist aber keine volkswirtschaftliche Disparität, sondern eine rechnerische Disparität.

Insofern ist es kein Gegenargument, dass es damals mit einem gemeinsamen Renten- bzw. gemeinsamen Steuersystem in einer Vorstufe der Bundesrepublik eine andere Situation gab. Ich habe das verglichen, was Sinn bzw. Kriterien der ursprünglichen TARGET2-Salden waren, nämlich die Abbildung wirtschaftlicher Disparitäten. Auf das habe ich mich bezogen. Das haben Sie auch genau verstanden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, um solche Salden – neben den Verwerfungen, die wir geschildert haben – abzubauen, ist das richtig, was wir in der Vergangenheit auch bei der D-Mark hatten. Die D-Mark wurde nicht zuletzt deshalb ein Erfolgsmodell, weil wir in den darauf folgenden Jahrzehnten eine sehr verantwortliche Wirtschaftspolitik gehabt haben – die soziale Marktwirtschaft. Das heißt: Um in Europa sinnvoll voranzukommen, brauchen wir eine gute Wirtschafts- und Finanzpolitik in ganz Europa.

Was bedeutet all das für den vorliegenden Antrag der AfD? – Sie haben es sich mit dem Antrag zu leicht gemacht. Sie sind Ihrem Anspruch und dem Mandat zufolge, das die Wähler Ihnen hier erteilt haben, Politiker. Sie haben sich aber darin erschöpft, den Aufruf zu zitieren und den Landtag aufzufordern, die Professoren zu loben und den Aufruf zu unterstützen. Das ist für verantwortliche Politik zu wenig.

(Beifall von der CDU, Michael Hübner [SPD] und Christian Mangen [FDP])

Sie haben nämlich eben nicht eigene Konzepte und Überlegungen vorgelegt. Das unterscheidet Sie übrigens von der Unionsfraktion in Berlin, und das unterscheidet Sie auch von uns.

Wir übernehmen als NRW-Koalition Verantwortung für eine gute Zukunft in unserem Land, in Deutschland und in Europa. Ihr Antrag zeigt deutlich: Sie haben dazu keine brauchbare Alternative. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines ist sicherlich richtig: Wir stehen in Europa vor enormen Herausforderungen. Dazu, wie wir diese Herausforderungen bewältigen, gibt es verschiedene Lösungsansätze aus ganz Europa – kluge und weniger kluge.

Der in diesem Antrag zitierte Aufruf – und damit der gesamte Antrag – gehört weder zu der einen noch zu der anderen Sorte; denn weder der Aufruf noch der Antrag liefern irgendeinen konstruktiven Beitrag zur Lösung irgendeines Problems. Es war im Übrigen zu erwarten, dass sich die AfD in Nordrhein-Westfalen auf diesen Aufruf einiger sogenannter Wirtschaftsexperten stürzt.

(Lachen von Markus Wagner [AfD])

Die Reaktionen auf dieses Papier im übrigen Land liefern eigentlich genügend Material, um das Thema in diesem Hause ohne große Redebeiträge zu den Akten zu legen. Weil sich anhand dieses Antrags aber so schön aufzeigen lässt, welcher Art die Beiträge aus der rechten Ecke des Plenarsaals sind, möchte ich doch etwas dazu sagen.

Der Aufruf, den Sie in Ihrem Antrag zitieren, offenbart immerhin die gleiche Grundhaltung, die Ihrer eigenen politischen Agenda zugrunde liegt. Es wird „Nein“ gerufen, ohne einen konstruktiven Lösungsvorschlag anzubieten. Es wird einseitig und unreflektiert argumentiert, um die eigene Hysterie zu rechtfertigen.

Sehen Sie sich das Papier, das dem Antrag zugrunde liegt, einmal an: Es malt das Schreckgespenst einer Haftungsgemeinschaft an die Wand und bezieht zusammenhanglos Stellung zu unkonkreten Reformvorschlägen zur Eurozone, ohne auch nur ein einziges Mal einen Alternativvorschlag zu unterbreiten. Der Kollege Optendrenk hat bereits darauf hingewiesen.

(Markus Wagner [AfD]: Das einfach zu unterlassen – das ist die Alternative! Einfach unterlassen!)

Wer vor der Überführung des europäischen Stabilitätsmechanismus in einen europäischen Währungsfonds warnt, der muss alternative Vorschläge dazu anbieten, wie sich Europa dann beispielsweise besser auf Krisen vorbereiten kann. – Es ist im Übrigen nicht nur unsere Meinung, dass das Engagement des Internationalen Währungsfonds wohl kaum eine dauerhafte Lösung bleiben kann.

Wer wie Sie europäische Investitionen für kleine und mittlere Unternehmen für falsch hält, weil auch Krisenländer davon profitieren könnten, der muss alternative Vorschläge dazu unterbreiten, wie der derzeitige Investitionsstau in der EU beseitigt werden kann – gerade in diesen Ländern.

Wer die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank als Kompetenzüberschreitung kritisiert und sich im selben Atemzug gegen die Einsetzung eines eigenständig operierenden europäischen Finanzministers ausspricht, der hat eben nicht begriffen, dass Geldpolitik ohne Finanzpolitik nicht funktioniert. Viele Probleme des Euro haben ihren Ursprung nicht darin, dass die Geldpolitik zu stark politisiert wird, sondern sie haben ihren Ursprung in der Tatsache, dass es keine einheitliche Finanzpolitik gibt.

Wer einseitig wie Sie immer nur vor der Vergemeinschaftung von Haftung warnt, tritt die teilweise unter großen Entbehrungen geleisteten Strukturreformen dieser Krisenländer mit Füßen.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Wer hat die denn bezahlt?)

Man kann, vielleicht muss man sogar darüber streiten, ob und in welchem Umfang eine Vergemeinschaftung von Haftung sinnvoll ist. Aber ständig nur das Schreckgespenst der Haftungsvergemeinschaftung an die Wand zu malen – damit hilft man niemandem.

Es geht ohne Frage um komplexe Themen, die viel Sachverstand und die Fähigkeit erfordern, sich reflektiert mit ihnen auseinanderzusetzen. Damit – die Bemerkung darf ich mir erlauben – haben Sie in der Vergangenheit ohnehin nicht geglänzt.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Schon der Umfang des Eigenanteils in Ihrem Antrag lässt vermuten, dass eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Forderungen überhaupt nicht stattgefunden hat. Woher Ihre panische Angst vor einer sogenannten Haftungsunion eigentlich kommt, ist mir ohnehin ein Rätsel.

(Zurufe von Helmut Seifen [AfD] und Markus Wagner [AfD])

Wie sieht denn die Realität aus? – In der Realität sind die europäischen Wirtschaftssysteme so eng miteinander vernetzt, dass Probleme in einem System beinahe automatisch Auswirkungen auf die anderen Systeme haben. Das ist so. Ob Sie es wollen oder nicht: Wir haften indirekt bereits ohne einen Eurozonenfinanzminister für das europäische Gemeinwohl.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Und das ist auch gut so;

(Helmut Seifen [AfD]: Nein!)

denn wir profitieren von der engen Verknüpfung unserer Systeme vielleicht sogar mehr als andere EU-Staaten.

(Beifall von der SPD – Andreas Keith [AfD]: Das sind Märchen!)

Die Vorstellung, dass eine exportorientierte Nation wie Deutschland langfristig von einer gemeinsamen Währung profitieren kann, ohne weniger exportorientierten Nationen entgegenzukommen, ist nichts anderes als Selbstbetrug und schadet allen Beteiligten.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Dr. Christian Blex [AfD]: Einer klatscht!)

Da Sie Ihre politischen Forderungen offenbar da-durch bestätigt sehen, dass einige Personen aus dem Wirtschaftskosmos sich kritisch zu den aktuellen Reformplänen proeuropäischer Kräfte äußern, lohnt sich ein Blick darauf, wer diesen Aufruf nicht unterzeichnet hat und wer ihn vielleicht sogar kritisiert und sich von ihm distanziert.

Zentrale Figuren der deutschen Wirtschaft wie Clemens Fuest, Leiter des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, und Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, haben sich von dem Aufruf ebenso distanziert wie Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „DIE ZEIT“ urteilte völlig richtig: Die Stars haben nicht unterschrieben. – Angesichts der riesigen Anzahl an Personen, die eine nennenswerte Rolle in unserer Wirtschaft spielen, wirkt die Zahl 154 doch eher winzig.

Abschließend möchte ich Herrn Professor Dr. Jan Pie-ter Krahnen von der Universität Frankfurt, unter anderem Leiter des Center for Financial Studies, zitieren, der den Aufruf mit den Worten kommentierte:

„Erstaunlich, dass sich Wissenschaftler für ein simples Schwarz-Weiß-Argument hergeben, wo es doch tatsächlich um kluges institutionelles Design geht.“

Dieses Erstaunen über den Aufruf der 154 Wirtschaftswissenschaftler teilen wir.

Mit dem Schwarz-weiß-Denken der Rechtspopulisten hingegen haben wir uns leider in den vergangenen Monaten immer wieder auseinandersetzen müssen. Sie mögen sich, meine Damen und Herren, aufgrund dieses Aufrufs vielleicht vorkommen wie die Ritter der Tafelrunde, die gerade den Heiligen Gral entdeckt haben. Bei genauerer Betrachtung bleibt aber niemandem verborgen, dass es sich nicht um einen Gral, sondern lediglich um ein belangloses Blatt Papier handelt.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Weiß. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Beratungsgegenstand thematisiert die Risiken der Ausweitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und einer Vergemeinschaftung der Einlagensicherung.

Die FDP ist bei der Eurorettungspolitik klar aufgestellt und benötigt hier wahrlich keine Nachhilfe. Die Schaffung des ESM im Jahr 2012 ist ein Schritt gewesen, den wir mitgetragen haben, aber eben auch der letzte.

Aufgabe des ESM ist es, überschuldete Mitgliedsstaaten der Eurozone durch Kredite und Bürgschaften zu unterstützen, um deren Zahlungsfähigkeit zu sichern. Über die seinerzeitigen Verabredungen hinausgehende Maßnahmen lehnen wir ab.

Wir wollen, dass die Vermischung von Verantwortung durch gemeinschaftliche Haftung ausgeschlossen bleibt. Deshalb darf der ESM nicht als ständiger Nothelfer missbraucht werden, sondern ESM-Finanzhilfen dürfen nur strikt nach den dafür vorgesehenen Regeln vergeben werden.

Um nicht dauerhaft falsche Anreize zu setzen, wollen wir zudem, dass die Kapazität des ESM kontinuierlich wieder zurückgefahren wird.

ESM-Hilfen sollen auch nicht dauerhaft durch weitere Maßnahmen der Europäischen Zentralbank ergänzt oder ersetzt werden. Eine Staatsfinanzierung durch die Notenpresse lehnen wir strikt ab.

Zudem wollen wir eine Staateninsolvenzordnung für die Eurozone schaffen, damit bei fehlender Schuldentragfähigkeit eine geordnete Schuldenumstrukturierung als Ausweg aus der bisher endlosen Rettungsroutine möglich wird. Denn nur so kann die Gefahr gebannt werden, dass die Währungsunion zu einer dauerhaften Transferunion zulasten der europäischen Steuerzahler wird.

(Beifall von der FDP)

Fachliche Details dieser Problematik werden derzeit zuständigkeitshalber im Deutschen Bundestag diskutiert. Ich verweise daher auf die aktuellen Parlamentspapiere der FDP-Bundestagsfraktion in dieser Angelegenheit „Vollendung der Bankenunion – Stabil und marktwirtschaftlich“, Bundestagsdrucksache 19/2527, sowie „Sicherung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages bei der Entscheidung über eine Letztsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds“, Bundestagsdrucksache 19/2578.

Unsere auch dort markierte Zielperspektive ist klar. Die Eigenverantwortung der Eurostaaten für ihre Finanzen muss wieder gestärkt werden. Die Teilung von Haftungsrisiken bei privaten Banken und die Vergemeinschaftung von Schulden gehen in eine falsche Richtung.

Das gilt auch für die Bankenunion. Wenn Kunden deutscher Volksbanken und Sparkassen für italienische Bankenpleiten beansprucht werden können, setzt man die Zustimmung zu Europa aufs Spiel. Genau das wollen wir nicht.

Die FDP hält die beiden bereits bestehenden Säulen der Bankenunion für hinreichend. Wir haben einen Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, SSM, und einen Einheitlichen Abwicklungsmechanismus, SRM. Genau diese beiden Säulen sollen sicherstellen, dass systemrelevante Banken nach einheitlichen und hohen Standards beaufsichtigt werden und im Krisenfall in einem geordneten Verfahren abgewickelt werden können, ohne dass der Staat meint, sie mit dem Geld der Steuerzahler retten zu müssen.

In Ergänzung zu diesen beiden bestehenden Säulen der Bankenunion hat die EU-Kommission im November 2015 zudem ihr Modell für ein Gemeinsames Europäisches Sicherungssystem für Spareinlagen, EDIS, vorgestellt. Demnach soll EDIS als dritte Säule der Bankenunion ab 2019 in Form einer Rückversicherung eingeführt werden und ab 2024 endgültig an die Stelle der nationalen Einlagensicherungssysteme treten.

Derlei Pläne lehnt die FDP entschieden ab. Vielmehr sind die mit Wirkung zum 1. Januar 2015 nochmals verschärften, europaweit einheitlichen Regeln der Einlagensicherungsrichtlinie auf nationaler Ebene ausreichend, um alle Einleger in der Europäischen Union nach denselben hohen Standards zu schützen.

EDIS hätte negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität. Da die Pflichtbeiträge der Banken nach den Vorstellungen der Kommission nicht schon bei Einführung von EDIS, sondern erst in einer späteren Phase ihrer Risikolage entsprechen und zudem auch in ihrer Höhe gedeckelt werden sollen, würden Banken mit geringeren Risiken in ihren Bilanzen solche mit hohen Risiken indirekt subventionieren.

Das kann nicht vernünftig sein. Im Ergebnis müssten solide wirtschaftende Institute im Notfall die Einleger von Instituten mit riskanten Geschäftsmodellen stützen. Das setzt den Fehlanreiz, höhere Risiken einzugehen, treibt zulasten der Bankkunden die Kosten für Einlagensicherung in die Höhe und verhindert damit einen fairen Wettbewerb.

Statt EDIS voranzutreiben, sollte sich die europäische Finanzpolitik dringend um wirklich notwendige Maßnahmen kümmern, um für Stabilität zu sorgen und systemischen Risiken angemessen zu begegnen.

Vor allem ist es nötig, den sogenannten Staaten-Banken-Nexus und die hohe Konzentration von notleidenden Krediten in den Bilanzen der Banken einiger Mitgliedsstaaten zu bekämpfen.

Ferner sollte die Kommission als Hüterin der Verträge die einheitliche und umfassende Umsetzung der Abwicklungs- und der Einlagensicherungsrichtlinie sicherstellen. Die hohe Abhängigkeit der Banken von Anleihen ihres eigenen Heimatlandes sollte durch regulatorische Veränderungen durchbrochen werden. Das fordert auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen.

Momentan beträgt der Anteil von notleidenden Krediten in Europa beispielsweise in Griechenland 46,7 % aller Kredite und Rückstellungen, in Zypern über 32 %, in Portugal fast 15 % und in Italien über 12 %. Die EZB hält einen Anteil von 5 % und weniger für erstrebenswert.

Eine deutliche und dauerhafte Reduzierung von notleidenden Krediten wäre deshalb die wirksamste Methode, um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten.

Risiken müssen dort ausgeräumt werden, wo sie entstanden sind. Dies entspricht dem Prinzip der Subsidiarität, dem sich die Europäische Union einmal verpflichtet hat.

Eine Lehre aus der Finanzmarktkrise sollte sein, dass Banken nicht mehr mit Steuergeld gerettet werden. Genau diesem Zweck diente auch die Bankenabwicklungsrichtlinie. Aktuelle Fälle verschiedener italienischer Banken zeigen jedoch leider, dass Staaten trotz der eigentlich entgegenstehenden SRM-Verordnung weiterhin Banken mit Steuergeld retten. Dies muss für die Zukunft endlich ausgeschlossen werden. Wirtschaftliche Betätigung und Haftung gehören für uns zusammen.

Die FDP setzt sich daher für die vollständige Wiederherstellung des marktwirtschaftlichen Haftungsprinzips im Finanzsektor ein. Die FDP hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Euro-Rettungspolitik befasst – bis hin zu einem für uns kräftezehrenden Mitgliederentscheid. Wir haben uns sehr gründlich Gedanken gemacht und um den richtigen Weg gerungen. Wir haben es uns wahrlich nicht einfach gemacht. Deshalb benötigen wir hier auch nicht die Nachhilfe der Antragsteller.

Unsere klare Ablehnung einer europäischen Schuldenunion ist ein wichtiger von insgesamt über 200 Gründen gewesen, warum der FDP im Herbst 2017 auf Bundesebene keine tragfähige Regierungsbeteiligung möglich gewesen ist.

Der Landtag ist nicht unmittelbar für die hier angesprochenen Fragestellungen zuständig. Sollten andere politische Kräfte eine weiter reichende Änderung der EU-Verträge anstreben, muss das Land Nordrhein-Westfalen über den Bundesrat eingebunden werden. Es sollte sich nach unserer Vorstellung dann auch klar gegen eine Schuldenunion und gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung positionieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Peter Preuß [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Kollege Remmel das Wort. Bitte schön, Herr Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal gehen Debatten im Landtag Nordrhein-Westfalen ans Grundsätzliche. Das ist gut und richtig.

Wenn man sich mit der Geschichte beschäftigt, wird klar, dass sie sich nicht wiederholt.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Trotzdem macht es Sinn, aus der Geschichte zu lernen und bestimmte Stereotypen gesellschaftlicher und politischer Entwicklung zu antizipieren und ihnen möglichst zu begegnen.

Walther Rathenau – ein großer deutscher Industrieller, Schriftsteller und Politiker – hat im Vorfeld des Ersten Weltkriegs sehr deutlich gesehen, dass die ökonomische Entwicklung Europas zwingend ein vereinigtes Europa oder eine europäische Union erfordert. Er hat also ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen antizipiert. Die Geschichte ist aber genau gegenteilig verlaufen; denn sie ist in zunehmendem Nationalismus und zwei schrecklichen Weltkriegen gegipfelt. Erst 50 oder 60 Jahre später ist das, was Walther Rathenau damals schon gesehen hat, Realität geworden, nämlich der Weg zu einem vereinten Europa.

Angesichts dessen beschleicht mich aktuell so etwas wie ein Déjà-vu.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Remmel, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Johannes Remmel (GRÜNE): Ich würde gerne diesen Gedanken zu Ende vortragen. Danach können wir gerne miteinander reden.

Es beschleicht mich schon ein Déjà-vu, wenn ich aktuelle Entwicklungen insbesondere ökonomischer Art sehe. Ich darf an die aktuelle Diskussion um den Handelsstreit erinnern, aber auch an andere Phänomene wie Migrationsbewegungen, Krisen und Kriege um uns herum sowie eine ökonomische Entwicklung in Europa, die nicht weiter zu einer Wirtschaftsunion führt, sondern uns voneinander trennt.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau! So ist es!)

In dieser historisch wichtigen Situation braucht es politische und gesellschaftliche Konsequenzen.

Der französische Präsident hat dieses Fenster eröffnet und diese Tür aufgestoßen. Dass die AfD-Fraktion durch diese Tür geht, ist nicht zu erwarten gewesen. Insofern stehen Sie außerhalb der Diskussion. So muss ich es einfach feststellen.

(Helmut Seifen [AfD]: Er will Frankreich sanieren!)

Ich weise Sie noch einmal dezidiert auf unsere Verfassung hin. In der Präambel des Grundgesetzes steht:

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,

von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, …“

Das ist Auftrag unserer Verfassung. Außerdem steht in Art. 23 des Grundgesetzes:

„Zur Verwirklichung eines vereinten Europa wirkt die Bundesrepublik bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, …“

Ich glaube, dass Sie außerhalb dieses Auftrags stehen. Deshalb sind Sie für mich auch gar kein Diskussionspartner. Denn ich möchte die Verfassung achten und den Verfassungsauftrag erfüllen.

(Helmut Seifen [AfD]: Wir auch! – Markus Wagner [AfD]: Warum tun Sie dann das Gegenteil? „Ich möchte die Verfassung achten“ – dass ich nicht lache!)

Ich gehe davon aus, dass Sie da außen vor sind, weil das nicht Ihrem politischen Programm entspricht.

(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

Ich frage mich aber, wie die Antworten der Regierungsfraktionen in diesem Landtag und die Antworten der Bundesregierung lauten. Hier fehlt trotz des Koalitionsvertrags eine entsprechende Antwort. Herr Macron macht konkrete Vorschläge und fordert europäischen Mut, und zwar jetzt. Frau Merkels Antwort, die Antwort der Bundesregierung, ist eine Liste von schon Gehörtem.

Hier fehlt der Mut, die historische Situation zu erkennen, durch die Tür zu schreiten und ein neues Kapitel europäischer Geschichte und europäischer Demokratie aufzuschlagen. Das ist eine verpasste europäische Chance. Wir sollten alle daran arbeiten, diese Chance vielleicht doch noch zu ergreifen.

Denn was ist der Grund, über so etwas wie eine Verschränkung der Finanzsysteme nachzudenken? Wir haben in Europa ungleiche wirtschaftliche Verhältnisse und damit auch ungleiche Lebensverhältnisse der Menschen. Das ist eine Triebfeder für Unzufriedenheit mit der europäischen Entwicklung.

(Helmut Seifen [AfD]: Aber der Euro verstärkt das doch!)

– Lassen Sie uns einmal genau analysieren, woher das kommt, was das Problem ist und wie man dem Problem vielleicht begegnen könnte.

Wir haben eine Geldpolitik, die mit Nullzins – und noch darunter – arbeitet und dazu führt, dass eben nicht investiert wird. Die Tränken sind voll. Das Geld ist vorhanden. Es war so billig wie noch nie. Aber es wird nicht investiert.

Warum ist das so? Und was können wir dagegen tun, dass nicht investiert wird? Denn wir brauchen in Europa Investitionen in die Zukunft. Da kann es nicht sein, dass es eine wirtschaftlich starke Nation gibt und alle anderen leiden. So lässt sich die derzeitige Situation beschreiben. Das wird durch eine weitere Diversifizierung noch verstärkt. Deshalb braucht man hier Initiativen, die zu Investitionen anreizen, und keine Flucht in Paradise Papers oder andere Steuervermeidungsmöglichkeiten. Vielmehr benötigen wir politische, gesellschaftliche und staatliche Instrumente, um Investitionen zu befördern.

Das Interessante oder vielleicht auch Einfache an dieser Geschichte ist, dass man noch nicht einmal staatliches Geld braucht, um zu investieren. Wir brauchen eigentlich nur staatliche Garantien.

Und das ist der Kerngedanke des Vorschlags von Macron: eine entsprechende Investitionsgarantie zu geben. Dafür könnte auch Bürgergeld zur Verfügung stehen. Es muss nur abgesichert werden. Das ist keine Schuldenverschränkung, sondern eine wahre Initiative zur Investitionsförderung in Europa.

Wann, wenn nicht jetzt, muss investiert werden in unsere Infrastruktur, in Möglichkeiten, das Klima in Europa durch erneuerbare Energien zu schützen, und in neue Möglichkeiten der digitalen Verschränkung? Ich wüsste keinen besseren Zeitpunkt, um den Menschen auch in anderen europäischen Ländern eine ökonomische Perspektive zu geben, aber auch, um für die Bundesrepublik mit all ihren Möglichkeiten, gerade im industriellen Bereich, Lösungen zu erarbeiten und gleichzeitig für Prosperität und Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen.

In diesem Sinne lehnen wir den Antrag der AfD ganz klar ab.

(Zurufe von der AfD: Das ist schade!)

Wir bedauern aber insbesondere die Positionierung der Regierungsfraktionen an dieser Stelle, weil von ihnen keine neue Idee für europäische Investitionen sowie für europäische Gemeinschaft und Demokratie zu hören war. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Bitte bleiben Sie noch am Rednerpult stehen. Sie hatten in Aussicht gestellt, die Zwischenfrage zu beantworten. Das ist aber durch eine angemeldete Kurzintervention des Abgeordneten Loose inzwischen wahrscheinlich überholt. – Bitte schön, Herr Abgeordneter Loose. Sie haben das Wort.

Christian Loose (AfD): Vielen Dank. – Herr Remmel, Ihnen war die Historie so wichtig. Ich weiß nicht, ob Ihnen auch bewusst war, dass wir hier über die Währungsunion reden. Da Ihnen die Historie so wichtig ist, können Sie sicherlich zwei gelungene Beispiele für Währungsunionen verschiedener Länder nennen, die mehr als 20 bis 30 Jahre gehalten haben, um uns das als positives Signal zu geben, damit wir weiter im Euro bleiben können. – Danke.

Johannes Remmel (GRÜNE): Ich kann nur die aktuelle Situation und die aktuelle Entwicklung beschreiben. Das wissen Sie auch.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Ich bin froh, dass wir den Euro haben. Ich glaube, gerade als Deutsche können wir froh darüber sein; denn ohne den Euro hätten wir heute keine deutsche Einheit. Das gehört zu unserer nationalen Identität. Und wer diese nationale Identität beschädigt und bekämpft, steht nicht auf dem Boden unserer Verfassung. Deshalb muss ich an dieser Stelle nicht mit Ihnen diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Der Euro spaltet doch!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Lienenkämper das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der vorliegende Antrag bezieht sich auf einen von zahlreichen öffentlichen Beiträgen zur Debatte über eine Reform der Europäischen Währungsunion. Sie wissen, dass die EU-Kommission am 2. Mai dieses Jahres damit begonnen hat, ihre Vorschläge zur Reform der EU sukzessive vorzulegen.

Im Übrigen gilt grundsätzlich, dass die Länder über den Bundesrat bei weitreichenden Änderungen automatisch in die Entscheidungsfindung Deutschlands eingebunden sind. Die Kontroll- und Mitspracherechte der Länder bleiben so ohnehin gewahrt. Nordrhein-Westfalen wird, wie Sie es erwarten können, seine Rolle in diesem Prozess sehr ernst nehmen.

Jetzt geht es zunächst einmal darum, eine möglichst lebendige und konstruktive Diskussion über die Zukunft Europas einschließlich der hier angesprochenen Reform der Währungsunion zu führen. Denn eines tritt doch in diesen Wochen und Monaten klarer als zu manch anderen Zeiten zutage: Wir wollen und brauchen ein starkes Europa. Wir brauchen mehr Europa – aber richtig. Wir brauchen mehr Europa in den richtigen Grenzen – und das im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen und der gesamten Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Abgeordneten Loose habe ich eine weitere Wortmeldung für die Fraktion der AfD vorliegen. – Das bleibt auch so. Bitte sehr. Sie haben das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Opten-drenk, Sie haben bei den EU-Regeln eines vergessen. Es gibt nämlich gemäß den Maastrichter Kriterien keine gemeinsame Haftung. Vielleicht sollten Sie sich noch einmal die Flyer der CDU aus dem Jahr 1999 anschauen. Dort heißt es: „Muss Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen?“ Antwort der CDU: „Ein ganz klares Nein!“

Das, was Sie hier im Zusammenhang mit dem Europäischen Währungsfonds fordern, ist eine gemeinsame Schuldenhaftung und geht in eine völlig andere Richtung als das, was Sie den Wählern damals versprochen haben.

(Beifall von der AfD)

Kommen wir zu TARGET2. Was ist TARGET2? Nehmen wir einfach einmal ein Beispiel aus dem Leben: Sie sind Lebensmittelhändler, machen um 8 Uhr die Tür auf, begrüßen jeden Kunden und drücken ihm 100 € in die Hand. Danach kaufen die Kunden bei Ihnen ein. Am Abend freuen Sie sich über Ihre tollen Umsätze. – In etwa so funktioniert TARGET2.

Erweitern wir das Beispiel auf den europäischen Raum: Sie sind ein deutscher Maschinenhersteller und liefern für 1.000 € eine Maschine an einen Griechen. Der Grieche soll Ihnen jetzt 1.000 € überweisen, hat aber kein Geld. Daher geht er zu seiner Hausbank und sagt: Ich brauche 1.000 €. – Die Hausbank sagt: Ich habe auch kein Geld. Aber ich gehe zur griechischen Notenbank. – Die griechische Notenbank sagt: Ich habe auch kein Geld. Aber es gibt noch die EZB. Sie soll doch bitte die Deutsche Notenbank anweisen, 1.000 € auszuzahlen. – Genau das macht die dann auch. Die Deutsche Notenbank zahlt 1.000 € an die deutsche Hausbank. Die deutsche Hausbank gibt dem Exporteur die 1.000 €. Der Exporteur ist glücklich und liefert die Maschine nach Griechenland. Der Grieche ist auch glücklich. Bezahlt hat die Maschine die Deutsche Notenbank.

Das ist das TARGET2-System. Damit hat die deutsche Notenbank jetzt eine Forderung gegenüber der EZB von 1.000 € – ohne Sicherheiten, ohne Zinsen. Gleichzeitig hat die griechische Notenbank eine Verbindlichkeit gegenüber der EZB – ohne Zinsen, ohne Sicherheiten.

Insgesamt ist das TARGET2-System dermaßen aufgebläht, dass die Deutschen eine Forderung von über 950 Milliarden € gegenüber der EZB haben und die Italiener zum Beispiel eine Verbindlichkeit von über 450 Milliarden €.

(Helmut Seifen [AfD]: Wann bezahlen sie das?)

Das ist das TARGET-System. Es gibt einige Leute, die sagen: Ja, das zahlen die Italiener schon; die Griechen zahlen das bestimmt einmal; es wird sich irgendwann auflösen. – Nein, in den letzten Jahren ist es immer weiter angestiegen.

Jetzt kommen wir zu den Italienern. Was machen sie denn aktuell mit einer Verschuldung von über 130 % des Bruttoinlandsproduktes? Darin sind die TARGET-Salden noch nicht einmal enthalten. Sonst wären es 160 %. Die Italiener sagen: Wir wollen jetzt noch mehr Schulden machen, und wir wollen Steuern senken;

(Michael Hübner [SPD]: Die Nationalisten in Italien sagen das!)

bitte gebt uns doch die Erlaubnis dazu. Sonst treten wir – so drohen sie – vielleicht aus der EU oder zumindest aus dem Euro aus.

Wenn das passiert, bekommen sie die Lira wieder. Sie wird abgewertet. Die Italiener sind wieder wettbewerbsfähig, was schon einmal positiv ist. Aber die Schulden werden sie natürlich gegenüber der EZB nicht zurückführen.

Wenn man das ausrechnet, stellt man fest, dass es erst einmal ein Verlust für die EZB in Höhe von 450 Milliarden € ist. Die Deutschen sind daran mit 27 % beteiligt. Das heißt: Der deutsche Steuerzahler hat dann einen Verlust von 120 Milliarden € zu tragen.

Das wissen die Italiener auch. Deswegen versuchen sie, die anderen Länder damit zu erpressen.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber nicht von den Italienern erpressen lassen. Wir machen da nicht mit. Wir sollten auch gar keine Angst haben. Die Summe von 120 Milliarden € hört sich auf den ersten Blick viel an. Aber wir zahlen 25 Milliarden € für das EEG – und das noch 20 Jahre lang, Herr Remmel. Außerdem zahlen wir 20 Milliarden € für die Asylkosten – und das wahrscheinlich auch noch einmal zehn oder 15 Jahre lang. Da wollen wir wirklich vor den Italienern zurückweichen, weil sie uns mit 120 Milliarden € Angst machen wollen?

Was passiert denn, wenn wir dem nachgeben? Dann werden es demnächst nicht 120 Milliarden € sein, sondern 150 oder 200 Milliarden €, die im Feuer stehen.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Deshalb bitte ich Sie – auch Sie, Herr Hübner –: Unterstützen Sie mit uns gemeinsam diese 154 exzellenten, hochkarätigen Wissenschaftler, und geben Sie ein gemeinsames starkes Signal nach Berlin und nach Brüssel! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Loose für die Fraktion der AfD.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2763 abstimmen lasse.

Wer dem Inhalt dieses Antrags seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/2763 mit dem gerade festgestellten Abstimmungsverhalten der Fraktionen und Abgeordneten abgelehnt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

4   Neustart in der Verkehrspolitik – Gemeinsam die Zukunft der Mobilität gestalten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1282

Beschlussempfehlung und Bericht
des Verkehrsausschusses
Drucksache 17/2747

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2825 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Voussem das Wort. Bitte sehr.

Klaus Voussem (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns vor der größten Mobilitätsrevolution seit Erfindung des Automobils. Deswegen müssen wir nach allen Seiten forschen, technologieoffen alle Antriebe abbilden und eine Mobilität der Zukunft 4.0 in der Gesamtheit entwickeln.

Der vorliegende Antrag der NRW-Koalition greift genau diese Themenfelder auf und hat damit auch nach Meinung der Experten in der hierzu durchgeführten Anhörung ins Schwarze getroffen.

Steigende Verkehrsaufkommen und ein Wandel bei den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen stellen neue Herausforderungen an die Infrastruktur, an Mobilitätsangebote sowie an ihre Vernetzung.

Wir, die NRW-Koalition, kümmern uns daher nicht nur um den Erhalt, Aus- und Neubau von Landesstraßen, um einen Planungshochlauf durch Stellenerhöhungen bei Straßen.NRW und in den Bezirksregierungen sowie um ein koordiniertes Baustellenmanagement, sondern nehmen auch die Zukunft der Mobilität in den Blick.

Der digitale Wandel verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt. Er hat aber auch Einfluss auf unsere Mobilität. Längst sind automatisiertes Fahren, Parkplatzsuche per App, Carsharing-Angebote und digitale Verkehrssteuerung keine Zukunftsmusik mehr.

Der Politikansatz der NRW-Koalition geht daher über den klassischen Infrastrukturansatz hinaus. Infrastruktur ist eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen des eigentlichen Ziels, Mobilität. Daher wird der Nutzer von Mobilität in den Fokus gestellt.

Aus diesen Gründen hat die NRW-Koalition auch das Bündnis für Infrastruktur zu einem Bündnis für Mobilität weiterentwickelt. Sie gestaltet somit die Zukunft der Mobilität.

Das Neue besteht darin, durch intelligente Nutzung der bestehenden Infrastruktur deren Kapazitäten besser als bisher zu nutzen, da Verkehrswege in Nordrhein-Westfalen auf absehbare Zeit ein knappes Gut bleiben werden und sich das Verkehrsaufkommen noch erhöhen wird.

(Michael Hübner [SPD]: Sie wollen den Stau abschaffen!)

In diesem Bündnis beschäftigen sich Wissenschaftler, Nutzer und Anbieter von Mobilität mit den Infrastruktur- und Mobilitätsthemen von heute und morgen und erarbeiten Lösungsansätze auch im Hinblick auf ein modernes und bürgerfreundliches Planungsrecht.

Im Rahmen dieses Bündnisses werden unter anderem an zwei Pilotprojekten, dem S-Bahn-Knoten Köln und der neuen Rheinquerung A553, neue Formen der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung erprobt. Darüber hinaus werden Fachgespräche und Tagungen zu Chancen zukünftiger Mobilität abgehalten.

Meine Damen und Herren, auch die Digitalisierung eröffnet uns neue Mobilitätsoptionen und schafft neue Mobilitätsbedürfnisse. Vernetzte Mobilität bietet außerdem die Chance, die bestehende Infrastruktur im Zusammenspiel mit intelligenter Verkehrsleitung besser zu nutzen und Verkehrsströme gleichmäßiger als bisher zu verteilen.

Wenn man bedenkt, dass ein Drittel des Verkehrsaufkommens in Städten Parksuchverkehre sind, wird klar, dass sich mit einer besseren Steuerung viele Verbesserungen für die Umwelt und den gefrusteten Parkplatzsuchenden erzielen ließen.

Ein Beispiel: Anfang Mai dieses Jahres wurden von der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen – VDV – im Rahmen des ersten Start-up-Pitches Unternehmen für ihre kreativen Ideen in der ÖPNV-Branche ausgezeichnet. Eine sechsköpfige Jury aus Vertretern von Politik und ÖPNV-Wirtschaft verlieh den ersten Preis an So naH.

Das Unternehmen entwickelte eine Machine-Learning-Sensor-Plattform für die Stadt der Zukunft. Diese Plattform hilft dabei, urbane Probleme zu lösen, sei es das allgegenwärtige Parkplatzproblem oder auch den Energieverbrauch von Straßenlaternen.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Wichtig ist: Die NRW-Koalition will den Menschen nicht vorschreiben, welchen Verkehrsträger sie nutzen sollen. Die intelligente Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger kann aber zur Steigerung der Attraktivität einzelner führen, in der Stadt und im ländlichen Raum gleichermaßen.

Mobilität muss ganzheitlich betrachtet werden, um die Effizienz der Verkehrsnetze verkehrsträgerübergreifend auf Straßen, Schienen, im Wasser, in der Luft sowie im Personen- und Güterverkehr zu erhöhen. Dabei sind auch die Anforderungen der Ausgestaltung der dafür erforderlichen Infrastruktur zu berücksichtigen.

Die Landesregierung wird bei diesem Prozess ressortübergreifend den Dialog führen. Ich hoffe, dass auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dazu bereit sind, auf diesen Dialog einzugehen, und unserem Antrag zustimmen werden. Denn dann kommt etwas Gutes dabei heraus, und zwar Mobilität für unsere Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen in einem digitalen Umfeld mit der Nutzung aller Chancen, die wir für die Zukunft brauchen.

