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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/27

17. Wahlperiode

17.05.2018

 

27. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 17. Mai 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Änderung der Tagesordnung. 5

Matthias Kerkhoff (CDU)
(zur GeschO) 5

Sarah Philipp (SPD)
(zur GeschO) 5

Verena Schäffer (GRÜNE)
(zur GeschO) 6

Markus Wagner (AfD)
(zur GeschO) 7

Henning Höne (FDP)
(zur GeschO) 7

Ergebnis. 7

Nichtförmliche Rüge  
des Abgeordneten Michael Hübner
betreffend TOP 1 der 26. Plenarsitzung
am 16. Mai 2018  8

Nichtförmliche Rüge  
des Abgeordneten Sven Werner Tritschler
betreffend TOP 1 der 26. Plenarsitzung
am 16. Mai 2018  8

1   Armin Laschet erklärt ausgerechnet bei der Eröffnung der Aachener DITIB-Großmoschee, der Islam würde zu NRW gehören – Ist der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens ein Erfüllungsgehilfe des türkisch-nationalistischen Islams?

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2605. 8

Markus Wagner (AfD) 8

Marc Blondin (CDU) 10

Ibrahim Yetim (SPD) 11

Stephen Paul (FDP) 13

Berivan Aymaz (GRÜNE) 14

Marcus Pretzell (fraktionslos) 16

Ministerpräsident Armin Laschet 16

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 18

Sigrid Beer (GRÜNE) 19

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 20

Minister Dr. Joachim Stamp. 21

2   Neue Groko, neuer Anlauf: Kinderlärm ist Zukunftsmusik – auch auf dem Sportplatz

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2561 – Neudruck. 21

Markus Herbert Weske (SPD) 21

Jens-Peter Nettekoven (CDU) 22

Andreas Terhaag (FDP) 23

Josefine Paul (GRÜNE) 23

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 24

Ministerin Ina Scharrenbach. 25

Ergebnis. 26

3   Gesetz zur Änderung des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2575

erste Lesung. 26

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 26

Thorsten Schick (CDU) 27

Christina Kampmann (SPD) 28

Rainer Matheisen (FDP) 30

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 31

Sven Werner Tritschler (AfD) 32

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 33

Ergebnis. 34

4   Ministerpräsident Laschet muss dem Parlament gegenüber Stellung beziehen – welche Kenntnis hatte die Staatskanzlei zum angeblichen Hacker-Angriff auf Ministerin a. D. Schulze Föcking?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2641. 34

Thomas Kutschaty (SPD) 34

Monika Düker (GRÜNE) 36

Helmut Seifen (AfD) 37

Marcus Pretzell (fraktionslos) 39

Ministerpräsident Armin Laschet 39

Thomas Kutschaty (SPD) 41

Matthias Kerkhoff (CDU) 42

Monika Düker (GRÜNE) 44

Henning Höne (FDP) 45

Dr. Christian Blex (AfD) 46

Bodo Löttgen (CDU) 47

5   Istanbul-Konvention konsequent umsetzen – Mädchen und Frauen vor Gewalt schützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2546 – Neudruck. 48

Josefine Paul (GRÜNE) 48

Anja Butschkau (SPD) 49

Heike Troles (CDU) 50

Susanne Schneider (FDP) 51

Thomas Röckemann (AfD) 52

Ministerin Ina Scharrenbach. 53

Ergebnis. 55

6   Stärkung der eigenverantwortlichen Schule – Einstellung des Verfahrens der Qualitätsanalyse

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2553. 55

Helmut Seifen (AfD) 55

Frank Rock (CDU) 57

Marlies Stotz (SPD) 59

Franziska Müller-Rech (FDP) 61

Sigrid Beer (GRÜNE) 63

Ministerin Yvonne Gebauer 64

Ergebnis. 65

7   NRW fordert zusätzliche Maßnahmen zur Tabakprävention und den Passivraucherschutz von minderjährigen Kindern in Autos

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2555. 65

Dr. Nadja Büteführ (SPD) 65

Britta Oellers (CDU) 66

Marcel Hafke (FDP) 67

Josefine Paul (GRÜNE) 68

Dr. Martin Vincentz (AfD) 69

Minister Karl-Josef Laumann. 70

Ergebnis. 71

8   Mehr Anerkennung für exzellente Lehre

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2564. 71

Martin Sträßer (CDU) 72

Moritz Körner (FDP) 73

Karl Schultheis (SPD) 73

Sigrid Beer (GRÜNE) 74

Helmut Seifen (AfD) 75

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 76

Ergebnis. 77

9   Milchkrisen wirksam mit neuen Instrumenten begegnen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2548. 77

Ergebnis. 77

10 Parkplatznot in NRW-Großstädten bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2552. 77

Susana Dos Santos Herrmann (SPD) 77

Sven Werner Tritschler (AfD) 78

Olaf Lehne (CDU) 79

Bodo Middeldorf (FDP) 80

Johannes Remmel (GRÜNE) 80

Minister Hendrik Wüst 81

Ergebnis. 81

11 Teilhabe von Kindern und Jugendlichen stärken – Eigenbeteiligung an der gemeinsamen Mittagsverpflegung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes streichen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2556. 82

Britta Altenkamp (SPD) 82

Katharina Gebauer (CDU) 83

Stefan Lenzen (FDP) 83

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 84

Dr. Martin Vincentz (AfD) 85

Minister Karl-Josef Laumann. 86

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 87

Ergebnis. 88

12 Wärmepotenziale nutzen – Einsatz der Geothermie erleichtern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2562. 88

Dr. Patricia Peill (CDU) 88

Dietmar Brockes (FDP) 89

André Stinka (SPD) 90

Wibke Brems (GRÜNE) 91

Christian Loose (AfD) 92

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 93

Ergebnis. 94

13 Soziale Säule der Europäischen Union stärken

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2558. 94

Rüdiger Weiß (SPD) 94

Oliver Krauß (CDU) 95

Thomas Nückel (FDP) 96

Johannes Remmel (GRÜNE) 97

Sven Werner Tritschler (AfD) 98

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 99

Ergebnis. 100

14 Reiseland Nordrhein-Westfalen – Erfolgsgeschichte Tourismus fortschreiben

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2565. 100

Holger Müller (CDU) 100

Ralph Bombis (FDP) 101

Georg Fortmeier (SPD) 101

Horst Becker (GRÜNE) 102

Herbert Strotebeck (AfD) 103

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 105

Ergebnis. 106

15 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen – Änderungsgesetz BauGB-AG NRW –

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2566

erste Lesung. 106

Fabian Schrumpf (CDU) 106

Stephen Paul (FDP) 107

Sven Wolf (SPD) 108

Johannes Remmel (GRÜNE) 108

Roger Beckamp (AfD) 109

Ministerin Ina Scharrenbach. 109

Ergebnis. 109

16 Konsequenzen aus dem Apothekerskandal in Bottrop ziehen – Verunsicherte Patientinnen und Patienten nicht allein lassen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1443

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/2589

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2621. 110

Peter Preuß (CDU) 110

Heike Gebhard (SPD) 110

Susanne Schneider (FDP) 111

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 112

Dr. Martin Vincentz (AfD) 113

Minister Karl-Josef Laumann. 113

Ergebnis. 114

17 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Nordrhein-Westfalen

Vorlage 17/5

Und:

Stellungnahme der Landesregierung zum 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen

Vorlage 17/416

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 17/2525. 115

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 115

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD) 116

Alexander Brockmeier (FDP) 116

Verena Schäffer (GRÜNE) 117

Roger Beckamp (AfD) 119

Minister Herbert Reul 119

Ergebnis. 120

Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach        
(ab 14 Uhr)

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen      
(ab 17 Uhr)

Minister Herbert Reul    
(bis 14 Uhr)

Minister Dr. Joachim Stamp     
(ab 12 Uhr)

Angela Erwin (CDU)

Guido van den Berg (SPD)

Armin Jahl (SPD)

Prof. Dr. Karsten Rudolph (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)   
(ab 13 Uhr)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 27. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung weise ich darauf hin, dass die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestern gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung aus der Fragestunde heraus zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache zu dem Thema „Ministerpräsident Laschet muss dem Parlament gegenüber Stellung beziehen  – welche Kenntnis hatte die Staatskanzlei zum angeblichen Hacker-Angriff auf Ministerin a. D. Schulze Föcking?“ Drucksache 17/2641 beantragt haben.

Diese Aktuelle Stunde würde heute als Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen.

Mir liegen aber zwei Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Die erste Wortmeldung, die mich erreicht hat, war die von Herrn Kerkhoff; danach habe ich die Wortmeldung von Frau Philipp erhalten. Zunächst hat Herr Kerkhoff das Wort.

Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gestern in der Sitzung des Ältestenrates argumentiert, dass eine Aktuelle Stunde nach § 95 Satz 3 unserer Geschäftsordnung, die sich auf eine Mündliche Anfrage aus der Fragestunde bezieht, sich hinter den letzten Tagesordnungspunkt unserer vereinbarten Tagesordnung einreihen sollte, da § 95 Abs. 3 der Geschäftsordnung vorsieht, dass die Aussprache am übernächsten Sitzungstag stattfinden soll, spätestens aber am letzten Sitzungstag der Plenarwoche.

Da es in dieser Sitzungswoche keinen übernächsten Plenartag gibt, folgt für mich daraus, dass dann, wenn man logisch denkt, die Aussprache an das Ende der Tagesordnung des letzten Plenartages rückt. Das haben wir gestern im Ältestenrat mehrheitlich so beschlossen. So ist auch bei der letzten Anwendung dieser Norm entschieden worden. Das halte ich prinzipiell auch heute Vormittag noch für richtig.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat gestern all Ihre Fragen umfassend und detailliert beantwortet –

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Sehr einseitig, Herr Kollege!)

umfassend und detailliert.

(Zuruf von der SPD: Lesen Sie den „Pressespiegel“ von heute! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ihre Reaktion zeigt ja, dass es Ihnen nicht um Aufklärung, sondern um Klamauk geht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen, dass dieser große Klamauk möglichst viele Menschen erreicht und auf breite Resonanz stößt. Deshalb beantrage ich, die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde als neuen Tagesordnungspunkt 4 der heutigen Plenarsitzung zu behandeln. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kerkhoff. – Für die SPD erteile ich Frau Philipp das Wort.

Sarah Philipp (SPD):Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kerkhoff, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Als ich Ihnen gerade zugehört habe, habe ich gedacht – das haben die Reaktionen wohl auch gezeigt –: Wir können gestern nicht in der gleichen Fragestunde gewesen sein. – Ich glaube, das ist ganz eindeutig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben gestern in der Fragestunde der Landesregierung und insbesondere dem Ministerpräsidenten die Gelegenheit gegeben, Aufklärung zu leisten und vor allen Dingen auch Vertrauen zurückzugewinnen.

Der Ministerpräsident hat diese Fragen und diverse Zusatzfragen nicht selbst beantworten wollen und stattdessen Minister Lienenkämper beauftragt, dem Parlament Rede und Antwort zu stehen.

Nach der mehr als einstündigen Fragestunde sind für uns aber – und das unterscheidet Sie von uns – noch sehr viele Fragen offengeblieben:

(Zuruf von der SPD: Alle!)

Wer hat wann was gewusst? Auf welchen Tatsachen beruhten diese Erkenntnisse? Warum haben weder der Regierungssprecher noch Frau Ministerin a. D. Schulze Föcking oder der Ministerpräsident den Landtag und die Öffentlichkeit darüber informiert, dass es offenkundig gar keinen Hackerangriff gegeben hat?

Wir haben diese offenen Fragen zum Anlass genommen, auf Grundlage des sich daraus ergebenden allgemeinen aktuellen Interesses für den heutigen Tag eine Aktuelle Stunde zu beantragen.

Dieses allgemeine aktuelle Interesse an der von unseren Fraktionen formulierten Fragestellung wurde durch den Präsidenten des Landtages ebenfalls gesehen; denn er hat diese Aktuelle Stunde zugelassen.

Allerdings halten wir es dann für unbedingt erforderlich und vor allen Dingen auch für angemessen, eine Debatte, die offensichtlich von aktuellem allgemeinen Interesse ist, am Beginn und nicht am Ende eines Plenartages zu führen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU und der FDP)

– Das ist für Sie alles unangenehm. Aber das haben Sie sich gestern selbst eingebrockt. Das ist, glaube ich, auch klar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Um auf Ihren Vorschlag zu TOP 4 zurückzukommen: Es entspricht einer geübten jahrelangen Parlamentspraxis, dass Aktuelle Stunden immer zu Beginn eines Plenartages zu behandeln sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir beantragen daher nach § 20 Abs. 3 der Geschäftsordnung, die Aktuelle Stunde statt als letzten TOP 17 des heutigen Tages als neuen TOP 2 zu behandeln,

(Widerspruch von der CDU und der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: Wir haben doch schon eine Aktuelle Stunde!)

und damit als zweite Aktuelle Stunde des heutigen Tages, also direkt im Anschluss an die erste Aktuelle Stunde, die wir bereits Anfang der Woche festgelegt hatten, durchzuführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, in diesem Sinne werbe bei Ihnen für unseren Geschäftsordnungsantrag. Nutzen Sie gemeinsam mit uns die Chance im Sinne des allgemeinen Interesses, diesen Tagesordnungspunkt heute Morgen zu beraten, also da, wo er auch hingehört,

(Bodo Löttgen [CDU]: Das machen wir ja!)

damit der Ministerpräsident das verlorene Vertrauen zurückgewinnen kann. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Danke schön, Frau Philipp. – Für die Grünen hat Frau Schäffer das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass unser Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 vom Präsidenten aufgrund des allgemeinen aktuellen Interesses für zulässig erklärt worden ist, zeigt meines Erachtens, dass sehr wohl noch Fragen offengeblieben sind. Aus meiner Sicht hat der Landtagspräsident auch die richtige Schlussfolgerung gezogen, gemäß der Geschäftsordnung zu entscheiden, dass diese Aktuelle Stunde zulässig ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn man über die Aktualität des Themas reden will, ist es aus meiner Sicht zwingend, dass wir das heute Morgen tun, als neuer Tagesordnungspunkt 2. Denn ich will noch einmal daran erinnern, dass wir ja nicht ohne Grund Aktuelle Stunden immer zu Beginn der Tagesordnung diskutieren und nicht irgendwann mittags oder abends.

(Zuruf von der FDP)

Insofern ist es aus unserer Sicht nur logisch, Herr Kerkhoff, dass wir diese neue Aktuelle Stunde nach der Aktuellen Stunde der AfD als neuen Tagesordnungspunkt 2 diskutieren.

Herr Kerkhoff, Sie argumentieren, nach der Geschäftsordnung solle man erst am übernächsten Tag diskutieren. Dieses Argument zieht meines Erachtens nicht.

Denn erstens handelt es sich dabei um keine Muss-Regelung; vielmehr ist in der Geschäftsordnung geregelt, dass die Debatte in der Regel am übernächsten Tag stattfinden soll.

Wenn das Ihre Logik ist, folgere ich zweitens daraus, dass wir in Zukunft nicht mehr nur an zwei Tagen Plenum haben werden, sondern immer an drei Tagen, auch wenn der Bundesrat tagt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dann können wir auf den dritten Tag nicht mehr verzichten.

Ich stelle drittens fest, dass Herr Laschet offenbar einen zeitlichen Vorlauf braucht, um diese Aktuelle Stunde vorzubereiten, und einfache Fragen, die auf der Hand liegen, zu beantworten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Weil gestern im Ältestenrat seitens der Fraktionen von CDU und FDP auf einen angeblichen Präzedenzfall aus dem Jahr 2007 verwiesen wurde, mache ich das jetzt auch. Im Jahr 2007 haben wir als grüne Fraktion eine Aktuelle Stunde beantragt, die auch für zulässig erklärt worden ist. Sie wurde am nächsten Tag von der Landtagspräsidentin van Dinther auf Tagesordnungspunkt 2 gesetzt. Herr Biesenbach hat dann für die CDU-Fraktion den Antrag gestellt und dafür gesorgt, dass diese Debatte in der Tagesordnung nach hinten gesetzt wurde.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wiederholungstäter!)

Das war insofern auch ein Präzedenzfall, der noch einmal zeigt, dass CDU und FDP offenbar nicht gewillt sind, diese Debatte hier zu führen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das war 2007 so, und das ist im Jahr 2018 so. Deshalb bleiben wir bei unserem Antrag, die Debatte unter Tagesordnungspunkt 2 zu führen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Ich habe zwei weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vorliegen. Zunächst hat für die AfD Herr Abgeordneter Wagner das Wort. Danach spricht für die FDP Herr Abgeordneter Höne.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern nach der Plenardebatte in einer Sitzung des Ältestenrates zusammengesessen und uns darüber unterhalten, auf welchen Tagesordnungspunkt die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde gesetzt wird. Und was haben Sie gemacht? Sie sind nach dem Motto „Hopplahopp, jetzt kommen wir; wir haben eine Aktuelle Stunde beantragt; das ist das Wichtigste, was es überhaupt gibt; dahinter hat alles andere zurückzustehen!“ hereingekommen und haben gesagt: Wir fordern, dass diese Aktuelle Stunde auf Tagesordnungspunkt 1 gesetzt wird und die dort bereits geplante Aktuelle Stunde zurückzustehen hat.

(Helmut Seifen [AfD]: Unerhört!)

Sie haben es versemmelt, meine Damen und Herren! Hätten Sie gestern bereits die Erkenntnis gewonnen, dass Sie Ihre Aktuelle Stunde auf Position 2 der Tagesordnung haben wollen, hätten wir dem selbstverständlich zugestimmt. Jetzt sage ich Ihnen: Seien Sie doch froh, dass die Regierungsfaktionen Ihnen Platz 4 noch zugestehen,

(Beifall von der AfD – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

nachdem Sie gestern alles versemmelt haben, was man nur versemmeln konnte. – Danke.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Herr Abgeordneter Höne hat das Wort.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Aufrechterhaltung des Antrags von SPD und Grünen auf TOP 2, nachdem gestern Abend nur TOP 1 diskutabel und alles andere indiskutabel war, streiten Sie jetzt mit uns um 60 Minuten im Tagesablauf – und mit dieser GO-Debatte übrigens mit jedem Wortbeitrag noch um die eine oder andere Minute mehr.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da drängen sich zwei Fragen auf: Erstens. Wie groß ist eigentlich Ihr ernsthaftes Aufklärungsinteresse?

(Beifall von der FDP und der CDU – Stefan Kämmerling [SPD]: Größer als Ihres!)

Zweitens. Ab wann wollen Sie sich eigentlich wieder an der Lösung der echten Probleme in diesem Land beteiligen, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall von der FDP, der CDU und der AfD)

Wir erhalten unseren Antrag, die Aktuelle Stunde unter Tagesordnungspunkt 4 durchzuführen, aufrecht und werben herzlich um Zustimmung. – Vielen Dank.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Höne. – Ich darf feststellen, dass somit zwei Anträge vorliegen: erstens der Antrag der SPD und der Grünen, dass wir diese Aktuelle Stunde nicht als Tagesordnungspunkt 17, sondern als Tagesordnungspunkt 2 behandeln, und zweitens der Antrag der CDU, der FDP und der AfD, sie als Tagesordnungspunkt 4 zu behandeln.

Ich lasse über beide Anträge abstimmen, und zwar zunächst über den weitergehenden Antrag. Der weitergehende Antrag ist, die Aktuelle Stunde auf TOP 2 zu setzen. Daher lasse ich zunächst über den Antrag von SPD und Grünen abstimmen, sie auf Tagesordnungspunkt 2 vorzuziehen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – Das sind CDU, FDP und AfD. Wer enthält sich? – Der fraktionslose Abgeordnete Herr Neppe und die anderen beiden fraktionslosen Abgeordneten enthalten sich. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich lasse nun über den Antrag der CDU auf Vorverlegung der Aktuellen Stunde auf Tagesordnungspunkt 4 abstimmen. Wer dem folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP, AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der SPD und der Grünen ist das einstimmig beschlossen. Wir werden diese Aktuelle Stunde somit als Tagesordnungspunkt 4 – neu – behandeln. Alles Weitere verzögert sich dementsprechend.

Meine Damen und Herren, im Nachgang zu Tagesordnungspunkt 1 der gestrigen Sitzung muss ich noch zwei Rügen aussprechen.

Die erste Rüge betrifft den Herrn Abgeordneten Michael Hübner von der SPD-Fraktion.

(Zurufe von der SPD: Hey!)

Herr Hübner hat sich während seines Redebeitrags zu Tagesordnungspunkt 1 unparlamentarisch verhalten, indem er in der Sitzung Kritik am Präsidium geäußert hat.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die verwendete Formulierung werde ich nicht wiederholen. So ist es auch in der Geschäftsordnung vorgegeben. Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen. Der richtige Ort, solche Dinge anzusprechen, ist der Ältestenrat. Daher ermahne ich Sie, Herr Kollege, und bitte Sie, derartige Äußerungen zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Ebenfalls im Nachgang zu TOP 1 der gestrigen Sitzung, der Aktuellen Stunde zur DSGVO, spreche ich eine weitere nicht förmliche Rüge aus. Sie betrifft Herrn Abgeordneten Tritschler von der AfD-Fraktion. Herr Tritschler hat sich während seines Redebeitrags mit einer Äußerung gegenüber den Mitgliedern der Fraktionen unparlamentarisch verhalten. Die verwendete Formulierung werde ich nicht wiederholen, weil es in der Geschäftsordnung so vorgegeben ist. Herr Kollege Tritschler, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie mit anderen Ordnungsmaßnahmen rechnen.

Meine Damen und Herren, damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Armin Laschet erklärt ausgerechnet bei der Eröffnung der Aachener DITIB-Großmoschee, der Islam würde zu NRW gehören – Ist der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens ein Erfüllungsgehilfe des türkisch-nationalistischen Islams?

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2605

Die Fraktion der AfD hat mit Schreiben vom 14. Mai 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Wagner das Wort. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es um eine ganz wesentliche Schicksalsfrage unseres Landes – eine Schicksalsfrage, bei der wir als AfD zusammen mit der Mehrheit der Deutschen gegen die gesamte politische Klasse in diesem Hause stehen.

Ministerpräsident Armin Laschet sagt, der Islam gehöre zu Nordrhein-Westfalen, der Islam gehöre angeblich zu Deutschland. Herr Laschet, damit spalten Sie unser Land.

(Beifall von der AfD)

Damit verraten Sie die Geschichte unserer Eltern und Urgroßeltern und – das ist das Schlimmste – versündigen sich an der Zukunft unserer Kinder und Enkel.

(Beifall von der AfD)

Armin Laschet ist – das muss man bei den inhaltlichen Positionen dieses Mannes explizit erwähnen – Mitglied der CDU – einer Partei, die er und seine Freundin Frau Merkel mittlerweile derart programmatisch entkernt haben, dass sie außer für Machterhalt für gar nichts mehr steht, was der Bürger einstmals mit dem Begriff CDU verbinden konnte.

Stellen Sie sich nur einmal Adenauer, Seebohm, Strauß oder auch nur Wolfgang Bosbach vor, die sich das anhören müssten. Mindestens die ersten drei hätten Herrn Laschet vom Hof gejagt, und Letzterer würde es wahrscheinlich am liebsten tun.

Die letzten Restbestände dessen, was einmal CDU war, finden bei Ihnen nur noch überhebliche Verachtung. Ein CDU-naher Unternehmer fragte mich tatsächlich, ob Sie noch ganz bei Trost seien. In Anlehnung an eine alte englische Fernsehserie antwortete ich ihm: Es bleibt Ihnen unbenommen, das so zu sehen; aber ich kann das unmöglich kommentieren.

Ich möchte deshalb für einen Moment stellvertretend Ihren Hamburger Parteifreund, den Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries, zitieren. Er schreibt in einem Artikel in der „WELT“ von gestern Folgendes:

„Kaum eine Woche vergeht ohne Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Ein wenig verspätet wollte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) diese Frage auch für Nordrhein-Westfalen beantworten und hofierte mit seiner Teilnahme an der Eröffnung der Yunus-Emre-Moschee in Aachen ausgerechnet die türkisch-islamische DITIB-Gemeinde, die als verlängerter Arm Erdogans regelmäßig in der Kritik steht.

Aber wie kann ein Islam zu Deutschland gehören,“

– so fragt de Vries; wie die AfD übrigens auch und die Mehrheit der Deutschen –,

„in dem fundamentalistische Haltungen, die mit den Grundprinzipien einer modernen, freiheitlichen Gesellschaft unvereinbar sind, unter Muslimen weit verbreitet sind?

Studien des Exzellenzclusters ,Religion und Politik‘ der Westfälischen Wilhelms-Universität … zufolge betrachtet fast jeder zweite Türkeistämmige die Befolgung der Gebote des Korans für wichtiger als unsere Gesetze, und knapp jeder Vierte meint, dass Muslime einer Frau nicht die Hand schütteln sollten.

Mehr als ein Drittel der Muslime in Deutschland ist für ein Verbot von Homosexualität, und rund 30 Prozent können sich gut vorstellen, selbst für den Islam zu kämpfen und ihr Leben zu riskieren. Wollen diese Menschen überhaupt zu Deutschland gehören?“

Nein, kann ich auf diese rhetorische Frage von de Vries nur antworten. Nein, sie wollen nicht, und nein, sie sollen es auch nicht. Es gibt kein islamisches Land, in welchem es besser ist als hier. Im Gegenteil: Warum kommen denn so viele Menschen aus muslimischen Ländern am liebsten zu uns? Eben weil es hier besser ist.

Das gebe ich nicht auf. Das geben wir als AfD nicht auf. Das will die Mehrheit der Deutschen eben auch nicht aufgeben.

(Beifall von der AfD)

Für eine kleine, politisch korrekte Klasse aus Parteifunktionären der alten Parteien und Journalisten in den staatsnahen Medien mag es ja infrage kommen oder sogar wünschenswert sein, Deutschland aufzulösen und abzuschaffen. Für uns als AfD kommt das nicht infrage. Wir möchten Deutschland unseren Kindern und Enkeln erhalten.

(Beifall von der AfD)

Machen wir noch ein bisschen weiter mit Ihrem CDU-Freund de Vries. Ich zitiere ihn:

„All dies hat Armin Laschet im Liebesüberschwang bei der Moschee-Einweihung wohl übersehen. Ebenso große Gefühle bestimmten die Rede des Aachener Oberbürgermeisters Marcel Philipp (CDU), der die Moschee als ein Symbol für das tolerante und friedliche Miteinander in der multikulturellen Stadt Aachen verstanden wissen wollte.

Dabei wurde offenbar vergessen, dass die DITIB als Islamverband eben nicht für Miteinander und Toleranz steht, sondern für Nationalismus, Kriegsverherrlichung, Hetze gegen Christen und Juden und das Ausspionieren der eigenen Glaubensbrüder.“

Hören Sie Ihrem Parteifreund weiter gut zu, Herr Laschet! Er sagt:

„Ganz sicher gehört der politische Islam nicht zu Deutschland, ein Islam, dessen Ziel es ist, die Gesellschaft in Richtung eines Gottesstaates zu ändern und andere Glaubensrichtungen nicht anzuerkennen. Insofern habe ich mich schon gefragt,“

– sagt Herr de Vries –,

„warum Armin Laschet gerade bei der Einweihung einer DITIB-Moschee, an der er aus meiner Sicht besser nicht einmal teilgenommen hätte, die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland betonen musste.“

Recht hat er. Dass Sie, Herr Ministerpräsident, Ihre Islam-Anbiederei noch dazu ausgerechnet in einer DITIB-Großmoschee absondern, ist wirklich skandalös. Sie machen sich mit den Erdogan-hörigen Hetzern gemein, nur um sich selbst an Ihrem eigenen Geschwafel – anders kann ich es wirklich nicht mehr nennen – von der angeblich so bunten Vielfalt zu berauschen.

(Zuruf: Unglaublich!)

Auf Kosten unseres Landes wollen Sie ein Gutmensch und Islamfreund sein. Herr Laschet, die Menschen in diesem Land lehnen das ab. Christoph de Vries hat völlig Recht, wenn er sagt:

„Die heutige Zeit kann nicht an den Islam angepasst werden. Der Islam muss sich an die heutige Zeit anpassen.“

(Beifall von der AfD – Zuruf: Sie aber auch!)

Ich füge hinzu: Nicht wir müssen uns dem Islam anpassen. Die Menschen, die zu uns kommen, müssen sich uns anpassen, oder sie müssen eben wieder gehen.

(Beifall von der AfD)

Der Teil der hier gut integrierten und assimilierten Menschen mit muslimischem Hintergrund gehört natürlich zu uns. Das ist keine Frage. Viele von ihnen wählen ja genau deshalb die AfD, weil sie tagtäglich mit den problematischen Auswirkungen des Islams zu tun haben.

(Beifall von der AfD)

Keiner will ihnen das Recht auf die freie Ausübung der Religion nehmen. Aber der intolerante, unaufgeklärte, kritikunfähige und frauenfeindliche Islam wird niemals zu Deutschland gehören können.

(Beifall von der AfD)

Armin Laschet hat mit seiner Geste gegenüber der DITIB auch die mutigen Vertreter, die für einen aufgeklärten, liberalen Islam stehen und dafür regelmäßig angefeindet werden, vor den Kopf gestoßen und große Enttäuschung bei ihnen hervorgerufen. Er spaltet die Gesellschaft. Schlimmer noch: Er gibt unsere von Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägte Ordnung preis und will, dass eine Religion zu uns gehört, die zu Saudi-Arabien gehören mag, aber nicht zu Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Die Bürger haben jetzt also die Wahl. Wer der Meinung ist, der Islam gehöre zu Deutschland, der kann CDU, SPD, Grüne und FDP wählen. Wer aber der Meinung ist, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, der hat nur eine Wahl, nämlich die AfD. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Blondin das Wort.

Marc Blondin*) (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!

Toleranz, Respekt, Vertrauen, Miteinander und Integration – das sind die Werte, für die die demokratischen Parteien in unserem Land stehen.

Das sind die Inhalte der Rede unseres Ministerpräsidenten Armin Laschet anlässlich der Eröffnung der Yunus-Emre-Moschee in Aachen. Dafür bin ich Ihnen ausdrücklich dankbar, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der CDU)

Deshalb sage ich: Gerade hier im Parlament, hier im Landtag Nordrhein-Westfalen, müssen die Demokraten zusammenstehen und ein Zeichen setzen für Toleranz, für das Miteinander der Religionen, für Integration von Menschen, die in unserem Land eine Heimat gefunden haben.

(Zuruf von der AfD: Dafür stehen Sie doch gar nicht!)

Ich sage aber auch ganz klar: Wer Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren in einem Gotteshaus in Militäruniform mit Maschinengewehren zu Kommandos auf imaginäre Feinde zielen lässt, eine Beerdigung unter einer Flagge inszeniert und so Krieg, Gewalt und Tod als nachahmens- und ehrenwert darstellt, der verlässt den Freiraum der Glaubens- und Religionsfreiheit

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

und begibt sich in den Bereich der Kindeswohlgefährdung.

Für die Christdemokraten im NRW-Landtag sind die Bilder, die wir aus den DITIB-Moscheen in Herford und Mönchengladbach gesehen haben, völlig indiskutabel und gerade aus integrationspolitischer Perspektive in keinster Weise zu akzeptieren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion missbilligen das Verhalten derjenigen, die die Kinder zu diesen Aktionen bewegt und angestiftet haben.

(Zuruf von der AfD: Immerhin!)

Doch ebenso begrüßen wir, dass der DITIB-Landesverband NRW sich von den Militärschauspielen mit Kindern eindeutig distanziert hat und diese ebenfalls scharf kritisiert.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD)

Der DITIB-Landesverband ist aufgefordert, die Vorfälle auf das Genaueste zu überprüfen und Konsequenzen in den lokalen DITIB-Gemeinden durchzusetzen.

Eines muss man an dieser Stelle festhalten: Zwar ist DITIB die größte Moscheevereinigung, die wir in Deutschland haben. Doch der überwiegende Teil der in Deutschland und NRW lebenden Muslime ist unabhängig von DITIB und den anderen großen Vereinigungen. Ich denke, die demokratischen Parteien sind sich darin einig, dass bei jeder politischen Diskussion, die sich mit dem Islam befasst, ein differenzierter Blick sowohl auf die gesamte muslimische Gemeinde als auch auf DITIB an sich erforderlich ist.

Dass dann eine Partei, deren Spitzenpersonal mit einem völlig pietätlosen Tweet die Amokfahrt von Münster Flüchtlingen zuschieben wollte, um Bürgerinnen und Bürger gegen diese aufzuhetzen, oder Multikulturalismus in ihrem Grundsatzprogramm – ich zitiere – „als importierte kulturelle Störung auf geschichtsblinde Weise“ bezeichnet, von einer Differenzierung beim Thema „Islam und Muslime“ überhaupt nichts hält, wundert mich so wenig wie die Tatsache, dass nachts die Sonne scheint, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Stattdessen wird zum x-ten Mal versucht, eine Debatte ins Leben zu rufen, die sich vor dem Hintergrund der Geschichte unseres Bundeslandes jeglicher Berechtigung entzieht und lediglich darauf abzielt, das Miteinander verschiedener Kulturen zu beschädigen. Das ist natürlich ganz im Sinne der Interessen der AfD, die ja davon lebt, immer wieder aufs Neue Ängste vor dem Verlust der deutschen Identität zu schüren, und gegen Muslima und Moslems hetzt.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

– Nun regen Sie sich doch nicht so auf!

(Zuruf von der SPD: Hören Sie auch dieses Brummen aus der rechten Ecke?)

Herr Kollege, ich sage es einmal mit den Sätzen eines von mir hoch geschätzten und leider viel zu früh gestorbenen Kollegen aus der Krefelder SPD, Uli Hahnen. Er hat gesagt: Erst der Kopf, dann der Kehlkopf.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Für die CDU-Landtagsfraktion ist klar, dass es keine Pauschalverurteilungen geben darf und eine differenzierte Betrachtung notwendig ist.

Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass die Muslime die betreffende neue Moschee in Aachen als „Haus für alle Aachener“ vorstellen. Wenn wir als Land NRW nicht von Beginn an für Dialog offen sind und dies etwa durch den Besuch bei einer Eröffnungszeremonie einer unbedenklichen DITIB-Gemeinde zeigen, wie es der Ministerpräsident zu Recht getan hat, können die muslimischen Gemeinden, die mit türkischer Unterstützung aufgebaut wurden, nicht dauerhaft zu deutschen Institutionen werden, die unabhängig vom Ausland sind.

Das ist insbesondere wichtig, wenn wir über eine Eröffnungszeremonie sprechen, bei der Vertreter verschiedenster Glaubensgemeinschaften gemeinsam und friedlich zusammen sind. Wie sollen wir DITIB sonst klarmachen, dass wir von ihnen erwarten, dass sie für eine strikte Trennung der politischen Angelegenheiten und kriegerischen Auseinandersetzungen von der religiösen Seelsorge einzutreten haben?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, NRW ist und bleibt ein weltoffenes und vielseitiges Land,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

in dem jedem die Möglichkeit gegeben wird, seine Religion unter Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auszuüben. Dafür stehen wir ein.

(Beifall von der CDU)

Rassismus, Nationalismus, Verherrlichung von Gewalt, Hetze und Hass, egal aus welcher Richtung, werden hier nicht toleriert, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu diesem wichtigen Thema.

Aber eines muss ich noch loswerden, meine Kolleginnen und Kollegen der AfD: Sie einen nicht – Sie spalten. Sie zündeln hier und zündeln da.

(Markus Wagner [AfD]: Wir sind das Produkt Ihrer Spaltung!)

– Nein.

(Markus Wagner [AfD]: Wir sind das Produkt Ihrer Spaltung! Sie verwechseln Ursache und Wirkung, Herr Kollege!)

– Lassen Sie mich ausreden. – Sie machen das bei Ausländern. Sie machen das bei sozial Schwächeren in der Gesellschaft. Mit Ihrer billigen Strategie gefährden Sie die innere Einheit unseres Landes.

(Markus Wagner [AfD]: Wir sind das Produkt Ihrer Gesellschaft! Genauso ist es!)

Mit Ihrer billigen Strategie sorgen Sie dafür, dass die Menschen unterschiedlicher Kulturen nicht friedlich zusammenleben können.

(Lebhafter Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wie gesagt, Herr Kollege: Zuerst der Kopf, dann der Kehlkopf.

(Markus Wagner [AfD]: Das müssen Sie sich einmal zu Herzen nehmen!)

Ich sage Ihnen noch eines: Zum Wohle unseres Landes Nordrhein-Westfalen – hören Sie damit auf!

(Markus Wagner [AfD]: Im Gegenteil!)

Danke schön.

(Lebhafter Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die SPD erteile ich dem Abgeordnetenkollegen Yetim das Wort.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es geht hier bei diesem Antrag um den schlecht getarnten Versuch, Bürgerinnen und Bürgern Nordrhein-Westfalens das Grundrecht auf die Glaubensfreiheit abzusprechen. Das ist nicht nur schäbig und bösartig; es ist vor allem zutiefst unpatriotisch.

(Nic Peter Vogel [AfD]: Oh, jetzt kommt der Patriotismus!)

Dieser Antrag richtet sich gegen die Werte unseres Landes. Wer Menschen ihrer Rechte berauben will, der will ihnen auch ihre Heimat nehmen. Aber die Mehrheit von mehr als 1 Million Menschen muslimischen Glaubens ist ein Teil Nordrhein-Westfalens und wird das auch bleiben.

Der Ministerpräsident war bei der Einweihung einer Moschee. Er hat damit ein Zeichen des Zusammenhalts und des Respekts gesetzt. Er ist der Ministerpräsident aller Menschen in Nordrhein-Westfalen – egal welchen Glaubens oder auch dann, wenn sie nicht glauben.

Herr Ministerpräsident, für den Besuch dieser Moschee haben Sie – genauso wie für den Besuch einer Synagoge oder auch des Katholikentages – die volle Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion; denn diese Geste verstehen wir als Geste an die Gläubigen und nicht als Geste an einen Verband. Deswegen haben Sie da unsere volle Unterstützung.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, ich will darauf hinweisen, dass wir natürlich zwischen dem Islam und der DITIB unterscheiden müssen. Der DITIB-Verband ist nicht der Islam. Es gibt im Islam ganz viele unterschiedliche Prägungen und Glaubensrichtungen. Die Gleichsetzung, die Sie vornehmen, unterschlägt das komplett. Deswegen ist dieser Antrag ein ganz billiger und sehr deutlicher Versuch, Menschen auseinanderzudividieren und sie zu spalten.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Es stimmt natürlich, dass der Einfluss der Türkei auf den DITIB-Verband sehr groß ist. Er ist viel zu groß. Ich erinnere an die Spitzelaffäre um die Imame, die wir hatten. Die SPD-geführte Landesregierung hat damals die Zusammenarbeit mit DITIB ausgesetzt. Die jetzige Landesregierung hat das weiter fortgeführt. Das ist auch gut so. Wir hatten damals gehofft, dass sich DITIB bzw. die Gemeinden davon lösen würden. Das ist leider noch nicht gelungen.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Ich bin sehr optimistisch, dass die reformorientierten Gemeinden weiter daran arbeiten werden. Aber durch die letzten Ereignisse – Herr Blondin hat die widerlichen Kriegsverherrlichungen in vielen DITIB-Moscheegemeinden, zum Beispiel in Herford und Duisburg, schon angesprochen – wird auch wieder sehr deutlich, dass diese Reformen noch nicht losgetreten wurden, dass sie noch nicht gegriffen haben und dass es noch nicht solche Loslösungsversuche gibt, wie wir sie uns erhoffen. Denn diese Kriegspropaganda in Form dieser Inszenierung ist absolut inakzeptabel.

(Beifall von der SPD)

Wenn sich der DITIB-Verband jetzt nicht langsam von der Türkei löst und nicht klar das Signal aussendet, dass er kein Anhängsel der türkischen Regierung ist, muss Nordrhein-Westfalen an dieser Stelle die Konsequenzen ziehen.

Es ist sehr richtig und sehr wichtig, Kolleginnen und Kollegen, dass der Ministerpräsident dieses Landes das sagt, was inzwischen eigentlich selbstverständlich sein sollte. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Wagner, es gerade beschrieben haben, dass eine Mehrheit gegen den Islam wäre. Das ist absolut an den Haaren herbeigezogen.

(Beifall von der SPD – Markus Wagner [AfD]: Das habe ich gar nicht gesagt!)

Sie zitieren immer nur Studien und Analysen, die Ihnen gerade passen. Der Islam gehört seit vielen Jahren zu Deutschland. Es ist genau so, wie es Wolfgang Schäuble bereits 2006, der damalige Bundespräsident Wulff im Jahr 2010 und die Bundeskanzlerin in 2015 sehr deutlich gesagt haben.

Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen. Mehr als 1 Million Menschen muslimischen Glaubens, die hier ihre Heimat haben, gehören zu Nordrhein-Westfalen. Genauso gehört auch der Islam dazu. Sie gehören zu uns.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

– Herr Wagner, dieses Land Nordrhein-Westfalen ist auch ihr Land und damit auch ihre Heimat; denn diese Menschen haben Nordrhein-Westfalen mitgeprägt – mehr, als Sie dieses Land geprägt haben. Das sage ich einmal sehr deutlich.

(Beifall von der SPD)

Diese Menschen haben etwas geschaffen, an dem Sie scheitern werden. Sie haben es nämlich geschafft, dass wir in Nordrhein-Westfalen über viele Jahrzehnte hinweg eine solidarische Tradition entwickelt haben. Das haben sie geschafft, indem sie im Bergbau und in der Stahlindustrie zusammen malocht haben. Dort war es überhaupt keine Frage, welche Religion jemand hat. Da ging es darum, dass man zusammenhält und sich aufeinander verlassen kann. Darum ging es.

Das hat die solidarische Tradition in Nordrhein-Westfalen geschaffen. Darauf kann man, glaube ich, sehr stolz sein.

(Beifall von der SPD)

Sie werden es nicht schaffen, diese solidarische Tradition zu zerstören.

Ich will das einmal an einem Beispiel deutlich machen. Im Bergbau – und ich war Bergmann – war es damals so, dass wir uns aufeinander verlassen mussten – insbesondere dann, wenn es Futtsack gab. Da haben wir uns nie Gedanken darüber gemacht, wer welcher Religion angehört.

(Zuruf von der AfD)

– Hören Sie mir zu! – Vielmehr ging es darum, dass wir Meter machen und das Problem lösen. Da haben wir nicht gefragt, wer woher kommt.

Das Stichwort „Futtsack“ ist sehr schön. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie sind ein Futtsack der Geschichte Nordrhein-Westfalens.

(Beifall von der SPD)

Sie sind ein Problem, das dieses Land mit seiner solidarischen Tradition beheben wird. Da bin ich ganz sicher.

Sie haben damit – das wissen wir – ein Problem. In Art. 4 des Grundgesetzes steht:

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

Dieser Artikel gilt auch für Sie.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Sie sollten ihn sich einfach noch einmal anschauen. Ich gebe Ihnen auch einen Tipp: Bei der Bundeszentrale für politische Bildung bekommen Sie das Grundgesetz kostenlos. Schauen Sie hinein! Ich glaube zwar nicht, dass es bei Ihnen helfen wird – aber vielleicht doch. Zumindest die Hoffnung habe ich. Ich verliere die Hoffnung nicht so schnell.

Ich befürchte aber, dass das bei Ihnen nicht viel ändern wird. Denn wenn Sie zum Grundgesetz stünden und es auch leben würden, wäre Ihr Scheitern vorprogrammiert. Dann wäre Ihr Ziel, die Gesellschaft in Muslime und Nichtmuslime zu spalten, verpufft. Und das ist Ihr alleiniges Ziel.

(Zuruf von der AfD: Die Spaltung der Gesellschaft geht auf das Konto Ihrer Partei!)

Das wird Ihnen nicht gelingen, weil die Menschen in Nordrhein-Westfalen stolz auf ihre solidarische Tradition sind. Sie sind auch stolz auf ihre liberale Lebensweise, die über viele Jahrzehnte hinweg geprägt wurde.

Kollegen von der AfD, wir haben in Nordrhein-Westfalen gelernt und wissen auch: Was Menschen unterscheidet, muss sie noch lange nicht trennen. – Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Für die FDP spricht nun Herr Kollege Paul zu uns.

Stephen Paul*) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist der durchschaubare Versuch, das problematische Verhalten des türkischen Staates unter Herrn Erdogan und seine Einflussnahme auf DITIB zu einer Debatte über die Rolle des Islams in Deutschland und die Zugehörigkeit von Musliminnen und Muslimen zu unserer Gesellschaft umzufunktionieren – einer Debatte, die geeignet ist, diese Gesellschaft zu spalten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herrn Wagner, der unser Land in den unbestritten besten Jahren seiner jahrhundertelangen Geschichte vor der Auflösung sieht, möchte man etwas mehr kulturelles Selbstbewusstsein, etwas mehr deutschen Mut zusprechen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber es ist doch auch klar: Würde die AfD sich mäßigen und in ihrem Auftritt nicht mehr so radikal sein, hätte sie bei den meisten ihrer rechtsgerichteten Wähler gar keine Chance mehr.

(Roger Beckamp [AfD]: Die wollen Sie wohl wieder zurückhaben!)

Für uns Freie Demokraten ist ganz klar: Wir stehen gegen jede radikale, demokratiefeindliche Weltanschauung.

(Beifall von der FDP – Roger Beckamp [AfD]: Wir auch!)

Dazu gehört der islamistisch geprägte türkische Nationalismus des autoritären Präsidenten Erdogan und seiner Regierungspartei.

Wie ist denn die Lage bei uns im Land Nordrhein-Westfalen? Knapp 8 % aller Menschen in Nordrhein-Westfalen sind muslimischen Glaubens. Gegenüber diesen Menschen haben wir als Landtag, als Volksvertretung, eine Verantwortung – wie gegenüber allen anderen hier lebenden Menschen auch. Sie sind genauso unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Muslime müssen hier in Sicherheit leben und im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der hier geltenden Gesetze ihren Glauben ausüben dürfen.

Glücklicherweise sind wir ein freies Land, in dem jeder selbst entscheiden kann, ob er in eine Kirche, eine Moschee, eine Synagoge, ein anderes oder auch gar kein Gotteshaus gehen will.

Beim Dialog mit der muslimischen Gemeinschaft stellt uns der Umgang mit DITIB natürlich vor einige Fragen. Das gilt nicht nur für die Einflussnahme der türkischen Religionsbehörde Diyanet auf die Verbandsstrukturen der DITIB. Wir mussten Vorfälle wie die Bespitzelung durch die von der Türkei entsandten Imame oder die Instrumentalisierung von Kindern für militaristisch-propagandistische Zwecke zur Kenntnis nehmen. Dies haben die Landesregierung und insbesondere unser Integrationsminister Dr. Joachim Stamp umgehend und ganz klar verurteilt.

Wir alle kennen auch die Bilder vom April dieses Jahres aus den Räumen des Moscheevereins in meiner Heimatstadt Herford – ähnliche Bilder erreichen uns auch aus anderen Städten wie Mönchengladbach –: Kleine Kinder in militärischen Kampfanzügen hielten Waffen in der Hand, die täuschend echt aussahen; sie marschierten herum und riefen Befehle.

Solche Kriegspropaganda mit ihren martialischen Darstellungen passt in die Linie der Erdogan-Regierung in der Türkei, hat aber auf deutschem Boden sicher nichts verloren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Zusammenhang mit dem Waffengang in Syrien und den andauernden Versuchen des türkischen Präsidenten, Einfluss auf Europa und die hier lebenden Landsleute zu nehmen, haben die Vorfälle in Herford und Mönchengladbach auch einen ganz schalen Beigeschmack.

Überhaupt muss sich DITIB selbstverständlich entscheiden, ob sie in unserem Land eine von der türkischen Regierung abhängige Vereinigung oder eine anerkannte Religionsgemeinschaft sein will. Die Finanzierung der DITIB-Imame aus der Türkei steht einer gesellschaftlichen Anerkennung hierzulande im Wege – ohne Zweifel.

Das Gleiche gilt für die Vermengung religiöser und kultureller Aktivitäten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Glaube und türkisch-nationalistische Folklore – beides zusammen geht hier nicht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Wenn ich die kleinen Kinder sehe, die in den Räumen des Herforder Moscheevereins in Kampfanzügen gesteckt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass DITIB, solange sie sich nicht vom türkischen Staat gelöst hat, Einfluss auf den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen bekommen darf. Im Augenblick ruht ja auch das entsprechende Mandat im Beirat.

Wir Freien Demokraten fordern von DITIB und hier gerade vom Landesverband in Nordrhein-Westfalen ein eindeutiges Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eine Loslösung vom direkten Einfluss staatlicher Institutionen in der Türkei. Die DITIB muss sich in erster Linie als deutsche Institution verstehen und auch danach handeln. Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden.

Wir dürfen aber nicht alle Gemeindemitglieder der DITIB unter Generalverdacht stellen. Die DITIB hat in rund 300 Moscheegemeinden in Nordrhein-Westfalen für mehrere Hunderttausend Musliminnen und Muslime religiöse Arbeit geleistet und soziale Dienste angeboten, die wir unabhängig von den Verbandsstrukturen respektieren und auch schätzen. Wir unterstützen gerne reformwillige Gemeinden – wie zum Beispiel in Duisburg –, die für eine Ablösung von der türkischen Religionsbehörde eintreten.

Schauen wir uns gemeinsam den Besuch unseres Ministerpräsidenten in Aachen und die Hintergründe dazu an. Der Besuch von Armin Laschet bei der Eröffnung der Aachener Moschee steht für den Dialog unserer Landesregierung mit den einzelnen Moscheegemeinden und zeugt von Respekt gegenüber dem Einsatz der Basis der Gemeindemitglieder.

Unsere NRW-Koalition setzt sich für ein gutes Zusammenleben aller Religionen in Nordrhein-Westfalen ein. Sie respektiert auch die unterschiedlichen religiösen Feiern. Dazu zählt auch ein würdiger Umgang mit der Ausübung des jeweiligen Bekenntnisses. Eine umgebaute Tankstelle wie früher in Aachen ist das wohl eher nicht.

Der Besuch des Ministerpräsidenten bedeutet sicher keine Unterstützung der Strukturen von DITIB oder Diyanet in Nordrhein-Westfalen und deren ideologischen Vorgaben. Für uns stellen der konstruktive Austausch mit einzelnen Moscheegemeinden wie auch der kritische Umgang mit den Verbänden zwei Seiten ein und derselben Medaille dar.

Wir wollen dabei im Gespräch bleiben. Unsere Politik setzt auf Dialog und eben nicht auf Spaltung. Wir wollen, dass Menschen muslimischen Glaubens sich hier heimisch fühlen, unser Land als ihre Heimat ansehen und sich so auch besser in Nordrhein-Westfalen integrieren können.

Denken Sie einmal darüber nach. Wer ausgrenzt, der wird nur jene stärken, die Erdogan als ihren Präsidenten bezeichnen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen hat nun Frau Abgeordnetenkollegin Aymaz das Wort.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Religionsfreiheit ist ein Fundament unserer freiheitlichen Verfassung. Sie erlaubt jedem Menschen, die persönliche und individuelle Glaubensüberzeugung in Form einer Religion   oder Weltanschauung frei und öffentlich auszuüben.

Wer sich an unser Recht hält, wer die Religionsfreiheit in Anspruch nimmt, der darf seinen Glauben hier leben, solange er damit die Rechte anderer nicht beeinträchtigt. Das ist die Spielregel, meine Damen und Herren. Sie gilt für Muslime, für Christen, für Juden, für Aleviten, für Jesiden und für Hindus oder auch für Menschen, die an keinen Gott glauben

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

oder konfessionsfrei sind, gleichermaßen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Bodo Löttgen [CDU])

Insofern gehören alle diese Menschen auch zu unserem Land.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Angesichts der immer wiederkehrenden unsäglichen Debatten, ob Muslime bzw. ihre Religion, der Islam, zu Deutschland gehören oder nicht, begrüßen wir ausdrücklich die klaren Worte von Ministerpräsident Laschet, der Muslime und muslimisches Leben selbstverständlich zum Teil unserer Gesellschaft erklärt.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Josef Hovenjürgen [CDU])

Gerade in diesen Tagen, an denen Politiker – wie auch Bundesinnenminister Seehofer, getrieben vom Wahlkampf in Bayern – nicht auf Zusammenhalt, sondern auf Polarisierung und Spaltung setzen, ist die Verteidigung unserer Grundwerte und unserer pluralistischen Gesellschaft von großer Bedeutung. Mit dieser Haltung, Herr Ministerpräsident Laschet, stehen wir ganz an Ihrer Seite.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, im Sinne unserer Verfassung hat der Staat dafür Sorge zu tragen, dass alle Bürgerinnen und Bürger ihren Glauben ungehindert und uneingeschüchtert ausüben können – ohne Angst vor Übergriffen und Diskriminierungen.

Unsere Verfassung kennt übrigens keinen Kulturvorbehalt, der die Anhänger von Religionen, die nicht seit jeher hier ansässig sind, vom Gebrauch der Grundrechte ausschließt. Die Religionsfreiheit steht allen Gläubigen zu, also auch den Muslimen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ein Blick in die sozialen Medien macht aber leider deutlich, wie stark Hetze und Hass gegen Muslime in unserem Land um sich greifen. Sie machen sich nicht nur in der Anonymität des Netzes breit, sondern kommen auch ganz offen aus den Reihen führender AfD-Politikerinnen und -Politiker.

Die AfD lehnt den Islam an sich als Religion ab.

(Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

Mehr noch: Sie stellt die ganze Religion unter den Generalverdacht,

(Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

mit der Verfassung unvereinbar zu sein.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Diese Position verletzt sowohl den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz als auch die Religionsfreiheit. Damit wird wieder einmal deutlich, dass die AfD es mit dem Grundgesetz doch nicht so ernst nimmt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir uns die aktuellen Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik anschauen, stellen wir fest, dass es nicht nur bei verbaler Hetze gegen Muslime und den Islam bleibt, sondern nicht selten auch um ganz konkrete Gewalt geht.

(Zurufe von Dr. Christian Blex [AfD] und Sven Werner Tritschler [AfD])

2017 wurden bundesweit 950 islamfeindliche Straftaten registriert, darunter 239 in NRW. Allein 2016 gab es bundesweit 88 Anschläge auf Moscheen, davon 21 in NRW. Angriffe auf Frauen, die ein Kopftuch tragen, sind genauso abscheulich

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

wie Angriffe auf Menschen mit Kippa, liebe Freundinnen und Freunde!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es sind nicht die Muslime, die eine Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen, sondern all diejenigen, die unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft infrage stellen – Muslimfeinde übrigens genauso wie die Islamisten.

Daher ist es nicht nur die Aufgabe unseres Staates, sondern auch die Aufgabe der demokratischen Zivilgesellschaft, sich Hass und Gewalt entschieden entgegenzustellen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Verteidigung unserer freiheitlichen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft gehört es aber auch, endlich einen echten Dialog auf Augenhöhe mit den muslimischen Verbänden zu wagen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

„Echt“ und „auf Augenhöhe“ heißt auch, Kritikwürdiges zu kritisieren und die politische Formierung der islamischen Verbände, entstanden aus der Migrationsgeschichte, endlich zu überwinden.

Die vehemente Leugnung des Völkermordes an den Armeniern, die Bespitzelung von kritischen Stimmen durch Imame und die Instrumentalisierung von Kindern für Kriegspropaganda haben in den letzten Jahren immer wieder zutage gebracht, dass darüber, was bei DITIB passiert und was nicht, die Religionsbehörde in Ankara bestimmt.

Alle Worte über eine angebliche Unabhängigkeit der DITIB von Ankara hat ihr langjähriger Funktionär Alboğa mit seiner Kandidatur für einen Listenplatz bei der nationalistisch-islamistischen AKP Lügen gestraft.

(Beifall von den GRÜNEN und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Mit dieser Realität müssen wir uns auseinandersetzen – genauso, wie wir uns um die Religionsfreiheit und die Pluralität kümmern müssen. Anträge wie der heute vorliegende lenken von diesen Aufgaben nur ab.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Sie tragen nicht zum Zusammenhalt unserer freiheitlichen Gesellschaft bei. Sie haben das Ziel, sie zu spalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Als Nächster hat der fraktionslose Abgeordnete Herr Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass es in diesem Lande Muslime gibt, die unzweifelhaft zu Nordrhein-Westfalen und zu Deutschland gehören – so weit kann man Ihnen zustimmen. Dass Sie aber ausgerechnet zu einem Prestigeprojekt der DITIB gehen müssen und dort den vermutlich kontroversesten Satz in der deutschen Islamdebatte sagen und damit auch ein Maximum an Aufmerksamkeit auf diese Veranstaltung lenken, ist Ihnen vorzuwerfen. Das will ich auch begründen.

Ich will es einmal so sagen: Das, was Ihnen passiert ist, wäre Herrn Beck oder Herrn Özdemir nicht passiert. Sie sind nämlich gegenüber der DITIB sehr viel klarer. Die DITIB ist eben nicht nur muslimisch, sondern sie ist explizit türkisch-muslimisch. Herr Laschet, würden Sie zu der Eröffnung einer Kirchengemeinde gehen, die sich explizit als deutsch-christlich bezeichnet? Vermutlich nicht! Es wäre auch falsch, wenn Sie das täten.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Griechisch-orthodox!)

Sie sollten aber auch zu keiner nationalistisch-türkisch-muslimischen Moscheeeröffnung gehen.

Ich frage Sie, wenn wir über das Thema „Spaltung der Gesellschaft“ reden, wie sich wohl Kurden oder Armenier in diesem Moment gefühlt haben. Wie müssen sich Kurden fühlen, die wahrnehmen müssen, dass deutschlandweit und auch in Nordrhein-Westfalen in DITIB-Moscheen für den Sieg in Afrin gebetet wird? Während dort Tausende vertrieben werden und Zivilisten getötet werden, wird in DITIB-Moscheen für den Sieg des großen Heerführers gebetet.

Herr Laschet, Sie wissen ganz genau, dass Sie damit ein politisches Signal gesendet haben. Es ging eben nicht um die vielen Gläubigen. Die Gläubigen hat jedenfalls in der öffentlichen Debatte in diesem Moment niemand wahrgenommen. Wahrgenommen hat man ein Prestigeprojekt der DITIB und einen extrem kontroversen Satz. Dieser Satz ist nun nach den ganzen Debatten, die wir in der Vergangenheit in Deutschland über den Islam geführt haben, als das entlarvt worden, was er von Anfang an war, nämlich als eine Phrase, die völlig inhaltsleer ist. Eine Debatte, die sich am Ende an den Menschen aufhängen muss und nicht am Islam.

Herr Laschet, genau deshalb sind Sie für diesen Besuch zu kritisieren. Das hat nichts mit einer generellen Kritik an allen Muslimen zu tun, sondern es hat mit dem politischen Signal zu tun – gerade nach dem, was die DITIB in den vergangenen Monaten auch hier Nordrhein-Westfalen abgeliefert hat.

Der AfD ist noch Folgendes zu sagen: Zumindest die Überschrift sollte in Zukunft grammatisch korrekt sein.

(Beifall von Frank Neppe [fraktionslos])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Pretzell. – Für die Landesregierung spricht nun der Ministerpräsident.

(Ministerpräsident Armin Laschet tritt an das Redepult – Dr. Christian Blex [AfD]: Nach Mekka schauen! – Gegenruf von der CDU: Unverschämtheit! – Berivan Aymaz [GRÜNE]: Gerade Sie müssen das sagen! – Dietmar Bell [SPD]: Rein rassistisch! – Weitere Gegenrufe – Markus Wagner [AfD]: Haben Sie doch einmal ein bisschen Humor!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ministerpräsident würde gerne mit seiner Rede beginnen.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wer gerade den Zwischenruf mit „Mekka“ gemacht hat. Aber …

(Zurufe von der CDU und der SPD: Herr Blex!)

Herr Kollege Blex, wer sich mit dem Großmufti von Herrn Assad trifft, braucht hier in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu sagen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einiges zum Zusammenleben der Religionen in Nordrhein-Westfalen zu sagen und zu begründen, weshalb wir im Gegensatz zu einem laizistischen Staat wie Frankreich ein anderes Verhältnis zu Religionen haben. Das kann man allein am Ablauf dieser Woche sehen. Den Katholikentag in Münster hat die Landesregierung unterstützt und sogar mit gefördert. Im nächsten Jahr findet in Dortmund der Evangelische Kirchentag statt, wo das Gleiche der Fall sein wird. Wir trennen Religion und Staat also nicht strikt, sondern sagen: Aktivitäten, die dem Zusammenhalt der Gesellschaft dienen, werden auch vom Land unterstützt.

(Beifall von der CDU)

Deshalb war der Bundespräsident bei der Eröffnung in Münster. Deshalb war auch ich selbst bei der Eröffnung des Katholikentages. Deshalb haben auch viele Mitglieder der Landesregierung und der Opposition an Diskussionen teilgenommen, um dort Präsenz zu zeigen.

Am letzten Montag war das Jubiläum „70 Jahre Israel“. Für viele Juden, die in Nordrhein-Westfalen leben, ist trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit die Beziehung zu Israel etwas sehr Wichtiges. Deshalb habe ich zu diesem Anlass in die Staatskanzlei eingeladen. Alle lebenden früheren Ministerpräsidenten waren dort und haben über die Parteigrenzen hinweg das Signal gesetzt, dass uns das wichtig ist. Der Landtag hat dazu eine eigene Feierstunde veranstaltet und ebenfalls daran erinnert.

In dieser Woche war der serbische Staatspräsident zu Besuch. Die Serben, die in Nordrhein-Westfalen leben – sie kamen übrigens auch als sogenannte Gastarbeiter –, sind orthodoxen Glaubens. Sie sind serbisch-orthodox, Herr Pretzell. Außerdem gibt es russisch-orthodox und griechisch-orthodox. Auch andere Religionen sind, zum Teil aus historischen Gründen, an eine Nationalität gebunden. Deshalb haben wir uns in diesem Gespräch auch über deren religiöse Bedürfnisse unterhalten.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

In Aachen wurde nun ein neues Gotteshaus, nämlich eine neue Moschee, eröffnet. Sie wissen vielleicht nicht, liebe – oder unliebe – Kollegen der AfD,

(Lachen von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Ich habe mich schon gewundert!)

wie das in Aachen war. Zu keiner Zeit hat gegen diese Moschee irgendeiner demonstriert. Zu keinem Zeitpunkt gab es irgendeine kritische Debatte im Stadtrat. Das ist eher ungewöhnlich; denn das gibt es eigentlich überall. In diesem Fall kannte man aber die Akteure.

Der Vorsitzende dieser Moscheegemeinde – er ist Mitglied der Grünen und im kommunalen Stadtrat engagiert – ist mit Sicherheit kein Freund der AKP. Er führt seit 1977 diese Moscheegemeinde von Menschen, die wir angeworben haben. Es ist ja nicht so, dass sie alle aus eigenem Interesse zu uns gekommen wären. Vielmehr sind wir hingegangen und haben gesagt: Wir brauchen euch im Bergbau und in der Stahlindustrie. – Herr Kollege Yetim hat das ja eben beschrieben.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wir haben sie angeworben und wissen, dass die religiösen Möglichkeiten diesen Menschen wichtig sind. Das ist übrigens CDU-Politik, Herr Fraktionsvorsitzender: zu wissen, wie bedeutsam Religion für einen Menschen ist.

(Markus Wagner [AfD]: Fragen Sie einmal Ihre Partei!)

Deshalb hat der von Ihnen zitierte Konrad Adenauer 1961 das Anwerbeabkommen geschlossen.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Für ein paar Jahre!)

Diese Menschen hatten damals aber keine Möglichkeit, ihre Religion auszuüben. Sie sind in eine Tankstelle gegangen, um zu beten. Gerade als Christdemokrat und Katholik sage ich Ihnen: Es ist unwürdig, in einer Tankstelle sein Gebet absolvieren zu müssen. Deshalb ist es gut, dass man jetzt diesen weiteren Schritt gegangen ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese Gemeinde – die Gemeinde habe ich besucht; ich habe keinen Verband, sondern diese Gemeinde besucht – ist im Dialog der Religionen aktiv.

Die politischen Parteien überzeugen Sie ja gar nicht. Dass Reiner Priggen, Ulla Schmidt, der Oberbürgermeister, der Polizeipräsident – alle, die in dieser Stadt wirken – da waren, interessiert Sie nicht.

Aber eines sollte Sie vielleicht interessieren, wenn Sie sich auf das christliche Abendland oder Ähnliches berufen: Der emeritierte Bischof von Aachen war da. Der Dompropst war da. Der Regionaldekan war da. Der Superintendent war da. Sie alle waren bei der Feier der Eröffnung dieses Gotteshauses anwesend und haben einen interreligiösen Dialog miteinander geführt. Sogar der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, der sich zu anderen Fragen der Flüchtlingspolitik auch einmal kritisch geäußert hat, war da und hat gesagt, dass ihm dieser Dialog der Religionen wichtig ist.

Ich finde, dass man solche Menschen, die den Islam liberal verstehen, die offen sind und Teil unserer Gesellschaft sein wollen, auch würdigen muss, indem man dort hingeht. Und deshalb war ich da.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu Herford und Mönchengladbach ist hier Klartext gesprochen worden – übrigens auch von allen Fraktionen. Natürlich geht es nicht, dass Kinder in Uniform zum Hass erzogen werden. Alles das, was wir da erlebt haben, geht nicht. Aber umso mehr muss man den anderen, die sagen, dass sie einen anderen Weg gehen wollen und nicht parteipolitisch sein wollen – das steht sogar in der Presseerklärung zu diesem Tag –, Rückenwind geben, wenn man es ernst meint und nicht Ressentiments gegen Menschen schüren will, wie Sie das tun.

Deshalb glaube ich, dass das dem Zusammenhalt der Religionen dient – ebenso wie das Iftar-Essen, zu dem ich gestern Abend eingeladen habe. Dort waren liberale Muslime, gläubige Muslime, Christen – das Katholische Büro und das Evangelische Büro waren vertreten – und Juden.

Dieser Zusammenhalt der Gesellschaft wird in Nordrhein-Westfalen gelebt. Sie werden ihn auch durch solche Aktuellen Stunden nicht kaputt machen können.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir abschließend noch eine persönliche Bemerkung. Es gibt schon einmal Termine am Rande des Plenums, die ein Ministerpräsident auch wahrnehmen muss. Nach wenigen Tagen im Amt hat der amerikanische Botschafter gesagt, dass er heute nach Nordrhein-Westfalen und jetzt gleich in die Staatskanzlei kommt. Ich werde deshalb nicht bis zum Ende der Debatte im Plenarsaal bleiben. Das ist keine Missachtung des Parlaments.

Sie können sich vorstellen, dass das schwierige Gespräche sind. Dennoch will ich sie jetzt führen. Denn für unsere Stahlindustrie und unsere Aluminiumindustrie hängt viel davon ab, wie sich die USA in den nächsten Tagen entscheiden. Hier ein breites Meinungsbild zu schaffen, ist meine Absicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich ein Trauerspiel, dass wir uns heute in der Aktuellen Stunde mit einer Selbstverständlichkeit auseinandersetzen müssen. Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Und Sie haben die Dreistigkeit, sich hier hinzustellen und zu behaupten, dass Sie für die Mehrheit der Deutschen sprechen.

(Markus Wagner [AfD]: 60 %!)