Mit unserem Änderungsantrag nehmen wir zudem noch einen zentralen Hinweis aus der Expertenanhörung auf und schlagen vor, bestehende europäische Mittel aus den Strukturfonds zur Flankierung der Arbeit des Ministeriums für Verkehr verfügbar zu machen. Für uns steht fest: Innovationen gehören ins Zentrum dieser Betrachtung, ebenso wie die Neugier auf Zukunft und das Verliebtsein ins Gelingen. –  Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Voussem. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Löcker das Wort. Bitte schön.

Carsten Löcker (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Voussem, Ihren Versuch, die Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten zu verkehrspolitischen Schwerpunkten machen zu wollen, lassen wir Ihnen heute natürlich nicht durchgehen. So viel vorweg.

Der heutige Antrag kommt – wollen wir es mal ganz knackig formulieren – über ein Begrüßungspapier auf Seifenopernniveau nicht hinaus. Und ich sage Ihnen auch, warum. Sehr begründet haben wir uns in den letzten Tagen die Mühe gemacht und eine Synopse dazu erstellt, was in Ihrem Antrag aufgeführt wurde. Ich will Ihnen gerne ein paar Auszüge zu dem vortragen, was Sie in den letzten Wochen eigentlich zur Sache selbst eingebracht haben.

Beginnen wir doch mal mit der Aussage, ideologiefrei alle notwendigen Schritte zur umfassenden Ertüchtigung der Infrastruktur aller Verkehrsträger anzugehen. Da muss man sich fragen: Was heißt denn das?

(Zurufe von Klaus Voussem [CDU] und Henning Rehbaum [CDU])

Schon die Begrifflichkeit ist aus meiner Sicht falsch.

Und wenn Sie des Weiteren solche Phrasen dreschen wie „Effizienz der Verkehrsnetze“, „verkehrsträgerübergreifend erhöhen und neue Mobilitätskonzepte ermöglichen“ oder „Zukunftsnetzmobilität zu stärken“, dann sage ich Ihnen: Das sind doch alles leere Worthülsen. Das wissen sie doch ganz genau! Sie tragen das hier vor und erwecken Erwartungshaltungen. Sie liefern inhaltlich aber überhaupt nichts.

Sie tun so, als ob wir alle Zeit der Welt hätten – mindestens aber zwei Jahre –, darüber zu diskutieren. Die Probleme, die heute faktisch in verdichteten Räumen – heute Morgen haben wir über drohende Fahrverbote diskutiert – existieren, sind zu beantworten. Das müssen Sie jetzt machen! Da können Sie doch nicht heute Nachmittag mit einem Antrag kommen und herzlich dazu einladen, in den nächsten Wochen mal gemeinsam darüber nachzudenken, welche Maßnahmen auf den Weg zu bringen sind.

(Henning Rehbaum [CDU]: Sie unterschätzen das Parlament!)

– Das kann ja sein, ja.

Weitere Ankündigungen will ich in diesem Zusammenhang auch noch mal benennen: 333 Millionen € zur Elektrifizierung des urbanen Wirtschaftsverkehrs kündigen Sie an, eine Förderung der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und 107 Millionen € für die Nachrüstung von Dieselbussen im ÖPNV.

Wunderbar! Das können wir gerne miteinander aufzählen. Aber wer hat’s gemacht? Wer hat’s finanziert? – Der Bund hat diese Themen besetzt und das nötige Geld dafür bereits zur Verfügung gestellt. Was ist daran also neu, wenn Sie das hier vortragen und so tun, als wenn das Ihre Erfindung wäre?

(Henning Rehbaum [CDU]: Wir wollen die Gelder nicht zurückgeben!)

– Ja, Herr Rehbaum. – Ich zitiere gerne weiter aus Ihrem Antrag: Ausbau ÖPNV, Unterstützung der Kommunen bei Elektrifizierung, Umrüstung von Dieselbussen in Köln auf Euro 6. – Ja, wer hat’s gemacht, meine Damen und Herren? Wer hat die Themen in 2016 und 2017 geschoben? Das war Rot-Grün. Rot-Grün hat das bereits auf den Weg gebracht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da kommen Sie jetzt in 2018 und erklären hier feierlich, Sie wollten gerne den Faden aufnehmen. Kann man ja machen. Aber Sie sollten nicht vergessen, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass hier schon vorgearbeitet wurde, und zwar gut.

Kommen wir noch zu zwei Punkten, die in diesem Zusammenhang wichtig sind: der Ausbau von Infrastruktur für alternative Antriebe und neue Verkehrskonzepte für Wirtschaftsunternehmen und Städte. Da muss man fragen: Mit welchem Geld, mit welchem Programm ist das hinterlegt, was sie da in diesem Antrag vortragen? Die Antwort: Null! Null finanzielle Mittel, null Programm. Wir warten seit Langem auf die Auflage eines Mobilitätskonzeptes für Nordrhein-Westfalen. Sie haben aber nichts.

Bei der Durchsicht der parlamentarischen Initiativen der letzten Monate seit Beginn des Regierungswechsels fällt noch etwas auf, das hier Erwähnung finden muss: Der größte Teil der fachlichen Anträge in dieser Sache stammt von der Opposition. Da können Sie gerne mal genauer hinschauen; dann wissen Sie, was Sie in den letzten Monaten versäumt haben. Über die Ankündigungsrhetorik hinaus liefern Sie überhaupt nichts.

Abschließend muss man die Frage stellen: Wann fangen Sie endlich an, Ihre Arbeit zu machen und in dieser Sache konkret zu werden? Darauf wartet nicht nur die Opposition, sondern das ganze Land wartet darauf. Verdichtete Räume, die tagtäglichen Staus sind doch ein Hinweis darauf, dass dringend fundierte Mobilitätskonzepte vorzulegen sind. Deshalb müssen wir Ihren Antrag – natürlich auch den Ergänzungsantrag – heute ablehnen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Löcker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Middeldorf das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag der NRW-Koalition werden wir heute in Nordrhein-Westfalen die Tür zur Mobilität der Zukunft aufstoßen. Wir blicken, Kollege Löcker, im Gegensatz zu Ihnen in die Zukunft und nicht nach hinten.

(Carsten Löcker [SPD]: Ja, das sieht man an dem Antrag!)

Wir haben den Anspruch, NRW in den nächsten Jahren zu einem Kompetenzzentrum und zum Vorreiter in der Entwicklung, in der Erprobung und in der Anwendung aller neuen Systeme im Rahmen der neuen Mobilität zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht darum, Mobilität 4.0 hier vor Ort Wirklichkeit werden zu lassen. Sie wird möglich durch Technologien der Digitalisierung, des autonomen Fahrens, der systemischen Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger. Uns geht es dabei um die Flankierung und die Unterstützung, um die Ermöglichung neuer Ansätze, sowohl in technischer Hinsicht als auch im Hinblick auf denkbare Geschäftsmodelle.

Dabei werden wir den Unternehmen, Städten und Initiativen in diesem Land ausdrücklich nicht vorschreiben, welchen Weg sie gehen sollen. Deswegen ist der Antrag von CDU und FDP ausdrücklich offen angelegt. Ganz gleich, ob wir über eTicket-Systeme, On-Demand-Bussysteme, Angebote für die letzte Meile, Mobilitätsstationen oder innovative Carsharing-Konzepte reden – Prämisse unseres Handelns ist einzig das Ziel, individuelle Mobilität komfortabler, sicherer und effizienter zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist ein Themenkomplex, den wir erstmals systematisch für das Land erschließen wollen. Die hierfür von der NRW-Koalition beschlossene neue Abteilung im Verkehrsministerium soll Kompetenzen bündeln und als Katalysator guter Projekte wirken. Aber natürlich, Kollege Löcker, werden wir da nicht stehen bleiben, sondern alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zukunftsweisende und modellhafte Projekte auch finanziell zu unterstützen.

Wir wollen die Landesregierung beauftragen, Mittel aus den europäischen Strukturfonds für die Verkehrspolitik – und zwar für die neue Verkehrspolitik – einzusetzen. Damit gehen wir kurzfristig einen ersten konkreten Schritt in Richtung Umsetzung. Wir wollen modellhafte Forschungsvorhaben, Entwicklungsprojekte, aber auch erste Anwendungsbereiche fördern.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir rufen heute Wissenschaftler, Unternehmen, Kommunen und Initiativen ausdrücklich dazu auf, ihre Projektideen bei unserer Landesregierung einzureichen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir brauchen in diesem Bereich Experimentierräume und -felder, in denen neue Entwicklungen reifen können. In einer Zeit, in der wir vor einem breiten Feld denkbarer Entwicklungspfade stehen, braucht es den politischen Willen für Offenheit.

Deswegen wollen wir nicht nur auf die Risiken schauen, sondern wir müssen mutige Ansätze in diesem Land systematisch unterstützen. Das ist im Übrigen auch eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Anhörung. Insbesondere die vonseiten der NRW-Koalition eingeladenen Experten Professor Schneidewind und Dr. Kirschbaum haben uns auf die Notwendigkeit dieses Weges ausdrücklich hingewiesen.

(Michael Hübner [SPD]: Überraschend, dass Ihre Experten Ihnen recht geben!)

Deshalb haben wir das in dem vorliegenden Ergänzungsantrag auch noch einmal aufgegriffen. Wir sehen uns durch die Expertenanhörung – das hat Kollege Voussem schon gesagt –, aber auch grundsätzlich in unserem politischen Kurs bestätigt.

(Michael Hübner [SPD]: Ja klar, Ihre Sachverständigen!)

Was die Absicht von SPD und Grünen betrifft, sich mit eigenen Initiativen und Ergänzungen auf Basis der Anhörung in die Debatte einzubringen, so kann ich nur sagen: Es ist augenscheinlich bei den Lippenbekenntnissen aus der Ausschussberatung geblieben.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

– Herr Kollege Löcker, anstatt hier eine Synopse hochzuhalten, hätten wir uns gewünscht, dass Sie sich hier mit eigenen Vorstellungen eingebracht hätten.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Aber da muss man sagen: Leider Fehlanzeige!

(Carsten Löcker [SPD]: Ja genau, Sie fangen bei null an, haben nichts in der Schublade gefunden!)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, entlarvt, dass Sie an einem echten Neuaufbruch in der Mobilitätspolitik kein echtes Interesse haben, lieber Kollege Löcker.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Heute könnten Sie durch eine Unterstützung unseres Antrags zeigen, dass Ihnen an der Zukunftsgestaltung gelegen ist. Ich sage sehr klar: Wir werden uns auf unserem Weg, Chancen für dieses Land zu eröffnen und zu ergreifen, nicht aufhalten lassen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Middeldorf. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Klocke das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aus den Regierungsfraktionen! Lieber Kollege Middeldorf – er ist gerade im Gespräch, aber ich kann das auch gleich noch adressieren –: Man sollte nie voreilig Urteile sprechen; möglicherweise holt einen die Realität dann ein.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen wir mal. Ich rede jetzt erst einmal inhaltlich, und dann nenne ich Ihnen unsere Voten. Bevor man den Grünen Untätigkeit unterstellt und gegen sie einen Ideologieverdacht ausspricht, sollte man sich vielleicht erst mal den grünen Redner anhören, und dann kann man immer noch urteilen.

Sie haben einen Antrag vorgelegt, den ich schon mehrfach – wir haben das hier im Plenum und auch im Ausschuss diskutiert – aus grüner Sicht eingeschätzt habe. Es stehen Dinge darin, die uns politisch nicht so nahestehen. Diese Dinge haben Sie im Wahlkampf hochgehalten: Straßenbauoffensive, beschleunigte Planungsverfahren etc. Damit sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Sie haben den Regierungsauftrag bekommen, und deswegen ist es legitim, dass Sie das jetzt umsetzen.

Sie klassifizieren das immer als eine ideologiefreie Verkehrspolitik. Die Autovorrangpolitik und Straßenpolitik der letzten Jahrzehnte dadurch zu beantworten, dass man jetzt alles gleichberechtigt fördern will, erhält keine grüne Unterstützung.

Aus unserer Sicht brauchen wir – das schließt sich an die Debatte von vorhin an – für sauberere Luft in unseren Innenstädten eine gezieltere und ausgebaute Förderung von Alternativen zum Autoverkehr,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

sprich: ÖPNV, Radverkehr und andere Möglichkeiten, das Auto stehen zu lassen und trotzdem schnell voranzukommen. Dabei wollen wir weder auf Verbote setzen noch den Leuten den Pkw madig machen. Dass Sie jetzt aber sehr stark auf den Straßenverkehr und auf neue Planfeststellungsverfahren setzen, überrascht mich doch.

Im zweiten Teil des Antrages gibt es durchaus – das habe ich auch im Ausschuss schon gesagt – einige Punkte, die wir ähnlich formuliert haben und bei denen Sie Unterstützung von uns bekommen können. Den Ausbau des Bündnisses für Infrastruktur bzw. der Mobilitätsstation „Zukunftsnetz Mobilität“ haben wir in rot-grüner Regierungszeit selber auf den Weg gebracht – unter Minister Groschek –, also die Mobilitätsberatung über die Verkehrsverbünde und das, was davon ausgegangen ist. Multimodale Mobilitätsstationen und Carsharing finden in jedem Fall unsere Unterstützung. Carsharing ist ein Thema, mit dem ich mich sehr intensiv beschäftigt habe.

Vielleicht sollte man nach einem Jahr erst mal bilanzieren. Wie schaffen wir es, außerhalb der urbanen Zentren wie Düsseldorf, Köln oder Dortmund in Städten wie Wuppertal, Hamm, Hagen oder Bielefeld etc. gute, verlässliche, breitgefächerte Carsharing-Angebote vorzuhalten?

Das ist eine echte Aufgabe, eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Es gilt, Anbieter und passende Stellplätze in den Innenstädten zu finden. Auch hier greifen Sie ein Thema auf, von dem ich auf jeden Fall sagen würde: Das geht in die richtige Richtung. Bei der Umsetzung allerdings wird uns interessieren, welche konkreten Maßnahmen Sie ergreifen werden.

Zur Anhörung – ich habe es zweimal im Ausschuss thematisiert –: Herr Middeldorf, Sie haben zwei Namen genannt, nämlich den Leiter des Wuppertal Institutes und Herrn Kirschbaum von Door2Door. Zwar waren viele Beiträge substanziell; aber die Beiträge der beiden Genannten waren die innovativsten und spannendsten.

Wenn Sie sich in Ihrer Verkehrspolitik bestätigt sehen, sage ich dazu: Es waren viele Anregungen darunter, die noch nicht Status quo sind, sondern mit vielen Vorschlägen zur Änderung von Strukturen und Finanzierungssystemen weit in die Zukunft hineinreichen. Die Beiträge jedenfalls waren gut.

Ich kann nur begrüßen, dass Sie das aufgegriffen und in einem Änderungsantrag aufgenommen haben. Wir von grüner Seite werden den Änderungsantrag unterstützen, weil er an dem Punkt inhaltlich einfach gut und richtig ist und den Antrag ein Stück weit in die richtige Richtung bewegt.

In der Gesamttonalität, beginnend mit den Punkten zum Straßenbau bis hin zu den eben angesprochenen Aspekten, können wir als Fraktion der Grünen den Antrag in seiner Gesamtheit allerdings nicht unterstützen. Wir werden uns bei dem Antrag enthalten, weil er auch viele zukunftsweisende sowie innovative und ökologische Verkehrsansätze enthält.

Ich bin gespannt auf die Entwicklung in den nächsten Monaten und Jahren, wie Sie – Sie als Regierung haben den Auftrag dazu – aus den Punkten reale Politik machen werden. Das werden wir konstruktiv und kritisch begleiten und sehen, was daraus wird.

Sie waren mit Ihrer Einschätzung – das schließt meine Rede ab –, wir Grüne würden das alles ideologisch sehen und wollten dazu keinen Beitrag leisten, ein bisschen zu vorschnell. Relevante Punkte dieses Antrages können wir nämlich unterstützen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klocke. – Als nächster Redner erhält für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Vogel das Wort.

Nic Peter Vogel (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gar nicht so schwer, es besser zu machen als die abgewählte Landesregierung; es ist jedoch verdammt schwer, es richtig gut zu machen.

Dieser Antrag enthält – wie gerade bereits gesagt wurde – viele gute und richtige Ansätze. Meiner Ansicht nach sind das aber Selbstverständlichkeiten, und der Antrag wird nicht wirklich konkret. Wäre dieser Antrag eine E-Mail, würde er bei mir im Spam-Ordner landen. Wäre er ein Zeitungsartikel, würde ich ihn wahrscheinlich unter der Rubrik „Panorama“ suchen: ein bisschen was für das Gemüt, schnell gelesen, direkt wieder vergessen.

Ich greife ein paar Punkte heraus.

Wiederherstellung und der Ausbau der Verkehrsträger: Selbstverständlich, dafür sind Sie doch gewählt worden. Darauf warten die Menschen schon so viele Jahre.

Erhöhung der Effizienz der Verkehrsnetze: Wir leben im 21. Jahrhundert. Das sollte sicherlich mal angegangen werden.

Stärkung der ländlichen Regionen: Na klar, angesichts der aktuellen Wohnungsnot, die uns auch in Zukunft erhalten bleiben wird, ist das ganz klar ein Zukunftsmodell. Darüber müssen wir natürlich nachdenken.

Als wir gehört haben, das Ganze werde technologieoffen, haben wir doch die Ohren gespitzt. Als es dann noch hieß, das Ganze werde auch ideologiefrei, haben Sie uns dann endgültig mit an Bord geholt.

Dennoch ist der Antrag einfach zu beliebig. Er wird in vielen Teilen nicht konkret. Wenn es heißt: „Wir wollen ein Fördern der multimodalen Mobilitätzentren“, dann frage ich mich: Was kann ich mir konkret darunter vorstellen? Machen wir jetzt ein Park-and-ride-System, Technologie auf dem neuesten Stand, anspruchsvolle Supervernetzung für den Nutzer? Oder handelt es sich um einen Fahrradständer an einer Bushaltestelle? So weit nämlich ist der Auslegungsraum.

Der Fairness halber muss man sagen: Sie sind jetzt seit einem Jahr an der Regierung. Der Antrag ist nun aber schon sechs oder sieben Monate alt. Wir sind absolut der Meinung, dass jetzt etwas passieren soll, und zwar möglichst schnell.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, Herr Wüst: Wenn Sie in ein oder zwei Jahren sagen können: „Das haben wir auf die Kette gekriegt, das haben wir gebracht; schauen Sie sich diese Projekte an, die laufen hervorragend“, dann sind wir die Letzten, die das nicht neidlos anerkennen würden. Sie sind jetzt am Drücker. Wir sind in uns gegangen und zu dem Ergebnis gekommen: Diesen Antrag können wir mit einer wohlwollenden Enthaltung bedenken. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. – Für die Landesregierung erhält nun Herr Minister Wüst das Wort.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mobilität ist Voraussetzung für individuelle persönliche Freiheit, für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Nordrhein-Westfalen. Das ist heute so, und das wird auch in Zukunft so bleiben.

In der Verkehrspolitik richtet sich unser Blick deshalb nicht nur auf die Versäumnisse der Vergangenheit und auf die Anforderungen der Gegenwart, sondern auch und vor allem auf die Herausforderungen und Chancen der Zukunft. Sie liegen insbesondere in Digitalisierung und vernetzter Mobilität.

Nordrhein-Westfalen soll – das ist unser hoher Anspruch – in Fragen der Mobilität Modellregion werden. Daran arbeiten wir. Da gibt es noch viel zu tun. Ich lade Sie herzlich ein, gemeinsam daran mitzuwirken.

Herr Löcker, Sie könnten sich an der differenzierten Auseinandersetzung von Herrn Klocke ein Beispiel nehmen. Ich erwarte von den Grünen nicht, dass sie auf einmal für die Autos sind. Bei dem neuen politischen Spielfeld der Mobilität 4.0 mit der Digitalisierung – natürlich hätte man in Nordrhein-Westfalen schon früher damit anfangen können; das ist der Vorwurf, den man Ihnen machen kann – könnte man gemeinsam einen konstruktiven Dialog beginnen, bei dem man sich gegenseitig ein bisschen befeuert. Sie können uns gerne antreiben – das ist auch Aufgabe von Parlament – und kontrollieren, ob wir wirklich etwas schaffen.

Bei Ihrem grundsätzlichen Duktus, immer so beleidigt zu sein und dann zu sagen: „Ihr macht eine Politik, die wir auch gemacht hätten“, fühle ich mich noch nicht einmal kritisiert.

(Zuruf von der SPD: Wir sind nicht beleidigt!)

Ich empfinde es als Lob, wenn Sie sagen: Herr Wüst, Sie machen eigentlich eine ordentliche Politik. Etwas anderes hätten wir auch nicht gemacht.

(Zuruf von der SPD: Das gilt nicht im Allgemeinen!)

Ich kann auch mehr Kritik vertragen. – Besser im Sinne des Landes wäre es jedoch, wenn Sie sich auf dieses neue Spielfeld der Politik einlassen und gemeinsam mit uns in einen Wettstreit der besten Ideen eintreten würden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mobilität 4.0, vernetzte Mobilität, Digitalisierung in der Mobilität bieten eine Menge Chancen: Verbesserung des Verkehrsflusses, Chancen zur Vermeidung von Parkplatzsuchverkehren, Chancen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, Chancen zur Effizienzsteigerung – das ist sicher auch interessant für die Grünen –, Chancen zur Befriedung neuer individueller Mobilitätsbedürfnisse, unabhängig vom Eigentum, Chancen, Mobilitätsketten besser darzustellen und besser anzubieten, auch außerhalb des eigenen Autos Wegstrecken viel besser zu bewältigen.

Das ist eine ganze Menge an Chancen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

Ich habe die große Ehre und das Vergnügen, in einer Landesregierung dienen zu dürfen, in der Mobilitätspolitik insbesondere – und an dem Punkt sowieso – völlig streitfrei ist. Da habe ich es einfacher, als Sie es früher miteinander hatten. Das ist nun mein Privileg; schelten Sie mich nicht dafür, dass ich es da einfacher habe. Sie haben es sich da selber schwer gemacht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber den Koalitionspartner haben Sie sich damals selber ausgesucht – es hätte ja auch andere gegeben. – Ich darf daran arbeiten, ich darf Expertise aufbauen, ich darf mein Haus verstärken – um über 30 Stellen allein für einen Thinktank, der Kompetenz und Wissen auflädt, um uns in Nordrhein-Westfalen voranzubringen.

Deswegen bin ich ebenso wie die Landesregierung dankbar für den Antrag der Fraktionen, auch für den Änderungsantrag. Es macht ja Sinn, wo immer möglich europäische Strukturfondsmittel zu nutzen und das eigene Budget zu schonen. Das hätte der Finanzminister sicher gern gehört, wenn er hier gewesen wäre. Ich wäre insofern auch dankbar, wenn der Änderungsantrag angenommen würde.

Eines will ich allerdings betonen, wo ich gerade über Budget und Haushalt rede. Herr Löcker, wenn Sie sagen: „Es ist ja nichts passiert, Sie machen doch nichts“, muss ich dem entgegenhalten: Über 100 Millionen € mehr im Budget bei unserem ersten Haushalt – und in der mittelfristigen Finanzplanung auch noch mehr – ist nicht nix.

Ich sage nur: NE-Bahn-Förderung; ich verweise auf die 50 zusätzlichen Planer bei Straßen.NRW; ich erinnere an die Förderung der Mobilstationen, die Herr Klocke angesprochen hat. Also – 100 Millionen € mehr für bessere Mobilität in Nordrhein-Westfalen sind nicht nichts, sondern ein veritabler Neuanfang in der Mobilitätspolitik in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, soweit ich sehe, gibt es keine weiteren Wortmeldungen – das bleibt auch beim Blick in die Runde so –, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/2825 – Neudruck. Ich darf um das Votum bitten, wer dem Antrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten von CDU, FDP und – wie angekündigt – Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD. Enthaltungen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit hat der Änderungsantrag 17/2825Neudruck – die Mehrheit des Hauses gefunden und ist angenommen.

Ich lasse im Weiteren über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP abstimmen. Der Verkehrsausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/2747, den Antrag Drucksache 17/1282 unverändert anzunehmen. Jetzt haben wir im Parlament gerade eine Änderung beschlossen, sodass ich über den Antrag in der gerade geänderten Fassung abstimmen lasse und eben nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich bitte um das Votum. Wer dem so geänderten Antrag zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD. Enthaltungen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1282 in der soeben geänderten Fassung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Abgeordneten des Hauses angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt auf:

5   Raus aus der „Teilzeitfalle“ – Teilzeitrecht weiterentwickeln, Brückenteilzeit einführen und Rückkehrrecht in Vollzeit ermöglichen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2756 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD Frau Kollegin Lüders das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Nadja Lüders (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir könnten heute sagen: Was lange währt, ist einen Schritt weiter. Seit gestern liegt nun der Kabinettsbeschluss zu dem von unserem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eingebrachten Gesetzentwurf vor, in dem das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit sowie das Brückenteilzeitrecht geregelt werden.

(Beifall von der SPD)

Was lange währt – wir kennen die Vorgeschichte: Noch im September letzten Jahres hat die CDU-Fraktion dem Gesetzentwurf in diesem Hause die Unterstützung verweigert und damit auch – wie Minister Laumann immer gern zugibt – sein Verhandlungsergebnis in diesem Bereich ein Stück weit torpediert.

Nun hoffe ich und setze dabei auf Sie, die CDU-Fraktion, dass Sie dies Ihren Bundestagskollegen mit auf die Reise geben, sodass dieser Gesetzentwurf im Parlament zügig behandelt und zum Abschluss gebracht wird und wir an dieser Stelle nicht erleben müssen, was gerade in Ihrer Fraktion im Bundestag läuft.

Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf erreichen, dass dafür Sorge getragen wird, dass die Arbeit zum Leben passt, weil sich das Leben heute völlig anders ausrichtet als vielleicht noch zu meiner Zeit oder zu den Zeiten der Generationen davor, wo man von der Lehre bis zum Rentenalter

(Minister Karl-Josef Laumann: Sie sind doch noch jung!)

– na ja, das täuscht – in nur einem Betrieb beschäftigt war. Arbeit muss zum Leben passen. Die Wirtschaft muss sich diesem Erfordernis anpassen – und nicht andersherum: dass die Wirtschaft diejenige ist, die diktiert, wie Arbeit auszusehen hat.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen diesen Anspruch dringender denn je; denn wenn man sich vergegenwärtigt, dass 6,6 Millionen Beschäftigte hier in NRW sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind – davon 1,7 Millionen teilzeitbeschäftigt und davon wiederum 80 % Frauen – und wir in Sonntagsdebatten jedes Mal über Altersarmut reden, dann bedeutet es einen Ausweg aus der Altersarmut, wenn Frauen dieses Rückkehrrecht endlich verbrieft und gesetzlich geregelt wahrnehmen können.

Deshalb noch einmal: Lösen Sie sich bitte von Ihrer Blockadehaltung im Vorfeld, als von Ihrer Bundesgeneralsekretärin plötzlich Verteidigungsetats mit in die Waagschale geworfen wurden, als plötzlich Ankerzentren mit Ansprüchen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vermischt wurden. Bitte gehen Sie auf Ihre Bundestagsabgeordneten zu, damit dieses Gesetz zügig zum 1. Januar 2019 in Kraft treten kann. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Lüders. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Oellers.

Britta Oellers (CDU): Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fasse mich heute kurz. Wie von Frau Lüders gerade angesprochen, hat das Kabinett in Berlin gestern den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht – ein anderer Gesetzentwurf, um das noch mal klarzustellen, als der Entwurf, den wir im September besprochen haben.

Im September oder im Oktober, als wir die Diskussion hier im Landtag geführt haben, haben wir immer gesagt, die Arbeitnehmerseite muss genauso wie die Arbeitgeberseite berücksichtigt werden. – Von daher ist der jetzige Entwurf ein guter Entwurf.

Für uns ist der Antrag hier für erledigt zu erklären. Wir werden Ihrem Antrag nicht folgen, weil das Thema in Berlin beschlossen worden ist. Sachverhalte, die in Berlin entschieden werden müssen, müssen wir nicht in Düsseldorf beschließen. Von daher mein kurzes Statement zu Ihrem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich ist auch die FDP-Landtagsfraktion in diesem Hause für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Dabei müssen aber sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberinteressen berücksichtigt werden.

Wir haben es gerade gehört: Der vorliegende Antrag ist im wahrsten Sinne des Wortes von gestern. Dieser Antrag verfolgte nur zwei Ziele: der SPD die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Gesetzentwurf in Berlin lobzuhudeln und die gute Zusammenarbeit hier in diesem Hause zwischen CDU und FDP zu stören. CDU und FDP zu spalten, wird Ihnen mit so einem Antrag nicht gelingen.

Insofern ist dieser Antrag abzulehnen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch ich habe mich etwas gewundert, als ich den Antrag gelesen habe. Dass die GroKo in Berlin dringend der Mediation bedarf, haben wir heute gesehen, und dass die CSU

(Michael Hübner [SPD]: Die CDU/CSU braucht Mediation!)

auf dem Rücken von wichtigen Themen regionalen Wahlkampf für Bayern betreibt, ist uns und der Bevölkerung in Deutschland auch nicht entgangen.

Aber wenn Sie das Thema mit diesem Antrag noch mal aufrufen, wäre es doch das Mindeste gewesen, sich damit auseinanderzusetzen, was im Landtag an Stellungnahmen diskutiert worden ist, und die Debatte zu reflektieren, um den neuen Sachstand darzustellen. Darauf hat die SPD verzichtet.

Ich will ausdrücklich sagen, wir sind sehr dafür, einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen und eine Rückkehr aus Teilzeit zu ermöglichen. Wir reden ungefähr über die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland, die davon profitieren könnten, und davon immer nur ein ausgewählter Teil, weil die Personenkreise noch abgezählt sind. Das finde ich insgesamt ein bisschen schade. Insofern muss man sich nicht wundern, derart kurze und knappe Antworten der Regierungsseite zu bekommen.

Aber eines, Frau Oellers, muss ich Ihnen sagen: Es ist geradezu billig, wie Sie das kommentiert haben: Das ist jetzt ein guter Gesetzentwurf, der aufgrund Ihres Wirkens in Berlin völlig in eine andere Richtung gehen würde als vorher.

Das kann ich überhaupt nicht erkennen. Der Gesetzentwurf ist in wesentlichen Teilen erhalten geblieben. Aus unserer Sicht ging er schon damals nicht weit genug. Aber Ihre Ansicht, als wäre er jetzt gut – ein Verdienst der CDU – kann ich nicht teilen.

Insgesamt werden wir uns, weil wir für das Land Nordrhein-Westfalen aufgrund dieses Antrags keinen weiteren Fortschritt sehen, der Stimme enthalten.

Wir würden uns freuen, wenn sich der Landtag mit effektiv neuen Sachverhalten in der Arbeitspolitik befassen würde. Denn dann könnte es gelingen, die durchaus vorhandenen Widersprüche in dieser Koalition deutlich zu machen. Denn was die FDP unter Flexibilisierung versteht, haben wir sehr gut erfahren. Die Digitalisierung wird damit beantwortet, dass man im Bereich der Gastronomie flexiblere Arbeitszeiten braucht. Herzlichen Glückwunsch! – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die AfD spricht die Abgeordnete Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal haben wir es mit einem Antrag der SPD-Fraktion zu tun, der am Thema und am Ziel vorbeiläuft. Ihr Antrag ist nicht nur redundant, sondern auch fehladressiert. Ein bundespolitisches Thema, welches seit Tagen intensiv auf der Bundesebene diskutiert wird, wird hier an den Landtag gerichtet. Und zu welchem Zweck?

Ja, Frau Stock, Sie sind wohl leider gerade nicht an Ihrem Platz. Aber diese überheblichen Worte waren die Einleitung Ihres gestrigen Debattenbeitrags zu unserem Antrag zum BAMF-Skandal. Ist es Ihnen eigentlich nicht peinlich, sich so zu inszenieren, wenn Sie genau wissen, dass Ihre Fraktion ebenfalls einen Antrag in der Pipeline hat, der sich ausschließlich auf ein Bundesthema bezieht?

Der Antrag richtet sich, wie schon mehrfach gesagt, an den Bund. Er ist eine Wiederholung, weil wir die inhaltliche Debatte schon geführt haben, und überflüssig, weil das Kabinett zu diesem Thema ohnehin schon einen Beschluss gefasst hat.

Noch mal zurück zu dem Zitat am Anfang: Welchen Zweck verfolgen Sie mit einem solchen Antrag? – Vermutlich wollen Sie mal wieder etwas für die Arbeiter tun. Nachdem Ihnen attestiert wurde, dass Sie eine Volkspartei ohne Volk sind, möchten Sie hier in der Debatte mal wieder deutlich machen, dass Sie sich die Sorgen der kleinen Leute zu eigen machen.

Allerdings ist das nicht glaubwürdig, und das haben Sie in den letzten anderthalb Tagen wieder sehr deutlich gemacht, weil die einfachen Leute anscheinend die falschen Sorgen haben. Die passen nämlich nicht zu Ihrer politischen Agenda. Da möchte ich Ihnen das Zitat von Adenauer ans Herz legen:

„Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt‘s nicht.“

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Der würde sich im Grab umdrehen!)

Stattdessen bedienen Sie ohnehin mit Ihren Forderungen, auch was das Teilzeitgesetz betrifft, in erster Linie Ihre Klientel, nämlich die Gewerkschaften. Allerdings reiten Sie auch da einen toten Gaul. Nicht mal mehr 20 % aller Arbeitnehmer sind überhaupt gewerkschaftlich organisiert, und die demografische Struktur in den Gewerkschaften lässt anmuten, dass in zehn bis 20 Jahren da kaum noch einer drin ist.

In atypischen Arbeitsverhältnissen, wozu auch die Teilzeitbeschäftigung zählt, sind noch sehr viel weniger Menschen gewerkschaftlich organisiert. Spätestens dann werden sich irgendwann die Gewerkschaften als das entblößen, was sie sind, nämlich mittlerweile Ihre Parteivorfeldorganisation.

Auch inhaltlich hinkt die Argumentation. Wir hatten es schon seinerzeit in der Debatte aufgezeigt. Weniger Altersarmut – wie es da gerade schon wieder hieß – durch die Rückkehr in Vollzeit ist natürlich auch eine Mär. Denn wenn Sie im prekären Arbeitsverhältnis oder in einem durchschnittlichen Arbeitsverhältnis in Nordrhein-Westfalen beschäftigt sind, werden Sie mit einer Vollzeitbeschäftigung im Alter, selbst wenn Sie 45 Jahre arbeiten gehen, in Armut leben, auf jeden Fall nicht auskömmlich. Also ist es vielleicht eine Option für die besser Qualifizierten, die dann tatsächlich etwas von der Rückkehr in die Vollzeitbeschäftigung hätten, um dann eine auskömmliche Rente zu beziehen.

Wir haben es doch letztens erst bei der Anhörung zum Thema „Langzeitarbeitslosigkeit“ gehört. Bei der Sozialkonferenz Ruhr wurde es auch noch mal von allen Seiten bestätigt. Aufgrund des Fachkräftemangels, der aktuell ist und in der Zukunft noch viel größer wird, können es sich die Unternehmer gar nicht mehr leisten, auf Arbeitskräfte zu verzichten. Und wenn sie gut qualifizierte Arbeitskräfte schon beschäftigt haben und die anschließend in eine Vollzeitbeschäftigung zurückkehren möchten, dann ist es doch sehr wahrscheinlich, dass der Arbeitgeber auch ein Interesse daran hat.

Nicht umsonst gibt es ganz interessante Versicherungsansätze, auch von einer sehr erfolgreichen Schweizer Versicherung, die das Unternehmen auch schon anbietet. Sie haben ein Konzept, dass man zum Beispiel Langzeitkranke wieder als Vollzeitbeschäftigte in einen Betrieb zurückgeholt, weil die Arbeitgeber selbst ein so großes Interesse daran haben, dass ihre guten Leute wieder vollzeitbeschäftigt sind, da es nämlich davon nicht so viele gibt und in Zukunft noch viel weniger. Aber gut.

Der SPD ist natürlich auch die Gerechtigkeit immer ein großes Anliegen. Dann frage ich mich, wie das Gesetzesvorhaben es mit der Gerechtigkeit hat. Denn wenn ich in einem kleinen Unternehmen beschäftigt bin, habe ich ohnehin Pech. Da greift die gesetzliche Regelung gar nicht. Und wenn ich in einem mittleren Unternehmen Nummer 16 bin, der jetzt einfällt, sich qualifizieren zu wollen, dann habe ich auch Pech gehabt. Hier profitiere ich auch nicht davon. Von daher bin ich sehr gespannt, wie das später alles mit der allgemeinen Gleichbehandlung ausgehen soll.

Wenn letzten Endes der eine oder andere Arbeitgeber dann die Schnauze voll hat und ins Ausland wechselt, haben noch viel mehr Leute Pech gehabt, die dann nämlich wieder ihren Arbeitsplatz verlieren. Ich bin mir sicher, auch dann werden wir wieder Anträge von der SPD vorfinden.

Also, ob jetzt hier im Land oder im Bund, Sie zünden eine Nebelkerze nach der anderen, um immer wieder zu verdeutlichen, dass Sie sich für Arbeitnehmer oder halt für die einfachen Leute einsetzen möchten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Abschließend ist zu sagen – das haben Sie in den letzten 30 Stunden noch einmal sehr deutlich gemacht –: Sie haben den Bezug zur Realität völlig verloren. Sie haben den Bezug zum Volk verloren. Und Sie sind eine Volkspartei ohne Volk.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann jetzt das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich in Vorbereitung dieser Sitzungswoche den SPD-Antrag gelesen habe, habe ich gedacht: Naja, das ist wieder der Versuch, Regierung und Opposition in einer Partei zu sein. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie so weiter!

Doch als ich dann gesehen habe, dass das Kabinett am Mittwoch alles so verabschiedet hat, wie wir es vereinbart haben, und Sie dann diesen Antrag noch nicht einmal von der Tagesordnung genommen haben, habe ich mich gefragt: Wollen Sie den Landtag von Nordrhein-Westfalen eigentlich zum Leeren Stroh-Dreschen einladen?

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Fakt ist, dass man jetzt in der Regierung eine vernünftige Lösung gefunden hat. Wenn man so ein Thema lösen will, dann muss man drei Dinge unter einen Hut bringen, nämlich zum einen, die berechtigten Interessen der Menschen, Familie und Arbeit miteinander zu verbinden. Das gilt eben nicht nur für Familienverpflichtungen, wenn man Kinder hat. Es gibt auch Familienverpflichtungen, wenn man alte Familienangehörige hat, um die man sich kümmern muss. Zum Zweiten muss man die Interessen der Arbeitgeber sehen, weil sie die Bewältigung ihres Arbeitsumfangs auch planen können müssen. Und man muss als Drittes sehen – das wird in der Diskussion immer vergessen –, dass man für jemanden, dem man ein Privileg gibt, zum Beispiel eine Teilzeitbeschäftigung mit einem Rückkehrrecht, einen anderen Arbeitnehmer braucht, der diese Lücke ausfüllt,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ach Mensch!)

nämlich mit einem befristeten Arbeitsvertrag.

Dann führen Sie hier anschließend wieder die Debatten und werfen mir vor, dass aus Ihrer Sicht die prekäre Beschäftigung zugenommen hat. Das ist doch auch die Wahrheit.

Deswegen, finde ich, ist das, was jetzt in Berlin gemacht worden ist, eine gute Abwägung dieser drei Punkte. Die nordrhein-westfälische Landesregierung wird dies sicherlich im Bundesrat positiv begleiten. Deswegen ist diese Debatte eigentlich seit Mittwochmittag überflüssig. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt durch.

Wer dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/2756 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer möchte sich enthalten? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist damit der Antrag Drucksache 17/2756Neudruckabgelehnt.

Damit schließe ich Tagesordnungspunkt 5.

Ich rufe auf:

6   Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2767 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Schäffer jetzt das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, wir wissen: Nordrhein-Westfalen ist ein Einwanderungsland. Unsere Gesellschaft ist geprägt von Vielfalt. Etwa 25 % der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben eine Migrationsgeschichte. Wenn wir uns nur die Zeit der Arbeitsmigration nach 1945 anschauen, dann sehen wir, dass Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer, kultureller und religiöser Hintergründe seit über einem halben Jahrhundert zusammen leben, arbeiten, lernen, feiern. Auch schon davor hat es Migrationsbewegungen gegeben, die unsere Gesellschaft ganz entscheidend geprägt haben.

Aber nicht alle sehen Vielfalt und Zuwanderung so positiv und als Chance für unsere Gesellschaft. Rassismus und auch andere menschenfeindliche Einstellungen kommen aus der Mitte der Gesellschaft, und sie richten sich nicht nur gegen diejenigen, die schon vor einiger Zeit oder eben auch neu zugewandert sind, sondern diese menschenfeindlichen Einstellungen richten sich auch gegen andere Minderheiten in unserem Land.

In den letzten Jahren hat es bei den politisch rechts motivierten Straftaten einen kontinuierlichen Anstieg gegeben. Das ist erschreckend. In den Jahren 2015 und 2016 stieg die Zahl der rechten Straftaten sprunghaft an.

Verantwortlich dafür ist auch die rassistische Stimmungsmache von rechtspopulistischen Akteuren. Denn man muss sich immer vor Augen führen, dass rassistische und rechtspopulistische Äußerungen als Legitimation von Rechtsextremen genutzt werden, um Meinungen, um Einstellungen in Handeln umzusetzen und Menschen anzugreifen.

(Beifall von den GRÜNEN und Prof. Dr. Rainer Bovermann [SPD])

Da kann man eigentlich noch nicht so sehr klatschen, denn vielmehr ist die Aussage wichtig, was das denn überhaupt bedeutet. Diese Feststellung ist erst einmal wichtig, aber ich meine, es gilt hier genauso wie bei der Debatte zum Thema „Antisemitismus“, dass jeder Angriff auf einen Menschen, jeder Angriff auf eine Person aufgrund von äußeren Merkmalen, aufgrund seiner Religion, seines Geschlechts ein Angriff auf unsere demokratische, auf unsere rechtsstaatliche Gesellschaft ist. Dem müssen wir uns als Demokratinnen und Demokraten entgegenstellen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Um dieser Entwicklung entgegentreten zu können, brauchen wir ein abgestimmtes Konzept. Es gibt ja sehr viel im Land. Es gibt die verschiedenen Beratungsstellen, es gibt die Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus, es gibt die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, es gibt auch Aussteigerprogramme. Wir haben also bereits eine breite Beratungslandschaft in Nordrhein-Westfalen. Es ist aber wichtig, dass diese verschiedenen Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind und dass die Kommunen und die Zivilgesellschaft mit in die Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus einbezogen werden.

Deshalb haben wir als rot-grüne Koalition in der letzten Legislaturperiode auf Landesebene ein integriertes Handlungskonzept auf den Weg gebracht. Darüber hinaus haben wir gesagt – das war ein Ergebnis des Handlungskonzeptes –, dass wir auch ein Förderprogramm für die Kommunen brauchen. Es gibt inzwischen 25 Kreise und kreisfreie Städte, die vom Land dafür gefördert werden, dass sie vor Ort Handlungskonzepte entwickeln und umsetzen.

Ich will hier einmal denjenigen danke schön sagen, die das vor Ort machen. Zum einen bedanke ich mich bei den Kommunen, die sich beteiligen und sich entschlossen haben, sowohl Geld zu beantragen als auch eigenes Geld hierfür aufzuwenden, obwohl die kommunale Haushaltslage überall sehr schwierig ist. Andererseits möchte ich mich bei denen in der Zivilgesellschaft bedanken, die konkret vor Ort diese Arbeit umsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Klar ist, und das ist meines Erachtens auch heute Morgen in der Debatte zum Antisemitismus sehr deutlich geworden, dass die Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus eine Daueraufgabe demokratischer Gesellschaften ist und nachhaltig gestaltet werden muss.

Allerdings läuft das kommunale Förderprogramm „NRWeltoffen“, das Programm, aus dem die Kommunen gefördert werden, Ende dieses Jahres aus. Und das integrierte Handlungskonzept, das wir geschaffen haben, läuft Ende des nächsten Jahres aus. Deshalb brauchen wir so dringend die konkrete Aussage der Landesregierung darüber, ob sie denn diese Förderprogramme fortführen will. Es geht meiner Meinung nach nicht nur um die Fortführung, sondern es geht auch darum, dass die Kommunen, die bisher nicht daran teilnehmen – es sind bisher, wie gesagt, 25; da ist also noch Luft nach oben –, die Möglichkeit bekommen, sich zu bewerben, sodass das Programm landesweit ausgeweitet wird.

Gerade die Menschen, die haupt- und ehrenamtlich arbeiten, brauchen eine Perspektive für ihre Arbeit und müssen wissen, ob es denn eigentlich weitergeht. Die Landesregierung hat erklärt, dass sie dieses kommunale Förderprogramm gerade evaluiert und danach entscheidet. Es läuft aber in einem halben Jahr aus.

Ich finde, die Zeit ist zu kurz, um im Herbst eine Entscheidung zu treffen. Die Entscheidung brauchen wir jetzt. Wir brauchen jetzt die Zusage an die Kommunen, an die Projektträger, ob es weitergeht oder nicht. Das ist gerade unter dem Eindruck der aktuellen Stimmungsmache im Land, wenn ich an die Debatte denke, die wir heute Morgen zum Thema „Antisemitismus“ geführt haben und an die wir hier anknüpfen können, wichtig. Gerade unter dem Eindruck der derzeitigen Situation ist es mehr als dringend geboten, dass die wichtige Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus fortgesetzt wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Genau wie im Fall des Antisemitismusbeauftragten ist es bedauerlich, dass es notwendig ist, einen solchen Antrag stellen zu müssen.

Wenn alle friedlich und respektvoll in unserem Land zusammenleben würden, müssten wir heute nicht über menschenverachtende Formen der Diskriminierung und des Hasses reden, weil es sie nicht geben würde. Leider ist dies zunehmend zu einer Wunschvorstellung geworden. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Aber was ist mit Rassismus heute gemeint? – In der Regel erklären die heutigen Rassisten die Unterschiede nicht mehr genetisch, sondern sie rekurrieren auf kulturelle Faktoren. Dadurch entsteht ein Denkhorizont, der von der einschlägigen Forschung als kultureller Rassismus oder Neo-Rassismus bezeichnet wird, ein Phänomen, das sich vielen Menschen in unserem Land nur dort, wo äußerliche Merkmale die Unterscheidung ermöglichen, erschließt.

So berichtete kürzlich die rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Giorgina Kazungu-Haß, dass sie ein Zugbegleiter, ohne nach ihrer Fahrkarte zu fragen, aus der ersten Klasse werfen wollte, offenbar weil ihm ihr dunkler Hautton missfiel. In den Kommentaren war dann zu lesen, dass dies beileibe kein Einzelfall ist, sondern offensichtlich tagtäglich vorkommt. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Form des Rassismus mitten in unserer Gesellschaft angekommen ist.

Dieses Gedankengut wurde ab den späten 60er-Jahren von der sogenannten Neuen Rechten konzipiert und gehört heute zum Gedankengut der rechtsextremen Parteien und des Rechtsextremismus insgesamt.

Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt es so – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –:

„Fremdenangst erscheint in diesem Weltbild als natürliche Reaktion auf kulturelle Einflüsse von ‚außen‘, Multikulturalität als Unmöglichkeit.“

Deshalb ist die Förderung der Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus in unserem traditionell multikulturellen Bundesland notwendiger denn je. Es ist diese Form des Rassismus, die den Steigbügelhalter für den Rechtsextremismus bildet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Scheinbar unbemerkt sinken Hemmschwellen, während sich die Akzeptanz von rechtsextremen menschenverachtenden Positionen erhöht – eine Entwicklung, die gerade die SPD als Partei mit einer großen antifaschistischen Tradition alarmiert. Es besteht zweifelsohne verstärkter Handlungsbedarf.

Mit den bestehenden Handlungskonzepten werden die Förderung von zivilgesellschaftlichem bzw. bürgerschaftlichem Engagement, aber auch die Demokratieförderung und die Förderung des respektvollen Umgangs auf kommunaler Ebene direkt vor Ort und in den Bildungseinrichtungen nachhaltig unterstützt.

Darüber hinaus sind es vor allem die gesellschaftliche Vielfalt und die interkulturelle Verständigung, die in den vergangenen Jahren in den Fokus der Förderung genommen worden sind.

Mit dem integrierten Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus hat die ehemalige rot-grüne Landesregierung einen wichtigen Schritt getan, der durch das Förderprogramm für kommunale Handlungskonzepte gegen Rassismus und Rechtsextremismus „NRWeltoffen“ bis in die Kommunen hineingetragen wurde.

Die angestoßenen Projekte laufen erst seit anderthalb Jahren und werden bis zum Ende dieses Jahres bzw. bezogen auf das Handlungskonzept im Jahre 2019 auslaufen. Angesichts der nicht kleiner gewordenen Herausforderungen ist es also höchste Zeit, sich der Fortschreibung respektive dem flächendeckenden Ausrollen der beschlossenen Konzepte zu widmen.

Wenn wir wollen – und ich gehe davon aus, dass dies allgemeiner Konsens in diesem Hohen Hause ist –, dass unser Land das bleibt, was es immer war, nämlich ein Land, das von der Vielfalt der Menschen und der Zuwanderung immer profitiert hat, müssen wir uns verstärkt dem Schutz dieses weltoffenen Nordrhein-Westfalen und seiner Bewohnerinnen und Bewohner widmen.

Rassismus und Rechtsextremismus gehören nicht zu unserer DNA. Deshalb ist es notwendig, dass jede Form des Rassismus und des Rechtsextremismus ernst genommen wird.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Müller-Witt, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Beckamp würde Ihnen gerne eine Frage stellen.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Danke, nein. – Es gilt, an den Ursachen anzusetzen. Die Arbeit vor Ort in den Kommunen im direkten Kontakt mit den Betroffenen sowohl auf Opfer- als auch auf Täterseite, aber auch mit dem Umfeld zeigt inzwischen erste Erfolge, die ermutigen, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen.

Eine Entscheidung ist jetzt zu fällen, damit diejenigen, die engagierte Arbeit leisten, nicht unnötig eine längere Zeit der Ungewissheit über die Fortsetzung ihrer wertvollen Arbeit erfahren müssen.

Deshalb lautet mein Appell an dieses Hohe Haus: Stimmen Sie dem gemeinsamen Antrag von Grünen und SPD zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Müller-Witt, bleiben Sie bitte am Redepult. Es hat die Anmeldung einer Kurzintervention von Herrn Kollegen Beckamp gegeben.

Roger Beckamp (AfD): Frau Müller-Witt, vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich hätte Ihnen auch gerne als Zwischenfrage gestellt, wie viel Geld denn für dieses Handlungskonzept, für die Förderprogramme in die Hand genommen werden soll.

Es drängt sich mir nämlich der Eindruck auf, dass das Ganze mehr eine Jobmaschine sein soll für Ihr links-grünes Umfeld, dass dort Stellen geschaffen werden sollen unter dem Deckmäntelchen des Kampfes gegen den Extremismus. Das ist leider ganz oft der Fall.

Insofern müssen wir auch einmal darüber reden, was sich der Steuerzahler das kosten lassen soll, schlichtweg unter dem Etikett des Gutmenschentums irgendwelche Personen zu versorgen.

Ich hätte gerne von Ihnen gewusst: Was kostet der ganze Unfug, den Sie da verbreiten?

(Beifall von der AfD – Zuruf von den GRÜNEN – Gegenruf von Dr. Christian Blex [AfD]: Für Ihre Studienabbrecher!)

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Ich werde Ihnen den Nutzen nennen. Der Nutzen dieses Konzeptes liegt darin, dass wir Rechtsextremismus und Rassismus systematisch zurückdrängen. Ihr Beitrag hat gerade wieder gezeigt, dass das dringend notwendig ist.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Günther Bergmann [CDU])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Nacke.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen weist auf ein wichtiges politisches Handlungsfeld hin. Es geht um die Sicherung der Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens.

Es ist gut, wenn die Thematik „Rechtsextremismus und Rassismus“ politische Aufmerksamkeit erhält, und es ist gut, wenn sich der Landtag damit befasst.

Die NRW-Koalition hat, wie Sie aus dem Koalitionsvertrag wissen, fest vereinbart, Rechts- und Linksextremismus sowie politischer Gewalt entschieden entgegenzutreten.

Wir wollen dies tun mit konsequenter Strafverfolgung, mit Programmen zur Aufklärung und Prävention sowie in Form der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die aktiv für unseren gemeinsamen Wertekonsens eintreten.

Die NRW-Koalition hält sich an Absprachen und an verabredete Verfahrensabläufe. Deswegen greifen wir den Ergebnissen der Evaluation des kommunalen Förderprogramms „NRWeltoffen“, das im Antrag angesprochen wird, nicht vor.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Und was ist mit dem Handlungskonzept?)

Wir werden in ihrem Lichte und im Zusammenhang mit allen anderen Aktivitäten in diesem Feld über seine Fortsetzung entscheiden.

Gerne nehme ich aber Ihren Antrag zum Anlass, den ehren- und hauptamtlich Engagierten für ihre wichtige Arbeit für die Sicherung der demokratischen Grundlagen unseres Gemeinwesens zu danken. Ihre Arbeit ist im Wortsinn notwendig.

Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist leider voreilig gestellt.

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und Roger Beckamp [AfD] – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wir danken für die Arbeit, aber es gibt kein Geld, oder wie? – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Nacke. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Deutsch.

Lorenz Deutsch (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, für die Aufregung, die da gerade entsteht, besteht wirklich kein Anlass. In einem sind wir uns einig, glaube ich, zumindest was vier Fraktionen in diesem Haus angeht: Für Rechtsextremismus, für Rassismus ist in Nordrhein-Westfalen kein Platz.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Haltung ist Konsens zwischen der NRW-Koalition und den Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen. Diese gemeinsame Grundhaltung sollten wir auch gemeinsam vertreten, diesen Schulterschluss pflegen und nicht irgendwie auseinanderlaufen, weil wir in unterschiedlichen Zeitphasen unterwegs sind.

Uns verbindet, dass wir Gesellschaft als einen Zusammenhang von Gleichberechtigten denken: im Wortsinne gleich berechtigt vor dem Grundgesetz. Uns verbindet, dass wir nicht Einzelne oder einzelne Gruppen wegen Herkunft, Geschlecht oder Religion ausgrenzen.

(Andreas Keith [AfD]: Das machen Sie gerade!)

– Manche grenzen sich selbst aus. Daran kann man dann nichts ändern.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Andreas Keith [AfD]: Ganz billig und arm!)

Uns unterscheidet von den extremen Rechten und den Rassisten eben, dass deren Denken ganz wesentlich auf der Logik von Ausgrenzung basiert.

(Andreas Keith [AfD]: Sie grenzen doch auch dauernd aus!)

– Nein. Das ist keine Ausgrenzung.

(Andreas Keith [AfD]: Doch, das genau ist es!)

– Das ist keine Ausgrenzung, das ist ein Unterschied in der Denkart.

(Andreas Keith [AfD]: Nein, das ist nicht der Unterschied!)

Wenn Sie auf der falschen Seite stehen, dann tut mir das leid.

(Andreas Keith [AfD]: Sie reden doch nicht mal mit einem von uns! Das ist doch das Problem!)

Also, wir unterstützen die Intention dieses Antrages. Ich betone: Dieses Handlungskonzept hat sehr viele Perspektiven, die richtig sind.

Es steht die Evaluation an. Hier wurde eben gesagt, die Kommunen wüssten nicht, ob es weitergeht oder nicht. Diese Sorge kann man sehr einfach ausräumen: Es wird weitergehen. Die Frage bei dieser Evaluation wird sein: Wird es genau so weitergehen? –Es sind ja viele Differenzen in diesem guten Handlungskonzept, in diesen Handlungsfeldern. Von daher wird man sich dann schon die Fragen stellen dürfen: Was funktioniert davon eigentlich gut? Was davon funktioniert vielleicht nicht gut? Was sollten wir besser machen? – Diese Zeit sollten wir uns nehmen und dann entsprechend nachsteuern. Natürlich wird es in der Richtung so weitergehen.

Hier gibt es also keine Hopp-oder-Top-Entscheidung, sondern es wird eine Evaluation geben, deren Ergebnisse wir abwarten sollten. Dann kommen wir, glaube ich, auch gemeinsam zur Fortsetzung dieses wichtigen Projektes.

Wir lehnen den Antrag heute ab, aber nehmen Sie das bitte – sofern das geht – als konstruktive Ablehnung und auch als Einladung, dass wir das gemeinsam zum richtigen Zeitpunkt in dem Konsens, der besteht, gut ablesbar machen. Dann kann sich die Aufregung, die hier kurzfristig entsteht, auch wieder legen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Deutsch. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Wagner.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Grüne und SPD haben uns hier einen Antrag vorgelegt, der mehr Geld will – gegen das, was Sie unter Rassismus und Rechtsextremismus verstehen. Wir kennen diese Anträge, die seit der Ausuferung des sogenannten Aufstandes der Anständigen als Geldbeschaffungsmaschine für die eigene Klientel,

(Beifall von der AfD)

natürlich unter hehrem moralischem Anspruch, eingebracht werden. Erinnern wir uns also kurz der Geschichte dieses Aufstandes der ach so Anständigen:

Am 2. Oktober 2000 kam es zu einem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Für die Medien und den damaligen SPD-Bundeskanzler war klar: Das waren Rechtsextremisten. Es müsse daher jetzt einen Aufstand geben. Der wurde dann auch inszeniert. Nur hatte die Polizei schon in der Tatnacht zwei Araber festgenommen, die wenig später der Tat überführt werden konnten.

(Zuruf von der AfD: Ui!)

Den Anständigen und ihrem Aufstand machte das nichts. Es ging weiter mit viel Steuergeld gegen rechts – und natürlich nicht gegen muslimischen Antisemitismus, wie man anhand des Tatgeschehens ja eigentlich hätte vermuten können.

Die kurze Rückblende zeigt, welch verlogenes Geschäftsmodell dieser sogenannte Kampf gegen rechts von Anfang an war. Es geht ja gar nicht zielgenau gegen tatsächlichen Rechtsextremismus. Da wären wir gern dabei. Es geht gegen alles, was die politische Linke für rechts hält. Es geht ihr darum, sich die Arbeit im vorpolitischen Raum durch diverse Vereine über Steuergelder finanzieren zu lassen.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Ibrahim Yetim [SPD])

Dass Sie den Steuerzahler gar nicht genug in Anspruch nehmen können, stellen Sie gerade im Bund wieder unter Beweis. Die Parteienfinanzierung wird mal eben saftig erhöht. Der Grund: Die Menschen wählen lieber AfD, und in der Folge erhalten Sie weniger Geld aus der Parteienfinanzierung.

Ich wundere mich daher kaum, dass das von Ihnen heute zur Steuerfinanzierung vorgeschlagene „NRWeltoffen“ in seinen Broschüren natürlich gegen die AfD zu Felde zieht.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Zu Recht!)

Natürlich benötigen Sie jetzt Steuermittel, um den politischen Gegner zu bekämpfen, weil Ihnen nichts anderes mehr einfällt.

(Beifall von der AfD)

Die können meinetwegen den ganzen Tag lang gegen die AfD zu Felde ziehen, aber eben nicht auf Kosten des Steuerzahlers. Anders als „NRWeltoffen“ wollen wir ein wirklich offenes NRW, ein NRW der offenen Debatten, in dem Redner nicht unter missbräuchlicher Ausübung des Amtes diffamiert und verleumdet werden,

(Beifall von der AfD – Zuruf von der SPD: Oh!)

frei von angeblicher politischer Korrektheit, ein NRW selbstverständlich ohne Rassismus, aber auch ohne Rassismuskeule und – das wollen wir nicht vergessen – auch ohne Rassismus gegen Deutsche, diesen antideutschen Rassismus, der aus den Reihen der Antragsteller kommt und beispielsweise bei der Partei der Grünen tief in den politischen Genen verankert ist!

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Der grüne Wählerschreck Claudia Roth marschiert mit Linksextremisten unter dem Motto „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“. Anderen wie der Sozi Renate Schmitt ist es wurscht, wenn die Deutschen aussterben. Frau Drohsel, die Ex-Vorsitzende der Jusos, will die deutsche Nation gar bekämpfen. Das ist für mich ein Fall für den Verfassungsschutz.

Aber dieser Form des Rassismus wollen Sie ja nicht entgegentreten. Sie sind ja nur Deutsche, die als „Scheiß-Kartoffeln“, „Hurensöhne“ oder „deutsche Schlampe“ beleidigt werden.

(Beifall von der AfD)

Wo sind da die selbsternannten Antirassisten? In den Büschen sind sie, in Deckung sind sie, oder sie klatschen unter der Bettdecke bei Ihren feuchten Träumen heimlich Applaus.

(Roger Beckamp [AfD]: Und Sie grinsen jetzt alle!)

Kein Wunder, dass Ihnen die Wähler den Rücken zukehren.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Unsinn, was Sie da erzählen!)

Glauben Sie mir, es würde noch schlimmer für Sie werden, wenn wir Ihnen hier noch mehr Geld für die Propaganda Ihrer Hilfstruppen bewilligten. Es wäre besser für Sie, wenn die Menschen möglichst wenig von Ihren kruden Ansichten wüssten. Also helfen wir Ihnen dabei und lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall von der AfD – Sarah Philipp [SPD]: Gott sei Dank!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Wagner für die AfD-Fraktion. Ich will aus gegebenem Anlass darauf aufmerksam machen,

(Zuruf von der SPD: Ohne Anstand!)

dass auch dann, wenn zitiert wird, alle Rednerinnen und Redner – insbesondere der letzte – angehalten sind, darüber nachzudenken, ob die Zitate für eine Debatte, wie wir sie hier führen, angemessen sind.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Ich halte sie in diesem Fall nicht für angemessen.

(Zuruf von der AfD – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE]: Aber Sie hat das Wort „nachdenken“ verwendet!)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Holthoff-Pförtner in Vertretung von Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Frau Präsidentin! Sehr verehrte Abgeordnete! Herr Wagner, Ihre Ausführungen waren eine lehrreiche Ergänzung zu Ihrem Antrag von heute Morgen.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Falls es irgendeinen Zweifel daran gab, was Sie heute Morgen wollten, dann haben Sie jetzt alles klargestellt.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Landesregierung tritt jeglicher Form von Extremismus und damit politisch motivierter Gewalt entschieden entgegen.

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben doch kein einziges Programm gegen Linksextremismus! Nicht eines!)

Rassismus und Antisemitismus dürfen in der Gesellschaft keinen Platz haben. Diese eindeutige Positionierung aus dem Koalitionsvertrag hat die Landesregierung im vergangenen Jahr immer wieder bekräftigt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Loose der AfD-Fraktion würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Das möchte ich jetzt nicht. Ich antworte für Frau Pfeiffer-Poensgen; ich würde den Abgeordneten Loose bitten, die Frage auch an sie zu richten.

Verehrte Frau Abgeordnete Schäffer, wir unterstützen die Fortsetzung und Weiterentwicklung der Arbeit der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure im Bereich der Demokratiebildung und der Extremismusprävention, und wir werden vor allem die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die aktiv für unseren gemeinsamen freiheitlich-demokratischen Wertekonsens eintreten, weiterhin stärken und fördern.

Die Landesregierung hat die Fortführung der Weiterentwicklung des integrierten Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus und Rassismus bereits im Dezember vergangenen Jahres beschlossen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure.

Im Handlungskonzept ist festgehalten worden, dass die Landesregierung 2019 im Anschluss an die Umsetzungsphase evaluieren wird, ob die formulierten Ziele angemessen waren und ob die Umsetzung der Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele beigetragen hat. Auf Grundlage der Ergebnisse wird das Handlungskonzept fortgeschrieben und weiterentwickelt. Die Zivilgesellschaft wird sowohl bei der Umsetzung als auch bei der Evaluation des Handlungskonzepts einbezogen.

Zum Programm „NRWeltoffen“ läuft gegenwärtig die Evaluation der bisherigen Maßnahmen; die Ergebnisse sollen bis Ende September vorliegen. Auf dieser Grundlage und unter Einbeziehung der Zwischenberichte und Gespräche mit den Kommunen wird die Landesregierung über die Fortführung des Förderprogramms entscheiden.

Sehr verehrte Frau Schäffer, die Forderungen im vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sind bereits Gegenstand der Arbeit der Landesregierung, und der Antrag ist somit obsolet. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Drucksache 17/2767 –Neudruck – ihre Zustimmung geben möchten, um das Handzeichen. – Das sind die beiden antragstellenden Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU-Fraktion, FDP-Fraktion, AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Somit ist der Antrag Drucksache 2767Neudruck – mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

7   Arbeitsplatzmotor für NRW – Stärkung der deutschen Verkehrsflughäfen und Fluggesellschaften – Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Luftverkehrsteuer

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2762

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat der Abgeordnete Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein großer Traum der Menschen war es schon immer, zu fliegen wie ein Vogel. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es herausragende Personen wie der Deutsche Otto Lilienthal, die amerikanischen Brüder Wright oder der in Paris lebende Brasilianer Alberto Santos Dumont, die den Durchbruch beim Fliegen geschafft haben. Weltweit wurde der Versuch unternommen, die Menschen per Flugzeug miteinander zu verbinden.

Aber nicht nur Menschen konnten transportiert werden, sondern auch Waren. Der erste Postflug fand in Deutschland beispielsweise vor 106 Jahren statt. Das Fliegen verbindet Menschen, das Fliegen verbindet Kulturen auf der gesamten Welt, und es ist ein Segen der Ingenieurskunst.

Das Flugzeug hat viele Vorteile: Es müssen keine langen Trassen wie bei der Bahn, keine Tunnel durch Berge und keine Brücken über Flüsse gebaut werden. Und es müssen auch keine Flächen mit Asphalt versiegelt werden wie beim Straßenverkehr. Die Lärmbelästigung ist bis auf wenige Kilometer rund um den Flughafen begrenzt. Das heißt: In Bielefeld bekommen es die Menschen nicht zu spüren, wenn in 10 km Höhe ein Flugzeug über sie hinwegfliegt.

Aber wir wollen nicht verschweigen, dass es natürlich die Anwohner in den Einflugschneisen hart trifft – ähnlich wie bei Personen, die nahe an der Autobahn oder an einer Bahntrasse wohnen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Technik bei den Flugzeugen verbessert, damit diese insbesondere leiser werden können.

Doch dafür muss den Fluggesellschaften auch Geld für Investitionen bleiben. Diese Investitionen können aber kaum geleistet werden, wenn der Luftverkehr durch eine Steuer behindert wird. Denn dann bleiben die Gäste aus, und die Fluggesellschaften können ihre Maschinen nicht mehr auslasten – die Gewinne schrumpfen oder es entstehen sogar Verluste. Viele Fluggesellschaften sehen sich ohnehin einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Das hat nicht zuletzt die Insolvenz von Air Berlin wieder unter Beweis gestellt.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ach!)

Auch die Geschäfte in den Flughäfen verlieren Umsatz, und so sind die Arbeitsplätze für die Mitarbeiter am Flughafen in Gefahr.

Mit der Steuer, die ein Volumen von jährlich etwa 1 Milliarde € hat, wird die Mobilität der Menschen deutlich eingeschränkt.

Gerade aber in einer globalisierten Welt, die Verbindungen braucht, ist es wichtig, diese Mobilität nicht einzuschränken.

Im Mittelalter mussten die Menschen an Schlagbäumen Wegezoll entrichten, und so wurden der Warenverkehr und der Wohlstand massiv behindert. Die deutsche Regierung erhebt jetzt ebenfalls Wegezoll an unseren Flughäfen in Form der Luftverkehrsteuer und behindert damit die Reisemöglichkeit unserer Bürger – eine Steuer, die die Mobilität unserer Bürger behindert, eine Steuer, die unsere Urlaubsreisen massiv verteuert. Und warum? – Angeblich, damit die Menschen auf andere Verkehrsmittel wie zum Beispiel die Deutsche Bahn umsteigen. Dabei ist allerdings interessant, dass gerade Transatlantikflüge besonders hoch besteuert werden. Dabei gibt es da doch gar keine Alternativen. Oder haben Sie schon einmal eine Bahn über den Atlantik fahren sehen? – Ich jedenfalls nicht. So bleiben einzig die Bevormundung der Bürger und die Steuereinnahmen, die den Bürger wieder einmal bestrafen sollen.

Außerdem gibt es zahlreiche Ausweichmöglichkeiten. Viele Personen, die im Grenzgebiet wohnen, fahren in die Niederlande, um die Steuer zu umgehen. Das klappt sogar, wenn man von Amsterdam mit Zwischenstopp in Frankfurt nach Shanghai fliegt. Denn der Zwischenstopp wird nicht besteuert. Das allein zeigt schon den Irrsinn dieser Steuer.

Deshalb haben die anderen EU-Länder rund um uns herum aus ihren Fehlern gelernt und die dortigen Steuern und Abgaben entweder vollständig abgeschafft oder zumindest drastisch reduziert. In unserem Antrag erkennen Sie ja auch, dass zum Beispiel der Flughafen Amsterdam dadurch enorm durch zusätzliche Flüge profitiert hat und mehr Menschen von dort fliegen.

Auch wir Deutschen sollten lernen wie die anderen europäischen Partner und diese unnötige Steuer, die unsere Menschen belastet, wieder abschaffen. Wir alle hier im Plenum sollten gemeinsam eine kräftige Stimme Richtung Berlin schicken, damit auch tatsächlich etwas passiert und die Ideen der Großen Koalition nicht als Wahlversprecher in der Schublade verschwinden.

Deshalb werbe ich heute um Ihre Stimme zu unserem Antrag für einen freien Wettbewerb, für ein starkes Deutschland, für ein Reisen ohne Wegezoll. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Loose. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Lehne.

Olaf Lehne (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Auf Bundes- und Landesebene ist das Thema der Luftverkehrsteuer seit Langem bekannt. Die Luftverkehrsabgabe wurde beschlossen, um zusätzliche Einnahmen für den Staat zu generieren und um steuerliche Besserbehandlung des Luftverkehrs zu verringern. Andere Verkehrsträger zahlen Energiesteuer, vorher hieß sie Mineralölsteuer.

2010, zur Zeit des Beschlusses über diese Steuer, war die politische und wirtschaftliche Situation insofern anders, als der Staat weitere Steueraufkommen generieren wollte. Heute ist dies anders. Auf Bundes- und Landesebene ist die Problematik bekannt. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Thematik der Luftverkehrsteuer in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen worden ist. Das befindet sich somit in guter Beratung.

Auch unsere Landesregierung hat sich während der Koalitionsverhandlungen im Bund intensiv für die Abschaffung bzw. Überarbeitung der Luftverkehrsteuer eingesetzt, weil dies auch für die Flughafenstandorte in Nordrhein-Westfalen von besonderer Bedeutung ist.

Die Bundesregierung bekennt sich laut Koalitionsvertrag zur Umsetzung des Luftverkehrskonzeptes und möchte die Entlastung unserer Flughäfen und Luftfahrtunternehmen von einseitigen nationalen Kosten erreichen. Dies ist auch richtig.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lehne, Entschuldigung, dass ich jetzt auch Sie unterbreche. Der Abgeordnete Loose der AfD-Fraktion würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Olaf Lehne (CDU): Ich möchte erst fertig vortragen. – Im Luftverkehrskonzept werden die Abschaffung, eine mögliche Absenkung der Luftverkehrsteuer oder eine Verwendung der Haushaltseinnahmen für Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Luftverkehrsbereich erörtert.

Seit der Einführung am 1. Januar 2011 steht die Luftverkehrsteuer in der Kritik. Die Nutzung der deutschen Flughäfen und des deutschen Luftraums ist teilweise deutlich teurer als in anderen Regionen Europas. Die Steuer fällt auf Flüge an, die von deutschen Flughäfen starten, und ihre Höhe richtet sich nach der Entfernung bis zum Ziel bzw. dem Reiseland.

Die Luftfahrtunternehmen stehen vor dem Dilemma, die Steuer an die Passagiere weiterzugeben, sodass die Tickets teurer werden, oder die Unternehmen zahlen die Steuer selbst und schmälern ihren Gewinn. Sie empfinden die Steuer als eine gravierende wettbewerbsverzerrende fiskalische Maßnahme, da viele Passagiere auf Flughäfen zum Beispiel in den Niederlanden ausweichen, um die Luftverkehrsteuer zu umgehen. Durch die Steuer werden die finanziellen Möglichkeiten der deutschen Fluggesellschaften geschwächt, in neue verbrauchsärmere und leisere Flugzeuge zu investieren.

Der Bundesregierung ist dies bereits alles bekannt, wie Sie dem Luftverkehrskonzept entnehmen können. Der Showantrag im Bundesrat seitens der NRW-Landesregierung ist somit vorerst nicht erforderlich.

Wenn Sie die neue Regierungsbildung auf Bundesebene intensiv verfolgt hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass Norbert Barthle, der von Ihnen in Ihrem Antrag zitiert wird, nicht mehr Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur ist. Das von Ihnen angeführte Zitat stammt vom 13. April 2017, also vor der Bundestagswahl und der Regierungsneubildung, und sagt somit nichts über die Pläne der derzeitigen Bundesregierung aus.

Wir werden die Gespräche in Berlin aufmerksam verfolgen und, wenn nötig, unterstützend eingreifen. Der Antrag ist völlig überholt. Sie werfen sich mit Ihrem Antrag hinter einen bereits rollenden Zug. Wir lehnen Ihren Antrag daher ab.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Lehne. – Herr Loose möchte Ihnen inzwischen keine Frage mehr stellen, sondern gleich noch einmal reden. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dos Santos Herrmann.

Susana Dos Santos Herrmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat es gerade gesagt: Der Antrag ist überholt. Er mag in der Fragestellung als solcher zunächst einmal als richtig angesehen werden. Man darf sich jederzeit die Fragen stellen: Ist die Wettbewerbsfähigkeit in einem bestimmten Sektor eigentlich noch erhalten? Müssen wir nachsteuern, um im Sinne unseres Landes zu handeln?

Es aber auf einen Punkt zu begrenzen, wie die AfD das mal wieder tut, und eine Argumentation aufzubauschen, wie Sie das in Ihrem Antrag und in Ihrem Wortbeitrag gemacht haben, mag legitim sein – kluge und sachorientierte Politik ist das aber ganz sicher nicht.

(Beifall von der SPD)

Das führt zu direkten Widersprüchlichkeiten in Ihrer eigenen Argumentation. Sie legen in einem Absatz dar, wie bedauerlich es sei, dass es wirtschaftliche Nachteile für die Airlines gebe, die diese Luftverkehrsteuer nicht ohne Weiteres an die Fluggäste abgeben könnten – schon gar nicht komplett. Abgesehen davon, dass Sie offenbar Verbraucherschutz nicht besonders ernst nehmen, widerspricht das Ihrer Aussage im nächsten Absatz. Da sagen Sie, dass Fluggäste massiv in andere europäische Länder gingen, um von dort aus zu fliegen. Das mag durchaus in den Grenzgebieten der Fall sein, aber das war auch vor Einführung der Luftverkehrsteuer nicht sehr viel anders.