– Dann kommen Sie doch einmal in der Realität an. 87 % der Wähler haben Sie bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt. Es waren leider immer noch zu viele, die Sie gewählt haben.

(Beifall von der SPD – Andreas Keith [AfD]: 78 % werden Sie nicht mehr wählen!)

Aber nun einmal zu Nordrhein-Westfalen: Wollen Sie denn ausblenden, dass 1,5 Millionen unserer Mitbürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens sind? Das sind 1,5 Millionen Menschen, deren Glauben

(Markus Wagner [AfD]: Von welchem Glauben sprechen Sie? Sprechen Sie von der Scharia?)

natürlich auch unser Land mitprägt, so wie es Katholizismus, Protestantismus und Judentum seit Jahrhunderten geprägt haben – schmerzlich unterbrochen durch die Zeit des Nationalsozialismus, die sich durch Ausgrenzung und Verfolgung von Religionsgemeinschaften, politisch Andersdenkenden und Minderheiten darstellte, übrigens auch durch die Ausgrenzung und Verfolgung von Muslimen, die seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland nachzuweisen sind.

(Markus Wagner [AfD]: Es gab auch muslimische SS-Brigaden, die Sie vergessen haben!)

Auch Muslime fielen unter die Rassengesetze. Sie wurden verfolgt, deportiert und ermordet.

Erst mit dem Anwerbeabkommen von 1961 begann ein neues Kapitel muslimischen Lebens in Deutschland. Aus der Türkei kamen sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland. Sie kamen als willkommene Arbeitskräfte und blieben als Freunde, als Mitbürger, als Nachbarn.

Aber die Unterstellung der AfD, die Mehrheit sei gegen den Islam in Deutschland, schlägt dem Fass den Boden aus. Da hilft es, wenn man sich einmal genauer informiert.

(Zurufe von der AfD)

– Vielleicht hören Sie einfach einmal zu. Das würde auch Ihnen nützen.

(Markus Wagner [AfD]: Die Mehrheit ist der Meinung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört!)

– Jetzt hören Sie einmal zu! Es gibt nämlich nicht nur Populisten wie Sie, sondern auch seriöse Wissenschaftler, zum Beispiel von der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie haben hier in Nordrhein-Westfalen eine Untersuchung durchgeführt. Dabei ist festgestellt worden, dass 70 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen der Meinung sind, dass die Muslime mehr Anerkennung verdient haben. Deswegen sind auch 60 % gegen eine Beschränkung beim Bau öffentlich sichtbarer Moscheen. Eine Dreiviertelmehrheit befürwortet islamischen Religionsunterricht. Eine Mehrheit stört auch das Kopftuchtragen bei muslimischen Lehrerinnen nicht.

(Markus Wagner [AfD]: Wer hat denn die Studie in Auftrag gegeben?)

Das sind die Zahlen in der Wirklichkeit. Sie leben in Ihrer Traumwelt. Diese Zahlen sprechen nicht nur zahlenmäßig für sich, sondern zeigen, dass der Islam im Bewusstsein der Menschen zu Nordrhein-Westfalen gehört

(Markus Wagner [AfD]: Realitätsverdrängung!)

und in Nordrhein-Westfalen längst angekommen ist – genauso wie die christlichen Religionen und das Judentum.

Es ist ein selbstverständliches Miteinander in unserem Land. Das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen war schon immer eine Region der Zuwanderung. Vielfalt im alltäglichen und religiösen Leben gehört seit Jahrhunderten quasi zu unserer DNA. Das hat nicht zuletzt auch zu der Prosperität unseres Landes beigetragen.

Diesen Schatz gilt es zu verteidigen. Deshalb unterstützen wir die Aussage: Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Beantragung dieser Aktuellen Stunde ist wirklich bemerkenswert. Herr Wagner hat hier in seiner Rede gesagt: unsere von Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägte Gesellschaft. – Ja, das ist richtig. Nur: Das ist keine Wertegemeinschaft mit der AfD. Das ist ganz deutlich.

(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])

Dazu gehören Sie nicht. Diese Gemeinschaft haben Sie verlassen, weil Sie hier den Spaltpilz vorantreiben wollen, indem Sie die Religionsfreiheit angehen. Damit haben Sie ganz klar diese Wertebasis verlassen.

Auch damit, wie Sie sich über das Engagement der Kirchen und auch von Moscheegemeinden in Bezug auf Geflüchtete auslassen, haben Sie diese Wertebasis längst verlassen. Sie haben sie nie geteilt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Ministerpräsident hat ja schon darauf hingewiesen: Wer fröhlich einem islamistischen Großmufti, der Europa mit Terror gedroht hat, in Syrien die Hand schüttelt,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

der sollte sich in ein AfD-Mauseloch zurückziehen und hier nicht das Wort führen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Sie haben bisher nicht das Schwarze unter dem Fingernagel zum Zusammenhalt dieser Gesellschaft beigetragen.

Das waren schon genug Worte in Ihre Richtung. Ich möchte mich jetzt gerne an die Landesregierung wenden und auf die Fragen eingehen, die bearbeitet werden müssen.

Der jetzige Minister Stamp hat in der letzten Legislaturperiode ja sehr forsch in Aktuellen Stunden hier angemahnt, dass die Landesregierung Konzepte vorlegen möge, um die Frage des Umgangs mit Religionsgemeinschaften und die Sicherung des islamischen Religionsunterrichtes voranzutreiben. Ich habe aber im letzten Jahr keine Konzepte und keine Initiativen wahrgenommen.

Von dieser Stelle aus biete ich noch einmal sehr eindrücklich an: Wir möchten gerne daran mitwirken, dass der islamische Religionsunterricht weiter eine Zukunft hat. Sylvia Löhrmann hat dafür gesorgt, dass DITIB den Sitz im Beirat für den Islamischen Religionsunterricht in NRW hat ruhen lassen. Es ist richtig, dass das genauso fortgesetzt worden ist. Denn der Kritik an DITIB, die heute sehr deutlich geworden ist, ist nichts hinzuzufügen. DITIB ist keine Religionsgemeinschaft, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daher kann DITIB für uns kein Partner in dieser Frage sein.

Umso wichtiger ist es aber, verlässliche Gesprächspartner zu haben. Wir werden ja einen Bericht bekommen. Einen solchen Bericht erwarte ich von der Landesregierung jetzt zu den Ergebnissen bezüglich des islamischen Religionsunterrichts und auch zur Fortführung einer Konzeption nach dem Ablauf des Gesetzes mit dem Jahr 2019.

Es geht darum, dass wir dann eine islamische theologische Basis haben, mit der die Landesregierung im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften kooperieren kann, die verfassungsgerecht ist. Darüber müssen wir miteinander reden.

Wir müssen auch darüber sprechen, wie es dann gelingt, Strukturen herbeizuführen und Muslimen entsprechend eine Gelegenheit zu geben, dort mitzuwirken. Es ist die Aufgabe eines neutralen Staates, diese Gelegenheiten zu geben. Aber Muslime und Muslima müssen sich natürlich dafür entscheiden und dann auch nach demokratischen, verfassungsgerechten Prinzipien mitwirken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist die gemeinsame Aufgabe, die wir jetzt hier zu erfüllen haben.

Deswegen würde ich mich freuen, wenn dazu nicht nur Minister Stamp zu vernehmen wäre, sondern auch einmal die Schulministerin.

(Ministerin Yvonne Gebauer: Frau Beer, also!)

– Frau Ministerin Gebauer, ich habe gestern die schriftliche Beantwortung der im Rahmen der Fragestunde gestellten Anfrage zum Kopftuchverbot für Mädchen bekommen. Da antwortet nicht die Schulministerin, ob sie etwas plant und wie die Situation in den Grundschulen aussieht, sondern darauf antwortet Herr Minister Stamp. Was hat die Schulministerin eigentlich in dieser Frage zu sagen? Welche Position hat sie?

Wir müssen miteinander darüber reden. Dann werden wir halt im Schulausschuss darüber reden, wie die Position eigentlich ist und wie die Faktenlage denn wirklich aussieht. Denn ich vermisse schmerzlich – das war früher bei einer anderen Schulministerin anders –

(Christof Rasche [FDP]: Die Wähler haben das entschieden!)

Ihre Stimme in der Frage des islamischen Religionsunterrichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie müssen doch deutlich machen, wie Sie das Ganze weiter betreiben wollen. Das muss ganz klar sein. Eine solche Frage kann nicht nur von Herrn Stamp beantwortet werden. Da muss auch die Schulministerin einmal Farbe bekennen, auf welchem Stand der Entwicklung wir eigentlich sind.

Ich wiederhole aber noch einmal mein Angebot. Wir machen nicht die forschen Sprüche, die Herr Stamp gemacht hat, der gefordert hat, jetzt müssten bitte innerhalb von vier Wochen Konzepte vorgelegt werden. Vielmehr möchte wir das in einem konstruktiven Dialog mit Ihnen, aber auch mit den Muslimen und Muslima in dieser Gesellschaft, in Nordrhein-Westfalen, vorantreiben. Dafür stehen wir zur Verfügung.

Für billige Schelte, Gesellschaftsspalterei und Rassismus, den wir gestern hier durch Herrn Beckamp und an anderer Stelle auch durch Frau Weidel erlebt haben, stehen wir nicht bereit.

(Beifall von den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Lächerlich! – Helmut Seifen [AfD]: Aber für Verleumdung stehen Sie bereit!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Frau Kollegin Beer. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky*) (AfD): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Was gelungene Integration und Zugehörigkeit des Islam zu Nordrhein-Westfalen unterstreichen sollte, geriet am letzten Samstag aus meiner Sicht zum Desaster. Oder vielleicht sollte man sagen: Die harte Wirklichkeit kam zumindest im Nachhinein zutage.

Es geht hier eben nicht darum, ob ein Ministerpräsident ein geeigneter Redner bei einer Eröffnung einer neuen religiösen Stätte ist. Es geht darum, ob es opportun ist, eine Einrichtung der DITIB in dieser besonderen Weise zu ehren – und das sechs Wochen vor den Präsidentschaftswahlen.

(Beifall von der AfD)

Bei einer Moschee handelt es sich generell mitnichten nur um ein Gebets- und Gemeindehaus. Es handelt sich um ein Kulturzentrum. Und im Fall der DITIB handelt es sich um ein Kulturzentrum, welches aus der Türkei gesteuert wird. Über diese Moscheen hält Staatschef Erdogan den direkten Kontakt zu den in der Diaspora lebenden Türken, Deutschtürken oder Deutschen mit türkischen Wurzeln – ihm ist das völlig egal.

Die dort tätigen Imame unterstehen der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die wiederum direkt dem Amt des Ministerpräsidenten Erdogan untersteht. Die Moschee wird in der Regel zum größten Teil von dort finanziert. Die Imame werden auch von dort bezahlt. Viel mehr Einfluss eines anderen Staates auf hier lebende Menschen ist doch kaum denkbar.

(Beifall von der AfD)

Das Resultat ist die Aufrechterhaltung der Spaltung zwischen Kurden und Türken –

(Beifall von der AfD)

hier auf deutschem Boden. Das können wir bei uns fast jede Woche erleben.

Man muss dann einen solchen Einsatz wohl auch als Einsatz für den türkischen Präsidenten Erdogan werten. Herr Laschet – leider ist er jetzt nicht mehr anwesend –, vielleicht sehen Sie das nicht so. Viele hier lebende Türken werden das aber so sehen.

Es ist noch gar nicht lange her, dass gerade die DITIB Anlass zu großer Aufregung bot. Uns allen sind die Bilder der Feier zum Gedenken an die Schlacht von Gallipoli in Herford und in Mönchengladbach noch sehr gut in Erinnerung. Das haben wir ja gehört. Das waren alles keine Einzelfälle. Dort kam sogar der Verfassungsschutz zum Einsatz.

Dennoch: Augen zu und durch! Nach sieben Jahren Bauzeit wurde jetzt erneut ein Wahrzeichen des Islam platziert. Da sich der Islam anschickt, die kommende Religion hier in NRW zu werden, darf natürlich auch der Ministerpräsident nicht fehlen.

(Zuruf von der SPD: Au Mannomann!)

Immerhin wird Ministerpräsident Laschet trotz solcher Ausrutscher nicht müde, zu konstatieren, dass der Islam zu NRW gehört. Und wenn dann auch noch etwas türkischer Nationalismus dabei ist – na, dann ist das eben so.

Als Politiker ist man natürlich bei jedem Anlass geneigt, seine politische Botschaft zu verkünden. So hat es auch Ministerpräsident Laschet nicht versäumt, für ein gerade erst entdecktes CDU-Thema zu werben. So sollen die Moscheegemeinden nun bei der Integration helfen. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin wiederum aus einem Presseartikel:

„Die Moscheegemeinden könnten hier helfen, indem jeder Imam im Freitagsgebet den Familien erklärt, dass das Kopftuchtragen von Mädchen mit Religion nichts zu tun hat.“

Zum einen gibt es viele Aussagen von Islamforschern, dass nicht nur das Kopftuchtragen von Mädchen, sondern das Kopftuchtragen allgemein nicht zwingender Bestandteil der Religion ist. Zum anderen hat Ministerpräsident Laschet mit dieser Aussage die Imame nicht wirklich amüsiert.

Der ehemalige Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland reagierte auf Laschets Wunsch mit Empörung und fragte auf seiner Facebook-Seite: „Erlässt jetzt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident schon ‚Fatwas‘, …?“ Ein anderer warb für die von Radikalislamisten initiierte Internetpetition #NichtohnemeinKopftuch.

Wird die Integrationsbereitschaft der Moscheegemeinden von der Regierung vielleicht überschätzt? Oder wird hier das sehr unterschiedliche Verständnis von Integration einmal mehr deutlich? In einem Land, in dem Sprache an Bedeutung verliert, ist das mit den Worten wohl so. Da wird „Heimat“ mit „Zuhause“ verwechselt, und da wird „Integration“ mit „Teilhabeanspruch“ gleichgesetzt.

Hier wird vielfach von Ausgrenzung gesprochen. Was Ausgrenzung tatsächlich ist, konnte man beim Moscheefest in Bergisch Gladbach gut erkennen: Die Frauen feierten in einem von den Männern abgetrennten Bereich. – Das war übrigens kein Zufall.

(Zuruf von der AfD: Tja, so ist das!)

Es wurde auch so ausgeschildert. Zumindest Art. 3 Grundgesetz ist bei den Muslimen vielfach noch nicht ganz angekommen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Gabriele Walger-Demolsky*) (AfD): Ich bin sofort fertig. – Ich meine im Übrigen: Früher waren wir mit der Migration sehr viel weiter als heute.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Frau Abgeordnete Walger-Demolsky. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Walger-Demolsky, ich muss sagen: Entweder haben Sie dem Ministerpräsidenten vorhin nicht zugehört, als er deutlich den Charakter der Gemeinde, die er besucht hat, erläutert hat, oder Sie sind intellektuell nicht in der Lage, von Ihrem Manuskript abzuweichen.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD)

Beides ist kein Qualitätsmerkmal.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Insofern sollten Sie vielleicht einmal hinterfragen, wie Sie hier die Debatten führen.

Frau Kollegin Beer, Sie haben die Frage aufgeworfen, wie wir dem Trend begegnen können, dass junge Mädchen vor der Pubertät bereits ein Kopftuch tragen. Das ist zwar kein Massenphänomen, aber doch ein erkennbarer Trend. Sie haben in diesem Zusammenhang die Schulministerin angesprochen.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es sich hierbei nicht um eine schulpolitische Debatte handelt, sondern dass das eine generelle Frage ist, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Bei uns im Hause werden unterschiedliche Möglichkeiten geprüft. Uns geht es dabei vor allem um das Kindeswohl und um die Selbstbestimmung von jungen Mädchen.

Die Diskussion darüber werden wir in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit führen. Ich glaube jedoch, dass hier und heute nicht der geeignete Platz dafür ist. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Stamp. – Weitere Wortmeldungen sind hier oben nicht angemeldet. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache. Wir verlassen damit den Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe auf:

2   Neue Groko, neuer Anlauf: Kinderlärm ist Zukunftsmusik – auch auf dem Sportplatz

Antrag
der Fraktion der CDU
der Fraktion der SPD
der Fraktion der FDP und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2561 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Weske das Wort.

Markus Herbert Weske (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich auf den Weg macht und die Bundes- und Landesgesetze sowie die Verordnungen mit Blick darauf durchforstet, ob sie schon im 21. Jahrhundert angekommen sind oder nicht, stößt man dabei automatisch auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die dazugehörige Sportanlagenlärmschutzverordnung.

Ich möchte das Problem, um das es hier geht, anhand von zwei Beispielen deutlich machen.

Erstes Beispiel: Wenn man bei uns in Düsseldorf in der Roßstraße auf der rechten Seite auf den Kinderspielplatz geht, kann man da auf der Wiese Kinder beim Fußballspielen sehen. Dort dürfen sie so laut sein, wie sie wollen. Wenn sich die Kinder aber sagen: „Lasst uns einmal die Straßenseite wechseln und zur Bezirkssportanlage gehen; dort stehen Tore, und da kann man viel besser Fußball spielen“, dann gelten dort auf einmal Grenzwerte, was den Lärm anbelangt. Die Kinder müssen leiser sein als der Lkw, der auf der Straße vorüberfährt. Das ist wirklich blanker Unsinn.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweites Beispiel – auch daran wird sehr gut deutlich, warum wir hier einen dringenden Erneuerungsbedarf sehen –: Wenn im Rahmen der offenen Ganztagsschule nachmittags um 14 Uhr auf einem Sportplatz ein Sportangebot stattfindet, dürfen die Kinder so laut sein, wie sie wollen, weil es sich um eine schulische Veranstaltung handelt.

Stellen Sie sich nun die Situation einen Tag später vor: dasselbe Kind, derselbe Sportplatz, vielleicht sogar derselbe Übungsleiter – nur geschieht das Ganze jetzt im Rahmen des Vereinssports. Dann gelten auf einmal wieder Grenzwerte hinsichtlich des Lärms. Meine Söhne spielen beim Lohausener SV, und der hat sein Gelände in der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens. Die Kinder müssen beim Training leiser sein als das Flugzeug, das gerade über ihnen startet.

Das sind die Widersprüche, mit denen wir es hier zu tun haben. Deswegen habe ich am 13. März 2018, als unsere Kollegin Svenja Schulze ihren letzten Arbeitstag hier hatte, die Chance ergriffen und gesagt: Wenn du jetzt Bundesumweltministerin wirst, nimm dich dieser Sache bitte noch einmal an.

Die Veränderungen, die während der letzten GroKo stattgefunden haben, waren ein erster Schritt. Aber es war eben nicht der große Wurf, den wir uns alle erhofft haben. Daher habe ich auch gesagt: Ich werde mir über Ostern die Zeit nehmen, einen Antrag zu formulieren. Dann werden wir aus Nordrhein-Westfalen den Stein noch einmal ins Wasser werfen, um zu einer guten und vernünftigen Veränderung zu kommen.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei CDU, FDP und Grünen dafür, dass auch sie sich diesem Antrag anschließen. Meine Hoffnung ist groß, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im Bundestag sich dann dieser Sache annehmen werden und mit derselben Einigkeit das Bundes-Immissionsschutzgesetz ändern werden.

Im Übrigen kann so etwas auch ganz schnell gehen. Ich erinnere nur an die Fußballweltmeisterschaft 2006. Nachdem man kurz vorher festgestellt hatte, dass das Endspiel wegen der gesetzlichen Vorschriften zur Sonntagsruhe und anderen Regelungen leider überhaupt nicht stattfinden kann, haben unsere Kolleginnen und Kollegen im Bundestag das Gesetz über Nacht sehr schnell geändert, damit bei unserer WM auch das Endspiel stattfinden konnte.

Insofern spricht eigentlich nichts dagegen, dass wir innerhalb einer kurzen Zeit endlich für eine gute Lösung sorgen. Kinderlärm ist Zukunftsmusik, auch auf dem Sportplatz. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Weske. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Nettekoven.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wegen Kinderlärm vom Sportplatz: Nachbarn wollen Gemeinde verklagen“, „Sportplatz am Wochenende gesperrt“, „Immer wieder Ärger mit den Nachbarn“: Das sind drei Überschriften aus unterschiedlichen Zeitungen, wie sie bestimmt jeder von uns in ähnlicher Art und Weise auch schon in seiner Zeitung gelesen hat.

Meine siebenjährige Tochter spielt gerne mit ihren Freunden auf Spielplätzen, auf dem Schulhof und auch auf der angrenzenden Sportanlage. Sie hat auch gerne im Kindergarten mit ihren Freunden gespielt. Kinder spielen immer und überall. Kinder sollen auch immer und überall spielen können.

Nur macht das Bundes-Immissionsschutzgesetz in § 22 Abs. 1a einen Unterschied, wo Kinder wie meine Tochter Lisa mit ihren Freunden spielen – damals in der Kita, heute auf den Kinderspielplätzen, auf den Ballspielplätzen oder auf der Sportanlage.

Kollege Weske hat es eben schon ausgeführt: § 22 Abs. 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gilt für von Kindern verursachten Lärm, der von Spielplätzen, Kindergärten oder ähnlichen Bereichen auf die Nachbarschaft einwirkt. Dieser Absatz bestimmt:

„Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.“

Diese Privilegien erstrecken sich auf alle Geräuscheinwirkungen durch kindliche Laute wie Singen, Weinen, Rufen oder auch Kreischen. Außerdem werden die Geräuscheinwirkungen durch die körperliche Aktivität wie Spielen, Rennen und Tanzen geschützt, selbst wenn die eigentliche Geräuschquelle in kindergerechten Spielzeugen, Bällen oder Spielgeräten liegt.

Auch wenn der Bundesgesetzgeber im Januar 2017 die Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SALVO, beschlossen hat und somit mehr Lärm an Sportanlagen zulässig ist: Meine Tochter singt, weint, ruft, kreischt, spielt, rennt und tanzt auch auf dem Jahnplatz in Lüttringhausen. Das ist eine Sportanlage. Daher sollte auch auf diesen Sportanlagen, die unter anderem durch Kinder genutzt werden, der § 22 Abs. 1a BImSchG und nicht die für den Erwachsenensport geltende Begrenzung angewendet werden.

Wie soll ich meiner Tochter denn erklären, dass auf dem Kinderspielplatz am Jahnplatz ihr Singen, Rufen, Spielen und Rennen anders bewertet wird als auf der 5 m entfernten Sportanlage, dem Jahnplatz, und auf dem 50 m entfernten Schulhof ihrer Grundschule?

Meine Damen und Herren, Kinderlärm auf Sportanlagen ist der gleiche Kinderlärm wie Kinderlärm auf dem angrenzenden Kinderspielplatz und auf dem Schulhof. Deshalb soll er auch genauso behandelt werden.

Ich danke den Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP dafür, dass wir heute gemeinsam diesen Antrag stellen, um die Ungleichbehandlung zu beenden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sport ist nicht nur Bewegung; Sport ist Begeisterung und Leidenschaft. Wir schreien zu Hause den Fernseher an, wenn unsere Mannschaft spielt oder unsere Athleten Wettkämpfe austragen, und bringen diese Emotionen erst recht in die Sportanlagen und -hallen mit.

Kindern und Jugendlichen geht es auf ihren Sportplätzen nicht anders. Daher starten wir zum wiederholten Male eine breite parlamentarische Initiative, um überholten Lärmschutzauflagen die Rote Karte zu zeigen.

Für uns Liberale ist Sport keine Lärmbelästigung – erst recht nicht, wenn er von Kindern und Jugendlichen ausgeht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die klare Botschaft, die wir an die neue Bundesregierung richten, lautet: Für Lärm von Kindern und Jugendlichen auf Sportplätzen darf es keine Obergrenze geben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Denn gerade Kinder und Jugendliche brauchen Räume der Bewegung. Hierfür sind Sportanlagen – egal ob innerörtlich oder randstädtisch – am besten geeignet.

Die Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SALVO, vom 26. Januar des letzten Jahres war halbherzig. Denn abgesehen von der Aufrechterhaltung des Altanlagenbonus sind die Richtwerte für die abendlichen Ruhezeiten sowie für die Ruhezeiten an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 15 Uhr lediglich um 5 dB(A) erhöht worden. Diese Richtwerte sind denen von tagsüber angeglichen worden.

Die jetzige SALVO vermittelt uns einen überholten gesellschaftlichen Zeitgeist. Mit einer solchen Regelung verdrängen wir Kinder und Jugendliche von den innerörtlichen Sportanlagen.

Wir halten es für unzumutbar, von Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern zu erwarten, dass Bewegung nur am Siedlungsrand möglich ist. Das steht den Bemühungen der sozialen Integration aller Altersgruppen im Grundsatz entgegen.

Hierunter leiden in erster Linie die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Vereine und Kommunen. Darüber hinaus ist es gerade ihnen schwer zu vermitteln, weshalb sie sich in Kindertagesstätten oder auf Spielplätzen frei entfalten können, aber auf Sportanlagen unhörbar sein müssen.

Die im letzten Jahr im Bundesrat vorgeschlagene Regelung zur Privilegierung von Kinderlärm auf Sportanlagen ist ein begrüßenswerter Vorschlag gewesen. Deshalb fordern wir diesen erneut als gemeinsame Bundesratsinitiative ein und hoffen, dass die neue GroKo dieses Zukunftsthema wahrnimmt und entsprechend handelt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Abgeordnete Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kinder sind zwar kleine Menschen, diese kleinen Menschen können aber ziemlich großen Lärm verursachen. Der Lärm, der von Kindern zuweilen ausgehen kann, ist von der Dezibelzahl her ungefähr mit einer kreischenden Kreissäge vergleichbar.

Trotzdem sollte einer Gesellschaft Kinderlärm durchaus angenehmer sein als der Lärm einer kreischenden Kreissäge. Das heißt: Der Titel „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“ ist vielleicht ein bisschen pathetisch, nichtsdestotrotz aber gut gewählt.

Denn allen ist klar – meine Vorredner haben auch schon deutlich gemacht, dass uns das allen wichtig ist –, dass Kinder sich bewegen und dabei auch Lärm machen können. Kinder lernen über den Sport und die gemeinsame Bewegung auch wichtige soziale Kompetenzen.

Dazu gehört auch, erst einmal zu lernen, wie man denn mit der eigenen Stimme umgeht, und welcher Lärm wann, wo und wie angemessen ist. Manchmal ist er auch schlicht und ergreifend durch die Gesellschaft auszuhalten, weil wir doch wollen, dass Kinder sich entfalten können, dass sie Platz zum Spielen haben, dass sie aber eben auch den Raum haben, das in der Tonalität zu tun, in der sie es für wichtig und richtig halten.

Konsequenterweise hat der Bundestag im Jahr 2011 entschieden – darauf ist schon vielfach hingewiesen worden –, dass Kinderlärm keine schädliche Umwelteinwirkung darstellt. Deshalb hat er durch die Kinderlärmprivilegierung den von Kindern verursachten Lärm ganz aus der Bemessung herausgenommen.

Die Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SALVO, ist bereits angesprochen worden. Anders als Kollege Terhaag halte ich das durchaus für einen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings ist dieser Schritt – da bin ich ganz bei Ihnen – bei Weitem nicht ausreichend.

Denn die Kinderlärmprivilegierung hat man dort seinerzeit nicht mit eingepflegt. Im Gegenteil: In der SALVO kommt das Wort „Kinder“ nicht ein einziges Mal vor. Für den Sportlärm sind Kinder also offensichtlich nicht die Zukunft, sondern nur zu klein geratene Erwachsene.

Dieses Versäumnis zeigt – das hat die Debatte verdeutlicht –, dass der Grundsatz eben nicht konsequent durchdekliniert wird. Denn in der Begründung des Gesetzentwurfs zur Kinderlärmprivilegierung heißt es:

„Privilegiert werden damit Geräusche von Kindern auf Einrichtungen, die auf spielerische oder körperlich-spielerische Aktivitäten von Kindern zugeschnitten sind …“

Da bin ich ganz bei den Kollegen, die schon gefragt haben: Wie soll man denn den Kindern erklären, dass das auf einem Spielplatz alles in Ordnung ist, aber auf einem Fußballplatz oder einer Bezirkssportanlage, wo die Kinder doch in der Regel mit Spielen und Bewegung aktiv sind, nicht okay ist?

Das kann man nicht nur Kindern nicht erklären, sondern auch uns hier nicht. Dementsprechend ist der Vorstoß der SPD, der durch CDU, FDP und uns mitgetragen wird, genau richtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der organisierte Sport hat das auch schon mehrfach eingefordert und gesagt, dass die Benachteiligung von sportaktiven Kindern auf Sportanlagen endlich beendet werden muss. Dem schließen wir uns natürlich an. Das zeigt dieser Landtag nicht nur mit der heutigen Debatte, sondern er hat es auch schon in der letzten Legislaturperiode bewiesen.

Schade finde ich, dass in den Koalitionsverhandlungen zur Großen Koalition auch diesmal wieder versäumt worden ist, diese Frage anzusprechen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition zwischen CDU, CSU und SPD findet sich dazu leider nichts. Es findet sich kein Bekenntnis dazu, dass man endlich die Kinderlärmprivilegierung auf Sportanlagen ausweiten möchte.

Das ist ein Versäumnis, das dieser Antrag mit sanftem Druck aus Nordrhein-Westfalen zu korrigieren versucht. Ich hoffe, dass das gelingt – im Sinne eines bewegten Aufwachsens und im Sinne von Kinderlärm, der Zukunftsmusik ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD spricht Frau Abgeordnete Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD, würde ich sagen, ist die einzige Partei, die sich tatsächlich noch für eine aktivierende Bevölkerungspolitik ausspricht. In unserem Grundsatzprogramm finden Sie ein Kapitel „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“.

Wir fordern immer wieder, dass Familien weiter entlastet werden müssten und vor allen Dingen auch mehr Freiheit haben müssten – auch Freiheit über die Zeiteinteilung, sodass sie vielleicht auch mehr Zeit für Sport auf dem Sportplatz hätten.

Wir haben nicht die Sorge, dass es dort zu laut ist, sondern machen uns Sorgen, dass es dort irgendwann ganz leise ist, weil die Kinder um 17 Uhr keine Zeit mehr haben oder keine Lust mehr haben und müde sind, sodass sie sich doch lieber vor dem Fernseher entspannen, anstatt sich tatsächlich noch auf dem Sportplatz sportlich zu betätigen.

(Beifall von der AfD)

Seit Jahrzehnten haben Sie allesamt Verhältnisse geschaffen, die dazu beitragen, dass mit dem dritten Kind die Wahrscheinlichkeit, in Armut zu leben, signifikant steigt. Und jetzt ist der Kinderlärm auf dem Sportplatz Zukunftsmusik. Das ist insgesamt sehr unglaubwürdig.

Nichtsdestotrotz stimmen wir Ihrem Antrag zu, weil wir das Anliegen grundsätzlich für richtig halten.

Grundsätzlich bedauerlich finden wir wieder – wie immer; das ist kein Wunder –, dass sich bei einem so konsensualen Thema alle anderen Parteien, die Parteien der Einheitsfraktionen, zusammenfinden und diesen Antrag einreichen. Ganz ehrlich: Sie würden sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn Sie uns mal mit ins Boot holen würden.

Herr Kämmerling hat gestern der CDU so schön vorgeworfen, dass sie uns mit ihrem rechtspopulistischen Wahlkampf zu immerhin 7 % Wahlerfolg verholfen hätte. Ich versichere Ihnen: Ich bin sehr zuversichtlich, dass Sie uns mit diesem Verhalten, das Sie hier permanent an den Tag legen – insbesondere auch wieder in den letzten 48 Stunden –, zu 20 % Erfolg verhelfen.

(Beifall von der AfD)

In der vorangegangenen Debatte haben Sie immer wieder gesagt, wir seien der Spaltpilz. Ich möchte Sie da ein bisschen korrigieren: Wir spalten nicht. Wir leisten Widerstand.

(Beifall von der AfD)

Mit Verlaub – nehmen Sie es mir nicht übel, gerade bei dem Thema „Kinderlärm“ –: Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Sie die Zukunft meiner Kinder ruinieren.

Nein, wir spalten nicht. Es ist schön, dass Sie uns so viel zutrauen und glauben, dass wir mit unseren paar Männekes eine ganze Gesellschaft spalten könnten. Wir sind ein Kanal. Wir sind ein Ventil für die Spaltung, die vorhanden ist.

(Minister Dr. Joachim Stamp: Sie haben sich doch schon gespalten!)

– Man kann es nie wissen, wenn sich welche verabschieden. – Wir sind ein Ventil für die in der Gesellschaft vorhandene Spaltung, nämlich das parlamentarische Ventil.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Ein Ventil für die Spaltung, ja! – Zuruf von Minister Dr. Joachim Stamp)

Es gibt noch ganz viel, was da untendrunter brodelt. Das wird Ihnen alles irgendwann – auch berechtigterweise – um die Ohren fliegen; denn wir machen das nicht mit. Natürlich ist es unbequem für Sie, dass hier wieder gestritten wird. Ich kann mir vorstellen, dass alles vorher sehr viel schöner war. Selbst die Piraten, die rebellisch gestartet waren, haben sich dann letzten Endes in dieser Harmonie ergangen. Und wo sind sie jetzt? Weg vom Fenster! Das wird mit uns nicht passieren; das sage ich Ihnen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD – Josefine Paul [GRÜNE]: Das war eine Lektion aus der Abteilung „Viel Lärm um nichts“!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war Frau Abgeordnete Dworeck-Danielowski für die AfD. – Nun hat für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon spannend, auf welche Art und Weise sich menschliches Leben in Gesetzen immer wieder in Buchstaben wiederfindet und was man alles versucht, einzeln zu regeln.

Deswegen ist die Privilegierung von Kinderlärm, der zu Recht von der überwiegenden Mehrheit dieses Parlaments als Zukunftsmusik bezeichnet wird, seit dem Jahr 2011 bundesweit gesetzlich geregelt und entsprechend im Bundes-Immissionsschutzgesetz festgeschrieben.

Dort fehlt allerdings bis dato der Bezug zu den Sportanlagen, sodass Kinderlärm, wie bereits mehrfach betont, bei der Sportausübung einer Reglementierung unterworfen ist. Daher wurde bereits im Jahr 2017 der Vorstoß unternommen, diese Regelungslücke zu schließen und das Bundes-Immissionsschutzgesetz in Bezug auf die Privilegierung von Kindern auf Sportanlagen zu ändern.

Es ist wenig sinnvoll und überzeugend, den Sport von Kindern auf den Anlagen der Sportvereine zu untersagen, während er berechtigterweise auf Ballspielplätzen zulässig ist. Die unterschiedlichen Regelungen treffen auf großes Unverständnis in der Öffentlichkeit, wie es im Besonderen durch die Beispiele, die hier von Abgeordneten von CDU und SPD genannt wurden, immer wieder verdeutlicht wird.

Die Landesregierung verfolgt nach wie vor das Ziel, allen Kindern wohnortnah die Möglichkeit zu bieten, sich zu bewegen und Sport auszuüben. Daher wird mit dem vorliegenden Antrag zu Recht die Privilegierung von Kindern auf Sportanlagen erneut in den Vordergrund gestellt und ein klares Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft – nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern innerhalb der gesamten Bundesrepublik – gesetzt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die neue Initiative ist aber insbesondere auch deshalb wichtig, weil wir Konflikte zwischen berechtigten Interessen möglichst vermeiden. Hier ist zum einen das Ruhebedürfnis der Wohnbevölkerung zu nennen. Sehen Sie es mir nach: Ich habe seit 1999 bis zum 30. Juni 2017 Kommunalpolitik betrieben

(Beifall von der CDU)

und empfehle oft, einfach einmal das Gespräch zwischen den Beteiligten zu suchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es erledigt sich nämlich so manches Gesetz, so manche Verordnung oder so mancher Erlass, wenn man auf normale Art und Weise versucht, Konflikte in der Bürgergesellschaft miteinander zu lösen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sportanlagen erfüllen darüber hinaus mehrere Funktionen. Sie ermöglichen die wichtige gesundheitsfördernde Bewegung im Freien und erfüllen, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit Sportvereinen betrieben werden, eine wichtige Funktion für das soziale Miteinander – nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in der gesamten Bundesrepublik.

Außerdem sind sie ein wichtiger Lernort für Kinder. Deshalb wollen wir gemeinsam daran arbeiten, ihnen den Zugang zu Sportanlagen zu ermöglichen und zu erleichtern, sie dort zu privilegieren und Sportstätten in ihrer großen Bedeutung zu fördern.

Ich darf abschließend festhalten: Wir bedanken uns als Landesregierung für diesen sehr breit getragenen parlamentarischen Antrag, um Kinderlärm als Zukunftsmusik auch in Zukunft in Nordrhein-Westfalen weiter aufzustellen und die Privilegierung auch auf Sportanlagen übertragen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung. Wie Sie wissen, hat der Ältestenrat ursprünglich eine Überweisung des Antrages in Fachausschüsse empfohlen. Inzwischen haben sich aber alle im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt, über den Antrag heute direkt abzustimmen.

Damit kommen wir nun zur Durchführung der direkten Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2561 in der Fassung des Neudrucks. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD-Fraktion. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2561 – Neudruck – vom Parlament einstimmig angenommen worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 und rufe auf:

3   Gesetz zur Änderung des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2575

erste Lesung

Zur Einbringung hat nun Herr Minister Pinkwart für die Landesregierung das Wort. Danach wird die Aussprache eröffnet.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der beabsichtigten Änderung des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen setzen wir die mit dem Entfesselungspaket I begonnenen Maßnahmen für einen Neustart in der Wirtschaftspolitik des Landes Nordrhein-Westfalen weiter fort.

Wir schaffen damit die rechtlichen Voraussetzungen für einen nächsten wichtigen Schritt der Digitalisierung: die elektronische Rechnungsstellung. Das Gesetz setzt die europarechtliche Verpflichtung aus der EU-Richtlinie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen verbindlich um, wonach die elektronische Abrechnung als vorherrschende Methode bis 2020 innerhalb der EU etabliert werden soll.

Das Gesetz schafft eine für alle öffentlichen Auftraggeber im Land Nordrhein-Westfalen, Sektorenauftraggeber sowie Konzessionsgeber gleichermaßen verbindliche Rechtsgrundlage zum Empfang elektronischer Rechnungen. Es forciert die elektronische Kommunikation zwischen den Behörden und der Wirtschaft und erfüllt die europäische Norm für die elektronische Rechnungsstellung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Digitalisierung bietet Chancen sowohl für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft als auch für einen modernen Staat. Mit der elektronischen Rechnung wollen wir für Wirtschaft und Verwaltung einen durchgängig medienbruchfreien Prozess von der Auftragsvergabe bis zur Bezahlung schaffen.

Wir schaffen damit die Voraussetzung für eine weitere Binnenmodernisierung und Effizienzsteigerung mittels durchgehend medienbruchfreier und sicherer Kommunikation zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen und durchgehend elektronischer Abwicklung von Prozessen in der Verwaltung.

Die elektronische Rechnungsstellung reiht sich ein in die mit dem Entfesselungspaket I angestoßenen Maßnahmen zur elektronischen Abwicklung und Abbildung des gesamten Beschaffungsvorgangs. Wir wollen das Vergabeportal des Landes Nordrhein-Westfalen zu diesem Zweck weiter ausbauen und seine Vorbildfunktion weiter stärken.

Die europarechtlichen Vorgaben betreffen Verfahrensrecht und materielles Haushaltsrecht der Länder. Da sind eigenständige Rechtsetzungsakte auf Bundes- und Länderebene geboten. Hierzu werden die jeweiligen E-Government-Gesetze angepasst.

Für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen ist da ein bundesweit abgestimmtes und einheitliches Vorgehen zwingend geboten. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, soll die Gestaltung der in der Richtlinie belassenen Einschätzungs- und Gestaltungsspielräume im Sinne einer möglichst einheitlichen und föderal übergreifenden Rechtsumsetzung erfolgen.

Dies gilt insbesondere für das Datenformat der elektronischen Rechnung. Die Festlegungen hierzu sollen über die nach Maßgabe der Verordnungsermächtigung zu schaffende Rechtsverordnung in Abstimmung mit dem Bund und den Ländern erfolgen.

Die EU-Rechnungsrichtlinie regelt die Verpflichtung zur Stellung, Annahme und Weiterverarbeitung elektronischer Rechnungen ausschließlich für den EU-weiten Vergabebereich. Dieser Bereich umfasst lediglich einen geringen Teil der von der öffentlichen Hand ausgeschriebenen Aufträge. Insbesondere für die rechnungsstellenden Unternehmen ist es nicht praktikabel, die Form der Rechnungsstellung von einer vorherigen Prüfung des Auftragswertes oder gar des Vergabeverfahrens abhängig zu machen.

Wir ermöglichen daher die elektronische Rechnungsstellung auch für den unterschwelligen Bereich. Im Sinne des Bürokratieabbaus verfolgen wir damit das Ziel, die Rechnungskommunikation zu vereinfachen, zu standardisieren und interoperabel auszugestalten.

Meine sehr verehren Damen und Herren, erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung in Richtung der kommunalen Familie. Natürlich stellt die elektronische Rechnungsstellung auch für die Kommunen eine Chance dar, Verwaltungsabläufe zu verschlanken und effizienter zu gestalten. Die Anzahl der Rechnungsstellungen im Kommunalbereich verspricht hier sogar einen besonders großen Effekt durch die Digitalisierung. Wir wissen, dass einzelne Kommunen schon einen guten Schritt vorangegangen sind, was wir sehr begrüßen und durch dieses Gesetzgebungsverfahren unterstützen wollen.

Wir wollen aber auch voneinander lernen – im Kontext der Modellkommunen, aber auch darüber hinaus –, um sicherzustellen, dass diese neue Form der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen in unserem Land so schnell und so wirksam wie möglich umgesetzt werden kann. – Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Professor Dr. Pinkwart, mit diesem Gesetzentwurf bringen wir bzw. Sie die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen weiter voran. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, dass die elektronische Abrechnung bis 2020 als vorherrschende Methode etabliert sein soll. Der Gesetzentwurf schafft hierzu die notwendigen Voraussetzungen. Dafür, Herr Minister, vielen Dank!

(Beifall von der CDU)

Grundlage für das Gesetzgebungsverfahren ist die Richtlinie der Europäischen Union über die elektronische Rechnungsstellung. In dieser Richtlinie ist die Verpflichtung für alle Auftraggeber festgehalten, dass elektronische Rechnungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, anzunehmen und zu verarbeiten sind.

Der Gesetzentwurf, über den wir heute sprechen, betrifft die Anpassung des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen, damit einheitliche Standards aufrechterhalten werden.

Natürlich werden auch heute schon die meisten Rechnungen elektronisch versandt. Die Rechnung wird eingescannt und per E-Mail verschickt. Das ist allerdings keine Digitalisierung im Sinne des Gesetzes – und auch nicht im Sinne der EU-Richtlinie. Es geht darum, dass die einzelnen Informationen einer Rechnung dazu auch digital operabel sein müssen.

Der vorliegende Gesetzentwurf schafft für alle öffentlichen Auftraggeber in Nordrhein-Westfalen eine gleichermaßen verbindliche Rechtsgrundlage zum Empfang elektronischer Rechnungen, die auch der europäischen Norm entsprechen.

In Nordrhein-Westfalen empfängt die Landesverwaltung jedes Jahr rund 5 Millionen Rechnungen. Der Anteil elektronischer Rechnungen in strukturierten Datenformaten ist dabei noch sehr gering. Das wird sich hoffentlich in den kommenden Jahren massiv verändern.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ist die Umstellung erst einmal erfolgreich angelaufen, werden die betroffenen Unternehmen elektronische Rechnungen nicht nur gegenüber der öffentlichen Hand, sondern auch gegenüber anderen Auftraggebern nutzen. Dieser Prozess ist allerdings kein Selbstzweck. Die elektronische Rechnungsstellung birgt für den Empfänger wie für den Rechnungssteller ein enormes Effizienzpotenzial.

Eine Studie des BMI aus dem Jahr 2014 verweist darauf, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Posteingang bis zur Zahlung im Schnitt zwischen 16 und 23 Minuten mit einer Papierrechnung befassen. Laut dieser Studie würde ein elektronischer Rechnungsprozess den Aufwand auf fünf bzw. sieben Minuten verkürzen. Das ist eine ganz erhebliche Zeitersparnis.

Die Vorteile gehen aber über die Kostenersparnisse hinaus. Medienbrüche mit manuellen, fehleranfälligen Arbeitsschritten sowie der Postweg entfallen. Durch einen komplett elektronischen Prozess lässt sich auch die Transparenz steigern. Unternehmen können theoretisch überprüfen, in welchem Bearbeitungsstatus sich ihre Rechnung gerade befindet.

Außerdem hilft ein digitaler Rechnungsprozess, Kosten für Papier, Porto und Mehrfachablage – Stichwort: Archivierung von Papierrechnungen – einzusparen. Die elektronische Rechnung trägt auch dazu bei, die digitale Verwaltung zu stärken und dadurch die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen voranzubringen.

Vereinfachung und Beschleunigung – das alles sind wichtige Punkte für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Daher gehört ebenfalls dazu, dass E-Government-Angebote gleichermaßen für Bürgerinnen und Bürger wie für die Wirtschaft, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, nutzerfreundlich sind.

Trotz dieser Vorteile nutzten nach einer Studie von EB Research im Jahre 2017 nur 27 % der Mittelständler strukturierte Daten, die ihnen mit einer E-Rechnung geliefert wurden. Die Gründe sind vielfältig. Da halte ich Aufklärung und Beratungsangebote für sehr wichtig.

Ich bin mir sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf dazu beiträgt, dass die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen in der Zukunft verstärkt diese Vorteile nutzen wird.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ziel ist es, die Marktzutrittschancen für Unternehmen europaweit zu verbessern und zwischen den Behörden und der Wirtschaft die Kommunikation auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Wir sind uns bewusst: Bis wir von unterwegs alle elektronischen Dienstleistungen unserer Verwaltung bequem online nutzen und erledigen können, ist es noch ein weiter Weg. Deshalb müssen wir schnell damit anfangen. – Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Kollegin Kampmann das Wort. Bitte schön.

Christina Kampmann (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns international umschauen, gerade auch im europäischen Ausland, können wir feststellen, dass viele Länder beim Thema „E-Government“ schon wesentlich weiter sind als wir. Das sage ich durchaus auch selbstkritisch.

Deshalb ist es ausdrücklich zu begrüßen – Sie haben das erwähnt, Herr Minister –, dass sich einige Kommunen schon selbst auf den Weg gemacht haben, nicht nur bei der elektronischen Rechnungstellung, sondern auch bei anderen E-Government-Maßnahmen, und da auch schon einiges erreicht haben.

Ebenfalls ausdrücklich zu begrüßen ist die Tatsache, dass es an dieser Stelle endlich konkreter wird. Deshalb ist es erst einmal wichtig, dass wir diese Richtlinie zur elektronischen Rechnungstellung haben, und natürlich auch, dass wir das entsprechende Änderungsgesetz haben. Sie haben es gerade schon erwähnt: Es bringt zahlreiche Vorteile für effizientere, schlankere und vor allem auch medienbruchfreie Prozesse innerhalb der Verwaltung mit sich, aber natürlich auch für die Unternehmen, für die es in Zukunft noch einfacher sein wird, Rechnungen auf elektronischem Wege zu übertragen.

Was ich aber in Ihrem Entwurf eindeutig vermisse – Sie haben die Kommunen angesprochen, Herr Minister –, ist, die Kommunen als Partner mit ins Boot zu holen, um die Digitalisierung der Verwaltung tatsächlich zu einem Erfolgsmodell für Nordrhein-Westfalen zu machen.

Sie haben ja eindeutig recht: Mittel- und langfristig werden sich wesentliche Kosteneinsparungen für die kommunale Seite ergeben. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir die kurzfristigen Kosten absolut nicht unterschätzen dürfen; denn sie werden mit Sicherheit deutlich über die Kosten für die Einführung einer neuen Software hinausgehen. Und das ist wichtig.

Ich möchte an dieser Stelle überhaupt nicht die offensichtlich strittige Frage der Konnexität ansprechen. Dazu ist in der entsprechenden Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände etwas gesagt worden. Dennoch finde ich es wichtig, dass die Frage der Kosteneinschätzung und gerade der Kostenfolgeneinschätzung an dieser Stelle auch von der Landesregierung in Betracht gezogen wird.

Ein zweiter Punkt, der auf kommunaler Seite nicht zu unterschätzen ist, sind die Beschäftigten. Wenn wir uns ehrlich machen, können wir sehen, dass die elektronische Rechnungstellung eine wesentliche, tiefgreifende Reform innerhalb der Verwaltung ist. Ich komme selbst aus der Verwaltung und weiß, was das für die Beschäftigten dort bedeutet. Das bezieht sich zum einen auf die Vorbereitung der Beschäftigten, zum anderen aber auch auf entsprechende Schulungsmaßnahmen. Davon ist in Ihrem Entwurf gar keine Rede. Das muss aber unbedingt mit in Betracht gezogen werden, wenn das Ganze am Ende praxisgerecht umgesetzt werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns anschauen, was in den vergangenen Monaten zum Thema „E-Government“ geschafft wurde, können wir die Summe vieler Einzelteile sehen. Dann können wir erkennen – Sie haben es auch noch einmal angesprochen, Herr Minister –, dass es inzwischen digitale Modellprojekte gibt. Modellprojekte machen aber nur dann Sinn, wenn wir etwas Neues haben und Modellprojekte dort beispielhaft vorangehen sollen.

Die Digitalisierung auch in der Verwaltung ist aber nichts Neues. Sie ist schon weit fortgeschritten. Deshalb helfen uns Modellprojekte an dieser Stelle nicht weiter. Uns helfen auch keine Einzelmaßnahmen weiter. Wir brauchen endlich ein Gesamtkonzept für die Digitalisierung der Verwaltung. Ansonsten bin ich mir sicher, dass Sie scheitern werden. Da müssen Sie noch ein ganzes Stück drauflegen; das kann ich Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich sagen.

(Beifall von der SPD)

Dazu gehört auch Ihre Entscheidung, das Thema „Digitalisierung“ im Wirtschaftsministerium zusammenzulegen. Das kann man so machen. Man darf aber an dieser Stelle nicht außer Acht lassen, dass die Digitalisierung in der Verwaltung gerade zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger erfolgen sollte. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, ich sehe noch keine Bemühungen, wie das umgesetzt werden soll. Gerade für die Menschen in unserem Land bedeutet die Digitalisierung unglaubliche Einschnitte, unglaubliche Veränderungen. Ich meine, dass Sie an dieser Stelle noch zulegen müssen, um Digitalisierung tatsächlich – die FDP spricht immer davon – zu einer Chance für alle zu machen.

Das wird uns nämlich nur gelingen, wenn wir Digitalisierung auch entsprechend politisch gestalten. Dazu sehe ich noch viel zu wenig Ansätze in Ihrem Regierungshandeln. Da wünsche ich mir mehr. Das kann ich bisher beim besten Willen nicht erkennen. Ich hoffe, dass noch entsprechende Bemühungen folgen werden, damit das Ganze tatsächlich zu einem Erfolgsprojekt für unser Land wird. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Kampmann, vielen Dank. – Herr Kollege Kerkhoff hatte sich zu einer Zwischenfrage gemeldet.

Christina Kampmann (SPD): Ja, sehr gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Herr Kollege Kerkhoff.

Matthias Kerkhoff (CDU): Frau Kollegin Kampmann, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Mich würde in diesem Zusammenhang einmal interessieren, welche konkreten Projekte denn in Ihrer Regierungszeit hierzu auf den Weg gebracht wurden. Denn wir haben ja feststellen müssen, dass dort weitgehend gähnend leere Schubladen waren. Weil Sie sich jetzt hier hinstellen und beherzt kritisieren, dass da noch nicht genug passiert ist, würde mich einmal interessieren, was denn Ihr Beitrag an dieser Stelle war.

(Beifall von der CDU)

Christina Kampmann (SPD): Lieber Kollege Kerkhoff, da gilt zum einen das, was ich bei meiner letzten Rede schon zu Ihrem Nachbarn gesagt habe: Ich würde Ihnen das gerne erläutern. Die heute zur Verfügung stehende Zeit wird es aber wahrscheinlich nicht zulassen,

(Lachen von der CDU – Bodo Löttgen [CDU]: Sie haben alle Zeit der Welt!)

dass ich Ihnen alle Maßnahmen erläutere, die wir an dieser Stelle auf den Weg gebracht haben. Vielleicht können wir dazu einmal ein persönliches Treffen durchführen.

Ich kann Ihnen aber Folgendes sagen – es geht ja heute um eine Änderung des E-Government-Gesetzes –: Natürlich hat Rot-Grün beim Thema „E-Government“ viel auf den Weg gebracht. Deshalb sagte ich ja auch anfangs, dass viele …

(Zuruf von der CDU: Was haben Sie denn auf den Weg gebracht?)

– Ich rede gerade über das E-Government-Gesetz. Genau das haben wir auf den Weg gebracht, lieber Herr Kollege. Vielleicht schauen Sie noch einmal auf die rot-grüne Regierungszeit zurück. Dann wird sich auch Ihnen erschließen, dass das ein großer Erfolg der rot-grünen Regierung war.

Wenn Sie darauf aufsetzen wollen, brauchen Sie keine Einzelmaßnahmen, sondern – so wie wir es damals auf den Weg gebracht haben – ein Gesamtkonzept. Ich habe meine Zweifel, ob das von Ihnen noch jemals kommen wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Kampmann. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Abgeordneter Matheisen das Wort. Bitte.

Rainer Matheisen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Entfesselungspaket II“ und „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen“: Das klingt erst einmal sperrig, kompliziert und umständlich. Tatsächlich ist das aber ein Meilenstein für einen Staat, der es den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen einfach machen will.

Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer – wir haben es eben schon mehrfach gehört – digitalen, medienbruchfreien Kommunikation zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft, aber auch zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Menschen. Es ist ein Meilenstein für eine einfachere Kommunikation und für effizientere Prozesse – und auch für die Schonung der natürlichen Ressourcen durch einen geringeren Papierverbrauch; denn auch darüber müssen wir uns in diesem Zusammenhang Gedanken machen.

Worüber reden wir? Wir reden über die Einführung der elektronischen Rechnung. Gerade in diesen Tagen wird viel auf Europa geschimpft. Hier kommt jetzt einmal etwas Gutes aus Brüssel, das wir vernünftig umsetzen. Wir reden über eine EU-Richtlinie, die in Nordrhein-Westfalen so auf den Weg gebracht werden soll, dass man für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen das Beste erreicht.

Viele Digital Natives, viele jüngere Menschen, die mit dem Smartphone aufwachsen und die entsprechenden Apps nutzen, empfinden es als völlig anachronistisch, dass wir mit Papierrechnungen arbeiten. Aber nicht nur die Digital Natives, sondern auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger halten es für völlig absurd, dass man in einem Unternehmen eine Rechnung ausdruckt und in einen Umschlag steckt, der zum Beispiel zu einer Kommune gebracht wird, wo die Rechnung dann eingescannt wird und erst anschließend in den Prozess eingespielt wird.

Weil das in der Tat völlig absurd ist, wollen wir hier zur einfacheren Prozessen kommen. Wir wollen als ersten Meilenstein die digitale Rechnung, die E-Rechnung, umfassend umsetzen.

(Beifall von der FDP)

Ich muss Ihnen, werte Kollegin Kampmann, massiv widersprechen, wenn Sie sagen, wir würden nicht genug auf die Kommunen zugehen. Wir wollen – das ist keine Frage – zügig vorgehen und nicht noch mehr Zeit verlieren, als es ohnehin schon geschehen ist. Wir wollen aber nicht von oben herab agieren, sondern als Partner der Kommunen, aber auch der kleinen und mittleren Unternehmen auftreten.

Schauen Sie sich doch an, was in der Zeit der alten Regierung passiert ist. Demgegenüber geschieht beispielsweise in Ihrer Region Ostwestfalen-Lippe auf diesem Gebiet gerade wahnsinnig viel. Insofern kann ich Ihre Kritik nicht ganz verstehen. Natürlich werden wir die Kommunen mitnehmen. Natürlich werden wir ihnen dabei Hilfestellung geben. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen werden wir natürlich mitnehmen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. – Ich sehe, dass auch der Minister nickt. Ja, das ist absolut richtig.

Wir bringen das auf den Weg, und wir bringen es vernünftig auf den Weg – auch für die Unternehmen, die bei öffentlichen Aufträgen einen unterschiedlichen Stand haben. Ein kleineres oder mittleres Unternehmen hat es schwerer als ein Großkonzern, bei einer Ausschreibung, die entsprechende Auflagen enthält, mitzukommen. Deswegen werden wir mit dem Gesetz beispielsweise die hybriden Formen weiter zulassen, die es gerade kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, dort weiter unterwegs zu sein.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Matheisen, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Kampmann hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Wollen Sie sie zulassen?

Rainer Matheisen (FDP): Gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Kollegin Kampmann.

Christina Kampmann (SPD): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sagen, dass Sie die Kommunen und die Beschäftigten mitnehmen wollen. Das klingt immer gut. Aus dem Gesetzentwurf konnte ich allerdings nicht herauslesen, wie Sie das machen möchten. Vielleicht können Sie an einigen Beispielen darstellen, wie das in Zukunft ganz konkret geschehen soll? – Vielen Dank.

Rainer Matheisen (FDP): Herzlichen Dank für die Frage. Genau darauf wäre ich gleich noch eingegangen. Wir stehen jetzt nicht am Ende eines Prozesses, sondern wir sind mittendrin. Dem Gesetz wird noch eine Rechtsverordnung folgen, in der die Details geregelt und die Verfahren konkretisiert werden.

Ich bin der Meinung, dass wir jetzt bei der Beratung des Gesetzentwurfs entsprechende Hinweise für die Ausgestaltung gewinnen werden. Daran sollten wir, glaube ich, unabhängig von Parteigrenzen gemeinsam arbeiten. Wir sollen dort genau schauen: Wo drückt den Kommunen der Schuh? Wo drückt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen der Schuh? Wo gibt es noch Hürden? Und wo bestehen zum Beispiel für kleine und mittlere Unternehmen Hürden? Da muss man unter Umständen Ermessensentscheidungen treffen.

Auf der einen Seite müssen wir zusehen, dass wir den Prozess zügig voranbringen. Auf der anderen Seite müssen wir den Kommunen aber auch die Möglichkeit geben, diesem Prozess folgen zu können. Sie können sich sicher sein, dass wir das machen werden. Wir freuen uns umso mehr, wenn Sie sich dort aktiv mit Ihren Ideen einbringen.

(Beifall von der FDP)

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und auf eine gute weitere Arbeit für die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Matheisen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Bolte-Richter das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich denke, wir alle erinnern uns an das Plakat der FDP aus dem letzten Wahlkampf, auf dem ein junger Mann abgebildet war, neben dem folgender Spruch stand: „Die Digitalisierung ändert alles. Wann ändert sich die Politik?“

Herr Minister, Sie waren nicht der junge Mann auf dem Plakat. Insofern richte ich die Frage an Sie: Wann ändert sich denn jetzt einmal etwas?

Denn worüber diskutieren wir hier eigentlich? Wir diskutieren über die Umsetzung der E-Rechnungs-Richtlinie der EU zur Verpflichtung öffentlicher Stellen, elektronische Rechnungen anzunehmen und zu verarbeiten. Sicherlich gibt es in dieser Debatte einen gewissen Konsens darüber, dass es nicht verkehrt ist, diese Richtlinie umzusetzen. Aber angesichts Ihrer Ankündigungen und Ihrer großspurigen Versprechungen muss man schon fragen, ob diese geringfügige Verbesserung beim E-Government schon alles ist oder ob das nicht eher Kleinkram ist.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Digitalisierung der Verwaltung geht unter Schwarz-Gelb nicht wirklich voran. Die Musterregion in OWL mit den Musterkommunen droht angesichts der ganzen Verzögerungen – Stichwort: Förderrichtlinie – zur Luftnummer zu verkommen. Ich habe gedacht, dass die versprochenen Fristverkürzungen, die Sie in den letzten Jahren immer gefordert haben, und die vollständige Umsetzung aller Maßnahmen, die wir mit dem rot-grünen E-Government-Gesetz auf den Weg gebracht haben – und zwar um fünf Jahre vorgezogen –, in Ihrem Gesetzentwurf vielleicht einmal vorkommen. Aber nichts dergleichen wird auf den Weg gebracht.

Eine verbindliche Unterstützung der Kommunen gibt es auch nicht – außer für die paar Modellkommunen, die Sie jetzt einrichten wollen. Aber Sie müssen, wenn Sie Digitalisierung der Verwaltung ernst nehmen, jetzt endlich in die Fläche gehen. Wir brauchen nicht mehr nur Modelle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich auch vergegenwärtigen, dass dieser Gesetzentwurf nicht aus eigenem politischen Antrieb kommt, sondern einzig der Umsetzung von EU-Recht dient. Da fehlt uns bei Ihnen einfach die Ambition, die Digitalisierung der Verwaltung konkret voranzubringen –

(Beifall von Gordan Dudas [SPD])

auch wenn Sie zumindest anerkannt haben, dass unser E-Government-Gesetz wohl ganz gut war; denn sonst würden Sie heute sicher noch etwas mehr ändern.

Die vermeintlichen Digitalisierer sind mit großen Versprechungen und schönen Bildern gestartet – und jetzt kommt so etwas. Es gibt nicht einmal eine verbindliche Vorschrift, nur noch elektronische Rechnungen zu akzeptieren, wie es etwa in Dänemark und in Estland seit Jahren Standard ist, sondern es bleibt dem Auftragnehmer überlassen, ob er seine Rechnungen elektronisch stellen möchte oder nicht. Wenn er sich aber dafür entscheidet, muss der Auftraggeber die Rechnung entgegennehmen. Ohne Verbindlichkeit – da bin ich mir sehr sicher – wird die Digitalisierung der Verwaltung nur im Schneckentempo vorankommen. Ändern Sie da bitte Ihre Politik.

Ich gehe davon aus, dass die Diskussion im Ausschuss knapp sein wird, so wie es Ihr Gesetzentwurf ja auch ist. Wenn das alles ist, was Sie zur Digitalisierung der Verwaltung liefern, dann bleiben Sie bei Ihrer Linie: Sie gehen nicht nach vorne, sondern machen mutlos Dienst nach Vorschrift. – Wir werden das natürlich an dieser Stelle wie auch an anderen Stellen weiterhin kritisch begleiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Bolte-Richter, es gibt eine angemeldete Kurzintervention des Abgeordneten Schick von der Fraktion der CDU. Bitte schön, Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bolte-Richter, Sie sprachen gerade von Kleinigkeiten, die wir auf den Weg bringen würden. Ich weiß nicht, ob Sie nicht zugehört haben, als ich über eine Studie des BMI berichtet habe. Laut dieser Studie sind die Effizienzgewinne erheblich.

Darüber hinaus besteht gerade im Mittelstand – den Sie ebenfalls angesprochen haben; im Übrigen bezeichnen Sie unser Vorhaben einmal als Kleinigkeiten und einmal als nicht ambitioniert genug; das ist ein Widerspruch – der Wunsch, sehr behutsam vorzugehen, weil gerade Kleinstunternehmen etwas längere Übergangszeiten brauchen. Wir sind mit diesem Gesetzentwurf auf dem Weg, die Effizienzgewinne zu heben. Das tun wir aber mit Augenmaß. Damit tragen wir dafür Sorge, dass kleinere Unternehmen mitkommen.

Ich habe ein bisschen das Gefühl, Sie haben sieben Jahre lang auf der digitalen Standspur im Gänsemarsch Tempo gemacht und erzählen jetzt Leuten, was sie auf der Überholspur zu tun haben.

(Beifall von der CDU)

Das ist, glaube ich, nicht die ganz feine politische Art.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Lieber Kollege Schick, Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie eigentlich wollen. Sie haben jahrelang kritisiert, dass alles nicht schnell genug geht. Jetzt gehen Sie mit Augenmaß, mit Maß und Mitte und mit langen Übergangsfristen voran. Ich wünsche mir tatsächlich mehr Verbindlichkeit, weil wir nur so – das haben alle Debatten, die wir in der letzten Zeit dazu geführt haben, gezeigt – vorankommen werden.

Das zeigt auch der internationale Vergleich. Ich habe eben das Beispiel Dänemark genannt. Dort ist die Entgegennahme von elektronischen Rechnung nicht nur als Möglichkeit vorgegeben, sondern dort ist verbindlich geregelt, dass bei öffentlichen Aufträgen nur noch elektronische Rechnungen angenommen werden. Das hat dort zu einer Digitalisierung nicht nur der Verwaltung geführt, sondern die Digitalisierung insgesamt vorangebracht.

Dies ist ein wichtiger Punkt, den wir uns gemeinsam merken sollten. Das können wir zum Beispiel auch von Estland lernen. Dort hat die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung die Digitalisierung insgesamt als gesellschaftlichen Prozess massiv vorangebracht. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung vorankommen.

Ich habe nicht gesagt, dass Ihr Schritt falsch ist, sondern habe nur gesagt, dass das ein sehr kleiner Schritt ist. Es spricht nichts dagegen, diesen Schritt zu machen, wenn er richtig ist. Aber es ist eben ein sehr, sehr kleiner Schritt. Diese Kritik müssen Sie sich anhören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Jetzt hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort. Bitte schön.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum vorliegenden Gesetzentwurf kann man es eigentlich kurz machen. Es ist sicher sinnvoll, dass öffentliche Auftraggeber im 21. Jahrhundert nicht mehr auf Papierrechnungen bestehen dürfen. Die AfD wird das Vorhaben der Landesregierung daher unterstützen.

Wir alle haben in unserem privaten Umfeld miterlebt, dass die Papierrechnung nach und nach verschwindet. Es ist daher auch nicht nachvollziehbar, warum im Bereich der öffentlichen Hand weiter darauf bestanden werden soll.

Ausdrücklich begrüßen wir, dass der vorliegende Entwurf keine Verpflichtung zur Digitalrechnung für den Gläubiger beinhaltet. Der Zustand unserer Digitalinfrastruktur gerade auf dem Land verböte eine solche Pflichtregelung, wie sie die EU-Richtlinie zulassen würde.

Der vorliegende Entwurf lässt Handwerkern, Dienstleistern und Lieferanten also die Wahlfreiheit und zwingt sie nicht zu möglicherweise aufwendigen Investitionen in die Buchhaltung und Ähnliches, wenn sie das nicht wollen. Das sehen hier zum Glück die meisten so – offenbar außer den Grünen, die immer gerne etwas verbieten; heute ist es also die Papierrechnung.

Nun handelt es sich hier natürlich nur um einen winzigen Teilaspekt im Prozess der Digitalisierung und des E-Governments, weshalb der Entwurf der Landesregierung in Einleitung und Begründung vielleicht etwas sehr hochtrabend geraten ist.

Auftraggeberseitig verändert sich nämlich nicht viel. Es hat mit E-Government wenig zu tun, wenn auf der anderen Seite dann jemand sitzt, der die digitale Rechnung ausdruckt und in einem Leitz-Ordner ablegt. Schaut man sich den Zustand vieler Behörden an, muss man befürchten, dass vermutlich genau das passieren wird. Dabei sind die Einsparpotenziale durch eine konsequente Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung gewaltig.

Es reicht also nicht, hier einfach einen winzigen Teilaspekt zu behandeln – und das auch nur, weil es wieder einmal eine EU-Richtlinie gibt. Vielmehr muss ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz her, der weit über das bisherige E-Government-Gesetz hinausgeht.