Sie müssen sich schon entscheiden, welche Folge denn nun gegeben ist. Können die Fluggesellschaften die Steuer nicht einfach weitergeben? Oder gehen die Fluggäste ins Ausland, um dort preiswerter abfliegen zu können? Jedenfalls belegen die Zahlen das seit Einführung der Steuer nicht.

In den Jahren 2008/2009 – vor Einführung der Luftverkehrsteuer – hatten wir einen starken Rückgang bei den Fluggastzahlen zu verzeichnen. Das lässt sich aber ganz einfach auf die damalige Wirtschaftskrise zurückführen. Seit Einführung der Luftverkehrsteuer – das darf und muss auch gesagt werden – gibt es aber einen steten Zuwachs der Fluggastzahlen in Deutschland, und das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.

Es gab eine Ausnahme: Im Jahr 2016 war in der Tat ein Rückgang der Fluggäste zu verzeichnen, aber schon 2017 – nach nur einem Jahr – gab es einen relevanten Zuwachs der Fluggäste, der die Einbußen 2016 sofort wettgemacht hat. Im Schnitt waren es 7,9 % mehr Fluggäste allein im ersten Quartal 2017 – und das in dem Jahr, in dem Air Berlin leider insolvent gegangen ist, was mit Sicherheit auch dem Flughafen Düsseldorf geschadet hat.

Die Fluggastzahlen steigen auch, nachdem Nachbarländer die Luftverkehrsteuer gesenkt oder ganz abgeschafft haben. Das Argument zählt also nicht. Es mag andere Gründe geben, aber das können Sie jedenfalls vergessen.

Außerdem ist auch der Eindruck falsch, in Deutschland gebe es keine Förderung des Luftverkehrs. Natürlich ist Luftverkehr mit all seiner Infrastruktur für unser Land ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftssystems. Aber es ist falsch, zu behaupten, wir würden den Luftverkehr nicht fördern. Die Luftgesellschaften zahlen immerhin keine Kerosinsteuer und sind für Auslandstickets von der Mehrwertsteuer befreit, und das entspricht, wenn man es umrechnet, 12 Milliarden € pro Jahr. Außerdem ist die Luftverkehrsteuer auf 1 Milliarde € pro Jahr gedeckelt.

Ihre Argumentation fällt in sich zusammen, sobald man ein klein wenig dahinter schaut. Sie bauschen etwas auf, was am Ende nichts anderes ist als ein Sich-wichtig-Machen. Sie machen der Regierung und der Politik in Deutschland den Vorwurf, sie würden nicht im Sinne des Landes handeln. Dabei sind Sie nicht sachorientiert, und keine sachorientierte Politik zu machen heißt, nicht im Sinne Deutschlands zu handeln. Das muss man ganz klar sagen.

(Beifall von der SPD)

Für uns als SPD-Fraktion ist klar, dass wir auch in Fragen der Gerechtigkeit im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern eine gewisse steuernde Funktion brauchen. Ob die Luftverkehrsteuer das in der derzeitigen Form leisten kann, mag dahingestellt sein. Eine Harmonisierung des Luftverkehrs mit all seinen Bestandteilen, wie das im Koalitionsvertrag in Berlin ausgehandelt worden ist, ist mit Sicherheit sinnvoll und hat unsere Unterstützung. Aber wir sollten nicht vollständig auf eine Lenkung im Luftverkehr verzichten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Susana Dos Santos Herrmann (SPD): Ein Satz noch, Frau Präsidentin.

Es ist richtig, zum Beispiel auf der Kurzstrecke verstärkt auf Bahn und Bus zu setzen. Dazu ist eine gewisse Steuerung erlaubt und sachorientiert, und so wollen wir es weiterhin halten.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dos Santos Herrmann. – Ich rufe jetzt für die FDP-Fraktion den Kollegen Middeldorf auf.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flughafenpolitik ist einer der wichtigsten Bereiche von Verkehrspolitik, einer der Bereiche, die unter der Vorgängerregierung durchaus ein steter Streitpunkt waren. Die Flughafenpolitik genießt aber heute unter der schwarz-gelben Landesregierung größte Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist das schwierig genug. Durch die Einführung der Luftverkehrsteuer im Jahr 2011 wurde die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Flughäfen deutlich geschwächt.

Im Übrigen ist man mit der Absicht, mithilfe dieser Steuer eine Reduzierung von Fluglärm und Emissionen zu erwirken, komplett gescheitert – und zwar durchaus gemessen an den eigenen Ansprüchen. Es ist nämlich keine Verkehrsverlagerung etwa auf die Schiene erfolgt. Stattdessen ist ein ungewünschter Effekt eingetreten: eine massive Verlagerung zu den Flughäfen des benachbarten Auslands, etwa in die Niederlande.

Deshalb ist es ein wesentliches Ziel der NRW-Koalition und dieser Landesregierung, die Luftverkehrsteuer wieder abzuschaffen.

(Beifall von der FDP)

Das können wir natürlich nicht als Land, sondern das kann als zuständiger Gesetzgeber nur der Bund. Darum enthält der Koalitionsvertrag der NRW-Koalition folgerichtig die Regelung, dass diese Landesregierung auf Bundesebene geeignete Initiativen ergreifen soll.

Das hat jetzt offenbar auch die AfD gelesen und dies zu dem vorliegenden Abstauberantrag genutzt. Ich muss Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, dass Sie schon ein bisschen schneller sein müssen. Nicht zuletzt auf Einfluss dieser Landesregierung findet man nämlich die Abschaffung der Luftverkehrsteuer im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Dort ist eine – so wörtlich – Entlastung von einseitigen nationalen Kosten vereinbart. Und das bezieht sich selbstverständlich auch auf die deutsche Luftverkehrsteuer.

Natürlich werden wir uns als NRW-Koalition – dazu zählt auch die NRW-Landesregierung – die Umsetzung dieses politischen Ziels genau ansehen.

Genauso selbstverständlich ist es, dass wir weiter, auch mit geeigneten eigenen Mitteln, auf dieses Ziel hinwirken. Aber dazu brauchen wir, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Ihren Antrag nicht. Deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich darf für die Grünen dem Kollegen Klocke das Wort erteilen.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist durchaus gut und notwendig, im Landtag einmal eine Debatte über den Luftverkehr zu führen. Einige Argumente, die hier genannt worden sind, finde ich aber durchaus befremdlich.

Die Luftverkehrsteuer ist nun keine Steuer, die wir Grünen auf den Weg gebracht haben oder je unterstützt haben. Ich war deshalb durchaus verwundert, Herr Kollege Middeldorf, als Sie 2011 als Startzeitpunkt für das Inkrafttreten der Steuer genannt haben. Zwischen 2009 und 2013 hatten wir eine Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP, und der Bundeswirtschaftsminister wurde von Ihrer Partei gestellt. Dass Sie sich derart zu der Luftverkehrsteuer positionieren, obwohl Sie doch diejenigen waren, die sie in Ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht haben – es war sogar Ihr Minister, der den Entwurf damals in den Bundestag eingebracht hat –, finde ich höchst bemerkenswert. Man kann seine Argumente ja immer revidieren. Aber da Sie stets die Harmonie in Ihrer Koalition und die Harmonie in Ihrer Partei betonen, kann ich Ihre Argumentation nun wirklich nicht nachvollziehen.

Eine lenkende Wirkung hat die Luftverkehrsteuer nur sehr begrenzt. Wenn man sich die Bilanzzahlen der nordrhein-westfälischen Flughäfen anschaut, insbesondere der beiden Großflughäfen – das hat die Kollegin Dos Santos Herrmann eben angesprochen –, stellt man fest: Sie sind gestiegen, und es gab in den letzten Jahren Fluggastrekorde.

Die Luftverkehrsteuer hat also nicht dazu geführt, dass ab Düsseldorf oder ab Köln/Bonn weniger geflogen wird. Wenn es doch so wäre, hätte ich die Zahlen völlig missinterpretiert. Es trifft auch nicht zu, dass Menschen, die von nordrhein-westfälischen Flughäfen abfliegen wollten, jetzt massenweise ins Ausland fahren. Fahren Sie einmal zum Flughafen Weeze und schauen sich im Parkhaus die Nummernschilder der Autos an. Mindestens jedes zweite Fahrzeug am Flughafen Weeze gehört einem Niederländer. Die Niederländer kommen nämlich herüber, um ab Weeze zu fliegen. Diese lenkende Wirkung tritt also gar nicht ein.

Selbstverständlich bräuchten wir – das ist die Position der Grünen – eine Steuerung beim Luftverkehr. Fliegen ist die umweltschädlichste Variante der Fortbewegung. Natürlich ist das Fliegen bei manchen Gelegenheiten notwendig. Manche Ziele sind nicht anders zu erreichen oder jedenfalls nicht so schnell zu erreichen. Ich fände es auch falsch, das Fliegen zu verteufeln. Aber wenn man sich die ökologischen Auswirkungen des Fliegens im Vergleich zu denen anderer Verkehrsträger anschaut, stellt man fest: Fliegen ist eindeutig die umweltschädlichste Variante.

Es wäre maßgeblich, dass es von staatlicher Seite zum Schutz unserer Atmosphäre und im Hinblick auf eine Senkung des Ausstoßes der klimaschädlichen Gase zu einer Steuerung beim Luftverkehr kommt.

Das war aber mit der Luftverkehrsteuer gar nicht beabsichtigt, sondern die Luftverkehrsteuer ist eine Lenkungsmaßnahme, die Geld in die Steuerkassen bringt. Es war von Schwarz-Gelb überhaupt nicht beabsichtigt, hier eine ökologische Lenkung voranzubringen.

Der freie Wettbewerb ist angesprochen worden. Auch das hat die SPD-Kollegin eben gesagt. Wir haben eine Befreiung von der Energiesteuer. Es gibt keine Kerosinbesteuerung. Flüge sind von der Mehrwertsteuer ausgenommen. Es ist ein Eldorado von Vorteilen, die Luftverkehrsunternehmen und Fluggesellschaften haben, um Flüge günstig anzubieten.

Gerade in den letzten 15 bis 20 Jahren ist es durch die Low-Cost-Carrier, die wir früher gar nicht hatten, also durch das, was wir als Billigflieger kennen, zu einem explosionsartigen Anstieg der Fluggastzahlen gekommen. Die Menschen nehmen diese Möglichkeit viel stärker wahr. Während sie früher mit Bussen oder mit der Bahn zu europäischen Nahzielen gereist sind – mal nach Paris, mal nach Rom, am Wochenende zum Shoppen nach London –, fliegen sie heute dorthin. Was in den 80er- und 90er-Jahren aufgrund der hohen Kosten überhaupt noch nicht möglich war, ist heute aufgrund der günstigen Flugpreise gang und gäbe. Dass die Luftverkehrsteuer dazu beigetragen hätte, diese Entwicklung ins Gegenteil zu verkehren, kann ich überhaupt nicht sehen.

Wir wissen, dass es einen entsprechenden Lobbydruck und entsprechende Arbeit vonseiten des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft gibt. Wenn diejenigen Ihren Antrag gelesen hätten, hätten sie sich aber vermutlich in Grund und Boden geschämt; denn das, was Sie hier zu den Auswirkungen formuliert haben, ist nicht nachvollziehbar. Es weist in die völlig falsche Richtung.

Schauen Sie sich noch einmal gut an, wohin eine Zunahme beim Luftverkehr führt. Sie führt nämlich nicht zu weniger Geld in den Kassen. Wir haben eine Entwicklung nach oben, was die Luftverkehrszahlen angeht. Die Umweltwirkungen im diesem Bereich sind wirklich massiv. Hier müssten wir alle miteinander, wenn wir über Klimaschutz und über Luftreinhaltung reden, einmal darüber diskutieren, inwieweit man den Luftverkehr ein Stück weit einschränken kann und die Verkehrsströme auf andere Verkehrsträger umlenken kann.

Einen Schritt in die Zukunft finde ich jedenfalls die von der Deutschen Bahn verfolgte Absicht, die einen Sprinter von Köln nach Berlin anzubieten, um gerade auf dieser innerdeutschen Strecke, ähnlich wie bei der Strecke zwischen München und Berlin, zu einer Alternative zu kommen. Dass Menschen ohne Zeitverlust reisen und auf die Bahn zurückgreifen können, finde ich einen Schritt in die Zukunft. Da würden mich Argumente und Unterstützung interessieren.

Aber die Abschaffung der Luftverkehrsteuer würde das Gegenteil bewirken. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Klocke. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Wüst das Wort.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Klocke, da sind wir unterschiedlicher Auffassung. Wir sind, weil uns der Luftverkehrsstandort mit seinen vielen Beschäftigten am Herzen liegt, der Überzeugung, dass wir, auch im Verhältnis zu unseren Nachbarn, faire Wettbewerbsbedingungen brauchen.

Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Abschaffung der Luftverkehrsteuer betreiben wollen. Insofern ist der Antrag der AfD überflüssig.

Schon in der Luftverkehrskonzeption der alten Bundesregierung – des alten BMVI, muss man sagen – ist die Überprüfung der Luftverkehrsteuer angelegt. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist auch festgelegt worden, zu Entlastungen zu kommen. Deswegen sind wir der Überzeugung, dass wir da auf gutem Wege sind.

Sollte der Bund in dieser Wahlperiode da nicht ordentlich voranschreiten, werden wir Initiativen ergreifen. Weiterer Anträge der AfD bedarf es dazu nicht. Wir sind uns einig, dass wir in diesem Sinne gemeinsam agieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Für die AfD hat noch einmal der Kollege Loose um das Wort gebeten.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dos Santos Herrmann und Herr Klocke, ja, auch in Düsseldorf gab es einen Zuwachs, und zwar um 21 %. Im gleichen Zeitraum gab es in Amsterdam ein Plus von 37 %.

Herr Middeldorf, verzeihen Sie uns; wir sind doch neu. Wir glauben, dass man in einem Jahr so etwas auf den Weg bringen kann und nicht von der AfD erinnert werden muss. Anscheinend hat das aber nicht geklappt. Deswegen haben wir Sie daran erinnert. Machen Sie etwas, und schaffen Sie die Luftverkehrsteuer bitte ab. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren, damit haben wir den Schluss der Aussprache erreicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2762. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Kollegen der AfD. Wer ist dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Wer enthält sich? – Der fraktionslose Kollege Neppe. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2762 abgelehnt.

Ich rufe auf:

8   Präventive Maßnahmen gegen die steigende Gewalt am Arbeitsplatz – Nordrhein Westfalen muss handeln!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2758

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die AfD Herrn Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört zu den Grundrechten eines Menschen. Es ist ein Teil des Fundaments, auf dem Zusammenleben ermöglicht wird. Der Durchsetzung dieses Rechts muss Priorität eingeräumt werden. Es ist Kernaufgabe und Grunderrungenschaft einer Nation. Gewalt ist nicht zu dulden – ethisch, strafrechtlich, staatsrechtlich, grundsätzlich.

(Beifall von der AfD)

Gewalt abzuwehren im Sinne einer Staatsgewalt ist nicht umsonst neben Staatsgebiet und Staatsvolk einer der Grundpfeiler eines Staates. Ohne zu tief in staatstheoretische Hermeneutik vordringen zu wollen: Gewisse Grundrechte dürfen selbst bei einem politisch scheinbar angestrebten Wechsel einer Nationalstaatlichkeit hin zu einem kosmopolitischen Internationalismus der freien Märkte und globaler Freizügigkeit nicht geopfert werden.

Sätze wie „no borders, no nations“, „ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin; nun sind sie halt da“ oder „ACAB“, die nicht nur bei Demonstrationen Einzug bis tief in die politische Mitte gefunden haben und die kaum mehr im politischen Diskurs für Empörung sorgen, illustrieren nur allzu deutlich, wie dennoch in einem Rutsch ohne weitere Differenzierung an allen Säulen des Staates gerüttelt wird.

Bürgerliche Werte werden von den sogenannten Sozialarchitekten beargwöhnt, abgeräumt und nur noch dann aus dem Zylinder gezaubert, wenn sie nützlich erscheinen. Begriffe wie „Zivilgesellschaft“ erleben eine Sinnverschiebung. Gemeint ist nicht mehr ein loser Bund freier Bürger einer homogenen Konsensgesellschaft mit normativer Dimension, der den Staat an seine Pflichten erinnert und zur Not opponiert. Heute steht die Zivilgesellschaft für NGOs und NPOs, die im Glauben der eigenen Überlegenheit den Menschen in ein Korsett pressen wollen.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wie sich auch schon oft genug in der Geschichte gezeigt hat, sind es eben nicht die Paläste, die darunter beben, und nicht die Klassen, die bröckeln, auch wenn Sozialarchitekten davon träumen. Es ist der Schütze A. im letzten Glied, das kleine Rad im Getriebe, das sehen muss, wie es mit den kleinen alltäglichen Verschiebungen unter den sicherlich gut gemeinten politischen Bemühungen zurechtkommt.

Es sind der einfache Angestellte am Schalter, der Polizist und die Krankenschwester, die das abfangen, was von den visionären Politikern losgetreten wird.

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Das Ringen um Integration, Auseinanderdriften der Gesellschaft, Verrohung, Armut: Das alles brandet nicht hier, wo es wohlfeil diskutiert wird.

Unser Antrag erinnert Sie daran. Unser Antrag fordert Sie auf, die Auswirkungen Ihres Handelns nicht weiter in Kauf zu nehmen, schleifen zu lassen oder kleinzureden. Auch wer den Wandel will, hat Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Auch wer den Wandel will, muss sich an die Geschwindigkeit anpassen, die eine geordnete Transformation ermöglicht. Auch wer den Wandel will, muss tragende Pfeiler der Gesellschaft anerkennen und mit allen Mitteln unterstützen.

(Beifall von der AfD)

Wir jedenfalls werden nicht mit Ihnen auf dem Maecenas-Turm stehen und den Niedergang Trojas besingen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die CDU erteile ich dem Kollegen Sieveke das Wort.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt etwas sprachlos, weil die Überschrift zu diesem Antrag sehr vielversprechend war. Es geht ja eigentlich um „Präventive Maßnahmen gegen die steigende Gewalt am Arbeitsplatz – Nordrhein-Westfalen muss handeln!“ Dann kommen Sie zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland und der Welt“ und sagen kein Wort zu Gewalt am Arbeitsplatz.

Das ist ein sehr ernstes Thema. Ich bin beispielsweise – ich habe das an dieser Stelle schon einmal gesagt – in der Bank überfallen worden. Auch das ist Gewalt am Arbeitsplatz. Und das ist jetzt über zehn Jahre her, also unabhängig von der Flüchtlingsfrage.

Wollen Sie überhaupt über dieses Thema ernsthaft sprechen und über diesen wichtigen Punkt „Gewalt am Arbeitsplatz“ ernsthaft diskutieren? Oder wollen Sie das nicht? Dann schreiben Sie das nächste Mal bitte sofort in die Überschrift Ihres Antrags mit hinein: Wir wollen gar nicht ernsthaft darüber debattieren. – Denn dann ist mir die Vorbereitungszeit zu schade dafür, überhaupt darüber zu sprechen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Es geht mir jetzt auch nicht um die Plattitüde „nur weil es die AfD gefordert hat“. Darum geht es gar nicht. Es ist ein wichtiges Thema.

(Zurufe von der AfD)

– Was heißt „Nein“?

In Ihrem Antrag sprechen Sie auch nur über externe Gewalt. Sie setzen sich mit dem Phänomen der Gewalt am Arbeitsplatz selbst nicht auseinander. Es gibt auch am Arbeitsplatz Gewalt von Kolleginnen oder Kollegen zu Kolleginnen oder Kollegen – verbal, nonverbal. Es gibt externe Gewalt durch Kunden – Stichwort: Kundenunzufriedenheit. Wenn ich beim Arzt warte und vielleicht verspätet drankomme, werde ich unruhig und trete der Praxisangestellten oder auch dem Praxisangestellten nicht gerade freundlich entgegen. Ich sage nicht: „Schön, dass ich noch eine halbe Stunde länger warten darf“, sondern fange an, zu murren. Wenn man das zehnmal am Tag gehört hat, geht man nicht nach Hause und sagt: Das war ein guter Arbeitstag.

Da fängt es schon ganz klein an. Wollen wir uns damit beschäftigen und uns damit auseinandersetzen? Es ist schon ein schwieriges Thema, und zwar nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon seit vielen Jahren.

Es betrifft gerade auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, die unsere politischen Entscheidungen letztendlich umsetzen sollen. Sie beschäftigen sich in Ihrem Redebeitrag nicht ein einziges Mal damit. Ich habe eben lediglich Begriffe wie „Staat“ und „Nation“ gehört. Das waren nur Schlagworte. Aber das hat doch nichts mit Gewalt am Arbeitsplatz zu tun.

Es ist ein Teil davon, dass sich ein Staat dieser Herausforderung stellen muss. Ja, das wollen wir hier. Aber dann fangen Sie einmal damit an! Denn Sie führen es gerade durch Ihren Wortbeitrag ins Lächerliche.

(Zuruf von Andreas Keuth [AfD])

– Doch. Wenn ein interessierter Bürger in das Protokoll schaut, fragt er sich nach dem Lesen des Redebeitrags Ihrer Fraktion, wo denn nun der Inhalt bezüglich Ihres Antrags ist. – Nichts dabei!

Dass unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, Ärztinnen und Ärzte und Krankenschwestern besonders belastet sind, haben wir hier im Plenum intensiv debattiert. Aber dann kommen Sie auch einmal mit konkreten Vorschlägen und Diskussionsbeiträgen, und machen Sie es nicht schon wieder einzig und allein an der Flüchtlingsfrage fest.

(Andreas Keith [AfD]: Das kommt gleich! Keine Sorge!)

– Ach, das kommt gleich?

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

– Nein, nicht beim nächsten Antrag. Sie stellen hier einen Antrag. Wir wollen ernsthaft darüber debattieren. Sie stellen Forderungen …

(Unruhe)

Jetzt gehe ich einmal inhaltlich darauf ein. Wir können uns das andere sparen. Das bringt bei Ihnen sowieso nichts. Aber gehen wir einmal inhaltlich auf Ihren Antrag ein. Sie fordern Sachen, die es schon gibt.

Sie wollen eine Statistik, in der diese Straftaten erfasst werden. Diese Statistik haben wir bereits.

Sie möchten gern, dass es Maßnahmen gibt, die man erarbeiten oder aufbereiten soll. Diese Maßnahmen haben wir bereits.

Wenn es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst gibt, die bestimmte Gewalttaten nicht zur Anzeige bringen oder sich nicht an ihren Dienstherrn wenden, dann ist sicherlich die Krux erreicht, die es notwendig macht, dass wir darüber sprechen: Wie können wir hier eine offene Kultur schaffen? Wenn jemand in einer Bedrohungssituation ist – ob sie körperlich besteht, was einfach ist, weil es teilweise sichtbar ist und von anderen mitbekommen wird, oder ob sie nonverbal oder verbal besteht –, dann ist das eine Riesenherausforderung, die zu einer offenen Kultur dazugehört.

Auf der anderen Seite sind wir in einem schwierigen Spannungsgefüge. Wir wollen Transparenz. Wir wollen, dass alles bürgernah geschieht. Damit schaffen wir teilweise schwierige Beziehungen zwischen Kunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Früher gab es in Behörden und in Banken Vollverglasungen. Das hatte einen Sicherheitsaspekt. Die Vollverglasungen haben wir abgebaut, weil wir diese Distanz nicht haben wollen. Das führt aber dazu, dass es heute zu Gewalttaten in Form von körperlichen Übergriffen kommt – in der Agentur für Arbeit sowie bei Banken und Versicherungen oder dergleichen, aber auch bei Rechtsanwälten. Gut; die Rechtsanwälte hatten keine Vollverglasung. Aber die Verrohung nimmt natürlich zu.

Deswegen lohnt es sich, sich darüber zu unterhalten, wie wir als Politik Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei unterstützen können, den entsprechenden Prozess im Haus zu durchlaufen. Wo melde ich das an? Gibt es einen Leitfaden? Was muss ich bedenken? Wie sind die Deeskalationsmaßnahmen?

Wir haben immer gesagt, dass die Polizei deeskalierend wirken muss. In den behördlichen Strukturen der öffentlichen Verwaltungen ist das aber auch zunehmend notwendig,

(Zuruf von der AfD)

weil eine gewisse Grundaggressivität – ich sage das bewusst – natürlich bei jedem von uns vorhanden ist. Denn die Zeit wird immer schneller. Man hat kaum noch Zeit. Jeder ist angespannt.

Ich sage das auch an anderer Stelle, wenn es um Respekt gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geht. Jeder von uns sollte sich fragen, ob er diesen Respekt auch tagtäglich erweist. Lässt man dann, wenn man beispielsweise in eine Polizeikontrolle kommt, ob es eine Alkoholkontrolle oder eine Geschwindigkeitskontrolle ist, die Scheibe herunter und sagt: „Vielen Dank, dass Sie mich anhalten; Sie machen ja nur Ihren Job“? Oder reagiert man nicht eher so, dass man sagt: „Haben Sie nichts Besseres zu tun? Da hinten ist eingebrochen worden, und Sie halten mich jetzt hier fest“?

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Da fängt es schon an. Und da sind wir alle gefragt.

Dieser Sache stellen Sie sich nicht. Sie haben sich nicht damit auseinandergesetzt, ob es auch bauliche oder technische Ursachen für Aggressivität und Gewalt am Arbeitsplatz gibt. Sie haben sich nicht mit dem Opferschutz auseinandergesetzt. Gibt es in Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung auch eine Struktur, in der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nachdem sie Opfer von Gewalt geworden sind, damit auseinandersetzen können? Erhalten sie im Weiteren psychologische Betreuung?

(Zuruf von Dr. Martin Vincentz [AfD])

Sie haben sich nicht mit Konflikterkennung und Konfliktanalyse auseinandergesetzt. Sie haben hier keine weiteren Maßnahmen vorgeschlagen – außer Maßnahmen, die es bereits gibt.

Bei unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Rettungskräften gibt es natürlich auch Übergriffe, die mit dem Zustand der Personen zusammenhängen, denen sie gegenübertreten. Gerade die Rettungskräfte schildern: Wenn jemand unter Drogen- oder Alkoholeinfluss steht, nimmt er die Hilfestellung, die die Rettungskräfte ihm geben wollen, gar nicht als Hilfe wahr, sondern ist in einer geistigen Umnachtung und reagiert mit Aggressivität und körperlichen oder verbalen Angriffen. Sicherlich hat auch der eine oder andere hier im Raum einmal so gehandelt oder zumindest einen Bekannten, der das schon einmal gemacht hat. Man soll also auch in diesem Bereich immer wieder an sich selbst denken.

Ich bin davon überzeugt, dass wir uns alle als politisch Verantwortliche dieser Sache in der Form annehmen sollten, dass wir nicht nur die Maßnahmen, die wir haben, immer wieder ins Gedächtnis rufen, sondern auch den öffentlichen Dienst dazu aufrufen, das durchzusetzen und die Maßnahmen, die wir beschlossen haben, auch umzusetzen. Wir sollten die entsprechenden Strukturen in den Unternehmen schaffen, aber auch – das ist etwas, was wir auch unseren Einsatzkräften gegenüber tun können – symbolische Leistungen zeigen.

Hier erinnere ich nur an die hessische „Schutzschleife“, die zeigt, welchen Respekt man den Einsatzkräften gegenüber zum Ausdruck bringt, sei es die Polizei oder seien es die Ehrenamtlichen bei den Rettungsdiensten. Denn sie leisten tagtäglich für uns eine herausragende Arbeit.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch wieder dazu übergehen, Personen nicht auseinanderdividieren zu lassen. Ich habe immer den Eindruck, dass Menschen, die im öffentlichen Dienst in einer Verwaltung sitzen, in der Öffentlichkeit eher negativ betrachtet werden. Das sind die Bürokraten; das sind die, die hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Da kommt schon eine aggressive Grundstimmung hinein. Das sollten wir unterlassen.

Wenn Sie schon ein so wichtiges Thema in Ihrem Antrag benennen, dann nehmen Sie sich doch die Zeit, es wirklich zu bearbeiten, anstatt hier wieder eines der 45 inhaltlich gleichen Themen aufzujazzen, die Sie sowieso schon mit den vorherigen Anträgen eingebracht haben und wahrscheinlich auch mit den folgenden Anträgen immer wieder einbringen werden.

Vielen Dank dafür, dass zumindest die anderen mir zugehört haben. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Für die SPD spricht nun Frau Abgeordnete Kapteinat.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen der demokratischen Parteien! Wenn ich mir die Tagesordnung und die Anträge der AfD anschaue, ist es zumindest bei mir so, dass ich fast automatisch überlege – denn das ist bei dem einen oder anderen Themenblock auf den ersten Blick nicht erkennbar –: Wie schaffen sie es denn jetzt, hier noch etwas Flüchtlingshetze, ein bisschen Leugnen des Klimawandels oder irgendetwas Ähnliches hineinzubringen?

Bei diesem Antrag war es ähnlich. Ich habe ihn mir angeschaut und gedacht: Okay; darin stehen viele sinnvolle Sachen; das Thema ist durchaus eines, mit dem wir uns auf jeden Fall beschäftigen müssen und das uns alle beschäftigt.

Dann dauerte es keine zwei Minuten, und Sie fingen an, von Flüchtlingen zu erzählen, die diese Probleme verursachten. Dabei beziehen Sie sich hier auf eine Studie aus den Jahren 2008/2009. Dieser Denkfehler hätte doch erkennbar sein müssen. Das hätte man doch sehen können.

(Beifall von Regina Kopp-Herr [SPD])

Außerdem ging es mir ähnlich wie Herrn Sieveke. Ich habe mich auch gefragt, weshalb ich mich hier überhaupt vorbereitet habe, warum ich mir das angeguckt habe und wieso ich überlegt habe, was wir in dem Bereich schon getan haben und was es da gibt, wenn es gar nicht Ihr Interesse ist, zum Antrag zu sprechen.

Natürlich ist es wichtig, dass wir Gewalt am Arbeitsplatz verhindern. Wir müssen körperlicher Gewalt und physischer Gewalt – da spreche ich nicht nur von Mobbing und Beleidigungen, sondern auch vom alltäglichen Druck, der auf unseren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen lastet – etwas entgegensetzen. Denn das alles sind Angriffe gegen unsere Beschäftigten. Wir müssen uns vor die Beschäftigten stellen und sie schützen.

Insofern haben wir uns – Sie haben selber gesagt, dass die Zahlen von 2008 stammen – dieses Problems bereits angenommen.

2016 gab es im Bundesrat eine Initiative mit dem Ziel, gerade bei gemeinwohlfeindlichen oder gleichgültigen Haltungen eine besondere Schärfung bei der Strafzumessung zu ermöglichen. Das ist ein Zeichen, das schon in die richtige Richtung ging. Dieses Zeichen hat auch mit Respekt zu tun – Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich dort jeden Tag hinsetzen und sich bemühen.

Sie alle kennen das Bundesgesetz aus dem letzten Jahr, das härtere Strafen für Angriffe gegen Sicherheits- und Rettungskräfte, auch haupt- und ehrenamtliche Kräfte der Feuerwehr und der Rettungsdienste, vorsieht.

Ich persönlich bin der Meinung: Schärfere Gesetze helfen uns immer nur begrenzt. Zum einen muss man schauen, ob die Gesetze geeignet sind, den Vorfällen tatsächlich etwas entgegenzusetzen. Zum anderen muss es Menschen geben, die die Gesetze sowohl umsetzen als auch in Anspruch nehmen.

Sie sprechen von dem Aachener Modell. Da gab es Arbeitsgruppen und Projekte. Da gab es aber vor allen Dingen Ergebnisse und Umsetzungen, die stattgefunden haben. Das sind Konzepte und Prinzipien – Herr Sieveke hat sie zum Teil schon genannt –, die bereits in unseren Behörden Anwendung finden und durchaus erfolgreich sind.

Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass man Straftaten gegen Einsatz- und Rettungskräfte aufnehmen müsse. Was machen wir denn in der PKS? Das sind doch Dinge, die längst funktionieren.

Insofern frage ich mich wirklich: Warum wurde dieser Antrag geschrieben? Was hat man sich davon versprochen?

(Christian Loose [AfD]: Sie haben den Antrag ja noch nicht einmal gelesen!)

In Ihrem Antrag unterschlagen Sie, dass sich die Zahlen von 2008/2009, die Sie anführen, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen und Jobcentern beziehen. Das ist aber ja nicht alles. Dass dort ein besonderer Stress herrscht und nicht nur die Menschen, die dort als Kunden hingehen, sondern auch die Arbeitnehmer unter besonderem Stress und Druck stehen, ist doch völlig klar.

Damit zeigen Sie also kein repräsentatives Stimmungsbild auf. Vielmehr haben Sie bewusst versucht, mit Zahlen, die Sie aus dem Zusammenhang reißen, wieder schlechte Stimmung zu machen, Angst zu schüren und für ein schlechtes Gefühl in der Gesellschaft zu sorgen.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Es gibt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beckamp. Wollen Sie sie zulassen?

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Nein. Die AfD hatte eben die Möglichkeit, sich zum Antrag zu äußern. Da hatte sie kein Interesse daran. Das müssen wir jetzt nicht wiederholen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich mache es aber auch kurz. Der Antrag ist nichts Neues.

Die Feststellung unter Nr. 3 erscheint mir schon fast ironisch, wenn ich mir die Pressemitteilung der letzten Woche angucke, aus der sich ergeben hat, dass jeder zehnte Abgeordnete der AfD in irgendeiner Art und Weise ein Strafverfahren am Hals hat, in dem es auch um Gewalttaten geht.

(Christian Loose [AfD]: Das stimmt schon gar nicht mehr! –Weitere Zurufe von der AfD)

Nur noch zur Klarstellung: Sie sagten ja zum Ende Ihrer Rede, dass Sie kein Interesse daran haben, mit uns anderen Parteien irgendwo zu stehen. Ich glaube, das kann ich für alle anderen Parteien zurückgeben. Wir wären alle froh, wenn wir hier nicht mit Ihnen sitzen müssten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die FDP hat der Kollege Dr. Pfeil das Wort.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Vincentz, auf die Begründung möchte ich jetzt nicht eingehen. Ich habe sie genauso wenig verstanden wie die Kollegen vor mir. Ich möchte auf den Antrag eingehen, weil ich mich damit ausführlich beschäftigt habe, wie die anderen Kollegen hier auch.

In vielen Bereichen, nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, haben physische und psychische Probleme und Gewalt am Arbeitsplatz in den letzten Jahren zugenommen. Es handelt sich dabei aber generell um ein gesellschaftliches Problem, das sich heute überall zeigt, zum Beispiel in einer von Hass und Hetze geprägten Sprache im Internet, in Mobbing an Schulen und am Arbeitsplatz und vielleicht auch im alltäglichen Umgang miteinander.

Daher hat die alte Landesregierung – auch nach zahlreichen Forderungen der FDP in der letzten Legislaturperiode – im Jahr 2016 die „Woche des Respekts“ eingeführt. Nach meiner Überzeugung braucht man aber nicht nur eine Woche lang Respekt. Eigentlich brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 365 Tage Respekt. Dafür ist vor allem eine Änderung des gesellschaftlichen Umgangs notwendig.

Die neue CDU/FDP-Landesregierung hat im Koalitionsvertrag ausdrücklich aufgenommen, dass das begonnene Forschungsvorhaben zu Gewalt gegen Einsatzkräfte, Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte fortgeführt werden soll.

Die Landesregierung hat auch nach dessen Vorstellung reagiert. Der Abschlussbericht liegt seit dem 26. Januar 2018 vor. Der Innenminister hat hierzu ja auch schon einiges erklärt.

Minister Reul hat konkret in der Innenausschusssitzung am 22. Februar 2018 mitgeteilt, dass nach Vorstellung der Studie kurzfristig ein Workshop abgehalten werde und im April dieses Jahres eine zweite Sitzung dazu durchgeführt werde. Ziel ist es, das Meldesystem zu verbessern, den Gesamtumfang des Problems in NRW festzustellen und weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Das zeigt, dass das Ministerium mit diesem Thema derzeit schon beschäftigt ist.

Der vorliegende Antrag schlägt jetzt einige Punkte vor. Jedoch sind die Intention und die Begründung des Antrags bisher nicht überzeugend und zum Teil auch überholt.

Zunächst zu den Feststellungen, die der Landtag treffen soll: Der Landtag soll – so beantragen Sie unter II – unter anderem feststellen,

„dass es keine Toleranz bei körperlicher Gewalt geben darf.“

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Dr. Vincentz, jede Art von körperlicher Gewalt erfüllt einen Straftatbestand. Hierfür gibt es das Strafgesetzbuch. In §§ 223 ff. stehen die entsprechenden Regelungen. Daneben bestehen weitere Vorschriften des Gewaltschutzes für den Bereich der häuslichen Gewalt. In § 1666 StGB gibt es das Verbot entwürdigender Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls.

Das alles gibt es schon. Selbstverständlich gilt bereits heute keine Toleranz gegenüber körperlicher Gewalt. Die Forderung in dem Antrag, der Landtag solle dies feststellen, ist daher völlig überflüssig und führt zu keinem Mehrwert. Deswegen wissen wir auch nicht, was Sie damit aussagen wollen.

Richtig ist allein, dass Gewalt am Arbeitsplatz ein Problem darstellt. Diesem Problem haben sich die Verwaltungen in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren aber bereits gestellt. Das war notwendig, weil es ein dringendes Problem war.

Damit komme ich zu den Punkten unter Ziffer III Ihres Antrages.

Sie nennen das „Aachener Modell“. Aachen hat eine zu begrüßende Vorreiterrolle eingenommen. Da das Problem bei allen Verantwortlichen bekannt war und es bis 2017 für Behörden und andere Einrichtungen lediglich vereinzelte Präventionsmaterialien der Polizei zum Schutz der Beschäftigten vor Übergriffen gab, wurde mit dem Programm „Polizeiliche Kriminalprävention“ der Länder und des Bundes im Jahr 2017 beschlossen, auf Basis des „Aachener Modells“ entsprechende Materialien für das Bundesgebiet zu erstellen.

In diesem Zusammenhang entstanden eine Handreichung für Behördenleiter, Geschäftsführer sowie Personalverantwortliche und ein Faltblatt für die Beschäftigten. Ziel dieser Publikationen ist es, über Gefahren im Umgang mit Kunden zu sensibilisieren und Gegenmaßnahmen aufzuzeigen.

In der Handreichung werden Maßnahmen für die einzelnen Gefahrenstufen vorgestellt, um kritischen Situationen vorzubeugen bzw. im Ernstfall handlungsfähig zu sein. In Stufe I gehört dazu die Schaffung einer sicheren Arbeitsplatzumgebung, wie zum Beispiel die Einrichtung eines Fluchtweges oder Zutrittskontrollen in Gebäude. All dies ist vorgesehen und richtet sich an Arbeitgeber, die dafür Sorge tragen müssen, dass die Standards eingerichtet werden.

In Ihrem Antrag stellen Sie unter den Punkten III.3 und III.4 Forderungen auf, die bereits umgesetzt sind; Frau Kapteinat und Herr Sieveke haben darauf hingewiesen. Alarmierungssysteme existieren in unterschiedlicher Art bereits in vielen öffentlichen Einrichtungen. Sie fordern ein landesweites Alarmierungssystem. Dazu sagen wir: Damit gingen die spezifischen Anforderungen vor Ort verloren, sodass das keine Lösung sein kann. Außerdem gibt es vor Ort bereits entsprechende Alarmierungssysteme. Des Weiteren wird von Ihnen eine Weiterentwicklung gefordert, wobei mit keinem Wort erklärt wird, warum die bisherigen Nachsorgekonzepte nicht ausreichen sollen.

Professor Dr. Thomas Feltis von der Ruhr-Universität fordert in seinem Abschlussbericht vom 26. Januar 2018, auf den ich vorhin schon Bezug genommen habe, mehr Präventionsmaßnahmen. Diese Forderung stellen Sie unter Punkt III. 2 Ihres Antrags auf.

Um es kurz zu machen: Wir stimmen der Überweisung des Antrages zu, weisen allerdings darauf hin, dass einzelne Punkte des Antrages unter keinem einzigen Gesichtspunkt mehrheitsfähig und zustimmungsfähig sind. Entweder wurden sie schon umgesetzt oder sie betreffen allgemeine Aussagen, die keinen Mehrwert für die Bekämpfung der Gewalt am Arbeitsplatz haben. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass sich das Innenministerium mit dem Thema bereits beschäftigt hat und auch weiterhin beschäftigen wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege Pfeil. – Für die Grünen spricht nun Frau Abgeordnete Schäffer zu uns.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Debatte möchte ich gerne auf einen Punkt hinweisen: Wenn man sich die Polizeiliche Kriminalstatistik anschaut, und zwar nicht nur für das letzte Jahr, sondern über einen Zeitraum von zehn Jahren, stellt man fest: Die Gewaltkriminalität in unserer Gesellschaft nimmt insgesamt ab. Im vergangenen Jahr gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang bei der Gewaltkriminalität. Das ist eine sehr positive Botschaft, die wir auch zur Kenntnis nehmen müssen.

Nichtsdestotrotz darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass bestimmte Personengruppen von Gewalt betroffen sind und es Gewalt am Arbeitsplatz bzw. im Dienst gibt. Das erschüttert uns alle sehr, insbesondere wenn Beschäftigte im öffentlichen Dienst betroffen sind, die von Berufs wegen anderen helfen, also Rettungskräfte, Feuerwehrleute und andere. Darüber haben wir schon häufig diskutiert. Insofern ist die Debatte nicht ganz neu. Wir sind uns auch einig darin, dass diese Gewalt nicht zu tolerieren ist und die Arbeitgeber verpflichtet sind, alles dafür zu tun, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Gewalt zu schützen.

Wir als Abgeordnete und Landesparlament sind vor allem für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowohl auf Landesebene als auch im Dialog mit den Kommunen auf kommunaler Ebene zuständig. Als Arbeitgeber, als Land haben wir eine Fürsorgepflicht, die wir im Blick haben müssen. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben bereits gesagt, dass dazu in den letzten Jahren einiges auf den Weg gebracht worden ist. Wir haben bereits im Dezember 2016 und im Februar 2017 darüber diskutiert; auch in dieser Legislaturperiode gab es dazu bereits viele Diskussionen.

Ich möchte daran erinnern, was in dieser Zeit passiert ist: Das damalige MAIS – also das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales – hatte Konzepte für die Beschäftigten in Jobcentern und in Arbeitsagenturen erarbeitet. Das damalige MGEPA – das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter – hatte sich intensiv mit der Frage beschäftigt: Wie können wir unseren Rettungskräften mehr Schutz ermöglichen?

Das Justizministerium hat sich damit beschäftigt, welche Sicherheitskonzepte für Gerichte und Staatsanwaltschaften aufgestellt werden können. Das Innenministerium hat sich ebenfalls Gedanken gemacht und es umgesetzt, Polizistinnen und Polizisten – auch sachlich – entsprechend auszustatten und das Thema „Gewalt“ in Aus- und Fortbildung zu verankern, um Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte darauf vorzubereiten. All diese Maßnahmen sind schon angestoßen worden und laufen weiter. Insofern steht in dem Antrag nicht viel Neues.

Ein Punkt in der Debatte, die wir Ende 2016 geführt haben, ist mir allerdings noch wichtig. Als Parlament haben wir der Landesregierung einen Auftrag gegeben: Tretet bitte in einen Dialog mit den verschiedenen Gruppen betroffener Beschäftigter ein. Gebt gegebenenfalls Studien in Auftrag. – Ich weiß, das ist in manchen Bereichen auch geschehen. – Tauscht euch über bestehende Konzepte aus und entwickelt sie weiter.

Wir sollten uns das meiner Ansicht nach noch einmal vornehmen und uns vielleicht auch aus dem Innenministerium über den Dialog und dessen Ergebnisse – wir haben 2016 dazu einen Entschließungsantrag beschlossen – berichten lassen. Herr Minister Reul, das können Sie nicht wissen, weil Sie damals nicht dabei waren.

Das sollten wir uns auch im Ausschuss gemeinsam anschauen. Das ist kein Ding zwischen Regierung und Opposition, sondern wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass die Beschäftigten insbesondere im öffentlichen Dienst vor Gewalt geschützt sind; denn wir sind dafür verantwortlich.

Was den konkreten Antrag angeht, kann ich mich den Rednerinnen und Rednern der Fraktionen von SPD, CDU und FDP nur anschließen: Im Antrag steht nichts Neues.

Der AfD-Redner hat hier leider selber deutlich gemacht, dass es ihm nicht wirklich um den Antrag ging. Das finde ich schade, denn ich halte dieses Thema für sehr wichtig. Es geht uns alle an. Wir müssen hier weiter vorankommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Reul.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich war, als ich den Antrag las, schon erstaunt und fragte mich: Wo will die AfD da Missstände oder Handlungsdefizite aufgedeckt haben? Nach dem Lesen der Begründung habe ich dann gar nichts mehr verstanden.

Ich versuche jetzt einfach das vorzutragen, wovon ich mir überlegt habe, dass man es inhaltlich zu dem Thema sagen könnte. Denn die Maßnahmen – darauf haben einige Kollegen schon hingewiesen –, die da gefordert werden, sind zum Teil bereits Praxis.

Maßnahmen zur Sicherung des Arbeitsplatzes unterliegen zuallererst dem Arbeitgeber. So werden bei der Polizei NRW solche Maßnahmen unterstützt. Wir haben Beratungen zu verschiedenen Themen, wie Umgang mit schwierigen Kunden oder die Erstellung von Notfallplänen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Im Jahr 2017 wurde das Programm „Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes“ auf Grundlage des „Aachener Modells“ entwickelt. In dieser Handreichung werden Behördenleitern, Geschäftsführern und Personalverantwortlichen Handlungsempfehlungen zum Schutze der Beschäftigten gegeben. Wenn man kluge Gedanken hat, kann man das trotzdem weiterentwickeln; das ist keine Frage.

Jeder einzelne Arbeitsplatz – das ist vielleicht wichtig – unterliegt spezifischen Rahmenbedingungen, die auch ganz individuelle Sicherheitsmaßnahmen erfordern. Deshalb ist es wichtig, die jeweiligen – sehr individuellen – Risiken genau zu analysieren und ein darauf abgestimmtes Sicherheitskonzept zu erstellen.

Im Übrigen: Schwerpunkte, um Gewalt vorzubeugen, sind Konfliktmanagement und die Sensibilisierung der Führungskräfte, aber auch die Erarbeitung von spezifischen Handlungsempfehlungen wie der Schutz des Arbeitsplatzes durch Zugangskontrollen oder bauliche Vorkehrungen. Solche Maßnahmen sind in der Praxis gang und gäbe. Trotzdem dürfte es – das dürfte jedem klar sein – nicht möglich sein, das Risiko von Übergriffen an Arbeitsplätzen auf null zu reduzieren.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass ein landesweites mehrstufiges Alarmsystem nicht notwendig ist. Solch ein System kann übrigens in Gefahrensituationen mit hohem Stresslevel dazu führen, dass Personen eher handlungsunfähig werden, weil sie gar nicht mehr wissen, welches der nebeneinander existierenden Notrufsysteme denn nun das richtige ist. Das ist eine Überforderung und hilft überhaupt nicht. Im Übrigen gibt es bereits spezifische Alarmierungssysteme: an Schulen, an Krankenhäusern und in vielen öffentlichen Einrichtungen.

Über all diese vorbereitenden und zielführenden Maßnahmen hinaus haben wir ein hochwirksames, aber relativ einfaches Instrument: den Polizeinotruf. Ich rate allen, die sich bedroht fühlen oder in Gefahr sind, einfach 110 anzurufen. Da erreicht man Profis, und die können direkt weiterhelfen.

Auf gravierende Übergriffe muss umgehend, ohne lange Umwege, reagiert werden. Die Polizei verfügt über die professionelle Kompetenz, schnell und sicher geeignete gefahrenabwehrende und opferschützende Maßnahmen zu ergreifen. Das Sicherste ist also: 110 wählen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe noch eine weitere Wortmeldung von der AfD. Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal – weil es unter den Parteien viel zu selten gemacht wird – richte ich einen Dank an Herrn Dr. Pfeil, der sich in der Tat inhaltlich mit dem Antrag auseinandergesetzt hat.

Man kann im politischen Diskurs immer unterschiedlicher Meinung sein – das ist auch gut so –; dazu gibt es schließlich die Parlamente. Es kommt hier aber manchmal ein wenig zu kurz, dass es Rede und Widerrede gibt. Es geht nicht darum, einfach nur seine mitgebrachte Rede vorzulesen, sondern auch einmal auf etwas zu retournieren, was unter Umständen ganz anders dargestellt wurde. Von daher in diese Richtung ein großes Dankeschön.

Ich finde wiederum ein bisschen schade, wenn Herr Sieveke und auch Frau Kapteinat das gewollte Missverstehen im Prinzip als Vorwand nutzen, um sich thematisch mit diesen Dingen nicht auseinanderzusetzen. Das ist traurig.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)

Denn wenn Sie in die Aufzeichnungen zu dem Antrag schauen, werden Sie feststellen, dass ich kein einziges Mal das Wort „Flüchtling“, „Zugewanderter“ oder „Asylsuchender“ benutzt habe.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Wir werden das Protokoll abwarten!)

Das ist ein gezieltes Missverstehen meiner Rede, in der ich darauf hinwies, dass wir es tatsächlich mit einem Thema – Gewaltprävention, Gewalt, Gewaltabwehr – von staatstragender Wichtigkeit zu tun haben. Dass Sie hier unterstellen, ich sei mir der Tragweite des Problems nicht bewusst, wenn ich Ihnen das noch einmal vor Augen führe, finde ich fast ein bisschen traurig.

Wenn Sie dann sagen, das sei eine Kleinmachung dieses Problems, und ich dann von dem Herrn Minister höre, in diesem Bereich sei schon so viel gemacht worden und tue sich so viel, hört sich das für mich so an, als gäbe es das Problem in diesen Ausmaßen gar nicht.

Ganz im Gegenteil! Ich hatte in dem Antrag extra Zeitungsartikel – aus der „WeLT“ beispielsweise – aufgeführt, die besagen, dass wir es mit einer Zunahme dieses Problems zu tun haben, dass solche Probleme immer häufiger gemeldet werden, die dann aber nicht in den offiziellen Statistiken – wovon Herr Sieveke sprach – aufgeführt werden. Wenn Frau Schäffer darauf hinauswollte, dass die offiziellen Statistiken abnehmende Zahlen ausweisen, sage ich: Nein, ganz im Gegenteil.

Wenn Sie sich anschauen, welche Zahlen aufgezeichnet werden und was die einzelnen Beschäftigten zu diesen Themenfeldern sagen, dann werden Sie feststellen: Da gibt es eine unglaubliche Divergenz. Und genau darum geht es: dass der Staat die Augen auf dieses Problem richtet.

Sie sagten gestern: Wir sind hier im Parlament in der Realität angekommen. – Nein, wir sind hier im Parlament nicht in der Realität angekommen. Die Realität ist draußen, und dorthin müsste man ab und zu mal seinen Blick richten.

(Beifall von der AfD)

Herr Sieveke, Sie haben viele gute Punkte genannt. Sie haben unter anderem gesagt, man müsse auch die Nachsorge für Menschen in die Betrachtung einbeziehen, die Opfer von Gewalt geworden sind. – Man muss in der Tat auch die Nachsorge für Opfer verbessern. Wenn Sie den Antrag gelesen und sich mit ihm auseinandergesetzt hätten, wüssten Sie: Genau im letzten Absatz geht es um die Nachsorge.

Und was die vielen anderen Dinge angeht, die dann noch so fadenscheinig diskutiert wurden, und wegen derer man den Antrag dann wieder ablehnt: Entschuldigen Sie, lesen Sie den Antrag bitte! Sie wissen doch: Wenn ich hier vorne stehe, bin ich nicht hier, um mit Ihnen Plattitüden auszutauschen, sondern um Sachpolitik zu betreiben. Machen Sie sich also bitte die Mühe, sich auch inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die SPD spricht Frau Kollegin Weng.

Christina Weng (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Keine Frage – aggressives Verhalten bis zur körperlichen Gewalt gegen Beschäftigte, egal wo, muss in aller Form angegangen werden. Das haben wir jetzt in allen Redebeiträgen dezidiert gehört – in Ihrem übrigens nicht.

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Doch! Ich habe es dreimal gesagt! – Weitere Zurufe von der AfD)

Das „Aachener Modell“ muss ich nicht beschreiben. Ich muss das nicht wiederholen. Wir haben keinen Erkenntnismangel. Der Minister hat es deutlich gemacht.

Doch was Sie in Ihrem Antrag außer Acht lassen und in Ihrem Redebeitrag nicht mal irgendwie andeuten, ist das Warum. Woher kommt die Verrohung? Der Bundesvorsitzende des Verbandes der niedergelassenen Ärzte, mit dem Sie ja auch sehr verbunden sind, beschreibt das: Verrohung, Ursachen von Gewalt.

Ich sage an dieser Stelle: Sie sind ein Teil des Problems, weil Sie Angst schüren, weil Sie hetzen und weil Sie Hass verbreiten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD: Das machen Sie gerade!)

Gerüchte verbreiten – das müsste Ihnen bekannt vorkommen –, politische, religiöse Einstellungen angreifen, Nationalitäten verhöhnen, entwürdigende Ausdrücke bringen, körperliche Gewaltandrohungen – das sind die Leymann-Thesen. Sie kennen sie. Das sind die Mobbingverfahren mit folgenschweren Formen der Gewalt am Arbeitsplatz.

Abgeordnete sowie Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Partei begehen regelmäßig verbale Gewalt gegen einzelne Personengruppen unserer Gesellschaft und ganz häufig – heute mehrfach gehört – allein aufgrund eines Migrationshintergrunds. – Anstatt solche Anträge zu stellen und sie dann auch noch völlig diametral zu diskutieren, sollten Sie erst mal vor der eigenen Haustür kehren.

Was ich mir persönlich – im Abgleich mit vielen anderen Kolleginnen hier – wünsche: Auch wir haben einen Anspruch auf einen gewaltfreien Arbeitsplatz. Rhetorische und verbale Gewalt, so, wie Sie sie hier bringen, das ist für mich nicht der gewaltfreie Arbeitsplatz, auf den ich bestehe.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Helmut Seifen [AfD] – Weitere Zurufe von der AfD)

Deshalb: Bei der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg, die Sie kennen, gibt es spannende Einsichten: Hinter jedem aggressiven Verhalten steckt ein unerfülltes Bedürfnis. – Welche unerfüllten Bedürfnisse Sie haben, das weiß ich nicht.

(Beifall und Heiterkeit von der SPD)

Arbeiten Sie sich aber bitte nicht an Fremden ab, und gönnen Sie mir meinen rhetorisch-verbal gewaltfreien Arbeitsplatz! – Danke schön.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Das war eine einzige Hassrede! – Zuruf von der AfD: Abgewirtschaftet! Schämen Sie sich für diese Rede!)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2758 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wenn Sie dem zustimmen wollen, bitte ich ums Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

9   Keine Kürzungen bei der Sozialen Wohnraumförderung: NRW braucht mehr mietpreisgebundenen Wohnungsbau und nicht weniger!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1438

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen
Drucksache 17/2797

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU hat Kollege Schrumpf das Wort.

Fabian Schrumpf (CDU): Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NRW-Koalition steht für einen Neustart in der Wohnungspolitik in unserem Land. Wir stehen für mehr Wohnungsbau und für mehr bezahlbaren Wohnungsbau. Die soziale Wohnraumförderung ist dabei ein wichtiger Baustein. Darin sind die öffentliche Förderung von mietpreisgebundenem Wohnungsbau und unsere neue Eigentumsförderung gerade für junge Familien zwei Seiten einer Medaille.

Da Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dies nicht wahrhaben wollen, liegt uns heute erneut ein Antrag zu dieser Thematik vor – und das, nachdem wir uns bereits am 25. April 2018 im Plenum mit einem weiteren Antrag der SPD zur öffentlichen Wohnraumförderung beschäftigt hatten. Dieser hatte damals hauptsächlich Ihre ideologisch motivierte Ablehnung der neuen Eigentumsförderung zum Inhalt und wurde daher völlig zu Recht im Hohen Hause abgelehnt.

Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, sage ich Ihnen gerne vorweg, dass auch Ihr nun vorliegender Antrag nichts an unserer Grundüberzeugung ändern wird. Seine pauschale und faktenverdrehende Kritik an unserer öffentlichen Wohnraumförderung geht völlig an den Tatsachen vorbei.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unser Förderprogramm schafft sowohl für Investoren als auch für Kommunen langfristige Planungssicherheit. Mit der Erhöhung der Förderpauschalen und Bewilligungsmieten sind die Förderkonditionen für den Mietwohnungsbau erheblich verbessert worden.

(Zuruf von der SPD: Aber nicht überall!)

Dies hat auch die dazu durchgeführte Anhörung eindrucksvoll belegt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

So haben alle anwesenden Experten unisono bestätigt, dass wir mit unserer öffentlichen Wohnraumförderung auf dem richtigen Weg sind. Ich gehe auch davon aus, dass uns die bisherigen Mittelabrufe im laufenden Jahr 2018 aufgrund der von uns modernisierten und optimierten Förderkriterien recht geben werden.

Für die Jahre 2018 bis 2022 stellt die Landesregierung insgesamt 4 Milliarden € für den öffentlich geförderten Wohnungsbau zur Verfügung. Mit Blick auf die Überschrift und den Tenor des SPD-Antrags ist es mir deshalb wichtig, hier noch einmal ganz klipp und klar deutlich zu machen: Die Landesmittel für die öffentliche Wohnraumförderung wurden nicht gekürzt, und daran ändern auch die immer und immer wieder vorgetragenen Falschmeldungen der SPD rein gar nichts.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Landesmittel knüpfen an das Fördervolumen der Jahre 2014 bis 2017 an.

Sie sind konstant geblieben. Auch die derzeit verfügbaren Bundesmittel werden bis zu ihrem Auslaufen in voller Höhe eingesetzt. Um dabei jedoch einen plötzlichen Abfall der Förderung zu verhindern, werden die Bundesmittel zunächst über einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckt, also über die gesamte Programmdauer hinweg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wissen genauso gut wie wir, dass die nachträgliche Aufstockung des Gesamtvolumens in den Jahren 2016 und 2017 lediglich durch die befristete Ausweitung der Bundesmittel möglich war. Sich nun also hier hinzustellen und zu behaupten, wir hätten diese Mittel gekürzt, ist und bleibt schlichtweg falsch und unverschämt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt haben Sie in Ihrem Antrag eine Tabelle abgedruckt. Tabellen sind immer schön – schöner wäre es aber, wenn diese Tabelle nicht erst 2017 beginnen, sondern weiter zurückreichen würde. Dann wäre nämlich offensichtlich, dass die letzte Kürzung der Landesmittel für das Programmjahr 2011 stattgefunden hat, und zu diesem Zeitpunkt waren meines Wissens Sie in Regierungsverantwortung.

Bereits in der letzten Debatte haben wir darauf hingewiesen, dass das aktuelle Programm mit zusätzlichen Mitteln des Bundes aufgestockt werden kann, wenn diese zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit signalisiert, zweckgebundene Finanzhilfen auch in 2020 und 2021 zu gewähren.

Die Gründe für Wohnungsmangel in Nordrhein-Westfalen sind vielschichtig. Es gibt nicht die eine Maßnahme, die von heute auf morgen alle Probleme lösen kann. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Deshalb müssen wir die Herausforderungen mit einem ganzheitlichen Ansatz bewältigen.

Neben der öffentlichen Wohnraumförderung werden wir auch weiterhin die Rahmenbedingungen für mehr Wohnungsbau verbessern. Als Stichworte sind hier zu nennen die Mobilisierung von Bauland und schnellere Baugenehmigungsverfahren, damit einhergehend die Reform der Landesbauordnung. Wir wollen die Entlastung von Ballungsgebieten herbeiführen, indem wir den Menschen in den ländlichen Räumen wieder mehr Perspektiven bieten.

Ressortübergreifend ist die Landesregierung hier ebenso auf einem guten Weg wie bei der Neuausrichtung der sozialen Wohnraumförderung. Anders als Sie in der Vergangenheit verkämpfen wir uns eben nicht an den Symptomen, sondern gehen die Ursachen von Wohnungsmangel stark und entschlossen an. – Ihren überflüssigen Antrag lehnen wir ab.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD erteile ich Herrn Kollegen Wolf das Wort.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie fange ich jetzt an nach einem derart mitreißenden Redebeitrag, worin Sie versucht haben, einige Dinge auch ein bisschen schief darzustellen?

Ich will einmal einen kurzen historischen Rückblick wagen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Kann man auch lassen!)

2016 war Nordrhein-Westfalen Deutscher Meister. Jetzt werden sich wahrscheinlich sämtliche Sportpolitiker hier im Raum fragen: In welcher Sportart denn? – Fußball kann es nicht gewesen sein. Daran können wir uns leider erinnern. Nein, Nordrhein-Westfalen ist 2016 Deutscher Meister gewesen, was die öffentliche Wohnraumförderung angeht. Diese Position, Frau Ministerin, müssen Sie verteidigen. Wenn Sie Hilfe brauchen, bekommen Sie von uns jede Unterstützung.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Schrumpf, was Sie hier versucht haben, mit ein bisschen Elan vorzubringen – Stichwort: Neustart –, das macht auf mich ein bisschen den Eindruck, als hätten Sie bei der Umstellung der Förderung den Wagen abgewürgt. Wir müssen meinetwegen nicht von Kürzungen reden, aber Fakt ist: Sie stellen weniger Geld zur Verfügung.

(Fabian Schrumpf [CDU]: Sie behaupten das!)

Wenn Ihnen diese Formulierung lieber ist als „Kürzung“, dann sagen wir eben: Sie stellen weniger Geld zur Verfügung als die alte Landesregierung es für den öffentlich geförderten Wohnraum gemacht hat.

Sie haben – darauf haben Sie selbst hingewiesen – zudem die Mietstufen verändert, damit hier mehr öffentliche Förderung entsteht. Sie haben die Debatte im letzten Ausschuss vielleicht nicht richtig verfolgt. Denn die Kritik, insbesondere aus dem Ruhrgebiet, war sehr deutlich. Wenn Sie sich mal außerhalb des Essener Südens mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Ruhrgebiet unterhalten, dann werden die Ihnen mit Sicherheit genau das Gleiche berichten – zum Beispiel in Gelsenkirchen –, nämlich dass Sie mit der Veränderung der Mietstufen die öffentliche Wohnraumförderung insbesondere im Ruhrgebiet abwürgen.

(Beifall von der SPD)

Das sind die Kollegen, die am meisten betroffen sind.

Wenn wir hier den historischen Rückblick wagen, dann werden Sie mit Sicherheit wieder mit der Argumentation kommen, die Niedrigzinsphase habe auch in der Zeit von Herrn Minister Groschek zu Schwierigkeiten beim Mittelabfluss geführt. Das ist klar; diese Tatsache bestreiten wir auch gar nicht. Ihr Vorgänger, Frau Scharrenbach, hat hier jedoch eine sehr clevere – ich glaube, das würden Sie auch so sehen – Antwort gegeben, nämlich zusätzlich zu den niedrigen Zinsen, die am Markt kaum noch nachgefragt worden sind, den Tilgungsnachlass zu etablieren.

Ich will noch einmal kurz auf den zentralen Punkt eingehen, warum wir diesen Antrag eingebracht haben, und warum wir mit Ihnen überhaupt darüber diskutieren. Es bleibt dabei: Wir müssen gemeinsam das Grundbedürfnis der Menschen in unserem Land erfüllen, nämlich dass jeder hier ein Dach über dem Kopf hat. Diesem Grundversprechen unserer Gesellschaft, dass jeder eine bezahlbare Wohnung finden kann, fühlen wir uns als Sozialdemokraten verpflichtet. Sie haben die Verantwortung, dass dies auch gelingt.

Insbesondere müssen wir denjenigen helfen, die im Wettkampf auf dem freien Wohnungsmarkt einfach nicht mithalten können. Sie werden aus Ihren eigenen Wahlkreisen die Beispiele kennen, wenn sich auf eine Wohnung – mir ist das gerade aus Dortmund geschildert worden – 700 Bewerberinnen und Bewerber vorstellen. – Jetzt schauen Sie so. Das gibt es tatsächlich! Ich bin auch immer von 100 bis 200 Bewerbern ausgegangen, aber es können auch sehr viel mehr sein.

Deswegen muss die deutliche Antwort lauten: mehr öffentliche Wohnraumförderung, kein Aufräumen mit den mieterschützenden Regeln. Das ist vom Mieterbund klar gesagt und kritisiert worden.

Noch einen weiteren Effekt hat der Mieterbund sehr eindringlich kritisiert: Wenn Sie die Eigentumsförderung ausweiten wollen – das kann man machen; ich habe Ihnen damals schon gesagt, dass wir nicht grundsätzlich dagegen sind –, dann muss man aufpassen, dass das sehr zielgerichtet geschieht. Das muss in die Regionen fließen, in denen tatsächlich ein Bedarf ist. Der Mieterbund hat es betont: Mit Eigentumsförderprogrammen kann man sich keine Wohnung in Köln, Bonn oder Düsseldorf kaufen, weil die Fördermittel die hohen Preise, die es gerade in diesen Ballungsbereichen gibt, auffressen.

Ein weiterer negativer Effekt droht – auch davor warnt der Mieterbund –, nämlich der, dass immer mehr Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Auch davor will ich Sie noch einmal warnen.

Lassen Sie also die Menschen nicht im Stich. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Grundversprechen für bezahlbares Wohnen arbeiten, und stimmen Sie unserem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die FDP erteile ich dem Kollegen Paul das Wort.

Stephen Paul (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Richtung der Sozialdemokraten kann ich sagen, dass wir in einem Punkt Ihrem Antrag zustimmen können: NRW braucht mehr Wohnungsbau und nicht weniger.

(Sven Wolf [SPD]: Da sind wir uns einig!)

Ich fürchte, mit dieser allgemeinen Feststellung, lieber Kollege Wolf, hören unsere Gemeinsamkeiten dann aber auch schon auf.

Es bleibt dabei: Die einzig wirksame Antwort auf die Wohnungsnot ist mehr Wohnraum. Und genau das erleichtern wir mit der neuen Landesbauordnung. Wir als Regierungskoalition aus Christdemokraten und Freien Demokraten wollen die Preisspirale auf dem Immobilienmarkt endlich durchbrechen. Damit schaffen wir in Nordrhein-Westfalen ein positives Klima für den Neubau. Wir fördern weiterhin den Mietwohnraum, aber nicht nur. Die öffentliche Förderung des preisgebundenen Geschosswohnungsbaus und die Förderung von Wohneigentum sind zwei Seiten derselben Medaille.

Werte Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei: Die Mietwohnraumförderung ist mit gut einer halben Milliarde Euro der klare Schwerpunkt unserer öffentlichen Förderung. Es wird weiterhin nahezu siebenmal so viel Geld für die Mietraumförderung bereitgestellt wie für die Eigentumsförderung. Und weil das Programm über fünf Jahre läuft, können Kommunen und Investoren verlässlich planen. Auch das ist nicht selbstverständlich. Menschen können sich darauf verlassen, dass wir zusätzliche Mittel aus Berlin exakt für die Förderung neuen Wohnraums in NRW verwenden.

Deswegen ist die von Ihnen hier vorgelegte Rechnung unredlich. Sie versuchen, hier Punkte zu machen und nehmen es dabei mal wieder mit den Fakten nicht so ganz genau.

(Sven Wolf [SPD]: Na, na!)

Ich kann es nur wiederholen: Die Wohnraumförderung aus Landesmitteln liegt mit 800 Millionen € exakt auf dem Niveau der Vorjahre.

(Sven Wolf [SPD]: Das ist aber Wortklauberei! Die Wohnraumförderung in NRW – darum geht es doch!)

Wenn es wieder wie in den Vorjahren zusätzliche Bundesmittel gibt, werden wir diese genau wie Sie damals weitergeben. Anstatt das künstlich schlechtzurechnen, können Sie ja mal Einfluss auf Ihre Abgeordneten in Berlin ausüben, damit diese Mittel auch tatsächlich hier bei uns in Nordrhein-Westfalen ankommen.

Wir halten jedenfalls Wort: Zusätzliche Mittel aus Berlin werden für die Förderung neuen Wohnraums in NRW verwendet.

(Beifall von der FDP)

Insgesamt habe ich sowieso den Eindruck, dass es vielleicht eher darum geht, negative Stimmung bei den verzweifelten Wohnungssuchenden zu machen, als die Lage im Lande tatsächlich zu verbessern.

Kernproblem ist, dass die Preise für Mietwohnungen immer weiter steigen. Deshalb ist der Kurs unserer Landtagsmehrheit genau richtig. Wir bekämpfen endlich wirksam den Mangel an Wohnraum, indem wir das Ausweisen von Bauland und das tatsächliche Bauen von Wohngebäuden in unserem Land erleichtern. Mit dem Baurechtsmodernisierungsgesetz werden wir noch vor der Sommerpause hier im Landtag den Weg für ein modernes, einfaches und schnelles Bauen freimachen.

(Sven Wolf [SPD]: Seid Ihr da sicher?)

Wir beschleunigen die Baugenehmigungsverfahren, indem wir Auflagen und Hürden abbauen. Vereinfachungen und Bürokratieabbau, das sind wirksame Maßnahmen, um den Anstieg der Mieten in Nordrhein-Westfalen endlich einzudämmen.

Wenn es um bürokratische Fehlschläge geht, möchte ich hier noch einmal Ihre gescheiterte Mietpreisbremse erwähnen. Das ist ja auch Teil des Problems, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil diese Mietpreisbremse nicht die Mietpreise gebremst hat, sondern das Klima für das Vermieten vermiest hat.

Deshalb schaffen wir als NRW-Koalition aus Christdemokraten und Freien Demokraten die Mietpreisbegrenzungsverordnung genau wie die Kappungsgrenzenverordnung ab.

Durch den Verzicht auf Vorschriften, dort, wo es möglich ist, durch die Frist für die Vollständigkeitsprüfungen von Bauanträgen und durch die Transparenz über die Dauer von Baugenehmigungsverfahren in den Kommunen beschleunigen wir das Bauen in Nordrhein-Westfalen.

Zu unserer neuen Bau- und Wohnungspolitik gehört auch – ich kann es immer wieder nur sagen –, die Eigentumsförderung als wirksames Programm, um mehr Wohnraum in Nordrhein-Westfalen zu schaffen; denn wir unterstützen damit gerade junge Familien, die dabei sind, den Schritt in das eigene Heim zu machen. Mit jeder jungen Familie, die in ihr eigenes Haus zieht, wird gleichzeitig eine Mietwohnung für eine andere Familie frei. Die NRW-Koalition ist jedenfalls fest entschlossen, den Menschen in Nordrhein-Westfalen wieder eine bedarfsgerechte Wohnraumförderung anzubieten.

Sie können noch so viele Anträge dagegen schreiben und einbringen: Neben einer starken Förderung des Mietwohnungsneubaus gehört für uns eben auch eine wirkungsvolle Eigentumsförderung dazu.

(Beifall von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Wie schon Erik Amaya von Haus & Grund in der Anhörung unseres Ausschusses zurechtgerückt hat, muss man hier auch mal die Kirche im Dorf lassen. Es handelt sich um 80 Millionen € Eigentumsförderung bei einem Programmvolumen von insgesamt 800 Millionen €.

Der Schwerpunkt bleibt also, wie ich schon sagte, bei der Mietwohnungsförderung mit einer guten halben Milliarde, mit dem exakt gleichen Finanzvolumen wie bisher.

Ergänzt wird dieser Schwerpunkt durch diese neue gezielte Eigentumsförderung mit 80 Millionen €, ebenfalls im gleichen Umfang wie bislang. Der Unterschied ist aber: Wir wollen dafür sorgen, dass diese 80 Millionen € tatsächlich wieder zur Eigentumsbildung genutzt werden und nicht nur, wie bisher, auf dem Papier stehen. Die ersten Zahlen von der NRW.BANK geben uns doch auch recht. Mit der Verbesserung der Förderkonditionen wird die Eigentumsförderung jetzt in Nordrhein-Westfalen wieder attraktiv. Wir hören bereits, dass das Förderprogramm stark nachgefragt wird.

Lieber Sven Wolf, der Wagen ist nicht abgewürgt, der kommt gerade richtig in Fahrt.

(Sven Wolf [SPD]: Wahnsinn! Jetzt habe ich aber Angst!)

Auch entfesseln wir hier und machen gerade den Kauf von Bestandsimmobilien wieder attraktiv.

Die erneute Debatte zu diesem Thema am heutige Tage hat hoffentlich eines gezeigt: Wir unterscheiden uns ganz klar in unserer Haltung und in unserer Politik von der Landtagsopposition. Nicht regulieren, sondern entfesseln, nicht misstrauen, sondern zutrauen und vertrauen, nicht bremsen, sondern beschleunigen, nicht verhindern, sondern Chancen nutzen, nicht meckern, sondern machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Paul, Frau Abgeordnete Müller-Witt möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sie waren gerade so im Redefluss, sodass ich Sie nicht unterbrechen wollte. Wollen Sie die zulassen?

Stephen Paul (FDP): Ja.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Abgeordnete Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, für die Möglichkeit, Ihnen die Frage stellen zu können. Sie sagen, es kommt gerade alles in Fluss, und es entwickelt sich hervorragend. Sie sprechen wieder von der Entfesselung. Wir erleben vor Ort die Entfesselung der Mieten bei den Wohnungen, die früher der LEG gehörten, die Ihre Vor-Vorgängerregierung verkauft hat.

Wie würden Sie denn diese Formen der Entfesselung bezeichnen, wenn die Mieten für die Menschen in unserem Land ins Unendliche steigen?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Kollege Paul. Sie haben die Gelegenheit zu antworten.

(Markus Herbert Weske [SPD]: Das war eine rhetorische Frage!)

Stephen Paul (FDP): Vielen Dank. – Liebe Frau Müller-Witt, geschätzte Kollegin, diese Frage haben wir schon häufiger im Plenum gehört. Sie kommen immer wieder auf diese LEG zurück.

(Frank Müller [SPD]: Weil Sie darauf auch keine Antwort gegeben haben!)

Das ist aus unserer Sicht wirklich Schnee von gestern.

(Sven Wolf [SPD]: Das sagen Sie mal den Menschen, die in LEG-Wohnungen wohnen! Das ist kein Schnee von gestern! – Weitere Zurufe von der SPD)

Schauen wir mal nach vorne und tun jetzt was für Nordrhein-Westfalen. Das ist doch genau das, was ich eben schon bei der Mietpreisbremse beschrieben habe: Sie greifen einzelne Punkte heraus und gaukeln den Leuten vor, die Mietpreisbremse würde die Mietpreisentwicklung bremsen.