Zumindest angekündigt ist das. Darauf freuen wir uns. Wir schließen uns aber auch der Kritik der SPD und der Grünen an, auch wenn die Bilanz aus deren Regierungszeit vergleichsweise dünn ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Es hat sich nun noch einmal für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Blick auf die Redebeiträge von Frau Kampmann und Herrn Bolte-Richter möchte ich mich doch noch einmal zu Wort melden.

Lieber Herr Bolte-Richter, im Gegensatz zu Frau Kampmann haben Sie deutlich gemacht, dass Sie jetzt den großen Wurf erwarten. Sie meinen, dass vieles durch Ihr Regierungshandeln vielleicht schon vorbereitet war. Das müsse jetzt nur noch kraftvoll umgesetzt werden. Da war Frau Kampmann deutlich realistischer. Sie hat eingeräumt, dass man auch hier in Nordrhein-Westfalen vielleicht schon weiter hätte sein können.

Ich möchte mich dieser selbstkritischen Haltung anschließen. Lieber Herr Bolte-Richter, Sie müssen ja Folgendes sehen: Sie haben es zum Ende Ihrer Legislaturperiode gerade noch geschafft, ein Gesetz zum E-Government hier im Landtag einzubringen. Eine konkrete Maßnahme, die wirklich Digitalisierung in die Landesverwaltung eingeführt hätte, haben Sie aber während Ihrer Regierungszeit weder im Landtag vorgelegt noch umsetzen können. Das muss man sehen. Das ist auch eine Leistungsbilanz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir arbeiten jetzt sehr intensiv daran, Schritt für Schritt alles das, was wir hier sinnvollerweise an Verbesserungen erreichen können, auch umzusetzen. Wir meinen: Wenn wir bei den Beziehungen zwischen den Unternehmen und dem Staat anfangen, haben wir es mit Adressaten zu tun – gerade auf der Unternehmensseite –, bei denen wir noch am ehesten davon ausgehen können, dass sie selbst die technischen Voraussetzungen besitzen oder schaffen können, um sich sehr schnell mit der öffentlichen Verwaltung digital auseinanderzusetzen.

Deswegen freuen wir uns, dass wir einen nächsten Schritt gehen können. Ich würde ihn nicht überhöhen. Ich würde ihn aber auch nicht zu klein reden wollen. Denn allein bei der Landesverwaltung fallen pro Jahr 5 Millionen Rechnungen an. Wenn es gelingt, den Unternehmen in Zukunft die Möglichkeit zu geben, diese Rechnungen elektronisch an die Landesverwaltung zu übermitteln, ist das ein Fortschritt für Nordrhein-Westfalen und eine Erleichterung für die Unternehmen und die Verwaltung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie das auf die Kommunen übertragen, dann haben Sie es mit Hunderten Millionen Rechnungen pro Jahr zu tun.

Wir genügen damit nicht nur der EU-Vorgabe, sondern eröffnen auch den Unternehmen, die kleinere Rechnungen stellen, die Möglichkeit, dies in Zukunft ebenfalls elektronisch zu tun. Wir verpflichten sie nicht – Herr Bolte-Richter, das ist richtig –, aber wir eröffnen ihnen die Möglichkeit.

Im Übrigen eröffnen wir – ich bitte Sie, sich das noch einmal genau anzuschauen – den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit, bei Ausschreibungen auch eine Verpflichtung für die elektronische Rechnung vorzusehen. Das liegt dann aber in der Verantwortung der öffentlichen Auftraggeber auf der jeweiligen Ebene. Insofern schaffen wir auf der einen Seite einen hinreichenden Druck und auf der anderen Seite auch die Chance, sich auf diese neuen Bedingungen einzustellen.

Dazu gehört auch, dass die Kommunen die nötigen Voraussetzungen gewinnen. Frau Kampmann, wir sind in ganz engem Austausch mit den Kommunen. Wir arbeiten hier sehr eng zusammen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass gerade unsere digitalen Modellkommunen in den nächsten zwei Jahren die Chance ergreifen werden, voranzugehen, die Software zu entwickeln und diese mit den anderen Kommunen zu teilen. Wir haben den Kommunen auch angeboten, dass sie auf ein Landesportal gehen können.

Wir werden also – das will ich hier kurz und bündig festhalten – alles tun, damit die Kommunen in diesem konkreten Fall, aber auch darüber hinaus die Digitalisierung vor allen Dingen als Chance für sich begreifen können, um ihre Arbeit im Benehmen mit den Bürgern und Unternehmen zu verbessern. Für Vorschläge, wie wir das noch besser machen können, sind wir jederzeit offen. – Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ihre Redezeit um 4 Minuten und 8 Sekunden überzogen. Bleibt es vor diesem Hintergrund dabei, dass es keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt gibt? – Das ist und bleibt der Fall. Damit sind wir am Schluss der Aussprache, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung. Die Fraktionen empfehlen die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/2575 an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation – federführend – und an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Innenausschuss sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zur Mitberatung. Ich frage, ob dies die Zustimmung des Hohen Hauses findet, und bitte um Ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich die einstimmige Zustimmung zur Überweisungsempfehlung fest.

Ich rufe auf:

4   Ministerpräsident Laschet muss dem Parlament gegenüber Stellung beziehen – welche Kenntnis hatte die Staatskanzlei zum angeblichen Hacker-Angriff auf Ministerin a. D. Schulze Föcking?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2641

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kutschaty das Wort. Bitte schön.

(Beifall von der SPD)

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist heute notwendig geworden, weil der Ministerpräsident sich geweigert hat, gestern bei der Fragestunde überhaupt anwesend zu sein, und  die Fragen dort in keinster Weise zufriedenstellend beantwortet werden konnten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie, sehr geehrter Herr Laschet, tragen dafür die Verantwortung. Der Fall Schulze Föcking ist längst kein Fall einer Staatsministerin a. D. mehr, und es geht bei diesem Fall längst nicht mehr ausschließlich um Schweinemast und Tierschutz auf einem Münsterländer Hof. Nein, Sie haben es talentiert geschafft, Herr Laschet, dass Sie den Fall Schulze Föcking zu Ihrem höchstpersönlichen Fall gemacht haben. Das haben Sie klasse hingekriegt!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen wende ich mich auch ganz persönlich an Sie, Herr Laschet. Sie haben jetzt vielleicht die letzte Chance,

(Zurufe von der CDU: Oh! – Dr. Günther Bergmann [CDU]: Da war der Wunsch der Vater des Gedanken!)

hier die Wahrheit auf den Tisch zu legen und weitere parlamentarische Untersuchungen abzuwenden. Nutzen Sie diese Chance. Sagen Sie den Menschen im Land gleich endlich die Wahrheit über das, was Sie gewusst haben, oder auch nicht wissen wollten. Darauf haben die Menschen in diesem Land einen Anspruch gegenüber ihrem Ministerpräsidenten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie, Herr Laschet, haben das Haus und die Öffentlichkeit über mehrere Wochen hinweg getäuscht, indem Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthalten haben.

Sie haben auch persönlich in Ihrer Pressekonferenz am 4. Mai 2018 Informationen gegeben, die den Oberbegriff „Wahrheit“ in keinster Weise verdienen, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben am 16. März 2018 mithilfe Ihrer Staatskanzlei und Ihres Regierungssprechers eine Geschichte aufbauen lassen, um Solidarität und Mitleid für eine politisch schwer angeschlagene Ministerin zu erheischen, was eine Zeit lang leider sogar funktioniert hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Bodo Löttgen [CDU]: Unverschämt!)

Und dann haben Sie, Herr Laschet, dem Wunsch aller Oppositionsfraktionen nicht entsprochen, indem Sie gestern nicht persönlich hier im Parlament zur Fragestunde erschienen sind. Das ist ein sehr bemerkenswerter Vorgang. Es mag durchaus Gründe geben, warum ein Ministerpräsident nicht immer in einem Parlament anwesend sein kann. Entschuldigt waren Sie jedenfalls nicht.

Vielleicht erklären Sie uns gleich, was es denn gestern Wichtigeres gegeben hat, als die Chance zu nutzen, Ihre eigene persönliche Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Dass Sie diese Chance vertan haben, ist eine Schande.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben mit Ihrem Verhalten, Herr Laschet, die Glaubwürdigkeit Ihrer eigenen Person, aber auch die der gesamten Landesregierung schwer beschädigt.

(Zurufe von der CDU: Och!)

Nach der Fragestunde von gestern ist vieles offengeblieben. Einiges können wir allerdings nach den mühsamen Antwortversuchen von Herrn Lienenkämper erahnen.

In Wahrheit hat nämlich Ihr Sprecher im Rahmen der Pressekonferenz vom 16. März 2018 die Öffentlichkeit über den niemals stattgefundenen Hackerangriff auf das Privathaus der Ministerin Schulze Föcking informiert, obwohl die Ermittlungsbehörden zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Erkenntnisse darüber hatten, dass es auch nur einen Angriff gegeben haben könnte. Das war alles ein Verdacht, der bloß über eine WE-Meldung und eine Anzeige der Familie Schulze Föcking an Sie gelangt ist.

Daraufhin kam sehr schnell eine Pressereaktion Ihres Pressesprechers. Da fragt man sich schon, ob diese mit den Ermittlungsbehörden abgestimmt gewesen ist. Denn üblicherweise ist es bei Hackerangriffen so, dass dann, wenn keine weiteren Personen in Gefahr geraten können, erst einmal verdeckt ermittelt wird, um an die Täter heranzukommen.

Was aber haben Sie, was hat Ihre Staatskanzlei gemacht? Sofort an die Öffentlichkeit, um diese Mitleidsnummer zu spielen! Damit haben Sie oder hätten Sie wahrscheinlich sogar noch die Ermittlungen erheblich gefährdet, wenn Sie das getan hätten, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt nur die Strafanzeige. Daraufhin hat der Pressesprecher gesagt:

„Nach Informationen der nordrhein-westfälischen Ermittlungsbehörden hat es von bisher unbekannter Seite Versuche gegeben, auf persönliche Daten der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, Christina Schulze Föcking, zuzugreifen. Mindestens teilweise waren die Versuche demnach auch erfolgreich.“

Herr Laschet, geben Sie zu: Eine solche Auskunft hat es vonseiten der Ermittlungsbehörden nicht gegeben. Diese Behauptung Ihres Sprechers ist frei erfunden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dass das frei erfunden war, haben wir gestern gehört. Das wussten Sie, das wussten aber auch andere Kabinettsmitglieder spätestens seit Ende März dieses Jahres. Seit Ende März war im Kabinett und Ihnen bekannt, dass an diesem Hackerangriff nichts dran war.

Und was machen Sie? Gar nichts! Im Gegenteil – das finde ich besonders enttäuschend –: Am 26. April 2018 findet hier eine Plenarsitzung statt. Die Kollegin Düker spricht noch einmal im Namen aller demokratischen Fraktionen der Ministerin ihre Solidarität aus. Da sitzen die Ministerin Schulze Föcking und der Ministerpräsident. Sie sagen aber nichts dazu und lassen uns im Unklaren. Das ist eine Sauerei, Herr Laschet; das muss ich einmal sagen!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im Schottischen gibt es folgendes Sprichwort: Es lügt auch der, der die Wahrheit verschweigt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das gilt erst recht auch für Ihre ominöse Pressekonferenz am 4. Mai dieses Jahres. Da haben Sie ja über Gott und die Welt philosophiert. Die Journalisten interessierten sich aber für den Fall Schulze Föcking. Daraufhin haben Sie gesagt, es sei aus Ihrer Sicht alles aufgeklärt. Nichts war aufgeklärt. Sie wussten auch, dass nichts aufgeklärt war. Das ist die nächste Sauerei gegenüber der Öffentlichkeit, die Sie sich geleistet haben, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben mittlerweile – so zeigt es Ihr Handeln – jeden Respekt gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit verloren.

Ich warne Sie, Herr Laschet: Unternehmen Sie nicht den gleichen Versuch, den Herr Lienenkämper gestern gemacht hat. Versuchen Sie nicht, Frau Schulze Föcking wieder vor die Flinte zu schieben und diese Mitleidsnummer mit den Bedrohungen durchzuziehen.

So etwas ist ernst. Das räumen wir ein. Keiner hier hat Bedrohungen zu tolerieren. Wir alle stellen uns solidarisch dagegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber das sind zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Die zu verachtende und zu verurteilende Bedrohung von Frau Schulze Föcking akzeptiert keiner von uns. Hier geht es aber um die Aufklärung. Es geht um Ihre Glaubwürdigkeit, Herr Laschet. Die Mitleidsnummer läuft heute nicht mehr. Die Vertuschungsnummer läuft heute auch nicht mehr, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Es geht heute um Ihre persönlichen Fehler, Herr Laschet. Wenn Ihr Regierungssprecher auf Ihren Wunsch hin zu Anfang der Affäre, am 16. März 2018, eine Presseerklärung abgeben kann, dann müssen wir uns fragen: Ist das abgestimmt gewesen oder nicht?

(Das Ende der Redezeit wird erneut signalisiert.)

Aber dann sagt Herr Lienenkämper: Bis heute kann sich Herr Laschet nicht dazu äußern, weil er nicht in staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingreifen möchte. – Das war gestern die Ausrede von Herrn Lienenkämper, warum Sie, Herr Laschet, nichts gesagt haben.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit!

Thomas Kutschaty (SPD): Ich kann es ja verstehen, wenn ein Ministerpräsident besorgt ist und Ermittlungen nicht gefährden will. Aber bei diesen Ermittlungen war seit Wochen nichts mehr zu gefährden, glaube ich.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Da hätte man die Staatsanwaltschaft mal fragen können, ob man was sagen kann oder nicht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte die Redezeit beachten!

Thomas Kutschaty (SPD): Im Übrigen: An das Prinzip, nichts zu sagen, haben Sie sich ja schon am ersten Tag nicht gehalten, Herr Laschet.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Ja. Weil ich einmal Justizminister war, weiß ich, dass dieser Tweet von Ihnen genau dagegensteht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kutschaty!

Thomas Kutschaty (SPD): Ich zitiere noch einmal, was Herr Laschet …

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Sie haben die Redezeit schon …

Thomas Kutschaty (SPD): … am 16. März 2018 getwittert hat:

Alle Achtung! CDU, SPD, FDP und Grüne gemeinsam gegen den unerträglichen Eingriff in die Privatsphäre der Ministerin. Manche politischen Aktivisten überschreiten jede Grenze des Anstandes.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kutschaty!

Thomas Kutschaty (SPD): Da wussten Sie schon, dass es politische Aktivisten waren, und haben sich in die Ermittlungen eingemischt. Warum machen Sie das jetzt nicht?

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kutschaty, Sie überschreiten die Redezeit sehr deutlich. Bitte kommen Sie zum Schluss!

Thomas Kutschaty (SPD): Herr Laschet, nutzen Sie die Chance! Machen Sie jetzt reinen Tisch. Sagen Sie endlich die Wahrheit! Darauf haben wir alle in diesem Land einen Anspruch. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kutschaty. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Düker das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Öffentlichkeit in Nordrhein-Westfalen hat einen Anspruch darauf, dass Informationen der Landesregierung – zum Beispiel übermittelt durch Ihren Regierungssprecher, Herr Laschet – den Tatsachen entsprechen. Das war offenbar am 16. März 2018 nicht der Fall. Denn offenbar hat am 16. März 2018 die Aussage der Staatskanzlei, dass Hacker-Versuche im Hause der damaligen Ministerin Schulze Föcking mindestens teilweise erfolgreich waren, nicht den Tatsachen entsprochen.

Am 7. Mai 2018 bestätigte Ihr Regierungssprecher trotzdem noch einmal, dass dem Innenministerium und der gesamten Landesregierung weitere Erkenntnisse vorlagen, um diese tatsachen- und faktenbasierte Aussage zu stützen.

Gestern in der Fragestunde fragten wir nach, was für Informationen das denn waren. Der Finanzminister bezog sich auf diverse Korrespondenzen des Innenministeriums vor dieser Pressemitteilung. Nein, Herr Ministerpräsident, diese Aussagen gestern reichen nicht aus, um zu erklären: Diese Äußerungen waren faktenbasiert. – Sie waren es nicht.

Ich behaupte, dass das Motiv – einen anderen Schluss lassen Sie leider hier und heute nicht zu – für diese Pressemitteilung eine taktische Täuschung der Öffentlichkeit war.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir erwarten heute zu diesem Vorgang eine eindeutige Stellungnahme – und nicht, wie gestern, fadenscheinige Ausflüchte und Mauern durch Ihren Finanzminister, wenn wir nachgefragt haben.

Ihr Vertrauensbruch gegenüber dem Parlament, Herr Ministerpräsident, wiegt für uns schwer. Es war bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt klar, dass im Zuge der Ermittlungen keine Anhaltspunkte für einen Hackerangriff von außen auf die IT-Geräte im Haus von Frau Schulze Föcking gefunden wurden, und das – ich zitiere aus dem Bericht an den Rechtsausschuss – „nach mehrfacher umfangreicher Prüfung“, wie es in dem Bericht heißt.

Gestern lautete die lapidare Antwort von Herrn Lienenkämper auf die Frage, warum man denn nicht früher informiert habe: Der Ministerpräsident äußert sich prinzipiell nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren.

Erstens. Herr Ministerpräsident, das stimmt nicht. Denn es war Ihr Regierungssprecher, der zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich am 16. März 2018, genau dies getan hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er damit angerichtet hätte, wenn es sich tatsächlich um eine Cybercrime-Attacke gehandelt hätte. Unter Umständen hätte er, wie Kollege Kutschaty ausgeführt hat, hiermit die Ermittlungen aufs Massivste gefährdet. Nein, dieses Agieren hat zuallerletzt Ihrer eigenen Ministerin geholfen; es hat ihr vielmehr sogar massiv geschadet.

Zweitens frage ich Sie heute, Herr Ministerpräsident: Wenn die Landesregierung – auch das haben wir gestern gehört – über alle Ermittlungsstände informiert war, warum haben Sie dann nicht einmal bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt, ob und welche Erkenntnisse veröffentlicht werden können? Haben Sie das gemacht? Haben Sie überhaupt versucht, ein Okay von der Staatsanwaltschaft zu bekommen, um uns hier im Parlament zu informieren, nämlich diejenigen, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihre Solidarität erklärt haben?

Das waren ja nicht nur der Kollege Römer und ich. Herr Löttgen und Herr Rasche, das müsste Ihnen ebenfalls ein Anliegen sein; denn auch Sie haben hier Ihre Solidarität erklärt. Haben Sie überhaupt versucht, die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft bzw. das Okay von der Staatsanwaltschaft zu bekommen, um uns im Parlament darüber zu informieren?

Sie haben es nämlich nicht gemacht. Dazu erwarte ich von Ihnen heute eine eindeutige Aussage. Und das ist ein Vertrauensbruch dem Parlament gegenüber, der sehr schwer wiegt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich fasse zusammen: Ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen kann es sich nicht leisten, dass jemandem, der für diese Regierung spricht, die Imagepflege eines angeschlagenen Regierungsmitglieds offenbar wichtiger ist als die korrekte Information der Öffentlichkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Ministerpräsident, Ihr Agieren lässt keinen anderen Schluss zu als den, dass dies genau so in Ihrer Staatskanzlei passiert ist. Wenn dem so ist, dann muss das auch Konsequenzen haben. Da reicht der Rücktritt der Ministerin nicht aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn was sollen wir dieser Staatskanzlei noch glauben, wenn man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Regierungssprecher Dinge erzählt, die tatsächlich auch faktenbasiert sind und nicht nur taktisch motiviert sind?

Wenn das so ist, erwarten wir hier von Ihnen als Regierungschef heute auch Antworten dazu, was dieses Verhalten für Konsequenzen hat. Denn Sie selbst, Herr Ministerpräsident, haben sich mit dieser desaströsen Desinformationspolitik Ihrer Staatskanzlei in eine Regierungskrise hineinmanövriert.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Wir sind gespannt auf Ihre Antworten dazu. Heute haben Sie die Chance, das Parlament einmal umfassend, ehrlich und ausführlich über die Vorgänge zu informieren. Ich bin gespannt auf Ihre Ausführungen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Seifen das Wort.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An der Causa Schulze Föcking kann der geneigte und politikerfahrene Beobachter die Teildeformationen unseres parlamentarischen Betriebes studieren. Da geht es nicht tatsächlich um das Ringen um die besten Lösungen für die Beseitigung von Problemen. Da geht es nicht um die Interessen des Landes und der Bürgerinnen und Bürger.

Nein, in der Causa Schulze Föcking zeigen die Vertreter der Altparteien die hässliche Fratze von Parteisoldaten, denen es nur darum geht, der eigenen Partei dadurch einen Vorteil zu verschaffen, dass man dem anderen einen Schaden zufügt.

(Beifall von der AfD)

Da scheut man auch vor persönlichen Verunglimpfungen nicht zurück. Einige Vertreter von Rot-Grün haben ganz offensichtlich ihren heimlichen Spaß daran gehabt, eine vollkommen überforderte, ängstlich und defensiv agierende Ministerin fertigzumachen. Hier tun sich Abgründe der Unmenschlichkeit auf. Mitmenschlichkeit immer im Munde führen und als Motiv für das politische Handeln vortäuschen, aber in Wirklichkeit jeden wegräumen, der nicht auf Linie liegt,

(Beifall von der AfD)

und hetzen, bis der Mensch erledigt ist, auf den Sie es abgesehen haben – das ist die Methode, mit der Sie vorgehen. Das ist der brutale und rücksichtslose Kern Ihres politischen Handelns, das sich natürlich immer hinter einer moralischen Attitüde verbirgt.

(Beifall von der AfD)

Aber, Herr Ministerpräsident, Sie kennen doch Ihre Pappenheimer. Sie kennen doch den Betrieb hier seit Langem. Sie wissen doch, wie das hier läuft. Dass Sie da noch Krokodilstränen weinen, kann ich nicht verstehen. Sie tragen doch die Mitverantwortung für dieses persönliche Desaster einer Ministerin, das mir persönlich von Herzen leidtut.

(Beifall von der AfD)

Von einem Ministerpräsidenten kann man erwarten, dass er sich hinter seine Minister stellt, ja, dass er sie in einer schwierigen Situation berät und zur Wahrheit ermutigt. Das haben Sie nicht getan. Sie haben Ihre Kollegin im Stich gelassen.

(Beifall von der AfD)

Dadurch wird insgesamt die Schwäche Ihrer Regierung offenbar. Vor allem wird offenbar, dass Sie als Ministerpräsident einen erheblichen Anteil an der Schwächlichkeit Ihrer Regierung haben. Sie haben doch die Entscheidung getroffen, die Ministerriege so aufzustellen. Oder hat man sie Ihnen aufgezwungen?

Da haben Sie offenbar Fehlgriffe getan. Da ist einmal Minister Holthoff-Pförtner, der Medienmogul, dem Sie bereits wichtige Kompetenzen entziehen mussten. Damals sind Sie noch einmal knapp an der Blamage vorbeigeschrammt. Nun ist da Frau Schulze Föcking, die mit dem Krisenmanagement heillos überfordert war.

Es ist Ihre Taktik, die Sie wohl von dem politischen Betrieb gewohnt sind: taktieren, was das Zeug hält; nur zugeben, was man nicht mehr verschweigen kann; auch mal Fünfe gerade sein lassen. Diese Bigotterie in Ihrem politischen Handeln habe ich bereits in meiner letzten Rede zu diesem Fall angezeigt. Da haben Sie hier noch lautstark protestiert und gesagt, das gehöre nicht zum Thema. Jetzt merken Sie, dass ich mitten im Thema war, so in der Mitte wie kein anderer Redner hier.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der SPD: Oh!)

Wahrheit und Klarheit! Wahrheit und Klarheit müssen die Grundlagen sein, an denen jeder Behördenleiter, jeder Staatsminister, jeder Ministerpräsident sein Handeln ausrichten muss. Wahrheit und Klarheit! Daran fehlt es Ihnen ganz gewaltig.

(Beifall von der AfD)

In allen Politikfeldern schwurbeln Sie herum – innere Sicherheit, Schule und Bildung, erneuerbare Energie. Sie wissen, dass die Politik der letzten 20 Jahre grandios gescheitert ist und für die Verwerfungen verantwortlich ist, mit denen wir jetzt zu kämpfen haben und die uns als Partei haben entstehen lassen – die Politik der Duldsamkeit und Toleranz auch gegenüber Intoleranten, verschrobene romantische Ansichten über Lehren und Lernen, Leugnen physikalischer Gesetzmäßigkeiten zugunsten ideologischer Konstrukte in der Energiewende.

(Beifall von der AfD)

Doch obwohl Sie das alles wissen, steuern Sie nicht um. Ihre Feigheit vor der politischen Aburteilung durch die ökosozialistischen Meinungsführer in diesem Lande verführt Sie zu einem bigotten Verhalten, das ich seinerzeit schon angeklagt habe. 68er-Sprech und politisches Handeln für das Wohlergehen einer bürgerlich-liberal-humanen Leistungsgesellschaft passen nicht zusammen.

(Beifall von der AfD)

Wenn man beides will, muss man sich verbiegen. Da waren Sie eben in der Causa Schulze Föcking im Dilemma – das kann ich gut verstehen –: Tierschutz nach Wunschdenken oder zugeben, dass in einem Mastbetrieb Unregelmäßigkeiten vorkommen können, vielleicht auch einmal Dinge, die gegen den Tierschutz sind? Ja, das passiert. Nur bei den Links-Grünen passieren keine Fehler; das ist klar. Bei allen anderen passieren diese Fehler.

Dazu muss man stehen, Herr Laschet. Wahrheit und Klarheit sind die Grundlage von Glaubwürdigkeit, und die müssen wir in diesem Land wieder herbeiführen.

(Beifall von der AfD)

Aber das ist eben die Krux der ehemals bürgerlichen Kräfte. Es tut mir im Herzen leid; aber ich muss es leider sagen: Sie haben sich dem ökosozialistischen Wahn ergeben.

(Lachen von der SPD)

Sie beugen sich der links-grünen Deutungshoheit, und Sie verstehen nicht, dass Sie da ausgelacht werden für diese Handlungen, die Sie jetzt begehen.

(Beifall von der AfD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie werden ausgelacht!)

– Sie wissen ja noch nicht einmal, worüber Sie lachen. So weit ist es schon gekommen.

Sie berauben sich damit einer Möglichkeit, kraftvoll zu handeln. Ändern Sie Ihre Haltung grundsätzlich! Kehren Sie zurück zu einer klaren bürgerlichen Politik zum Wohle der Menschen in diesem Lande! Sie müssen wissen: Dort sitzen die Feinde der bürgerlichen Gesellschaft. Der Feind sitzt links.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Seifen für die Fraktion der AfD. – Nun hat der fraktionslose Abgeordnete Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! In allen Reden zu diesem Thema ist heute wieder eines angeklungen: die große Solidarität, die aus diesem Parlament für die Ministerin a. D. hervorgegangen ist.

Meine Damen und Herren insbesondere von den Grünen, eines will ich Ihnen dazu aber auch sagen, weil Sie ständig wiederholen, wie solidarisch Sie doch waren: Sie haben zu einem Zeitpunkt, als Sie glaubten, dass die Ministerin möglicherweise tierrechtliche Verstöße zu verantworten hätte, und als das alles noch auf Mutmaßungen beruhte, eine Hexenjagd veranstaltet, die erst zu der wesentlichen Bedrohungslage beigetragen hat, die Sie dann am Ende bedauert haben.

(Zuruf von der SPD: Das glauben auch nur Sie selbst!)

– Nein, das sollten Sie besser wissen. Sie wissen, dass es neben den vernünftigen Tierrechtlern unter den sogenannten Tierrechtsaktivisten leider auch eine ganze Reihe gewaltbereiter Menschen gibt. Sie haben diese Hexenjagd mit befördert.

Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, Sie haben sich dann ausgerechnet bei den Grünen Unterstützung geholt, während Sie gleichzeitig ein politisches Signal gesetzt haben, mit dem Sie andere Leute von einer solchen Solidaritätserklärung ausgegrenzt haben.

Solange Sie das Ganze mit solchen taktischen Spielchen betreiben, geht es Ihnen eben nicht darum, echte Solidarität zu zeigen. Solidarität bezweifle ich bei einigen Leuten aus der CDU ohnehin, wenn ich mir einmal anschaue, wie in den letzten Monaten mit Frau Schulze Föcking umgegangen worden ist. Vielmehr ging es Ihnen darum, politische Signale zu setzen.

Kommen wir nun zum Kern der Geschichte. Eigentlich ist das Ganze doch ein Skandälchen. Lustigerweise hat ausgerechnet ein Minister a. D., der dreimal mehr Gründe als Frau Schulze Föcking gehabt hätte, zurückzutreten, diese Debatte eröffnet.

(Beifall von der AfD)

Ein Skandal ist allerdings das Krisenmanagement; das muss ich leider sagen. Das ist ausgesprochen schlecht gelaufen. Was Ihr Finanzminister gestern hier an aufgeblasener Arroganz abgeliefert hat, setzt dem Ganzen die Krone auf. Wenn Sie nicht erkennen, dass ohne einen Anfangsverdacht überhaupt kein laufendes Verfahren vorhanden sein kann – das sollten Sie wissen –, dann tut mir das leid.

(Zuruf: Das stimmt aber!)

Aber das ist kein Grund für Arroganz, sondern eher ein Anlass zur Demut. Vielleicht fragen Sie einmal im Justizministerium nach, welches laufende Verfahren denn überhaupt anhängig ist. Es kann gar keines geben.

Ich kann Ihnen nur Folgendes raten, Herr Laschet: Vielleicht überprüfen Sie einmal das, was Ihr Finanzminister gestern gesagt hat. Überlegen Sie sich, ob Sie das heute wiederholen wollen. Ich hielte das für einen Fehler.

Ich hoffe, dass wir an dieser Stelle endlich das Kommunikationsdesaster beenden. Ausschließlich darum handelt es sich nämlich. Es gibt keinen politischen Skandal im Ministerium. Es gibt allenfalls einen Managementskandal.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Pretzell. – Für die Landesregierung hat nun Herr Ministerpräsident Laschet das Wort.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erstens. Die Drohungen, die Frau Schulze Föcking erhalten hat, und die sie auch zur Abgabe ihres Ministeramtes bewogen haben, sind drastisch und schwer erträglich. Sicher hat jeder von uns in diesem Haus schon einmal Drohschreiben erhalten. Diese Qualität der Drohungen, wie sie Frau Schulze Föcking ertragen musste, dürften aber bisher nur die wenigsten von uns erfahren haben.

(Zuruf von der AfD: Wir alle!)

Für mich kann ich sagen: Ich habe so etwas trotz mancher Bedrohungen, die wir alle kennen, noch nie erfahren.

In handschriftlichen Briefen, über soziale Medien, sogar in Kommentarleisten des Internetauftritts eines Fernsehsenders wird im Detail damit gedroht, man solle gefoltert werden; man solle erschossen werden; man solle qualvoll sterben. Das alles ist besorgniserregend. In diesem Umfeld bewegte sich das, worüber wir heute diskutieren.

Dass man in einer solchen Bedrohungslage damals auf Nummer sicher geht und bei einem solchen Vorfall im Privathaushalt die Behörden einschaltet, sodass dort ermittelt wird, halte ich für völlig nachvollziehbar und richtig.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob Sie das anders sehen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Nein!)

Ich halte es für richtig, in einem solchen Fall die Behörden einzuschalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das war das Erste, was klargestellt werden musste.

Es handelt sich unabhängig davon auch jenseits der Bedrohungslage bei einem Hackerangriff auf ein Mitglied der Landesregierung mit Blick auf Fragen der Datensicherheit um einen besonders sensiblen Vorgang, den man aufklären muss, und zwar mit allen Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch den Fraktionen des Landtags für die damalige parteiübergreifende Solidaritätsadresse danken, die diesem vermuteten Hackerangriff folgte, weil es theoretisch jeden von uns in dieser Weise erwischen kann. – Das möchte ich zu Beginn meiner Ausführungen ausdrücklich sagen.

Zweitens. Gerade in diesen Zeiten halte ich es für wichtig, dass die Institutionen unseres Rechtsstaates verlässlich sind. In solchen Zeiten muss sich jeder seiner Aufgabe bewusst sein. Da muss jeder seinen Platz kennen und sich da auch einmal zurücknehmen können.

Deshalb gilt für mich: Ein Ministerpräsident kommuniziert prinzipiell nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren.

(Zuruf von der SPD: Hat er aber!)

Diese Haltung vertritt dieser Ministerpräsident. Er wird diese Haltung auch nicht ändern. Das ist mein Grundprinzip.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Der Ministerpräsident tut es nicht.

(Thomas Kutschaty [SPD] hält eine Unterlage hoch.)

– Der Tweet, den Sie gerade hochhalten, Herr Kutschaty, ist Teil der Solidaritätsadresse zu dem, was damals passierte. Aber es ist kein Bericht aus einem laufenden Ermittlungsverfahren. Solange ich dieses Amt bekleide, werde ich nicht über laufende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft berichten.

Als früherer Justizminister müssten Sie das größte Verständnis für diese institutionell wichtige Frage haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das fällt manchmal schwer, und man würde gerne etwas sagen.

(Nadja Lüders [SPD]: Das haben Sie getan!)

Aber bis zum heutigen Tag ist der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft nicht da.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Eine andere Frage ist: Kann die Betroffene die Öffentlichkeit informieren?

(Zuruf von der SPD: Die Frage ist im Ausschuss beantwortet worden!)

Frau Schulze Föcking hat in diesem Hause – im Ausschuss – öffentlich bedauert, dass sie in dem Moment, als man ihr bestimmte Zwischenergebnisse mitgeteilt hat, die Fraktionen nicht unterrichtet hat.

(Zuruf von der SPD)

– Informell hat sie das bedauert. Ich teile dieses Bedauern. Sie hätte es den Fraktionen sagen sollen. Insofern hat sie recht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist eine besondere Größe! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Das ist – da werden mir sicher auch die Kollegen von SPD und Grünen zustimmen – in Fällen von hohem öffentlichem Interesse ein nicht unübliches Verfahren.

Drittens: die Landesregierung als Ganzes. Für mich und die gesamte Landesregierung gilt: Wir wollen volle Transparenz herstellen und das Parlament umfassend informieren.

(Christian Dahm [SPD]: Sehr gut!)

Das hat Minister Lienenkämper gestern sehr detailliert getan.

(Zurufe von der SPD: Nein!)

– Er hat das sehr detailliert gemacht.

(Zurufe von der SPD: Sie waren ja gar nicht da! Immer mit der gleichen Schallplatte!)

– Als in der Fragestunde die Redezeit der Fraktionen abgelaufen war, haben die Mehrheitsfraktionen, denen ich dafür danke, das ausdrücklich ermöglicht und erklärt: Sie können alle Fragen stellen, solange Sie möchten. – Und Sie hätten noch Stunden weiterfragen können, wenn es nach CDU und FDP gegangen wäre.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist übrigens ein Grundprinzip dieser Landesregierung,

(Unruhe)

das für alle Vorgänge gilt: Wir wollen Transparenz. Frau Schulze Föcking hat zum Beispiel zur Stabsstelle Umweltkriminalität sehr schnell alle Akten öffentlich gemacht.

(Zuruf von der SPD: Nachdem sie aufgelöst war!)

Jeder hätte ins Ministerium gehen können: die Journalisten, die Abgeordneten. Das ist unser Verständnis von Regierungsführung: Offenlegen, damit jeder sehen kann, was in den Akten steht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Manche Dinge sind Verschlusssachen.

(Zuruf von der SPD)

Wir haben aber beispielsweise den vertiefenden Sachstandsbericht des Referats 423, Polizeilicher Staatsschutz, aus Gründen der Transparenz und auch auf Wunsch der Staatskanzlei und der Hausleitung des Innenministeriums bereits in der 19. Kalenderwoche, also in der vergangenen Woche, aus dem Grad „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ ausgestuft und den anfragenden Medienvertretern umgehend zur Verfügung gestellt, 

(Zuruf von der SPD)

unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben zur Nutzung von personenbezogenen Daten.

Der Minister hat gestern auch aus diesen Dokumenten zitiert.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Auf die Frage, wann ich bzw. die Staatskanzlei über den Stand der Ermittlungen und die Nachricht vom 18. April an Frau Christina Schulze Föcking informiert waren, hat der Regierungssprecher ebenfalls bereits in der letzten Woche

(Christian Dahm [SPD]: Zeitnah!)

in einer Pressekonferenz kommuniziert, dass wir ständig und zeitnah informiert worden sind. Das hat der Regierungssprecher hier gestern noch einmal bestätigt.

(Zuruf von der SPD: Regierungssprecher?)

– Das hat der Finanzminister bestätigt, der gestern für die Regierung gesprochen hat.

Ebenfalls für die Landesregierung hat der Finanzminister gestern alles so ausgeführt, dass Sie es bis ins Detail, bis auf jede Uhrzeit – alles, was Sie brauchen – im Plenarprotokoll, das etwas umfangreicher sein wird als üblich, nachlesen können.

(Christian Dahm [SPD]: Was? – Michael Hübner [SPD]: Sie ist sehr konkret gefragt worden und hat nicht geantwortet! – Nadja Lüders [SPD]: Sie waren gestern nicht da!)

– Sollten Sie, was ich aus Ihrer Unruhe schließe, weitere Fragen haben, legen Sie sie vor. Sie bekommen jede Frage beantwortet. Sie bekommen von uns alle Dokumente, die öffentlich zugänglich sind, zur Verfügung gestellt.

Unser Stil ist:

(Beifall von der CDU und Martin Börschel [SPD] – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir lassen die Institutionen ihre Arbeit machen, die dann selbstständig die Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse unterrichten. Das, was wir politisch zu berichten haben, so wie gestern, legen wir Ihnen zu jeder Zeit offen: in jeder weiteren Fragestunde, auf jede schriftliche Anfrage. Alles, was Sie brauchen, steht zur Verfügung. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Wo waren Sie denn gestern?)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Für die SPD hat der Abgeordnete Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Herr Ministerpräsident, wir haben mit vielem gerechnet – Entschuldigung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! –, aber nicht mit dem, was Sie heute hier abgeliefert haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber ich finde es gut, dass Sie klargestellt haben: Das ist der Stil dieser Landesregierung. Die Menschen wissen jetzt Bescheid, wie wir in Nordrhein-Westfalen regiert werden.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vertuschen und Vernebeln gehören also zum Stil dieser Landesregierung.

Sie konnten ja der Versuchung nicht widerstehen, auf die massiven Bedrohungen einzugehen und das Ganze in Kombination mit dem Mitleid wieder zum Hauptthema zu machen.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Auch da haben Sie Frau Schulze Föcking wieder vor die Flinte laufen lassen. Schämen Sie sich dafür, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Es hat keiner in diesem Saal bestritten, dass es völlig normal ist – das erwartet eigentlich auch jeder –, dass ein solcher Vorfall, der Verdacht eines Hackerangriffs, angezeigt wird. Wir waren ja froh, dass mal etwas angezeigt wird; denn andere Sachen, wie beispielsweise der Einbruch in den Stall, sind lange Zeit nicht angezeigt worden. Insofern ist es gut, dass es die Anzeige gab. Da widersprechen wir Ihnen überhaupt nicht.

Entscheidend sind aber die Aussagen: Ein Ministerpräsident kommentiert die Ermittlungen nicht. Eine Landesregierung kommentiert die Ermittlungen nicht. – Aus meiner Erfahrung als Justizminister kann ich Ihnen berichten, dass ich Dutzende von Anfragen aus Ihrer Fraktion hatte: Berichten Sie doch bitte mal zu dem Fall, zu dem Fall und zu dem Fall.

(Zuruf von der SPD: Vom jetzigen Justizminister übrigens!)

– Darum geht es ja auch.

Ich kann Ihnen Dutzende Anträge nennen. Zu dem großen Loveparade-Verfahren zum Beispiel habe ich monatlich im Rechtsausschuss berichtet. Das waren laufende Ermittlungen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Sondersitzung!)

Meinen Sie, darüber kann man nicht berichten? Es gibt noch Tausende anderer Verfahren.

Ich nenne Ihnen den Weg, wie es geht: Der Justizminister fragt bei der Staatsanwaltschaft nach und legt dar: Es gibt ein öffentliches Interesse, das ist ein bedeutender Fall. Darüber muss die Öffentlichkeit aufgeklärt werden. Was kann ich sagen? Gibt es irgendwelche Interessenskollisionen, die Ermittlungen gefährden können?

Dann bekommen Sie von der Staatsanwaltschaft über den Generalstaatsanwalt – die hätte Ihr Justizminister anfordern können –

(Zuruf von der SPD: Herr Laschet, schreiben Sie mit!)

eine Stellungnahme dazu, und dann kann man das veröffentlichen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielleicht sprechen Sie zwischendurch mal mit Ihrem Justizminister, wie man so etwas bewerkstelligen kann. Das alles ist machbar. Gerade wenn die Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, sollte man das auch tun. Das gehört dazu.

Wir sind in den letzten vier Wochen auch nicht in einer Phase gewesen, in der irgendwelche Ermittlungen hätten gefährdet werden können. Im Gegenteil, es war ja überhaupt nichts dran.

Jetzt greife ich einen neuen Begriff auf, den Sie genannt haben, Herr Laschet; ich war ja fassungslos. Sie sagen, Ihr Stil sei volle Transparenz. Wo war denn da die Transparenz?

(Zuruf von der SPD: Milchglas!)

Wir unterhalten uns in Plenarsitzungen über den Fall, und Sie verschweigen alles. Sie setzen die Presse auf die falsche Fährte, indem Sie am 4. Mai viel erzählen, aber nicht die Wahrheit über den Ermittlungsstand zu Frau Schulze Föcking. – Nein, das ist nichts.

(Martin Börschel [SPD]: So ist das!)

Lieber Herr Laschet, Sie wollten die Nummer mit der Mitleidswelle weiter reiten. Sie haben vergessen, zum entsprechenden Zeitpunkt die Bremse zu ziehen, und jetzt sind Sie damit vor die Wand gefahren. Das haben Sie zu verantworten.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die CDU hat nun der Abgeordnete Kerkhoff das Wort.

Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Düker, Herr Kutschaty, Sie sind heute in der Presse zitiert worden, dass das der größte Affront sei, den Sie je erlebt haben.

(Nadja Lüders [SPD]: Kommen da noch mehr von Ihnen?)

Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben in der Bewertung der ganzen Angelegenheit jedes Maß verloren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist eine armselige Inszenierung,

(Zuruf von der SPD: Ja klar!)

die wir hier erleben.

(Christian Dahm [SPD]: Das ist eine Peti-tesse!)

Gestern hat Minister Lienenkämper alle Fragen umfassend und detailliert beantwortet.

(Zurufe von der SPD: Sie glauben es immer noch! Es wird nicht wahrer, wenn man es immer wiederholt! – Weitere Zurufe)

Er hat das stellvertretend für die gesamte Landesregierung getan. Heute hat der Ministerpräsident alles Notwendige gesagt.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das glauben auch nur Sie! – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

In der Fragestunde entscheiden nun einmal nicht Sie, wer für die Landesregierung spricht, aber Ihre Reaktionen gestern und auch heute zeigen, worum es Ihnen geht. Wenn Sie an der Sache interessiert wären, könnte es Ihnen doch ganz egal sein, wer Ihnen Antworten liefert.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Ihnen geht es um Klamauk, und das wird heute wieder deutlich.

(Beifall von der CDU und der FDP – Nadja Lüders [SPD]: Das wäre uns auch egal, wenn wir Antworten bekommen würden! – Weitere Zurufe)

Zum Vorwurf, der Ministerpräsident hätte gestern nicht selbst auf Ihre Fragen geantwortet, mache ich Sie auf Folgendes aufmerksam: Hannelore Kraft hat sich in ihrer gesamten Regierungszeit bei sechs Fragestunden, die ihren engeren Geschäftsbereich betrafen, nur einmal selbst den Fragen gestellt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Aha!)

In dem einen Fall ging es um die Funklochaffäre –

(Christof Rasche [FDP]: Stichwort „Glaubwürdigkeit“!)

die Älteren erinnern sich.

(Zuruf von der SPD: Was hat denn das damit zu tun?)

Das war auch logisch, denn nur sie konnte etwas dazu beitragen, weil ja schließlich niemand anderes in diesem Funkloch saß.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Hannelore Kraft [SPD] – Gegenrufe von der CDU und der FDP – Zurufe von Heike Gebhard [SPD] und von Norwich Rüße [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, die Vertreter der Fraktionen können naturgemäß zu den Abläufen innerhalb der Landesregierung keine Auskunft geben. Ich kann nur etwas zur Wirkung dieser schrägen Debatte auf mich sagen:

Erstens. Minister Lienenkämper hat alle Ihre Fragen umfassend und detailliert beantwortet.

(Zuruf von der SPD: Das wird immer noch nicht besser! – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Ihr Problem ist, dass das nicht die gewünschten Antworten waren. Deshalb haben Sie wahrscheinlich die identischen Fragen auch fünfmal gestellt.

(Zuruf von der SPD: Die sind ja nicht beantwortet worden! – Weitere Zurufe)

Aber wir passen die Wahrheit nicht so an, dass es zu Ihren Verschwörungstheorien passt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Wir haben die gestrige Fragestunde weit über das in der Geschäftsordnung vorgesehene Zeitlimit hinaus verlängert

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Im Rahmen der Geschäftsordnung!)

und durch unsere Enthaltung ermöglicht, dass Sie alle Ihre Fragen stellen konnten. Ich stelle fest: Es kamen keine neuen Fragen mehr.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Weil keine Antworten mehr kamen!)

Drittens. Es ist vielleicht nur mein Empfinden, aber dass sich in der Fragestunde die abgewählte Ministerpräsidentin aus der letzten Reihe und ehemalige Minister zu Wort melden, finde ich schlicht peinlich. Das ist allerdings einzig und allein Ihre Angelegenheit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Ich bin frei gewählter Abgeordneter! Sie verbieten hier niemandem den Mund! Sie nicht! – Weitere Zurufe von der SPD – Anhaltende Unruhe – Glocke)

– Sie machen hier kleine Dinge groß. Sie blasen das Thema auf. Das zeigt mir, in welchem Zustand Sie sich befinden. Das ist doch der Punkt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD)

Ich sage Ihnen: Auch mit der heutigen Fragestunde werden aus 22 % nicht 44 %.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD)

Ihr Problem ist doch: Sie sind blank. Sie haben keine Ideen für die Zukunft dieses Landes,

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

und solche Debatten sind der verzweifelte Versuch, davon abzulenken. Die Unruhe zeigt, dass ich damit recht habe.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Sie müssen auch alles schönreden! – Weitere Zurufe von der SPD)

Außerdem sprechen Sie davon, dass die Menschen in diesem Land einen Anspruch darauf hätten, dass der Ministerpräsident … usw. Meine Überzeugung ist, dass das, was wir hier veranstalten, meilenweit an den Interessen der Menschen vorbeigeht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Da haben Sie recht! Was Sie hier veranstalten!)

Sie fragen sich doch, was das eigentlich mit ihnen und ihren Problemen zu tun hat.

(Zuruf von der SPD)

– Doch.

(Henning Höne [FDP]: Wahrhaftigkeit, das ist das Thema! Wahrhaftigkeit!)

Abschließend: Die Nordrhein-Westfalen-Koalition macht dieses unwürdige Schauspiel nicht mit.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Wir setzen den Weg fort, unser Bundesland nach vorn zu bringen: für mehr Wachstum und Beschäftigung, für die Verbesserung der inneren Sicherheit und für mehr Chancen für Kinder zu sorgen. – Herzlichen Dank für das Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Für die Grünen hat nun die Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, zuallererst finde ich es schäbig, dass Sie die wirklich schlimmen Drohungen, die die ehemalige Ministerin Schulze Föcking erleiden musste, heute wieder aus der Schublade holen und instrumentalisieren,

(Ministerpräsident Armin Laschet: Ganz vorsichtig! – Henning Höne [FDP]: Weil Ihnen das unangenehm ist!)

um von Ihren eigenen Fehlern abzulenken.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich zitiere noch einmal, worum es heute geht. In dieser Aktuellen Stunde geht es um eine Fortsetzung der Fragestunde und darum – das können Sie explizit in dem Antrag nachlesen –, die Frage aufzuklären, warum der Regierungssprecher nicht über die Kenntnisse der Staatskanzlei zum Ermittlungsverfahren und über die Gespräche informiert hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Es geht um die Frage – auch beantragt –: Auf der Grundlage welcher Tatsachen hat Ihr Regierungssprecher am 16. März Statements über den Hackerangriff abgegeben? Darum geht es.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der FDP)

Herr Ministerpräsident, Sie sagten, Institutionen müssten verlässlich sein. Ja, aber eine Regierung ist auch eine Institution, die verlässlich sein muss.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass das, was diese Regierung öffentlich sagt – durch Ihren Regierungssprecher, nicht durch die Umweltministerin; es geht hier um Ihren Regierungssprecher und Ihre Staatskanzlei –, auch den Tatsachen entspricht. Das war nicht der Fall. Die Aussagen vom 16. März waren nicht faktenbasiert. Auch hierzu haben Sie heute keine Stellungnahme abgegeben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sagen, volle Transparenz sei Ihr Regierungsstil. Nein, Herr Laschet, genau das Gegenteil haben Sie heute hier zelebriert.

Ich fasse zusammen: null Einsicht, kein Eingeständnis von Fehlern, keine Konsequenzen aus dem Desaster, das Sie hier angerichtet haben, und kein Angebot, Glaubwürdigkeit auch dem Parlament gegenüber wiederherzustellen,

(Henning Höne [FDP]: Gestern geschrieben!)

stattdessen weiter Nebelkerzen, Ablenkungsmanöver und – ich bleibe dabei – der hoch unanständige Versuch, damit die Bedrohungen und verbalen Attacken gegen Frau Schulze Föcking zu instrumentalisieren.

Noch einmal, weshalb ich das auch schäbig finde: Die Oppositionsfraktionen und ich selbst – es ärgert mich auch persönlich, dass Sie das wieder aus der Schublade holen – haben hier mehrfach schriftlich artikuliert, dass Frau Schulze Föcking bei dem, was ihr passiert ist – das gilt nach wie vor, auch für mich persönlich –, unsere volle Solidarität hat.

Wir alle wissen …

(Zurufe von der CDU und der FDP – Zuruf von Kirstin Korte [CDU])

– Nein, es ist dieser Ministerpräsident, der das hier … Es sind Sie, die diesen … – Ich würde gern weiterreden, ohne zu schreien.

(Anhaltende Unruhe – Glocke – Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe: Ja!)

– Schreien ersetzt noch lange keine Argumente,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe: Ja!)

und die habe ich von Ihnen, Herr Kerkhoff, heute noch nicht gehört.

Also noch einmal zu den Fakten: Ich finde das nach wie vor nicht in Ordnung, Herr Ministerpräsident, weil wir und ich persönlich hier sehr deutlich gemacht haben, dass diese Drohungen, das, was wir alle erleben – ich kann Ihnen gern aus meinen Akten etwas dazu zitieren –, kein Mittel der politischen Auseinandersetzung darstellen und alle Demokraten zusammenstehen und solidarisch sein müssen. Das haben wir nun oft genug erklärt. Aber darum geht es heute überhaupt nicht.

Es geht darum, welche Kommunikation Ihre Staatskanzlei noch bis kurz vor der Sitzung des Rechtsausschusses aufrechterhalten hat. Diese Kommunikation war nachweislich …

(Die Rednerin hustet und spricht mit heiserer Stimme weiter.)

– Entschuldigung. Wenn Sie so schreien, kann man ja nicht dagegen anschreien.

(Heiterkeit und Zurufe)

Diese Aussage war nachweislich falsch. Ich erwarte heute von Ihnen eine Aussage dazu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Für die FDP erteile ich dem Abgeordneten Herrn Höne das Wort.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das alles hier passiert doch nicht im luftleeren Raum. Alles hängt doch mit allem zusammen. Darum, Frau Kollegin Düker, bei aller Wertschätzung: Wenn Sie hier mit dem Begriff „schäbig“ in die Debatte einsteigen und wir uns anschauen, in welchem Kontext dies alles passiert, dann kann ich Ihnen nur sagen: Herzlichen Glückwunsch an Sie als verlängerter Arm radikaler Tierrechtler, die einbrechen, Bilder verkaufen und Angst und Schrecken verbreiten!

(Beifall von der FDP, der CDU und der AfD)

Meine Damen und Herren, in der Aktuellen Stunde …

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Unruhe)

– Ich weiß, dass die Wahrheit wehtun kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber das müssen Sie jetzt leider aushalten.

(Zurufe von der SPD)

In der Aktuellen Stunde am 26. April hat der Kollege Thorsten Schick eine rhetorische Frage an die Opposition gerichtet: Geht es um die Bekämpfung von Umweltkriminalität, oder geht es um die Bekämpfung der Umweltministerin?

(Zurufe von der SPD)

Nun habe ich die gestrige Fragestunde und die heutige Debatte sehr aufmerksam verfolgt. Ich habe auch den Antrag auf die Aktuelle Stunde sehr aufmerksam gelesen. Analog zu der Frage des Kollegen Schick stelle ich Ihnen auch eine rhetorische Frage: Geht es Ihnen eigentlich noch um die Aufklärung von Sachverhalten, oder geht es Ihnen allgemein um die Bekämpfung dieser Landesregierung?

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN – Unruhe)

Mit Ihren Reden – das zeigt auch der eine oder andere darin enthaltene Vergleich zu anderen Sachverhalten, das zeigt das, was zwischen den Zeilen Ihrer Fragen in der Fragestunde zu lesen war – haben Sie eines bewiesen, Frau Düker, Herr Kutschaty: Sie haben jedes Maß und jede Mitte in dieser Debatte lange verloren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Am 9. Mai hat der Umweltausschuss getagt. Christina Schulze Föcking hat dort vor Eintritt in die Tagesordnung eine Erklärung abgegeben. Sie hat Fehler eingeräumt, hat das bedauert, hat um Entschuldigung gebeten. Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, das verdient Respekt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann nachvollziehen, dass dieses Verhalten für die Opposition überraschend gewesen sein muss, weil wir einen solchen Anstand während der sieben Jahre der alten Landesregierung in nicht einem Fall erlebt haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD )

In der gestrigen Fragestunde hat Vizepräsidentin Gödecke nach eineinviertel Stunden vorgeschlagen, die Fragestunde so langsam zu Ende gehen zu lassen. Das hat zu großem Protest bei SPD und Grünen geführt. CDU und FDP haben ganz bewusst die Fortsetzung der Fragestunde ermöglicht, um Ihnen die Chance zu geben, alle noch offenen Fragen zu stellen.

(Zuruf: Das ist aber großzügig! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Anhaltende Unruhe)

Nur, ab dem Zeitpunkt, als Vizepräsidentin Gödecke vorgeschlagen hatte, keine Meldungen mehr aufzunehmen – trotz Protesten, GO-Debatte usw. usf. –, kam von Ihnen nicht eine weitere Frage dazu. Was sagt das eigentlich über Ihr Verhalten am gestrigen Tage aus?

(Beifall von der FDP und der CDU – Martin Börschel [SPD]: Das ist die Unwahrheit! – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Der Ministerpräsident hat heute über die Sachlage informiert. Minister Lienenkämper hat am gestrigen Tag in der Fragestunde umfassend informiert. Die Informationen waren verständlich, klar strukturiert und mit WE-Meldungen der Polizei, mit den Meldungen der Staatsanwaltschaft und den Zwischenberichten vom Landeskriminalamt hinterlegt und belegt.

Wie sollte es anders sein? Die Antworten fußten, fußen und werden auch in Zukunft auf genau diesen Grundlagen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt basieren. Sie richten sich nach diesen Grundlagen, nicht nach den Wünschen der Opposition für die eigene Öffentlichkeitsarbeit und das eigene politische Storytelling. Da müssen Sie schon mit eigenen Vorschlägen um die Ecke kommen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Insbesondere die Damen und Herren der SPD möchte ich darauf hinweisen, was Mike Groschek über die SPD gesagt hat. Ich zitiere:

„Sie“

– die SPD –

„muss vor allem dem Alltag der Menschen wieder näherkommen. Offenbar haben wir den Bezug zu vielen Alltagsproblemen verloren.“

Das Zitat stammt aus einem Interview in der „Rheinischen Post“ vom September 2017. Ich habe mich gefragt: Wie viel schärfer müsste diese Bewertung von Mike Groschek nach den letzten 48 Stunden ausfallen?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen hier im Hause, wir, die CDU und die FDP, halten das aus. Das gehört dazu. Aber bitte fragen Sie sich doch einmal, wie Ihr Verhalten bei den Menschen ankommt, die sich außerhalb der politischen Käseglocke bewegen und aufhalten.

Wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin diese Showveranstaltung zumuten? Die Menschen außerhalb dieses Gebäudes fragen sich zu Recht: Wieso ist das Thema nach Entschuldigung, nach Rücktritt, nach Antworten in der Fragestunde immer noch nicht beendet? Weil sich die Menschen außerhalb dieses Gebäudes …

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Ja. Auch in der letzten Reihe: Ruhig Blut! Ich weiß, dass das manchmal wehtut.

(Widerspruch von der SPD)

Die Menschen fragen sich: Haben die wirklich nichts Besseres zu tun? Wenn Sie zu der Überzeugung kommen, nichts Besseres zu tun zu haben, ist das ein Armutszeugnis für Ihre politische Agenda und nicht so sehr für diese Landesregierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich kann Ihnen darum nur raten, zur Sacharbeit zurückzukehren.

Die NRW-Koalition von CDU und FDP wird sich von Ihrem Klamauk nicht ablenken lassen. Wir arbeiten weiterhin jeden Tag für ein chancenreiches, ein sicheres, ein dynamisches, ein lebenswertes Nordrhein-Westfalen. Sie sind herzlich eingeladen, sich an dieser ernsthaften politischen Arbeit zu beteiligen. Den von Ihnen eingeschlagenen Kurs von persönlicher Beleidigung, von Diffamierung, von Klamauk und parteitaktischem Geländegewinn müssten Sie dafür aber verlassen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die AfD erteile ich dem Abgeordneten Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Jetzt beschäftigen wir uns erneut mit der Causa Schulze Föcking. Mir drängt sich langsam die Frage auf, wo die Sachpolitik geblieben ist.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ja!)

Wir sind mittlerweile meilenweit von den Bedürfnissen der Bürger und den Problemen unseres Landes entfernt.

(Beifall von der AfD)

Die Bürger schütteln doch nur noch den Kopf, wenn sie diese Schmierenkomödie sehen. Den Politikern von links außen ging es nie um Aufklärung – nie! Den linksgrünen Talkshow-Moralisten ging es doch nur darum, sich in diesem Affentheater selbst zu profilieren.

(Beifall von der AfD)

Denn ginge es der SPD um Aufklärung, würden Sie Einsicht in die Akten der Stabsstelle für Umweltkriminalität nehmen, bevor Sie wie auf einem türkischen Basar nach einem Untersuchungsausschuss schreien.

(Zuruf von der SPD)

Natürlich hat Frau Schulze Föcking Kommunikationsfehler begangen. Ohne zu wissen, was eigentlich zu Hause vor dem Fernseher passiert ist, wurde die große Werbetrommel für Solidaritätsbekundungen gegen einen Hackerangriff geschlagen. Alle Fraktionen wurden eingeladen, alle – außer der AfD. Nicht wir entfernen uns von den demokratischen Grundprinzipien dieses Landes; Sie sind das.

(Beifall von der AfD)

Trotzdem hat unser Fraktionsvorsitzender Markus Wagner unsere Solidaritätsbekundung übermittelt. Es wird jedoch ein ungelöstes Rätsel der Laschet-Partei bleiben, warum Ihnen die Solidaritätsbekundungen der Grüninnen so wichtig sind, obwohl es deren ökoradikale Vorfeldorganisationen waren, die illegal in den Schweinemastbetrieb eingedrungen sind.

(Beifall von der AfD)

Wenn illegale Aufnahmen nach der Landtagswahl gemacht, aber erst nach der Vereidigung der Ministerin veröffentlicht werden, dann nennt man das Kompromat – die Bloßstellung einer Person zur Schädigung ihres Rufes aus politischen Gründen.

(Beifall von der AfD)

Die Ministerin ist zurückgetreten. Dennoch fordern die linksgrünen Politiker immer noch einen Untersuchungsausschuss. Das hilft vielleicht kurzfristig, Ihre grottige Personalbesetzung und hoffnungslose Politik zu übertünchen.

Am Samstag ist in gewisser Hinsicht ein besonderes Jubiläum. Die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses über den Verbleib von Brennelementekugeln jährt sich zum siebten Mal. Herr Laschet und Herr Kutschaty müssten eigentlich ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Damals wie heute können ziemlich viele Parallelen gezogen werden.

Ich möchte dagegen nur die zentrale Erkenntnis, dass es keinen Abschlussbericht gibt, und die wesentlichen unterschiedlichen Ausgangsbedingungen hervorheben.

Erstens. Damals war die Linke noch im Landtag. Selbst diese hat einen Platz im Präsidium erhalten. Uns wird dieses Recht dagegen versagt.

Zweitens. Ministerin Schulze ist damals nicht zurückgetreten, soll jetzt aber als ausgestrahlte „Brennkugel-Ministerin“ den Erneuerungsprozess der SPD im Bundestag vorantreiben.

Drittens – und vielleicht am wichtigsten –: In der Debatte haben CDU und FDP die nukleare Panikmache durch Rot-Grün damals scharf kritisiert. Dagegen können wir uns heute anschauen, wie der Ministerpräsident die Abschaltung von Tihange und Doel zur Chefsache erklärt hat. – Lieber Herr Laschet, Sie müssten doch endlich einmal begreifen, wie weit links Sie inzwischen angekommen sind.

(Lachen von der SPD)

Noch etwas möchte ich sagen: Es ist wirklich nicht schön, persönlichen Angriffen ausgesetzt zu sein. Was Frau Schulze Föcking widerfahren ist, kennen wir von der AfD nämlich leider nur allzu gut.

(Zurufe von der SPD: Oooh!)

Oft genug gehen die Angriffe gegen uns.

(Zuruf von der SPD: Sie sind Täter, nicht Opfer! – Gegenruf von Markus Wagner [AfD])

Sie zeigen wirklich Ihre schäbige Fratze und ganz deutlich Ihr Demokratieverständnis. Das Ganze ist unterirdisch, wenn ich solche Sachen höre. Wenn von Ihnen hier Opfer zu Tätern stilisiert werden sollen, ist das eine Unverschämtheit.

(Markus Wagner [AfD]: Es bleibt nicht bei Worten!)

Denn oft genug gehen diese Angriffe gegen uns über den Status der Drohungen, die Frau Schulze Föcking erhalten hat, weit hinaus. Das gesellschaftliche Klima für diese Angriffe wird fast jeden Tag aufs Neue geschürt – von den Medien und immer wieder von Mitgliedern der Parlamente aus diesem Land, die die Terrorbanden der Antifa dulden, unterstützen und sogar finanzieren.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der SPD)

Aber wir lassen uns nicht kleinkriegen von den Antidemokraten. – Und an Herrn Laschet: Wie sieht es eigentlich in diesem Punkt mit Ihrem Demokratieverständnis und mit Ihrer Solidarität aus?

(Beifall von der AfD – Unruhe von der SPD)

Präsident André Kuper: Für die CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Löttgen das Wort.

Bodo Löttgen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: „Es gehört immer etwas guter Wille dazu, selbst das Einfachste zu begreifen, selbst das Klarste zu verstehen.“ – Wir haben das Einfachste gehört, wir haben das Klarste gehört, aber Ihnen von SPD und Grünen fehlt der Wille, es zu verstehen.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Stattdessen, meine Damen und Herren, ist das, was wir heute erleben müssen, der untaugliche, aber durchschaubare Versuch, eine hervorragende Arbeitsbilanz der NRW-Koalition rund um den Tag der Landtagswahl zu torpedieren. Es ist der hilflose Ausbruchsversuch aus Ihrem 22-%-Käfig, der sich langsam zuzieht.

(Beifall von der CDU)

Es ist das bedauernswerte Unterfangen, eine gespaltene SPD-Fraktion zu befrieden.

(Lachen von der SPD)

Dazu inszenieren Sie von SPD und Grünen ein Theaterstück aus dem politischen Tollhaus. Herr Kutschaty braucht schon aufmunternden Auftrittsapplaus, um überhaupt an dieses Rednerpult zu gelangen.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD)

Im Übrigen, Herr Kutschaty, fehlte dieser Applaus bei Ihrer zweiten Rede.

(Zurufe von der SPD)

Und, Herr Kutschaty, was eine „Sauerei“ ist, wie Sie es bezeichnet haben, das ist Ihr unverschämter Versuch, Fakten zu ignorieren und objektive Wahrheiten zu subjektiven Unwahrheiten umzudeuten,

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

nur weil es Ihnen in den Kram passt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Weiterer Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

– Je mehr Sie schreien, umso deutlicher weiß ich, dass ich Sie wirklich getroffen habe. Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Erklären Sie lieber den Unterschied zwischen „subjektiv“ und „objektiv“!)

Herr Kutschaty, Herr ehemaliger Justizminister, Ihr Satz: „Da gab es nichts mehr zu gefährden bei diesen Ermittlungen“, erstaunt mich sehr. Kennen Sie den Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft? Oder woher wissen Sie, dass es nichts mehr zu gefährden gab? Zitieren Sie! Wenn Sie den Bericht haben, dann lesen Sie ihn doch bitte vor. Was ist denn das für ein Rechtsverständnis eines ehemaligen Justizministers?

Anscheinend aber, Herr Justizminister, hat ja die Stabsstelle, die Gott sei Dank aufgelöst worden ist, auch mit diesem Rechtsverständnis gearbeitet.

(Beifall von der CDU)

Herr Kutschaty und sehr geehrte Frau Düker, ich will nur noch eines zusätzlich bemerken: Der Landesregierung vorzuwerfen bzw. uns als Fraktion zu unterstellen, wir hätten in irgendeiner Weise etwas inszeniert, um – so haben Sie sich ausgedrückt – auf einer Mitleidswelle zu reiten, das ist schlicht unanständig und schäbig. Ich weise diesen Vorwurf für die Landtagsfraktionen von CDU und FDP aufs Schärfste zurück.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ganz erstaunlich ist auch der Unterschied Ihrer heutigen Wortmeldung im Vergleich zu den Fragen, die Sie in der gestrigen Fragestunde gestellt haben. Gestern haben Sie noch bezweifelt, dass es Ermittlungsergebnisse gibt. Es gibt Menschen, die sich hier ans Rednerpult stellen, die von Polizeiarbeit nichts verstehen, aber trotzdem beurteilen können, wann Ermittlungen beginnen. Das ist sehr erstaunlich.

Wissen Sie, dass das Hinfahren zum Ort und die anschließende Zeugenvernehmung schon Ermittlungen sind? Wissen Sie, dass die Inaugenscheinnahme schon Ermittlung ist? Wissen Sie eigentlich, dass die Übermittlung dieser Ermittlungsergebnisse in einer WE-Meldung die Zusammenfassung der Ergebnisse ist? – Nein, das wissen Sie nicht. Deshalb behaupten Sie exakt das Gegenteil.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Das, meine Damen und Herren, prägt diese Debatte. Sie wollen nicht verstehen. Sie wollen sich gerne Ihre eigenen Wahrheiten zusammenzimmern. – Das aber, sehr geehrter Herr Kutschaty und sehr geehrte Frau Düker, lassen wir Ihnen schlicht und einfach nicht durchgehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Löttgen. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Mir liegen hier keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit haben wir den Schluss der Aussprache erreicht.