(Sven Wolf [SPD]: Das haben die Sachverständigen in der Anhörung gesagt!)

Wenn das von einer anderen Fraktion käme, würde ich sagen, dass es populistisch ist, was Sie hier machen, immer wieder diese alte LEG-Sache hochzuziehen. Schauen wir mal nach vorne. Sprechen wir über die aktuelle Politik. – Schönen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Frank Müller [SPD]: Die Menschen gibt es aber noch!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Alle diejenigen, die die Rede aufmerksam verfolgt haben, werden festgestellt haben, dass Herr Kollege Paul länger geredet hat. Das liegt daran, dass wir hier oben beim Einstellen der Redezeit einen Fehler gemacht haben. Deshalb konnte der Redner selbst das nicht sehen.

Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Klocke das Wort mit dann hoffentlich richtig eingestellter Zeit. Bitte schön, Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Paul hat zwar zeitmäßig länger geredet, aber er hat nicht mehr gesagt, jedenfalls nicht inhaltlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der CDU und der FDP)

– Ich weiß, dass sich die Boygroup in der zweiten Reihe total gefreut hat,

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

dass die Wahlkampfparolen aus dem letzten Jahr noch einmal wiederholt worden sind. Ich kann die ermunternden Aufrufe auch nachvollziehen.

Jetzt aber zurück zur Realität.

(Zuruf von der FDP: Eine Minute hat er schon gesprochen!)

Schauen wir uns mal konkret die Zahlen an.

(Ralf Witzel [FDP]: Er kennt sich nur bei der Neuen Heimat aus! – Franziska Müller-Rech [FDP]: Hat er schon was gesagt?)

– Ich habe jetzt noch keine spannenden Zwischenrufe gehört, aber wenn die im Laufe meiner Rede kommen, werde ich das auf jeden Fall … Es sieht ja eher nach einem Duo aus, aber auch das kann ja erfolgreich sein.

Ich versuche es jetzt noch einmal inhaltlich. Es wäre auch spannend, das fortzusetzen, aber wir sind ja noch nicht beim letzten Tagesordnungspunkt angekommen.

Der Kollege der CDU-Fraktion hat seine Rede überschrieben mit „Neustart in der Wohnungspolitik“. Wenn man sich das sachlich und fachlich anschaut – das würde, glaube ich, die Ministerin auch nicht anders beschreiben –, dann stellt man fest, dass es in einigen Bereichen eine Akzentverschiebung, es aber auch viel Kontinuität in der Wohnungspolitik gibt. Man kann das natürlich überhöhen, indem man von einem Neustart spricht, aber viele Dinge, die die Vorgängerregierung und auch die Regierung davor gemacht haben, werden fortgesetzt.

Bezüglich der Summe für die Wohnraumförderung von 800 Millionen € bzw. 1,1 Milliarden € ist es richtig, dass in dem Jahr die zusätzliche Summe für die Mehraufwendungen aufgrund der Flüchtlingssituation gezahlt worden ist.

Uns würde schon interessieren, Frau Ministerin – möglicherweise werden Sie es gleich darstellen –: Es gibt eine klare Festlegung im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, welche Anzahl an Wohnungen in den nächsten Jahren gebaut werden soll, welche Verantwortung die Länder dabei tragen und wie sich die Finanzierung in den nächsten Jahren verändern soll.

Was wird denn Nordrhein-Westfalen an zusätzlichen Mitteln in den Haushalt bekommen? Und wie können diese Mittel entsprechend eingesetzt werden, insbesondere im Bereich der sozialen Wohnraumförderung? Denn wenn man die Zahlen erreichen will, die im Koalitionsvertrag der Großen Koalition stehen – Sie haben in Berlin ja auch mitverhandelt –, bräuchte man deutlich mehr Geld und nicht die Kontinuität der Summe, die wir in den letzten Jahren hatten. Das würde mich einfach inhaltlich interessieren.

Es gibt eine Akzentverschiebung in der Politik im Bereich der Quartiersförderung und der Eigentumsförderung, die wir Grüne skeptisch sehen. Man kann das politisch machen; dafür haben Sie eine Mehrheit bekommen. Ich finde auch, das Programm, das im Bereich der Eigentumsförderung mit der NRW.BANK zusammen ausgearbeitet worden ist, hat durchaus eine Plausibilität. In der Abwägung, wie man Mittel einsetzt, hätten wir aber bei einer Regierungsbeteiligung einen anderen Akzent gesetzt; das muss ich ganz klar sagen. Denn bei der Frage „bezahlbarer preisgebundener Mietwohnungsbau versus Eigenheimförderung“ würde ich ganz klar einen anderen Akzent setzen, als es die jetzige Regierung macht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das haben Sie anders entschieden.

Aber die spannende Frage in die Zukunft gerichtet ist doch: Wie sieht am Ende die Bilanz aus? Stephen Paul hat das Rosarote vom Himmel versprochen. Schauen wir uns doch mal die konkreten Zahlen an: Allein im Jahr 2017 ist die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in Nordrhein-Westfalen sowie der fertiggestellten preisgebundenen Mietwohnungen gegenüber den Jahren 2015 und 2016 deutlich zurückgegangen.

Jetzt schauen wir uns mal 2018 an, und es kommen ja noch ein paar weitere Jahre. Sie müssen schon am Ende das geliefert haben, was Sie hier groß und breit angekündigt haben. Das ist die interessante Frage und nicht das, was in irgendwelchen Programmen steht und in Wahlkämpfen verkündet wurde. Es geht darum, ob das real bei den Menschen ankommt.

Es gibt ein paar Instrumente, bei denen mich interessieren würde, wie die Landesregierung in den nächsten Jahren dazu steht, beispielsweise zum Flächenpool. Wir Grüne setzen auf flächensparendes Bauen, nicht weiter auf die grüne Wiese. Sie wollen leider deshalb den LEP verändern. Wir setzen auf Nachverdichtung, auf Wohnraum in den Städten. Dafür braucht es einfach mehr Flächen.

(Ralf Witzel [FDP]: Es braucht auch die Nachfrage!)

Das Instrument des Flächenpools ist auf den Weg gebracht worden und hat zahlreiche Flächen akquiriert. Frau Ministerin, werden Sie dieses Instrument weiter stärken? Werden Sie entsprechend mehr Mittel in die Organisation geben, die sich um den Flächenpool kümmert, also Flächenpool NRW?

Wie stehen Sie dazu, dass auf diese Art und Weise Flächen akquiriert werden, die danach bebaut werden? Das halten wir jedenfalls für eine bessere Alternative, als Neubauflächen auszuweisen und damit auch in die Fläche zu gehen.

Zur Mietpreisbremse, die schon angesprochen worden ist: Man kann sie abschaffen. Man kann auch sagen: Das Instrument hat nicht gewirkt. – Uns interessiert aber: Braucht es denn dann nicht andere Instrumente, um eine Mietpreisbegrenzung hinzubekommen?

Von den Kollegen der SPD ist eben gesagt worden: Wer sich in den Städten und insbesondere in den Städten im Ruhrgebiet auskennt und dort unterwegs ist, bekommt mit, welchen Druck es auf dem Wohnungsmarkt gibt, wie viele Menschen dort keinen bezahlbaren Wohnraum finden, wie wir hier zu massiven Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt gekommen sind. Man kann sagen: Die Mietpreisbremse hat es nicht gebracht. – Das ist in Ordnung. Aber die Frage lautet doch: Welche anderen Instrumente, oder braucht es gar keine Instrumente? Wird das der Markt entsprechend alles regeln? Wir haben jedenfalls höchste Zweifel, ob das der Fall ist.

Ich habe Kollegen Paul so verstanden, dass Sie alles den freien Kräften des Marktes überlassen wollen, dass alle die Wohnungen finden, die sie brauchen. Daran habe ich massive Zweifel. Wenn das Ihre Politik ist, werden wir in den nächsten Jahren noch massive Debatten bekommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Ich bin gleich fertig.

Ich bin auch relativ sicher, dass wir dann eine ähnliche Situation haben wie jetzt schon in Hamburg und insbesondere in Berlin,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

wo Zehntausende von Menschen auf die Straße gehen. In Berlin gab es gerade eine Großdemonstration mit 35.000 Menschen.

(Zuruf von der FDP)

Die CDU war nun wirklich Jahrzehnte in Berlin an der Regierung. Ach so, Sie sind FDP-Abgeordneter, Entschuldigung.

Die Frage ist, was Ihre Instrumente sind, um einen solchen Druck auf den Wohnungsmarkt zu verhindern und uns solche Massenproteste zu ersparen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klocke. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Beckamp das Wort.

Roger Beckamp (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD, die sich selbst für sozial hält, möchte Geld, viel Geld für geförderten Wohnungsbau. Sie begründet das wie folgt – ich zitiere –:

„NRW wird größer und die Menschen in unserem Land brauchen mehr Wohnungen.“

Also, wir sind mehr Menschen geworden. Auf einmal? Warum wird denn NRW größer? Es sind Wanderungsgewinne.

(Sven Wolf [SPD]: Binnenwanderung!)

– Genau. Da fragt man sich, welche Wanderung das sein soll, Herr Wolf. Binnenwanderung, meinen Sie wirklich? Sie schreiben in Ihrem Antrag selbst dazu:

„Der Zuzug stammt aus dem Ausland, dem EU-Ausland und aus anderen Bundesländern.“

Andere Bundesländer, das wäre also die Binnenwanderung. Woher auch immer, wir bekommen Menschen geschenkt. Aus anderen Bundesländern? – Mitnichten. Die Nettozuwanderung aus anderen Bundesländern besteht aus ein paar Tausend Leuten. Dadurch wird NRW nicht größer. Haben Sie Zahlen? – Ein paar Tausend. Darauf kommt es nicht an. Das ist ein Witz. Das sind Nebelkerzen von Ihnen.

Die Nettozuwanderung aus der EU? – Ja, okay. Viele kommen aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Aber auch das ist nicht der entscheidende Punkt. Sie ahnen es. Herr Sieveke. Wo sind Sie? Sie wollten das Thema doch hören. Da ist es wieder. Da ist das Thema unserer Zeit, das Thema, das wir erkannt haben und das Sie ständig verschweigen wollen. Sie können etwas dazu sagen, sich die Ohren zuhalten oder was auch immer. Aber das Thema ist da, und zwar ganz massiv im Wohnungsmarkt. Es sind die Verdrängungseffekte durch die Menschen, die Sie reinlassen, die Sie gerufen haben und die jeden Tag kommen und die gerade heute auch wieder Thema bei der CDU/CSU in Berlin sind. Man spricht mittlerweile auch bei Ihnen offener darüber.

(Zuruf von der AfD: Die nordrhein-westfälische CDU ist noch nicht soweit!)

– Die CDU-NRW braucht vielleicht ein bisschen länger. Das ist wohl öfter so.

Allein in den letzten beiden Jahren haben wir es mit einem Zugang von über 100.000 asylsuchenden Erstantragstellern in NRW zu tun. Das sind Nachfrager. Das verengt den Wohnungsmarkt. So einfach ist es. In den letzten Jahren hatten wir über 400.000 Schutzsuchende, Versorgungssuchende – je nachdem, wie Sie es nennen möchten –, Wohnungsnachfrager gerade in dem Segment, über das wir reden, im sozialen Wohnungsbau. Das ist des Pudels Kern. Den benennen Sie nicht. Sie halten sich die Ohren zu, Sie gucken nicht hin, oder Sie sprechen es zumindest nicht aus. Herr Löttgen weiß es wahrscheinlich besser. Aber genau das ist das Problem. Daran leidet der Wohnungsmarkt und daran leiden alle Menschen, die nicht das Gehalt eines Abgeordneten im Landtag haben. Das sind sehr viele. So einfach ist es.

Wir trauen uns, das Problem beim Namen zu nennen. Sie von der SPD wollen kurzfristig Wohnraum für ganz viele Flüchtlinge, aber nicht in Gemeinschaftsunterkünften, sondern im sozialen Wohnungsbau, in einem Bereich, aus dem gerade viele Ihrer Wähler stammten. Das ist Vergangenheit. Sie werden bald frustriert und völlig zu Recht zur AfD überwechseln, und tun es auch jetzt schon. Insofern ist Ihr Hinweis zur Binnenwanderung, den Sie gerade gemacht haben, ein Ablenkungsmanöver. Das ist nicht das Problem.

Sie führen die Schwarmstädte an. Natürlich ziehen viele Menschen dahin. Es sind Universitätsstädte mit Studenten. Aber auch das macht nicht das Gros des Ganzen aus.

Dann können Sie uns sagen – ich warte eigentlich darauf; es passiert noch nicht, aber wahrscheinlich gleich –, wir spielen bedürftige Gruppen gegeneinander aus. Stimmt, das machen wir. Das haben aber nicht wir zu vertreten, sondern Sie. Sie haben das Problem geschaffen, die CDU übrigens ganz vorrangig. Der Antrag ist nur der SPD.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dabei wird mir schlecht!)

– Jetzt wird der Dame sogar schlecht. Wunderbar, Frau Beer. Ihnen sollte es ganz oft schlecht werden, weil Sie ganz großen Anteil an dem haben, was im Land schiefläuft.

(Beifall von der AfD)

Wissen Sie, die Mittel sind begrenzt. Wir streiten ja darum, wie viel Wohnungsbau mit dem Geld überhaupt möglich ist. Bei begrenzten Mitteln entscheiden wir uns für die schon länger hier Lebenden, die dringend eine bezahlbare Wohnung brauchen; denn wenn es diese Masseneinwanderung nicht gäbe, dann gäbe es dieses Problem nicht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Hatten wir vor 2015 gar nicht, oder? Da war alles in Ordnung!)

Im Bund sollen 1,5 Millionen Wohnungen in den nächsten vier Jahren gebaut werden. Die Zahl liegt verdächtig nah an der Zahl von Menschen, die zu uns gekommen sind. Das sind alles reine Zufälle. Nichts hat nach Ihrer Meinung irgendetwas miteinander zu tun. Das ist absurd. Das ist Realitätsverweigerung der feinsten Sorte.

Noch kurz zum Thema „Eigentumsförderung“: Es ist ja gar nicht so schwer: Wenn jemand Eigentum erwirbt, Eigentum erstellt – Haus, Wohnung, was auch immer –, dann werden andere Wohnungen frei. Da ziehen dann Mieter ein. So einfach ist das. Wir wollen, dass sich Menschen Eigentum leisten können. Das wollen wir unterstützen, anders als Sie – warum auch immer. Sie wissen offenbar besser, was die Menschen brauchen. Wir denken, die Menschen wissen, was sie brauchen. Das wollen wir unterstützen. Insofern lehnen wir Ihren Antrag von Herzen ab.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beckamp für die Fraktion der AfD. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 1951 wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet,

(Monika Düker [GRÜNE]: Erinnern Sie mal Herrn Seehofer daran! – Zuruf von der AfD)

ein Übereinkommen von Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg, um Menschen zu schützen, die vor Krieg und Gewalt fliehen. Ich finde es – offen gesagt – inzwischen richtig widerwärtig,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Widerlich ist es! – Zuruf von der SPD: So ist es!)

dass es hier permanent diskreditiert wird, dass Menschen einander helfen

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

und Sie wirklich jede Debatte dazu benutzen, egal, um welches Thema es geht, Ihre populistischen Äußerungen zu vertreten.

(Markus Wagner [AfD]: Wir werden wirklich jede Debatte nutzen, um Ihre verfehlte Politik zu kritisieren! – Roger Beckamp [AfD]: Sie sind dafür verantwortlich!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Danke, nein.

Kommen wir zur Wohnraumförderpolitik. Sie wissen alle, und das wird auch nicht bestritten, dass in den vergangenen Jahren zu wenige Wohnungen gebaut worden sind. Das trägt im Besonderen in den Ballungsregionen an Rhein und Ruhr dazu bei, dass Mieten steigen, weil in einigen Regionen des Landes unverändert die Nachfrage höher ist als das Angebot. Das ist ein ganz normaler Markteffekt, den Sie kennen.

Diesem Markteffekt zu begegnen, wird nur funktionieren, indem mehr Wohnungsbau stattfindet. Wir haben hier heute eine Debatte, die sich im Speziellen um den sozialen Wohnungsbau dreht, also um den Auftrag des Staates, Wohnraum für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, die über eine geringe Zahlungskräftigkeit am Markt verfügen und damit vor der Herausforderung stehen, sich eben nicht angemessen am Markt mit Wohnraum versorgen zu können. Das ist Gegenstand dieser Debatte.

Wir als von CDU und FDP geführte Landesregierung Nordrhein-Westfalen haben 800 Millionen € pro Jahr für die öffentliche Wohnraumförderung in diesem Land zur Verfügung gestellt.

Wir haben auch erstmals eine Planungsgarantie über die gesamte Legislaturperiode hinweg gegeben: mindestens 4 Milliarden €. Es ist das erste Mal, dass eine Landesregierung

(Sven Wolf [SPD]: Nein!)

den Investoren in Nordrhein-Westfalen eine Planungsgarantie gibt.

(Sven Wolf [SPD]: Das stimmt doch nicht! Die anderen Förderprogramme waren auch über fünf Jahre! Das ist nicht richtig!)

Wir haben des Weiteren gesagt, dass es mindestens 4 Milliarden € sind, weil Nordrhein-Westfalen sich erfolgreich in die Koalitionsverhandlungen im Bund zwischen CDU, CSU und SPD eingebracht und dafür Sorge getragen hat, dass sich 2020/2021 der Bund mit jeweils einer weiteren Milliarde € beteiligen wird. Und wir haben als Landesregierung sehr früh zugesagt, dieses Geld in die öffentliche Wohnraumförderung zu geben.

Wenn Sie ehrlich sind, meine Damen und Herren der SPD, …

(Sven Wolf [SPD]: Ich bin immer ehrlich, Frau Ministerin! – Lachen von der CDU)

– Da bin ich gespannt, Herr Abgeordneter Wolf! –

… dann wissen Sie, dass Ihre Landesregierung keinen Cent mehr zur Verfügung gestellt hätte, weil Ihr damaliger Finanzminister

(Sven Wolf [SPD]: Hätte, hätte! – Sie müssen! Wir hätten vielleicht auch anders entschieden! Sie tragen jetzt die Verantwortung!)

auch 97 Millionen € in den Entflechtungsmitteln vorgetragen hat, so wie wir es auch tun. Deshalb sind Sie an dieser Stelle unehrlich, Herr Kollege.

(Beifall von der CDU und der FDP – Markus Herbert Weske [SPD]: Wir sind aber nicht Dagobert Duck!)

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens stellt von diesen 800 Millionen € im Jahr 2018 520 Millionen € für den Neubau von Mietwohnungen und 80 Millionen € für die Eigentumsförderung zur Verfügung. Allein daraus zu schließen, dass es hier eine erhebliche Verschiebung der Achsen gegeben und diese Landesregierung kein Interesse am Neubau von Mietwohnungen hätte, ist schlicht und ergreifend falsch. Es ist und bleibt falsch.

Ich wiederhole es gerne: Ich habe überhaupt kein Verständnis für die Einlassung der Sozialdemokratie. Ich frage mich immer, was junge Familien in Nordrhein-Westfalen Ihnen eigentlich getan haben, dass Sie ihnen die Eigentumsbildung nicht gönnen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Was haben Ihnen sozial schwache Familien getan?)

Wir haben die Wohnraumförderbestimmungen modernisiert. Wir haben Restriktionen, die Sie jungen Familien bei der Bildung von Eigentum auferlegt haben, herausgenommen. Die 80 Millionen € sollen in diesem Jahr erst einmal abfließen. Wir müssen die Eigentumsförderung wieder gängig machen, nachdem Sie sie zum Erliegen gebracht haben.

(Sven Wolf [SPD]: Wir stellen ja nur die Frage, ob das der richtige Topf ist, Frau Ministerin!)

Sie funktioniert, Herr Abgeordneter Wolf, ob Sie es glauben wollen oder nicht. Wir rufen junge Familien geradezu dazu auf, Eigentum zu bilden, weil das immer noch eine Altersvorsorge ist

(Sven Wolf [SPD]: Aber nicht in den Schwarm stecken und nicht auf dem Land!)

und nachhaltig zu einem bezahlbaren Wohnraum für diese Familien beiträgt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Kommen wir zu einem weiteren Thema – „Märchen“ darf ich, glaube ich, als Vertreterin der Landesregierung einem Abgeordneten gegenüber nicht sagen.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD] – Sven Wolf [SPD]: Mit so einem Nachnamen! Wenn Sie einem Wolf sagen, dass er Märchen erzählt – das ist schlecht!)

– Sehen Sie, Sie haben es ja verstanden, Herr Abgeordneter.

Wenn Sie uns als Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vorwerfen, dass im Jahr 2017, nachdem wir die Landesregierung übernommen haben, die Anzahl der Baufertigstellungen im Vergleich zur Zeit der von SPD und Grünen geführten Vorgängerregierung abgenommen hat, dann ist das – offen gesagt – nichts anderes als ein Märchen. Sie wissen, dass Wohnungsbau nicht kurzfristig stattfindet; wenn er kurzfristig stattfinden würde, könnten wir ganz viele Probleme in diesem Land zügig lösen.

Sie haben im Jahr 2017 noch für mehr als ein halbes Jahr die Verantwortung getragen. Es tut mir leid: Sie haben eine Landesbauordnung formuliert, die, wenn sie in Kraft getreten wäre, dazu geführt hätte, dass in diesem Land gar kein Geschosswohnungsbau mehr stattfindet. Wir haben sie angehalten und eine modernisierte Landesbauordnung auf den Weg gebracht.

(Sven Wolf [SPD]: Das ist aber Glatteis, Frau Ministerin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Jetzt wird es aber abenteuerlich!)

Und Sie werden feststellen, dass diese Freiheiten, die wir den Investoren geben, auch zukünftig in Nordrhein-Westfalen wieder genutzt werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt kommt die Sache mit dem Märchen wieder! – Sven Wolf [SPD]: Sagen Sie ruhig Entfesselung!)

Gestatten Sie mir einen abschließenden Hinweis. Sie haben hier immer viel über Gelsenkirchen und über Gebietskulisse gesprochen. Im Ist hat Gelsenkirchen 2017 in der sozialen Wohnbauförderung 5,3 Millionen € bekommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Sie werfen uns nun vor, dass wir mit dieser Wohnraumförderung bei der Gebietskulisse Schindluder treiben. Uns liegen derzeit Anträge aus Gelsenkirchen in Höhe von 8,9 Millionen € vor, und heute ist uns das Interesse am Studentenwohnen mit einem Umfang von 2,6 Millionen € mitgeteilt worden.

Das ist mehr als eine Verdoppelung dessen, was mit Ihren Wohnraumförderrichtlinien erreicht wurde. Deshalb: Verabschieden Sie sich von Ihrer Argumentation.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1 Minute und 33 Sekunden überzogen.

(Markus Herbert Weske [SPD]: Skandal! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Kann gar nicht sein! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Nicht nur die Redezeit!)

Damit sind einige Überschreitungen der Redezeit durch die Fraktionen sozusagen bereits ausgeglichen. Gleichwohl frage ich in die Runde, ob seitens der Fraktionen noch der Wunsch besteht, die Redezeitüberziehung der Landesregierung in Anspruch zu nehmen. – Das ist nicht der Fall.

Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt, und wir kommen zur Abstimmung.  Der Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen empfiehlt in Drucksache 17/2797, den Antrag Drucksache 17/1438 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer wünscht, dem Antrag zuzustimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von CDU, FDP und AfD sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Neppe. Enthaltungen? – Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2797 mit dem festgestellten Abstimmungsverhalten der Fraktionen und Abgeordneten abgelehnt.

Ich rufe auf:

10 Zuführung zum Pensionsfonds auch in den nächsten Jahren erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2408

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/2798

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Kollegen Moritz das Wort.

Arne Moritz (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grüne Landesregierung unter Finanzminister Norbert Walter-Borjans brachte im Jahr 2015 eine Gesetzesinitiative zur Errichtung eines Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen auf den Weg. Der ursprüngliche Entwurf ermöglichte gemäß § 5 – Zuführung der Mittel – Abs. 4, neben den festgeschriebenen jährlichen 200 Millionen € zwar weitere Zuführungen; diese hätten den Zuführungsbeträgen der Folgejahre jedoch nicht angerechnet werden können.

Im Verlauf des Beratungsprozesses wurde genau dieser Absatz noch einmal folgendermaßen geändert – ich zitiere –:

„Weitere Zuführungen zu dem Sondervermögen sind zulässig. Sie können die Zuführungsbeträge der Folgejahre mindern.“

In der folgenden Plenardebatte zu diesem Thema – Frau Gebhard kann sich sicher noch gut daran erinnern – wurde eben diese Änderung von den damaligen Regierungsfraktionen noch explizit verteidigt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Und von euch abgelehnt!)

Frau Gebhard verteidigte die Änderung damit, dass man haushaltspolitische Spielräume entstehen lassen und die Möglichkeit schaffen wolle – ich zitiere –, den Fonds in einem Jahr, in dem mehr Mittel zur Verfügung stehen, zusätzlich zu befüllen, um im nächsten Jahr gegebenenfalls eine entsprechende Minderung im Zuführungsbeitrag vornehmen zu können.

Auch der Finanzminister Norbert Walter-Borjans fragte, was daran das Verwerfliche sei, und führte aus: Das ist doch völlig in Ordnung, das zu machen. Natürlich können wir das im nächsten Jahr weniger einzahlen. Das ist sinnvoll.

(Monika Düker [GRÜNE]: Was habt Ihr denn dazu gesagt damals?)

Die Erkenntnis darüber, was aus Perspektive der SPD sinnvoll und nicht sinnvoll ist, hört sich gerade einmal zweieinhalb Jahre später ganz anders an. Sie fordern nämlich jetzt in dem vorliegenden Antrag das Gegenteil dessen, was Sie in Ihrer Regierungsverantwortung umgesetzt und in der Plenardebatte genau hier verteidigt haben.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Das heißt, der Sinn dieses Antrags und Ihre finanzpolitischen Überlegungen erschließen sich keinem. Wenn Sie noch hinter der Arbeit Ihres Finanzministers stehen würden, dann hätten Sie diesen Antrag gar nicht formuliert. Und wenn der ehemalige Finanzminister Fraktionsmitglied bei Ihnen wäre, dann hätte er wahrscheinlich auch alles dafür getan, um diesen Antrag zu verhindern.

Damals wollten Sie sich selbst möglichst große finanzpolitische Spielräume eröffnen und gestehen Ihren Nachfolgern genau das jetzt nicht zu. Es scheint Ihnen also, glaube ich, hier gar nicht um die Sache zu gehen. Ihr politischer Schlingerkurs, Ihre Wende von der Wende, erschließt sich keinem vernünftig denkenden Menschen.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Ich bin ehrlich gesagt auch gespannt, welche Kehrtwenden von Ihnen noch weiter zu erwarten sind. – Meine Damen und Herren, wer so Politik macht, der muss sich nicht wundern, wenn der Zuspruch und das Vertrauen in die Sozialdemokratie immer weiter sinken.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Was bleibt, ist die Frage, welches eigentliche Ziel dieser Antrag verfolgt. Wenn Sie durch den Antrag Angst davor schüren wollen, dass die Rücklagen des Landes für seine Beamtinnen und Beamten nicht ausreichen könnten, und unterstellen wollen, die NRW-Koalition tue nicht genug für die Pensionen der Landesbeamten, dann ist das erstens eine Initiative, die jeder Grundlage entbehrt, und zweitens ein Versuch, bei diesem Thema Stimmen durch Angst zu gewinnen, und das ist schlechter Politikstil.

Ich erinnere Sie gerne noch einmal daran, was in der angesprochenen Plenardebatte vonseiten der Grünen geäußert wurde. Martin Abel – leider nicht mehr Mitglied des Landtags – hat in seiner Rede deutlich erklärt, warum es keinen Anlass zu der Annahme gibt, die Pensionen seien unsicher. Hat sich das jetzt geändert? – Nein, ganz im Gegenteil. Durch die 800 Millionen €, die wir dem Pensionsfonds im Haushaltsjahr 2017 zugeführt haben, haben wir die Sicherheit der Beamtenpensionen auf ein noch solideres Fundament gesetzt.

Wenn wir jetzt aber das tun würden, was Sie fordern, nämlich garantieren, dass wir trotz der Vorauszahlung 2017 zusätzlich jedes Jahr weitere 200 Millionen dem Pensionsfonds zuführen, dann würden wir uns diesen finanzpolitischen Handlungsspielraum nehmen, den Sie, Frau Gebhard, und Ihr Finanzminister im Sinne des Landes verteidigt haben.

Insofern bin ich insbesondere auf Ihr Abstimmungsverhalten gespannt. Denn Sie müssten ja nach dem, was Sie vor zweieinhalb Jahren gesagt haben, heute den Antrag Ihrer Fraktion ablehnen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, als Land haben wir eine Verantwortung, Vorsorge für die Pensionen der Landesbeamten zu leisten. Dass wir diese Vorsorge ernst nehmen, haben wir mit den 800 Millionen € Vorleistung bereits mehr als deutlich unterstrichen. Wir gehen gleichzeitig verantwortungsvoll mit dem Geld um, das den Beamten in NRW zusteht. Eventuelle Investitionen müssen dementsprechend nicht nur aus haushalterischen Ansprüchen, sondern auch aus ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen nachhaltig sein.

Die Beamtinnen und Beamten in Nordrhein-Westfalen machen einen guten Job, und nicht weniger haben sie von der Politik und von unserer Landesregierung verdient. Das kann man von Ihrem Antrag nicht sagen. Gehen Sie noch einmal in sich! Lesen Sie noch einmal Ihre eigenen Argumente nach! Einsicht hat noch niemandem geschadet.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Moritz. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Weske das Wort. Bitte schön.

Markus Herbert Weske (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen! Herr Moritz, ich hatte ja schon geahnt, dass Sie mehr nach hinten gucken und in der Vergangenheit herumwühlen als hier irgendwie eine Perspektive zu eröffnen. Das ist ja auch der Kern des Problems an dieser Stelle.

Im Übrigen ist es nichts Verwerfliches, wenn man als Partei abgewählt wird, seine Positionen daraufhin zu überprüfen, ob die noch richtig sind. Ich finde, das muss man einer abgewählten Partei auch zugestehen.

Das Ungehörige ist der umgekehrte Weg. Sie haben nämlich zu Oppositionszeiten bei den Wählerinnen und Wählern den Eindruck erweckt, dass in diesem Jahr viel mehr in den Pensionsfonds eingezahlt werden würde. Ich zitiere gerne aus einer Berichterstattung im Rahmen der Gesetzesänderung 2015, die eben angesprochen wurde, von Norbert Walter-Borjans. Darin heißt es:

„Allerdings fürchtet der CDU-Finanzexperte“

– das hört sich ein bisschen widersprüchlich an –

„Marcus Optendrenk, dass der Finanzminister mit einem Trick die Zukunftsvorsorge vernachlässigt. Während 2016 noch 1,1 Milliarden € Zuweisungen in die Rücklagen geflossen seien, wären es ab 2018 gerade noch 200 Millionen € aus der Landeskasse.“

Das war die Kritik: nur 200 Millionen €. – Ich stelle fest: 2018 noch nicht einmal diese 200 Millionen €. Null! Gar nichts!

(Beifall von der SPD)

Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre von 200 Millionen €? –

(Bodo Löttgen [CDU]: Wie war denn die Zuweisung 2017?)

Auch nicht. Null! Gar nichts! Also genau das Gegenteil von dem Eindruck,

(Bodo Löttgen [CDU]: Können Sie die Zahl von 2017 auch wiedergeben?)

den die CDU erweckt hat.

Damit die FDP auch direkt ihr Fett wegkriegt: Wo ist Herr Hafke? – Er ist leider nicht mehr da. Er hat gesehen, dass ich mit dem Bericht der Enquetekommission zur Schuldenbremse und zum demografischen Wandel hier vorbeikomme, und ist dann schnell aus dem Saal herausgelaufen, weil die FDP darin 2015 ein Sondervotum formuliert hat. Darin skandalisiert die FDP:

„Insgesamt wird am Ende für die Finanzierung der Pensionsverpflichtungen voraussichtlich eine Summe in Höhe von 13,1 Milliarden € zur Verfügung stehen. Dem gegenüber stehen bis 2030 Versorgungsaufwendungen in Höhe von 87,7 Milliarden €.“

Was will man meinen? 2018 mindestens 200 Millionen € in den Pensionsfonds? – Nein. Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre? – Nein. All das nicht!

Verwerflich ist nicht, dass man seine Position überdenkt, wenn man abgewählt worden ist, sondern verwerflich ist, wenn man den Eindruck erweckt „Wenn wir erst dran sind, wir alles anders und besser“, dann aber genau das Gegenteil geschieht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, …

Markus Herbert Weske (SPD): Jetzt kommen wir zu der Geschichte dahinter: Warum wird das Ganze so finanziert?

Vor etwa einem Jahr hat Lutz Lienenkämper einen Anruf bekommen, und da sagte jemand am Apparat: Hallo, ich bin der Herr Liminski. Wir kennen uns nicht, aber ich habe in Ihren Lebenslauf geschaut. Sie waren schon mal Minister. Herr Laschet fragt, ob Sie Interesse haben, a) Finanzminister zu werden – „a!, a!, a!,“ hat dann Herr Lienenkämper gebrüllt, „das mache ich!“ – oder b) etwas anderes werden wollen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, …

Markus Herbert Weske (SPD): Ich rede eben zu Ende.

(Bodo Löttgen [CDU]: Das ist aber nicht Sinn einer Zwischenfrage!)

Dann gab es eine einzige Vorgabe: Machen Sie 2017 keine Rückführung der Nettoneuverschuldung. Stecken Sie die 1,5 Milliarden €, die uns wegen höherer Steuereinnahmen und geringerer Ausgaben für Personalkosten zur Verfügung stehen, irgendwo in den Sparstrumpf!

Der erste Schritt war, am 29. Dezember 2017 die 880 Millionen € beim BLB zu parken, wovon im ersten Halbjahr 2018 bis heute 270 Millionen € schon wieder zurückgeflossen sind. Sie wollen mir ja wohl nicht erzählen, dass davon irgendwo eine Hochschule oder ein Finanzamt gebaut worden ist. Das war der erste Sparstrumpf. Der zweite ist nun: Wir packen die 800 Millionen € von 2017, mit einer Neuverschuldung als Gegenfinanzierung, schön in den Pensionsfonds. Und wenn schlechte Zeiten kommen, dann können wir uns daran bedienen und müssen die 200 Millionen € nicht bezahlen.

Das ist der wahre Hintergrund dieser Geschichte. Verbunden mit dem, was Sie eigentlich in der Vergangenheit immer angekündigt haben, ist das der eigentliche Skandal.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was ist denn jetzt mit meiner Zwischenfrage?)

Dieser Geschichte kann man nur entgegenstehen, wenn man dem heutigen Antrag der SPD zustimmt. Deswegen freue ich mich auf die Abstimmung gleich. Der Antrag ist übrigens nach vorne gewandt und nicht nach hinten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Weske, der Kollege Hovenjürgen wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen, und Sie haben mir signalisiert, dass Sie gerne im Zusammenhang vortragen wollen. Ich frage aber, ob Sie die Frage jetzt noch zulassen wollen.

Markus Herbert Weske (SPD): Ja, klar. Herr Hovenjürgen gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin, herzlichen Dank. Herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie trotz all Ihrer Aufregung in Ihrer Rede die Zwischenfrage zulassen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da war überhaupt keine Aufregung!)

Sie besteht auch aus einer relativ kurzen Fragestellung an Sie. Ist Ihnen die Summe bekannt, die dem Pensionsfonds 2017 zugeführt wurde?

Markus Herbert Weske (SPD): Ja.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Dann nennen Sie die mal! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das waren zwei Fragen!)

Die 800 Millionen €, oder was?

(Monika Düker [GRÜNE]: Was sollte das denn, Herr Hovenjürgen?)

Darf er noch mal fragen? – Nein. Nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch ich habe um 17 Uhr einen Termin am Rande des Plenums. Insofern versuchen wir dann, das bilateral zu klären.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Witzel das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Hin und wieder hilft es, sich einmal ein bisschen mehr mit der Wahrheit historischer Abläufe zu beschäftigen. Und wenn man das tut, dann wird man erkennen, dass fraktionsübergreifend in diesem Hohen Hause ein Problem identifiziert worden ist. Unabhängig davon, ob gerade die eine oder die andere politische Konstellation dieses Land regiert hat,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nicht rausreden!)

hat die gemeinsame Auffassung bestanden, dass wir in dem Fall Vorsorge treffen müssen. Immerhin sprechen alle Berechnungen dafür, dass es insbesondere ab Mitte des kommenden Jahrzehnts eine stark ansteigende Anzahl von Versorgungsempfängern geben wird; was sich sachlogisch aus den starken Einstellungsjahrgängen von Beamten in den 70er-Jahren ergibt. Es muss Vorsorge getroffen werden, damit keine Überforderungssituation entsteht, die natürlich bei den Betroffenen die Sorge auslösen würde, es könnte zu Kürzungen kommen, und die die Haushaltsplanung auch objektiv vor große Herausforderungen stellen würde.

Diesen großen Anstieg von Versorgungsherausforderungen wollte man abfedern, und deshalb ist es natürlich nicht wirklich sachdienlich, wenn in diesem Antrag der SPD mit dem Jahr 2015 begonnen wird und dort die These steht: „Mit dem Pensionsfonds hat die rot-grüne Landesregierung 2015 den Grundstein für eine haushälterische Absicherung der Pensionszahlungen für die nächsten Jahrzehnte gelegt.“ Das erweckt den Eindruck einer Urheberschaft, der Ihnen wirklich nicht zusteht.

Richtig ist, dass Sie zwei Komponenten zusammengeführt haben, nämlich eine seit dem Jahr 1998 bestehende Versorgungsrücklage, die allerdings von den Beamten selbst durch 0,2 % finanziert worden ist, und einen seit dem Jahr 2006 bestehenden Versorgungsfonds, der tatsächlich aus dem Landeshaushalt gezahlt wird und auch dem Ziel der Glättung der Pensionslasten dient.

(Markus Herbert Weske [SPD]: Da können wir gleich ein Proseminar machen!)

Diese Komponenten haben Sie fusionieren lassen. Von Ihnen selbst ist nichts neu konzipiert oder geschaffen worden.

Im Grundsatz gab es fraktionsübergreifend keinen Streit bezüglich der Notwendigkeit, Vorsorge zu treffen; und es gab ebenfalls keinen Streit bezüglich der geringeren Transaktionskosten, die entstehen, wenn man unterschiedliche Teilsysteme zu einem Gesamtsystem „Pensionsfonds“ zusammenführt.

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich das zu vergegenwärtigen. Da erweckt Ihr Antrag ganz eindeutig nicht den richtigen Eindruck von der Chronologie der Ereignisse. Sie haben vieles weggelassen, was zur Bewertung dazugehört. Seinerzeit hat es nämlich die Verabredung gegeben, monatlich eine Einzahlung in Höhe von 600 € pro neuem Bediensteten und Monat zu tätigen, um das Ziel zu verfolgen, 70 % der Versorgungsleistungen abzudecken.

Sie haben in Ihrer Regierungszeit festgestellt, dass das unrealistisch ist. Sie sind jedenfalls von meiner Fraktion dafür auch nicht kritisiert worden; denn es gibt rein sachlogisch einen gewissen Punkt, an dem man sich die Frage stellen muss – gerade in dem Zinsumfeld, in dem man sich bewegt –: Bis zu welchem Punkt ergibt es Sinn, kreditfinanziert Geld aufzunehmen und in einen solchen Versorgungsfonds zu stecken? – Zur Wahrheit gehört: Es ist zum Glück damit auch Geld verdient worden. Es sind also in den letzten Jahren Mittel damit erwirtschaftet worden. Aber natürlich befindet man sich in einer Situation, in der man das Geld nicht hat – es also nicht übrig behält und ansonsten schuldenfrei ist –, sondern man muss es sich von den Banken leihen. Das ist natürlich noch etwas anders zu sehen.

Daher haben wir Sie, was die Höhe angeht, auch nicht kritisiert. Wofür wir Sie kritisiert haben, ist, dass Sie um den Wahltermin herum Taschenspielertricks und Buchungstricks betrieben haben

(Monika Düker [GRÜNE]: Das machen Sie doch jetzt auch!)

und die Zahlungen, anders als es Ihre ursprüngliche Planung vorgesehen hatte, genau so zwischen den Jahren verschoben haben, dass sich ein paar Wochen vor der Landtagswahl der Finanzminister zusammen mit der Schuldenkönigin Hannelore Kraft hinstellen und sagen konnte: Wir haben jetzt im Haushalt alles so verbucht, dass wir da nachträglich formal so etwas wie eine schwarze Null stehen haben.

Das haben wir kritisiert, weil es nichts mit vernünftigen Einsparmaßnahmen und einer gesunden Haushaltsstruktur zu tun hatte, sondern ein Taschenspielertrick war, der nur auf den Landtagswahltermin bezogen war. Das haben wir zu Recht auch als „Haushaltskosmetik“ kritisiert.

Das ist hier völlig anders. Hier hat die neue Mehrheit im Land im Prinzip bereits zu Beginn der Legislaturperiode das erledigt, was Sie über die gesamte Periode hinweg erledigen wollten. Deshalb läuft Ihre Kritik ins Leere, und wir werden Ihren Antrag ablehnen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Gestatten Sie mir eine allerletzte Bemerkung zu dem, was Sie in Richtung Finanzminister gesagt haben: Ich kenne die CDU-Interna nicht; aber mit gesundem Menschenverstand würde ich vermuten, dass der damalige Fraktionsvorsitzende Armin Laschet seinen Parlamentarischen Geschäftsführer Lutz Lienenkämper gekannt hat, ohne dass andere ihn auf die Personalie hingewiesen haben. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Als nächste Rednerin hat nun Frau Abgeordnete Düker das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Pensionsfondsgesetz 2016 wurde gesetzlich normiert, dass ab 2018 dem Pensionsfonds jährlich 200 Millionen € aus dem Landesetat zugeführt werden. In § 5 Abs. 4 des Pensionsfondsgesetzes wurde hinzugefügt – der Paragraf ist schon zitiert worden; er ist für diese Debatte wichtig –:

„Weitere Zuführungen zu dem Sondervermögen sind zulässig. Sie können die Zuführungsbeträge der Folgejahre mindern.“

Nun könnte man sagen: Gut, das ist ein Gesetz. Gesetzestreu hat die schwarz-gelbe Koalition genau das gemacht. – Herr Hovenjürgen, die Rechnung kann ich Ihnen gern noch einmal vorführen: 2017 gab es 120 Millionen € im Haushalt, und Sie haben aus Haushaltsausgaberesten dann noch einmal 680 Millionen € zugeführt. So kommen die 800 Millionen € zustande.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Genau!)

Dann haben Sie gesagt: 800 Millionen €, prima. Damit hätten wir nach Adam Riese schon viermal 200 Millionen € zugeführt und bräuchten die nächsten drei Jahre nichts zu zahlen. – Das haben Sie 2018 auch gleich in die Tat umgesetzt, indem Sie das Ganze auf null gesetzt haben. Nach dem Gesetz könnten Sie das 2019 und 2020 auch so machen, trotz sprudelnder Steuereinnahmen. Ich erinnere daran: Allein aufgrund der Mehreinnahmen 2017 und der Mehreinnahmen 2018 haben Sie 3 Milliarden € mehr in der Kasse. Aber trotzdem, das könnten Sie dann lassen.

Herr Witzel, wären da nicht Ihre Bekenntnisse aus der letzten Legislaturperiode, könnte man sagen: Wo ist das Problem? Es ist alles rechtskonform gelaufen.

Genau die Transaktion, die Sie jetzt vornehmen, hat Rot-Grün nämlich 2015 vorgenommen, und damals, in Oppositionszeiten, haben Sie genau das, was Sie hier machen, verteufelt. Ein bisschen verlogen ist das schon.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kann gern noch mal zitieren, was Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Christian Lindner dazu gesagt hat. Es war, zum Haushaltsabschluss 2015, genau die gleiche Transaktion, die der damalige Finanzminister Norbert Walter-Borjans vorgenommen hat. Ich zitiere Christian Lindner aus der Plenardebatte:

„Diese Haushaltsverbesserungen ...“

 – also Haushaltsausgabereste; 680 Millionen € heute, damals waren es etwa 630 Millionen € –

„...nutzen Sie, um bereits in diesem Jahr die Zuführungen zu dem Versorgungsfonds des Landes des nächsten Jahres zu zahlen. Statt in diesem Jahr die Schulden zu reduzieren, schaffen Sie also Spielräume im nächsten Jahr. Was Sie dort gemacht haben, ist ein Lehrbuchfall von Bilanzkosmetik.“

Das wurde in Richtung des damaligen Finanzministers gesagt. Weiter: Christian Lindner verglich diesen Trick – er nannte es ganz klar einen „Trick“ – mit „Methoden wie der Gebrauchtwagenhandel auf dem Kiesplatz“.

(Zurufe von der CDU)

Wenn Sie diese Kritik auf die schwarz-gelbe Regierung übertragen würden, müssten Sie diesen Finanzminister als „Gebrauchtwagenhändler“ beschimpfen; denn genau das Gleiche hat er gemacht, und genau das Gleiche haben Sie als regierungstragende Fraktion abgesegnet. So viel zu dem Thema „ehrliche Politik“.

(Zurufe von der CDU)

Kollege Weske, im Grunde halten auch wir an diesem Paragrafen fest. Ich finde es nach wie vor zulässig, dass man diese Verrechnung macht. Deswegen verstehe ich auf der anderen Seite auch Ihren Antrag nicht so recht; denn Sie wollen jetzt hier feststellen, dass diese 200 Millionen € verbindlich vorgesehen werden. Sie wollen die Regierung quasi darauf verpflichten, von § 5 Abs. 4 des Pensionsfondsgesetzes keinen Gebrauch zu machen.

Herr Finanzminister, ich meine, Sie brauchen ihn auch nicht. 2018 hätten Sie ihn, indem Sie die Zuführungen auf null gesetzt haben, nicht gebraucht. Wie gesagt, mit den üppig sprudelnden Steuereinnahmen, mit denen es noch ein paar Jahre so weitergeht, müssten Sie tatsächlich keinen Gebrauch davon machen. Insofern finde ich es eigentlich ein bisschen erbärmlich, dass Sie 2018 das Ganze schon verrechnet und auf null gesetzt haben.

Wie gesagt, so weit, Sie „Gebrauchtwagenhändler“ zu nennen, würde ich nicht gehen. Man kann das als Trickserei bezeichnen. Ich würde es nicht so machen, das ist nicht mein Sprachgebrauch. Aber es stünde Ihnen, wenn Sie gleich ans Rednerpult gehen, gut an zu sagen: Es gibt dieses Gesetz; aber bei diesen Steuereinnahmen werden wir eine Selbstverpflichtung machen und dieses Gesetz nicht nutzen.

Ich meine nicht, dass wir dieses Gesetz infrage stellen sollten, Kollege Weske. Deswegen werden wir uns gleich enthalten. Ich verstehe es so, dass Sie hiermit das Gesetz infrage stellen. So weit würden wir hier nicht gehen. Das Ziel ist allerdings richtig.

Ich bin mal gespannt, Herr Finanzminister, ob Sie das denn auch wirklich so machen wollen oder hier jetzt drei Jahre erst einmal eine Null schreiben wollen, was den Pensionsfonds angeht. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. – Jetzt hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Strotebeck das Wort.

Herbert Strotebeck (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Erlauben Sie mir vorab kurz eine Klarstellung, und zwar: Im Pensionsfondsgesetz Nordrhein-Westfalen steht unter § 2 – Errichtung –: „Zur Finanzierung und Sicherung der Versorgungsausgaben wird ein Sondervermögen des Landes unter dem Namen ‚Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen‘ errichtet.“

§ 3 legt dann fest: „Das Sondervermögen dient ausschließlich der Vorsorge für die Versorgungsausgaben.“ Und in § 5 wird dann in Abs. 4 geregelt, dass weitere Zuführungen zulässig sind. In Abs. 1 steht dann, dass ab dem Jahr 2018 dem Sondervermögen jährlich 200 Millionen € zuzuführen sind.

Deutlich festgelegt ist dann in § 8 die Vermögenstrennung, also dass das Sondervermögen vom übrigen Vermögen des Landes getrennt zu halten ist. Jetzt abschließend der entscheidende § 7 – Verwendung des Sondervermögens –: Darin wird in Abs. 1 geregelt, dass das Sondervermögen ausschließlich zum Zwecke der Vorsorge für die Versorgungsaufgaben verwendet werden darf.

Meine Damen, meine Herren, bei Einhaltung dieser Paragrafen sollte der vorliegende Antrag eigentlich überflüssig sein, wenn die Landesregierung sich an das Gesetz halten, die jährlichen 200 Millionen € zuführen würde und auf Entnahmen verzichtete. Das Geld wird bekanntlich dringend benötigt. Bereits für das Jahr 2024 wird in NRW der Höhepunkt der Pensionswelle erwartet.

Aber die „WeLT“ titelt am 03.12.2017: „NRW-Haushaltsentwurf: Tricksen und schummeln hat Schwarz-Gelb schnell gelernt“.

(Beifall von der AfD – Markus Wagner [AfD]: Das stimmt allerdings!)

Ich zitiere:

„Über Jahre klagten CDU und FDP in der NRW-Opposition, Rot-Grün verneble und täusche beim Haushalt; gar von tricksen war die Rede. Kaum an der Macht, imitieren sie die Vorgängerregierung.“

Auf unsere Thematik bezogen: Kaum haben CDU und FDP Verantwortung übernommen, vollziehen sie eine 180-Grad-Wende in der Pensionsfrage. 2018 wollten sie nur 80 Millionen € an den Pensionsfonds überweisen. Laut Zahlungsplan waren aber 900 Millionen € vorgesehen gewesen. Fast verbittert konstatierte Manfred Lehmann von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft daraufhin, das sei die niedrigste Zuführung seit zehn Jahren.

Auf dem Jahrestag des Deutschen Beamtenbundes vom 7. bis 9. Januar 2018 hatte der Finanzminister, Herr Lienenkämper, zwar eine Sonderzuführung zum Pensionsfonds von 680 Millionen € verkündet, zu den bereits im November eingezahlten 120 Millionen €, aber auch angekündigt, dies auf die Zuführung für das Jahr 2018 anzurechnen, was nach § 5 Abs. 4 auch möglich ist.

Wir wissen es jetzt alle: Letztendlich wurden dann bekanntlich 800 Millionen € aufgrund von Steuermehreinnahmen in den Pensionsfonds eingezahlt, zugeführt. Wir sind natürlich für die ab 2018 gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen Zuführungen in Höhe von 200 Millionen € und nicht für weitere Verrechnungen mit der geleisteten Sonderzuführung.

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 18. Januar 2018 gibt hierauf keine klare Antwort, was natürlich vermuten lässt, dass auch in den nächsten drei Jahren Verrechnungen erfolgen sollen. Dass keine Entnahmen aus dem Pensionsfonds erfolgen, muss eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist schon etwas befremdlich, wenn wir hier über eine Verbindlichkeit von etwas bereits gesetzlich Festgelegtem sprechen und das in einem Antrag steht.

Der AfD-Fraktion geht es um die Sicherheit für die Beamten in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen motivierte Beamte und beraten in Ausschüssen über Verbesserungen des Gesundheitsmanagements, was auch gut und richtig ist. Zur Altersversorgung aber drückt sich die Landesregierung vor verbindlichen Aussagen. Wie passt das zusammen? Wir möchten auch zu den beiden Punkten der regelmäßigen Einzahlung und möglicher Entnahmen Klarheit von der Landesregierung und stimmen aus diesem Grunde dem eigentlich überflüssigen Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Strotebeck. – Als Nächster hat für die Landesregierung Herr Minister Lienenkämper das Wort. Bitte.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor in ungefähr zwei Minuten Ereignisse internationaler sportpolitischer Bedeutung möglicherweise zu einer Verlagerung der Schwerpunkte führen,

(Christian Dahm [SPD]: Ich dachte, die CDU hat die Fraktionsarbeit aufgekündigt!)

will ich wenigstens noch erläutern, wie die Position der Landesregierung zu diesem Antrag ist. Herr Kollege Weske, Sie haben ja schon angekündigt, dass die Rede auch ein paar humoristische Elemente enthalten wird. Dafür bin ich ausgesprochen dankbar. Wahrscheinlich haben Sie ein bisschen Einblick gegeben in die Praxis, wie Ministerpräsidentin a. D. Hannelore Kraft ihr Kabinett ausgesucht hat. Das kann ja eigentlich nur aus diesem Innenleben stammen –

(Beifall von der CDU und der FDP)

es sei denn, Sie haben bessere Informationen über das meiner Berufung vorangehende Verfahren als ich. Für den Fall wäre ich allerdings dankbar, wenn wir uns bilateral noch einmal austauschen könnten. Es wird dann meine Erkenntnisse auch noch einmal erhöhen.

Frau Kollegin Düker, ich glaube, wir zwei müssen uns mal darüber unterhalten, was der Beruf kurz vor Gebrauchtwagenhändler ist. Sie haben gesagt: Gebrauchtwagenhändler, so weit gehen Sie nicht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist zu stark. Ich heiße ja nicht Christian Lindner!)

Das gucken wir uns gegenseitig noch einmal an.

Aber im Ernst: Wir sind der Auffassung, dass es zur politischen Verantwortung gehört, die erforderliche Vorsorge für die sich abzeichnenden Pensionsausgaben zu treffen. Beamtinnen und Beamte müssen sich auf die nachhaltige Altersvorsorge des Landes verlassen können.

Der Vorsorgegedanke und damit auch der Pensionsfonds haben für die Landesregierung eine hohe Bedeutung. Das zeigt sich auch daran, dass wir 80 % der Beträge, die dem Pensionsfonds in der gesamten Legislaturperiode nach der Rechtslage zufließen müssen, bereits zugeführt haben. Wir haben die durch den Vollzug des Haushalts 2017 entstandenen Möglichkeiten dafür genutzt.

Sie merken schon an dieser Entscheidung, die wir getroffen haben, wie wichtig uns der Pensionsfonds ist. Es hätte ja noch andere Möglichkeiten gegeben, mit dem sich im Haushaltsvollzug ergebenden positiven Saldo umzugehen. Wir haben bewusst gesagt: In der Vergangenheit ist die Vorsorge im Pensionsfonds vernachlässigt worden. Jetzt besteht die Möglichkeit, diese Vernachlässigung zu reparieren.

Wir haben das in Höhe von 800 Millionen € getan. Das ist gut für die gut arbeitenden Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] und Petra Vogt [CDU])

Deswegen haben wir auch diese Maßnahme aus voller Überzeugung gemacht. Wir werden immer wieder im Rahmen der aktuellen Haushaltsvollzüge prüfen, ob und inwieweit die Verwendung weiterer Überschüsse möglich sein wird. Zu gegebener Zeit werden wir dann entscheiden, wie wir mit diesen gegebenenfalls bestehenden Überschüssen umgehen.

Nur eines werden wir als Landesregierung nicht machen: dem Haushaltsgesetzgeber empfehlen, sich für die gesamte Legislaturperiode in seinem Haushaltsrecht festzulegen und politisch zu beschränken. Wir sind der Auffassung, dass der Haushaltsgesetzgeber nach dem Jährlichkeitsprinzip frei darin sein muss, in gesetzeskonformer Weise einen Haushalt zu beschließen. Deswegen halte ich diesen Antrag für nicht besonders überzeugend.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/2798, den Antrag Drucksache 17/2408 abzulehnen. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Antrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Enthaltungen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2408 mit dem gerade bekannt gegebenen Abstimmungsverhalten der Fraktionen und der fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

11 Stärkung der Judikative – Für eine öffentliche Ausschreibung der Verfassungsrichterstellen des Landes Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2760

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Röckemann das Wort.

Thomas Röckemann (AfD): Schade, dass es schon so spät ist und keine Schulklassen mehr auf der Zuschauertribüne zusehen! Die Schüler hätten einmal Gelegenheit gehabt, etwas über gelebte parlamentarische Praxis zu lernen, was nicht in den Schulbüchern steht. Aber anstelle von sinnvoller Praxis verordnen Sie den Betroffenen lieber Girls’Days bzw. Boys’Days.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Die alten Parteien im Landtag NRW haben in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass sie es mit dem von ihnen propagierten Begriff der gelebten Demokratie nur dann ernst meinen, wenn es darum geht, einen eigenen Vorteil zu erhalten oder sich zu bereichern.

Ich denke mit Grausen an die Farce, mit der Sie verhinderten, dass die einzige demokratische Oppositionspartei in diesem Hohen Hause Gelegenheit erhielt, einen stellvertretenden Parlamentspräsidenten stellen zu dürfen. Es ist ein Riesenskandal, dass die AfD im Parlamentspräsidium nicht vertreten ist.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der CDU)

Da Sie im Präsidium hinter verschlossenen Türen, sozusagen im Geheimen, praktisch ohne parlamentarische Kontrolle weiter schalten und walten können, setzen Sie sogleich die Mitarbeiterpauschale um sagenhafte 89 % herauf. Die demokratische Opposition und die damit bis dato ausgeschlossenen Steuerzahler wurden – ich sage einmal, mit Verlaub: Coopers Coup – erst einen Tag vor der Plenarsitzung in Kenntnis gesetzt.

Das gab ein großes Hallo, flutschte aber durch, da die AfD der größtmöglichen Koalition aus Grünen, FDP, CDU und SPD allein gegenübersteht.

Der vielleicht größte Sündenfall ist aber, wie hier Richter am Landesverfassungsgericht ausgewählt werden. Als wir als demokratische Opposition das erfahren durften, kungelte man die Bewerber für dieses wichtige Amt einfach im Hinterzimmer aus. Vor der letzten Wahl eines neuen Verfassungsrichters im März dieses Jahres wurde unsere Fraktion erst am Vortag gegen 18 Uhr informiert.

Meine Damen und Herren, die AfD wurde allerdings nicht gewählt, um Mäuschen zu spielen. Wir sind Opposition. Entsprechend gab es ein Medienecho, infolge dessen uns jetzt vor ein paar Tagen bei der neuen Abstimmung über die neuen Kandidaten für das Landesverfassungsgericht die Namen der Kandidaten vorher mitgeteilt wurden. Zwei Tage vor der Wahl hatten wir nun die Möglichkeit, die Richter für eine Viertelstunde zu sprechen. Wenn Sie für Ihren Haushalt eine Putzhilfe einstellen, haben Sie mehr Zeit für die Auswahl.

(Beifall von der AfD)

Hier geht es jedoch um die Kronjuwelen unseres Rechtsstaates. Sie wissen schon, worüber Verfassungsrichter in NRW entscheiden? Dazu gehören Beschwerden im Wahlprüfungsverfahren. Dazu gehört die Auslegung der Landesverfassung. Dazu gehört die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Verfassung. Meine Damen und Herren, unsere Verfassungsrichter entscheiden letzten Endes darüber, ob türkische Politiker bei uns Wahlkampf für einen Despoten führen dürfen.

Das bislang praktizierte Vorschlagsverfahren ist einer Demokratie des 21. Jahrhunderts unwürdig. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass selbst die inzwischen gewählten Richter uns zwei Tage vorher glaubhaft mitteilten, sie seien von ihrer Nominierung erst vor Wochenfrist in Kenntnis gesetzt worden.

Durch das Gekungel der alten Parteien im Präsidium des Landtags und das intransparente Vorschlagsverfahren ist die Wahl dieser Richterpersönlichkeiten nun mit einem Makel versehen.

(Zuruf von der CDU: Kein Stück!)

Sie hat das Geschmäckle der Vetternwirtschaft, zumal einige von ihnen anscheinend auch noch das richtige Parteibuch mitbringen.

Sie als Vertreter der alten Parteien nehmen es mit Demokratie und Transparenz nicht so ganz genau. Natürlich – das stimmt – handeln Sie im rechtlich erlaubten Rahmen. Sie tun das allerdings in einer gewissen Grauzone.

Diese Grauzone wollen wir mit unserem Antrag aufhellen. Dazu gehört, die Auswahl der NRW-Verfassungsrichter endlich zu regeln. Bislang ist nämlich nur das Wahlverfahren normiert.

Meine Damen und Herren, es bedarf dringend eines transparenten Vorverfahrens, das in der Lage ist, geeignete Bewerber schon vor der Wahl zu ermitteln, und das die Möglichkeit bietet, sich über den einzelnen Bewerber vorab hinreichend zu informieren.

Es ist dabei nicht nur redlich, sondern zeitgemäß, vakante Richterstellen am Verfassungsgerichtshof öffentlich auszuschreiben. Sollte eine Vorausscheidung getroffen werden, dann durch ein Gremium, das sich nicht durch die Besetzungsmehrheiten des Parlaments auszeichnet, sondern insbesondere durch Sach- und Fachkenntnis! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Als nächster Redner spricht für die CDU-Fraktion Herr Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal das Wichtigste: Die WM ist eröffnet; der Ball ist im Spiel.

Herr Röckemann, Sie haben eben gesagt, es sei schade, dass keine Schulklassen hier seien. Es sind aber Zuschauerinnen und Zuschauer da. Ich begrüße Rettungskräfte aus dem Rhein-Kreis Neuss, die heute zuhören.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich freue mich darüber, dass sie die Geduld haben, uns zuzuhören. Denn etwas Geduld braucht man schon bei Ihrem Antrag, der weit weg ist von jeglicher Sachkenntnis.

Wer sich ein wenig mit der Geschichte unseres Landes und des Verfassungsgerichtshofes auseinandersetzt, der weiß, dass Ihr Antrag nicht der erste Versuch ist, am bewährten Verfahren zu rütteln. Im Jahr 1994 war es die Fraktion der Grünen, damals noch recht neu im Landtag, die ein einstweiliges Anordnungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof angestrengt hat, um die Richterwahl bzw. die Ernennung der Gewählten zu verhindern.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Damals wie heute beklagten die Antragsteller, dass die Kandidaten in einem intransparenten und informellen Vorverfahren ausgehandelt würden. An der fachlichen Qualifikation des damals zur Wahl stehenden Verfassungsrichters Professor Klaus Stern – einem der großen Staatsrechtler unserer Zeit; und das sage ich nicht nur, weil Professor Stern mein akademischer Vater ist – dürfte es jedenfalls keine Zweifel gegeben haben.

Ist das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter wirklich intransparent und informell? Mitnichten! Dass sich Abgeordnete und Fraktionen auf einen von einer Mehrheit getragenen Wahlvorschlag verständigen, ist das praktisch gelebte parlamentarische Initiativrecht. Nahezu jeden Tag sprechen wir Abgeordneten miteinander, in den Fraktionen, aber auch fraktionsübergreifend, um Ideen und Vorschläge auszutauschen und Mehrheiten dafür zu finden. Das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier. So funktioniert Demokratie.

So entgegnete damals der Verfassungsgerichtshof dem Anliegen der Grünen – ich zitiere aus dem Urteil –:

„Denn die von ihnen geltend gemachten Rechte auf Einbeziehung in die dem gemeinsamen Wahlvorschlag vorangegangenen Erörterungen, auf Erteilung weiterer Informationen über die vorgeschlagenen Kandidaten und auf eine Aussprache im Landtag oder in einem seiner Gremien haben keine verfassungsrechtliche Grundlage.“

Ich zitiere weiter:

„Das Zustandekommen des gemeinsamen Wahlvorschlags begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Möglichkeit, einen Vorschlag zur Wahl zu stellen, auf den die Antragssteller als Teil einer Minderheit keinen Einfluss nehmen konnten, ist eine mit dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie im Einklang stehende Konsequenz der Richterberufung durch das Parlament.“

Dass Sie, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, das parlamentarische Initiativrecht kritisieren und aushebeln wollen, offenbart, dass die AfD nach einem Jahr noch immer nicht im Parlament angekommen ist.

Das Verfahren zur Richterwahl, so wie es in der Verfassung und im Verfassungsgerichtshofgesetz normiert ist und durchgeführt wird, ist gut und bewährt. Wir leben einem demokratischen Staat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. So steht es in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz geschrieben. Dieses Demokratieprinzip verpflichtet dazu, dass alle staatliche Gewalt, also auch Regierung und Gerichtsbarkeit, zumindest vom Volke abgeleitet ist, dass sich des Volkes Wille also in der Legitimationskette bis zum Ausübenden dieser Gewalt durchzieht.

Dieser Anforderung genügen wir dadurch, dass die Richter des Verfassungsgerichtshofes – wie gestern – vom Parlament, also von der Volksvertretung, gewählt werden. So ist es auch in Art. 76 unserer Landesverfassung verankert.

Das dortige Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit stellt zudem sicher, dass die Richter politisch neutral sind und dass nicht etwa eine knappe Mehrheit ihre einseitigen Vorstellungen durchsetzen kann. Kein Richter kann nach dem Gutdünken einer einfachen Mehrheit gewählt werden.

Die jetzt lediglich einmalige Wahl ohne Möglichkeit der Wiederwahl steht für die Unabhängigkeit der Richter. Niemand wird in seinem Urteil dadurch beeinflusst, dass er auf politische Sympathien oder politische Mehrheitsverhältnisse Rücksicht nehmen muss. Die Vorschriften zur Zusammensetzung sichern auch die fachliche Vielfalt, indem etwa drei der sieben Verfassungsrichter Berufsrichter sein müssen.

Ich fasse zusammen: Durch das Verfahren der Verfassungsrichterwahl sind Neutralität, Unabhängigkeit und Qualifikation sichergestellt. Es ist bewährt und bedarf keiner Änderung.

In der Sache lehnen wir den Antrag der AfD-Fraktion ab. Der Überweisung in den Rechtsausschuss stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings.

Herr Dr. Geerlings, der guten Ordnung halber möchte ich darauf hinweisen, dass wir vom Redepult aus keine Zuschauer begrüßen, auch wenn es womöglich Zuschauerinnen und Zuschauer sind, die Sie kennen. Das ist ein Usus, den wir seit vielen Jahren einhalten. Ich bitte Sie, dass so zur Kenntnis zu nehmen.

Das gilt für alle anderen übrigens auch. Wir sprechen hier nicht mit dem Publikum, sondern wir sprechen unter uns. Der Fachbegriff dafür lautet – wir sprechen ja gerade über ein rechtspolitisches Thema – Kollegialorgan. Wer das einmal nachgucken will, kann sich dann ein Bild davon machen, wie dieser Landtag aufgestellt ist und was er leistet. Alle einverstanden? – Wenn der Innenminister nickt, ist ja alles in Ordnung.

(Allgemeine Heiterkeit)

Als nächste Rednerin spricht Frau Bongers von der SPD-Fraktion. Bitte schön.

Sonja Bongers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit dem 1. Juli 2017 gibt es ein verändertes Verfahren zur Bestellung von Verfassungsrichtern. Dabei gilt: Alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen werden vom Landtag mit einer Zweidrittelmehrheit für eine Dauer von zehn Jahren gewählt. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Die Kandidaten müssen die Befähigung zum Richteramt haben, wobei mindestens drei Mitglieder Berufsrichter sein müssen.

Es ist eine wirklich große Veränderung, dass als Ergebnis der Arbeit der Verfassungskommission keine Unterscheidung mehr zwischen den sogenannten geborenen Mitgliedern und den Wahlmitgliedern gemacht wird.

Anders als die Fraktion der AfD finden wir, dass das jetzige Verfahren bereits fair und transparent ist und eine klare Legitimationskette einhält.

Die implizite Behauptung, es handele sich um „Hinterzimmer-Mauschelei“, ist schlichtweg falsch.

(Beifall von der SPD)

Die gestern vom Landtag gewählten Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes sind herausragend qualifizierte Juristinnen und Juristen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das bestreitet niemand!)

Dies infrage zu stellen, wie es die AfD-Fraktion in diesem Antrag unterschwellig macht, ist unangebracht und unangemessen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, transparent ist das Verfahren insofern, als dass der Gesetzestext, der Artikel der Verfassung, ja genau vorsieht, wie die Bestellung zu laufen hat. Von Willkür kann keine Rede sein.

Fair ist das Verfahren aus unserer Sicht auch aus folgenden Gründen:

Erstens. Die Wahl findet durch demokratisch legitimierte Volksvertreter statt – und das nicht nur mit einfacher Mehrheit, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit. In der jetzigen Konstellation des Landtages bedeutet eine Zweidrittelmehrheit, dass die Kandidatin oder der Kandidat eine breite Zustimmung über Fraktions- und Koalitionsgrenzen hinweg braucht, um gewählt zu werden.

Zweitens. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. Das bedeutet, dass periodisch neue Köpfe mit einem frischen Blick auf die Materie die Aufgaben als Verfassungsrichter oder Verfassungsrichterin wahrnehmen.

Drittens. Der mögliche Bewerberpool ist durch das Anforderungsprofil an die Bewerber nicht so riesig, wie es die AfD-Fraktion gerne darstellen möchte. Alle potenziellen Bewerber müssen nicht nur die Befähigung zum Richteramt haben; seit der Änderung der Verfassung müssen mindestens drei der Gewählten auch Berufsrichter sein. In der Regel haben diese Kandidatinnen und Kandidaten bereits Erfahrung in Richtertätigkeiten und in der Leitung von Gerichten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen verdeutlicht, warum wir als SPD-Fraktion finden, dass das jetzige Verfahren für die Berufung von Verfassungsrichtern transparent, fair und durch wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger legitimiert ist.

Aus diesem Grund lehnt meine Fraktion den vorliegenden AfD-Antrag ab. Wir werden der Überweisung trotzdem zustimmen und freuen uns auf eine gute Diskussion. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Bongers. – Für die FDP-Fraktion erhält nun Herr Kollege Mangen das Wort.

Christian Mangen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD zur Bewerbung als Verfassungsrichter ist verfassungsrechtlich bedenklich, schlecht recherchiert und schlicht überflüssig.

Er ist verfassungsrechtlich bedenklich, weil er das fragwürdige Rechtsstaatsverständnis der AfD-Fraktion zeigt. Gemäß Art. 76 Abs. 2 der Landesverfassung werden die Mitglieder und die Stellvertreter vom Landtag ohne Aussprache mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Ich möchte dies noch einmal betonen. Die Mitglieder und die Stellvertreter werden von Verfassungs wegen vom Landtag – und nicht von der Landesregierung – gewählt. Es obliegt deswegen allein dem Landtag, das Verfahren zur Auswahl geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt eines Verfassungsrichters oder einer Verfassungsrichterin zu regeln.

Die Landesregierung indes, an die sich Ihr Antrag richtet, ist von Verfassungs wegen gar nicht befugt, Einfluss auf dieses Verfahren zu nehmen. Damit ist dieser Antrag auch schlecht recherchiert. Denn der Antrag richtet sich schlicht an den falschen Adressaten. Verfassungsgebendes Organ ist hier lediglich der Landtag.

Wenn Sie lamentieren, die anderen Fraktionen wären zeitlich vor der AfD-Fraktion über Bewerber informiert worden, frage ich mich: Von wem wurden sie denn informiert? Vom bösen Mann, der da herumläuft? Die anderen Fraktionen – nur das ist die Wahrheit – haben sich Gedanken über eventuelle Bewerberinnen und Bewerber für dieses Amt gemacht. Die AfD-Fraktion hat das offenbar nicht getan und war sich dafür wohl zu schön.

(Zuruf von der SPD: Sie haben auch keinen gefunden!)

Überflüssig ist dieser Antrag ebenso; denn das Verfahren hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Im Übrigen zeigen nicht zuletzt die hohe Akzeptanz und das große Vertrauen in die Verfassungsgerichte sowohl im Bund als auch in den Ländern, dass das Verfahren zur Besetzung der Verfassungsrichterstellen offensichtlich nicht zu beanstanden ist.

Dass Sie zum Ende Ihrer Rede noch den traurigen Mut besaßen, das Verfassungsorgan dadurch zu beschädigen, dass Sie behauptet haben, nur das Parteibuch sei ausschlaggebend gewesen und nicht Sach- und Fachkunde, ist wirklich schäbig. – Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mangen. – Für die grüne Fraktion erhält nun Herr Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich angesichts des Eröffnungsspiels der Fußballweltmeisterschaft kurzfassen, weil ich der antragstellenden AfD-Fraktion die Möglichkeit geben möchte, ihrer Mannschaft, also Russland, noch die Daumen zu drücken und das Spiel zu verfolgen.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Zurufe von der AfD)

Deswegen ganz kurz: Man kann einen solchen Antrag zwar, wie Sie es tun, eben so ins Plenum reinschmeißen. Ich hätte aber erwartet, dass Sie dann, wenn Sie es ernst meinen, einen Gesetzentwurf entweder zur Änderung der Verfassung oder zur Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes vorgelegt hätten. Dann hätten wir in aller Ernsthaftigkeit nachlesen können: Was sind die Kriterien? Wie soll so eine Ausschreibung aussehen? Wer sitzt überhaupt in diesen Prüfgremien? – Ich hätte also erwartet, dass Sie dann einen Gesetzentwurf vorlegen, aber doch nicht einfach so einen Antrag.

Zweiter Punkt – die Kollegin hat das schon ausgeführt –: Wir haben in der letzten Legislaturperiode lange über die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes und die Wahl diskutiert. Das Ergebnis ist bekannt. Wir haben einige Änderungen vorgenommen. Entscheidend ist: Alle Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter – alle ordentlichen Mitglieder und alle Stellvertreterinnen und Stellvertreter – werden demokratisch und transparent von diesem Parlament mit echter Zweidrittelmehrheit gewählt.

Eine größere Transparenz und demokratische Legitimation können wir eigentlich gar nicht mehr herstellen. Insofern freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen im Ausschuss.

Dritter Punkt: Wir haben den Unterschied zwischen geborenen Mitgliedern und Wahlrichtern abgeschafft. Damit haben wir die Gleichheit hergestellt, dass alle hier im Parlament gewählt werden können.

Damit ist es auch gut gewesen, glaube ich. Ich bin aber gespannt, wenn noch weitere Argumente von Ihnen kommen oder irgendwann vielleicht einmal ein Gesetzentwurf von Ihnen kommt, was wir da noch weiter zu diskutieren haben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Kommen Sie bitte noch einmal zurück ans Redepult. Es gibt eine Kurzintervention. Wir hatten das Lämpchen schon angeschaltet. Daran muss man sich ein bisschen gewöhnen. Dann sieht man das.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ja, daran muss ich mich wieder gewöhnen.

(Zuruf von der CDU: Er war ja eine Weile nicht da!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, genau. – Von der AfD-Fraktion ist eine Kurzintervention angemeldet worden. Herr Röckemann meldet sich noch einmal zu Wort. Bitte schön, Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Schönen Dank. – Mir scheint, dass Sie und Ihre Kollegen der Konsensparteien sich hier wieder einig sind. Wir haben das ja heute schon einmal erfahren.