Ich schließe die Aktuelle Stunde und rufe auf:

5   Istanbul-Konvention konsequent umsetzen – Mädchen und Frauen vor Gewalt schützen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2546 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Paul für die Grünen das Wort.

(Unruhe – Glocke)

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, dass nicht alle das so wichtige Thema „Umsetzung der Istanbul-Konvention und konsequentes Eintreten für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt“ zum Anlass genommen hätten, zum vielleicht wohlverdienten Mittagessen zu gehen. Dass sich die Reihen bei CDU und FDP so sehr lichten, finde ich schon sehr schade. – Das nur als Vorbemerkung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe und Lachen von der CDU)

– Ich gehöre ja nicht der SPD-Fraktion an. Auch finde ich es schade, dass Sie jetzt so höhnisch lachen. Es geht hier um ein sehr ernstes Thema, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie wollen sich offensichtlich nur darüber lustig machen, anstatt ernsthaft darüber zu diskutieren. Das finde ich schade.

Nun komme ich zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Leider erleben Frauen und Mädchen geschlechtsbezogene Gewalt nach wie vor als ein alltägliches Phänomen. Gewalt – das muss man so deutlich sagen – schränkt Frauen und Mädchen nicht nur in ihrem Recht auf Gleichberechtigung und freie Entfaltung ein, laut WHO ist Gewalt eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen weltweit.

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hat in einer europaweiten Erhebung aus dem Jahre 2014 ermittelt, dass jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt geworden ist. Dazu kommen noch die Erfahrungen alltäglichen Sexismus und sexueller Belästigung in unterschiedlichen Formen, von denen eine große Mehrheit der Frauen leider zu berichten weiß.

Ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2016 sogar 165 Frauen von ehemaligen oder derzeitigen Beziehungspartnern getötet. Hinzu kommen 208 Fälle von versuchtem Mord oder Totschlag.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist allerdings ein Deliktfeld, welches sich häufig im sogenannten Dunkelfeld bewegt. Das heißt, viele Taten kommen überhaupt nicht zur Anzeige. Das betrifft auf der einen Seite die gerade erwähnte Partnerschaftsgewalt, aber auch ganz generell geschlechtsspezifische Gewaltdelikte.

Laut einer Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamtes Niedersachsen für das Jahr 2017 lag die Anzeigenquote im Bereich der Sexualdelikte bei gerade einmal 6,2 %. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie liegen leider nicht zuletzt in der nicht ganz unbegründeten Angst vieler Opfer, von Strafverfolgungsbehörden vielleicht nicht ernst genommen zu werden.

Leider sind Vergewaltigungsmythen und auch Victim blaming noch immer Realität, was deutlich aufzeigt, dass weitere Fortbildung und Sensibilisierung für Strafverfolgungsbehörden bzw. Justiz dringend geboten sind. Darüber hinaus sollte auch NRW endlich eine Dunkelfeldstudie mit dem Schwerpunkt „Sexualdelikte“ erstellen.

Opfer sexualisierter Gewalt sind schwer traumatisiert. Sie brauchen Unterstützung in Form von Beratungsangeboten, aber sie brauchen auch die Möglichkeit, Spuren anonym sichern zu lassen, um später noch Anzeige erstatten zu können.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine gesamtgesellschaftliche und gesamtpolitische Aufgabe. Daher verabschiedete der Europarat im Mai 2011 das „Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Es wird wegen des Verabschiedungsortes kurz „Istanbul-Konvention“ genannt.

Die Istanbul-Konvention fordert die Unterzeichnerstaaten auf, umfassende Konzepte vorzulegen. In NRW haben wir bereits eine gute Grundlage für ein solch umfassendes Konzept, und zwar den Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“, initiiert durch das Emanzipationsministerium der damaligen rot-grünen Landesregierung.

Darüber hinaus hat NRW bereits eine breit und professionell aufgestellte Frauenhilfe-Infrastruktur. Und trotzdem zeigen sich auch heute noch eindeutige Handlungsbedarfe, an denen wir konsequent gemeinsam weiterarbeiten müssen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam in der Pflicht, eine auskömmliche Finanzierung der Frauenhäuser sicherzustellen. Der jahrzehntelange Finanzierungshickhack zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die auskömmliche Finanzierung und über den bedarfsgerechten Ausbau von Plätzen darf nicht länger auf dem Rücken der betroffenen Frauen und ihrer Kinder ausgetragen werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Zuständigkeit der Frauenhilfeinfrastruktur für alle Frauen. Das heißt, die Finanzierungssystematik der Frauenhilfeinfrastruktur darf nicht länger Gruppen ausschließen, sondern muss allen Frauen einen kostenfreien Zugang ermöglichen.

Darüber hinaus muss die Frauenhilfeinfrastruktur, um den Anspruch, allen Frauen einen Zugang zu ermöglichen, einlösen zu können, barrierefrei ausgebaut werden. Insbesondere Frauen in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Frauen in Landesunterkünften müssen in den Blick genommen werden. Sie sind besonders vulnerable Gruppen. Gewaltschutz muss auch hier wirksam durchgesetzt und ihnen niedrigschwellig zugänglich gemacht werden.

Die Istanbul-Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zu umfassenden Koordinierungs- und Monitoringprozessen. Neben der Erhebung von Daten geht es auch um die Evaluation bestehender Maßnahmen. Ziel ist eine fortlaufende Überprüfung und Weiterentwicklung dieser Maßnahmen. Deshalb halte ich es für geboten, auch in Nordrhein-Westfalen eine solche Monitoringstelle, wie sie die Istanbul-Konvention vorschreibt – wie es auch möglich ist – einzurichten.

In diesem Sinne fordere ich CDU und FDP auf, die vereinbarte Koordinierungsstelle – Sie haben ja in Ihrem Koalitionsvertrag die Einrichtung einer Koordinierungsstelle vereinbart – zu einer solchen Monitoringstelle weiterzuentwickeln und die gemeinsamen Anstrengungen zu verstärken, Frauen und Mädchen konsequent vor Gewalt zu schützen und so die Istanbul-Konvention umzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die SPD hat Frau Abgeordnete Butschkau das Wort.

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „geschlechtsspezifische Gewalt“ erfährt in den letzten Monaten glücklicherweise eine öffentliche Aufmerksamkeit wie seit Langem nicht mehr. Dazu leisten Kampagnen wie „Nein heißt Nein“ und „MeToo“ einen wichtigen Beitrag. Aber auch die politische Diskussion der letzten Jahre rückt dieses sensible Thema in den Fokus gesellschaftlicher Diskussionen.

All das ist wichtig, um unser gemeinsames Ziel, die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, umzusetzen. Der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt ist ein Menschenrecht. Daher muss es Aufgabe staatlichen Handelns sein, die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken und Hilfsangebote in ausreichendem Umfang zu schaffen.

Wir haben in den letzten Jahren vieles zu diesem wichtigen Thema in NRW bewegt. Mit dem Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen haben wir im Rahmen eines umfangreichen Beteiligungsprozesses ein Instrument geschaffen, das Handlungsfelder und Maßnahmen benennt und Grundlagen für eine Weiterentwicklung schafft. Deren konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung ist unser gemeinsames Ziel. Das macht diesen Landesaktionsplan so erfolgreich.

Wir freuen uns, dass die aktuelle Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, den Landesaktionsplan fortzuschreiben und weiterzuentwickeln. Das ist ein wichtiges Ziel, bei dem Sie uns im Boot haben.

Um dieses Ziel umzusetzen, bedarf es nun aber auch Taten. Hier muss sich die Landesregierung bald mal bewegen. Bislang wurden zwar die Mittel der existierenden Frauenhäuser erhöht, das war es dann aber auch. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ ist zumindest für uns nicht wahrnehmbar.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist leider immer noch Alltag. Frau Paul hat gerade die Zahlen genannt. In NRW finden Betroffene in diesem Fall ein professionelles Netzwerk an Anlaufstellen vor, die in der Not helfen. In den Frauenhäusern wird eine ganz hervorragende Arbeit geleistet. Nordrhein-Westfalen ist im Ländervergleich in vielerlei Hinsicht herausragend, auch dank der Rahmenbedingungen, die von Rot-Grün geschaffen wurden.

Dennoch ist die Nachfrage nach Hilfe höher als das Angebot. Es ist naiv, zu glauben, dass jede Frau, die keinen Platz in einem Frauenhaus erhält, Obdach bei Freundinnen oder der Familie findet. Nein, die Folge ist, dass diese Frauen mit ihren Kindern häufig weiter unter einem Dach mit ihrem Peiniger leben müssen und weiter Gewalt ausgesetzt sind. Wir brauchen daher dringend einen weiteren Ausbau der Frauenhaus-Infrastruktur.

Da sind Sie, Frau Ministerin, gefragt, dieses Thema anzupacken. Die Schaffung ausreichender Schutz- und Unterstützungseinrichtungen für alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder gehört an die oberste Stelle der politischen Tagesordnung einer Gleichstellungsministerin.

(Beifall von der SPD)

Vieles von dem, was in dem vorliegenden Antrag gefordert wird, dürfte Konsens sein. Überhaupt sollte alles, was die Istanbul-Konvention vorschreibt, Konsens unseres politischen Handelns sein. Ihre Idee für die Einrichtung einer Landeskoordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Männer und zur Stärkung des Opferschutzes ließe sich im Sinne unserer Forderung um eine Koordinierungs- und Monitoringstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ergänzen.

Weiterer Handlungsbedarf besteht bei dem Thema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung“. Diese Zielgruppe haben wir noch nicht ausreichend im Blick, sei es bei der Gewaltprävention, sei es bei der Schaffung von geeigneten barrierefreien Einrichtungen. Auch hier merkt man nicht viel Bewegung in der Landesregierung.

Frau Ministerin, das ist sehr schade, weil Sie ja gerade in Ihrem Ministerium diverse Schnittstellen der verschiedenen Politikbereiche für die Umsetzung dieser Maßnahmen zur Verfügung haben. Sie hätten jetzt die Chance, allen, die sich bisher über den Zuschnitt Ihres Hauses lustig gemacht haben, zu beweisen, welche Vorteile die Kombination von Gleichstellung, Bauen und Wohnen bietet.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Haus ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen bis heute fraktionsübergreifend ein Thema von herausragender Bedeutung, und das muss es auch bleiben.

Um dieses Ziel zu erreichen, liegt aber noch viel Arbeit vor uns. Lassen Sie uns diese gemeinsam anpacken. Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen, und freue mich auf eine konstruktive Debatte in den beteiligten Ausschüssen. – Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Butschkau. – Für die CDU hat nun die Kollegin Troles das Wort.

Heike Troles (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jegliche Gewalt gegen Menschen ist stets ein fundamentaler Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte. Es ist daher bedauerlich, dass wir 2018 immer noch betonen müssen, dass Frauenrechte Menschenrechte sind und wir Gewalt gegen Frauen und Mädchen ablehnen.

Gewalt ist destruktiv, inakzeptabel, schrecklich. Eigentlich gibt es keinen Begriff, der in einem Wort die Katastrophe der Gewalt gegen Frauen und Mädchen beschreibt. Darüber sind wir uns hier im Landesparlament fraktionsübergreifend einig.

Leider gibt es diese Form geschlechtsbezogener Gewalt aber nach wie vor – in Deutschland und in der Welt. Dem stellt sich die Istanbul-Konvention entgegen, und sie formuliert eine bahnbrechende Idee – jedenfalls für einige Unterzeichnerländer –: Häusliche Gewalt wird nicht mehr als Privatangelegenheit gesehen.

Ganz im Gegenteil: Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, offensiv gegen jegliche Gewalt gegen Frauen vorzugehen – auch gegen häusliche Gewalt –, diese Gewalt zu verhindern, die Opfer zu schützen und die Täter zu bestrafen. Die Vertragsparteien, also die einzelnen Unterzeichnerländer, sollen die Istanbul-Konvention unter Beibehaltung ihrer grundlegenden rechtlichen Konzepte in eigenes nationales Recht umsetzen.

Verglichen mit anderen Ländern sind wir in Deutschland mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention sehr fortschrittlich. Die Konvention wurde durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert, und ihre Umsetzung wird durch das Monitoringverfahren der Europäischen Union sichergestellt.

Die Nordrhein-Westfalen-Koalition steht geschlossen

(Britta Altenkamp [SPD]: Das war einmal!)

hinter den Bestimmungen der Istanbul-Konvention. Und – um es auf NRW herunterzubrechen – wir nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Bei uns in NRW laufen gute Projekte wie, um einige beispielhaft zu nennen, „Mädchen sicher inklusiv“, die Finanzierung von Frauenberatungsstellen oder die anonyme Spurensicherung. Die Projekte dienen der Prävention und dem Schutz von Frauen und Mädchen vor sexualisierter Gewalt.

Natürlich haben wir das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht, und man fragt sich, warum nicht. Ganz einfach: weil derartige Projekte Zeit und Geduld erfordern; das passiert nicht über Nacht. Diese Geduld müssen wir haben. Es nutzt nichts, eine Vielzahl von Projekten auf den Weg zu bringen, vielmehr sind Geduld und Qualität vor Quantität gefragt.

Die Istanbul-Konvention fordert offensive Schutzmechanismen gegen geschlechtsbezogene Gewalt. Sie müssen effektiv und flächendeckend, unkompliziert und leicht erreichbar vorliegen, zum Schutz der Frauen und Mädchen. Nochmals: Hier nutzen uns wenige und dafür starke Projekte mehr.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Unumstritten ist: Wir brauchen Mittel sowohl für die Betroffenen als auch für die Helferinstitutionen, die einen effizienten und dauerhaften Schutz für die Opfer bieten. Genau daran arbeiten wir, indem Fördermittel für Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen mehrfach erhöht wurden oder aber spezielle Wohnprojekte für Frauen nach einem Frauenhausaufenthalt gefördert werden.

Unter dem Strich ist für den vorliegenden Antrag festzuhalten, dass er nicht wirklich etwas Neues für die wichtige Thematik bringt. Es werden Positionen beantragt, die längst auf den Weg gebracht wurden.

Mit größter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der betroffenen Frauen ist es allerdings wichtig, dass wir jede Chance zur Verbesserung ihrer Situation nutzen. Wir werden daher der Überweisung an den Ausschuss für Frauen und Gleichstellung zustimmen, um die Argumente konstruktiv auszutauschen. Dort müssen wir herausfinden, ob es wirklich nützlich ist, jetzt neue Projekte auf den Weg zu bringen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Troles. – Für die FDP hat die Kollegin Frau Schneider das Wort.

(Andreas Keith [AfD]: Zu diesem wichtigen Thema nur noch zwei! – Zuruf von der FDP – Josefine Paul [GRÜNE]: Dass Ihnen das nicht wichtig ist, wundert mich nicht, aber Sie sind auch nicht der Maßstab!)

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Frau Paul, das Thema „Gewalt“ ist sehr wichtig. Aber wenn Sie mal munter durchzählen wollen und auch den Sitzungsdienst berücksichtigen, dann sehen Sie, dass die Fraktionen von CDU und FDP deutlich stärker vertreten sind als Ihre beiden Fraktionen, die diesen Antrag gestellt haben.

(Beifall von der FDP, der CDU und Andreas Keith [AfD] – Zurufe von Josefine Paul [GRÜNE] und Britta Altenkamp [SPD] – Gegenruf von Christof Rasche [FDP]: Sie hat doch ihre Rede damit begonnen! – Helmut Seifen [AfD]: Seien Sie doch ruhig!)

– Ich habe jegliches Verständnis dafür, wenn die Kollegen nach intensiven Debatten mal eine Pause brauchen. Sie haben das Fässchen aufgemacht.

Jetzt kommen wir zum Thema „Gewalt“. Gleich zu Beginn: Meine FDP-Landtagsfraktion lehnt Gewalt generell ab, und zwar nicht nur Gewalt gegen Mädchen, sondern auch Gewalt gegen Männer, Gewalt in jeglichem Bereich, auch – speziell am heutigen Internationalen Tag gegen Homophobie – gegen Schwule und Lesben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Britta Altenkamp [SPD]: Jetzt komm doch mal zum Thema!)

Die Fraktionen im Landtag – ich schaue zu meiner Fraktion, aber auch zu CDU, SPD und Grünen – lagen den Schutz vor Gewalt betreffend bisher nicht weit auseinander. Wir ziehen sogar mit vereinten Kräften an einem Strang und zeigen regelmäßig Flagge. Bei unseren vier Faktionen denke ich an den jährlichen Gedenktag von TERRE DES FEMMES, an dem wir alle gemeinsam die Flagge hissen und uns gemeinsam beteiligen. Das ist wichtig, und das soll auch so bleiben.

Für uns war zu Regierungsbeginn vor einem Jahr klar, dass wir auf den vorhandenen Hilfestrukturen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen aufbauen wollen. Wir haben uns dabei die in der Istanbul-Konvention formulierten Ziele zu Herzen genommen und das auch im Koalitionsvertrag so vereinbart.

Darin steht erstens:

„Nordrhein-Westfalen wird sich zudem an der Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamtes in Niedersachsen zu Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen beteiligen.“

Dabei sollen Informationen und Hintergründe von Gewalt gegen Mädchen und Frauen erarbeitet werden, sodass Grundlagen für Gegenstrategien entwickelt werden können.

Wir wollen zweitens eine Landeskoordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, aber auch von Gewalt gegen Männer einrichten. Mithilfe von Interventionsketten wollen wir die Hilfestruktur und die Opferberatung strukturieren und miteinander verzahnen.

Drittens werden wir den Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ fortschreiben; denn der erste Landesaktionsplan war mehr eine Zusammenfassung oder eine Auflistung als ein Handlungsplan. Allerdings ist es schon ratsam, diese Fortschreibung auch ordentlich vorzubereiten, sodass wir dann nachhaltige Maßnahmen von hoher Qualität erzielen und erreichen.

Als Zwischenbilanz kann ich feststellen, dass wir schon ein gutes Stück vorangekommen sind. So haben wir noch mit dem Nachtragshaushalt 2017 die Frauenhausstruktur stabilisiert. Mit dem diesjährigen Haushalt haben wir zusätzlich 600.000 € für den Schutz und die Hilfe für gewaltbetroffene Frauen zur Verfügung gestellt. Davon konnten wir mit 100.000 € die Existenz der ambulanten Frauenberatungsstellen sichern. Den Frauenhäusern steht nun eine halbe Million Euro zur Verfügung. Derzeit laufen Verhandlungen über die qualitative Verbesserung der Frauenhausstruktur.

Darüber hinaus bin ich froh, dass NRW im letzten Jahr den Zuschlag für ein Modellprojekt des Bundes zur Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt erhalten hat.

Die Zwischenbilanz des Projekts „Mädchen sicher inklusiv“ war für mich schockierend; denn demnach hat ein Viertel der Mädchen mit Behinderung Gewalterfahrungen gemacht. Wir haben deshalb nicht lange gezögert und schon in diesem Jahr 200.000 € zur Verfügung gestellt, damit nach Ausklang des Projekts nahtlos eine Landesfachstelle für Gewaltschutz bei Behinderung eingerichtet werden kann.

An vielen Stellen finde ich mich auch in Ihrem Antrag wieder und freue mich über das Lob an unsere Koalition. Beim Forderungskatalog habe ich teilweise den Eindruck gehabt, dass unser Koalitionsvertrag als Vorlage dafür gedient hat. Ich fühle mich daher in meinem politischen Kurs durchaus bestätigt.

Allerdings gefällt mir der letzte Forderungspunkt nicht wirklich. Aus meiner Sicht handelt es sich um ein hochkompliziertes und schwieriges Rechtsthema. Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an die schwierige rechtliche Situation verheirateter minderjähriger Mädchen, über die wir zum Ende der letzten Legislaturperiode debattiert haben, als wir gemeinsam nach einem rechtlich sauberen Lösungsweg gesucht haben. Es ist uns damals mit viel fachlicher Kompetenz eine saubere Lösung gelungen. Diesem Thema sollten wir uns in ähnlicher Weise nähern.

Ich freue mich daher auf die Beratungen und Diskussionen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die AfD hat der Abgeordnete Röckemann das Wort.

Thomas Röckemann (AfD): Anträge der rot-grünen Fraktion zu lesen, birgt stets die Gefahr, dass man seinen gesunden Menschenverstand verliert. Zum Glück habe ich einen eisernen Willen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Istanbul-Konvention ist ein internationales Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, in dem rot-grünes und gutmenschliches Denken manifestiert wird. Trotzdem oder gerade deswegen hat die Bundesrepublik Deutschland diese Konvention im Oktober 2017 ratifiziert. Sie hat das getan, obwohl wesentliche Aspekte für unseren modernen Rechtsstaat längst zum Selbstverständnis gehören.

Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung wurden in Deutschland auch vorher nicht als Kavaliersdelikte behandelt, und über manche Ziele der Konvention sind wir sogar längst hinausgeschossen, zum Beispiel hinsichtlich der Absicht, diskriminierende Vorschriften abzuschaffen. Jahrzehntelanger rot-grüner Stimmungsmache haben wir es zu verdanken, dass heute in Teilen eher eine positive Diskriminierung vorherrscht, nämlich die gegen Männer,

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

eine Spezies, die von keiner Konvention vor Gewalt geschützt wird, und der auch keine Gleichstellungsbeauftragte das Überleben am Arbeitsmarkt sichert.

Nun, da das Ziel der sogenannten Gleichberechtigung in den westlichen Ländern erreicht ist, möchte die Konvention als Nächstes sogar die Gleichstellung der Geschlechter verankern – ganz im Sinne der grünen Genderideologie, der sich die alten Parteien angeschlossen und unterworfen haben.

Was also haben Sie an dieser Konvention überhaupt auszusetzen, zumal Sie selbst schreiben, dass das Deutsche Institut für Menschenrechte Deutschland eine gute Grundlage bescheinigt, um die Anforderungen der Istanbul-Konvention umzusetzen? Sie selbst schreiben, dass die Bereitschaft von gewaltbetroffenen Opfern, Hilfe bei der Polizei zu suchen und Anzeige zu erstatten, in den letzten Jahren gestiegen ist. Das steht alles so in Ihrem Antrag.

Die AfD begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich und ermuntert jeden Menschen, der Opfer von Gewalt geworden ist, dies zur Anzeige zu bringen.

Was Sie hier allerdings mit Ihrem Antrag betreiben, ist schäbige Klüngelpolitik unter dem Deckmantel der Interessenwahrnehmung für weibliche Gewaltopfer. Sie sind sich dabei nicht einmal zu schade, einzelne vor die Klammer zu ziehen und sie damit zu instrumentalisieren. Gemeint ist die Gruppe der geflüchteten und migrierten Frauen, bei der Sie davon ausgehen, sie sei besonders schutzbedürftig. Meine Damen und Herren, es sollte doch Konsens sein, dass alle Frauen gleich schutzbedürftig vor Gewalt sind.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Eijeijei!)

Eine deutsche Frau hat nämlich das gleiche Recht auf ein unversehrtes Leben wie eine ausländische.

(Beifall von der AfD – Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie sollten sich schämen!)

Alles andere wäre linker Rassismus. Schreiben Sie sich das in Ihr Stammbuch!

(Josefine Paul [GRÜNE]: Sie verdrehen alles für Ihre komische Ideologie!)

In Ihrem Antrag wünschen Sie zudem, dass der Staat eine ganze Reihe neuer Stellen schafft, um Gewalt gegen Frauen auf jede erdenkliche Art zu erheben und zu erforschen. Für solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für grüne Sympathisanten und Studienabbrecher stehen wir von der AfD nicht zur Verfügung.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Ja, Gott sei Dank!)

Mit Ihrer Willkommenspolitik haben Sie erst Problemfelder geschaffen, an denen Sie nun herumevaluieren wollen. Zwangsehen und Ehrenmorde waren in Deutschland vor der massenhaften illegalen Einwanderung jedenfalls kein Problemfeld.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Es gibt keine Ehrenmorde, sondern nur Morde!)

Doch statt sich nun für Abschiebungen und kontrollierte Einwanderung einzusetzen, wollen Sie nicht nur den Status quo erhalten, sondern weiteren Problemen Raum schaffen. Sie betreiben mit Ihrem Antrag eine verkappte Einwanderungspolitik.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Haben Sie nicht jemanden, der etwas vom Thema versteht?)

Die Bundesregierung hat die Konvention nämlich nur unter Vorbehalt des Art. 59 ratifiziert. Dieser Artikel sieht vor, dass ausländische Ehefrauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten können. Natürlich fordern Sie nun die Abschaffung dieses Vorbehalts; denn dadurch werden ja weitere Möglichkeiten geschaffen, um Aufenthaltstitel für illegal Eingereiste zu generieren. Nicht mit uns!

In Ihrem Antrag sprechen Sie doch selbst die Gründe für die Zunahme häuslicher Gewalt an, wenn auch indirekt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So ein schäbiger Beitrag!)

Diese Zunahme hat mit den zumeist illegalen Einwanderern aus fremden Kulturkreisen zu tun. Klopfen Sie doch mal bei den Frauenhäusern an und probieren, mit den betroffenen Frauen auf Deutsch zu sprechen. Das gelingt immer weniger.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist doch unglaublich!)

Um den Problemen tatsächlich Herr zu werden, müssen Sie allerdings nicht die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist doch offener Rassismus! – Josefine Paul [GRÜNE]: Das machen Sie auf dem Rücken der betroffenen Frauen!)

Sie wissen ganz genau, dass es so ist. Das bedeutet: Grenzen sichern, Einwanderungsregeln, Nichtberechtigte abschieben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Zuruf von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Als Nächstes spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Abgeordnete von SPD und Grünen! Frau Paul, wo waren Sie in den letzten acht Jahren? Frau Butschkau, wo waren Sie in den letzten zwölf Monaten? Denn Sie beantragen, offen gesagt, all die Dinge, die entweder schon die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat, oder von denen Sie wissen, dass wir Ihnen permanent Sachstandsberichte über die Umsetzung dessen, was die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen macht, liefern.

In der Tat ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch im Jahre 2018 – das wissen Sie – immer noch ein weltweites Problem. Es ist eine weltweite Menschenrechtsverletzung, die es zu ächten gilt. Das sagt diese Landesregierung sehr deutlich. Das haben die Vertreterinnen der demokratischen Parteien hier auch deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Es ist richtig, dass wir bei diesem Thema im Konsens vorgehen, weil es wichtig ist, es sehr deutlich zu fokussieren. Das hat die letzte Bundesregierung auch getan, indem die Istanbul-Konvention ratifiziert worden ist.

Sie schreiben unter II:

„Der Landtag stellt fest: Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine Menschenrechtsverletzung.“

Ja, diese Auffassung teilen die Rednerinnen von CDU, SPD, Grünen, FDP und natürlich auch die Landesregierung. Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 ist auch Nordrhein-Westfalen verpflichtet, umfassende Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt zu ergreifen. Alle Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen haben diese umfassenden Maßnahmen zum Schutz von Mädchen und Frauen in der Vergangenheit ergriffen – alle! Sie tun so, als gäbe es nichts. Das ist nicht richtig.

Sie schreiben weiterhin, dass „eine bedarfsgerechte Frauenhilfeinfrastruktur zu gewährleisten“ ist. – Ja, das haben auch alle Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren getan.

Sie fordern die Landesregierung auf, „eine Dunkelfeldstudie zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Auftrag zu geben.“ Das ist besonders spannend, sehr geehrte Damen und Herren von SPD und Grünen, weil Sie in Ihrer Regierungszeit vom Landeskriminalamt Niedersachsen respektive der niedersächsischen Landesregierung eine Teilnahme an deren Dunkelfeldstudie angeboten bekommen und dies abgelehnt haben.

Sie fordern uns jetzt dazu auf, obwohl sich CDU und FDP im Koalitionsvertrag mehr als deutlich dazu verhalten haben. Wir haben erklärt, dass wir das machen, weil wir wissen wollen, warum so wenige Delikte von Mädchen und Frauen tatsächlich zur Anzeige gebracht werden. Dass Sie das in Ihren Antrag schreiben, obwohl Sie es in Ihrer Regierungszeit abgelehnt haben, das ist, offen gesagt, schon fast unanständig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit der Dunkelfeldstudie, die Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen wird, gehen wir sogar einen Schritt weiter. Wir werden nämlich nicht nur Fragen zum Thema „Gewalt gegen Mädchen und Frauen“ erheben, sondern wir werden uns auch mit Fragen von Gewalt gegen Jungen und Männer beschäftigen. Das ist etwas völlig Neues. Das gibt es in der Bundesrepublik bisher nicht.

Insofern kann ich Ihnen heute sagen, dass sich Niedersachsen jetzt wiederum für den Ansatz von Nordrhein-Westfalen interessiert, den wir wählen werden. Daher brauchen Sie uns dazu nicht aufzufordern.

Sie schreiben ferner, der Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ möge im Sinne einer konsequenten Umsetzung der Istanbul-Konvention weiterentwickelt werden. Auch das ist ein spannender Ansatz. Eine der ersten Fragen, die ich dem Ministerium im vergangenen Jahr gestellt habe, war nämlich: Können Sie mir eine Auswertung des Landesaktionsplans „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ geben, und zwar zum Stand der Umsetzung der Maßnahmen? Wissen Sie, welche Antwort ich bekommen habe? – Wir haben keinen Controllingbericht aufgesetzt. Das ist Ihre Verantwortung.

Sie bringen Landesaktionspläne auf den Weg und sorgen noch nicht einmal dafür, dass das, was Sie dort hineinschreiben, in der Umsetzung einem Monitoring unterliegt, sodass man sehen kann: Was ist noch offen? Wo müssen wir nachsteuern? Das müssen wir gerade alles mühsam aufarbeiten. Und wir tun das; das ist der Unterschied.

Sie haben beispielsweise in den Haushaltsjahren 2016/17 jeweils ein Soll bei den Ausgaben für den Landesaktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ von gerundet 1,2 Millionen € vorgesehen, aber im Ist gerade einmal 275.000 € ausgegeben. Dann können Sie uns nicht vorwerfen, dass wir nicht engagiert an der Umsetzung dieses Aktionsplans arbeiten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie selbst bringen Pläne auf den Weg, sorgen nicht dafür, dass sie kontrolliert werden, sorgen nicht dafür, dass Haushaltsansätze ausgegeben werden und sagen hier der Landesregierung, was sie zu tun hat. Das brauchen Sie mir – ich betone das ausdrücklich …

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Gestatten Sie mir, den Halbsatz noch zu beenden, dann nehme ich gerne die Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Paul entgegen. – Das brauchen Sie uns nicht zu sagen, weil wir genau das schon tun. – Bitte sehr, Frau Paul.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte sehr, Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur fragen, weil Sie gerade dargestellt haben, was Sie alles machen und was wir versäumt hätten: Ist Ihnen bewusst, dass in der Regierungszeit von Rot-Grün zwischen 2010 und 2017 nicht nur die Frauenhausmittel für die vierte Frauenhausstelle wieder eingestellt wurden, sondern dass insgesamt der Haushaltsansatz im Bereich „Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ fast verdoppelt worden ist? Es gibt einen Haushaltsaufwuchs von fast 100 %. Ist Ihnen das bewusst?

(Christof Rasche [FDP]: Reine Show!)

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, die Schärfe Ihrer Frage ist überhaupt nicht erforderlich, weil wir in diesen Punkten – wenn Sie mir am Anfang zugehört hätten, hätten Sie das mitbekommen – gar nicht auseinander sind. Weil der Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt immer ein zentrales Thema aller Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen gewesen ist, erhöhen wir die Mittel auch weiter. Das hat die Abgeordnete Schneider gerade auch formuliert.

Wir haben die Mittel für das Jahr 2018 weiter erhöht. Wir stehen in Verhandlungen mit der stationären Frauenhilfe-Infrastruktur, sogar über einen Platzaufbau in dieser Legislaturperiode – das ist etwas völlig Neues. Denn in den letzten zehn Jahren sind in Nordrhein-Westfalen – und das, obwohl die Landesförderung immer mit auf dem höchsten Stand war – Plätze abgebaut worden. Das heißt, wir gehen in die Gespräche und wollen Plätze aufbauen.

Insofern bedarf es Ihres Antrages nicht. Es wäre sinnvoller, wenn Sie ihn gleich zurückziehen, weil Sie aus den vergangenen zwölf Monaten, in denen wir im Gleichstellungsausschuss immer wieder transparent berichtet haben, wissen, dass all die Dinge, die Sie hier anmahnen – und noch weit darüber hinaus –, durch diese Landesregierung in Bearbeitung sind. Darauf sind wir durchaus ein bisschen stolz. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/2546 – Neudruck – an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Innenausschuss, an den Rechtsausschuss sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Nein. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

6   Stärkung der eigenverantwortlichen Schule – Einstellung des Verfahrens der Qualitätsanalyse

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2553

Den Antrag begründet für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass es um das Bildungsniveau in Deutschland und vor allem in NRW nicht mehr gut bestellt ist, belegen alle internationalen und nationalen Tests und bestätigen die Rückmeldungen, die man aus Schulen, Betrieben und Universitäten erhält. Vor allem ist bedenklich, dass auch Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen nicht mehr durchgängig beherrscht werden. Die Zeitschrift „Cicero“ titelt in ihrer neuen Ausgabe: „Der Klassenkampf – Warum unsere Schulen versagen“.

Als Ursachen und Erklärung für dieses Bildungsde-saster werden häufig aktuelle Entwicklungen angeführt. Das sind die gesteigerte Heterogenität in den Schulklassen durch Integration oder durch die totale Inklusion sowie die Zerstörung des mehrgliedrigen Schulsystems, die Erziehungsschwierigkeiten wegen gesellschaftlicher und sozialer Verwerfungen, der Autoritätsverfall des Lehrpersonals und weitere Entwicklungen. Ingrid Freimuth, eine ehemalige Lehrerin, beschreibt dies in ihrem Buch „Lehrer über dem Limit: Warum die Integration scheitert“ sehr anschaulich.

All diese Faktoren und noch andere haben die Situation an den Schulen des Landes erheblich erschwert und Unterricht zum Teil unmöglich gemacht. Die Belastungsgrenze bei Lehrkräften ist zum Teil weit überschritten. Die Not ist groß. Das öffentliche Schulwesen hat seine Reputation bereits so weit verloren, dass immer mehr gut situierte Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Das ist eine Entwicklung, die wir von der AfD aufs Höchste bedauern, bedeutet sie doch mittelfristig eine frühzeitige soziale Segregation.

Doch bei genauer Betrachtung liegt die Ursache des weithin beklagten Bildungsabbaus und des Erziehungsnotstandes viel tiefer. Sie liegt in dem Paradigmenwechsel der bildungspolitischen Ausrichtung, der vor etwa 30 Jahren seinen Anfang gefunden hat und der in dem augenblicklich angewandten Verfahren der Qualitätsanalyse lediglich sein Wesen, seine Substanz offenbart.

Die Qualitätsanalyse nimmt sich das sogenannte Qualitätsmanagement zum Vorbild, das man aus der Wirtschaft und aus den Managementlehren kennt. Grundlage betriebswirtschaftlichen Handelns sind kybernetische Steuerungsmodelle, die nach dem Prinzip „Zielbestimmung, Anreiz, Reaktion, Ergebnis, Evaluation, Nachjustierung“ arbeiten. Dieses Modell lässt sich auf technische Vorgänge hervorragend anwenden, sicherlich auch auf die Lenkung von Käuferströmen, und es ist – was nicht unterschätzt werden darf – für die Firmenleitung ein geeignetes Instrument der Betriebssteuerung sowie natürlich auch der Kontrolle ihrer Mitarbeiter.

Für die Messung von Bildungsfortschritt und Verstehensprozessen allerdings ist dieses Messinstrument völlig ungeeignet. Deshalb misst man mit der Qualitätsanalyse auch nicht den Bildungsfortschritt von Schülerinnen und Schülern, sondern Abläufe innerhalb der Schule und des Unterrichts, die sich quantifizieren lassen.

Im Unterricht sind das unter anderem der Einsatz von Medien, der Zeitanteil verschiedener Unterrichtsmethoden und Sozialformen, der Aktivitätsanteil von Lehrkraft und Schülern, der Anteil der individuellen Lernwege im gesamten Lernprozess, der Umgang mit Sprache, die Problemorientierung der Stundenanlage – um nur die wichtigsten zu nennen. Dies alles hält der Qualitätsprüfer in einer Hospitationsphase von 20 Minuten fest. Er besucht also während einer Unterrichtsstunde zwei verschiedene Klassen und platzt auch mitten in den Unterricht hinein.

Die Urteile der Qualitätsprüfer lauten dann auch schon mal so – dieses Zitat habe ich aus einer Abschlussbeurteilung übernommen –:

Bezüglich vieler Kriterien zeigen sich Stärken an dieser Schule. Es sind insbesondere zu nennen: die Schülerorientierung, die in der Regel den Lernprozess unterstützende Lernumgebung, das Unterrichtsklima sowie die Qualität der eingesetzten Medien.

Zum Verstehensprozess ist hier natürlich nichts gesagt. Jetzt kommt es aber – natürlich als Kritik –:

Entwicklungsbedarf sieht das Qualitätsteam in der stärkeren Individualisierung von Unterricht und der häufigeren Übertragung von Selbstverantwortung für den Lernprozess besonders im Hinblick auf Planungsbeteiligung von Schülerinnen und Schülern und auf die Gestaltung und Organisation kooperativer Arbeitsphasen.

Es stellt sich die Frage, wer bestimmt, dass der Unterricht stärker individualisiert werden muss

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das Gesetz!)

und wie viel Zeit dann der Tatsache geopfert werden soll, dass Schüler ihren Unterricht ständig selbst planen sollen. Hier scheint man doch in autoritärer Form den Lehrern eine Unterrichtsform vorschreiben zu wollen und ihre pädagogische Freiheit massiv einzuschränken.

(Beifall von der AfD)

Letztlich entpuppt sich die Qualitätsanalyse als Instrument eines Obrigkeitsstaates, mit dessen Hilfe er seine Beamten zu Ausführenden seiner eigenen Vorstellungen degradiert. Die Lehrkräfte bräuchten aber Freiheit für ihren Unterricht.

(Marlies Stotz [SPD]: Genau!)

Das ist das Prinzip, nach dem sie am besten unterrichten können.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau dafür ist es gedacht!)

Jetzt könnte man ja sagen: Qualitätssicherung muss man natürlich haben, selbstverständlich. – Aber eben nicht auf diese Weise. Denn wenn sie doch so effizient ist – seit 2005 gibt es sie –, wie ist es dann zu erklären, dass es zu einem Bildungsabbau kommt? Das müsste doch im Gegenteil zu einer Bildungsexplosion in diesem Lande führen. Eigentlich müssten die Schulen glänzen.

Nein, die unselige Allianz einer scheinmodernistisch orientierten, damals wenigstens neoliberal agierenden CDU/FDP mit einer utopistisch-autokratisch ausgerichteten Linken hat zu der katastrophalen Zerstörung unseres Bildungssystems geführt.

(Beifall von der AfD)

In der Qualitätsanalyse bildet sich diese unselige Allianz wunderbar ab: auf der einen Seite betriebswirtschaftliche Maßstäbe der Leistungsmessung von Schulen, die handelnde Menschen dort zu ökonomischen Größen herabwürdigt, auf der anderen Seite gleichzeitig damit verbunden die Möglichkeit, ideologisch motivierte Kriterien für Unterricht als Richtlinie zu setzen, nach denen sich – natürlich unter Aufgabe der eigenen Freiheit – alle zu richten haben, unabhängig vom Erfolg dieses Modells.

Interessant war die Aussage eines Qualitätsprüfers mir gegenüber in der Pilotphase der Qualitätsanalyse 2005 – ich habe das nämlich sofort mitmachen dürfen –, der sich ebenfalls beklagte, dass der Anteil von kooperativen Lehrformen unglaublich wenig zu beobachten gewesen sei und dass das doch eigentlich zum Unterricht nicht passe. Was ihn allerdings besonders erfreut hat: Die Stundenergebnisse, also die Erkenntnisse, die die Schüler jeweils in den Stunden gewonnen haben, seien doch hervorragend gewesen.

Ich erlaubte mir zu antworten, dass möglicherweise ein Zusammenhang bestehe zwischen Plenum und lehrerorientiertem Unterricht und den hervorragenden Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler. Da konnte er mir nur zustimmen, wenn auch schweigend.

Man muss sich nicht wundern, dass das Bildungsniveau in diesem Land gesunken ist, wenn die Lehrkräfte zu Unterrichtsmethoden gezwungen werden, die zwar formale Kriterien einhalten, jedoch das Ziel von Unterricht gar nicht mehr verfolgen.

Es gibt viele Lehrer, die vermuten, die QA sei lediglich ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe die Kriterien von Unterricht installiert werden, die im Referenzrahmen Schulqualität vorgegeben sind. Darin ist die Ausrichtung von Lehr- und Lernprozessen auf selbstständiges und selbstreguliertes Lernen die Kernforderung, der sich alle anderen unterzuordnen haben.

Selbstreguliertes Lernen impliziert aber ein bestimmtes methodisches Prinzip, das einer didaktischen Logik – der Selbststeuerung – und einer weltanschaulichen Prämisse – dem Konstruktivismus – verpflichtet ist. Beide sind höchst umstritten und stehen in diametralem Gegensatz zu den Bildungsvorstellungen, die bisher für die Einrichtung unseres Bildungssystems und die Unterrichtsgestaltung maßgebend waren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die CDU-Fraktion hat das Wort nun Herr Rock.

Frank Rock (CDU): Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Qualität unserer Schulen zu steigern und die Unterrichtsentwicklung voranzutreiben, ist das oberste Ziel der NRW-Koalition.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen wieder beste Bildung ermöglichen und die Potenziale unserer Schulen sowie unserer Lehrerinnen und Lehrer weiter stärken. Das ist nach jahrzehntelanger verfehlter Bildungspolitik in NRW – vor allem in den letzten sieben Jahren – schwer genug.

Im Jahr 2006 wurde von der damaligen Landesregierung ein neues zentrales Messinstrument für die Entwicklung und Sicherung der Qualität eingeführt. Eine Entwicklung, so auch jede Schulentwicklung, ist ein ständiger Prozess, der sich den aktuellen Herausforderungen stellen muss. Ein Prozess benötigt eine Bestandsaufnahme, damit er weiterentwickelt werden kann. Ganz platt gesagt: ohne Anfang auch kein Ende.

Damit komme ich zum Antrag der AfD. Hier gilt eher der Spruch: kein Anfang und kein Ende. Bei der Durchsicht des Antrags fand ich in Ihrer Argumentation keinen wirklich begründeten Anfang. Ich fand ein Ende, das, wie so oft bei Ihren Anträgen, nur ein direktes Beenden sieht, ohne sich den Entwicklungen im Prozess zu widmen.

Ihre Darstellungen zur Auflösung des Landesinstituts in Soest und zur Neugründung von QUA-LiS haben nur indirekt etwas mit Ihrer Intention zu tun, die Qualitätsanalyse abzuschaffen. Ihre Darstellungen hinsichtlich der Kosten helfen auch nicht weiter, um die Qualität an den einzelnen Schulen zu verbessern.

Ihre Vergleiche, beispielsweise mit den marktwirtschaftlichen Instrumenten, machen keinen Unterricht besser. Alle Instrumente einer Messung bedürfen einer Überprüfung und eines genauen Hinsehens.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist richtig!)

Der politische Dreiklang unseres Ministerpräsidenten Armin Laschet – Zuhören, Entscheiden und Handeln – bestimmt auch unsere politische Arbeit. Die NRW-Koalition wird sich von keiner der Oppositionsparteien drängen lassen, von diesem Grundsatz abzukehren.

Wir sagen immer: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. In Köln würde man sagen: nit flott, sondern jood.

(Beifall von der CDU und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Und das macht dann die Schule besser!)

Dies gilt für uns bei allen bildungspolitisch relevanten Themen. Wir springen nicht auf die Züge der AfD oder der anderen Parteien auf, sondern wir schauen genau hin.

Kommen wir zum Hinsehen: Ja, auch wir sehen im Bereich der Qualitätsanalyse Handlungsbedarf. Aus eigener Erfahrung, aber auch aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sehen wir die Notwendigkeit, beim Prozess noch einmal genauer hinzuschauen. Die Zielrichtung und der Aufwand müssen klar definiert werden.

Die Anhörung im Jahr 2015 zeigte bei den damaligen Experten eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung über die Effizienz der Qualitätsanalyse. Die Erfahrungen der Schulen sind insgesamt sehr unterschiedlich, weil die Voraussetzungen, die Entwicklungsprozesse und somit auch die Ergebnisse je nach Schulform und nach Lage der Schule sehr unterschiedlich ausfallen.

Das ist bei vielen Dingen in unserem Land so. Schulen in sozialen Brennpunkten oder Schulen in bester Wohnlage haben andere Herausforderungen, aber auch andere Chancen bei der Schulentwicklung. Das heißt aber nicht, dass eine Prozessbetrachtung nicht auch Sinn machen könnte.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich persönlich muss den QA-Prüfern, die im Jahr 2015 in meiner Grundschule waren, eine hohe Professionalität, große Fachkenntnis und eine hervorragende Beratungskompetenz bescheinigen. Die aus der Qualitätsanalyse erarbeiteten Zielvereinbarungen waren für meine Schule durchaus ein Gewinn und wurden für die Schulentwicklung genutzt. Ob jedoch der Aufwand, vor allem im personellen Bereich, diesen Gewinn aufwiegt, stand auch hier infrage.

Dies muss für unsere kommenden Beratungen und Diskussionen aber die Grundlage sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir als NRW-Koalition den Lehrerinnen und Lehrern zukünftig mehr Zeit geben wollen und wir uns eine Entbürokratisierung wünschen. Nach dem genauen Hinsehen werden wir entscheiden und anschließend handeln. Dies geschieht nach dem Duktus: Wir steigern die Schulqualität.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, lieber Herr Seifen, ich möchte auf einen Passus etwas genauer eingehen, der die inhaltliche Schwäche Ihres Antrags darlegt. Unter Punkt 4 schreiben Sie – es wäre schön, wenn Sie zuhören würden, Herr Seifen –, die QA sei ein „untaugliches Verfahren zur Erfassung des Bildungsstands“. – Ja, das ist richtig. Das Verfahren der Qualitätsanalyse soll auch nicht den Bildungsstand erfassen, definieren oder überprüfen, sondern Anschübe zur Schulentwicklung geben.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das sollten Sie als ehemaliger Schulleiter wissen, der die Qualitätsanalyse selbst an seiner Schule hatte, und zwar im Jahre 2005, wie Sie eben sagten.

(Helmut Seifen [AfD]: 2014!)

– Ich hatte auch 2014 recherchiert, Sie sagten eben etwas anderes.

Ich habe mal auf Ihre schuleigene Homepage geguckt und zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Bezüglich vieler Kriterien zeigen sich Stärken des …“

Ich lasse den Namen der Schule weg. Weiter geht es:

Es sind insbesondere zu nennen: Der Umgang mit Sprache, die Schülerorientierung, die in der Regel den Lernprozess unterstützende Lernumgebung, das Unterrichtsklima sowie die Qualität der eingesetzten Medien.

Aus diesem Grund, sehr geehrter Herr Seifen, sollten Sie wissen, dass bei der QA keine Bildungsstände der Schülerinnen und Schüler erhoben werden, wie in Ihrem Antrag beschrieben.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Leider vermengen Sie bzw. Ihre Fraktion häufig Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, und bringen sehr unpräzise Anträge ins Plenum ein. Das ist sehr schade.

Selbstverständlich werden wir der Überweisung an den Ausschuss zustimmen, freuen uns auf eine inhaltliche Auseinandersetzung und sagen aber auch: Wir schauen hin. Wir stehen für Evaluationsprozesse, die machen nämlich Sinn. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Rock. Sie sehen, da leuchtet die Kurzintervention, angemeldet von der AfD-Fraktion. – Herr Seifen, Sie haben 1:30 Minuten für Ihre Kurzintervention. Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Recht herzlichen Dank. – Herr Rock, Sie haben den Antrag in Ihrer Rede als überflüssig bzw. als nicht fundiert bezeichnet. Ich darf Sie daran erinnern: Ihre Fraktion hatte damals – im Januar 2015 – zum Antrag der rot-grünen Koalition, diese Qualitätsanalyse einzubringen – ein wichtiger Baustein für die Schulqualität –, Dr. Matthias Burchardt als Sachverständigen eingeladen. Das können Sie nicht wissen, da waren Sie noch nicht da.

(Frank Rock [CDU]: Das weiß ich!)

– Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nichts unterstellen.

(Frank Rock [CDU]: Das ist ein Nachbar von mir!)

– Umso besser.

Er wiederum hat die QA in seiner Stellungnahme massiv kritisiert. Sie werden sicherlich die eine oder andere Aussage von ihm bei uns wiedererkannt haben. Deswegen verstehe ich Ihre kritische Haltung ihm gegenüber nicht. Im Grunde genommen zerreißt er diese Qualitätsanalyse, weil sie nichts Bedeutendes zur Schulentwicklung beiträgt. – Das möchte ich einfach nur mal sagen.

Auch Herr Dollase, der für Sie immerhin Berater bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP war, hat sich massiv gegen diese Form der Qualitätssicherung ausgesprochen. – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Rock, Ihnen stehen die 1:30 Minuten zur Verfügung. Sie können auf die Kurzintervention eingehen oder auch nicht. Das steht Ihnen frei.

Frank Rock (CDU): Ich möchte kurz darauf eingehen. – Herr Seifen, Sie haben meinen Ausführungen gelauscht – zwar nicht immer, aber häufig. Ich habe deutlich gesagt, dass in der Expertenanhörung unterschiedliche Meinungen vertreten waren. Sie wissen aus der geübten Praxis, dass die von Ihnen eingeladenen Experten nicht immer voll und ganz Ihre Meinung vertreten.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Genau!)

Ich schätze den Kollegen Burchardt sehr; er wohnt in meinem Ort. Ich kenne ihn auch persönlich. Das heißt aber nicht, dass ich mit all seinen Überzeugungen übereinstimme. Ich habe aus meinen eigenen Erfahrungen berichtet und habe Ihnen und auch Ihrer Fraktion deutlich erklärt, dass ich es sinnvoll finde, immer hinzugucken, was zu verändern ist. Ein Evaluationsprozess ist nötig. Wir müssen hinschauen, ob Aufwand und Ertrag in einem guten Maß stehen.

Ich persönlich konnte mit meinen Qualitätsanalysen gute Schulentwicklung betreiben. Wenn Sie andere Erfahrungen gemacht haben, steht Ihnen das natürlich zu. Aber ich glaube, dass wir hinschauen müssen. Und zu unserem Duktus „Wir schauen hin und verändern etwas“ stehen wir. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rock. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Stotz.

Marlies Stotz (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzusagen: Ich habe mich nicht darum gerissen, zu diesem Antrag zu sprechen. Das hat auch etwas mit der Qualität des Antrags zu tun.

(Zuruf von der AfD)

Die Qualitätsanalyse war und ist ein wichtiger Bestandteil, um Schule weiterzuentwickeln – mein Vorredner hat es gerade gesagt –, um Schule zu einem Ort zu machen, an dem Schülerinnen und Schüler überall in NRW gleiche Chancen haben, um gut zu lernen. Denn mit der Qualitätsanalyse – zumindest unter Rot-Grün – haben wir die Eigenverantwortung der Schulen unterstützt.

Schulen bestehen aus Schülerinnen und Schülern, aus Lehrerinnen und Lehrern, aus Elternvertretern und zunehmend auch aus weiterem pädagogischem Personal, die gemeinsam intern beraten und eigenverantwortlich nach den besten Lösungen für ganz individuelle Ausgangslagen suchen. Die Qualitätsanalyse ist ein Baustein zu mehr Eigenverantwortung in unseren Schulen.

Die SPD-Fraktion hat sich von Beginn an dafür eingesetzt, diese Form der Begleitung quasi als kritischen Freund zu verstehen. Mit dem Antrag liegt diesem Parlament einmal mehr ein Papier der AfD vor, das den Anschein erwecken möchte, etwas Sinnhaftes beizutragen. Meines Erachtens gelingt Ihnen das nicht einmal im Ansatz.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie zitieren hier ein bisschen, dort ein bisschen, Sie füllen Seite um Seite, als würden Sie pro Zeile bezahlt. Ich darf Ihnen sagen: So erreicht man nicht das Beste für die Wählerinnen und Wähler und schon gar nicht das Beste für die Schülerinnen und Schüler in unserem Land.

Der Antrag verfolgt nach dem inzwischen bekannten Muster der AfD in populistischer Manier das Ziel, die interessierte Öffentlichkeit zu irritieren, zu verunsichern, aufzuwiegeln, zu täuschen – und das letztlich auf dem Rücken unserer Kinder, ohne dabei ein eigenes tragfähiges Konzept vorzulegen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Qualitätsanalyse ist ein wichtiger Baustein für eine Bildungspolitik, die das Ziel hat, gute Bildungspolitik für jedes Kind in unserem Land zu gewährleisten. Gute Bildung für alle, das war das Ziel in unserer Regierungszeit. Gute Bildung für alle ist auch in Zeiten der Opposition unser Ziel.

Der Antrag suggeriert, die Qualitätsanalyse sei rein auf ökonomische Kennzahlen ausgerichtet, was dem Wettbewerbsgedanken in der Wirtschaft entlehnt sei. Zudem werde die Bürokratie aufgebläht, was zu zusätzlichen Belastungen im Haushalt führe, die letztlich die Steuerzahler tragen müssten.

Das ist eine bewusste Irreführung und Falschbehauptung. Bei der Qualitätsanalyse geht es in erster Linie – mein Vorredner hat es auch schon gesagt – um die Entwicklung von Schule. Dass das nicht in das Weltbild der Antragsteller passt, wissen wir alle, die wir uns mit diesem unsäglichen Antrag auf fünf Seiten beschäftigen durften, die so gar nichts mit der Entwicklung von Schule zu tun haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Partei der Vereinfacher blendet aus, dass sich Schulen im 21. Jahrhundert stetig wachsenden Herausforderungen stellen müssen, die sich im Land in unterschiedlichster Intensität niederschlagen. Jede Schule muss für sich genommen Lösungsansätze konkret auf ihre Situation bezogen entwickeln können.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Diesem Leitgedanken folgend, wurde bereits Anfang der 2000er-Jahre der Modellversuch „Selbstständige Schule“ ins Leben gerufen, um den Schulen vor Ort mehr Entwicklungsfreiheit zu geben, eine Eigenverantwortung, um auf konkrete Fragen, die sie beschäftigen, vor Ort passgenau Antworten geben zu können.

Uns war in diesem Prozess immer bewusst: Wenn wir den Schulen auf der einen Seite mehr Eigenverantwortung geben, mehr Freiheit im Handeln, gehört auf der anderen Seite auch eine gewisse Form von Rechenschaftslegung dazu.

Das haben wir nie allein im Sinne von Kontrolle verstanden, sondern vielmehr so, auf der Grundlage der Ergebnisse der Qualitätsanalyse positive Entwicklungen anzustoßen und den Schulen dabei auch Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Beides gehört zusammen.

Unter anderem deshalb haben wir das Landesinstitut QUA-LiS systematisch wieder aufgebaut, nachdem es in der Legislaturperiode zwischen 2005 und 2010 aus rein ideologischen Gründen – ich kann mich noch sehr gut an die Debatten damals erinnern – von der Rüttgers-Regierung zerschlagen worden war.

Im aktuellen Koalitionsvertrag – wir haben eben schon etwas dazu gehört – heißt es nun, dass die Aufgabenstellung des Landesinstituts für Schule, QUA-LiS, überprüft werden soll. – Ich will nicht hoffen, Frau Ministerin, dass damit der Fehler von Schwarz-Gelb von 2010 wiederholt wird, sondern dass das Landesinstitut im Sinne eines Unterstützungssystems für Qualitätsentwicklung unserer Schule fortentwickelt werden kann. Denn genau darum geht es. Das hat auch die letzte Anhörung zu diesem Themenkomplex gezeigt; Herr Rock ist eben schon darauf eingegangen.

Natürlich – wie es immer bei Anhörungen ist – gibt es Sachverständige, die sich kritisch äußern. Es gibt aber auch Sachverständige, die wertvolle Hinweise geben – genau das ist auch in dieser Anhörung passiert –, wie man die Qualitätsanalyse sinnvoll weiterentwickeln kann, um Schule in unserem Land besser zu machen. Genau darum geht es. Daran sollten wir in diesem Hause gemeinsam weiterarbeiten. Das habe ich bei dem einen oder anderen eben auch schon herausgehört.

Der Antrag, den Sie gestellt haben, hat wenig bis gar keine Qualität. Alles andere wäre ein Rückschritt. Wir werden gerne an der Weiterentwicklung der Qualitätsanalyse mitarbeiten, daran soll es nicht scheitern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Es gibt eine angemeldete Kurzintervention durch die AfD-Fraktion; Sie haben es dem roten Lämpchen schon entnommen. Herr Seifen hat das Wort gewünscht im Rahmen der Kurzintervention seiner Fraktion. Bitte schön, Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr verehrte Kollegin, vielen Dank. Es tut mir leid, wenn ich das so sagen muss: Mir scheint, dass Sie den Impetus des Antrags nicht verstanden haben. Ich meine das wirklich gar nicht ehrenrührig.

Es geht tatsächlich um Freiheit. Sie reden immer von Freiheit, aber Sie müssen doch wissen: Wenn Sie mit vorgefertigten Ansprüchen an jemanden herantreten, und der soll diese erfüllen, ist das doch keine Freiheit mehr. Denn dann unterliegt er genau diesen Ansprüchen.

Die Soziologin Susanne Krasmann nennt das „Regieren durch Freiheit“. Zitat:

„Die Individuen werden in einer Weise sich selbst überlassen, dass sie frei sind, eben das zu tun, was ihnen auferlegt wurde.“

In Schulleiterkreisen amüsierte man sich schon seit acht Jahren darüber. Wenn jemand erzählte: „Ich bekomme jetzt die QA“, dann wurde schon vorher gesagt, was in den Berichten stehen würde. Und Sie werden staunen: Es stand genau das in den Berichten, was wir vorher vermutet hatten.

Deswegen will man die Qualitätsanalyse in dieser Art in Baden-Württemberg auch auslaufen lassen, aber der grüne Koalitionspartner sperrt sich noch dagegen. Die CDU in Baden-Württemberg, Herr Rock, ist an der Stelle schon weiter.

In Nordrhein-Westfalen ist es der konservative Lehrerverband lehrer nrw, der grundsätzliche Bedenken gegen dieses Instrument äußert.

Das ist also keine spinnerte Idee der AfD, sondern eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage: Wie kann man Bildung verbessern? Welche Instrumente braucht man dazu? Da ist die Qualitätsanalyse wirklich völlig fehlerhaft. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Stotz.

Marlies Stotz (SPD): Ich glaube, ich habe es eben schon gesagt: Es gibt auch andere Stimmen, die sich im Protokoll der letzten Anhörung finden. Darin stehen auch Hinweise, wie man es besser machen kann.

Es ist so, wie es immer im Leben ist: Das Bessere ist der Feind des Guten. Daran arbeiten wir. Sie sollten nicht zu einseitig argumentieren. Unsere Aufgabe ist es auch, die Argumente, die von den Betroffenen, von den Fachleuten, von den Beteiligten kommen, genau abzuwägen, um am Ende zu einem guten Ergebnis zu kommen. Nichts anderes tun wir.

Sie haben Scheuklappen auf. Es tut mir leid, aber so sieht es aus. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Stotz. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion beschreibt vermeintliche Schwächen bei der Qualitätsanalyse, die regelmäßig an den Schulen unseres Landes durchgeführt wird. Statt aber Vorschläge zu deren Verbesserung zu machen, wollen Sie die QA beenden. Das hören wir hier immer mal wieder: abschaffen statt verbessern – Englischunterricht an der Grundschule, Bologna-Reform oder jetzt die Qualitätsanalyse.

Statt Protokolle von vergangenen Schulausschuss- und Plenarsitzungen zu wälzen, hätten Sie sich einfach mal intensiv mit QUA-LiS und der QA beschäftigen können; denn – der Kollege Rock hat es schon festgestellt – das werfen Sie im Antrag durcheinander.

Des Weiteren schreiben Sie, um nur ein Zitat zu bringen: „Schule braucht keine Inspektion durch Unternehmensberater …“ Die QA wird aber gar nicht von Unternehmensberatern an den Schulen gemacht, Herr Seifen, sondern von anderen Lehrern.

(Helmut Seifen [AfD]: Aber nach deren Prinzip!)

– Sie haben es so geschrieben, und ich sage noch einmal: Sie können hier nicht einen Antrag mit einer Länge von fünf Seiten vorlegen, in dem die einzelnen Begriffe dann aber doch nicht so gemeint sind.

Unternehmensberater sind es nicht, und das ist auch gut so; denn wir schicken Leute dorthin, die Ahnung von Schule haben, keine Unternehmensberater.

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

– Vielleicht müssen Sie dann doch noch einmal über Ihre Anträge lesen.

(Helmut Seifen [AfD]: Haben Sie schon mal was von Metaphorik gehört?)

Es macht auf jeden Fall den Eindruck, als wären Sie schon wieder nicht ausreichend im Stoff.

Die individuelle Weiterentwicklung von Schulen ist etwas ganz anderes, als die Ökonomisierung der Schulen zu betreiben, was Sie fälschlicherweise behaupten.

Es gibt Analysekriterien des Qualitätstableaus NRW.

(Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch.)

– Ich weiß nicht, ob Sie es schon einmal gesehen haben, Herr Seifen. Schauen Sie mal hierhin, statt sich umzudrehen. Hier spielt die Musik.

(Zurufe von der AfD)

Es gibt ein Tableau, von dem ich glaube, dass Sie es nicht wirklich zur Kenntnis genommen haben. Das hat nämlich mit Ökonomisierung nichts zu tun. Sie finden zum Beispiel im Inhaltsbereich 2 „Lehren und Lernen“ den Punkt:

„Die Schule nutzt Schülerfeedback zur Verbesserung der Lehr- und Lernprozesse.

Die Schülerinnen und Schüler sowie die Erziehungsberechtigten werden bei Bedarf systematisch in Lernangelegenheiten beraten.“

(Marlies Stotz [SPD]: Hört, hört!)

Wo ist da die vermeintlich ökonomische Ausrichtung, die Sie kritisieren?

Wo sehen Sie die vermeintliche Entwicklung zu einer gewissen Kaltherzigkeit, wenn im Inhaltsbereich 3 „Schulstruktur“ geprüft wird, ob die Schule die Akzeptanz von Vielfalt und Unterschiedlichkeit fördert oder ob eine Auseinandersetzung mit Werten und Normen stattfindet?

(Marlies Stotz [SPD]: Ja!)

Wo erkennen Sie in den konkreten Analysekriterien des Qualitätstableaus NRW vermeintliche Rentabilitätsaspekte? Das alles ist für mich nicht erkennbar.

(Beifall von der FDP und der SPD – Marlies Stotz [SPD]: Ja!)

Meine Damen und Herren, anders als bei Revisionsprüfungen in Unternehmen geht es bei der Prüfung an Schulen nicht um die finanzielle und personelle Situation der Schule, sondern um die Qualität. Durch den objektiven Bericht der QA über den Entwicklungsstand der Schule kann die Schulleitung Veränderungsprozesse anschieben, Schwächen verringern und Stärken der Schule fördern. Die Qualitätsanalyse ist selbstverständlich – dies haben wir hier schon mehrfach gehört – auch zu einem großen Teil Wertschätzung. Denn warum sollte eine Schule, die gute Arbeit leistet, dies nicht dokumentiert bekommen?

Im Antrag der AfD finden wir auch einen Vergleich der Qualitätsanalyse an NRW-Schulen mit den Schulinspektionen in der DDR – ein kleiner Satz, den wir aber so nicht stehen lassen können. Er lautet:

„In der DDR beispielsweise wurde die Qualität der Schulen anhand vorgefertigter Kataloge bei der anstehenden Inspektion in den jeweiligen vorschulischen und schulischen Institutionen abgeglichen und kontrolliert.“

Herr Seifen, die kategorische Kapitalismuskritik in Ihrem Antrag halten wir aus, das ist kein Problem. Aber dass Sie hier einen fragwürdigen DDR-Vergleich vorlegen, können wir so nicht hinnehmen.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Die DDR war ein Unrechtsstaat. Die dort durchgeführten Inspektionen dienten nicht der Qualitätsanalyse, sondern der getarnten politischen Überprüfung: Ist jede Lehrerin/jeder Lehrer in der Partei? Bestehen Kontakte in den Westen? Plant vielleicht jemand die Flucht? Die Liste der Fragen ließe sich noch verlängern.

Die Schulinspektion der DDR mit der QA in NRW im Jahr 2018 zu vergleichen, ist jedenfalls eine Zumutung.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Unglaublich!)

Sie verhöhnen damit nicht nur diejenigen, die engagiert in der QA arbeiten, sondern auch jeden Einzelnen, der unter dem DDR-Regime gelitten hat oder zu Tode gekommen ist. Herr Seifen, Sie sind Geschichtslehrer. Gerade Sie müssten es besser wissen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir werden dieses Thema im Schulausschuss weiterdiskutieren, natürlich auch im Hinblick darauf, wo es Verbesserungspotenziale für die QA gibt; das haben wir bereits gehört. Wir werden sie aber nicht abschaffen, sondern verbessern. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Rech. Sie sind aber flott vom Platz gegangen. – Allerdings war die Frage auch sehr knapp angemeldet, ihr habt es gerade noch geschafft. Bitter genug, aber es soll natürlich sein, so wie es § 35 unserer Geschäftsordnung vorsieht.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Ich habe nicht darauf geachtet! Klar, kein Problem!)

Die Kurzintervention ist durch die AfD-Faktion angemeldet worden. Ich vermute, Herr Seifen führt wieder das Wort, wie mir ein Blick aufs Mikrofon zeigt.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Ich glaube, ich kenne auch schon die Frage!)

– Sie kennen die Frage. Dann kennen Sie sicher auch schon Ihre Antwort. Wir werden das hier alle hinnehmen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Schauen wir mal!)

Sie haben das Wort, Herr Seifen. Bitte schön.

Helmut Seifen*) (AfD): Recht herzlichen Dank, Herr Landtagspräsident. – Frau Müller-Rech, Sie waren gerade so streng zu mir, dass ich richtig die Hacken zusammengeschlagen habe.

Aber jetzt ganz ernsthaft: Ich würde Ihnen schon anraten, sich einmal damit zu beschäftigen, wie man Metaphern zu verstehen hat.

Erstens. Es ist tatsächlich so, dass in der QA inquisitorische Anteile enthalten sind. Es werden Gespräche mit Schülern, Eltern und Lehrern geführt, und dann wird der Schulleiter „gegrillt“. Wenn er will, kann er jemanden hinzubitten. Dann kommt alles auf den Tisch, was irgendjemandem aus Elternschaft, Schülerschaft oder Lehrerschaft nicht so richtig gefällt. Wenn das nicht inquisitorisch ist, dann weiß ich es auch nicht.

Zweitens. Wenn Sie mal die Qualitätsanalyse und die Berichte betrachten, dann werden Sie feststellen, dass auch hier in eine gewisse Richtung überlegt wird. Dazu gehört zum Beispiel das selbstgesteuerte Lernen. Das heißt, den Lehrern wird überhaupt keine Freiheit gelassen – das ist eine Täuschung –, sondern ihnen wird von vornherein gesagt: Sie müssen aber soundso unterrichten.

(Marlies Stotz [SPD]: Haben Sie ein Trauma, Herr Seifen?)

– Nein, ich habe kein Trauma. Ich will Ihnen das nur berichten, weil Frau Müller-Rech ja nicht aus der Schule kommt. Deshalb kann sie das nicht wissen.

Drittens. In den 90er-Jahren hörten wir Lehrer dann: Sie müssen die Kinder als Kunden betrachten. – Das nur zu dem Thema „Unternehmer“. Es ist tatsächlich so – aber das können Sie nicht wissen –, dass in die verschiedenen Fortbildungen, auch in Schulleitungsfortbildungen, dieser Begriff aus dem Unternehmertum hineingebracht worden ist. Natürlich sind Kinder die Personen, für die wir Fürsorge bis ins Letzte betreiben müssen, aber es sind eben keine Kunden. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Müller-Rech, Sie haben eine 1 Minute 30 Sekunden für eine Antwort. Bitte schön.

Franziska Müller-Rech (FDP): Erst einmal Verzeihung dafür – ich habe die Wortmeldung nicht gesehen –, dass ich eben so früh abgedampft bin. Natürlich gehe ich gerne darauf ein.

Es tut mir leid, wenn Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder sich wie bei einer Inquisition gefühlt haben. Ich habe auch nicht gesagt, die QA sei perfekt. Sie haben es ja gehört: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir die QA verbessern wollen, damit solche Eingriffe eben nicht passieren, sondern das Ziel verfolgt werden kann, die Qualität an unseren Schulen weiterzuentwickeln. Zu Sätzen aus den 90er-Jahren – mit Verlaub, aber in der Zeit bin ich eingeschult worden – kann ich nichts sagen.

Sie haben noch unterschiedliche Lernmethoden angesprochen. Natürlich schauen wir uns das auch an. Ich finde es, ehrlich gesagt, gut, auch einen Input von außen zu bekommen, was Lernmethoden betrifft; denn Unterricht soll nicht nur frontal stattfinden, sondern es sollen auch andere Methoden angewandt werden.

Gerade was digitale Lernmethoden betrifft, haben wir in einer Schulausschusssitzung gemerkt, wie wichtig es ist, dass sich Lehrer immer mal wieder mit neuen Dingen beschäftigen, zum Beispiel wie man OECD-Ergebnisse googelt. Deshalb ist es gut, wenn wir dort einen Input bekommen und uns anschauen: Wo können wir etwas verbessern? Wie machen wir es treffsicherer? – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. – Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Beer das Wort zu diesem Thema.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, so ambivalent ist das manchmal in den Debatten. Die Kollegin Marlies Stotz hat bedauert, dass sie zu einem solchen Antrag sprechen muss. Ich muss sagen: Die Ansicht teile ich. Auf der anderen Seite ist es vielleicht auch gut, dass Herr Seifen nicht mehr Verantwortung in der Schule trägt;

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

denn das, was wir mit diesem Antrag erleben, entspricht wieder genau der Methode der AfD.

Man sucht sich die Punkte aus dem Koalitionsvertrag, Prüfaufträge – zum Beispiel bezüglich der Erteilung von Englisch in Grundschulen, jetzt QUA‑LiS –, und dann wird das Ganze in unsäglicher Art und Weise – verquer, dröhnend, verächtlich machend und, was die Akteure angeht, sachlich verdrehend – in einen Antrag gegossen. Das ist eines Bildungsantrags unwürdig.

(Lachen von Christian Loose [AfD])

Das ist eines Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses unwürdig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich frage mich, wie lange Sie dieses Amt noch bekleiden können.

Der nächste Punkt – Kollegin Müller-Rech hat schon darauf hingewiesen –: Hier sind Vergleiche von QA und QUA-LiS mit einer Diktatur gezogen worden – nicht nur mit einem Unrechtsregime, sondern mit einer Diktatur, einem Überwachungsstaat, einem Überwachungssystem. Das ist derartig unwürdig!

(Lachen von Christian Loose [AfD] – Zuruf von der AfD: Welchen Vergleich würden Sie denn ziehen?)

Sie beleidigen die verantwortungsvollen Akteure, Schulleiter und Schulleiterinnen, die im Qualitätsmanagement arbeiten. Sie werten sie ab. Das ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich um die Qualität von Schule und die individuelle Förderung in unseren Schulen bemühen.

(Beifall von der SPD)

Ich finde, Sie müssten sich von diesem Platz aus endlich entschuldigen.

(Helmut Seifen [AfD]: Wenn Sie keine Argumente mehr haben, werden Sie beleidigend!)

Das ist unglaublich!

(Helmut Seifen [AfD]: Sie werden beleidigend!)

– Sie werden beleidigend, genau. Sie bezeichnen QUA-LiS und die Qualitätsprüfer als Elemente einer „parasitären Führungskultur“. Parasiten sind aussaugend, sie richten ihre Wirtstiere zugrunde. Das schreiben Sie den Menschen in diesem Arbeitsfeld zu. Es ist selbsterklärend, was Sie hier benennen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dann bemühen Sie auch noch Experten, beispielsweise den Auftritt von Herrn Dr. Dollase im Ausschuss für Schule und Bildung. Da können wir nur die Stirn runzeln. Dass das kein Ausweis evidenzbasierter Beiträge ist, war sehr deutlich.

(Helmut Seifen [AfD]: Aber jetzt werden Sie beleidigend!)

Von ihm stammt ja der Ausdruck „parasitär“, das haben Sie bei ihm abgeschrieben. Das qualifiziert Sie.

Es ist darauf hingewiesen worden: Selbstverantwortete Schule braucht Rechenschaftslegung über das eigene Tun, über die eigenen Ziele, über das, was erreicht worden ist, über die Reflexion des Handelns. Das gehört dazu.

Es gibt dazu auch Referenzinstrumente, zum Beispiel den Referenzrahmen Schulqualität, auf den Frau Kollegin Müller-Rech hingewiesen hat. Da geht es genau um die erwarteten Ergebnisse und Wirkungen. Da geht es um das Lehren und Lernen. Da geht es um Schulkultur, um Führung und Management in der Schule. Da geht es auch um Rahmenbedingungen und die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben. Dieser Referenzrahmen ist ein ausgewiesenes Instrument der Partizipation. Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte konnten an der Entwicklung mitwirken, und natürlich kann er immer weiter verbessert werden.

Uns muss es darum gehen, die Qualitätsanalyse zu einem Bildungsmonitoring auszubauen, um ein belastbares Unterstützungssystem für Schule zu haben, und eine Balance von interner und externer Evaluation zu finden. Klar ist aber: Selbstverantwortete Schule braucht immer auch Rechenschaftslegung. Das sind die Instrumente, mit denen wir arbeiten.

Ich sehe die Kurzintervention, Herr Seifen. Ich sage Ihnen jetzt schon in Bezug auf Ihre Ausführungen: Ich fordere Sie das letzte Mal auf, sich bei den Menschen, die in der Qualitätsagentur arbeiten, zu entschuldigen. Das stünde Ihnen gut an.

(Helmut Seifen [AfD]: Oh, oh!)

Nutzen Sie die Zeit jetzt!

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Die Kurzintervention ist schon bekannt gegeben worden, angemeldet von der AfD-Fraktion. Es wird Herr Seifen sprechen. Bitte schön.

Helmut Seifen*) (AfD): Recht herzlichen Dank, Herr Landtagspräsident. – Frau Beer, bei aller Liebe …

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Bitte nicht! – Heiterkeit)

– Dann sage ich: Bei aller Wertschätzung Ihnen als Person gegenüber – warum werden Sie immer unsachlich und beleidigend, wenn Sie keine Argumente haben? Sie selbst haben doch 2015 das DDR-Vokabular benutzt und von Inspektion gesprochen.

Das ist doch genau das, was Sie bewegt, was in Ihrem tiefsten Inneren verborgen ist, was Sie vielleicht gar nicht wissen. Sie wollen kontrollieren. Sie haben die Qualitätsanalyse losgeschickt. Die Kollegen, die dorthin kommen – da gebe ich Ihnen recht –, machen ihre Arbeit gut. Es gibt zwar einige, bei denen das etwas misslingt, ich habe jedoch nur sehr gute Erfahrungen gemacht.

Aber ich habe auch erlebt, dass es zum Teil inquisitorischen Charakter hatte – Punkt. Von Bildungssicherung, Qualitätssicherung ist dort relativ wenig zu spüren. Die Lösung? – Früher haben es die Dezernate gemacht.

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Seifen, Chance vertan! Sie haben sich nicht bei den Menschen entschuldigt, die eine gute Arbeit machen.

(Helmut Seifen [AfD]: Oh, oh!)

Zum anderen: Sie schreiben solche Anträge. Ihre Sprache ist verräterisch. Ihre rassistischen Beiträge der letzten beiden Tage sind ein Beweis Ihrer Menschenhaltung und Ihres Blicks auf die Dinge.

(Beifall von der SPD – Lachen von Christian Loose [AfD] – Zurufe von der AfD – Gegenrufe – Glocke)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Es spricht als Nächstes für die Landesregierung Frau Ministerin Gebauer.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da die Analysen und Beschreibungen der AfD zur Qualitätsanalyse völlig unbrauchbar sind, werde ich darauf nicht eingehen, sondern zur Sache sprechen, nämlich zu den Eckpunkten der Qualitätsanalyse.

Die Qualitätsanalyse als Instrument der externen schulischen Evaluation und der Qualitätssicherung ist eine der Konsequenzen, die die Bildungspolitik parteiübergreifend aus den Ergebnissen von PISA im Jahre 2000 gezogen hat. Schritte zur eigenverantwortlichen Schule führten vor ca. 15 Jahren dazu, dass korrespondierend zu erweiterten Gestaltungsspielräumen Formen der Rechenschaftslegung und der systemischen Beratung entwickelt wurden.

In den Anfangsjahren war das Verfahren zur Qualitätsanalyse überwiegend auf Rechenschaftslegung ausgerichtet. Ja, das ist richtig. Der bürokratische Aufwand war unangemessen hoch; auch das muss man sagen. Beides hat in vielen Schulen verständlicherweise Ablehnung hervorgerufen und, wie wir heute wissen, manche Bestrebungen der Schulentwicklung vor Ort konterkariert.

Aus diesen Jahren stammen bis heute immer noch Vorbehalte, an die die AfD nun mit falschen Empfehlungen anknüpfen will. Die Fachleute haben in den vergangenen Jahren die Kritik aufgenommen und gegengesteuert.

Nach dem Schuljahr 2013/14 begann unter Einbeziehung der Fachwissenschaft, der Schulpraxis und auch der Personalvertretungen eine Neuausrichtung der Qualitätsanalyse, um die Akzeptanz in den Schulen und vor allem die Funktion – das ist das Entscheidende – der Impulsgebung für die Schulentwicklung zu stärken.

Die Landesregierung verfolgt in diesem Zusammenhang vier klare Ziele mit der Qualitätsanalyse:

Die Unterstützungsfunktion der Qualitätsanalyse für die Schulen wird wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Die Qualitätsanalyse geht jetzt mehr von der Einzelschule aus und stellt somit den Entwicklungsstand und die Eigenverantwortlichkeit in den Mittelpunkt.

Ziel ist auch, die Selbstevaluation der Schulen zu stärken und so gemeinsam mit der externen Evaluation zu einem wirksamen Instrument schulischer Qualitätsentwicklung zu gelangen. Nicht zuletzt soll der Aufwand der Schulen für die Qualitätsentwicklung weiter verringert werden.

Zur Erreichung dieser Ziele wurden bereits unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet. Einige davon möchte ich Ihnen nennen:

Der Aufwand für die Schulen wurde in der Vergangenheit deutlich reduziert. Statt vorher 21 Dokumentensätzen müssen seitdem nur noch vier Dokumente eingereicht werden. Das sind das Schulprogramm, das Leistungsbewertungskonzept, die Fortbildungsplanung und eine Auswahl schulinterner Lehrpläne.

Neben einer Anzahl verpflichtender Kriterien können die Schulen nun auch über eine Reihe von Wahlkriterien für sich selbst mitentscheiden.

Ein weiterer Punkt: Neu eingeführt wurde zum Beispiel das gemeinsame Abstimmungsgespräch, an dem alle schulischen Gruppen teilnehmen und bei dem dann ein schulspezifisches Qualitätstableau entwickelt wird.

Mit der Einführung des neuen Qualitätstableaus zu Beginn des Schuljahres 2017/18 ist die Neuausrichtung der Qualitätsanalyse nun in die Implementierungsphase eingetreten. Selbstverständlich aber – auch das ist von meinen Vorrednerinnen angesprochen worden – wird das Ministerium diesen Prozess weiterhin kontinuierlich begleiten, analysieren und auch weiterentwickeln.

Ebenso selbstverständlich wird die neue Qualitätsanalyse im Rahmen der kontinuierlichen Weiterentwicklung wissenschaftlich evaluiert. Das schließt auch Fragen der Akzeptanz und der wahrgenommenen Belastung für die Schulen ein.

Unterm Strich lässt sich somit festhalten: Die Qualitätsanalyse soll die Schulen bei der kontinuierlichen Entwicklung und Sicherung der Qualität ihrer Arbeit unterstützen. Sie orientiert sich auch stärker an den Bedarfen der einzelnen Schule. Sie soll eigenverantwortliche Schulen in ihrer Entscheidungs- und in ihrer Handlungskompetenz stärken.

(Zuruf von der SPD: Das nennt man Freiheit!)

Durch eine Beteiligung aller Gruppen und eine höhere Transparenz trägt dann die Qualitätsanalyse dazu bei, dass Unterrichtsentwicklung in den jeweiligen schulischen Gremien Gesprächsgegenstand ist und bleibt.

Was bleibt am Ende noch zu sagen? Für mich und mein Haus ist die Qualitätsanalyse nicht nur die Analyse der Ergebnisse schulischer Leistungen, sondern sie ist auch die Analyse und Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, unter denen unsere Schulen, unsere Schülerinnen und Schüler, aber auch unsere Lehrerinnen und Lehrer ihre jeweilige schulische Leistung erbringen müssen. Mithilfe der Qualitätsanalyse arbeiten wir an dem Ziel – und ich hoffe, dieses Ziel haben wir alle gemeinsam –, die Rahmenbedingungen Tag für Tag zu verbessern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/2553 an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   NRW fordert zusätzliche Maßnahmen zur Tabakprävention und den Passivraucherschutz von minderjährigen Kindern in Autos

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2555

Ich eröffne die Aussprache. Die Rednerin für die SPD-Fraktion, Frau Dr. Büteführ, ist bereits am Redepult. Sie haben jetzt auch das Wort.

Dr. Nadja Büteführ (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Welch prominente Uhrzeit für dieses Thema! Ich will versuchen, es trotzdem ein wenig auflockernd zu gestalten.

Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere von Ihnen noch an jene legendäre Gesprächseinleitung von Sophia Petrillo in der Fernsehserie „Golden Girls“: „Stellt euch vor – Sizilien 1930“.

Ich möchte heute beginnen: Stellen Sie sich vor – NRW 1974. Familie Muster startet mit ihren Kindern von Witten aus gen Bella Italia, natürlich im deutschen Kleinwagen und nicht mit dem Flieger wie heute. Mama und Papa rauchen kräftig durch. Markus und Anja sitzen auf der Rückbank und sind geräuchert und gepökelt von mindestens einer Packung Tabakwaren. Das klingt jetzt vielleicht lustig, war es aber bestimmt nicht, und vielleicht war es auch – hoffentlich nicht – sehr folgenreich.

Ganz so schlimm wie früher ist es heute zum Glück nicht mehr. Trotz und alledem hat die SPD-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „NRW fordert zusätzliche Maßnahmen zur Tabakprävention und den Passivraucherschutz von minderjährigen Kindern in Autos“ eingebracht. Warum?

Beginnen wir mit denen, die eines besonderen Schutzes bedürfen, nämlich den Kindern. Das Deutsche Krebsforschungszentrum schätzt, dass nach wie vor rund 1 Million Kinder in Deutschland dem Tabakrauch in Autos ausgesetzt sind. Die dort gemessene Schadstoffkonzentration ist nachweislich mindestens fünfmal so hoch wie in einer ehemaligen Raucherkneipe, die es laut Gesetzgebung in NRW bereits seit zehn Jahren nicht mehr gibt.

Man muss wissen, dass sich das Passivrauchen bei Kindern besonders gesundheitsgefährdend auswirkt. Sie weisen eine erhöhte Atemfrequenz auf. Die Lungen müssen sich bis zum zwanzigsten Lebensjahr erst noch ausbilden. Darüber hinaus ist ihr Entgiftungssystem nicht so ausgereift wie bei Erwachsenen.

Die Konsequenzen des Passivrauchens von Kindern können also sein: akute und chronische Atemwegserkrankungen, Verschlimmerung einer bereits vorhandenen Asthmaerkrankung oder auch Erhöhung des Blutdrucks. Kinder, deren Eltern rauchen, leiden häufiger an Lebertumoren und auch an Leukämie. Bei Säuglingen steigt das Risiko des plötzlichen Kindstodes.

Die Tabakprävention und der Passivraucherschutz in Deutschland – das ist leider festzustellen – hinken im internationalen Vergleich sowohl den medizinischen Empfehlungen als auch den in internationalen Verträgen vereinbarten Standards weit hinterher. Prävention, Tabakwerbeverbote und Raucherstoppprogramme sind wichtige Instrumente, um die heutige Generation, aber auch zukünftige Generationen vor den gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums und des Passivrauchens zu schützen.

Um Kinder und Jugendliche zu schützen, bedarf es bereits ab der Kita frühzeitiger Präventionsmaßnahmen und Aufklärungskampagnen. Insbesondere minderjährige Kinder müssen besser vor den Folgen des Passivrauchens geschützt werden.

Die SPD-Fraktion unterstützt die Forderung der Bundesärztekammer und der CSU-Bundesdrogenbe-auftragten Marlene Mortler, ein Rauchverbot für Autofahrten mit minderjährigen Kindern einzuführen. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Landesregierung auf, zeitnah über den Bundesrat ein Gesetz einzubringen, welches das Rauchen in Autos bei Anwesenheit von minderjährigen Kindern verbietet und auch entsprechend sanktioniert.

Geht nicht? In ganz vielen anderen europäischen Ländern ist dies längst gängige Praxis: in England, Schottland, Irland, Frankreich, Italien, Griechenland und Österreich. Selbst in weiten Teilen der USA – da haben wir das Bild des Cowboys im Monument Valley vor Augen; Sie wissen, was ich meine – ist dies der Fall.

Außerdem weise ich auf die Gurtpflicht, die Kindersitzpflicht und das Handyverbot hin. Geht nicht? Nach der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten, der DEBRA-Studie, fordern 71 % der Deutschen ein solches Rauchverbot in Autos. Selbst 67 % der befragten Raucherinnen und Raucher plädieren dafür, sofern minderjährige Kinder im Auto sind.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Nadja Büteführ (SPD): Ist das Bevormundung oder ein Eingriff in die Grundrechte? Nein.

Für die letzten Zweifler und Bedenkenträger – damit komme ich auch gleich zum Ende – zitiere ich aus einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Rauchverbots in Autos. Darin wird dargelegt, dass dies sowohl formell auch als materiell verfassungskonform wäre.

Wir bitten um der Gesundheit unserer Kinder willen um Ihre Zustimmung für die Überweisung an die Fachausschüsse und auch um eine generelle Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Dr. Büteführ. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Oellers das Wort.

Britta Oellers (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Familie ist die kleinste Einheit und Kern unserer Gesellschaft. Kinder sind der Inbegriff von Zukunft. Sie gilt es besonders zu schützen.

Die CDU-Landtagsfraktion war die erste Fraktion, die den Schutz der Nichtraucher konsequent durchgesetzt hat. CDU und FDP haben 2008 unter Minister Laumann ein gutes Nichtraucherschutzgesetz auf den Weg gebracht. Es war deshalb gut, weil es den Schutz der Gesundheit und die Lebensbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in Einklang brachte.

Das Thema „Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen“ hat den Landtag mehrfach beschäftigt. Seit dem 1. Mai 2013 haben wir in Nordrhein-Westfalen durch die rot-grüne Landesregierung das strengste Nichtraucherschutzgesetz in Deutschland. Dabei hätten Sie Gelegenheit gehabt, diese Regelung schon damals zu treffen.

Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass das Rauchen – insbesondere das Passivrauchen – gesundheitsgefährdend ist. Die SPD vergisst aber wieder einmal, dass die Bürger weitaus mündiger sind, als sie denkt. Der hier vorliegende Antrag ist geprägt von SPD-Gängelei und der Vorstellung, den Menschen vorschreiben zu müssen, wie sie zu leben zu haben.

(Beifall von der CDU)

Die NRW-Koalition sieht ihre Aufgabe darin, Aufklärung zu betreiben, statt Verbote zu erlassen. Dies geschieht beispielsweise durch die Kampagne „rauchfrei unterwegs“ oder die gemeinsam mit dem Bund durchgeführte Landesinitiative „Leben ohne Qualm“. Zusammen mit Eltern, Ärzten, Lehrern, Erziehern und Jugendlichen wird dieses wichtige Thema angepackt.

Wir sehen schon den erhobenen Zeigefinger, der immer wieder von Rot, aber auch von Grün eingesetzt wird. Sie setzen nicht auf die Eigenverantwortung der Menschen, sondern auf gesetzliche Verbote. So landen wir irgendwann in einer Besserungsanstalt, statt in einer freien Gesellschaft zu leben.

Der Schutz der Gesundheit ist unbestritten das höchste Gut. Wir wissen auch: Tabakrauch ist gefährlich, ebenso wie zu viel Alkohol, fettes Essen und andere ungesunde Verhaltensweisen.

Passivrauchen gefährdet Dritte. Auch das ist bekannt. Wir brauchen den Schutz der Nichtraucher. Wir brauchen vor allem den konsequenten Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Aber wir, die Nordrhein-Westfalen-Koalition, wollen deshalb nicht jedes ungesunde Verhalten verbieten, sondern mithilfe von Information und Aufklärung einen verantwortungsvollen Umgang fördern. Dazu bedarf es nicht der Verbotspartei, die um die Ecke kommt und dem Rest der Welt erklären will, was man zu tun oder zu lassen hat.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Oellers, Entschuldigung, dass ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Der Kollege Maelzer von der SPD-Fraktion möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Britta Oellers (CDU): Bitte.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Bei Ihrer Rede habe ich mich gefragt, ob Sie verstanden haben, dass es in dem Antrag nicht um gesundheitsschädliches Verhalten von einzelnen Personen, sondern um Gesundheitsgefahren für Dritte geht, und zwar für Kinder, die eben nicht die freie Entscheidung haben, ob sie sich dieser Gesundheitsgefahr aussetzen oder nicht. Haben Sie das verstanden?

Britta Oellers (CDU): Ich habe Ihren Antrag sehr wohl verstanden, deswegen rede ich ja auch hier. Ich habe allerdings eine andere Meinung.

(Beifall von der CDU)

Ich komme jetzt noch zu einem anderen Punkt. Wenn Sie mich ausreden lassen würden, wäre ich Ihnen dankbar.

Gleichzeitig soll nicht jeder Polizist rauchenden Eltern in wilder Verfolgungsjagd hinterherhetzen.

(Zuruf von der SPD: Mein Gott!)

Tatsächlich ist die Zahl der Raucher gerade unter jungen Erwachsenen seit Jahren rückläufig. Das sollte Ihnen zeigen: Prävention wirkt auch ohne Verbote. Verbot hin oder her, die Vernunft der Eltern ist in jedem Fall gefragt. Das darf man nicht vergessen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Schützen Sie Ihre Kinder, und rauchen Sie nicht im Beisein Ihrer Kinder! Halten Sie an, und nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, oder fangen Sie am besten erst gar nicht mit dem Rauchen an!

(Beifall von der CDU)

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Oellers. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Rauchen gefährdet die Gesundheit. Ich denke, darüber herrscht hier grundsätzlich Einigkeit.

Dass Tabakkonsum schädlich ist, ist aber keinesfalls eine selbstverständliche Erkenntnis, sondern Ergebnis konsequenter und zielgerichteter Ansprachen. Die rahmengebenden Vorgaben reichen dabei von der WHO über die Europäische Union bis hin zur Landesebene, die in Nordrhein Westfalen mit der Initiative „Leben ohne Qualm“ seit 2001 konsequente Aufklärungsarbeit leistet.

Die Weltgesundheitsbehörde hat mit der Verabschiedung des Rahmenübereinkommens zur Tabakkontrolle bereits Anfang des Jahrtausends die entsprechenden Leitplanken zum Nichtraucherschutz und zur Suchtprävention gezogen. Die Europäische Union folgte im selben Jahr. Und schon 2004 hat die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen ebenfalls ratifiziert. In der Folge wurden die bereits zuvor bestehenden Maßnahmen zum Schutz vor den Folgen des Rauchens weiter ergänzt, besonders in den Bereichen Tabakwerbung, Prävention und Passivrauchen.

Es ist also auch ein Erfolg dieser konsequenten und parteiübergreifenden staatlichen Initiativen, dass der Anteil der Raucher in der Gesellschaft abgenommen hat. Besonders erfreulich ist dabei, dass der Anteil jüngerer Raucherinnen und Raucher über die Jahre kontinuierlich kleiner geworden ist – erfreulich, weil gerade diese Gruppe anfällig für Suchtgefahren ist.

Tabakwerbung, Alltagsbeobachtung, aber vor allem auch die eigenen Eltern können durch ihr Verhalten maßgeblich Einfluss auf den Hang des Nachwuchses zur Zigarette nehmen. Bei den 12- bis 17-Jährigen ist seit 2001 ein starker Rückgang des Rauchens zu erkennen. In dieser Altersgruppe lag die Raucherquote im Jahr 2001 noch bei 28 %. Dieser Anteil verzeichnete im Jahr 2005 einen Rückgang auf 20 % und sank in 2008 auf 15 %. Aktuell liegt die Raucherquote bei knapp 10 %, ein historischer Tiefstand.

All das ist allerdings kein Grund, sich zurückzulehnen. Im Gegenteil: Nach wie vor sterben in Deutschland ca. 110.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Und auch Passivrauchen ist heute nach wie vor ein erhebliches Gesundheitsproblem. Weitere Maßnahmen, die zum Schutz von Nichtrauchern beitragen, sind deshalb prinzipiell begrüßenswert.

Der vorliegende Antrag der SPD macht das Problem von Rauchen im Auto und die Folgen für Kinder zum Thema. Ich gestehe: Ein Rauchverbot an dieser Stelle ist für mich als Liberalen möglicherweise durchaus konsequent, wenn man bedenkt, dass das Rauchen auf Spielplätzen, also an der frischen Luft, in Krankenhäusern und Restaurants strikt verboten ist.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD – auch wenn ich Ihren Vorstoß inhaltlich teile –, verstehe ich insbesondere eines nicht: Im Bund regiert die dritte Große Koalition. Dort gibt es eine Person, die Ihnen zur Seite springt, nämlich die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU. Sie haben also eine durchaus prominente Fürsprecherin.

Ich habe die Erwartungshaltung, dass Sie dieses Thema dort einbringen und sich dort darum bemühen sollten, eine Änderung herbeizuführen. Dass Sie nun hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative beantragen, zeigt mir, dass Ihre Landtagsfraktion auf Bundesebene offensichtlich keinen Einfluss hat und dieses Thema ausschließlich zur eigenen Profilierung nutzen möchte.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass Sie uns in der Ausschussberatung vom Gegenteil überzeugen können, und freue mich deswegen auf die inhaltliche Debatte. Wir stimmen der Überweisung selbstverständlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe bei diesem Thema an manchen Stellen auf mehr Einigkeit gesetzt. Ihre Einlassungen überraschen mich schon ein wenig; denn natürlich sind wir uns alle einig, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, dass Passivrauch ein Gesundheitsrisiko darstellt und dass insbesondere Kinder zu schützen sind, die sich eben nicht selber aus der Situation – ich sage es mal so – befreien können, weil sie nämlich mit ihren Eltern zusammen leben, weil sie mit ihren Eltern gemeinsam im Auto fahren.

Natürlich ist es erfreulich, dass heute weniger Menschen rauchen. Das ist überhaupt keine Frage. Das ist auch ein Erfolg vieler Präventionskampagnen. Nichtsdestotrotz sind Kinder heute nach wie vor von Passivrauch betroffen; sie sind ihm nach wie vor ausgesetzt.

Die bereits von Frau Büteführ angeführten negativen Gesundheitsfolgen insbesondere für Kinder und hier für jüngere Kinder sind nichts, was man mal eben von der Hand weisen kann. Daher kann man schon die Frage stellen, warum der Staat nicht bereit ist, zu regulieren, auch wenn die Leute darüber eigentlich selber entscheiden müssen, wenn wir die Eltern nicht bevormunden wollen.

Natürlich wollen wir Eltern nicht in ihrem Erziehungsrecht einschränken, und wir wollen sie auch nicht bevormunden, aber es ist doch schon bemerkenswert, dass Frau Büteführ und die SPD in ihrem Antrag Zahlen zitieren, nach welchen es eine große Zustimmung in der Bevölkerung zu einem solchen Rauchverbot im Auto gibt.

Anscheinend hört dieses Befürworten beim eigenen Auto wieder auf. Das heißt, es gibt eine große Mehrheit in der Bevölkerung – auch unter den Raucherinnen und Rauchern –, die dafür ist, dass im Auto nicht geraucht wird. Nichtsdestotrotz sind den vorliegenden Zahlen zufolge immer noch 1 Million Kinder vom Passivrauchen betroffen. Den frommen Wünschen, dass etwas gut wäre, folgt also oftmals nicht das Ändern der eigenen Handlungsweisen.

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das allgemeine Ablehnen des Rauchens im Auto den Eltern auch immer eine Selbstverpflichtung wäre. Es wäre auch wünschenswert, wenn ihnen das in der eigenen Wohnung – in die wir nicht eingreifen können und es auch nicht wollen – eine Selbstverpflichtung wäre, aber das ist anscheinend nicht immer so.

Es wundert mich schon ein wenig, dass die CDU-Fraktion hier so deutliche Worte gegen diesen Antrag findet, ist es doch die Bundesdrogenbeauftragte der Union –

(Minister Karl-Josef Laumann: Der Bundesregierung!)

zwar der CSU, aber immerhin sind Sie die Unionsparteien –, die ein solches Rauchverbot auch beim Autofahren fordert. Darauf, ob diese Forderung des Rauchverbots – ja oder nein – verhältnismäßig ist, haben Sie sich sehr fokussiert.

Ich habe mir die Stellungnahme des Gutachterdienstes des Deutschen Bundestags angeschaut. Dort wird sehr deutlich ausgeführt, dass ein solches Verbot verhältnismäßig und damit auch verfassungskonform möglich ist. Deshalb ist es meiner Meinung nach sehr angemessen, auch hier darüber zu diskutieren.

Natürlich kann ein solches Verbot nur ein Baustein sein. Das wird in diesem Antrag auch durchaus deutlich. Ich will sehr klar unterstreichen: Verbote allein führen nicht zu einer kulturellen Veränderung und auch nicht zu einer Verhaltensänderung; sie können immer nur ein Baustein einer präventiven Gesamtstrategie sein.

Dazu gehört – auch das will ich unterstreichen –, dass ich mir wünsche, dass in Deutschland endlich das Werbeverbot für Tabakwaren umgesetzt wird. Es kann doch nicht sein, dass nach wie vor überall Plakate hängen, die ein derart gesundheitsschädliches Verhalten als Lifestyle proklamieren. Da besteht – auch als ein Baustein – dringender Handlungsbedarf.

Kollege Hafke von der FDP hat es gerade richtigerweise angesprochen: Hier sitzen zwei Parteien, die auf Bundesebene die Große Koalition bilden und da offenbar nicht zu einem einhelligen Ergebnis kommen. Nach den Einlassungen der CDU-Fraktion hier im Landtag frage ich mich allerdings, an wem es auf Bundesebene denn scheitert. Scheitert es an der SPD-Fraktion und deren mangelndem

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist doch Quatsch!)

Durchsetzungsvermögen auf Bundesebene, oder scheitert es an der CDU-Fraktion? Denn Ihrer Argumentation folgend scheint es ja aus Sicht der Union – die Drogenbeauftragte ausgenommen – keinen weiteren Handlungsbedarf zu geben.

Ich finde es gut, dass wir dieses Thema im Landtag weiter aufgreifen und diskutieren wollen – allerdings nicht in der Engführung hin auf ein Verbot, sondern in der breiten Diskussion, wie sie in diesem Antrag auch angelegt bzw. zumindest angedeutet ist: Wie wollen wir eigentlich Kinder schützen, die sich nicht gegen den Rauch, den blauen Dunst wehren können, die es aber wert sind und ein Recht darauf haben, geschützt zu werden?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD spricht Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig: Das Beste, das man für seine Gesundheit tun kann, ist mit dem Rauchen aufzuhören oder am besten erst gar nicht damit anzufangen. So weit kann man das schon mal feststellen.

Die andere Frage ist: Wie geht man mit dieser Information um? Denn angesichts der Ekelbilder auf den Zigarettenpackungen und der Aufklärung, die es gibt, dürfte das den meisten durchaus bewusst sein. So stellen wir in der Tat fest, dass deutlich weniger Jugendliche rauchen als in der Generation zuvor. Die Aufklärungskampagne funktioniert anscheinend.

Ich finde es dann etwas traurig, wenn ich aus diesen Verboten ableiten muss, welche Mentalität im Grunde mittlerweile bei der SPD Einzug gehalten hat. Bei allem Respekt vor der Historie und persönlicher Zuneigung zu dem, was Sie in der Vergangenheit erreicht haben: Was da aus Ihnen im Einzelnen geworden ist, erinnert etwas an die Ausführungen von Thomas Hobbes in „Leviathan“. Sie haben irgendwie den Eindruck, der Mensch müsste von einem autoritären Staat gegängelt werden, oder er bräuchte eine ganz harte Hand und stringente Führung,

(Prof. Dr. Rainer Bovermann [SPD]: Sie sollten mal wieder Hobbes lesen! – Prof. Dr. Karsten Rudolph [SPD]: Da wäre er auch sinnvoller beschäftigt!)

damit es nicht in irgendeiner Art und Weise dazu kommt, dass er zur Zigarette greift.

Gerade wenn Sie auf der anderen Seite immer moralisieren und davon sprechen, dass Sie die Demokratie hochhalten, führen Sie das doch bitte bei diesen ganz praktischen Dingen auch so aus. Dann klären Sie die Leute doch auf und bieten zum Beispiel denen, die nicht ohne Grund weiter rauchen, etwas an.

Es laufen Aufklärungskampagnen. Viele Leute haben aber privat einfach nicht die Möglichkeit, aufzuhören – mag es am Suchtdruck liegen, mag es an der Wirkung des Tabakrauchs liegen, mögen ganz unterschiedliche Dinge eine Rolle dabei spielen, weshalb die Menschen immer noch weiter rauchen, obwohl es sowohl der Gesundheit als auch dem Geldbeutel nicht guttut.

Wo sind da Ihre Ansätze? Wo sind Ihre Ideen oder Lösungsstrategien, um den Leuten zu helfen? Das, was durch Ihren Antrag herüberkommt, ist: Sie wollen den Menschen verbieten,

(Zuruf von Dr. Nadja Büteführ [SPD])

im privaten Raum, im Pkw zu rauchen. Dabei führen Sie nicht aus, dass es unter Umständen schwierig sein könnte, mit einem brennenden Gegenstand zu fahren oder bei der Fahrt zielgerichtet abzuaschen. Es wäre ja rein theoretisch sogar möglich, das Rauchen in einem stehenden Pkw zu ahnden.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Das ist ideologisch schwer nachvollziehbar, gerade wenn wir auf der anderen Seite darüber sprechen, dass wir die Menschen aufklären sollten und nicht immer so einen Popanz mit ihnen machen sollten.

Dahinter steht ein Menschenbild – das muss ich Ihnen leider vorhalten –, das auch die AfD hier erfährt, wenn Sie uns zum Beispiel auf den Fluren noch immer nicht grüßen, was für mich schwer nachvollziehbar ist. Bei allem politischen Diskurs, bei aller politischen Meinungsverschiedenheit ist es doch so: Nicht durch das Label „AfD“ können Sie direkt verorten, ob ein Mensch grüßenswert ist oder nicht.

(Zuruf von Dr. Nadja Büteführ [SPD])

Reden Sie doch einfach mal mit uns! Sprechen Sie mit uns! Nach dem, was ich von Ihnen aus den Medien oder in der Kantine mitbekomme, ist, so denke ich, sogar der eine oder andere sehr sympathische Mensch unter Ihnen,

(Karl Schultheis [SPD]: Das wäre aber Zufall! – Dr. Nadja Büteführ [SPD]: Lenken Sie doch nicht vom Thema ab!)

bei dem ich es absolut begrüßen würde, dass man mal miteinander spricht. Vielleicht können Sie mir erklären, wie Sie auf solche Ideen kommen.

Das Verhalten aber, das Sie hier an den Tag legen, entspricht in etwa dem, was Sie uns oft vorwerfen. Das ist genau dieses Autoritäre, das ist genau dieser Blick auf Menschen, die Sie mit harter Hand führen wollen, und nicht das Aufgeklärte, das wir doch auf der einen Seite fordern. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ganz herzlichen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann jetzt das Wort.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das müsste doch eigentlich Herr Reul sein!)

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht verschweigen, dass dieses Thema für einen Gesundheitsminister zwar wichtig, aber auch nicht einfach ist. Wir müssen zunächst einmal festhalten, dass wir – Gott sei Dank! – in Nordrhein-Westfalen wie in ganz Deutschland in den letzten zehn bis 15 Jahren im Hinblick auf den Nichtraucherschutz und auf die Frage nach der Bewusstseinsbildung über die Gefährlichkeit des Rauchens gewaltige Schritte vorangekommen sind.

Ich kann mich noch gut erinnern: Als ich 2005 nach jahrzehntelanger rot-grüner Regierung in Nordrhein-Westfalen ins Amt kam, durfte man noch überall rauchen – im Krankenhaus, im Kindergarten, in der Schule, auf jedem Spielplatz. Alles war erlaubt. Unsere schwarz-gelbe Regierung hat damals relativ schnell für den gesamten öffentlichen Bereich einen vernünftigen Nichtraucherschutz eingeführt und das Rauchen in Schulen, in Krankenhäusern, in Kindergärten, in der Straßenbahn, in Zügen usw. verboten. Das waren wir.

Wir waren damals der Meinung, dass man in Gaststätten nicht jeden kriminalisieren sollte, der bei einem Glas Bier auch eine Zigarette raucht. Es gibt Menschen, die es nach wie vor noch ganz schön fänden, wenn das möglich wäre.

Dann aber hat Rot-Grün ein Nichtraucherschutzgesetz für unsere Gaststätten durchgesetzt, das zusammen mit dem bayerischen das strengste in Deutschland ist. Ich muss sagen: Mittlerweile besteht für den Nichtraucherschutz in Gaststätten eine relativ breite öffentliche Akzeptanz, und deswegen muss es so bleiben, wie es ist. Die Leute haben sich daran gewöhnt, und selbst Menschen wie ich, die ganz gerne beim Bier mal eine Zigarette rauchen, haben ihre Wege gefunden, das trotzdem noch auf ziemlich kommunikative Art zu tun.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Wahrheit ist aber auch, dass wir uns bislang mit dem Nichtraucherschutz nicht in den privaten Raum der Menschen hineingetraut haben, auch wenn wir staatlich dagegen vorgehen und es sogar unter Strafe stellen, auch wenn wir natürlich mit den Ordnungsbehörden die Einhaltung der Gesetze durchsetzen müssen – sonst bräuchte man sie nicht zu erlassen.

Ich will ganz offen sagen: Jeder, der etwas gesunden Menschenverstand hat, weiß, dass das Rauchen im Auto, wenn kleine Kinder auf der Rückbank sitzen, nicht in Ordnung ist. Darüber brauchen wir doch gar nicht zu diskutieren. Ich halte das für verantwortungslos, genauso wie das Rauchen in einer Schwangerschaft verantwortungslos ist.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich kann sehr gut verstehen, dass es im kleinen Raum eines Autos ganz objektiv ein Problem ist – das stellt man fest, wenn man normal darüber nachdenkt; und das tue ich bei solchen Anträgen –, wenn Vater und Mutter vorne rauchen.

Aber jetzt kommt die entscheidende Frage: Will eine Landesregierung, will die Politik in Deutschland so weit gehen, dass wir uns im Hinblick auf diese Frage zum ersten Mal in die Privatsphäre einmischen? Bis jetzt sagt auch der Antragsteller: bei Wohnungen nicht, aber bei Autos ist es nicht ganz wie beim Wohnen. – Dazu teilen mir meine Fachleute im Ministerium mit, dass die Privatsphäre im Auto ähnlich zu bewerten ist wie die in der Wohnung.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Laumann, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein, ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen.

Deswegen sind wir hier an einem Punkt, den die Landesregierung nicht überschreiten will. Wir wollen es nicht unter Strafe stellen, wenn ein bestimmtes Verhalten im Privatraum nicht in Ordnung ist. Wir haben uns im Kabinett darüber unterhalten und beschlossen, diese Bundesratsinitiative nicht zu ergreifen.

Weiterhin möchte ich ganz klar sagen: Auch ich persönlich bin unglücklich darüber, dass der alte Deutsche Bundestag das Werbeverbot für Zigaretten nicht mehr umgesetzt hat. Ich hoffe – wir werden das auf der Gesundheitsministerkonferenz in einigen Wochen ansprechen –, dass der neue Bundestag das Thema in möglichst kurzer Zeit abräumen wird; denn ein Werbeverbot für Zigaretten halte ich persönlich für gerechtfertigt.

Ich nehme aus dieser Debatte für unser Ministerium auch mit – unsere Initiative gegen den Qualm gibt es ja schon seit 2002 –, dass wir mit einer starken Aufklärungskampagne noch einmal versuchen sollten, gerade für das Thema „Rauchen im Auto mit Kleinkindern“ zu sensibilisieren und uns auf diese Frage zu konzentrieren.

Zum Schluss muss ich Ihnen eins sagen – da bin ich sehr altmodisch –: Bei kleinen Kindern, die selbst noch nicht für ihr Leben entscheiden können, tragen die Eltern die Verantwortung für den Gesundheitsschutz – in allererster Linie die Eltern und nicht der Staat.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte auch nicht, dass der Staat in dem Umfang, wie es mit Gesetzen möglich ist, in Eltern-Kind-Beziehungen eingreift, sondern wir müssen auf die Verantwortung der Eltern setzen. Es ist meiner Meinung nach das natürliche Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen. Aber damit haben sie auch die Pflicht, ihre Kinder vor Gefährdungen zu schützen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen …

(Vonseiten der SPD-Fraktion wird der Wunsch nach einer Zwischenfrage signalisiert.)

– Herr Minister hatte aber deutlich gemacht, dass er keine Zwischenfrage zulassen will. Deshalb habe ich ihn nicht ein zweites Mal unterbrochen. Und eine Kurzintervention war nicht angemeldet. Daher liegen für mich keine weiteren Wortmeldungen vor. Es tut mir leid. – Ich schließe deshalb an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2555 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

8   Mehr Anerkennung für exzellente Lehre

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2564

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Sträßer das Wort.

Martin Sträßer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Hochschullandschaft entwickelt sich stetig, die Studierendenzahlen steigen rasant an, und die Hochschulangebote werden immer vielfältiger. Nordrhein-Westfalen bildet mit etwa 70 Hochschulen bundesweit nicht nur zahlenmäßig die Spitze, sondern auch durch ihre Qualität können sich unsere Hochschulen sehen lassen. Im Bereich der Forschung haben deshalb viele unserer Hochschulen Auszeichnungen bekommen.

Aber wie sieht es mit der zweiten Säule der Wissenschaft aus, der Lehre? Wir alle hier sind uns sicher einig: Auch im Bereich der Lehre, also der Ausbildung der nachfolgenden Generationen, leisten unsere Hochschulen exzellente Arbeit.

Wenn es richtig ist, dass der wichtigste Rohstoff unseres Landes die jungen Menschen sind – ohne sie damit auf eine ökonomische Funktion reduzieren zu wollen –, dann müssen wir auf deren Ausbildung einen besonderen Fokus richten. Wir tun das im Bereich der frühkindlichen Bildung. Wir tun das in den allgemeinbildenden Schulen, im Bereich der dualen berufspraktischen Ausbildung. Wir tun das sicher auch bereits in der Lehre an den Hochschulen.

Wir von der NRW-Koalition sind aber der Auffassung, dass diese Arbeit auf Landesebene bisher nicht in ausreichendem Maße öffentlich gewürdigt wird. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Qualitätspakt Lehre“ geht inzwischen bereits in die zweite Förderperiode. In diesem Rahmen wird die Verbesserung der Studienbedingungen und der Lehrqualität unterstützt. 71 Universitäten, 61 Fachhochschulen sowie 24 Musik- und Kunsthochschulen werden im Rahmen dieses Programms bis 2020 gefördert.

Wichtig für uns ist hier die Betrachtung der geförderten Hochschulen in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt 28 Hochschulen haben die Möglichkeit, ihre erfolgreichen Konzepte von guter Lehre in der zweiten Förderrunde weiter auszuarbeiten und zu verbessern.

Wir von der NRW-Koalition haben uns gefragt, welchen Beitrag das Land zusätzlich leisten kann, um diese besondere Qualität unserer Hochschulen gerade im Bereich der Lehre stärker sichtbar zu machen und dadurch alle Hochschulen zu weiteren besonderen Anstrengungen zu motivieren.

Uns ist aufgefallen, dass wir mit der öffentlichen Anerkennung von exzellenter Lehre durch gezielte Auszeichnungen mit einem Großteil der anderen Bundesländer nicht Schritt halten. Viele Bundesländer zeichnen neben dem „Qualitätspakt Lehre“ ihre Hochschulen gezielt auf Landesebene aus. So vergibt zum Beispiel das Bundesland Bayern schon seit 1998 jährlich den Preis für gute Lehre an 15 Universitäten, welcher mit jeweils 5.000 € dotiert ist.

Um ein konkretes Beispiel zu nennen: 2017 wurde Frau Dr. Angelika Reiser von der Technischen Universität München mit dem Preis für gute Lehre ausgezeichnet. Am Lehrstuhl für Datenbanksysteme beeindruckt sie durch ihr breit gefächertes Engagement in der Lehre. Sowohl Gender- als auch Diversity-Aspekte bringt sie beständig in ihre eigene Lehre wie auch in die gesamte Studienorganisation ein. Auch im Bereich der Internationalisierung hat sie durch proaktive Kommunikation Maßstäbe gesetzt, sodass die Fakultät für Informatik der Technischen Universität München inzwischen deutschlandweit die höchste Zahl an Austauschstudierenden vorweisen kann.

Haben wir in Nordrhein-Westfalen nicht auch solche auszuzeichnenden Beispiele exzellenter Lehre? – Nicht nur andere Bundesländer, auch viele Hochschulen in Nordrhein-Westfalen zeigen uns selbst Beispiele exzellenter Lehre auf, indem sie Auszeichnungen auf Hochschulebene vergeben.

Auch hier zwei Beispiele: Die Bergische Universität Wuppertal vergibt jährlich den sogenannten Wuppertaler Lehrlöwen in verschiedenen Kategorien, zu denen auch ein Innovationspreis gehört, der für besonders innovative Angebote im Bereich der Lehre vergeben wird.

Die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf – um ein tolles Beispiel aufzuzeigen – vergibt jährlich den „hein@ward“. 2017 erhielt ihn ein wissenschaftlicher Mitarbeiter für eine neuartige Ringveranstaltung, in der Forschende und Studierende aus 13 unterschiedlichen Universitäten über eine digitale Videoplattform und virtuelle Arbeitsräume jede Woche über Hunderte Kilometer hinweg zusammenarbeiten.

Wenn sich also viele Bundesländer und viele Hochschulen in Nordrhein-Westfalen intensiv mit Best-Practice-Beispielen befassen, dann stellt sich doch automatisch die Frage, warum im größten Bundesland mit der größten Zahl an Hochschulen bisher ein solcher landesweiter Wettbewerb und eine Auszeichnung von exzellenter Lehre auf Landesebene fehlen.

Nun, die alte Landesregierung hatte sich diese Frage bisher offensichtlich nicht gestellt. Wir von der NRW-Koalition stellen heute nicht nur die Frage, sondern geben mit unserem Antrag auch eine Antwort darauf. Wir möchten einen Landespreis für exzellente Lehre in Nordrhein-Westfalen.

Die positiven Effekte eines Landespreises sind für uns offensichtlich: Für die Hochschulen ist es eine Würdigung ihrer besonderen Leistungen, für das Land ist es die Gelegenheit, einen weiteren Scheinwerfer auf die ausgezeichnete und deshalb auszuzeichnende Arbeit der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen zu richten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sträßer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Körner.

Moritz Körner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir erinnern uns, glaube ich, alle an unsere Schulzeit oder unser Studium. Meistens haben wir doch in den Seminaren, den Klassen am meisten gelernt, in denen vorne ein Lehrer stand, ein Professor, der mit ganzer Leidenschaft dabei war, der sich vorher auch mal etwas überlegt hatte, der vielleicht nicht das übliche Programm abgespielt hat, sondern mit ganz neuen, kreativen Konzepten darangegangen ist.

Deswegen ist beste Lehre, der Einsatz von Lehrenden auch ganz besonders bedeutend für den Studienerfolg. Es sind doch gerade die Studierenden, die sich vielleicht ein bisschen schwerer tun, die besonders gefördert werden müssen. Und es sind gleichzeitig die besonders guten Studierenden, die zu noch besseren Leistungen angetrieben werden können. Also spielt beste Lehre eine ganz entscheidende und zentrale Rolle, übrigens auch vor dem Hintergrund, dass unsere Studierendenschaft in den letzten Jahrzehnten heterogener geworden ist, weil mehr Studierende an die Hochschulen kommen.

Aber seien wir ehrlich: In vielen Hochschulen spielt für Professoren die Forschung eine größere Rolle, weil dies die Art und Weise ist, wie man sich eine gewisse Reputation verschafft.

Mit unserem Antrag wollen wir nun ein neues Schlaglicht, einen besonderen Schwerpunkt auf die Lehre setzen. Gleichzeitig verbinden wir das mit einem zweiten Thema: Wir wollen auch zukunftsgerichtete, digitale Formate an die Hochschulen bringen. Es gibt schon ganz hervorragende Beispiele in NRW, sei es Videomaterial, das direkt in Vorlesungen eingebunden wird, seien es Vorlesungen, die digital aufgenommen werden können, seien es vielleicht Musterlösungen, die am Abend bei YouTube eingestellt werden – all das sind Ideen –, oder sei es Gamification, der Einsatz von Computerspielen, mit dem man das Programmieren noch viel einfacher und mit noch viel mehr Spaß lernt.

Ein besonders tolles Beispiel aus einem Seminar zur Einführung in Programmieren mit Java ist ein Professor, der den Studierenden die Komplexität, die Abstraktion von Algorithmen dadurch beibrachte, dass er sie zu einer Choreografie im Hörsaal angeregte und damit ein Stück weit den Algorithmus deutlich gemacht hat. Das sind Dinge, die im Kopf bleiben, das sind gute Beispiele. Die wollen wir als NRW-Koalition fördern.

Dafür braucht es zusätzliche Aufmerksamkeit. Dafür braucht es aber auch Anerkennung und Unterstützung. Genau die schaffen wir mit diesem Landeslehrpreis. Das steht – es wurde eben schon gesagt – Nordrhein-Westfalen gut zu Gesicht.

Wir haben die größte Hochschullandschaft Europas. Andere Bundesländer haben solche Preise bereits. Damit können wir, meine ich, einen guten Schritt nach vorne gehen, um zusätzliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu gewinnen.

Es ist ein erster Schritt. Wir von der NRW-Koalition wollen uns insgesamt anschauen, wie wir die Lehre an unseren Hochschulen weiter verbessern können. Mit diesem Lehrpreis fördern wir beste Lehre und digitale Formate an unseren Hochschulen. Das ist ein richtiger Schritt in die Zukunft. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körner. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Körner, Sie haben absolut recht: Methodisch-didaktisch gut aufbereitetes Material wirkt natürlich. Aber ich möchte hinzufügen, dass die überzeugte und überzeugende Persönlichkeit auch ausschlaggebend sein kann. Alle Methodenkenntnisse helfen nicht, wenn die Person nicht stimmt, die diese Methodenkenntnisse besitzt und dann vermittelt.

Mit dem Thema „Qualität der Lehre“ bin ich seit vielen Jahren auch hier im Landtag befasst. Ich erinnere daran, dass gerade die sozialdemokratische Wissenschaftsministerin Anke Brunn, eine Vorgängerin von Frau Pfeiffer-Poensgen, 1991 das Aktionsprogramm „Qualität der Lehre“ auf den Weg gebracht hat, das politisch sehr umstritten war – heute vielleicht gar nicht mehr, aber es kam offenbar zu früh. Aus meiner Sicht war es jedenfalls nicht zu früh; denn wir haben ja gemerkt, dass da ein riesiger Nachholbedarf besteht.

In diesem Aktionsprogramm spielten auch Themen wie „Diversity“ und „Gender“ eine sehr große Rolle. Wenn ich mich an die Debatte zur letzten Hochschulgesetzesnovelle erinnere, waren gerade Gender und Diversity, also Unterschiedlichkeit und Gleichstellung, nach Auffassung des Herrn Kollegen Berger eine ganz böse Geschichte, die wir da auf den Weg bringen wollten. Das hätte überhaupt nichts mit der Qualität der Lehre zu tun, war die Meinung des Kollegen Berger. Das ist nicht unsere Meinung. Insofern sehe ich in der Positionierung der jetzigen Regierungskoalition doch ein Entgegenkommen.

Die Initiative von Frau Brunn wurde dann durch einen ganz neuen Impuls ergänzt und erweitert. Herr Kollege Sträßer hat darauf hingewiesen, dass die Exzellenzinitiative zunächst einmal nur für die Forschung gedacht war. Frau Bulmahn hat dieses Projekt auf den Weg gebracht.

Dann kam – das war auch eine Forderung aus diesem Hause – der Qualitätspakt Lehre, der in der jetzigen Förderperiode noch bis 2020 läuft. Hier gibt es wirklich eine Vielzahl von Projekten und Maßnahmen, die sehr, sehr gut sind. Dort sind auch erhebliche Mittel investiert worden, ein Umfang von 2 Milliarden €. Auch das hat noch sozialdemokratische Führung erfahren, durch unsere Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die die entsprechende Vereinbarung unterschrieben hat.

Neben diesen Maßnahmen ist es natürlich wichtig, die Hochschulen in den Stand und in die Lage zu versetzen, gute Lehre anbieten zu können. Deshalb war es uns wichtig, für Ersatz für die abgeschafften Studiengebühren zu sorgen.

Ich war am Montag bei der Festveranstaltung „100 Jahre Katholische Hochschule NRW“. Dort wurde Ministerpräsident Armin Laschet gerade wegen dieser Mittel gelobt, die die Hochschulen erhalten haben, und auch wegen der Verstetigung der HSP-Mittel, die noch durch die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden ist. Er hat das Lob gerne angenommen. Ich finde das auch gut, weil es in der Sache gut war.

Deshalb wird es darauf ankommen – da werden wir die Arbeit Ihrer Koalition genau beobachten –, dass auch in Zukunft die Verstetigung der Hochschulpaktmittel erfolgt – auch der Landesmittel, nicht nur der Bundesmittel; dafür setzen wir uns auf der Bundesebene ein – und dass das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, nämlich das Betreuungsverhältnis von Lehrenden und Lernenden zu verbessern, umgesetzt wird. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir erwarten, dass gerade im nächsten Landeshaushalt der Ministerin die entsprechenden Mittel durch den Landtag bereitgestellt werden.

Was das Konzept angeht – Sie haben ja im Beschlussvorschlag einige Eckpunkte gesetzt –, sind wir der Meinung, man sollte Ihrem sonstigen Vorschlag folgen, dass die Autonomie der Hochschulen zu achten ist und dass man ein solches Konzept gemeinsam mit den Hochschulen entwickelt. Für mich ist zum Beispiel nicht klar, ob man nach Hochschularten differenzieren muss und ob das nicht eher ein Hindernis sein kann. Man sollte auch die Studierenden mit einbeziehen.

Schlussendlich – der Landtag soll ja Finanzmittel für diesen Lehrpreis zur Verfügung stellen – erwarten wir auch eine Einbindung des Landtages.

Ich kann Ihnen sagen, dass wir dem Antrag ansonsten positiv gegenüberstehen. Wir werden auch zustimmen, dass es einen solchen Landeslehrpreis geben soll. Das ist gar keine Frage. Das ist nicht falsch, das kann man machen. Über die Rahmenbedingungen, wie das geschehen soll, können wir ja im Gespräch bleiben.

Im Übrigen sollten Sie sich einmal mit den Zahlen auseinandersetzen, wie viele Hochschulen und wie viele Studierende wir in NRW haben. Ihre Angaben weichen ein bisschen von den offiziellen Bekanntmachungen ab. Es ist immer ganz gut, wenn die Zahlen, die man einsetzt, dann auch stimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir stimmen dem Antrag zu.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dann will ich die Hauptbotschaft gleich an den Anfang setzen: Auch unsere Fraktion wird dem Antrag zustimmen. Wir finden ihn richtig und gut.

Ich finde es auch richtig, Herr Körner, was Sie gesagt haben, nämlich dass man einen anderen Akzent setzen muss und deutlich machen muss: Die Qualität einer Hochschule wird nicht nur durch die Höhe der Drittmittel bestimmt, sondern das ist ein Faktor, und der Ruf einer Hochschule wird auch durch den Ruf der Lehre nach außen getragen.

Wie schon geschildert worden ist, gibt es viele Initiativen in den Hochschulen selbst. Die hochschuldidaktischen Seminare sind gut nachgefragt. Das zeigt, wie sehr den Hochschulen an einer guten Lehre gelegen ist.

Alles in allem ist es ein guter Antrag, dem wir gerne zustimmen. Ich möchte nur noch eine Bitte aussprechen. Im Zusammenhang mit den Fragen: „Welche Kategorien werden ausgebracht? Was bespricht man mit den Hochschulen?“ sollten wir einen besonderen Fokus auf den Mittelbau legen. Dieser trägt immerhin große Teile der Lehre.

Viele Lehrdeputate werden durch den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Mittelbau erbracht. Deshalb sollte darauf ein Fokus gerichtet sein und eine entsprechende Kategorie mit ausgelobt werden. Das wäre sicher ein gutes Zeichen, und es wäre ein wesentlicher Faktor im Rahmen der Nachwuchsgewinnung für die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen.

Das macht noch einmal deutlich: Es kommt auch auf die Vermittlung an. Es kommt nicht nur auf die Präsentation an, sondern auf das stimmige Rüberbringen der Inhalte.

Ich gehe davon aus, dass es nicht nur bei dem Preis bleibt, den man gut präsentieren und übergeben kann, sondern dass auch die Qualitätsverbesserungsmittel mit aufwachsen. – Frau Ministerin, ich bin schon gespannt auf den Haushaltsansatz. Den wird man sicherlich ablesen können; das hoffe ich zumindest. Das würden wir gerne unterstützen.

Wenn übrigens schon so viel Einigkeit im Hause bei dieser Frage herrscht, dann investieren wir doch in die Exzellenz von Lehre. Auf diese Weise können wir uns die Diskussion über Anwesenheitspflichten wahrhaftig sparen; denn dann zieht die Lehre in ganz anderer Art und Weise. Das werden die Studierenden mit Sicherheit sehr honorieren. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die AfD spricht der Abgeordnete Seifen.

Helmut Seifen*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag von CDU und FDP suggeriert dem unbedarften Betrachter, dass es den Antragstellern endlich einmal um das Wohl der Universitätslehrer geht. Die allgemeine Begeisterung, die meine Vorredner an den Tag gelegt haben, macht das auch deutlich.

In dem Antrag wird allerdings unterschieden. Es kann nicht jeder Lehrende daherkommen, dessen Studenten mit ihm zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Gefragt sind nur die ambitionierten Lehrenden und die neuen Lernkonzepte – was auch immer das sein mag.

Natürlich wird auf die Gassenhauer der Modernität verwiesen: digitale Bildung, E-Learning und der geschickte Einsatz digitaler Medien. Mensch, was sind CDU und FDP modern, fortschrittlich und innovativ – richtig entfesselt!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin maßlos beeindruckt von der Einfachheit und Schlichtheit, die dem Antrag zugrunde liegt.

Jetzt mal im Ernst: Welcher Professor, welche Professorin, die wirklich etwas auf sich halten – genau die meine ich –, die ihr Selbstbewusstsein als Universitätslehrer durch erfolgreiches Lehren aufgebaut haben, werden sich dem Urteil einer Jury unterwerfen, die ihren Unterricht nach modischen Kriterien beurteilt?

Sich solchen oberflächlichen Kriterien zu unterwerfen, bedeutet nicht nur, seine Freiheit als mündiger Fachmann aufzugeben und sich zu unterwerfen, sondern das bedeutet auch, die Orientierung der Lehre nach willkürlich als modern geltenden Verfahren einzurichten und nicht nach Verfahren und Methoden, die für die Vermittlung von komplexen Theorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen notwendig, brauchbar und effizient sind. Dafür werden sich viele junge Universitätslehrer hergeben, die altgedienten Universitätslehrer jedoch werden sicherlich einen Bogen darum machen.

Ein weiterer Aspekt. Wer will denn aus der Vielzahl der ambitionierten Universitätslehrer – die haben wir ja; das werden Sie hoffentlich nicht bestreiten – denjenigen oder diejenige herausfinden, der oder die den Preis verdient? Sollen darüber die Studenten bestimmen, indem man etwa ihre Evaluationsbögen auswertet?

Aus der Evaluationsforschung weiß man, dass eine solche Art von Befragung allen Kriterien der Reliabilität und Validität hohnspricht. Solche Bögen bestätigen höchstens die Mutmaßungen über die Qualität von Lehrveranstaltungen, wie man sie bei jedem Gespräch in der Mensa belauschen kann.

Darüber hinaus wissen wir, welche psychologische Wirkung jede Form von Beobachtung auf den Beobachteten hat. Lesen Sie dazu einfach mal „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist. Allein das Wissen, nach Kriterien bewertet zu werden, die von außen nach den Prinzipien der Mode gesetzt sind, führt zu verändertem Lehrverhalten.

Also heißt es für die Lehrkräfte der Universität: Wer eine Chance auf diesen Preis haben will, muss sich anpassen. Somit steuert und beeinflusst dieser Wettbewerb durch die Bedingungen, die er zugrunde legt, die Didaktik und die Inhalte von Lehrveranstaltungen. Dass die FDP hier mitzieht, kann ich nicht so richtig begreifen.

Dass in diesem Antrag wieder einmal auf die Anwendung von digitalen Medien und E-Learning als Voraussetzung für eine Auszeichnung hingewiesen wird, hängt wohl mit dem inbrünstigen Glauben zusammen, dass E-Learning und digitale Medien das Nonplusultra innovativer akademischer Lehre darstellen, ohne dass es aber eine Reflexion darüber gäbe, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz digitaler Medien sinnvoll sein kann, und ohne dass der Einzelne seine Methoden gegen die Zumutungen solcher Fragen verteidigen könnte.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Seifen, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Körner würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Helmut Seifen*) (AfD): Bitte, Herr Körner, selbstverständlich.

Moritz Körner (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Seifen, dass Sie Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade dargestellt, dass das Ganze ein Zwang für die Professoren sei, die sich nicht – wie Sie sagen – an moderne Lernformate anpassen wollen. Stimmen Sie mir zu, dass man sich, wenn man diesen Preis nicht haben will, dann auch nicht anpassen muss, und dass – ohne dass Zwang ausgeübt wird – das Ganze ein Anreiz für diejenigen ist, die sich auf den Weg machen wollen?

Helmut Seifen*) (AfD): Ich will Ihnen insoweit recht geben – was auch meine Äußerung, die ich gerade getätigt habe, stärken würde –, als dass in sich ruhende Lehrer, die schon ein hohes Maß an Reputation besitzen, sich diesem Wettbewerb möglicherweise gar nicht stellen. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

Nichtsdestotrotz setzen Sie bei den jungen Universitätslehrern an. Die Gefahr, dass gerade in dieser Gruppe jemand als Versager, als Ängstlicher gilt, als jemand, der out ist, ist doch relativ groß. Wir wissen alle, die wir hier sitzen, dass gerade bei jungen Personen, die voller Elan ins Berufsleben einsteigen, die noch voller Ehrgeiz sind, die Gefahr besteht, dass sie sich durch äußere Kriterien beeindrucken lassen und sich insofern eher auf eine solche Sache einlassen. Es wäre einfach schön, wenn diese jungen Leute auch ohne Lenkung von außen die Möglichkeit hätten, ihren eigenen Stil zu finden. – Vielen Dank jedoch für die Zwischenfrage.

Ja, auf diese Weise kann man – Herr Körner, das können Sie nicht abstreiten – Verhaltenssteuerung betreiben und normative Vorgaben machen, ohne dass diese argumentativ begründet werden müssen. Normative Vorgaben wollen Sie ja auch. Das steht explizit in Ihrem Antrag: E-Learning soll zum Standard werden. Die ausgezeichneten Lehrkräfte sollen zum Vorbild werden.

Ich bin gar nicht gegen E-Learning; aber es muss passen. Das, was Herr Schultheis gerade gesagt hat, dass manchmal die Lehrerpersönlichkeit viel mehr zählt, ist einfach so. Das werden Sie in Ihrem Leben auch erlebt haben. Das habe ich auch erlebt. Das ist von entscheidender Bedeutung.

Anerkennung erfahren die Lehrenden durch die Lerngruppe und erwerben sich dadurch Reputation. Dass jemand ein schlechter Lehrer ist, das spricht sich schnell herum. Dass jemand ein guter Lehrer ist, auch das spricht sich herum. Die Reputation – das kann ich Ihnen sagen – ist die Belohnung für den guten Lehrer, die ihm Achtung und Ehrerbietung in der gesamten Gemeinschaft einbringt. Das kann ein Lehrerpreis nicht aufwiegen.

Deswegen werden wir als AfD das nicht mitmachen, um den Lehrenden nicht die Freiheit zu nehmen, ihre Lehre nach ihren Maßstäben und nach ihren akademischen, wissenschaftlichen Grundlagen zu gestalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Seifen. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nachdem hier schon viele Aspekte erörtert worden sind, konzentriere ich mich in Kurzform auf den Antrag und nicht auf das gesamte umliegende Feld der Finanzierung einer guten Lehre. Die Landesregierung, kurz gesagt, begrüßt den vorliegenden Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP.

Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen bilden – das muss man auch immer mal wieder in Erinnerung rufen – die Fachkräfte aus, die zukünftig in allen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft benötigt werden.

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, engagierten Lehrenden und innovativen Lehrkonzepten eine besondere Wertschätzung und Anerkennung entgegenzubringen. Herausragende Beispiele für erfolgreiche Lehre bekommen auf diese Weise mehr Strahlkraft und können so stärker als bisher beispielgebend wirken.

Wir wissen alle – das wurde schon mehrfach gesagt –, dass es schon eine ganze Reihe von wirklich interessanten Ansätzen gibt, zum Beispiel bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten. Aber das ist nur ein Aspekt. Es gibt noch eine ganze Reihe von wichtigen anderen Aspekten. Das will ich nicht alles wiederholen.