Entweder können Sie unseren Antrag nicht verstehen, oder Sie wollen es schlicht und einfach nicht begreifen. Das bisherige Wahlverfahren bleibt in unserem Antrag gänzlich unberührt; damit haben wir kein Problem. Wir wollen lediglich zusätzlich ein Vorverfahren einführen, um sicherzustellen, dass die Hüter unserer Verfassung über jeden Vorwurf und Zweifel erhaben sind.

(Zuruf von der CDU: Bitte was?)

Die Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen sollen aufgrund transparenter Kriterien ermittelt und nach dem verfassungsrechtlich abgesicherten Prinzip der Auslese der Besten und Geeignetsten ausgewählt werden. Ein ähnliches Verfahren wird übrigens auch am Europäischen Gerichtshof durchgeführt.

Schauen Sie sich dazu bitte einmal die aktuelle Stellenausschreibung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an.

Da stellt sich mir die Frage: Was haben Sie eigentlich gegen ein transparentes und geregeltes Verfahren?

Bei dieser Gelegenheit – wenn alles immer schon so war – muss man sich einfach einmal die Frage stellen: Wussten Sie, dass auch die Blutrichter am Volksgerichtshof ohne Vorverfahren berufen worden sind? – Ich weiß: Von so etwas wollen wir uns doch wohl deutlich abgrenzen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte, Herr Kollege Engstfeld. Sie haben anderthalb Minuten zur Replik.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Erstens. Ihre Vergleiche sind für mich befremdlich.

Zweitens. Ich habe versucht, darzustellen, dass wir die Wahl, wie wir sie auch gestern durchgeführt haben, für demokratisch und transparent halten. Damit meine ich auch das Verfahren.

Drittens. Wir haben gestern alle ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes für zehn Jahre gewählt. Sie brauchen nur eine Wiedervorlage von gestern plus zehn Jahre zu machen. Dann wissen Sie, wann die nächsten Wahlen anstehen. So einfach ist das.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Weitere Wortmeldungen liegen uns hier nicht vor.

(Zurufe von den GRÜNEN: Das war die erste Rede von Herrn Engstfeld! – Die Jungfernrede! – Allgemeine Heiterkeit)

– So jungfernhaft kommt er mir gar nicht vor. Aber gut: Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede im neuen Mandat, Herr Engstfeld!

(Beifall von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Da lassen wir eigentlich keine Zwischenfragen zu!)

– Das ist die Macht der Gewohnheit. Ich sehe diese große Gestalt vor mir und denke: Das war jetzt schon viele Jahre so. – Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass ich dann auf dem Bildschirm verdeckt bin.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2760 an den Rechtsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dem nicht folgen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist einstimmig so überwiesen. – Ich bedanke mich.

Ich rufe auf:

11 Freiflächen-Photovoltaik ausbauen: land- und energiewirtschaftliche Nutzung sind kein Widerspruch

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2754

Für die SPD-Fraktion rufe ich Herrn Stinka auf, um den Antrag zu begründen. Sie haben das Wort.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Industrieland Nummer eins hat Nordrhein-Westfalen eine besondere Verantwortung, wenn es um das Gelingen der Energiewende geht. Schließlich hat sich Nordrhein-Westfalen gerade im Bereich der Energieeffizienz und der Nutzung erneuerbarer Energien in den letzten Jahren auf der internationalen Bühne zu einem wirklich beachtlichen Standort entwickelt.

Zur Umsetzung der Energiewende und um das Erreichen der Klimaschutzziele sicherzustellen, bedarf es daher neben der Erschließung des solaren Dachflächenpotenzials auch eines intensiven Ausbaus der Freiflächen-Fotovoltaik, insbesondere auch unter den Gesichtspunkten der Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Das ist doch lächerlich!)

– Herr Blex, Sie sind lächerlich, nicht diese Ausführungen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In Nordrhein-Westfalen ist der Stromertrag aus Solarenergie im Zeitraum von 2010 bis 2015 gestiegen. Er hat sich sogar mehr als verdoppelt. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung; denn unser Ziel muss es sein, die Fotovoltaik so weit voranzubringen, dass die Marktreife erreicht wird und hierdurch der notwendige Beitrag zum Ersatz konventioneller Kapazitäten erfolgen kann.

Unser Antrag bietet uns allen und Ihnen allen die Möglichkeit, sich dazu zu bekennen, dieses Potenzial zu nutzen.

Stattdessen entsteht aber der Eindruck, dass Sie mit kleinen Formulierungsänderungen im LEP – häufig reiner Rhetorik – meinen, Sie könnten die Welt bewegen. Doch durch diese Änderungen wird die Genehmigungspraxis vor Ort nicht in entscheidendem Maße geändert.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege …

André Stinka (SPD): Hier bleibt Nordrhein-Westfalen hinter den Möglichkeiten zurück. – Bitte?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Ich wollte eine Zwischenfrage ermöglichen – wenn Sie sie erlauben.

André Stinka (SPD): Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich wollte Sie aber nicht unterbrechen. Normalerweise versuche ich es immer an einer geeigneten Stelle. Aber Sie waren noch schneller. – Am Platz von Herrn Dr. Vincentz ist gedrückt worden, aber Herr Dr. Blex hat sich gemeldet. Der Doktortitel bleibt also. Bitte schön, Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Herr Stinka, Sie haben gesagt: bis die Fotovoltaik marktreif ist. Wann und unter welchen Bedingungen ist denn die Zufallsstromproduktion durch Fotovoltaik für Sie marktreif? Vielleicht können Sie das einmal erläutern. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

André Stinka (SPD): Herr Blex, schon Ihre Aussage „Zufallsproduktion“ macht deutlich, dass Sie von diesen industriepolitischen Zusammenhängen keine Ahnung haben. Deswegen werde ich auf die Frage gar nicht eingehen, Herr Blex.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Wie gesagt: Unser Antrag bietet die Möglichkeit, den LEP so anzupassen, dass wir die Möglichkeiten der Genehmigungspraxis in Bezug auf Fotovoltaik verbessern.

Wir alle hier in diesem Rund – bzw. leider nicht alle – bekennen uns zum Klimaschutz, zum Thema „Klimawandel“ und zum Einsatz erneuerbarer Energien – auch, um den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen nach vorne zu bringen.

Schauen wir uns die Energiepolitik an, wird allerdings klar, dass es ein geschlossenes Konzept sein muss.

Ich will natürlich nicht mit der Kritik daran zurückhalten, dass Sie durch Teile Ihrer Energiepolitik, nämlich durch den neuen Windkrafterlass, den Anteil der erneuerbaren Energien in diesem Bereich in den nächsten Jahren stark beeinträchtigen werden und dass die Unsicherheiten gerade bei den Investitionen dazu beitragen werden, dass dieser Ausbaupfad in den nächsten Jahren in Schwierigkeiten gerät.

Noch ein Blick in die Formulierungen des LEPs: Es hilft auch nicht, dass die Landesregierung plant, das Denkmalschutzgesetz analog zu den Vorschriften in anderen Bundesländern zu ändern.

Damit wird die Installation von Fotovoltaikanlagen zwar erleichtert, aber man wird keinen großen Durchbruch damit erzielen.

Um die Fotovoltaik entscheidend voranzubringen, ist es von zentraler Bedeutung, endlich auch in Nordrhein-Westfalen von der Länderöffnungsklausel nach § 37c Erneuerbare-Energien-Gesetz Gebrauch zu machen. Damit ist es möglich, die Freiflächenkulisse, auf der Fotovoltaikprojekte gefördert werden können, zu erweitern. So könnte man die Nutzung von geringwertigen Ackerflächen und Grünländern in benachteiligten Gebieten für Fotovoltaikanlagen ermöglichen. Zurzeit fallen unter diesen Ausnahmetatbestand lediglich unter anderem Konversionsflächen und versiegelte Flächen mit industriellen Brachen.

Die Erfolge, die Bayern und Baden-Württemberg, die bislang als einzige Bundesländer von der Länderöffnungsklausel Gebrauch machen, in der letzten EEG-Ausschreibung erzielt haben, sprechen Bände. Dabei zeigt sich, dass die Flächen nach § 37c EEG besonders kosteneffizient sind, sodass sich in der letzten EEG-Ausschreibung Projekte in Baden-Württemberg und Bayern überproportional stark durchgesetzt haben.

Eine entsprechende Nutzung der Länderöffnungsklausel in Nordrhein-Westfalen würde es ermöglichen, auch hier diese Kostenvorteile zu nutzen und Nordrhein-Westfalen in eine gute Wettbewerbssituation zu bringen. Die Länderöffnungsklausel macht deshalb nur Sinn, wenn klar ist, dass auch landwirtschaftliche Flächen für diese Fotovoltaikanlagen genutzt werden können.

Lassen Sie uns deswegen mit diesem Antrag gemeinsam ein Zeichen setzen, um eine Energiewende aus einem Guss für Nordrhein-Westfalen voranzubringen und diese Chance nicht außer Acht zu lassen – gerade mit Blick auf den Wettbewerb mit den genannten Bundesländern. In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung für unseren Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Stinka, mich wundert schon, dass sich die SPD gerade Bayern zum Vorbild nimmt. Das sollten Sie öfter tun!

(Zuruf von der SPD)

Aber ob gerade die Energiepolitik in allen Belangen das beste Feld ist, daran haben wir als CDU Nordrhein-Westfalen doch ganz erhebliche Zweifel.

Solarstrom ist eine richtige Erfolgsgeschichte. Die wollen wir weiterschreiben.

(Zuruf von der SPD: Sie!)

Nordrhein-Westfälischer Solarstrom ist heute mit 21,5 % an der Erzeugung des erneuerbaren Stroms unseres Bundeslandes beteiligt und damit ein wichtiger Bestandteil der Umstellung auf regenerative Energien. Gleichzeitig ist die Vergütung von einst 50 Cent bei der letzten Ausschreibung auf jetzt 4,33 Cent gesunken. Auch die Vergütung für Dachanlagen von aktuell maximal 12,7 Cent liegt deutlich unter dem Preis, den Privatleute, Handwerker, Gewerbe und Freiberufler bei ihren jeweiligen Stadtwerken zu bezahlen haben.

Fotovoltaikstrom ist längst wirtschaftlich, und wir sind froh über jeden, der sich entscheidet, sein Dach, seine Hausfassade oder vielleicht seinen Gartenzaun für Fotovoltaikzellen zur Stromerzeugung zu nutzen.

Leider haben Sie direkte Abstimmung beantragt. Deshalb ist nur Zeit für ein paar Stichworte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage von Herrn Loose?

Rainer Deppe (CDU): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.

Christian Loose (AfD): Danke, Herr Deppe, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt: Solarstrom ist längst wirtschaftlich. Ich frage Sie: Warum muss er dann noch subventioniert werden?

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Rainer Deppe (CDU): Sie haben wohl verpasst, dass wir bei Freiflächen zum Ausschreibungssystem übergegangen sind. Es wird nicht subventioniert. Und auch bei Dachanlagen gibt es keine Subventionierung mehr, sondern wir haben eine feste Einspeisevergütung mit dem Vorrang des persönlichen Verbrauchs.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD: Ist es trotzdem wirtschaftlich?)

Meine Damen und Herren, die sogenannten benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete, von denen Herr Stinka gesprochen hat, liegen nach der Definition in der Eifel, im Sauerland, im Siegerland, im Bergischen Land, im Teutoburger Wald und im Eggegebirge. Auf diese Gebiete würden Sie also die Solaranlagen konzentrieren. Dabei liegen gerade dort die Orte mit den wenigsten Sonnenstunden in Nordrhein-Westfalen.

Dafür sind es aber Landschaften, wo Landwirtschaft am extensivsten betrieben wird. In den sogenannten benachteiligten Gebieten haben wir 165.027 ha Dauergrünland. Das ist der größte Grünlandanteil in allen Regionen. Wollen Sie gerade diese für den Ökohaushalt wichtigen Gebiete beeinträchtigen?

Von der Verpflichtung, Dauergrünland zu erhalten, haben Sie wahrscheinlich auch noch nichts gehört, Herr Stinka. In Ihrem Antrag schreiben Sie: Dort, wo die Erträge gering sind. – Sie sollten sich schon entscheiden. An anderen Orten beklagen Sie das hohe Ertragsniveau der Landwirtschaft, und wenn es dann niedriger ist, ist Ihnen auf einmal die Landwirtschaft gar nicht mehr so wichtig.

Je mehr extensive Flächen reduziert werden – das würden Sie damit tun –, desto intensiver muss auf anderen Flächen gewirtschaftet werden. Das sollten Sie einmal bedenken, wenn Sie so abschätzig über die Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten reden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Fläche, meine Damen und Herren, ist nicht vermehrbar. Deshalb sollten wir sparsam mit ihr umgehen. Solange Halden, Deponien, Lärmschutzwälle oder Industriebrachen zur Verfügung stehen, müssen wir keine landwirtschaftlichen Flächen in Anspruch nehmen. Denn wir brauchen diese Flächen sowohl für die Landwirtschaft als auch als Ausgleichsflächen für die Natur.

Sie beklagen, dass Nordrhein-Westfalen bei keiner der Ausschreibungen zu den günstigsten Bietern gehörte und auch keinen Zuschlag bekommen hat. Das hat viele Ursachen, aber bestimmt nicht die, dass bei uns in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel schon alle Deponien und Halden mit Fotovoltaikanlagen bestückt wären, wir keine Freiflächen mehr zur Verfügung hätten und deshalb jetzt an die landwirtschaftlichen Flächen heranmüssten.

Neben Technik und Kosten ist die Akzeptanz der erneuerbaren Energien inzwischen zum Hauptfaktor für das Gelingen der Energiewende geworden. Wir sollten sorgfältig vermeiden, Wiesen und Weiden in unseren Mittelgebirgen in Spiegellandschaften zu verwandeln. Wahrscheinlich wären die Grünen sowieso die Ersten, die bei schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung die Verspiegelung der Landschaft zu einem neuen Verhetzungsthema gegen die Landwirtschaft machen würden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Erfahrungen, die die Bauern bei Ihrer Kehrtwende beim Thema „Biogasanlagen und angeblicher Vermaisung“ gemacht haben, hat der Berufsstand noch lange nicht vergessen.

Für die CDU-Fraktion haben landwirtschaftliche Flächen klaren Vorrang vor der Ansiedlung von Fotovoltaikanlagen. Deshalb kommen für uns vorrangig Industriebrachen, Konversionsflächen, ehemalige Deponien, Gebäude, ungenutzte Bahnflächen für Freiflächen-Fotovoltaik infrage.

Mit der vereinzelten Inanspruchnahme von eng entlang der großen Verkehrswegen liegenden Flächen haben wir unseren Frieden gemacht, wobei wir allerdings vorrangig an Lärmschutzwälle und Lärmschutzwände denken. Wir haben in Nordrhein-Westfalen nach wie vor immense ungenutzte Kapazitäten an Gebäuden, Fabrikhallen, Supermärkten. Wir haben riesige Parkplätze, wir haben Fahrradwege und Fußgängerzonen. Lassen Sie uns diese ohnehin schon versiegelten Flächen sinnvoll nutzen, bevor wir auf bisher unbebaute landwirtschaftliche Flächen gehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Deppe. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Freynick.

Jörn Freynick (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Stinka, ich muss als Allererstes bemerken, dass ich es schon etwas überraschend fand, dass Sie diesen Antrag gestellt haben. Der jetzt gültige LEP ist von Ihnen erst im letzten Jahr auf den Weg gebracht worden, und zwar nach heftigen Diskussionen auch in Ihren eigenen Reihen.

Der LEP war gerade erst frisch von Ihnen beschlossen, und jetzt kommen Sie schon mit Änderungsvorschlägen. Das zeigt, dass Ihre Beschlüsse und Ihre Ideen nur eine sehr kurze Halbwertszeit haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nächster Punkt. Die SPD hat hier einen Antrag zur direkten Abstimmung vorgelegt, dessen Zeitpunkt verwundert. Wie Sie wissen, befindet sich momentan ein Vorschlag zur Änderung zum Landesentwicklungsplan in einem Beteiligungsverfahren. Dieses Beteiligungsverfahren dient dazu, allen relevanten Akteuren die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Das nehmen wir sehr ernst.

Schon aus diesem Grund werden wir heute Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Vorfestlegungen im laufenden Beteiligungsverfahren wären ein missachtendes Signal an die beteiligten Akteure, und das verbietet sich aus unserer Sicht.

(Beifall von der FDP)

Aber auch inhaltlich sehen wir Ihren Antrag kritisch, aber sicher nicht wegen der positiven Einstellung zur Fotovoltaik. Bei der Würdigung des Beitrags, den die Solarenergie zunehmend zu wettbewerbstauglichen Preisen erbringt, sind wir uns durchaus einig. Wir sehen aber noch Potenzial für den weiteren Ausbau. Dabei wollen wir vor allem den Gebäudebestand in den Blick nehmen.

Im vorliegenden Antrag geht es aber um die Freiflächenfotovoltaik. Da finde ich es etwas widersprüchlich, dass Sie hier eine weitergehende Nutzung von Freiflächen vorschlagen, wo Sie sonst immer die Flächen so restriktiv behandeln wollen, sodass jegliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen gefährdet wäre.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist auch Gegenstand der Änderung, die die Landesregierung jetzt vorgeschlagen hat, und die wir jetzt beraten. Uns ist wichtig, mit Augenmaß vorzugehen. Denn eines ist klar: Im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen sind Flächen kostbar, und Flächensparsamkeit ist ein immer zu beachtendes Prinzip.

Deshalb gehen hier Vergleiche mit anderen, weniger dicht besiedelten Bundesländern ein Stück weit fehl. Es ist im Übrigen auch fraglich, ob in Nordrhein-Westfalen überhaupt ein großes Interesse an Freiflächen-Fotovoltaikanlagen besteht, die sich im Wettbewerb gegen sonnengünstigere Standorte immer wieder beweisen müssen.

Das alles spricht nicht gegen die Freiflächenfotovoltaik an sich – im Gegenteil. In den vorgeschlagenen Änderungen zum LEP setzen wir ein positives Signal. Zum einen wollen wir eine grundsätzlich positive Unterstützung der Freiflächenfotovoltaik verankern und damit ein politisches Signal an die regionalen und kommunalen Planungsträger senden.

Zum anderen wird die Nutzung von Konversionsflächen gerade mit Blick auf die Solarenergie positiv formuliert. Dieses Potenzial wollen wir verstärkt nutzbar machen, ebenso Möglichkeiten wie Berghalden, Deponien, die im LEP explizit genannt werden. Daneben bleiben die Regelungen des geltenden LEPs bestehen, nach denen Standorte für Freiflächen-Solarenergieanlagen auf den benannten Flächen möglich sind.

Eine weitergehende Regelung ist aus unserer Sicht nicht zielführend. Anders als der Begriff der geringwertigen Acker- und Grünflächen nahelegt, sind auch diese Flächen nicht dem Flächendruck entzogen, der im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen nun einmal herrscht. Gerade die Landwirtschaft spürt diesen Druck immer stärker, etwa durch Ausgleichsmaßnahmen. Auch vor diesem Hintergrund sehen wir Ihren Vorschlag kritisch.

Da Sie direkte Abstimmung beantragt haben, werden wir Ihren Antrag gleich ablehnen, damit Sie – wie bereits gesagt – das Signal im laufenden Beteiligungsverfahren zum LEP geben. Wir werden die Stellungnahmen der vielfältigen Akteure aus dem ganzen Land mit Interesse entgegennehmen und sorgfältig abwägen. Vorfestlegungen zum jetzigen Zeitpunkt lehnen wir ab.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Freynick. – Für die Fraktion der Grünen hat das Wort Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Energiewende geht zu langsam, sie wird zu zaghaft angefasst. Wir haben gestern schon darüber gesprochen, dass die Anstrengungen beim Klimaschutz viel zu gering sind.

Dann besteht noch das Problem, dass die schwarz-gelbe Landesregierung hier in NRW das Schlimmste macht, was man überhaupt machen kann: Sie reden von Energiewende – wir haben es gerade wieder gehört –, aber Sie bekämpfen sie an jeder Stelle, wo Sie nur können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie spielen eine erneuerbare Energieform gegen die andere aus, und das geht so nicht. Wir brauchen alle erneuerbaren Energieformen; die eine ist nicht besser als die andere. Jede hat ihre Vor- und Nachteile. Nur gemeinsam bekommen wir die Energiewende hin. Die erneuerbaren Energieformen haben gemein, dass sie sauber, nachhaltig und klimafreundlich sind.

Sie, die schwarz-gelbe Landesregierung, fesseln die Windenergie. Sie sorgen für Verunsicherung, wo Sie nur können – bei Kommunen, bei Stadtwerken – und wollen das Ganze dann durch die Geothermie auffangen.

Das haben wir jetzt schon an vielen Stellen gehört, auch in der letzten Plenarrunde haben wir schon darüber diskutiert. Sie nehmen die Geothermie hier mit auf, die aber eigentlich für die Wärmeversorgung gedacht ist. Das hilft uns nicht bei der Stromwende, das muss man ganz klar sagen. Denn wenn man die Geothermie benutzt – ich bin ganz klar dafür –, muss man aber auch sagen, dass mehr Strom verbraucht wird, weil eben Wärmepumpen gebraucht werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Blex?

Wibke Brems (GRÜNE) Ach, Herr Blex, das hatten wir jetzt wirklich schon öfter. Nein.

Weiter mit der Tiefengeothermie: Ja, die Tiefengeothermie hat enorme Vorteile; sie steht kontinuierlich zur Verfügung. Sie hat aber ein relativ geringes Potenzial und noch relativ geringe wirtschaftliche Möglichkeiten.

Die Biogasnutzung hat den gleichen Vorteil wie die Tiefengeothermie: Sie steht kontinuierlich zur Verfügung. Genau an dieser Stelle bräuchte man aber eine Folgesicherheit, und zwar für die Bestandsanlagen, deren Förderung in der nächsten Zeit ausläuft. Sie von der schwarz-gelben Landesregierung sollten sich auch auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es eine Planungssicherheit gibt, und dass nicht Anlagen vom Netz gehen, nur weil man als Betreiber von Biogasanlagen nicht mehr weiter weiß.

Die Fotovoltaik – um es komplett zu machen – ist vom Potenzial her die zweitgrößte Säule neben der Windenergie. Es gibt viele ungenutzte Dachflächen. Das, so sagen Sie es auch seitens der Landesregierung, wollen Sie weiter unterstützen – Sie sagen aber überhaupt nicht, wie.

Herr Stinka hat eben schon etwas dazu gesagt, was Sie im Hinblick auf den Anteil des Denkmalschutzes an Verbesserungen vorsehen. Das ist einfach nur ein Witz. Sie sagen die ganze Zeit, dass Sie es machen wollen, aber Sie sagen nicht, wie Sie es machen wollen.

Kommen wir zu guter Letzt zu der Freiflächen-Fotovoltaik, wie sie hier im SPD-Antrag steht. Es gibt – das muss ich ganz klar sagen – sinnvolle Orte für Fotovoltaik auf der Freifläche. Ich nenne mal Beispiele: ehemalige Start- und Landebahnen von Flughäfen, Deponien, entlang von Infrastrukturtrassen wie Autobahnen oder Bahntrassen.

Für landwirtschaftlich genutzte Flächen gilt das für uns Grüne eben nur sehr eingeschränkt. Da kann ich den Fokus des SPD-Antrags nicht so ganz nachvollziehen. Wir hätten uns mit diesem Antrag gerne ausführlicher befasst. Daher kann ich meinem CDU-Kollegen nur zustimmen. Wir finden, dass einige Aspekte darin wichtig und richtig sind. Für uns Grüne ist der Antrag aber nicht ausgewogen genug.

Ich möchte darauf hinweisen, dass beispielsweise der Flächenverbrauch ein wirklich wichtiger Aspekt ist. Es gilt für Straßen genauso wie für Baugebiete, dass wir an jeder Stelle ganz genau überlegen müssen, wo wir Freifläche wegnehmen und womit wir dies in Anspruch nehmen. Das gilt auch für die Fotovoltaik.

Wir Grüne finden, dass wir zunächst viele andere Potenziale zu heben haben. Aber, sehr geehrter Herr Deppe von der CDU, die müssen wir dann auch wirklich heben. Das können Sie hier nicht einfach nur sagen, sondern das muss man dann auch wirklich tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag enthalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in Deutschland bereits 100 GW installierte Leistung an Wind- und Solarkraft. Da frage ich mich dann, Herr Stinka, wie viele Marktreifetests Sie überhaupt noch brauchen. Das ist genauso viel installierte Leistung, wie wir an konventionellen Kraftwerken haben.

Zum Antrag: Fotovoltaik – das scheint eine tolle Sache zu sein, wenn da nicht ein paar Probleme wären. Kommen wir zu einem der größten Probleme, nämlich die fehlende Versorgungssicherheit. Die Lieferung von Strom aus Solarkraft ist einfach nicht stabil. Mit Solarkraft wird die Versorgungssicherheit in keiner Weise erhöht. Vielmehr brauchen Sie in jedem Fall ein zweites konventionelles Kraftwerk, welches Strom liefert, wenn die Sonne nicht scheint.

Oder können Sie, liebe Kollegen von der SPD, insbesondere Herr Stinka, mir sagen, wie viel Strom Sie denn nächsten Donnerstag von 15:30 Uhr bis 15:45 Uhr oder ein Jahr später aus Solarkraftwerken liefern können? Oder in zehn Jahren? – Das können Sie eben nicht, weil es Zufallsstrom ist, stark wetterabhängig.

Allerdings wollen Sie, wie so viele Kollegen von den anderen sozialistischen Parteien,

(Lachen von der SPD)

diese technische Wahrheit weder öffentlich wahrnehmen noch anerkennen und streuen den Leuten häufig auch noch Sand in die Augen, indem Sie sagen: Nein, wir brauchen keine konventionellen Kraftwerke mehr, wir brauchen einfach nur mehr Speicher. Allerdings sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten dafür bereits erschöpft, und solche Speichermärchen, die Sie uns immer wieder erzählen, sind reine Luftnummern, genauso wie dieser Antrag hier.

So vergleichen Sie zum Beispiel bei den Kosten ein Kraftwerk mit Zufallsstrom, welches unabhängig vom Bedarf Strom liefern darf und dafür Geld bekommt, tatsächlich mit konventionellen Kraftwerken, die nur dann Strom erzeugen, wenn es die Marktlage auch hergibt.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die von Ihnen herbeigeführte geänderte Marktlage hat dazu geführt, dass Kohlekraftwerke eben nicht mehr 8.000 Stunden pro Jahr laufen, sondern nur noch 4.000 Stunden pro Jahr. Das müssen die Energiekonzerne natürlich einkalkulieren; denn diese tragen alle marktpreis- und politischen Risiken. So sind es dann eben 6 bis 7 Cent Vollkosten, die von den Konzernen immer genannt werden.

Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie den Energiekonzernen einen Preis für 20 Jahre garantieren würden, wie es bei Solarkraftwerken der Fall ist, dann erhielten Sie einen deutlich günstigeren Preis, wenn die Energiekonzerne dann 8.000 Stunden pro Jahr ihren Strom liefern dürfen.

Was Sie aber leider bei den Preisen für die Solarkraftwerke vergessen, sind die Kosten für die Kraftwerke, die Sie ohnehin im Hintergrund noch als Sicherung benötigen. Deshalb sind die Kostenangaben, die Sie hier nennen, nicht nur unangemessen, sondern Fake News.

(Beifall von der AfD)

Ich will neben der Versorgungssicherheit noch einen zweiten Aspekt vorbringen, nämlich: Brauchen wir überhaupt mehr Kraftwerkskapazität am Markt? – Ich sage: Zumindest brauchen wir keine weiteren Kapazitäten mit Zufallsstrom. Wir haben nämlich bereits jetzt einen gesättigten Strommarkt, sodass ein Zubau zu Preisen oberhalb des relevanten Börsenpreises wirtschaftlich überhaupt nicht zu rechtfertigen ist.

Wenn man aber trotzdem einen weiteren Zubau möchte, dann sollte man tatsächlich günstigere Solarkraftwerke auf Freiflächen nehmen, doch dann müsste man jegliche Subvention für die Kraftwerke auf den Dächern, die viel teurer sind, einstellen.

Das machen Sie aber nicht. Sie wollen nur immer mehr und immer mehr und alles subventionieren, wo „Solarstrom“ draufsteht – koste es, was es wolle. Es ist ja das Geld der anderen, das der Steuerzahler.

(Widerspruch von den GRÜNEN)

Das ist so, als wenn die EU den Anbau von Orangen in Finnland aus Gerechtigkeitsgründen subventionieren würde.

Ich möchte noch einen letzten Aspekt vorbringen: Die Sonnenbedingungen sind in Bayern und Baden-Württemberg einfach ungleich besser. Selbst wenn wir Ihnen zugestehen würden, Freiflächen in NRW anzubieten, kämen trotzdem die Anbieter in Bayern und Baden-Württemberg zum Zuge, da sie viel günstiger produzieren können. Ich empfehle Ihnen, mal so etwas wie den Solaratlas oder Ähnliches im Internet zu suchen. Da werden Sie schnell fündig werden.

Das Einzige, was passieren würde: Es gäbe eine bürokratische Aufblähung des Landesentwicklungsplans; denn dort müssten diese Freiflächen plötzlich ausgewiesen werden. Es würde aber kein einziges zusätzliches Solarkraftwerk in NRW gebaut werden.

In Summe ist Ihr Antrag leider ein Offenbarungseid für Ihre Ideenlosigkeit. Deswegen lehnen wir Ihren populistischen Schauantrag auch ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst feststellen, dass es sicherlich zu begrüßen ist, wenn die SPD-Fraktion das Thema „Fotovoltaik“ aufruft.

Ich hätte mir für das Land gewünscht, dass Sie zu Ihrer Regierungszeit zusammen mit den Grünen das Thema „Erneuerbare“ schon von vornherein viel breiter angegangen wären, als Sie es getan haben,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Der FDP geht das immer zu weit!)

statt sich sehr schwerpunktmäßig auf Windenergie zu verengen. Dann wären wir, was die Fotovoltaik anbelangt, sicherlich schon weiter.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern ist es schön, dass Sie jetzt da ankommen, wo wir schon Handlungsbedarf festgemacht haben.

Wo sehen wir Möglichkeiten? Wir sehen Möglichkeiten insbesondere in den bebauten Regionen, in den Innenstädten, wo sicherlich noch vieles getan werden kann – im Übrigen auch außerhalb des EEG in dezentralen Quartierskonzepten, in in sich geschlossenen Energiekreisläufen, die gar nicht hoch subventioniert werden müssen. Dort gibt es neue Ansätze, die wir erschließen wollen.

Wir wollen deshalb auch den Denkmalschutz so anpassen, dass dort mehr Spielräume bestehen. Das ist eine zusätzliche Chance, Fotovoltaik durch die Privaten möglich zu machen.

Darüber hinaus haben wir auch im LEP-Änderungsverfahren deutlich gemacht, dass die Flächen, wo immer sie die Landwirtschaft nicht einschränken, besser genutzt werden können.

Dass wir die landwirtschaftlichen, die Acker- und Grünlandflächen nicht stärker befrachten wollen, hat zwei Gründe: Zum einen sind wir in Nordrhein-Westfalen schon ein recht dicht besiedeltes Land. Wir haben sehr stark konkurrierende Interessen. Wir müssen alle an einer sich vernünftig entwickelnden Landwirtschaft zur Versorgung unserer Bevölkerung interessiert bleiben.

Zum anderen gilt, dass die Landwirtschaft bei der Biomasse schon einen wichtigen Beitrag für die Erneuerbaren leistet. Deswegen legen wir darauf zunächst keinen Schwerpunkt, sondern wollen erst einmal die anderen Möglichkeiten ausschöpfen.

Hierzu öffnen wir im LEP neue Möglichkeiten. Wir warten das Beteiligungsverfahren ab. Wir werden zu den geplanten Festlegungen zur Solarenergienutzung sicherlich weitere Eingaben haben. Diese werden wir auswerten.

Dazu gehört auch die laufende Aktualisierung der „Potenzialstudie Solarenergie NRW“ im Zuge der Erarbeitung des landesweiten Solarkatasters. Auch hier werden wir sicherlich zusätzliche Informationen bekommen, wo es sich wirklich lohnt, Solaranlagen wirtschaftlich zum Einsatz bringen zu können.

Es klang eben schon an: Wir liegen nun einmal eher im Norden, nicht so wie unsere geschätzten Nachbarbundesländer im Süden. Die Sonneneinstrahlung ist unterschiedlich.

(Unruhe)

Deswegen haben wir auch nicht einen so hohen Druck, aus der Fläche Anlagen zu errichten, weil sie beim in Konkurrenz stehenden Ausschreibungsverfahren in der Regel den Kürzeren ziehen.

Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir arbeiten am Thema. Wir sehen es pluralistisch und technologieoffen. Wir wollen die Erneuerbaren befördern, aber wir wollen es so machen, dass es mit konkurrierenden Interessen im Einklang bleibt und die Spielräume tatsächlich besser genutzt werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Herr Minister, es gibt noch eine Kurzintervention. Wenn Sie noch einmal zum Pult zurückkehren, bestünde für den Abgeordneten der AfD-Fraktion, die das beantragt hat, die Gelegenheit, mit Ihnen in ein kurzes Nachgespräch einzutreten. Anderthalb Minuten für Herrn Dr. Blex.

(Unruhe)

Dr. Christian Blex (AfD): Herr Pinkwart, Sie haben sich eben ganz klar als Vertreter der Laschet-Regierung für die Fortführung der sogenannten Energiewende ausgesprochen. Sie wissen sehr wohl, dass Deutschland seit diesem Jahr die höchsten Strompreise Europas zahlt.

Sie wissen, dass es zuvor die Dänen waren, weil sie sich in einen größeren Windwahn verstiegen hatten als Deutschland. Seit Kurzem weht ein anderer Wind in Dänemark; das wissen Sie. Grenzen werden kontrolliert, und auch die Energiewende wird rückabgewickelt.

Deshalb hat Deutschland den Spitzenplatz bei den Strompreisen eingenommen. Das wissen Sie. Sie kennen die Ganglinien. Sie haben gelernt. Sie wissen genau, dass die Sonne scheint, wann sie will, und dass der Wind weht, wann er will. Sie wissen auch: Nachts scheint keine Sonne.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Sie wissen genau, dass es in Spanien keine neuen Fotovoltaikanlagen gibt. Dort, wohin Sie fahren, weil das Land so sonnenverwöhnt ist, gibt es keine Fotovoltaik.

Deshalb, Herr Pinkwart, erklären Sie doch mal, wie hoch die Strompreise noch klettern sollen, bis Sie zugestehen, dass die Energiewende ein physikalischer und technischer Irrweg ist. Wir sind der größte energiepolitische Geisterfahrer der Welt.

(Zurufe von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN: Oh!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben anderthalb Minuten für die Replik.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen dazu:

Ich habe in meinem Beitrag deutlich gemacht, dass es Möglichkeiten gibt, Erneuerbare in zunehmendem Maße ohne hohen Subventionsbedarf zum Einsatz zu bringen. Das streben wir an. Das ist auch möglich, weil die Technologien besser werden.

Es könnte sich auch dadurch realisieren lassen, dass wir die Regeln besser machen.

Ein Fortschritt ist, dass wir zur Auktionierung gekommen sind, da sich eben die beste, die wirtschaftlichste erneuerbare Technologie am Markt durchsetzen muss. Bei Fotovoltaik kommen wir vielleicht weniger zum Zuge als die in Süddeutschland. Aber dafür sind sie in Süddeutschland dann eben auch effizienter. Dann ist es auch gut so, wenn sie eher in Süddeutschland zum Zuge kommen als bei uns. Das habe ich hier vorgetragen.


Wir sind in der NRW-Koalition der Meinung, dass wir die Erneuerbaren immer auch wirtschaftlicher denken müssen, dass wir sie tragfähiger machen müssen, um die Belastungen für Verbraucher und Unternehmen zu begrenzen. Das haben wir in der Debatte gestern auch eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Ich bitte Sie, eine zweite Bemerkung mit Ihrer Fraktion zu bedenken.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Die Naturwissenschaften!)

– Ja, die Naturwissenschaft, die Physik.

Das eine ist der Klimaschutz. Ich weiß, dass Sie damit ein Problem haben.

(Zuruf von der AfD: Nö!)

Aber das Zweite sollten Sie noch mal bedenken. Wir wollen doch auch in den übernächsten Generationen denken. Wir wollen uns doch auch vorstellen, dass die nachnachfolgenden Generationen einen mindestens so hohen Lebensstandard haben wie wir heute. Wir wissen eines: Die konventionellen Energien sind endlich. – Wenn es die Menschheit nicht schafft, sich auch in Richtung Erneuerbare auf wirtschaftliche Weise ihre Nachhaltigkeit selbst zu erarbeiten,

(Christian Loose [AfD]: Dann forschen Sie doch! Dann forschen Sie doch!)

dann werden nachfolgende Generationen keine tragfähige Grundlage haben, erst recht nicht mit 10 Milliarden Menschen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir sind am Ende der Debatte und kommen damit zur Abstimmung.  Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt.

Wer stimmt dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/2754 zu? – Die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Kollegen Neppe und Langguth. Wer enthält sich? – Wie angekündigt enthält sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2754 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.


Meine Damen und Herren, um 18:01 Uhr sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Das Plenum berufe ich wieder ein für morgen, Freitag, den 15. Juni 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:02 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.