Nach aktuellen Prognosen wird die Zahl der Studienanfängerinnen und ‑anfänger nicht mehr signifikant steigen, sondern auf dem aktuell immer noch sehr hohen Niveau verharren. Deshalb wird sich die Landesregierung nach dem sehr starken quantitativen Ausbau der letzten Jahre jetzt auf den qualitativen Ausbau der Lehre konzentrieren können.

Auch vor diesem Hintergrund unterstützt die Regierung die Initiative der antragstellenden Fraktionen, die exzellente Lehre an den nordrhein-westfälischen Hochschulen mit einem Landeslehrpreis zu würdigen.

Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft wird ein entsprechendes Konzept entwickeln – selbstverständlich gemeinsam mit den Hochschulen. Ich denke, es gibt viel Erfahrung, wie man solche wettbewerblichen Bewertungen macht, nicht zuletzt aus einer Reihe anderer Bundesländer. Wir werden ein entsprechendes Konzept vorlegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt, sodass ich über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2564 abstimmen lasse.

Wer dem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Die Fraktion der CDU, die Fraktion der SPD, die Fraktion der FDP, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Gegenstimmen? – Die Abgeordneten der AfD. Enthaltungen? – Keine.

Damit hat der Antrag Drucksache 17/2564 mit dem gerade festgestellten Ergebnis im Hohen Haus eine deutliche Mehrheit gefunden und ist angenommen.

Ich rufe auf:

9   Milchkrisen wirksam mit neuen Instrumenten begegnen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2548

Eine Aussprache ist nach der Verständigung der Fraktionen vom heutigen Tag nicht zu führen.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2548 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses hier im Plenum erfolgen.

Wer mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

10 Parkplatznot in NRW-Großstädten bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2552

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Tritschler das Wort. – Er ist noch nicht im Raum.

(Zuruf: Absetzen!)

Möchte von der antragstellenden Fraktion jemand anderes die Begründung vornehmen oder den ersten Wortbeitrag leisten? – Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall. Dann hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Lehne das Wort. – Er ist auch nicht da.

(Minister Hendrik Wüst: Die Landesregierung ist handlungsfähig; ihr müsst es nur sagen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann machen wir es jetzt so: Wenn die Kollegin Dos Santos Herrmann für die SPD-Fraktion, die nämlich da ist,

(Beifall von der SPD)

sowie die anderen sich mit dem Verfahren einverstanden erklären, haben Sie, Frau Kollegin, in der jetzigen Aussprache das erste Wort. Bitte schön.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir nehmen auch die Redezeit der anderen beiden Fraktionen dazu!)

Susana Dos Santos Herrmann (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mit dem Satz anfangen: Die SPD lehnt den AfD-Antrag ab,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

weil er völlig inhaltsleer ist und außerdem – das ist wahrscheinlich der Grund, warum er so inhaltsleer ist – offensichtlich frei von Fakten und ohne eine Faktenbasis erarbeitet wurde.

(Helmut Seifen [AfD]: Und rückwärtsgewandt!)

– Sie haben völlig recht: Er ist total rückwärtsgewandt. Aber es gibt noch mehr.

Lassen Sie mich kurz begründen, denn anders als Sie immer behaupten, ist es nicht so, dass wir Ihre Anträge nicht ernst nehmen. Ich habe mich sogar recht intensiv mit Ihrem Antrag befasst,

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ich dachte, er ist inhaltsleer!)

aber, wie gesagt: Ich habe keinen Grund gefunden, ihm zuzustimmen. Lassen Sie mich mit den fachlichen Aspekten anfangen.

Sie verengen in Ihrem Antrag das Problem des fehlenden Parkraums auf den Parkraum selbst. Wer tatsächlich Parkraummangel bekämpfen will und dies insbesondere auf Pendlerverkehre bezieht, darf sich nicht auf den Parkraum allein beschränken. So werden Sie das Problem nicht lösen.

Sie brauchen dazu moderne Mobilitätskonzepte. Sie brauchen ein klares Bekenntnis zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, des Schienennahverkehrs. Sie brauchen ein Bekenntnis zum Ausbau des Radverkehrs und nicht zuletzt auch von Sharing-Systemen im motorisierten Verkehr wie auch im Radverkehr.

Die Zahlen des letzten Jahres belegen im Übrigen, dass die Bevölkerung das akzeptiert und auch will. Wir haben eine ständig steigende Nutzerzahl im öffentlichen Nahverkehr. Allein im vergangenen Jahr haben 10,3 Milliarden Fahrten im öffentlichen Nahverkehr stattgefunden. Auch bei den Sharing-Systemen sind inzwischen rund 45 % der Bevölkerung laut einer aktuellen Studie von PwC bereit, diese Systeme zu nutzen.

Das heißt: Setzen Sie auf diese Aspekte. Fördern Sie dort. Dann schaffen Sie auch eine Lösung für das Parkraumproblem.

Kurzum, ich habe es anfangs schon gesagt: Ihr Antrag ist inhaltsleer und völlig faktenfrei. Allein deswegen haben wir guten Grund, ihn abzulehnen.

Aber erlauben Sie mir als gebürtiger Portugiesin und als Historikerin noch auf einen anderen Aspekt hinzuweisen, der sehr grundsätzlich ist: Ich halte diesen Antrag, würde er umgesetzt, für einen Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung, die in unserem Grundgesetz festgeschrieben und garantiert ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Damit greifen Sie eine wesentliche Säule unserer demokratischen Grundordnung an und offenbaren, was Sie sind: eine Partei, die offenbar nur ganz begrenzte Interessen hat, populistisch agiert und überhaupt kein Interesse und keine Lust hat, sich mit Dingen zu befassen, die „Problemlösung“ heißen.

Insofern aus vollem Herzen: Ablehnung.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Dos Santos Herrmann. – Mit dem Einverständnis des Hohen Hauses – wir sind uns jedenfalls hier oben im Sitzungsvorstand einig – kehren wir jetzt wieder zu der ursprünglichen Rednerreihenfolge zurück. Für die antragstellende Fraktion der AfD hat nun der Abgeordnete Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich entschuldige mich. Es ist in der Tat eine sogenannte deutsche Sekundärtugend, dass man pünktlich ist. Das ist heute nicht meine Stärke.

(Zuruf von der CDU – Gegenruf von Helmut Seifen [AfD]: Wir machen auch mal Fehler, damit Sie nicht so auffallen!)

Frau Dos Santos Herrmann, vielen Dank, dass Sie für mich eingesprungen sind.

(Zurufe)

– Genau. Ich bin sicher der Erste, dem das hier passiert.

Der schlechte Zustand unserer Verkehrsinfrastruktur war das prägende Thema des vergangenen Wahlkampfes. Er bleibt für unsere Bürger ein ständiges Ärgernis und wird uns in der Politik sicher noch eine Weile begleiten.

Wir denken in diesem Zusammenhang immer an Autobahnen, an Brücken und an Schlaglöcher. Der sogenannte ruhende Verkehr findet in der Debatte regelmäßig nicht statt. Dabei ist die Parkplatznot gerade hier in NRW mit der hohen Bevölkerungsdichte und den vielen Ballungsräumen ein immer drückenderes Problem. Der Geschäftsführer des Städtetages NRW erklärte hierzu kürzlich – Zitat –: Vielerorts ist der Straßenraum zu 100 % ausgelastet.

Die Folge sind steigende Belastungen für Fußgänger und Radverkehr und eine erhöhte Unfallgefahr. In Wohnquartieren, besonders in den städtischen Altbauquartieren, ist die Parkraumnot besonders groß.

Heute Morgen noch war im WDR zu hören, dass die Feuerwehren und Rettungsdienste beklagen, dass zugeparkte Feuerwehrzufahrten an vielen Orten inzwischen zum Alltag gehören. Ich kenne das aus meiner eigenen Heimatstadt. Dort sind viele Straßen insbesondere nachts so zugeparkt, dass an ein Durchkommen für Rettungsdienste und Feuerwehr nicht zu denken ist.

Neben diesen lebensgefährlichen Auswüchsen gibt es natürlich auch noch andere durchaus ernst zu nehmende Aspekte. Die Gewerbetreibenden in den betroffenen Gebieten beklagen regelmäßig Fremd- und Falschparker auf ihren Flächen – ein Problem, mit dem sie dann in der Regel selbst klarkommen müssen. Dieselben Gewerbetreibenden müssen auch mit Umsatzeinbußen leben, denn der motorisierte Kunde fährt in solche Gebiete lieber gar nicht erst hinein.

Meine Damen und Herren insbesondere von der linken Hälfte des Hauses: 64 Stunden verbringt der durchschnittliche Autofahrer jährlich damit, nach einem Parkplatz zu suchen. Wenn er also einen Diesel nach neuester Abgasnorm fährt, sind das bei 3,3 Millionen Dieselfahrzeugen in NRW jährlich 507 Tonnen NOX.

Kollege Blex hat mir versichert, das sei nicht so viel, aber ich bin sicher: Das sehen Sie unter Umständen anders. Vom volkswirtschaftlichen Schaden und von der Energiebilanz sinnlos durch die Städte tingelnder Autofahrer wollen wir gar nicht erst anfangen.

Liebe Kollegen, es ist uns natürlich klar, dass diese Angelegenheit naturgemäß eine Sache der Kommunen ist. Wir verzichten deshalb im Antrag ganz bewusst auf nähere Festlegungen; denn letztlich muss vor Ort entschieden werden, wie man mit dem Problem umgeht. Allerdings kann die Landespolitik angesichts dieser Problematik aber nicht einfach die Augen verschließen und muss der kommunalen Familie Hilfestellung anbieten und zumindest Minimalstandards festlegen.

Ich glaube, es ist an der Zeit, dass dieser Landtag endlich ein Zeichen aussendet, das auch von den regierungstragenden Fraktionen versprochen wurde: dass der jahrelange ideologische Krieg gegen die Autofahrer, der von Rot-Grün betrieben wurde, ein Ende findet und die Millionen von Autofahrern in NRW, die eine Menge Steuern zahlen und eine Menge leisten, auch die Wertschätzung genießen, die sie verdienen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Lehne das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Olaf Lehne (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Parkplatznot“ ist, so denke ich, bei allen Parteien und Parlamentariern bekannt.

Die CDU-Fraktion will eine Weiterentwicklung der In-frastruktur, weitere Möglichkeiten der Digitalisierung zur Lösung der Verkehrsproblematik sowie die Hinwendung zum ÖPNV und zu fahrradfreundlichen Städten. Nur mit der optimalen Nutzung sämtlicher Verkehrsträger wird es uns gelingen, die Verkehrsprobleme in Nordrhein-Westfalen zu verringern.

Ihr Antrag lässt leider mangelndes Fachwissen und ein geringes Arbeitsengagement erkennen. Wenn Sie die bisher ergriffenen Maßnahmen der Landesregierung besser verfolgt hätten, wüssten Sie, dass bereits einiges umgesetzt und angeschoben worden ist, um das hohe Verkehrsaufkommen, besonders in den Großstädten, in richtige Bahnen zu lenken.

Weder nur durch Parkplatzkonzepte noch durch Mindeststandards für die Parkraumversorgung können die Probleme der Flächenknappheit und der mangelnden Zahlungsbereitschaft für Parkraum in bestehenden hoch verdichteten Quartieren gelöst werden. In den hoch verdichteten Bereichen ist nicht nur der Parkraum knapp – auch die Kapazitäten der Straße sind nahezu ausgeschöpft.

Die von uns getragene Landesregierung hilft den Kommunen bei dieser Problematik. Sie unterstützt sie auf vielen Ebenen. So werden zum Beispiel durch das „Zukunftsnetz Mobilität NRW“ die Kommunen im Rahmen des kommunalen Mobilitätsmanagements beraten, damit sie ganzheitliche Konzepte für die Bewältigung der Mobilitätsnachfrage in den Städten entwickeln können. Der Ansatz zielt insbesondere auch auf die stärkere Nutzung von Alternativen zum Auto in den stark verdichteten Bereichen.

Die Bemühungen im Bereich des kommunalen Mobilitätsmanagements sollen durch die seit dem Haushaltsjahr 2018 verfügbaren Mittel in der Titelgruppe 65 auf den Bereich des betrieblichen Mobilitätsmanagements ausgeweitet werden. Im Rahmen der neuen Möglichkeiten, die erst seit diesem Haushalt bestehen, werden die Kommunen auch bei der Erstellung von Mobilitätskonzepten und bei der Umsetzung von Maßnahmen zur besseren Vernetzung der Verkehrsmittel unterstützt.

Ziel ist die Entwicklung von nutzerorientierten Alternativangeboten zur motorisierten Individualmobilität. Im Haushalt stehen dafür immerhin 12,5 Millionen € an Mitteln bereit. Im Rahmen der förderrechtlichen Nahmobilität unterstützt das Land die Städte, Gemeinden und Kreise bei Investitionen, Service, Kommunikation und Information zur Verbesserung der Nahmobilität.

Der zweite Förderaufruf Kommunaler Klimaschutz – Sonderförderbereich „Emissionsfreie Innenstadt“ – des Wirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen richtet sich an Modellkommunen, die zukunftsweisende Lösungen für einen emissionsfreien Verkehr entwickeln. Hier können unter anderem auch Maßnahmen, wie „Mobility as a Service“ und Mobilitätsmanagement gefördert werden, die zur Entspannung der innerstädtischen Parkplatzsituation beitragen.

Der von der Nordrhein-Westfalen-Koalition vorgelegte Entwurf der Landesbauordnung regelt in § 48, dass bei der Errichtung von Anlagen, bei denen ein Zu- und Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, Stellplätze oder Garagen und Fahrradabstellplätze in ausreichender Zahl und Größe zu verwirklichen sind.

Zudem stärkt der Entwurf der Landesbauordnung den Handlungsspielraum der Gemeinden. Diese können unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrsverhältnisse festlegen, ob und in welchem Umfang sowie in welcher Beschaffenheit geeignete Garagen oder Stellplätze errichtet werden sollen. Die Gemeinden können selbst am besten entscheiden, wo und wie neue Parkmöglichkeiten erschlossen werden können, und müssen nicht vom Land durch fragwürdige Mindeststandards bevormundet werden.

Als weitere Maßnahme ist im Verkehrsministerium die neue Abteilung „Grundsatzangelegenheiten der Mobilität, Digitalisierung und Vernetzung“ geschaffen worden, die sich mit den Zukunftsfragen von Mobilität beschäftigt und Lösungsvorschläge entwickelt.

Vor zwei Wochen haben kreative Unternehmen im Rahmen des ersten Start-up-Pitches ihre innovativen Ideen in der ÖPNV-Branche vorgestellt. Der erste Preis ging an „S O NAH“. Das Unternehmen entwickelte eine Machine-Learning-Sensor-Plattform für die Stadt der Zukunft.

Das junge Unternehmen will mithilfe intelligenter Sensoren die Parkplatzsuche in Städten und auf großen Unternehmensgeländen revolutionieren. Dank vernetzter Sensoren an Straßenlaternen oder Hauswänden werden freie Parkplätze erkannt und beenden die lästige Suche des Autofahrers nach einem Parkplatz. Man spart dadurch Zeit und Sprit – was die Luft in den Städten verbessern wird.

Die CDU unterstützt diese Maßnahme. Zudem setzt die Nordrhein-Westfalen-Koalition auf das eigenverantwortliche Handeln der Kommunen, der Bürger und auch der Unternehmen. Die Landesregierung befindet sich insofern auf einem guten und richtigen Weg. Daher bedarf es dieses Antrages nicht.

Dies alles hätten Sie wissen können, wenn Sie sich ernsthaft des Themas angenommen hätten und die Ihnen vorliegenden Informationen auch lesen würden. Ihnen geht es offensichtlich – wie auch im Übrigen – nur darum, Phrasen zu dreschen. Wenn Sie kommunale Probleme Düsseldorfs lösen wollen, sprechen Sie doch bitte die Ampelkoalition in Düsseldorf an. Ich glaube allerdings nicht, dass sie Ihnen zuhören wird.

Selbstverständlich lehnen wir als CDU diesen völlig oberflächlichen und schlechten Antrag ab.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lehne. – Da die Kollegin Dos Santos Herrmann für die SPD-Fraktion bereits gesprochen hat, hat nun Herr Kollege Middeldorf für die Fraktion der FDP das Wort. Bitte schön.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir haben es hier – das muss man, glaube ich, zu Beginn einmal sagen – mit einem ganz typischen AfD-Antrag zu tun. Er ist nämlich inhaltlich weitgehend leer.

Insofern kann ich mich den Worten des Kollegen Lehne auf jeden Fall anschließen: handwerklich schlecht gemacht und fachlich – das muss ich leider auch sagen – unterirdisch.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Sie unternehmen an keiner Stelle den Versuch einer fachlichen Fundierung oder einer sachlichen Einordnung. Deshalb werde ich mich mit Ihrem Antrag auch nicht ausführlicher beschäftigen.

Sie sagen nichts zu den Ursachen. Sie sagen kein Wort zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, zur Landesbauordnung. Sie stellen nicht die Frage nach unterschiedlichen Trägerschaften von Parkplatzsystemen in privater Trägerschaft und in öffentlicher Trägerschaft. Darüber blicken Sie ignorant hinweg.

Sie wollen mit Ihrem Antrag in die kommunale Planungshoheit eingreifen; zumindest aber würden Sie in die Selbstverwaltung der Kommunen eingreifen. Das, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD-Fraktion, ist dieses Hauses nicht würdig. Deswegen werden wir einen solchen Antrag selbstverständlich ablehnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vor allen Dingen nennen Sie überhaupt keine Lösungsansätze. Kollege Lehne hatte einige Dinge genannt, die die Landesregierung auf den Weg gebracht hat. Sie ändern damit auch nichts an der augenblicklichen Parkplatzsituation.

Stattdessen sollten Sie sich mit den Fragen beschäftigen: Was ist durch Digitalisierung möglich? Was ist durch eine intelligente Vernetzung von unterschiedlichen Verkehrsträgern möglich? Was ist durch neue Formen der Mobilität möglich? Wie kann man neue Geschäftsmodelle unterstützen? Wie kann man darüber erreichen, dass wir den Verkehr – den Parksuchverkehr, aber auch den parkenden Verkehr – in den Innenstädten reduzieren?

Wenn es Ihnen wirklich um das Thema ginge, hätten Sie sich mit diesen Themen intensiver befasst. Das haben Sie ausdrücklich nicht getan.

Wir sind der Landesregierung sehr dankbar, dass sie gerade in diesen Bereichen weitere Vorstöße unternimmt. Dann wird dieser Antrag ganz schnell gegenstandslos sein. Insofern lehnen wir ihn hier heute selbstverständlich ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Middeldorf. – Als nächster Redner erhält für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Remmel das Wort. Bitte schön.

Johannes Remmel*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache es kurz: Grober Klotz erfordert groben Keil, gar keine Frage. Wenn Sie solch einen Antrag stellen, haben Sie es nicht besser verdient, eine entsprechende Antwort zu bekommen.

Sie geben jedenfalls keine Antworten auf die Probleme von heute in unseren Städten. Ich würde mir diesen Antrag gerne für den nächsten Wahlkampf für alle einrahmen, um Ihren Wählerinnen und Wählern zu sagen, dass Sie ihnen Steine statt Brot geben. Denn die Hauptprobleme in unseren Städten bestehen zurzeit doch darin, günstigen Wohnraum zu schaffen.

Natürlich gibt es einen Konflikt um die Fläche. Sie wollen Parkflächen statt günstigen Wohnraum für die Menschen in unseren Städten schaffen. Das müssen wir als aktuelles Problem beheben, nicht aber neue Parkplätze.

(Zuruf von der AfD: Sie haben es doch nicht verstanden!)

Wenn wir es rein verkehrspolitisch betrachten, kommen Sie mit Lösungen aus den 50er- und 60er-Jahren, die schon einmal krachend gescheitert sind. Das mutet ein wenig an, als würde man in einer Sackgasse stehen und dann noch einmal richtig Gas geben. Die autogerechte Stadt, die man in den 50er- und 60er-Jahren als Konzept verfolgt hat, ist doch gänzlich und total gescheitert, wie wir heute an unseren Städten feststellen müssen.

Ich bin sehr dankbar, dass alle anderen Fraktionen das Leitbild einer europäischen Stadt vertreten – einer europäischen Stadt, die einen historischen Kern hat und die Arbeiten, Wohnen, Gewerbe und Sonstiges miteinander verbindet. Das ist das Leitbild einer Stadtentwicklung, die sich in Europa durchgesetzt hat, in der wir alle die Multifunktionen ermöglichen müssen, die in den Reden der Vorredner auftauchten. Wir müssen jedoch keinen zusätzlichen Parkraum schaffen, um die dringenden Probleme zu beseitigen.

Also: ein Antrag mit Lösungsvorschlägen von vorgestern – weder problemlösend für die aktuellen Probleme noch zukunftsweisend. Ich weiß nicht, ob Sie in der letzten Anhörung im Verkehrsausschuss nicht anwesend waren, in der es um die Frage ging, wie sich das Verkehrssystem in Zukunft entwickeln wird.

Es ist ganz klar, dass zum Beispiel die Vision eines Verkehrs, der auf autonomes Fahren setzt, gar keine Parkplätze mehr braucht. Die Autos werden sich auf der Straße bewegen und nicht parken. Das ist die Vision der Digitalisierung und des individuellen Verkehrs kombiniert mit dem öffentlichen Verkehr. Diese Vision erfordert in der Tat Investitionen, aber doch nicht Ideen von vorgestern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner erhält für die Landesregierung Herr Minister Wüst das Wort. Bitte schön.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich einige Tage lang gefragt, wie die AfD-Fraktion auf die Idee kommt, einen solchen Antrag zu schreiben. Eben habe ich die Antwort frei Haus geliefert bekommen: Als die antragstellende Fraktion Herrn Dedy, den Geschäftsführer des Städtetages NRW, zitiert hat, habe ich mir gesagt: Mensch, das hast du doch irgendwo schon gesehen.

Das ist allerdings schon etwas her. Sie haben, um Ihre Antragsbegründung zu hinterlegen, aus dem „EILDIENST“ des Städtetages vom März 2013 zitiert. Sie haben aber nur teilweise zitiert. Wenn Sie das Zitat fortsetzen, ist damit ein Teil der Lösung, die ich Ihnen jetzt vortrage, schon benannt.

Es ist immer klug, den „EILDIENST“ des Städtetages zu lesen. Sie merken: Nicht nur Sie tun es, auch ich tue es. Es ist aber ein bisschen dünn, nur den einen Absatz zu lesen und zu sagen: Melde gehorsamst, Herr Fraktionsvorsitzender, ich habe eine Spitzen-idee für einen Antrag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie die zwei Absätze zu Ende gelesen hätten, könnte ich Ihnen meine Ausführungen ersparen. Da Sie sie wohl nicht gelesen haben, sage ich Ihnen:

Erstens ist das Ganze eine kommunale Aufgabe.

Zweitens besteht ein Teil der Lösung in unserem „Zukunftsnetz Mobilität NRW“ und in der Umsetzung der Förderrichtlinie Nahmobilität. Zudem leisten wir Unterstützung bei der Erstellung von Mobilitätskonzepten und arbeiten daran, mittels Digitalisierung die Vernetzung von Verkehrsmitteln zu verbessern und neue Möglichkeiten zu schaffen, digitales Parkraummanagement auf den Weg zu bringen.

Falls Sie wirklich nur den ersten Absatz gelesen haben: All das, was ich Ihnen gesagt habe, ist dort angedeutet. Lesen bildet! Nicht jeder Antrag bildet. Deswegen wäre dieser Antrag nach unserer bescheidenen Auffassung abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Das bleibt auch beim Blick in die Runde so, sodass wir am Schluss der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können.

Die antragstellende Fraktion der AfD hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich unmittelbar über den Inhalt des Antrages Drucksache 17/2552 abstimmen lasse.

Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die Abgeordneten der AfD-Fraktion. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der CDU-Fraktion, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Gibt es Enthaltungen? – Keine Enthaltungen. Dann ist der Antrag Drucksache 17/2552  mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

11 Teilhabe von Kindern und Jugendlichen stärken – Eigenbeteiligung an der gemeinsamen Mittagsverpflegung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes streichen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2556

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD Frau Abgeordneter Altenkamp das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Britta Altenkamp (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2011 können Kinder und Jugendliche aus Familien im SGB-II-Bezug für die gemeinsame Mittagsverpflegung an Schulen und Kitas Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beanspruchen.

Ein paar Worte zur Geschichte des Bildungs- und Teilhabepaketes: Es ist überhaupt erst auf den Weg gebracht worden, weil das Bundesverfassungsgericht 2010 der Auffassung war, dass die Regelsätze für Kinder im SGB-II-Bezug zu niedrig sind. Denn – so das Bundesverfassungsgericht – sie leiten sich aus den Regelsätzen für Erwachsene ab und berücksichtigen dabei nicht, dass Kinder und Jugendliche, um am Alltagsleben teilhaben zu können, zeitweise sogar einen viel höheren Bedarf haben als Erwachsene: Teilnahme an Schulausflügen, am Mittagessen oder im Ganztag auch an weiteren Angeboten. Aber auch die Teilnahme an Schulausflügen und die Mitgliedschaft in einem Sportverein sind durch den Regelsatz für Kinder alleine nicht sicherzustellen.

Der Regelsatz sollte damals nicht grundsätzlich erhöht werden. Deshalb ist die damalige Arbeits- und Sozialministerin von der Leyen den Weg gegangen, das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg zu bringen. Aus damaliger Sicht war das sicherlich nicht nur die einfachere, sondern auch die preiswertere Lösung.

Die Anspruchsberechtigten müssen einen Eigenanteil von 1 € pro Essen aufbringen. Das heißt zum Beispiel bei rund 26 Schultagen im Monat immerhin 26 €. Das mag sich für die meisten im Saal nicht viel anhören, aber wenn man bedenkt, dass der Regelsatz für ein Kind von sieben bis 14 Jahren zurzeit 291 € beträgt, bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, warum dieser Eigenanteil problematisch sein könnte.

Ich bin davon überzeugt, dass wir uns hier im Landtag grundsätzlich einig darüber sind, wie wichtig die Teilnahme am Mittagessen für alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen ist. Ich denke auch, dass die meisten von Ihnen hier im Saal sehr gut nachvollziehen können, dass es sicherlich ein Erlebnis ist, das wir unseren Kindern und Jugendlichen ersparen sollten, wenn sie nämlich an einer solchen gemeinsamen Mahlzeit nicht teilnehmen können.

Auch in Nordrhein-Westfalen ist dieses Problem schon lange erkannt. Deshalb gibt es unter anderem auch den Fonds „Alle Kinder essen mit“ für Kinder aus einkommensschwachen Familien, die nach dem Bildungs- und Teilhabepaket eben nicht anspruchsberechtigt sind.

Natürlich sollen sich alle Eltern insbesondere für die Verpflegung ihrer Kinder mitverantwortlich fühlen, aber wenn am Ende des Geldes häufig so viel Monat übrig ist, dann kommt es eben nicht selten zu Situationen, dass Kinder nicht mehr am Mittagessen im Ganztag teilnehmen können.

Dennoch haben die allermeisten Träger der Ganztagsangebote Wege gefunden, dass die Kinder trotzdem am Mittagessen teilnehmen können. Nur: Ausgebliebene Beiträge erschweren die Abrechnung. Zeitweise melden manche Träger Außenstände in einer fünfstelligen Höhe. Diese werden dann zumeist von den Sozialbehörden zu gegebener Zeit übernommen. Aber das ist ein bürokratischer Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ertrag steht.

Auch wenn pünktlich bezahlt wird, klagen Sozialhilfeträger, Essensanbieter und Träger über den bürokratischen Aufwand, der mit der Abrechnung bzw. Verrechnung des Eigenanteils an der gemeinsamen Mittagsverpflegung verbunden ist.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition auf Bundesebene ist das Problem des Eigenanteils bei der gemeinsamen Mittagsverpflegung erkannt, und hier wird dessen Wegfall avisiert. Deshalb schlägt die SPD in ihrem heutigen Antrag vor, sich der Bundesratsinitiative der Länder Brandenburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Rheinland-Pfalz anzuschließen. Damit könnte diesem Problem schnell abgeholfen werden.

In Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CDU sage ich: Dies ist ein Vorhaben der gemeinsamen Koalition auf Bundesebene, das somit schnell umgesetzt werden könnte. Viele Kinder und Jugendliche wären sicherlich dankbar. Aber nicht nur die Kinder, sondern auch die Sozialbehörden und Träger von Ganztagsangeboten könnten sich ohne diese uneffektive Abrechnungs- und Anrechnungsbürokratie stärker um die Bekämpfung von Armut bei Kindern und Jugendlichen in NRW kümmern.

Oder, um es mit Ihren Worten zu sagen: So leicht geht Entfesselung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Gebauer das Wort. Bitte schön.

Katharina Gebauer (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antrag möchte die SPD erreichen, dass sich NRW der Bundesratsinitiative des Landes Berlin anschließt. Der Eigenanteil der Verpflegung für Kinder von einkommensschwachen Familien beim Mittagessen soll gestrichen werden.

Es ist richtig, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien an der Gemeinschaftsverpflegung im Kindergarten und in der Schule teilnehmen. Es steht außer Frage, dass eine warme Mahlzeit am Tag wichtig für Kinder ist – also im besten Sinne des Bildungs- und Teilhabepaketes –; denn mit leerem Magen funktionieren Bildung und Teilhaben nur schwer.

Da das auswärtige Mittagessen nicht im Hartz-IV-Satz abgebildet ist, ist es sicher sinnvoll, im Rahmen des Bundesteilhabepaketes hier einen Zuschuss zu gewähren. Aber die siebenjährige Praxis zeigt: Die Leistungen werden von viel zu wenigen Bedürftigen abgerufen. Das liegt daran, dass es nicht so einfach ist, die Leistungen zu beantragen.

Wir erreichen mit dem Bildungs- und Teilhabepaket also nicht die Kinder von Einkommensschwachen, die wir gerne fördern möchten, und die die Förderung benötigen. Deswegen ist es erforderlich, die Bürokratie nicht nur dann abzubauen, wenn es um die Wirtschaft geht, sondern auch in diesem Bereich.

(Beifall von der CDU)

Hier geht es um Kinder und Jugendliche, denen man helfen muss. Ein geringes Einkommen der Eltern darf nicht weiter Gradmesser des Lebenserfolges der nächsten Generation sein. Dies steht, wie Sie richtig zitieren, auch im Koalitionsvertrag auf Bundesebene.

Sicher wäre es eine Maßnahme, die Bürokratie um den Ein-Euro-Essensbeitrag abzuschaffen. Das ist aber nur ein Baustein von vielen. Da sind nicht wir hier in NRW in der Pflicht, sondern der Bund, denn das BuT ist ein Bundesgesetz.

Ich bin mir sicher, dass daran gearbeitet wird. Minister Laumann wird hierzu bestimmt noch mehr sagen können. Wenn Sie nur den Essensbeitrag streichen wollen, greifen Sie zu kurz. Das ist zu wenig.

Lassen Sie uns also nicht an Details herumdoktern, sondern erst einmal den Bund machen. Die SPD scheint hier sehr wenig Vertrauen in die Bundesregierung zu haben.

Der Antrag ist doch der reinste Schaufensterantrag. Er verdeckt die eigene sozialpolitische Einfallslosigkeit. Wir brauchen eine größere Lösung als nur die Streichung des Ein-Euro-Essensbeitrags.

(Beifall von der CDU)

Wir haben – das gilt für Nordrhein-Westfalen und den Bund – eine politische Marschrichtung. Da brauchen wir keine formale Aufforderung durch die Bundesländer. Das ist überflüssig und lenkt von unserem gemeinsamen Ziel ab, nämlich ein unbürokratisches Bildungs- und Teilhabepaket, das bei den Kindern von einkommensschwachen Familien ankommt. Daher werden wir diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Kollege Lenzen das Wort. Bitte schön.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich schon, warum wir diesen Antrag heute im Landtag behandeln. Er verweist auf eine bereits laufende Initiative im Bund und ist damit eigentlich überflüssig. Will die SPD hier etwa ein Thema mit ihrer Agenda verbinden, das kaum für eine ideologische Auseinandersetzung taugt?

Auch wenn Frau Kollegin Altenkamp das eben ein bisschen anders dargestellt hat, darf man, glaube ich, ruhig noch einmal festhalten, dass das eigentliche Bildungs- und Teilhabepaket durch die damalige FDP/CDU-Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde.

Dies war – das ist unbestritten – ein wichtiger Schritt, um gerade auch den Kindern aus finanziell benachteiligten Familien zum Beispiel die Teilnahme an Ausflügen und Klassenfahrten sowie an der Mittagsverpflegung in Schulen und Kitas zu ermöglichen. Ebenso sollte damit auch der Zugang zur Lernförderung – zum Beispiel zu Nachhilfestunden – erleichtert werden.

Durch das Bildungs- und Teilhabepaket wird auf diese Weise gezielt die Teilhabe von rund 2,5 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland unterstützt. Es kann sich, was seine Ziele anbelangt, auf eine breite politische Mehrheit stützen und ist auch anerkannt.

Entscheidend aber ist, dass die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes auch bei denen ankommen, die auf sie angewiesen sind. Wir haben in diesem Zusammenhang schon vielfach über die Schulsozialarbeit und deren Weiterfinanzierung diskutiert. Letztlich hat doch die NRW-Koalition diese wertvolle Arbeit für die laufende Legislaturperiode abgesichert.

(Beifall von der FDP)

Ein weiterer zentraler Punkt bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets ist der bürokratische Aufwand. Das gilt gerade für Beantragung, Ausgabe und Abrechnung der Leistungen, die dort anfallen. Die Kritik daran ist auch berechtigt: Ein übermäßiger Aufwand kann häufig der Inanspruchnahme von Leistungen entgegenstehen. Deshalb unterstützen wir Initiativen, die zu einer Vereinfachung der Verfahren führen, wie zum Beispiel Sammelanträge oder auch pauschalierte Abrechnungen.

Der Eigenanteil von 1 € bei der Mittagsverpflegung ist aus guten Gründen eingeführt worden: Er sollte den entsprechenden Anteil des SGB-II-Regelsatzes für ein Mittagessen berücksichtigen und so verhindern, dass die Kinder benachteiligt werden, die mittags nicht in der Schule, sondern zu Hause essen. Gerade diese würden dann die Verpflegung aus ihrem eigenen Budget finanzieren müssen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ist das eine spezielle Logik!)

Zudem gilt oft die Einstellung: Was nichts kostet, ist auch nichts wert. – Zudem sehen wir bei dem Eigenanteil, dass es in der Praxis ein großes Problem in Bezug auf den Aufwand bei der Abrechnung sowie auch beim Einzug des Geldes gibt, gerade wenn es zu Zahlungsrückständen kommt. Ebenso sehen wir, dass der Eigenanteil von der Teilnahme an der gemeinsamen Mittagsverpflegung abschrecken kann oder bei Nichtzahlung der Eltern zum Ausschluss führen könnte.

So können die gewünschten sozialen Ziele – wie gemeinsame Mittagsverpflegung, gesunde Ernährung und Stärkung der Gemeinschaft – nicht erreicht werden. Es gilt also, zwischen dem Ziel einer möglichst großen Fairness und den negativen Folgen des Eigenanteils abzuwägen.

Wir halten es aber für falsch, die Frage des Eigenanteils bei der Mittagsverpflegung isoliert zu betrachten. Der von Nordrhein-Westfalen initiierte Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom März dieses Jahres geht hier wesentlich weiter als die Berliner Bundesratsinitiative. Er enthält umfassende Forderungen der Länder zur Entbürokratisierung des Bildungs- und Teilhabepakets.

Wir fordern daher die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der auch diese Forderungen enthält. Der SPD-Antrag springt hier viel zu kurz. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Mostofizadeh das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja schon ein Superschauspiel, was sich hier gerade abspielt: Alle sind der Meinung, dass das, was im SPD-Antrag steht, richtig ist. Eigentlich ist es nicht genug, es müsste darüber hinausgehen, und deswegen lehnen wir es ab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es schon richtig super, was ihr hier macht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme ganz kurz noch einmal zum Sachverhalt, wie er sich darstellt: Das, was jetzt als Regelung auf dem Tisch liegt, stammt vom 1.  Januar 2011. Insofern kann ich die unterstellte Skepsis der Kollegin Altenkamp in Richtung der eigenen Bundesregierung durchaus nachvollziehen; denn die hat viele Jahre lang keine Änderungen – schon gar nicht weit darüber hinausgehende – vorgenommen.

Kollege Lenzen, es ist schon eine dicke Nummer, zu sagen: Ich bin dafür, dass alle Kinder am Mittagessen teilnehmen. Das Kind aber, das sich zu Hause befindet, weil es vielleicht krank ist, wird benachteiligt, und deshalb dürfen wir den anderen die Beteiligung nicht ermöglichen. Herr Kollege, da haben Sie eine Pirouette gedreht, an die Sie selbst nicht glauben dürften.

(Beifall von der SPD)

Warum liegt dieser Antrag heute auf dem Tisch? – Ich will ganz ehrlich sagen: Ich finde auch, dass das maximal ein Bausteinchen in dem Gesamtkonzept ist. Darüber müssen wir nicht reden.

Aber es liegt ein konkreter Gesetzentwurf von vier Bundesländern im Bundesrat auf dem Tisch. Nordrhein-Westfalen muss sich zu diesem Gesetzentwurf verhalten. Da kann es aus meiner Sicht nur eine Entscheidung geben: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, legen diesen der Bundesregierung vor, und die muss dann Beine machen, nämlich entweder ihm zustimmen oder einen besseren vorlegen.

Das hätten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, heute machen können. Wo sind Ihre Vorschläge, die besser sind? Wo ist das, was super ist? Sie hätten doch dem Kollegen Laumann mal sagen können, dass er einen Text formuliert und diesen den Fraktionsvorsitzenden gibt. – All das liegt nicht auf dem Tisch.

Deswegen kann ich nur sagen: Meine Skepsis, ob Sie da besser werden, bleibt nicht nur, sondern sie wird dadurch genährt, dass wir auch jetzt wieder im Bundestag erkennen müssen, dass selbst Punkte, die im Koalitionsvertrag stehen, zum Beispiel ein Recht auf Rückkehr aus der Teilzeit in die Vollzeit, wieder von CDU-Abgeordneten infrage gestellt werden.

Deswegen hat dieser Landtag heute die Gelegenheit, Stellung zu beziehen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Beziehen Sie Stellung, und stimmen Sie diesem Antrag zu!

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich möchte einmal die Situation schildern: Die Kinder gehen in die Schule, nehmen am Mittagessen teil, dann ist Ferienzeit und dann müssen sie sich vielleicht im offenen Ganztag herausdrücken, weil der Beitrag nicht gezahlt werden kann.

Oder noch schlimmer – wie die Kollegen Altenkamp schon geschildert hat –: Die Kosten steigen immer weiter, und ein Sachbearbeiter im Jugendamt oder im Sozialamt muss dem fehlenden Euro ein paar Stunden lang hinterherlaufen. Das ist Effizienz à la CDU und FDP, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich kann echt nicht verstehen, warum ihr da weiter hinterherlauft.

(Beifall von der SPD)

Der letzte Teilkomplex ist folgender: Wir müssen tatsächlich darüber hinausgehen. Wir reden heute nicht nur über die Hartz-IV-Kinder, sondern über Menschen, die ein niedriges Einkommen haben.

Wir brauchen bessere Standardangebote im offenen Ganztag, in den Schulen, was Freizeitteilhabe und Sportangebote betrifft. Das wissen wir doch. Wir dürfen sonntags nicht predigen: „Wir müssen Kinderarmut bekämpfen und Schritte einleiten“, aber dann, wenn wir die konkrete Chance haben, sagen: Nein, das können wir woanders noch besser machen.

Deswegen: Lassen Sie uns dem Antrag von den Kollegen der Sozialdemokraten zustimmen. Dann gehen wir ein Schrittchen weiter. Ich gehe davon aus, dass Frau Gebauer in der nächsten Parlamentssitzung ein dickes Paket mit einem neuen Konzept zur Kinderarmutsbekämpfung auf den Tisch legt. Darauf bin ich sehr gespannt. Aber heute müssen wir zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn eine Kita, ein Hort oder eine Schule die Möglichkeit anbietet, dass die Kinder dort mittags ein Mahl einnehmen können, dann ist das nur zu unterstützen. An diesem Mahl sollten natürlich alle Kinder teilnehmen, auch die aus vermeintlich schwächeren Elternhäusern. Daran ist nicht zu rütteln. Das ist ganz klar.

Auf der anderen Seite muss man sich natürlich fragen: Wie machen es die Elternhäuser, die nicht einen solchen Hort, eine solche Schule etc. zur Verfügung haben? Die müssen ihre Kinder natürlich zu Hause versorgen. Da gibt es dann nicht die Möglichkeit dieser Zuschüsse.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Eine berühmte Rockband hat das mal so festgehalten – ich zitiere –: Mit Hartz IV kommt man eben nicht weit im Bio-Supermarkt. – Das heißt, man wird sich schwertun, den Kindern mit 1 € zu Hause ein vollwertiges Mahl zuzubereiten. Das ist durchaus schwierig.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist nicht der Sachverhalt!)

Die Kinder, die von den Eltern zu Hause versorgt werden müssen, sind dann natürlich im Nachteil gegenüber denen, die einen Kitaplatz haben.

Es ist für uns keine Fantasterei, dass man sagt, diesen 1 € kann man durchaus erstatten, aber es ist durchaus fraglich, ob man es den Eltern, die ihren Kindern diesen 1 € nicht zur Verfügung stellen, dann überlässt, oder ob man die 26 € einbehalten muss.

Ich sehe nämlich auf der anderen Seite die sozial schwächeren Familien, die eben nicht im Bezug stehen, sondern die selber arbeiten. Für diese ist es sicher schwer zu verstehen, wenn man ihnen beibringen will, warum ausgerechnet diese Familien bezuschusst werden, und die Familien, die selber für ihr Auskommen sorgen müssen, das Geld nicht bekommen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Dr. Vincentz, die Kollegin Altenkamp möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie die zulassen.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Gerne. Bitte.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Kollegin Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herr Dr. Vincentz, können Sie vielleicht nachvollziehen, dass ich bei Ihrem Vortrag im Augenblick den Eindruck gewinne, dass Sie nicht die Partei sind, die für die kleinen Leute eintritt? Im Gegenteil – es wird für mich deutlich, dass Sie die vermeintlich kleinen Leute – Entschuldigung: die deutschen kleinen Leute – sogar bekämpfen wollen und dass Sie möglicherweise die Grundlagen des Sozialstaates in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik überhaupt nicht verstanden haben, vielleicht sogar verachten.

(Andreas Keith [AfD]: Was ist das für ein Blödsinn! Wollen Sie damit der 10-%-Hürde entgegensteuern?)

Dr. Martin Vincentz (AfD): Ihre Unterstellung ist geradezu hanebüchen. Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass es nicht unser Anliegen ist, die sozialen Spannungsfelder wieder neu aufzumachen und die, wie Sie eben selber gesagt haben, kleinen Leute gegeneinander auszuspielen.

Sie müssen bedenken, dass es auch Menschen mit kleinen Einkommen gibt, die sich das Ganze aus der eigenen Tasche finanzieren wollen. Wenn Sie auf der einen Seite aufstocken, was wollen Sie denn den Leuten auf der anderen Seite sagen, die jeden Morgen aufstehen, für ihr Geld arbeiten gehen müssen und das alles aus eigener Tasche zahlen? Was wollen Sie diesen Leuten sagen?

(Beifall von der AfD)

Die ehemalige SPD stand doch mal auf der Seite der Arbeiter und nicht auf der Seite der Leistungsbezieher.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dr. Vincentz. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich in Ordnung, bei einem Antrag einer Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen zu sagen, wie eine Landesregierung im Bundesrat abstimmen soll.

Aber dass Sie meinen, Sie müssten dem Sozialminister von Nordrhein-Westfalen sagen, wie er sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf von Berlin, Brandenburg usw., in dem es nur um den 1 € Mittagsverpflegung geht, verhalten soll, finde ich ein dolles Stück.

Ich habe in diesem Landtag sehr oft erklärt, wie ich über das Schulbedarfspaket denke. Ich habe in diesem Landtag erklärt, dass es ein Unding ist, dass wir ein Schulbedarfspaket haben, das so kompliziert ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen 1.000 Sozialarbeiter über das Arbeitsministerium bezahlen müssen, damit die Leute überhaupt die Anträge ausfüllen können.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch Ihre Ministerin!)

Und ich habe hier erklärt,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

dass ich dafür sorgen werde, dass das Schul- und Teilhabepaket entbürokratisiert wird. Ich melde Ihnen: Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Bund trägt eins zu eins die Handschrift von Karl-Josef Laumann, und in diesem Punkt auch von Andrea Nahles.

(Beifall von der CDU)

Da wird umgesetzt; machen Sie sich da mal gar keine Sorgen!

(Beifall von der CDU und von Marcel Hafke [FDP] – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Ich brauche da auch keinen Antrag aus Berlin und Brandenburg, in dem eine kleine Rosine herausgepickt und eine riesengroße Maschinerie für 1 € beim Mittagessen in Bewegung gesetzt wird.

Ich sage Ihnen: Der 1 € beim Mittagessen muss weg. Es müssen aber auch die 5 € Eigenbeteiligung bei Schülerfahrtkosten weg. Wir müssen dahin kommen, dass es einfacher wird, die Zuschüsse für Klassenfahrten zu bezahlen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Es muss so sein, dass wir an Bürokratie und Verwaltung sparen, weil ich diese 1.000 Sozialarbeiter, die wir über meinen Haushalt finanzieren,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ihr Haushalt?)

nicht zum Ausfüllen von Anträgen einsetzen will, sondern dazu, den Kindern zu helfen und die Elternhäuser zu unterstützen – vor allen Dingen dabei, einen anständigen Beruf und eine Lehrstelle zu finden.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte diese Sozialarbeiter für den Übergang von der Schule in den Beruf haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dazu bedarf es all dieser Anträge nicht. Dann hätten Sie doch mal einen Gesamt-Entbürokratisierungsantrag stellen sollen,

(Britta Altenkamp [SPD]: Sollen Sie haben!)

aber doch nicht so billig rauskommen und fordern, die Landesregierung solle einen Antrag, der völlig überflüssig ist, unterstützen.

Wenn Ihnen nicht mehr in der Fraktionsarbeit einfällt, dann muss ich mir langsam wirklich Sorgen um die sozialpolitische Kompetenz der Sozialdemokraten in diesem Land machen!

(Beifall von der CDU und der FDP – Daniel Sieveke [CDU]: Jawohl! – Gegenrufe von der SPD)

Das ist ja verrückt! Es ist nicht der Weisheit letzter Schluss, Einzelpakete aus dem Koalitionsvertrag herauszunehmen, um dann die Gesamtlösung nicht hinzubekommen.

In meiner Funktion als ASMK-Vorsitzender, der ich zurzeit nun mal bin, habe ich deshalb dafür gesorgt, dass über einen Umlaufbeschluss 16 Länder – auch die beiden antragstellenden Länder – zugestimmt haben, dass wir am Gesamtpaket arbeiten müssen. Und das Gesamtpaket wird kommen.

Ich will auch gar keine Debatte darüber führen, ob es gerecht ist, wenn ein Kind in der Schule nichts mehr für das Mittagessen zahlen muss, weil es ein Hartz-IV-Kind ist, und das Essen für ein anderes Kind, das zu Hause isst, natürlich vom Budget bezahlt werden muss. Ich will das auch deshalb abschaffen, weil Verwaltungsakte über lächerliche 26 € im Monat in diesem Land keinen Sinn machen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Genau!)

Sie machen einfach keinen Sinn, und deswegen muss es weg!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Damit hat sich die Frage von selbst erledigt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nach sieben Jahren!)

Aber wie schaffen wir es, dass wir es für die Schulen auch bei den Schulfahrten einfacher machen, sodass nicht für jedes Kind einzeln Anträge gestellt werden müssen, aber auch nicht jeder in der Klasse weiß, dass ein Kind von Hartz IV lebt? Das muss man auch irgendwie lösen, weil es auch etwas mit Stigmatisierung zu tun hat. Auch da möchte ich eine klare Lösung haben.

Gehen Sie deshalb davon aus, dass diese Frage im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen in sehr guten Händen ist. Dafür brauche ich nicht Ihre Aufforderung. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächster Redner hat noch einmal der Kollege Mostofizadeh für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Bitte schön.

(Minister Karl-Josef Laumann: Reizt mich nicht über eure Schulpolitik, sonst komme ich auch noch mal wieder! – Heiterkeit von der CDU)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Der Kollege Minister Laumann hat einen hochroten Kopf, ist sehr erregt und brüllt hier in die Menge. Ich weiß nicht, warum er das jetzt machen muss. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich vertraue Ihnen nicht.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Henning Höne [FDP]: Das beruht auf Gegenseitigkeit!)

Sie sind Minister, und Sie haben heute erklärt, dass die Landtagsfraktionen Sie gefälligst nicht auffordern sollen, bestimmte Dinge zu tun. Das ist ein starkes Stück, das will ich Ihnen ganz klar sagen!

(Beifall von der SPD)

Der zweite Punkt ist: Alles, was Sie vorgetragen haben, hat seit sieben Jahren Bestand in dieser Republik. Das hätten Sie ändern können. Wir haben 2011 bei der Verabschiedung schon gesagt, dass das Ganze ein Bürokratiemonster ist. Warum machen Sie das, was Sie hier vorgelegt haben, denn dann nicht?

An die Regierungskoalition gerichtet möchte ich sagen: Wenn wir uns die Mühe machen – und ich stimme durchaus zu, dass man etwas weiter gehen und über den Bundesrat hätte sprechen können –, dann sollten Sie sich fachlich damit auseinandersetzen und nicht so, wie Sie es eben getan haben: Glauben Sie einfach dem Minister, und dann wird schon alles gut.

Ich möchte Fachargumente hören, und die sind heute nicht auf den Tisch gekommen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Deshalb: Sorgen Sie dafür, dass es im Bundesrat anders wird. Nur dann glaube ich daran, dass die Bundesregierung sich in Bewegung setzt. Der Koalitionsvertrag – da bin ich ganz sicher – wird nicht eins zu eins umgesetzt. Das hat die CDU schon angekündigt.

Eine letzte Bemerkung: Der Kollege Lenzen, der gerade gesprochen hat, ist gar nicht Ihrer Meinung. Dann schauen wir mal, was im Koalitionsausschuss hier in Nordrhein-Westfalen passiert.

(Henning Höne [FDP]: Wir gucken das gleich nach!)

Setzen Sie sich in Bewegung, räumen Sie dieses Bürokratiepaket weg, und sorgen Sie für mehr soziale Gerechtigkeit –

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

insbesondere in der Schule und in der offenen Jugendarbeit. –

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Ich schaue noch einmal in die Runde: Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor.

Wir sind damit am Schluss der Aussprache angelangt und kommen zur von der antragstellenden Fraktion der SPD beantragten direkten Abstimmung, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2556.

Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Doch so viele?)

Herr Keith, war das ein Handzeichen? – Okay. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Der Minister findet es richtig, und seine Fraktion stimmt dagegen!)

der FDP, der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/2556 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis des Hauses abgelehnt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

12 Wärmepotenziale nutzen – Einsatz der Geo­thermie erleichtern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2562

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU der Abgeordneten Dr. Peill das Wort. Bitte schön.

Dr. Patricia Peill (CDU): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Energiewende und die damit einhergehenden Herausforderungen sind für uns alle eine Generationenaufgabe, die es mutig und entschlossen anzugehen gilt.

Dabei wollen wir einen ganzheitlichen Lösungsweg ins Auge fassen und auch technologieoffen über neue Lösungen nachdenken. Wir von der NRW-Koalition sind der Auffassung, dass die Energiewende nicht allein das Thema „Strom“, sondern auch das Thema „Wärme“ umfassen muss, denn eine Energiewende ist auch eine Wärmewende.

Verdeutlicht wird dies durch den Umstand, dass in Deutschland rund 56 % des Energiebedarfs auf den Wärmesektor entfallen. Die Erdwärme, die Geothermie, bedarf in dieser Diskussion unserer besonderen Aufmerksamkeit. Sie fristet bei uns bisher eher ein Nischendasein; dabei ist sie wahrscheinlich ein heimlicher Star.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diesen heimlichen Star wollen wir mehr in die Öffentlichkeit bringen und ihm mehr Aufmerksamkeit schenken; denn diese Technik könnte ein Eckpfeiler der Wärmewende sein, wenn nicht sogar eine Schlüsseltechnologie zur Erreichung unserer nationalen Klimaziele. Deshalb werden wir für stabile politische Rahmenbedingungen sowie für Impulse sorgen, die der Geothermie eine Chance bieten, ein guter Teil in unserem Erneuerbaren-Energien-Mix zu werden.

Lassen Sie mich kurz verdeutlichen, warum wir von den Potenzialen der Erdwärme überzeugt sind.

Zuallererst handelt es sich bei der Erdwärme um eine unerschöpfliche Energiequelle, die uns nach menschlichem Ermessen bis ans Ende unseres Daseins verlässlich mit Energie versorgen wird. Das bedeutet eine langfristige und konstante Planungssicherheit, mit der keine andere Energiequelle konkurrieren kann. Daneben ist Geothermie-Energie CO2-frei und schont auch in Bezug auf Smog und Feinstaub.

Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist der vergleichsweise geringe oberirdische Platzbedarf, der keine große Auswirkung auf das Landschafts- und Stadtbild hat. In München steht sogar eine Geothermieanlage in einem Naherholungsgebiet.

Apropos München: München ist derzeit Vorreiter bei der Geothermie. Die Stadtwerke München planen, die Stadt bis 2040 mittels Geothermie zu 100 % auf Fernwärme umzustellen. Das ist in München aufgrund der guten geologischen Grundvoraussetzungen möglich. Für uns in NRW ist das mindestens genauso interessant; denn bei uns scheint erstaunliches Potenzial im Hinblick auf die geologischen Bedingungen zu existieren.

Ich möchte gerne auf die unterschiedlichen Formen der Geothermie eingehen. Zunächst zur oberflächennahen Geothermie. Nach Angaben des LANUV gab es im Jahr 2016 bereits 52.000 erdgekoppelte Wärmepumpen in NRW.

Hier hat sich die Praxis bereits bewährt: Ganze Wohnsiedlungen, meist Einfamilienhäuser, nutzen die Erdwärme für Warmwasser, aber auch für Kühlung. Nach einer ebenfalls vom LANUV verfassten Analyse nutzen wir erst 30 % der Möglichkeiten. Insbesondere im ländlichen Raum besteht noch großes Potenzial, eine dezentrale Wärmeversorgung aufzubauen.

Daneben gibt es die mittlere und die Tiefengeothermie ab einer Tiefe von 400 m. Bei dieser haben wir sowohl aus geologischer Sicht als auch wegen der vorhandenen Infrastruktur in den Altbergbaugebieten einen hervorragenden Entwicklungsraum. Gerade in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit ist dies ein Standortvorteil, den wir nutzen sollten.

Im Ruhrgebiet sind diese sehr heißen Gesteinsschichten bergbauhistorisch bereits weitgehend zugänglich. Die entstandenen Grubenräume mit warmem Grubenwasser haben geothermisches Potenzial. Einige gute Projektvorhaben sind bereits realisiert worden. Die ehemalige Zeche Auguste Victoria in Marl ist dafür ein gutes Beispiel.

Allerdings fehlt noch eine differenzierte landesweite Charakterisierung sowohl der flächendeckenden tiefengeologischen als auch der bergbauhistorischen geothermalen Gegebenheiten. Dies wollen wir vom geologischen Dienst prüfen und eine Art Potenzialanalyse erstellen lassen.

Es ist meines Erachtens klar, dass die Vorteile der Geothermie die Nachteile überwiegen. Klar ist aber auch, dass es Risiken gibt, und die will ich auch gar nicht beschönigen. In vielen Gesprächen, die ich in letzter Zeit geführt habe, zum Beispiel mit Menschen in meinem Wahlkreis, denen ich von dieser Initiative erzählt habe, habe ich von Ängsten über chemische Verunreinigungen, Erdbeben usw. gehört. Es ist ganz interessant. Wir müssen diese Menschen mit auf den Weg nehmen.

Oftmals stellten sich diese Bedenken aber als schlichte Verwechslungen heraus. Deswegen möchte ich noch einmal klarstellen: Geothermie hat gar nichts mit Fracking zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Was ist nun zu tun, um diese augenscheinlichen Möglichkeiten der Geothermie ausschöpfen zu können? Mit unseren Entfesselungspaketen haben wir bereits die ersten Schritte eingeleitet und begonnen, stabile politische Rahmenbedingungen und Impulse zu setzen. Diesen eingeschlagenen Weg werden wir weitergehen.

Ich freue mich auf weitere intensive und vertiefende Beratungen im Ausschuss. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. Bei der Geothermie handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um erneuerbare Energie aus gutem Grund. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Peill. – Und nun spricht für die FDP Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier in diesem Hohen Haus über die Energiepolitik gesprochen haben, war die Debatte meist von den Themen „Kohle“ und „Wind“ dominiert – ob wir den Streit zwischen Rot und Grün über die Nutzung der Braunkohle nehmen oder den maßlosen Ausbau der Windindustrie über die Köpfe der Menschen hinweg.

Energiewende darf aber nicht, wie in diesen Fällen meistens geschehen, auf eine reine Stromwende verkürzt werden. Deshalb hat meine FDP – auch ich persönlich – in den Koalitionsverhandlungen Wert darauf gelegt, dass wir den Klimaschutz ganzheitlich angehen und die Potenziale im Wärme- sowie Verkehrsbereich und eben gerade auch in der Kopplung dieser Sektoren nutzen. Deshalb stehen im Koalitionsvertrag die Sektorenkopplung, die Kraft-Wärme-Kopplung, zu der wir ja gestern bereits einen gemeinsamen Antrag verabschiedet haben, industrielle Abwärme, das Grubengas oder eben auch die Geothermie.

Nordrhein-Westfalen hat viele Potenziale, deren Nutzung wirtschaftlich sinnvoll wäre und Akzeptanz in der Bevölkerung finden kann. Daher sollten wir diese auch nutzen. Die Geothermie hat ein beträchtliches Potenzial, das bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird. Das betrifft vornehmlich die oberflächennahe und mitteltiefe Geothermie, zudem die Tiefengeo-thermie. Es gibt eine Studie des LANUV, in der aufgezeigt wird, dass im Land sehr regional unterschiedlich die oberflächennahe Geothermie genutzt wird.

Für die mitteltiefe und perspektivisch auch die tiefe Geothermie bestehen mit Infrastrukturen des Altbergbaus in Nordrhein-Westfalen besondere chancenreiche Bedingungen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen mit dem Internationalen Geothermie-Zentrum und dem Sitz des Weltverbandes International Geothermal Association das notwendige wissenschaftliche Know-how. Lassen Sie uns dieses auch nutzen.

Die Kollegin Frau Dr. Peill hat gerade eben schon deutlich gemacht, wie es in München aussieht. Auf meine Bitte hin hatte der Landesverband der Erneuerbaren Energien letztens im Landtag den Vorsitzenden der Geschäftsführung, Herrn Dr. Bieberbach, zu Gast, der ausgeführt hat, wie München ambitioniert an die Sache herangeht. Dort hat man im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen die vergangenen Jahre genutzt. Man möchte bis 2040 komplett CO2-frei in der Fernwärme sein und davon 60 % aus Geothermie erzeugen.

Meine Damen und Herren, das schaffen wir vermutlich nicht, da wir bereits einige Zeit verloren haben. Aber lassen Sie uns diesen Weg heute auch hier einschlagen.

Ja, es gibt Risiken bei der Geothermie; die will ich nicht unter den Tisch fallen lassen. Schließlich wollen wir ja nicht, dass zum Beispiel wie in Staufen sozusagen unterirdisch Gips angerührt wird. Diese Risiken lassen sich aber abschätzen. Wir haben mit dem Geologischen Dienst auch das Know-how im Land, um dort über entsprechende Katalogisierungen deutlich zu machen, wo wir weiter Potenziale haben, die genutzt werden können.

Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Wir hatten das Thema „Geothermie“ bereits häufiger hier in diesem Hohen Hause. Im Jahre 2007 hatten wir einen gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Grünen und FDP, den ich damals bereits mitunterzeichnen durfte.

Deshalb meine herzliche Einladung an dieser Stelle: Lassen Sie uns in den weiteren Beratungen den Weg der Geothermie gemeinsam gehen und dafür sorgen, dass Nordrhein-Westfalen auch hier die Potenziale nutzt, die praktisch unter unserer Erde liegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Stinka.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Industrieland Nummer eins hat Nordrhein-Westfalen eine besondere Verantwortung, wenn es um das Gelingen der Energiewende in der heutigen Zeit geht. Schließlich hat sich Nordrhein-Westfalen gerade in den Bereichen Energieeffizienz und Nutzung erneuerbarer Energien in den letzten Jahren dank rot-grüner Politik auf der internationalen Bühne zu einem international anerkannten Standort entwickelt.

Ich will einige Beispiele anführen: die InnovationCities, die Fernwärmeschiene Ruhr – weil die Wärme gerade von Herrn Brockes angesprochen wurde – und die KlimaExpo.

Wenn wir uns den Energieverbrauch anschauen, wissen wir, dass über die Hälfte der Energie für Wärmeversorgung genutzt wird. In den Privathaushalten liegen wir bei weit über 80 %. Das heißt – das ist für uns die Aufgabe –, eine Energiewende kann nur gelingen, wenn sie auch als Wärmewende vorangetrieben wird. Schließlich haben wir dort sehr viele Potenziale im Bereich der Effizienz und auch sehr viele Potenziale im Bereich des Klimaschutzes.

Die Potenzialstudie, die das LANUV zur oberflächennahen Geothermie aufgezeigt hat, ist von den Kollegen erwähnt worden. Die klimafreundliche Nutzung der Geothermie in Nordrhein-Westfalen kann stark ausgebaut werden. Nordrhein-Westfalen bietet hervorragende Voraussetzungen dazu, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Hier kann ein Beitrag als ein Baustein zur Verstetigung des erneuerbaren Energieangebots geleistet werden.

Das Potenzial im Bereich der Wärme ist erkannt. Wir sind dankbar und froh darüber, dass wir als rot-grüne Landesregierung hier viel anstoßen konnten und auch zum weiteren Ausbau beitragen. Wir müssen Wege finden, wie wir es schaffen, gerade den Wärmeanteil im Bereich der Erneuerbaren unkompliziert zu erhöhen.

Wir müssen die Kommunen in den Blick nehmen, die in Ihrem Antrag auch noch einmal erwähnt wurden. Die Wärmekonzepte der Kommunen müssen in vorhandene Infrastrukturen eingepasst werden. Gerade die Kommunen sind es, die in diesem Bereich ein hohes Potenzial aufweisen können, und die, was für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wichtig ist, hier zu einer Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern mit mittleren und kleinen Einkommen beitragen können.

Wir begrüßen deshalb als SPD-Landtagsfraktion den Antrag grundsätzlich. Ich habe „grundsätzlich“ in meinem Redemanuskript unterstrichen, denn wenn wir uns die Arbeit der schwarz-gelben Landesregierung anschauen, wissen wir, dass Sie mit ganzheitlichen Konzepten immer so Ihr Problem haben, wenn es darum geht, die Energiewende im Bereich der Erneuerbaren voranzubringen; Stichwort: Windkrafterlasse.

Nach unserer Einschätzung haben Sie hier einen deutlichen Fehler gemacht und sind abgerückt von einem ganzheitlichen Projekt in Nordrhein-Westfalen, das Stromproduktion und Wärmeproduktion gemeinsam für Nordrhein-Westfalen voranbringt. Diese Systemverknüpfung ist aus heutiger Perspektive richtig und wichtig. Wir wissen, dass gerade in dem Bereich der CO2-Einsparung nicht erst nach dem heutigen Urteil der EU-Kommission wegen schlechter Grenzwerte auch in der Luft ein hohes Potenzial liegen muss.

Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss und werden sicherlich das eine oder andere, was ich gerade schon kritisch angedeutet habe, mit Blick auf ein ganzheitliches Konzeptes noch einmal hinterfragen. Aber wir sind bereit, auch im Ausschuss über Chancen und Risiken der Geothermie für unser Land zu reden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stinka. – Die grüne Fraktion wird nun vertreten von Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme Bezug das auf, Herr Brockes, was Sie zum Schluss an versöhnlichen Worten versucht haben.

Ich muss aber sagen: Die Erfahrungen der letzten Zeit zeigen ein anderes Bild. Ich würde Ihnen das gerne abnehmen, aber ich habe bei Ihrer Rede wirklich das Gefühl – auch bei dem Antrag selber –, dass wir es eher mit einem Ablenkungsmanöver zu tun haben.

Angeblich bekennen Sie sich – zwar nicht heute in der Debatte, aber an vielen anderen Stellen – zu den Pariser Klimaschutzzielen, wollen aber an bisherigen Zielen festhalten. Wenn man jedoch die Pariser Klimaziele einhalten will, bedeutet das, dass man die erneuerbaren Energien ausbauen muss.

Ihr oberstes Energiemantra scheint aber die Fesselung der Windenergie zu sein. Das machen wir so nicht mit. Sie spielen hier eine erneuerbare Energieform gegen die andere aus. Das ist Ihr Ablenkungsmanöver. Wir haben es an unterschiedlichen Stellen gehört.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben es beispielsweise von Minister Pinkwart gehört, der sagt: Die Geothermie bringt jetzt auch im Bereich des Stroms die Lösung.

Dann sagen Sie immer wieder, die Energiewende sei mehr als die Wärmewende. Das scheinen Sie vor ein paar Monaten ganz neu für sich entdeckt zu haben. Auch damit lenken Sie von dem ab, was Sie an anderer Stelle wirklich kaputtmachen. Der Ausbau der Geothermie kann eben das, was Sie an anderer Stelle kaputtmachen, noch lange nicht wieder auffangen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte die Geothermie gerne etwas differenzierter betrachten, als Sie das hier getan haben

(Dietmar Brockes [FDP]: Aha! Jetzt kommt die Kritik!)

und auch in Ihrem Antrag tun. Denn es gibt natürlich auch positive Aspekte, die Sie durchaus in Ihrem Antrag erwähnen. Diese unterstützen wir gerne; aber das  gegenseitige Ausspielen machen wir ebenso wenig mit wie Fracking durch die Hintertür.

Liebe Kollegen von der CDU: Doch, es gibt vergleichbare Verfahren zu einzelnen Aspekten der Geothermie, nämlich das Hot-Dry-Rock-Verfahren und Fracking. Das ist an vielen Stellen vergleichbar. Da gibt es gewisse Parallelen. Die kann man nicht einfach unter den Tisch kehren.

So einfach, wie Sie das darstellen, ist es eben nicht. Der Bundestag kann 2021 die Befristungen und die Einschränkungen des unkonventionellen Frackings aufheben. Damit, den Bohrerlass aufzuheben, ist es dann noch lange nicht getan, damit das Fracking in Nordrhein-Westfalen wirklich nicht kommt. So klar ist die Linie nicht.

Wenn Sie auch dieser Meinung sind, wie Sie jetzt an unterschiedlichen Stellen dargestellt haben, dass wir in Nordrhein-Westfalen kein Fracking wollen, dann muss man das auch mit den entsprechenden Maßnahmen hinterlegen und kann nicht einfach nur etwas aufheben, was gerade da ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sind absolut dafür, die Potenziale der Geothermie auszuloten. Da haben Sie unsere Unterstützung. Darüber können wir gerne reden. Denn natürlich hat Geothermie ganz klare Vorteile: Sie steht kontinuierlich zur Verfügung; sie steht auch an vielen Stellen eher zur Wärmenutzung bereit. Ich finde aber auch, dass man mehr über die Risiken sprechen muss und diese genau untersucht werden müssen.

In Ihrem Antrag erwähnen Sie zwar in einem Halbsatz die Risiken, aber in Ihrem Beschlussvorschlag sprechen Sie nur noch davon, rechtliche Hemmnisse überprüfen zu wollen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Das ist aus unserer Sicht wirklich zu wenig. Wir müssen da genauer hinsehen.

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Die Verbindung zum Bergbau ist natürlich spannend. Vorhandene Grubenbaue und alles, was sowieso schon an Untergrundarbeit da ist, zu nutzen, ist absolut positiv und sinnvoll. Denn dort, wo schon einmal in der Erde gebohrt wurde, muss man das nicht noch ein zweites Mal tun.

Darum geht es dann auch im nächsten Punkt. In Bergbaugebieten haben sich unter Wasser die Wegsamkeiten und Stabilitäten durch die jahrhundertelange untertägige Arbeit massiv verändert. Da muss man genau hinschauen und kann das nicht isoliert so positiv darstellen, wie Sie das hier tun.

Man muss ein genaues Augenmerk darauf legen, ob neue Bohrungen in solchen Gebieten überhaupt möglich sind, und wenn ja, unter welchen Gegebenheiten. Denn dort, wo man unter der Erde schon viel an Wegsamkeiten geschaffen hat, kann man nicht mal einfach so noch weitere schaffen. Das müssen wir uns ganz genau anschauen.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Loose [AfD])

Bei einem weiteren Aspekt sind wir an vielen Stellen nahe beieinander. Die oberflächennahe Geothermie hat auch in Nordrhein-Westfalen noch größere Potenziale, die man sicherlich weiter unterstützen kann. Aber auch hier muss man immer berücksichtigen, dass das Wasser das höchste Gut ist. Denn wir alle wollen weiterhin sauberes Wasser haben. Eine Potenzialerfassung und eine weitere Unterstützung dabei sind sinnvoll.

Ich glaube, ich habe aufgezeigt, dass noch einiges zu diskutieren ist. Wir wollen das gerne differenziert tun und freuen uns auf die Diskussion. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die AfD-Fraktion hat Herr Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Klatschen bei der Rede von Frau Brems vorhin war an einigen Punkten wirklich ernst gemeint, auch wenn ich nicht in allen Punkten mit ihr übereinstimme.

Zum Thema: Die Geothermie ist im Prinzip eine unerschöpfliche Energiequelle. Sie ist ganzjährig verfügbar und kann nahezu überall gewonnen werden. Wir müssen uns also fragen, woran es dann liegt, dass wir die Geothermie in Deutschland nicht flächendeckend einsetzen.

Der Hauptteil dieses Antrags beschäftigt sich mit der sogenannten Tiefengeothermie. Diese Technik verursacht bei uns und bei vielen Bürgern große Sorgen. Bei der Tiefengeothermie geht es um Bohrungen von bis zu 3.000 m und damit um ganz andere Größenordnungen als etwa bei der oberflächennahen Geothermie.

Die Koalition versucht nun, die gescheiterte Energiewende damit zu retten, dass sie plötzlich die Tiefengeothermie entdeckt und als Heilmittel verkaufen will. Doch dieses Heilmittel ist lediglich ein Placebo ohne Wirkung. Sie erwecken den Anschein, als müsse die Tiefengeothermie nur ausreichend gefördert oder – im Klartext – ausreichend subventioniert werden. Aber Subventionen, liebe FDP, sind die Rezepte von gescheiterten Sozialisten.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wer sich nun tiefergehend mit dem vorliegenden Antrag befasst, entdeckt zudem nichts Neues. Der Geologische Dienst – da gibt es eine wunderbare Broschüre und im Internet hervorragende Informationen, Herr Brockes – liefert bereits seit Jahren wunderbare Daten dazu und ist ein kompetenter Partner in geologischen Fragen.

Potenzial zu untersuchen – das macht die entsprechende Institution, und sie ist bereits die Kompetenz im Land, um den Unternehmen zur Unterstützung zur Verfügung zu stehen.

Das Problem liegt also nicht im Erkennen der geologischen Ergiebigkeit, sondern in den sehr aufwendigen und teuren Tiefenbohrungen. Abgesehen von der Eifelregion verfügt NRW zudem nicht über vulkanische Gebiete. Aus diesem Grunde müssen Erdwärmekraftwerke in NRW für die warmen Schichten besonders tief gebohrt werden. Das macht diese Technologie auch so extrem teuer.

Das wird im Nachbarbundesland, welches schon schlechte Erfahrungen gemacht hat, bereits kritisch beurteilt. Ich zitiere das rheinland-pfälzische Umweltministerium mit Datum vom 30. Oktober 2017: Erdwärmekraftwerke hätten demnach – Zitatanfang – keine bedeutenden zusätzlichen Potenziale. – Zitatende.

Neben den fehlenden Potenzialen gibt es aber noch andere Probleme. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise das 2012 errichtete Geothermiekraftwerk in Landau zu nennen. Mit einer Nettoleistung von lediglich 3 MW erreicht es gerade einmal die installierte Leistung einer durchschnittlichen Windkraftanlage.

Wir sprechen hier von einem Kraftwerk bei 3.000 m Tiefe. Selbst wenn wir 300 solcher Anlagen mit 3000 m Tiefe in NRW installieren würden, könnten wir nicht einmal eines der neuen Braunkohlenkraftwerke vom Netz nehmen.

Neben den fehlenden Standorten mangelt es aber auch an der Wirtschaftlichkeit. Das sei jedoch laut Koalition kein Problem, man müsse ja nur genügend Subventionen zahlen, oder, in verschleierter Sprache, man müsse die Technik fördern.

Richtig ist allerdings, dass die Tiefengeothermie über das EEG bereits massiv subventioniert wird. So bekommt der Betreiber eines solchen Geothermiekraftwerks eine feste Grundvergütung in Höhe von 25,2 Cent/KWh. Das ist das Achtfache des Preises, der an der Börse gezahlt wird.

Hier darf man wohl sagen, dass Sie insgesamt recht grünäugig vorgehen: Sie blenden die massiven Subventionen aus, und Sie blenden weitgehend die möglichen Risiken für die Bevölkerung aus. Von 2012 bis 2017 musste nämlich das vorhin genannte Geothermiekraftwerk in Landau sogar stillgelegt werden, da die Sicherheit für die Bürger aufgrund von Mikrobeben und Bodenerhebungen nicht garantiert werden konnte.

Was machen Sie zukünftig im Ruhrgebiet, wenn Sie dort eine Bohrung in einem alten Bergwerk vornehmen? Ist das dann der Steinkohleindustrie anzulasten oder dem Geothermiekraftwerk, wenn es zu Erdbeben kommt oder zu Schäden an den Häusern?

Damit scheitert die Tiefengeothermie nach Ihrem energiepolitischen Dreieck in allen Bereichen:

Erstens. Durch die geringe Leistung kann die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet werden.

Zweitens. Durch Mikrobeben und Bodenerhebungen ist die Umweltverträglichkeit höchst fragwürdig.

Drittens. Es bedarf riesiger Subventionen, um diese Technik durchführen zu können.

Wir als einzig verbliebene freiheitliche Partei lehnen solche massiven Subventionen ab. Wir verteidigen lieber die Soziale Marktwirtschaft. Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Für die Landesregierung hat das Wort nun Herr Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seitens der Landesregierung begrüße ich den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP sehr und ebenso die Debatte, die hierzu geführt worden ist.

Insbesondere hebe ich die Beiträge von SPD und Grünen hervor sowie deren Bereitschaft, den einen oder anderen Schritt gemeinsam gehen zu können, wie das in früheren Jahren – Herr Brockes hat daran erinnert – bereits möglich war.

Wir sind der Meinung, dass wir die Energiewende nur dann dauerhaft bezahlbar und sicher gestalten können, wenn wir einen breiten Mix an erneuerbaren Energieträgern nutzbar machen, so wie die Natur uns das erlaubt – ein Mix, der eine hohe Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern findet, und der eine hinreichende Wirtschaftlichkeit nachhaltig erwarten lässt.

Hier kann die Geothermie einen wichtigen Beitrag leisten. Das soll hier in Nordrhein-Westfalen noch besser genutzt werden, als das bisher der Fall war.

Hierzu trägt die oberflächennahe Geothermie bei; sie ist bereits am Markt. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen alleine über 50.000 Wärmepumpen im Dienst, wenn man das so sagen darf. Diese eignen sich ganz hervorragend für dezentrale Quartierskonzepte in Kombination mit der Fotovoltaik, die wir für Nordrhein-Westfalen noch viel stärker nutzbar machen wollen, die wir auch hervorragend mit Kraft-Wärme-Kopplung und Elektromobilität verbinden können.

Aus wirtschaftlicher Sicht sind da durchaus vernünftige Konzepte denkbar. Das wollen wir unterstützen.

(Beifall von der FDP)

In der Tiefengeothermie sehen wir noch weitere Möglichkeiten; das wurde bereits in den Redebeiträgen deutlich. Dafür müssen wir natürlich die Rahmenbedingungen schaffen. Das haben wir im Rahmen unseres Entfesselungspakets II bereits zum Ausdruck gebracht. Wir arbeiten intensiv daran.

Lassen Sie mich kurz darstellen, wo wir Nordrhein-Westfalen noch ein bisschen entfesseln müssen. Ein wesentliches Hemmnis stellt bislang ein Erlass aus dem Jahr 2011 dar, den die damals zuständigen Minister für Wirtschaft und für Umwelt an die Bergbehörde gerichtet haben. Der Erlass schließt selbst solche Maßnahmen aus, bei denen Fracking gar nicht anwendbar ist und die lediglich dem Erkenntnisgewinn in Bezug auf den Untergrund dienen.

In diese restriktiven Erlassregelungen sind auch die Vorhaben der Tiefengeothermie einbezogen worden, sodass noch nicht einmal konkret beabsichtigte geophysikalische Messungen an der Tagesoberfläche erfolgen konnten.

Einschlägige Gutachten und Studien zum Thema „Fracking“ liegen bereits seit Jahren vor. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse hatte sich die rot-grüne Landesregierung zu einer Zielfestlegung im Anfang 2017 in Kraft getretenen Landesentwicklungsplan entschlossen, nach der die Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten mit Einsatz von Fracking ausgeschlossen ist.

Von diesem Ausschluss wurden zwar ausdrücklich die Vorhaben der Tiefengeothermie ausgenommen; die folgerichtige Konsequenz, dann auch den Erlass aufzuheben oder zu ändern, wurde aber nicht gezogen.

(Zuruf von der FDP: Aha!)

Dies geschah selbst dann nicht, als wasser- und bergrechtliche Regelungen des Bundes in Kraft getreten sind, mit denen zugleich für zukünftige Vorhaben der Tiefengeothermie eine umfassende Prüfung der Umweltverträglichkeit vor einer Genehmigungsentscheidung sichergestellt wurde.

Das heißt, die rechtlichen Voraussetzungen, um solchen Risiken, wie sie hier beschrieben worden sind, verantwortungsvoll begegnen zu können, liegen vor. Im Landesentwicklungsplan ist niedergelegt, dass Fracking in Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen ist.

Die neue Landesregierung hat den LEP überarbeitet. Sie hat neue Ziele formuliert. Die im Ausschuss damit Befassten wissen genau, dass wir uns im LEP ganz klar dazu bekannt haben, an dem Frackingverbot festzuhalten. Insofern ist gar kein Zweifel daran zu hegen, liebe Frau Brems. Davon können Sie ausgehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen jetzt das ein Stück weit angleichen, worauf wir zugearbeitet haben, sodass wir mehr Raum für das geben können, was sinnvollerweise genutzt werden sollte.

Zur Aufhebung des Erlasses laufen zurzeit Gespräche zwischen meinem Haus und dem Umweltministerium. Dabei wird auch erörtert, welche Fragestellungen hinsichtlich möglicher Risiken und genehmigungsrechtlicher Aspekte noch bestehen und geklärt werden müssen.

Diese Erörterungen werden wir mit Unterstützung durch die EnergieAgentur und weiteren Akteuren wie etwa dem GeothermieZentrum Bochum, den zuständigen Behörden und dem Geologischen Dienst fortsetzen.

Wichtig ist mir dabei, die Klärung der Fragestellung auf konkrete Projekte zu beziehen und in diesem Klärungsprozess für umfassende Transparenz zu sorgen. Denn nur darüber kann in der Bevölkerung und in den Kommunen Akzeptanz für entsprechende Projekte geschaffen werden.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung – vielleicht als Vorschlag – erlauben darf: Es wäre doch schön, wenn es möglich wäre, für Nordrhein-Westfalen die Rahmenbedingungen so zu schaffen und beispielsweise anhand einer Modellkommune zu zeigen, wie das in München geschieht und in Hamburg geplant ist, dass man mit Tiefengeothermie die Risiken, die beschrieben worden sind, nicht eingehen muss und trotzdem nachhaltig eine sichere, zusätzliche, umweltfreundliche Energieversorgung für unser Land hat. Vielleicht könnte sich die Mehrzahl der Fraktionen dahinter versammeln. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen haben wir zu dem Punkt nicht. Es gibt ja noch die Gelegenheit, im Ausschuss zu diskutieren.

Deshalb hat der Ältestenrat die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2562 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz empfohlen. Die abschließende Abstimmung findet im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung statt.

Gibt es dazu Gegenstimmen? –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein!)

Nein. Gibt es Enthaltungen? –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein!)

Nein. – Einer weiß es immer schon. – Dann haben wir einstimmig so überwiesen.

Ich bedanke mich für diese Aktivität und freue mich auf den nächsten Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf:

13 Soziale Säule der Europäischen Union stärken

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2558

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Weiß das Wort.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Der Traum von Europa ist immer wieder von Zweifeln durchzogen. Wir müssen ihn mit Leben füllen, sonst stirbt er.“ – Die Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort waren, werden sich bestimmt erinnern: Mit diesen Worten hat der französische Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche den Internationalen Karlspreis zu Aachen in Empfang genommen.

Nicht alles, was der französische Präsident dieser Tage sagt und tut, sollte unreflektiert übernommen werden. Aber wie recht er insbesondere mit dem ersten Teil seiner Äußerung hat, lässt sich überall in Europa und leider auch in diesem Haus beobachten.

Die Zweifel an Europa bilden den Nährboden für populistische Kräfte, die mit ihren hohlen, europafeindlichen Botschaften besonders dort erfolgreich sind, wo Europa versagt. Dabei haben diese Zweifel ihre Ursache eigentlich woanders. Jahrzehntelang war der zentrale Fokus des europäischen Einigungsprozesses die wirtschaftliche Integration. Ökonomisch und fiskalpolitisch sind die Staaten Europas immer enger zusammengerückt und haben den größten einheitlichen Wirtschaftsraum der Welt geschaffen. Das ist ohne Frage eine Erfolgsgeschichte.

Diese Zusammenarbeit hat sich in einer Art Übertragungseffekt auf andere Bereiche wie etwa Sicherheit, Umwelt oder Wissenschaft ausgeweitet. Auch wenn die Integration dort noch nicht so weit vorangeschritten ist wie etwa in der Handelspolitik, können doch Millionen von Europäerinnen und Europäern davon profitieren.

Im sozialen Bereich steckt die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene aber noch in den Kinderschuhen. Genau hier liegt eine zentrale Ursache für die eben erwähnten Zweifel. Während die europäische Integration durchweg als eine Erfolgsgeschichte für die Arbeitgeberseite verstanden werden kann, hinken die Fortschritte für die Arbeitnehmerseite in vielen Bereichen hinterher.

Der europäische Mehrwert kommt bei vielen Menschen einfach nicht an. In der schönen Theorie kann zwar jeder überall arbeiten, aber nicht jeder bekommt auch überall einen angemessenen arbeitsrechtlichen und sozialen Schutz. In einem Europa, in dem nur einige profitieren können – und das auch noch auf Kosten anderer –, sind Zweifel am Konzept völlig nachvollziehbar.

Genau deshalb müssen wir den Vorstoß der Europäischen Kommission zur sozialen Säule mit aller Kraft unterstützen. Die Bundesregierung hat dazu schon begrüßenswerte Ankündigungen geliefert. Die nächsten Impulse werden wir sehr genau beobachten. Aber das entsprechende Kapitel etwa im Koalitionsvertrag sendet schon einmal ein positives Signal Richtung soziale Säule der EU.

Im subsidiären System der Europäischen Union kommt aber auch der Landes- und der Kommunalebene eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu.

Im vorliegenden Antrag finden Sie unter Punkt II acht Punkte, die einen wesentlichen Beitrag zu einer besseren sozialen Übereinstimmung in Europa leisten. Einige davon sehen vor, dass die Landesregierung die Verwirklichung der sozialen Säule aktiv und mit Nachdruck auf nationaler und europäischer Ebene mitgestaltet wie etwa bei der Aufnahme einer sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Verträge.

Bei anderen Punkten geht es unmittelbar um nordrhein-westfälische Interessen, beispielsweise bei der Umsetzung der reformierten Entsenderichtlinie oder der noch zu beschließenden Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Diese betrifft auch die Interessen von in NRW tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Themen wie die öffentliche Daseinsvorsorge oder die Reform der Körperschaftsteuer betreffen Land und Kommunen gleichermaßen. Die Verantwortung für ein sozialeres Europa liegt nicht nur in Brüssel oder Berlin, sie liegt auch hier bei uns im Landtag und in den Kommunen. Wenn wir uns dieser Verantwortung nicht annehmen, schaden wir dem europäischen Projekt als Ganzem und damit unweigerlich auch uns selbst.

Wir sind überzeugt davon, dass Europa nur bestehen kann, wenn es fairer, sozialer und gerechter wird. Nur so werden wir die Zweifler davon überzeugen können, dass das europäische Projekt niemanden zurücklässt.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal den französischen Präsidenten zitieren. Er sagte ebenfalls letzte Woche in Aachen: Wer Europa will, der muss mit aller Macht dafür kämpfen.

Wir – ich hoffe, wir alle zusammen, meine Damen und Herren – wollen Europa, und wir wollen, dass in diesem Europa niemand ausgebeutet oder zurückgelassen wird. Mit diesem Antrag macht der Landtag Nordrhein-Westfalen deutlich, dass er klar auf der Seite der proeuropäischen Kräfte steht und seinen Beitrag für ein friedliches, zukunftsorientiertes und soziales Europa leisten wird.

Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für unseren Antrag. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Weiß. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Krauß.

Oliver Krauß (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich freue mich, dass Sie sich auf diesen Tagesordnungspunkt so gefreut haben, und hoffe, dass wir Ihre Erwartungen auch erfüllen werden.

Die europäische Integration und gerade der Binnenmarkt in der Europäischen Union sind in den letzten Jahrzehnten ein Motor für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Wohlstand gewesen.

Soziale Politik aber ist und bleibt in erster Linie eine nationale Aufgabe. Das Ansinnen, eine generelle Zuständigkeit der Europäischen Union für solche Fragen zu begründen, können wir nicht unterstützen. Europa muss weiterhin Grenzen haben, und zwar auch in dieser Frage.

(Markus Wagner [AfD]: Hört! Hört!)

Die Ziele der Sozialpolitik der EU sind im Lissabon-Vertrag definiert. Anzustreben sind demzufolge die Schaffung von mehr Beschäftigung und die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials, die Verbesserung bzw. langfristige Angleichung von Lebens- und Arbeitsbedingungen, ein angemessener sozialer Schutz sowie die Bekämpfung von Sozialdumping und die Bekämpfung von Ausgrenzung.

Europäisch vergemeinschaftete Sozialsysteme würden allerdings über das Ziel hinausschießen, denn es sind doch die einzelnen Mitgliedsstaaten, die Verantwortung tragen für die soziale Absicherung der Menschen und für ihre Staatsfinanzen. Ein überaus wichtiges Prinzip der EU ist und bleibt daher die Subsidiarität. Das Subsidiaritätsprinzip liefert uns allen den Kompass für die Ausrichtung guter Sozialpolitik.

Gerade in der Sozialpolitik sind es doch die nationale Ebene und die Ebene der Bundesländer, die viel näher an den sozialen Problemen der Menschen dran sind. Der EU fehlen bereits die gesetzgeberischen Hebel, um Arbeitsmärkte, Sozial- und Berufsbildungssysteme entscheidend zu beeinflussen.

Nicht erfüllbare Erwartungen zu wecken, führt im Ergebnis nur zur Enttäuschung auf breiter Front. Das, lieber Herr Kollege Weiß, würde doch die von Ihnen erwähnten Zweifel noch verstärken.

Doch bitte vergessen wir nicht: Auch ohne eine Sozialunion zu sein, hat Europa viele soziale Errungenschaften gebracht. Dadurch, dass EU-weit soziale Mindeststandards festgelegt sind, erhält die Marktwirtschaft eine soziale Komponente, gerade im Arbeitsrecht. Dies betrifft die Bereiche Arbeitssicherheit, Schwangerenschutz, Höchstarbeitszeiten oder aber auch die Gleichstellung der Geschlechter sowie Regelungen zu Teilzeitarbeit und befristeter Arbeit.

Solche Mindeststandards helfen, die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes mit sozialem Ausgleich zu verbinden. Musterbeispiel ist dabei die Entsenderichtlinie, die insbesondere zur Bekämpfung von Sozialdumping eingeführt wurde.

Neben der Rechtslage und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gibt es einen weiteren Grund, die Ideen zur Vergemeinschaftung der Sozialsysteme abzulehnen, nämlich die potenzielle Gefährdung der europäischen Solidarität.

So verlockend eine EU-Arbeitslosenversicherung auch klingen mag, so sehr dürften bei derzeitigen und potenziellen Nettozahlern die Alarmglocken schrillen. Bei europäisierten Arbeitslosen- oder Rentenversicherungen sind dauerhafte finanzielle Transfers in eine einzige Richtung absehbar.

Dies würde gerade denjenigen in die Karten spielen, die in offensichtlicher Unkenntnis – wer möge es ihnen nachsehen – der Sach- und Rechtslage neue Gräben aufreißen und die europäische Solidarität erschüttern wollen.

Ein weiteres Beispiel für konkrete EU-Sozialpolitik sind die Begleitrechte. Hier geht es insbesondere um die Übertragung von Rentenansprüchen, die Einführung der europäischen Krankenversicherungsakte oder das europaweite Recht auf ärztliche Behandlung.

(Beifall von der CDU)

Der europäische Binnenmarkt ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Sozialpolitik. Darüber hinaus gibt es einen weiteren, nicht zu vernachlässigenden Teil europäischer Sozialpolitik: die Strukturfonds. Nicht ohne Grund haben wir uns in den letzten Monaten so entschieden für die Aufrechterhaltung der Strukturfonds im mehrjährigen Finanzrahmen ab dem Jahr 2020 eingesetzt. Ziel ist eine Angleichung der wirtschaftlichen und damit auch sozialen Bedingungen unter den Mitgliedstaaten.

Die EU ist also bereits Motor des sozialen Schutzes, sodass die Vorstöße aus der Kommission zur europäischen Säule der sozialen Rechte erst mal in Einklang gebracht werden müssen mit dem erwähnten Subsidiaritätsprinzip.

Genau deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, geht Ihr Antrag an etlichen Stellen zu weit. Europäische Sozialpolitik beruht nach unserem Verständnis auf dem Subsidiaritätsprinzip und einer daraus folgenden Arbeitsteilung zwischen EU und den Mitgliedstaaten.

Europäische Struktur- und Sozialfonds gleichen Nachteile aus. Soziale Mindeststandards geben Leitlinien vor. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist jedoch Grundvoraussetzung für eine funktionsfähige Sozialpolitik. Die arbeitsteilige Verantwortung der EU und der Mitgliedstaaten soll zwar im Einklang mit dem wirtschaftlichen Fortschritt weiterentwickelt, aber grundsätzlich beibehalten werden.

Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krauß. – Nun hat das Wort für die FDP-Fraktion Herr Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerne wird zurzeit Macron zitiert und genannt. In der Tat gibt er in dieser Zeit viele wichtige Impulse, um den Europagedanken wieder populärer zu machen.

Ich habe aber manchmal das Gefühl – gerade beim Antrag –, dass Sie zwar wie gerade auch in der Rede „Macron“ sagen, aber eigentlich „Hollande“ meinen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Politik, vor allem die Sozialpolitik, von Hollande ist krachend gescheitert.

Der Antrag heute hat zwar das Oberthema „soziale Säule“. De facto bezieht sich der Antrag aber auf mehrere unabhängige Vorschläge, auch aus der EU-Kommission. Dabei schießt die SPD – Kollege Krauß hat das gerade richtig gesagt – mit ihren Forderungen über das Ziel hinaus, weswegen wir den Antrag ablehnen.

Die Säule sozialer Rechte soll einer Verunsicherung in der Arbeitswelt entgegenwirken. Eine entsprechende Erklärung wurde beim Treffen der 28 Mitgliedstaaten in Göteborg letztes Jahr herausgegeben. Die Säule zielt auf 20 Punkte ab, aber sie soll eben nicht zu neuen Mindeststandards auf EU-Ebene führen.

Das ist von der Kommission auch nie beabsichtigt gewesen. Ziel der Kommission ist es vielmehr, Impulse und Reformen auf nationaler Ebene voranzutreiben, und das ist auch richtig.

Der vorliegende Antrag zielt dagegen auf eine Vielzahl detaillierter Einzelmaßnahmen ab, die allesamt eigentlich Angelegenheiten des Bundes sind und auch ein wenig aus der Mottenkiste bzw. dem Konservenschrank kommen.

Der Antragsteller verkennt, dass eine Vereinheitlichung von sozialen Standards auf EU-Ebene auch gar nicht so sinnvoll ist, denn in den Mitgliedsstaaten herrschen unterschiedliche Sozialmodelle. Diese zu vereinheitlichen, ist schwer möglich und würde höchstwahrscheinlich in vielen Ländern zu Frust gegenüber Europa führen.

Daher ist es richtig, dass Arbeits- und Sozialpolitik im Kern eine Aufgabe der nationalen Mitgliedsstaaten ist und bleibt. Eine gemeinsame europäische Arbeitsmarktpolitik wäre nicht zielführend, da gerade der Arbeitsmarkt extrem von den jeweiligen Rahmenbedingungen des Landes abhängig ist.

Wir Freien Demokraten begrüßen, dass bei der Schaffung der europäischen Säule sozialer Rechte keine Ausweitung der Kompetenzen der EU vorgesehen ist. Dem Gedanken der Subsidiarität folgend, obliegt es primär den Mitgliedsstaaten, Sicherungssysteme zu schaffen und zu finanzieren.

Als problematisch bei der Säule sozialer Rechte empfinde ich, dass darin durchgehend von Rechten die Rede ist. Arbeitsmarktpolitik funktioniert aber gerade dann besonders gut, wenn sie auf Fordern und Fördern, Rechten und Pflichten beruht.

Freilich wollen wir gemeinsam die Lebensverhältnisse der Menschen – das ist unser aller Ziel – in der EU verbessern. Jeder Mitgliedsstaat muss also im Rahmen der gemeinsamen europäischen Strukturreform seinen Part, seine Hausaufgaben leisten, entwickeln, lösen und konsequent umsetzen.

Mit diesem ordnungspolitischen Kompass und den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft können wir viel mehr für den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nückel. – Jetzt spricht Herr Remmel für die grüne Fraktion.

Johannes Remmel*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang vielleicht eine Bemerkung, die mit dem konkreten Antrag nicht bis ins letzte Detail etwas zu tun hat: Die Debatte zu verfolgen, war schon interessant, wenn man sie im Lichte des so gefeierten Koalitionsvertrages der Großen Koalition betrachtet, insbesondere – das kann ich Ihnen von der sozialdemokratischen Fraktion nicht ersparen – da Sie besonders stolz darauf waren, ein Kapitel zur Stärkung der Europäischen Union am Anfang des Koalitionsvertrages verankert zu haben.

Wenn ich allerdings die heutige Debatte verfolge, wird mir klar, welchen Wert dieses Kapitel am Anfang hat: Schöne Reden, schöne Worte, aber Folgen wird es insbesondere dann, wenn es um ein soziales Europa geht, nicht haben.

Kollege Krauß hat deutlich gemacht, dass man bei schönen Worten bleiben will, aber denen keine konkreten Taten folgen werden, weil klar ist: Die soziale Säule der Europäischen Union soll – so jedenfalls in Sonntagsreden proklamiert im November 2017, im Übrigen von allen beteiligten Mitgliedsstaaten der Europäischen Kommission und im Europäischen Parlament – die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion flankieren.

Das ist richtig und gut so, aber das Leben spielt nun einmal auf dem Platz, und „auf dem Platz“ ist nicht sonntags, sondern das ist montags, dienstags und mittwochs. Man muss einem Beschluss auch Taten folgen lassen.

Dabei zeigt sich schon in den ersten Wochen und Monaten nach dieser Beschlussfassung, dass insbesondere die Mitgliedsstaaten, auch die Bundesregierung, eben keine Taten folgen lassen wollen. Das ist enttäuschend.

Wichtig und notwendig ist es, ein sozialeres Europa zu schaffen und damit die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union zu stärken. Das muss dringend passieren. Nur ein Europa mit starken sozialen Standards wird dauerhaft von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert und unterstützt.

Der Antrag der SPD greift deshalb wichtige Forderungen auf, die wir teilen; deshalb werden wir dem Antrag auch zustimmen.

Er hat allerdings auch einige Lücken: Wir brauchen dringend eine Richtlinie für adäquate Mindesteinkommen, einheitliche europäische Vorgaben für Mindestlöhne und eine Richtlinie für faire Arbeitsbedingungen. Das sind beispielsweise Punkte, die ergänzt werden müssen, genauso wie eine abgestimmte Abgaben- und Steuerpolitik.

Wir brauchen europäische Mindeststandards bei Arbeitnehmerrechten, Löhnen und Sozialversicherungen. Europa muss der sozialen Ungleichheit endlich den Kampf ansagen. Die Mitgliedsländer müssen ihre Handlungsbekundungen in der europäischen Sozial- und Steuerpolitik mit konkreten Initiativen unter Beweis stellen. Es reicht nicht aus, dies nur feierlich zu proklamieren, sondern es muss auch gehandelt werden.

Grundsätzlich allerdings, wenn ich den europäischen Einigungsprozess insgesamt betrachte, ist die Argumentation aus meiner Sicht etwas zu kurz, dass allein ein sozialeres Europa, auch wenn die Kommission konkrete Schritte mit den Mitgliedsstaaten vereinbaren könnte, den Prozess in die richtige Richtung bringt. Es ist notwendig, keine Frage.

Aber wenn wir uns historisch versichern, auch beim Entstehen der Demokratie auf deutschem Boden, kann man eine gewisse Abfolge sehen, die nicht unbedingt erfolgreich war. Gestartet wurde mit einer Sozialunion; dann hat Bismarck die Sozialgesetzgebung auf den Weg gebracht. Aber was eben nicht passiert ist: rechtzeitig eine freiheitliche Demokratie auf deutschem Boden zu errichten.

Ich denke, dass uns dies den richtigen Wink auch in Richtung Europa gibt: klare Strukturen von Verantwortlichkeit von Regierung, Opposition und Kommission und nicht das Unübersichtliche, Strukturelle, das heute viele Menschen nicht nachvollziehen können.

Deshalb kann uns ein Arbeiten an einer sozialeren Union nicht davon abhalten, demokratische Prozesse in Europa dringend zu strukturieren und voranzubringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Remmel. – Jetzt spricht Herr Tritschler für die AfD-Fraktion.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Mehr sehr geehrten Damen und Herren! Bei Durchsicht des Antrags der SPD-Fraktion ist man fast versucht, der deutschen Sozialdemokratie wieder eine soziale Säule zu verordnen. Die ist Ihnen nämlich, wie Ihr turnusgemäßer „Europa-ist-toll-und-Deutschland-schnell-abschaffen-Antrag“ belegt, völlig abhandengekommen.

Sie haben sich gerade großzügig das Personalbudget erhöht. Vielleicht leisten Sie sich in der Fraktion einen Referenten für gesunden Menschenverstand.

(Beifall von der AfD)

Der könnte Ihnen problemlos vorrechnen, dass Ihr Vorhaben aus deutscher Perspektive so ziemlich das Asozialste ist, was man sich vorstellen kann.

Wenn Sie in einem Wirtschaftsraum wie der EU, in dem der monatliche Durchschnittsverdienst zwischen 500 € in Bulgarien und knapp 5.000 € in Finnland variiert, auf eine – Zitat – Angleichung der Sozialstandards hinwirken wollen, dann heißt das am Ende nicht, dass ganz Europa ein einziges Finnland wird. Das heißt dann: Man trifft sich irgendwo in der Mitte.

Sie, meine Damen und Herren von der SPD und offenbar auch von den Grünen, wollen Sozialstandards für Arbeitnehmer in Ländern mit hohem Niveau absenken. Sie wollen – machen Sie sich ehrlich – soziale Errungenschaften für deutsche Arbeitnehmer abschaffen, kürzen und streichen in der vagen Hoffnung, dass es dafür den Bulgaren besser geht.

Nicht einmal das wird der Fall sein. Wir Deutschen haben nach der Wiedervereinigung am eigenen Leib erfahren, was es heißt, einer Volkswirtschaft ein Sozialsystem überzustülpen, für das ihre Wirtschaft nicht leistungsfähig genug ist. Das bedeutet Deindustrialisierung, Migration, Entvölkerung und Verwahrlosung.

Aber auch daran haben Sie gedacht. Denn weiter heißt es in Ihrem Antrag – Zitat –:

„Mit dem Paket zur sozialen Fairness sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, allen Arbeitnehmer/innen und Selbstständigen einen Zugang zu allen Zweigen der sozialen Sicherungssysteme wie Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu gewähren.“

Mit anderen Worten: Wenn Sie die bulgarische Wirtschaft erst vernichtet haben, dürfen die Bulgaren alle nach Deutschland kommen und die deutschen Sozialkassen leer machen. Denn wir alle wissen: Deutschland ist ein beliebtes Reiseland – vor allem bei Menschen ohne Rückflugticket.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, man weiß gar nicht, was Sie bei solchen Anträgen immer reitet. Fällt Ihnen wirklich nichts Besseres ein? Es ist doch mit Händen zu greifen, wie die EU in immer stärkerem Maße auf das Misstrauen der Völker stößt.

Das britische Volk hat sich trotz aller Widrigkeiten und Drohgebärden entschieden, aus diesem Gefängnis auszubrechen. Viele andere – das verraten uns Umfragen – würden folgen, wenn man sie nur fragen würde. Sie fahren nach dem alten sozialistischen Dogma „vorwärts immer, rückwärts nimmer“ weiter mit Karacho gegen die Wand.

Liebe Genossen, ich weiß nicht, wo Sie für die Zukunft Ihre Wählerpotenziale vermuten – vielleicht bei bulgarischen Sozialtouristen. Aber glauben Sie nicht, dass Sie mit so etwas weiter als die Partei der deutschen Arbeitnehmer wahrgenommen werden. Für die gilt nämlich wieder einmal: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten.

(Beifall von der AfD)

Die AfD-Fraktion wird diesen Antrag jedenfalls wie jeder andere mit einem bisschen Restverstand im Hause selbstverständlich ablehnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Für die Landesregierung erhält das Wort Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Antrag enthält unter dem Oberthema der „sozialen Säule“ ein ganzes Bündel voneinander unabhängiger Vorschläge der Europäischen Kommission zur sozialen Dimension.

Bei der Beurteilung dieser Vorschläge vertritt die Landesregierung durchaus differenzierte Positionen zu den einzelnen Aspekten. Für problematisch halten wir die Forderung, öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen zu vergeben, da dies gegen europäisches Recht verstoßen würde. Auch die Ableitung verpflichtender Mindeststandards aus der Säule „soziale Rechte“ teilt die Landesregierung nicht.

Was hingegen die Entsenderichtlinie angeht, teilen wir die Position des Antrages. Ich begrüße ausdrücklich, sich für den zwischen Rat und Europäischem Parlament gefundenen Kompromiss zur Gleichstellung von heimischen und entsandten Arbeitnehmern nach zwölf Monaten einzusetzen, wie es Macron und die Bundeskanzlerin erfolgreich gefordert haben.

Mobilität kann nur dann erfolgreich sein, wenn es für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in gleichem Maße fair ist. Voraussetzung dafür sind Löhne, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Ein Wettbewerb um möglichst geringe Löhne und Sozialleistungen darf es in Europa nicht geben. Missbrauch oder mangelnde Durchsetzung des bestehenden Rechts duldet diese Landesregierung nicht.

Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, gemeinsam mit Frankreich in Gespräche über die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen bei Körperschaftsteuern einzutreten. Langfristig halten wir auch eine EU-weite Ausgleichung für Nominalsteuersätze für sinnvoll.

Anders sieht es aus, wie eingangs erwähnt, bei der Forderung im Antrag nach einer zwingenden Verknüpfung der Vergabe öffentlicher Aufträge an die Tarifbindung. Nach der Rüffert-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2008 ist es nämlich nicht nur zulässig, wenn der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Der EuGH hat entschieden, dass die sogenannte Tariftreueklausel der europäischen Dienstleistungsfreiheit entgegensteht.

Deswegen hat übrigens die grün-rote Landesregierung 2012 das nordrhein-westfälische Tariftreue- und Vergabegesetz so ausgestaltet, dass es dieser Forderung widersprechen würde. Der heutige Antrag steht dazu nämlich im Widerspruch.

Sie haben den Antrag unter die Überschrift „soziale Säule“ gesetzt. Bei der Säule handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche gemeinsame Proklamation des Europäischen Parlamentes, des Rates und der Kommission. Im Zuge der Einführung einer sozialen Säule sollten aus Sicht der Landesregierung grundsätzlich keine neuen rechtsverbindlichen Mindeststandards auf EU-Ebene verbunden werden. Das ist nach unserer Auffassung auch nicht die Absicht der Kommission gewesen.

Ziel der Kommission ist es vielmehr, insbesondere in den Mitgliedstaaten mit noch ausbaufähigem Sozialstandard Impulse zu geben und so Reformen auf nationaler Ebene voranzutreiben. Das ist aus unserer Sicht auch ein Beitrag, um Migration, wenn sie schwerpunktmäßig auf den Bezug staatlicher Leistungen ausgerichtet ist, zu begegnen.

Ich fand übrigens Ihre Ausführungen dazu, Herr Remmel, ausgesprochen interessant. Aber ich kann Ihnen nicht folgen – nicht, weil ich den einzelnen Punkten nicht folge, sondern weil es selten so ist, dass man für etwas ist und gegen etwas anderes ist. Meistens kommt eine demokratische Diskussion dadurch zustande, dass die Gewichtungen anders sind.

Also sind nicht die, die nicht unbedingt Ihren Anforderungen folgen, gegen diese soziale Verpflichtung, gegen die Gleichbehandlung, sondern dafür, dass man sagt: Die Subsidiarität spielt eine große Rolle.

Sie haben ja, ohne sie zu nennen, Länder wie Polen und Ungarn angesprochen. Ich glaube, dass es eine große Herausforderung sein wird, zu verhindern, dass das EU-Recht – zum Beispiel Art. 2 – verletzt wird und wir bei der Sanktion dieser Verletzungen die Falschen bestrafen, nämlich die, die sich für eine freiheitliche demokratische Ordnung nach unseren Vorbildern einsetzen.

Da ist das große Problem, dass das Subsidiaritätsprinzip eine große Rolle spielen soll, weshalb wir uns davor hüten müssen, darüber zu belehren, wie man ein Land regiert. Damit will ich nicht sagen, dass man solch massiven Verstöße, wie sie in Polen und Ungarn leider zu erfahren sind, dulden darf.

Die Landesregierung empfiehlt also aus den oben genannten Gründen, diesen Antrag abzulehnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner. – Damit sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also stimmt dem Inhalt des Antrages zu? – Die SPD-Fraktion sowie Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – CDU, FDP und AfD stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2558 im Hohen Haus mit Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:

14 Reiseland Nordrhein-Westfalen – Erfolgsgeschichte Tourismus fortschreiben

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2565

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult kommt nun für die CDU-Fraktion Herr Kollege Müller.

(Lebhafter Beifall von der CDU)

Holger Müller (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als wir von der rot-grünen Vorgängerregierung den Tourismus übernommen haben, herrschte dort das blanke Chaos.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Lachen und Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

– Sie sind ja so leicht ausrechenbar. Ich habe das gewusst.

(Beifall von der CDU – Allgemeine Heiterkeit)

Ich fange also noch einmal an: Als wir 2005 von der rot-grünen Vorgängerregierung den Tourismus übernommen haben, herrschte da das blanke Chaos.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben dann 2008 einen Masterplan in Auftrag gegeben, der Zug um Zug umgesetzt worden ist. Das – und das war erstaunlich – hat auch die dann wieder im Amt befindliche rot-grüne Regierung fortgesetzt, und deshalb ist das im Großen und Ganzen auch in Ordnung.

Aber was lernt uns das, wie der Kölsche sagt? – Wenn Rot-Grün sich erniedrigt, CDU-Initiativen zu übernehmen, dann muss das gutgehen.

(Beifall von der CDU – Heiterkeit von der SPD)

Wir haben aber seitdem in den letzten Jahren dramatische Veränderungen im Tourismus in der Welt, in Europa und auch in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen.

Zunächst einmal nenne ich die Digitalisierung. Sie bringt uns neue Chancen. Wir haben bisher als Quellmarkt in erster Linie die Niederländer. Da habe ich nichts dagegen;

(Heiterkeit – Zuruf: Gott sei Dank!)

das soll auch so bleiben.

Aber unser Markt muss sich deutlich erweitern. Die touristische Welt ist in den letzten Jahren massiv größer geworden. Es haben sich völlig neue Reiseströme ergeben, und daraus müssen wir in Nordrhein-Westfalen Nutzen ziehen.

Wir haben ja schon ein tolles Angebot in Nordrhein-Westfalen: Kultur, Natur, Gesundheitssuchende, Städtetouristen, Businessgäste, und wir haben auch tolle Freizeitparks. Das heißt, wir sind schon – leider merken es noch zu wenige – ein touristisches Großangebotsland in Deutschland. Aber wir müssen das internationalisieren und noch größer werden.

Dann haben wir – ich habe es gerade schon gesagt – die Reiseströme, die immer internationaler werden. Daraus ergeben sich die Chancen für neue Quellen für unseren NRW-Tourismus. Hand in Hand damit geht natürlich auch die im Tourismus noch früher ansetzende und noch schneller fortschreitende Globalisierung.

An dieser Stelle einige Zahlen: Es gibt unter anderem den Trend, mehr als einmal im Jahr in Urlaub zu fahren. Neben Kreuzfahrten … – Gut, da sind wir vielleicht nicht ganz so stark.

(Allgemeine Heiterkeit – Vereinzelt Beifall)

– Ja, ich hoffe, dass ich jetzt keinen Ärger mit der Köln-Düsseldorfer bekomme.

(Allgemeine Heiterkeit)

Aber neben Kreuzfahrten nehmen Städte- und Kurztrips zu. Genau das ist unsere Chance in Nordrhein-Westfalen. Ich darf Ihnen einmal sagen, was überhaupt an Touristen unterwegs ist:

Die größten Ausgaben für Tourismus weltweit hat China mit 258 Milliarden $, gefolgt von den USA, und dann folgt mit 84 Milliarden $ Deutschland. Das sind natürlich massive Zahlen. Man sollte nun nicht glauben, China läge weit weg. Die Chinesen erobern den touristischen Weltmarkt Zug um Zug – nicht nur diesen –, und daraus ergibt sich für uns die Chance, dass wir unsere Auslandspräsenz deutlich erweitern.

Darüber hinaus ist der Tourismus natürlich auch ein riesiger Arbeitgeber. Wir haben weltweit 300 Millionen Arbeitsplätze im Tourismus. Auch in Nordrhein-Westfalen haben wir in diesem Bereich mehr als 400.000 Arbeitsplätze mit steigender Tendenz. Da gibt es ein riesiges Wachstumspotenzial.

Weil das so ist, brauchen wir eine neue Landestourismusstrategie. Wir brauchen im Rahmen dieser Landestourismusstrategie auch eine Neuausrichtung und Neustrukturierung der Finanzen, insbesondere inklusive der EFRE-Mittel. NRW braucht Zukunft. NRW braucht mehr Tourismus.

Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion im Ausschuss und würde mich noch mehr freuen, wenn Rot-Grün von der Fundamentalopposition herunterkäme und sachlich mitmachte. – Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall von der CDU – Beifall von der FDP – Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als nächster Redner für die weitere antragstellende Fraktion, die FDP, hat der Abgeordnete Bombis das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Lieber Holger Müller, es ist immer wieder ein Vergnügen, nach dir reden zu dürfen. Das ist insbesondere auch deswegen so, weil wir, was unsere Reden angeht, in eine sehr ähnliche Richtung gehen.

Nordrhein-Westfalen ist ein großartiges Land, es ist ein schönes Land. Immer mehr Menschen kommen zu uns und wollen dieses schöne Land besuchen. Der Tourismus wird ein immer wichtiger werdender Wirtschaftsfaktor. Mit 23 Millionen Übernachtungsgästen 2017 hat der Tourismus insgesamt 25 Milliarden € erwirtschaftet.

Anhand dieser Zahlen wird noch einmal deutlich, was eben in Bezug auf die Bedeutung Nordrhein-Westfalens als Wirtschaftsfaktor schon gesagt wurde: Jeder zwanzigste Arbeitsplatz hängt direkt vom Tourismus ab, viele weitere indirekt.

Wir als NRW-Koalition wollen uns nicht darauf ausruhen. Das Bessere ist immer der Feind des Guten. Wir wollen dafür sorgen, dass wir weiterhin auch im Tourismusbereich eine erfolgreiche Entwicklung haben werden. Deswegen gibt es keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen.

Die Gesellschaft verändert sich. Es gibt die Megatrends wie beispielsweise den der Digitalisierung. Über den ersten Trend, etwa in Verbindung mit der Nutzung des Smartphones, diskutieren wir an vielen Stellen. Heute ist die Situation ganz anders als vor zehn oder gar 20 Jahren. Auch im Tourismus geht es um die Bedeutung von Smartphones. Mit ihnen ist etwa das Buchen von Reisen ohne Reisebüros von unterwegs möglich geworden.

Ein zweiter wichtiger Trend ist die Veränderung bzw. Internationalisierung der Gästestruktur, die auch permanent voranschreitet. Sie hängt unmittelbar mit dem dritten Trend, nämlich der Globalisierung, zusammen.

Dabei geht es im Übrigen auch um immer neue Sparten des Tourismus. Dieser Spartentourismus wird immer wichtiger. Es gilt, auch auf ihn angemessen zu reagieren, ob es nun um den Medizintourismus oder um den Tourismus anlässlich bestimmter Sportereignisse – oder was auch immer sonst – geht.

Es gibt aber noch andere Trends, und darauf müssen wir reagieren. Die aktuelle Tourismusstrategie stammt – Holger Müller hat es dargestellt – im Grunde genommen noch aus der Zeit 2008/2009. Deswegen ist ganz klar: Es ist wichtig, dass bei der Erarbeitung einer neuen Strategie alle Beteiligten eingebunden werden. Das gilt auch für die Regionen, in denen sich der Tourismus in sehr unterschiedlichen Facetten zeigt, und wo er eigentlich auch stattfindet.

Es wäre ein starkes Zeichen für diesen Tourismus in Nordrhein-Westfalen, wenn auch die Opposition an dieser Aufgabe mitarbeiten würde. Das ist der einzige Punkt, lieber Holger, an dem ich dich verbessern will: Rot-Grün hat sich ja nicht herabgelassen, eine CDU-Initiative mitzutragen, sondern eine schwarz-gelbe. Wenn Sie das wieder tun, kann es nur besser werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bombis. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Fortmeier das Wort.

Georg Fortmeier (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es immer wieder erfreulich, dem Kollegen Müller – ob er über Sport oder Tourismus redet – zuhören. Ich habe sogar ein Zitat – ich habe es aber auf meinem Tisch liegengelassen – aus Ihrer Rede vom Jahr 2012. Da haben Sie nämlich genau dasselbe gesagt. Ich könnte Ihnen das vorlesen. Dazu werden wir aber ein anderes Mal kommen.

Ich will aber, bevor ich zu dem Antrag etwas sage, die Gelegenheit nutzen, ganz besonders denjenigen zu danken, die den Tourismus in den letzten Jahren derart nach vorne gebracht haben. Das sind all diejenigen, die sich im Verband Tourismus NRW engagiert haben.

Das sind viele hauptberufliche, aber auch ganz viele ehrenamtlich Engagierte in den verschiedenen Regionen unseres Landes. Die haben auch ein Stück weit das umgesetzt, was wir in der Politik diskutiert und vorgegeben haben. Sie kennen den Jahresbericht 2017, in dem die entsprechenden Namen – auch die der Menschen in den Beiräten – aufgeführt sind. Da sind wir – der Kollege Müller und der Kollege Bombis – auch immer aktiv.

Ganz besondere Anerkennung spreche ich dem Vorstandsvorsitzenden Herrn Olaf Offers und der Geschäftsführerin Frau Dr. Heike Döll-König aus. Mit diesen beiden war die Zusammenarbeit auch im Wirtschaftsausschuss – das ist der zuständige Ausschuss – immer sehr konstruktiv und zielführend.

(Beifall von Frank Sundermann [SPD])

Dann komme ich zum vorliegenden Antrag. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Die SPD-Landtagsfraktion kann das, was Sie bezüglich der Weiterentwicklung bzw. des Vertiefens der Landesmarketingstrategie sowie des Masterplans Tourismus vorhaben, im Grunde mittragen. So wie wir es auch in den letzten sieben Jahren mitgetragen haben, werden wir das wahrscheinlich auch im Ausschuss in positiver Weise unterstützen.

Ich will aber – bevor wir in die Ausschussdiskussion kommen – jetzt noch etwas zu dem Antrag sagen. An etlichen Stellen ist der Antrag unpräzise, vielleicht auch falsch kopiert worden. An einigen Stellen gibt es ganz viele offene Fragen. Das werden wir natürlich kritisch diskutieren und begleiten müssen.

Erstens. Anders als in dem Antrag formuliert, geht der Anteil der britischen Touristen – laut Jahresbericht 2017 um 3 % – zurück. Dagegen – das hat der Kollege Müller richtig gesagt – steigen die Zuwächse der Touristen aus dem Reich der Mitte. Bei ihnen gab es im letzten Jahr einen Zuwachs von immerhin 11,8 %. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das Ruhrgebiet in der Wahrnehmung der chinesischen Touristen als ein Vorhof des niederländischen Amsterdam gesehen wird. Da besteht Handlungsbedarf. Wir müssen uns da stärker positionieren.

Zweitens. Was ist mit Ihrem Vergleich mit anderen Bundesländern? Es wird unsauber gesagt, dass wir oberhalb des Durchschnitts liegen. Was ist damit gemeint? Wertschöpfung? Registrierte Übernachtungen? Oder andere Parameter? Sagen Sie es doch einfach.

Unsere gemeinsame Tourismusstrategie war so erfolgreich, dass wir in Bezug auf fast alle Parameter hinter Bayern auf Platz zwei liegen. Baden-Württemberg haben wir in den letzten Jahren überholt.

Drittens. Auch nicht ganz klar definiert ist die Aussage zu zwei möglichen Megatrends. Digitalisierung – das ist richtig – ist eine ganz wichtige Sache. 2008/2009 gab es noch keine Smartphones. Das ist vorhin schon gesagt worden. Internationalisierung und Globalisierung gehören für mich zusammen. Deshalb ist das die zweite Seite der großen Herausforderungen. Es sind damit zwei Megatrends.

Viertens. Was verstehen Sie, liebe Antragsteller, unter einer geeigneten Finanzierungsstruktur? Das müssen wir genau beobachten. Denken Sie daran, Haushaltsstellen zugunsten der Tourismuswirtschaft zu kürzen oder ganz zu streichen? Werden die Beitragszahlenden durch eine eventuell neue institutionelle Landesförderung entlastet? Wie werden die europäischen Fördertöpfe einbezogen?

Dies für heute in aller Kürze als Einstieg in die Debatte. Ich freue mich auf viele innovative Beiträge in den Ausschusssitzungen. Schauen wir mal, wie die Zustimmung am Ende aussehen wird. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fortmeier. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Abgeordneter Becker das Wort. Bitte schön.

Horst Becker*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal und vorneweg: Bezüglich der Überschrift des Antrags gibt es große Übereinstimmung. Es ist richtig, vom „Reiseland Nordrhein-Westfalen“ zu sprechen. Es ist auch richtig, von der „Erfolgsgeschichte Tourismus“ zu sprechen und zu sagen, dass diese weitergehen muss.

Dass du, lieber Holger, das Jahr deines Eintritts in den Landtag mit der Beendigung des Chaos gleichsetzt, ist humoristisch wertvoll – ob es tatsächlich auch weiterführend ist, sei dahingestellt.

Ich kann im Gegensatz zu dir die Zeit von vor 2005 nicht so gut beurteilen, stelle aber mit Blick auf die letzten zehn Jahre fest, dass es diese Entwicklung insgesamt gab und dass es sie vor allem – das wirst du jetzt vielleicht nicht so gerne hören, aber bestätigen müssen – in den letzten Jahren gab.

Ich möchte auf einige Zahlen hinweisen. Im Jahr 2017 hatten wir 23,3 Millionen Gäste, mehr als 1 Million als im Jahr zuvor, und vor allem 51,5 Millionen Übernachtungen, mehr als 2 Millionen als im Jahr zuvor.

Wenn man sich die letzten zehn Jahre ansieht, stellt man fest, dass wir einen Anstieg der Gästezahlen um mehr als 32 % und der Übernachtungen um 24 % hatten. Damit belegen wir hinter Bayern und Baden-Württemberg den dritten Platz unter den Bundesländern.

In den vergangenen zehn Jahren, vor allem in den vergangenen fünf Jahren, hatten wir bundesweit den mit Abstand stärksten Zuwachs. Insofern sind wir gut beraten, uns gegenseitig nicht die Erfolge abzusprechen. Darüber hinaus sollten wir bedenken, dass dies mit einer erheblichen Wertschöpfung verbunden ist.

Ich will deutlich darauf hinweisen, dass die Perspektiven dieses Antrags an einigen Stellen sehr verengt sind. Wir haben zwar 2009 und 2015 die Grundlagen gelegt, haben es aber nicht nur mit einer Veränderung bei der Digitalisierung und der Internationalisierung, sondern auch mit einer Veränderung beispielsweise beim Tourismus von älteren Menschen zu tun.

Dies gilt nicht nur für den Gesundheitstourismus, sondern auch für andere Formen wie zum Beispiel Radwandern und Ähnliches. Darüber gibt es beim Naturtourismus erhebliche Veränderungen. Es wird wieder mehr in der eigenen Heimat gewandert. „Heimat“ ist ja ein Lieblingsthema von euch. Dieser Begriff kommt zwar einmal vor, aber es wird keine ausreichende Verbindung gezogen. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen.

Rheinland-Pfalz stellt seinen neuen Nationalpark Hunsrück ganz groß heraus und verbindet ihn mit UNESCO Global Geopark Vulkaneifel auf der ITB; wir waren zusammen dort. Rheinland-Pfalz stellt damit den Naturtourismus nach vorne und sagt ganz deutlich: Das ist unser Wertschöpfungsaspekt.

Während man in Rheinland-Pfalz so vorgeht, streicht ihr hier in Nordrhein-Westfalen im Landesentwicklungsplan den Nationalpark Senne.

(Zuruf von der CDU)

Das heißt, ihr nehmt solche Perspektiven weg. Das ist ein Fehler, weil damit Zukunft weggenommen wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Norwich Rüße [GRÜNE]: So ist das!)

Wir müssen uns beispielsweise mit Blick auf Digitalisierung auch der Frage stellen, warum wir es bis heute nicht geschafft haben, dass aus den Mitteln des Wirtschaftsministeriums – auch zuvor, das ist nicht parteigebunden – die Apps für Radwandern, für Wandern in NRW nicht unter einer Dachmarke ordentlich beworben werden, und warum wir es bis heute nicht schaffen, dass elf Regionen, die eigene Vermarktungsstrategien haben, beispielsweise beim Radwandern, mit einer gemeinsamen Dachmarke vermarktet werden, wie das in anderen Bundesländern der Fall ist. Hier müssen wir alle zusammen herangehen. Dies fehlt jedoch in eurem Antrag.

Ich sage deutlich, dass wir der Überweisung sehr gerne zustimmen, da wir zusammen an der Weiterentwicklung – weil es eben ein gemeinsames Kind ist – arbeiten sollten.

Ich würde mich freuen, wenn die Fundamentalopposition der Regierung gegen die genannten Schlagworte nicht trägt und wir gemeinsam die Strategie fortschreiben, erweitern, modernisieren, an die heutigen Zeiten anpassen. Dazu gehören auch die Gesichtspunkte, die ich eben genannt habe.

Vielleicht denkt ihr auch noch einmal über den Nationalpark Senne nach. Auch das gehört zu einer fortschrittlichen Aufstellung für Tourismus. Das sieht man übrigens auch am Wirtschaftsministerium in Rheinland-Pfalz, an Bayern bei der CSU und an Grün-Schwarz in Baden-Württemberg.

Also, ein bisschen Öffnen wäre an dieser Stelle nicht schlecht, lieber Holger, liebe CDU.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Strotebeck das Wort. Bitte sehr.

Herbert Strotebeck (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Nächste Woche sind bekanntlich Pfingstferien. Viele Menschen werden die Ferien nutzen, um unser Bundesland zu erkunden.

Ich will nicht alle Jubeldaten wiedergeben, die in Ihrem Antrag stehen. Wenn beim Thema „Tourismus“ wirklich alles so rosig wäre, wie Sie es in Ihrem Antrag schildern, wäre ein solcher Antrag nicht erforderlich. Der Antrag ist also überflüssig, und er verschleiert, dass der Tourismus sein Potenzial bei Weitem nicht ausschöpft.

Sie schreiben, dass ein Großteil der Gäste aus Deutschland käme. Das ist nicht verwunderlich, jedoch glaube ich, dass wir genau an dieser Stelle großen Nachholbedarf haben und bei den Touristen, die unsere Großstädte besuchen, ein schlechtes Bild hinterlassen.

Es gibt Städte in Europa, in denen die Bevölkerung sich gegen uferlosen Tourismus erhebt – zum Beispiel in Barcelona und Venedig. In den Städten und Regionen NRWs kann ich solchen Widerstand glücklicherweise nicht vernehmen – im Gegenteil: Touristen wie Ortsansässige genießen gemeinsame Feste wie zum Beispiel den Japan-Tag in Düsseldorf.

Die ausländischen Touristen wundern sich vermutlich nur über die vielen großen Steinblöcke, die solche Feste begrenzen, und über die Polizisten mit schwerer Bewaffnung. Bei ihrer Einreise nach Deutschland über die Landgrenze haben die Touristen ja keinerlei Grenzschutz angetroffen.

(Beifall von der AfD)

Ihr Antrag zeichnet ein ausschließlich positives Bild von NRW und dem hiesigen Tourismus. Dies mag aus Werbegründen auch geschickt sein, ist politisch aber falsch. Wir müssen die Faktoren benennen, weshalb Touristen möglicherweise nicht oder nicht mehr zu uns kommen.

Wenn potenzielle Touristen im Internet lesen, dass die öffentlichen Busse zu manchen Tageszeiten nur einmal in der Stunde oder gar nicht fahren, das Fahrkartensystem selbst für Einheimische kompliziert ist, der Vorder- und Hinterausgang des Hauptbahnhofs zum Slalomlauf zwischen Urin und rumänischen Bettelbanden wird und der Zustand der ständig und überall verstopften Straßen teilweise miserabel ist, dann lesen sie einen Artikel über die Landeshauptstadt Düsseldorf – und in Köln ist es auch nicht viel besser.

Aber wissen Sie, was die potenziellen Touristen im Ausland noch über unsere Städte in NRW lesen? – Dass es gefährlich ist, sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Städte wie London, New York oder Rom sind beliebte Touristenziele an Silvester. Unsere Großstädte sind hingegen Ziele, die mittlerweile an Silvester von Einheimischen und Touristen gleichermaßen gemieden werden – zumindest von denen, die nicht zum Rauben und Vergewaltigen unterwegs sind.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der CDU)

Tausende Polizisten, die nicht an den Grenzen kontrollieren sollen, müssen an Silvester unsere Innenstädte gegen Tausende illegale Eindringlinge verteidigen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Das ist ja schon …!)

Die Silvesternacht ist nur ein sehr prominentes Beispiel, das dem Ansehen und damit natürlich auch dem Tourismus in NRW nachhaltig schadet.

(Frank Boss [CDU]: Setzen, 6!)

Selbst in der fernen Volksrepublik China – wir hatten es schon gehört – bekommen die Menschen mit, was CDU, SPD und die Grünen in den letzten Jahren hier angerichtet haben.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Zwei chinesische Studentinnen sind 2016 in Bochum fast zu Tode vergewaltigt worden. Der Täter ist – Sie ahnen es – ein sogenannter Flüchtling aus dem Irak. Das chinesische Generalkonsulat sah sich gezwungen, eine Reisewarnung an alle chinesischen Staatsbürger herauszugeben. – Das kann man nicht ignorieren und übergehen.

Auf der chinesischen Plattform „Weibo“ wurde der viel beachtete Text „Das ist Deutschland“ veröffentlicht. Eine junge Asiatin schildert dort ihre Eindrücke vom bunten NRW und warnt andere – Zitat –: Informiert Euch vor der Reise, ob Flüchtlingsheime in der Nähe sind. Als Frau dürft ihr auf keinen Fall alleine nach draußen gehen – egal zu welcher Tageszeit. – Zitatende.

Dass man mittlerweile zu jeder Tageszeit und in jeder noch so friedlich anmutenden Umgebung als Urlauber bunte Begegnungen machen kann, hat auch ein Pärchen in Bonn auf bitterbunte Weise erfahren. Ein selbsternannter Flüchtling aus Ghana hat dieses Pärchen überfallen und die Frau vergewaltigt.

In einem Zug wurden Touristen aus Hongkong von einem Merkel-Gast mit einer Axt angegriffen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ach komm!)

Die zahlreichen sogenannten Einzelfälle sogenannter Flüchtlinge schaden dem Ansehen

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

von NRW in der Welt und damit natürlich auch dem Tourismus. Das ist Deutschland 2018. Das können Sie auch mit Ihren Jubelstatistiken nicht übertünchen.

(Beifall von der AfD)

Sprechen Sie mal mit asiatischen Touristen

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

vor und nach der Reise. Schauen Sie doch mal nach Hongkong, Dubai, Tokio oder Singapur. Sehen Sie sich doch dort die Bahnhöfe und den öffentlichen Raum an.

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Da sind Sie auch täglich und reden mit denen!)

Dort werden Touristen zu keiner Tageszeit von Horden sogenannter Flüchtlinge angemacht, angepöbelt oder – wie heißt es so schön? – gemessert.

(Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Darf ich Sie auf das Ende der Redezeit aufmerksam machen?

Herbert Strotebeck (AfD): Diese Länder und Städte schaffen es sogar, gleichzeitig wirtschaftlich und erfolgreich zu sein.

Grenzschutz schützt Touristen – und nebenbei übrigens uns auch. Es muss wohl erst die AfD regieren, damit ausländische Touristen wieder sicher sind. Das dauert noch vier Jahre. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Strotebeck für die Fraktion der AfD. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn man sehr sachlich bleiben will: Manchmal fragt man sich, ob man tatsächlich in völlig unterschiedlichen Welten zu Hause sein kann.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Ich muss allerdings sagen: Das, was Sie eben vorgetragen haben, Herr Abgeordneter, ist weit weg von dem, was ich sowohl im Land Nordrhein-Westfalen als auch in Deutschland wahrnehme.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist klar!)

Das ist auch durch Statistiken belegt. Die Menschen sind ja informiert; das haben Sie ihnen dankenswerterweise positiv unterstellt. Im Tourismus schreiben wir seit Jahren – auch im Jahr 2017 – einen Rekord nach dem anderen.

(Horst Becker [GRÜNE]: So ist das!)

Das gilt auch für Investitionen in Nordrhein-Westfalen durch ausländische Unternehmen. Wir werden es Ihnen in der nächsten Woche mitteilen können: Wir erwarten für 2017 wieder einen weiteren Anstieg der Investitionen

(Horst Becker [GRÜNE]: Schon seit vielen Jahren!)

durch internationale Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, die mit ihren Beschäftigten hierherkommen. Das würden sie nicht tun, wenn das zuträfe, was Sie hier fälschlicherweise gekennzeichnet haben.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Nachdem ich dies gesagt habe, möchte ich an den fröhlichen Beitrag von Holger Müller anknüpfen,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

weil er genau den richtigen Einstieg zum Tourismus, wie wir ihn uns in Nordrhein-Westfalen vorstellen, gefunden hat; denn er ist positiv zu sehen. Er ist positiv für unser Land, und er ist vor allen Dingen positiv für die Menschen, die hierherkommen.

Neben den eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sind es eben auch die Gäste aus anderen Bundesländern, aus den Nachbarländern und in zunehmenden Maße – das klang bereits an – auch aus weit entfernten Ländern, gerade auch aus Asien, die touristische Leistungen in Anspruch nehmen.

Sie haben erkannt, dass man sich hier in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen ganz hervorragend touristisch betätigen kann. Das sind der Freizeittourismus, der Gesundheitstourismus, natürlich auch der Messetourismus – das muss man auch anerkennen, und das wollen wir auch –, aber es sind eben auch der Abenteuertourismus, der Städtetourismus, der Kultur-, der Kreativ- und, lieber Herr Becker, auch und in wachsendem Maße der Naturtourismus. Das steht außer Frage.

Wir haben drei große Trends, die uns in vielen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft herausfordern, die aber auch neue Chancen eröffnen – das wurde hier debattiert –: die Digitalisierung, die Globalisierung und – ich füge es hinzu – die Neoökologie, wie man das heute bezeichnet. Das heißt, dass die Menschen unter guten Umweltbedingungen ihren Urlaub und ihre Freizeit verbringen wollen und dass sie auch hohe Anforderungen an die Qualität eines Standortes haben. Darin sehe ich eine große Chance für Nordrhein-Westfalen.

Wir befinden uns in einer Phase, in der wir den Strukturwandel überwinden, nachdem wir schon seit Jahrzehnten dabei sind, unser Land so zu präsentieren, dass man sich hier mit einer guten Umwelt, mit einer guten Infrastruktur und mit einem guten Kulturangebot wohlfühlen kann.

Nur wenn wir das so weiterentwickeln, sind wir attraktiv für Touristen, aber auch attraktiv für diejenigen, die hier investieren wollen, die in diesem Land vielleicht ihre Zukunft finden, hier wohnen, hier arbeiten oder hier eben auch bleiben wollen, wenn sie mit ihrem Studium fertig sind, und die eben nicht Angebote aus anderen Regionen Europas wahrnehmen möchten. Hier besteht ein riesiges Potenzial.

Ich freue mich auch über die Zusammenarbeit mit der Kreativwirtschaft und dem Tourismus, weil wir dadurch auch Synergien heben können zwischen dem Tourismus auf der einen Seite und einer attraktiven Standortentwicklung auf der anderen Seite.

Dafür bedarf es entsprechender Voraussetzungen. Wir müssen die Infrastruktur im Land verbessern, von der digitalen bis zur realen Infrastruktur, die beide weiter ausgebaut werden müssen. Auch die Verkehrsinfrastruktur ist natürlich ein wichtiges Thema. Unser Verkehr ist immer noch relativ stauintensiv. Auch das ist eine Herausforderung.

Das gilt aber auch für den öffentlichen Personennahverkehr. Hierbei gibt es auch zusätzliche Initiativen, den Rhein-Ruhr-Express und viele mehr. Wenn wir hier anders vertaktet sind, können wir für Touristen noch attraktiver werden, weil man in kurzen Zeitabständen sehr viele Metropolen, Kultureinrichtungen, Museen und anderes besuchen. All das sind Attraktivitäten, die andere Standorte in dieser Weise nicht haben.

Dazu gehören natürlich auch Nationalparks. Hier aber muss ich sagen, lieber Herr Becker, haben wir bereits entsprechende Ausstattungen. Wir sollten erst mal sehen, dass wir die Nationalparks, die wir haben, touristisch noch stärker bewerben und erschließen, damit wir die vorhandenen Potenziale noch besser nutzen können.

Ich denke, dass wir, wenn wir in diese Megatrends investieren und auch unsere organisatorischen und personellen Bedingungen, die wir hier geschaffen haben, weiterentwickeln und uns entsprechend positionieren, große Chancen haben, die Erfolge fortzuschreiben.

Im Jahr 2017 haben wir die Schallmauer von 50 Millionen Übernachtungen durchbrechen können. Da ist noch mehr Potenzial, auch beim sehr zahlungskräftigen Tourismus. Das wollen wir erschließen. Wir sind seitens der Landesregierung jedenfalls dankbar für die Initiative, und wir sind auch dankbar für weitere Anregungen.

Herr Becker, Sie haben die App für das Radwandern erwähnt. Mir war gar nicht bewusst, dass es da schon wiederholt Initiativen gab, die nicht fruchtbar geworden sind. Ich greife das gerne auf.

(Horst Becker [GRÜNE]: Die wird in 14 Tagen sogar noch mal modernisiert vorgestellt!)

– Wunderbar.

Wir können und sollten alles nutzen, um die vorhandenen Potenziale zu heben. Wir haben im Tourismus vielfältige Interessen der Reisenden, kulturelle, sportliche und sonstige Schwerpunkte. Nordrhein-Westfalen hat eigentlich alles zu bieten, und das sollten wir auch entsprechend sichtbar machen.

Wir freuen uns über die Beratungen im Ausschuss und auf Ihre weiteren Vorschläge. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu dieser Aussprache nicht vor. Wir befinden uns also am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt uns die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2565 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Darf ich die Zustimmung des Hohen Hauses feststellen? Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Nicht der Fall. Dann ist das einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

15 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen – Änderungsgesetz BauGB-AG NRW –

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2566

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Schrumpf das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Fabian Schrumpf (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere ländlichen Regionen in Nordrhein-Westfalen zeichnen sich durch kleine, traditionell geprägte Siedlungen und Ortschaften sowie durch vielfältige Natur- und Kulturlandschaften aus. Wir sind zudem Standort einer leistungsstarken Land- und Forstwirtschaft.

Ländliche Regionen und die Landwirtschaft unterliegen jedoch seit Jahren einem starken Wandel und stehen auch künftig vor großen demografischen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Wir als NRW-Koalition sind verlässliche Partner der Land- und Forstwirte, und wir begleiten die Bürgerinnen und Bürger bei der Bewältigung der Herausforderungen, die dieser Strukturwandel mit sich bringt.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen ist eine unserer Maßnahmen, um diesen anhaltenden Strukturwandel positiv zu begleiten. Hiermit werden wir den vielen landwirtschaftlichen Betrieben in Nordrhein-Westfalen dabei helfen, eine Umnutzung ihrer baulichen Anlagen zu erleichtern.

So sollen all jene Anlagen, die bisher unter die privilegierte landwirtschaftliche Nutzung im Sinne des § 35 des Baugesetzbuches fielen – seien es ein ehemaliger Pferde- oder Kuhstall, eine alte Scheune, vielleicht auch ein ausgedienter Geräteschuppen –, leichter und vor allem unbürokratischer in eine neue, nichtprivilegierte Nutzung umgewandelt werden können.

Dadurch wird verhindert, dass die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung einer baulichen Anlage zu Leerstand oder gar zu einem Verfall der Bausubstanz führt. Das Bundesrecht sieht grundsätzlich vor, dass die Aufgabe der privilegierten landwirtschaftlichen Nutzung maximal sieben Jahre zurückliegen darf.

Der Bundesgesetzgeber hat jedoch wegen des anhaltenden Strukturwandels in der Landwirtschaft den Ländern die Möglichkeit gegeben, selbst über eine Aussetzung dieser Siebenjahresfrist zu entscheiden. Die Anwendung dieser Ermächtigung wird in Nordrhein-Westfalen seit nunmehr 15 Jahren erfolgreich umgesetzt – dies allerdings stets befristet. Eben diese Befristung läuft zu Beginn des kommenden Jahres aus, wenn nicht gehandelt wird.

Wenn wir nun also nicht erneut Gebrauch davon machen, würde in Nordrhein-Westfalen ab 2019 die Siebenjahresfrist wieder gelten, und eine Umnutzung würde erschwert. Zusätzlicher bürokratischer Aufwand würde entstehen. Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnen wir als NRW-Koalition im Sinne unserer nachhaltigen Strategie für den ländlichen Raum entschieden ab.

Eine Umnutzung unter erleichterten Bedingungen von im Außenbereich liegenden leerstehenden Ställen oder Scheunen muss auch dann möglich sein, wenn sie zuletzt in den 1990er-Jahren landwirtschaftlich genutzt wurden.

Unserer Nachhaltigkeitsstrategie entsprechend dient diese Regelung gerade auch dem Schutz wertvoller natürlicher Ressourcen und trägt auch zur Reduzierung von Flächeninanspruchnahme bei.

Anders als in den vergangenen Jahren sorgen wir mit dem vollständigen Wegfall der Befristung des Gesetzes für ein Mehr an Verlässlichkeit und Planbarkeit bei den Rechtsanwendern und einen für die Betroffenen spürbaren Bürokratieabbau.

Seit Bestehen der derzeitigen Regelung – wir sprechen hier immerhin vom Jahr 2003 – haben sämtliche Erfahrungswerte bis heute gezeigt, dass in der Umsetzungspraxis keinerlei Anhaltspunkte für darin begründete Fehlentwicklungen im Außenbereich aufgetreten sind. So ließ sich im Vollzug der Bauaufsichtsbehörden auch nicht feststellen, dass ein Prüfungsverzicht der Zulässigkeitsvoraussetzung missbräuchlich zur Umnutzung und infolgedessen zu einer verstärkten befürchteten Zersiedelung des Außenbereichs geführt hätte.

Wir als NRW-Koalition wollen lebenswerte und attraktive ländliche Räume. Wir wollen die ländlichen Räume weiter stärken und die Entwicklungspotenziale vor Ort fördern. Der vor Ihnen liegende Gesetzentwurf macht genau das und ist daher ein weiterer Schritt zur Stärkung und Entfaltung des ländlichen Raumes.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schrumpf. – Als nächster Redner hat für die ebenfalls den Gesetzentwurf einbringende Fraktion der FDP der Abgeordnete Paul das Wort. Bitte schön.

Stephen Paul*) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verstehen jedenfalls die Bedürfnisse im ländlichen Raum, die Menschen, die dort leben, die auf dem Lande in den kleinen Städten zu Hause sind. Wir erleichtern ihnen, wo es möglich ist, das Leben. Wir mobilisieren Wohnraumpotenziale. In diesem Sinne verstehen wir unsere heutige gemeinsame Initiative.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jahrhundertelang waren weite Teile unseres Landes durch die Landwirtschaft geprägt; ein Großteil ist es bis heute. Machen wir es diesen Menschen dort leichter.

Wir wollen jetzt eine weitere bürokratische Hürde abschaffen. Ab dem 1. Januar 2019 müsste eigentlich wieder eine Prüfung durchgeführt werden. Vor einer möglichen Umnutzung von Gebäuden wird verlangt, dass die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr als sieben Jahre zurückliegt.

Die Menschen brauchen diese Prüfung, diese Einschränkung nicht. Wir werden diese unselige Siebenjahresfrist in unserem Land jetzt endlich ganz abschaffen, für immer. So bieten wir unseren nordrhein-westfälischen Landwirten mehr Planbarkeit, mehr Verlässlichkeit für die Zukunft ihrer Höfe.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Sachverständige raten schon lange dazu. Auch der Präsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes sprach vor einigen Jahren von einem Bekenntnis der gesamten Landespolitik, den ländlichen Raum zu stärken und die Entwicklungsfähigkeit voranzubringen.

Von Ihnen, der damaligen Regierungsmehrheit, hätte ich mir seinerzeit schon mehr Mut gewünscht. Sie hätten schon die Chance gehabt, diese unsinnige Prüfung dauerhaft in unserem Land abzuschaffen, nicht immer nur auszusetzen.

Jeder kann doch sehen, dass es in Baden-Württemberg, in Bayern oder in Niedersachsen wunderbar ohne diese Prüfung funktioniert. Wir zeigen jetzt den Mut. Wir von der CDU und der FDP gehen jetzt den richtigen Schritt und schaffen diese Prüfungsbürokratie auch hier in Nordrhein-Westfalen endlich ganz ab.

Wir befreien damit die Landwirte von einer unnötigen Vorschrift, wie sie ihre Hofställe nutzen dürfen, denn die Höfe sind doch ihr Eigentum. Wir sprechen über das Eigentum der Landwirte. Wer hat denn etwas davon, dass Gebäude auf Hofställen leer stehen, bis alles auseinanderfällt? Ich frage Sie: Warum soll denn in der leer stehenden Scheune keine moderne Wohnung entstehen dürfen?

Wir reden uns ja hier im Landtag manchmal die Köpfe heiß über den Wohnraummangel. Aber bis heute bestehen Vorschriften wie diese, die es erschweren, den Bestand vorhandener Wohnraumpotenziale auszuschöpfen.

Wer nicht an eine solche Wohnnutzung denken mag, den frage ich: Was will er denn dagegen haben, in der alten Scheune einen Hofladen mit leckeren Lebensmittel aus regionaler Erzeugung zuzulassen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie also mit uns gemeinsam, denken Sie neu! Stimmen Sie zu, und befreien Sie unsere landwirtschaftlichen Familienbetriebe von einer unnötigen Fessel!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Paul. – Für die Fraktion der SPD hat der Abgeordnete Wolf das Wort. Bitte schön.

Sven Wolf (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden Vorredner haben, glaube ich, das Hauptproblem schon zutreffend umrissen. Dann muss ich Sie jetzt nicht hier auf eine vielleicht etwas trockene Reise in das deutsche Baurecht entführen: Es geht im Kern um die Privilegierung, Bauen im Außenbereich, § 35 Baugesetzbuch.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer mal wieder Debatten in Nordrhein-Westfalen. Ich habe mir einige Plenardebatten angeschaut: Das war zu Beginn der 2000er-Jahre doch eine teilweise sehr hitzige Diskussion, die hier die Kolleginnen und Kollegen vor uns an diesem Rednerpult geführt haben.

Das hat sich aber, Herr Kollege Schrumpf, in den letzten Jahren deutlich entspannt. Das will ich Ihnen auch als Signal für die SPD-Fraktion hier schon einmal direkt mitgeben, dass wir diesem Gesetzentwurf durchaus wohlwollend und positiv gegenüberstehen.

In den letzten Jahren, zuletzt noch im Jahr 2015, ist von dieser Ausnahme, also der Aussetzung dieser Siebenjahresfrist, Gebrauch gemacht worden. Damals ist dieser von SPD und Grünen eingebrachte Gesetzentwurf auch einstimmig beschlossen worden.

Ich glaube also, dass es im Baubereich durchaus umstrittenere Themen gibt, bei denen es sich lohnt, dass wir vielleicht auch sehr hart, mit harten Bandagen miteinander streiten. Dieser Punkt – das hat auch die Praxis der letzten Jahre gezeigt – ist, glaube ich, nicht dafür geeignet. Die Anzahl der privilegierten Genehmigungen im Außenbereich ist doch durchaus überschaubar.

Sie schlagen nun vor, von dieser Befristung keinen Gebrauch mehr zu machen und grundsätzlich diese Siebenjahresfrist zu streichen. Es gäbe dann also keine Verfallsklausel mehr. Ich würde, wie gesagt, Ihnen zunächst einmal ein Wohlwollen signalisieren.

Allerdings sollten wir im Ausschuss noch einmal ein bisschen darüber diskutieren, wie wir trotzdem weiterhin diese Herausforderung im Auge behalten.

Eine Anregung, die ich Ihnen mitgebe, die wir vielleicht im Ausschuss diskutieren können, wäre, die Regierung zu bitten, in bestimmten Jahresabständen noch einmal zu berichten, sodass wir dann bei Bedarf entscheiden: Die Aussetzung der Siebenjahresfrist ist nicht mehr zeitgemäß, oder wir lassen sie weiterlaufen. – Das wäre eine der Anregungen, die ich Ihnen mit auf den Weg geben will.

Natürlich stimmt die SPD-Fraktion der Überweisung sehr gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Abgeordneter Remmel das Wort.

Johannes Remmel*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte die Debatte nicht unnötig verlängern, weil die Rahmenbedingungen im Großen und Ganzen bekannt sind.

Nur der eigentliche Ausgangspunkt, warum wir überhaupt darüber reden, liegt, glaube ich, noch etwas tiefer. Es geht ja nicht in erster Linie um die Privilegierung. Die Privilegierung muss man deshalb machen, weil es einen Grundsatz gibt. Über den Grundsatz haben wir uns heute noch nicht unterhalten, und das ist der eigentliche Kern.

In Deutschland haben wir nämlich in der Raumordnung die zentralräumliche Gliederung festgelegt. Das ist auch ein gutes Prinzip. Denn es bedeutet am Ende des Tages für die Gemeinschaft günstigere Konditionen, was gemeinsame Ver- und Entsorgung angeht.

Darum geht es: um Verkehrswege, um Entsorgungswege, um Abwasser, um Abfall. All das zentralörtlich zu gliedern soll verhindern, dass die Landschaft zersiedelt wird und die Kosten für die Gemeinschaft für Ver- und Entsorgung zu hoch werden.

Davon gibt es eine Ausnahme, die ich richtig finde, nämlich für die Landwirtschaft.

Wenn man dieses Prinzip, die Privilegierung, aber dauerhaft erhalten will und darüber keine Diskussion haben möchte, dann muss man damit sorgfältig umgehen. Das kann kein Allerweltsrecht sein, weil wir sonst in der Siedlungsentwicklung dauerhaft Strukturen bekommen, wie wir sie aus Frankreich kennen und wie wir sie aus Italien kennen und die nicht unbedingt zur Verbesserung führen, sondern eher zu Verschlechterungen.

Deshalb rate ich sehr dazu, sich jenseits der ideologischen Ausführungen, die gerade von den Koalitionsrednern girlandenmäßig um das Thema gemacht worden sind, sehr nüchtern damit zu beschäftigen.

Ein Grundsatz der bisherigen Debatten und Gesetzgebung war ja auch immer: Lasst uns auf Zeit gucken. Lasst uns schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Was tut sich da? Lasst uns vor allem Erfahrungen einbringen.

Das kann ich jetzt bei dem Gesetzesvorschlag noch nicht erkennen. Ich hätte erwartet, dass es einen Bericht, eine Evaluierung der Landesregierung gibt.

Ich würde auch darum bitten, bis zur Ausschussberatung eine entsprechende Berichterstattung vorzulegen. Das war jedenfalls intendiert mit der damaligen Befristung und der damaligen Debatte, im Übrigen auch schon einmal vorgeschlagen, als Sie in Verantwortung waren, eine jeweilige Berichterstattung hier zu implizieren.

Was wir nicht wollen können, ist, dass durch die Privilegierung sozusagen durch die Hintertür Dinge auf dem Lande entstehen jenseits von Wohnungen, die wir jedenfalls nicht in der freien Landschaft gebrauchen können mit neuem Verkehr, mit neuen Gewerbeansiedlungen und eben mit neuen Problemen, was Ver- und Entsorgung angeht. Das jedenfalls sollten wir verhindern.

Insofern: Eine Ausschussdebatte ist richtig, aber ich wiederhole die Anregung: bitte auf der Grundlage einer ordentlichen Evaluierung und Berichterstattung zur bisherigen Praxis und Entwicklung gerade im ländlichen Raum. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Beckamp das Wort.

Roger Beckamp (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sehen das genauso wie die ersten drei Redner. Deswegen mache ich nicht viele Worte.

Die Hinweise von Herrn Remmel sind auch durchaus bedenkenswert. Insofern freuen wir uns auch darauf, da noch einmal genauer einzusteigen.

Ansonsten unterstützen wir das und stimmen zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beckamp. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Nehmen wir Karl Valentin: Es ist alles gesagt, nur noch nicht von jedem. – Daran halte ich mich. Wir nehmen das mit, insbesondere die Bitte, die Evaluierung für die Beratungen des Ausschusses vorzulegen. Wir werden das vorbereiten und freuen uns auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.

Den Antrag der regierungstragenden Fraktionen können wir allerdings mehr als gut nachvollziehen.

Die Überweisung unterstützen wir natürlich auch. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können.

Wie schon von allen Rednern erwähnt, empfiehlt der Ältestenrat uns die Überweisung des Gesetzentwurfes mit der Drucksachennummer 17/2566 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen.

Da alle Fraktionen erklärt haben, dass sie dieser Überweisung positiv gegenüberstehen, frage ich jetzt noch, ob sich irgendjemand der Stimme enthalten möchte oder dagegen stimmen möchte. – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig überwiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

16 Konsequenzen aus dem Apothekerskandal in Bottrop ziehen – Verunsicherte Patientinnen und Patienten nicht allein lassen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1443

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/2589

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2621

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Preuß das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer mit seinem Fahrzeug bei Grün in die Kreuzung einfährt, der vertraut darauf, dass der Querverkehr Rot hat, ohne dass er vorher aussteigt und nachprüft, ob das stimmt.

Wer zum Arzt oder zum Apotheker geht, der vertraut darauf, dass er die richtige Behandlung bekommt. Er vertraut darauf, dass er die richtigen Medikamente mit den richtigen Wirkstoffen erhält. Er vertraut auf die Fachkompetenz. Dieser Vertrauensgrundsatz ist die elementare Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens; denn ohne Vertrauen würde das Zusammenleben nicht funktionieren.

Der Bottroper Apothekerskandal ist ein schwerer Schlag gegen dieses Vertrauen und verdient die schärfste Form unserer Missbilligung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wer den Vertrauensgrundsatz verletzt, weil er bewusst gegen geltende Gesetze und Regeln, die den Rahmen dieses Vertrauens bilden, verstößt, stellt sich außerhalb der Gesellschaft und muss auch mit Strafe rechnen – erst recht, wenn aus diesem Verhalten noch finanzielle Vorteile gezogen werden.

Das Fehlverhalten einer einzelnen Person darf aber nicht dazu führen, einen ganzen Berufsstand zu diskreditieren oder zu kriminalisieren. Dies würde das Miteinander und das Vertrauen der Menschen untereinander, die diese Gesellschaft zusammenhalten, erst recht zerstören.

Die Onkologie-Schwerpunktapotheken mit den passgenauen Zytostatika für die jeweilige Krebstherapie haben eine wichtige Funktion bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten. Die Erkrankten müssen darauf vertrauen können, dass die Medikamente in einer einwandfreien Qualität hergestellt und geliefert werden. Die Apothekerinnen und Apotheker, deren Aufgabe es ist, den Menschen zu helfen, kommen dieser großen Verantwortung nach.

Für die betroffenen Krebspatientinnen und ‑patienten bedeutet der Apothekerskandal eine persönliche Katastrophe. Die Menschen sind sehr verunsichert hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit sie selbst betroffen sind. Ihr Vertrauen ist stark erschüttert.

Sie können sich unseres tiefen Mitgefühls sicher sein. Jeden von uns kann ein solcher Fall treffen, in dem sein Vertrauen derart verletzt und enttäuscht wird. Ich möchte allen Betroffenen sagen, dass Sie nicht alleine gelassen werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt daher ausdrücklich die von der Landesregierung seit August 2017 eingeleiteten Maßnahmen zur effektiven Überwachung der Onkologie-Schwerpunktapotheken in Nordrhein-Westfalen. Das ist der richtige Weg, um die Vertrauensbasis zwischen Patienten und Apothekern zu erhalten.

Damit dieser erfolgreiche Weg fortgesetzt werden kann, bitten wir die Landesregierung, gemeinsam mit den Apothekerkammern die Kontrollen weiterzuentwickeln, beispielsweise durch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist aber besser. Wir verstehen Kontrolle nicht als Repression, sondern als Qualitätsmerkmal. Es geht darum, immer besser zu werden.

Aus unserer Sicht muss zudem geprüft werden, inwieweit die Information der potenziell betroffenen Patientinnen und Patienten über die bislang ergriffenen Maßnahmen hinaus verbessert werden kann.

Zudem erachten wir es als sinnvoll, zu prüfen, ob eine Auswertung von Patientendaten zu wissenschaftlich belastbaren Ergebnissen hinsichtlich möglicher Unterschiede zwischen den Krankheitsverläufen von Patienten, die Zytostatika aus der Alten Apotheke Bottrop bzw. aus anderen Apotheke erhalten haben, führen würde. Die Landesregierung hat die geeigneten Maßnahmen bereits eingeleitet.

Wir lehnen den Antrag der SPD ab, da er insbesondere einen deutlichen Unterschied zu dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag aufweist, nämlich dass die Apotheker insgesamt unter Generalverdacht gestellt werden. Wir jedoch sehen Kontrolle nicht als Repression, sondern als Qualitätsmerkmal. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Kollegin Gebhard das Wort.

Heike Gebhard (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Preuß, ich bin ganz bei Ihnen: Der Vorgang, der Ende 2016 seinen Anfang nahm und erst 2017 in seinem gesamten Ausmaß erfasst werden konnte, hat Vertrauen zerstört.

Wir als Politik sind gehalten, darüber nachzudenken, wie dieses Vertrauen wiedergewonnen werden kann. Genau so ist unser Antrag zu verstehen, den wir bereits im Dezember 2017 hier eingebracht haben.

Es wird Ihnen schwerfallen, uns nachzuweisen, dass in diesem Antrag mit einem einzigen Wort stehen würde, dass wir eine ganze Profession, nämlich die der Apotheker, in irgendeiner Weise unter Generalverdacht stellen würden. Das liegt uns völlig fern.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben diesen Antrag ganz bewusst ohne Debatte ins Plenum eingebracht, um im Ausschuss die Option zu eröffnen, dass wir miteinander konstruktiv überlegen, was die geeigneten Maßnahmen sind, um das Vertrauen wiederherzustellen.

Dass das Vertrauen zerstört ist, kann man schon daran erkennen, dass die Apothekerkammern von sich aus Arbeitsgruppen gebildet haben, um zu prüfen, was sie von ihrer Seite aus an Maßnahmen ergreifen können, um wieder Vertrauen zu schaffen.

Am 31. Januar dieses Jahres haben wir die aus unserer Sicht offene Diskussion begonnen. Zu unserem Bedauern mussten wir feststellen, dass sowohl CDU als auch FDP sich nicht bereitfanden, sich mit unseren drei Forderungen auseinanderzusetzen. Sie haben sich vielmehr damit begnügt, darauf hinzuweisen, dass der Minister schon alles richten werde.

Der Minister ging in der gleichen Sitzung sehr viel konstruktiver mit unseren Vorschlägen um und sagte zu – Sie können es im Protokoll nachlesen –, den einen oder anderen Vorschlag von uns zu prüfen, auf den er selbst noch nicht gekommen sei.

Wir haben daraufhin die Beratung ausgesetzt. Denn uns geht es nicht darum, recht zu haben oder nicht recht zu haben, sondern darum, miteinander konstruktive Wege zu finden, um die Sicherheit für die Patientinnen und Patienten sowie für die behandelnden Ärzte zu verbessern und damit das Vertrauen in die Profession wieder zu stärken.

Nach drei Monaten haben wir den Minister gebeten, darüber zu berichten, was seine Prüfung bisher ergeben hat. Er hat in unserer Sitzung am 2. Mai dieses Jahres über die Ergebnisse der unangemeldeten Prüfungen berichtet, die in der Zwischenzeit stattgefunden haben und noch stattfinden. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass dabei die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht eingeschlossen sind.

Bottrop ist aber genau deshalb aufgeflogen, weil der kaufmännische Leiter gemerkt hat, dass der Einkauf von Wirkstoffen und der Output von Wirkstoffen nicht zusammenpassten. Es hätte viel mehr eingekauft werden müssen.

Wir haben festgestellt, dass solche Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht vorgesehen sind. – Sie haben sich in dieser Sitzung wiederum nicht konstruktiv an der Diskussion beteiligt.

Der Minister hat darüber hinaus aufgrund unserer Nachfragen festgestellt, dass er die Untersuchungen der AOK Rheinland sehr wohl zur Kenntnis genommen hat: Wie ergeht es den Patientinnen und Patienten, die mit Medikamenten aus dieser Bottroper Apotheke beliefert worden waren, im Vergleich zu denjenigen, die von anderen Apotheken beliefert worden waren? – Er hat eine wissenschaftliche Prüfung in Auftrag gegeben, um festzustellen: Macht das auch bei anderen Krankenkassen Sinn? Kann man mit Ergebnissen rechnen, wenn man das für alle Krankenkassen untersucht?

Sie haben in jener Sitzung unseren Antrag abgelehnt – ohne jegliche Alternativen. Vorgestern sind Sie dann mit Ihrem Entschließungsantrag gekommen, der nichts anderes enthält als zwei unserer Forderungen, nämlich die Wirtschaftlichkeitsprüfung und die Frage, was mit den Rückläufern zu passieren hat, also mit den Zytostatika, die nicht zur Anwendung gekommen sind. Sie fordern jetzt, dies zu prüfen.

Außerdem fordern Sie, die aktuell stattfindende – bereits in Auftrag gegebene – Prüfung durch das MAGS noch als Auftrag zu vergeben. Entschuldigen Sie bitte, aber das ist, mit Verlaub, lächerlich.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist keine Alternative, sondern einfach nur lächerlich.

Wer jetzt nach sechs Monaten – so lange stehen unsere Vorschläge im Raum – nicht in der Lage ist, zu sagen: „Diese Forderungen sind gut, oder nicht“, sondern einen Prüfauftrag erteilen will, kann von uns keine Zustimmung erwarten. In diesem Sinne müssen Sie mit unserem Abstimmungsverhalten leben. Es tut mir leid, dass wir nicht zueinander gefunden haben. Wir waren dazu offen, unser Gegenüber leider nicht. – Danke schön.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Schneider das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Susanne Schneider (FDP): Werte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Skandal in der „Alten Apotheke Bottrop“ hat, wie wir gehört haben, viele Krebspatientinnen und -patienten betroffen, die jetzt mit der Verunsicherung leben müssen, nicht zu wissen, ob sie Zytostatika-Zubereitungen mit deutlich reduzierter Wirkstoffmenge oder ganz ohne Wirkstoffe erhalten haben. Sie können auch nicht beurteilen, inwiefern sich dies auf ihren Krankheitsverlauf auswirkt. – Ich denke, wir sind uns alle einig: Diese Patientinnen und Patienten wollen wir nicht alleinlassen.

Wir dürfen aber auch nicht außer Acht lassen, dass es sich um einen schon beschriebenen Einzelfall handelt – um einen Apotheker, der diese Zubereitungen mit erheblicher krimineller Energie ausgegeben hat und dabei ein Versagen der Chemotherapie bewusst in Kauf genommen hat. Über diesen Einzelfall wird die Justiz urteilen.

Die bisherigen Kontrollen haben aber keinen vergleichbaren Verdacht gegenüber anderen Apotheken ergeben. Da, werte Kollegin von der SPD, unterscheiden wir uns doch. Ihr Antrag liest sich für mich wie ein Generalverdacht gegen die ganze Apothekerschaft – auch gegen die Onkologie-Schwerpunktapotheken.

Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass die damalige rot-grüne Landesregierung nach der Verhaftung des Bottroper Apothekers über Monate komplett untätig blieb. Die neue Landesregierung hingegen hat gehandelt. Minister Laumann hat im August letzten Jahres neue Vorgaben zur Apothekenüberwachung durch die Kreise und kreisfreien Städte herausgegeben, die sich unter anderem auf unangemeldete Inspektionen und die Entnahme von Proben beziehen.

Weiterhin haben wir aus den Mitteln zur Förderung der Krebsberatung 20.000 € für eine Stelle in Bottrop zur Verfügung gestellt, um betroffene Patientinnen und Patienten besser beraten und betreuen zu können, was ausgesprochen wichtig ist.

Die NRW-Koalition wird noch weiter handeln. Wir werden gemeinsam mit den Apothekerkammern die Überwachung von Onkologie-Schwerpunktapotheken fortführen und weiterentwickeln. Dazu werden wir prüfen, wie eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im Hinblick auf den Vergleich von Einkauf und Abgabe von Wirkstoffen umgesetzt werden kann. Wir werden ebenfalls prüfen, wie eine direkte Weiterleitung und Untersuchung nicht verbrauchter onkologischer Zubereitungen durch eine zentrale Stelle organisiert werden kann.

Wir wollen auch die Information von möglicherweise betroffenen Patientinnen und Patienten verbessern. Dabei werden wir prüfen, ob eine Auswertung von Patientendaten wissenschaftlich belastbare Ergebnisse zu Unterschieden bei den Krankheitsverläufen liefern kann.

Mit unserem Entschließungsantrag zeigen wir den richtigen Weg auf; denn die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP stellt keinen gesamten Berufsstand unter Verdacht. Wir vertrauen unseren Apothekern vor Ort. Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt und werben um Zustimmung für diesen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Grünen erteile ich dem Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Tat relativ viel über diesen Apothekerskandal geredet.

Eines möchte ich vorwegschicken: Man sollte bei diesem Thema nicht dem Versuch erliegen, damit Stimmung machen zu können; denn immerhin reden wir beim Apothekerskandal in Bottrop über einen Skandal, der dazu führt, dass Menschen, die von einer sehr, sehr schweren Krankheit betroffen sind, möglicherweise nicht die Heilung bekommen, die sie sich von den Medikamenten versprochen haben, und die jetzt in dieser Situation sehr unsicher sind.

Ich finde es einigermaßen merkwürdig, dass die Kollegin Schneider, die gerade gesprochen hat, erst die SPD ermahnt, nicht einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht zu stellen, und dann selber wieder billig Profit schlagen will, indem sie darauf abhebt, dass die neue Landesregierung super wäre und die alte versagt hätte. Das geben die Fakten einfach nicht her, Frau Kollegin.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich sagen: Das, was Minister Laumann in diesem Zusammenhang gemacht hat, lobe ich ausdrücklich. Das gilt nicht für den Einstieg; der war auch etwas populistisch, weil er meinte, er könnte mal eben so alles lösen. Nachdem er aber gemerkt hatte, dass man sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen muss, dass man Daten nicht mal eben so an die Patientinnen und Patienten weitergeben kann, hat er sich aus meiner Sicht relativ seriös mit der Sachfrage auseinandergesetzt.

Er hat dafür gesorgt, dass Beratungsmöglichkeiten angeboten wurden. Er hat dafür gesorgt, dass mit den Menschen gesprochen worden ist. Das ist genau das, was man in einem solchen Fall erwarten kann; denn immerhin geht es um eine der schwersten Bedrohungen, die es in Deutschland gibt, nämlich Krebs. Wenn eine Krebserkrankung nicht vernünftig behandelt wird, kann sie eben auch tödlich enden. Damit muss man sich vernünftig auseinandersetzen.

Ich kann nur daran appellieren, dass wir uns weiterhin seriös mit der Sachfrage auseinandersetzen, dass wir nach Möglichkeiten suchen – da ist der Minister gefordert –, wie die Kontrollen verschärft werden können, und wie dazu beigetragen werden kann, dass Apotheken ihre gute Arbeit, die sie in aller Regel tun, ausüben können. Da unterstütze ich, was der Kollege Preuß gesagt hat: dass man sich nicht als Laie damit auseinandersetzen muss, sondern dass das staatliche Stellen übernehmen müssen.

Insofern werden wir dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. Allerdings gehen wir davon aus, dass das Ministerium von sich aus noch einmal berichten wird. Ich kann nur an alle appellieren: Lassen Sie die Scharmützel sein! Sorgen Sie dafür, dass die Menschen mehr Vertrauen in die Politik und insbesondere in die Organe gewinnen, die dafür sorgen, dass in den Apotheken ein hoher Qualitätsstandard gilt. Die schrillen Töne können wir uns allemal sparen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD hat Herr Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Versuchen Sie, sich für einen Moment in die Lage der Geschädigten zu versetzen. Bei all den Fortschritten in der Medizin bleibt die Diagnose Krebs nach wie vor eine Zäsur für die Betroffenen. Viele sprechen daher nicht zu Unrecht von einer Schockdiagnose.

Zum Glück leben wir in Zeiten, in denen der Tod für weite Teile des Lebens gut zu verdrängen ist und wir uns relativ unbekümmert ins Leben stürzen können. Mit der Diagnose Krebs ist leider auch heute noch oftmals verbunden, dass der Tod plötzlich ein allzu reales Szenario wird. Ich denke, wir alle können die emotionalen Ausnahmezustände durch diese Erschütterung der scheinbaren Selbstverständlichkeit des Lebens nur erahnen.

Versuchen Sie trotzdem nachzuempfinden, was es dann heißt, sich von diesem Tiefschlag zu erholen, den Fehdehandschuh aufzunehmen und mit dem Krebs in den Ring zu steigen, seinen Mut und seine Kraft zusammenzunehmen und diesen Weg zu beschreiten, anstrengenden Chemotherapie-Zyklen und deren Nebenwirkungen zu trotzen, verbunden mit dem zeitweiligen Kontrollverlust, der mit zahlreichen medizinischen Untersuchungen der eigenen körperlichen Schwäche einhergeht, und das eigene Leid in den Augen der Angehörigen gespiegelt zu sehen.

Dann stellen Sie sich vor: Auf diesem Weg kommt die Botschaft, Ihre Medikamente sind vielleicht wirkungslos – nicht, weil der Krebs stärker ist, sondern weil ein Apotheker die Chemotherapeutika gestreckt hat. Das ist einer dieser Momente, in denen man – entschuldigen Sie bitte die Ausdrucksweise – angeekelt ist von dem, was Menschen Menschen antun. Ich kann daher sehr gut verstehen, dass die SPD einen Antrag zu diesem Thema stellt und nach schnellen und deutlichen Lösungen ruft.

Aber bei aller Empörung, bei allem Schmerz müssen wir uns trotzdem die Zeit nehmen, hier zu differenzieren: Wir haben es hier mit einem Fall beispielloser krimineller Energie zu tun, mit einem Mann, der die ganze Glaubwürdigkeit seines Berufsstandes infrage stellt. Bei allen Kontrollen, bei allen Versuchen, Sicherheit zu maximieren, können Sie sich nicht vollständig gegen diese kriminelle Energie absichern –

(Beifall von der AfD)

auch nicht, indem Sie einen Einzelfall, so schwer er auch wiegen mag, nehmen und einen ganzen Berufsstand – so kam es ebenfalls bei mir an – unter Generalverdacht stellen.

Apotheker setzen sich mit Leidenschaftlichkeit und Gewissenhaftigkeit für das Wohl ihrer Patienten ein. Ein schwarzes Schaf lässt mich nicht daran zweifeln. Es ist daher nur folgerichtig, mit den Apothekern zusammen, wie Minister Laumann es anstrebt – so sehr Opposition bedeutet, sich an der Regierung zu reiben –, Wege und Möglichkeiten zu suchen, diese Fälle in Zukunft bestmöglich zu verhindern.

Für Schnellschüsse ist dieses immens wichtige Thema nicht gemacht, so sehr ich den Ruf nach Handlung verstehen kann. Lassen Sie uns daher parteiübergreifend und vernünftig das machen, was geboten ist – allein schon, weil wir es den Betroffenen schuldig sind. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung hat Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Der Antrag und die ganze Debatte kommen mir manchmal so vor, als wenn die SPD jetzt richtig Mut bekommen hat, seitdem sie in der Opposition ist.

Die Wahrheit ist folgende: Der Apotheker in Bottrop ist im November 2016 verhaftet worden. Ich kam am 30. Juni 2017 ins Amt. In der Zeit von November 2016 bis zum 30. Juni 2017 hatte die damalige Landesregierung keine einzige Konsequenz aus dieser Problematik gezogen,

(Beifall von der CDU und der FDP)

obwohl das damalige Ministerium im zuständigen Gesundheitsausschuss über die Thematik berichtet hatte – aber null Konsequenzen.

Sie haben sieben Jahre regiert. Die Apothekeraufsicht gestaltete sich auch bei den Apotheken, die Krebsmedikamente herstellen, so: Alle Jubeljahre wurde mal kontrolliert, und dann auch noch angemeldet.

Dann kam ich ins Amt. Der Druck bei den Betroffenen, an die Adressen zu kommen, war groß. Über den Datenschutz in Nordrhein-Westfalen ist geklärt worden, dass das nicht geht. Wir haben alle Ärzte informiert, die von dieser Apotheke Medikamente bekommen haben, und sie aufgefordert, dass sie mit ihren Patienten reden.

Vor allen Dingen haben wir eingeführt, dass diese Apotheken kurzmaschig unangemeldet kontrolliert werden und dass natürlich auch die Substanzen daraufhin kontrolliert werden, ob das drin ist, was durch die ärztliche Verordnung drin sein soll.

Darauf hieß es von Ihrer Seite: Wie kann er das denn machen? Das müssen ja die Kommunen finanzieren. – Das war erst einmal Ihre Antwort. Ich habe gesagt: Ihr braucht euch gar nicht aufzuregen. Wir machen eine Gebührenordnung, und diese Kontrollen zahlen die Apotheken selber. Ich denke, das ist diesen Apotheken durchaus zumutbar.

Jetzt kommt das Thema „Wirtschaftlichkeitsüberprüfung“. Dem stehe ich doch völlig offen gegenüber. Aber Sie wissen doch auch, dass die Apothekerkammern dabei sind, dies jetzt in Form einer Selbstverpflichtung irgendwie hinzubekommen.

(Zuruf von der SPD)

– Ja, aber die Apothekerkammern sind dabei, es zu erarbeiten; Sie hingegen haben noch gar nichts gemacht.

(Beifall von der CDU)

Jetzt sage ich Ihnen eines: Ich werde mich dabei nicht auf irgendetwas einlassen, das nicht objektiv ist. Aber ich finde, dass erst einmal der Versuch unternommen werden muss, das Ganze freiwillig über die Apothekerkammern zu regeln. Das Zertifikat muss natürlich von unabhängiger Seite ausgestellt werden, so wie wir es aus der Wirtschaftsprüfung kennen. Das sind doch alles Wege, die denkbar und machbar sind.

Wenn die Apothekerkammern sich aber nicht darauf verständigen, dass das so läuft, dann bin ich überhaupt nicht dagegen, das am Ende des Tages gesetzlich zu regeln. Aber wir haben nun mal die Kammern – auch dafür, um staatliche Aufgaben zu übernehmen, in der Gemeinschaft derer, die in einer Kammer vertreten sind. Das ist doch der Sinn des Kammerwesens in Deutschland.

(Beifall von der CDU)

Sie wissen ja, dass ich mir für andere Bereiche des Gesundheitswesens ebenfalls Kammern wünsche. Jetzt sind die Apothekerkammern gefragt, erst einmal ihre Verantwortung wahrzunehmen, und das tun sie auch.

Ich finde, wir sollten uns nicht gegenseitig die Schuld zuschieben. Dass es sich hier um ein kriminelles Verhalten handelt, weiß jeder. Es zeugt schon von einer großen kriminellen Energie, Medikamente für Krebskranke zu verändern und zu panschen – und das kann mit nichts entschuldigt werden. Es ist schon richtig – das ist mein Bestreben –, dass wir in unserem Gesundheitssystem auch in dieser Frage wieder Vertrauen herstellen.

(Zustimmung von Peter Preuß [CDU])

Ich glaube aber auch, dass Vertrauen nur durch Transparenz entsteht und nicht durch Verdecken. Deshalb haben wir uns zu diesem Weg entschlossen, und Sie wissen genauso gut wie ich, dass er alles in allem nicht nur akzeptabel, sondern auch richtig ist. Über eine Sache jedoch dürfen Sie nicht hinweggehen, nämlich dass in den ersten sieben Monaten des Skandals die damals Verantwortlichen dieses Thema ausgesessen und nicht reagiert haben. Und damit müssen Sie leben!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Wir kommen damit zu zwei Abstimmungen, erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1443. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 17/2589, den Antrag Drucksache 17/1443 abzulehnen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 17/1443 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem so folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag Drucksache 17/1443 abgelehnt.

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drucksache 17/2621. Wer diesem Entschließungsantrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Wer ist dagegen? – Die SPD. Wer enthält sich? – Die Grünen. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 17/2621angenommen.

Ich rufe auf:

17 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Nordrhein-Westfalen

Vorlage 17/5

Und:

Stellungnahme der Landesregierung zum 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen

Vorlage 17/416

Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 17/2525

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU erteile ich dem Kollegen Dr. Geerlings das Wort. Bitte schön.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Plenarwoche endet so, wie sie begonnen hat: Nachdem wir gestern Morgen und Abend ausführlich über den Datenschutz debattiert haben, bildet dieses Thema auch den Abschluss unserer heutigen Sitzung.

Wir nehmen den Bericht der Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2015 und 2016 zur Kenntnis. Auf mehr als 200 Seiten informiert uns Frau Block über aktuelle Entwicklungen und Probleme sowohl aus dem Datenschutz als auch aus dem Bereich der Informationsfreiheit.

Schon wer nur das Inhaltsverzeichnis überfliegt, kann erahnen, welche Bedeutung Daten und der Schutz derselben haben. Unternehmen und Geschäftsmodelle, Beschäftigte und Arbeitsverhältnisse, Fragen von Gesundheit und sozialer Sicherheit und natürlich auch Aspekte der inneren Sicherheit haben inzwischen allesamt einen Bezug zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten.

Lassen Sie mich – ähnlich wie die Landesregierung in ihrer Stellungnahme – auf einzelne Aspekte des Berichts eingehen. Drei Themen möchte ich herausgreifen.

Erstens. Bereits in der vergangenen Plenarwoche war der Facebook-Datenskandal hier im Hohen Haus Thema. Auch die Landesbeauftragte geht auf Facebook ein. Wer Facebook nutzt, der tut dies nicht umsonst, sondern bezahlt dafür mit seinen Daten. Jeder muss sorgfältig abwägen, was er diesem Medium preisgibt.

Der Rat der Beauftragten an öffentliche Stellen, Facebook aber nicht zu nutzen bzw. keine sogenannten Fanseiten einzurichten, schießt weit über das Ziel hinaus. Behörden müssen dort präsent sein, wo auch die Menschen im Land präsent sind. Social-Media-Seiten sind ein wichtiger Bestandteil behördlicher Öffentlichkeitsarbeit und sollen es auch bleiben. Sie können helfen, den direkten Kontakt zu fördern.

Zweitens. Auch die Nutzung von Videotechnik bei der Bekämpfung der Kriminalität spielt im Bericht an mehreren Stellen eine Rolle. Videoüberwachung im öffentlichen Raum dient der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten; deshalb wollen wir im Zuge des Sicherheitspakets I die Möglichkeiten dafür ausdehnen. Nur so lassen sich Angsträume in unseren Städten, die das Sicherheitsgefühl der Menschen massiv beeinträchtigen, bekämpfen.

Die umfangreichen Zweifel der Landesbeauftragten am Einsatz von Bodycams bei Polizeibeamten teile ich nicht. Die Eigensicherung unserer Polizisten, zum Beispiel bei Einsätzen in Wohnungen, muss Vorrang haben. Wir müssen unserer Polizei den Rücken stärken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Drittens möchte ich noch das Thema „IT-Sicherheit“ in den Blick nehmen. Dabei werde ich sicher etwas versöhnlichere Worte finden als in den ersten beiden Punkten. Bundesweit hat meine Heimatstadt Neuss Anfang 2016 Schlagzeilen gemacht, als ein Computervirus, der illegal aufgespielt worden war, das städtische Lukaskrankenhaus tagelang lahmgelegt hat. Nicht nur deshalb weiß ich um die Bedeutung der IT-Sicherheit für unsere öffentliche Infrastruktur.

Cyberkriminelle sind den Sicherheitsmechanismen oft einen Schritt – oder sogar mehrere – voraus. Deshalb sind – darin stimme ich der Datenschutzbeauftragten zu – die Konzeption und die Realisierung neuer Sicherheitsarchitekturen eine wichtige Zukunftsaufgabe, die mithilfe des Staates bewältigt werden muss.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal den deutschen Staats- und Verwaltungsrechtler und ersten Bundesbeauftragten für Datenschutz Hans Peter Bull zitieren:

„Datenschutz ist ein notwendiges Gegengewicht und ein Korrekturinstrument gegen übermäßige, die Individualrechte beeinträchtigende Datenverarbeitung, aber er kann und soll kein Verhinderungsinstrument sein.

Es ist nicht Aufgabe des Datenschutzrechts und der Datenschutzkontrollinstanzen, die Menschen von autonomen Entscheidungen über ihre Daten abzuhalten.“

In diesem Sinne werden wir auch in Zukunft das Thema „Datenschutz“ sowie die Arbeit der Landesbeauftragten konstruktiv kritisch begleiten.

Der Landesbeauftragten und allen, die an dem Bericht mitgewirkt haben, spreche ich ausdrücklich meinen Dank für die geleistete Arbeit aus. Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein frohes Pfingstfest. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD erhält die Kollegin Kapteinat das Wort.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde arbeiten wir noch an einem Thema, das vor allem durch die Ereignisse rund um Facebook, Cambridge Analytica, aber auch durch das bevorstehende Inkrafttreten der neuen Datenschutz-Grundverordnung Hochkonjunktur hat.

Es sind zwei Anlässe, die hervorragend darstellen, warum wir die Datenschutzbeauftragte brauchen: Das ist zum einen gemäß Art. 4 Abs. 2 unserer Landesverfassung, um dem Grundrecht auf Datenschutz gerecht zu werden, und das ist zum anderen, um gemeinsam den praktischen Umgang mit rechtlichen Vorschriften und deren Auswirkungen besser zu erkennen und verständlich zu machen. In diesem Zusammenhang möchte ich Frau Block ausdrücklich danken.

Die vorrangige Aufgabe der Landesdatenschutzbeauftragten ist es, das Grundrecht auf Datenschutz zu schützen. Frau Block erfüllt diese Aufgabe seit nunmehr drei Jahren vorbildlich. Der über 100-seitige Bericht, der uns heute vorliegt, spricht dafür Bände.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ihre Aufgabe ist in der heutigen Zeit, in der diese Freiheitsrechte allzu schnell angesichts von drohenden Gefahren beschnitten werden sollen, wichtiger denn je. Datenschutzrechtliche Bedenken sind im digitalen Zeitalter keine Nebensache mehr. Dabei gilt es, sehr sorgfältig zwischen öffentlichem Interesse und privatem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen und pragmatische Lösungen zu finden. Frau Block und ihre Behörde haben mit dem 23. Datenschutz- und Informationsbericht einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.

Zur Stellungnahme selbst: Die Stellungnahme der Landesregierung kommt mit ihren immerhin 23 Seiten im Umfang nicht ganz an den Bericht der Landesdatenschutzbeauftragten heran. Sie zeigt dafür an der einen oder anderen Stelle leider, dass das Verständnis der Landesdatenschutzbeauftragten, was den Datenschutz anbelangt, von dem der Landesregierung doch erheblich abweicht.

Sehr auffällig ist dabei die Datenschutz-Grundverordnung. Mit dieser haben wir uns in den letzten Tagen jedoch so ausführlich beschäftigt, dass ich heute Abend nicht näher darauf eingehen möchte.

Ein ganz wichtiges Thema, das mir selbst sehr am Herzen liegt, ist die Arbeit des Verfassungsschutzes. Überwachung bedeutet zwangsläufig eine Absenkung des Datenschutzniveaus. Das nehmen wir in wenigen Situationen aus guten Gründen in Kauf, nämlich wenn es um den Verfassungsschutz geht.

2016 haben wir beschlossen, die Beobachtung Minderjähriger durch den Verfassungsschutz zu ermöglichen. Dafür gab es gute Gründe, die diesen Schritt notwendig gemacht haben. Wir waren uns aber auch bewusst, was das bedeutet, und haben Schutzmechanismen eingebaut, wie beispielsweise kürzere Lösch- und Speichervorschriften und eine Evaluation dieser Vorschriften – Einschränkungen in Maßen und in Zusammenarbeit mit der Landesdatenschutzbeauftragten.

Warum die Landesregierung in ihrer Stellungnahme diesen simplen Punkt nicht verstehen will, ist mir persönlich schleierhaft. Eine Konkretisierung durch die Landesdatenschutzbeauftragte, inwiefern hier eine Einschränkung beim Datenschutz Minderjähriger vorliegt, ist daher kaum vonnöten, vor allem wenn man bedenkt, dass eine Überwachung Minderjähriger bis dahin gar nicht möglich war.

Kommen wir zu einem weiteren Thema, das auch groß diskutiert wird und aktuell in der Öffentlichkeit viel Relevanz erfährt: die elektronische, digitale, internetbasierte Datenverarbeitung an Schulen. Der Datenschutz durchdringt selbstverständlich alle Bereiche, auch den der Schule.

Dort sind Lehrerinnen und Lehrer diesbezüglich vielfach Schwierigkeiten ausgesetzt. Private Endgeräte mangels adäquatem Arbeitsplatz an der Schule sowie E-Learning und elektronisches Klassenbuch sind Herausforderungen, mit denen sich Lehrer heutzutage auseinandersetzen, und die nicht nur Know-how erfordern, sondern auch eine entsprechende Ausstattung. Dementsprechend wichtig ist es, dass wir eine Datenschutzbeauftragte haben, die darauf aufmerksam macht, und die uns als Politikern immer wieder mal den Finger in die Wunde legt und uns sensibilisiert.

Deutlich wurde: Digitalisierung als Schlagwort ist nicht ausreichend, wenn man Datenschutz nicht beachtet. Ich bitte alle in diesem Hohen Hause, in den nächsten Jahren darauf Wert zu legen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Brockmeier.

Alexander Brockmeier (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie wir alle wissen und es die Tagesordnung der gestrigen Plenarsitzung gezeigt hat, stehen das Thema „Datenschutz“ und insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung derzeit vielerorts und in vielerlei Hinsicht zur Debatte.

Um diesem wichtigen Thema genügend Raum und eine intensive Debatte in unserem Haus zu ermöglichen, haben wir direkt am Anfang unserer gestrigen Sitzung eine Aktuelle Stunde zur Datenschutz-Grundverordnung beantragt und durchgeführt. Die Sorgen in Bezug auf die Praktikabilität wurden dort intensiv diskutiert. Gern möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, mich zu den wichtigen datenschutzrechtlichen Fragen zu äußern und auf den Bericht unserer Landesdatenschutzbeauftragten einzugehen.

Natürlich sind die Grundüberlegungen richtig, die Bürgerinnen und Bürger dabei zu unterstützen, die effektive Kontrolle ihrer eigenen Daten zu behalten. Richtig ist auch, dass Kompetenzen gebündelt werden können und flächendeckende Datenschutzrechte gelten.

(Beifall von der FDP)

Zu nennen sind zum Beispiel das Marktortprinzip, die One-Stop-Shops und das Recht auf Löschen bzw. das Recht auf Vergessenwerden.

Das Anliegen der Datenschutz-Grundverordnung ist daher nicht falsch. In Zeiten wie diesen müssen datenschutzrechtliche Grundlagen nicht regional oder national, sondern vielmehr europäisch gedacht werden. Dies inkludiert auch gemeinsame Regelungen und einheitliche Standards. Nur so können wir gegenüber amerikanischen und globalen Playern wie Google, Facebook und Amazon effektiv unsere Datenschutzrechte und unsere Standards einfordern.

(Beifall von der FDP)

Bei der Datenschutz-Grundverordnung gleichermaßen wie auch bei der ePrivacy-Richtlinie ist es aus praktischer Sicht wichtig, dass bürokratische Hürden sowohl für Unternehmer als auch insbesondere für engagierte Bürgerinnen und Bürger in Vereinen so gering wie möglich gehalten werden.

Danach sieht es momentan leider nicht aus. Wie in unserem Entschließungsantrag dargelegt, ist es dabei die Pflicht des Gesetzgebers, seine bestehenden Spielräume auszunutzen, damit die Vorgaben der EU weder Mittelstand noch Ehrenamt zu stark belasten oder gar einschränken.

Die stringente Förderung von E-Government-Projekten liegt uns am Herzen. Das haben wir heute unter Tagesordnungspunkt 3 auch schon diskutiert. Deshalb haben wir auch bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine neue E-Government-Strategie zu erarbeiten, Programmierschnittstellen als Plattform bereitzustellen und die Kommunen mit Hilfe eines Förderfonds K 400 kommunal wie digital finanziell zu unterstützen.

Zur Stärkung der Transparenz des Staates und für bessere Möglichkeiten der Nutzung öffentlicher Informationen und Daten, zum Beispiel durch die Wissenschaft, wollen wir analog zum Bundesgesetz auch in NRW ein Open-Data-Gesetz einführen.

Das von Frau Block thematisierte Datenportal „GovData“ bietet eine Möglichkeit zur Stärkung von Teilhabe und Transparenz und ist auch unserer Meinung nach ein gutes Mittel, um Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft, Wissenschaft und auch Verwaltung gebündelt öffentliche Daten über eine niedrigschwellige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

(Beifall von der FDP)

Handlungsbedarf sehen wir im Hinblick auf das Informationsfreiheitsgesetz, das aus dem Jahre 2001 stammt und nicht mehr den aktuellen Standards entspricht. Eine Anpassung an dieser Stelle wurde in der letzten Legislaturperiode von den regierungstragenden Fraktionen nicht umgesetzt.

Von daher sage ich ganz klar: Wir wollen, dass sich der Staat transparent gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern verhält und damit vielleicht auch gegen Politikverdrossenheit vorgeht; denn demokratische Entscheidungen werden auf diese Weise transparent gemacht, und das sorgt für mehr Akzeptanz. Das ist ein Anliegen, das wir, so meine ich, in diesem Hohen Hause auch gemeinsam umsetzen sollten.

Abschließend möchte ich mich noch einmal bei der Landesdatenschutzbeauftragten Frau Block und ihren Helfern für den ausführlichen und engagiert-kritischen Bericht bedanken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Mikrofon ist für Frau Schäffer von Bündnis 90/Die Grünen freigeschaltet.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja gestern schon in zwei Diskussionen über die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung diskutiert. Herr Geerlings hatte das auch angesprochen, und das Bild passt, wie ich finde, gut. Wir haben damit angefangen, und wir beenden diese Plenarwoche mit diesem wichtigen Thema; heute mit dem Bericht der Landesdatenschutzbeauftragten.

Der Berichtszeitpunkt liegt schon relativ lange zurück. Die Vorzeichen haben sich durchaus ein Stück weit verändert. Aber ich möchte die Gelegenheit noch einmal nutzen, um mich bei Frau Block, der Landesdatenschutzbeauftragten, ganz herzlich für den Bericht, aber auch für ihre Arbeit zu bedanken, die aus meiner Sicht wirklich eine wichtige Tätigkeit darstellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

– Danke für den Applaus. Ich hätte mich gefreut, wenn sich vielleicht auch andere angeschlossen hätten, der Datenschutzbeauftragten an dieser Stelle für diese wichtige Aufgabe zu danken. Aber ich glaube, das war keine Ablehnung. – Ich nehme das Nicken als Zustimmung, und Herr Lürbke und andere haben das vor mir ja auch schon gesagt.

Ich würde gerne aus dem Vorwort des Berichts eines herausgreifen. Frau Block schreibt in dem Vorwort etwas über das Spannungsverhältnis von Privatheit und innerer Sicherheit. Ich finde, dass Frau Block sehr zutreffend schreibt – ich zitiere sie hier –:

„Staatliche Sicherheitsmaßnahmen haben Konjunktur und nach Meinung vieler auch Vorrang vor der informationellen Selbstbestimmung der Einzelnen.“

Ich glaube, da ist sehr viel dran. Darin hat mich die Rede von Herrn Geerlings auch noch einmal bestätigt. Es ist genau das, was wir in der Innenpolitik erleben, nämlich dass mit dem Aspekt der Sicherheit argumentiert wird und damit der Datenschutz immer mehr in den Hintergrund tritt. Das darf aber nicht sein. Gerade bei der Argumentation über die Terrorismusbekämpfung ist es oft der Fall, dass gesagt wird: „Wir müssen die Sicherheit stärken, wir müssen die Terrorismusbekämpfung stärken“, und die Grundrechte treten dabei in den Hintergrund.

Das finde ich falsch. Das ist aus meiner Sicht ein großes Problem auch für unsere freiheitliche Gesellschaft. Denn natürlich verändert es das Verhältnis zwischen staatlichen Behörden und den Bürgerinnen und Bürgern. Wir Grüne werden weiterhin die Datenschutzbeauftragte darin unterstützen, ihre wichtige Aufgabe als Wächterin des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will vor allem noch etwas zum Thema „Videoüberwachung“ sagen. Es gab im Jahr 2016 insgesamt 660 Beschwerden von Menschen über die Videobeobachtung durch Private. Das zeigt auch noch einmal, dass die Bürgerinnen und Bürger für dieses Thema sensibel sind. Die Tendenz der Beschwerden war in den letzten Jahren durchaus steigend. Ich gehe jede Wette ein, dass jetzt, gerade nach dem gestrigen Beschluss zur Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung auf Landesebene, die Anzahl der Beschwerden auch in Nordrhein-Westfalen noch einmal zunehmen wird.

Herr Reul, Sie hatten mich gestern dafür kritisiert, dass ich von einer uferlosen Ausweitung der Videobeobachtung gesprochen habe. Das waren übrigens nicht nur meine Worte. Es waren vielmehr auch die Worte der Landesdatenschutzbeauftragten, die sie in der Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf gebraucht hat, und die ich gestern hier aufgegriffen habe. Dies bitte ich so zur Kenntnis zu nehmen.

Ich finde, dass die Landesdatenschutzbeauftragte in ihrem Bericht sehr eingängige Argumente gegen die Videoüberwachung bringt:

Erstens. Terroranschläge können dadurch nicht verhindert werden.

Zweitens. Hilfe im Notfall ist bei Videokameras, bei denen es keine Live-Beobachtung und keine Live-Auswertung gibt, nicht zu erwarten.

Drittens. Ein subjektives Sicherheitsgefühl – auch damit wird in der Innenpolitik ja häufig argumentiert: wir müssten subjektiv für Sicherheit sorgen – rechtfertigt noch lange keine Grundrechtseingriffe.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich meine, dass man diese Argumente auch sehr gut auf das Polizeigesetz, das wir in den nächsten Wochen im Landtag noch intensiv beraten werden, beziehen kann und beziehen muss. Denn auch im Polizeigesetz steht demnächst eine Ausweitung der polizeilichen Videobeachtung an, wenn der Gesetzentwurf der Landesregierung von CDU und FDP unverändert beschlossen werden sollte.

Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir Grüne nicht grundsätzlich gegen Videobeobachtung sind, sei es im privaten Bereich oder durch die Polizei. Aber Ihre Ausweitungen, die Sie hier planen, sind aus unserer Sicht nicht dazu geeignet, für mehr Sicherheit zu sorgen. Sie werden zu einer Verdrängung von Kriminalität führen. Das bringt dann unter dem Strich nicht mehr Sicherheit, aber es bedeutet mehr Grundrechtseingriffe bei den Bürgerinnen und Bürgern, und das finden wir Grüne falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Landesdatenschutzbeauftragte spricht in ihrem Bericht – das ist uns wichtig – das Thema „Transparenzgesetz“ an. Sie hat in ihrem Bericht ausgeführt, dass sie erwartet, dass es endlich eine Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem wirklichen Transparenzgesetz gibt. Wir Grüne sehen das auch so.

Leider ist das in der letzten Legislaturperiode nicht mehr zustande gekommen. Von Schwarz-Gelb erwarte ich in dieser Hinsicht, ehrlich gesagt, nicht ganz so viel. Aber ich hoffe, dass die Landesdatenschutzbeauftragte am Ball bleibt und das Thema weiter befeuert, weil ich glaube, dass es ein wichtiger Schritt und ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger wäre, wenn wir endlich dieses Transparenzgesetz bekommen, das wir dringend brauchen.

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Dabei werden wir die Landesdatenschutzbeauftragte unterstützen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die AfD hat der Abgeordnete Beckamp das Wort.

Roger Beckamp (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir danken selbstverständlich der Datenschutzbeauftragten. Wir danken ihr insbesondere für ihre kritischen Ausführungen zum WDR. Der WDR hat eine ganz besondere Stellung in dem Bericht, aber offenkundig auch für die Regierung.

Sie bespricht zwei konkrete Punkte.

Erster Punkt. Sie sagt, dass der Datenschutz beim WDR gar nicht der Aufsicht der Datenschutzbeauftragten unterliegt. Das ist ihr entzogen. Es gibt interne Datenschutzbeauftragte, und das sieht sie als Problem an.

Zweiter Punkt. Ergebnisse des Landesrechnungshofes dürfen nicht über das Mittel des Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht werden. Auch da gibt es eine Ausnahme für den WDR. Begründet wird das von Ihnen mit dem Auftrag der Meinungsbildung des WDR ohne staatlichen Einfluss. Da steckt natürlich eine gewisse Heiterkeit dahinter; denn die Kontrolle durch den Staat, durch die Datenschutzbeauftragte oder auch durch Veröffentlichungen des Landesrechnungshofes wären ja gerade sinnvoll, um dem Unwesen beim WDR, was die Parteien anbelangt – Stichwort: Parteienklüngel –, einen Riegel vorzuschieben.

Insofern ist es durchaus fragwürdig, dass Sie sich dazu bisher leider nicht auf die Anmerkungen der Datenschutzbeauftragten eingelassen haben. Vielmehr sehen Sie den WDR als eine Art Staat im Staat. Da fragen wir uns natürlich: Ist das gut für ein bisschen Wohlwollen im Hinblick auf den WDR? Soll das bei Ihnen etwas hervorrufen? – Das würde mich interessieren.

Insofern: Vielen Dank noch mal an die Datenschutzbeauftragte für ihre kritischen Anmerkungen gerade in diesem Bereich.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung hat Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Landesbeauftragten und die Stellungnahme der Landesregierung wurden im Ausschuss bereits erörtert. Insofern muss man hier nicht mehr auf alle Details eingehen.

Erstens. Für die Landesregierung ist Datenschutz ein wichtiges Thema. Deshalb ist die Arbeit der LDI von großer Bedeutung.

Zweitens. Trotzdem wird sich die Landesregierung auch in Zukunft das Recht herausnehmen, zu diesem Bericht abweichende Meinungen zu haben. Das sind Anregungen, Anmerkungen, aber die muss man nicht in jedem Fall teilen.

Es gibt Punkte, wo wir anderer Meinung sind. Das haben wir auch im Innenausschuss vorgetragen. Ein Debattenpunkt ist der Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des allgemeinen Datenschutzrechtes. Darüber haben wir schon geredet.

Ein weiterer Punkt sind die Anmerkungen zum Polizeigesetz. Das war kein Bericht, der die Vergangenheit betrifft, sondern da hat die Datenschutzbeauftragte schon einmal nach vorne geblickt. Das ist ihr Recht, und das ist in Ordnung, aber wir halten die Bewertungen in Teilen für falsch. Als Beispiel nenne ich die Ausweitung der polizeilichen Videobeobachtung. Das war heute schon mehrfach Thema.

Wir halten diese Videobeobachtung für die Arbeit der Polizei für notwendig. Die Bereiche, in denen Täter sich sammeln, Taten planen und auf Tatgelegenheiten warten, müssen beobachtet werden können. Mit diesem Instrument können Straftaten verhindert werden. Es muss doch nicht erst etwas passieren, um handeln zu können. Da unterscheiden wir uns.

Frau Schäffer, wenn Sie und Frau Block formulieren, dass es sich um eine „uferlose Überwachung“ handele, dann können Sie das zwar vortragen, aber das ist falsch. Ich empfehle Ihnen – vielleicht schaffen wir das im Zusammenhang mit den Beratungen des Polizeigesetzes –, sich einmal detailliert damit auseinanderzusetzen. Genau dieser Passus der Videobeobachtung ist zwischen den Fraktionen und der Regierung sehr intensiv besprochen und an vielen Stellen nachgeschärft worden. Eine uferlose Überwachung ist hier wirklich nicht zu erkennen. Das wird auch nicht passieren, auf keinen Fall.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Das war auf die Grundverordnung bezogen! Da müssen Sie genau sein!)

Auch die Anmerkungen zu den Bodycams teilen wir nicht.

Ich möchte auch noch ein paar Anmerkungen zu den Ausführungen der LDI zum Nutzen des Netzwerks Facebook durch öffentliche Stellen machen. Sie sieht das sehr kritisch. Der Bewertung von Facebook kann ich mich eindeutig anschließen – dazu gibt es eine Menge Kritisches zu sagen –, aber vor dem Hintergrund, dass Facebook ein wichtiges Kommunikationsinstrument geworden ist, gerade für die jüngeren Menschen – ich denke an das Thema „Personalwerbung“ –, können sich öffentliche Stellen daraus nicht ausklinken.

Auch das sehen wir anders als Sie. Allerdings müssen wir mit größter Sorgfalt vorgehen; das ist richtig. Darüber hinaus müssen wir bei der Nutzung unbedingt die Datenschutzvorschriften einhalten.

Last but not least: Die Beratungen der LDI schätzen wir. Ihre Hinweise nehmen wir in unsere Überlegungen auf. Das heißt nicht, dass wir alles eins zu eins übernehmen. Auf die Datenschutzbehörde wird eine Menge Arbeit zukommen; darauf ist bereits in mehreren Beiträgen hingewiesen worden. Gerade Unternehmen und Vereine werden die Beratung der LDI brauchen, um die Umsetzung der Datenschutzgesetze zu vollziehen. Ich hoffe, dass die LDI dabei behilflich ist. Deswegen sind wir sehr froh, dass wir in der jüngeren Vergangenheit das Personal der LDI noch verstärkt haben.

Ich wünsche mir auch in Zukunft eine gute, intensive Zusammenarbeit, auch wenn es manchmal unterschiedliche Bewertungen geben wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit ist die Aussprache geschlossen. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 17/2525 die Kenntnisnahme der beiden Vorlagen.

Gibt es jemanden, der sich dagegen aussprechen möchte? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit sind die beiden Vorlagen 17/5 und 17/416 zur Kenntnis genommen.

Wir sind am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, 13. Juni 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend und ein gesegnetes Pfingstfest.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19:44 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.